Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zwei
Mitteilungen zu machen:
Der Kollege Walter Riester hat am 27. September
seinen 65. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen
Hauses möchte ich ihm dazu auch auf diesem Wege
noch einmal herzlich gratulieren und alle guten Wünsche
übermitteln.
({0})
Zweitens. Die Kollegin Hildegard Müller hat am
1. Oktober auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger begrüße ich herzlich
den Kollegen Thomas Mahlberg.
({1})
Alle guten Wünsche für die jetzt beginnende parlamentarische Arbeit!
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan ({2}) unter Führung der NATO
auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({3})
und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1833 ({4}) vom 22. September 2008 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/10473 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so
vereinbart.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, FrankWalter Steinmeier.
({6})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Unser Engagement in Afghanistan geht jetzt ins
achte Jahr. Ich weiß: Das ist eine Probe für die Geduld
und die langfristige Kraft der Weltgemeinschaft. Deshalb sage ich vorab drei Dinge: Erstens. Die Gründe, die
uns 2001 nach Afghanistan geführt haben, gelten. Zweitens. Wir haben uns verpflichtet gegenüber einem Volk,
das in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschunden
worden ist. Drittens. Wir wussten von Anfang an um die
Schwere der Aufgabe. Deshalb gilt gerade jetzt: Ein gegebenes Wort muss gelten.
({0})
Wir sind mitten auf dem Weg. In Afghanistan sind wir
mit so etwas wie einer doppelten Realität konfrontiert.
Auf der einen Seite haben wir durchaus viel erreicht.
85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu einem Arzt oder einem Krankenhaus in ihrer unmittelbaren Nähe - das war in Afghanistan vorher noch nie so -;
übrigens auch dank vieler Tausend Kilometer Straßen
und Brücken, die gebaut worden sind. Mehr als die
Hälfte des minenverseuchten Afghanistans ist inzwischen geräumt. Auch das macht das Leben in Afghanistan in manchen Regionen sicherer. Der Wiederaufbau
kommt in manchen Regionen ebenfalls durchaus voran,
und zwar nicht nur in Kabul. Ich selbst habe das Beispiel
Redetext
des Krankenhauses in Masar-i-Scharif gesehen. Dieses
Provinzkrankenhaus ist das zweitgrößte medizinische
Lehrkrankenhaus im ganzen Land. 250 Krankenschwestern werden dort jährlich ausgebildet.
Wir reden über ein Land, in dem vor sieben Jahren
noch Menschen gesteinigt worden sind und Musik verboten war. All denjenigen, die unsere Erfolge immer
noch kleinreden wollen, muss man entgegnen: Jedes
Stück Land, das ein Bauer wieder bestellen kann, jedes
Kind, das in die Schule geht, jedes neue Krankenhaus
und jeder Kilometer Straße sind auch ein kleiner Sieg
der Menschlichkeit.
({1})
Meine Damen und Herren, keiner ist naiv: Natürlich
ist der Weg länger und steiniger, als wir alle uns das erhofft haben. Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordattentat sind ein Rückschlag, und die Rückschläge haben
zugenommen - auch im Norden. Weder die internationale Staatengemeinschaft noch die afghanische Regierung - auch das ist wahr - haben die Korruption oder
den Anbau und Handel mit Schlafmohn bisher wirklich
in den Griff bekommen. Im Süden und Osten verunsichern nach wie vor - oder im Augenblick noch mehr Terroristen die Bevölkerung, weil die Grenzen zu Pakistan faktisch ungesichert sind.
Das ist die Lage, wie sie sich ungeschminkt darstellt.
Die Fragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ziehen
wir aus dieser Lage? Sollen wir wirklich gehen, wenn es
schwierig ist, wie manche es fordern? Sollen etwa Niederländer, Norweger, Polen und Finnen den Job machen,
weil wir uns aus der Verantwortung stehlen? Wenn Länder wie wir gingen, dann wäre das nicht nur eine Verletzung der Solidarität all denen gegenüber, die da bleiben,
sondern es wäre noch schlimmer: Wir würden das Ziel
aufgeben, für das wir sechs, fast sieben Jahre in Afghanistan gemeinsam gearbeitet haben. Unser Aufenthalt
dort war nie und ist kein Selbstzweck. Wir hatten und
haben ein klares Ziel: Wir wollen, dass die Menschen in
Afghanistan die Zukunft ihres Landes möglichst schnell
wieder in die eigenen Hände nehmen und selbst für
Sicherheit in ihrem Land sorgen.
({2})
Wir ziehen dabei mit vielen Afghanen an einem
Strang. Das haben Sie in Gesprächen bei AfghanistanReisen und auch bei Besuchen afghanischer Politiker
und Experten hier bei uns selbst erlebt. Diese sagen: Wir
wollen und wir können die Vorsorge für die eigene Sicherheit leisten. Aber jetzt brauchen wir noch die Hilfe
der internationalen Staatengemeinschaft, und wir müssen uns vor allen Dingen darauf verlassen können, dass
diese Hilfe in der nächsten Zeit noch geleistet wird. Darum geht es: Verlässlichkeit und Vertrauen. Dafür müssen auch wir stehen.
({3})
Das ist der Grund dafür, dass wir uns bei unserem
ISAF-Einsatz, um den es heute geht, vor allen Dingen
auf die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen
Sicherheitskräfte konzentrieren. Es ist eine gute Entwicklung, dass inzwischen bei 70 Prozent aller Sicherheitsoperationen in Afghanistan einheimische Sicherheitskräfte mitwirken. Außenminister Spanta hat mir das
vor kurzer Zeit noch einmal berichtet. Das zeigt, dass
wir insoweit auf dem richtigen Weg sind und auf diesem
Weg weiter vorangehen müssen.
Das ist der Grund, weshalb wir vorschlagen, im
nächsten Jahr bis zu 4 500 Soldatinnen und Soldaten im
Rahmen des ISAF-Mandats einzusetzen. Das sind in der
Tat 1 000 Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher. Wir
brauchen sie nicht nur für die Ausbildung der einheimischen Soldaten, sondern auch für die Absicherung der
kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen
in Afghanistan.
Zudem verdoppeln wir die Zahl deutscher Polizisten
im Rahmen der europäischen Polizeimission EUPOL.
Das ist ein deutlicher deutscher Beitrag, der auch mit
Blick auf die Bitte um Zustimmung zu ISAF zu berücksichtigen ist.
({4})
Ein Wort noch zu den Kritikern des Einsatzes, die es
gibt und die sich lautstark äußern. Bleibt bei der Kritik
bitte redlich!
({5})
Niemand verfährt im Augenblick im Hinblick auf Afghanistan nach dem Motto „Weiter so“. Wir haben unser
Engagement immer wieder jährlich überprüft, auch gemeinsam mit Ihnen. Wir haben überprüft, was weiterhin
notwendig ist und was entbehrlich geworden ist. Wir
häufen gerade nicht, wie es in mancher öffentlichen Kritik heißt, Auftrag auf Auftrag. Deshalb lautet mein Vorschlag, den Sie gelesen haben: Lasst uns, wenn wir über
das ISAF-Mandat entschieden haben und wenn die Beratungen in der NATO weitergegangen sind, Ja zu
AWACS und Nein zu Einsätzen, die nicht mehr gebraucht werden, sagen. Das ist das Gegenteil von „Weiter so“ und von dem, was Sie hier manchmal kritisieren.
({6})
Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine Art
Vorratsbeschluss für einen möglichen AWACS-Einsatz
zu erbitten, über den in der Sommerpause diskutiert
wurde, zu dem Sie aber in dem Antrag, über den wir
heute diskutieren, nichts finden - wohl wissend, dass die
NATO-Diskussion stattfindet, aber noch keine Beschlüsse der NATO vorliegen. Gleichwohl hat der zivile
Luftverkehr in Afghanistan erheblich zugenommen;
Afghanistan verfügt jedoch ganz ohne Zweifel über kein
ausreichendes Bodenradar, um den gewachsenen Flugverkehr so zu überwachen, dass die Luftfahrzeuge in
Afghanistan wirklich sicher abheben und wieder am Boden landen können. Deshalb brauchen wir auch
AWACS; aber das ist nicht Gegenstand der EntscheidunBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
gen, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag zu
treffen sind.
Ich habe auch gesagt - das haben Sie gesehen -, dass
der Einsatz von KSK nach meiner Auffassung in
Afghanistan entbehrlich geworden ist. Wir haben in den
letzten drei Jahren keine KSK-Soldaten zur Verfügung
gestellt. Deshalb hielte ich persönlich es auch für richtig,
wenn KSK-Einsätze im Rahmen des OEF-Mandates im
Verlaufe dieses Jahres ausliefen.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende und
sage: Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen
in ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept den langfristigen und vor allen Dingen umfassenden Stabilisierungsansatz, der den Wiederaufbau einschließt, vorgetragen und bekräftigt. Alle anderen in Afghanistan
vertretenen und engagierten Staaten folgen diesem Ansatz. Zu ihm gehört ganz ausdrücklich, dass wir die
Nachbarn Afghanistans mit in den Blick nehmen, sie sogar noch sehr viel stärker einbeziehen. Selbstverständlich meine ich damit vor allen Dingen Pakistan, ein
Schlüsselland für die Sicherheit und Stabilität der gesamten dortigen Region.
({7})
Wir müssen Pakistan dahin bringen, eine positive
Rolle bei der Stabilisierung sowie beim Wiederaufbau
der gesamten Region zu spielen. Deshalb habe ich mich
mit anderen am Rande der Generalversammlung der
Vereinten Nationen in der vergangenen Woche darum
gekümmert, Pakistan in eine Gruppe einzubinden, die
diesen Prozess vorantreibt. Das reiht sich in die Bemühungen ein, die wir von deutscher Seite im vergangenen
Jahr während unserer G-8-Präsidentschaft bereits gestartet haben und die durch die innenpolitischen Ereignisse
in Pakistan unterbrochen worden sind; das haben Sie
mitverfolgt. Ich sehe jetzt gute Chancen - erste Anzeichen dafür gibt es -, dass wir mit der neuen Regierung in
Pakistan zu einem geordneten Austausch zwischen dem
pakistanischen Präsidenten, dem afghanischen Präsidenten und den Ministerebenen darunter kommen. Bei der
Reise nach Pakistan, die ich in etwas mehr als zwei Wochen unternehmen werde, werde ich versuchen, diesen
positiven Ansatz, den es zwischen den beiden Ländern
gibt, weiterhin zu stützen.
Meine Damen und Herren, die Verlängerung des
ISAF-Mandats ist kein „Weiter so“, sondern sie ist auf
die Bedürfnisse des nächsten Jahres zugeschnitten: Wir
schicken mehr Soldaten. Wir konzentrieren uns auf die
Ausbildung von Soldaten und Polizisten. Wir steigern
die Ausgaben für zivilen Wiederaufbau auf jetzt immerhin 170 Millionen Euro, weil wir wollen - das sage ich
Ihnen aus tiefer Überzeugung -, dass die Menschen in
Afghanistan den Fortschritt tatsächlich spüren, sehen
und erleben.
({8})
Zum Schluss sage ich all jenen Danke, die sich häufig
unter Einsatz ihres Lebens für den Wiederaufbau und die
Stabilisierung Afghanistans einsetzen. Das sind unsere
Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivilen Aufbauhelfer. Ich weiß, wir alle miteinander wissen, dass
deren Aufgabe im vergangenen Jahr nicht einfacher geworden ist, im Gegenteil. Wir wissen auch, Kollege
Jung, was wir der Bundeswehr dort abverlangen, und wir
trauern um diejenigen, die für den Einsatz in Afghanistan mit dem Leben bezahlt haben. Allen, die den Menschen dort helfen, damit sich das Leben der Bevölkerung
in Afghanistan verbessert, schulden wir Dank und Anerkennung. Sie alle haben, wie ich finde, die Unterstützung dieses Hohen Hauses verdient. Darum bitte ich Sie
herzlich um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des
ISAF-Mandats.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege
Dr. Werner Hoyer das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des
ISAF-Mandats liegt seit nunmehr etwa vier Stunden vor.
Noch heute, nach der anschließenden Debatte über die
Lage auf den Finanzmärkten, werden die mitberatenden
Ausschüsse mit der Beratung beginnen. Heute Abend
wird auch der Auswärtige Ausschuss beraten und in der
nächsten Woche entscheiden. Das ist ein ganz schön
sportlicher Ansatz.
({0})
Ich frage mich: Wenn AWACS in diesen Antrag nicht
„hineingerührt“ worden ist, warum hat man ihn dem Parlament dann nicht etwas früher vorlegen können?
({1})
Zumindest ist damit klar, worüber wir heute nicht reden: Wir reden nicht über AWACS; dadurch fällt die
Entscheidung, diesem Antrag zuzustimmen, manch einem vielleicht etwas leichter. Wir reden heute auch nicht
über OEF. Der Minister hat eben auf KSK Bezug genommen. Ich denke, er meinte KSK im Rahmen von
OEF und nicht etwa auch KSK im Rahmen von ISAF;
({2})
das muss noch geklärt werden. Denn selbstverständlich
gibt es auch im Rahmen von ISAF Situationen, die einen
besonderen Schutz erforderlich machen. In einem solchen Fall ist KSK nach meiner Auffassung das Mittel
der Wahl.
Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über ein
wichtiges Mandat, im Grunde genommen über eine Fortschreibung dessen, was es bereits gibt. Wir, die Freien Demokraten, tragen die Aufstockung um 1 000 Soldatinnen
und Soldaten mit; die Begründung ist schlüssig.
Wir haben allerdings einige kritische Anmerkungen
zu machen. Das tue ich aber nicht, ohne vorher namens
der Freien Demokraten allen, die sich in Afghanistan bemühen und dort für uns eine sehr wichtige Aufgabe erfüllen, ganz herzlich Dank zu sagen. Das gilt insbesondere für die Angehörigen unserer Streitkräfte - um sie
geht es heute -, die dort eine hervorragende Arbeit leisten. Dieser Dank gilt völlig unabhängig von der Tatsache, dass wir auch kritische Anmerkungen machen.
({3})
Warum sind wir eigentlich mit Soldaten, Aufbauhelfern, Polizisten und anderen Kräften in Afghanistan vertreten? Wir sind dort nicht, um anderen, auch nicht anderen im Bündnis, einen Gefallen zu tun. Wir sind dort
auch nicht nur aus Solidarität mit den Afghanen; sie ist
ein wichtiger Punkt, aber nicht der entscheidende. Wir
sind in Afghanistan um unserer eigenen Interessen und
unserer eigenen Sicherheit willen. Das müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern auch immer wieder deutlich vor Augen führen.
({4})
Wir wissen, warum wir nach Afghanistan gegangen
sind. Wir wissen auch, was passieren würde, wenn wir
das Land Hals über Kopf verlassen würden. Wir würden
den Kräften Spielraum eröffnen, die nicht nur ihr eigenes Land terrorisieren, sondern den Terror von Afghanistan aus auch zu uns tragen würden. Um das zu verhindern, müssen wir dort weitermachen. Wir dürfen unseren
Beitrag allerdings nicht im Sinne eines „Weiter so“ leisten; dazu sind schon einige wichtige Anmerkungen gemacht worden.
Herr Minister, ich verhehle keineswegs die Erfolge,
die erzielt worden sind, sehe aber natürlich auch die
Schwachstellen. Bei der Polizeiarbeit hat die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle übernommen.
Ich finde, dieses Kapitel ist für Deutschland ein ziemlich
dunkles Kapitel.
({5})
Denn das, was in diesem Bereich von der Bundesregierung geleistet wird - das gilt nicht für die Polizeibeamten vor Ort, die eine Superarbeit leisten -, kommt einem
politischen Offenbarungseid ziemlich nahe.
({6})
Die Bundesregierung hat uns einen Schlingerkurs
vorgeführt, den ich beachtlich finde. Noch im Jahre 2004
hat sie voller Stolz gesagt, sie sei, wie es damals hieß,
am Aufbau eines multiethnischen Polizeidienstes, und
zwar landesweit und auf allen Ebenen, beteiligt. Heute
wird so getan, als hätte man nie etwas anderes als die
Beratung des afghanischen Innenministeriums im Sinn
gehabt. Dieser Schlingerkurs rächt sich.
Ich denke, wir werden darüber nachdenken müssen,
ob wir es bei unserem Beitrag zur europäischen Polizeitruppe belassen können oder ob wir nicht doch auf den
großen Wunsch unserer amerikanischen Freunde eingehen sollten, auch bilateral mit ihnen gemeinsam etwas zu
unternehmen; denn von ihnen wird der Großteil des Polizeiaufbaus geleistet.
Wir müssen uns darüber hinaus die Frage stellen, ob
wir uns im Hinblick auf unsere Verantwortung bei der
Entsendung von Polizeibeamten nicht in eine vergleichbare Situation begeben sollten wie bei der Entsendung
von Soldatinnen und Soldaten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde das Parlament die Verantwortung gegenüber den zu entsendenden Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten geringer einschätzen als die Verantwortung, die wir qua Parlamentsbeschluss für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr übernehmen. Ich
bin der Auffassung, dass wir uns überlegen sollten, ob
wir hier im Hinblick auf die Bundespolizei nicht eine
neue Rechtsgrundlage schaffen sollten. Dann würde
auch das ständige Gezeter mit den Ländern aufhören.
Letzte Bemerkung in meinem sehr kurzen Beitrag.
Am 4. November 2008 werden wir eine neue Weichenstellung der amerikanischen Politik erleben. Es wird keineswegs egal sein, wer dort das Amt des Präsidenten
übernehmen wird. In jedem Fall gehe ich aber davon
aus, dass die Bereitschaft zur Kooperation mit den Nachbarländern Afghanistans zunehmen wird. Das halte ich
auch für außerordentlich wichtig. Am Beispiel Pakistans sehen wir doch - der Herr Minister hat das bereits
gesagt -: Ohne die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenwirken mit den Nachbarn Afghanistans wird es
nicht funktionieren.
Wir haben den dringenden Ruf gehört, mit dem Iran
zusammenzuarbeiten. Es wäre schön, wenn er in der
Lage wäre, einmal direkt mit den Amerikanern zu reden.
Es gibt das Angebot der Shanghai Cooperation Organisation, und wir wissen, dass es ohne Russland und China
nicht funktionieren wird.
Ich meine, die Bundesregierung sollte im Bündnis ihren Beitrag dazu leisten, dass dieser Ansatz in und für
Afghanistan, der internationaler als der bisherige ist, tatsächlich Wirklichkeit wird.
Vielen Dank.
({7})
Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der
nächste Redner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir
debattieren heute in erster Lesung über eine VerlängeDr. Peter Ramsauer
rung des Afghanistan-Mandats, zum siebten Mal, seit
wir diese Mission begonnen haben. Ich finde es richtig
und wichtig, dass wir dies jedes Jahr in dieser ausführlichen parlamentarischen Weise tun. Entsprechend dem,
was der Herr Außenminister gerade gesagt hat, geht es
nämlich nicht um ein „Weiter so“; vielmehr müssen wir
uns im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und alle
Belange unserer Soldatinnen und Soldaten immer
wieder, Jahr für Jahr, gründlich und sorgfältig vergewissern, ob unsere „Marschrichtung“, unsere politische
Richtung, die Richtung des Einsatzes - es geht darum,
wie er ausgestaltet ist und erfolgreich sein soll -, richtig
und verantwortbar ist.
Im Zusammenhang mit dieser Verlängerung müssen
wir uns fragen, worauf wir in den nächsten 14 Monaten
insbesondere Wert legen müssen. Wir dürfen es uns bei
der Beantwortung dieser Frage in der Tat nicht leicht
machen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten - es sollen 1 000 mehr werden - halten auch für uns alle den
Kopf hin.
Aus all den Gründen, die der Herr Außenminister
schon vorgetragen hat und die uns allen bekannt sind,
sage ich ein klares Ja zu dieser Verlängerung des Mandats und auch zu einer Aufstockung der Zahl unserer
Soldatinnen und Soldaten von 3 500 auf 4 500.
Den Gegnern dieser Verlängerung sei ein kleiner - er
ist zwar nicht maßgeblich, aber immerhin doch bemerkenswert - Hinweis gegeben: In wenigen Wochen werden wir uns auch mit der Verlängerung von OEF auseinanderzusetzen haben. Ende des vorletzten Jahres, also
beim vorletzten Mandat, betrug die Zahl der Soldatinnen
und Soldaten im Rahmen von OEF 1 800. Diese werden
wir voraussichtlich auf 800 reduzieren. Wenn man sich
die Zahlen der beiden Mandate anschaut, die ja in gewisser Weise in einem politischen Zusammenhang zu betrachten sind, dann stellt man fest, dass wir bei ISAF die
Zahl der Soldatinnen und Soldaten in derselben Größenordnung erhöhen, wie wir sie bei der OEF reduzieren.
Wir können überhaupt nicht erwarten - ich hoffe, dass
das die Gegner dieses Einsatzes auch nicht tun -, dass
wir die Probleme, die es in Afghanistan zu lösen gibt,
über Nacht lösen. In all den Debatten - auch jetzt gerade
wieder in unserer Fraktion - ist auch die Frage erörtert
worden, ob man das nur militärisch erreichen kann oder
ob das auch nichtmilitärisch möglich ist. Eines ist völlig
klar: Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals
allein militärisch lösen können. Aber wir können ohne
die militärische Komponente die Probleme dort ebenfalls nicht lösen und die Aufbau- und Stabilisierungsarbeit, die wir uns vorgenommen haben, nicht leisten.
({0})
Unsere Absicht ist es - man kann es nicht oft genug
sagen -, die dortigen Strukturen im Bereich der eigenen
militärischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der Verwaltungskräfte, der Polizei, der Infrastruktureinrichtungen und im Bildungswesen so zu stärken, dass in Afghanistan eine selbsttragende Stabilität erzeugt wird.
Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte für sich selbst und zur Erfüllung der gesamten Aufbauarbeit entsprechende Möglichkeiten und Ressourcen haben.
Ein wichtiger Aspekt ist vor allen Dingen, dass wir
bei den militärischen und polizeilichen Sicherheitskräften in Afghanistan hinreichend Sicherheit schaffen und
für eine ausreichende Entlohnung sorgen, damit die dortige Korruption und die schlimme Praxis des Seitenwechselns - manchmal je nach Tageszeit: am Tag für die
einen und in der Nacht für die anderen - nachhaltig unterbunden werden. Erst dann, wenn wir alle diese Aufgaben erfüllt haben, werden unsere Soldaten nach Hause
zurückkehren können.
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der in den letzten
Tagen auch durch mich angestoßen worden ist; auch Sie,
Herr Außenminister Steinmeier, haben ihn gerade angesprochen. Ich frage Sie: Gibt es hier jemanden im Hause,
der möchte, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf
Dauer in Afghanistan bleiben? Ich glaube, das will kein
einziges Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber wir
sind es der deutschen Öffentlichkeit schuldig, dass wir
unsere Zielrichtung dartun. Wir müssen deutlich machen, worauf wir abzielen und wohin das Ganze führt.
Ich bin froh, dass wir vorletztes Jahr darauf gedrungen haben, dass unsere Soldaten zum 30. November aus
dem Kongo nach Hause zurückkehren. Ich bin froh, dass
wir darauf gedrungen haben, dass wir beim UNIFILEinsatz klare Voraussetzungen schaffen, und wir reduzieren unsere Kräfte dort weiter.
Ich bin froh - der Balkan ist ein hervorragendes Beispiel -, dass man erfolgreich auf ein Ende oder die Begrenzung eines solchen Einsatzes hinarbeiten kann und
dass wir dort, insbesondere in Bosnien, den Einsatz unserer Soldaten immer stärker zurückfahren können.
Ich habe einer Agenturmeldung entnommen, dass
auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer eine Befristung des Einsatzes fordert. Das ist völliger Quatsch.
Eine Befristung fordert niemand.
({1})
Eines muss klar sein - ich greife in diesem Zusammenhang Ihre Frage auf, Herr Steinmeier, ob wir gehen sollen, wenn es schwierig wird -: Wenn es schwierig wird,
dann ist auf die Deutschen in Afghanistan Verlass; dann
werden wir dort die entsprechende Flankierung leisten.
Aber wenn dort die Aufgaben so zu Ende gebracht sind,
dass wir das Land den eigenen Kräften überlassen können - egal, ob das in fünf oder acht Jahren der Fall sein
wird; man kann sicherlich den Zeitpunkt heute nicht
festlegen -, dann ist auch die Zeit für den militärischen
Einsatz der Bundeswehr dort abgelaufen.
({2})
Man kann nicht oft genug betonen, dass wir neben
den militärischen Anstrengungen auch den ganzen Bereich der nichtmilitärischen Anstrengungen eher beflügeln und ausbauen denn begrenzen müssen. Ich habe mir
von den beteiligten Ressorts die Zahlen vorlegen lassen,
wie viel Geld wir jeweils im militärischen und im nichtmilitärischen Bereich einsetzen. In diesem Jahr - aller19310
dings bis zum Ende des noch laufenden Mandats gerechnet; die Monate des Anschlussmandats sind also noch
nicht berücksichtigt - geben wir für den militärischen
428 Millionen Euro und für den nichtmilitärischen Bereich, einschließlich humanitärer Ausgaben, 163 Millionen Euro aus. Ich bin sofort dafür - wenn uns das in den
Haushaltsberatungen, die in den kommenden Wochen
vor uns liegen, gelingt -, den nichtmilitärischen Bereich
weiter zu stärken. Gerade Bildung und Sicherheit stellen
die Grundlagen für nachhaltige Veränderungen und Stabilität in Afghanistan dar.
Was den schon angesprochenen Schlafmohnanbau
angeht: In 21 der 34 Provinzen in Afghanistan wird
Mohn angebaut. Aber das tun die Bauern nicht aus Jux
und Tollerei. Vielmehr müssen sie so den kärglichen Lebensunterhalt für ihre armen Familien bestreiten. Wir
müssen alles daransetzen, eine alternative Wertschöpfungskette in Gang zu setzen. Es geht nicht - das wurde
bereits versucht -, die Bauern dazu zu bringen, Weizen
anzubauen, ohne ihnen gleichzeitig den Absatz zu sichern. Keiner der dortigen Bauern, die Weizen statt
Mohn anbauen und anschließend keinen Zentner verkaufen, wird so schnell noch einmal Weizen anbauen. Wir
müssen also dort die Wertschöpfungskette und die Absatzkette für alternative pflanzliche Produkte sicherstellen.
({3})
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Opiumproduktion
und den Mohnanbau werden wir niemals aus Afghanistan hinausbomben können. Wir müssen vielmehr auf
Mittel des zivilen Aufbaus, unter anderem auf Beratung,
setzen, um den Bauern Stück für Stück eine vernünftige
Alternative zu geben.
({4})
Ich möchte noch einen Punkt aus Ihrer Rede aufgreifen, Herr Außenminister. Die Probleme in Afghanistan
werden wir niemals lösen können, wenn wir nicht auch
- Sie haben die Lage und die Zusammenhänge hervorragend beschrieben - die Probleme im Nachbarland Pakistan lösen; denn dort ist in zunehmendem Maße das neue
Rekrutierungsfeld und das Aufmarschgebiet der Taliban.
Nach Angaben des pakistanischen Religionsministers ist
heute in Pakistan - das ist eine erschreckende Zahl jede zehnte der mindestens 15 000 Koranschulen fundamentalistisch und extremistisch ausgerichtet. Die so
ideologisch Ausgebildeten gehen dann in Militärcamps,
um militärisch ausgebildet zu werden. Sie sind für die
Taliban der personelle Nachschub in Afghanistan. Das
können wir auf Dauer nicht hinnehmen. Wir müssen die
zivilen Schulen wesentlich stärker ausbauen. Das ist unsere Aufgabe als Europäer und insbesondere als Deutsche. Arme pakistanische Eltern schicken ihre Kinder
viel lieber in zivile Schulen als in die Koranschulen. Die
Koranschule ist allerdings oft die einzige Alternative.
Das darf nicht so bleiben. Wenn es stimmt - viel spricht
dafür -, dass diese 15 000 Koranschulen maßgeblich aus
saudi-arabischen Quellen finanziert werden, dann muss
ich sagen: Das dürfen wir nicht hinnehmen.
({5})
Herr Kollege Ramsauer.
Ich weiß, meine Redezeit ist zu Ende.
Wir fühlen uns dem Aufbau in Afghanistan verpflichtet. Ich darf für meine Fraktion klar bekennen, dass wir
zu diesem Aufbau stehen. Aber wir wollen auch klarmachen, wohin die Reise geht und unter welchen Bedingungen wir diesen Einsatz eines Tages beenden werden.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Monika Knoche für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Herren
und Damen! Diese notwendige Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu Afghanistan gibt es nur, weil wir
Linke nicht bereit waren, einem Fristverzicht zuzustimmen und diese wichtige, zentrale Frage deutscher Außenpolitik unter „ferner liefen“ in anderen Debatten abzuhandeln.
({0})
Wir Abgeordnete sollen die Zustimmung zur Stationierung von weiteren 1 000 Soldaten in Afghanistan
geben. Wir haben auf die gesamte Lage eine andere
Sicht als die vorgetragenen.
({1})
Ich bin der Auffassung, dass es Zeit für eine wahrhaftige
Bilanz ist.
Insgesamt 55 000 NATO-Soldaten, darunter bald
4 500 deutsche, sollen dort für Sicherheit und Aufbau
sorgen. Wozu haben die vergangenen sieben Jahre ISAFPräsenz geführt? Was braucht Afghanistan, und mit welchen Mitteln sind die Ziele zu erreichen? Dazu nenne ich
einige Fakten: Haben nach dem 11. September circa
100 CIA-Agenten und 350 US-Elitesoldaten die Talibanregierung gestürzt und blieb die Zahl der ISAF-Soldaten bei unter 10 000, so ist bereits Mitte 2008 die Zahl
von 65 000 Soldaten erreicht. Weitere Aufstockungen
sind angekündigt, weitere Jahre der Präsenz avisiert.
Wenn die USA gewählt haben, werden Afghanistan und
wohl auch Pakistan zu den zentralen Orten des sogenannten Krieges gegen den Terror werden.
Der ISAF-Oberkommandierende, General McNeill,
sagte dieser Tage - Zitat -, es brauche 400 000 Soldaten,
um Afghanistan zu befrieden. Er sagte allerdings auch,
er sei der Auffassung, dass dieser Krieg bereits verloren
ist. Aber unsere Minister Herr Jung und Herr Steinmeier
nennen noch nicht einmal die wahren Opferzahlen.
Deshalb nenne ich sie hier: 2007 waren 8 000 Tote zu
beklagen, davon 1 500 Zivilisten. Laut UN sind dieses
Jahr schon mehr als 4 600 Menschen ums Leben gekommen, darunter 1 450 Zivilpersonen. Die Zahl der bewaffneten Anschläge stieg von 9 000 im Jahr 2007 um 40 Prozent in diesem Jahr. Die USA teilen mit, dass in Afghanistan derzeit mehr amerikanische Soldaten als im Irak
sterben. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so dramatisch wie nie zuvor, und da behauptet unsere Regierung
doch tatsächlich, dass immer mehr Soldaten zu immer
mehr Sicherheit und Stabilität führen. Das ist doch Vortäuschung falscher Tatsachen.
({2})
Die afghanische Bevölkerung wird fremde Truppen auf
Dauer nicht akzeptieren. Wer ihre Kultur kennt, weiß
das. Der Widerstand wird größer und härter. Mehr
fremde Soldaten bedeuten eine Stärkung der fundamentalistischen Kräfte.
({3})
Was macht die Taliban stark? Es ist der Krieg gegen
sie. In Afghanistan werden deutsche Soldaten mittlerweile auch nicht mehr als Samariter in Uniform angesehen. Die Soldaten spüren das. Sie sind bewaffnet, sie
sind bedroht, und sie sind sehr nervös. Gerade erst haben
deutsche ISAF-Soldaten an einer Straßensperre eine
Frau und zwei Kinder umgebracht.
({4})
Es ist offenkundig: Das Militär ist der falsche Helfer für
dieses Land.
({5})
Es erweist sich immer mehr, dass die Zusage einer bedingungslosen Solidarität mit den USA falsch war und
einen zu hohen Preis hat. Das heißt, die USA verstärken
ihre Dominanz in der NATO. Das heißt auch, dass sich
Deutschland den amerikanischen Interessen innerhalb
der NATO immer mehr beugt. Und das heißt für uns,
dass sich Deutschland von diesen US-geleiteten Interessen in der NATO endlich emanzipieren muss.
({6})
Es ist nämlich nicht richtig, dass die Bündnisverpflichtungen zwangsläufig dazu führen, dass man militärisch
tätig werden muss. Es ist jetzt die zentrale Aufgabe der
Politik, eine Exitstrategie zu entwickeln. Die Exitstrategie beginnt für uns mit dem Abzug der Bundeswehr aus
Afghanistan.
({7})
Deutschland sollte sich ausschließlich zivil engagieren.
Aufgaben gibt es genug. Der Polizeiaufbau wurde genannt. Dabei hat sich Deutschland wahrlich blamiert.
Ein funktionierendes Rechtswesen gibt es in dem Land
nicht, aber es wird mit lokalen Kriegsherren zusammengearbeitet, um für eine fragwürdige Stabilität zu sorgen.
Das muss aufhören; denn es handelt sich bei den Kriegsherren um Fundamentalisten, die Frauen unterdrücken
und die Einhaltung der Menschenrechte nicht gewährleisten. Es sind dieselben Kräfte, die für den Drogenanbau verantwortlich sind.
({8})
Niemand kann hier glaubhaft versichern, dass es einen
zivilen Aufbau gibt, solange der Alltag von Hungertod
bestimmt wird, die Müttersterblichkeit derart hoch ist, es
Mädchenhandel gibt, Selbsttötungen von Witwen stattfinden und die Armut immer mehr wächst. All das hat
sich, seit die ISAF ihr „Zivillabel“ trägt, in den Lebensalltag der Bevölkerung eingebrannt. 3,5 Milliarden
Dollar wurden bisher für das Militär ausgegeben. Bis
2010 soll es lediglich 1 Milliarde Dollar für den Zivilaufbau sein.
Das alles ist die Wirklichkeit, während Sie von Stabilität reden. In Afghanistan kann von demokratischen
Freiheiten keine Rede sein. Eine belastbare soziale Infrastruktur ist nicht entstanden. Die Hilfsgelder sind - das
wissen Sie ganz genau - in dunkle Kanäle geflossen oder
gleich wieder an die Geberländer zurückgeflossen. Die
USA haben Karzai mithilfe des Petersberger Prozesses
unter Rot-Grün installiert. Und für was steht diese
Karzai-Regierung? Sie steht für Korruption.
({9})
Ich frage: Geht es der NATO denn überhaupt wirklich
um die Selbstbestimmung Afghanistans? Wenn dem so
wäre, dann würde - das schlussfolgern wir - alle politische und diplomatische Kraft darauf verwandt, FriedensJirgas ins Leben zu rufen, die demokratischen Kräfte zu
stärken, ein funktionierendes Rechts- und Polizeiwesen
aufzubauen und Frauen gemäß der UN-Resolution 1325
eine zentrale Stellung beim Aufbau des Staates einzuräumen.
Angesichts all der zunehmenden Sicherheitsprobleme
kann nur gesagt werden: Mehr Militär bedeutet in der
Praxis mehr Unsicherheit und mehr Gewalt.
({10})
Afghanistan braucht dringend einen Friedensprozess und
eine politische Konfliktlösung. Die Anrainerstaaten müssen in diesen Friedensplan einbezogen werden. Das sind
in unseren Augen Pakistan, Iran, Indien, China und
Russland. Es muss - ja, auch das - mit den Taliban geredet werden; aber es darf ihnen auf gar keinen Fall Macht
in einer Regierung eingeräumt werden. Afghaninnen
und Afghanen wollen nicht von den Taliban terrorisiert
werden. Aber sie wissen und sie sagen, dass sie selber
mit ihnen fertig werden müssen. Denn sie haben eines
gelernt: Solange der Krieg gegen Terror geführt wird,
werden die Taliban, werden die fundamentalistischen
Kräfte erstarken. Das widerspricht aller Zivilpolitik, die
wir hier im Deutschen Bundestag zu vertreten haben.
({11})
Wohin Militär und Kriegslogik führen, sieht man in
Afghanistan. Deshalb sagen wir - das zum Schluss noch
zu Ihnen, Herr Steinmeier -: Natürlich soll Deutschland
sich nicht am ausgeweiteten Antiterrorkampf beteiligen.
Doch eines funktioniert nicht: Sie wollen die ISAF zur
Stabilisierungstruppe hochstilisieren und Zustimmung
erreichen, indem Sie die ohnehin zurzeit nicht vorhandene deutsche Beteiligung an OEF-Operationen in
Afghanistan infrage stellen. Im Klartext heißt das: mehr
für ISAF. Aber keine OEF? Dahinter ist ein dickes Fragezeichen zu setzen; denn wie man hört, operiert das
KSK im Rahmen der ISAF in Afghanistan. Wem wollen
Sie hier erzählen, dass Sie einen Ausstieg aus dem Antiterrorkampf vornehmen wollen? Das ist einfach nicht
richtig, und nicht legitim, das vor dem Deutschen Bundestag zu vertreten.
({12})
Was also ist von all dem zu halten, was insbesondere
Sie, Herr Steinmeier, heute noch einmal gesagt haben?
Ich meine, davon ist nichts zu halten. Ich plädiere dafür,
dass die deutsche Politik einen Richtungswechsel vollzieht, dass sie jetzt einen ernsthaften Exitplan entwickelt,
dass sie alle Kraft darauf verwendet, mit den friedlichen
und demokratischen Kräften in Afghanistan zusammenzuarbeiten,
Frau Kollegin.
- dass sie mit allen diplomatischen Mitteln für einen
Friedensplan wirbt und dass sie endlich von der falschen
Logik abrückt, immer mehr Militär dorthin zu schicken.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Keine Frage, Frau Knoche, die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschärft - auch im Norden, auch im
deutschen Verantwortungsbereich. Da gibt es nichts zu
beschönigen. Aber die Frage ist: Was folgt daraus? Was
ist die Konsequenz? Ich sage hier sehr deutlich - das
steht für mich und meine Fraktion fest -: Ein Sofortabzug, so wie Sie ihn hier noch einmal gefordert haben,
wird keine Friedens-Jirgas zur Folge haben, wie Sie dies
geschildert haben, sondern bedeutet im Norden den Ausbruch eines Bürgerkrieges und im Süden die Rückkehr
der Taliban. Das finde ich unverantwortlich.
({0})
Das ist vor allen Dingen gegenüber den Afghanen unverantwortlich. Sie finden deshalb in Afghanistan kaum jemanden, der den Abzug der internationalen Truppen fordert.
Noch etwas: Es sind vor allem die demokratischen
Kräfte, die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, denen die Angst in den Augen steht, wenn das Thema Abzug angesprochen wird. Es ist klar, warum. Sie müssen
nämlich um ihr Leben fürchten, wenn die Taliban zurückkehren.
({1})
Ich möchte an Folgendes erinnern: Es ist erst ein paar
Tage her, da wurde die ranghöchste Polizistin im Bezirk
Kandahar von den Taliban ermordet. Warum? Weil sie
eine Frau ist und weil Frauen nach der Ideologie der Taliban im öffentlichen Leben nichts zu suchen haben.
Diesen Frauen müssen Sie erklären, warum es in ihrem
Interesse sein soll, dass wir sofort abziehen und Chaos
und Terror hinterlassen.
({2})
Allerdings sind es gerade die fortschrittlichen Kräfte
- das können sicherlich viele von denen bestätigen, die
Reisen nach Afghanistan gemacht haben -, die massive
Kritik an der Karzai-Regierung äußern und von der internationalen Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie sind empört über Kollaborationen mit den alten Warlords; sie
sind enttäuscht, dass von den Aufbaumitteln in Milliardenhöhe immer noch viel zu wenig vor Ort ankommt.
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
ich glaube, dass es angesichts der sich verschärfenden
Sicherheitslage einerseits und der extrem schlechten
Stimmungslage in der Bevölkerung andererseits wichtig
ist, endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Wenn man
das nicht tut, dann - so befürchte ich - wird dieser Einsatz scheitern, und das wollen wir alle hier nicht.
({3})
Ganz zentral ist dabei, dass endlich mit den Partnern
in der NATO, vor allen Dingen mit den Amerikanern,
darüber geredet wird, dass der Antiterroreinsatz OEF beendet wird. Es reicht nicht, dass in den NATO-Papieren
von einer „comprehensive“, also von einer ganzheitlichen Strategie die Rede ist, wenn sich in der Realität der
Afghanen nichts ändert. Es reicht auch nicht, dass Sie,
Herr Außenminister, der OEF keine KSK-Einheiten
mehr zur Verfügung stellen wollen. Das war zwar überfällig, ist aber leider halbherzig; denn damit hat man immer noch nicht den strategischen Dissens geklärt, der
mit den Partnern im Bündnis besteht.
({4})
Die Amerikaner setzen vor allen Dingen auf aggressive Gegnerbekämpfung. Das heizt die Gewaltspirale an
Kerstin Müller ({5})
und hat viele zivile Opfer zur Folge. Ich möchte an einen
Bericht von Human Rights Watch erinnern; er ist im
September erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass sich
die Zahl der Zivilopfer verdreifacht hat, vor allen Dingen durch ungeplante Luftangriffe. Laut UNAMA gab
es noch nie so viele Opfer wie im August dieses Jahres.
Das hat, auch wenn 90 Prozent der Anschläge im Süden
und Osten passieren, eine verheerende delegitimierende
Wirkung auf den gesamten Afghanistan-Einsatz. Dies
wird auch im Norden wahrgenommen; die Menschen
diskutieren darüber. Auch die Menschen in Afghanistan
wollen einen Strategiewechsel und nicht, dass das Ganze
nach Pakistan ausgeweitet wird. Daher brauchen wir
endlich diesen Kurswechsel.
({6})
Allein ISAF muss sich darauf konzentrieren, den Schutz
der afghanischen Bevölkerung und den Wiederaufbau zu
sichern.
Das Problem ist: Sie sind sich in der Koalition leider
nicht so richtig über die Linie einig. Wir haben gerade
Herrn Ramsauer gehört. Er will eine Exitstrategie, meint
damit aber keine Befristung. Was damit gemeint ist, verstehen nur die Bayern.
({7})
Ich habe es nicht verstanden.
Herr von Klaeden fordert dagegen mehr Soldaten.
Der Außenminister will die KSK zurückziehen. Der Verteidigungsminister hingegen fordert AWACS. Und die
Bundeskanzlerin schweigt. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, das Chaos in der Koalition in Sachen Afghanistan zu beseitigen und offensiv gegenüber den Verbündeten und der Öffentlichkeit für den notwendigen
Kurswechsel einzutreten.
({8})
Statt AWACS und noch mehr Soldaten einzusetzen,
muss der zivile Wiederaufbau endlich absolute Priorität
erhalten; sonst verschärft sich die Schieflage zwischen
militärischem und zivilem Beitrag weiter. Da reicht es
nicht, die zivilen Ausgaben leicht zu erhöhen. Entwicklungsorganisationen wie VENRO und Caritas haben es
noch einmal dargelegt: Eine massive Aufstockung der
Mittel ist erforderlich, um eine nachhaltige Entwicklung
in Afghanistan zu erreichen. Wir fordern zudem, dass
auch das deutsche zivile Engagement in das Mandat aufgenommen wird. Übrigens sind wir uns hier mit dem
Deutschen Bundeswehr-Verband einig, der diese Forderung heute auch aufgestellt hat.
Wenn wir das Ganze zum Erfolg führen wollen, muss
die Devise also lauten: Nicht kleckern, sondern klotzen.
Wenn es uns nicht gelingt, die Herzen der Afghanen zu
gewinnen, dann, befürchte ich, wird der Einsatz scheitern. Wir sollten alles versuchen, um das zu verhindern.
({9})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef
Dzembritzki, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Debatte zeigt, dass im Haus eine große Übereinstimmung darüber herrscht, wie mit dem ISAF-Mandat umzugehen ist. Es gibt eine Fraktion, die das völlig anders
sieht. Frau Kollegin Knoche, Sie haben die Situation eines Nachkriegslandes beschrieben. Einige Ihrer Bemerkungen - das ist überhaupt nicht zu bestreiten - sind sicherlich zutreffend. Es wäre auch überraschend, wenn
man Afghanistan, das 30 Jahre Bürgerkrieg und Okkupation erlebt hat, nach einer solch langen Phase, die wir
hier zu betrachten haben, als ein befriedetes Land bezeichnen könnte, in dem sämtliche Strukturen funktionieren und die Aufbauarbeit abgeschlossen ist.
({0})
Ich denke, die Regierung ist der Aufforderung gefolgt, hier alles zu tun, um für eine friedliche Entwicklung Impulse zu geben. Das konnten wir tatsächlich erleben. Der Außenminister hat in seiner realistischen
Darstellung beschrieben, wie sich die Regierung eingebracht hat. Ich erinnere an die Diskussion, die wir im
Zusammenhang mit der Paris-Konferenz geführt haben.
Auf dieser Konferenz wurde eine Art Zwischenbilanz
gezogen; vor allen Dingen hat die internationale Gemeinschaft erneut bekräftigt, dass sie sich auch in Zukunft in Afghanistan engagieren will. Es ist unbestritten,
dass wir im Rahmen unseres internationalen Engagements - ich habe das hier schon des Öfteren eingefordert mehr tun sollten, um die Effektivität, die Kooperation,
die Koordination zu verbessern. Ich hoffe, dass im Zusammenhang mit den Aktivitäten des UN-Repräsentanten, Herrn Eide, weitere erkennbare Impulse gesetzt werden.
Wir sind uns einig, dass die Hilfe zur Eigenverantwortung in Afghanistan im Vordergrund stehen muss.
Ich denke, dass alle Aktivitäten, die von uns eingebracht
werden, diesem Ziel dienen.
({1})
Wir müssen an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass die afghanische Regierung, Präsident Karzai,
nicht aus der Verantwortung entlassen werden kann, dass
sie einen Gutteil Bringschuld gegenüber der internationalen Gemeinschaft und insbesondere gegenüber der afghanischen Bevölkerung tragen muss.
({2})
Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde
legen, dass nämlich die Korruption im Land nicht genügend bekämpft wird, dass es eine mangelnde Bereitschaft der Regierung gibt, sich des Problems des Drogenanbaus anzunehmen. In dieser Situation sollte die
internationale Gemeinschaft ihre Interessen gemeinsam
stärker einbringen. Ich höre, dass Regierungsumbildungen in Kabul anstehen: Möglicherweise wird der Innen19314
minister ausgetauscht; möglicherweise soll der Bildungsminister in diesem Bereich tätig werden. Eventuell
werden dort Schritte eingeleitet, die in unserem Sinne
sind.
Aus meiner Sicht - das ist auch schon von anderen
Kollegen angesprochen worden - ist es absolut notwendig, die regionale Zusammenarbeit zu verstärken. Wir
müssen die großen Nachbarn, Pakistan und Iran, viel
stärker mit einbeziehen. Die Lage in Pakistan ist nach
den Wahlen und der Regierungsbildung nicht unbedingt
einfacher geworden. Andererseits ist es aber so, dass es
in den Provinzen Verantwortungsträgerinnen und -träger
gibt, die sich nicht dem Fundamentalismus angeschlossen haben, sondern ganz bewusst auf Säkularisierung,
Veränderung und Reformen setzen. Ich denke, dass solche Kräfte massiv unterstützt werden müssen.
({3})
In der Diskussion darüber, ob wir uns für die Verlängerung des ISAF-Mandats - ich glaube, in großer Mehrheit wird das der Fall sein - aussprechen sollten, ist zu
unterstreichen, dass diejenigen recht haben, die sagen:
Militärisch ist das Land nicht zu gewinnen. Wir können
dieses Land nur gewinnen, wenn wir den zivilen Aufbau
bewerkstelligen,
({4})
wenn wir die entsprechenden Infrastrukturen und vor allen Dingen die Instrumente für eine innere Sicherheit
schaffen. Ich finde, dass wir nicht immer nur über Polizei und Militär sprechen und dabei die Justiz vernachlässigen dürfen.
Herr Dr. Hoyer, Sie hatten angesprochen, dass man
für die Polizei ebenfalls ein Mandat vorsehen sollte.
Darüber kann man diskutieren. Vielleicht sollten wir uns
aber bei dieser besonderen Herausforderung, die in Afghanistan zu meistern ist, auf völlig andere Konzepte
einlassen und ein Paket schnüren und festlegen, wie wir
uns die Zusammenarbeit in Afghanistan vorstellen.
Wenn Sie davon sprechen, dass die Polizisten einbezogen werden sollen, fragt man sich: Was ist mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich manchmal noch beträchtlicheren Risiken aussetzen?
({5})
- Herr Kollege Nachtwei, ich finde es äußerst angenehm, in dieser Debatte die große Kollegialität von
jenen zu spüren, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt haben. Denn deren Meinungen und Einschätzungen weisen eine unwahrscheinlich große Schnittmenge auf. Deswegen sollte man weiter daran arbeiten.
Mein Bemühen ist, die Opposition an unsere Seite zu bekommen, weil es wirklich absolut schädlich wäre, wenn
es in dieser Frage eine Polarisierung gäbe.
Die Herausforderung besteht darin, dass wir mit einer
stärkeren Verbindlichkeit und größerer Effektivität in
diesen zivilen Aufbau einsteigen und dass wir die Bevölkerung stärker einbeziehen - wie zum Beispiel die Kanadier, die mit Benchmarking-Systemen operieren. Ich
möchte mich bei der Bundesregierung dafür bedanken,
dass die Informationen weitaus besser und intensiver geworden sind. Aber eine noch stärkere Einbeziehung
wäre möglich.
Ich möchte nun zum Ende kommen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Meine persönliche Erfahrung ist
- das habe ich schon einmal gesagt -: Mehr Informationen tragen zu mehr Verständnis bei.
({6})
Zurückgehaltene Informationen tragen zu Missverständnissen und Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung
bei. Wir sollten mit der Afghanistan-Politik nicht deutsche Innenpolitik, sondern wirklich Außenpolitik machen, eine Außenpolitik, die sich gegenüber der UN und
den Afghanen solidarisch verhält.
Vielen Dank.
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger
von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Außenminister hat vorhin in seiner Einführung deutlich
gemacht, dass wir heute in erster Lesung über die Verlängerung des ISAF-Mandats sprechen. Er hat aber in
diesem Zusammenhang auch zwei andere Punkte angesprochen: die Beteiligung an der Operation Enduring
Freedom und die Frage der AWACS-Aufklärung.
Herr Minister, an dieser Stelle muss ganz deutlich gesagt werden, dass natürlich darüber gesprochen werden
kann, ob das Mandat für 100 KSK-Soldaten im Rahmen
der Operation Enduring Freedom verlängert wird oder
nicht, zumal diese seit Jahren nicht im Einsatz waren
und auch nicht mehr eingesetzt werden sollten; so viel
war ja klar. Das wird aber in der Absicht gemacht, zu
suggerieren, dass eine Beteiligung an der Operation
Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr stattfindet.
Sie sollten so ehrlich sein, dem Deutschen Bundestag
und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Wenn es zu
der AWACS-Aufklärung, für die Sie sich einsetzen,
kommt, wird nicht zwischen ISAF und OEF oder zwischen zivil und militärisch unterschieden werden können.
({0})
Es wird alles umfassen. Das bedeutet, dass man dadurch
selbstverständlich am OEF-Mandat beteiligt ist. Herr
Minister, das sollten Sie in aller Deutlichkeit sagen.
({1})
Wir haben hier und heute viel über den Aufbau gehört. Wir haben gehört, dass der Aufbau Fortschritte
macht. Gleichzeitig verschlechtert sich allerdings die
Sicherheitslage. Die Gespräche, die ich im Rahmen eines Delegationsbesuchs in der vergangenen Woche in
Afghanistan führen konnte, bestärken mich in dem Eindruck, dass der Fortschritt für die Verschärfung der
Sicherheitslage ursächlich ist. Die Taliban, die Aufständischen werden dadurch, dass sich die Situation verbessert, geradezu herausgefordert, Widerstand zu leisten.
Deswegen steigt die Bedrohung für Polizisten, Entwicklungshelfer, Landarbeiter oder auch Lehrer.
Es gibt aber auch ermutigende Zeichen der Zivilcourage.
Ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Süden Afghanistans ist eine Schule mit internationaler Hilfe aufgebaut
worden. Als die Taliban kamen und diese Schule mit
Bulldozern niedermachen wollten, hat sich die Bevölkerung dazwischengestellt und gesagt: Nein, wir wollen,
dass diese Schule betrieben wird. - Das zeigt: Die Menschen wollen den Fortschritt. Wir sollten sie dabei unterstützen.
({2})
Der Erfolg in Afghanistan ist nicht allein mit immer
mehr Militär zu erreichen; aber die militärische Absicherung ist notwendig. Keine Krankenschwester, kein
Lehrer, kein Entwicklungshelfer kann auf Dauer ohne sicheres Umfeld arbeiten. Darum brauchen wir die militärische Absicherung nach wie vor. Es gibt viele Beispiele.
So wurde zum Beispiel versucht, Straßen zu blockieren.
Erst nachdem das Militär die Straßen von den Aufständischen freigeräumt hatte, konnte UNAMA mit dem Wiederaufbau weitermachen. Genau diesen Weg müssen wir
weitergehen. Dafür brauchen wir schlicht und ergreifend
auch das Militär.
Frau Kollegin Knoche, ich komme jetzt einmal auf
Sie zu sprechen. Sie haben gesagt, dass Zivilpersonen
ums Leben gekommen sind. Das ist in der Tat richtig
und bedauerlich. Wir alle haben hier mehrfach deutlich
gemacht, dass alles getan werden muss, um Schäden an
der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sie aber haben
suggeriert, das Militär habe das verursacht. Das stimmt
natürlich in keiner Weise. Es sind deutlich mehr Zivilisten durch Selbstmordattentate und Anschläge ums Leben
gekommen. Das Militär bedroht die Zivilbevölkerung
nicht. Wir alle haben heute ein Schreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker erhalten. Ich zitiere:
Nun auf halbem Wege die Mission abzubrechen, ist
keine glaubwürdige Alternative, da ohne die
Schutztruppe die Sicherheit der Zivilbevölkerung
nicht gewährleistet ist.
Dem schließe ich mich an.
({3})
Der Ansatz der vernetzten Sicherheit - diesbezüglich
formulieren wir eine deutliche Bitte an die Bundesregierung - ist richtig. Wir haben dieses Thema mehrfach hier
besprochen und beschlossen, den Wiederaufbau in den
Mittelpunkt zu stellen. Nur, mehr Geld allein reicht
nicht. Es mangelt auch nicht an Papieren, sondern,
meine Damen und Herren von der Regierung, an der
Umsetzung. Beim PAT in Taloqan haben wir folgende
Situation: Die Bundeswehr ist vor Ort. Es handelt sich
um eine Region, die dringend der Unterstützung beim
Wiederaufbau bedarf. Wir haben dieser Region Unterstützung zugesagt. Den ganzen Sommer über aber war
die zuständige Stelle vom BMZ, vom Entwicklungshilfeministerium, nicht besetzt. Wir haben wertvolle Zeit
verloren, die wir dringend für die Durchführung ziviler
Maßnahmen gebraucht hätten. Solche Fehler bei der Koordination dürfen der Bundesregierung nicht passieren.
Sie müssen zukünftig vermieden werden.
({4})
Es ist wichtig, dass wir die Zeit, die wir haben - sie
läuft uns ein Stück weit davon -, nutzen, um für selbsttragende Sicherheit zu sorgen. Deswegen sage ich an
dieser Stelle ganz deutlich: Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, dass die Bundesregierung beschlossen hat,
die Zahl der Polizisten zu erhöhen. Wir stehen diesbezüglich voll auf Ihrer Seite. Ich möchte aber auch deutlich machen: 60 deutsche Polizisten wurden zugesagt,
im Augenblick sind aber nur 33 vor Ort. Hinzu kommt,
dass die meisten dieser Polizisten nicht mit der dringend
erforderlichen Polizeiausbildung beschäftigt sind. Sie
sind im Bereich der strategischen Beratung mit der Ausarbeitung von Papieren beschäftigt. Das ist eine Fehlallokation von Ressourcen. Sie haben gesagt, dass Sie
erkannt haben, dass an dieser Stelle gehandelt werden
muss. Wir möchten Sie bitten, diesen Worten endlich Taten folgen zu lassen. Ändern Sie die Struktur der Hilfe
beim Polizeiaufbau! Das ist dringend notwendig, damit
wir Sicherheit in Afghanistan ermöglichen können.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich denke, angesichts dieser Debatte fragen sich
viele Bürgerinnen und Bürger: Warum sind so viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan?
Bei all dem, was hier vorgetragen wird, darf meines Erachtens nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Anschläge des 11. September 2001 in New York von Afghanistan ausgegangen sind und dass wir in Afghanistan
fast 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft der
Taliban befreit haben, aber auch, dass wir heute eine internationale Bedrohungslage haben und es deshalb wesentlich klüger ist, die Gefahren an der Quelle zu beseiti19316
gen, dort, wo sie entstehen, bevor sie in wesentlich
größerer Dimension unser eigenes Land erreichen. Deshalb ist der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zur
Stabilisierung in Afghanistan auch ein Beitrag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Ich denke, dass unsere Strategie der vernetzten Sicherheit oder, wie wir es jetzt in der NATO durchgesetzt
haben, des Comprehensive Approach, des umfassenden
Ansatzes, richtig ist. Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit! Wir
müssen die Herzen und die Köpfe der Menschen dort gewinnen. Das gelingt uns mit unserer Strategie. Ich war
gerade in Afghanistan. Wenn Sie beispielsweise von
Kunduz nach Faizabad fliegen und die Menschen Ihnen
zuwinken und sich freuen, dass die Bundeswehr dort im
Einsatz ist, wenn Sie mit dem Gouverneur sprechen,
Frau Knoche, der Ihnen sagt, dass 90 Prozent der Bevölkerung für den Einsatz der Bundeswehr dankbar sind,
dann wird deutlich, dass diese Strategie richtig ist.
Frau Knoche, Sie haben hier versucht, den tragischen
Zwischenfall am Kontrollpunkt politisch zu instrumentalisieren. Der Gouverneur hat mir gesagt: Schuld war der
Fahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Gruppe
zugefahren ist. Hier musste die Schutzfunktion vonseiten unserer Soldaten ausgeübt werden. Ich weise Ihre
Unterstellung mit Nachdruck zurück und unterstütze unsere Soldaten in diesem schwierigen Einsatz für unsere
Sicherheit.
({1})
Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen. Aber
unser Ziel - das war ein Punkt, den wir auf dem Gipfel
in Bukarest beschlossen haben - ist eine Gesamtstrategie; ich habe es Erfolgsstrategie genannt. Das heißt im
Klartext: Wir brauchen ausgebildete afghanische Streitkräfte und Polizisten. Deshalb ist unsere Absicht, die
Ausbildung zu verstärken. Wir wollen im nächsten Jahr
7 500 afghanische Streitkräfte ausbilden. Wir werden
unseren Einsatz für die Ausbildung der Polizei verdoppeln, weil es letztlich darum geht, Afghanistan in die
Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen,
und damit auch eine Erfolgsstrategie, eine Gesamtstrategie für Afghanistan umzusetzen.
({2})
Lassen Sie mich hinzufügen: Wir haben, denke ich,
schon viele Erfolge erreicht. Wir haben allein im Norden
Afghanistans 830 Projekte umgesetzt, die Infrastruktur,
Energie, Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten und
Krankenhäuser umfassen. Ich war jetzt in der AmaniOberschule. Dort können Sie sehen, wie Schülerinnen
und Schüler fröhlich zusammen lernen; sie haben eine
Zukunftsperspektive. Sie müssen doch zur Kenntnis
nehmen, Frau Knoche, dass unter den Taliban Mädchen
überhaupt nicht in die Schule durften.
({3})
1 Million Kinder war damals in den Schulen; jetzt sind
fast 7 Millionen Kinder in den Schulen. Wir haben
80 Prozent der Gesundheitsversorgung sichergestellt.
5 Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurückgekehrt. In einer Umfrage haben die Menschen bestätigt,
dass sie sich auch und gerade durch unseren Einsatz wieder sicherer fühlen. Man darf die Erfolge, die durch unseren Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan erreicht
worden sind, nicht verschweigen.
({4})
Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und
Soldaten absolvieren dort einen riskanten Einsatz, verbunden mit Gefahren für Leib und Leben. Wir haben in
diesem Einsatz bereits 28 Soldaten verloren. Ich denke,
es ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchen
Herausforderungen die Bundeswehr dort steht. Meines
Erachtens kann uns der Einsatz unserer Soldatinnen
und Soldaten mit Dankbarkeit erfüllen. Sie sind dort in
einer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der vernetzten Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gemehrt wird. Ich bin unseren
Soldatinnen und Soldaten dankbar für ihren Einsatz, den
sie im Interesse unserer Sicherheit leisten.
({5})
Herr Lafontaine, weil Sie gerade hier sind, spreche
ich Sie sehr konkret an. In den Gesprächen mit den Soldaten spüre ich immer wieder, dass sie es geradezu als
eine Unverschämtheit empfinden, wenn Sie unsere Soldatinnen und Soldaten in die Ecke von terroristischen
Aktivitäten rücken. Dies ist eine Beleidigung unserer
Soldaten und hat meines Erachtens mit der Realität
nichts zu tun.
({6})
Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ist
es notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen,
damit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllen
können. Wir haben mittlerweile über 700 geschützte
Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Nationen dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir haben
zusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weil
wir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, die
unbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen.
Deshalb wollen wir auch die Mandatsobergrenze um
1 000 erhöhen, allerdings nicht, um sofort 1 000 Soldaten mehr dorthin zu schicken, sondern um flexibler zu
sein, um in der Ausbildung und für eine eventuelle Verstärkung zum Schutz unserer Soldaten mehr tun zu können. Auch die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr
sollten wir im Blick behalten.
Ebenso wichtig ist es aber, dass wir die Situation in
Pakistan im Blick behalten. Ich war gerade in Pakistan
und habe dort sowohl mit dem Ministerpräsidenten als
auch dem Außenminister, dem Verteidigungsminister
und dem Generalstabschef gesprochen. Meines Erachtens ist es gut und richtig, wenn wir in Kooperation mit
Pakistan, Afghanistan und der NATO dafür sorgen, dass
die bestehende Situation an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan sicherer wird; denn das Grenzgebiet
ist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und dient dem
Nachschub von terroristischen Aktivitäten nach Afghanistan. Deshalb ist es richtig, wenn wir hier zu einer Kooperation kommen, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten.
({7})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie
um Ihre Unterstützung für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan; denn dieses Land darf
nicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp für
den Terrorismus werden. Wer heute einen Rückzug propagiert, gefährdet damit auch die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Für ihren gefährlichen Einsatz im
Interesse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnen
und Soldaten eine breite Unterstützung dieses Hohen
Hauses verdient.
Haben Sie recht herzlichen Dank.
({8})
Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist
der Aufbau in Afghanistan gescheitert? Wer das behauptet, verzerrt die Wirklichkeit in Afghanistan.
({0})
Diejenigen, die in Masar, in Herat, in Kundus und an anderen Stellen in Afghanistan waren, haben es erlebt: Es
geht einiges voran; das ist unbestreitbar. Wer einen Sofortabzug fordert, setzt diese Fortschritte aufs Spiel und
fordert de facto einen Rückfall Afghanistans in die frühen 90er-Jahre, in den Bürgerkrieg.
({1})
Der Aufbau verläuft jedoch viel zu langsam. Er findet
viel zu wenig in der Fläche - auf dem Land - statt, und
ist auch angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums viel zu schwach. Außerdem ist er aufgrund der immer schlechteren Sicherheitslage akut gefährdet.
Im Süden und im Osten des Landes sind inzwischen
einige Zehntausend Soldaten im Einsatz. Dennoch hat
die Zahl der Zusammenstöße und Anschläge zugenommen; in vielen Distrikten herrscht eine Situation, die einem asymmetrischen Krieg gleicht. Im Norden und im
Westen des Landes sind viel weniger Soldaten im Einsatz, nur einige Tausend. Sie haben es vor allem mit Angriffen einsickernder aufständischer Gruppen zu tun, gegen die sie sich wehren müssen. Im Rahmen von ISAF
lässt man sich allerdings nicht darauf ein, auf die Aktionen der Aufständischen kriegerisch zu reagieren. Man
handelt nach wie vor sehr besonnen. Das haben wir vor
Ort beobachten können.
In Afghanistan sind zwei Dynamiken festzustellen:
eine negative, destruktive Dynamik und eine positive,
konstruktive Dynamik. Mein inzwischen leider sehr verhärteter Eindruck ist, dass die negative Dynamik zurzeit
deutlich größer ist als die positive. Soll ein solch negativer Trend gestoppt und umgekehrt werden, bedarf es
ganz besonderer Anstrengungen: auf afghanischer, auf
internationaler und auf deutscher Seite.
({2})
Was tut die Bundesregierung? Ich sage ausdrücklich:
Die Verlängerung des ISAF-Mandats ist richtig und
unverzichtbar. Die Aufstockung der Obergrenze des
Bundeswehrkontingents ist im Hinblick auf die Flexibilität, die Wahlen und die Ausbildungsunterstützung militärisch plausibel. Wie wir wissen, führt das Militärische
allein aber nicht zum Erfolg. Daher frage ich: Was geschieht darüber hinaus? Was das Afghanistan-Konzept
der Bundesregierung angeht, muss ich sagen: Nachjustieren reicht nicht aus. In diesem Konzept wird lediglich
hier und da nachjustiert. Insgesamt setzen Sie aber Ihre
halbherzige Afghanistan-Politik fort. „Halbherzigkeit“
ist übrigens ein Begriff, den die Einsatzkräfte vor Ort
verwendet haben, nicht etwa ein Wortgebilde der Opposition.
Wo ist nach sieben Jahren Afghanistan-Engagement
eine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme? An
dieser Stelle schließe ich die Fehler und Fehleinschätzungen, zu denen es unter Rot-Grün gekommen ist und
die wir mitverantworten müssen, ausdrücklich ein. Wenn
man in der Afghanistan-Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, dann muss man schließlich auch sagen,
wo man sich selbst geirrt hat.
({3})
Wo ist der regionale Stabilisierungsansatz, in dessen
Rahmen nicht nur Pakistan - davon war gerade die Rede
-, sondern auch Indien, Iran und die zentralasiatischen
Anrainer einbezogen werden? Wo ist die Klärung des
faktischen strategischen Dissenses zwischen den verschiedenen Teilnehmerstaaten der NATO? Wo sind im
Hinblick auf das deutsche Engagement die realistischen
und ehrgeizigen Ziele, durch die Perspektiven für die
Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und für
einen Abzug in absehbarer Zeit eröffnet werden? Wo ist
die Aufbauoffensive - hier spielt die Förderung der
Landwirtschaft eine große Rolle -, und wo ist eine ausgewogene zivil-militärische Zusammenarbeit?
Afghanistan braucht einen langen Atem. Kai Eide und
die ISAF-Generale haben betont, dass uns die Zeit wegläuft. Die meisten hier im Saal sind sich einig: Wir wol19318
len die Menschen in Afghanistan nach 30 Jahren Krieg
nicht im Stich lassen. Aber eine Politik, die den Ernst der
Lage nicht erkennen lässt, untergräbt den Sinn dieses
Einsatzes und den Sinn des Engagements der vielen fantastischen Leute, die vor Ort im Einsatz sind: der Diplomaten, der Soldaten, der Polizisten und der Entwicklungshelfer.
Danke schön.
({4})
Die Kollegin Ursula Mogg hat nun das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren
heute in erster Lesung über die Fortsetzung unseres
ISAF-Mandats, und ich denke, wir haben jeden Grund,
das mit großer Ernsthaftigkeit zu tun. Die Präsenz heute
im Plenum des Deutschen Bundestages ist für mich ein
Beleg dafür, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dies auch so sehen.
Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit,
mich vor Ort in Afghanistan zu informieren und viele
Gespräche zu führen. Deshalb ist es mir ein besonderes
Bedürfnis, zu Beginn meines Beitrages diese Ernsthaftigkeit und all die Fragen anzusprechen, um die es im
militärischen und sicherheitspolitischen Bereich im Kern
geht. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, warum wir in Afghanistan sind. Ich habe nämlich in vielen
Debatten den Eindruck gewonnen, dass in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten ist, weshalb wir in
Afghanistan sind. Wir sind in Afghanistan, weil durch
die Ereignisse am 11. September 2001 all unsere sicherheitspolitischen Vorstellungen, die wir bis dahin hatten,
auf den Kopf gestellt wurden.
Wir diskutieren über diese Fragen auf der Basis eines
UN-Mandats, das gerade wieder verlängert worden ist.
Wir beziehen uns auf ein Konzept, das mit dem Namen
Petersberg verbunden ist, wir beziehen uns auf den
Afghanistan Compact und auf die Konferenz in Paris. Es
ist mir auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass bereits in dem Namen dieses Mandats, ISAF, enthalten ist,
dass es um „Assistance“ geht, um die Unterstützung der
afghanischen Bevölkerung. Es handelt sich also nicht
um einen Anspruch, militärisch vorzugehen. Dass ein
langer Atem für diesen Einsatz gebraucht wird, haben
viele Vorredner bereits angesprochen. Ich erinnere mich
noch sehr gut an Präsident Karzai in Bukarest, wo er mit
Blick darauf, dass Afghanistan kein Failed State, sondern ein Destroyed State ist, ebenfalls einen langen
Atem gefordert hat.
Wir beraten heute über 1 000 zusätzliche Soldaten für
dieses Mandat. In den Debatten, die wir führen, wird immer wieder die Frage gestellt, ob die Aufstockung eine
weitere Militarisierung unseres Einsatzes bedeutet. Ich
möchte ausdrücklich sagen: Nein, das bedeutet sie nicht.
Sie alle kennen den Vergleich mit dem, was wir auf
dem Balkan, im Kosovo, militärisch geleistet haben, und
Sie kennen die Größenverhältnisse. Für Kosovo haben
wir in der Spitze über 4 500 Soldaten gesprochen. Über
so viele Soldaten diskutieren wir heute auch für Afghanistan. Das Kosovo ist so groß wie das Bundesland Hessen. Unser Zuständigkeitsbereich in RC North ist halb so
groß wie die gesamte Bundesrepublik.
Im Übrigen müssen wir uns immer wieder verdeutlichen, dass wir im Deutschen Bundestag über den Einsatz
der Bundeswehr und militärischer Mitteln diskutieren.
Wir diskutieren aber nicht - Herr Kollege Hoyer, hier
bin ich sehr nahe bei Ihnen - über die Einsätze unserer
Polizisten im Rahmen eines Mandats, auch nicht über
den Einsatz unserer NGOs und auch nicht über all das,
was unsere Diplomatinnen und Diplomaten in Afghanistan leisten.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass „Mandatsobergrenze“ aus der Sicht der Soldatinnen und Soldaten das
Unwort des Jahres 2008 ist. Vor wenigen Tagen hat mir
in Afghanistan eine Soldatin berichtet, dass sie vier Wochen lang auf gepackten Koffern saß und fortgesetzt unterschiedliche Nachrichten darüber erhalten hat, ob sie
nun in den Einsatz geht oder nicht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten in der Tat eine schwierige Situation.
Warum sind weitere Soldatinnen und Soldaten in
Afghanistan nötig? Sie sind notwendig, weil wir mehr
Flexibilität brauchen, um auf unvorhergesehene Sicherheitslagen reagieren zu können. Daneben wollen wir uns
in geeigneter Weise auf die Situation rund um die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr vorbereiten. Das
ist also absolut nachvollziehbar.
Es wird viel gefordert, zum Beispiel, dass wir ein
Ausstiegsszenario haben müssen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ein solches Szenario gibt es. Das haben
wir in Bukarest beschlossen, und zwar entlang der Frage,
wie wir in Afghanistan in der Lage sind, Polizei- und
Militärkräfte auszubilden und aufzubauen. Dafür gibt es
auch Zeitlinien. Insofern kann ich nur dringend raten, all
das zu berücksichtigen, was wir schon in der Vergangenheit diskutiert und beschlossen haben.
Es wird auch viel über das Verhältnis von zivilen
und militärischen Mitteln diskutiert, die wir einsetzen.
Es wurde schon angesprochen, dass wir eine militärische
Flankierung brauchen, wenn wir im zivilen Bereich tätig
werden wollen; ohne diese Flankierung geht es leider
nicht. Es ist mir aber auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass wir die Mittel für den zivilen Bereich aufgestockt haben, aber dass es nicht allein um mehr Geld
gehen kann. Die Mittel müssen auch abfließen und in
Projekte umgesetzt werden können.
({0})
Ich gestehe offen und ehrlich: Die Sicherheits- und
Verteidigungspolitikerinnen und -politiker der SPDFraktion hätten sich bei der Bekämpfung des Drogenanbaus ein bisschen mehr Butter bei die Fische
gewünscht. Es geht nicht darum, Felder abzubrennen
oder den Bauern die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern darum, beispielsweise Wege zu sperren oder Labore
stillzulegen. Dazu hätten wir uns ein bisschen mehr gewünscht als die Formulierung im Antrag der Bundesregierung zu der Mandatsverlängerung. Daran sollten wir
weiter arbeiten.
Mit Blick auf die Zeit komme ich zum letzten Punkt.
Die Bundesregierung hat in Bukarest folgende Erklärung
unterschrieben: Wir stützen uns - ich zitiere auf einen mittelfristigen, internen politisch-militärischen Plan - in Übereinstimmung mit dem Afghanistan Compact und der nationalen afghanischen
Entwicklungsstrategie -, der regelmäßig aktualisiert wird und auf dessen Grundlage wir die Fortschritte messen werden.
Frau Kollegin!
- Ich bin gleich fertig. - Jetzt kommt mein allerletzter
Gedanke: Eine Mandatsdebatte ist auch immer dazu geeignet, eine Evaluierung herbeizuführen. Aber die zitierte Formulierung aus der Erklärung von Bukarest ist
für uns Anlass, eine jährliche Evaluierung in einer formalisierten Form zu fordern.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Ihre
Geduld, Herr Präsident.
({0})
Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich
hätte mir für heute gewünscht, dass ein Redner der Regierungsfraktion klipp und klar erklärt hätte: Seit Wochen steht der Termin für die erste Lesung der ISAFMandatsverlängerung fest. Es ist eine Frechheit, dass der
Antrag der Bundesregierung zur Mandatsverlängerung
dem Parlament erst vier Stunden vor der Sondersitzung
des Bundestages vorgelegt wird.
({0})
Das ist eine grobe Missachtung der ersten Gewalt, und
ich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, dies gegenüber der zweiten Gewalt mit der gebotenen Deutlichkeit
zu rügen.
Seit sieben Jahren hören wir an dieser Stelle immer
dieselben Argumente, wenn es um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan geht. Gemessen daran müsste es dort
inzwischen blühende Landschaften, eine sich selbst tragende Wirtschaft und eine afghanische Bevölkerung geben, die sicher leben kann und deren materielle Grundbedürfnisse gedeckt sind. Die Realität sieht - das wissen
wir alle - anders aus. Das einzige, was dort blüht, sind
Mohnfelder.
({1})
Deren Erträge finanzieren das süße Leben der Warlords,
die auch in der afghanischen Regierung sitzen, und mancher Gouverneure in den Provinzen.
Im Jahr 2008 zählt ISAF wöchentlich zehnmal so
viele Anschläge wie 2005 pro Monat. Die UN-Mission
in Afghanistan berichtet über einen fast 40-prozentigen
Anstieg ziviler Toter durch den Krieg im ersten Halbjahr
2008. Nun kann man einwenden, dass die Mehrzahl dieser Opfer auf Kosten der Aufständischen geht; das bestreite ich gar nicht. Aber erstens gibt es jährlich Hunderte von Opfern durch die Luftnahunterstützung der
ISAF-Bodentruppen, die stets auch Unbeteiligte trifft.
Zweitens führt dieses Vorgehen dem Widerstand ständig
neue Kräfte zu. Ich frage mich, wann hier begriffen
wird, dass das die Ursache für die dramatische Verschlechterung der Lage ist. Dafür müsste allerdings endlich der Charakter des Krieges in Afghanistan zur Kenntnis genommen werden.
({2})
Der einstige Auftrag von ISAF, die afghanische Regierung beim Wiederaufbau des Landes zu unterstützen,
ist doch unter der De-facto-Führung der USA längst zur
reinen Aufstandsbekämpfung degeneriert. Die Afghanen
wehren sich ganz einfach gegen westliche Fremdbestimmung und eine Regierung, die sie als nicht repräsentativ
ansehen. Hat sich einmal jemand von den Mandatsbefürwortern gefragt, was US-Bürger machen würden, wenn
ihnen ausländische Truppen ihre Vorstellungen von Demokratie aufzwingen wollten?
Es geht nicht um die Bekämpfung des Terrorismus.
Es geht vielmehr um die Beherrschung eines Landes, das
aus US-Sicht eine strategische Schlüsselstellung gegenüber China, Russland, Iran und den zentralasiatischen
ehemaligen Sowjetrepubliken einnimmt.
({3})
Im neuen Feldhandbuch 3-7 für die US-Armee wird
glasklar und arrogant der Auftrag der Armee definiert:
Bekämpfung der Feinde - ich wiederhole: Bekämpfung
der Feinde -, die Amerikas Zugang zum Rest der Welt
und seinen globalen Einfluss begrenzen wollen. Sich an
solchen Kriegen zu beteiligen, kann nicht im deutschen
und europäischen Interesse liegen.
({4})
Wir erleben im Übrigen seit einigen Wochen, wie
auch ISAF unter der Führung der USA den schon immer
fragilen Nuklearstaat Pakistan vorsätzlich durch Angriffe auf sein Territorium destabilisiert. Die möglichen
Folgen können alles in den Schatten stellen, was wir
zum Beispiel aus der Geschichte Kambodschas kennen,
das 1970 auf dieselbe Weise ins Chaos gestürzt wurde.
Wenn es dazu kommt, trägt die Bundesregierung die
Mitverantwortung auch dann, wenn sie militärisch nicht
beteiligt ist. Allein deswegen darf es ein „Weiter so!“
nicht geben.
Unter dem Druck der Wähler scheint nun wenigstens
die CSU nachdenklich geworden zu sein, wenn sie von
der Bundesregierung eine Ausstiegsstrategie erwartet.
Was Herr Ramsauer hier gesagt hat, ist allerdings das
genaue Gegenteil. Ich muss feststellen, dass Herr
Ramsauer für die CSU mit gespaltener Zunge spricht.
Worauf es jetzt ankommt, ist nicht die Aufstockung
des deutschen Kontingents. Vielmehr kommt es auf die
Unterstützung von Entwicklungen in Afghanistan an, die
bereits seit Monaten im Gang sind. Ich meine die Initiative von Präsident Karzai, mithilfe befreundeter Staaten
wie Saudi-Arabien zu einer Verhandlungslösung im
Dialog mit den Taliban zu kommen. Von der Bundesregierung ist hierzu bisher jedoch wenig zu vernehmen.
Sie sollte sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand
einsetzen und hierbei Unterstützung leisten, anstatt ihren
siebenjährigen Irrweg im Schlepptau der USA weiter zu
verfolgen.
Vielen Dank.
({5})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Bernd Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Ich will zwei Punkte richtigstellen. Frau
Knoche, alle Fraktionen dieses Hauses waren mit dem
Vorgehen, der heutigen Beratung und den weiteren Beratungen in der nächsten Woche, einverstanden. Für Sie
mag es bedauerlich sein, aber Sie waren es ganz bestimmt nicht, die uns getrieben haben.
({0})
Ich will feststellen: Der Verlauf der Debatte ist ein Ergebnis vieler Beratungen in den Ausschüssen und im
Deutschen Bundestag. Es gab wohl noch kein Thema,
über das alle Fraktionen so ausführlich und mit so großer
Übereinstimmung in den Ausschüssen debattiert haben.
Das gilt auch im Hinblick auf die Opposition, die
Grünen und die FDP. Wir haben die Argumente im Ausschuss ausgetauscht, insbesondere die kritischen Argumente, die zum Einsatz in Afghanistan vorgetragen
wurden. Ich finde, das ist eine hervorragende Ausgangssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Sie können sicher sein, dass hier zu weit über
90 Prozent Übereinstimmung über ihren Einsatz und
ihre schwere Mission besteht.
({1})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sich
sicher einiges getan, was die Sicherheit anbelangt, aber
man darf nicht pauschal urteilen. Die Zahl der Anschläge im ganzen Land hat insgesamt zugenommen,
wobei die Zahl der Anschläge im Süden des Landes um
40 Prozent zugenommen hat, im Norden aber, wo wir
Verantwortung tragen, nur 2 Prozent dieser Anschläge
stattfinden. Das sage ich nicht zur Beruhigung, sondern
ich will deutlich machen, wie sehr sich die Lage verändert und dass wir uns auf diese Situation einstellen müssen.
Pakistan, diese fragile Atommacht, ist sicher ein besonders wichtiger Punkt, dem wir auf internationaler
Ebene eine besondere Bedeutung beimessen müssen.
Der Herr Außenminister ist darauf eingegangen und hat
gesagt, dass es nicht nur Gespräche gibt, sondern auch
Treffen, und dass wir gemeinsam Fortschritte erreichen
müssen; denn ohne eine Lösung der Probleme im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet werden wir nicht vorankommen, ohne ein Ende des Terrors in den Grenzgebieten wird es keine Ruhe im Süden und Südosten
Afghanistans geben. Das sind Rückzugsgebiete für etwa
15 terroristische Gruppierungen.
Es stellt sich auch die Frage, was sich eigentlich in
unserem Land getan hat. Gewinnt die Propaganda des
Terrors die Oberhand? Erzielt der Terror durch Propaganda und durch Drohungen gegen die Bundeswehr,
durch das Aufbauen von Druck Erfolge? Werfen Wahlen
in unserem Land - ein weiterer Aspekt - einen Schatten
auf die anstehenden Entscheidungen? Der Populismus
geht um. Wir hören die Schlagworte und haben diese
auch heute wieder „genossen“. Ich finde, wir müssen uns
einig sein. Das ist meine Einschätzung, das ist die Einschätzung unserer Fraktion, und das ist die Einschätzung
der beiden verantwortlichen Minister. Ich bin besonders
dankbar, dass in dieser Frage kein Blatt Papier zwischen
die Position der beiden Minister passt. Das ist gut so,
und das tut uns bei der kritischen Auseinandersetzung
gut.
Wir müssen unser Engagement verstärken. Es ist
wichtig - das wurde vom Verteidigungsminister ausgeführt -, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Partnern verstärken. Wir müssen eine bessere Kooperation
mit der afghanischen Regierung und den ISAF-Partnern
anstreben. Dabei muss ich sagen, dass die Bemerkungen
über den Präsidenten - Stichwort „Schlafmohn“ - nicht
zum ersten Mal hier fallen. Es ist bewundernswert, dass
viele Redner verschiedener Fraktionen dies in den Ausschussberatungen noch viel deutlicher angesprochen haben. Es ist Propaganda, bei dem Stichwort „Schlafmohn“ auf Kinder usw. zu verweisen. Wir brauchen eine
Strategie gegen den Drogenanbau. Wir haben in Südamerika gesehen, dass das oft nicht einfach ist.
Ein wichtiger Punkt ist, dass wir noch größere Anstrengungen bei der Ausbildung der Armee und der
Polizei unternehmen. Diesen Punkt habe ich hier schon
mehrfach angesprochen. Frau Homburger hat gesagt,
wie langsam das vorangeht, wie gering die Fortschritte
sind und dass die Führung in diesem Bereich oft von einer Nation auf die andere übergeht. Wir müssen endlich
in Zusammenarbeit mit den Partnern zu einer verstärkten
Ausbildung kommen. Das ist notwendig. Wer über eine
Exitstrategie redet, muss wissen, dass wir uns militärisch
nur dann zurückziehen können, wenn die Afghanen
diese Arbeit selber in die Hand nehmen und für Sicherheit sorgen können.
({2})
Wenn wir über Exitstrategie reden, dann hoffe ich nicht,
dass manche meinen, dass wir unsere zivilen Anstrengungen beenden. Zivile Anstrengungen sind aber nur
dann möglich, wenn sie in einem sicheren Umfeld erfolgen. Nur dann können zivile Projekte vermehrt durchgeführt werden.
Ein Schwerpunkt der Debatte betraf den Strategiewechsel und die Minimierung des Risikos für unsere
Soldaten. Es geht, sehr verehrter Herr Verteidigungsminister, um eine bessere und vielleicht noch stärkere
Aufklärung, insbesondere im Norden. Diese Komponente
ist nur langsam verstärkt worden. Aber wer die Sprengfallen und Anschläge beklagt, der muss auch sehen, dass
diese durch eine verstärkte Aufklärung möglicherweise
verhindert werden können. Wir haben hier sehr viel getan.
In diesem Bereich sind inzwischen 40, 50 Soldaten als
Aufklärer tätig; aber das ist noch viel zu wenig.
Wir sollten uns nicht dem Druck des Terrors beugen
oder uns durch Wahlen den klaren Blick trüben lassen
und auf halbem Weg umkehren. Unser Fazit muss vielmehr sein, dass der Terror bekämpft werden muss. Von
dort gingen alle Anschläge, die im Westen erfolgt sind,
aus; dadurch sind die meisten Todesopfer zu beklagen.
Ich bin der Meinung, es war noch nie so wichtig wie
heute, diese Brutstätten des Terrors zu bekämpfen.
Afghanistan muss unsere ganze Solidarität spüren. Mit
Schlagworten wie „Exitstrategie“ oder „Nichtbeteiligung“ ist niemandem geholfen.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 16/10473 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/10479 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss
überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin zur Lage auf den Finanzmärkten
Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung anderthalb Stunden dauern soll. - Ich höre hierzu keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Frau Bundeskanzlerin.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage
auf den internationalen Finanzmärkten ist ernst. Sie ist in
dieser Form noch nie da gewesen. Sie stellt vieles, was
als selbstverständlich galt, infrage. Sie bestätigt manches, was mit Gier, verantwortungsloser Spekulation
und Missmanagement im Finanzsektor verbunden wird.
({0})
Heute ist nicht die Stunde, die Lage schwarzzumalen.
Aber es ist wahrlich auch nicht die Stunde, die Lage
schönzureden. Es ist die Stunde, zweierlei zu schaffen:
zum einen sehr kurzfristig zu denken, zu bewerten und
dann zu entscheiden, also klassisches Krisenmanagement zu leisten, wie es die Bundesregierung zum Beispiel mit dem Rettungsplan für die Hypo Real Estate gemacht hat und macht und wozu wir auch weiter jederzeit
bereit sein müssen. Zum anderen ist es die Stunde, über
den Tag hinaus zu denken, zu bewerten und zu entscheiden, das heißt, eine neue Systematik für das Zusammenwirken aller im Finanzsektor Tätigen zu entwickeln, also
eine Zukunftsperspektive zu gestalten und präventiv zu
handeln.
Beides, das klassische Krisenmanagement von Tag zu
Tag wie auch die Entwicklung der Zukunftsperspektive
über den Tag hinaus, macht die Bundesregierung. Ich
möchte mich bei denen im Parlament, die dabei hilfreich
sind, für die Unterstützung bedanken und auch für den
Geist, in dem wir die Unterrichtung der Fraktionen bisher vorgenommen haben.
Meine Damen und Herren, was stand am Anfang? In
den USA wurden über Jahre hinweg in unverantwortlicher Weise Immobilienkredite an Bankkunden vergeben,
bei denen keine Aussicht auf normale Rückzahlung des
Darlehens bestand. Alle Beteiligten verließen sich auf
ständig steigende Immobilienpreise und niedrige Zinsen.
Die Risiken aus diesen Krediten wurden weiterverkauft,
neu verpackt, weltweit gestreut und waren damit der
Keim der weltweiten Finanzmarktkrise. Traditionsreiche
Investmentbanken mit klangvollen Namen sind in den
USA von einem auf den anderen Tag vom Markt verschwunden. Aus der amerikanischen Immobilienkreditkrise ist inzwischen eine globale Finanzmarktkrise geworden. Das Vertrauen - die wichtigste Währung der
Finanzmärkte - ist verloren gegangen. Die Banken misstrauen sich gegenseitig und gewähren sich kaum noch
Kredite. Angesichts der besonders engen Verflechtung
der Akteure im Finanzbereich sind inzwischen auch solide Institute von der Finanzmarktkrise betroffen, und
Deutschland ist davon nicht ausgenommen.
In dieser Situation ist es von entscheidender Bedeutung, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte schnell und entschlossen zurückzugewinnen.
({1})
Dazu sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Worum geht es bei diesen kurzfristigen Maßnahmen?
Erstens ging es in Deutschland darum, die Hypo Real
Estate in einer akuten Notlage zu retten. Nichts zu tun,
hätte nicht nur für den Pfandbriefmarkt, sondern auch in
viel tieferer Weise unabsehbare Schäden gehabt. Alle
Fachleute haben uns gesagt, dass dies ein „systemisches
Risiko“, wie man das in der Fachsprache nennt, hervorrufen würde. Deshalb haben private Banken und vor allem die Bundesregierung eine Bürgschaft zur Verfügung
gestellt. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beim
Haushaltsausschuss bedanken, der das Ganze sehr gut
begleitet hat. Ich will allerdings noch darauf hinweisen,
dass wir im Zusammenhang mit dieser Bürgschaft auch
darauf Wert gelegt haben, dass dafür ein Entgelt genommen werden kann. Das heißt, dass dieses Institut das
Geld nicht einfach umsonst vom Staat bekommt.
({2})
Es ging also darum, den Liquiditätsbedarf der HRE zu
decken. Als am Wochenende noch einmal bislang unbekannte Liquiditätsbedarfe aufgetreten sind, mussten wir
Neuverhandlungen beginnen, die allerdings so enden
konnten, dass der Bürgschaftsrahmen, der in der vergangenen Woche gegeben wurde, nicht überschritten werden musste. Das ist gelungen, weil die Bundesbank dabei sehr hilfreich war.
({3})
Meine Damen und Herren, wir haben dann darauf gedrungen - wieder zusammen mit anderen -, dass das
Management der HRE ausgewechselt wird.
({4})
Das ist heute geschehen. Wir glauben, dass das die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass wieder Vertrauen
in dieses Institut entstehen kann. Wir setzen darauf, dass
das auch gelingt.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Wir haben
heute im Kabinett darüber gesprochen, dass es in
Deutschland sehr wohl rechtliche Grundlagen gibt, um
Manager und Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen.
Wir stellen allerdings fest, dass diese gesetzlichen Regelungen so gut wie nicht genutzt werden. Ich glaube, wir
alle sollten darauf schauen, wie wir es dazu bringen können, dass sie besser genutzt werden, oder wie wir Gesetze so ändern, dass sie genutzt werden. Auch das halte
ich für absolut zwingend.
({5})
Wir haben zweitens im akuten Krisenmanagement am
Samstag ein Treffen der europäischen Mitglieder der
G-8-Gruppe mit dem EZB-Präsidenten und Jean-Claude
Juncker gehabt. Wir haben dabei die Übereinstimmung
gefunden, dass die Europäische Zentralbank Liquidität
in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt. Das ist in
diesen Zeiten ausgesprochen wichtig.
Wir haben uns in Paris drittens darüber geeinigt, dass
die Bilanzierungsregeln denen der amerikanischen
Standards anzugleichen sind.
({6})
Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen für unsere Bankinstitute gerade auch in Deutschland.
({7})
Wir haben im Augenblick keinen fairen Wettbewerb
zwischen dem amerikanischen Bereich und dem europäischen. Es wird jetzt darum gehen - denn es geht hier um
Tage und nicht um Monate -, dass wir nicht über das
normale Rechtsetzungsverfahren - Richtlinie, Europäisches Parlament, nationale Umsetzung - vorgehen, sondern einen Weg finden, dass die europäischen Staaten
dies schnell anwenden können. Ich danke dem Finanzminister, dass er die Bemühungen hierfür bereits begonnen hat.
({8})
Viertens wissen wir, dass wir in einem europäischen
Binnenmarkt agieren. Natürlich stellt sich die Frage, wie
nationale Aktionen mit europäischen zu verzahnen
sind. Dazu will ich sagen, welche Wege aus meiner Sicht
nicht geeignet sind. Nicht geeignet ist der irische Weg,
unabgestimmt eigene Bankinstitute unter einen Schirm
zu stellen, andere internationale Institute, die auch lange
in Irland Steuern gezahlt haben, nicht in diesen Schirm
miteinzubeziehen und damit natürlich Wettbewerbsverwerfungen hervorzurufen, die aus meiner Sicht im Binnenmarkt nicht akzeptabel sind.
({9})
Ein aus deutscher Sicht ebenfalls nicht akzeptabler
Weg ist, dass 27 Mitgliedstaaten einen Schirm spannen
und alle in einen Fonds einzahlen, um dann mit
27 Staaten das entsprechende Krisenmanagement in den
jeweiligen Mitgliedstaaten zu betreiben. Ich glaube, das
ist der Fähigkeit zu schnellen Aktionen nicht zuträglich.
Deshalb lehnen wir diesen Weg ab.
({10})
Wir brauchen aber natürlich ein kohärentes, ein gemeinsames Vorgehen. Deshalb war es eine wichtige Botschaft des Ecofin-Rates, dass sich alle Mitgliedstaaten
verpflichten, Finanzinstitutionen, die systemische Risiken hervorrufen können, wenn sie in eine Schieflage geraten, im jeweiligen Mitgliedstaat und darüber hinaus zu
stützen. Darauf müssen wir uns in Europa verlassen können. Deshalb haben wir das bei der HRE gemacht, deshalb haben Frankreich und Belgien das bei der Dexia gemacht, deshalb haben die Beneluxländer das bei Fortis
gemacht; ich könnte auch britische Beispiele aufzählen.
Das ist Verlässlichkeit in Europa, die wir natürlich dringend brauchen.
Fünftens. Im Zusammenhang mit dem Treffen in Paris hat die Kommission erklärt, dass sie in den Beihilfeverfahren - zum Beispiel, wenn Landesbanken Stützungen erhalten - die Spielräume voll und flexibel
ausschöpfen will. Ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Signal.
({11})
All diese Maßnahmen dienen nicht etwa der Rettung
von Institutionen als Selbstzweck - deshalb gibt es keine
Blankoschecks - oder dem Schutz von Managern, die
Fehlleistungen erbracht haben. Nein, alle diese Maßnahmen dienen dem Funktionieren unserer Wirtschaft und
vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land.
({12})
Dazu gehört auch die am Sonntag vom Bundesfinanzminister und mir abgegebene Erklärung im Namen der
Bundesregierung, dass kein Sparer um seine Einlagen
fürchten muss. Ich sage hier noch einmal: Diese Erklärung gilt.
({13})
Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das
Vertrauen in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die soziale Marktwirtschaft - das ist meine feste
Überzeugung - ist das beste Wirtschafts- und Sozialmodell, das es gibt.
({14})
Wie jede Krise bietet auch diese Krise des Finanzsektors
eine Chance. Sie bietet die Chance, dass alle innerhalb
und außerhalb Deutschlands die internationale Dimension der sozialen Marktwirtschaft erkennen, verstehen
lernen und den Anspruch erheben, sie gestalten zu wollen. Dafür haben wir während unserer G-8-Präsidentschaft, konkret beim Gipfel in Heiligendamm, gekämpft.
Damals - das muss man im Rückblick sagen - war es
vergebens; jetzt erkennt aber eigentlich auch der Letzte,
wie nötig es schon damals gewesen wäre, Vorschläge zu
unterbreiten und Maßnahmen zu treffen. Deshalb sind
die gleichen Vorschläge - natürlich ausgeweitet - Teil
der Langfriststrategie der Bundesregierung für die Gestaltung der sozialen Marktwirtschaft in ihrer internationalen Dimension.
Wir wissen - deshalb können wir hier nicht nur national handeln -, dass dafür ein abgestimmtes europäisches
und internationales Handeln erforderlich ist. Dies haben
wir immer wieder betont, zum Beispiel bei der Transparenzinitiative, vertreten durch die Finanzminister sowie
die Staats- und Regierungschefs.
Wir haben im September mit dem französischen
Staatspräsidenten in einer gemeinsamen Erklärung
Deutschlands und Frankreichs alle europäischen und internationalen Positionen zur Lösung der Probleme festgeklopft und sie dann in einem Treffen mit dem britischen Premierminister und dem italienischen
Ministerpräsidenten konkretisiert.
Wir haben uns für Maßnahmen im internationalen Bereich eingesetzt. Dabei berufen wir uns in besonderer
Weise auf das, was von den Finanzministern mit ausgearbeitet wurde: die Vorschläge, die das Forum für
Finanzmarktstabilität im April 2008 den G-7-Finanzministern, die ein wenig an der Ausarbeitung beteiligt
waren, vorgelegt hat. Daraus ergeben sich die entsprechenden Ziele.
Es geht um die Verbesserung des Liquiditätsmanagements. Es geht um die Behandlung außerbilanzieller
Risiken; wir haben bei der IKB schmerzhaft miterlebt,
welche Folgen sich daraus ergeben. Es geht um die Bewertung illiquider Vermögensgegenstände. Es geht um
Transparenzregeln auf den Finanzmärkten, und es geht
um den Umgang mit Ratings.
Die G-8-Staats- und Regierungschefs haben im Juli
2008 einen Fortschrittsbericht des Forums entgegengenommen und gebilligt. Allerdings muss ich sagen: Auch
im Sommer war der Enthusiasmus über diese Regeln
- zumindest auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs - noch nicht so groß, wie er hätte sein müssen.
({15})
Wir können allerdings feststellen, dass bei der Umsetzung bereits erste und auch wesentliche Fortschritte zu
verzeichnen sind. Zahlreiche weitere Vorschläge des Forums sollen bis Ende 2008 verwirklicht werden. Der
Bundesfinanzminister wird in den nächsten Tagen nach
Amerika reisen und diese Diskussion natürlich fortsetzen. Die Bundesregierung wird also an der Spitze derjenigen stehen, die solche Regelungen fordern.
({16})
Bis Ende 2008 müssen vergleichbare Arbeiten auf europäischer Ebene abgeschlossen werden. Dazu gehört
insbesondere die neue Regulierung von Ratingagenturen; denn diese haben einen erheblichen Anteil an den
falschen Bewertungen, wie wir sie jetzt erleben.
({17})
Man muss vor allem darauf achten, dass das Finanzsystem selbst die richtigen Anreize setzt. Wir brauchen
Finanzmärkte und adäquate Mechanismen, die nicht nur
aus Regulierungen, sondern auch aus Anreizen bestehen.
Diese Anreize müssen so gesetzt werden, dass eine einseitige Fokussierung der Banken auf kurzfristige Unternehmensstrategien verhindert werden.
({18})
Eine Ursache der Krise war, dass Kredite vergeben
wurden, die erst nach Jahren fällig waren. Die Bonuszahlungen wurden aber bereits nach einem Jahr ausgeschüttet, ohne dass man wusste, ob für dieses Produkt
nach seiner Bewährungsprobe überhaupt eine Zahlung
eingeht. Das ist ein Unding und darf so nicht sein.
({19})
Daraus resultiert, dass für die Vergütung der Manager
der langfristige Unternehmenserfolg und nicht die Kurzfriststrategie das entscheidende Kriterium sein sollte.
({20})
Ich bin zuversichtlich, dass durch die Umsetzung der
Empfehlung des Forums, die Vorschläge der Europäischen Union und das Setzen richtiger Anreizstrukturen
die Grundlage dafür geschaffen wird, dass eine vergleichbare Krise in Zukunft nicht mehr entstehen kann.
Das heißt, dass wir eine Architektur bekommen, in der
sich solche Fehler verbieten.
Wir müssen in dieser Situation kritisch hinterfragen,
ob die Bankenaufsicht ihren Aufgaben gerecht geworden ist.
({21})
Wir brauchen eine vorausschauende Aufsicht, die sich
aufbauende Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennt und
die dann auch handelt. Dafür müssen Strukturen überprüft und gegebenenfalls verbessert werden.
({22})
Das gilt für den nationalen Bereich, aber natürlich auch
für den europäischen und für den internationalen Bereich.
({23})
Deshalb wird die Bundesregierung überlegen - in Bezug
auf die nationale Ebene -, ob das Zusammenspiel zwischen BaFin und Bundesbank noch effizienter gestaltet
werden kann. Es muss auch sichergestellt werden, dass
die internen Entscheidungsstrukturen schnelle Reaktionen möglich machen. Wir sollten an dieser Stelle keine
Schnellschüsse machen, aber wir sollten konsequent an
dieser Frage arbeiten.
({24})
Meine Damen und Herren, diese Krise bietet die
Chance, besser zu verstehen, dass auf der einen Seite
Freiheit und auf der anderen Seite Ordnung keine
Gegensätze sind, sondern dass sie in der sozialen Marktwirtschaft zusammengehören. Wir wollen die menschliche soziale Marktwirtschaft. Das ist eine Marktwirtschaft, die dem Menschen und dem Einzelnen dient.
Es gibt wahrlich nichts zu beschönigen. Dafür bietet
die Lage keinen Anlass. Die langfristigen Auswirkungen der Finanzmarktkrise sind heute noch nicht absehbar. Das gilt auch für die Auswirkungen auf unser
Wachstum und unser Land. Wir sind eine exportorientierte Wirtschaft. Wir müssen uns mit gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreisen auseinandersetzen.
Ich sage in dieser schwierigen Stunde aber auch:
Deutschland ist stark.
({25})
Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr gut aufgestellt. Daran haben viele mitgewirkt. Deutschland ist
für den globalen Wettbewerb gerüstet. Ich bin der festen
Überzeugung, dass uns das helfen wird, die Folgen der
Finanzmarktkrise, auch wenn es nicht einfach wird, zu
meistern.
Der Reformkurs der Bundesregierung war und ist dafür unabdingbar, und er macht sich bezahlt. Das umfasst
die Haushaltskonsolidierung, die Senkung der Lohnzusatzkosten, die Reaktionen auf die demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft - ich erinnere an die
Rente mit 67 - und die konsequenten Investitionen in
Bildung und Innovation. Ich glaube, dass auch die Ergebnisse der Sitzung des Koalitionsausschusses in der
letzten Woche ein weiterer Beleg dafür sind.
({26})
Ich sage ausdrücklich: Gerade in dieser Situation werden wir diesen Weg konsequent fortsetzen. Es wäre das
allerfalscheste Signal, jetzt von dem Kurs abzuweichen.
Das Ziel ist, Vertrauen zurückzugeben, Vertrauen zu
stärken; denn Vertrauen, das ist die Währung, in der gezahlt wird. Ich glaube, dass jeder von uns - wir in diesem Hause, vor allen Dingen aber die Akteure im Lande einen Beitrag dazu leisten kann, dass Vertrauen wiederhergestellt wird.
({27})
Die Bundesregierung ist entschlossen, diesen Weg ruhig
und besonnen, aber mit aller Entschlusskraft zu gehen.
Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: In diesen Tagen der Krise gibt es viele, die bis an den Rand der
Belastbarkeit arbeiten. Ich möchte all denen zum
Schluss dieser Regierungserklärung noch einmal ein
Dankeschön sagen.
({28})
Ob es in der Bankenaufsicht, in den Ministerien oder
zum Teil auch in den privaten Banken ist - wir brauchen
Akteure, die sich für unser Land einsetzen. Es ist gut,
dass es sie gibt. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass
wir diesen Weg weitergehen können.
Herzlichen Dank.
({29})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Guido Westerwelle.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die Regierungserklärung und die Tatsache, dass
die Regierungserklärung hier stattfindet, ist eine angemessene und auch notwendige Reaktion auf die wirklich
außerordentlich angespannte Lage. Vor allen Dingen vor
dem Hintergrund der Garantieerklärung, die die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister den Bürgerinnen und Bürgern am Sonntag gegeben haben, will ich
erklären, dass es in diesem Hause keine Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition hierüber gibt.
Es geht hier nicht um einen Parteienstreit, sondern darum, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen,
dass die Sparguthaben sicher sind. Die Bundesregierung sagt, sie steht dafür ein. Wir fügen hinzu: Auch wir
von der Opposition stehen dafür ein. Darauf wissen die
Bürgerinnen und Bürger sich zu verlassen.
({0})
Das ist notwendig, weil die Bürgerinnen und Bürger
durch eine ungewöhnliche Maßnahme geschützt werden
müssen. Wir wollen hier aber genauso klarmachen: Wir
schützen mit diesen Steuergeldern und diesen Zusagen
die Bürgerinnen und Bürger. Wir schützen die Sparer
und ihre Einlagen. Wir schützen aber nicht die Jobs einiger Banker. Vor allen Dingen sind wir nicht bereit, zuzusehen, dass diejenigen, die privat, in der Wirtschaft so
versagt haben, damit auf Kosten von Steuergeldern vergoldet davonkommen. Das ist notwendig und muss hier
auch klar angesprochen werden.
({1})
Aber, meine Damen und Herren, ich will Ihnen genauso sagen: Das Prinzip Verantwortung, das Sie hier
anmahnen, gilt natürlich nicht nur für diejenigen, die
sich in der Wirtschaft falsch verhalten haben, sondern
das Prinzip Verantwortung gilt ausdrücklich auch für
diejenigen, die bei der Staatsaufsicht absolut dilettantisch gearbeitet haben, und zwar nicht seit Wochen, sondern in Wahrheit seit über einem Jahr.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, Sie sprechen davon, dass die
Bundesregierung daran arbeite und sich darüber Gedanken mache, wie die Staatsaufsicht verbessert werden
könne. Ich will genauso klar sagen: Wenn Sie Defizite
bei der Bankenaufsicht beklagen, beklagen Sie Defizite
bei der Bundesregierung, also bei sich selbst. Sie tragen
die politische Verantwortung für die Bankenaufsicht.
Wenn Sie die Bankenaufsicht kritisieren, dann kritisieren
Sie die Regierung, der Sie vorsitzen.
({3})
Vertrauen stärkt nur, wer Rede und Antwort steht.
Vertrauen stärkt nur, wer auch mit den Risiken offen umgeht, statt sie zu verschleiern. Auch das muss an dieser
Stelle klar gesagt werden: Vertrauen riskiert, wer von
Stein zu Stein stolpert, wer die Wahrheit nur scheibchenweise herausrückt. Sie hätten durch Schaden längst klug
sein können. Die Salamitaktik, die Sie beim KfW-/IKBSkandal an den Tag gelegt haben, ist dieselbe, die wir
bezüglich Hypo Real Estate fast von Tag zu Tag erleben.
({4})
Wir wissen nicht, was die Bundesregierung weiß oder zu
welchem Zeitpunkt Sie über das Ausmaß der Affäre Bescheid wussten. Wir wissen aber, dass Sie Ihrer Verantwortung als Bankenaufsicht endlich besser gerecht
werden müssen. Das ist keine wohlfeile Kritik im Nachhinein, sondern diesen Systemfehler haben wir von Anfang an, schon seit Jahren in diesem Hause immer und
immer wieder angemahnt.
({5})
Spannend ist, wie jetzt die Sozialdemokraten und die
Grünen beim Thema Bankenaufsicht und vor allen Dingen angesichts der mangelnden Bankenaufsicht ihre
Zwischenrufe machen. So möchte ich es vorsichtig formulieren. Ich sage Ihnen das deswegen, weil ein einziger
Blick in das Archiv des Deutschen Bundestages eines
zeigen wird: Diese Doppelstruktur und das bürokratische
Gegeneinander von zwei Bankenaufsichten ist in diesem
Hause von Union und von FDP kritisiert worden. Sie haben es 2002 als Rot-Grün gemeinsam mit den Stimmen
der PDS hier beschlossen.
Ich bleibe dabei: Leider hatten wir mit unseren Bedenken recht. Diese Bankenaufsicht lähmt sich selbst.
Sie muss endlich vereinheitlicht werden und unter einen
politischen Hut kommen. Dieser ist aus unserer Sicht die
Bundesbank.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Eichel?
Selbstverständlich. Bitte sehr.
Herr Kollege Eichel, bitte.
Herr Kollege Westerwelle, ist Ihnen nicht in Erinnerung, dass die Änderung der Bankenaufsicht nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich war? Diese Zustimmung konnte übrigens nur erreicht werden, nachdem die
CDU/CSU-regierten Bundesländer und die, die mit Ihnen in Koalition waren, die entsprechende Sitzung des
Bundesrates verlassen hatten. Anderenfalls hätte nicht
einmal dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesrates
gefunden. Das ist die Wirklichkeit. Sie, FDP und CDU/
CSU, haben im Bundesrat ohne Ende blockiert.
({0})
Ich war mit dem Vorschlag für eine Einzelstruktur in das
Gesetzgebungsverfahren gegangen. Das ist die Wirklichkeit und nicht das, was Sie jetzt erzählen.
({1})
Herr Kollege Eichel, ich kann verstehen, dass Sie mit
Ihren damaligen Schandtaten heute nichts mehr zu tun
haben wollen.
({0})
Aber ich sage das hier mit großer Klarheit. Ich war
schon damals Parteivorsitzender, und ich weiß, wie die
Verhandlungen damals abliefen. Ich will Ihnen sagen,
wie in der Debatte hier im Deutschen Bundestag gefochten wurde: „Die FDP ist der Auffassung, dass die
Deutsche Bundesbank die Bankenaufsicht übertragen
bekommen sollte. Die Doppelzuständigkeit hat sich nach
unserer Auffassung nicht bewährt.“
Das ist hier alles vorgetragen worden. Sie waren gewarnt, Sie wussten, dass das ein Konstruktionsfehler ist.
Reden Sie sich nicht heraus. Sie haben sich aus politischen Gründen für diese Doppelstruktur entschieden.
Seit Jahren warnen wir davor, dass dies keine funktionierende Aufsicht ist. Ich sage es Ihnen mit großer Klarheit:
Eine Staatsaufsicht, die jede Sparkassenfiliale haarklein
untersucht, aber bei einem DAX-Unternehmen in einen
Dornröschenschlaf fällt, hat versagt, und dafür tragen
diejenigen Verantwortung - auch Sie, Herr Kollege
Eichel.
({1})
Jede Volksbank wird durchsucht, jede Sparkasse wird
schikaniert, aber bei den DAX-Unternehmen schaut man
nicht hin.
({2})
Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine weitere
Frage des Kollegen Eichel?
Ich bitte Sie; selbstverständlich, Herr Kollege Eichel.
Herr Kollege Westerwelle, wir können das ja zusammen noch einmal nachprüfen. Ist Ihnen bekannt, dass es
der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer ausdrücklich abgelehnt hat, für die Bundesbank die Bankenaufsicht zu übernehmen, weil er eine Interessenkollision gesehen hat? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass auch der
folgende Bundesbankpräsident, nachdem klar war, dass
wir zu Recht das Zukunftsmodell einer Allfinanzaufsicht
wählen, erklärt hat, dass eine Allfinanzaufsicht nicht von
der Bundesbank ausgeübt werden kann? Das ist nämlich
die Wirklichkeit.
({0})
Herr Kollege Eichel, ich habe da ein ganz anderes
Parlamentsverständnis: Die Gesetze werden vom Deutschen Bundestag gemacht, mit oder ohne Zustimmung
des Bundesbankpräsidenten. Noch tragen wir für die Gesetze Verantwortung.
({0})
Herr Kollege Eichel, da Sie gefragt haben, was mir alles bekannt sei, frage ich Sie: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das, was Sie hier immer noch vertreten, von
Ihrem Nachfolger im Amt des Finanzministers längst
nicht mehr vertreten wird? Es wird zur Beseitigung genau dieser Doppelstruktur kommen, besser spät als nie.
Hätten Sie früher gehandelt, hätten Sie diesen Unfug
nicht beschlossen, wäre uns möglicherweise einiges an
Kosten für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erspart geblieben.
({1})
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und
Herren, das Problem an dieser Stelle liegt nicht nur im
geschichtlichen Streit. Vielmehr hat dies Auswirkungen
für die Gegenwart; dieses Denken verfolgt uns in Wahrheit immer noch, leider auch in der neuen Regierungskoalition. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Sie
im November des letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf eingereicht haben, der auch
beschlossen wurde, jetzt mit den Stimmen der neuen
Mehrheit: „Nach fünf Jahren Allfinanzaufsicht durch die
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht besteht
kein Zweifel, dass sich deren Konzept voll bewährt hat.“
Werden Sie doch wenigstens jetzt aus dem Schaden
klug.
({2})
Das ist das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger
von Ihnen verlangen können.
({3})
Nun heißt es an dieser Stelle, die Staatsbehörde mit
1 600 Mitarbeitern solle zur Prüfung nicht in der Lage
gewesen sein, weil die zu prüfende Tochter schließlich
in Irland ihren Sitz habe. Auch darauf muss man kurz
eingehen. Was heißt das denn? Das heißt, dass der deutsche Steuerzahler ein Bürgschaftspaket von 35 Milliarden Euro schnürt und im Gegenzug nicht einmal verlangt, dass diejenigen, die eine Bürgschaft bekommen,
komplett alle ihre Bücher offenlegen.
Es ist doch ein bemerkenswerter Vorgang, dass eine
Handvoll Prüfer einer privaten Bank innerhalb von Tagen Löcher finden, die einer Staatsaufsicht seit Monaten
verborgen geblieben sind. Das zeigt abermals: Das ist
Staatsversagen, und dafür trägt die Regierung Verantwortung,
({4})
und bei allem staatstragenden Verantwortungsbewusstsein der FDP werden wir Sie aus dieser Verantwortung
nicht entlassen, meine sehr geehrten Damen und Herren
von der Bundesregierung, trotz aller weihevollen Reden
hier.
({5})
Sie haben bei der Bankenaufsicht bisher nur Krisenreaktion, aber nie Krisenprävention betrieben. Sie haben in vielen Bereichen auch noch nicht die Konsequenzen gezogen, die aus unserer Sicht gezogen werden
müssten. Wie wir wissen, gibt es Ratingagenturen - das
ist für diejenigen, die in diesem Thema nicht so tief drin
sind, natürlich ein Buch mit sieben Siegeln -: private
Agenturen, die die Wertigkeit von Banken und anderen
Unternehmungen einschätzen. Viel zu oft und viel zu regelmäßig mussten wir darauf hinweisen, dass hier Interessenskollisionen vorgezeichnet sind.
Unser Vorschlag, eine unabhängige Stiftung zu gründen, gewissermaßen eine Stiftung Warentest für den
Finanzmarkt, liegt auf dem Tisch. Mich würde sehr interessieren, welche Vorschläge die Bundesregierung selbst
macht, um dafür zu sorgen, dass Ratingagenturen in Zukunft keine so große Macht mehr haben und nicht mehr,
wie es manchmal der Fall war, interessengeleitet agieren.
({6})
Frau Bundeskanzlerin, es ist richtig und absolut notwendig - darüber haben Sie gesprochen -, dass die
Bilanzierungsregeln auch kurzfristig verändert werden
müssen. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt - dabei
bleibt es auch -: Hier haben Sie unsere volle Rückendeckung. Wenn Sie Maßnahmen ergreifen, um im Rahmen unseres nationalen Rechts schneller handeln zu
können, weil man nicht immer auf die Zustimmung aller
europäischen Länder warten kann, werden wir auch dies
mittragen; denn wir wissen, dass dieses Problem eine
schnelle Lösung erfordert.
Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen aber auch zur
Kenntnis nehmen, worüber wir in diesem Hohen Hause
nur zwei Tage vor der Landtagswahl in Bayern gesprochen haben, als es um die Neuregelung der Bilanzrichtlinien, das sogenannte Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, ging. Genau das, was Sie jetzt zu Recht kritisieren,
steht in Ihrem eigenen Gesetzentwurf, den wir vor etwas
mehr als einer Woche beraten haben. Wir sagen Ihnen
schon seit langer Zeit, gerade im Hinblick auf das Vertrauen: Halten Sie an den bewährten Prinzipien des deutschen Handelsgesetzbuches fest. Sie selbst sind allerdings gerade dabei, in Deutschland amerikanische
Prinzipien, vor denen wir in diesem Hause gewarnt haben, einzuführen. Auch das gehört zur Wahrheit.
({7})
Schließlich würden wir gerne einmal erfahren, Frau
Bundeskanzlerin: Was wird jetzt eigentlich aus dem
Haushalt? Wir haben heute eine Regierungserklärung
gehört, in der Sie viele Problemkreise beschrieben haben. Aber dazu, was für die Regierung politisch-handwerklich daraus folgt, ist bisher nichts gesagt worden.
Was bedeutet die jetzige Krise für den Bundeshaushalt,
den wir gerade beraten?
({8})
Zumindest Ihren eigenen Bundeshaushalt müssen Sie
ehrlich aufstellen. Sie wissen, dass Sie nicht die Einnahmen bekommen, die Sie in die Finanzplanung geschrieben haben. Da Sie wissen, dass Sie nicht die geplanten
Einnahmen erzielen werden, müssen Sie in den nächsten
Wochen und Monaten mit uns gemeinsam zumindest daran arbeiten, dass der Haushalt ehrlich wird und dass die
Ausgaben reduziert werden. Es kann gar nicht anders
sein. Das Mindeste, was man von Ihnen erwarten darf,
ist, dass Sie Ihre Finanzplanung umstellen. Jeder weiß,
dass diese Finanzkrise nicht ohne Auswirkungen auf die
Wirtschaft und damit auch nicht ohne Auswirkungen auf
den Bundeshaushalt bleibt.
({9})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Ergebnisse der
Koalitionsrunde gelobt; das ist Ihr gutes Recht. Allerdings wissen und spüren wir, dass diese Finanzmarktkrise auch zu einem Problem für die reale Wirtschaft
werden wird. Weil das so ist, muss die Politik jetzt alles
unternehmen, was Wirtschaft und Wachstum stärkt, und
alles unterlassen, was Wirtschaft und Wachstum
schwächt. Dass Sie trotzdem durch Ihre Gesundheitspolitik die Lohnzusatzkosten erhöhen, ist in diesen Zeiten
ein schwerer Fehler.
({10})
Dass Sie trotzdem bei der Erbschaftsteuer einen Anschlag auf die Familienunternehmen vorbereiten,
({11})
ist ein schwerer Fehler.
({12})
Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen. Die FDP kennt ihre staatspolitische Verantwortung.
({13})
Wir, die Opposition, werden nicht darum herumkommen, auch Sie an Ihre Verantwortung zu erinnern.
Es reicht nicht, zu sagen, dass diese oder jene Maßnahme möglich ist. Sie haben keinen Plan A, Sie haben
auch keinen Plan B. Sie stolpern von Problem zu Problem. In Wahrheit fehlt es an Konzepten. Solche sind
aber das Mindeste, was man hier heute bei allem, was
wir gemeinsam gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern
zu schultern haben, auch erwarten darf. So können Sie
uns nicht davonkommen.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Westerwelle, Sie sind der Brandstifter, der sich
hier als Biedermann verkleidet. Nichts anderes wird
durch Ihre Praxis belegt.
({0})
Sie wollen von der Verantwortung Ihrer Freunde in
der Wirtschaft ablenken.
({1})
Das ist doch ganz deutlich geworden.
({2})
Sie wollen von der Verantwortung derjenigen ablenken,
von denen Sie Ihre Parteispenden erhalten. Das ist doch
die Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Ihre Ideologie ist in diesen Tagen doch in Scherben zerbrochen, Herr Westerwelle. Nichts anderes ist geschehen.
({4})
Sie wissen doch ganz genau: Mit den Investmentbanken
und den Finanzmärkten ist auch Ihre ganze neoliberale
Ideologie des Marktradikalismus zusammengebrochen.
({5})
Herr Westerwelle, mit Ihrem ganzen Gerede von der
unbeschränkten Marktfreiheit haben Sie sich und allen
anderen das Diktat der Finanzmärkte über Jahre hinweg
schöngeredet.
({6})
Heute zeigt sich, dass nur ein wirtschaftlich starker
Staat, wie ihn die Sozialdemokraten wollen,
({7})
den Bürgerinnen und Bürgern und auch Märkten das bieten kann, was sie als unverzichtbaren Gegenstand genauso wie die echte Freiheit brauchen, nämlich Sicherheit.
({8})
Ich empfehle allen, die noch bis vor wenigen Tagen
mit abenteuerlichen Programmen für Steuersenkungen
durchs Land gerannt oder für staatliche Verschuldungsverbote ohne jede Ausnahme eingetreten sind, sich das
alles noch einmal ganz genau zu überlegen.
({9})
Wer in der Krise Ausgabenkürzungen fordert, der muss
ökonomisch gesehen ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, Herr Westerwelle. Das ist doch unglaublich.
({10})
Sie schieben jetzt der Finanzaufsicht eine Verantwortung für diese Situation zu, die sie nun wahrlich nicht
verschuldet hat. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Ihre Partei war stets gegen eine Verschärfung jedweder Aufsicht; das wissen wir alle, die wir hier mit diesen Fragen zu tun haben.
({11})
Sie wollten die Aufsicht geradezu lahmlegen und haben
jede Beschwerde aus dem Bankenbereich aufgenommen
und im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages
vorgetragen. Sie haben das Recht verwirkt, hier so zu reden, wie Sie vorhin geredet haben, Herr Westerwelle.
({12})
Wir danken Frau Merkel und dem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück für das hervorragende Krisenmanagement in den letzten Wochen.
({13})
Die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie entschlossen
und fähig ist, zu handeln, und zwar mit Augenmaß und
im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber
den steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürgern. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister können sich
dabei - da bin ich mir ganz sicher, Herr Kauder - auf die
geschlossene Unterstützung der Koalitionsfraktionen
verlassen.
({14})
Diese Geschlossenheit in Regierung und Koalition ist
ein wichtiges Element der Stabilität in einer Zeit, in der
Vertrauen gerade auf den sensiblen Finanzmärkten zu einem äußerst knappen Gut geworden ist.
Ein weiteres Element der Stabilität - und zwar unmittelbar auf dem deutschen Finanzmarkt angesiedelt - sind
unsere Sparkassen und Volksbanken. Vor allem ihnen
ist es zu verdanken, dass die Turbulenzen der Weltfinanzmärkte bisher noch nicht zu einer Kreditklemme für
die deutschen Unternehmen, insbesondere den Mittelstand, geführt haben.
({15})
Unsere Sparkassen und Volksbanken haben in der
Vergangenheit die besinnungslose Renditejagd des angelsächsisch dominierten Weltfinanzsystems nicht mitgemacht, sondern sich weiterhin auf ihre Kunden als Basis eines soliden Bankgeschäfts konzentriert. Dafür sind
sie teilweise belächelt, ja beschimpft worden.
Heute zeigt sich: Das Bankgeschäft ohne Kundeneinlagen in völliger Abhängigkeit von den Launen der Kapitalmärkte zu betreiben, mag zwar die Gewinne in guten Zeiten erhöhen; in Krisenzeiten führt ein solches
Geschäftsmodell aber geradewegs in die Katastrophe.
Die großen Investmentbanken der Wall Street - die
Ikonen dieses von Renditegier getriebenen Turbokapitalismus - sind untergegangen, aufgekauft oder sie versuchen sich gerade durch die Umwandlung in Geschäftsbanken ein Leben nach dem Tod zu verschaffen.
Vergessen wir nicht: Die großen privaten Banken in
Deutschland waren vor gar nicht langer Zeit auch noch
ganz auf dem Investmentbankentrip. Die Filialkunden in
Cottbus oder im Ruhrgebiet waren für die Herren
Ackermann und Co halt nicht ganz so sexy wie die smarten Händler in London, New York und Hongkong, mit
denen man immer aberwitziger konstruierte Wertpapiere
handeln und bei dieser Gelegenheit ebenso aberwitzige
Gehälter und Bonuszahlungen kassieren konnte.
({16})
Etwas anderes sollten wir ebenfalls nicht vergessen:
Bis heute betreiben die Lobbyisten dieser privaten Banken ihre Arbeit in Brüssel, um über den Umweg der EU
den Sparkassen und Volksbanken in Deutschland die
Existenzberechtigung streitig zu machen.
({17})
Der Verzicht auf die Renditejagd bei den Sparkassen
und Volksbanken wird dabei schamlos als Wettbewerbsverzerrung zulasten der Privatbanken umgedeutet. Diese
Lobbyisten haben zu viel Unterstützung in der Kommission. Das muss sich ändern.
({18})
Die deutsche Haltung dazu ist klar.
Wenn jetzt also gerade die privaten Banken in
Deutschland und überall sonst auf der Welt nach Rettung
durch den Staat - das heißt den Steuerzahler - rufen,
dann muss das, so meine ich, zwei ganz unmittelbare
Konsequenzen haben. Erstens müssen die privaten Banken ihre Brüsseler Wühlarbeit umgehend einstellen und
die Existenz des dreigliedrigen Bankenwesens in
Deutschland endlich akzeptieren.
({19})
Zweitens muss das Thema der exzessiven Gehälter in
Vorständen und Handelsräumen nicht nur diskutiert,
sondern geregelt werden. Beim letzten Thema scheint
sich in den letzten Tagen einiges zu bewegen. In den
USA und in der EU wird die Begrenzung der Topgehälter offenbar als selbstverständlich für ein zwingendes
Begleitinstrument der Rettungsaktion betrachtet.
Den Äußerungen des lieben Kollegen Röttgen zufolge ist das Thema Verantwortung und Bezahlung der
Manager neuerdings auch ein Kernanliegen seiner Partei. Das finden wir Sozialdemokraten gut.
({20})
Es fällt uns allerdings auf, dass das erst seit ein paar Tagen so ist.
({21})
Als wir im Frühjahr im SPD-Präsidium konkrete Gesetzesvorschläge zum Thema Managergehälter beschlossen haben, haben Sie, Herr Röttgen, das noch als
unseriös bezeichnet.
({22})
Auch verehrte Frau Merkel und Herr Glos ließen sich im
letzten Dezember im Manager-Magazin dafür feiern,
dass sie bei der Begrenzung von Managergehältern
„massiv auf die Bremse“ treten. Hoffentlich kommen
wir schnell von der Bremse herunter und gemeinsam zu
Ergebnissen.
({23})
Nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zum Tag der
Deutschen Einheit am letzten Freitag lohnt es sich in diesem Zusammenhang, noch einmal an die Haltung der
FDP zum Thema Managervergütung zu erinnern. Herr
Westerwelle, noch im Frühjahr haben Sie jeglichen Eingriff verdammt und von einer „DDR … ohne Mauer“ gesprochen. Das ist derselbe Herr Westerwelle, der seine
Rede mit antikapitalistischen Tönen eröffnet hat. So
glaubwürdig ist dieser Mann.
({24})
- Was heißt „Das geht zu weit“? - Herr Westerwelle, Sie
sollten sich selbst prüfen - vielleicht gehen Sie eine Woche ins Kloster und in sich ({25})
und genau darüber nachdenken, wie Ihr Verhältnis zu
Wahrheit und Praxis ist. Das Auseinanderklaffen von
Reden und Handeln ist bei keinem Politiker in Deutschland so offenkundig wie bei Ihnen; das muss ich festhalten.
({26})
Die Bundeskanzlerin hat wichtige Stichworte für das
genannt, was jetzt zu regeln ist. Wir arbeiten gut. In den
letzten Monaten wurden viele Vorarbeiten geleistet. Aufsichtsstrukturen und Eigenkapitalregeln zum Beispiel
müssen so verbessert werden, dass sich bestimmte Ent19330
wicklungen, die sich als krisenverursachend oder krisenverschärfend erwiesen haben, künftig nicht wiederholen
können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Ja, bitte.
Herr Kollege Poß, da Sie von Wahrheit und Heuschrecken gesprochen haben und meinen, der FDP das
eine oder andere vorhalten zu müssen, richte ich an Sie
folgende Frage: Ist meine Information richtig, dass die
Sozialdemokraten dem Verkauf der Anteile an der IKB
an Lone Star, eine Heuschrecke, im Verwaltungsrat der
KfW zugestimmt haben?
Ich weiß nicht, was diese Frage mit der Debatte und
den Äußerungen von Herrn Westerwelle zu tun hat.
({0})
Die Sozialdemokraten haben - genauso wie die Vertreter
anderer Parteien - der Lösung zugestimmt, die als möglich galt. Genaueres kann ich nicht sagen; denn ich war
bei der Abstimmung nicht dabei. Herr Koppelin, Sie waren wohl dabei und müssten es besser wissen. Ihre
Glaubwürdigkeit erhöht sich nicht dadurch, dass Sie sich
aus Alibigründen in die Oppositionsrolle begeben haben,
weil Sie mit dem Schicksal der KfW nichts zu tun haben wollen. Nicht anders ist das zu werten, Herr
Koppelin.
Herr Kollege, auch der Kollege Brüderle hat den
Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Gestatten Sie?
Ja, natürlich.
Herr Kollege Poß, ist Ihnen in Erinnerung, dass 2004
die grün-rote Bundesregierung unter Kanzler Schröder
mit dem sogenannten Investmentmodernisierungsgesetz
erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass
Hedgefonds in Deutschland tätig werden können? Sie
haben doch den Weg dafür frei gemacht.
({0})
Lieber Kollege Brüderle, Sie wissen, dass das nicht
im Widerspruch zu dem steht, was wir sagen. Ein Problem wie Hedgefonds können wir nur international
lösen. Dazu haben Frau Merkel und Herr Steinbrück entsprechende Vorschläge gemacht. Vor dem Investmentmodernisierungsgesetz war es Bundeskanzler Schröder,
der sich mit diesem Thema befasst hat. Vom historischen
Ablauf her liegen Sie mit Ihren Entlastungsfragen gänzlich schief. Ich verstehe Ihre Schmerzen. Ihr Vorsitzender sah heute nicht sehr gut aus.
({0})
Wir haben viel Vorarbeit geleistet. Ein besonders
dringliches Anliegen ist - Frau Merkel hat bereits darauf
hingewiesen -, eine kurzfristige Änderung der Bilanzierungsvorschriften in Europa herbeizuführen. Genauso
wie in den USA muss verhindert werden, dass vorübergehend nicht mehr handelbare Wertpapiere in den Bankbilanzen sofort als Totalverlust abgeschrieben werden
müssen.
Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Das Vertrauen und die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger
zum weiteren Krisenmanagement der Bundesregierung
werden nicht zuletzt davon abhängig sein, dass dabei
übernommene Lasten zwischen dem Staat und dem Bankensektor, aber auch - was den staatlichen Anteil angeht unter den Steuerzahlern gerecht verteilt werden. Ich sage
dies ganz bewusst vor dem Hintergrund der Diskussion
über die Erbschaftsteuer. Ich halte es für nur schwer
erträglich, dass wir möglicherweise gezwungen sind,
Steuergelder zur Rettung gestrauchelter Banken, ihrer
Anteilseigner und Gläubiger einzusetzen, und gleichzeitig einige in diesem Haus - auch beim Koalitionspartner versuchen, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen oder
aus ihr auf Biegen und Brechen eine Art Grundsicherung
für Vermögensmillionäre zu machen. Das passt nicht in
die Zeit. Das passt auch nicht zu einer Volkspartei.
({1})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Oskar Lafontaine.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
({0})
Im Mittelpunkt dieser Debatte steht das Wort „Vertrauen“. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass die wichtigste Währung der Finanzmärkte das Vertrauen sei. Ich
habe in den letzten Jahren nicht beobachten können, dass
Vertrauen die Grundlage des Handelns der Finanzmärkte
war. Die Finanzmärkte haben sich mehr und mehr zu
spekulativen Märkten entwikkelt, und spekulative
Märkte basieren auf allem anderen, aber nicht auf Vertrauen.
({1})
Vertrauen war lange Zeit das Kapital der Banken, bevor
es die Finanzmärkte in der gegenwärtigen Form gab.
Aber wenn das Vertrauen in die Banken zerstört ist,
wenn die Sparerinnen und Sparer kein Vertrauen mehr in
die Banken haben, dann können in unserer Ordnung nur
noch zwei Instanzen handeln: Die eine ist die Zentralbank - sie kann durch ihr Handeln Vertrauen herstellen -,
die andere ist die Bundesregierung.
Ich will jetzt von der Bundesregierung sprechen. Vertrauen schafft man nicht, indem man verharmlost. Ich
stelle hier für meine Fraktion fest: Sie haben viel zu
lange die Krise verharmlost und sich insoweit schuldig
gemacht, als das Vertrauen der Bevölkerung in das Handeln der Regierung verloren gegangen ist.
({2})
Damit dieser Satz nicht so stehen bleibt, zitiere ich, was
der Finanzminister vor wenigen Tagen gesagt hat:
Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere
sind, ist ein ähnliches Programm
- wie in den USA in Deutschland oder Europa weder notwendig noch
sinnvoll.
({3})
Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor
allem ein amerikanisches Problem!
Am Anfang der Krise, als jeder wusste, dass die Situation hochgefährlich war, hat die Regierung kein Vertrauen dadurch geschaffen, dass der Finanzminister die
Lage völlig falsch eingeschätzt hat. Das ist die Wahrheit;
sie ist hier dokumentiert.
({4})
Während andere von „Massenvernichtungswaffen“ sprachen - derjenige, der dieses Wort geprägt hat, kennt sich
auf den internationalen Finanzmärkten aus; er sprach
auch die Vernetzung der Produkte an -, hieß es hier
noch, das sei ein Problem der USA. Die Kanzlerin hat
sich dieser nun wirklich lächerlichen Analyse angeschlossen; das heißt, Sie haben zu Beginn, vor einigen
Tagen überhaupt nicht überblickt, worum es hier überhaupt geht. Ich will das in aller Klarheit für meine Fraktion hier feststellen.
({5})
Ich zitiere die Welt, die nicht im Verdacht steht, Ihnen in
irgendeiner Form kritisch gegenüberzustehen:
Das Chaos ist groß. Wochenlang hatten die Kanzlerin und ihr Finanzminister die Krise kleingeredet.
Das ist die Wahrheit, und deshalb haben Sie kein Vertrauen geschaffen, sondern Sie haben die Unsicherheit in
der Bevölkerung verstärkt.
({6})
Nachdem Sie festgestellt haben, dass diese Verharmlosung ein Fehler war, und nachdem Sie von den Ereignissen überrollt worden sind, haben Sie eben kein fachlich
solides Krisenmanagement zustande gebracht. Aus Zeitgründen möchte ich nicht auf die IKB eingehen, sondern
auf die HRE, und ich möchte sagen, was nach meiner
Auffassung falsch gelaufen ist. Es ist noch akzeptabel,
dass man in einer Situation von international vernetzten
Märkten nicht kurzfristig alle Löcher feststellen kann,
die auftreten können. Das möchte ich zunächst von niemandem erwarten. Aber wenn man zumindest das Problem erkannt hat - das hat schon in den Zeitungen gestanden -, dass der Fehler gemacht wurde, mit
kurzfristigem Geld langfristige Kredite zu finanzieren,
und wenn dann ein Finanzminister von der „Abwicklung“ des Unternehmens spricht, dann zeigt das, dass er
diesem Problem fachlich überhaupt nicht gewachsen ist.
({7})
Dann ist er Mitverursacher dafür, dass dieses Institut in
immer größere Schwierigkeiten gerät. Ich hätte mir nicht
vorstellen können, dass ein Bundesfinanzminister im
Zusammenhang mit einem DAX-Unternehmen und solchen Volumina, die hier zur Rede standen, von „Abwicklung“ spricht und damit einen völlig falschen Terminus
in die Öffentlichkeit bringt.
Das geht auf diese Art und Weise weiter: Nun haben
wir im Fernsehen erlebt, wie die Kanzlerin neben dem
Finanzminister stand und sagte, dass sie die Spareinlagen garantieren. Zunächst würde jeder in diesem Hause
sagen - das will ich auch für meine Fraktion ausdrücklich sagen -, dass er erleichtert wäre, wenn mit diesem
Wort die Dinge geklärt wären. Wer wäre da nicht erleichtert? Dies wäre natürlich vertrauensbildend. Aber
danach ging doch der ganze Zirkus erst los. Ich rede
bewusst von Zirkus; denn zuerst hörte man von 586 Milliarden Euro, dann von über 700 Milliarden Euro, dann
von vielleicht 1 Billion Euro, dann von 1,5 Billionen
Euro und von bis zu 2 Billionen Euro. So schafft man
doch kein Vertrauen. So schürt man nur Unsicherheit unter den Sparerinnen und Sparern, die überhaupt nicht
mehr wissen, was sie von all dem halten sollen.
({8})
Wir Abgeordneten wurden gefragt: Wie soll das denn
gehen? Dazu haben Sie überhaupt kein Wort gesagt. Sie
haben wahrscheinlich selbst keine Vorstellung davon.
Die anderen europäischen Staaten haben Ihnen ja mittlerweile vorgehalten, dass Ihre Vorgehensweise völlig
unproduktiv gewesen sei. Es war Unilateralismus, der in
diesem Falle zu Schäden in anderen Volkswirtschaften
führen wird. Die Kritik, die heute in Europa an Ihrer
Vorgehensweise geübt worden ist, ist mehr als berechtigt.
({9})
Es ist wirklich kein Ausweis von Stärke, dass Sie auf
diesen gravierenden Fehler nicht einmal eingegangen
sind. Stattdessen haben Sie hier so getan, als würden Sie
europäisch abgestimmt handeln. Sie haben damit ande19332
ren Staaten in Europa große Probleme bereitet. So
schafft man kein Vertrauen auf den Finanzmärkten.
({10})
In den Zeitungen steht, dass Notenbanker auf die
Frage, was die Kanzlerin und der Finanzminister gemeint haben, antworten, dass sie nicht wissen, was gemeint ist, und dass Sie es wahrscheinlich selbst nicht
wissen. Daran sieht man, dass man mit einer solchen
Vorgehensweise kein Vertrauen schafft. Ich hätte mir
nicht vorstellen können, dass in einer solchen Situation
so vorgegangen wird. Wenn man eine solche Garantie
abgibt - wie gesagt, die Absicht ist löblich -, dann muss
doch ein Mindestmaß an Vorstellung darüber herrschen,
was damit eigentlich gemeint war.
Sie haben hier den irischen Weg kritisiert. Das ist
nun wirklich eine Frechheit, Frau Bundeskanzlerin.
({11})
Wenn Sie den irischen Weg der einseitigen Garantie für
die eigenen Banken kritisieren, aber gleichzeitig hinsichtlich der Ersparnisse den gleichen Weg gehen, dann
sind Sie völlig unglaubwürdig. Genau das wird Ihnen
auf europäischer Ebene vorgehalten.
({12})
Ebenso fahrlässig wie das fehlerhafte Vorgehen bei
den Spareinlagen, wo bis zum heutigen Tage niemand
hier in der Lage ist, zu sagen, was überhaupt gemeint ist,
ist es, von einem „Plan B“ zu reden, wenn man erstens
kaum Vorstellungen hat, wie dieser aussehen soll, und
zweitens eigentlich Beruhigung in die Märkte bringen
will. Was macht denn jemand, der über die Finanzströme
bei den Banken zu entscheiden hat, wenn er auf der einen Seite hört, die Spareinlagen sollen garantiert werden, aber nicht weiß, wie das zu geschehen hat, und auf
der anderen Seite hört, es gibt einen Plan B in Reserve,
auch wenn das später, wie üblich, wieder revidiert wird?
Dadurch wird doch ein Abwarten in den einzelnen Institutionen bewirkt, was gerade das Gegenteil von dem ist,
was wir eigentlich gebrauchen könnten. Wir brauchen
Sicherheit, Verlässlichkeit und zumindest eine Grundlage für die Planungen der Kreditinstitute. Wenn Sie von
einem Plan B sprechen, dann müssen alle Verantwortlichen in diesen Instituten abwarten, wie dieser wohl aussieht und wie sie damit optimal für ihre Bank entscheiden können. Insofern war das ein Fehler.
({13})
Ich möchte ein Zitat aus den Zeitungen des heutigen
Tages nennen, das einen wirklich umhaut. Der Bundesfinanzminister, der in dieser Regierung verantwortlich
ist, die Krise zu managen, hat ernsthaft gesagt, er hätte
sich vor einer Woche nicht vorstellen können, dass Turbulenzen bei isländischen Banken Auswirkungen bei uns
haben. Wenn Sie das so gesagt haben, dann muss ich
feststellen, dass Sie nicht die blasseste Ahnung von den
Mechanismen auf den internationalen Finanzmärkten
haben. Das ist eine traurige Feststellung, aber ich muss
das hier ganz klar sagen.
({14})
- Herr Kollege Struck, von Ihnen verlangt man so etwas
nicht. Aber von einem Bundesfinanzminister sollte man
erwarten können, dass er die Vernetzung der internationalen Finanzmärkte kennt.
({15})
Wenn Sie bisher so gearbeitet haben, Herr Finanzminister, dann haben Sie sich durch diese Aussage bis auf die
Knochen blamiert. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das
hier in dieser Klarheit vorhalten muss.
({16})
Weil die internationalen Finanzmärkte so verflochten
sind, brauchen wir jetzt eine internationale Zusammenarbeit. Ohne internationale Zusammenarbeit - wie
gesagt, mit Ihrer Vorgehensweise bei den Spareinlagen
haben Sie gegen dieses Prinzip verstoßen - ist in die
Finanzmärkte keine Ordnung zu bringen. Die Kritik auf
der europäischen Ebene ist eindeutig: Die Europäer beklagen, dass die Bundesregierung hier zu wenig kooperiert.
Nun komme ich zu einem Punkt, der in der heutigen
Debatte zu kurz gekommen ist. Die Realwirtschaft
bricht mittlerweile ein. Man hätte erwarten können, dass
irgendetwas dazu gesagt wird, was man tun will, um diesen Einbruch zu verhindern. Dass dazu nichts gesagt
worden ist, lässt wiederum Zweifel aufkommen, ob Sie
das Ausmaß der Krise überhaupt erkennen.
({17})
Angesichts dessen, dass jetzt im gesamten Automobilbereich die Nachfrage einbricht, dort bereits Leute
entlassen werden, Produktionen für Wochen stillgelegt
werden, demnächst die Weiterverarbeiter an der Reihe
sind und auch in anderen Branchen Entlassungen angekündigt werden, sieht man an einer klitzekleinen Entscheidung, dass Sie überhaupt nicht verstanden haben,
worum es geht: Wer in dieser Situation die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senkt, weiß überhaupt nicht,
was auf dieses Land zukommt.
({18})
Sie werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge bald
wieder anheben müssen; das sage ich Ihnen voraus. Das
ist eine völlig unverantwortliche Vorgehensweise.
Insofern ist es bedauerlich, dass in dieser schwierigen
Situation kein Einvernehmen zwischen Frankreich und
Deutschland herrscht. Das, was die französische Politik
seit Wochen fordert, nämlich ein konzertiertes Vorgehen der europäischen Staaten anzustreben, um die
konjunkturelle Krise zu bewältigen, ist bislang von der
deutschen Politik verhindert worden. Diese Vorgehensweise wird auf unsere Konjunktur in erheblichem Umfang zurückschlagen.
Wir sagen hierzu: Wir brauchen jetzt ein Gegensteuern des Staates; das heißt eine andere Fiskalpolitik. Ich
kann also die Aussage nur unterstreichen: Wer in dieser
Situation sagt - Sie haben das wieder getan, Frau Bundeskanzlerin -: „Wir werden den Haushalt weiter konsolidieren und an unseren Haushaltszielen festhalten“, lässt
erhebliche Zweifel aufkommen, ob er verstanden hat,
was in der Welt überhaupt los ist und was auf Deutschland zukommen wird.
({19})
Ein Gegensteuern wäre eine expansive Fiskalpolitik,
eine Lohnpolitik, die nicht wie in der Krise 1929/1930
auf einen Kürzungswettlauf hinausläuft, sondern auf
Produktivität und Preissteigerung orientiert ist und,
wenn es denn geht, vielleicht sogar ein Anheben der
Hartz-IV-Sätze. Das würde sich nämlich direkt stabilisierend auf die Konjunktur auswirken. Wer von den
Hartz-IV-Empfängern versteht denn noch, dass in
Deutschland sofort zig Milliarden für Pleitiers bereitgestellt werden, aber nicht ein paar Hundert Millionen
Euro für Hartz-IV-Empfänger?
({20})
Letzte Bemerkung. Sie haben heute die Managerhaftung angesprochen. Ich möchte ganz leise daran erinnern, dass dies von meiner Fraktion immer wieder vorgebracht worden ist und dass wir für diesen Vorschlag
als sozialistische Neidhammel diffamiert worden sind.
Ich will mich gar nicht darüber lustig machen. Meine
Vermutung ist nur die, dass Sie populistisch von Ihrer eigenen Verantwortung ablenken wollen. Sie sollten sich
den gleichen Kriterien stellen, die Sie den Managern gegenüber aufstellen, um zu deren Entlassung aufzufordern. Angesichts der Fahrlässigkeit, mit der Sie mit
Bürgschaftszusagen usw. umgehen, sollten Sie diese
Kriterien an sich selbst anlegen. Das hieße dann auch,
Ihre eigene Zuständigkeit infrage zu stellen. Sie haben
also kein Risikomanagement betrieben, das Vertrauen
schafft, sondern haben Ängste und Unsicherheiten in der
Bevölkerung geschürt. Das ist leider ein Politikversagen.
({21})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In einem bin ich mir ganz sicher: Das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns als ihren Politikern in dieser
ernsten Lage des Landes ganz sicher nicht erwarten, ist,
dass wir uns in politischer Rechthaberei und im Austragen kleinkarierter parteipolitischer Streitigkeiten ergehen.
({0})
Leider haben wir das hier überwiegend demonstriert.
Die zentralen Begriffe dieser Debatte sind „Vertrauen“ und „Verantwortung“. Ich glaube, dass das
Anforderungen sind, die die Bürger an uns adressieren.
Sie erwarten nicht, dass wir nur Anforderungen an die
Wirtschaft stellen.
({1})
Weil das so ist, möchte ich folgende Fragen stellen,
die zum Thema gehören: Wie können wir die Krisenbewältigung, die stattfindet, den Bürgern gegenüber rechtfertigen? Was findet warum statt? Was sind die Lehren,
die wir, die Politik, aus dieser Krise ziehen? Diese Kapitel liegen in unserer originären politischen Verantwortung, zu der wir uns äußern müssen und an der wir gemessen werden.
Zur Krisenbewältigung. Ich glaube, dass dies das
Gebot der Stunde ist. Es geht nicht um Schuldsuche in
der Vergangenheit, sondern darum, Gefahren abzuwehren. Natürlich müssen wir uns den Bürgern gegenüber
rechtfertigen, wenn sie uns fragen: Wie kommt ihr dazu,
auf einmal in so großen Dimensionen, auch wenn es nur
Sicherheiten sind und kein Bargeld fließt, Institute zu
stützen? Das muss gerechtfertigt werden. Darum möchte
ich unterstreichen: Es geht bei dieser Krisenbewältigung
nicht darum, ein einzelnes Unternehmen zu retten; es
geht nicht um einzelne Banken und Institute. Es geht
überhaupt nicht um private Interessen, sondern um die
Funktionsfähigkeit und Stabilität des Finanzmarktes insgesamt. Es geht um unsere Volkswirtschaft.
Es war kein geringerer als Friedhelm Hengsbach, der
vor kurzem darauf hingewiesen hat, dass die Stabilität
und Funktionstüchtigkeit des Finanzmarktes ein öffentliches Gut sei. Ich möchte es sogar zuspitzen: Hier steht
das Gemeinwohl zur Debatte. Darum ist es die Aufgabe
des Staates, das Gemeinwohl zu gewährleisten; denn der
Schaden für die Bürger wäre dramatisch, wenn wir nicht
handeln würden.
({2})
Darum geht es: nicht um private Interessen, sondern um
Interessen des öffentlichen Gemeinwohls.
Es geht darum, dass durch politische Aktion, durch
staatliches Handeln dieser Koalition und der Politik, das
Vertrauen ersetzt wird, das die Marktakteure zerstört haben. Das ist eine schwierige, ungekannte Herausforderung. Ich möchte für die Koalitionsfraktionen hier ausdrücklich betonen: Die Regierung und die Koalition
haben geschlossen und besonnen gehandelt und zugleich
entschlossen agiert, in ständiger Kooperation und Absprache mit dem Parlament. Ich finde, dass das Parlament nicht so sehr die Aufgabe hat, sich zu bedanken;
ich bedanke mich im Namen der beiden Koalitionsfrak19334
tionen bei der Bundeskanzlerin, beim Bundesfinanzminister, bei der Bundesregierung für die exzellente Arbeit, die schwierigste Arbeit, die bislang geleistet
worden ist.
({3})
Das hat dem Land gutgetan und den Interessen der Bürgerinnen und Bürger gedient.
Das Instrument ist in der Sache dargestellt worden
- wahrscheinlich kann man es nicht oft genug tun -: Es
sind weder 26 Milliarden Euro noch 35 Milliarden Euro
irgendwohin geflossen; vielmehr geht es um eine Bürgschaft, um die Gewährung einer Sicherheit, damit der
Kreislauf wieder fließt. Es ist wichtig, zu sagen, dass es
darum geht. Man kann nicht ausschließen, dass die
Bürgschaft in Anspruch genommen wird. Das ist ein Teil
der Wahrheit; das weiß heute keiner. Darum ist es wichtig, den Bürgern zu sagen: Wenn es dazu kommt, dann
ist gewährleistet, dass das Unternehmen mit einem
Bilanzwert von 400 Milliarden Euro, das von dieser
Bürgschaft profitiert, mit Mann und Maus die Summe
zurückzahlen wird, mit allen Vermögenswerten, über das
es verfügt; bevor der erste Euro Gewinn erzielt wird,
muss jede Schuld und jede Bürgschaft an den Bund zurückgezahlt werden.
({4})
Es wird kein Gewinn auf Kosten der öffentlichen Hand
erzielt.
Ich möchte, so gut wir das jetzt schon können, etwas
zu den Lehren sagen, die wir daraus ziehen müssen. Ich
finde, dass Schnellschüsse nicht das Gebot der Stunde
sind; wir müssen aber darüber diskutieren, welche Lehren wir heute schon daraus ziehen können. Was wissen
wir schon heute? Dazu können wir einiges sagen.
Als Erstes wird reflexartig gesagt - auch ich werde
gleich etwas dazu sagen -, wir brauchten mehr Regulierung. Ja, wir brauchen sie; aber ich nenne das nicht an
erster Stelle. Ich warne gleichzeitig vor der Illusion, dass
wir mit Regulierung jede nächste Krise, die Entstehung
von neuen Krisen und Problemen, verhindern können.
Das können wir nicht; denn wir reagieren immer auf das,
was wir kennen, nicht auf die nächste Krise. Die Grenzen des Gesetzgebers sollten wir beachten.
Nein, ich möchte Ihnen an allererster Stelle meine
persönliche Überzeugung vortragen - ich hoffe, dass sie
von manchen geteilt wird -: Diese Krise zeigt an allererster Stelle, dass kein Regelwerk, schon gar nicht die
Wirtschaft bestehen kann, wenn die einzelnen wirtschaftlichen Akteure glauben, frei von moralischer
Bindung, frei von unternehmerischer Ethik, ohne gesamtgesellschaftliches Verantwortungsgefühl agieren zu
können.
({5})
Dort fängt es an.
Der Staat kann durch Regulierung nie ersetzen, was
von verantwortlichen Wirtschaftsakteuren an moralischer Selbstverpflichtung nicht mehr empfunden wird.
Nach unserer Überzeugung gehört der Vorrang der ethischen Dimension unmittelbar und originär zur Marktwirtschaft, und zwar an allererster Stelle. Nach christdemokratischer und christlich-sozialer Vorstellung ist
Wirtschaft keine moralfreie Zone.
({6})
Die Sozialisten und Populisten werden nicht in der
Lage sein, die Marktwirtschaft zu diskreditieren. Eine
Lehre dieser Krise ist folgende: Wenn es jemand schafft,
den Markt zu diskreditieren, dann sind das die verantwortungslosen Akteure des Marktes selbst. Sie allein
können so etwas bewirken.
({7})
Daher würde ich mich freuen, wenn in Deutschland in
dieser Situation vonseiten der Wirtschaft bald ein Wort
zur ethischen Gebundenheit wirtschaftlicher unternehmerischer Tätigkeit zu hören wäre. Die Uhr läuft auch
dort. Ich glaube, dass an dieser Stelle ein solches Wort
fällig ist.
({8})
Eine weitere Lehre ist, dass diese Krise etwas über die
Systemfrage aussagt. Der Sozialismus ist passé; das haben wir in Deutschland und auch darüber hinaus erfahren. Diese Variante stellt sich nicht mehr.
({9})
Die Krise zeigt: Liberale Marktgläubigkeit ist ebenfalls
passé.
({10})
Die Krise zeigt, dass die soziale Marktwirtschaft, die zu
den elementaren geistigen Grundlagen der CDU/CSU
gehört, aktueller ist als je zuvor in diesem Land.
({11})
Soziale Marktwirtschaft bedeutet Markt. Die Lehre
aus dieser Krise ist nicht, den Markt abzuschaffen. Das
ist eine geradezu dumme These, die, außer in Ihren Ideologiebüchern, nirgendwo mehr vertreten wird.
Die Lehre ist, den Markt zu ordnen. Wir sind nicht
nur für den Markt, weil die Erfahrung zeigt, dass er effizienter ist und besser funktioniert; das trifft zwar zu, ist
aber nicht alles. Wir sind für den Markt als Werteordnung. Wir sind für die soziale Marktwirtschaft, weil sie
dem Freiheitsrecht und der Verantwortungspflicht des
Einzelnen als Werteordnung am besten gerecht wird.
Aus dieser Erkenntnis in Bezug auf die Systemfrage
ergibt sich unmittelbar eine politische Konsequenz als
das Gebot dieser Stunde: Diese Vorstellung von sozialer
Ordnung der Marktwirtschaft muss international durchgesetzt werden. Das ist kein neuer Imperialismus. Die
Welt hat jetzt die Chance, das System und den gerechten
Ausgleich, von dem unser Land und unsere Menschen
profitiert haben, weltweit durchzusetzen. Das ist die
Aufgabe der Stunde.
({12})
Darüber sollten wir uns freuen. Es ist so etwas wie die
Rückkehr der Politik in die Gestaltung der Globalisierung. Das ist eine große Aufgabe.
({13})
Es ist außerdem eine aktuelle Legitimation Europas.
Deutschland wird es nicht alleine schaffen. Europa aber
kann es schaffen. Wenn man sich anschaut, was wir vielleicht versäumt haben, komme ich zu dem Schluss: Wir
haben die originär europäische Kulturvorstellung nicht
heftig genug vertreten.
({14})
Die Bundeskanzlerin hat es in Heiligendamm getan und
versucht, sie durchzusetzen. Die europäische Stimme
hätte in der Vergangenheit stärker werden können. In
Zukunft muss sie stärker werden - für eine gerechte Ordnung der Weltwirtschaft.
({15})
Das müssen wir leisten, und zwar mit allem, was dazugehört: Transparenz, Eigenkapital, Rating und Risikomanagement. All das gehört dazu. Das ist die Ordnung
von Wirtschaft, die wir brauchen.
Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema unternehmerisches Risiko und staatliche Regulierung machen. Auch hier gilt, dass wir in Bezug auf die Konsequenzen das Maß bewahren sollten.
({16})
Ich bin der festen Überzeugung, dass Risikobereitschaft
zum Unternehmertum dazugehört. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, eine Ex-post-Kontrolle über unternehmerische Risikoentscheidungen allgemein durchzuführen; das ist meine feste Überzeugung.
Ich bin aber auch der Meinung, dass wir es hier nicht
nur mit unternehmerischen Entscheidungen privaten
Charakters zu tun haben. Friedhelm Hengsbach hat gesagt - er hat es als Warnung an die Finanzakteure und
-experten verstanden -: Die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes sind öffentliches Gut. Durch das verantwortungslose Verhalten bestimmter Akteure in Amerika und Europa ist öffentlicher Schaden
entstanden. In den Fällen, in denen es nicht um den
Schaden einer Gesellschaft geht, sondern in denen unserer Gesellschaft und unserem Staat Schaden zugefügt
wird, haben wir ein unzulängliches Haftungsregime.
Bislang stellen wir nämlich nur auf die gesellschaftsrechtliche Haftung ab. Hier braucht es öffentlich-rechtliche Schadenersatzansprüche. Wenn öffentliche Güter
fundamentaler Art gefährdet oder beschädigt werden,
was wir jetzt erleben - es kann zum Kollaps kommen -,
dann sind auch strafrechtliche Sanktionen an der Tagesordnung. Die braucht es auch.
({17})
Wir brauchen eine Verbesserung der unternehmensinternen Aufsicht. Die Bundeskanzlerin hat die Staatsaufsicht zu Recht angesprochen. Das Thema Aufsichtsräte
bzw. unternehmensinterne Kontrolle gehört aber auch
auf die Tagesordnung der Politik. Hier gibt es Handlungsbedarf.
Ich will das Gesagte in einem Appell zusammenfassen, der die allermeisten hier verbinden sollte: Wir machen zurzeit bittere Erfahrungen. Das Ende und die Dimension der Erfahrungen und des Schadens sind noch
nicht absehbar. Wir müssen das bewältigen, die Gefahren in den Griff kriegen, bannen und meiden. Nutzen wir
als gewählte Politiker dieses Landes diese Krise aber
auch dazu, eine Kultur des Maßes und eine soziale Ordnung der Wirtschaft durchzusetzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion jedenfalls wird an diesem Werk mitarbeiten und ist entschlossen, hieraus die Lehren zu
ziehen.
({18})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Gregor Gysi.
Herr Röttgen, Sie haben auf Bücher von uns hingewiesen, obwohl Sie, wie ich glaube, noch kein einziges
Buch von uns gelesen haben. Sie haben sich zum wiederholten Male über unser Verhältnis zum Markt geäußert, und zwar völlig falsch. Wir nehmen wie Sie die Geschichte zur Kenntnis.
({0})
- Lassen Sie mich zu Ende sprechen. Ich habe Ihnen
auch zugehört. - Wir wissen sehr wohl, aus welchen
politischen und ökonomischen Gründen der sogenannte
Staatssozialismus gescheitert ist.
Deshalb sage ich Ihnen: Die Marktwirtschaft hat ihren Platz, und zwar dort, wo sie durch ihre Instrumente
dafür sorgt, dass die Qualität steigt und die Kosten sinken. Das haben wir sehr wohl begriffen. Die Auseinandersetzung bezieht sich auf ganz andere Felder. Wo wir
Monopole haben, gibt es keine Marktwirtschaft. Wenn
man diese Unternehmen privatisiert, wird nur abgezockt.
Das ist die eine These, die wir aufstellen.
({1})
Die zweite These bezieht sich auf ein ganz kompliziertes Feld. Ich sage Ihnen: Ich möchte nicht, dass an
Rüstung so viel verdient wird; denn solange an Rüstung
so viel verdient werden kann, hören Kriege nicht auf.
Das ist eine große Sorge von mir. Die darf ich doch wohl
noch artikulieren!
Das Dritte betrifft die öffentliche Daseinsvorsorge,
Herr Röttgen. Sie sind dafür, Krankenhäuser, Schulen
und alles mögliche andere zu privatisieren. Ich sage Ihnen: Ich möchte nicht, dass sich eine Schülerin oder ein
Kranker rechnen muss. Das sind die Differenzen, um die
es geht.
Lassen Sie mich als Letztes eines sagen, weil Sie ein
Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft gehalten haben:
Die neoliberalen Parteien im Bundestag haben in den
letzten Jahren die soziale Marktwirtschaft immer stärker
beeinträchtigt. Das waren Union, SPD, FDP und Grüne.
Das ist die Wahrheit.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat die soziale Marktwirtschaft als das beste Wirtschaftssystem bezeichnet,
und Herr Röttgen hat in die gleiche Richtung geredet.
Damit nichts durcheinandergeht, möchte ich eines klar
feststellen, Frau Merkel: Was wir gegenwärtig auf den
europäischen und internationalen Finanzmärkten erleben, hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts, aber auch
gar nichts zu tun.
({0})
Das ist doch der entscheidende Punkt.
Die Bürgerinnen und Bürger im Land stellen fest,
dass Schulen nicht saniert werden, dass Kindergartenplätze fehlen, dass im Bereich des Sozialen vieles im
Argen liegt. Wenn sie jetzt feststellen, dass man mit Milliarden private Banken sanieren muss, dann fragen sie
zu Recht: Wo ist denn der soziale Wirtschaftsstil, den
Walter Eucken und Alfred Müller-Armack damals beschrieben haben? Deswegen kommen wir um eine Diskussion darüber, dass es massive soziale Defizite in
unserer Marktwirtschaft gibt, die auch durch die Finanzmärkte ausgelöst wurden, meines Erachtens nicht herum.
({1})
Dies - dazu möchte ich Klares von der Bundesregierung
hören - kann mit einem Wirtschaftsstil, der sich sozial
nennt, kurzfristig, mittelfristig und langfristig nicht
funktionieren, wenn es so ist, dass die Gewinne privat
bleiben und auch in der Zukunft privat bleiben sollen,
aber Risiken und Verluste sozialisiert und der Allgemeinheit aufgedrückt werden. Das akzeptieren und verstehen die Bürgerinnen und Bürger meines Erachtens zu
Recht nicht. Sie wollen von uns eine Antwort auf die
Frage, wie das in Zukunft jenseits des Managements der
aktuellen Krise anders werden kann.
({2})
Die Marktwirtschaft, Herr Röttgen, kann im Sinne sozialer Ziele nie funktionieren, wenn es keine Transparenz gibt. Beim Finanzmarkt gab es keine Transparenz.
Sie kann auch nicht funktionieren, wenn die Verursacher
von falschem wirtschaftlichen Handeln nicht dafür haften. Das ist doch das eigentliche moralische Problem,
das wir jetzt haben: Wenn wir nicht aufpassen, wird man
in Zukunft sagen, man müsse nur den Mist groß genug
anrichten, dann wird der Staat schon garantieren und
nicht anders können. Wir sind der Meinung, dass der
Staat eingreifen muss, wenn die systemischen Risiken
einer Bankenpleite so groß wären, dass die Allgemeinheit großen Schaden nimmt. Wir sagen deshalb im Unterschied zur Linkspartei, die übrigens nichts Praktisches
dazu gesagt hat, was man bezüglich der HRE tun soll:
({3})
Wir sind der Meinung, Herr Finanzminister, dass das
erste Rettungspaket und auch das zweite an einer entscheidenden Stelle ein schweres Strukturdefizit hatten:
Durch Bürgschaft wurde staatliches Geld in Aussicht
gestellt, aber es wurde nicht dafür gesorgt, dass der Staat
dann auch mitzureden hat, was bei der HRE in Zukunft
geschieht.
({4})
Deswegen glauben wir, dass eine intelligente Form
von Teilverstaatlichung der bessere Weg gewesen wäre.
Denn dann wäre klar gewesen, dass der Staat von zukünftigen Profiten etwas bekommt, und vor allem wäre
dann die Abwicklung - oder wie auch immer Sie es nennen wollen - in staatlicher Hand gewesen. Das wäre in
diesem Fall vernünftig gewesen. Es ist doch ein Stück
aus dem Tollhaus, dass Sie, Herr Bundesfinanzminister,
mit Geld gewunken haben und es in Form einer Bürgschaft auf den Tisch gelegt haben, aber über die Ziele
der Sanierung zwischen Ihnen und der HRE und deren
Management kein Einverständnis erzielt worden ist. Sie
haben Abwicklung gesagt, und die haben Sanierung verstanden. Ich frage mich: Wie ist da verhandelt worden,
wenn im Zusammenhang mit dem Rettungspaket nicht
das Ziel, um das es ging, auf den Tisch gelegt worden
ist?
({5})
Also sage ich noch einmal: Wenn sich die Botschaft
von der Rettungsaktion verbreitet, dass Sie mit Geld aushelfen, aber faktisch keinen Einfluss ausüben wollen,
wie es die Holländer, die Belgier, die Engländer und die
Amerikaner gemacht haben, dann entsteht in der Zukunft ein großer Schaden.
({6})
Nächster Punkt. Die Bankenaufsicht in Deutschland
hat versagt. Deswegen müssen wir sie ändern. Wir
schauen doch seit letztem Sommer zu, wie sich die Krise
in den USA entwickelt, aber wir schauen nicht genau
nach, welche Institute es in Deutschland gibt und wie die
systemischen Risiken aussehen. Deswegen kann man
nicht einfach sagen, dass die Bankenaufsicht viel gearbeitet habe. Vielmehr hat sie an entscheidender Stelle
versagt.
({7})
Deswegen muss sie vom Kopf auf die Füße gestellt und
gründlich reformiert werden.
({8})
Frau Merkel, Sie haben mit dem Finanzminister eine
Garantie für die privaten Sparvermögen in Deutschland ausgesprochen. Sie werden gewusst haben, warum
Sie das tun. So etwas macht man ja nicht ohne Not, sondern weil es Schwierigkeiten gibt. Wir verstehen und akzeptieren, dass so eine Garantie ausgesprochen wird.
Denn die Verunsicherung im Land war offensichtlich
sehr groß. Aber eines können wir als parlamentarische
Fraktion im Deutschen Bundestag nicht akzeptieren,
nämlich dass Sie nicht sagen, wie Sie diese Garantie
operationalisieren wollen. Sie sprechen eine Garantie
aus, die im schlimmsten Fall ein Volumen von bis zu
1 000 Milliarden Euro hat, aber Sie gehen nicht einmal
her - ich verstehe ja noch, dass Sie kein Gesetz machen
wollen - und bringen dies in einer Form in den Deutschen Bundestag ein, in der der Deutsche Bundestag
über Ihre Garantie entscheiden und ein Backing dafür
geben könnte.
({9})
Es ist klar, warum Sie dies nicht tun. Es ist leichter, zu
sagen, dass Sie als Bundeskanzlerin etwas für einen Fall
garantieren wollen, von dem Sie hoffen, dass er nicht
eintritt, als diese Garantie zu operationalisieren und in
diesem Hause zu sagen, wie es gehen soll.
Mich hat heute früh in der S-Bahn eine Frau auf das
Thema angesprochen. Es ist übrigens immer gut, S-Bahn
zu fahren; in solchen Zeiten ist es besonders gut. Sie hat
mir folgende Frage gestellt, die ich sehr intelligent fand:
Wie kann eine Bundesregierung, die es bei hohen Steuereinnahmen nicht schafft, einen Haushalt zu konsolidieren, über 1 000 Milliarden Euro garantieren? - Das ist
natürlich eine Frage, der Sie sich hier stellen müssen. Ich
habe pflichtgemäß gesagt, das habe nicht direkt etwas
miteinander zu tun. Aber es ist doch wichtig, zu verstehen, dass die Leute sich solche Fragen stellen, und daher
ist es erforderlich, dass Sie sich in diesem Hohen Hause
das Commitment für die Garantie abholten, die Sie geben; denn wenn es schiefgeht, müssen ja wir Abgeordneten über die Mittel im Haushalt entscheiden, über die Sie
gerade Garantien abgegeben haben.
({10})
Deswegen kommen Sie daraus nicht so schlank heraus,
wie Sie es offensichtlich vorhatten.
Ich komme zum Schluss und knüpfe an Herrn
Röttgen an: Diese wirklich elementare Finanzkrise
- manchmal, wenn man die Augen schließt und nachdenkt, merkt man erst, was da jetzt alles wirtschaftlich
und hinsichtlich der Investitionen auf die schiefe Ebene
kommen kann - ist nicht automatisch eine Chance der
Erneuerung der Politik in Deutschland. Dafür gab es mir
schon wieder zu viel Hin- und Hergeschiebe;
Westerwelle sprach von Politikversagen, andere sprachen von Marktversagen. In der Marktwirtschaft versagen immer beide, zuerst die Märkte wegen ihrer Gier
und Renditeerwartungen von 25 Prozent, aber immer
auch der Staat, weil er die Regeln, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen nicht richtig gesetzt hat.
({11})
Wir von den Grünen setzen darauf, dass eine Renaissance der Politik, also eine Erneuerung der Politik
über das wirtschaftliche Diktat hinaus, möglich ist. Aber
dazu muss jetzt, wenn das Krisenmanagement erfolgreich abgeschlossen werden kann, schnell ein neues
Regelsystem her, das wirklich klare Regulierungen auch
für die Finanzmärkte vorsieht. Dafür werden wir jedenfalls eintreten.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz für
die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin der Auffassung, dass diese Krise, die
sich seit über einem Jahr immer mehr zuspitzt - das ist
von den meisten Vorrednern ebenfalls vorgetragen worden -, eine sehr grundsätzliche politische Dimension hat,
weil das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft
neu austariert wird.
Das ist ein Lernprozess, der nicht ganz einfach ist,
erstens nicht für uns, die Akteure, die verschiedenen politischen Parteien, im Verhältnis zur Wirtschaft, aber
zweitens und erst recht nicht in der internationalen Dimension, weil eine rein nationalwirtschaftliche Betrachtung entschieden zu kurz greift und wir nur im europäischen Rahmen oder sogar im Weltverbund bestimmte
Dinge auf die Schiene bringen können, um das Verhältnis neu auszutarieren, um Regeln zu finden, unter denen
sich Markt dann entfaltet.
Ich bin sehr froh darüber, dass unser Finanzminister,
seitdem die IKB-Krise losgetreten worden ist, seit
Herbst letzten Jahres sofort in die Spur gekommen ist
und jede Gelegenheit auf internationaler Ebene genutzt
hat - insofern trifft auch nicht zu, was Herr Westerwelle
oder erst recht Herr Lafontaine vorgetragen haben -, um
neben dem Aspekt des Ratings folgende Fragen anzusprechen: Was gehört in die Bilanz eines Unternehmens
und erst recht einer Bank hinein? Wie kann man internationale Sicherungssysteme schaffen?
Damit wurde ein Prozess initiiert, der anfangs nur
sehr schwerfällig in die Gänge kam und erst dadurch an
Tempo zunahm, weil auch die Krise sich weiter zuspitzte,
({0})
Reinhard Schultz ({1})
denn es gab natürlich wenig Begeisterung in den USA,
wenig Begeisterung in Großbritannien oder überall da,
wo man besonders intensiv an die Freiheit des Finanzmarktes glaubte, weil man daran auch besonders viel
verdiente. Dieser Lernprozess hat sich erst durch die dramatische Zuspitzung beschleunigt, sodass ein internationaler Dialog über das Verhältnis von politischen Regeln
und internationalem Markt überhaupt erst sinnvoll geführt werden kann. Diesen Zeitpunkt haben wir jetzt
Gott sei Dank erreicht. Daran hat die Bundesregierung,
daran haben der Finanzminister und die Bundeskanzlerin
einen erheblichen Anteil. Das muss man zunächst einmal würdigen.
({2})
Der zweite Punkt bezieht sich auf folgende Fragen:
Was heißt Krisenmanagement? Was heißt Krise? Im
Hinblick auf die deutsche Szene gibt es doch sehr unterschiedliche Elemente zu beobachten. Wir haben die
IKB, wo mit krimineller Energie ökonomische Fakten
über den Zustand der Bank verschleiert, über Jahre aus
dem Bilanzkreislauf herausgenommen und vor den Wirtschaftsprüfern verheimlicht und sogar vor dem eigenen
Aufsichtsrat im Dunkeln gehalten worden sind, was erst
im Nachhinein sehr mühselig, sozusagen mit bergbaulichen Methoden, ans Tageslicht gebracht werden musste.
Ein anderes Beispiel ist die Hypo Real Estate, bei
der es zu einer Liquiditätskrise kam. Hier hat man beherzt gehandelt. Dann musste man allerdings feststellen,
dass ein Bankvorstand zu dem Zeitpunkt, als er mit Regierung und Finanzaufsicht verhandelt hat, nicht in der
Lage war, die Dimension dieser Liquiditätskrise auch
nur halbwegs genau zu benennen. Er hat schlicht und
einfach vergessen, Commercial Papers in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro zu berücksichtigen, die
man nach Irland vergeben hatte; in diesem Zusammenhang ist immer wieder von Irland die Rede. Diese Nachricht ereilte ihn erst, nachdem sich die Bundesbank die
Unterlagen genauer angesehen hat. Das ist Versagen des
Managements.
({3})
Hier stellt sich natürlich die Frage: Wo ist in einer solchen Situation die Aufsicht? Ich sage es einmal so: Die
Aufsicht kann nur das prüfen, was sie prüfen darf. Wenn
es zulässig ist, wesentliche ökonomische Tatbestände eines Unternehmens in Länder oder Zweckgesellschaften,
die außerhalb der Bilanz geführt werden und in denen
man nicht einmal prüfen darf, zu verlagern, dann kann
die deutsche Bankenaufsicht, egal wie sie aufgestellt ist,
nichts unternehmen. In einem solchen Fall wird sie genauso hinter die Fichte geführt wie manch ein Aufsichtsrat oder Wirtschaftsprüfer. Diese Regeln müssen wir ändern.
({4})
Der wichtigste Punkt ist: Wir müssen dafür sorgen, dass
sich künftig alle Risiken und alle ökonomischen Aktivitäten einer Bank in der Bilanz niederschlagen.
Der zweite wichtige Punkt ist: Alle wichtigen Aktivitäten einer Bank müssen mit einem Mindesteigenkapitalanteil unterlegt sein. Es kann nicht sein, dass Luftnummern in der Größenordnung mehrerer Milliarden
Euro hin- und hergeschoben werden, ohne dass sich dieses Risiko im Hinblick auf die Eigenkapitalausstattung
des Bankhauses in irgendeiner Form niederschlägt.
({5})
Das zerstört jedes Risikobewusstsein des verantwortlichen Vorstands, weil das sozusagen ein Risiko zum
Nulltarif ist. Das ist nicht der Sinn von Basel II und nicht
der Sinn von Risikomanagement, wie wir es uns vorstellen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir uns generell
Gedanken darüber machen müssen, inwieweit bestimmte Geschäfte, die durch Schulden finanziert werden, überhaupt noch möglich sein sollen; auch darüber
muss geredet werden. Denn sie haben eine Schuldenkaskade zur Folge, die irgendwann auch den Staat einholt.
In den USA ist das im Großformat zu beobachten, im
Kleinformat inzwischen aber leider auch bei uns.
Der vierte wichtige Punkt betrifft die Krisenprävention. Wir müssen uns darauf einigen, dass es in Zukunft
verboten sein soll, spekulative Geschäfte bzw. Wettgeschäfte auf die Entwicklung der Kurse von Wertpapieren
abzuschließen, möglicherweise sogar mit der Absicht,
diese durch die Begleitmusik, die man macht, in Grund
und Boden zu stampfen, um sich hinterher darüber zu
wundern, dass möglicherweise ein ganzer Wirtschaftszweig zusammengebrochen ist. Leerverkäufe - diese
Anregung hat auch Peer Steinbrück in einer der letzten
Debatten gemacht - müssen grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden. Ich bin der Meinung, sie gehören
verboten,
({6})
weil sie ein unökonomisches Mittel sind, das in die
Sphäre des Kasinos gehört, nicht aber in die Sphäre von
Banken und Finanzdienstleistern.
({7})
Ich glaube, dass wir in unserer Diskussion bereits
über das Stadium des reinen Krisenmanagements hinaus
sind - natürlich wird uns das Krisenmanagement auch in
den nächsten Tagen und Wochen noch beschäftigen und dass wir uns schon in einer breiten Diskussion über
die Perspektiven befinden, wie der Regelungsrahmen
für den Finanzmarkt und die Banken in Zukunft aussehen soll. Über diese Perspektiven müssen wir uns
nicht erst noch Gedanken machen, sondern große Bausteine sind bereits jetzt erkennbar, sowohl im nationalen
Rahmen als auch im internationalen Dialog; darüber bin
ich sehr froh. Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr
viele unserer Vorschläge werden durchsetzen können,
wenn wir uns gemeinsam anstrengen.
Ein Beispiel sind die Ratings. Ich erinnere mich daran, welche Erfahrungen einige von uns machten, als sie
in den USA waren und verschiedene Finanzakteure fragten: Was ist eigentlich an der Immobilienblase dran? Uns
wurde gesagt: Erst einmal nichts. - Allerdings bahnte sie
Reinhard Schultz ({8})
sich schon an, und die Fachwelt sprach darüber. Außerdem fragten wir: Seht ihr keinen Bedarf, die Ratingagenturen zu regulieren? Auf diese Frage antwortete
uns ein ziemlich alter Senator - im Vergleich zu ihm ist
Otto Schily ein sehr junger Politiker -: Die Ratingagenturen sind doch diejenigen, die nach der Schlacht die
Verwundeten erschießen.
({9})
So viel zum Problembewusstsein, das die führenden
Ökonomen der USA an den Tag legten. Daran hat sich
inzwischen Gott sei Dank etwas geändert.
Ich finde, es ist verantwortungslos, wenn sich Ratingagenturen Kenntnisse anmaßen bzw. vorgaukeln, über
Kenntnisse zu verfügen, die sie gar nicht haben können,
zum Beispiel über neue strukturierte Finanzprodukte.
Kein Mensch weiß, wie sie sich entwickeln und was darin enthalten ist. Dafür fehlen statistische und empirische
Reihen, die das Wesen des Ratings überhaupt ausmachen. Das sind aus der Hüfte geschossene Prognosen, die
eigentlich nur den Zweck erfüllen, den Besteller der Prognose zufriedenzustellen und das Honorar zu kassieren.
Ich finde, das kann nicht als Ersatz für eine funktionierende und eigenverantwortliche Risikovorsorge in den
Banken und bei den Finanzdienstleistern gelten.
({10})
Ich glaube schon, dass wir darüber reden müssen,
welche Möglichkeiten wir der Bankenaufsicht künftig
geben. Wir müssen sie ihr aber auch geben. Sie kann
sich nämlich nur in dem Rechtsrahmen bewegen, den sie
vorfindet. Ich bin Freund einer prozessbegleitenden
Finanzaufsicht, wenn es sich um Häuser handelt, die
eine Bedeutung für das gesamte System haben. Das ist
aber eine völlig andere Aufstellung, nämlich ungefähr so
wie die Großbetriebsprüfung, die sich in dem Großbetrieb regelrecht einnistet und ständig vor Ort ist. So etwas müssen wir erreichen. Ich glaube, ansonsten wird
immer wieder eine Situation auftreten, in der wir beklagen müssen, dass die Bankenaufsicht etwas nicht mitbekommen hat, weil sie es gar nicht mitbekommen konnte.
Herr Westerwelle, ich denke, hier müssen wir alle ein
bisschen ehrlicher sein, und wir dürfen nicht so tun, als
ob die armen Beamten, die die Gesetze zu vollziehen haben, die Verantwortlichen sind. Wir sind die Verantwortlichen; denn den Rahmen für die Finanzaufsicht setzen
wir.
({11})
Dieser war bislang zureichend und ist es aus heutiger
Sicht nicht mehr. Das hat aber überhaupt nichts damit zu
tun, ob das die Bundesbank oder die BaFin ist. Das ist
völlig egal. Es geht darum, wie tief die Bankenaufsicht
in den operativen Prozess überraschend eingreifen darf.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es gut,
dass der Finanzminister und die Bundeskanzlerin gemeinsam die politische Erklärung abgegeben haben,
dass die Spareinlagen sicher sind, egal was passiert.
Das ist ein sehr wichtiges Signal. Dass das im weiteren
Prozess - zum Beispiel hinsichtlich der Einlagensicherung der drei Säulen - gesetzgeberisch weiter unterlegt
werden muss, ist doch gar keine Frage. Darüber werden
wir auch reden. Entscheidend ist aber doch das Signal
dieser Koalition, dass die Spareinlagen sicher sind, egal
was passiert und welche Überraschungen noch auf uns
zukommen.
({13})
Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen,
damit das Versprechen auch eingehalten werden kann.
Mehr kann man im Augenblick von der Bundesregierung kaum erwarten. Wir alle sind aufgefordert, daran
mitzuwirken, dass erstens das Einhalten des Versprechens nicht notwendig wird und dass zweitens die erforderlichen gesetzgeberischen Voraussetzungen geschaffen werden, wenn es doch eingehalten werden muss.
Vielen Dank.
({14})
Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben heute einen denkwürdigen Auftritt vom Kollegen Westerwelle erlebt, der hier den Kampf für die
Bankenaufsicht und gegen das Spekulantentum ausgetragen hat.
({0})
Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob sich jemand als
Robin Hood eignet, der seit Jahrzehnten der Sheriff von
Nottingham der deutschen Politik ist.
({1})
Er muss sich natürlich auch die Frage stellen lassen, warum er, wenn er es mit dem Untersuchen und dem Verändern der Bankenaufsicht so ernst meint, hinsichtlich des
Untersuchungsausschusses, bei dem es um die KfW,
die IKB und auch die jetzigen Vorgänge geht, eigentlich
so zögert. Ich finde, wer hier gackert, der muss das Ei
auch legen, Herr Westerwelle.
({2})
Um was geht es heute in dieser Debatte? Wir haben
im Kern die Frage zu beantworten, mit welchem Ziel
Politik ihr Krisenmanagement hinsichtlich dieser
schwierigen Finanzkrise verfolgt. Ich finde, wir müssen
hier sehr genau aufpassen, damit wir nicht die falschen
Signale im Hinblick auf die Frage setzen, um wen es eigentlich geht, wen die Politik also retten bzw. stützen
will.
Ich denke, das Signal muss sein, dass es die Aufgabe
der Bundesregierung ist, zu sichern, dass die Menschen
nicht zum Opfer dieser Finanzkrise werden, und dass es
nicht ihre Aufgabe ist, zu sichern, dass die Banken, die
diese Krise zum Teil als Täter herbeigeführt haben,
schuldfrei aus dieser herauskommen. Am Ende muss es
also darum gehen, wie man die kleinen Leute und die
funktionierenden Institutionen, die man für das tägliche
Leben und Wirtschaften braucht, schützen kann.
({3})
Aber es geht nicht darum, wie man es erreicht, dass
die Banker aus ihrer Verantwortung entlassen werden
und dass schlechte Banken trotzdem am Markt bleiben.
({4})
Frau Kanzlerin, da haben Sie vom Leipziger Parteitag
bis hierher einen langen Weg hinter sich.
({5})
Ich möchte nicht wissen, was auf Ihrem Parteitag damals
mit Rednern passiert wäre, die Ihre heutigen Thesen vorgestellt hätten.
({6})
Aber schenken wir uns das. Ich glaube, dass viel Wahres
daran ist und dass Sie im Kern ähnlich argumentieren
wie wir.
Man muss aber genau hingucken, wie Ihr Krisenmanagement genau aussieht. Sie haben heute festgestellt, es könne nicht sein, dass die Hypo Real Estate
vom Staat mit einer Bürgschaft gerettet wird, ohne dass
der Staat etwas davon hat. Die Wahrheit ist: Was eine
Gebühr für die Bürgschaft angeht, ist nichts verhandelt
oder fixiert. Es gibt nichts außer der lauen Aussage, man
wolle noch einmal darüber reden. Das verbirgt sich hinter der Fassade Ihrer Ankündigung.
({7})
Sie haben gesagt, Sie verlangen mehr Verantwortung und Haftung von Managern und Bankern, die in
der Krise versagt haben. Auch da zeigt der Abgleich:
Hypo-Real-Estate-Chef Funke, der - nachdem er uns tagelang ein paar Milliardenlöcher nicht richtig erklären
konnte - heute nach wochenlangem Hin und Her endlich
zurückgetreten ist, geht mit einer saftigen Rente in Höhe
von 70 Prozent seines Gehaltes ab sofort.
({8})
Das ist nicht das, was ich unter Verantwortung verstehe.
({9})
Ich erwarte von der Bundesregierung, die eine solche
Bank rettet - ob sie abgewickelt wird, wissen wir bis
heute nicht -, dass der Staat Einfluss nimmt, wenn er
handelt, und solche Ungerechtigkeiten, die draußen kein
Mensch versteht, abstellt. Auch das ist ein Versagen innerhalb des Krisenmanagements.
({10})
Denn Sie haben versäumt, auf die Frage Einfluss zu nehmen, wer wie und zu welchen Konditionen operiert, und
zwar mit einer dicken staatlichen Bürgschaft im Hintergrund, von der wir alle hoffen, dass sie niemand braucht.
Aber sie wird vom Staat gewährt, und daher kann es kein
Mensch verstehen, dass Herr Funke mit der Staatsknete
als Bürgschaft im Hintergrund jetzt mit goldenen Löffeln
in den Ruhestand geht.
Ich finde, dass die Debatte über die Verantwortung
der Banken, die wir führen, Folgen haben muss. Wir
müssen analysieren, was konkret passiert ist. Es kann
nicht sein, dass Herr Ackermann und andere einerseits
die Rettung der HRE fordern, aber andererseits bis zum
Schluss in Kauf nehmen, dass die Rettung scheitert, weil
sie beim Anteil der Banken um jede einzelne Million
feilschen und selbst bei der Rettung bis zum Schluss die
Zockermentalität nicht ablegen.
({11})
Ich glaube insofern, Sie müssen gut aufpassen, dass
Sie in der Frage, wie Sie in der Rettung verfahren, keine
Widersprüche zu dem herstellen, was Sie hier zu Recht
formuliert haben. Sie werden auch aufpassen müssen,
dass Sie mit dem, was Sie vorhaben, nicht langfristig angelegte notwendige Strukturmaßnahmen hintertreiben.
Wir alle wissen, dass Krisenmanagement notwendig ist.
Aber wenn die Krise vorbei ist, müssen auch die notwendigen Strukturänderungen erfolgen. Wir werden Sie
sehr genau daran messen, was gilt, Frau Merkel: der
Bundestag in Berlin oder der Parteitag in Leipzig.
({12})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Steffen Kampeter.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Debatte macht deutlich, dass neben der
Finanzkrise die Einordnung der Veränderungen und Herausforderungen in die gesellschaftspolitische Debatte
sehr wichtig ist. Wir haben als Christliche Demokraten
und Christlich-Soziale Union immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet waren. Die ersten Grundlagenentscheidungen sind von Adenauer und Erhard in den
50er-Jahren getroffen worden. Die zentrale Bewährungsprobe nach der Grundsatzentscheidung war die deutsche
Wiedervereinigung, als wir zwei unterschiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme auf der Basis der
sozialen Marktwirtschaft vereinigt haben.
Jetzt wird sich die soziale Marktwirtschaft angesichts
der wohl schwerwiegendsten finanzwirtschaftlichen Verwerfungen im 21. Jahrhundert mit einer ähnlichen Qualität, wie ich glaube, erneut bewähren müssen. Es ist jetzt
unsere staatspolitische Aufgabe, diese Herausforderungen
anzunehmen und unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gegenüber diesen schlimmen Herausforderungen zu
verteidigen, fortzuentwickeln und die richtigen Antworten auf die Fragen der Menschen zu formulieren.
({0})
Ich möchte an dieser Stelle als Leitbild ein Motiv von
Wilhelm Röpke, einem großen Theoretiker der sozialen
Marktwirtschaft, aufgreifen, das er zum Titel eines Buches gemacht hat: Maß und Mitte. Wir stehen als Christliche Demokraten und als Christlich-Soziale Union auch
im 21. Jahrhundert für Maß und Mitte ein. Vieles, was
wir heute kritisch beurteilen, hat nichts, aber auch gar
nichts mit unserem Leitbild von Maß und Mitte zu tun.
Deshalb müssen wir es auch nicht verteidigen. Renditeziele in Höhe von 25 Prozent, Gier, hemmungsloses Abzocken und verantwortungsloses Handeln in der Finanzwirtschaft, all dies sind Exzesse, die mit unserem
Verständnis von einer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nichts zu tun haben.
({1})
Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir verteidigen nichts, was unanständig ist. Nicht alles können wir
mit unmittelbarem staatlichen Handeln verändern. Es hat
aber nichts mit Maß und Mitte zu tun, wenn heutzutage
Erträge in den angelsächsischen Ländern ohne Risiko
und Verantwortung erwirtschaftet werden. Es hat nichts
mit Maß und Mitte zu tun, wenn sich die Entlohnung
nicht nach dem langfristigen, sondern nach dem kurzfristigen Erfolg bemisst. Und es hat auch nichts mit Maß
und Mitte zu tun, wenn viele in den Unternehmen bei
Schwierigkeiten in finanziell gut ausgestattete Pensionsfonds flüchten und nicht bereit sind, Verantwortung für
das zu übernehmen, was sie angerichtet sowie den Menschen in unserem Land und darüber hinaus zugemutet
haben.
({2})
Ich will deutlich machen, dass Maß und Mitte für unsere staatliche Reaktion ein wichtiger Maßstab sind.
Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es
diese Bundesregierung war, die bereits in Heiligendamm auf die Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft
für die internationale Ebene hingewiesen und bestimmte
Herausforderungen gegenüber anderen Ländern, die anderer Auffassung waren, deutlich gemacht hat. Es ist ein
Ausweis der Politik von Maß und Mitte, dass wir beispielsweise bei der Sanierung von Unternehmen Einfluss
nehmen wollen. Warum ist denn heute der Vorstandsvorsitzende von Hypo Real Estate zurückgetreten? Das geschah, weil diese Bundesregierung gesagt hat: Mit dem
Personal und dem Aufsichtsrat sind wir nicht bereit, eine
Sanierung durchzuführen. Das zeigt: Dort, wo wir eingreifen, nehmen wir gestaltend Einfluss. Wer wie Sie,
Herr Kuhn, etwas anderes behauptet, sagt bewusst die
Unwahrheit und will in die Irre führen. Das ist nicht unser Verständnis von Sanierung. Wir wollen im Interesse
der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Einfluss nehmen.
({3})
Es hat auch etwas mit Maß und Mitte zu tun, dass wir
die größte Bürgschaft nicht für die Investoren oder die
Großanleger übernehmen. Vielmehr haben die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister den Kleinanlegern, den Sparerinnen und Sparern, in diesem Land gesagt: Unsere Sorge gilt nicht zuvorderst dem großen
Kapital, sondern dem Sparbuch. Auch das ist ein Ausweis der Politik von Maß und Mitte und macht unsere
gesellschaftspolitische Grundkonzeption ganz besonders
deutlich.
({4})
Ich will an dieser Stelle meine Verwunderung zum
Ausdruck bringen, dass der Kollege Lafontaine außer
selbstgerechter Inszenierung nur den Vorschlag, die
Hartz-IV-Sätze anzupassen, zur Bewältigung der Finanzkrise gemacht hat.
({5})
Wenn der Weltökonom Lafontaine demnächst auf einem
G-7-Gipfel oder in Washington verkündet: „Wir lösen
die Finanzkrise, indem wir die Hartz-IV-Sätze anheben“,
({6})
dann mag das für die Betroffenen eine gute Botschaft
sein. Das ist aber keine ursachenadäquate Lösung, sondern Populismus, eine selbstgerechte Augenwischerei,
eine Inszenierung eines mit dieser staatspolitischen Aufgabe hoffnungslos Überforderten.
({7})
Wir müssen aber auch feststellen, dass wir noch nicht
auf alle Herausforderungen Antworten gefunden haben.
Die Liquiditäts- und Vertrauenskrise hält an. Wir erfahren, dass weitere Banken durch die Vertrauenskrise in
eine schwierige Situation getrieben werden. Deswegen
ist die Frage berechtigt, ob wir mit dem Einzelfallmanagement weitermachen können. Ich verstehe die Äußerungen des Bundesfinanzministers dahin gehend, dass
wir uns künftig in Bezug auf strategische Fragen besser
wappnen müssen. Deswegen ist eine Übereinkunft mit
den Akteuren des Finanzmarktes wichtig. Wir müssen
systemische Krisen mit einem umfassenderen System
beantworten. Wir sind am Anfang einer Debatte, und wir
müssen eingestehen, dass wir nicht auf jede Herausforderung in dieser Krise eine Antwort haben. Aber es ist
der entschlossene politische Wille in Deutschland und in
allen europäischen Staaten, die Funktionsfähigkeit des
Finanzmarktes im Interesse aller Menschen, die hier
wohnen und arbeiten, aufrechtzuerhalten. Wir brauchen
funktionsfähige Finanzmärkte, und wir als Staat sind bereit, diese Funktionsfähigkeit tatsächlich zu garantieren.
({8})
Wir als Christlich Demokratische Union und wir als
Christlich-Soziale Union sind der Auffassung, dass jetzt
die Stunde der Politik ist. Wir wollen diese Krise bewältigen. Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land, dass vor allen Dingen sie es sind, die im Mit19342
telpunkt unseres Handelns stehen. Wir glauben, dass,
wie Norbert Röttgen es ausgedrückt hat, das öffentliche
Gut „funktionsfähiger Finanzmarkt“ in unser aller Interesse ist. Ein funktionsfähiger Finanzmarkt garantiert,
dass wir Lohn- und Gehaltszahlungen abwickeln können, dass der Sozialstaat funktioniert und dass der kleine
Mittelständler seine Maschine finanzieren kann. Wir alle
sind auf die Finanzmärkte und auf ein funktionsfähiges
Bankensystem angewiesen. Es geht hier nicht um den
Schutz einiger weniger Reicher und die Sicherung ihrer
Existenz, sondern es geht um die Zukunft unseres Landes, es geht um Maß und Mitte in unserer Volkswirtschaft und in unserem Gesellschaftssystem.
({9})
Es geht um die Frage, ob die Menschen uns zutrauen, die
Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin hat deutlich gemacht, dass wir als Koalition diese staatspolitische Herausforderung im Interesse der Menschen annehmen und
an der Bewältigung der Probleme weiter arbeiten werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich muss sagen: Die Entwicklung und die Dramatik dieser Krise sind etwas, was ich so nicht vorhergesehen
habe. Diese Exzesse an den Finanzmärkten, das Einstürzen der Kreditpyramiden und die wellenförmige Ausweitung der Krise habe ich in dieser Form und Dramatik
nicht vorhergesehen. Es mag andere geben, die das alles
schon vorher gewusst haben.
Ich freue mich, dass die Kollegen von der CDU/CSU
sagen, es sei jetzt die Aufgabe der Politik, die Krise zu
bewältigen und das Vertrauen wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Einwand zu
Herrn Röttgen machen: Die Orientierung an der sozialen
Marktwirtschaft und die Berufung auf die Ethik der sozialen Marktwirtschaft sind immer etwas, was aus einer
Gesellschaft heraus kommt, aus dem Wertesystem unserer Gesellschaft. Aber angesichts des globalen Wirtschaftssystems und der globalen Finanzmärkte zu glauben, mit der Ethik unseres rheinischen Kapitalismus die
Erlösung bringen zu können, ist ein bisschen wenig.
({0})
Da bin ich sehr viel näher bei Helmut Schmidt, der
sagte: Seefahrt braucht Regeln, und zwar internationale
Regeln. Luftfahrt braucht Regeln, und zwar internationale Regeln. Es gilt auch, dass die internationalen Finanzmärkte international durchsetzungsfähige Regeln
brauchen.
({1})
Da gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen
uns, Herr Westerwelle: Das können keine Regeln sein,
die die Märkte selbst entwickeln; denn wir haben erlebt,
wohin das führt.
({2})
Es müssen Regeln sein, die für alle gelten und die ausnahmslos gelten. Das heißt, es darf keine nicht regulierten Bereiche in den Finanzmärkten geben; sonst bekommen wir die Probleme nicht in den Griff.
Ich finde aber den Ansatz von Herrn Röttgen und
Herrn Kampeter bezogen auf unsere gesellschaftliche Situation und als Leitlinie für eigenes Verhalten zielführend. Dabei geht es darum, eine funktionsfähige Finanzstruktur als öffentliches Gut zu sehen und entsprechend
zu behandeln. Wenn das die Leitlinie ist, werden wir bei
den Schritten, die wir gehen müssen, gut vorankommen.
Ich bin voller freudiger Erwartung, was die Zusammenarbeit angeht.
({3})
Das gilt auch für die Anreizsysteme, nicht nur auf der
Vorstandsebene, sondern auch auf der Mitarbeiterebene.
Diese sollen, wie ich höre, in Richtung Nachhaltigkeit
und Vermeidung von Exzessen verändert werden. Da
werden wir, unter Rückgriff auf Vorarbeiten, Regulierung und Ergebnisse erreichen können.
Ebenfalls begrüße ich unsere Übereinstimmung in
dem Punkt, dass es bei den Ratingagenturen keine Interessengegensätze zwischen Bewertung und Beratung geben darf. Darauf müssen wir hinwirken, und das werden
wir auch tun.
({4})
Auch in Bezug auf die Eigenkapitalunterlegung und andere Punkte gibt es weitgehend Übereinstimmung. Daran kann man konkret arbeiten. Das unterscheidet sich
wesentlich von dem, was in den vergangenen Jahren die
Diskussion bestimmt hat, nämlich ein „level playing
field“ gegenüber den angloamerikanischen Akteuren
herzustellen, was schlicht Deregulierung bedeutete.
Ebenso bin ich froh, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass wir uns mit den Differenzen zwischen in
der Realwirtschaft erreichbaren Renditen von 8 bis
12 Prozent und, wie Herr Kampeter eben noch sagte, der
Finanzwirtschaft mit Renditeerwartungen zwischen
25 und 35 Prozent beschäftigen müssen.
({5})
Denn da besteht eine Diskrepanz und Nichtbalance. Das
muss in die Balance gebracht werden.
({6})
Es gibt entsprechende Möglichkeiten, da heranzugehen.
Auch da bin ich sehr gespannt auf die gemeinsame Arbeit.
Schon auf der Ebene der Feuerwehrfunktion wird
deutlich, dass wir die Probleme ohne europäische
Dimension nicht lösen können. Wenn ich mir die Insellösungen anschaue - in Island, als unverdächtige Insel,
das durch Garantien, die es gewährt hat, inzwischen im
Staatsbankrott zu landen droht, aber auch in Irland -,
habe ich Sorge. DEPFA, Ormond Quay - woher kam
denn der ganze „Segen“? Wie ist es gekommen, dass
deutsche Banken dort ihre Tochtergesellschaften angesiedelt haben? Wegen des Vorteils von nur 12,5 Prozent
Steuern!
({7})
Anschließend haben wir das Ganze auszubaden. Ich bin
der Meinung, wir müssen auf der europäischen Ebene zu
Vereinbarungen und Abstimmungen kommen, auch
schon bei den Feuerwehraktivitäten.
({8})
Das gilt auch für die Garantien. Denn wenn diese Garantien sehr unterschiedlich sind, haben wir dort eine
Arbitrage, wie die Banker das immer so schön nennen.
Das bezieht sich auf die Frage: Was machen wir mit den
Banken, die in der Krise sind? Wie werden sie saniert?
Wie werden sie herangezogen? Welche Kontrolle übt der
Staat aus, was setzt er an Steuerung ein, was macht er
zur Sicherung der Gelder von Steuerzahlern im Sanierungserfolgsfall? Dies wird meines Erachtens europaweit geregelt werden müssen. Ebenso werden wir auf
europäischer Ebene an die Frage herangehen müssen,
wie wir der Befeuerung einer Krise durch Leerverkäufe
begegnen können; auch das gehört zum Feuerwehrbereich. Diesen Leerverkäufen muss ein Ende gesetzt werden. Auch halte ich sehr viel von dem, was Reinhard
Schultz gefordert hat, nämlich ein Verbot solcher systemdestabilisierender Instrumente.
({9})
Wir werden - das wird sehr schnell wirksam werden
müssen - an die Bilanzierungsvorschriften herangehen
müssen. Wir müssen das, was die SEC an der Wall Street
gemacht hat, ganz schnell in Europa umsetzen.
({10})
Wir werden dies nicht allein in Deutschland machen
können, weil alle deutschen Gesellschaften europäisch
aufgestellt sind. Hier halte ich sehr viel von Bilanzierungsvorschriften, die dicht am HGB orientiert sind.
Wenn wir im Geiste dieser Diskussion ans Handeln
gehen und dies in den Alltag übersetzen, dann sind wir
in der Tat in der Lage, eine etwas bessere Ordnung der
Finanzmärkte zu erreichen. Das wäre schon ein wichtiges Ergebnis.
({11})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte will ich zuerst der Frau Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister und auch dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Professor Weber, ganz herzlich für die enorme
Arbeit danken, die in den letzten Tagen und Wochen zu
leisten war.
({0})
- Und natürlich auch den Mitarbeitern der verschiedenen
Häuser, die mitgeholfen haben, die Krise, soweit es in
ihrer und in unserer Hand lag, zu bewältigen.
Die internationale Finanzkrise hat, wie heute schon
zum Ausdruck gebracht worden ist, nicht nur bei den
Marktteilnehmern zu einer Vertrauenskrise geführt. Zum
Teil ist die Vertrauenskrise ihrerseits Ursache für Weiterungen des Problems. Gerade in den letzten Tagen haben
uns viele Bürgerinnen und Bürger besorgt gefragt, wie
sicher ihre Einlagen und Gelder sind. Deswegen ist die
Zusage der Frau Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers von vorgestern und heute in der Regierungserklärung sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen:
Sie brauchen keine Sorge zu haben. Das ist eine wichtige
Voraussetzung dafür, dass nicht weitere Auswirkungen
und Unsicherheiten in den Markt kommen. Wir müssen
dafür sorgen, dass wieder Ruhe in die Märkte einkehrt.
Wir müssen dafür sorgen, dass die Nervosität beseitigt
wird und Vertrauen zurückkommt.
({1})
Jeder von uns ärgert sich natürlich über die grandiosen Fehlleistungen im Management vieler Finanzinstitute. Kritik und Ärger sind verständlich und berechtigt.
Die Schuldigen müssen - auch das ist heute schon gesagt
worden - stärker als bisher zur Verantwortung gezogen
werden. Trotzdem müssen wir jetzt mit Besonnenheit an
der Problemlösung arbeiten. Es geht um die Stabilität
des Finanzsystems. Es geht um die Begrenzung negativer Auswirkungen auf die Realwirtschaft, auf unsere
Unternehmen, auf den Mittelstand und auf die Arbeitsplätze. Letztlich geht es auch darum, dass die Menschen
in finanzieller Sicherheit leben können, dass sie mit
finanzieller Sicherheit rechnen können und dass die kleinen Leute keine Sorge haben müssen.
({2})
Wir handeln nicht im Interesse der Bankmanager, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.
Die Maßnahmen, die im Falle der Hypo Real Estate
konkret ergriffen werden mussten, sind notwendig und
richtig, um weitere negative Folgen zu vermeiden. Dazu
gibt es keine Alternative. Viele Institutionen und Bürger
wären unmittelbar betroffen, auch wenn es manche noch
gar nicht wissen.
Über den Tag hinaus müssen wir uns aber den anderen Aufgaben zuwenden; das ist in der Debatte heute
schon angesprochen worden. Es geht um die Verbesserung der Finanzaufsicht und vor allen Dingen um die
Koordinierung der Finanzaufsicht auf internationaler
und globaler Ebene. Alleingänge helfen nicht weiter. Die
Bundesregierung hat, wie schon erwähnt, bereits während der G-7-/G-8-Präsidentschaft und der EU-Ratspräsidentschaft einige wichtige Themen, was die Regeln
des Finanzmarktes betrifft, auf die Tagesordnung gesetzt, was seinerzeit noch brüsk insbesondere von den
USA, aber auch von anderen zurückgewiesen wurde.
Heute wären manche froh, wenn man früher auf den
Kurs der Bundesregierung eingeschwenkt wäre.
Vorhin wurde schon von einem Kollegen ein Beispiel
dafür genannt, wie arrogant man behandelt worden ist.
Als ich in einem kleinen Kreis von Fachleuten im Frühsommer das Thema Leerverkäufe angesprochen habe
und gefragt habe, ob es sinnvoll sein könne, dass mit
spekulativer Absicht ganze Unternehmen in die Knie gezwungen werden, hat man nur schnodderig geantwortet:
So sind nun einmal Börsen. - Diese Antwort hilft uns
aber nicht weiter. Auch hier ist unser entschiedenes Handeln dringend notwendig.
({3})
Man kann nur staunen, welche Finanzprodukte mit
welchen Kunstnamen von wem auf den Markt gebracht
worden sind. Nicht einmal die Fachleute konnten diese
Dinge durchschauen, schon gar nicht anderen erklären.
Vieles lief außerhalb der Bilanzen.
Merkwürdig ist, dass die USA ursprünglich mit Nachdruck gefordert haben, bei Basel II schnell zu einer Einigung zu kommen, sich aber, als es beschlossen war, gewehrt haben, Basel II im eigenen Bereich umzusetzen.
Basel II lässt keine Aktivitäten, keine Zweckgesellschaften außerhalb der Bilanzen zu.
({4})
Basel II enthält ferner strenge Regeln zur Eigenkapitalunterlegung.
Ich füge hinzu: Vielleicht ist es jetzt nicht der richtige
Zeitpunkt, aber zu gegebener Zeit müssen wir über eine
weitere Verschärfung und Verbesserung der Eigenkapitalregeln befinden. Das betrifft insbesondere den Bereich
des Interbankenverkehrs; das möchte ich anmahnen.
Hier ist erheblicher Handlungsbedarf gegeben.
Vorhin ist hier schon die Rolle der Ratingagenturen
angesprochen worden. Es kann nicht sein, dass, wie vermutet wird, ein und dieselben Leute zugleich in den Aufsichtsräten von Bankunternehmen und von Ratingagenturen sitzen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass sich
Ratingagenturen an der Strukturierung der Produkte, die
auf den Markt geworfen werden, beteiligen und diesen
Produkten hinterher - das haben wir erlebt - wie ein
Fleischbeschauer den Stempel „Triple A“ aufdrücken.
Hinzu kam der blinde Glaube an das Urteil der Ratingagenturen, der sich als grob fahrlässig herausstellt.
({5})
Auch diese Dinge gehören international auf den Prüfstand. Der Bundesfinanzminister ist in einer vorhergehenden Debatte auf die Frage eingegangen, wie weit wir
im Internationalen Währungsfonds und in anderen Institutionen hier vorankommen können.
Unsere Bankmanager müssen wieder lernen, nach den
Grundsätzen ordentlicher, umsichtiger Kaufleute zu arbeiten und zu handeln.
({6})
- Kollege Kampeter hat schon vorhin gesagt: „Maß und
Mitte“. Das heißt: Kurzfristiges Renditedenken, kurzfristige Renditeerwartungen und hohe Boni dürfen nicht
das Handeln bestimmen; vielmehr müssen wieder Tugenden wie Seriosität, Solidität, langfristige Wertorientierung und Nachhaltigkeit das Handeln bestimmen.
({7})
Zusammenfassend möchte ich sagen: In allererster
Linie brauchen wir wieder Vertrauen. Heute und in diesen Tagen ist von der Bundesregierung Wichtiges dazu
beigetragen worden. Dazu gehört: Die Aufsicht muss
verbessert sowie international und global koordiniert
werden. Stellung, Urteil und Geschäftsgebaren der Ratingagenturen müssen einem kritischen Urteil unterzogen werden. Die Bilanzierungsvorschriften müssen, wie
vorhin vorgetragen, modifiziert werden. Es darf keine
Aktivitäten außerhalb von Bilanzen geben. Die Eigenkapitalregeln müssen verbessert werden. Wir müssen auch
die Fragen klären: Wer darf welche Finanzprodukte
emittieren? Wer darf sie unter welchen Voraussetzungen
kaufen?
Die Anreizsysteme bei den Banken dürfen nicht zu
einer Kurzfristorientierung führen, sondern müssen wieder auf Nachhaltigkeit und langfristige Werterhaltung
ausgerichtet werden.
({8})
Die Haftungsregeln, die für die Verantwortlichen gelten,
müssen verschärft werden. Das deutsche Universalbankensystem und das Dreisäulensystem haben sich bewährt; sie müssen erhalten und gestärkt werden und dürfen nicht wieder von manchen in Zweifel gezogen
werden.
({9})
Ich sage noch einmal: Bankmanager müssen wieder lernen, zu handeln wie ein umsichtiger Kaufmann.
Danke.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2008, 13 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
schließe die Sitzung.