Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/7/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich zwei Mitteilungen zu machen: Der Kollege Walter Riester hat am 27. September seinen 65. Geburtstag gefeiert. Im Namen des ganzen Hauses möchte ich ihm dazu auch auf diesem Wege noch einmal herzlich gratulieren und alle guten Wünsche übermitteln. ({0}) Zweitens. Die Kollegin Hildegard Müller hat am 1. Oktober auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als Nachfolger begrüße ich herzlich den Kollegen Thomas Mahlberg. ({1}) Alle guten Wünsche für die jetzt beginnende parlamentarische Arbeit! Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan ({2}) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 ({3}) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1833 ({4}) vom 22. September 2008 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen - Drucksache 16/10473 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Es liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister des Auswärtigen, FrankWalter Steinmeier. ({6})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser Engagement in Afghanistan geht jetzt ins achte Jahr. Ich weiß: Das ist eine Probe für die Geduld und die langfristige Kraft der Weltgemeinschaft. Deshalb sage ich vorab drei Dinge: Erstens. Die Gründe, die uns 2001 nach Afghanistan geführt haben, gelten. Zweitens. Wir haben uns verpflichtet gegenüber einem Volk, das in 30 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschunden worden ist. Drittens. Wir wussten von Anfang an um die Schwere der Aufgabe. Deshalb gilt gerade jetzt: Ein gegebenes Wort muss gelten. ({0}) Wir sind mitten auf dem Weg. In Afghanistan sind wir mit so etwas wie einer doppelten Realität konfrontiert. Auf der einen Seite haben wir durchaus viel erreicht. 85 Prozent der Bevölkerung haben jetzt Zugang zu einem Arzt oder einem Krankenhaus in ihrer unmittelbaren Nähe - das war in Afghanistan vorher noch nie so -; übrigens auch dank vieler Tausend Kilometer Straßen und Brücken, die gebaut worden sind. Mehr als die Hälfte des minenverseuchten Afghanistans ist inzwischen geräumt. Auch das macht das Leben in Afghanistan in manchen Regionen sicherer. Der Wiederaufbau kommt in manchen Regionen ebenfalls durchaus voran, und zwar nicht nur in Kabul. Ich selbst habe das Beispiel Redetext des Krankenhauses in Masar-i-Scharif gesehen. Dieses Provinzkrankenhaus ist das zweitgrößte medizinische Lehrkrankenhaus im ganzen Land. 250 Krankenschwestern werden dort jährlich ausgebildet. Wir reden über ein Land, in dem vor sieben Jahren noch Menschen gesteinigt worden sind und Musik verboten war. All denjenigen, die unsere Erfolge immer noch kleinreden wollen, muss man entgegnen: Jedes Stück Land, das ein Bauer wieder bestellen kann, jedes Kind, das in die Schule geht, jedes neue Krankenhaus und jeder Kilometer Straße sind auch ein kleiner Sieg der Menschlichkeit. ({1}) Meine Damen und Herren, keiner ist naiv: Natürlich ist der Weg länger und steiniger, als wir alle uns das erhofft haben. Jedes zivile Opfer und jedes Selbstmordattentat sind ein Rückschlag, und die Rückschläge haben zugenommen - auch im Norden. Weder die internationale Staatengemeinschaft noch die afghanische Regierung - auch das ist wahr - haben die Korruption oder den Anbau und Handel mit Schlafmohn bisher wirklich in den Griff bekommen. Im Süden und Osten verunsichern nach wie vor - oder im Augenblick noch mehr Terroristen die Bevölkerung, weil die Grenzen zu Pakistan faktisch ungesichert sind. Das ist die Lage, wie sie sich ungeschminkt darstellt. Die Fragen lauten: Welche Schlussfolgerungen ziehen wir aus dieser Lage? Sollen wir wirklich gehen, wenn es schwierig ist, wie manche es fordern? Sollen etwa Niederländer, Norweger, Polen und Finnen den Job machen, weil wir uns aus der Verantwortung stehlen? Wenn Länder wie wir gingen, dann wäre das nicht nur eine Verletzung der Solidarität all denen gegenüber, die da bleiben, sondern es wäre noch schlimmer: Wir würden das Ziel aufgeben, für das wir sechs, fast sieben Jahre in Afghanistan gemeinsam gearbeitet haben. Unser Aufenthalt dort war nie und ist kein Selbstzweck. Wir hatten und haben ein klares Ziel: Wir wollen, dass die Menschen in Afghanistan die Zukunft ihres Landes möglichst schnell wieder in die eigenen Hände nehmen und selbst für Sicherheit in ihrem Land sorgen. ({2}) Wir ziehen dabei mit vielen Afghanen an einem Strang. Das haben Sie in Gesprächen bei AfghanistanReisen und auch bei Besuchen afghanischer Politiker und Experten hier bei uns selbst erlebt. Diese sagen: Wir wollen und wir können die Vorsorge für die eigene Sicherheit leisten. Aber jetzt brauchen wir noch die Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft, und wir müssen uns vor allen Dingen darauf verlassen können, dass diese Hilfe in der nächsten Zeit noch geleistet wird. Darum geht es: Verlässlichkeit und Vertrauen. Dafür müssen auch wir stehen. ({3}) Das ist der Grund dafür, dass wir uns bei unserem ISAF-Einsatz, um den es heute geht, vor allen Dingen auf die Ausbildung und Ausstattung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren. Es ist eine gute Entwicklung, dass inzwischen bei 70 Prozent aller Sicherheitsoperationen in Afghanistan einheimische Sicherheitskräfte mitwirken. Außenminister Spanta hat mir das vor kurzer Zeit noch einmal berichtet. Das zeigt, dass wir insoweit auf dem richtigen Weg sind und auf diesem Weg weiter vorangehen müssen. Das ist der Grund, weshalb wir vorschlagen, im nächsten Jahr bis zu 4 500 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen des ISAF-Mandats einzusetzen. Das sind in der Tat 1 000 Soldatinnen und Soldaten mehr als bisher. Wir brauchen sie nicht nur für die Ausbildung der einheimischen Soldaten, sondern auch für die Absicherung der kommenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in Afghanistan. Zudem verdoppeln wir die Zahl deutscher Polizisten im Rahmen der europäischen Polizeimission EUPOL. Das ist ein deutlicher deutscher Beitrag, der auch mit Blick auf die Bitte um Zustimmung zu ISAF zu berücksichtigen ist. ({4}) Ein Wort noch zu den Kritikern des Einsatzes, die es gibt und die sich lautstark äußern. Bleibt bei der Kritik bitte redlich! ({5}) Niemand verfährt im Augenblick im Hinblick auf Afghanistan nach dem Motto „Weiter so“. Wir haben unser Engagement immer wieder jährlich überprüft, auch gemeinsam mit Ihnen. Wir haben überprüft, was weiterhin notwendig ist und was entbehrlich geworden ist. Wir häufen gerade nicht, wie es in mancher öffentlichen Kritik heißt, Auftrag auf Auftrag. Deshalb lautet mein Vorschlag, den Sie gelesen haben: Lasst uns, wenn wir über das ISAF-Mandat entschieden haben und wenn die Beratungen in der NATO weitergegangen sind, Ja zu AWACS und Nein zu Einsätzen, die nicht mehr gebraucht werden, sagen. Das ist das Gegenteil von „Weiter so“ und von dem, was Sie hier manchmal kritisieren. ({6}) Wir haben ganz bewusst darauf verzichtet, eine Art Vorratsbeschluss für einen möglichen AWACS-Einsatz zu erbitten, über den in der Sommerpause diskutiert wurde, zu dem Sie aber in dem Antrag, über den wir heute diskutieren, nichts finden - wohl wissend, dass die NATO-Diskussion stattfindet, aber noch keine Beschlüsse der NATO vorliegen. Gleichwohl hat der zivile Luftverkehr in Afghanistan erheblich zugenommen; Afghanistan verfügt jedoch ganz ohne Zweifel über kein ausreichendes Bodenradar, um den gewachsenen Flugverkehr so zu überwachen, dass die Luftfahrzeuge in Afghanistan wirklich sicher abheben und wieder am Boden landen können. Deshalb brauchen wir auch AWACS; aber das ist nicht Gegenstand der EntscheidunBundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier gen, die in dieser Woche im Deutschen Bundestag zu treffen sind. Ich habe auch gesagt - das haben Sie gesehen -, dass der Einsatz von KSK nach meiner Auffassung in Afghanistan entbehrlich geworden ist. Wir haben in den letzten drei Jahren keine KSK-Soldaten zur Verfügung gestellt. Deshalb hielte ich persönlich es auch für richtig, wenn KSK-Einsätze im Rahmen des OEF-Mandates im Verlaufe dieses Jahres ausliefen. Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende und sage: Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen in ihrem aktualisierten Afghanistan-Konzept den langfristigen und vor allen Dingen umfassenden Stabilisierungsansatz, der den Wiederaufbau einschließt, vorgetragen und bekräftigt. Alle anderen in Afghanistan vertretenen und engagierten Staaten folgen diesem Ansatz. Zu ihm gehört ganz ausdrücklich, dass wir die Nachbarn Afghanistans mit in den Blick nehmen, sie sogar noch sehr viel stärker einbeziehen. Selbstverständlich meine ich damit vor allen Dingen Pakistan, ein Schlüsselland für die Sicherheit und Stabilität der gesamten dortigen Region. ({7}) Wir müssen Pakistan dahin bringen, eine positive Rolle bei der Stabilisierung sowie beim Wiederaufbau der gesamten Region zu spielen. Deshalb habe ich mich mit anderen am Rande der Generalversammlung der Vereinten Nationen in der vergangenen Woche darum gekümmert, Pakistan in eine Gruppe einzubinden, die diesen Prozess vorantreibt. Das reiht sich in die Bemühungen ein, die wir von deutscher Seite im vergangenen Jahr während unserer G-8-Präsidentschaft bereits gestartet haben und die durch die innenpolitischen Ereignisse in Pakistan unterbrochen worden sind; das haben Sie mitverfolgt. Ich sehe jetzt gute Chancen - erste Anzeichen dafür gibt es -, dass wir mit der neuen Regierung in Pakistan zu einem geordneten Austausch zwischen dem pakistanischen Präsidenten, dem afghanischen Präsidenten und den Ministerebenen darunter kommen. Bei der Reise nach Pakistan, die ich in etwas mehr als zwei Wochen unternehmen werde, werde ich versuchen, diesen positiven Ansatz, den es zwischen den beiden Ländern gibt, weiterhin zu stützen. Meine Damen und Herren, die Verlängerung des ISAF-Mandats ist kein „Weiter so“, sondern sie ist auf die Bedürfnisse des nächsten Jahres zugeschnitten: Wir schicken mehr Soldaten. Wir konzentrieren uns auf die Ausbildung von Soldaten und Polizisten. Wir steigern die Ausgaben für zivilen Wiederaufbau auf jetzt immerhin 170 Millionen Euro, weil wir wollen - das sage ich Ihnen aus tiefer Überzeugung -, dass die Menschen in Afghanistan den Fortschritt tatsächlich spüren, sehen und erleben. ({8}) Zum Schluss sage ich all jenen Danke, die sich häufig unter Einsatz ihres Lebens für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans einsetzen. Das sind unsere Soldatinnen und Soldaten, Polizisten und zivilen Aufbauhelfer. Ich weiß, wir alle miteinander wissen, dass deren Aufgabe im vergangenen Jahr nicht einfacher geworden ist, im Gegenteil. Wir wissen auch, Kollege Jung, was wir der Bundeswehr dort abverlangen, und wir trauern um diejenigen, die für den Einsatz in Afghanistan mit dem Leben bezahlt haben. Allen, die den Menschen dort helfen, damit sich das Leben der Bevölkerung in Afghanistan verbessert, schulden wir Dank und Anerkennung. Sie alle haben, wie ich finde, die Unterstützung dieses Hohen Hauses verdient. Darum bitte ich Sie herzlich um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des ISAF-Mandats. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Für die FDP-Fraktion erhält nun der Kollege Dr. Werner Hoyer das Wort. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des ISAF-Mandats liegt seit nunmehr etwa vier Stunden vor. Noch heute, nach der anschließenden Debatte über die Lage auf den Finanzmärkten, werden die mitberatenden Ausschüsse mit der Beratung beginnen. Heute Abend wird auch der Auswärtige Ausschuss beraten und in der nächsten Woche entscheiden. Das ist ein ganz schön sportlicher Ansatz. ({0}) Ich frage mich: Wenn AWACS in diesen Antrag nicht „hineingerührt“ worden ist, warum hat man ihn dem Parlament dann nicht etwas früher vorlegen können? ({1}) Zumindest ist damit klar, worüber wir heute nicht reden: Wir reden nicht über AWACS; dadurch fällt die Entscheidung, diesem Antrag zuzustimmen, manch einem vielleicht etwas leichter. Wir reden heute auch nicht über OEF. Der Minister hat eben auf KSK Bezug genommen. Ich denke, er meinte KSK im Rahmen von OEF und nicht etwa auch KSK im Rahmen von ISAF; ({2}) das muss noch geklärt werden. Denn selbstverständlich gibt es auch im Rahmen von ISAF Situationen, die einen besonderen Schutz erforderlich machen. In einem solchen Fall ist KSK nach meiner Auffassung das Mittel der Wahl. Meine Damen und Herren, wir sprechen heute über ein wichtiges Mandat, im Grunde genommen über eine Fortschreibung dessen, was es bereits gibt. Wir, die Freien Demokraten, tragen die Aufstockung um 1 000 Soldatinnen und Soldaten mit; die Begründung ist schlüssig. Wir haben allerdings einige kritische Anmerkungen zu machen. Das tue ich aber nicht, ohne vorher namens der Freien Demokraten allen, die sich in Afghanistan bemühen und dort für uns eine sehr wichtige Aufgabe erfüllen, ganz herzlich Dank zu sagen. Das gilt insbesondere für die Angehörigen unserer Streitkräfte - um sie geht es heute -, die dort eine hervorragende Arbeit leisten. Dieser Dank gilt völlig unabhängig von der Tatsache, dass wir auch kritische Anmerkungen machen. ({3}) Warum sind wir eigentlich mit Soldaten, Aufbauhelfern, Polizisten und anderen Kräften in Afghanistan vertreten? Wir sind dort nicht, um anderen, auch nicht anderen im Bündnis, einen Gefallen zu tun. Wir sind dort auch nicht nur aus Solidarität mit den Afghanen; sie ist ein wichtiger Punkt, aber nicht der entscheidende. Wir sind in Afghanistan um unserer eigenen Interessen und unserer eigenen Sicherheit willen. Das müssen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern auch immer wieder deutlich vor Augen führen. ({4}) Wir wissen, warum wir nach Afghanistan gegangen sind. Wir wissen auch, was passieren würde, wenn wir das Land Hals über Kopf verlassen würden. Wir würden den Kräften Spielraum eröffnen, die nicht nur ihr eigenes Land terrorisieren, sondern den Terror von Afghanistan aus auch zu uns tragen würden. Um das zu verhindern, müssen wir dort weitermachen. Wir dürfen unseren Beitrag allerdings nicht im Sinne eines „Weiter so“ leisten; dazu sind schon einige wichtige Anmerkungen gemacht worden. Herr Minister, ich verhehle keineswegs die Erfolge, die erzielt worden sind, sehe aber natürlich auch die Schwachstellen. Bei der Polizeiarbeit hat die Bundesrepublik Deutschland eine Führungsrolle übernommen. Ich finde, dieses Kapitel ist für Deutschland ein ziemlich dunkles Kapitel. ({5}) Denn das, was in diesem Bereich von der Bundesregierung geleistet wird - das gilt nicht für die Polizeibeamten vor Ort, die eine Superarbeit leisten -, kommt einem politischen Offenbarungseid ziemlich nahe. ({6}) Die Bundesregierung hat uns einen Schlingerkurs vorgeführt, den ich beachtlich finde. Noch im Jahre 2004 hat sie voller Stolz gesagt, sie sei, wie es damals hieß, am Aufbau eines multiethnischen Polizeidienstes, und zwar landesweit und auf allen Ebenen, beteiligt. Heute wird so getan, als hätte man nie etwas anderes als die Beratung des afghanischen Innenministeriums im Sinn gehabt. Dieser Schlingerkurs rächt sich. Ich denke, wir werden darüber nachdenken müssen, ob wir es bei unserem Beitrag zur europäischen Polizeitruppe belassen können oder ob wir nicht doch auf den großen Wunsch unserer amerikanischen Freunde eingehen sollten, auch bilateral mit ihnen gemeinsam etwas zu unternehmen; denn von ihnen wird der Großteil des Polizeiaufbaus geleistet. Wir müssen uns darüber hinaus die Frage stellen, ob wir uns im Hinblick auf unsere Verantwortung bei der Entsendung von Polizeibeamten nicht in eine vergleichbare Situation begeben sollten wie bei der Entsendung von Soldatinnen und Soldaten. Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde das Parlament die Verantwortung gegenüber den zu entsendenden Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten geringer einschätzen als die Verantwortung, die wir qua Parlamentsbeschluss für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr übernehmen. Ich bin der Auffassung, dass wir uns überlegen sollten, ob wir hier im Hinblick auf die Bundespolizei nicht eine neue Rechtsgrundlage schaffen sollten. Dann würde auch das ständige Gezeter mit den Ländern aufhören. Letzte Bemerkung in meinem sehr kurzen Beitrag. Am 4. November 2008 werden wir eine neue Weichenstellung der amerikanischen Politik erleben. Es wird keineswegs egal sein, wer dort das Amt des Präsidenten übernehmen wird. In jedem Fall gehe ich aber davon aus, dass die Bereitschaft zur Kooperation mit den Nachbarländern Afghanistans zunehmen wird. Das halte ich auch für außerordentlich wichtig. Am Beispiel Pakistans sehen wir doch - der Herr Minister hat das bereits gesagt -: Ohne die Zusammenarbeit bzw. das Zusammenwirken mit den Nachbarn Afghanistans wird es nicht funktionieren. Wir haben den dringenden Ruf gehört, mit dem Iran zusammenzuarbeiten. Es wäre schön, wenn er in der Lage wäre, einmal direkt mit den Amerikanern zu reden. Es gibt das Angebot der Shanghai Cooperation Organisation, und wir wissen, dass es ohne Russland und China nicht funktionieren wird. Ich meine, die Bundesregierung sollte im Bündnis ihren Beitrag dazu leisten, dass dieser Ansatz in und für Afghanistan, der internationaler als der bisherige ist, tatsächlich Wirklichkeit wird. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Peter Ramsauer, CDU/CSU-Fraktion, ist der nächste Redner. ({0})

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir debattieren heute in erster Lesung über eine VerlängeDr. Peter Ramsauer rung des Afghanistan-Mandats, zum siebten Mal, seit wir diese Mission begonnen haben. Ich finde es richtig und wichtig, dass wir dies jedes Jahr in dieser ausführlichen parlamentarischen Weise tun. Entsprechend dem, was der Herr Außenminister gerade gesagt hat, geht es nämlich nicht um ein „Weiter so“; vielmehr müssen wir uns im Hinblick auf die deutsche Öffentlichkeit und alle Belange unserer Soldatinnen und Soldaten immer wieder, Jahr für Jahr, gründlich und sorgfältig vergewissern, ob unsere „Marschrichtung“, unsere politische Richtung, die Richtung des Einsatzes - es geht darum, wie er ausgestaltet ist und erfolgreich sein soll -, richtig und verantwortbar ist. Im Zusammenhang mit dieser Verlängerung müssen wir uns fragen, worauf wir in den nächsten 14 Monaten insbesondere Wert legen müssen. Wir dürfen es uns bei der Beantwortung dieser Frage in der Tat nicht leicht machen; denn unsere Soldatinnen und Soldaten - es sollen 1 000 mehr werden - halten auch für uns alle den Kopf hin. Aus all den Gründen, die der Herr Außenminister schon vorgetragen hat und die uns allen bekannt sind, sage ich ein klares Ja zu dieser Verlängerung des Mandats und auch zu einer Aufstockung der Zahl unserer Soldatinnen und Soldaten von 3 500 auf 4 500. Den Gegnern dieser Verlängerung sei ein kleiner - er ist zwar nicht maßgeblich, aber immerhin doch bemerkenswert - Hinweis gegeben: In wenigen Wochen werden wir uns auch mit der Verlängerung von OEF auseinanderzusetzen haben. Ende des vorletzten Jahres, also beim vorletzten Mandat, betrug die Zahl der Soldatinnen und Soldaten im Rahmen von OEF 1 800. Diese werden wir voraussichtlich auf 800 reduzieren. Wenn man sich die Zahlen der beiden Mandate anschaut, die ja in gewisser Weise in einem politischen Zusammenhang zu betrachten sind, dann stellt man fest, dass wir bei ISAF die Zahl der Soldatinnen und Soldaten in derselben Größenordnung erhöhen, wie wir sie bei der OEF reduzieren. Wir können überhaupt nicht erwarten - ich hoffe, dass das die Gegner dieses Einsatzes auch nicht tun -, dass wir die Probleme, die es in Afghanistan zu lösen gibt, über Nacht lösen. In all den Debatten - auch jetzt gerade wieder in unserer Fraktion - ist auch die Frage erörtert worden, ob man das nur militärisch erreichen kann oder ob das auch nichtmilitärisch möglich ist. Eines ist völlig klar: Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals allein militärisch lösen können. Aber wir können ohne die militärische Komponente die Probleme dort ebenfalls nicht lösen und die Aufbau- und Stabilisierungsarbeit, die wir uns vorgenommen haben, nicht leisten. ({0}) Unsere Absicht ist es - man kann es nicht oft genug sagen -, die dortigen Strukturen im Bereich der eigenen militärischen Kompetenzen und Fähigkeiten, der Verwaltungskräfte, der Polizei, der Infrastruktureinrichtungen und im Bildungswesen so zu stärken, dass in Afghanistan eine selbsttragende Stabilität erzeugt wird. Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass unsere Sicherheitskräfte für sich selbst und zur Erfüllung der gesamten Aufbauarbeit entsprechende Möglichkeiten und Ressourcen haben. Ein wichtiger Aspekt ist vor allen Dingen, dass wir bei den militärischen und polizeilichen Sicherheitskräften in Afghanistan hinreichend Sicherheit schaffen und für eine ausreichende Entlohnung sorgen, damit die dortige Korruption und die schlimme Praxis des Seitenwechselns - manchmal je nach Tageszeit: am Tag für die einen und in der Nacht für die anderen - nachhaltig unterbunden werden. Erst dann, wenn wir alle diese Aufgaben erfüllt haben, werden unsere Soldaten nach Hause zurückkehren können. Jetzt komme ich zu einem Punkt, der in den letzten Tagen auch durch mich angestoßen worden ist; auch Sie, Herr Außenminister Steinmeier, haben ihn gerade angesprochen. Ich frage Sie: Gibt es hier jemanden im Hause, der möchte, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf Dauer in Afghanistan bleiben? Ich glaube, das will kein einziges Mitglied des Deutschen Bundestages. Aber wir sind es der deutschen Öffentlichkeit schuldig, dass wir unsere Zielrichtung dartun. Wir müssen deutlich machen, worauf wir abzielen und wohin das Ganze führt. Ich bin froh, dass wir vorletztes Jahr darauf gedrungen haben, dass unsere Soldaten zum 30. November aus dem Kongo nach Hause zurückkehren. Ich bin froh, dass wir darauf gedrungen haben, dass wir beim UNIFILEinsatz klare Voraussetzungen schaffen, und wir reduzieren unsere Kräfte dort weiter. Ich bin froh - der Balkan ist ein hervorragendes Beispiel -, dass man erfolgreich auf ein Ende oder die Begrenzung eines solchen Einsatzes hinarbeiten kann und dass wir dort, insbesondere in Bosnien, den Einsatz unserer Soldaten immer stärker zurückfahren können. Ich habe einer Agenturmeldung entnommen, dass auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer eine Befristung des Einsatzes fordert. Das ist völliger Quatsch. Eine Befristung fordert niemand. ({1}) Eines muss klar sein - ich greife in diesem Zusammenhang Ihre Frage auf, Herr Steinmeier, ob wir gehen sollen, wenn es schwierig wird -: Wenn es schwierig wird, dann ist auf die Deutschen in Afghanistan Verlass; dann werden wir dort die entsprechende Flankierung leisten. Aber wenn dort die Aufgaben so zu Ende gebracht sind, dass wir das Land den eigenen Kräften überlassen können - egal, ob das in fünf oder acht Jahren der Fall sein wird; man kann sicherlich den Zeitpunkt heute nicht festlegen -, dann ist auch die Zeit für den militärischen Einsatz der Bundeswehr dort abgelaufen. ({2}) Man kann nicht oft genug betonen, dass wir neben den militärischen Anstrengungen auch den ganzen Bereich der nichtmilitärischen Anstrengungen eher beflügeln und ausbauen denn begrenzen müssen. Ich habe mir von den beteiligten Ressorts die Zahlen vorlegen lassen, wie viel Geld wir jeweils im militärischen und im nichtmilitärischen Bereich einsetzen. In diesem Jahr - aller19310 dings bis zum Ende des noch laufenden Mandats gerechnet; die Monate des Anschlussmandats sind also noch nicht berücksichtigt - geben wir für den militärischen 428 Millionen Euro und für den nichtmilitärischen Bereich, einschließlich humanitärer Ausgaben, 163 Millionen Euro aus. Ich bin sofort dafür - wenn uns das in den Haushaltsberatungen, die in den kommenden Wochen vor uns liegen, gelingt -, den nichtmilitärischen Bereich weiter zu stärken. Gerade Bildung und Sicherheit stellen die Grundlagen für nachhaltige Veränderungen und Stabilität in Afghanistan dar. Was den schon angesprochenen Schlafmohnanbau angeht: In 21 der 34 Provinzen in Afghanistan wird Mohn angebaut. Aber das tun die Bauern nicht aus Jux und Tollerei. Vielmehr müssen sie so den kärglichen Lebensunterhalt für ihre armen Familien bestreiten. Wir müssen alles daransetzen, eine alternative Wertschöpfungskette in Gang zu setzen. Es geht nicht - das wurde bereits versucht -, die Bauern dazu zu bringen, Weizen anzubauen, ohne ihnen gleichzeitig den Absatz zu sichern. Keiner der dortigen Bauern, die Weizen statt Mohn anbauen und anschließend keinen Zentner verkaufen, wird so schnell noch einmal Weizen anbauen. Wir müssen also dort die Wertschöpfungskette und die Absatzkette für alternative pflanzliche Produkte sicherstellen. ({3}) Um es auf den Punkt zu bringen: Die Opiumproduktion und den Mohnanbau werden wir niemals aus Afghanistan hinausbomben können. Wir müssen vielmehr auf Mittel des zivilen Aufbaus, unter anderem auf Beratung, setzen, um den Bauern Stück für Stück eine vernünftige Alternative zu geben. ({4}) Ich möchte noch einen Punkt aus Ihrer Rede aufgreifen, Herr Außenminister. Die Probleme in Afghanistan werden wir niemals lösen können, wenn wir nicht auch - Sie haben die Lage und die Zusammenhänge hervorragend beschrieben - die Probleme im Nachbarland Pakistan lösen; denn dort ist in zunehmendem Maße das neue Rekrutierungsfeld und das Aufmarschgebiet der Taliban. Nach Angaben des pakistanischen Religionsministers ist heute in Pakistan - das ist eine erschreckende Zahl jede zehnte der mindestens 15 000 Koranschulen fundamentalistisch und extremistisch ausgerichtet. Die so ideologisch Ausgebildeten gehen dann in Militärcamps, um militärisch ausgebildet zu werden. Sie sind für die Taliban der personelle Nachschub in Afghanistan. Das können wir auf Dauer nicht hinnehmen. Wir müssen die zivilen Schulen wesentlich stärker ausbauen. Das ist unsere Aufgabe als Europäer und insbesondere als Deutsche. Arme pakistanische Eltern schicken ihre Kinder viel lieber in zivile Schulen als in die Koranschulen. Die Koranschule ist allerdings oft die einzige Alternative. Das darf nicht so bleiben. Wenn es stimmt - viel spricht dafür -, dass diese 15 000 Koranschulen maßgeblich aus saudi-arabischen Quellen finanziert werden, dann muss ich sagen: Das dürfen wir nicht hinnehmen. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Ramsauer.

Dr. Peter Ramsauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001772, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weiß, meine Redezeit ist zu Ende. Wir fühlen uns dem Aufbau in Afghanistan verpflichtet. Ich darf für meine Fraktion klar bekennen, dass wir zu diesem Aufbau stehen. Aber wir wollen auch klarmachen, wohin die Reise geht und unter welchen Bedingungen wir diesen Einsatz eines Tages beenden werden. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Monika Knoche für die Fraktion Die Linke. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine werten Herren und Damen! Diese notwendige Sondersitzung des Deutschen Bundestages zu Afghanistan gibt es nur, weil wir Linke nicht bereit waren, einem Fristverzicht zuzustimmen und diese wichtige, zentrale Frage deutscher Außenpolitik unter „ferner liefen“ in anderen Debatten abzuhandeln. ({0}) Wir Abgeordnete sollen die Zustimmung zur Stationierung von weiteren 1 000 Soldaten in Afghanistan geben. Wir haben auf die gesamte Lage eine andere Sicht als die vorgetragenen. ({1}) Ich bin der Auffassung, dass es Zeit für eine wahrhaftige Bilanz ist. Insgesamt 55 000 NATO-Soldaten, darunter bald 4 500 deutsche, sollen dort für Sicherheit und Aufbau sorgen. Wozu haben die vergangenen sieben Jahre ISAFPräsenz geführt? Was braucht Afghanistan, und mit welchen Mitteln sind die Ziele zu erreichen? Dazu nenne ich einige Fakten: Haben nach dem 11. September circa 100 CIA-Agenten und 350 US-Elitesoldaten die Talibanregierung gestürzt und blieb die Zahl der ISAF-Soldaten bei unter 10 000, so ist bereits Mitte 2008 die Zahl von 65 000 Soldaten erreicht. Weitere Aufstockungen sind angekündigt, weitere Jahre der Präsenz avisiert. Wenn die USA gewählt haben, werden Afghanistan und wohl auch Pakistan zu den zentralen Orten des sogenannten Krieges gegen den Terror werden. Der ISAF-Oberkommandierende, General McNeill, sagte dieser Tage - Zitat -, es brauche 400 000 Soldaten, um Afghanistan zu befrieden. Er sagte allerdings auch, er sei der Auffassung, dass dieser Krieg bereits verloren ist. Aber unsere Minister Herr Jung und Herr Steinmeier nennen noch nicht einmal die wahren Opferzahlen. Deshalb nenne ich sie hier: 2007 waren 8 000 Tote zu beklagen, davon 1 500 Zivilisten. Laut UN sind dieses Jahr schon mehr als 4 600 Menschen ums Leben gekommen, darunter 1 450 Zivilpersonen. Die Zahl der bewaffneten Anschläge stieg von 9 000 im Jahr 2007 um 40 Prozent in diesem Jahr. Die USA teilen mit, dass in Afghanistan derzeit mehr amerikanische Soldaten als im Irak sterben. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist so dramatisch wie nie zuvor, und da behauptet unsere Regierung doch tatsächlich, dass immer mehr Soldaten zu immer mehr Sicherheit und Stabilität führen. Das ist doch Vortäuschung falscher Tatsachen. ({2}) Die afghanische Bevölkerung wird fremde Truppen auf Dauer nicht akzeptieren. Wer ihre Kultur kennt, weiß das. Der Widerstand wird größer und härter. Mehr fremde Soldaten bedeuten eine Stärkung der fundamentalistischen Kräfte. ({3}) Was macht die Taliban stark? Es ist der Krieg gegen sie. In Afghanistan werden deutsche Soldaten mittlerweile auch nicht mehr als Samariter in Uniform angesehen. Die Soldaten spüren das. Sie sind bewaffnet, sie sind bedroht, und sie sind sehr nervös. Gerade erst haben deutsche ISAF-Soldaten an einer Straßensperre eine Frau und zwei Kinder umgebracht. ({4}) Es ist offenkundig: Das Militär ist der falsche Helfer für dieses Land. ({5}) Es erweist sich immer mehr, dass die Zusage einer bedingungslosen Solidarität mit den USA falsch war und einen zu hohen Preis hat. Das heißt, die USA verstärken ihre Dominanz in der NATO. Das heißt auch, dass sich Deutschland den amerikanischen Interessen innerhalb der NATO immer mehr beugt. Und das heißt für uns, dass sich Deutschland von diesen US-geleiteten Interessen in der NATO endlich emanzipieren muss. ({6}) Es ist nämlich nicht richtig, dass die Bündnisverpflichtungen zwangsläufig dazu führen, dass man militärisch tätig werden muss. Es ist jetzt die zentrale Aufgabe der Politik, eine Exitstrategie zu entwickeln. Die Exitstrategie beginnt für uns mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. ({7}) Deutschland sollte sich ausschließlich zivil engagieren. Aufgaben gibt es genug. Der Polizeiaufbau wurde genannt. Dabei hat sich Deutschland wahrlich blamiert. Ein funktionierendes Rechtswesen gibt es in dem Land nicht, aber es wird mit lokalen Kriegsherren zusammengearbeitet, um für eine fragwürdige Stabilität zu sorgen. Das muss aufhören; denn es handelt sich bei den Kriegsherren um Fundamentalisten, die Frauen unterdrücken und die Einhaltung der Menschenrechte nicht gewährleisten. Es sind dieselben Kräfte, die für den Drogenanbau verantwortlich sind. ({8}) Niemand kann hier glaubhaft versichern, dass es einen zivilen Aufbau gibt, solange der Alltag von Hungertod bestimmt wird, die Müttersterblichkeit derart hoch ist, es Mädchenhandel gibt, Selbsttötungen von Witwen stattfinden und die Armut immer mehr wächst. All das hat sich, seit die ISAF ihr „Zivillabel“ trägt, in den Lebensalltag der Bevölkerung eingebrannt. 3,5 Milliarden Dollar wurden bisher für das Militär ausgegeben. Bis 2010 soll es lediglich 1 Milliarde Dollar für den Zivilaufbau sein. Das alles ist die Wirklichkeit, während Sie von Stabilität reden. In Afghanistan kann von demokratischen Freiheiten keine Rede sein. Eine belastbare soziale Infrastruktur ist nicht entstanden. Die Hilfsgelder sind - das wissen Sie ganz genau - in dunkle Kanäle geflossen oder gleich wieder an die Geberländer zurückgeflossen. Die USA haben Karzai mithilfe des Petersberger Prozesses unter Rot-Grün installiert. Und für was steht diese Karzai-Regierung? Sie steht für Korruption. ({9}) Ich frage: Geht es der NATO denn überhaupt wirklich um die Selbstbestimmung Afghanistans? Wenn dem so wäre, dann würde - das schlussfolgern wir - alle politische und diplomatische Kraft darauf verwandt, FriedensJirgas ins Leben zu rufen, die demokratischen Kräfte zu stärken, ein funktionierendes Rechts- und Polizeiwesen aufzubauen und Frauen gemäß der UN-Resolution 1325 eine zentrale Stellung beim Aufbau des Staates einzuräumen. Angesichts all der zunehmenden Sicherheitsprobleme kann nur gesagt werden: Mehr Militär bedeutet in der Praxis mehr Unsicherheit und mehr Gewalt. ({10}) Afghanistan braucht dringend einen Friedensprozess und eine politische Konfliktlösung. Die Anrainerstaaten müssen in diesen Friedensplan einbezogen werden. Das sind in unseren Augen Pakistan, Iran, Indien, China und Russland. Es muss - ja, auch das - mit den Taliban geredet werden; aber es darf ihnen auf gar keinen Fall Macht in einer Regierung eingeräumt werden. Afghaninnen und Afghanen wollen nicht von den Taliban terrorisiert werden. Aber sie wissen und sie sagen, dass sie selber mit ihnen fertig werden müssen. Denn sie haben eines gelernt: Solange der Krieg gegen Terror geführt wird, werden die Taliban, werden die fundamentalistischen Kräfte erstarken. Das widerspricht aller Zivilpolitik, die wir hier im Deutschen Bundestag zu vertreten haben. ({11}) Wohin Militär und Kriegslogik führen, sieht man in Afghanistan. Deshalb sagen wir - das zum Schluss noch zu Ihnen, Herr Steinmeier -: Natürlich soll Deutschland sich nicht am ausgeweiteten Antiterrorkampf beteiligen. Doch eines funktioniert nicht: Sie wollen die ISAF zur Stabilisierungstruppe hochstilisieren und Zustimmung erreichen, indem Sie die ohnehin zurzeit nicht vorhandene deutsche Beteiligung an OEF-Operationen in Afghanistan infrage stellen. Im Klartext heißt das: mehr für ISAF. Aber keine OEF? Dahinter ist ein dickes Fragezeichen zu setzen; denn wie man hört, operiert das KSK im Rahmen der ISAF in Afghanistan. Wem wollen Sie hier erzählen, dass Sie einen Ausstieg aus dem Antiterrorkampf vornehmen wollen? Das ist einfach nicht richtig, und nicht legitim, das vor dem Deutschen Bundestag zu vertreten. ({12}) Was also ist von all dem zu halten, was insbesondere Sie, Herr Steinmeier, heute noch einmal gesagt haben? Ich meine, davon ist nichts zu halten. Ich plädiere dafür, dass die deutsche Politik einen Richtungswechsel vollzieht, dass sie jetzt einen ernsthaften Exitplan entwickelt, dass sie alle Kraft darauf verwendet, mit den friedlichen und demokratischen Kräften in Afghanistan zusammenzuarbeiten,

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- dass sie mit allen diplomatischen Mitteln für einen Friedensplan wirbt und dass sie endlich von der falschen Logik abrückt, immer mehr Militär dorthin zu schicken. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage, Frau Knoche, die Sicherheitslage in Afghanistan hat sich verschärft - auch im Norden, auch im deutschen Verantwortungsbereich. Da gibt es nichts zu beschönigen. Aber die Frage ist: Was folgt daraus? Was ist die Konsequenz? Ich sage hier sehr deutlich - das steht für mich und meine Fraktion fest -: Ein Sofortabzug, so wie Sie ihn hier noch einmal gefordert haben, wird keine Friedens-Jirgas zur Folge haben, wie Sie dies geschildert haben, sondern bedeutet im Norden den Ausbruch eines Bürgerkrieges und im Süden die Rückkehr der Taliban. Das finde ich unverantwortlich. ({0}) Das ist vor allen Dingen gegenüber den Afghanen unverantwortlich. Sie finden deshalb in Afghanistan kaum jemanden, der den Abzug der internationalen Truppen fordert. Noch etwas: Es sind vor allem die demokratischen Kräfte, die Vertreterinnen von Frauenorganisationen, denen die Angst in den Augen steht, wenn das Thema Abzug angesprochen wird. Es ist klar, warum. Sie müssen nämlich um ihr Leben fürchten, wenn die Taliban zurückkehren. ({1}) Ich möchte an Folgendes erinnern: Es ist erst ein paar Tage her, da wurde die ranghöchste Polizistin im Bezirk Kandahar von den Taliban ermordet. Warum? Weil sie eine Frau ist und weil Frauen nach der Ideologie der Taliban im öffentlichen Leben nichts zu suchen haben. Diesen Frauen müssen Sie erklären, warum es in ihrem Interesse sein soll, dass wir sofort abziehen und Chaos und Terror hinterlassen. ({2}) Allerdings sind es gerade die fortschrittlichen Kräfte - das können sicherlich viele von denen bestätigen, die Reisen nach Afghanistan gemacht haben -, die massive Kritik an der Karzai-Regierung äußern und von der internationalen Gemeinschaft enttäuscht sind. Sie sind empört über Kollaborationen mit den alten Warlords; sie sind enttäuscht, dass von den Aufbaumitteln in Milliardenhöhe immer noch viel zu wenig vor Ort ankommt. Meine Damen und Herren von der Bundesregierung, ich glaube, dass es angesichts der sich verschärfenden Sicherheitslage einerseits und der extrem schlechten Stimmungslage in der Bevölkerung andererseits wichtig ist, endlich einen Kurswechsel einzuleiten. Wenn man das nicht tut, dann - so befürchte ich - wird dieser Einsatz scheitern, und das wollen wir alle hier nicht. ({3}) Ganz zentral ist dabei, dass endlich mit den Partnern in der NATO, vor allen Dingen mit den Amerikanern, darüber geredet wird, dass der Antiterroreinsatz OEF beendet wird. Es reicht nicht, dass in den NATO-Papieren von einer „comprehensive“, also von einer ganzheitlichen Strategie die Rede ist, wenn sich in der Realität der Afghanen nichts ändert. Es reicht auch nicht, dass Sie, Herr Außenminister, der OEF keine KSK-Einheiten mehr zur Verfügung stellen wollen. Das war zwar überfällig, ist aber leider halbherzig; denn damit hat man immer noch nicht den strategischen Dissens geklärt, der mit den Partnern im Bündnis besteht. ({4}) Die Amerikaner setzen vor allen Dingen auf aggressive Gegnerbekämpfung. Das heizt die Gewaltspirale an Kerstin Müller ({5}) und hat viele zivile Opfer zur Folge. Ich möchte an einen Bericht von Human Rights Watch erinnern; er ist im September erschienen. Darin wird aufgezeigt, dass sich die Zahl der Zivilopfer verdreifacht hat, vor allen Dingen durch ungeplante Luftangriffe. Laut UNAMA gab es noch nie so viele Opfer wie im August dieses Jahres. Das hat, auch wenn 90 Prozent der Anschläge im Süden und Osten passieren, eine verheerende delegitimierende Wirkung auf den gesamten Afghanistan-Einsatz. Dies wird auch im Norden wahrgenommen; die Menschen diskutieren darüber. Auch die Menschen in Afghanistan wollen einen Strategiewechsel und nicht, dass das Ganze nach Pakistan ausgeweitet wird. Daher brauchen wir endlich diesen Kurswechsel. ({6}) Allein ISAF muss sich darauf konzentrieren, den Schutz der afghanischen Bevölkerung und den Wiederaufbau zu sichern. Das Problem ist: Sie sind sich in der Koalition leider nicht so richtig über die Linie einig. Wir haben gerade Herrn Ramsauer gehört. Er will eine Exitstrategie, meint damit aber keine Befristung. Was damit gemeint ist, verstehen nur die Bayern. ({7}) Ich habe es nicht verstanden. Herr von Klaeden fordert dagegen mehr Soldaten. Der Außenminister will die KSK zurückziehen. Der Verteidigungsminister hingegen fordert AWACS. Und die Bundeskanzlerin schweigt. Ich fordere die Bundeskanzlerin auf, das Chaos in der Koalition in Sachen Afghanistan zu beseitigen und offensiv gegenüber den Verbündeten und der Öffentlichkeit für den notwendigen Kurswechsel einzutreten. ({8}) Statt AWACS und noch mehr Soldaten einzusetzen, muss der zivile Wiederaufbau endlich absolute Priorität erhalten; sonst verschärft sich die Schieflage zwischen militärischem und zivilem Beitrag weiter. Da reicht es nicht, die zivilen Ausgaben leicht zu erhöhen. Entwicklungsorganisationen wie VENRO und Caritas haben es noch einmal dargelegt: Eine massive Aufstockung der Mittel ist erforderlich, um eine nachhaltige Entwicklung in Afghanistan zu erreichen. Wir fordern zudem, dass auch das deutsche zivile Engagement in das Mandat aufgenommen wird. Übrigens sind wir uns hier mit dem Deutschen Bundeswehr-Verband einig, der diese Forderung heute auch aufgestellt hat. Wenn wir das Ganze zum Erfolg führen wollen, muss die Devise also lauten: Nicht kleckern, sondern klotzen. Wenn es uns nicht gelingt, die Herzen der Afghanen zu gewinnen, dann, befürchte ich, wird der Einsatz scheitern. Wir sollten alles versuchen, um das zu verhindern. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion. ({0})

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte zeigt, dass im Haus eine große Übereinstimmung darüber herrscht, wie mit dem ISAF-Mandat umzugehen ist. Es gibt eine Fraktion, die das völlig anders sieht. Frau Kollegin Knoche, Sie haben die Situation eines Nachkriegslandes beschrieben. Einige Ihrer Bemerkungen - das ist überhaupt nicht zu bestreiten - sind sicherlich zutreffend. Es wäre auch überraschend, wenn man Afghanistan, das 30 Jahre Bürgerkrieg und Okkupation erlebt hat, nach einer solch langen Phase, die wir hier zu betrachten haben, als ein befriedetes Land bezeichnen könnte, in dem sämtliche Strukturen funktionieren und die Aufbauarbeit abgeschlossen ist. ({0}) Ich denke, die Regierung ist der Aufforderung gefolgt, hier alles zu tun, um für eine friedliche Entwicklung Impulse zu geben. Das konnten wir tatsächlich erleben. Der Außenminister hat in seiner realistischen Darstellung beschrieben, wie sich die Regierung eingebracht hat. Ich erinnere an die Diskussion, die wir im Zusammenhang mit der Paris-Konferenz geführt haben. Auf dieser Konferenz wurde eine Art Zwischenbilanz gezogen; vor allen Dingen hat die internationale Gemeinschaft erneut bekräftigt, dass sie sich auch in Zukunft in Afghanistan engagieren will. Es ist unbestritten, dass wir im Rahmen unseres internationalen Engagements - ich habe das hier schon des Öfteren eingefordert mehr tun sollten, um die Effektivität, die Kooperation, die Koordination zu verbessern. Ich hoffe, dass im Zusammenhang mit den Aktivitäten des UN-Repräsentanten, Herrn Eide, weitere erkennbare Impulse gesetzt werden. Wir sind uns einig, dass die Hilfe zur Eigenverantwortung in Afghanistan im Vordergrund stehen muss. Ich denke, dass alle Aktivitäten, die von uns eingebracht werden, diesem Ziel dienen. ({1}) Wir müssen an dieser Stelle noch einmal deutlich machen, dass die afghanische Regierung, Präsident Karzai, nicht aus der Verantwortung entlassen werden kann, dass sie einen Gutteil Bringschuld gegenüber der internationalen Gemeinschaft und insbesondere gegenüber der afghanischen Bevölkerung tragen muss. ({2}) Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen, dass nämlich die Korruption im Land nicht genügend bekämpft wird, dass es eine mangelnde Bereitschaft der Regierung gibt, sich des Problems des Drogenanbaus anzunehmen. In dieser Situation sollte die internationale Gemeinschaft ihre Interessen gemeinsam stärker einbringen. Ich höre, dass Regierungsumbildungen in Kabul anstehen: Möglicherweise wird der Innen19314 minister ausgetauscht; möglicherweise soll der Bildungsminister in diesem Bereich tätig werden. Eventuell werden dort Schritte eingeleitet, die in unserem Sinne sind. Aus meiner Sicht - das ist auch schon von anderen Kollegen angesprochen worden - ist es absolut notwendig, die regionale Zusammenarbeit zu verstärken. Wir müssen die großen Nachbarn, Pakistan und Iran, viel stärker mit einbeziehen. Die Lage in Pakistan ist nach den Wahlen und der Regierungsbildung nicht unbedingt einfacher geworden. Andererseits ist es aber so, dass es in den Provinzen Verantwortungsträgerinnen und -träger gibt, die sich nicht dem Fundamentalismus angeschlossen haben, sondern ganz bewusst auf Säkularisierung, Veränderung und Reformen setzen. Ich denke, dass solche Kräfte massiv unterstützt werden müssen. ({3}) In der Diskussion darüber, ob wir uns für die Verlängerung des ISAF-Mandats - ich glaube, in großer Mehrheit wird das der Fall sein - aussprechen sollten, ist zu unterstreichen, dass diejenigen recht haben, die sagen: Militärisch ist das Land nicht zu gewinnen. Wir können dieses Land nur gewinnen, wenn wir den zivilen Aufbau bewerkstelligen, ({4}) wenn wir die entsprechenden Infrastrukturen und vor allen Dingen die Instrumente für eine innere Sicherheit schaffen. Ich finde, dass wir nicht immer nur über Polizei und Militär sprechen und dabei die Justiz vernachlässigen dürfen. Herr Dr. Hoyer, Sie hatten angesprochen, dass man für die Polizei ebenfalls ein Mandat vorsehen sollte. Darüber kann man diskutieren. Vielleicht sollten wir uns aber bei dieser besonderen Herausforderung, die in Afghanistan zu meistern ist, auf völlig andere Konzepte einlassen und ein Paket schnüren und festlegen, wie wir uns die Zusammenarbeit in Afghanistan vorstellen. Wenn Sie davon sprechen, dass die Polizisten einbezogen werden sollen, fragt man sich: Was ist mit den zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich manchmal noch beträchtlicheren Risiken aussetzen? ({5}) - Herr Kollege Nachtwei, ich finde es äußerst angenehm, in dieser Debatte die große Kollegialität von jenen zu spüren, die sich intensiv mit Afghanistan beschäftigt haben. Denn deren Meinungen und Einschätzungen weisen eine unwahrscheinlich große Schnittmenge auf. Deswegen sollte man weiter daran arbeiten. Mein Bemühen ist, die Opposition an unsere Seite zu bekommen, weil es wirklich absolut schädlich wäre, wenn es in dieser Frage eine Polarisierung gäbe. Die Herausforderung besteht darin, dass wir mit einer stärkeren Verbindlichkeit und größerer Effektivität in diesen zivilen Aufbau einsteigen und dass wir die Bevölkerung stärker einbeziehen - wie zum Beispiel die Kanadier, die mit Benchmarking-Systemen operieren. Ich möchte mich bei der Bundesregierung dafür bedanken, dass die Informationen weitaus besser und intensiver geworden sind. Aber eine noch stärkere Einbeziehung wäre möglich. Ich möchte nun zum Ende kommen, da meine Redezeit abgelaufen ist. Meine persönliche Erfahrung ist - das habe ich schon einmal gesagt -: Mehr Informationen tragen zu mehr Verständnis bei. ({6}) Zurückgehaltene Informationen tragen zu Missverständnissen und Unsicherheit in der deutschen Bevölkerung bei. Wir sollten mit der Afghanistan-Politik nicht deutsche Innenpolitik, sondern wirklich Außenpolitik machen, eine Außenpolitik, die sich gegenüber der UN und den Afghanen solidarisch verhält. Vielen Dank. ({7})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Außenminister hat vorhin in seiner Einführung deutlich gemacht, dass wir heute in erster Lesung über die Verlängerung des ISAF-Mandats sprechen. Er hat aber in diesem Zusammenhang auch zwei andere Punkte angesprochen: die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom und die Frage der AWACS-Aufklärung. Herr Minister, an dieser Stelle muss ganz deutlich gesagt werden, dass natürlich darüber gesprochen werden kann, ob das Mandat für 100 KSK-Soldaten im Rahmen der Operation Enduring Freedom verlängert wird oder nicht, zumal diese seit Jahren nicht im Einsatz waren und auch nicht mehr eingesetzt werden sollten; so viel war ja klar. Das wird aber in der Absicht gemacht, zu suggerieren, dass eine Beteiligung an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan nicht mehr stattfindet. Sie sollten so ehrlich sein, dem Deutschen Bundestag und der deutschen Öffentlichkeit zu sagen: Wenn es zu der AWACS-Aufklärung, für die Sie sich einsetzen, kommt, wird nicht zwischen ISAF und OEF oder zwischen zivil und militärisch unterschieden werden können. ({0}) Es wird alles umfassen. Das bedeutet, dass man dadurch selbstverständlich am OEF-Mandat beteiligt ist. Herr Minister, das sollten Sie in aller Deutlichkeit sagen. ({1}) Wir haben hier und heute viel über den Aufbau gehört. Wir haben gehört, dass der Aufbau Fortschritte macht. Gleichzeitig verschlechtert sich allerdings die Sicherheitslage. Die Gespräche, die ich im Rahmen eines Delegationsbesuchs in der vergangenen Woche in Afghanistan führen konnte, bestärken mich in dem Eindruck, dass der Fortschritt für die Verschärfung der Sicherheitslage ursächlich ist. Die Taliban, die Aufständischen werden dadurch, dass sich die Situation verbessert, geradezu herausgefordert, Widerstand zu leisten. Deswegen steigt die Bedrohung für Polizisten, Entwicklungshelfer, Landarbeiter oder auch Lehrer. Es gibt aber auch ermutigende Zeichen der Zivilcourage. Ein Beispiel aus der letzten Woche: Im Süden Afghanistans ist eine Schule mit internationaler Hilfe aufgebaut worden. Als die Taliban kamen und diese Schule mit Bulldozern niedermachen wollten, hat sich die Bevölkerung dazwischengestellt und gesagt: Nein, wir wollen, dass diese Schule betrieben wird. - Das zeigt: Die Menschen wollen den Fortschritt. Wir sollten sie dabei unterstützen. ({2}) Der Erfolg in Afghanistan ist nicht allein mit immer mehr Militär zu erreichen; aber die militärische Absicherung ist notwendig. Keine Krankenschwester, kein Lehrer, kein Entwicklungshelfer kann auf Dauer ohne sicheres Umfeld arbeiten. Darum brauchen wir die militärische Absicherung nach wie vor. Es gibt viele Beispiele. So wurde zum Beispiel versucht, Straßen zu blockieren. Erst nachdem das Militär die Straßen von den Aufständischen freigeräumt hatte, konnte UNAMA mit dem Wiederaufbau weitermachen. Genau diesen Weg müssen wir weitergehen. Dafür brauchen wir schlicht und ergreifend auch das Militär. Frau Kollegin Knoche, ich komme jetzt einmal auf Sie zu sprechen. Sie haben gesagt, dass Zivilpersonen ums Leben gekommen sind. Das ist in der Tat richtig und bedauerlich. Wir alle haben hier mehrfach deutlich gemacht, dass alles getan werden muss, um Schäden an der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Sie aber haben suggeriert, das Militär habe das verursacht. Das stimmt natürlich in keiner Weise. Es sind deutlich mehr Zivilisten durch Selbstmordattentate und Anschläge ums Leben gekommen. Das Militär bedroht die Zivilbevölkerung nicht. Wir alle haben heute ein Schreiben der Gesellschaft für bedrohte Völker erhalten. Ich zitiere: Nun auf halbem Wege die Mission abzubrechen, ist keine glaubwürdige Alternative, da ohne die Schutztruppe die Sicherheit der Zivilbevölkerung nicht gewährleistet ist. Dem schließe ich mich an. ({3}) Der Ansatz der vernetzten Sicherheit - diesbezüglich formulieren wir eine deutliche Bitte an die Bundesregierung - ist richtig. Wir haben dieses Thema mehrfach hier besprochen und beschlossen, den Wiederaufbau in den Mittelpunkt zu stellen. Nur, mehr Geld allein reicht nicht. Es mangelt auch nicht an Papieren, sondern, meine Damen und Herren von der Regierung, an der Umsetzung. Beim PAT in Taloqan haben wir folgende Situation: Die Bundeswehr ist vor Ort. Es handelt sich um eine Region, die dringend der Unterstützung beim Wiederaufbau bedarf. Wir haben dieser Region Unterstützung zugesagt. Den ganzen Sommer über aber war die zuständige Stelle vom BMZ, vom Entwicklungshilfeministerium, nicht besetzt. Wir haben wertvolle Zeit verloren, die wir dringend für die Durchführung ziviler Maßnahmen gebraucht hätten. Solche Fehler bei der Koordination dürfen der Bundesregierung nicht passieren. Sie müssen zukünftig vermieden werden. ({4}) Es ist wichtig, dass wir die Zeit, die wir haben - sie läuft uns ein Stück weit davon -, nutzen, um für selbsttragende Sicherheit zu sorgen. Deswegen sage ich an dieser Stelle ganz deutlich: Herr Minister, Sie haben vorhin gesagt, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Zahl der Polizisten zu erhöhen. Wir stehen diesbezüglich voll auf Ihrer Seite. Ich möchte aber auch deutlich machen: 60 deutsche Polizisten wurden zugesagt, im Augenblick sind aber nur 33 vor Ort. Hinzu kommt, dass die meisten dieser Polizisten nicht mit der dringend erforderlichen Polizeiausbildung beschäftigt sind. Sie sind im Bereich der strategischen Beratung mit der Ausarbeitung von Papieren beschäftigt. Das ist eine Fehlallokation von Ressourcen. Sie haben gesagt, dass Sie erkannt haben, dass an dieser Stelle gehandelt werden muss. Wir möchten Sie bitten, diesen Worten endlich Taten folgen zu lassen. Ändern Sie die Struktur der Hilfe beim Polizeiaufbau! Das ist dringend notwendig, damit wir Sicherheit in Afghanistan ermöglichen können. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, angesichts dieser Debatte fragen sich viele Bürgerinnen und Bürger: Warum sind so viele Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan? Bei all dem, was hier vorgetragen wird, darf meines Erachtens nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Anschläge des 11. September 2001 in New York von Afghanistan ausgegangen sind und dass wir in Afghanistan fast 30 Millionen Menschen von der Terrorherrschaft der Taliban befreit haben, aber auch, dass wir heute eine internationale Bedrohungslage haben und es deshalb wesentlich klüger ist, die Gefahren an der Quelle zu beseiti19316 gen, dort, wo sie entstehen, bevor sie in wesentlich größerer Dimension unser eigenes Land erreichen. Deshalb ist der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten zur Stabilisierung in Afghanistan auch ein Beitrag für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. ({0}) Ich denke, dass unsere Strategie der vernetzten Sicherheit oder, wie wir es jetzt in der NATO durchgesetzt haben, des Comprehensive Approach, des umfassenden Ansatzes, richtig ist. Ohne Sicherheit keine Entwicklung, aber ohne Entwicklung auch keine Sicherheit! Wir müssen die Herzen und die Köpfe der Menschen dort gewinnen. Das gelingt uns mit unserer Strategie. Ich war gerade in Afghanistan. Wenn Sie beispielsweise von Kunduz nach Faizabad fliegen und die Menschen Ihnen zuwinken und sich freuen, dass die Bundeswehr dort im Einsatz ist, wenn Sie mit dem Gouverneur sprechen, Frau Knoche, der Ihnen sagt, dass 90 Prozent der Bevölkerung für den Einsatz der Bundeswehr dankbar sind, dann wird deutlich, dass diese Strategie richtig ist. Frau Knoche, Sie haben hier versucht, den tragischen Zwischenfall am Kontrollpunkt politisch zu instrumentalisieren. Der Gouverneur hat mir gesagt: Schuld war der Fahrer, der mit hoher Geschwindigkeit auf die Gruppe zugefahren ist. Hier musste die Schutzfunktion vonseiten unserer Soldaten ausgeübt werden. Ich weise Ihre Unterstellung mit Nachdruck zurück und unterstütze unsere Soldaten in diesem schwierigen Einsatz für unsere Sicherheit. ({1}) Ich denke, unser Einsatz kann sich sehen lassen. Aber unser Ziel - das war ein Punkt, den wir auf dem Gipfel in Bukarest beschlossen haben - ist eine Gesamtstrategie; ich habe es Erfolgsstrategie genannt. Das heißt im Klartext: Wir brauchen ausgebildete afghanische Streitkräfte und Polizisten. Deshalb ist unsere Absicht, die Ausbildung zu verstärken. Wir wollen im nächsten Jahr 7 500 afghanische Streitkräfte ausbilden. Wir werden unseren Einsatz für die Ausbildung der Polizei verdoppeln, weil es letztlich darum geht, Afghanistan in die Lage zu versetzen, selbst für seine Sicherheit zu sorgen, und damit auch eine Erfolgsstrategie, eine Gesamtstrategie für Afghanistan umzusetzen. ({2}) Lassen Sie mich hinzufügen: Wir haben, denke ich, schon viele Erfolge erreicht. Wir haben allein im Norden Afghanistans 830 Projekte umgesetzt, die Infrastruktur, Energie, Wasserversorgung, Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser umfassen. Ich war jetzt in der AmaniOberschule. Dort können Sie sehen, wie Schülerinnen und Schüler fröhlich zusammen lernen; sie haben eine Zukunftsperspektive. Sie müssen doch zur Kenntnis nehmen, Frau Knoche, dass unter den Taliban Mädchen überhaupt nicht in die Schule durften. ({3}) 1 Million Kinder war damals in den Schulen; jetzt sind fast 7 Millionen Kinder in den Schulen. Wir haben 80 Prozent der Gesundheitsversorgung sichergestellt. 5 Millionen Flüchtlinge sind nach Afghanistan zurückgekehrt. In einer Umfrage haben die Menschen bestätigt, dass sie sich auch und gerade durch unseren Einsatz wieder sicherer fühlen. Man darf die Erfolge, die durch unseren Einsatz zur Stabilisierung in Afghanistan erreicht worden sind, nicht verschweigen. ({4}) Meine Damen und Herren, unsere Soldatinnen und Soldaten absolvieren dort einen riskanten Einsatz, verbunden mit Gefahren für Leib und Leben. Wir haben in diesem Einsatz bereits 28 Soldaten verloren. Ich denke, es ist wichtig, immer wieder darzustellen, vor welchen Herausforderungen die Bundeswehr dort steht. Meines Erachtens kann uns der Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten mit Dankbarkeit erfüllen. Sie sind dort in einer Art und Weise engagiert, dass der Ansatz der vernetzten Sicherheit umgesetzt und das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gemehrt wird. Ich bin unseren Soldatinnen und Soldaten dankbar für ihren Einsatz, den sie im Interesse unserer Sicherheit leisten. ({5}) Herr Lafontaine, weil Sie gerade hier sind, spreche ich Sie sehr konkret an. In den Gesprächen mit den Soldaten spüre ich immer wieder, dass sie es geradezu als eine Unverschämtheit empfinden, wenn Sie unsere Soldatinnen und Soldaten in die Ecke von terroristischen Aktivitäten rücken. Dies ist eine Beleidigung unserer Soldaten und hat meines Erachtens mit der Realität nichts zu tun. ({6}) Wegen der mit dem Einsatz verbundenen Gefahren ist es notwendig, dass wir alle Voraussetzungen schaffen, damit unsere Soldaten ihren Auftrag dort gut erfüllen können. Wir haben mittlerweile über 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan, mehr als alle anderen Nationen dort. Wir haben die Aufklärung verstärkt. Wir haben zusätzliche Verstärkungstruppen dorthin geschickt, weil wir aufgrund der Verschärfung der Sicherheitslage, die unbestritten eingetreten ist, mehr Flexibilität brauchen. Deshalb wollen wir auch die Mandatsobergrenze um 1 000 erhöhen, allerdings nicht, um sofort 1 000 Soldaten mehr dorthin zu schicken, sondern um flexibler zu sein, um in der Ausbildung und für eine eventuelle Verstärkung zum Schutz unserer Soldaten mehr tun zu können. Auch die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr sollten wir im Blick behalten. Ebenso wichtig ist es aber, dass wir die Situation in Pakistan im Blick behalten. Ich war gerade in Pakistan und habe dort sowohl mit dem Ministerpräsidenten als auch dem Außenminister, dem Verteidigungsminister und dem Generalstabschef gesprochen. Meines Erachtens ist es gut und richtig, wenn wir in Kooperation mit Pakistan, Afghanistan und der NATO dafür sorgen, dass die bestehende Situation an der Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan sicherer wird; denn das Grenzgebiet ist ein Rückzugsgebiet für die Taliban und dient dem Nachschub von terroristischen Aktivitäten nach Afghanistan. Deshalb ist es richtig, wenn wir hier zu einer Kooperation kommen, auch im Interesse des Schutzes unserer Soldatinnen und Soldaten. ({7}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie um Ihre Unterstützung für den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan; denn dieses Land darf nicht zurückfallen und wieder zum Ausbildungscamp für den Terrorismus werden. Wer heute einen Rückzug propagiert, gefährdet damit auch die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Für ihren gefährlichen Einsatz im Interesse unserer Sicherheit haben unsere Soldatinnen und Soldaten eine breite Unterstützung dieses Hohen Hauses verdient. Haben Sie recht herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Winfried Nachtwei ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ist der Aufbau in Afghanistan gescheitert? Wer das behauptet, verzerrt die Wirklichkeit in Afghanistan. ({0}) Diejenigen, die in Masar, in Herat, in Kundus und an anderen Stellen in Afghanistan waren, haben es erlebt: Es geht einiges voran; das ist unbestreitbar. Wer einen Sofortabzug fordert, setzt diese Fortschritte aufs Spiel und fordert de facto einen Rückfall Afghanistans in die frühen 90er-Jahre, in den Bürgerkrieg. ({1}) Der Aufbau verläuft jedoch viel zu langsam. Er findet viel zu wenig in der Fläche - auf dem Land - statt, und ist auch angesichts des rasanten Bevölkerungswachstums viel zu schwach. Außerdem ist er aufgrund der immer schlechteren Sicherheitslage akut gefährdet. Im Süden und im Osten des Landes sind inzwischen einige Zehntausend Soldaten im Einsatz. Dennoch hat die Zahl der Zusammenstöße und Anschläge zugenommen; in vielen Distrikten herrscht eine Situation, die einem asymmetrischen Krieg gleicht. Im Norden und im Westen des Landes sind viel weniger Soldaten im Einsatz, nur einige Tausend. Sie haben es vor allem mit Angriffen einsickernder aufständischer Gruppen zu tun, gegen die sie sich wehren müssen. Im Rahmen von ISAF lässt man sich allerdings nicht darauf ein, auf die Aktionen der Aufständischen kriegerisch zu reagieren. Man handelt nach wie vor sehr besonnen. Das haben wir vor Ort beobachten können. In Afghanistan sind zwei Dynamiken festzustellen: eine negative, destruktive Dynamik und eine positive, konstruktive Dynamik. Mein inzwischen leider sehr verhärteter Eindruck ist, dass die negative Dynamik zurzeit deutlich größer ist als die positive. Soll ein solch negativer Trend gestoppt und umgekehrt werden, bedarf es ganz besonderer Anstrengungen: auf afghanischer, auf internationaler und auf deutscher Seite. ({2}) Was tut die Bundesregierung? Ich sage ausdrücklich: Die Verlängerung des ISAF-Mandats ist richtig und unverzichtbar. Die Aufstockung der Obergrenze des Bundeswehrkontingents ist im Hinblick auf die Flexibilität, die Wahlen und die Ausbildungsunterstützung militärisch plausibel. Wie wir wissen, führt das Militärische allein aber nicht zum Erfolg. Daher frage ich: Was geschieht darüber hinaus? Was das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung angeht, muss ich sagen: Nachjustieren reicht nicht aus. In diesem Konzept wird lediglich hier und da nachjustiert. Insgesamt setzen Sie aber Ihre halbherzige Afghanistan-Politik fort. „Halbherzigkeit“ ist übrigens ein Begriff, den die Einsatzkräfte vor Ort verwendet haben, nicht etwa ein Wortgebilde der Opposition. Wo ist nach sieben Jahren Afghanistan-Engagement eine ehrliche und ungeschönte Bestandsaufnahme? An dieser Stelle schließe ich die Fehler und Fehleinschätzungen, zu denen es unter Rot-Grün gekommen ist und die wir mitverantworten müssen, ausdrücklich ein. Wenn man in der Afghanistan-Politik Glaubwürdigkeit zurückgewinnen will, dann muss man schließlich auch sagen, wo man sich selbst geirrt hat. ({3}) Wo ist der regionale Stabilisierungsansatz, in dessen Rahmen nicht nur Pakistan - davon war gerade die Rede -, sondern auch Indien, Iran und die zentralasiatischen Anrainer einbezogen werden? Wo ist die Klärung des faktischen strategischen Dissenses zwischen den verschiedenen Teilnehmerstaaten der NATO? Wo sind im Hinblick auf das deutsche Engagement die realistischen und ehrgeizigen Ziele, durch die Perspektiven für die Verantwortungsübergabe im Sicherheitsbereich und für einen Abzug in absehbarer Zeit eröffnet werden? Wo ist die Aufbauoffensive - hier spielt die Förderung der Landwirtschaft eine große Rolle -, und wo ist eine ausgewogene zivil-militärische Zusammenarbeit? Afghanistan braucht einen langen Atem. Kai Eide und die ISAF-Generale haben betont, dass uns die Zeit wegläuft. Die meisten hier im Saal sind sich einig: Wir wol19318 len die Menschen in Afghanistan nach 30 Jahren Krieg nicht im Stich lassen. Aber eine Politik, die den Ernst der Lage nicht erkennen lässt, untergräbt den Sinn dieses Einsatzes und den Sinn des Engagements der vielen fantastischen Leute, die vor Ort im Einsatz sind: der Diplomaten, der Soldaten, der Polizisten und der Entwicklungshelfer. Danke schön. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Ursula Mogg hat nun das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir diskutieren heute in erster Lesung über die Fortsetzung unseres ISAF-Mandats, und ich denke, wir haben jeden Grund, das mit großer Ernsthaftigkeit zu tun. Die Präsenz heute im Plenum des Deutschen Bundestages ist für mich ein Beleg dafür, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, dies auch so sehen. Ich hatte in der vergangenen Woche die Gelegenheit, mich vor Ort in Afghanistan zu informieren und viele Gespräche zu führen. Deshalb ist es mir ein besonderes Bedürfnis, zu Beginn meines Beitrages diese Ernsthaftigkeit und all die Fragen anzusprechen, um die es im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich im Kern geht. Ich will auch noch einmal darauf hinweisen, warum wir in Afghanistan sind. Ich habe nämlich in vielen Debatten den Eindruck gewonnen, dass in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten ist, weshalb wir in Afghanistan sind. Wir sind in Afghanistan, weil durch die Ereignisse am 11. September 2001 all unsere sicherheitspolitischen Vorstellungen, die wir bis dahin hatten, auf den Kopf gestellt wurden. Wir diskutieren über diese Fragen auf der Basis eines UN-Mandats, das gerade wieder verlängert worden ist. Wir beziehen uns auf ein Konzept, das mit dem Namen Petersberg verbunden ist, wir beziehen uns auf den Afghanistan Compact und auf die Konferenz in Paris. Es ist mir auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass bereits in dem Namen dieses Mandats, ISAF, enthalten ist, dass es um „Assistance“ geht, um die Unterstützung der afghanischen Bevölkerung. Es handelt sich also nicht um einen Anspruch, militärisch vorzugehen. Dass ein langer Atem für diesen Einsatz gebraucht wird, haben viele Vorredner bereits angesprochen. Ich erinnere mich noch sehr gut an Präsident Karzai in Bukarest, wo er mit Blick darauf, dass Afghanistan kein Failed State, sondern ein Destroyed State ist, ebenfalls einen langen Atem gefordert hat. Wir beraten heute über 1 000 zusätzliche Soldaten für dieses Mandat. In den Debatten, die wir führen, wird immer wieder die Frage gestellt, ob die Aufstockung eine weitere Militarisierung unseres Einsatzes bedeutet. Ich möchte ausdrücklich sagen: Nein, das bedeutet sie nicht. Sie alle kennen den Vergleich mit dem, was wir auf dem Balkan, im Kosovo, militärisch geleistet haben, und Sie kennen die Größenverhältnisse. Für Kosovo haben wir in der Spitze über 4 500 Soldaten gesprochen. Über so viele Soldaten diskutieren wir heute auch für Afghanistan. Das Kosovo ist so groß wie das Bundesland Hessen. Unser Zuständigkeitsbereich in RC North ist halb so groß wie die gesamte Bundesrepublik. Im Übrigen müssen wir uns immer wieder verdeutlichen, dass wir im Deutschen Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr und militärischer Mitteln diskutieren. Wir diskutieren aber nicht - Herr Kollege Hoyer, hier bin ich sehr nahe bei Ihnen - über die Einsätze unserer Polizisten im Rahmen eines Mandats, auch nicht über den Einsatz unserer NGOs und auch nicht über all das, was unsere Diplomatinnen und Diplomaten in Afghanistan leisten. An dieser Stelle sei erwähnt, dass „Mandatsobergrenze“ aus der Sicht der Soldatinnen und Soldaten das Unwort des Jahres 2008 ist. Vor wenigen Tagen hat mir in Afghanistan eine Soldatin berichtet, dass sie vier Wochen lang auf gepackten Koffern saß und fortgesetzt unterschiedliche Nachrichten darüber erhalten hat, ob sie nun in den Einsatz geht oder nicht. Das ist für die Soldatinnen und Soldaten in der Tat eine schwierige Situation. Warum sind weitere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan nötig? Sie sind notwendig, weil wir mehr Flexibilität brauchen, um auf unvorhergesehene Sicherheitslagen reagieren zu können. Daneben wollen wir uns in geeigneter Weise auf die Situation rund um die Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr vorbereiten. Das ist also absolut nachvollziehbar. Es wird viel gefordert, zum Beispiel, dass wir ein Ausstiegsszenario haben müssen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein solches Szenario gibt es. Das haben wir in Bukarest beschlossen, und zwar entlang der Frage, wie wir in Afghanistan in der Lage sind, Polizei- und Militärkräfte auszubilden und aufzubauen. Dafür gibt es auch Zeitlinien. Insofern kann ich nur dringend raten, all das zu berücksichtigen, was wir schon in der Vergangenheit diskutiert und beschlossen haben. Es wird auch viel über das Verhältnis von zivilen und militärischen Mitteln diskutiert, die wir einsetzen. Es wurde schon angesprochen, dass wir eine militärische Flankierung brauchen, wenn wir im zivilen Bereich tätig werden wollen; ohne diese Flankierung geht es leider nicht. Es ist mir aber auch ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass wir die Mittel für den zivilen Bereich aufgestockt haben, aber dass es nicht allein um mehr Geld gehen kann. Die Mittel müssen auch abfließen und in Projekte umgesetzt werden können. ({0}) Ich gestehe offen und ehrlich: Die Sicherheits- und Verteidigungspolitikerinnen und -politiker der SPDFraktion hätten sich bei der Bekämpfung des Drogenanbaus ein bisschen mehr Butter bei die Fische gewünscht. Es geht nicht darum, Felder abzubrennen oder den Bauern die Existenzgrundlage zu nehmen, sondern darum, beispielsweise Wege zu sperren oder Labore stillzulegen. Dazu hätten wir uns ein bisschen mehr gewünscht als die Formulierung im Antrag der Bundesregierung zu der Mandatsverlängerung. Daran sollten wir weiter arbeiten. Mit Blick auf die Zeit komme ich zum letzten Punkt. Die Bundesregierung hat in Bukarest folgende Erklärung unterschrieben: Wir stützen uns - ich zitiere auf einen mittelfristigen, internen politisch-militärischen Plan - in Übereinstimmung mit dem Afghanistan Compact und der nationalen afghanischen Entwicklungsstrategie -, der regelmäßig aktualisiert wird und auf dessen Grundlage wir die Fortschritte messen werden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin!

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Ich bin gleich fertig. - Jetzt kommt mein allerletzter Gedanke: Eine Mandatsdebatte ist auch immer dazu geeignet, eine Evaluierung herbeizuführen. Aber die zitierte Formulierung aus der Erklärung von Bukarest ist für uns Anlass, eine jährliche Evaluierung in einer formalisierten Form zu fordern. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und Ihre Geduld, Herr Präsident. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich hätte mir für heute gewünscht, dass ein Redner der Regierungsfraktion klipp und klar erklärt hätte: Seit Wochen steht der Termin für die erste Lesung der ISAFMandatsverlängerung fest. Es ist eine Frechheit, dass der Antrag der Bundesregierung zur Mandatsverlängerung dem Parlament erst vier Stunden vor der Sondersitzung des Bundestages vorgelegt wird. ({0}) Das ist eine grobe Missachtung der ersten Gewalt, und ich bitte den Herrn Bundestagspräsidenten, dies gegenüber der zweiten Gewalt mit der gebotenen Deutlichkeit zu rügen. Seit sieben Jahren hören wir an dieser Stelle immer dieselben Argumente, wenn es um den Bundeswehreinsatz in Afghanistan geht. Gemessen daran müsste es dort inzwischen blühende Landschaften, eine sich selbst tragende Wirtschaft und eine afghanische Bevölkerung geben, die sicher leben kann und deren materielle Grundbedürfnisse gedeckt sind. Die Realität sieht - das wissen wir alle - anders aus. Das einzige, was dort blüht, sind Mohnfelder. ({1}) Deren Erträge finanzieren das süße Leben der Warlords, die auch in der afghanischen Regierung sitzen, und mancher Gouverneure in den Provinzen. Im Jahr 2008 zählt ISAF wöchentlich zehnmal so viele Anschläge wie 2005 pro Monat. Die UN-Mission in Afghanistan berichtet über einen fast 40-prozentigen Anstieg ziviler Toter durch den Krieg im ersten Halbjahr 2008. Nun kann man einwenden, dass die Mehrzahl dieser Opfer auf Kosten der Aufständischen geht; das bestreite ich gar nicht. Aber erstens gibt es jährlich Hunderte von Opfern durch die Luftnahunterstützung der ISAF-Bodentruppen, die stets auch Unbeteiligte trifft. Zweitens führt dieses Vorgehen dem Widerstand ständig neue Kräfte zu. Ich frage mich, wann hier begriffen wird, dass das die Ursache für die dramatische Verschlechterung der Lage ist. Dafür müsste allerdings endlich der Charakter des Krieges in Afghanistan zur Kenntnis genommen werden. ({2}) Der einstige Auftrag von ISAF, die afghanische Regierung beim Wiederaufbau des Landes zu unterstützen, ist doch unter der De-facto-Führung der USA längst zur reinen Aufstandsbekämpfung degeneriert. Die Afghanen wehren sich ganz einfach gegen westliche Fremdbestimmung und eine Regierung, die sie als nicht repräsentativ ansehen. Hat sich einmal jemand von den Mandatsbefürwortern gefragt, was US-Bürger machen würden, wenn ihnen ausländische Truppen ihre Vorstellungen von Demokratie aufzwingen wollten? Es geht nicht um die Bekämpfung des Terrorismus. Es geht vielmehr um die Beherrschung eines Landes, das aus US-Sicht eine strategische Schlüsselstellung gegenüber China, Russland, Iran und den zentralasiatischen ehemaligen Sowjetrepubliken einnimmt. ({3}) Im neuen Feldhandbuch 3-7 für die US-Armee wird glasklar und arrogant der Auftrag der Armee definiert: Bekämpfung der Feinde - ich wiederhole: Bekämpfung der Feinde -, die Amerikas Zugang zum Rest der Welt und seinen globalen Einfluss begrenzen wollen. Sich an solchen Kriegen zu beteiligen, kann nicht im deutschen und europäischen Interesse liegen. ({4}) Wir erleben im Übrigen seit einigen Wochen, wie auch ISAF unter der Führung der USA den schon immer fragilen Nuklearstaat Pakistan vorsätzlich durch Angriffe auf sein Territorium destabilisiert. Die möglichen Folgen können alles in den Schatten stellen, was wir zum Beispiel aus der Geschichte Kambodschas kennen, das 1970 auf dieselbe Weise ins Chaos gestürzt wurde. Wenn es dazu kommt, trägt die Bundesregierung die Mitverantwortung auch dann, wenn sie militärisch nicht beteiligt ist. Allein deswegen darf es ein „Weiter so!“ nicht geben. Unter dem Druck der Wähler scheint nun wenigstens die CSU nachdenklich geworden zu sein, wenn sie von der Bundesregierung eine Ausstiegsstrategie erwartet. Was Herr Ramsauer hier gesagt hat, ist allerdings das genaue Gegenteil. Ich muss feststellen, dass Herr Ramsauer für die CSU mit gespaltener Zunge spricht. Worauf es jetzt ankommt, ist nicht die Aufstockung des deutschen Kontingents. Vielmehr kommt es auf die Unterstützung von Entwicklungen in Afghanistan an, die bereits seit Monaten im Gang sind. Ich meine die Initiative von Präsident Karzai, mithilfe befreundeter Staaten wie Saudi-Arabien zu einer Verhandlungslösung im Dialog mit den Taliban zu kommen. Von der Bundesregierung ist hierzu bisher jedoch wenig zu vernehmen. Sie sollte sich aktiv für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen und hierbei Unterstützung leisten, anstatt ihren siebenjährigen Irrweg im Schlepptau der USA weiter zu verfolgen. Vielen Dank. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Bernd Schmidbauer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernd Schmidbauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001995, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Punkte richtigstellen. Frau Knoche, alle Fraktionen dieses Hauses waren mit dem Vorgehen, der heutigen Beratung und den weiteren Beratungen in der nächsten Woche, einverstanden. Für Sie mag es bedauerlich sein, aber Sie waren es ganz bestimmt nicht, die uns getrieben haben. ({0}) Ich will feststellen: Der Verlauf der Debatte ist ein Ergebnis vieler Beratungen in den Ausschüssen und im Deutschen Bundestag. Es gab wohl noch kein Thema, über das alle Fraktionen so ausführlich und mit so großer Übereinstimmung in den Ausschüssen debattiert haben. Das gilt auch im Hinblick auf die Opposition, die Grünen und die FDP. Wir haben die Argumente im Ausschuss ausgetauscht, insbesondere die kritischen Argumente, die zum Einsatz in Afghanistan vorgetragen wurden. Ich finde, das ist eine hervorragende Ausgangssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Sie können sicher sein, dass hier zu weit über 90 Prozent Übereinstimmung über ihren Einsatz und ihre schwere Mission besteht. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es hat sich sicher einiges getan, was die Sicherheit anbelangt, aber man darf nicht pauschal urteilen. Die Zahl der Anschläge im ganzen Land hat insgesamt zugenommen, wobei die Zahl der Anschläge im Süden des Landes um 40 Prozent zugenommen hat, im Norden aber, wo wir Verantwortung tragen, nur 2 Prozent dieser Anschläge stattfinden. Das sage ich nicht zur Beruhigung, sondern ich will deutlich machen, wie sehr sich die Lage verändert und dass wir uns auf diese Situation einstellen müssen. Pakistan, diese fragile Atommacht, ist sicher ein besonders wichtiger Punkt, dem wir auf internationaler Ebene eine besondere Bedeutung beimessen müssen. Der Herr Außenminister ist darauf eingegangen und hat gesagt, dass es nicht nur Gespräche gibt, sondern auch Treffen, und dass wir gemeinsam Fortschritte erreichen müssen; denn ohne eine Lösung der Probleme im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet werden wir nicht vorankommen, ohne ein Ende des Terrors in den Grenzgebieten wird es keine Ruhe im Süden und Südosten Afghanistans geben. Das sind Rückzugsgebiete für etwa 15 terroristische Gruppierungen. Es stellt sich auch die Frage, was sich eigentlich in unserem Land getan hat. Gewinnt die Propaganda des Terrors die Oberhand? Erzielt der Terror durch Propaganda und durch Drohungen gegen die Bundeswehr, durch das Aufbauen von Druck Erfolge? Werfen Wahlen in unserem Land - ein weiterer Aspekt - einen Schatten auf die anstehenden Entscheidungen? Der Populismus geht um. Wir hören die Schlagworte und haben diese auch heute wieder „genossen“. Ich finde, wir müssen uns einig sein. Das ist meine Einschätzung, das ist die Einschätzung unserer Fraktion, und das ist die Einschätzung der beiden verantwortlichen Minister. Ich bin besonders dankbar, dass in dieser Frage kein Blatt Papier zwischen die Position der beiden Minister passt. Das ist gut so, und das tut uns bei der kritischen Auseinandersetzung gut. Wir müssen unser Engagement verstärken. Es ist wichtig - das wurde vom Verteidigungsminister ausgeführt -, dass wir die Zusammenarbeit mit unseren Partnern verstärken. Wir müssen eine bessere Kooperation mit der afghanischen Regierung und den ISAF-Partnern anstreben. Dabei muss ich sagen, dass die Bemerkungen über den Präsidenten - Stichwort „Schlafmohn“ - nicht zum ersten Mal hier fallen. Es ist bewundernswert, dass viele Redner verschiedener Fraktionen dies in den Ausschussberatungen noch viel deutlicher angesprochen haben. Es ist Propaganda, bei dem Stichwort „Schlafmohn“ auf Kinder usw. zu verweisen. Wir brauchen eine Strategie gegen den Drogenanbau. Wir haben in Südamerika gesehen, dass das oft nicht einfach ist. Ein wichtiger Punkt ist, dass wir noch größere Anstrengungen bei der Ausbildung der Armee und der Polizei unternehmen. Diesen Punkt habe ich hier schon mehrfach angesprochen. Frau Homburger hat gesagt, wie langsam das vorangeht, wie gering die Fortschritte sind und dass die Führung in diesem Bereich oft von einer Nation auf die andere übergeht. Wir müssen endlich in Zusammenarbeit mit den Partnern zu einer verstärkten Ausbildung kommen. Das ist notwendig. Wer über eine Exitstrategie redet, muss wissen, dass wir uns militärisch nur dann zurückziehen können, wenn die Afghanen diese Arbeit selber in die Hand nehmen und für Sicherheit sorgen können. ({2}) Wenn wir über Exitstrategie reden, dann hoffe ich nicht, dass manche meinen, dass wir unsere zivilen Anstrengungen beenden. Zivile Anstrengungen sind aber nur dann möglich, wenn sie in einem sicheren Umfeld erfolgen. Nur dann können zivile Projekte vermehrt durchgeführt werden. Ein Schwerpunkt der Debatte betraf den Strategiewechsel und die Minimierung des Risikos für unsere Soldaten. Es geht, sehr verehrter Herr Verteidigungsminister, um eine bessere und vielleicht noch stärkere Aufklärung, insbesondere im Norden. Diese Komponente ist nur langsam verstärkt worden. Aber wer die Sprengfallen und Anschläge beklagt, der muss auch sehen, dass diese durch eine verstärkte Aufklärung möglicherweise verhindert werden können. Wir haben hier sehr viel getan. In diesem Bereich sind inzwischen 40, 50 Soldaten als Aufklärer tätig; aber das ist noch viel zu wenig. Wir sollten uns nicht dem Druck des Terrors beugen oder uns durch Wahlen den klaren Blick trüben lassen und auf halbem Weg umkehren. Unser Fazit muss vielmehr sein, dass der Terror bekämpft werden muss. Von dort gingen alle Anschläge, die im Westen erfolgt sind, aus; dadurch sind die meisten Todesopfer zu beklagen. Ich bin der Meinung, es war noch nie so wichtig wie heute, diese Brutstätten des Terrors zu bekämpfen. Afghanistan muss unsere ganze Solidarität spüren. Mit Schlagworten wie „Exitstrategie“ oder „Nichtbeteiligung“ ist niemandem geholfen. Herzlichen Dank. ({3})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/10473 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/10479 soll an dieselben Ausschüsse, jedoch nicht an den Haushaltsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zur Lage auf den Finanzmärkten Interfraktionell ist vereinbart worden, dass die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklärung anderthalb Stunden dauern soll. - Ich höre hierzu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat die Frau Bundeskanzlerin. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage auf den internationalen Finanzmärkten ist ernst. Sie ist in dieser Form noch nie da gewesen. Sie stellt vieles, was als selbstverständlich galt, infrage. Sie bestätigt manches, was mit Gier, verantwortungsloser Spekulation und Missmanagement im Finanzsektor verbunden wird. ({0}) Heute ist nicht die Stunde, die Lage schwarzzumalen. Aber es ist wahrlich auch nicht die Stunde, die Lage schönzureden. Es ist die Stunde, zweierlei zu schaffen: zum einen sehr kurzfristig zu denken, zu bewerten und dann zu entscheiden, also klassisches Krisenmanagement zu leisten, wie es die Bundesregierung zum Beispiel mit dem Rettungsplan für die Hypo Real Estate gemacht hat und macht und wozu wir auch weiter jederzeit bereit sein müssen. Zum anderen ist es die Stunde, über den Tag hinaus zu denken, zu bewerten und zu entscheiden, das heißt, eine neue Systematik für das Zusammenwirken aller im Finanzsektor Tätigen zu entwickeln, also eine Zukunftsperspektive zu gestalten und präventiv zu handeln. Beides, das klassische Krisenmanagement von Tag zu Tag wie auch die Entwicklung der Zukunftsperspektive über den Tag hinaus, macht die Bundesregierung. Ich möchte mich bei denen im Parlament, die dabei hilfreich sind, für die Unterstützung bedanken und auch für den Geist, in dem wir die Unterrichtung der Fraktionen bisher vorgenommen haben. Meine Damen und Herren, was stand am Anfang? In den USA wurden über Jahre hinweg in unverantwortlicher Weise Immobilienkredite an Bankkunden vergeben, bei denen keine Aussicht auf normale Rückzahlung des Darlehens bestand. Alle Beteiligten verließen sich auf ständig steigende Immobilienpreise und niedrige Zinsen. Die Risiken aus diesen Krediten wurden weiterverkauft, neu verpackt, weltweit gestreut und waren damit der Keim der weltweiten Finanzmarktkrise. Traditionsreiche Investmentbanken mit klangvollen Namen sind in den USA von einem auf den anderen Tag vom Markt verschwunden. Aus der amerikanischen Immobilienkreditkrise ist inzwischen eine globale Finanzmarktkrise geworden. Das Vertrauen - die wichtigste Währung der Finanzmärkte - ist verloren gegangen. Die Banken misstrauen sich gegenseitig und gewähren sich kaum noch Kredite. Angesichts der besonders engen Verflechtung der Akteure im Finanzbereich sind inzwischen auch solide Institute von der Finanzmarktkrise betroffen, und Deutschland ist davon nicht ausgenommen. In dieser Situation ist es von entscheidender Bedeutung, das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte schnell und entschlossen zurückzugewinnen. ({1}) Dazu sind kurzfristige Maßnahmen notwendig. Worum geht es bei diesen kurzfristigen Maßnahmen? Erstens ging es in Deutschland darum, die Hypo Real Estate in einer akuten Notlage zu retten. Nichts zu tun, hätte nicht nur für den Pfandbriefmarkt, sondern auch in viel tieferer Weise unabsehbare Schäden gehabt. Alle Fachleute haben uns gesagt, dass dies ein „systemisches Risiko“, wie man das in der Fachsprache nennt, hervorrufen würde. Deshalb haben private Banken und vor allem die Bundesregierung eine Bürgschaft zur Verfügung gestellt. Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit beim Haushaltsausschuss bedanken, der das Ganze sehr gut begleitet hat. Ich will allerdings noch darauf hinweisen, dass wir im Zusammenhang mit dieser Bürgschaft auch darauf Wert gelegt haben, dass dafür ein Entgelt genommen werden kann. Das heißt, dass dieses Institut das Geld nicht einfach umsonst vom Staat bekommt. ({2}) Es ging also darum, den Liquiditätsbedarf der HRE zu decken. Als am Wochenende noch einmal bislang unbekannte Liquiditätsbedarfe aufgetreten sind, mussten wir Neuverhandlungen beginnen, die allerdings so enden konnten, dass der Bürgschaftsrahmen, der in der vergangenen Woche gegeben wurde, nicht überschritten werden musste. Das ist gelungen, weil die Bundesbank dabei sehr hilfreich war. ({3}) Meine Damen und Herren, wir haben dann darauf gedrungen - wieder zusammen mit anderen -, dass das Management der HRE ausgewechselt wird. ({4}) Das ist heute geschehen. Wir glauben, dass das die notwendige Voraussetzung dafür ist, dass wieder Vertrauen in dieses Institut entstehen kann. Wir setzen darauf, dass das auch gelingt. Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen: Wir haben heute im Kabinett darüber gesprochen, dass es in Deutschland sehr wohl rechtliche Grundlagen gibt, um Manager und Aufsichtsräte in die Haftung zu nehmen. Wir stellen allerdings fest, dass diese gesetzlichen Regelungen so gut wie nicht genutzt werden. Ich glaube, wir alle sollten darauf schauen, wie wir es dazu bringen können, dass sie besser genutzt werden, oder wie wir Gesetze so ändern, dass sie genutzt werden. Auch das halte ich für absolut zwingend. ({5}) Wir haben zweitens im akuten Krisenmanagement am Samstag ein Treffen der europäischen Mitglieder der G-8-Gruppe mit dem EZB-Präsidenten und Jean-Claude Juncker gehabt. Wir haben dabei die Übereinstimmung gefunden, dass die Europäische Zentralbank Liquidität in ausreichendem Maße zur Verfügung stellt. Das ist in diesen Zeiten ausgesprochen wichtig. Wir haben uns in Paris drittens darüber geeinigt, dass die Bilanzierungsregeln denen der amerikanischen Standards anzugleichen sind. ({6}) Das ist eine der wichtigsten Maßnahmen für unsere Bankinstitute gerade auch in Deutschland. ({7}) Wir haben im Augenblick keinen fairen Wettbewerb zwischen dem amerikanischen Bereich und dem europäischen. Es wird jetzt darum gehen - denn es geht hier um Tage und nicht um Monate -, dass wir nicht über das normale Rechtsetzungsverfahren - Richtlinie, Europäisches Parlament, nationale Umsetzung - vorgehen, sondern einen Weg finden, dass die europäischen Staaten dies schnell anwenden können. Ich danke dem Finanzminister, dass er die Bemühungen hierfür bereits begonnen hat. ({8}) Viertens wissen wir, dass wir in einem europäischen Binnenmarkt agieren. Natürlich stellt sich die Frage, wie nationale Aktionen mit europäischen zu verzahnen sind. Dazu will ich sagen, welche Wege aus meiner Sicht nicht geeignet sind. Nicht geeignet ist der irische Weg, unabgestimmt eigene Bankinstitute unter einen Schirm zu stellen, andere internationale Institute, die auch lange in Irland Steuern gezahlt haben, nicht in diesen Schirm miteinzubeziehen und damit natürlich Wettbewerbsverwerfungen hervorzurufen, die aus meiner Sicht im Binnenmarkt nicht akzeptabel sind. ({9}) Ein aus deutscher Sicht ebenfalls nicht akzeptabler Weg ist, dass 27 Mitgliedstaaten einen Schirm spannen und alle in einen Fonds einzahlen, um dann mit 27 Staaten das entsprechende Krisenmanagement in den jeweiligen Mitgliedstaaten zu betreiben. Ich glaube, das ist der Fähigkeit zu schnellen Aktionen nicht zuträglich. Deshalb lehnen wir diesen Weg ab. ({10}) Wir brauchen aber natürlich ein kohärentes, ein gemeinsames Vorgehen. Deshalb war es eine wichtige Botschaft des Ecofin-Rates, dass sich alle Mitgliedstaaten verpflichten, Finanzinstitutionen, die systemische Risiken hervorrufen können, wenn sie in eine Schieflage geraten, im jeweiligen Mitgliedstaat und darüber hinaus zu stützen. Darauf müssen wir uns in Europa verlassen können. Deshalb haben wir das bei der HRE gemacht, deshalb haben Frankreich und Belgien das bei der Dexia gemacht, deshalb haben die Beneluxländer das bei Fortis gemacht; ich könnte auch britische Beispiele aufzählen. Das ist Verlässlichkeit in Europa, die wir natürlich dringend brauchen. Fünftens. Im Zusammenhang mit dem Treffen in Paris hat die Kommission erklärt, dass sie in den Beihilfeverfahren - zum Beispiel, wenn Landesbanken Stützungen erhalten - die Spielräume voll und flexibel ausschöpfen will. Ich glaube, das ist in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Signal. ({11}) All diese Maßnahmen dienen nicht etwa der Rettung von Institutionen als Selbstzweck - deshalb gibt es keine Blankoschecks - oder dem Schutz von Managern, die Fehlleistungen erbracht haben. Nein, alle diese Maßnahmen dienen dem Funktionieren unserer Wirtschaft und vor allen Dingen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land. ({12}) Dazu gehört auch die am Sonntag vom Bundesfinanzminister und mir abgegebene Erklärung im Namen der Bundesregierung, dass kein Sparer um seine Einlagen fürchten muss. Ich sage hier noch einmal: Diese Erklärung gilt. ({13}) Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das Vertrauen in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Die soziale Marktwirtschaft - das ist meine feste Überzeugung - ist das beste Wirtschafts- und Sozialmodell, das es gibt. ({14}) Wie jede Krise bietet auch diese Krise des Finanzsektors eine Chance. Sie bietet die Chance, dass alle innerhalb und außerhalb Deutschlands die internationale Dimension der sozialen Marktwirtschaft erkennen, verstehen lernen und den Anspruch erheben, sie gestalten zu wollen. Dafür haben wir während unserer G-8-Präsidentschaft, konkret beim Gipfel in Heiligendamm, gekämpft. Damals - das muss man im Rückblick sagen - war es vergebens; jetzt erkennt aber eigentlich auch der Letzte, wie nötig es schon damals gewesen wäre, Vorschläge zu unterbreiten und Maßnahmen zu treffen. Deshalb sind die gleichen Vorschläge - natürlich ausgeweitet - Teil der Langfriststrategie der Bundesregierung für die Gestaltung der sozialen Marktwirtschaft in ihrer internationalen Dimension. Wir wissen - deshalb können wir hier nicht nur national handeln -, dass dafür ein abgestimmtes europäisches und internationales Handeln erforderlich ist. Dies haben wir immer wieder betont, zum Beispiel bei der Transparenzinitiative, vertreten durch die Finanzminister sowie die Staats- und Regierungschefs. Wir haben im September mit dem französischen Staatspräsidenten in einer gemeinsamen Erklärung Deutschlands und Frankreichs alle europäischen und internationalen Positionen zur Lösung der Probleme festgeklopft und sie dann in einem Treffen mit dem britischen Premierminister und dem italienischen Ministerpräsidenten konkretisiert. Wir haben uns für Maßnahmen im internationalen Bereich eingesetzt. Dabei berufen wir uns in besonderer Weise auf das, was von den Finanzministern mit ausgearbeitet wurde: die Vorschläge, die das Forum für Finanzmarktstabilität im April 2008 den G-7-Finanzministern, die ein wenig an der Ausarbeitung beteiligt waren, vorgelegt hat. Daraus ergeben sich die entsprechenden Ziele. Es geht um die Verbesserung des Liquiditätsmanagements. Es geht um die Behandlung außerbilanzieller Risiken; wir haben bei der IKB schmerzhaft miterlebt, welche Folgen sich daraus ergeben. Es geht um die Bewertung illiquider Vermögensgegenstände. Es geht um Transparenzregeln auf den Finanzmärkten, und es geht um den Umgang mit Ratings. Die G-8-Staats- und Regierungschefs haben im Juli 2008 einen Fortschrittsbericht des Forums entgegengenommen und gebilligt. Allerdings muss ich sagen: Auch im Sommer war der Enthusiasmus über diese Regeln - zumindest auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs - noch nicht so groß, wie er hätte sein müssen. ({15}) Wir können allerdings feststellen, dass bei der Umsetzung bereits erste und auch wesentliche Fortschritte zu verzeichnen sind. Zahlreiche weitere Vorschläge des Forums sollen bis Ende 2008 verwirklicht werden. Der Bundesfinanzminister wird in den nächsten Tagen nach Amerika reisen und diese Diskussion natürlich fortsetzen. Die Bundesregierung wird also an der Spitze derjenigen stehen, die solche Regelungen fordern. ({16}) Bis Ende 2008 müssen vergleichbare Arbeiten auf europäischer Ebene abgeschlossen werden. Dazu gehört insbesondere die neue Regulierung von Ratingagenturen; denn diese haben einen erheblichen Anteil an den falschen Bewertungen, wie wir sie jetzt erleben. ({17}) Man muss vor allem darauf achten, dass das Finanzsystem selbst die richtigen Anreize setzt. Wir brauchen Finanzmärkte und adäquate Mechanismen, die nicht nur aus Regulierungen, sondern auch aus Anreizen bestehen. Diese Anreize müssen so gesetzt werden, dass eine einseitige Fokussierung der Banken auf kurzfristige Unternehmensstrategien verhindert werden. ({18}) Eine Ursache der Krise war, dass Kredite vergeben wurden, die erst nach Jahren fällig waren. Die Bonuszahlungen wurden aber bereits nach einem Jahr ausgeschüttet, ohne dass man wusste, ob für dieses Produkt nach seiner Bewährungsprobe überhaupt eine Zahlung eingeht. Das ist ein Unding und darf so nicht sein. ({19}) Daraus resultiert, dass für die Vergütung der Manager der langfristige Unternehmenserfolg und nicht die Kurzfriststrategie das entscheidende Kriterium sein sollte. ({20}) Ich bin zuversichtlich, dass durch die Umsetzung der Empfehlung des Forums, die Vorschläge der Europäischen Union und das Setzen richtiger Anreizstrukturen die Grundlage dafür geschaffen wird, dass eine vergleichbare Krise in Zukunft nicht mehr entstehen kann. Das heißt, dass wir eine Architektur bekommen, in der sich solche Fehler verbieten. Wir müssen in dieser Situation kritisch hinterfragen, ob die Bankenaufsicht ihren Aufgaben gerecht geworden ist. ({21}) Wir brauchen eine vorausschauende Aufsicht, die sich aufbauende Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennt und die dann auch handelt. Dafür müssen Strukturen überprüft und gegebenenfalls verbessert werden. ({22}) Das gilt für den nationalen Bereich, aber natürlich auch für den europäischen und für den internationalen Bereich. ({23}) Deshalb wird die Bundesregierung überlegen - in Bezug auf die nationale Ebene -, ob das Zusammenspiel zwischen BaFin und Bundesbank noch effizienter gestaltet werden kann. Es muss auch sichergestellt werden, dass die internen Entscheidungsstrukturen schnelle Reaktionen möglich machen. Wir sollten an dieser Stelle keine Schnellschüsse machen, aber wir sollten konsequent an dieser Frage arbeiten. ({24}) Meine Damen und Herren, diese Krise bietet die Chance, besser zu verstehen, dass auf der einen Seite Freiheit und auf der anderen Seite Ordnung keine Gegensätze sind, sondern dass sie in der sozialen Marktwirtschaft zusammengehören. Wir wollen die menschliche soziale Marktwirtschaft. Das ist eine Marktwirtschaft, die dem Menschen und dem Einzelnen dient. Es gibt wahrlich nichts zu beschönigen. Dafür bietet die Lage keinen Anlass. Die langfristigen Auswirkungen der Finanzmarktkrise sind heute noch nicht absehbar. Das gilt auch für die Auswirkungen auf unser Wachstum und unser Land. Wir sind eine exportorientierte Wirtschaft. Wir müssen uns mit gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreisen auseinandersetzen. Ich sage in dieser schwierigen Stunde aber auch: Deutschland ist stark. ({25}) Deutschland hat sich in den letzten Jahren sehr gut aufgestellt. Daran haben viele mitgewirkt. Deutschland ist für den globalen Wettbewerb gerüstet. Ich bin der festen Überzeugung, dass uns das helfen wird, die Folgen der Finanzmarktkrise, auch wenn es nicht einfach wird, zu meistern. Der Reformkurs der Bundesregierung war und ist dafür unabdingbar, und er macht sich bezahlt. Das umfasst die Haushaltskonsolidierung, die Senkung der Lohnzusatzkosten, die Reaktionen auf die demografischen Veränderungen unserer Gesellschaft - ich erinnere an die Rente mit 67 - und die konsequenten Investitionen in Bildung und Innovation. Ich glaube, dass auch die Ergebnisse der Sitzung des Koalitionsausschusses in der letzten Woche ein weiterer Beleg dafür sind. ({26}) Ich sage ausdrücklich: Gerade in dieser Situation werden wir diesen Weg konsequent fortsetzen. Es wäre das allerfalscheste Signal, jetzt von dem Kurs abzuweichen. Das Ziel ist, Vertrauen zurückzugeben, Vertrauen zu stärken; denn Vertrauen, das ist die Währung, in der gezahlt wird. Ich glaube, dass jeder von uns - wir in diesem Hause, vor allen Dingen aber die Akteure im Lande einen Beitrag dazu leisten kann, dass Vertrauen wiederhergestellt wird. ({27}) Die Bundesregierung ist entschlossen, diesen Weg ruhig und besonnen, aber mit aller Entschlusskraft zu gehen. Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: In diesen Tagen der Krise gibt es viele, die bis an den Rand der Belastbarkeit arbeiten. Ich möchte all denen zum Schluss dieser Regierungserklärung noch einmal ein Dankeschön sagen. ({28}) Ob es in der Bankenaufsicht, in den Ministerien oder zum Teil auch in den privaten Banken ist - wir brauchen Akteure, die sich für unser Land einsetzen. Es ist gut, dass es sie gibt. Deshalb bin ich auch optimistisch, dass wir diesen Weg weitergehen können. Herzlichen Dank. ({29})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung und die Tatsache, dass die Regierungserklärung hier stattfindet, ist eine angemessene und auch notwendige Reaktion auf die wirklich außerordentlich angespannte Lage. Vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Garantieerklärung, die die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister den Bürgerinnen und Bürgern am Sonntag gegeben haben, will ich erklären, dass es in diesem Hause keine Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition hierüber gibt. Es geht hier nicht um einen Parteienstreit, sondern darum, dass die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen, dass die Sparguthaben sicher sind. Die Bundesregierung sagt, sie steht dafür ein. Wir fügen hinzu: Auch wir von der Opposition stehen dafür ein. Darauf wissen die Bürgerinnen und Bürger sich zu verlassen. ({0}) Das ist notwendig, weil die Bürgerinnen und Bürger durch eine ungewöhnliche Maßnahme geschützt werden müssen. Wir wollen hier aber genauso klarmachen: Wir schützen mit diesen Steuergeldern und diesen Zusagen die Bürgerinnen und Bürger. Wir schützen die Sparer und ihre Einlagen. Wir schützen aber nicht die Jobs einiger Banker. Vor allen Dingen sind wir nicht bereit, zuzusehen, dass diejenigen, die privat, in der Wirtschaft so versagt haben, damit auf Kosten von Steuergeldern vergoldet davonkommen. Das ist notwendig und muss hier auch klar angesprochen werden. ({1}) Aber, meine Damen und Herren, ich will Ihnen genauso sagen: Das Prinzip Verantwortung, das Sie hier anmahnen, gilt natürlich nicht nur für diejenigen, die sich in der Wirtschaft falsch verhalten haben, sondern das Prinzip Verantwortung gilt ausdrücklich auch für diejenigen, die bei der Staatsaufsicht absolut dilettantisch gearbeitet haben, und zwar nicht seit Wochen, sondern in Wahrheit seit über einem Jahr. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, Sie sprechen davon, dass die Bundesregierung daran arbeite und sich darüber Gedanken mache, wie die Staatsaufsicht verbessert werden könne. Ich will genauso klar sagen: Wenn Sie Defizite bei der Bankenaufsicht beklagen, beklagen Sie Defizite bei der Bundesregierung, also bei sich selbst. Sie tragen die politische Verantwortung für die Bankenaufsicht. Wenn Sie die Bankenaufsicht kritisieren, dann kritisieren Sie die Regierung, der Sie vorsitzen. ({3}) Vertrauen stärkt nur, wer Rede und Antwort steht. Vertrauen stärkt nur, wer auch mit den Risiken offen umgeht, statt sie zu verschleiern. Auch das muss an dieser Stelle klar gesagt werden: Vertrauen riskiert, wer von Stein zu Stein stolpert, wer die Wahrheit nur scheibchenweise herausrückt. Sie hätten durch Schaden längst klug sein können. Die Salamitaktik, die Sie beim KfW-/IKBSkandal an den Tag gelegt haben, ist dieselbe, die wir bezüglich Hypo Real Estate fast von Tag zu Tag erleben. ({4}) Wir wissen nicht, was die Bundesregierung weiß oder zu welchem Zeitpunkt Sie über das Ausmaß der Affäre Bescheid wussten. Wir wissen aber, dass Sie Ihrer Verantwortung als Bankenaufsicht endlich besser gerecht werden müssen. Das ist keine wohlfeile Kritik im Nachhinein, sondern diesen Systemfehler haben wir von Anfang an, schon seit Jahren in diesem Hause immer und immer wieder angemahnt. ({5}) Spannend ist, wie jetzt die Sozialdemokraten und die Grünen beim Thema Bankenaufsicht und vor allen Dingen angesichts der mangelnden Bankenaufsicht ihre Zwischenrufe machen. So möchte ich es vorsichtig formulieren. Ich sage Ihnen das deswegen, weil ein einziger Blick in das Archiv des Deutschen Bundestages eines zeigen wird: Diese Doppelstruktur und das bürokratische Gegeneinander von zwei Bankenaufsichten ist in diesem Hause von Union und von FDP kritisiert worden. Sie haben es 2002 als Rot-Grün gemeinsam mit den Stimmen der PDS hier beschlossen. Ich bleibe dabei: Leider hatten wir mit unseren Bedenken recht. Diese Bankenaufsicht lähmt sich selbst. Sie muss endlich vereinheitlicht werden und unter einen politischen Hut kommen. Dieser ist aus unserer Sicht die Bundesbank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Eichel?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Selbstverständlich. Bitte sehr.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Eichel, bitte.

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, ist Ihnen nicht in Erinnerung, dass die Änderung der Bankenaufsicht nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich war? Diese Zustimmung konnte übrigens nur erreicht werden, nachdem die CDU/CSU-regierten Bundesländer und die, die mit Ihnen in Koalition waren, die entsprechende Sitzung des Bundesrates verlassen hatten. Anderenfalls hätte nicht einmal dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesrates gefunden. Das ist die Wirklichkeit. Sie, FDP und CDU/ CSU, haben im Bundesrat ohne Ende blockiert. ({0}) Ich war mit dem Vorschlag für eine Einzelstruktur in das Gesetzgebungsverfahren gegangen. Das ist die Wirklichkeit und nicht das, was Sie jetzt erzählen. ({1})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Eichel, ich kann verstehen, dass Sie mit Ihren damaligen Schandtaten heute nichts mehr zu tun haben wollen. ({0}) Aber ich sage das hier mit großer Klarheit. Ich war schon damals Parteivorsitzender, und ich weiß, wie die Verhandlungen damals abliefen. Ich will Ihnen sagen, wie in der Debatte hier im Deutschen Bundestag gefochten wurde: „Die FDP ist der Auffassung, dass die Deutsche Bundesbank die Bankenaufsicht übertragen bekommen sollte. Die Doppelzuständigkeit hat sich nach unserer Auffassung nicht bewährt.“ Das ist hier alles vorgetragen worden. Sie waren gewarnt, Sie wussten, dass das ein Konstruktionsfehler ist. Reden Sie sich nicht heraus. Sie haben sich aus politischen Gründen für diese Doppelstruktur entschieden. Seit Jahren warnen wir davor, dass dies keine funktionierende Aufsicht ist. Ich sage es Ihnen mit großer Klarheit: Eine Staatsaufsicht, die jede Sparkassenfiliale haarklein untersucht, aber bei einem DAX-Unternehmen in einen Dornröschenschlaf fällt, hat versagt, und dafür tragen diejenigen Verantwortung - auch Sie, Herr Kollege Eichel. ({1}) Jede Volksbank wird durchsucht, jede Sparkasse wird schikaniert, aber bei den DAX-Unternehmen schaut man nicht hin. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Westerwelle, gestatten Sie eine weitere Frage des Kollegen Eichel?

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte Sie; selbstverständlich, Herr Kollege Eichel.

Hans Eichel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003522, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Westerwelle, wir können das ja zusammen noch einmal nachprüfen. Ist Ihnen bekannt, dass es der damalige Bundesbankpräsident Tietmeyer ausdrücklich abgelehnt hat, für die Bundesbank die Bankenaufsicht zu übernehmen, weil er eine Interessenkollision gesehen hat? Ist Ihnen außerdem bekannt, dass auch der folgende Bundesbankpräsident, nachdem klar war, dass wir zu Recht das Zukunftsmodell einer Allfinanzaufsicht wählen, erklärt hat, dass eine Allfinanzaufsicht nicht von der Bundesbank ausgeübt werden kann? Das ist nämlich die Wirklichkeit. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Eichel, ich habe da ein ganz anderes Parlamentsverständnis: Die Gesetze werden vom Deutschen Bundestag gemacht, mit oder ohne Zustimmung des Bundesbankpräsidenten. Noch tragen wir für die Gesetze Verantwortung. ({0}) Herr Kollege Eichel, da Sie gefragt haben, was mir alles bekannt sei, frage ich Sie: Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das, was Sie hier immer noch vertreten, von Ihrem Nachfolger im Amt des Finanzministers längst nicht mehr vertreten wird? Es wird zur Beseitigung genau dieser Doppelstruktur kommen, besser spät als nie. Hätten Sie früher gehandelt, hätten Sie diesen Unfug nicht beschlossen, wäre uns möglicherweise einiges an Kosten für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler erspart geblieben. ({1}) Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem an dieser Stelle liegt nicht nur im geschichtlichen Streit. Vielmehr hat dies Auswirkungen für die Gegenwart; dieses Denken verfolgt uns in Wahrheit immer noch, leider auch in der neuen Regierungskoalition. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, als Sie im November des letzten Jahres hier im Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf eingereicht haben, der auch beschlossen wurde, jetzt mit den Stimmen der neuen Mehrheit: „Nach fünf Jahren Allfinanzaufsicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht besteht kein Zweifel, dass sich deren Konzept voll bewährt hat.“ Werden Sie doch wenigstens jetzt aus dem Schaden klug. ({2}) Das ist das Mindeste, was die Bürgerinnen und Bürger von Ihnen verlangen können. ({3}) Nun heißt es an dieser Stelle, die Staatsbehörde mit 1 600 Mitarbeitern solle zur Prüfung nicht in der Lage gewesen sein, weil die zu prüfende Tochter schließlich in Irland ihren Sitz habe. Auch darauf muss man kurz eingehen. Was heißt das denn? Das heißt, dass der deutsche Steuerzahler ein Bürgschaftspaket von 35 Milliarden Euro schnürt und im Gegenzug nicht einmal verlangt, dass diejenigen, die eine Bürgschaft bekommen, komplett alle ihre Bücher offenlegen. Es ist doch ein bemerkenswerter Vorgang, dass eine Handvoll Prüfer einer privaten Bank innerhalb von Tagen Löcher finden, die einer Staatsaufsicht seit Monaten verborgen geblieben sind. Das zeigt abermals: Das ist Staatsversagen, und dafür trägt die Regierung Verantwortung, ({4}) und bei allem staatstragenden Verantwortungsbewusstsein der FDP werden wir Sie aus dieser Verantwortung nicht entlassen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Bundesregierung, trotz aller weihevollen Reden hier. ({5}) Sie haben bei der Bankenaufsicht bisher nur Krisenreaktion, aber nie Krisenprävention betrieben. Sie haben in vielen Bereichen auch noch nicht die Konsequenzen gezogen, die aus unserer Sicht gezogen werden müssten. Wie wir wissen, gibt es Ratingagenturen - das ist für diejenigen, die in diesem Thema nicht so tief drin sind, natürlich ein Buch mit sieben Siegeln -: private Agenturen, die die Wertigkeit von Banken und anderen Unternehmungen einschätzen. Viel zu oft und viel zu regelmäßig mussten wir darauf hinweisen, dass hier Interessenskollisionen vorgezeichnet sind. Unser Vorschlag, eine unabhängige Stiftung zu gründen, gewissermaßen eine Stiftung Warentest für den Finanzmarkt, liegt auf dem Tisch. Mich würde sehr interessieren, welche Vorschläge die Bundesregierung selbst macht, um dafür zu sorgen, dass Ratingagenturen in Zukunft keine so große Macht mehr haben und nicht mehr, wie es manchmal der Fall war, interessengeleitet agieren. ({6}) Frau Bundeskanzlerin, es ist richtig und absolut notwendig - darüber haben Sie gesprochen -, dass die Bilanzierungsregeln auch kurzfristig verändert werden müssen. Ich habe Ihnen schon gestern gesagt - dabei bleibt es auch -: Hier haben Sie unsere volle Rückendeckung. Wenn Sie Maßnahmen ergreifen, um im Rahmen unseres nationalen Rechts schneller handeln zu können, weil man nicht immer auf die Zustimmung aller europäischen Länder warten kann, werden wir auch dies mittragen; denn wir wissen, dass dieses Problem eine schnelle Lösung erfordert. Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, worüber wir in diesem Hohen Hause nur zwei Tage vor der Landtagswahl in Bayern gesprochen haben, als es um die Neuregelung der Bilanzrichtlinien, das sogenannte Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz, ging. Genau das, was Sie jetzt zu Recht kritisieren, steht in Ihrem eigenen Gesetzentwurf, den wir vor etwas mehr als einer Woche beraten haben. Wir sagen Ihnen schon seit langer Zeit, gerade im Hinblick auf das Vertrauen: Halten Sie an den bewährten Prinzipien des deutschen Handelsgesetzbuches fest. Sie selbst sind allerdings gerade dabei, in Deutschland amerikanische Prinzipien, vor denen wir in diesem Hause gewarnt haben, einzuführen. Auch das gehört zur Wahrheit. ({7}) Schließlich würden wir gerne einmal erfahren, Frau Bundeskanzlerin: Was wird jetzt eigentlich aus dem Haushalt? Wir haben heute eine Regierungserklärung gehört, in der Sie viele Problemkreise beschrieben haben. Aber dazu, was für die Regierung politisch-handwerklich daraus folgt, ist bisher nichts gesagt worden. Was bedeutet die jetzige Krise für den Bundeshaushalt, den wir gerade beraten? ({8}) Zumindest Ihren eigenen Bundeshaushalt müssen Sie ehrlich aufstellen. Sie wissen, dass Sie nicht die Einnahmen bekommen, die Sie in die Finanzplanung geschrieben haben. Da Sie wissen, dass Sie nicht die geplanten Einnahmen erzielen werden, müssen Sie in den nächsten Wochen und Monaten mit uns gemeinsam zumindest daran arbeiten, dass der Haushalt ehrlich wird und dass die Ausgaben reduziert werden. Es kann gar nicht anders sein. Das Mindeste, was man von Ihnen erwarten darf, ist, dass Sie Ihre Finanzplanung umstellen. Jeder weiß, dass diese Finanzkrise nicht ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auch nicht ohne Auswirkungen auf den Bundeshaushalt bleibt. ({9}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Ergebnisse der Koalitionsrunde gelobt; das ist Ihr gutes Recht. Allerdings wissen und spüren wir, dass diese Finanzmarktkrise auch zu einem Problem für die reale Wirtschaft werden wird. Weil das so ist, muss die Politik jetzt alles unternehmen, was Wirtschaft und Wachstum stärkt, und alles unterlassen, was Wirtschaft und Wachstum schwächt. Dass Sie trotzdem durch Ihre Gesundheitspolitik die Lohnzusatzkosten erhöhen, ist in diesen Zeiten ein schwerer Fehler. ({10}) Dass Sie trotzdem bei der Erbschaftsteuer einen Anschlag auf die Familienunternehmen vorbereiten, ({11}) ist ein schwerer Fehler. ({12}) Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen. Die FDP kennt ihre staatspolitische Verantwortung. ({13}) Wir, die Opposition, werden nicht darum herumkommen, auch Sie an Ihre Verantwortung zu erinnern. Es reicht nicht, zu sagen, dass diese oder jene Maßnahme möglich ist. Sie haben keinen Plan A, Sie haben auch keinen Plan B. Sie stolpern von Problem zu Problem. In Wahrheit fehlt es an Konzepten. Solche sind aber das Mindeste, was man hier heute bei allem, was wir gemeinsam gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu schultern haben, auch erwarten darf. So können Sie uns nicht davonkommen. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Poß für die SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Westerwelle, Sie sind der Brandstifter, der sich hier als Biedermann verkleidet. Nichts anderes wird durch Ihre Praxis belegt. ({0}) Sie wollen von der Verantwortung Ihrer Freunde in der Wirtschaft ablenken. ({1}) Das ist doch ganz deutlich geworden. ({2}) Sie wollen von der Verantwortung derjenigen ablenken, von denen Sie Ihre Parteispenden erhalten. Das ist doch die Realität in der Bundesrepublik Deutschland. ({3}) Ihre Ideologie ist in diesen Tagen doch in Scherben zerbrochen, Herr Westerwelle. Nichts anderes ist geschehen. ({4}) Sie wissen doch ganz genau: Mit den Investmentbanken und den Finanzmärkten ist auch Ihre ganze neoliberale Ideologie des Marktradikalismus zusammengebrochen. ({5}) Herr Westerwelle, mit Ihrem ganzen Gerede von der unbeschränkten Marktfreiheit haben Sie sich und allen anderen das Diktat der Finanzmärkte über Jahre hinweg schöngeredet. ({6}) Heute zeigt sich, dass nur ein wirtschaftlich starker Staat, wie ihn die Sozialdemokraten wollen, ({7}) den Bürgerinnen und Bürgern und auch Märkten das bieten kann, was sie als unverzichtbaren Gegenstand genauso wie die echte Freiheit brauchen, nämlich Sicherheit. ({8}) Ich empfehle allen, die noch bis vor wenigen Tagen mit abenteuerlichen Programmen für Steuersenkungen durchs Land gerannt oder für staatliche Verschuldungsverbote ohne jede Ausnahme eingetreten sind, sich das alles noch einmal ganz genau zu überlegen. ({9}) Wer in der Krise Ausgabenkürzungen fordert, der muss ökonomisch gesehen ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein, Herr Westerwelle. Das ist doch unglaublich. ({10}) Sie schieben jetzt der Finanzaufsicht eine Verantwortung für diese Situation zu, die sie nun wahrlich nicht verschuldet hat. Das kann nicht unwidersprochen bleiben. Ihre Partei war stets gegen eine Verschärfung jedweder Aufsicht; das wissen wir alle, die wir hier mit diesen Fragen zu tun haben. ({11}) Sie wollten die Aufsicht geradezu lahmlegen und haben jede Beschwerde aus dem Bankenbereich aufgenommen und im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages vorgetragen. Sie haben das Recht verwirkt, hier so zu reden, wie Sie vorhin geredet haben, Herr Westerwelle. ({12}) Wir danken Frau Merkel und dem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück für das hervorragende Krisenmanagement in den letzten Wochen. ({13}) Die Bundesregierung hat gezeigt, dass sie entschlossen und fähig ist, zu handeln, und zwar mit Augenmaß und im vollen Bewusstsein ihrer Verantwortung gegenüber den steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürgern. Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister können sich dabei - da bin ich mir ganz sicher, Herr Kauder - auf die geschlossene Unterstützung der Koalitionsfraktionen verlassen. ({14}) Diese Geschlossenheit in Regierung und Koalition ist ein wichtiges Element der Stabilität in einer Zeit, in der Vertrauen gerade auf den sensiblen Finanzmärkten zu einem äußerst knappen Gut geworden ist. Ein weiteres Element der Stabilität - und zwar unmittelbar auf dem deutschen Finanzmarkt angesiedelt - sind unsere Sparkassen und Volksbanken. Vor allem ihnen ist es zu verdanken, dass die Turbulenzen der Weltfinanzmärkte bisher noch nicht zu einer Kreditklemme für die deutschen Unternehmen, insbesondere den Mittelstand, geführt haben. ({15}) Unsere Sparkassen und Volksbanken haben in der Vergangenheit die besinnungslose Renditejagd des angelsächsisch dominierten Weltfinanzsystems nicht mitgemacht, sondern sich weiterhin auf ihre Kunden als Basis eines soliden Bankgeschäfts konzentriert. Dafür sind sie teilweise belächelt, ja beschimpft worden. Heute zeigt sich: Das Bankgeschäft ohne Kundeneinlagen in völliger Abhängigkeit von den Launen der Kapitalmärkte zu betreiben, mag zwar die Gewinne in guten Zeiten erhöhen; in Krisenzeiten führt ein solches Geschäftsmodell aber geradewegs in die Katastrophe. Die großen Investmentbanken der Wall Street - die Ikonen dieses von Renditegier getriebenen Turbokapitalismus - sind untergegangen, aufgekauft oder sie versuchen sich gerade durch die Umwandlung in Geschäftsbanken ein Leben nach dem Tod zu verschaffen. Vergessen wir nicht: Die großen privaten Banken in Deutschland waren vor gar nicht langer Zeit auch noch ganz auf dem Investmentbankentrip. Die Filialkunden in Cottbus oder im Ruhrgebiet waren für die Herren Ackermann und Co halt nicht ganz so sexy wie die smarten Händler in London, New York und Hongkong, mit denen man immer aberwitziger konstruierte Wertpapiere handeln und bei dieser Gelegenheit ebenso aberwitzige Gehälter und Bonuszahlungen kassieren konnte. ({16}) Etwas anderes sollten wir ebenfalls nicht vergessen: Bis heute betreiben die Lobbyisten dieser privaten Banken ihre Arbeit in Brüssel, um über den Umweg der EU den Sparkassen und Volksbanken in Deutschland die Existenzberechtigung streitig zu machen. ({17}) Der Verzicht auf die Renditejagd bei den Sparkassen und Volksbanken wird dabei schamlos als Wettbewerbsverzerrung zulasten der Privatbanken umgedeutet. Diese Lobbyisten haben zu viel Unterstützung in der Kommission. Das muss sich ändern. ({18}) Die deutsche Haltung dazu ist klar. Wenn jetzt also gerade die privaten Banken in Deutschland und überall sonst auf der Welt nach Rettung durch den Staat - das heißt den Steuerzahler - rufen, dann muss das, so meine ich, zwei ganz unmittelbare Konsequenzen haben. Erstens müssen die privaten Banken ihre Brüsseler Wühlarbeit umgehend einstellen und die Existenz des dreigliedrigen Bankenwesens in Deutschland endlich akzeptieren. ({19}) Zweitens muss das Thema der exzessiven Gehälter in Vorständen und Handelsräumen nicht nur diskutiert, sondern geregelt werden. Beim letzten Thema scheint sich in den letzten Tagen einiges zu bewegen. In den USA und in der EU wird die Begrenzung der Topgehälter offenbar als selbstverständlich für ein zwingendes Begleitinstrument der Rettungsaktion betrachtet. Den Äußerungen des lieben Kollegen Röttgen zufolge ist das Thema Verantwortung und Bezahlung der Manager neuerdings auch ein Kernanliegen seiner Partei. Das finden wir Sozialdemokraten gut. ({20}) Es fällt uns allerdings auf, dass das erst seit ein paar Tagen so ist. ({21}) Als wir im Frühjahr im SPD-Präsidium konkrete Gesetzesvorschläge zum Thema Managergehälter beschlossen haben, haben Sie, Herr Röttgen, das noch als unseriös bezeichnet. ({22}) Auch verehrte Frau Merkel und Herr Glos ließen sich im letzten Dezember im Manager-Magazin dafür feiern, dass sie bei der Begrenzung von Managergehältern „massiv auf die Bremse“ treten. Hoffentlich kommen wir schnell von der Bremse herunter und gemeinsam zu Ergebnissen. ({23}) Nicht nur wegen der zeitlichen Nähe zum Tag der Deutschen Einheit am letzten Freitag lohnt es sich in diesem Zusammenhang, noch einmal an die Haltung der FDP zum Thema Managervergütung zu erinnern. Herr Westerwelle, noch im Frühjahr haben Sie jeglichen Eingriff verdammt und von einer „DDR … ohne Mauer“ gesprochen. Das ist derselbe Herr Westerwelle, der seine Rede mit antikapitalistischen Tönen eröffnet hat. So glaubwürdig ist dieser Mann. ({24}) - Was heißt „Das geht zu weit“? - Herr Westerwelle, Sie sollten sich selbst prüfen - vielleicht gehen Sie eine Woche ins Kloster und in sich ({25}) und genau darüber nachdenken, wie Ihr Verhältnis zu Wahrheit und Praxis ist. Das Auseinanderklaffen von Reden und Handeln ist bei keinem Politiker in Deutschland so offenkundig wie bei Ihnen; das muss ich festhalten. ({26}) Die Bundeskanzlerin hat wichtige Stichworte für das genannt, was jetzt zu regeln ist. Wir arbeiten gut. In den letzten Monaten wurden viele Vorarbeiten geleistet. Aufsichtsstrukturen und Eigenkapitalregeln zum Beispiel müssen so verbessert werden, dass sich bestimmte Ent19330 wicklungen, die sich als krisenverursachend oder krisenverschärfend erwiesen haben, künftig nicht wiederholen können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Koppelin?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Poß, da Sie von Wahrheit und Heuschrecken gesprochen haben und meinen, der FDP das eine oder andere vorhalten zu müssen, richte ich an Sie folgende Frage: Ist meine Information richtig, dass die Sozialdemokraten dem Verkauf der Anteile an der IKB an Lone Star, eine Heuschrecke, im Verwaltungsrat der KfW zugestimmt haben?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich weiß nicht, was diese Frage mit der Debatte und den Äußerungen von Herrn Westerwelle zu tun hat. ({0}) Die Sozialdemokraten haben - genauso wie die Vertreter anderer Parteien - der Lösung zugestimmt, die als möglich galt. Genaueres kann ich nicht sagen; denn ich war bei der Abstimmung nicht dabei. Herr Koppelin, Sie waren wohl dabei und müssten es besser wissen. Ihre Glaubwürdigkeit erhöht sich nicht dadurch, dass Sie sich aus Alibigründen in die Oppositionsrolle begeben haben, weil Sie mit dem Schicksal der KfW nichts zu tun haben wollen. Nicht anders ist das zu werten, Herr Koppelin.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, auch der Kollege Brüderle hat den Wunsch, eine Zwischenfrage zu stellen. Gestatten Sie?

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Poß, ist Ihnen in Erinnerung, dass 2004 die grün-rote Bundesregierung unter Kanzler Schröder mit dem sogenannten Investmentmodernisierungsgesetz erst die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass Hedgefonds in Deutschland tätig werden können? Sie haben doch den Weg dafür frei gemacht. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Brüderle, Sie wissen, dass das nicht im Widerspruch zu dem steht, was wir sagen. Ein Problem wie Hedgefonds können wir nur international lösen. Dazu haben Frau Merkel und Herr Steinbrück entsprechende Vorschläge gemacht. Vor dem Investmentmodernisierungsgesetz war es Bundeskanzler Schröder, der sich mit diesem Thema befasst hat. Vom historischen Ablauf her liegen Sie mit Ihren Entlastungsfragen gänzlich schief. Ich verstehe Ihre Schmerzen. Ihr Vorsitzender sah heute nicht sehr gut aus. ({0}) Wir haben viel Vorarbeit geleistet. Ein besonders dringliches Anliegen ist - Frau Merkel hat bereits darauf hingewiesen -, eine kurzfristige Änderung der Bilanzierungsvorschriften in Europa herbeizuführen. Genauso wie in den USA muss verhindert werden, dass vorübergehend nicht mehr handelbare Wertpapiere in den Bankbilanzen sofort als Totalverlust abgeschrieben werden müssen. Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Das Vertrauen und die Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger zum weiteren Krisenmanagement der Bundesregierung werden nicht zuletzt davon abhängig sein, dass dabei übernommene Lasten zwischen dem Staat und dem Bankensektor, aber auch - was den staatlichen Anteil angeht unter den Steuerzahlern gerecht verteilt werden. Ich sage dies ganz bewusst vor dem Hintergrund der Diskussion über die Erbschaftsteuer. Ich halte es für nur schwer erträglich, dass wir möglicherweise gezwungen sind, Steuergelder zur Rettung gestrauchelter Banken, ihrer Anteilseigner und Gläubiger einzusetzen, und gleichzeitig einige in diesem Haus - auch beim Koalitionspartner versuchen, die Erbschaftsteuer ganz abzuschaffen oder aus ihr auf Biegen und Brechen eine Art Grundsicherung für Vermögensmillionäre zu machen. Das passt nicht in die Zeit. Das passt auch nicht zu einer Volkspartei. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Oskar Lafontaine. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! ({0}) Im Mittelpunkt dieser Debatte steht das Wort „Vertrauen“. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, dass die wichtigste Währung der Finanzmärkte das Vertrauen sei. Ich habe in den letzten Jahren nicht beobachten können, dass Vertrauen die Grundlage des Handelns der Finanzmärkte war. Die Finanzmärkte haben sich mehr und mehr zu spekulativen Märkten entwikkelt, und spekulative Märkte basieren auf allem anderen, aber nicht auf Vertrauen. ({1}) Vertrauen war lange Zeit das Kapital der Banken, bevor es die Finanzmärkte in der gegenwärtigen Form gab. Aber wenn das Vertrauen in die Banken zerstört ist, wenn die Sparerinnen und Sparer kein Vertrauen mehr in die Banken haben, dann können in unserer Ordnung nur noch zwei Instanzen handeln: Die eine ist die Zentralbank - sie kann durch ihr Handeln Vertrauen herstellen -, die andere ist die Bundesregierung. Ich will jetzt von der Bundesregierung sprechen. Vertrauen schafft man nicht, indem man verharmlost. Ich stelle hier für meine Fraktion fest: Sie haben viel zu lange die Krise verharmlost und sich insoweit schuldig gemacht, als das Vertrauen der Bevölkerung in das Handeln der Regierung verloren gegangen ist. ({2}) Damit dieser Satz nicht so stehen bleibt, zitiere ich, was der Finanzminister vor wenigen Tagen gesagt hat: Deshalb und weil die Verhältnisse bei uns andere sind, ist ein ähnliches Programm - wie in den USA in Deutschland oder Europa weder notwendig noch sinnvoll. ({3}) Nach wie vor ist wahr: Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem! Am Anfang der Krise, als jeder wusste, dass die Situation hochgefährlich war, hat die Regierung kein Vertrauen dadurch geschaffen, dass der Finanzminister die Lage völlig falsch eingeschätzt hat. Das ist die Wahrheit; sie ist hier dokumentiert. ({4}) Während andere von „Massenvernichtungswaffen“ sprachen - derjenige, der dieses Wort geprägt hat, kennt sich auf den internationalen Finanzmärkten aus; er sprach auch die Vernetzung der Produkte an -, hieß es hier noch, das sei ein Problem der USA. Die Kanzlerin hat sich dieser nun wirklich lächerlichen Analyse angeschlossen; das heißt, Sie haben zu Beginn, vor einigen Tagen überhaupt nicht überblickt, worum es hier überhaupt geht. Ich will das in aller Klarheit für meine Fraktion hier feststellen. ({5}) Ich zitiere die Welt, die nicht im Verdacht steht, Ihnen in irgendeiner Form kritisch gegenüberzustehen: Das Chaos ist groß. Wochenlang hatten die Kanzlerin und ihr Finanzminister die Krise kleingeredet. Das ist die Wahrheit, und deshalb haben Sie kein Vertrauen geschaffen, sondern Sie haben die Unsicherheit in der Bevölkerung verstärkt. ({6}) Nachdem Sie festgestellt haben, dass diese Verharmlosung ein Fehler war, und nachdem Sie von den Ereignissen überrollt worden sind, haben Sie eben kein fachlich solides Krisenmanagement zustande gebracht. Aus Zeitgründen möchte ich nicht auf die IKB eingehen, sondern auf die HRE, und ich möchte sagen, was nach meiner Auffassung falsch gelaufen ist. Es ist noch akzeptabel, dass man in einer Situation von international vernetzten Märkten nicht kurzfristig alle Löcher feststellen kann, die auftreten können. Das möchte ich zunächst von niemandem erwarten. Aber wenn man zumindest das Problem erkannt hat - das hat schon in den Zeitungen gestanden -, dass der Fehler gemacht wurde, mit kurzfristigem Geld langfristige Kredite zu finanzieren, und wenn dann ein Finanzminister von der „Abwicklung“ des Unternehmens spricht, dann zeigt das, dass er diesem Problem fachlich überhaupt nicht gewachsen ist. ({7}) Dann ist er Mitverursacher dafür, dass dieses Institut in immer größere Schwierigkeiten gerät. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ein Bundesfinanzminister im Zusammenhang mit einem DAX-Unternehmen und solchen Volumina, die hier zur Rede standen, von „Abwicklung“ spricht und damit einen völlig falschen Terminus in die Öffentlichkeit bringt. Das geht auf diese Art und Weise weiter: Nun haben wir im Fernsehen erlebt, wie die Kanzlerin neben dem Finanzminister stand und sagte, dass sie die Spareinlagen garantieren. Zunächst würde jeder in diesem Hause sagen - das will ich auch für meine Fraktion ausdrücklich sagen -, dass er erleichtert wäre, wenn mit diesem Wort die Dinge geklärt wären. Wer wäre da nicht erleichtert? Dies wäre natürlich vertrauensbildend. Aber danach ging doch der ganze Zirkus erst los. Ich rede bewusst von Zirkus; denn zuerst hörte man von 586 Milliarden Euro, dann von über 700 Milliarden Euro, dann von vielleicht 1 Billion Euro, dann von 1,5 Billionen Euro und von bis zu 2 Billionen Euro. So schafft man doch kein Vertrauen. So schürt man nur Unsicherheit unter den Sparerinnen und Sparern, die überhaupt nicht mehr wissen, was sie von all dem halten sollen. ({8}) Wir Abgeordneten wurden gefragt: Wie soll das denn gehen? Dazu haben Sie überhaupt kein Wort gesagt. Sie haben wahrscheinlich selbst keine Vorstellung davon. Die anderen europäischen Staaten haben Ihnen ja mittlerweile vorgehalten, dass Ihre Vorgehensweise völlig unproduktiv gewesen sei. Es war Unilateralismus, der in diesem Falle zu Schäden in anderen Volkswirtschaften führen wird. Die Kritik, die heute in Europa an Ihrer Vorgehensweise geübt worden ist, ist mehr als berechtigt. ({9}) Es ist wirklich kein Ausweis von Stärke, dass Sie auf diesen gravierenden Fehler nicht einmal eingegangen sind. Stattdessen haben Sie hier so getan, als würden Sie europäisch abgestimmt handeln. Sie haben damit ande19332 ren Staaten in Europa große Probleme bereitet. So schafft man kein Vertrauen auf den Finanzmärkten. ({10}) In den Zeitungen steht, dass Notenbanker auf die Frage, was die Kanzlerin und der Finanzminister gemeint haben, antworten, dass sie nicht wissen, was gemeint ist, und dass Sie es wahrscheinlich selbst nicht wissen. Daran sieht man, dass man mit einer solchen Vorgehensweise kein Vertrauen schafft. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass in einer solchen Situation so vorgegangen wird. Wenn man eine solche Garantie abgibt - wie gesagt, die Absicht ist löblich -, dann muss doch ein Mindestmaß an Vorstellung darüber herrschen, was damit eigentlich gemeint war. Sie haben hier den irischen Weg kritisiert. Das ist nun wirklich eine Frechheit, Frau Bundeskanzlerin. ({11}) Wenn Sie den irischen Weg der einseitigen Garantie für die eigenen Banken kritisieren, aber gleichzeitig hinsichtlich der Ersparnisse den gleichen Weg gehen, dann sind Sie völlig unglaubwürdig. Genau das wird Ihnen auf europäischer Ebene vorgehalten. ({12}) Ebenso fahrlässig wie das fehlerhafte Vorgehen bei den Spareinlagen, wo bis zum heutigen Tage niemand hier in der Lage ist, zu sagen, was überhaupt gemeint ist, ist es, von einem „Plan B“ zu reden, wenn man erstens kaum Vorstellungen hat, wie dieser aussehen soll, und zweitens eigentlich Beruhigung in die Märkte bringen will. Was macht denn jemand, der über die Finanzströme bei den Banken zu entscheiden hat, wenn er auf der einen Seite hört, die Spareinlagen sollen garantiert werden, aber nicht weiß, wie das zu geschehen hat, und auf der anderen Seite hört, es gibt einen Plan B in Reserve, auch wenn das später, wie üblich, wieder revidiert wird? Dadurch wird doch ein Abwarten in den einzelnen Institutionen bewirkt, was gerade das Gegenteil von dem ist, was wir eigentlich gebrauchen könnten. Wir brauchen Sicherheit, Verlässlichkeit und zumindest eine Grundlage für die Planungen der Kreditinstitute. Wenn Sie von einem Plan B sprechen, dann müssen alle Verantwortlichen in diesen Instituten abwarten, wie dieser wohl aussieht und wie sie damit optimal für ihre Bank entscheiden können. Insofern war das ein Fehler. ({13}) Ich möchte ein Zitat aus den Zeitungen des heutigen Tages nennen, das einen wirklich umhaut. Der Bundesfinanzminister, der in dieser Regierung verantwortlich ist, die Krise zu managen, hat ernsthaft gesagt, er hätte sich vor einer Woche nicht vorstellen können, dass Turbulenzen bei isländischen Banken Auswirkungen bei uns haben. Wenn Sie das so gesagt haben, dann muss ich feststellen, dass Sie nicht die blasseste Ahnung von den Mechanismen auf den internationalen Finanzmärkten haben. Das ist eine traurige Feststellung, aber ich muss das hier ganz klar sagen. ({14}) - Herr Kollege Struck, von Ihnen verlangt man so etwas nicht. Aber von einem Bundesfinanzminister sollte man erwarten können, dass er die Vernetzung der internationalen Finanzmärkte kennt. ({15}) Wenn Sie bisher so gearbeitet haben, Herr Finanzminister, dann haben Sie sich durch diese Aussage bis auf die Knochen blamiert. Es tut mir leid, dass ich Ihnen das hier in dieser Klarheit vorhalten muss. ({16}) Weil die internationalen Finanzmärkte so verflochten sind, brauchen wir jetzt eine internationale Zusammenarbeit. Ohne internationale Zusammenarbeit - wie gesagt, mit Ihrer Vorgehensweise bei den Spareinlagen haben Sie gegen dieses Prinzip verstoßen - ist in die Finanzmärkte keine Ordnung zu bringen. Die Kritik auf der europäischen Ebene ist eindeutig: Die Europäer beklagen, dass die Bundesregierung hier zu wenig kooperiert. Nun komme ich zu einem Punkt, der in der heutigen Debatte zu kurz gekommen ist. Die Realwirtschaft bricht mittlerweile ein. Man hätte erwarten können, dass irgendetwas dazu gesagt wird, was man tun will, um diesen Einbruch zu verhindern. Dass dazu nichts gesagt worden ist, lässt wiederum Zweifel aufkommen, ob Sie das Ausmaß der Krise überhaupt erkennen. ({17}) Angesichts dessen, dass jetzt im gesamten Automobilbereich die Nachfrage einbricht, dort bereits Leute entlassen werden, Produktionen für Wochen stillgelegt werden, demnächst die Weiterverarbeiter an der Reihe sind und auch in anderen Branchen Entlassungen angekündigt werden, sieht man an einer klitzekleinen Entscheidung, dass Sie überhaupt nicht verstanden haben, worum es geht: Wer in dieser Situation die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senkt, weiß überhaupt nicht, was auf dieses Land zukommt. ({18}) Sie werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge bald wieder anheben müssen; das sage ich Ihnen voraus. Das ist eine völlig unverantwortliche Vorgehensweise. Insofern ist es bedauerlich, dass in dieser schwierigen Situation kein Einvernehmen zwischen Frankreich und Deutschland herrscht. Das, was die französische Politik seit Wochen fordert, nämlich ein konzertiertes Vorgehen der europäischen Staaten anzustreben, um die konjunkturelle Krise zu bewältigen, ist bislang von der deutschen Politik verhindert worden. Diese Vorgehensweise wird auf unsere Konjunktur in erheblichem Umfang zurückschlagen. Wir sagen hierzu: Wir brauchen jetzt ein Gegensteuern des Staates; das heißt eine andere Fiskalpolitik. Ich kann also die Aussage nur unterstreichen: Wer in dieser Situation sagt - Sie haben das wieder getan, Frau Bundeskanzlerin -: „Wir werden den Haushalt weiter konsolidieren und an unseren Haushaltszielen festhalten“, lässt erhebliche Zweifel aufkommen, ob er verstanden hat, was in der Welt überhaupt los ist und was auf Deutschland zukommen wird. ({19}) Ein Gegensteuern wäre eine expansive Fiskalpolitik, eine Lohnpolitik, die nicht wie in der Krise 1929/1930 auf einen Kürzungswettlauf hinausläuft, sondern auf Produktivität und Preissteigerung orientiert ist und, wenn es denn geht, vielleicht sogar ein Anheben der Hartz-IV-Sätze. Das würde sich nämlich direkt stabilisierend auf die Konjunktur auswirken. Wer von den Hartz-IV-Empfängern versteht denn noch, dass in Deutschland sofort zig Milliarden für Pleitiers bereitgestellt werden, aber nicht ein paar Hundert Millionen Euro für Hartz-IV-Empfänger? ({20}) Letzte Bemerkung. Sie haben heute die Managerhaftung angesprochen. Ich möchte ganz leise daran erinnern, dass dies von meiner Fraktion immer wieder vorgebracht worden ist und dass wir für diesen Vorschlag als sozialistische Neidhammel diffamiert worden sind. Ich will mich gar nicht darüber lustig machen. Meine Vermutung ist nur die, dass Sie populistisch von Ihrer eigenen Verantwortung ablenken wollen. Sie sollten sich den gleichen Kriterien stellen, die Sie den Managern gegenüber aufstellen, um zu deren Entlassung aufzufordern. Angesichts der Fahrlässigkeit, mit der Sie mit Bürgschaftszusagen usw. umgehen, sollten Sie diese Kriterien an sich selbst anlegen. Das hieße dann auch, Ihre eigene Zuständigkeit infrage zu stellen. Sie haben also kein Risikomanagement betrieben, das Vertrauen schafft, sondern haben Ängste und Unsicherheiten in der Bevölkerung geschürt. Das ist leider ein Politikversagen. ({21})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norbert Röttgen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Norbert Röttgen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002765, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem bin ich mir ganz sicher: Das, was die Bürgerinnen und Bürger von uns als ihren Politikern in dieser ernsten Lage des Landes ganz sicher nicht erwarten, ist, dass wir uns in politischer Rechthaberei und im Austragen kleinkarierter parteipolitischer Streitigkeiten ergehen. ({0}) Leider haben wir das hier überwiegend demonstriert. Die zentralen Begriffe dieser Debatte sind „Vertrauen“ und „Verantwortung“. Ich glaube, dass das Anforderungen sind, die die Bürger an uns adressieren. Sie erwarten nicht, dass wir nur Anforderungen an die Wirtschaft stellen. ({1}) Weil das so ist, möchte ich folgende Fragen stellen, die zum Thema gehören: Wie können wir die Krisenbewältigung, die stattfindet, den Bürgern gegenüber rechtfertigen? Was findet warum statt? Was sind die Lehren, die wir, die Politik, aus dieser Krise ziehen? Diese Kapitel liegen in unserer originären politischen Verantwortung, zu der wir uns äußern müssen und an der wir gemessen werden. Zur Krisenbewältigung. Ich glaube, dass dies das Gebot der Stunde ist. Es geht nicht um Schuldsuche in der Vergangenheit, sondern darum, Gefahren abzuwehren. Natürlich müssen wir uns den Bürgern gegenüber rechtfertigen, wenn sie uns fragen: Wie kommt ihr dazu, auf einmal in so großen Dimensionen, auch wenn es nur Sicherheiten sind und kein Bargeld fließt, Institute zu stützen? Das muss gerechtfertigt werden. Darum möchte ich unterstreichen: Es geht bei dieser Krisenbewältigung nicht darum, ein einzelnes Unternehmen zu retten; es geht nicht um einzelne Banken und Institute. Es geht überhaupt nicht um private Interessen, sondern um die Funktionsfähigkeit und Stabilität des Finanzmarktes insgesamt. Es geht um unsere Volkswirtschaft. Es war kein geringerer als Friedhelm Hengsbach, der vor kurzem darauf hingewiesen hat, dass die Stabilität und Funktionstüchtigkeit des Finanzmarktes ein öffentliches Gut sei. Ich möchte es sogar zuspitzen: Hier steht das Gemeinwohl zur Debatte. Darum ist es die Aufgabe des Staates, das Gemeinwohl zu gewährleisten; denn der Schaden für die Bürger wäre dramatisch, wenn wir nicht handeln würden. ({2}) Darum geht es: nicht um private Interessen, sondern um Interessen des öffentlichen Gemeinwohls. Es geht darum, dass durch politische Aktion, durch staatliches Handeln dieser Koalition und der Politik, das Vertrauen ersetzt wird, das die Marktakteure zerstört haben. Das ist eine schwierige, ungekannte Herausforderung. Ich möchte für die Koalitionsfraktionen hier ausdrücklich betonen: Die Regierung und die Koalition haben geschlossen und besonnen gehandelt und zugleich entschlossen agiert, in ständiger Kooperation und Absprache mit dem Parlament. Ich finde, dass das Parlament nicht so sehr die Aufgabe hat, sich zu bedanken; ich bedanke mich im Namen der beiden Koalitionsfrak19334 tionen bei der Bundeskanzlerin, beim Bundesfinanzminister, bei der Bundesregierung für die exzellente Arbeit, die schwierigste Arbeit, die bislang geleistet worden ist. ({3}) Das hat dem Land gutgetan und den Interessen der Bürgerinnen und Bürger gedient. Das Instrument ist in der Sache dargestellt worden - wahrscheinlich kann man es nicht oft genug tun -: Es sind weder 26 Milliarden Euro noch 35 Milliarden Euro irgendwohin geflossen; vielmehr geht es um eine Bürgschaft, um die Gewährung einer Sicherheit, damit der Kreislauf wieder fließt. Es ist wichtig, zu sagen, dass es darum geht. Man kann nicht ausschließen, dass die Bürgschaft in Anspruch genommen wird. Das ist ein Teil der Wahrheit; das weiß heute keiner. Darum ist es wichtig, den Bürgern zu sagen: Wenn es dazu kommt, dann ist gewährleistet, dass das Unternehmen mit einem Bilanzwert von 400 Milliarden Euro, das von dieser Bürgschaft profitiert, mit Mann und Maus die Summe zurückzahlen wird, mit allen Vermögenswerten, über das es verfügt; bevor der erste Euro Gewinn erzielt wird, muss jede Schuld und jede Bürgschaft an den Bund zurückgezahlt werden. ({4}) Es wird kein Gewinn auf Kosten der öffentlichen Hand erzielt. Ich möchte, so gut wir das jetzt schon können, etwas zu den Lehren sagen, die wir daraus ziehen müssen. Ich finde, dass Schnellschüsse nicht das Gebot der Stunde sind; wir müssen aber darüber diskutieren, welche Lehren wir heute schon daraus ziehen können. Was wissen wir schon heute? Dazu können wir einiges sagen. Als Erstes wird reflexartig gesagt - auch ich werde gleich etwas dazu sagen -, wir brauchten mehr Regulierung. Ja, wir brauchen sie; aber ich nenne das nicht an erster Stelle. Ich warne gleichzeitig vor der Illusion, dass wir mit Regulierung jede nächste Krise, die Entstehung von neuen Krisen und Problemen, verhindern können. Das können wir nicht; denn wir reagieren immer auf das, was wir kennen, nicht auf die nächste Krise. Die Grenzen des Gesetzgebers sollten wir beachten. Nein, ich möchte Ihnen an allererster Stelle meine persönliche Überzeugung vortragen - ich hoffe, dass sie von manchen geteilt wird -: Diese Krise zeigt an allererster Stelle, dass kein Regelwerk, schon gar nicht die Wirtschaft bestehen kann, wenn die einzelnen wirtschaftlichen Akteure glauben, frei von moralischer Bindung, frei von unternehmerischer Ethik, ohne gesamtgesellschaftliches Verantwortungsgefühl agieren zu können. ({5}) Dort fängt es an. Der Staat kann durch Regulierung nie ersetzen, was von verantwortlichen Wirtschaftsakteuren an moralischer Selbstverpflichtung nicht mehr empfunden wird. Nach unserer Überzeugung gehört der Vorrang der ethischen Dimension unmittelbar und originär zur Marktwirtschaft, und zwar an allererster Stelle. Nach christdemokratischer und christlich-sozialer Vorstellung ist Wirtschaft keine moralfreie Zone. ({6}) Die Sozialisten und Populisten werden nicht in der Lage sein, die Marktwirtschaft zu diskreditieren. Eine Lehre dieser Krise ist folgende: Wenn es jemand schafft, den Markt zu diskreditieren, dann sind das die verantwortungslosen Akteure des Marktes selbst. Sie allein können so etwas bewirken. ({7}) Daher würde ich mich freuen, wenn in Deutschland in dieser Situation vonseiten der Wirtschaft bald ein Wort zur ethischen Gebundenheit wirtschaftlicher unternehmerischer Tätigkeit zu hören wäre. Die Uhr läuft auch dort. Ich glaube, dass an dieser Stelle ein solches Wort fällig ist. ({8}) Eine weitere Lehre ist, dass diese Krise etwas über die Systemfrage aussagt. Der Sozialismus ist passé; das haben wir in Deutschland und auch darüber hinaus erfahren. Diese Variante stellt sich nicht mehr. ({9}) Die Krise zeigt: Liberale Marktgläubigkeit ist ebenfalls passé. ({10}) Die Krise zeigt, dass die soziale Marktwirtschaft, die zu den elementaren geistigen Grundlagen der CDU/CSU gehört, aktueller ist als je zuvor in diesem Land. ({11}) Soziale Marktwirtschaft bedeutet Markt. Die Lehre aus dieser Krise ist nicht, den Markt abzuschaffen. Das ist eine geradezu dumme These, die, außer in Ihren Ideologiebüchern, nirgendwo mehr vertreten wird. Die Lehre ist, den Markt zu ordnen. Wir sind nicht nur für den Markt, weil die Erfahrung zeigt, dass er effizienter ist und besser funktioniert; das trifft zwar zu, ist aber nicht alles. Wir sind für den Markt als Werteordnung. Wir sind für die soziale Marktwirtschaft, weil sie dem Freiheitsrecht und der Verantwortungspflicht des Einzelnen als Werteordnung am besten gerecht wird. Aus dieser Erkenntnis in Bezug auf die Systemfrage ergibt sich unmittelbar eine politische Konsequenz als das Gebot dieser Stunde: Diese Vorstellung von sozialer Ordnung der Marktwirtschaft muss international durchgesetzt werden. Das ist kein neuer Imperialismus. Die Welt hat jetzt die Chance, das System und den gerechten Ausgleich, von dem unser Land und unsere Menschen profitiert haben, weltweit durchzusetzen. Das ist die Aufgabe der Stunde. ({12}) Darüber sollten wir uns freuen. Es ist so etwas wie die Rückkehr der Politik in die Gestaltung der Globalisierung. Das ist eine große Aufgabe. ({13}) Es ist außerdem eine aktuelle Legitimation Europas. Deutschland wird es nicht alleine schaffen. Europa aber kann es schaffen. Wenn man sich anschaut, was wir vielleicht versäumt haben, komme ich zu dem Schluss: Wir haben die originär europäische Kulturvorstellung nicht heftig genug vertreten. ({14}) Die Bundeskanzlerin hat es in Heiligendamm getan und versucht, sie durchzusetzen. Die europäische Stimme hätte in der Vergangenheit stärker werden können. In Zukunft muss sie stärker werden - für eine gerechte Ordnung der Weltwirtschaft. ({15}) Das müssen wir leisten, und zwar mit allem, was dazugehört: Transparenz, Eigenkapital, Rating und Risikomanagement. All das gehört dazu. Das ist die Ordnung von Wirtschaft, die wir brauchen. Ich möchte eine letzte Bemerkung zum Thema unternehmerisches Risiko und staatliche Regulierung machen. Auch hier gilt, dass wir in Bezug auf die Konsequenzen das Maß bewahren sollten. ({16}) Ich bin der festen Überzeugung, dass Risikobereitschaft zum Unternehmertum dazugehört. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, eine Ex-post-Kontrolle über unternehmerische Risikoentscheidungen allgemein durchzuführen; das ist meine feste Überzeugung. Ich bin aber auch der Meinung, dass wir es hier nicht nur mit unternehmerischen Entscheidungen privaten Charakters zu tun haben. Friedhelm Hengsbach hat gesagt - er hat es als Warnung an die Finanzakteure und -experten verstanden -: Die Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes sind öffentliches Gut. Durch das verantwortungslose Verhalten bestimmter Akteure in Amerika und Europa ist öffentlicher Schaden entstanden. In den Fällen, in denen es nicht um den Schaden einer Gesellschaft geht, sondern in denen unserer Gesellschaft und unserem Staat Schaden zugefügt wird, haben wir ein unzulängliches Haftungsregime. Bislang stellen wir nämlich nur auf die gesellschaftsrechtliche Haftung ab. Hier braucht es öffentlich-rechtliche Schadenersatzansprüche. Wenn öffentliche Güter fundamentaler Art gefährdet oder beschädigt werden, was wir jetzt erleben - es kann zum Kollaps kommen -, dann sind auch strafrechtliche Sanktionen an der Tagesordnung. Die braucht es auch. ({17}) Wir brauchen eine Verbesserung der unternehmensinternen Aufsicht. Die Bundeskanzlerin hat die Staatsaufsicht zu Recht angesprochen. Das Thema Aufsichtsräte bzw. unternehmensinterne Kontrolle gehört aber auch auf die Tagesordnung der Politik. Hier gibt es Handlungsbedarf. Ich will das Gesagte in einem Appell zusammenfassen, der die allermeisten hier verbinden sollte: Wir machen zurzeit bittere Erfahrungen. Das Ende und die Dimension der Erfahrungen und des Schadens sind noch nicht absehbar. Wir müssen das bewältigen, die Gefahren in den Griff kriegen, bannen und meiden. Nutzen wir als gewählte Politiker dieses Landes diese Krise aber auch dazu, eine Kultur des Maßes und eine soziale Ordnung der Wirtschaft durchzusetzen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion jedenfalls wird an diesem Werk mitarbeiten und ist entschlossen, hieraus die Lehren zu ziehen. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Gregor Gysi.

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Röttgen, Sie haben auf Bücher von uns hingewiesen, obwohl Sie, wie ich glaube, noch kein einziges Buch von uns gelesen haben. Sie haben sich zum wiederholten Male über unser Verhältnis zum Markt geäußert, und zwar völlig falsch. Wir nehmen wie Sie die Geschichte zur Kenntnis. ({0}) - Lassen Sie mich zu Ende sprechen. Ich habe Ihnen auch zugehört. - Wir wissen sehr wohl, aus welchen politischen und ökonomischen Gründen der sogenannte Staatssozialismus gescheitert ist. Deshalb sage ich Ihnen: Die Marktwirtschaft hat ihren Platz, und zwar dort, wo sie durch ihre Instrumente dafür sorgt, dass die Qualität steigt und die Kosten sinken. Das haben wir sehr wohl begriffen. Die Auseinandersetzung bezieht sich auf ganz andere Felder. Wo wir Monopole haben, gibt es keine Marktwirtschaft. Wenn man diese Unternehmen privatisiert, wird nur abgezockt. Das ist die eine These, die wir aufstellen. ({1}) Die zweite These bezieht sich auf ein ganz kompliziertes Feld. Ich sage Ihnen: Ich möchte nicht, dass an Rüstung so viel verdient wird; denn solange an Rüstung so viel verdient werden kann, hören Kriege nicht auf. Das ist eine große Sorge von mir. Die darf ich doch wohl noch artikulieren! Das Dritte betrifft die öffentliche Daseinsvorsorge, Herr Röttgen. Sie sind dafür, Krankenhäuser, Schulen und alles mögliche andere zu privatisieren. Ich sage Ihnen: Ich möchte nicht, dass sich eine Schülerin oder ein Kranker rechnen muss. Das sind die Differenzen, um die es geht. Lassen Sie mich als Letztes eines sagen, weil Sie ein Plädoyer für die soziale Marktwirtschaft gehalten haben: Die neoliberalen Parteien im Bundestag haben in den letzten Jahren die soziale Marktwirtschaft immer stärker beeinträchtigt. Das waren Union, SPD, FDP und Grüne. Das ist die Wahrheit. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundeskanzlerin hat die soziale Marktwirtschaft als das beste Wirtschaftssystem bezeichnet, und Herr Röttgen hat in die gleiche Richtung geredet. Damit nichts durcheinandergeht, möchte ich eines klar feststellen, Frau Merkel: Was wir gegenwärtig auf den europäischen und internationalen Finanzmärkten erleben, hat mit sozialer Marktwirtschaft nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({0}) Das ist doch der entscheidende Punkt. Die Bürgerinnen und Bürger im Land stellen fest, dass Schulen nicht saniert werden, dass Kindergartenplätze fehlen, dass im Bereich des Sozialen vieles im Argen liegt. Wenn sie jetzt feststellen, dass man mit Milliarden private Banken sanieren muss, dann fragen sie zu Recht: Wo ist denn der soziale Wirtschaftsstil, den Walter Eucken und Alfred Müller-Armack damals beschrieben haben? Deswegen kommen wir um eine Diskussion darüber, dass es massive soziale Defizite in unserer Marktwirtschaft gibt, die auch durch die Finanzmärkte ausgelöst wurden, meines Erachtens nicht herum. ({1}) Dies - dazu möchte ich Klares von der Bundesregierung hören - kann mit einem Wirtschaftsstil, der sich sozial nennt, kurzfristig, mittelfristig und langfristig nicht funktionieren, wenn es so ist, dass die Gewinne privat bleiben und auch in der Zukunft privat bleiben sollen, aber Risiken und Verluste sozialisiert und der Allgemeinheit aufgedrückt werden. Das akzeptieren und verstehen die Bürgerinnen und Bürger meines Erachtens zu Recht nicht. Sie wollen von uns eine Antwort auf die Frage, wie das in Zukunft jenseits des Managements der aktuellen Krise anders werden kann. ({2}) Die Marktwirtschaft, Herr Röttgen, kann im Sinne sozialer Ziele nie funktionieren, wenn es keine Transparenz gibt. Beim Finanzmarkt gab es keine Transparenz. Sie kann auch nicht funktionieren, wenn die Verursacher von falschem wirtschaftlichen Handeln nicht dafür haften. Das ist doch das eigentliche moralische Problem, das wir jetzt haben: Wenn wir nicht aufpassen, wird man in Zukunft sagen, man müsse nur den Mist groß genug anrichten, dann wird der Staat schon garantieren und nicht anders können. Wir sind der Meinung, dass der Staat eingreifen muss, wenn die systemischen Risiken einer Bankenpleite so groß wären, dass die Allgemeinheit großen Schaden nimmt. Wir sagen deshalb im Unterschied zur Linkspartei, die übrigens nichts Praktisches dazu gesagt hat, was man bezüglich der HRE tun soll: ({3}) Wir sind der Meinung, Herr Finanzminister, dass das erste Rettungspaket und auch das zweite an einer entscheidenden Stelle ein schweres Strukturdefizit hatten: Durch Bürgschaft wurde staatliches Geld in Aussicht gestellt, aber es wurde nicht dafür gesorgt, dass der Staat dann auch mitzureden hat, was bei der HRE in Zukunft geschieht. ({4}) Deswegen glauben wir, dass eine intelligente Form von Teilverstaatlichung der bessere Weg gewesen wäre. Denn dann wäre klar gewesen, dass der Staat von zukünftigen Profiten etwas bekommt, und vor allem wäre dann die Abwicklung - oder wie auch immer Sie es nennen wollen - in staatlicher Hand gewesen. Das wäre in diesem Fall vernünftig gewesen. Es ist doch ein Stück aus dem Tollhaus, dass Sie, Herr Bundesfinanzminister, mit Geld gewunken haben und es in Form einer Bürgschaft auf den Tisch gelegt haben, aber über die Ziele der Sanierung zwischen Ihnen und der HRE und deren Management kein Einverständnis erzielt worden ist. Sie haben Abwicklung gesagt, und die haben Sanierung verstanden. Ich frage mich: Wie ist da verhandelt worden, wenn im Zusammenhang mit dem Rettungspaket nicht das Ziel, um das es ging, auf den Tisch gelegt worden ist? ({5}) Also sage ich noch einmal: Wenn sich die Botschaft von der Rettungsaktion verbreitet, dass Sie mit Geld aushelfen, aber faktisch keinen Einfluss ausüben wollen, wie es die Holländer, die Belgier, die Engländer und die Amerikaner gemacht haben, dann entsteht in der Zukunft ein großer Schaden. ({6}) Nächster Punkt. Die Bankenaufsicht in Deutschland hat versagt. Deswegen müssen wir sie ändern. Wir schauen doch seit letztem Sommer zu, wie sich die Krise in den USA entwickelt, aber wir schauen nicht genau nach, welche Institute es in Deutschland gibt und wie die systemischen Risiken aussehen. Deswegen kann man nicht einfach sagen, dass die Bankenaufsicht viel gearbeitet habe. Vielmehr hat sie an entscheidender Stelle versagt. ({7}) Deswegen muss sie vom Kopf auf die Füße gestellt und gründlich reformiert werden. ({8}) Frau Merkel, Sie haben mit dem Finanzminister eine Garantie für die privaten Sparvermögen in Deutschland ausgesprochen. Sie werden gewusst haben, warum Sie das tun. So etwas macht man ja nicht ohne Not, sondern weil es Schwierigkeiten gibt. Wir verstehen und akzeptieren, dass so eine Garantie ausgesprochen wird. Denn die Verunsicherung im Land war offensichtlich sehr groß. Aber eines können wir als parlamentarische Fraktion im Deutschen Bundestag nicht akzeptieren, nämlich dass Sie nicht sagen, wie Sie diese Garantie operationalisieren wollen. Sie sprechen eine Garantie aus, die im schlimmsten Fall ein Volumen von bis zu 1 000 Milliarden Euro hat, aber Sie gehen nicht einmal her - ich verstehe ja noch, dass Sie kein Gesetz machen wollen - und bringen dies in einer Form in den Deutschen Bundestag ein, in der der Deutsche Bundestag über Ihre Garantie entscheiden und ein Backing dafür geben könnte. ({9}) Es ist klar, warum Sie dies nicht tun. Es ist leichter, zu sagen, dass Sie als Bundeskanzlerin etwas für einen Fall garantieren wollen, von dem Sie hoffen, dass er nicht eintritt, als diese Garantie zu operationalisieren und in diesem Hause zu sagen, wie es gehen soll. Mich hat heute früh in der S-Bahn eine Frau auf das Thema angesprochen. Es ist übrigens immer gut, S-Bahn zu fahren; in solchen Zeiten ist es besonders gut. Sie hat mir folgende Frage gestellt, die ich sehr intelligent fand: Wie kann eine Bundesregierung, die es bei hohen Steuereinnahmen nicht schafft, einen Haushalt zu konsolidieren, über 1 000 Milliarden Euro garantieren? - Das ist natürlich eine Frage, der Sie sich hier stellen müssen. Ich habe pflichtgemäß gesagt, das habe nicht direkt etwas miteinander zu tun. Aber es ist doch wichtig, zu verstehen, dass die Leute sich solche Fragen stellen, und daher ist es erforderlich, dass Sie sich in diesem Hohen Hause das Commitment für die Garantie abholten, die Sie geben; denn wenn es schiefgeht, müssen ja wir Abgeordneten über die Mittel im Haushalt entscheiden, über die Sie gerade Garantien abgegeben haben. ({10}) Deswegen kommen Sie daraus nicht so schlank heraus, wie Sie es offensichtlich vorhatten. Ich komme zum Schluss und knüpfe an Herrn Röttgen an: Diese wirklich elementare Finanzkrise - manchmal, wenn man die Augen schließt und nachdenkt, merkt man erst, was da jetzt alles wirtschaftlich und hinsichtlich der Investitionen auf die schiefe Ebene kommen kann - ist nicht automatisch eine Chance der Erneuerung der Politik in Deutschland. Dafür gab es mir schon wieder zu viel Hin- und Hergeschiebe; Westerwelle sprach von Politikversagen, andere sprachen von Marktversagen. In der Marktwirtschaft versagen immer beide, zuerst die Märkte wegen ihrer Gier und Renditeerwartungen von 25 Prozent, aber immer auch der Staat, weil er die Regeln, die ordnungspolitischen Rahmenbedingungen nicht richtig gesetzt hat. ({11}) Wir von den Grünen setzen darauf, dass eine Renaissance der Politik, also eine Erneuerung der Politik über das wirtschaftliche Diktat hinaus, möglich ist. Aber dazu muss jetzt, wenn das Krisenmanagement erfolgreich abgeschlossen werden kann, schnell ein neues Regelsystem her, das wirklich klare Regulierungen auch für die Finanzmärkte vorsieht. Dafür werden wir jedenfalls eintreten. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der Auffassung, dass diese Krise, die sich seit über einem Jahr immer mehr zuspitzt - das ist von den meisten Vorrednern ebenfalls vorgetragen worden -, eine sehr grundsätzliche politische Dimension hat, weil das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft neu austariert wird. Das ist ein Lernprozess, der nicht ganz einfach ist, erstens nicht für uns, die Akteure, die verschiedenen politischen Parteien, im Verhältnis zur Wirtschaft, aber zweitens und erst recht nicht in der internationalen Dimension, weil eine rein nationalwirtschaftliche Betrachtung entschieden zu kurz greift und wir nur im europäischen Rahmen oder sogar im Weltverbund bestimmte Dinge auf die Schiene bringen können, um das Verhältnis neu auszutarieren, um Regeln zu finden, unter denen sich Markt dann entfaltet. Ich bin sehr froh darüber, dass unser Finanzminister, seitdem die IKB-Krise losgetreten worden ist, seit Herbst letzten Jahres sofort in die Spur gekommen ist und jede Gelegenheit auf internationaler Ebene genutzt hat - insofern trifft auch nicht zu, was Herr Westerwelle oder erst recht Herr Lafontaine vorgetragen haben -, um neben dem Aspekt des Ratings folgende Fragen anzusprechen: Was gehört in die Bilanz eines Unternehmens und erst recht einer Bank hinein? Wie kann man internationale Sicherungssysteme schaffen? Damit wurde ein Prozess initiiert, der anfangs nur sehr schwerfällig in die Gänge kam und erst dadurch an Tempo zunahm, weil auch die Krise sich weiter zuspitzte, ({0}) Reinhard Schultz ({1}) denn es gab natürlich wenig Begeisterung in den USA, wenig Begeisterung in Großbritannien oder überall da, wo man besonders intensiv an die Freiheit des Finanzmarktes glaubte, weil man daran auch besonders viel verdiente. Dieser Lernprozess hat sich erst durch die dramatische Zuspitzung beschleunigt, sodass ein internationaler Dialog über das Verhältnis von politischen Regeln und internationalem Markt überhaupt erst sinnvoll geführt werden kann. Diesen Zeitpunkt haben wir jetzt Gott sei Dank erreicht. Daran hat die Bundesregierung, daran haben der Finanzminister und die Bundeskanzlerin einen erheblichen Anteil. Das muss man zunächst einmal würdigen. ({2}) Der zweite Punkt bezieht sich auf folgende Fragen: Was heißt Krisenmanagement? Was heißt Krise? Im Hinblick auf die deutsche Szene gibt es doch sehr unterschiedliche Elemente zu beobachten. Wir haben die IKB, wo mit krimineller Energie ökonomische Fakten über den Zustand der Bank verschleiert, über Jahre aus dem Bilanzkreislauf herausgenommen und vor den Wirtschaftsprüfern verheimlicht und sogar vor dem eigenen Aufsichtsrat im Dunkeln gehalten worden sind, was erst im Nachhinein sehr mühselig, sozusagen mit bergbaulichen Methoden, ans Tageslicht gebracht werden musste. Ein anderes Beispiel ist die Hypo Real Estate, bei der es zu einer Liquiditätskrise kam. Hier hat man beherzt gehandelt. Dann musste man allerdings feststellen, dass ein Bankvorstand zu dem Zeitpunkt, als er mit Regierung und Finanzaufsicht verhandelt hat, nicht in der Lage war, die Dimension dieser Liquiditätskrise auch nur halbwegs genau zu benennen. Er hat schlicht und einfach vergessen, Commercial Papers in einer Größenordnung von 20 Milliarden Euro zu berücksichtigen, die man nach Irland vergeben hatte; in diesem Zusammenhang ist immer wieder von Irland die Rede. Diese Nachricht ereilte ihn erst, nachdem sich die Bundesbank die Unterlagen genauer angesehen hat. Das ist Versagen des Managements. ({3}) Hier stellt sich natürlich die Frage: Wo ist in einer solchen Situation die Aufsicht? Ich sage es einmal so: Die Aufsicht kann nur das prüfen, was sie prüfen darf. Wenn es zulässig ist, wesentliche ökonomische Tatbestände eines Unternehmens in Länder oder Zweckgesellschaften, die außerhalb der Bilanz geführt werden und in denen man nicht einmal prüfen darf, zu verlagern, dann kann die deutsche Bankenaufsicht, egal wie sie aufgestellt ist, nichts unternehmen. In einem solchen Fall wird sie genauso hinter die Fichte geführt wie manch ein Aufsichtsrat oder Wirtschaftsprüfer. Diese Regeln müssen wir ändern. ({4}) Der wichtigste Punkt ist: Wir müssen dafür sorgen, dass sich künftig alle Risiken und alle ökonomischen Aktivitäten einer Bank in der Bilanz niederschlagen. Der zweite wichtige Punkt ist: Alle wichtigen Aktivitäten einer Bank müssen mit einem Mindesteigenkapitalanteil unterlegt sein. Es kann nicht sein, dass Luftnummern in der Größenordnung mehrerer Milliarden Euro hin- und hergeschoben werden, ohne dass sich dieses Risiko im Hinblick auf die Eigenkapitalausstattung des Bankhauses in irgendeiner Form niederschlägt. ({5}) Das zerstört jedes Risikobewusstsein des verantwortlichen Vorstands, weil das sozusagen ein Risiko zum Nulltarif ist. Das ist nicht der Sinn von Basel II und nicht der Sinn von Risikomanagement, wie wir es uns vorstellen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir uns generell Gedanken darüber machen müssen, inwieweit bestimmte Geschäfte, die durch Schulden finanziert werden, überhaupt noch möglich sein sollen; auch darüber muss geredet werden. Denn sie haben eine Schuldenkaskade zur Folge, die irgendwann auch den Staat einholt. In den USA ist das im Großformat zu beobachten, im Kleinformat inzwischen aber leider auch bei uns. Der vierte wichtige Punkt betrifft die Krisenprävention. Wir müssen uns darauf einigen, dass es in Zukunft verboten sein soll, spekulative Geschäfte bzw. Wettgeschäfte auf die Entwicklung der Kurse von Wertpapieren abzuschließen, möglicherweise sogar mit der Absicht, diese durch die Begleitmusik, die man macht, in Grund und Boden zu stampfen, um sich hinterher darüber zu wundern, dass möglicherweise ein ganzer Wirtschaftszweig zusammengebrochen ist. Leerverkäufe - diese Anregung hat auch Peer Steinbrück in einer der letzten Debatten gemacht - müssen grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden. Ich bin der Meinung, sie gehören verboten, ({6}) weil sie ein unökonomisches Mittel sind, das in die Sphäre des Kasinos gehört, nicht aber in die Sphäre von Banken und Finanzdienstleistern. ({7}) Ich glaube, dass wir in unserer Diskussion bereits über das Stadium des reinen Krisenmanagements hinaus sind - natürlich wird uns das Krisenmanagement auch in den nächsten Tagen und Wochen noch beschäftigen und dass wir uns schon in einer breiten Diskussion über die Perspektiven befinden, wie der Regelungsrahmen für den Finanzmarkt und die Banken in Zukunft aussehen soll. Über diese Perspektiven müssen wir uns nicht erst noch Gedanken machen, sondern große Bausteine sind bereits jetzt erkennbar, sowohl im nationalen Rahmen als auch im internationalen Dialog; darüber bin ich sehr froh. Ich bin davon überzeugt, dass wir sehr viele unserer Vorschläge werden durchsetzen können, wenn wir uns gemeinsam anstrengen. Ein Beispiel sind die Ratings. Ich erinnere mich daran, welche Erfahrungen einige von uns machten, als sie in den USA waren und verschiedene Finanzakteure fragten: Was ist eigentlich an der Immobilienblase dran? Uns wurde gesagt: Erst einmal nichts. - Allerdings bahnte sie Reinhard Schultz ({8}) sich schon an, und die Fachwelt sprach darüber. Außerdem fragten wir: Seht ihr keinen Bedarf, die Ratingagenturen zu regulieren? Auf diese Frage antwortete uns ein ziemlich alter Senator - im Vergleich zu ihm ist Otto Schily ein sehr junger Politiker -: Die Ratingagenturen sind doch diejenigen, die nach der Schlacht die Verwundeten erschießen. ({9}) So viel zum Problembewusstsein, das die führenden Ökonomen der USA an den Tag legten. Daran hat sich inzwischen Gott sei Dank etwas geändert. Ich finde, es ist verantwortungslos, wenn sich Ratingagenturen Kenntnisse anmaßen bzw. vorgaukeln, über Kenntnisse zu verfügen, die sie gar nicht haben können, zum Beispiel über neue strukturierte Finanzprodukte. Kein Mensch weiß, wie sie sich entwickeln und was darin enthalten ist. Dafür fehlen statistische und empirische Reihen, die das Wesen des Ratings überhaupt ausmachen. Das sind aus der Hüfte geschossene Prognosen, die eigentlich nur den Zweck erfüllen, den Besteller der Prognose zufriedenzustellen und das Honorar zu kassieren. Ich finde, das kann nicht als Ersatz für eine funktionierende und eigenverantwortliche Risikovorsorge in den Banken und bei den Finanzdienstleistern gelten. ({10}) Ich glaube schon, dass wir darüber reden müssen, welche Möglichkeiten wir der Bankenaufsicht künftig geben. Wir müssen sie ihr aber auch geben. Sie kann sich nämlich nur in dem Rechtsrahmen bewegen, den sie vorfindet. Ich bin Freund einer prozessbegleitenden Finanzaufsicht, wenn es sich um Häuser handelt, die eine Bedeutung für das gesamte System haben. Das ist aber eine völlig andere Aufstellung, nämlich ungefähr so wie die Großbetriebsprüfung, die sich in dem Großbetrieb regelrecht einnistet und ständig vor Ort ist. So etwas müssen wir erreichen. Ich glaube, ansonsten wird immer wieder eine Situation auftreten, in der wir beklagen müssen, dass die Bankenaufsicht etwas nicht mitbekommen hat, weil sie es gar nicht mitbekommen konnte. Herr Westerwelle, ich denke, hier müssen wir alle ein bisschen ehrlicher sein, und wir dürfen nicht so tun, als ob die armen Beamten, die die Gesetze zu vollziehen haben, die Verantwortlichen sind. Wir sind die Verantwortlichen; denn den Rahmen für die Finanzaufsicht setzen wir. ({11}) Dieser war bislang zureichend und ist es aus heutiger Sicht nicht mehr. Das hat aber überhaupt nichts damit zu tun, ob das die Bundesbank oder die BaFin ist. Das ist völlig egal. Es geht darum, wie tief die Bankenaufsicht in den operativen Prozess überraschend eingreifen darf. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich finde es gut, dass der Finanzminister und die Bundeskanzlerin gemeinsam die politische Erklärung abgegeben haben, dass die Spareinlagen sicher sind, egal was passiert. Das ist ein sehr wichtiges Signal. Dass das im weiteren Prozess - zum Beispiel hinsichtlich der Einlagensicherung der drei Säulen - gesetzgeberisch weiter unterlegt werden muss, ist doch gar keine Frage. Darüber werden wir auch reden. Entscheidend ist aber doch das Signal dieser Koalition, dass die Spareinlagen sicher sind, egal was passiert und welche Überraschungen noch auf uns zukommen. ({13}) Wir werden alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, damit das Versprechen auch eingehalten werden kann. Mehr kann man im Augenblick von der Bundesregierung kaum erwarten. Wir alle sind aufgefordert, daran mitzuwirken, dass erstens das Einhalten des Versprechens nicht notwendig wird und dass zweitens die erforderlichen gesetzgeberischen Voraussetzungen geschaffen werden, wenn es doch eingehalten werden muss. Vielen Dank. ({14})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Alexander Bonde für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute einen denkwürdigen Auftritt vom Kollegen Westerwelle erlebt, der hier den Kampf für die Bankenaufsicht und gegen das Spekulantentum ausgetragen hat. ({0}) Jetzt stellt sich natürlich die Frage, ob sich jemand als Robin Hood eignet, der seit Jahrzehnten der Sheriff von Nottingham der deutschen Politik ist. ({1}) Er muss sich natürlich auch die Frage stellen lassen, warum er, wenn er es mit dem Untersuchen und dem Verändern der Bankenaufsicht so ernst meint, hinsichtlich des Untersuchungsausschusses, bei dem es um die KfW, die IKB und auch die jetzigen Vorgänge geht, eigentlich so zögert. Ich finde, wer hier gackert, der muss das Ei auch legen, Herr Westerwelle. ({2}) Um was geht es heute in dieser Debatte? Wir haben im Kern die Frage zu beantworten, mit welchem Ziel Politik ihr Krisenmanagement hinsichtlich dieser schwierigen Finanzkrise verfolgt. Ich finde, wir müssen hier sehr genau aufpassen, damit wir nicht die falschen Signale im Hinblick auf die Frage setzen, um wen es eigentlich geht, wen die Politik also retten bzw. stützen will. Ich denke, das Signal muss sein, dass es die Aufgabe der Bundesregierung ist, zu sichern, dass die Menschen nicht zum Opfer dieser Finanzkrise werden, und dass es nicht ihre Aufgabe ist, zu sichern, dass die Banken, die diese Krise zum Teil als Täter herbeigeführt haben, schuldfrei aus dieser herauskommen. Am Ende muss es also darum gehen, wie man die kleinen Leute und die funktionierenden Institutionen, die man für das tägliche Leben und Wirtschaften braucht, schützen kann. ({3}) Aber es geht nicht darum, wie man es erreicht, dass die Banker aus ihrer Verantwortung entlassen werden und dass schlechte Banken trotzdem am Markt bleiben. ({4}) Frau Kanzlerin, da haben Sie vom Leipziger Parteitag bis hierher einen langen Weg hinter sich. ({5}) Ich möchte nicht wissen, was auf Ihrem Parteitag damals mit Rednern passiert wäre, die Ihre heutigen Thesen vorgestellt hätten. ({6}) Aber schenken wir uns das. Ich glaube, dass viel Wahres daran ist und dass Sie im Kern ähnlich argumentieren wie wir. Man muss aber genau hingucken, wie Ihr Krisenmanagement genau aussieht. Sie haben heute festgestellt, es könne nicht sein, dass die Hypo Real Estate vom Staat mit einer Bürgschaft gerettet wird, ohne dass der Staat etwas davon hat. Die Wahrheit ist: Was eine Gebühr für die Bürgschaft angeht, ist nichts verhandelt oder fixiert. Es gibt nichts außer der lauen Aussage, man wolle noch einmal darüber reden. Das verbirgt sich hinter der Fassade Ihrer Ankündigung. ({7}) Sie haben gesagt, Sie verlangen mehr Verantwortung und Haftung von Managern und Bankern, die in der Krise versagt haben. Auch da zeigt der Abgleich: Hypo-Real-Estate-Chef Funke, der - nachdem er uns tagelang ein paar Milliardenlöcher nicht richtig erklären konnte - heute nach wochenlangem Hin und Her endlich zurückgetreten ist, geht mit einer saftigen Rente in Höhe von 70 Prozent seines Gehaltes ab sofort. ({8}) Das ist nicht das, was ich unter Verantwortung verstehe. ({9}) Ich erwarte von der Bundesregierung, die eine solche Bank rettet - ob sie abgewickelt wird, wissen wir bis heute nicht -, dass der Staat Einfluss nimmt, wenn er handelt, und solche Ungerechtigkeiten, die draußen kein Mensch versteht, abstellt. Auch das ist ein Versagen innerhalb des Krisenmanagements. ({10}) Denn Sie haben versäumt, auf die Frage Einfluss zu nehmen, wer wie und zu welchen Konditionen operiert, und zwar mit einer dicken staatlichen Bürgschaft im Hintergrund, von der wir alle hoffen, dass sie niemand braucht. Aber sie wird vom Staat gewährt, und daher kann es kein Mensch verstehen, dass Herr Funke mit der Staatsknete als Bürgschaft im Hintergrund jetzt mit goldenen Löffeln in den Ruhestand geht. Ich finde, dass die Debatte über die Verantwortung der Banken, die wir führen, Folgen haben muss. Wir müssen analysieren, was konkret passiert ist. Es kann nicht sein, dass Herr Ackermann und andere einerseits die Rettung der HRE fordern, aber andererseits bis zum Schluss in Kauf nehmen, dass die Rettung scheitert, weil sie beim Anteil der Banken um jede einzelne Million feilschen und selbst bei der Rettung bis zum Schluss die Zockermentalität nicht ablegen. ({11}) Ich glaube insofern, Sie müssen gut aufpassen, dass Sie in der Frage, wie Sie in der Rettung verfahren, keine Widersprüche zu dem herstellen, was Sie hier zu Recht formuliert haben. Sie werden auch aufpassen müssen, dass Sie mit dem, was Sie vorhaben, nicht langfristig angelegte notwendige Strukturmaßnahmen hintertreiben. Wir alle wissen, dass Krisenmanagement notwendig ist. Aber wenn die Krise vorbei ist, müssen auch die notwendigen Strukturänderungen erfolgen. Wir werden Sie sehr genau daran messen, was gilt, Frau Merkel: der Bundestag in Berlin oder der Parteitag in Leipzig. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Steffen Kampeter. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Debatte macht deutlich, dass neben der Finanzkrise die Einordnung der Veränderungen und Herausforderungen in die gesellschaftspolitische Debatte sehr wichtig ist. Wir haben als Christliche Demokraten und Christlich-Soziale Union immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass wir dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet waren. Die ersten Grundlagenentscheidungen sind von Adenauer und Erhard in den 50er-Jahren getroffen worden. Die zentrale Bewährungsprobe nach der Grundsatzentscheidung war die deutsche Wiedervereinigung, als wir zwei unterschiedliche Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme auf der Basis der sozialen Marktwirtschaft vereinigt haben. Jetzt wird sich die soziale Marktwirtschaft angesichts der wohl schwerwiegendsten finanzwirtschaftlichen Verwerfungen im 21. Jahrhundert mit einer ähnlichen Qualität, wie ich glaube, erneut bewähren müssen. Es ist jetzt unsere staatspolitische Aufgabe, diese Herausforderungen anzunehmen und unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem gegenüber diesen schlimmen Herausforderungen zu verteidigen, fortzuentwickeln und die richtigen Antworten auf die Fragen der Menschen zu formulieren. ({0}) Ich möchte an dieser Stelle als Leitbild ein Motiv von Wilhelm Röpke, einem großen Theoretiker der sozialen Marktwirtschaft, aufgreifen, das er zum Titel eines Buches gemacht hat: Maß und Mitte. Wir stehen als Christliche Demokraten und als Christlich-Soziale Union auch im 21. Jahrhundert für Maß und Mitte ein. Vieles, was wir heute kritisch beurteilen, hat nichts, aber auch gar nichts mit unserem Leitbild von Maß und Mitte zu tun. Deshalb müssen wir es auch nicht verteidigen. Renditeziele in Höhe von 25 Prozent, Gier, hemmungsloses Abzocken und verantwortungsloses Handeln in der Finanzwirtschaft, all dies sind Exzesse, die mit unserem Verständnis von einer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nichts zu tun haben. ({1}) Ich will an dieser Stelle deutlich machen: Wir verteidigen nichts, was unanständig ist. Nicht alles können wir mit unmittelbarem staatlichen Handeln verändern. Es hat aber nichts mit Maß und Mitte zu tun, wenn heutzutage Erträge in den angelsächsischen Ländern ohne Risiko und Verantwortung erwirtschaftet werden. Es hat nichts mit Maß und Mitte zu tun, wenn sich die Entlohnung nicht nach dem langfristigen, sondern nach dem kurzfristigen Erfolg bemisst. Und es hat auch nichts mit Maß und Mitte zu tun, wenn viele in den Unternehmen bei Schwierigkeiten in finanziell gut ausgestattete Pensionsfonds flüchten und nicht bereit sind, Verantwortung für das zu übernehmen, was sie angerichtet sowie den Menschen in unserem Land und darüber hinaus zugemutet haben. ({2}) Ich will deutlich machen, dass Maß und Mitte für unsere staatliche Reaktion ein wichtiger Maßstab sind. Deswegen ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es diese Bundesregierung war, die bereits in Heiligendamm auf die Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft für die internationale Ebene hingewiesen und bestimmte Herausforderungen gegenüber anderen Ländern, die anderer Auffassung waren, deutlich gemacht hat. Es ist ein Ausweis der Politik von Maß und Mitte, dass wir beispielsweise bei der Sanierung von Unternehmen Einfluss nehmen wollen. Warum ist denn heute der Vorstandsvorsitzende von Hypo Real Estate zurückgetreten? Das geschah, weil diese Bundesregierung gesagt hat: Mit dem Personal und dem Aufsichtsrat sind wir nicht bereit, eine Sanierung durchzuführen. Das zeigt: Dort, wo wir eingreifen, nehmen wir gestaltend Einfluss. Wer wie Sie, Herr Kuhn, etwas anderes behauptet, sagt bewusst die Unwahrheit und will in die Irre führen. Das ist nicht unser Verständnis von Sanierung. Wir wollen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes Einfluss nehmen. ({3}) Es hat auch etwas mit Maß und Mitte zu tun, dass wir die größte Bürgschaft nicht für die Investoren oder die Großanleger übernehmen. Vielmehr haben die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister den Kleinanlegern, den Sparerinnen und Sparern, in diesem Land gesagt: Unsere Sorge gilt nicht zuvorderst dem großen Kapital, sondern dem Sparbuch. Auch das ist ein Ausweis der Politik von Maß und Mitte und macht unsere gesellschaftspolitische Grundkonzeption ganz besonders deutlich. ({4}) Ich will an dieser Stelle meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass der Kollege Lafontaine außer selbstgerechter Inszenierung nur den Vorschlag, die Hartz-IV-Sätze anzupassen, zur Bewältigung der Finanzkrise gemacht hat. ({5}) Wenn der Weltökonom Lafontaine demnächst auf einem G-7-Gipfel oder in Washington verkündet: „Wir lösen die Finanzkrise, indem wir die Hartz-IV-Sätze anheben“, ({6}) dann mag das für die Betroffenen eine gute Botschaft sein. Das ist aber keine ursachenadäquate Lösung, sondern Populismus, eine selbstgerechte Augenwischerei, eine Inszenierung eines mit dieser staatspolitischen Aufgabe hoffnungslos Überforderten. ({7}) Wir müssen aber auch feststellen, dass wir noch nicht auf alle Herausforderungen Antworten gefunden haben. Die Liquiditäts- und Vertrauenskrise hält an. Wir erfahren, dass weitere Banken durch die Vertrauenskrise in eine schwierige Situation getrieben werden. Deswegen ist die Frage berechtigt, ob wir mit dem Einzelfallmanagement weitermachen können. Ich verstehe die Äußerungen des Bundesfinanzministers dahin gehend, dass wir uns künftig in Bezug auf strategische Fragen besser wappnen müssen. Deswegen ist eine Übereinkunft mit den Akteuren des Finanzmarktes wichtig. Wir müssen systemische Krisen mit einem umfassenderen System beantworten. Wir sind am Anfang einer Debatte, und wir müssen eingestehen, dass wir nicht auf jede Herausforderung in dieser Krise eine Antwort haben. Aber es ist der entschlossene politische Wille in Deutschland und in allen europäischen Staaten, die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes im Interesse aller Menschen, die hier wohnen und arbeiten, aufrechtzuerhalten. Wir brauchen funktionsfähige Finanzmärkte, und wir als Staat sind bereit, diese Funktionsfähigkeit tatsächlich zu garantieren. ({8}) Wir als Christlich Demokratische Union und wir als Christlich-Soziale Union sind der Auffassung, dass jetzt die Stunde der Politik ist. Wir wollen diese Krise bewältigen. Wir sagen den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land, dass vor allen Dingen sie es sind, die im Mit19342 telpunkt unseres Handelns stehen. Wir glauben, dass, wie Norbert Röttgen es ausgedrückt hat, das öffentliche Gut „funktionsfähiger Finanzmarkt“ in unser aller Interesse ist. Ein funktionsfähiger Finanzmarkt garantiert, dass wir Lohn- und Gehaltszahlungen abwickeln können, dass der Sozialstaat funktioniert und dass der kleine Mittelständler seine Maschine finanzieren kann. Wir alle sind auf die Finanzmärkte und auf ein funktionsfähiges Bankensystem angewiesen. Es geht hier nicht um den Schutz einiger weniger Reicher und die Sicherung ihrer Existenz, sondern es geht um die Zukunft unseres Landes, es geht um Maß und Mitte in unserer Volkswirtschaft und in unserem Gesellschaftssystem. ({9}) Es geht um die Frage, ob die Menschen uns zutrauen, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern. Die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin hat deutlich gemacht, dass wir als Koalition diese staatspolitische Herausforderung im Interesse der Menschen annehmen und an der Bewältigung der Probleme weiter arbeiten werden. Herzlichen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Ortwin Runde für die SPD-Fraktion. ({0})

Ortwin Runde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003619, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss sagen: Die Entwicklung und die Dramatik dieser Krise sind etwas, was ich so nicht vorhergesehen habe. Diese Exzesse an den Finanzmärkten, das Einstürzen der Kreditpyramiden und die wellenförmige Ausweitung der Krise habe ich in dieser Form und Dramatik nicht vorhergesehen. Es mag andere geben, die das alles schon vorher gewusst haben. Ich freue mich, dass die Kollegen von der CDU/CSU sagen, es sei jetzt die Aufgabe der Politik, die Krise zu bewältigen und das Vertrauen wiederherzustellen. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Einwand zu Herrn Röttgen machen: Die Orientierung an der sozialen Marktwirtschaft und die Berufung auf die Ethik der sozialen Marktwirtschaft sind immer etwas, was aus einer Gesellschaft heraus kommt, aus dem Wertesystem unserer Gesellschaft. Aber angesichts des globalen Wirtschaftssystems und der globalen Finanzmärkte zu glauben, mit der Ethik unseres rheinischen Kapitalismus die Erlösung bringen zu können, ist ein bisschen wenig. ({0}) Da bin ich sehr viel näher bei Helmut Schmidt, der sagte: Seefahrt braucht Regeln, und zwar internationale Regeln. Luftfahrt braucht Regeln, und zwar internationale Regeln. Es gilt auch, dass die internationalen Finanzmärkte international durchsetzungsfähige Regeln brauchen. ({1}) Da gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen uns, Herr Westerwelle: Das können keine Regeln sein, die die Märkte selbst entwickeln; denn wir haben erlebt, wohin das führt. ({2}) Es müssen Regeln sein, die für alle gelten und die ausnahmslos gelten. Das heißt, es darf keine nicht regulierten Bereiche in den Finanzmärkten geben; sonst bekommen wir die Probleme nicht in den Griff. Ich finde aber den Ansatz von Herrn Röttgen und Herrn Kampeter bezogen auf unsere gesellschaftliche Situation und als Leitlinie für eigenes Verhalten zielführend. Dabei geht es darum, eine funktionsfähige Finanzstruktur als öffentliches Gut zu sehen und entsprechend zu behandeln. Wenn das die Leitlinie ist, werden wir bei den Schritten, die wir gehen müssen, gut vorankommen. Ich bin voller freudiger Erwartung, was die Zusammenarbeit angeht. ({3}) Das gilt auch für die Anreizsysteme, nicht nur auf der Vorstandsebene, sondern auch auf der Mitarbeiterebene. Diese sollen, wie ich höre, in Richtung Nachhaltigkeit und Vermeidung von Exzessen verändert werden. Da werden wir, unter Rückgriff auf Vorarbeiten, Regulierung und Ergebnisse erreichen können. Ebenfalls begrüße ich unsere Übereinstimmung in dem Punkt, dass es bei den Ratingagenturen keine Interessengegensätze zwischen Bewertung und Beratung geben darf. Darauf müssen wir hinwirken, und das werden wir auch tun. ({4}) Auch in Bezug auf die Eigenkapitalunterlegung und andere Punkte gibt es weitgehend Übereinstimmung. Daran kann man konkret arbeiten. Das unterscheidet sich wesentlich von dem, was in den vergangenen Jahren die Diskussion bestimmt hat, nämlich ein „level playing field“ gegenüber den angloamerikanischen Akteuren herzustellen, was schlicht Deregulierung bedeutete. Ebenso bin ich froh, dass wir gemeinsam der Auffassung sind, dass wir uns mit den Differenzen zwischen in der Realwirtschaft erreichbaren Renditen von 8 bis 12 Prozent und, wie Herr Kampeter eben noch sagte, der Finanzwirtschaft mit Renditeerwartungen zwischen 25 und 35 Prozent beschäftigen müssen. ({5}) Denn da besteht eine Diskrepanz und Nichtbalance. Das muss in die Balance gebracht werden. ({6}) Es gibt entsprechende Möglichkeiten, da heranzugehen. Auch da bin ich sehr gespannt auf die gemeinsame Arbeit. Schon auf der Ebene der Feuerwehrfunktion wird deutlich, dass wir die Probleme ohne europäische Dimension nicht lösen können. Wenn ich mir die Insellösungen anschaue - in Island, als unverdächtige Insel, das durch Garantien, die es gewährt hat, inzwischen im Staatsbankrott zu landen droht, aber auch in Irland -, habe ich Sorge. DEPFA, Ormond Quay - woher kam denn der ganze „Segen“? Wie ist es gekommen, dass deutsche Banken dort ihre Tochtergesellschaften angesiedelt haben? Wegen des Vorteils von nur 12,5 Prozent Steuern! ({7}) Anschließend haben wir das Ganze auszubaden. Ich bin der Meinung, wir müssen auf der europäischen Ebene zu Vereinbarungen und Abstimmungen kommen, auch schon bei den Feuerwehraktivitäten. ({8}) Das gilt auch für die Garantien. Denn wenn diese Garantien sehr unterschiedlich sind, haben wir dort eine Arbitrage, wie die Banker das immer so schön nennen. Das bezieht sich auf die Frage: Was machen wir mit den Banken, die in der Krise sind? Wie werden sie saniert? Wie werden sie herangezogen? Welche Kontrolle übt der Staat aus, was setzt er an Steuerung ein, was macht er zur Sicherung der Gelder von Steuerzahlern im Sanierungserfolgsfall? Dies wird meines Erachtens europaweit geregelt werden müssen. Ebenso werden wir auf europäischer Ebene an die Frage herangehen müssen, wie wir der Befeuerung einer Krise durch Leerverkäufe begegnen können; auch das gehört zum Feuerwehrbereich. Diesen Leerverkäufen muss ein Ende gesetzt werden. Auch halte ich sehr viel von dem, was Reinhard Schultz gefordert hat, nämlich ein Verbot solcher systemdestabilisierender Instrumente. ({9}) Wir werden - das wird sehr schnell wirksam werden müssen - an die Bilanzierungsvorschriften herangehen müssen. Wir müssen das, was die SEC an der Wall Street gemacht hat, ganz schnell in Europa umsetzen. ({10}) Wir werden dies nicht allein in Deutschland machen können, weil alle deutschen Gesellschaften europäisch aufgestellt sind. Hier halte ich sehr viel von Bilanzierungsvorschriften, die dicht am HGB orientiert sind. Wenn wir im Geiste dieser Diskussion ans Handeln gehen und dies in den Alltag übersetzen, dann sind wir in der Tat in der Lage, eine etwas bessere Ordnung der Finanzmärkte zu erreichen. Das wäre schon ein wichtiges Ergebnis. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Bartholomäus Kalb für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bartholomäus Kalb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als letzter Redner in dieser Debatte will ich zuerst der Frau Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister und auch dem Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Professor Weber, ganz herzlich für die enorme Arbeit danken, die in den letzten Tagen und Wochen zu leisten war. ({0}) - Und natürlich auch den Mitarbeitern der verschiedenen Häuser, die mitgeholfen haben, die Krise, soweit es in ihrer und in unserer Hand lag, zu bewältigen. Die internationale Finanzkrise hat, wie heute schon zum Ausdruck gebracht worden ist, nicht nur bei den Marktteilnehmern zu einer Vertrauenskrise geführt. Zum Teil ist die Vertrauenskrise ihrerseits Ursache für Weiterungen des Problems. Gerade in den letzten Tagen haben uns viele Bürgerinnen und Bürger besorgt gefragt, wie sicher ihre Einlagen und Gelder sind. Deswegen ist die Zusage der Frau Bundeskanzlerin und des Bundesfinanzministers von vorgestern und heute in der Regierungserklärung sehr wichtig. Die Menschen müssen wissen: Sie brauchen keine Sorge zu haben. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass nicht weitere Auswirkungen und Unsicherheiten in den Markt kommen. Wir müssen dafür sorgen, dass wieder Ruhe in die Märkte einkehrt. Wir müssen dafür sorgen, dass die Nervosität beseitigt wird und Vertrauen zurückkommt. ({1}) Jeder von uns ärgert sich natürlich über die grandiosen Fehlleistungen im Management vieler Finanzinstitute. Kritik und Ärger sind verständlich und berechtigt. Die Schuldigen müssen - auch das ist heute schon gesagt worden - stärker als bisher zur Verantwortung gezogen werden. Trotzdem müssen wir jetzt mit Besonnenheit an der Problemlösung arbeiten. Es geht um die Stabilität des Finanzsystems. Es geht um die Begrenzung negativer Auswirkungen auf die Realwirtschaft, auf unsere Unternehmen, auf den Mittelstand und auf die Arbeitsplätze. Letztlich geht es auch darum, dass die Menschen in finanzieller Sicherheit leben können, dass sie mit finanzieller Sicherheit rechnen können und dass die kleinen Leute keine Sorge haben müssen. ({2}) Wir handeln nicht im Interesse der Bankmanager, sondern im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Die Maßnahmen, die im Falle der Hypo Real Estate konkret ergriffen werden mussten, sind notwendig und richtig, um weitere negative Folgen zu vermeiden. Dazu gibt es keine Alternative. Viele Institutionen und Bürger wären unmittelbar betroffen, auch wenn es manche noch gar nicht wissen. Über den Tag hinaus müssen wir uns aber den anderen Aufgaben zuwenden; das ist in der Debatte heute schon angesprochen worden. Es geht um die Verbesserung der Finanzaufsicht und vor allen Dingen um die Koordinierung der Finanzaufsicht auf internationaler und globaler Ebene. Alleingänge helfen nicht weiter. Die Bundesregierung hat, wie schon erwähnt, bereits während der G-7-/G-8-Präsidentschaft und der EU-Ratspräsidentschaft einige wichtige Themen, was die Regeln des Finanzmarktes betrifft, auf die Tagesordnung gesetzt, was seinerzeit noch brüsk insbesondere von den USA, aber auch von anderen zurückgewiesen wurde. Heute wären manche froh, wenn man früher auf den Kurs der Bundesregierung eingeschwenkt wäre. Vorhin wurde schon von einem Kollegen ein Beispiel dafür genannt, wie arrogant man behandelt worden ist. Als ich in einem kleinen Kreis von Fachleuten im Frühsommer das Thema Leerverkäufe angesprochen habe und gefragt habe, ob es sinnvoll sein könne, dass mit spekulativer Absicht ganze Unternehmen in die Knie gezwungen werden, hat man nur schnodderig geantwortet: So sind nun einmal Börsen. - Diese Antwort hilft uns aber nicht weiter. Auch hier ist unser entschiedenes Handeln dringend notwendig. ({3}) Man kann nur staunen, welche Finanzprodukte mit welchen Kunstnamen von wem auf den Markt gebracht worden sind. Nicht einmal die Fachleute konnten diese Dinge durchschauen, schon gar nicht anderen erklären. Vieles lief außerhalb der Bilanzen. Merkwürdig ist, dass die USA ursprünglich mit Nachdruck gefordert haben, bei Basel II schnell zu einer Einigung zu kommen, sich aber, als es beschlossen war, gewehrt haben, Basel II im eigenen Bereich umzusetzen. Basel II lässt keine Aktivitäten, keine Zweckgesellschaften außerhalb der Bilanzen zu. ({4}) Basel II enthält ferner strenge Regeln zur Eigenkapitalunterlegung. Ich füge hinzu: Vielleicht ist es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, aber zu gegebener Zeit müssen wir über eine weitere Verschärfung und Verbesserung der Eigenkapitalregeln befinden. Das betrifft insbesondere den Bereich des Interbankenverkehrs; das möchte ich anmahnen. Hier ist erheblicher Handlungsbedarf gegeben. Vorhin ist hier schon die Rolle der Ratingagenturen angesprochen worden. Es kann nicht sein, dass, wie vermutet wird, ein und dieselben Leute zugleich in den Aufsichtsräten von Bankunternehmen und von Ratingagenturen sitzen. Es kann beispielsweise nicht sein, dass sich Ratingagenturen an der Strukturierung der Produkte, die auf den Markt geworfen werden, beteiligen und diesen Produkten hinterher - das haben wir erlebt - wie ein Fleischbeschauer den Stempel „Triple A“ aufdrücken. Hinzu kam der blinde Glaube an das Urteil der Ratingagenturen, der sich als grob fahrlässig herausstellt. ({5}) Auch diese Dinge gehören international auf den Prüfstand. Der Bundesfinanzminister ist in einer vorhergehenden Debatte auf die Frage eingegangen, wie weit wir im Internationalen Währungsfonds und in anderen Institutionen hier vorankommen können. Unsere Bankmanager müssen wieder lernen, nach den Grundsätzen ordentlicher, umsichtiger Kaufleute zu arbeiten und zu handeln. ({6}) - Kollege Kampeter hat schon vorhin gesagt: „Maß und Mitte“. Das heißt: Kurzfristiges Renditedenken, kurzfristige Renditeerwartungen und hohe Boni dürfen nicht das Handeln bestimmen; vielmehr müssen wieder Tugenden wie Seriosität, Solidität, langfristige Wertorientierung und Nachhaltigkeit das Handeln bestimmen. ({7}) Zusammenfassend möchte ich sagen: In allererster Linie brauchen wir wieder Vertrauen. Heute und in diesen Tagen ist von der Bundesregierung Wichtiges dazu beigetragen worden. Dazu gehört: Die Aufsicht muss verbessert sowie international und global koordiniert werden. Stellung, Urteil und Geschäftsgebaren der Ratingagenturen müssen einem kritischen Urteil unterzogen werden. Die Bilanzierungsvorschriften müssen, wie vorhin vorgetragen, modifiziert werden. Es darf keine Aktivitäten außerhalb von Bilanzen geben. Die Eigenkapitalregeln müssen verbessert werden. Wir müssen auch die Fragen klären: Wer darf welche Finanzprodukte emittieren? Wer darf sie unter welchen Voraussetzungen kaufen? Die Anreizsysteme bei den Banken dürfen nicht zu einer Kurzfristorientierung führen, sondern müssen wieder auf Nachhaltigkeit und langfristige Werterhaltung ausgerichtet werden. ({8}) Die Haftungsregeln, die für die Verantwortlichen gelten, müssen verschärft werden. Das deutsche Universalbankensystem und das Dreisäulensystem haben sich bewährt; sie müssen erhalten und gestärkt werden und dürfen nicht wieder von manchen in Zweifel gezogen werden. ({9}) Ich sage noch einmal: Bankmanager müssen wieder lernen, zu handeln wie ein umsichtiger Kaufmann. Danke. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Oktober 2008, 13 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und schließe die Sitzung.