Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung: Der Kollege
Dr. Hans-Heinrich Jordan feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich
dazu sehr herzlich und wünsche alles Gute.
({0})
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von
Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ({1})
- Drucksache 16/9299 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter
drei Jahren in Tageseinrichtungen und in
der Kindertagespflege ({2})
- Drucksache 16/10173 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
({3})
- Drucksache 16/10357 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Marlene Rupprecht ({4})
Diana Golze
- Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10358 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Ole Schröder
Petra Hinz ({6})
Otto Fricke
Roland Claus
Omid Nouripour
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Britta
Haßelmann, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bildungspolitische Katastrophe verhindern Betreuungsgeld eine Absage erteilen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Faire Chancen für private und privat-gewerbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung ohne weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes vorlegen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,
Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen Kommerzialisierung der Kinder- und Jugendhilfe vermeiden
- Drucksachen 16/7114, 16/8406, 16/9305,
16/10357 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Marlene Rupprecht ({8})
Diana Golze
Redetext
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Christine Scheel, Volker Beck ({10}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbe-
treuung jetzt regeln - Verlässlichkeit für Fa-
milien schaffen
- Drucksachen 16/5114, 16/5426, 16/6534 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Ina Lenke
Jörn Wunderlich
Britta Haßelmann
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend ({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke,
Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Chancengerechtigkeit von Beginn an
- zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze,
Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln,
Fachkräften und Qualität ausstatten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung
2010 einführen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen - Realisierung nicht erst 2013
- Drucksachen 16/6597, 16/6601, 16/6607,
16/6817 Berichterstattung:
Abgeordnete Ingrid Fischbach
Ina Lenke
Britta Haßelmann
Zu dem Entwurf eines Kinderförderungsgesetzes der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesministerin Ursula von der Leyen das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Das Kinderförderungsgesetz wird unser Land
spürbar verändern. Es setzt Meilensteine für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für mehr Bildung für
unsere Kinder und für mehr Zukunft in unserem Land.
2013 wird es bundesweit im Durchschnitt für jedes dritte
Kind unter drei Jahren einen Platz geben, sei es in einer
Kita, sei es in einer Tagespflege.
({0})
2013 wird jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer
Kita oder in der Tagespflege haben. Das schien vor zwei
Jahren fast noch undenkbar zu sein. Schon heute ist es
Wirklichkeit. Das ist ein Riesenerfolg. Wir können stolz
darauf sein.
({1})
Es ist ein Riesenerfolg einer gemeinsamen Kraftanstrengung, die wir nur Hand in Hand mit Bund, Ländern
und Gemeinden unternehmen konnten. Wir haben in rekordverdächtigem Tempo den Grundstein für ein starkes
Fundament gelegt. Doch eines ist uns allen auch klar:
Jetzt geht die Arbeit erst richtig los. Bis 2013 haben wir
noch einen anspruchsvollen Fahrplan vor uns. In manchen Kommunen starten wir mit Betreuungsplätzen für
gerade einmal 5 Prozent aller Kinder. In den neuen Bundesländern finden die Eltern ganz gut einen Platz für ihre
Kinder. Doch der westdeutsche Durchschnitt lag für das
Jahr 2007 gerade einmal bei 9,9 Prozent. Das heißt, nur
jedes zehnte Kind findet einen Platz. Wir sind also von
einem bedarfsgerechten Angebot noch weit entfernt. Eltern stehen vor frustrierend langen Wartelisten. Hier liegt
noch ein steiler Weg vor den Kommunen. Aber der Bund
hat die Kommunen auf diesem Weg nicht allein gelassen. Wir unterstützen diesen Weg mit 4 Milliarden Euro;
denn wir wollen mehr frühe Bildung und echte Wahlfreiheit für Eltern herstellen.
({2})
Echte Wahlfreiheit heißt dabei für mich auch: Wir
werden den Eltern nicht vorschreiben, wo und wie sie
ihre Kinder betreuen und fördern. Sie sollen selbst organisieren, wie sie ihren Alltag mit Kindern leben, ob zu
Hause, in einer altersgemischten Gruppe, einer Krippe
oder der Kindertagespflege, ob wohnortnah oder betriebsnah. Wie immer sie ihren Alltag organisieren wollen, das liegt alleine im Ermessen der Eltern. Deshalb
muss das Angebot stimmen. Ein gutes Drittel der Betreuungsplätze wird daher in der Tagespflege entstehen.
Das entspricht den Wünschen vieler Eltern nach einer
flexiblen und familiennahen Betreuung. Die anderen
zwei Drittel der Plätze schaffen wir in Kindertageseinrichtungen, ob bei frei-gemeinnützigen oder bei privatgewerblichen Trägern. Die Entscheidung über die Förderung liegt jetzt bei den Ländern.
Dazu ein offenes Wort: Sie wissen, dass ich mir wirklich mehr Mut beim Koalitionspartner gewünscht hätte.
({3})
Mir ist auch klar, dass nicht alle in der SPD solche Hemmungen vor privat-gewerblichen Anbietern haben;
denn wir waren uns zum Beispiel mit dem Bundesfinanzminister einig, dass wir den Wettbewerb um Qualität nicht fürchten, sondern fördern wollen.
({4})
Nun ist das im parlamentarischen Verfahren zurückgenommen worden. Ich akzeptiere das, weil das Ihr gutes
Recht ist. Doch ich bin sicher, dass die Macht des Faktischen zeigen wird, welcher Weg weiterführt. Der Trend
ist jetzt schon eindeutig: Nur noch vier Länder in
Deutschland schließen die privat-gewerblichen Anbieter
von der Förderung grundsätzlich aus. Noch etwas ist
klar, und das ist entscheidend: Alle Länder, auch diese
vier Nachzügler, werden bis 2013 den Ausbau schaffen
müssen. Das ist das Gute an diesem Gesetz. Niemand
kann sich mehr drücken, niemand kann die Eltern mehr
vertrösten, der Rechtsanspruch für die Kinder kommt,
und das Land oder die Kommunen, die dann nicht vorbereitet sind, straft bekanntlich das Leben - und das ist
auch gut so.
({5})
Der Ausbau läuft bereits seit Oktober vergangenen
Jahres. Die Länder werden inzwischen mit Anträgen
aus den Kommunen überschwemmt. Wir sehen auch:
Die Länder haben mit ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit ihre Förderrichtlinien umgesetzt. Zwei Länder
sind immer noch nicht so weit, aber die Länder, die wissen, was Zukunft heißt, haben schnell reagiert. Schauen
wir uns einmal den Abfluss der Mittel an, also der Bundesmittel, die direkt in die Kommunen gehen. Da sind
Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg ganz vorn.
Bayern und Schleswig-Holstein haben schon in das
Jahr 2009 hinein Gelder gebucht. Diese Fakten strafen
all diejenigen Lügen, die behaupten, es gebe Stillstand in
unserem Land.
({6})
Das Gegenteil ist der Fall. Diese Regierung hatte die
Idee und schließlich auch den Mut, gemeinsam mit den
Ländern und Kommunen zu handeln.
({7})
Wir haben es gemeinsam geschafft, die Bremsen zu lösen, die so lange festgezogenen schienen.
({8})
Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Wir werden unnachgiebig dafür sorgen, dass jeder Euro, den wir als
Bund für die Betriebskosten geben, in Qualität fließt.
Frau Künast, ich weiß, dass das Sie von den Grünen
frustriert. Sie haben sieben Jahre lang dazu Zeit gehabt.
Es bedurfte einer Großen Koalition und dieser Ministerin, das umzusetzen und zu handeln.
({9})
Wir sind jetzt dabei, uns auf gemeinsame Eckpunkte
für eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherinnen, Erzieher und Tagespflegepersonen zu einigen. Auch das
werden wir beim Bildungsgipfel diskutieren. Besonders
wichtig ist mir dabei die Qualifizierung von Tagesmüttern. Bisher gibt es keine einheitlichen Richtlinien für
Tagesmütter, sondern jedes Land geht unterschiedlich
mit ihnen um. Da ist zum Teil noch Kraut und Rüben. Im
besten Fall reicht die Vergütung der Tagesmütter gerade
einmal dafür, einigermaßen über die Runden zu kommen. Gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Verbänden
und der Bundesagentur für Arbeit wollen wir den Beruf
der Tagesmutter attraktiver machen. Das heißt, wir brauchen eine gemeinsame Grundqualifikation. Dazu gehört
auch eine leistungsgerechte Bezahlung,
({10})
die wir im Gesetz festgeschrieben haben; denn die Tagespflege muss heraus aus dem Schwarzmarkt.
({11})
Das Kinderförderungsgesetz ist ein Meilenstein, auf
den wir stolz sein können. Viele von Ihnen erinnern sich
noch an die Debatten in den 90er-Jahren um den Rechtsanspruch für Kinder zwischen drei und sechs Jahren auf
einen Kindergartenplatz. Heute setzen wir mit dem Kinderförderungsgesetz und dem verankerten Rechtsanspruch für Kinder ab einem Jahr endlich erfolgreich den
Schlussstrich unter diese unseligen Debatten. Ich danke
allen für ihre Unterstützung; denn ein solch großartiges
Zukunftsprojekt wäre nicht gelungen ohne eine Kanzlerin, die standfest ist, ohne einen Finanzminister, der die
Bedeutung des Themas erkennt,
({12})
und ohne ein Parlament, das die Mittel dafür gibt.
Danke schön.
({13})
Das Wort hat nun Miriam Gruß für die FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau vier Monaten haben wir hier schon einmal über das Kinderförderungsgesetz diskutiert. Staatssekretär Kues sprach von
einem historischen Schritt für eine bessere Vereinbarkeit
von Familie und Beruf. In die Geschichte wird dieses
Gesetz aber nicht wegen der besseren Vereinbarkeit von
Familie und Beruf eingehen, sondern eher als Exempel
für die zahlreichen Rückzieher der Familienministerin.
Aber lassen Sie mich von vorne beginnen. Am Anfang waren Zigtausende Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder bekamen. 2002 - daran müssen wir
uns erinnern - krebste die Versorgungsquote für unter
Dreijährige in den alten Bundesländern im Schnitt bei
3,7 Prozent herum. Mein Heimatland Bayern tat sich,
wie gewohnt,
({0})
durch den zweitschlechtesten Wert, nämlich 3,1 Prozent,
hervor.
({1})
2005 schließlich trat Ursula von der Leyen an, um alles
besser zu machen: mehr Betreuungsplätze, hohe Qualitätsstandards und dadurch echte Wahlfreiheit für Väter
und Mütter. - So weit die Ausgangslage.
Heute, drei Jahre später, liegt uns das Ergebnis vor.
Die anfangs formulierten Zielvorstellungen lassen sich
nur noch vage erkennen. Gute Ideen wurden entweder
gestrichen oder gar nicht erst aufgenommen. Der Rest ist
so butterweich formuliert, dass sich verbindliche Aussagen nicht ableiten lassen.
Konkret heißt das - ich will das an fünf Punkten festmachen -:
Erstens. Statt einen zügigen Ausbau der Kinderbetreuungsangebote zu forcieren, soll erst 2013 für jedes
dritte Kleinkind ein Platz zur Verfügung stehen. Aber Eltern, die jetzt eine Betreuung für ihre Kinder brauchen,
werden nach wie vor im Regen stehen gelassen,
({2})
inklusive der Eltern, die beispielsweise nach 12- oder
14-monatigem Elterngeldbezug zusehen können, wie sie
Familie und Beruf nun unter einen Hut bekommen; denn
auch heute liegt die Betreuungsquote erst bei 15,5 Prozent. Bayern, das laut CSU ach so familienfreundliche
Land, liegt mit 10,8 Prozent übrigens noch weit darunter.
Die Ministerin hat gerade davon gesprochen, dass die
Gelder vor allen Dingen von Bayern abgerufen werden.
Das wundert mich nicht; denn da hat man ja auch einiges
aufzuholen.
({3})
Zweitens. In Sachen Betreuungsgeld machte die Ministerin einen auf Andrea Ypsilanti: erst große Versprechen machen, dann einknicken. Ich zitiere Ursula von
der Leyen im Spiegel:
Mit dem Betreuungsgeld verstärken wir den Teufelskreis,
({4})
in dem Kinder, die von zu Hause keine Chance auf
frühe Bildung, gute Sprache, wenig Fernsehen, viel
Bewegung haben, vom Kindergarten ausgeschlossen werden, weil ihre Eltern mit 150 Euro lieber
ihre Haushaltskasse aufbessern.
({5})
- Meine Herren von der CSU, hören Sie mir einfach einmal zu! Am Sonntag sprechen wir uns wieder.
({6})
Hier im Plenum geißelte die Ministerin das Betreuungsgeld als bildungspolitische Katastrophe. - Auch hier
bitte zuhören! - Und jetzt? Das Betreuungsgeld steht
groß und breit im Gesetz, und Herr Singhammer - wo
sitzt er? Er darf wieder in der ersten Reihe sitzen ({7})
wird nicht müde zu betonen, dass wir dadurch echte
Wahlfreiheit für Eltern schaffen.
Herr Singhammer, ich frage Sie: Haben Sie sich einmal die Entwicklung in Thüringen angesehen? Die Zahl
der Zweijährigen in Kitas - das ist die Altersgruppe, für
die seit Juli 2006 ein Betreuungsgeld gezahlt wird - ist
zurückgegangen, während in allen anderen Altersgruppen die Quoten gestiegen sind. Die Familieneinkommen
in Thüringen sind vergleichsweise niedrig, und nun tritt
genau das ein, was wir auch schon in Norwegen erleben
und was die Ministerin vor ihrer Kehrtwende befürchtet
hat: Gerade einkommensschwächere und bildungsferne
Familie tendieren zum Betreuungsgeld und entscheiden
sich gegen Kitas, obwohl gerade ihre Kinder besonders
profitieren würden.
({8})
Verstehen Sie das unter „Wahlfreiheit“, Herr
Singhammer? Haben Sie vielleicht auch einmal an die
Kinder gedacht,
({9})
anstatt nur an die potenziellen CSU-Wähler-Eltern, die
Sie mit diesem Geschenk vor der Wahl ködern wollen?
({10})
Von wegen: modernes Familienbild der CSU! Sie sehen
Frauen doch immer noch lieber am Laufstall als am Laptop. Abgesehen davon, dass Sie den Kindern mit Ihrer
veralteten Weltanschauung die frühkindliche Bildung
vorenthalten, werden die Mütter durch ein Betreuungsgeld eher davon abgehalten, wieder in den Beruf einzusteigen.
({11})
Drittens. Der aktuellste Rückzieher der Großen Koalition ereignete sich schließlich in dieser Woche. Frei nach
dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von
gestern?“ wurde die verbindliche finanzielle Gleichbehandlung der öffentlichen und privaten Träger - stets
vorausgesetzt natürlich, dass die Standards erfüllt sind gestrichen. Stattdessen beschränkt man sich im Gesetz
auf den Status quo und überlässt den Ermessensspielraum in der Frage, wer gefördert wird, auch weiterhin
den Ländern. Für diese Feststellung hätte ich kein KiföG
gebraucht, meine sehr geehrten Damen und Herren;
denn das ist bereits Usus.
Auch hierzu möchte ich ein Zitat vorbringen, und
zwar von Herrn Staatssekretär Dr. Kues:
Das Kinderförderungsgesetz stellt sicher, dass alle
Träger von Einrichtungen … bei der Finanzierung
gleich behandelt werden.
Und weiter:
Ich bin fest davon überzeugt, dass Wettbewerb die
Qualität der Betreuung weiter steigen lässt.
Herr Kues, Frau Ministerin, wie wollen Sie diesen
Wettbewerb nun in Gang setzen, wenn alles beim Alten
bleibt?
({12})
Aber einmal ganz abgesehen davon: Wie wollen Sie
ohne die privaten Anbieter Ihr Ziel überhaupt erreichen, bis 2013 für 35 Prozent der Kinder einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen? Wie wollen Sie dem
Rechtsanspruch gerecht werden? Denn auch hier gab die
Ministerin noch bis vor kurzem zu Protokoll:
Ohne die Privaten ist unser Ziel nicht zu schaffen.
Nun gibt sich von der Leyen plötzlich mit dem von ihr
festgestellten Trend zufrieden, dass zunehmend auch privat-gewerbliche Einrichtungen von den Ländern gefördert werden. Ein Trend, Frau Ministerin, stellt noch
lange keine Sicherheit für die privaten Anbieter dar, und
wie stark die öffentlichen Träger in der Lage sind, Druck
auszuüben, haben wir doch gerade erst erlebt.
Sie haben mit Ihrem Rückzieher nicht nur die dringend notwendige verbindliche Gleichbehandlung aller
Träger von Kindertagesstätten gestoppt, Sie machen damit auch den angestrebten Ausbau der Betreuung eigentlich zu einem Ding der Unmöglichkeit.
({13})
Doch damit sind die Versäumnisse beim KiföG noch
nicht zu Ende. Sie wissen, meine sehr verehrten Damen
und Herren, dass wir, die FDP, immer ein Verfechter der
Gleichstellung von öffentlichen und privaten bzw. privat-gewerblichen Trägern waren und sind. Da sich in
diesem Haus die Meinung gern ändert, betone ich diesen
Umstand erneut. Wir haben darüber hinaus immer gefordert, dass die Gemeinnützigkeit und die Anerkennung
als Träger der freien Jugendhilfe gestrichen werden
muss. Voraussetzung dafür ist jedoch zwingend, dass
verbindliche Qualitätsstandards für alle Träger eingeführt werden.
Genau hier liegt das nächste Versäumnis: Wir führen
seit der Debatte um den Ausbau der Betreuungsplätze
auch eine Debatte über die Qualitätsstandards in Betreuungseinrichtungen, die bisher aber an keiner Stelle
aufgegriffen wurde. An keinem Punkt wagt es das Gesetz, in Absprache mit den Ländern verbindliche Mindeststandards für Kitas zu setzen. Wir haben nach wie
vor keine verbindliche Evaluation oder so etwas wie einen Kindergarten- und Krippen-TÜV,
({14})
den beispielsweise Professor Rauschenbach in der Anhörung gefordert hat.
({15})
Die FDP hat aus diesem Grund einen Entschließungsantrag vorgelegt, zu dem ich um Ihre Zustimmung bitte.
Herr Dr. Kues verkündete übrigens in der letzten Debatte, das Ziel seien Betreuungsplätze auf höchstem qualitativem Niveau. Anspruch und Wirklichkeit, meine
sehr geehrten Damen und Herren, könnten nicht weiter
auseinanderliegen als bei dieser Debatte.
Abschließend noch ein Wort an die Damen und Herren der Linken: Ich bin mit Ihnen auf einer Linie, dass
Kinder keine Ware sind. Aber deswegen die privaten
Anbieter zu verteufeln, ist an Realitätsferne nicht zu
überbieten. Sie tun gerade so, als fristeten Kinder in privaten Kitas ihr Dasein bei Wasser und Brot und würden
davon für ihr Leben gezeichnet.
({16})
Ich sage Ihnen eines: Mein Eindruck ist - dieser wird
mir immer wieder von Fachleuten bestätigt -, dass gerade die privaten Anbieter innovativer und überaus engagiert sind.
({17})
Starten Sie doch einmal eine Umfrage unter Ihren
Mitarbeitern, wer sein Kind beispielsweise hier in der
Kita des Bundestages betreuen lässt. Ich bin mir sicher,
dass sich auch in ihren Reihen Mütter und Väter finden,
die der Verlockung des Teufels erlegen sind und - das ist
ja wohl der eigentliche Skandal - wahrscheinlich auch
noch zufrieden mit der Betreuung sind.
Luxus-Kitas, deren Entstehen Sie heraufbeschwören,
werden so oder so entstehen. Hier besteht keinerlei Zu19240
sammenhang mit öffentlichen Fördergeldern; denn wer
monatlich einen vierstelligen Betrag für die Betreuung
eines Kindes verlangt, ist auf finanzstarke Eltern, aber
sicherlich nicht auf Kommune oder Land angewiesen.
({18})
Das Wort hat nun Christel Humme, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Frau von der Leyen, ich gebe Ihnen recht: Das heutige
Datum, den 26. September 2008, muss man sich merken;
denn ab heute können sich die Gesellschaft und die Bildungslandschaft in Deutschland erheblich verändern.
({0})
Wir schaffen - darin gebe ich Ihnen auch recht - mit
unserem Rechtsanspruch für unter Dreijährige bessere
Bildungschancen für alle Kinder und bessere Chancen
für ihre Eltern, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Nach den heftigen Debatten der Vergangenheit
können wir alle sehr stolz darauf sein, dass wir dies erreicht haben.
Frau von der Leyen, Sie haben gesagt, wir hätten die
Bremsen gelockert. Ich hoffe, das stimmt. Ich komme
aus Nordrhein-Westfalen, einem Land, dass von CDU/
CSU und FDP regiert wird. Da erkenne ich noch nicht
ganz, dass die Bremsen gelockert sind.
({1})
- Nein, in Wirklichkeit nicht. Die Regierung in Nordrhein-Westfalen hat zwar festgeschrieben, dass es mehr
Betreuungsplätze für unter Dreijährige geben soll,
({2})
aber - jetzt hören Sie genau zu - sie hat die Betreuungszeit gedeckelt. Sie hat gesagt: Bedarfsgerecht für unter
Dreijährige sind 25 Stunden pro Woche. Das sagen Sie
doch einmal einer Alleinerziehenden, die voll erwerbstätig sein muss.
({3})
Sie sagen ihr doch damit: Gehen Sie 20 Stunden pro Woche arbeiten! Falls das Geld nicht reicht, können Sie zur
Jobagentur gehen. - Ich denke, das ist zynisch, meine
Damen und Herren.
({4})
- Doch, man muss bei der Wahrheit bleiben.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, der heutige Tag
ist eine Belohnung für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich zehn Jahre lang für die frühkindliche Förderung und für Angebote für unter Dreijährige stark gemacht haben.
({5})
- Doch, das ist so. - Ich bin froh, dass es uns in der Großen Koalition gegen alle Widerstände der konservativen
Länder und Parteien gelungen ist, dass es heute zur Verabschiedung dieses Kinderförderungsgesetzes kommt.
Wir wollten immer - das halte ich für ganz wichtig eine Förderung aller Kinder, und zwar ausnahmslos aller
Kinder, also auch der Kinder, deren Eltern nicht den
finanziellen Hintergrund haben, um sich Bildung kaufen
zu können, und auch der Kinder, die Probleme mit der
deutschen Sprache haben, etwa weil sie selbst oder ihre
Eltern aus einem anderen Land kommen, und natürlich
auch all der Kinder mit Behinderungen. Auch an dieser
Stelle sage ich noch einmal, was ich schon letzte Woche
betont habe: Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein.
({6})
Darum bin ich froh, Herr Singhammer, dass wir nicht
auf die CSU gehört haben
({7})
und im Gesetz kein Betreuungsgeld festgelegt haben.
Das Betreuungsgeld, Frau Gruß, steht nämlich nicht im
Gesetz.
({8})
- Es steht da: „zum Beispiel“. - Ich war sehr erstaunt,
als heute Morgen im Morgenmagazin als Nachricht verkündet wurde, dass es mit dem Kinderförderungsgesetz
einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für unter
Dreijährige, aber auch für diejenigen Kinder, die zu
Hause erzogen werden, ein Betreuungsgeld gibt. Ich
frage mich, wer diese Nachricht lanciert hat. Das ist meiner Ansicht nach vor der Wahl am Sonntag in Bayern
Wählerbetrug. Das können wir so nicht stehen lassen.
Das Betreuungsgeld kommt Gott sei Dank nicht.
({9})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Deutschland hat
europa-, vielleicht sogar weltweit eine Sonderstellung.
({10})
Bei uns ist Bildung ein öffentliches Gut. Bei uns organisieren neben den Kommunen gemeinnützige Träger wie
die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie, die Caritas die
frühe Förderung. Profit - das sage ich an dieser Stelle steht nicht im Vordergrund.
({11})
Das ist gut so; denn Gewinne - da stimme ich Ihnen zu,
Frau Künast - lassen sich nur über die Höhe des Elternbeitrages oder durch eine schlechte Bezahlung der Mitarbeiter realisieren.
({12})
- Das stimmt im Übrigen nicht. Die Elternbeiträge sind
nicht festgelegt. - Beides wäre schlecht: Hohe Elternbeiträge schließen die Kinder vom Bildungsangebot aus,
deren Eltern kein Geld haben, und schlecht bezahlte Arbeitskräfte können zulasten der Qualität gehen.
Frau Gruß, Sie kennen die Studie der BertelsmannStiftung, in der die Entwicklung in Ländern untersucht
wurde, in denen auf privat-gewerbliche, gewinnorientierte Einrichtungen umgestellt wurde. In diesen Ländern gibt es kein ausreichendes und kein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen mehr.
({13})
Von daher wäre es dramatisch, wenn man sich dieses
zum Ziel setzen würde. Wir wollen nicht, Frau Gruß,
dass Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Jedes
Kind ist uns gleich viel wert.
({14})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, unser Bildungssystem ist nach wie vor von einer hohen Selektion gekennzeichnet. Nirgendwo in Europa und in der Welt
wird so früh wie in Deutschland festgelegt, welchen Abschluss Schülerinnen und Schüler erreichen werden. Für
viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund wird die Hauptschule zur Sackgasse. 15 Prozent
der Kinder mit Migrationshintergrund erreichen sogar
überhaupt keinen Abschluss. Frühe Förderung in Einrichtungen, in denen Kinder ausländischer Eltern mit
Kindern deutscher Eltern aufwachsen, ist für mich der
beste Sprachkurs. Bildung ab eins stellt für mich und
meine Partei die beste Integrationspolitik dar.
({15})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, lassen Sie mich
zum Abschluss noch etwas ansprechen, was mich in den
letzten Tagen sehr berührt hat. Wir reden in dieser Debatte zwar über das Kinderförderungsgesetz, aber auch
darüber, wie dieses Land mit Kindern umgeht. Frühe
Förderung aller Kinder - das gilt für uns vor allen Dingen auch für Kinder mit Behinderungen. Wir stellen in
unserem Land fest, dass nur 10 Prozent der behinderten
Kinder zurzeit gemeinsam mit anderen Kindern aufwachsen und gefördert werden.
Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt ein
Menschenrecht fest, nämlich dass behinderte Kinder und
andere Kinder gleichgestellt sind. Sie beschreibt auch
die Voraussetzungen, damit eine gemeinsame Förderung
von Anfang an möglich ist.
Deutschland soll diese Behindertenrechtskonvention
der UNO jetzt ratifizieren. Ich wundere mich an dieser
Stelle ganz gewaltig, dass mein Koalitionspartner, die
Union, die Ratifizierung dieser Behindertenrechtskonvention im Kabinett zweimal verhindert hat. Frau von
der Leyen, ich bitte Sie an dieser Stelle recht herzlich,
Ihr ganzes Gewicht in die Kabinettssitzung einzubringen, damit Deutschland diese Behindertenrechtskonvention so schnell wie möglich ratifizieren kann.
Ich danke Ihnen.
({16})
Das Wort hat nun Diana Golze für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wenn
sich der Bundestag heute auf diesen Gesetzentwurf verständigt, scheint doch eines klar: Die Debatte um Kinderbetreuung in Deutschland ist damit noch längst nicht
zu Ende. Das Kinderförderungsgesetz hat eine bewegte
Vorgeschichte, die mit dem heutigen Beschluss wohl
auch nicht unbedingt in ruhigeres Fahrwasser kommen
wird. Warum ist das so? - Es lässt sich in einem Wort
zusammenfassen: Wahlfreiheit.
Seit Jahren ist das Wort „Wahlfreiheit“ eines der
meistgebrauchten, wenn es darum geht, über Sinn und
Unsinn von Kindertagesbetreuung zu diskutieren. Ganz
zu Beginn ging es noch um die Frage: Kind oder Beruf?
Dann mussten selbst Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion
einsehen, dass es Mütter gibt, die eben auch Frau im Beruf sein wollen.
({0})
Somit stellte sich die Frage der Wahlfreiheit neu: Wie
vereinbaren wir Kinder, Familie und Beruf?
In den letzten Jahren war dies vor allem in den westlichen Bundesländern eine Frage, auf die in den Familien
eine Antwort meist selbst gefunden werden musste,
sprich: Es begann für viele das Klinkenputzen bei den
wenigen Kindertageseinrichtungen, das Anstehen bei
den guten Tagesmüttern oder eben das Organisieren im
Familien- und Freundeskreis. Und immer hatten die
Frauen die bange Frage im Hinterkopf: Mache ich das
Richtige, und bin ich trotzdem eine gute Mutter?
Doch die Welt drehte sich weiter, und im Bundestag
wurde das Tagesbetreuungsausbaugesetz beschlossen.
Bei aller Kritik, die man daran äußern kann: Es war doch
ein Meilenstein, der es vielen Eltern erleichterte, ihre
Wahl für Kinder und Beruf zu treffen und beides miteinander zu vereinbaren.
Aber der Ausbau der Tagesbetreuungsplätze ging zu
langsam vonstatten. Viele Kommunen erreichten bei
Weitem nicht die gesteckten Ziele. Finanzierungsprobleme machten es den Trägern vor Ort schwer, entspre19242
chend zu investieren und die Infrastruktur für Familien
mit Kindern zu schaffen. Dabei sahen die Probleme regional sehr unterschiedlich aus: Im Westen glich vielerorts ein Ganztagsbetreuungsplatz weiterhin einem Sechser
im Lotto. Gutes Personal wurde händeringend gesucht.
Im Osten hingegen mussten zunehmend Einrichtungen
geschlossen werden, da die Zahl der Kinder in diesen
Altersgruppen zurückging. Die Beschäftigten arbeiten
nach wie vor verkürzt und mit Haustarifverträgen. Wahlfreiheit lag also immer noch in weiter Ferne.
Dann brach die Zeit der Großen Koalition an, und
Frau von der Leyen schob eine Entwicklung an, mit der
vorher wohl nur wenige gerechnet hatten. Ich habe es Ihnen von dieser Stelle aus schon einmal gesagt, Frau Ministerin: Ich bin Ihnen dankbar für die Aufräumarbeiten,
die Sie in den Hinterstübchen der erlauchten Altherrenriege angefangen haben.
({1})
Sie haben in der Großen Koalition die Chance gesehen
und den Staubwedel ergriffen, um mit überholten Geschlechterrollen zu brechen und ihnen zu einem frischeren Aussehen zu verhelfen.
Doch Sie wissen, dass ich als Mitglied der Linken und
damit der Opposition an dieser Stelle mit dem Lob wieder aufhören muss.
({2})
Leider haben Sie den Staubwedel zu früh wieder aus der
Hand gelegt; denn mit diesem Gesetz bekommt das Wort
„Wahlfreiheit“ eine ganz neue Bedeutung. Uns wird hier
ein Gesetzentwurf vorgelegt, bei dem jeder die Wahl hat,
sich einen Teil auszusuchen, der ihr oder ihm gefällt.
Hier ein paar Beispiele. Ich beginne mit dem Thema
Finanzierung: 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau.
Das weckt Erinnerungen an ein Projekt der rot-grünen
Regierung, dessen Finanzierung durch den Bund dieser
Tage ausläuft, das Ganztagsschulprogramm.
({3})
Auch hier ist sicher viel geschehen, und der Ansatz ist
begrüßenswert. Aber 20 Prozent aller schulpflichtigen
Kinder und Jugendlichen in Ganztagsschulen bedeuten
noch kein flächendeckendes Netz; das Projekt bleibt im
Modellcharakter stecken.
({4})
Der Grund: Die Kommunen konnten und können den
weiteren Ausbau aufgrund ihrer klammen Kassen nicht
stemmen. Die Befürchtung der Fraktion Die Linke
- diese wird von vielen Verbänden und nicht zuletzt von
den Kommunen geteilt -, ist nun, dass es mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung letztlich nicht anders verlaufen wird.
4 Milliarden Euro stehen von Bundesseite zur Verfügung. Wir fordern, diese weiter aufzustocken, weil das
vorgesehene Sondervermögen für das Volumen des Ausbaus nicht ausreichen wird.
({5})
Wenn die Bundesregierung die Kinderbetreuung zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe ausruft und die Bundeskanzlerin Bildung zur Chefsache macht, kann die
Schlussfolgerung eigentlich nur sein, dass das Gros der
Finanzierung am Ende nicht an den Kommunen hängen
bleiben darf.
({6})
Die Warnung der kommunalen Spitzenverbände ist
nur zu verständlich. Die Bundesregierung schafft mit einem zu begrüßenden Rechtsanspruch die Fakten, und die
Kommunen sollen am Ende die Rechnung begleichen;
denn dort werden die Eltern 2013 ihre berechtigte Forderung nach einem Kita-Platz aufmachen und nicht vor
dem Bundeskanzleramt oder vor dem Ministerium.
({7})
Wenn der Rechtsanspruch da ist, dann haben die Kommunen keine Wahl. Der Ausbau muss deutlich an Fahrt
aufnehmen, wenn die Vorgaben des Tagesbetreuungsausbaugesetzes und des vorliegenden KiföG erfüllt werden sollen. Dies kann nur geschehen, wenn die Kommunen stärker als bisher finanziell unterstützt werden.
({8})
Die im Gesetz vorgesehene Einschränkung der Bedarfskriterien, nach denen ein Kind Anspruch auf einen
Kita-Platz haben soll, ist aus unserer Sicht der falsche
Weg. Wer die Kommunen während der Ausbauphase
nicht übermäßig belasten möchte, sollte seine Finanzpolitik überprüfen und nicht die Zugangskriterien beschränken. Deswegen unsere Forderung: Stellen Sie den
Kommunen ausreichende finanzielle Unterstützung zur
Verfügung.
Nächstes Beispiel: das Betreuungsgeld. Mehrmals
hatten wir dazu in diesem Raum und andernorts schon
die Debatte, doch die Formulierung, dass ab 2013 die Eltern, die ihr Kind nicht in einer Einrichtung betreuen lassen wollen oder können, eine finanzielle Leistung bekommen sollen, steht nach wie vor im Gesetz - und
diesmal nicht nur in der Begründung. Dieses Argument,
liebe SPD-Fraktion, zieht also nicht mehr.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Nicolette Kressl aus der SPD-Fraktion?
Ja, gern.
Sehr geehrte Kollegin Golze, sollten Sie übersehen
haben, dass der Bund bei der Finanzierung über die
4 Milliarden Euro hinaus den Kommunen ab 2013 jährlich 770 Millionen Euro vom Anteil an der Umsatzsteuer
zur Verfügung stellt?
Das habe ich nicht übersehen. Ich habe über die Ausbauphase gesprochen, in der 4 Milliarden Euro vonseiten
des Bundes zur Verfügung stehen. Aus unserer Sicht reichen diese nicht aus, um diese Plätze gegenzufinanzieren. Dies darf nicht nur den Kommunen überlassen werden.
({0})
Ich war beim Thema Betreuungsgeld. Liebe SPDFraktion, Sie müssen bei der Wahrheit bleiben - Frau
Humme hat eben gesagt, wir wollen ja bei der Wahrheit
bleiben -: Sie beschließen heute das Betreuungsgeld. Ja,
Sie sagen, wer weiß, was bis 2013 noch alles passiert,
und hoffen insgeheim, dass Sie dann am längeren Hebel
sitzen. Aber leider sagt die CDU/CSU-Fraktion das
auch.
({1})
Beide Koalitionsfraktionen reden sich ein, das letzte
Wort darüber zu haben.
Aber was ist denn das für ein Gesetz? Entweder will
ich eine Leistung - dann definiere ich sie und schreibe
sie so ins Gesetz -, oder ich sage, dass ich kein Betreuungsgeld will, weil viele Kinder, die die Betreuung
bräuchten, davon ausgeschlossen sein werden; dann
lasse ich es und nehme keine solche Formulierung auf.
Die Große Koalition versucht einen Mittelweg. Die jeweilige Wählerklientel hat nun die Wahl, ob sie zu den
Krötenschluckern oder zu den Hartleibigen gehören
möchte. Na, wohl bekomm’s!
({2})
Drittes Beispiel: die Gleichstellung von gemeinnützigen und privat-gewerblichen Trägern. Auch hier haben wir die Wahl, wer sich nun letztendlich durchgesetzt
hat. Während Frau Marks aus der SPD-Fraktion am letzten Donnerstag in der Haushaltsdebatte meinte:
Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit der Union
darauf verständigt haben, die bewährten Strukturen
der Finanzierung der Kinderbetreuung zu erhalten.
Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch
in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von
privat-gewerblichen Trägern eingesetzt werden...
({3})
bleibt die Familienministerin
({4})
laut FAZ und auch in ihrer heutigen Rede beim Anliegen
des Ursprungsentwurfs, wenn sie sagt:
Der Trend geht eindeutig dahin, auch Privat-Gewerbliche zu fördern.
({5})
Im ersten Entwurf stand noch, dass privat-gewerbliche
Träger gleichbehandelt werden sollen. Nach erheblichem Widerstand hieß es dann, alle Träger sollten
gleichbehandelt werden. Nach dem energischen Einspruch des Bundesrates steht nun im Text, dass alle Träger gefördert werden können. Herr Singhammer und
Frau Fischbach erklärten gestern gemeinsam dazu - ich
zitiere wieder -:
Im Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung können privat-gewerbliche Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen ebenso gefördert und damit auch
gleichbehandelt werden wie jeder öffentliche Träger. Dies ist schon jetzt bereits der Fall … Mit dem
Durchsetzungsvermögen der SPD hat das mitnichten zu tun.
Jeder mag sich sein Urteil dazu selbst bilden.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Pieper?
Ja, gern.
Frau Golze, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es gerade in den neuen Bundesländern, wo wir eine fast flächendeckende Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen haben, einige Städte gibt, in denen es - so
Ihre Formulierung - nur privat-gewerbliche Träger gibt?
Das sind freie Träger, Elterninitiativen, der Paritätische
Wohlfahrtsverband und die Volkssolidarität.
({0})
Ich möchte von Ihnen eine Erklärung, mit welchem
Recht Sie diesen Organisationen Profitorientierung vorwerfen. Sie sollten Ihre ideologische Verblendung im Interesse der Kinder in diesem Land endlich ablegen.
({1})
Sie stimmen mir doch zu: Eine Vielfalt bei den Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen wird letztendlich eine bessere Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen nach sich ziehen. Das kann man gerade in den
neuen Bundesländern wunderbar nachempfinden.
({2})
Ich bin selbst seit vielen Jahren Mitglied eines Jugendhilfeausschusses. Ich weiß sehr wohl, dass eine Trägervielfalt für ein breiteres Angebot sorgt und sich so jeder seine Einrichtung aussuchen kann. Das ist gut für die
Kinderbetreuungslandschaft. Aber dass die FDP nicht
einmal den Unterschied zwischen gemeinnützig und pri19244
vat-gewerblich kennt, das tut mir wirklich leid, Frau
Pieper.
({0})
Ich setze mich für den Erhalt der Gemeinnützigkeit
der Kinder- und Jugendhilfe ein. Ich setze mich für den
Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinderbetreuungslandschaft ein. Das schließt auch freie Träger ein. Natürlich
gibt es auch in meiner Kommune freie Träger, die Kindertagesbetreuung anbieten,
({1})
die zum Beispiel zusammen mit Betrieben betriebliche
Kindergärten organisieren. Das sind nicht die privat-gewerblichen Anbieter, die ich hier anspreche.
({2})
Dass ich Ihnen das erklären muss, tut mir wirklich leid.
Ich bin aber froh, dass Sie diese Zwischenfrage gestellt
haben. So konnte ich Ihnen diese Weiterbildung anbieten.
({3})
Zurück zum Thema: Bildung ist keine Ware, vor allem sind unsere Kinder keine Ware. Es gibt international
genügend Belege dafür - schauen Sie nach Australien -,
dass in dem Moment, wo Kinderbetreuung dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb unterworfen wird, die Qualität der Betreuung leidet oder ein Zweiklassensystem
bei der Betreuung entsteht: privat-gewerbliche Angebote
für die Familien, die es sich leisten können, und frei-gemeinnützig organisierte Betreuung für den großen Rest.
Das Beispiel Australien zeigt uns: Kinderbetreuung gehört nicht an die Börse.
({4})
Sie muss für alle Kinder und für ihre Eltern ein verlässliches Angebot sein. Es geht uns nicht darum - ich wiederhole mich -, dass es keine privaten Angebote geben
soll, sondern darum, dass in gewinnorientierte Betreuungsangebote keine öffentlichen Fördermittel fließen
und die Kinder- und Jugendhilfe vor Kommerz- und Gewinninteressen bewahrt wird. Dieses Problem bleibt für
uns Linke auch mit der Formulierung im aktuellen Gesetzentwurf bestehen.
Das Argument, dass die ehrgeizigen Ausbauziele bei
Kita-Plätzen ohne die Unterstützung privat-gewerblicher
Träger nicht zu schaffen sei, ist nicht zu halten, Frau
Gruß. Wie Sie der Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts zur KiföG-Anhörung entnehmen konnten,
sind - ich zitiere ... die bisherigen Träger, was das Ausbauvolumen
anbelangt, durchaus in der Lage, dieses Angebot zu
realisieren. Gegenwärtig realisieren diese immerhin
ein Platzangebot von rund 2,6 Mio. Plätzen für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Schulpflicht. Gemessen daran ist der zusätzliche Ausbaubedarf
überschaubar.
({5})
Am vorläufigen Ende dieser parlamentarischen Debatte muss ich sagen: Der Start der Bundesministerin
war vielversprechender als das, was nun als Ergebnis
vorliegt.
({6})
Der Frühjahrsputz ist vorbei. Dabei hat die Debatte zu
Beginn des Jahres gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung zu einer grundlegenden Sanierung bereit gewesen wäre. Diese Chance ist nun vertan. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben deutlich
gemacht, dass sie die Mittel, die für einen flächendeckenden Ausbau notwendig wären, nicht in die Hand
nehmen wollen. Es bleibt beim Pferdefuß Betreuungsgeld. Obendrein setzt man Anreize zur Privatisierung der
Betreuungslandschaft. Dies lässt sich mit den Zielen linker Kinder- und Familienpolitik nicht vereinbaren.
({7})
Die Linke sagt Ja zum Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung für alle Kinder als gesamtgesellschaftliche
Aufgabe. Wir sagen Ja zu gut qualifiziertem und entsprechend gut bezahltem Personal. Wir sagen Ja zu einer
neuen Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Müttern und Vätern.
({8})
Wir sagen Ja zum Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinder- und Jugendhilfelandschaft. Deshalb sagen wir Nein
zu diesem Gesetzentwurf.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass die CDU jetzt langsam in der Realität ankommt, ist aus unserer Sicht kein hinreichender Grund,
die Selbstzufriedenheit Überhand nehmen zu lassen.
({0})
Das Betreuungsgeld ist in der Tat ein bildungspolitisches Armutszeugnis. Das wissen Sie selber. Frau
Humme, ein Blick auf die vorgesehene Änderung des
§ 16 des SGB VIII zeigt, dass Sie, aber vor allen Dingen
die Ministerin vor der CSU eingeknickt sind.
({1})
Einkommensarme Familien bekommen einen Anreiz,
gerade die Kinder nicht in die Frühförderung zu geben,
die davon am meisten profitieren würden. Man kann sich
nur wünschen, dass diese Extrawurst, die Sie der CSU da
gebraten haben, ihr bei der Wahl am Sonntag im Halse
stecken bleibt.
({2})
Ich habe den Eindruck, dass auch in Bayern immer mehr
Menschen merken, dass gerechte Startchancen für die
CSU schlichtweg ein Fremdwort ist. Wir werden diesem
bildungspolitischen Unsinn nicht zustimmen. Daher
werden wir den Gesetzentwurf ablehnen.
({3})
Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab 2013
- das wollen wir hier einmal klar sagen - kommt für
viele Eltern zu spät. Die Kommunen haben jetzt zum
Glück ernsthaft mit dem Ausbau angefangen, aber dies
geschieht auf Basis des von Rot-Grün beschlossenen Tagesbetreuungsausbaugesetzes. Herr Singhammer, das
haben Sie im Bundesrat bekämpft, als ob es Teufelswerk
wäre. Diese Wahrheit muss hier einmal gesagt werden.
({4})
Fatal ist, dass Sie keinen Rechtsanspruch auf einen
Ganztagsplatz geschaffen haben. Die Kommunen und
die Länder haben jede Möglichkeit, den Ausbau auf
5-Stunden-Plätze zu konzentrieren. Das hat zur Folge, dass
die Kinder mit einem höheren Betreuungsbedarf - in den
Großstädten werden es immer mehr - weiter mit den
Kindern von berufstätigen Eltern um die raren Ganztagsplätze konkurrieren werden. Das ist nicht gut. Junge
Mütter und Väter wollen heute mehrheitlich eher zwischen 30 und 37 Stunden pro Woche arbeiten. Die Zeit,
in der junge Mütter möglichst wenig im Beruf sein wollten und junge Väter möglichst 60 Stunden pro Woche arbeiten wollten, sind zum Glück vorbei. Diese veränderten Wünsche können sie aber mit einem 5-Stunden-Platz
nicht abdecken. Deswegen wäre ein Rechtsanspruch auf
einen Ganztagesplatz so wichtig.
({5})
Es muss auch Schluss damit sein, dass Kinder arm
sind, weil ihre Mütter nur in geringfügiger Beschäftigung arbeiten können, weil sie für ihre Kinder keine hinreichende flexible Betreuung ab dem ersten Lebensjahr
- bis hin zu Ganztagsschulen - haben. Die Zahl der Alleinerziehenden nimmt zu; zwei Drittel der Väter können
oder wollen keinen Unterhalt zahlen. Dieses Armutsrisiko müssen wir durch bessere Betreuung bekämpfen.
Das heißt, wir brauchen Ganztagsbetreuung und einen
Rechtsanspruch.
({6})
Vor allen Dingen brauchen wir eine Qualitätsoffensive. Nur so werden aus Betreuung frühe Förderung und
gerechte Startchancen für alle Kinder. Dazu leistet Ihr
Gesetzentwurf keinen Beitrag.
({7})
Wir brauchen Qualitätsstandards, wir brauchen eine Verkleinerung der Gruppen, Verbesserungen beim Personalschlüssel, bei den Konzepten, bei der Ausstattung und
auch bei der Ausbildung und Qualifizierung des Personals. Da liegt in Deutschland noch ganz vieles im Argen.
Zu Ihrem Streit über privat-gewerbliche und öffentliche Einrichtungen. Der Qualitätswettbewerb zwischen freien Trägern, privaten Anbietern und öffentlichen Anbietern ist in Ordnung. Er funktioniert in
Deutschland auch längst. Aber dieser Wettbewerb ist
doch etwas anderes als die Frage, warum es der Ministerin so unglaublich wichtig ist, dass man mit Kinderbetreuung auch Gewinne machen können muss.
({8})
Das ist der Unterschied. Es ist doch nicht nachzuvollziehen, warum der Ministerin das bei der Qualitätsfrage so
wichtig ist.
Wir brauchen die Qualitätsoffensive dringend, und
zwar sowohl für die Kinder und auch, um die Eltern für
die frühe Förderung zu gewinnen. Wir brauchen aber
auch eine Qualitätsoffensive für die Beschäftigten, für
die hoch motivierten, für die qualifizierten Erzieherinnen und Erzieher. Wir müssen aufpassen, dass uns im
Bereich der Erzieherinnen und Erzieher nicht etwas
Ähnliches passiert wie im Pflegebereich, nämlich dass
die Besten, die Motiviertesten am Ende aus Frust das
Handtuch werfen, weil sie das Gefühl haben, dass sie
das, was sie jeden Tag erleben, vor den Eltern nicht länger verantworten können. Es geht nicht, dass die besten
Leute den Kindern und den Familien am Ende verloren
gehen. Deswegen muss das in den Fokus gerückt werden.
Ich sage Ihnen eines: Rücken Sie die Frage der Qualitätsoffensive auch auf dem Bildungsgipfel in den Mittelpunkt! Denn genau dorthin gehört sie. Das muss am
22. Oktober ein Thema auf dem Bildungsgipfel sein,
auch unter dem Gesichtspunkt: Wie gelingt es uns, dafür
zu sorgen, dass das notwendige Geld in die Verbesserung der Qualität und nicht nur in den dringend erforderlichen Ausbau fließt? Es sollte also kein Ausruhen geben; denn es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit.
Wir werden dem bildungspolitischen Unsinn eines Betreuungsgeldes als „Frühförderungsabschreckungsprämie“ heute nicht zustimmen können.
({9})
Ich erteile das Wort Kollegin Ingrid Fischbach für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten
Kolleginnen und Kollegen! Frau Humme, ich wollte erst
nichts sagen. Sie wissen, ich komme wie Sie aus Nordrhein-Westfalen, und ich habe mein ganzes bisheriges
Leben in Nordrhein-Westfalen verbracht. Ich bin mit offenen Augen durch dieses wunderschöne Land gegangen.
({0})
Als die CDU zusammen mit der FDP 2005 die Regierung übernommen hat, war Nordrhein-Westfalen dank
der vorherigen Landesregierung aus SPD und Grünen
- ich will es Frau Humme nur einmal sagen, damit sie
hier keine Märchen erzählt - Schlusslicht bei der Landesbewertung der Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Wissen Sie, wie viel Prozent Sie geschafft haben?
2,5 Prozent! Mehr sage ich dazu nicht.
({1})
Mittlerweile haben wir den Anteil dieser Betreuungsplätze um 200 Prozent gesteigert, nämlich von den läppischen knapp - ({2})
- Frau Humme, diese Vorgehensweise ist typisch für Sie:
Selber nichts tun, und wenn andere etwas tun, es noch
schlechtrechnen. Sie haben Zeit gehabt. Wir sind jetzt
auf einem guten Wege, und auf dem werden wir weitergehen.
({3})
Schlusslicht mit 2,5 Prozent! Frau Humme, ich hätte
mich geschämt. Ich hätte das besser gar nicht angesprochen.
({4})
Frau Golze, ich habe schon mehrfach gesagt: Die Linken stellen sich hierhin und halten wunderbare Reden.
Wenn man sie reden hört, könnte man sagen: Dem Volke
das Beste.
({5})
Können Sie uns und auch den Zuhörern auf der Tribüne,
die alle interessiert zuhören, denn einmal erklären, warum Sie noch nicht einmal einem Volksbegehren für
mehr Kita-Plätze in Berlin mit 66 000 gesammelten Unterschriften stattgeben? Das hätten ich und vielleicht
auch die Damen und Herren von Ihnen gerne einmal gewusst. Schließlich ist doch alles, was Sie machen, so
toll.
({6})
Ich verstehe das überhaupt nicht. Sie wollen tolle Sachen. Sie stellen sich hierhin und fordern bestimmte
Dinge; doch da, wo Sie in der Regierung sind, kürzen
Sie die Anzahl der Betreuungsplätze,
({7})
schließen Einrichtungen und geben noch nicht einmal einem Volksbegehren statt.
({8})
Aber das zeigt Ihre Denkweise. Mehr sage ich auch dazu
nicht.
({9})
Kommen wir nun zu der guten Nachricht; es ist wirklich eine gute Nachricht, egal wie Sie von der Opposition darüber reden. Dieses Gesetz ist der zweite Meilenstein, den die Bundesregierung, den die Große
Koalition für Familien und Kinder setzt. Ich muss an
dieser Stelle für meine Fraktion ganz deutlich sagen:
Frau Ministerin, ohne Sie wäre das nicht möglich gewesen.
({10})
Als die Ministerin 2007 den Krippengipfel einberufen
hat - ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern -,
da haben gerade die Kolleginnen und Kollegen der Opposition und auch viele andere darüber gelächelt: Jetzt
setzt sie sich mit Vertretern von Bund, Ländern und
Kommunen zusammen. Was hat sie denn vor? Außer
Geschwafel und einer schönen Schlagzeile in der Presse
wird dabei wohl nichts herauskommen. - Was ist herausgekommen? Das Kinderförderungsgesetz, auf das wir
gemeinsam stolz sein können.
({11})
Frau Humme, mir ist es vollkommen egal, wer sich
diesen Erfolg auf seine Fahnen schreibt. Uns als CDU/
CSU-Fraktion sind die Kinder und die Eltern wichtig.
Wenn wir für sie etwas Gutes schaffen, dann dürfen Sie
sich dieses Verdienst gerne auf Ihre Fahnen schreiben.
Das macht uns überhaupt nichts aus.
({12})
Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen, dass
wir mit diesem Gesetz etwas auf den Weg bringen, was
es bisher noch nicht gab: nicht nur dass bei der Finanzierung alle Beteiligte an einen Tisch gebracht und von allen drei Seiten jeweils 4 Milliarden Euro bereitgestellt
wurden, mit denen nicht nur Investitionen gefördert werden; erstmals - das ist ganz wichtig - ist es möglich,
auch die Betriebskosten mitzutragen, was gerade vor Ort
sehr wichtig ist. Das ist eine große Errungenschaft. Auch
dafür sage ich herzlichen Dank.
({13})
Jetzt möchte ich der Mär widersprechen, wir hätten
den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz sofort einführen können. Wir alle sind doch Kommunalpolitiker. Wir
alle wissen doch, wie die Situation vor Ort ist.
({14})
- Sie sind es nicht? Aber wir sind doch alle in Kommunen zu Hause. Als Abgeordneter redet man mit den
Kommunalpolitikern in seinem Wahlkreis, damit man
hier Politik machen kann, die auch die Kommunen vertreten können. So machen das wenigstens wir von der
CDU/CSU-Fraktion. Wir achten schon darauf, dass unsere Politik bis nach unten durchgereicht werden kann.
({15})
Wir wissen, dass die Kommunen nicht in der Lage gewesen wären, diesen Rechtsanspruch sofort umzusetzen.
({16})
Deswegen macht es Sinn, die Beteiligten vor Ort, die die
Plätze schaffen müssen, mit ins Boot zu nehmen. Deshalb macht es auch Sinn, zu sagen: Der Ausbau der
Plätze erfolgt stufenweise bis 2013. Bis dahin müssen
aber auch alle Kommunen die erforderlichen Plätze bereitgestellt haben; denn dann ist wirklich Schicht im
Schacht. Wer dann nicht die Förderungsmaßnahmen so
umgesetzt hat, wie wir es beabsichtigt haben, der hat
Pech gehabt. Die Ministerin hat vollkommen recht: Die
Menschen vor Ort werden dann mit den Füßen abstimmen. Sie werden sich Orte suchen, wo sie die entsprechenden Angebote bekommen. Deswegen machen - ich
sage das noch einmal - ein Ausbau in Stufen und die
Einführung des Rechtsanspruchs ab 2013 Sinn.
Lassen Sie mich in den letzten zwei Minuten meiner
Redezeit kurz auf die Tagespflege eingehen, die in
NRW, Frau Humme, auch immer als Teufelswerk angesehen wurde. Die erste öffentliche Anhörung zu diesem
Thema im Landtag NRW fand 1990 statt. Passiert ist bis
2005 so gut wie nichts. Wir haben jetzt die Bedingungen
dafür geschaffen, dass die Tageseltern - inzwischen gibt
es die ersten Tagesväter - aus dem Schatten bzw. der
Schwarzarbeit herauskommen, dass sie qualifiziert werden. Wir legen großen Wert auf ihre Qualifizierung. Damit einhergehend muss natürlich auch eine andere Entgeltregelung gefunden werden. Die Tageseltern sind
dann eben nicht mehr für 1,83 Euro zu haben. Das ist
richtig und wichtig.
Wir haben auch dafür gesorgt, dass Großtagespflegestellen als Alternative zu den Betreuungsangeboten eingerichtet werden können. Eines ist uns als CDU/CSUFraktion nämlich klar: Wir wollen keine Einheitsbetreuung für alle; für uns steht das Wohl des Kindes im Vordergrund. Danach müssen wir die Betreuungsangebote
ausrichten.
({17})
Zu den Großtagespflegestellen kursiert so einiges in
der Öffentlichkeit. Es wird oft gefragt: Was wollt ihr da
auf den Weg bringen? Ist das eine Konkurrenz zu den
Tageseinrichtungen? Werden dann plötzlich über
100 Kinder zum Minitarif betreut? - Wir haben zwei
vernünftige Regelungen gefunden. Erstens. Bei Großtagespflegestellen muss mindestens eine Tagespflegeperson eine pädagogische Ausbildung haben. Diese qualitative Forderung haben wir in den Vordergrund gestellt.
Zweitens. In dem Gesetz ist auch festgelegt, dass die Anzahl der zu betreuenden Kinder gedeckelt ist. Das heißt,
sie darf nicht größer sein als die Kinderzahl in entsprechenden Einrichtungen der öffentlichen Träger. Das sind
zwei gute Ansätze, die Großtagespflegestellen als eine
weitere Alternative zur Kinderbetreuung auf den Weg zu
bringen.
({18})
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie
ehrlich sind, müssen Sie eingestehen, dass dieser Gesetzentwurf ein guter Gesetzentwurf ist. Ich bitte Sie: Geben
Sie sich einen Ruck und stimmen Sie ihm zu! Er hilft
den Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren. Was aber
noch wichtiger ist: Er begründet für die Kinder den Anspruch, tatsächlich von Beginn an gefördert zu werden.
Wer kann dazu schon Nein sagen?
({19})
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kollegin, da Sie nicht aus Berlin sind und sich hier nicht
so gut auskennen, muss ich kurz auf Ihre Einlassung reagieren.
Erstens. In Berlin, wo SPD und Linke gemeinsam die
Regierung bilden, bekommt jedes Kind, dessen Eltern es
wünschen, einen Betreuungsplatz. - Das nur zur allgemeinen Information.
Worum handelte es sich bei dem Volksbegehren, das
Sie angesprochen haben, und warum hat der Senat von
Berlin es abgelehnt? Dieses Volksbegehren hatte vor allen Dingen die Anliegen, darauf hinzuwirken, dass für
die Kinderbetreuung mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden, dass das Betreuungspersonal besser ausgebildet wird
({0})
und dass der Betreuer-Kind-Schlüssel verbessert wird.
Das sind Anliegen, die wir ausdrücklich unterstützen.
Der Senat von Berlin hat auf Vorschlag des zuständigen Innensenators und des Finanzsenators - in Klam19248
mern: SPD - entschieden, dass dieses Volksbegehren
nicht zugelassen werden kann, weil es in erheblicher
Weise in den Haushalt eingreift.
({1})
Darum hat die Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus diejenigen, die dieses Volksbegehren vorbereitet haben, darin unterstützt, vor das Berliner Verfassungsgericht zu ziehen, um eindeutig klären zu lassen,
wie weit ein solches Begehren in den Haushalt eingreifen kann, und um mögliche Verwerfungen zu vermeiden.
Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Für unsere Fraktion im Berliner
Abgeordnetenhaus kann ich erklären - ich finde übrigens, ab und zu könnten sich auch einmal die Kollegen
der Sozialdemokratie zu den Berliner Verhältnissen äußern -: Wir haben die Anliegen dieses Volksbegehrens
unterstützt. Wir werden versuchen, möglichst viele dieser Anliegen in der Koalition im Land Berlin umzusetzen.
Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, möchte
ich abschließend wiederholen: In Berlin bekommt jedes
Kind, dessen Eltern es wünschen, einen Betreuungsplatz.
({2})
Kollegin Fischbach, bitte.
Frau Lötzsch, ich freue mich, dass jedes Mal, wenn
ich Ihre Fraktion anspreche, sofort ein oder zwei von Ihnen aufstehen und sich zu Wort melden. Das zeigt mir
nämlich, dass ich mit den Dingen, die ich anspreche,
richtig liege.
({0})
Natürlich gilt auch für die Bundesregierung ein gewisser finanzieller Rahmen. Sie darf den Etat, der ihr zur
Verfügung steht, nicht einfach überschreiten. Die Frau
Ministerin hat deutlich gemacht, dass sich der Finanzminister klar positioniert hat. Er hat dem Anliegen der Verbesserung der Kinderbetreuung Rechnung getragen; dafür sind wir dankbar. Das tut man am besten, indem man
die Kinderbetreuung zur Chefsache erklärt und diesem
Thema auf der politischen Agenda oberste Priorität einräumt.
Ich habe mich gewundert, dass Sie gesagt haben: Alle
Eltern, die es wollen, bekommen für ihr Kind einen Betreuungsplatz. Ich frage mich: Warum gehen die Eltern
dann auf die Straße?
({1})
Dann stimmt wohl die Qualität nicht. Genau das ist der
Punkt, den Sie an unseren Vorschlägen immer kritisieren. Wenn Sie Verantwortung tragen, sind Sie aber nicht
in der Lage, das umzusetzen, was Sie selbst fordern.
({2})
Wir gehen so vor, wie wir es beschrieben haben. Wir
brauchen Betreuungsangebote, und wir brauchen Qualität. Wir nehmen die Menschen mit. Wir würden kein
Volksbegehren, wie Sie es getan haben, ablehnen; denn
für uns ist ein Volksbegehren ein demokratisches Mittel.
({3})
Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich habe den Eindruck, Frau Fischbach hat einen wunden Punkt der Linken getroffen, und getretene
Hunde bellen.
({0})
Es ist interessant, zu beobachten, dass sich SPD und
Linke in gemeinsamem Applaus wiederfinden.
({1})
Man hat das Gefühl, dass sich die Große Koalition nicht
so einig ist, wie man es sich wünschen würde.
Als Opposition schauen wir sehr genau zu. Wir Liberale wollen bei den Themen Kinderförderungsgesetz und
Betreuungsgeld noch einen anderen Aspekt in den Vordergrund stellen, der mir besonders am Herzen liegt. Es
geht um die Integration von Zuwanderern und die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund.
Hier werden die Defizite frühkindlicher Bildung und
Betreuung in Deutschland so deutlich, als betrachte man
sie unter der Lupe: Kinder mit Migrationshintergrund
haben besondere Entwicklungsprobleme und Sprachdefizite. Das muss sich ändern.
({2})
Man weiß, dass Kinder im frühkindlichen Alter beeindruckende Sprachlernfähigkeiten haben. In einer Studie der Universität Mannheim wurde kürzlich wieder
festgestellt, dass Kinder auch dann, wenn sie ohne Vorkenntnisse in der deutschen Sprache in den Kindergarten
kommen, innerhalb von sechs Monaten SprachfähigkeiSibylle Laurischk
ten besitzen, die denen ihrer gleichaltrigen Spielkameraden entsprechen. Daher ist das gemeinsame Aufwachsen
mit deutschsprachigen Kindern in einer Gruppe die effektivste Sprachlernmethode, die wir kennen, wenn die
Rahmenbedingungen stimmen. Es muss zentrales Ziel
der Politik beim Thema Kinderbetreuung sein, die entsprechenden Rahmenbedingungen herzustellen.
Im Bundesdurchschnitt besucht die Hälfte der Dreibis Vierjährigen aus Familien mit Migrationshintergrund
den Kindergarten. Bei den Vier- und Fünfjährigen sind
es über 80 Prozent. Leider sinkt diese Quote bei Familien mit größerer Bildungsferne - dies gilt auch für deutsche Familien -, obwohl sie gerade hier steigen müsste.
({3})
Wir brauchen mehr Anreize, damit gerade diese Familien ihre Kinder häufiger als bisher in Betreuungseinrichtungen schicken; denn was in der Zeit bis zum Eintritt in die Grundschule beim Erwerb der deutschen
Sprache versäumt wird, kann später nur sehr mühsam
wieder aufgeholt werden.
Mit dem Betreuungsgeld, das im vorliegenden Gesetzentwurf enthalten ist - es wurde nicht herausgenommen -, gehen Sie in die falsche Richtung. Aus integrationspolitischer Sicht ist es absolut kontraproduktiv.
({4})
Die FDP hat dieses Thema geklärt. Auf einem Bundesparteitag haben wir uns klar dahin gehend positioniert, dass mit dem Betreuungsgeld die falsche Richtung
vorgegeben wird. Ich warne davor, weiter darüber zu
diskutieren und es womöglich doch beschließen zu wollen. Das sage ich sehr bewusst auch in Richtung Bayern.
({5})
Wir wollen keine Ausgrenzung, und wir wollen auch
keine Abgrenzung - weder im Aufenthaltsrecht noch bei
der Familienfinanzierung oder bei der Familienförderung. Um Sprachlernerfolge zu ermöglichen, müssen die
Rahmenbedingungen stimmen: Gruppengröße, Kinderzahl pro Erzieherin und Erzieher sowie die individuelle
pädagogische Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher. Bei allem ist aber eine einseitige Gruppenzusammensetzung hinsichtlich der Sprache ein Hemmschuh
für eine angemessene Förderung von Migrantenkindern.
Im Kinderförderungsgesetz sollte es neben dem richtigen quantitativen Ausbau auch darum gehen, dass Signale für mehr Qualität und Vielfalt in den Kinderbetreuungsangeboten gesetzt werden. Hier gehen Sie mit
Ihrem Entwurf nicht weit genug. Ich erinnere daran
- wir wissen das aus einer fraktionsinternen Anhörung -,
dass die öffentliche Kinderbetreuung im rot-roten Berlin
nicht mehr mit einer entsprechenden Qualität ausgebaut
werden kann und bereits private und gemeinnützige Anbieter in diese Lücke stoßen. Insofern ist es absurd, dass
hier kein Volksbegehren zugelassen wird.
({6})
Wir müssen vor allem Qualitätsstandards für die Kinderbetreuung entwickeln. Wir brauchen endlich eine
stärkere bildungspolitische Sicht auf die Phase vor dem
Schuleintritt. Dies leisten Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht.
({7})
Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und natürlich: Liebe
Kinder und liebe Eltern! Heute geht es nämlich um Kinder und Eltern. Wir führen in der Politik derzeit sehr
häufig das Wort „Kinder“ im Mund, und wir werden alle
ganz schwach, wenn wir es hören. Wenn es aber um die
Realitäten geht, dann gibt es nur noch wenige in allen
Fraktionen, die sich tatsächlich um die Belange von Kindern kümmern. Ich denke, in einer pluralen Gesellschaft
wie der unseren werden Gesetze so gemacht, dass sie
den pluralen Willen zum Ausdruck bringen. Unser Kinderförderungsgesetz spiegelt das wider.
Manchen geht der Gesetzentwurf zu weit, anderen
nicht weit genug. Ich denke, dass es wichtig ist, nachzuvollziehen, was die Menschen im Lande brauchen. Das
sollte die Maxime der Politik sein. Den Menschen sind
Ideologien ziemlich gleichgültig. Einer Mutter, die nicht
weiß, wo sie morgens ihr Kind unterbringen kann - sie
kann es schließlich nicht irgendwo an der Garderobe abgeben -, ist es egal, wer ihr das ermöglicht, ob links,
rechts, Mitte oder wer auch immer. Sie will, dass wir
handeln. Das haben wir getan.
Es ist noch nicht so lange her. Mitte der 90er-Jahre
war es ein riesiger Kraftakt des Parlaments - vor allem
der Frauen im Parlament -, einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sicherzustellen. Die Kommunalpolitiker haben damals den Untergang des Abendlandes
und den Bankrott der Kommunen befürchtet, wenn wir
das durchsetzen würden. Inzwischen hat sich das Ganze
beruhigt. Man hat damals befürchtet, die in den Einrichtungen betreuten Kinder würden alle kriminell. Das hat
sich nicht bestätigt. Sie haben sich sehr gut entwickelt.
Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz einen zweiten Schritt unternommen. Wir haben darin vorgegeben, in welchen Stufen der Ausbau erfolgen soll.
Die Regierung muss dazu Berichte vorlegen. Mittlerweile steht fest: Wenn das bisherige Tempo beibehalten
wird, dann sind die Kinder, die eigentlich auf die Förderung angewiesen sind, längst Großmütter und Großväter,
bis der Ausbau erfolgt ist.
Was sind Anreize für die Kommunen, den Ausbau
der Kinderbetreuung zu beschleunigen? Vernunft allein reicht nicht aus. Dass Kinder Betreuung brauchen,
ist aus wissenschaftlichen Abhandlungen bekannt.
({0})
Marlene Rupprecht ({1})
Der einzige wirksame Anreiz ist Geld. Ich danke dem
Bundesfinanzminister herzlich dafür, dass er
4 Milliarden Euro bereitgestellt hat. Das entspricht einem Drittel der Kosten, die in den nächsten Jahren entstehen.
({2})
Es ist zu hoffen, dass die Kommunen - die ebenso wie
die Länder sonst alles übernehmen, was Geld bringt das Tempo beschleunigen.
Wir mussten manche in diesem Haus noch überzeugen. Ich danke Ihnen, dass Sie diese Kontinuität fortgesetzt haben und nicht über manche Hürden und Wünsche
innerhalb der Fraktion verzweifelt sind. Ich hätte das
manches Mal tun können.
Wir haben im Gesetzentwurf die Einführung eines
Betreuungsgeldes vorgesehen. § 16 des Achten Buches
Sozialgesetzbuch soll wie folgt ergänzt werden:
Ab 2013
- darüber muss der Bundestag in der 18. Wahlperiode
entscheiden soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein
bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung
({3}) eingeführt werden.
Ich habe Ihnen schon öfter gesagt, Herr Singhammer,
dass die Eltern entscheiden werden, wenn der übernächste Bundestag gewählt wird.
({4})
Hoffentlich ist die Politik so klug, auf die Wünsche und
Bedürfnisse der Eltern einzugehen. Dann kann ich auch
die Kröte schlucken, die ich nicht wollte. Denn das, was
mir wichtig ist, ist darin vorgesehen, nämlich ein
Rechtsanspruch ab dem 1. August 2013.
({5})
Dass der Rechtsanspruch erst ab 2013 vorgesehen ist,
ist einfach zu begründen. Ich bin Realpolitikerin und
lebe nicht im Wolkenkuckucksheim. Seit 17 Jahren arbeite ich in der Kinder- und Jugendhilfepolitik. Diese
Erfahrungen vor Ort wünschte ich so manchem Politiker.
Dann wüssten sie, dass man nur das in den Gesetzentwurf aufnehmen kann, was man auch umsetzen kann.
Denn in den Kommunen fehlt es noch an Geld und an
Betreuungsplätzen.
Wenn man ein Windhundverfahren nach dem Motto
„Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vermeiden will, dann
muss man einen konditionierten Rechtsanspruch vorsehen, wie wir es getan haben.
({6})
In § 24 Abs. 3 ist folgende Regelung vorgesehen:
Ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn
1. durch diese Leistung seine Entwicklung zu einer
eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen
Persönlichkeit gestärkt wird …
Das alles dient dem Kindeswohl.
({7})
Das trägt auch dem Migrationshintergrund Rechnung.
Das trägt den Erfordernissen in der Familie Rechnung.
Es kann zum Beispiel sein, dass ein schwerkrankes Kind
in einer Familie ist und ein anderes Kind dieser Familie,
das nicht schwerkrank ist, die Gruppe braucht. Auch darauf sollte man reagieren.
Des Weiteren gibt es einen Anspruch für Erziehungsberechtigte, die erwerbstätig sind, eine Erwerbstätigkeit
aufnehmen bzw. Arbeit suchen, die sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in einer Schulausbildung oder
Hochschulausbildung befinden oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des SGB II erhalten.
Da wir nicht vorschreiben können, wie der Bedarf
aussieht, sondern dieser ermittelt werden muss, ist im
Gesetzentwurf geregelt:
Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich
nach dem individuellen Bedarf.
Das ist genau das, was ich mir wünsche, nämlich dass
man den Bedarf anhand der Wünsche und Bedürfnisse
der Menschen ermittelt und ein entsprechendes Angebot
vorhält.
({8})
Aber was nützt das ganze Geld, was nützt all das
Gute, was wir Kinderpolitiker wollen, wenn das in den
Ländern und vielleicht auch in den Kommunen nicht
entsprechend umgesetzt wird? Dass das geschieht, ist
das Allerwichtigste. Wir haben die Tagespflege in die
Regelung aufgenommen. Wir wollen, dass sie qualitativ
gut ist. Wir wollen, dass sie personell, räumlich und konzeptionell so gestaltet ist, dass es dem Kind gut tut. Wir
müssen weiterhin aufmerksam an dieser Sache dranbleiben, um zu verhindern, dass da ein Markt für Billigangebote entsteht.
Wir haben deswegen die Anforderungen an die Statistiken geändert. Es interessiert niemanden, wenn durch
Regelungen in den hinteren Paragrafen Statistiken geändert werden. Wir halten das für wichtig, weil wir die
Entwicklung an der Statistik ablesen können und so
rechtzeitig und schnell gegensteuern können, wenn Entwicklungen eintreten, die aus unserer Sicht für Kinder
und Eltern nicht gut sind.
Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf gut ist. Ich bitte
Sie, zuzustimmen, damit das Signal gesetzt wird: Dieser
Bundestag hat sich - bei allen Gegensätzen, die wir haben, und bei manchem, was vielleicht noch geschliffen
werden müsste - zum Ziel gesetzt, Kinder zu fördern.
Marlene Rupprecht ({9})
Das in diesem Haus hinzubekommen, halte ich für richtig. Es tut mir wirklich in der Seele weh, dass das zu einem Machtgezerre führt und dass wir uns nicht an dem
orientieren, was zukünftig notwendig ist, um die Welt so
zu gestalten, dass die Kinder, die jetzt heranwachsen,
sich wohlfühlen und zu vernünftigen Erwachsenen werden. Wenn wir das täten, hätte ich keine Angst um die
Zukunft. Im Moment ist mir allerdings angesichts dessen, was es an Wahlkampfgeschrei gibt, manchmal sehr
bang darum.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Fischbach, Sie haben gesagt, ohne Frau von
der Leyen wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen.
Ich will wie folgt kontern: Ohne Sie und Ihre Fraktion
hätten wir in Deutschland längst einen Rechtsanspruch
auf Ganztagsbetreuung.
({0})
Sie waren diejenigen, die das TAG verhindert haben.
Sie waren diejenigen, die dagegen gearbeitet haben und
gesagt haben, wir wollten eine verstaatlichte Kinderer-
ziehung, wir wollten die Kinder den Eltern entreißen -
und weiß Gott, was hier noch alles für Argumente ge-
kommen sind. Ohne Sie hätten wir längst einen Rechts-
anspruch.
Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie
leben doch im Wolkenkuckucksheim!)
Jetzt haben wir das auf 2013 verschoben.
({1})
- Ich wäre jetzt einmal ganz ruhig. - Sie sagen, Sie hätten das finanziert. Sie haben ein Volumen von
4 Milliarden Euro für die Infrastruktur vorgesehen, das
über ein komisches Sondervermögen zur Verfügung
steht. Dann sagen Sie, Bayern rufe am meisten ab. Ja,
warum?
({2})
Weil die Bayern die schlechteste Quote haben - denn sie
haben bisher nichts gemacht - und weil sie gerne Geld in
Anspruch nehmen.
({3})
Dort gibt es die größten Defizite. Schauen Sie sich doch
einmal die Quoten an!
({4})
Dann sagen Sie, Sie hätten jetzt 750 Millionen Euro
eingestellt. Ich bitte Sie: Es geht hier um Personal. Es
geht um Gruppen und um Qualitätsstandards. Sie selbst
haben gesagt, zwei Drittel der Kosten sollten von den
Ländern und Kommunen getragen werden. Ihr Staatssekretär sagte uns noch im Ausschuss: Die Verhandlungen
mit den Kommunen und den Ländern gehen wir erst an,
wenn wir ein Gesetz dazu haben. - Wo ist da bitte die
Ernsthaftigkeit?
({5})
Woher nehmen Sie die Unverfrorenheit, zu sagen, das
Ganze sei bereits finanziert? Ich würde sagen, das meiste
ist überhaupt noch nicht geklärt, sondern steht noch aus.
({6})
Jetzt komme ich zum Betreuungsgeld. Frau Rupprecht,
Sie sagen, Sie schluckten da gerne eine Kröte. Ich mag
keine Kröten; das sage ich Ihnen ganz deutlich. Sie von
der SPD haben doch noch vor wenigen Wochen ein Papier verabschiedet, in dem es um Chancengleichheit und
Teilhabe geht, darum, wie wichtig die frühe Förderung
der Kinder ist,
({7})
darum, dass es bei den Kinderkrippen nicht nur um die
Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, sondern um
die frühe Förderung der Kinder. Bei dieser Debatte können wir es uns doch gar nicht leisten, Kröten zu schlucken, selbst wenn wir es wollten. Das können Sie doch
nicht allen Ernstes hier zulassen und dann auch noch
rechtfertigen. Dafür habe ich gar kein Verständnis. An
diesem Punkt wird ideologischen Scheuklappen Vorrang
vor dem Kindeswohl eingeräumt.
({8})
Diese ideologiegefärbte Politik tragen Sie mit.
Sie sagen, das sei eine Willensbekundung. Ich frage
Sie: Was hat das dann im Gesetz zu suchen? Seit wann
schreiben wir Willensbekundungen ins Gesetz?
({9})
Sie haben sie im Gesetz festgeschrieben; aber Sie sagen,
bei der nächsten Wahl ändere sich das. Wem wollen Sie
das verkaufen? Entweder Sie machen es, oder Sie machen es nicht.
({10})
Aber stehen Sie zu dem, was Sie machen!
({11})
Jetzt komme ich zu dem Wichtigsten überhaupt: Qualität. Wir haben ja heute viel über Berlin geredet. Ich
nenne Ihnen ein anderes Beispiel für die Betreuungsquote in Kindergärten: In Bayern kommen auf 26 Kinder
eine Erzieherin und eine Halbtagskraft. Wie sollen da
Frühförderung, sprachliche Förderung, Förderung der
kognitiven Kompetenz und weiß Gott was noch alles
möglich sein? Es reicht nicht, in jedem Bundesland einen Bildungs- und Betreuungsplan zu haben, sondern
wir müssen in das Personal investieren. Sie vertun hier
eine große Chance, Qualität festzuschreiben.
({12})
Sie vertun eine historische Chance, festzuschreiben, was
wir wollen, dass es nämlich nicht nur ums Aufbewahren
geht, sondern auch um die frühe Förderung.
({13})
Zum Stichwort „Qualität“ steht nichts in diesem Gesetzentwurf. Das haben Sie wahrscheinlich schlicht und
einfach vergessen, oder Sie wollen es nicht. Die Konsequenz dessen wäre nämlich das, was es in Berlin bereits
gibt: Berlin hat die größte Zahl an Privateinrichtungen,
Kinderläden, Elterninitiativen und Ähnlichem. Der Platz
allein reicht nämlich nicht, sondern die Eltern wollen
sich auf die Einrichtungen verlassen können. Für diese
Eltern sind wir Grüne Lobbyisten, und das bis zum
Schluss. Wir werden immer wieder danach fragen, wie
es mit der Finanzierung aussieht, und Sie werden von
uns auch die Frage nach der Qualität immer wieder aufs
Brot geschmiert bekommen; denn verzichten können wir
darauf nicht.
({14})
Das Wort hat nun Michaela Noll für die CDU/CSUFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile sind eine Stunde und
17 Minuten vergangen, und wir haben sehr viel zum
Kinderförderungsgesetz gehört. Aber ich hätte bei der
ganzen Kritik der Opposition gern auch einmal ein Dankeschön gehört. Denn was wir hier auf den Weg gebracht
haben, ist wirklich gut für die Familien in Deutschland,
vor allem für diejenigen, die noch die Gründung einer
Familie planen.
({0})
Deswegen richte ich meinen ausdrücklichen Dank an
Sie, Frau Ministerin; denn Sie hatten es nicht immer einfach. Aber Sie sind durchsetzungsstark, und Sie haben
extrem viel für die Familien erreicht, sei es durch das Elterngeld oder jetzt durch das KiföG. Ich glaube, viele Familien in Deutschland können durchatmen; denn Sie haben etwas geschafft, was es vorher nicht gab: Wir haben
jetzt Wahlfreiheit.
({1})
Jetzt schlage ich einmal kurz einen Bogen. 1995 war
für mich ein einschneidendes Jahr. Damals habe ich
meine eigenen Erfahrungen dabei gemacht, was es heißt,
Mutterschaft, Kind, Betreuungsplatz und Arbeit miteinander zu kombinieren. Es war schlicht unmöglich. Über
Monate habe ich versucht, einen Betreuungsplatz zu bekommen - ich habe keinen bekommen. Daraufhin habe
ich mir gesagt: Wenn du etwas ändern willst, gibt es nur
einen Weg - du musst in die Politik, du musst die Rahmenbedingungen ändern.
({2})
Trotzdem musste ich noch lange warten. Frau von der
Leyen, Sie hätten früher kommen müssen; dann wäre es
einfacher gewesen.
({3})
Liebe Kollegin Humme, Sie wissen ja, woher ich
komme, nämlich aus Nordrhein-Westfalen.
({4})
In Nordrhein-Westfalen gab es 1995 so gut wie überhaupt kein Betreuungsangebot. Zehn Jahre später gab es
dort 11 000 Plätze für unter Dreijährige. Nun, nachdem
wir seit 2005 die Regierung stellen, gibt es 44 600 Betreuungsplätze. Das ist eine Vervierfachung. Den Familien in NRW geht es jetzt besser.
({5})
Es hat sich also gelohnt. Viele Mütter werden das Problem, das ich damals hatte, jetzt nicht mehr haben. Wir
haben ein vielfältiges Angebot geschaffen. Es ist ein riesiger Schritt für die Familien.
Liebe Marlene, noch ein kleiner Hinweis: Die Bundesländer können das Geld nicht einfach einstecken.
({6})
- Du hat aber eben den Eindruck vermittelt. - Sie müssen Rechenschaft ablegen.
({7})
- Richtig, die Bundesländer müssen das Geld zuerst abfordern und dann Rechenschaft ablegen. Das werden sie
auch tun.
({8})
Wir sollten uns noch einige Punkte anschauen, die wir
nicht unterschätzen sollten. Was erreichen wir mit dem
KiföG sonst noch? Wir schaffen Freiheit durch Vielfalt. Wir bekämpfen Kinderarmut. Wir schaffen Bildungschancen. Mit diesem Gesetz werden des Weiteren
über die Schutzklausel in § 72 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - das erfreut insbesondere diejenigen, die
in der Kinderkommission mitarbeiten - Kinder vor sexuellem Missbrauch geschützt.
Was meine ich mit Freiheit durch Vielfalt? Viele Eltern wollen einen Spielraum haben. Sie wollen selber
entscheiden, wie sie ihre Kinder optimal betreuen lassen
können. Das gilt auch im Hinblick auf die Öffnungszeiten. Gerade das von uns zu beschließende KiföG trägt
dem Rechnung. Es gibt Tageseinrichtungen, die Kindertagespflege und die Großtagespflege. Den Bedenkenträgern, die sagen, das sorge nicht für Qualität, sage ich:
Weit gefehlt! Wir haben ausdrücklich hineingeschrieben:
mit pädagogisch ausgebildetem Personal. Das ist Freiheit durch Vielfalt. Das hilft den Eltern.
({9})
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir sprechen
relativ viel über Kinderarmut. Kinderarmut hat wirklich viele Gesichter. Es gibt die materielle, die soziale,
die emotionale und die kulturelle Armut. Bevor irgendwelche Einwände von der linken Seite kommen: Das Risiko der materiellen Armut in Deutschland liegt weiter
unter dem EU-Durchschnitt. Mir geht es vor allem darum, die Lebenssituation der Kinder zu verbessern. Die
beste Option dafür ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Auch dafür haben wir Grundlagen geschaffen.
1,6 Millionen Arbeitsplätze mehr bieten Eltern die
Chance, über ausreichende finanzielle Ressourcen zu
verfügen.
Ich möchte aber auch zwei Risikogruppen ansprechen. Das ist zum einen die Gruppe der Alleinerziehenden; diese wurde schon angesprochen. Das sind immerhin fast 42 Prozent. Das ist zum anderen die Gruppe der
Kinder in Familien mit Migrationshintergrund. Wie können wir ihnen helfen? Es gibt nur eines: Wir brauchen einen Mix aus Geldleistung und Infrastruktur. Wir in
Deutschland sind gut aufgestellt, was die Geldleistungen
angeht. Wir haben das Kindergeld, den Kinderzuschlag,
das Wohngeld und das Elterngeld. All diese Faktoren
senken die Einkommensarmut von Familien.
Was können wir aber insbesondere für die Alleinerziehenden noch auf den Weg bringen? Ich schildere
einmal die typische Situation einer Alleinerziehenden:
Sie kommt zu einem Vorstellungsgespräch. Sie hat hervorragende Zeugnisse und wirkt kompetent. Aber spätestens nach zehn Minuten kommt die klassische Frage:
Haben Sie Kinder? Dann sagt sie: Ja, ich habe einen
zweijährigen Sohn. Dann kommt die nächste Frage: Wie
ist die Betreuung geregelt? Wenn sie dann nicht klipp
und klar sagen kann: „Ich habe einen Betreuungsplatz“,
dann passiert Folgendes: Sie bekommt ein freundliches
Absageschreiben, oder ihre Bewerbung landet in Ablage
P, also im Papierkorb. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, wie wir ihn auf den Weg gebracht haben, geben
wir solchen Frauen die Chance, einer Erwerbstätigkeit
nachzugehen. Damit haben auch ihre Kinder bessere
Chancen.
({10})
Vor wenigen Tagen war in den Zeitungen eine traurige Nachricht zu lesen. In einer Schuluntersuchung
wurde festgestellt, dass sehr viele Kinder nicht den altersgerechten Entwicklungsstand haben. Sie waren motorisch nicht in der Lage, ein Kreuz zu machen. Sie
konnten keinen Tisch zeichnen. Vier Kinder hatten keine
Deutschkenntnisse, acht nur mangelhafte; das ist genau
der Punkt, den Sie angesprochen haben, Frau Laurischk.
Diese Kinder stammen also aus einem, wie wir es nennen, anregungsarmen Elternhaus. Die Kinder kannten
von zu Hause auch keine Stifte und Bücher, geschweige
denn eine Spielkultur. Ich glaube, dass wir diesen Kindern mit dem KiföG Bildungschancen eröffnen. Frühkindliche Bildung beginnt nicht erst in der Schule, sondern weit vorher. Alle Forschungsergebnisse zeigen das.
Ich bin zwar für die Vererbbarkeit von Eigentum, aber
nicht für die Vererbbarkeit von Chancen. Gerade durch
den Besuch einer Kita, insbesondere einer guten - Kitas
sind ideale Lernorte -, erhalten diese Kinder eine
Chance. Der Kitabesuch macht Kinder schlauer.
({11})
Frau Humme, auch hier sind die Bundesländer, vor allem NRW, auf einem guten Weg. In NRW erhalten Einrichtungen, die in sozialen Brennpunkten liegen, eine zusätzliche Förderung für Kinder in Höhe von 15 000 Euro
pro Jahr. NRW hat für Vierjährige Sprachtests eingeführt. Wenn Defizite festgestellt werden, können wir
wichtige Weichen für die Kinder stellen. Das schafft Bildungschancen für alle.
Ich glaube, heute können viele Eltern aufatmen. Mütter, Väter und Kinder sind die Gewinner des KiföG. Es
ist ein Meilenstein auf dem Weg einer Politik zugunsten
von Familien.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Elterngeld und
Kinderzuschlag beschließen wir heute mit dem Kinderförderungsgesetz ein weiteres sozialdemokratisches Projekt,
({0})
den Ausbau von Einrichtungen zur frühkindlichen Bildung und Betreuung. Ich freue mich darüber, dass unser
Koalitionspartner trotz anfänglicher Widerstände unseren roten Faden in der Familienpolitik aufgenommen
hat. Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zu
dieser Erkenntnis!
({1})
Damit nehmen wir unsere gesellschaftspolitische Verantwortung wahr. Wir sorgen gemeinsam für die frühe Förderung der Kinder, für bessere Bildungschancen und
eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist
ein gemeinsamer Erfolg der Großen Koalition, dass das
wichtige Thema Bildung und Betreuung mittlerweile
überall angekommen ist, auch durch die finanzielle Beteiligung des Bundes. In diesem Zusammenhang möchte
ich mich ausdrücklich bei unserem Finanzminister Peer
Steinbrück bedanken.
Diese Debatte und die Anträge der Opposition machen deutlich: Alle Fraktionen unterstützen mittlerweile
generell die große Linie beim Betreuungsausbau. Deshalb ist es für mich ein Rätsel, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dem Gesetzentwurf im Fachausschuss nicht zugestimmt haben. Die
unverbindliche - ich betone: unverbindliche - Absichtserklärung für ein Betreuungsgeld ist aus meiner Sicht
kein ausreichender Grund.
({2})
Oder geht Ihnen der Gesetzentwurf nicht weit genug?
Mit dem Rechtsanspruch ab 2013 haben wir die Zielmarke für den Betreuungsausbau definitiv und verbindlich festgelegt. Darauf können sich Kinder und Eltern
wirklich verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, es ist wirklich leicht, hier und heute einen noch umfangreicheren und noch schnelleren Ausbau
zu fordern. Na klar, wer möchte das nicht? Aber meinen
Sie nicht auch, dass wir, realistisch betrachtet, die Länder und Kommunen bei diesem ehrgeizigen Projekt mitnehmen und ihnen die Möglichkeiten zu diesem Ausbau
geben müssen? Aufbauend auf dem Kinderförderungsgesetz wollen wir zusammen mit den Ländern in einem
nächsten Schritt für einen weiteren Qualitätsschub in der
frühkindlichen Bildung sorgen.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Deligöz?
Gerne.
Frau Marks, Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehlt
der Glaube. Stimmen Sie mir zu, dass im Gesetz das stehen wird, was ich Ihnen jetzt vorlese?
Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder
im Alter von einem bis drei Jahren nicht in Tageseinrichtungen betreuen lassen wollen oder können,
eine monatliche Zahlung ({0}) eingeführt werden.
Frau Deligöz, der 18. Deutsche Bundestag wird über
das Betreuungsgeld entscheiden. Diese Entscheidung
wird nicht eher und nicht später fallen. Die SPD wird in
Regierungsverantwortung das Projekt Betreuungsgeld
verhindern.
({0})
- Ich denke, dann sind wir wieder mit Ihnen gemeinsam
in der Regierung. Daran arbeiten wir. Das ist doch ein
schönes Ziel.
({1})
- Ich habe gesagt, das ist ein schönes Ziel.
Aufbauend auf diesem wichtigen Gesetz wollen wir
für einen Qualitätsschub in der frühkindlichen Bildung
sorgen. Das können wir nur gemeinsam mit den Ländern
erreichen; denn diese sind mit den sogenannten Landeskitagesetzen letztlich dafür zuständig. Aber auch wir
werden initiativ.
Wir wollen qualifizierte und auch akademische Ausund Weiterbildung für Erzieherinnen und Erzieher. Wir
wollen gemeinsame Bildungsstandards. Wir wollen insbesondere den Spracherwerb aller Kinder verbessern;
denn nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund haben
sprachliche Defizite. Wir wollen für Tagesmütter und
Tagesväter verbindliche Qualifizierungsprogramme.
Auch sind uns eine bessere Entlohnung und soziale Absicherung in der Tagespflege wichtig. Gerade Frauen,
die verstärkt in der Tagespflege arbeiten, brauchen hier
unsere politische Unterstützung. Vor allem brauchen wir
einen besseren Betreuungsschlüssel; denn nur ein solcher erlaubt es, jedes Kind wirklich individuell zu fördern und Startschwierigkeiten auszugleichen.
Viele der Initiativen, die ich genannt habe, habe ich
zu meiner Freude im Entschließungsantrag der FDP wiedergefunden. Auch in der Ablehnung des Betreuungsgeldes sind wir uns einig. Aber für ein Koalitionsangebot
reicht das noch nicht; denn die Privatisierungs- und
Wettbewerbsorientierung, die Sie gern auch in der
Kinderbetreuung einführen wollen, steht einer stabilen
Beziehung definitiv im Wege.
({2})
Erleben wir nicht gerade auf den Finanzmärkten, welche Risiken ein unkontrollierter Wettbewerb birgt? In
Australien stand vor kurzem der größte private Anbieter
von Kinderbetreuung vor der Pleite. Können Sie sich
vorstellen, was der Wegfall von Tausenden Betreuungsplätzen für Kinder und Eltern bedeutet hätte?
Frau von der Leyen, da waren Sie wirklich auf dem
Holzweg. Mit der von Ihnen ursprünglich geplanten
zwingenden Gleichstellung privat-gewerblicher, gewinnorientierter Träger mit gemeinnützigen Trägern hätten
wir die Kinderbetreuung den freien Kräften des Marktes
überlassen.
({3})
Schlechtere Qualität, soziale Entmischung und größere
Ungleichheit in der Bildung wären vorprogrammiert gewesen; frühe Förderung und Integration, besonders von
benachteiligten Kindern, wären erschwert worden. Es ist
ein sozialdemokratischer Erfolg, dass wir die stärkere
Privatisierung der Kinderbetreuung verhindert haben.
Wir wollen Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern.
({4})
Mit dem heute zu beschließenden KiföG wird klar:
Der Bund steht zu seinen Zusagen. Nun sind die Länder
in der Pflicht, die von ihnen zugesagte Drittelfinanzierung einzuhalten. Dabei sollten sie sich allerdings kein
Beispiel an dem niedersächsischen Ministerpräsidenten
Wulff nehmen. Als Niedersächsin erlebe ich vor Ort, wie
er versucht, die Verantwortung des Landes auf den Bund
und die Kommunen abzuschieben. Weniger Landesmittel - im Klartext: in Niedersachsen nur 5 Prozent -, das
heißt: weniger Plätze für unter Dreijährige - und das in
einem Bundesland, das schon heute Schlusslicht beim
Betreuungsangebot ist.
Eltern und Kinder brauchen in ganz Deutschland ein
verlässliches und gutes Kita-Angebot. Mit dem Rechtsanspruch ab einem Jahr und der dauerhaften Beteiligung
des Bundes leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einem
familienfreundlicheren und vor allem zu einem wirklich
kindergerechten Deutschland.
({5})
Ich möchte mit einem Zitat von Nelson Mandela
schließen:
Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutlicher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht.
Unser Erfolg muss am Glück und Wohlergeben unserer Kinder gemessen werden, die in einer jeden
Gesellschaft zugleich die wunderbarsten Bürger
und deren größter Reichtum sind.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Johannes Singhammer, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Familien in Deutschland. Die Opposition sagt, es sei ein butterweiches Gesetz, das wir heute verabschieden werden.
({0})
Ich darf die knallharten Zahlen nennen:
({1})
750 000 Plätze werden bis 2013 geschaffen.
({2})
12 Milliarden Euro Steuergelder werden auf den unterschiedlichen Ebenen bewegt. Bereits jetzt werden jeden
Monat mehrere Tausend neue Plätze geschaffen.
Heute schließen wir ein Leuchtturmprojekt für die Familien mit Kindern ab: nach dem Elterngeld jetzt das
zweite große Vorhaben, das Kinderförderungsgesetz, mit
den klaren Zielsetzungen: Verdreifachung des Angebots,
Rechtsanspruch und Betreuungsgeld.
Nun ist über das Betreuungsgeld an dieser Stelle jetzt
schon vieles gesagt worden. Frau Gruß, das Betreuungsgeld ist weder ein Osterei noch ein Überraschungsei.
({3})
Es steht im Gesetzentwurf, und genau so wird es auch
kommen. Sie brauchen sich darüber keine Gedanken zu
machen.
({4})
Ein Gesetz ist ein Gesetz, und deshalb beschließen wir
es heute auch.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß?
Aber gerne.
Vielen Dank. - Welche Überraschungseier wir am
Sonntag erleben dürfen - insbesondere Ihre Partei -, das
lasse ich an dieser Stelle dahingestellt sein. Aber, Herr
Singhammer, ganz ernsthaft: Würden Sie mir zustimmen, dass Ihre Fraktion und auch Sie den Familien im
letzten Jahr durch 19 Maßnahmen, die die Steuern und
Abgaben erhöht haben, das Geld erst einmal aus der Tasche gezogen haben, das Sie nun mit Wahlkampfgetöse
als Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro zurückgeben
wollen? Summa summarum bleibt trotzdem weniger in
den Taschen der Familien, weil wegen der Maßnahmen,
die auch Sie beschlossen haben, eine durchschnittliche
vierköpfige Familie in diesem Jahr 1 600 Euro mehr ausgeben muss.
Frau Kollegin Gruß, halten Sie es wirklich für familienfeindlich, wie Sie hier sagen, dass wir als Große Koalition beschlossen haben, den Absetzungsbetrag für
Kinderbetreuung auf 4 000 Euro zu erhöhen, dass wir
das Elterngeld mit Zahlungen von bis zu 1 800 Euro und
einem Mindestbetrag von 300 Euro eingeführt haben,
({0})
dass wir den Kinderzuschlag erhöht haben und dass wir
eine Vielzahl weiterer Leistungen beschlossen haben?
Angesichts dessen können Sie hier doch nicht sagen, die
Familienleistungen seien zurückgefahren worden. Das
Gegenteil ist richtig: Wir haben sie ausgebaut.
({1})
Da Sie gerade dort stehen, frage ich Sie: Wie verhält
es sich mit Ihrem Verständnis von Liberalität, wenn Sie
so vehement gegen das Betreuungsgeld - es scheint für
Sie ja geradezu Teufelszeug zu sein - zu Felde ziehen?
({2})
Ist es liberal, frage ich Sie. Sie können jetzt leider nicht
antworten,
({3})
aber vielleicht in einer Kurzintervention darauf reagieren. Ist es liberal, wenn man die Kindererziehung, die zu
Hause erfolgt, unter den Verdacht stellt, sie könne unmöglich gelingen, die Kinder seien also generell gefährdet?
({4})
Ist es liberal, wenn Sie den Eindruck erwecken, als sei
eine Kindererziehung zu Hause durch Vater und Mutter
verzopft, also etwas, was man überhaupt nicht mehr zulassen könne? Ich frage Sie auch: Ist es liberal, wenn
man die Leistung einer Familienmanagerin abwertet?
({5})
Betreuungsgeld hat sehr viel mit den heute schon zu
Recht erwähnten Begriffen der Wahlfreiheit und des
Kindeswohls zu tun. Wahlfreiheit heißt, dass sich die Eltern das Lebensmodell aussuchen können, das für sie das
richtige ist,
({6})
dass wir es ihnen nicht vorschreiben und auch nicht
durch staatliche Subventionen einen bestimmten Weg
nahelegen. Das verstehen wir unter Wahlfreiheit.
({7})
Wir wollen, dass die Unterschiedlichkeit der Lebensmodelle auch tatsächlich ökonomisch möglich ist. Deshalb brauchen wir das Betreuungsgeld als einen kleinen
Ausgleich für die große Leistung, die die Familien in der
Kindererziehung erbringen.
({8})
Im Übrigen wollen 70 Prozent der Familien in Deutschland das Betreuungsgeld. Hier den Eindruck zu erwecken, als würde von uns etwas aufgedrängt, was niemand haben wolle, ist völlig falsch. Gerade die Familien
mit Kindern warten auf diese Möglichkeit, um damit ihr
Leben besser gestalten zu können.
({9})
- Sie brauchen Betreuung, aber auch die Möglichkeit,
ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das, was Sie mit dieser Diskussion beginnen, ist ein Rückfall in alte Stereotypen. Wir haben diese Diskussion überwunden; dies gilt
auch für all diese unseligen Ausdrücke wie Heimchen
am Herd, Herdprämie und Rabenmutter. Wir sagen: Jeder soll selbst entscheiden, wie er leben möchte. Wir
wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Deshalb brauchen wir die Betreuungsplätze.
Wir wollen denjenigen, die es jetzt aus bestimmten
Gründen nicht können oder wollen, auch die Möglichkeit eröffnen, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das ist
Wahlfreiheit. Diese setzen wir um.
({10})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich auch noch einmal auf die Haltung der Linken eingehen. Sie von der Linken erwecken hier immer den
Eindruck, als seien noch höhere Ausgaben nötig.
12 Milliarden Euro seien noch zu wenig. Man müsse
noch etwas drauflegen. Genaue Summen werden aber
nicht genannt, und Sie verschweigen auch, woher das
Geld kommen soll. Aber letztendlich - darauf kommt es
mir an - verfolgen Sie ein ganz anderes Familienbild.
Nach Ihrem Familienbild wird den Familien und den Eltern letztendlich das Erziehungsrecht abgesprochen.
({11})
Sie setzen auf einen großen Anteil staatlicher Erziehung.
Sie trauen den Eltern kaum etwas zu.
({12})
Sie sind der Meinung, dass die Kinder besser in Erziehungseinrichtungen aufgehoben sind.
({13})
An dieser Stelle sage ich ganz klar: Das wollen wir
nicht. Wir vertrauen den Eltern und wissen, dass es dem
Kindeswohl am Besten entspricht, wenn die Eltern selbst
entscheiden können,
({14})
wie sie die Erziehung regeln und wie sie das Familienleben organisieren.
({15})
Dagegen sichert unser Gesetzesvorschlag, den wir
heute beschließen werden, nicht nur die Wahlfreiheit,
sondern garantiert auch das Kindeswohl.
({16})
Zur letzten Rede in dieser Debatte erteile ich Kollegin
Kerstin Griese, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
wieder etwas Gelassenheit in die Debatte zu bringen,
lassen Sie mich sagen: Auch beim Thema Betreuungsgeld gilt die Wahlfreiheit. Darüber werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden, und zwar 2012/2013. Ich
bin mir sicher, dass dann niemand mehr das Betreuungsgeld will.
({0})
Ich kann nur Frau von der Leyen zitieren: Die Einführung eines Betreuungsgeldes wäre eine bildungspolitische Katastrophe.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen besonders von den
Grünen und von der Linksfraktion, Sie haben kritisiert,
im Gesetzentwurf sei keine Rede von der Qualität der
Kinderbetreuung. Ich will Ihnen da ganz entschieden
widersprechen. In der Tat haben wir in den letzten Jahren - das war nötig; das war auch gut so - viel für die
Quantität der Kinderbetreuung getan. Es geht uns aber
immer auch um die Qualität. Wir haben zum Beispiel
eindeutig festgelegt, dass parallel zum Ausbau der Kindertagespflege - an dieser Stelle ist das ganz besonders
wichtig - auch eine pädagogische Ausbildung von Tagesmüttern, Tagesvätern und Tagesgroßeltern zur Pflicht
gemacht wird, damit auch die Betreuung durch diesen
Personenkreis immer mit einer pädagogischen Qualifikation verbunden ist. Auch das ist ein Schritt vorwärts.
Das war bisher nicht einheitlich festgelegt.
Meine Damen und Herren besonders von der FDP,
nun zum Thema privat-gewerbliche Kinderbetreuung.
Ich will unsere Auffassung einfach noch einmal erklären. Wir von der SPD - ich glaube, da spreche ich auch
für den Koalitionspartner - haben überhaupt nichts gegen private Elterninitiativen und gegen Betriebskindergärten. Diese sind übrigens auch alle gemeinnützig. Das
sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und nicht immer
durcheinanderwerfen. Es ist gut, dass es diese Vielfalt,
diese breite Landschaft der privaten Träger, in Form von
kirchlichen Trägern und Wohlfahrtsverbänden, gibt. Wir
haben also überhaupt nichts gegen private Kinderbetreuung. Wir haben nur etwas dagegen, wenn Kinderbetreuung aus rein kommerziellen Gründen von Unternehmen
betrieben wird, die ausschließlich Gewinn erzielen wollen.
({2})
Das heißt, Privatinitiativen sind willkommen und können entsprechend gefördert werden, wenn sie Qualitätsstandards und rechtlichen Standards genügen. Darum
geht es also eigentlich.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden
hier heute neben dem Gesetz zum Elterngeld einen weiteren großen Meilenstein der Familienpolitik in dieser
Wahlperiode. Zentrale Ziele unserer Politik sind erstens,
Kinder besser und früher zu fördern - das ist heute schon
deutlich geworden -, zweitens, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, und drittens - das ist mir
ganz wichtig - Armutsprävention bei Kindern und Eltern. Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden,
wirkt sehr zielgenau, insbesondere bei der Armutsprävention, weil allen Kindern gute und gleiche Chancen
auf frühkindliche Bildung und Erziehungshilfe gegeben
werden.
({4})
Ein solcher Erfolg hat ja immer viele Mütter und Väter. Ich möchte in diesem Fall einmal drei Mütter und einen Vater nennen, bei denen wir uns ganz herzlich
bedanken möchten. Im Zuge des Kinderförderungsgesetzes, das wir heute verabschieden, werden ja 4 Milliarden
Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Jeder, der sagt, das sei zu wenig, sollte bei der Debatte einmal ernsthaft die heutigen Zustände mit den Zuständen
von vor zehn oder acht Jahren in Deutschland vergleichen. Wir sind riesige Schritte gegangen. Dass heute der
Bundesfinanzminister bereit ist, 4 Milliarden Euro für
den Ausbau bereitzustellen, ist ein großes Dankeschön
wert.
({5})
Ich möchte mich natürlich bei den Müttern dieses
Gesetzentwurfs bedanken. Ich möchte gerne mit Renate
Schmidt beginnen, die mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz die ersten Weichen gestellt hat, damit wir in
Deutschland vorankommen.
({6})
Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen, dafür bedanken, dass Sie diesen Gesetzentwurf mit uns durchgekämpft haben und dass wir
nun einen weiteren Meilenstein setzen können.
({7})
Und ich möchte mich bei der Kollegin Nicolette
Kressl bedanken, die - das muss man auch mal sagen die gute Idee hatte, den Ausbau und die Finanzierung der
Kinderbetreuung mit dem Rechtsanspruch zu koppeln.
Das war eine kluge Lösung, die uns voranbringt. Denn
nun kann das Geld, das wir als Bund geben, in den Ländern und Kommunen tatsächlich mit Einführung des
Rechtsanspruchs zum Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Einen herzlichen Dank also diesen Müttern und Vätern!
({8})
Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich noch
einen Schritt weiter gehen. Es ist mir nämlich als Sozial19258
demokratin wichtig - ich hoffe, dass es allen in diesem
Hause wichtig ist -, dass wir uns noch intensiver mit
dem Thema Armutsrisiko von Kindern beschäftigen
und diese Problematik noch stärker angehen. Vieles, was
in dem Gesetzentwurf steht, hilft dabei. Es hilft dabei,
dass vor Ort Eltern-Kind-Zentren entstehen können und
eine bessere Qualität in der frühkindlichen Bildung entstehen kann. Wir brauchen auf der kommunalen Ebene
noch mehr Netzwerke für das gesunde Aufwachsen von
Kindern, und - das sage ich auch ganz deutlich - wir
wollen darüber nachdenken, wie man ein gesundes Mittagessen in den Kindertagesstätten und in den Ganztagsschulen ermöglichen kann.
({9})
Wir wollen - und deshalb ist auch die Debatte um die
Qualität in der Kinderbetreuung richtig und gut - Eltern in
Eltern-Kind-Zentren, in Familienzentren und in Mehrgenerationenhäusern stärker einbinden. Denn die Kompetenz der Eltern ist gefragt. Es reicht nicht mehr aus - das
sage ich auch in Richtung einiger Debattenredner -, Erziehung durch Eltern und Erziehung durch Kindertagesstätten gegeneinander auszuspielen. Das bringt gar nichts.
Vielmehr müssen diese Elemente immer zusammenwirken, und deshalb ist die vernetzte Arbeit in Eltern-KindZentren sehr wichtig.
({10})
An die Adresse der Länder sage ich allerdings ganz
eindeutig: Der Bund wird nicht alles machen können. Es
geht darum, auch über die Betreuungsschlüssel die Betreuungsqualität zu verbessern. Wir als SPD haben in unserem Zehnpunkteplan gegen Kinderarmut sehr mutig
gesagt: Ein qualitativ guter Betreuungsschlüssel ist 1 : 4
bei Kindern unter drei und 1 : 8 bei Kindern über drei.
Diesen gilt es dann auch umzusetzen. Das ist der in der
Wissenschaft anerkannte Schlüssel, und auch darum
geht es, wenn die Betreuungsqualität verbessert werden
muss.
({11})
Genauso geht es um Gebührenfreiheit. Ich bin froh,
dass viele Länder - Rheinland-Pfalz hat als erstes Land
damit begonnen - jetzt über die Gebührenfreiheit nicht
nur nachdenken, sondern Gebührenfreiheit für Kinderbetreuung einführen. Denn für uns muss Bildung gebührenfrei sein - von der Kinderkrippe bis zum Studium.
Schließlich hängen gleiche Bildungschancen damit zusammen.
Ich sage auch: Wir sind im Bund mit dem, was wir
machen können, noch nicht fertig. Wir werden darüber
debattieren, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein
muss. Wir werden über einen Kindergrundfreibetrag und
einen gerechten Familienlastenausgleich diskutieren, damit tatsächlich alle Familien und alle Kinder gleichermaßen davon profitieren können.
Ein weiterer Punkt, der uns hier im Bund zu Recht
weiter verfolgen wird und über den wir debattieren werden, ist das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz.
Auch dieses Thema gehört mit dazu, wenn wir heute
über ein Kinderförderungsgesetz sprechen. Auch diesen
Schritt können wir hier im Bundestag gemeinsam gehen.
({12})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum Entwurf dieses Kinderförderungsgesetzes eine sehr breite
Zustimmung bekommen. Wir haben eine Anhörung
durchgeführt, in der aus den Reihen der Wissenschaft
und der Verbände große Unterstützung für diesen Gesetzentwurf signalisiert wurde. Wir wissen aufgrund der
öffentlichen Meinung, dass viele auf dieses Gesetz gewartet haben. Es gibt viele, die sagen: Endlich beginnt
der Weg zum Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag. Und vor allem erfahren wir von jungen Eltern und jungen Familien sehr
viel Zuspruch.
Ich denke, das sollte uns ein Zeichen sein. Lassen Sie
uns doch einfach alle gemeinsam für dieses Kinderförderungsgesetz stimmen. Es ist ein guter Schritt für dieses
Land. Es ist ein guter Schritt für die Familien und insbesondere für die Kinder. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({13})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Förderung von Kindern unter drei Jahren
in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Der
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/10357, den Gesetzentwurf der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/9299 in
der Ausschussfassung anzunehmen.
Zur Abstimmung liegt mir eine Erklärung des Kolle-
gen Dörflinger vor.1)
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in
der zweiten Lesung angenommen.
({0})
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10381? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie-
1) Anlage 2
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
ßungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei
Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10382? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der Fraktionen des Hauses gegen
die Stimmen der Linksfraktion abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10383? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD
und FDP bei Zustimmung der Fraktion der Grünen und
Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Wir setzen mit der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend auf Drucksache 16/10357 fort.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in
Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege auf
Drucksache 16/10173 für erledigt zu erklären. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe!
- Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.
Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt sodann unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7114 mit
dem Titel „Bildungspolitische Katastrophe verhindern Betreuungsgeld eine Absage erteilen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen.
Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8406
mit dem Titel „Faire Chancen für private und privatgewerbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung - ohne
weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes
vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die
Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9305 mit dem
Titel „Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen - Kommerzialisierung der Kinder- und Jugendhilfe vermeiden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 32 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/6534. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der
FDP auf Drucksache 16/5114 mit dem Titel „Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/5426 mit dem Titel „Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbetreuung jetzt regeln - Verlässlichkeit
für Familie schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf
Drucksache 16/6817. Der Ausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6597
mit dem Titel „Chancengerechtigkeit von Beginn an“.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6601
mit dem Titel „Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln, Fachkräften und Qualität ausstatten - Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6607
mit dem Titel „Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen - Realisierung nicht erst 2013“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion der
Grünen bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der
Linken angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel
Bahr ({1}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad
Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der FDP
Gesundheitsfonds und staatliche Beitragssatzfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einführen
- Drucksache 16/9805 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Be19260
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
vor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen, die
an der kommenden Debatte nicht teilnehmen möchten,
möglichst schnell den Saal zu verlassen, damit wir in
Ruhe fortfahren können.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Daniel Bahr für die FDP-Fraktion das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Gesundheitsfonds sollte das Herzstück der schwarzroten Gesundheitsreform werden. Er sollte die Transparenz verbessern, die Effizienz und den Wettbewerb im
Gesundheitswesen stärken. Das war die Begründung, die
Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der
Beschlussfassung zum Gesundheitsfonds seinerzeit hier,
im Deutschen Bundestag, angeführt haben.
Bei der Vorbereitung auf diese Debatte fiel es mir
wirklich schwer, so lautende aktuelle Zitate von Koalitionsabgeordneten oder Spitzenvertretern der Koalition
zu finden. Es gibt niemanden mehr, der den Gesundheitsfonds und die Gesundheitsreform insgesamt wirklich mit Nachdruck verteidigt. Selbst die Bundeskanzlerin hat letzte Woche in der Haushaltsdebatte - man hätte
ja erwarten können, dass sie die letzten großen Projekte
dieser Legislaturperiode anspricht - nicht ein Mal vom
Gesundheitsfonds gesprochen, diesen Begriff nicht einmal in den Mund genommen. Das zeigt doch eines: Sie
verschweigen den Gesundheitsfonds mittlerweile, weil
Sie sich für Ihren verkorksten Kompromiss schämen.
({0})
Heute werden wir wieder hören, dass alles nach Plan
läuft, dass alles so gedacht war und gemacht wird, wie es
im Gesetz steht. Warum scheuen Sie eigentlich eine Abstimmung? Keiner will den Gesundheitsfonds noch: Die
Krankenhäuser wollen ihn nicht; die Ärzte wollen ihn
nicht; die Krankenkassen wollen ihn nicht; die Gewerkschaften wollen ihn nicht; die Arbeitgeber wollen ihn
nicht; die große Mehrheit der Bevölkerung will den Gesundheitsfonds nicht; die Grünen und die FDP wollen
ihn seit langem nicht; mittlerweile will auch die Fraktion
der Linken den Gesundheitsfonds nicht mehr.
Auch aus Ihren eigenen Reihen findet man zahlreiche
Stimmen dagegen. Der Bundeswirtschaftsminister
Michael Glos sagt, der Kompromiss zum Gesundheitsfonds sei wirtschafts- und ordnungspolitisch einfach unbrauchbar. Herr Beckstein, noch Ministerpräsident in
Bayern, sagt: Der Gesundheitsfonds war nie ein Kind
der CSU. Auch von der SPD hören wir solche Töne.
Frau Reimann, gesundheitspolitische Sprecherin der
SPD, sagt, der Fonds sei auch in ihrer Partei ein ungeliebtes Kind.
({1})
Und Herr Lauterbach von der SPD sagt, die Einführung
des Fonds sei nie ein Projekt der SPD gewesen. In der
CDU heißt es, der Fonds führe zu neuem Staatsdirigismus und zu einem unerträglichen Verwaltungsmoloch.
Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung sagt: Wer den
Weg in die Staatsmedizin stoppen will, muss endgültig
auf den Fonds verzichten.
({2})
Wir werden erleben, wie Sie beide, die Sie diesen
Kompromiss geschlossen haben, sich im nächsten Jahr
im Wahlkampf zur Bundestagswahl vom Gesundheitsfonds und der Gesundheitsreform massiv distanzieren
werden. Sie werden so tun, als ob Sie das, was entstanden ist, nie haben bewirken wollen. Das heißt, Sie beide
werden einen Wahlkampf gegen das führen, was Sie gemeinsam hier beschlossen haben und gegen den breiten
Widerstand in der Bevölkerung wie auch gegen jeden
Sachverstand durchsetzen wollen.
({3})
Der Gesundheitsfonds ebnet den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Die
Kombination aus einem Spitzenverband der Krankenkassen, dem Gesundheitsfonds, der staatlichen Beitragssatzfestsetzung und einem wachsenden Einfluss des Gesundheitsministeriums auf das Gesundheitswesen zeigt,
dass Sie den Staatseinfluss auf das Gesundheitswesen
weiter ausbauen.
Man braucht nur in Länder zu schauen, die staatliche
Gesundheitswesen haben. Schauen Sie einmal nach
Großbritannien. Dort gibt es Mangelverwaltung, krassere Unterschiede in einer Zweiklassenmedizin und sehr
lange Wartezeiten. Warum wollen die Briten nach
Deutschland kommen und im deutschen Gesundheitswesen behandelt werden? Weil sie die Nachteile eines staatlichen Gesundheitswesens sehen. Deswegen löst der
Weg in ein staatliches Gesundheitswesen nicht die Probleme, vor denen wir stehen. Im Gegenteil: Das staatliche Gesundheitswesen wird die Probleme einer alternden Bevölkerung noch verschärfen. Deswegen ist der
Gesundheitsfonds, der ein Weg in dieses staatliche Gesundheitswesen ist, fatal. Denn er löst die Probleme einer alternden Bevölkerung überhaupt nicht, sondern verschärft sie.
({4})
Wir sehen doch schon die Folgen. Die Krankenkassen
kündigen zahlreiche Versorgungsverträge, zum Beispiel
in der Sozialpsychiatrie. Ersatzkassen haben Onkologieverträge gekündigt. Die Barmer hat den Hausärztevertrag gekündigt. Die DAK hat Auslandsschutzimpfungen
aus der Satzung gestrichen. Daran sehen wir, dass die
Krankenkassen größte Sorge haben, weil sie selbst demnächst nicht mehr entscheiden dürfen, wie hoch ihre Beiträge sind
({5})
und wie viel Geld ihnen damit für die Versorgung zur
Verfügung steht. Denn das werden demnächst Sie entscheiden. Demnächst wird die Regierung jedes Jahr entscheiden, wie viel Geld dem Gesundheitswesen für das
nächste Jahr zur Verfügung steht. Damit gehen wir den
Daniel Bahr ({6})
Weg in ein Gesundheitssystem nach Zuteilung und Kassenlage.
({7})
Demos wie die, die wir gestern und in den letzten Tagen
erlebt haben, werden uns dann jedes Jahr bevorstehen.
Am Anfang der Legislaturperiode, als keine Landtagswahlen bevorstanden und die Bundestagswahl noch
weit weg war, haben Sie den Krankenhäusern Geld gestrichen. Sie haben die Mittel für die Krankenhäuser
gekürzt. Sie haben gesagt, dass die Krankenhäuser das
Geld nicht brauchen. Jetzt, da am kommenden Sonntag
in Bayern eine wichtige Landtagswahl
({8})
und im nächsten Jahr die Bundestagswahl anstehen, versprechen Sie den Krankenhäusern plötzlich wieder mehr
Geld. Frau Schmidt, Ihnen nimmt niemand ab, dass Sie
sich jetzt für die Interessen der Krankenhäuser, der Pflegerinnen und Pfleger und der Ärztinnen und Ärzte einsetzen wollen. Denn das haben Sie in den letzten siebeneinhalb Jahren nie getan.
({9})
Daran sieht man doch, dass es Ihnen nur darum geht,
sich jetzt bei den Ärztinnen und Ärzten und den Krankenhäusern Ruhe zu erkaufen, um eine verfehlte und
verkorkste Gesundheitsreform umzusetzen. Strukturell
wollen Sie doch daran nichts verbessern.
({10})
Schauen wir uns einmal an, wie sich ein solcher Gesundheitsfonds mit einem Einheitsbeitragssatz, den die
Regierung demnächst festsetzt, auswirken wird. Sie alle
haben mich im Januar, als wir davor gewarnt haben, dass
der Einheitsbeitragssatz bei 15,5 Prozent liegen könnte,
in der Debatte als unseriös beschimpft. Mir liegen die
Zitate noch vor. Heute rechnet selbst Herr Zöller nach einer Aussage von gestern in einem Radiointerview mit einem Beitragssatz von 15,6 Prozent.
Was bedeutet das denn, Herr Zöller, beispielsweise
für eine bayerische Stadt wie Ingolstadt? In Ingolstadt ist
Audi ein großer Arbeitgeber. Die Audi-BKK versichert
einen stattlichen Teil der Ingolstädter. Wenn wir einen
Einheitsbeitragssatz von 15,5 Prozent hätten, müssten
die Versicherten der Audi-BKK 5,4 Millionen Euro
mehr Beiträge zahlen. Die gleiche Summe müsste auch
von den Arbeitgebern, von der Audi AG, gezahlt werden.
({11})
Das heißt, es wären 10,8 Millionen Euro Mehraufwendungen. Wir wissen noch nicht, wie sich die einheitliche Vergütung der Ärzte auf Ingolstadt auswirken wird.
Dies hat wahrscheinlich einen Kaufkraftverlust zur
Folge; Sie ziehen damit Kaufkraft aus Ingolstadt ab.
Glauben Sie nicht, dass diese Riesenumverteilung,
die Sie jetzt über den Gesundheitsfonds organisieren,
keine regionalen Folgen hat! Schauen Sie sich an, wie es
sich vor Ort auswirken wird, dass Sie das Geld dort abziehen, weil Sie es in eine Geldumverteilungsbehörde
- genannt Gesundheitsfonds - stecken mit dem vermeintlichen Ziel, das Geld besser umzuverteilen! In
Wahrheit bleibt es in einem enormen Verwaltungsaufwand mit Bürokratiekosten stecken.
({12})
Nun sagt die Union ja immer, dass es dann Wettbewerb zwischen den Krankenkassen geben wird.
({13})
Die einen werden Auszahlungen vornehmen, die anderen werden Zusatzbeiträge verlangen. Mitnichten! Die
Beitragsunterschiede der Krankenkassen werden geringer. Es gibt überhaupt keinen Anreiz für die Krankenkassen, einen Zusatzbeitrag zu verlangen. Die Höhe des
Zusatzbeitrags hängt von vielen Faktoren ab: Anzahl der
Mitversicherten, Anzahl der schlechten Risiken, Anzahl
der Geringverdiener. Sie brandmarken sogar Krankenkassen, die einen Zusatzbeitrag verlangen wollen.
Frau von der Leyen - sie hat übrigens heute erklärt,
sie stehe als nächste Gesundheitsministerin bereit; das
habe ich gelesen; Frau Schmidt, langsam müssen Sie
aufpassen, dass andere Sie nicht schon infrage stellen hat Krankenkassen beschimpft und gesagt: Wenn sie einen Zusatzbeitrag verlangen, dann macht das deutlich,
dass sie unwirtschaftlich sind. Meinen Sie, dass das für
Krankenkassen ein Anreiz ist, einen Zusatzbeitrag für
bessere Versorgung zu verlangen? Das, was Sie hier angehen, ist der Weg in ein Einheitskassensystem mit Einheitsbeiträgen und Einheitsleistungen. Die Unterschiede
zwischen den Krankenkassen werden immer geringer.
Sie werden sich noch wundern. Irgendwann wird sich
die Frage stellen: Wenn wir schon einen Gesundheitsfonds haben, warum schafft man dann nicht gleich eine
Einheitskasse und unterstellt sie dem Gesundheitsministerium?
({14})
Wenn Sie von der CDU/CSU jetzt glauben, dass das
alles Oppositionsgetöse der FDP sei,
({15})
dann will ich Ihnen nur sagen: Das ist genau das, was
das Gesundheitsministerium von Frau Schmidt immer
wollte. Sie hat in einem Interview gesagt, dass sie in
dem Gesundheitsfonds einen großen Schritt in Richtung
einer Einheitsversicherung, genannt Bürgerversicherung, sieht. Sie sagte in einem Interview wortwörtlich:
„Für eine Bürgerversicherung bräuchten wir nur eine
Gesetzesänderung“. Daran erkennen Sie, wie einfluss19262
Daniel Bahr ({16})
reich das Gesundheitsministerium in der Ausgestaltung
dieser Gesundheitsreform ist.
Meine Damen und Herren von der Koalition, ziehen
Sie daraus jetzt noch Konsequenzen. Es wäre besser, den
Fonds wieder einzustampfen. Es wäre das Mindeste, die
Einführung des Gesundheitsfonds vom 1. Januar 2009
auf das Jahr 2010 zu verschieben, damit hier keine Vorentscheidungen getroffen werden, die es schwermachen,
das Gesundheitswesen noch in eine andere Richtung
weiterzuentwickeln.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({17})
Für die Bundesregierung hat nun Frau Staatsministerin Hildegard Müller das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist
heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag.
({0})
Ich darf sie zu einem Themenkomplex halten, der mich
bereits vor sechs Jahren, als ich mich in diesem Hohen
Haus erstmals aktiv beteiligen durfte, beschäftigt hat,
nämlich die Zukunft des Gesundheitswesens.
Meine Damen und Herren von der FDP, Stichwort
„die Wahrheit sagen“: Was ich in diesem Hause wirklich
gelernt habe, das ist, zu schwierigen Entscheidungen zu
stehen, auch wenn sie unbeliebt sind.
({1})
Das müssen wir gerade im Gesundheitswesen tun. Ich
kann im Hinblick auf meinen Vorredner wirklich nicht
erkennen, ob Sie mehr oder weniger Geld ausgeben wollen. Das, was Sie hier gerade dargestellt haben, kann eigentlich nicht Aufgabe der FDP sein. Ich hätte mir einen
ernsthafteren Umgang mit diesem Thema gewünscht.
Sowohl die Linksfraktion gestern als auch die FDPFraktion heute präsentieren nämlich nur Schaufensteranträge. Es geht Ihnen doch nicht darum, die Probleme zu
lösen. Es geht Ihnen darum, vor der Bayernwahl einen
wie auch immer gearteten Blick auf diese Probleme zu
werfen und die bayerischen Wähler vor der Landtagswahl mit destruktiven Gedanken zu verunsichern.
({2})
Konstruktiv ist dieser Beitrag hier nicht. Er hilft weder
den Patienten und Versicherten noch denjenigen, die im
Gesundheitssystem arbeiten.
Ich habe mir vorgenommen, schon gleich zu Anfang
meiner Rede hier zu sagen: Lassen Sie sich nicht täuschen, weder aus der einen noch aus der anderen Richtung. Der Gesundheitsfonds kommt, und zwar pünktlich
zum 1. Januar 2009. Diese Reform, meine Damen und
Herren und vor allem liebe Bürgerinnen und Bürger in
diesem Lande, verbessert die Versorgung. Sie spart nicht
an Leistungen und sie wird endlich auch für Patienten
eine Vergleichbarkeit von Angeboten schaffen
({3})
und den Patienten damit mehr Wahlfreiheit bieten als
bisher.
({4})
Schon als ich vor sechs Jahren meine Parlamentsarbeit im damaligen Ausschuss für Gesundheit und Soziale
Sicherung beginnen durfte - Herr Spieth, Sie sind Gott
sei Dank noch nicht so lange dabei; vielleicht werden Sie
auch in Zukunft nicht mehr hier sein -,
({5})
gab es intensive Debatten über Strukturen und Sparpakete.
({6})
- Doch. Auch ich bin ein Bürger, ein Wähler, und ich
hoffe, dass ich das mit entscheiden kann. Ich werde jedenfalls alles dafür tun.
({7})
Heute sind wir uns in einem Punkt sicherlich einig:
Die gute medizinische Versorgung in Deutschland wird
teurer werden. Das müssen wir den Menschen sagen.
Das hat drei Ursachen, die nicht wegzudiskutieren sind:
Der demografische Wandel; er ist in den meisten europäischen Staaten mit Problemen verbunden. Es ist
wunderbar, dass die Lebenserwartung steigt, und sie
steigt weiter. Aber das wird zu mehr Kosten im Gesundheitssystem führen.
Der medizinische Fortschritt. Zahlreiche Krankheiten, die noch vor Jahrzehnten zum Tode geführt haben,
können heute Gott sei Dank erfolgreich bekämpft werden. Um ein Beispiel zu geben: Eine Knochenmarktransplantation kann Menschenleben retten. Sie kostet rund
80 000 Euro. Diese Summe entspricht den Krankenversicherungsbeiträgen, die ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter in etwa 40 Jahren leistet. Trotzdem
brauchen und wollen wir genau diesen medizinischen
Fortschritt.
({8})
Das Dritte ist die Zunahme chronischer Krankheiten, wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie
bedeuten für die Betroffenen eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität und für das Gesundheitssystem deutliche Mehrausgaben. Diese Erkrankungen sind
im Übrigen in hohem Maße auf Fehlernährung und mangelnde Bewegung zurückzuführen. Deshalb ist es wichtig, im Gesundheitssystem die Eigenverantwortung
der Patienten zu stärken und damit zu einer nachhaltigen Gesundheitspolitik zu kommen. Diese Reform ist
ein Schritt in diese Richtung.
({9})
Wer jetzt vor den steigenden Beiträgen in der Krankenversicherung warnt, kann diese drei Gründe gerne
anführen. Aber der Gesundheitsfonds gehört wirklich
nicht dazu. Seien Sie so ehrlich, dies auch einzuräumen.
Ich lade Sie herzlich dazu ein, sich an der Suche nach
Lösungen zu beteiligen.
({10})
Die bloße Forderung nach einem Stopp kann nicht die
Antwort auf die Situation sein.
Wer, wie gesagt, vor den steigenden Beiträgen zur
Krankenversicherung warnt, dem möchte ich noch einmal sagen: Dieses Geld ist kein Placebo. Der Sparbeitrag
der Krankenhäuser lag bei 220 Millionen Euro. Denn
auch in Krankenhäusern sind Strukturreformen notwendig.
({11})
Jetzt nehmen wir aufgrund der neuen Herausforderungen
über 3 Milliarden Euro in die Hand. Dieses Geld kommt
vom Beitragszahler. Das, was gestern einige Funktionäre
abgezogen haben, um sowohl die Beschäftigten, die in
den Krankenhäusern großartige Arbeit leisten, als auch
die Patientinnen und Patienten in diesem Land zu verunsichern, finde ich eine wirkliche Frechheit; das muss ich
sagen.
({12})
Wer einfach nur mehr Geld fordert, ohne selber auch nur
einen kleinen konstruktiven Beitrag dabei zu leisten, wie
Überkapazitäten im Krankenhaus abgebaut und viele andere Probleme gelöst werden können ({13})
- ich spreche über die Funktionäre, Frau Bender -, der
macht sich unglaubwürdig und verdient es nicht, von der
Politik gehört zu werden.
({14})
Deshalb setzen wir die 3 Milliarden Euro da ein, wo es
strukturell nötig ist. Aber wir fordern auch die Krankenhäuser auf, sich an den Veränderungen zu beteiligen.
({15})
Den Fonds kann man nicht für alles verantwortlich
machen. Wer vor den steigenden Beiträgen warnt, der
kann auch gerne den Leistungsumfang einschränken.
Mit dem Fonds gibt es weder neue Zuzahlungsregelungen noch Einschnitte in den Leistungskatalog. Im Gegenteil: Die Krankenversorgung verbessert sich. MutterKind-Kuren und Impfungen werden zu Pflichtleistungen, ein Rechtsanspruch auf Rehabilitation wird eingeführt und noch vieles mehr. Deshalb ist es unredlich,
angesichts dieser Fakten eine Absenkung des medizinischen Versorgungsniveaus oder drohende Leistungseinschränkungen an die Wand zu malen. Die Einführung
des Fonds ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung.
Meine lieben Damen und Herren von der FDP, ich
möchte nicht falsch verstanden werden. Hier werden
nicht wahllos mit dem Füllhorn Wohltaten verteilt. Vielmehr ist es so, dass dort, wo es wirklich nötig und teilweise überfällig ist, Geld in die Hand genommen wird.
Ein Beispiel dafür sind die Ärzte. Für sie werden über
2,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Damit sichern wir die
Freiberuflichkeit der Ärzte, eine Forderung, die Sie immer erhoben haben. Wir sichern damit auch die Versorgung für die Patienten. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt.
({16})
Diese Reform wird auch zu mehr Wahlfreiheit und
Wettbewerb führen. Es kommt eben nicht die Einheitskasse, wie Sie das immer beschwören. Ich nenne hier einige Stichworte. Sie können sich jetzt als Versicherter in
Zukunft die Tarife selber zusammenstellen, wie man das
bisher sonst nur von privaten Krankenkassen kannte:
Selbstbehalttarife, Tarife mit Kostenerstattung, Hausarzttarife, besondere Behandlungsmethoden. All das ist
das genaue Gegenteil von staatlicher Einheitsmedizin,
wie manche Kritiker sie hier sehen.
({17})
Es wird mehr Versorgungsmodelle und mehr Versicherungstarife geben. Das ist mit dem jetzigen System
nicht möglich. Deshalb wird der Wettbewerb zu- statt
abnehmen. Das merken inzwischen auch diejenigen, die
eine Verschiebung gefordert haben. Bei den Krankenkassen kommt es bereits zu ersten Überlegungen zu
Strukturveränderungen, etwa ob sie wettbewerbsfähig
sind und ob sie sich neu aufstellen müssen. Auch meine
eigene Krankenkasse, eine AOK, kommt auf einmal mit
Angeboten auf mich zu, von denen ich in der Vergangenheit nur träumen konnte. Das ist genau das, was wir
wollten. Deshalb ist das, was wir heute tun, richtig.
({18})
Ich sage noch einmal: Die Krankenkassen können
von dem Beitrag abweichen. Sprechen Sie hier doch
nicht von einem Einheitsbeitrag. Endlich ist es möglich,
dass die Kassen von dem allgemeinen Beitrag abweichen können und dass der Versicherte die Wahlfreiheit
erhält, zu einer Kasse zu gehen, wo er zum Beispiel
Rückerstattungen bekommt. Das stärkt den Versicherten. Fragen Sie Ihre Krankenkasse, warum sie teurer ist
als andere. Da wir die Risiken ausgleichen, liegt es am
Management. Wechseln Sie Ihre Krankenkasse, wenn
Ihre eigene Krankenkasse ein schlechtes Management
hat. Das ist wichtig, und das wird durch den Fonds ermöglicht.
({19})
Wir schaffen auch Transparenz. Beispielsweise ist
die Verschuldung von Krankenkassen bisher nie aufgefallen. Als ich anfing, im Deutschen Bundestag zu arbeiten, war eine der wichtigsten Fragen, herauszufinden,
wie groß die gesetzwidrige Verschuldung der Krankenkassen ist.
({20})
So wurden im AOK-System größtenteils keine Rückstellungen für die Beschäftigten gemacht. Über
10 Milliarden Euro an Verschuldung wurden damals
nicht erkannt. Die Situation ist jetzt dafür genutzt worden, Schulden abzubauen. Nehmen Sie das doch einmal
zur Kenntnis.
({21})
- Sie dürfen sich nicht verschulden, weil sie sich damit
der Verantwortung für die künftigen Generationen in
diesem Land verweigern.
({22})
Wenn Sie von den Linken eine Politik machen, die den
jungen Menschen keine Perspektive bietet, dann mag
das Ihr Beitrag sein.
Wir leisten einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Erst dann, wenn die Verschuldung zurückgefahren
ist, können auch Rücklagen aufgebaut werden.
({23})
Ich denke, ich bin mir mit der FDP völlig einig, wie
wichtig das ist. Lieber Daniel Bahr, wir haben lange gemeinsam dafür gestritten, dass endlich Rücklagen für die
junge Generation in die Sozialsysteme eingebaut werden.
({24})
Außerdem machen wir einen Schritt in Richtung Entkoppelung von den Arbeitskosten;
({25})
das ist richtig. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen:
Mit der solidarischen Gesundheitsprämie hat die Union
ein ordnungspolitisch überzeugendes und zukunftsverantwortliches Modell entwickelt. Es wäre ein richtiger
und wichtiger Schritt, die Gesundheitsvorsorge von den
Arbeitskosten abzukoppeln. Leider konnten wir uns mit
unserem Koalitionspartner nicht auf dieses soziale und
wegweisende Reformkonzept einigen.
({26})
Ich bleibe aber dabei: Der Sozialausgleich über Steuern ist gerechter, als die Beschäftigten in diesem Land
weiterhin durch die steigenden Kosten zu belasten.
({27})
Wir sind also auf dem richtigen Weg. Natürlich haben
wir noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollen.
Auf jeden Fall haben wir aber eine Verbesserung des
Status quo erzielt.
Meine Damen und Herren, weil man das Ziel nicht
ganz erreicht, darf man nicht gar nichts tun,
({28})
sondern dann muss man sich in kleinen Schritten fortbewegen. Ich kann dieser Reform zustimmen, weil sie ein
Schritt in die richtige Richtung ist und weil wir damit
unser Gesundheitssystem, das großartig ist, weiter stärken und ausbauen. Es ist ein Faktor für die Gesundheitswirtschaft und ein Zukunftsfaktor für unser Land. Nicht
zuletzt wollen wir, dass die großen Lebensrisiken der
Menschen in unserer sozialen Marktwirtschaft weiterhin
abgesichert werden. Das sind die gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir in Zukunft stehen werden.
({29})
Meine Damen und Herren, in den vergangenen sechs
Jahren in diesem Parlament habe ich die Gesundheitspolitik stets als besonders interessant und wichtig empfunden. Auf keinem anderen Feld wurden Reformanstrengungen allerdings so kontrovers diskutiert. Ich
würde mir in diesem Land manchmal mehr Gemeinsamkeit wünschen. Ich würde mir wünschen, dass jeder nicht
nur Vorschläge macht, die andere Bereiche betreffen,
sondern über seine eigenen Beiträge dazu nachdenkt,
wie sich unser Land in Zukunft gestalten lässt. Gerade
im Gesundheitsbereich ist dieses Igeldenken, dieses Einigeln, dieses Denken nur an den eigenen Bereich, nicht
aber an die Gesamtverantwortung, ein Problem.
({30})
Es geht darum, Politik für 80 Millionen Menschen in
diesem Land zu machen. Das eignet sich nicht für Populismus. Das muss man seriös machen und ernst nehmen.
Es war für mich eine große Ehre, daran mitzuwirken.
Ich verabschiede mich heute mit der begründeten
Hoffnung, dass wir mit dieser Reform einen weiteren
Schritt - keinen abschließenden, aber einen weiteren
Schritt - in die richtige Richtung gehen und das tun, was
nötig ist.
Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, die ich in
den letzten sechs Jahren habe kennenlernen dürfen - insStaatsministerin Hildegard Müller
besondere denen, mit denen ich Freundschaften schließen konnte -, sehr herzlich für die Zusammenarbeit danken. Ich möchte ausdrücklich auch die vielen
fantastischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem
Hause in diesen Dank einschließen.
Ich möchte auch den Bürgerinnen und Bürgern in
meinem Wahlkreis Düsseldorf danken. Ihr Vertrauen und
ihre Anliegen, die sie mir immer wieder mitgeteilt haben, haben meine Arbeit vorangebracht. Ich denke, dass
solche Denkanstöße, egal welcher Art, auch in Zukunft
sehr wichtig sind, damit im Deutschen Bundestag die
bestmöglichen Entscheidungen vorbereitet und getroffen
werden können.
Was meine zukünftige Arbeit angeht, habe ich insbesondere im Auge: Ich werde in einem Bereich arbeiten
können, der die Lebenschancen aller Menschen in diesem Land tangiert. Deshalb freue ich mich sehr auf diese
Aufgabe. Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für die letzten sechs Jahre.
Vielen Dank.
({31})
Frau Staatsministerin, Sie werden den Deutschen
Bundestag nach sechs Jahren der Zugehörigkeit zu diesem Haus verlassen. Sie verabschieden sich aber nicht
von der Arbeit für die Menschen in diesem Land. Sie
werden eine neue verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Ich möchte Ihnen sehr herzlich für Ihre engagierte
Arbeit an den unterschiedlichsten Stellen in diesem Haus
und für die Zusammenarbeit, auch über Fraktionsgrenzen hinweg, danken. Ich wünsche Ihnen für Ihre neue
Aufgabe eine glückliche Hand, viel Freude und natürlich
auch den verdienten Erfolg. Alles Gute!
({0})
Nun hat der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die
Linke das Wort.
({1})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den Wünschen der Präsidentin an Frau Staatsministerin in einer
etwas freundlicheren Art anschließen, als sie vorhin mit
mir umgegangen ist. Ich wünsche Ihnen bei Ihrer zukünftigen verantwortlichen Lobbyistentätigkeit beim
Energieunternehmen Eon viel Erfolg.
({0})
Die FDP will den Gesundheitsfonds mit dem heutigen
Antrag stoppen. Tatsächlich will sie aber etwas anderes
erreichen: Sie will im Kern die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass die gesetzliche Krankenversicherung privatisiert werden kann. Deshalb ist dieser Antrag nach
unserer Auffassung eine Mogelpackung.
({1})
Untersuchen wir die eigentlichen Absichten. Frau
Dr. Winterstein, die FDP-Haushaltsexpertin, hat in der
vergangenen Woche an dieser Stelle die Katze aus dem
Sack gelassen. Sie sagte:
Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel
zum privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle.
Dieser Sozialausgleich soll aus Steuergeldern finanziert
werden.
({2})
Die Freien Demokraten wollen das soziale und solidarische Krankenversicherungssystem, ein Erfolgsmodell, das sich seit 125 Jahren in Deutschland bewährt
hat, im Kern abschaffen. Werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, Sie ignorieren die große
Zustimmung der Bevölkerung zur gesetzlichen Krankenversicherung und demonstrieren nach meiner Auffassung Ihre Geringschätzung für dieses System, indem Sie
es abschätzig „Kassensozialismus“ nennen, wie in dem
Beschluss Ihres Präsidiums vom 3. Juli 2006 nachzulesen ist.
({3})
Komplett absurd wird Ihre Argumentation dadurch,
dass Sie vor einer drohenden Steuererhöhung im bestehenden System warnen und gleichzeitig höhere Steuern
fordern. Das steht auch im Beschluss. Sie wollen einen
Sozialausgleich, den auch Frau Dr. Winterstein nannte,
über das Steuersystem organisieren. Ich sage Ihnen: Dafür werden viele Milliarden Euro nötig sein. Wo sollen
sie denn herkommen, wenn nicht aus satten Steuererhöhungen?
({4})
Sie wollen eine Privatisierung des gesamten Krankenversicherungssystems. Die privaten Versicherungsunternehmen sollen von den Versicherten für eine Regelversicherung Prämien verlangen, die unabhängig von
der Höhe des Einkommens sind. Das bedeutet: Wer nicht
zahlen kann, der muss auf einem von Ihnen noch nicht
näher bestimmten Amt um Hilfe bitten.
Für Millionen Menschen will die FDP eine neue
Megabürokratie aufbauen. In einer Behörde soll nach
genauer Einkommensprüfung über Zuschüsse zu Krankenversicherungsbeiträgen entschieden werden. Im Klartext: Wieder einmal ist damit der Schnüffelei Tür und
Tor geöffnet. Ich dachte immer, dass die Entwürdigungen durch Hartz-IV-Behörden nicht mehr zu toppen sind.
({5})
Ein Mensch mit geringem Einkommen, der sein Krankheitsrisiko absichern will, muss nach Ihren Vorstellungen erst einmal die Hosen herunterlassen - im wahrsten
Sinne des Wortes -, bevor er dann, zum Bittsteller degradiert, die Gnade des Sozialstaates erfahren kann.
Die FDP gibt sich immer als Partei der Freiheit. Ich
sage Ihnen: Ihre Freiheit ist die Freiheit der Besserverdiener.
({6})
Für Geringverdiener sehen Sie in Ihrem Konzept aber
weniger Freiheit und dafür mehr Schnüffelei und mehr
Bürokratie vor.
Mich wundert es gar nicht, dass Sie unser Konzept
der solidarischen und sozialen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, wie gestern geschehen, als Etikettenschwindel kritisieren. Sie behaupten, das sei keine Versicherung, sondern eine zweite Steuer. Bei der Umsetzung
Ihres Konzepts müsste man weitere Steuern einführen
und/oder bestehende Steuern erhöhen. Das ist ein Etikettenschwindel.
Nebulös bleibt die FDP mit ihrem Konzept auch hinsichtlich des Begriffs der Regelversorgung, auf die jeder
Bürger ein Recht haben soll. Sie schreiben einmal von
„medizinisch notwendigen Leistungen“. Dann schreiben
Sie von „medizinisch unbedingt notwendigen Leistungen“, die „in etwa dem heutigen um bestimmte zahnmedizinische Leistungen und das Krankengeld reduzierten
GKV-Leistungskatalog entsprechen“. Mit diesem Umschreiben wollen Sie nichts anderes, als den ohnehin
schon abgespeckten Leistungskatalog weiter zu skelettieren. Das ist die Logik: Je weniger Solidarleistungen,
desto mehr Geschäftsfelder entstehen für private Krankenversicherungen.
Sie schreiben:
Jeder Versicherte kann oberhalb des Katalogs von
Regelleistungen zwischen verschiedenen Paketen
von Leistungen wählen, auf die er im Versicherungsfall zusätzlich Anspruch hat.
Na klar! Jeder Bürger kann auch zwischen einer Vielzahl
von Luxuslimousinen wählen. Es fehlt bei Ihnen nur der
Zusatz: „wenn er dafür das notwendige Kleingeld hat“.
({7})
Ihr Konzept ist sonnenklar: Luxuslimousinen für die Privilegierten, die Golfklasse für den Mittelstand und Tretroller für die Geringverdiener. Das ist mit dem Sozialstaatsprinzip der Verfassung unvereinbar.
({8})
Ich gehe davon aus, dass Ihre Vorstellungen einer Regelversorgung deutlich weniger Leistungen vorsehen
und deshalb Zusatzversicherungen für jeden zwangsläufig notwendig werden. Sie wollen das Solidarprinzip in
der gesetzlichen Krankenversicherung abschaffen. Das
jetzige umlagefinanzierte System soll nach Ihren Vorstellungen einem kapitalgedeckten System weichen.
({9})
Derzeit zahlen die Jungen und Gesunden für die Älteren
und Kranken. Die FDP will, dass künftig jeder für sein
eigenes Alter spart. Das hört sich schön an: Wenn jeder
an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht. Nach diesem Motto hat jeder seinen Sparstrumpf, mit dem er privat fürs Alter vorsorgt.
Diese Vorstellung ist nach meiner Auffassung naiv.
Wir können gerade in den USA sehen, wie unzuverlässig
kapitalgedeckte Systeme funktionieren. Dort haben Millionen Menschen ihre private Altersvorsorge verloren,
weil sie mangels sozialstaatlicher Absicherung gezwungen waren, einem kapitalgedeckten privaten System zu
vertrauen. Die Bürger hatten nur die Wahl zwischen riskanten Investmentfonds und profitorientierten Versicherungskonzernen. Die Menschen stehen nach lebenslangem Sparen vor dem Nichts. Wollen Sie das auch in
Deutschland?
({10})
Zudem hat der Aufbau von Kapitalreserven den
Nachteil, dass die heutigen Beitragszahler bzw. Versicherungsnehmer erhebliche Doppelbelastungen zu
schultern hätten. Zum einen müssen die Versicherten die
derzeit notwendigen Beiträge zahlen und zum anderen
zusätzlich einen Kapitalstock ansparen. Das verschweigen Sie den Menschen. Dieser Systemwechsel wird sehr
teuer.
({11})
Die gesetzlichen Krankenkassen, die die FDP am
liebsten abschaffen will, arbeiten deutlich preiswerter als
die privaten Krankenversicherungen. Private haben
zwar geringere Verwaltungskosten, aber es kommen die
Kosten für die Provision ihrer Versicherungsverkäufer
und Werbungskosten hinzu. Schon das übersteigt in der
Regel die durchschnittlichen 6 Prozent Verwaltungskosten der gesetzlichen Kassen.
Hinzu kommt noch die Rendite für die Aktionäre. Sie
muss natürlich auch von den Versicherten gezahlt werden. Von wem denn sonst? Keine Versicherung wird ihr
Produkt zum Selbstkostenpreis anbieten. Das gibt es nur
bei den gesetzlichen Krankenkassen. Von jedem in die
gesetzlichen Kassen gezahlten Euro gehen 94 Cent als
Leistungen an die Versicherten zurück, bei der privaten
Krankenversicherung sind dies nur 74 Cent.
Die FDP macht mit ihrem Konzept ganz nebenbei ein
Subventionsprogramm für Allianz und Co. Das wundert
mich nicht; denn ein Drittel der Finanzmittel der FDP
kommt aus Spenden. Gerade bei der Allianz hat die FDP
offenkundig noch etwas gutzumachen:
({12})
Aus der Spendenpulle der Allianz bekamen laut der Zeitschrift Capital vom 14. Dezember 2006 in den Jahren
2002 bis 2006 CDU, SPD und sogar Grüne jeweils
240 000 Euro, die CSU 180 000 Euro, aber die FDP nur
150 000 Euro. Meine Partei bekommt keine Spenden der
Allianz, und das finde ich prima.
Einem der Hauptbegünstigten der Allianz macht die
FDP neuerdings Koalitionsavancen. Seit die SPD mal
wieder den Vorsitzenden weggeputscht und ausgetauscht
hat, können sich Teile der FDP eine Koalition mit der
SPD vorstellen, wie zu lesen war. Man liest auch, dass
umgekehrt Franz Müntefering gerne eine Koalition mit
der FDP eingehen würde.
({13})
Es gab schon einmal eine sozialliberale Koalition auf
Bundesebene von 1969 bis 1982. Diese Koalition wurde
durch einen Kurswechsel der FDP eingeleitet, der in die
Freiburger Thesen mündete.
({14})
In diesen Thesen war von „Rechten auf Leben und Gesundheit“ die Rede, „die die großen demokratischen Errungenschaften einer Liberalisierung des Staates“ seien.
Grund für die Beendigung der sozialliberalen Koalition und das Zusammengehen der FDP mit Helmut Kohl
war die Abkehr von den Freiburger Thesen und die Abkehr von der Sozialpolitik der 70er-Jahre. Mit „Rechten
auf Leben und Gesundheit“ im Sinne eines „sozialen
Liberalismus“ - wie es damals in Ihren Freiburger Thesen hieß - hat Ihr heutiges gesundheitspolitisches Konzept nichts mehr zu tun.
({15})
Die SPD hielt zu jener Zeit noch an ihrer Sozialpolitik
fest. Deshalb zerbrach diese Koalition.
Unter Gerhard Schröder hat sich die SPD von ihrer
Idee der sozialen Gerechtigkeit, die sie in den 70er- und
80er-Jahren vertrat, verabschiedet. Sie hat sich - wie alle
anderen Parteien außer der Linken - zum Neoliberalismus bekannt.
({16})
Na prima! Und alle diese neoliberalen Parteien sind
selbstverständlich grundsätzlich miteinander koalitionsfähig. Man könnte sagen: Schade um den Sozialstaat!
({17})
Die Linke hat andere Vorstellungen von einem gerechten Gesundheitssystem. Wir wollen eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. In dieser
sind nach unserer Vorstellung alle Menschen unabhängig
von Einkommen und Beruf versichert.
({18})
Das schreibt auch die SPD. Das heißt, auch Selbstständige, Beamte und Politiker sind da mit drin.
({19})
Alle zahlen den gleichen prozentualen Anteil ihres Einkommens. Bisher wird aber nur Einkommen aus Erwerbsarbeit herangezogen.
({20})
Wir wollen, dass alle Einkommensarten, also auch Kapitaleinkünfte, herangezogen werden.
({21})
Bei Einkommen aus Erwerbsarbeit zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Durch die Verbreiterung
der Versicherten- und Finanzierungsbasis können wir
dann die Beitragssätze senken.
({22})
Statt 15,5 Prozent oder noch mehr im Gesundheitsfonds
wären dann 8,6 Prozent möglich. Da wir aber sämtliche
Zuzahlungen abschaffen und die Kürzungen der letzten
Jahre wieder rückgängig machen wollen,
({23})
wird der Beitragssatz bei etwa 10 Prozent liegen. Das ist
unser Angebot.
({24})
Der Argumentation der FDP können wir nicht folgen.
Eine Privatisierung der Krankenversicherung ist der falsche Weg. Ihr Antrag, meine Damen und Herren, zielt in
die falsche Richtung. Deshalb lehnen wir ihn ab.
({25})
Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema Fonds hat die FDP schon einmal beschäftigt.
({0})
Es ging damals nicht um Soziales und Gesundheit, sondern - wie könnte es bei der FDP anders sein? - um Vermögen. Es war ein Vorschlag Ihres ehemaligen Vorsitzenden, Walter Scheel, der immerhin als weitsichtiger
Mann bekannt ist und der sich große Verdienste in der
Außenpolitik erworben hat. Zu der damaligen Debatte
über diesen Fonds schrieb Der Spiegel 1969, Walter
Scheel habe auf konkrete Fragen keine Antworten geben
können. Er habe das mit den Worten entschuldigt, die
FDP sei personell nicht in der Lage, einen Fondsplan gesetzestechnisch und rechnerisch durchzuarbeiten.
({1})
Mit Blick auf den heutigen Antrag und den Auftritt der
FDP kann ich nur sagen: Die Weitsicht, die man ihm unterstellt, ist berechtigt; denn das hat Kontinuität.
({2})
Angesichts dessen, dass die FDP, Herr Bahr, gestern
mit demonstriert und mehr Geld für die Krankenhäuser
gefordert hat
({3})
und sich heute hier hinstellt und gegen Beitragserhöhungen wettert, muss ich sagen: Rechnerisch hat die FDP
noch immer nichts dazugelernt.
({4})
Große Worte und nichts dahinter, das zeichnet sie aus.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Gesundheitsfonds kommt. Die Schritte zur Umsetzung
sind beschlossen. In der nächsten Woche wird der Schätzerkreis des Bundesversicherungsamtes auf der Grundlage der verfügbaren Daten zu den Einnahmen - dabei
wird berücksichtigt, wie sich die Beschäftigung entwickelt hat, wie die Prognose zu den Beitragseinnahmen
und zu den Steuermitteln für das kommende Jahr aussieht - und zu den notwendigen Ausgaben einen Vorschlag für den Beitragssatz im Jahre 2009 machen. Das
Bundeskabinett wird den Entwurf der entsprechenden
Verordnung am 7. Oktober beschließen. Dann wird der
Vorschlag hier im Parlament beraten, und rechtzeitig vor
dem 1. November wird vom Bundeskabinett die endgültige Entscheidung getroffen, sodass die Krankenkassen
am 15. November genau wissen, wie viel Geld sie im
kommenden Jahr zur Verfügung haben. Das ist früher als
in den vergangenen Jahren, als die Krankenkassen oft
erst im Dezember wussten, wie denn ihre Finanzsituation im folgenden Jahr aussehen würde. Damit kann jede
Krankenkasse ihre Haushaltsplanung rechtzeitig abschließen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehr
Wettbewerb im Gesundheitswesen. Aber der Wettbewerb ist ein anderer als in anderen Bereichen. Es ist ein
Wettbewerb um gute Qualität, der aber nur auf einer fairen Grundlage erfolgen kann. Wir wollen ihn da, wo es
möglich und sinnvoll ist: bei den Krankenkassen, bei
den Anbietern medizinischer Leistungen, im Verhältnis
der Krankenkassen zu Ärzten und Krankenhäusern. Wir
wollen, dass die Krankenkassen darum konkurrieren,
wer seinen Mitgliedern die besten Angebote zum bestmöglichen Preis machen kann. Davon profitieren die
Versicherten.
Die Neuordnung der Finanzierung über den Gesundheitsfonds zwingt die Kassen mehr als bisher, aktiv
zu werden. Sie haben sich über Jahre hinweg oft ganz
passiv verhalten. Man hat die Beiträge erhöht, und dann
ist alles weitergegangen wie zuvor. Jetzt müssen die
Kassen aktiv werden, weil sie sich um ihre Versicherten
mehr kümmern müssen. Das ganze Finanzgeschehen ist
transparenter. Studien ist zu entnehmen, dass die Kassen
ihre Versicherten viel stärker als heute durch guten Service und breite Leistungsangebote umwerben werden.
Wer sich bei den Kassen umsieht, stellt fest, dass einige
schon engagiert dabei sind, sich für die kommenden
Jahre neu aufzustellen. Das ist zum Wohl der Versicherten und der kranken Menschen.
Durch den Gesundheitsfonds erhalten alle Kassen die
zur Versorgung ihrer Versicherten notwendigen Mittel
auf einer fairen und gerechten Grundlage. Wir halten daran fest, dass Menschen für Menschen stehen.
({5})
Ich habe es letzte Woche schon gesagt: Das ist allemal
besser, als allein auf Kapitaldeckung zu setzen, wie man
jetzt auch an der weltweiten Finanzkrise sieht.
Aber so, wie es heute geregelt ist, ist es nicht fair.
Viele Menschen zahlen nicht deswegen höhere Beiträge,
weil ihre Kasse unwirtschaftlich ist, sondern weil sie in
einer Kasse mit einer ungünstigen Versichertenstruktur sind. Ich möchte Ihnen einmal zwei Beispiele dazu
nennen: Die AOK Berlin hat als große Versorgerkasse
einen Beitragssatz von 15,8 Prozent; denn etwa die
Hälfte der dort Versicherten sind Rentnerinnen und
Rentner. Eine Internetkasse oder auch einige IKKs hingegen, die nur zu 2, 3 oder 4 Prozent Versicherte haben,
die älter als 65 sind, können natürlich leicht einen Beitragssatz von 12,3 oder 12,9 Prozent nehmen.
({6})
Nehmen Sie als zweites Beispiel die AOK Saarland.
In der AOK Saarland sind mittlerweile nur noch
170 000 Menschen versichert, davon 84 000 Rentnerinnen und Rentner. Sie muss einen Beitragssatz von
15,8 Prozent verlangen. Der größte Konkurrent ist die
IKK Südwest. Sie hat mittlerweile 314 000 Mitglieder,
davon 10 000 Rentnerinnen und Rentner. Alle im Saarland, die gut verdienen, die gesund und jung sind, sind in
die IKK Südwest gegangen. Das heißt, die AOK Saarland muss aufgrund ihrer Versichertenstruktur mehr
Leistungen finanzieren und kann darauf nur mit immer
höheren Beiträgen antworten; denn wir wissen, dass das
Risiko, zu erkranken, mit zunehmendem Alter steigt.
Außerdem haben die Rentnerinnen und Rentner in der
Regel ein geringeres Einkommen als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Beiträge von ihrem
Bruttoeinkommen gerechnet werden.
Ist das gerecht? Hat die Aufbringung der Beiträge auf
diese Weise etwas mit Fairness zu tun? Oder hat das etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun? - Nein, damit hat es
nichts zu tun. Deshalb werden wir mit der Neuordnung
der Finanzierung dafür sorgen, dass dieser unfaire Wettbewerb aufhört und dass die Kassen, die mehr ältere und
mehr kranke Menschen versichert haben, auch mehr
Geld aus dem Solidartopf erhalten. Das ist fair und gerecht, und deshalb ist die Neuordnung der Finanzierung
richtig.
({7})
Gute Kassen, deren günstige Beitragssätze tatsächlich
auf Wirtschaftlichkeit und nicht auf einer unfairen Risikoverteilung beruhen, werden ihren Versicherten dann
Prämien zurückzahlen können. Wer bisher nur aufgrund
der Risikoverteilung günstige Beitragssätze anbieten
kann, hat es dann natürlich schwerer, weil aus diesen
Kassen Geld in die Kassen fließt, in denen mehr kranke
Menschen versichert sind. Die Neuordnung wird auf jeden Fall transparenter machen, wie die einzelne Kasse
arbeitet. Wenn eine Kasse mit dem Geld nicht auskommt, werden Zusatzbeiträge gezahlt. Nur eins ist
auch klar: Wenn Sie sich anschauen, wohin die Beitragsentwicklung bei den Krankenkassen geht - das gilt insbesondere im Hinblick auf die neuen Aufgaben -, die als
Versicherte überwiegend ältere Menschen oder Menschen mit geringem Einkommen haben, stellen Sie fest,
dass schon heute 70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner deutlich über dem durchschnittlichen Beitragssatz
liegende Beiträge zahlen. In Zukunft wird der allgemeine Beitragssatz von allen gemeinsam aufgebracht.
Ich bin davon überzeugt, dass dies eine fairere Grundlage ist, um die wachsende Zahl der Aufgaben im Gesundheitswesen so zu finanzieren, dass wir unseren hohen Anspruch, 100 Prozent unserer Bevölkerung am
medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, auch unter
schwierigeren Bedingungen, insbesondere im Hinblick
auf die veränderte Altersstruktur unserer Gesellschaft,
aufrechterhalten können.
({8})
Medizinischer Fortschritt, mehr ältere und mehr
hochbetagte Menschen, mehr chronisch kranke und
mehr pflegebedürftige Menschen, das alles kostet mehr
Geld. Es ist richtig, darüber zu diskutieren, wie viel Geld
wir brauchen und wie es aufgebracht werden soll. Aber
ohne eine fairere Verteilung, ohne dass wir dafür sorgen, dass das Geld insbesondere an die Krankenkassen
geht, die viele Kranke versichern, ginge die Schere zwischen den Beitragssätzen - teilweise beträgt der Unterschied heute schon über 5 Prozentpunkte; bei einem Einkommen von 1 000 Euro macht das 50 Euro im Monat
aus - weiter auseinander. Ich finde, das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Angesichts der neuen Honorarordnung, der Entscheidung zugunsten der Krankenhäuser,
der Entwicklungen im Arzneimittelsektor und in anderen
Leistungsbereichen wie der Rehabilitation und der Palliativmedizin, der Impfkosten - diese werden steigen, weil
wir Impfungen zu Pflichtleistungen der Krankenkassen
gemacht haben - und des höheren Behandlungsbedarfs,
der auf die Krankenkassen und die Versicherten zukommt, müssen wir einfach neue Wege gehen und die
Wettbewerbsverzerrungen beseitigen.
Der Fonds ist auch kein bürokratisches Monster.
Heute organisieren 14 Frauen und Männer im Bundesversicherungsamt einen unzureichenden Versorgungsausgleich und einen unzureichenden Risikostrukturausgleich. In Zukunft werden es 21 Frauen und Männer
sein. Angesichts der Debatte über Bürokratiemonster genügte zumindest den Parlamentariern ein Blick in den
Haushaltsplan, um zu sehen, wie dies im Bundesversicherungsamt organisiert wird. Mit einem Bürokratiemonster hat das nichts zu tun. Das ist einfach ein faires Angebot.
Wir wissen, dass wir in einer Gesellschaft, in der die
Menschen immer länger leben, mehr Geld brauchen, um
das Gesundheitswesen zu finanzieren. Die 4,3 Millionen
Beschäftigten im Gesundheitswesen fordern zu Recht
- das haben wir gestern wieder gesehen - anständige Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung. Wenn dafür
höhere Beiträge erforderlich sind, dann hat das nichts
- auch ich bitte um Fairness - mit dem Fonds zu tun,
sondern mit den wachsenden Ausgaben oder mit stagnierenden Einnahmen, wie es in den letzten Jahren aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit häufig der Fall war.
Wir werden im nächsten Jahr mehr Geld zur Verfügung
haben als in den Jahren zuvor. Trotzdem werden auch
die Versicherten mehr aufbringen müssen.
Der Fonds schafft so, wie er konstruiert ist, Sicherheit
und sorgt für Fairness. Er macht vieles einfacher. Ich
verhehle aber auch nicht, dass dies nur für 90 Prozent
der Bevölkerung gilt. Wenn Sie darauf hinweisen, haben
Sie völlig recht. Ich sage das auch in jedem Interview.
Mein Ziel ist - dabei bleibe ich -, dass sich alle Menschen in diesem Land, egal welchen beruflichen Status
sie haben, egal welches Einkommen sie haben, egal ob
sie jung oder alt, gesund oder krank sind, zu gleichen
und fairen Bedingungen an der Aufbringung der Beiträge zur Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens beteiligen werden.
({9})
Das hat nichts mit Einheitskasse zu tun, sondern damit, dass es besser ist, wenn alle Menschen für alle Risiken zu gleichen Bedingungen eintreten. Darin unterscheiden sich die Koalitionspartner. Das ändert aber
nichts daran, dass wir mit der Einführung des Fonds für
die gesetzlich Versicherten eine gerechtere und fairere
Grundlage schaffen, als das heute der Fall ist.
Vielen Dank.
({10})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
wohlgesetzten Worte der Ministerin können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Koalition die - ich
möchte das mal so nennen - gesundheitsfondsgetriebene
Unruhe umhergeht. Wie anders wäre es denn zu erklären, dass im Gesundheitswesen der Gabentisch schon
zwölf Wochen vor Weihnachten gedeckt wird? Es sind
sage und schreibe 5,5 Milliarden Euro, die die Gesundheitsministerin in den letzten Wochen kurzfristig verteilt
hat.
({0})
Wir kennen das Prinzip schon.
({1})
Als es das erste Mal darum ging, diese fehlgeleitete Reform überhaupt zu beschließen, gab es Widerstand von
den Apothekern und von der PKV. Dann hat man die von
diesen Interessengruppen als ungünstig angesehenen
Rechtsänderungen noch geschwind vom Tisch geräumt.
({2})
Jetzt geht es um Geld. Das Prinzip ist immer dasselbe.
Es handelt sich um kurzfristige Befriedungsaktionen.
({3})
Gewiss, die höheren Honorare für die Ärzte und die
finanzielle Soforthilfe für die Krankenhäuser sind in
der Sache nicht unberechtigt.
({4})
Insbesondere die Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschland
müssen bei den Honoraren trotz häufig höherer Arbeitsbelastung noch eine deutliche Lücke gegenüber ihren
Kollegen im Westen schließen. Dass auch viele der
Krankenhäuser finanziell unter Druck stehen, die gut
aufgestellt sind und die für die flächendeckende Gesundheitsversorgung unerlässlich sind, steht außer Frage.
Bemerkenswert ist aber doch, dass die Bundesregierung diese enormen Finanzspritzen gesetzt hat, ohne damit für mehr Qualität zu sorgen.
({5})
Es gibt keine Gegenleistung von den Ärztinnen und Ärzten, es gibt kein Reformpaket mit den Ländern. In Bezug
auf die Arztpraxen hören wir von der Ministerin den
frommen Wunsch, es möge sich nun etwas an der Bevorzugung der Privatpatienten ändern; aber was ist denn?
Die höheren Honorare gehen nicht mit Anforderungen
an Veränderungen in Bezug auf Qualität und Service einher. Also wird es weiterhin bei der Zweiklassenmedizin
bleiben.
({6})
Wenn man sich einmal anschaut, welche Rolle die Bundesgesundheitsministerin bei der Krankenhausreform gespielt hat, dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Es ist doch so: Die Bundesländer haben den
Reformentwurf der Ministerin in monatelangen Auseinandersetzungen auseinandergenommen wie eine russische Matroschka. Was am Ende übrig bleibt, ist nur ein
bunt bemaltes, kleines Reförmchen, ein Sammelsurium
von kurzfristigen Hilfen, mit denen die Krankenhäuser
- vielleicht - über das nächste Jahr kommen. Daran,
dass die Länder ihren Verpflichtungen zu Investitionen
in die Krankenhäuser nicht nachkommen, wird sich aber
nichts ändern.
({7})
Es fehlen weiterhin Steuerungsinstrumente, damit unwirtschaftlich geführte und für die Versorgung verzichtbare Krankenhäuser vom Netz gehen und sich die Mittel
auf die guten Krankenhäuser konzentrieren können. So
wird die Krise der Krankenhäuser nur verlängert, aber
nicht gelöst.
Woran liegt das? Die Bundesregierung hat sich mit ihrem sogenannten Reformmodell erpressbar gemacht.
Die Bundeskanzlerin und die verantwortliche Ministerin
wollen den Gesundheitsfonds auf Biegen und Brechen
durchsetzen, und deswegen müssen sie ein Zugeständnis
nach dem anderen machen. Es waren Bayern und Baden-Württemberg, die sich bereits in den Verhandlungen eine Kompensationszahlung erstritten haben. Wozu
führt das jetzt? Künftig werden die Krankenversicherten
in ganz Deutschland für die bessere Versorgung in Süddeutschland ebenso bezahlen wie für die überschüssigen
Krankenhausbetten in Berlin.
({8})
Das setzt sich fort. Die Ärztehonorare mussten steigen,
damit der Widerstand der Ärzte sinkt,
({9})
aber diese Honoraranhebungen müssen gleich flächendeckend sein, damit von dem Geldsegen auch etwas in
Bayern ankommt; denn ansonsten hätte sich die dortige
Landesregierung,
({10})
die bekanntlich um ihr politisches Überleben kämpft,
quergestellt.
Solche selbst geschaffenen Zwänge sind es, die zu der
Verhandlungsniederlage der Ministerin in Sachen Krankenhausfinanzierung geführt haben. Jeder weiß: In zwei
Wochen muss das Kabinett erstmals über den einheitlichen Krankenversicherungsbeitragssatz für das Jahr
2009 entscheiden. Für dessen Berechnung muss man
aber wissen, wie viel die Krankenhäuser bekommen.
Also brauchten die Länder ihren Verhandlungssieg doch
nur zu ersitzen.
({11})
Was Sie sich geschaffen haben, Frau Ministerin, könnte
man eine Form der politischen Gefangenschaft nennen,
und sie ist selbst gewählt.
Wir haben vorhergesagt, dass der Gesundheitsfonds
mit seinem staatlich festgesetzten Einheitsbeitragssatz
die Finanzausstattung der Krankenversicherung stärker
vom politischen Kalkül abhängig machen wird. Dass das
so schnell eintritt, haben wir uns selbst in unseren Albträumen nicht vorgestellt.
({12})
Tatsächlich wird die Bundesregierung jetzt ständig
vorgeführt, von Interessengruppen ebenso wie von den
Ländern. Die Kosten dieser Treibjagd werden an die
Beitragszahlenden durchgereicht. Der durchschnittliche
Beitragssatz wird ein Rekordniveau erreichen.
({13})
Einen vergleichbaren Sprung beim Beitragssatz, wie er
zum 1. Januar 2009 zu erwarten ist, hat es in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung - daran
sei noch einmal erinnert, Frau Kollegin - niemals zuvor
gegeben, und das ist nur der Anfang.
Ab dem Jahr 2010 wird das Stück „Der Versicherte ist
immer der Dumme“ weitergespielt; denn dann soll die
Finanzausstattung des Gesundheitsfonds nur noch
95 Prozent der Ausgaben der Krankenversicherung abdecken. Die restlichen 5 Prozent müssen die Versicherten über Zusatzbeiträge finanzieren. Da können die
Frau von der Leyen als eine Art ehrenamtliche Gesundheitsministerin
({14})
und andere noch lange darüber philosophieren, man
könne ja die Kasse wechseln, wenn es einen Zusatzbeitrag gibt: Sobald die erste große Kasse einen Zusatzbeitrag erhebt, werden alle anderen folgen. Am Ende werden es 7,5 Milliarden Euro sein, die die Versicherten
zusätzlich zu tragen haben.
({15})
Zwischenzeitlich werden wir nach Scharfschaltung
des Gesundheitsfonds noch sogenannte Umstellungsprobleme zu erwarten haben, die spielend die Dimension erreichen werden, die wir bei Einführung des
Arbeitslosengeldes II oder der Lkw-Maut erleben mussten - allerdings mit einem großen Unterschied: Die Reformen waren sinnvoll. Das kann man vom Gesundheitsfonds aber nun wirklich nicht behaupten.
({16})
Er dient allein dazu, dass Kanzlerin und Gesundheitsministerin politisch ihr Gesicht wahren können, und das
ist zu wenig für ein Projekt, das so weitreichende Folgen
für die Gesundheitsversorgung von 70 Millionen Menschen hat.
({17})
Ich möchte noch ein paar Sätze zu dem vorliegenden
Antrag der FDP sagen. Dieser Antrag enthält viele
richtige Argumente gegen den Gesundheitsfonds: dass er
den Beitragssatz zur politischen Größe macht, dass er zu
einem übermäßigen bürokratischen Aufwand führt und
den Wettbewerb behindert; so weit sind wir uns völlig
einig, Herr Kollege Bahr.
({18})
Allerdings ärgert es uns als Grüne immer wieder, mit
welcher Hartnäckigkeit die FDP auf dem krankheitsbezogenen Finanzausgleich - für die Fachchinesen:
Morbi-RSA - herumhackt. Richtig ist in der Tat, dass die
Koalition mit der Begrenzung auf 50 bis 80 Krankheiten
einen schweren Fehler gemacht hat.
({19})
Wir haben dadurch Krankheiten erster und zweiter
Klasse. Die Versicherten, die eine Krankheit haben, die
nicht auf der Liste steht, Frau Widmann-Mauz, müssen
befürchten, dass ihre Kasse ihnen keine guten Behandlungsangebote macht. Das ist ein ideologisch motivierter
Konstruktionsfehler, der im Übrigen, Frau WidmannMauz, auf die Union zurückgeht.
({20})
Aber das ist kein Argument gegen einen krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich als solchen. Der ist
- das will ich an dieser Stelle deutlich sagen - sinnvoll
und notwendig.
({21})
Nur so kann man verhindern, dass eine Krankenkasse im
Kassenwettbewerb nur deswegen scheitert, weil sie zufällig zu viele kranke und damit teure Mitglieder hat.
Dafür muss es einen Ausgleich geben.
({22})
Es gibt eine andere Form des Ausgleichs - sie ist der
FDP wahrscheinlich sympathischer -: Die private Krankenversicherung löst dieses Problem auf dem Rücken
der Versicherten. Da zahlen diejenigen mehr, die ein entsprechendes Krankheitsrisiko haben. Die Beiträge bzw.
Prämien sind nach Risiko gestaffelt. Das ist, finden
wir, kein überzeugendes Prinzip. Aber selbst dann, wenn
man das in der PKV für akzeptabel hält, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Ihnen muss doch klar
sein, dass ein solches System zur Absicherung der Gesamtbevölkerung völlig ungeeignet ist.
({23})
Wollte man nämlich verhindern, dass sich Kranke und
Geringverdienende keinen Krankenversicherungsschutz
mehr leisten können, müsste man die Prämien mit Steuermitteln subventionieren. Aber dann träte die von Ihnen
beim Gesundheitsfonds zu Recht kritisierte Politisierung
der Finanzausstattung des Gesundheitswesens erst recht
ein. Über diesen Widerspruch sollten Sie einmal nachdenken.
({24})
Es macht also Sinn, den Ausgleich der unterschiedlichen Krankheitsrisiken zwischen den Kassen und nicht
zwischen den Versicherten zu organisieren. Dabei geht
es beim Morbi-RSA. Deswegen, meine Damen und Herren, sind die Grünen gegen den Gesundheitsfonds, aber
für einen krankheitsbezogenen Finanzausgleich.
Danke schön.
({25})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette WidmannMauz für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!
Seit’ an Seit’, so sieht man sie in letzter Zeit schreiten:
nicht nur im Parlament, sondern auch durch das Brandenburger Tor. So war es wieder am gestrigen Tag bei
der Demonstration gegen das Gesundheitswesen und gegen den Gesundheitsfonds.
({0})
Ich spreche von der Linken, den Nachfolgekommunisten, und einer Partei, die sich FDP nennt.
({1})
Heute legt uns die FDP einen Antrag vor, der ein
Sammelsurium von altbekannten Vorurteilen enthält,
wenn auch ein bisschen neu gemischt. Sie haben sich
wenigstens noch die Mühe gemacht, den Titel zu ändern.
({2})
Früher hieß es „Den Gesundheitsfonds stoppen“, jetzt
heißt es „Gesundheitsfonds … nicht einführen“. Da haben Sie sich viel Mühe gegeben. Das haben sie kurz vor
der bayerischen Landtagswahl ausgeworfen. Welch ein
Zufall in diesem Land!
({3})
Haben Sie eigentlich noch nicht bemerkt, dass sich
die Kassen längst mit dem Fonds arrangiert haben? Die
Kassen machen längst das, was Sie früher für richtig gehalten und gefordert haben. Sie stellen sich dem neuen
Wettbewerb und nutzen die neuen Möglichkeiten. Auch
die Bürgerinnen und Bürger, allen voran die bayerischen
Wähler, die Sie heute besonders ansprechen wollen, wissen längst, dass der Gesundheitsfonds kommt, und beschäftigen sich mit völlig anderen Fragen.
({4})
- Ja, passen Sie einmal auf. Mit Ihren Fragen beschäftigen sie sich gar nicht.
({5})
Sie wollen wissen, was auf sie zukommt: ob ihre
gesundheitliche Versorgung gesichert bleibt, ob der
Hausarzt in dem Dorf, in dem sie leben, noch einen
Nachfolger findet und ob ihre Kasse die Kosten einer
Behandlung auf dem neuesten medizinischen Stand auch
weiterhin finanzieren kann. Diese Fragen beschäftigen
die Menschen. Mit diesen Fragen haben Sie sich aber
heute Vormittag überhaupt nicht auseinandergesetzt.
({6})
Mit Ihren Kampfparolen aus längst vergangenen Zeiten
bleiben Sie jegliche Antwort schuldig. Dies zeigt mir
ganz deutlich: Ihnen kann man ein so existenziell wichtiges Thema schlicht nicht anvertrauen.
({7})
Wir sollten uns lieber den künftigen Herausforderungen
im Gesundheitswesen stellen. Wir tun dies. Wenn Sie
weiterhin schmollend in der Ecke sitzen und Ihren Trotz
ausleben wollen, dann tun Sie es, bleiben Sie sitzen.
({8})
Mit der Einführung des Fonds zum Jahreswechsel
werden wir die Budgetierung der ärztlichen Leistungen
beenden. Die niedergelassenen Ärzte erhalten 2,7 Milliarden Euro mehr an Vergütung. Damit kehren nach
16 Jahren die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit
und Verlässlichkeit bei der Honorierung wieder in die
Praxen zurück. Dadurch stärken wir die Freiberuflichkeit. Das sind die Grundlagen, die geschaffen werden
müssen, damit das, was uns wichtig ist, auch weiterhin
funktioniert.
Es stimmt überhaupt nicht, Kollegin Bender, dass
nicht mehr Geld in die Versorgung gelange. Sie kennen
doch die Verträge, die abgeschlossen wurden und die
insbesondere darauf abzielen, die Versorgung zu verbessern, die Wartezeiten in den Praxen zu verringern und
sogar Sprechstunden in den Abendstunden anzubieten.
({9})
Das sind doch die Verbesserungen in der Versorgung, die
bei den Patientinnen und Patienten ankommen.
({10})
Wir sichern damit die flächendeckende medizinische Versorgung mit Praxen und Krankenhäusern auch
in strukturschwachen Regionen, und zwar auch dort, wo
niedrige Beiträge die Versorgung erschwert haben, wie
es etwa in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit der Fall
ist.
Einheitlicher Orientierungswert bei der ärztlichen
Honorierung bedeutet: Für die gleiche medizinische
Leistung wird auch endlich der gleiche Preis gezahlt,
egal wo sie in Deutschland erbracht wird. Die Konvergenzklausel sichert Leistungserbringer für eine Übergangszeit bei historisch gewachsenen und strukturell bedingten höheren Kostenstrukturen ab. Auch das ist
wichtig.
Mit einem zusätzlichen Krankenhausfinanzierungspaket hat die Bundesregierung in dieser Woche den Weg
für eine Übernahme von 50 Prozent der Kosten durch die
Tariflohnsteigerungen im Krankenhaus freigemacht. Mit
dem Programm für mehr Pflegekräfte wird die Einstellung von 21 000 zusätzlichen Pflegekräften unterstützt.
Der Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser wird aufgehoben, und ab dem Jahr 2011 soll der Budgetdeckel, also
die Anbindung an die Grundlohnrate, endlich wegfallen
und durch sachgerechte Kostenkriterien neu definiert
werden.
({11})
Das alles bedeutet, dass 3 Milliarden Euro zusätzlich für
die Krankenhausversorgung in unserem Land ausgegeben werden.
Mit der Einführung des Gesundheitsfonds werden die
Krankenkassen erstmals auch keine Schulden mehr haben. Das ist doch ein echter Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Das heißt, in Zukunft werden Beiträge
wieder für echte Leistungen und nicht für Schuldentilgung oder Schuldzinsen eingesetzt.
({12})
Unter Einbeziehung der Kostensteigerungen bei Arzneimitteln und der Erhöhung der Leistungen für Prävention und Rehabilitation liegt ein Gesamtpaket mit einem
Umfang in Höhe von fast 8 Milliarden Euro für eine bessere medizinische Versorgung vor. Das ist auch der
Grund, warum im nächsten Jahr der durchschnittliche
Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung
ansteigen wird. Das hat nun wirklich überhaupt nichts
mit der Einführung des Gesundheitsfonds zu tun. Wer
das verschweigt, obwohl er es besser weiß, der täuscht
die Versicherten vorsätzlich und will wohl den Beschäftigten im Gesundheitswesen die besseren Arbeitsbedingungen und den Patientinnen und Patienten sowie Versicherten die bessere Versorgung vorenthalten.
In Ihrem Antrag haben Sie heute keinen einzigen Vorschlag unterbreitet, wie Sie mit den wachsenden medizinischen Herausforderungen umgehen und wie Sie sie
finanzieren wollen. Deshalb müssen Sie sich auch immer wieder fragen lassen, wie Ihre Alternativen aussehen. Neue Zwangsrabatte, neue Budgets, Leistungsausschluss, Leistungsrationierung, höhere Zuzahlungen,
sind das Ihre Vorstellungen, um das Gesundheitswesen
der Zukunft zu steuern? Wir lassen es Ihnen jedenfalls
nicht durchgehen, wenn Sie morgens bei der Demo vor
dem Brandenburger Tor schreien, der Deckel muss weg ({13})
um das zu bewerkstelligen, berufen Sie sich ja gerne auf
ominöse Wunderpapiere, die angeblich irgendwo im
Hochsicherheitstrakt der Parteizentrale aufbewahrt werden -, und dann am Nachmittag, nachdem andere den
Deckel weggeräumt und die Budgetierung beendet haben, die höheren Beiträge kritisieren. Diese Arbeitsteilung lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({14})
Wir wissen, dass wir für Gesundheit mehr tun müssen, im persönlichen Verhalten, aber auch finanziell. Wir
wissen aber auch, dass „nur teuer“ nicht gleich „immer
besser“ ist. Vielmehr lohnt es sich nun auch, die Kräfte
des Wettbewerbs für eine effiziente Versorgung zu mobilisieren und sich auf die Menschen zu konzentrieren, für
die die gesetzliche Krankenversicherung einmal geschaffen worden ist, nämlich für Kranke. Der Fonds bewirkt dieses Mehr an Wettbewerb, einen Wettbewerb vor
allen Dingen um bessere Behandlungsprogramme und
bessere Behandlungsstrukturen, insbesondere für chronisch kranke Menschen. Der gut geführte, angemessen
versorgte und behandelte Patient als Mithandelnder gerät
doch jetzt in den Mittelpunkt des Kasseninteresses. Doppeluntersuchungen und Fehlbehandlungen zu vermeiden, Patientenmotivation zu stärken, ihre Beteiligung zu
fördern, die Abstimmungsprozesse im System zu verbessern, all das zahlt sich in Zukunft aus; denn genau für
die so versorgten Patienten erhält die Krankenkasse in
Zukunft unter dem Strich mehr an Zuweisungen, als
diese an Ausgaben produzieren. Das bisherige Objekt
der Begierde, also der gesunde, junge Gutverdiener ohne
Familienanhang, wird an Attraktivität verlieren. Auf ihn
abzielende Marketingstrategien werden sich in Zukunft
nicht mehr rechnen.
In modernen Behandlungsmethoden, intelligenten und
effizienten Versorgungsstrukturen mit wenigen Schnittstellen, guter Beratung und guter Betreuung und damit
geringeren Folgekosten liegt die Zukunft der Krankenkassen und der Vorteil für die Patienten.
Richtig ist, dass nicht jede Kasse für diesen Leistungs- und Qualitätswettbewerb gleich gut gerüstet
ist. Das Mehr an Transparenz, für das jetzt gesorgt wird,
fördert das auch deutlich zutage. Das haben im Laufe
dieses Jahres auch so manche Kassenmanager gemerkt.
Während die einen - das konnten wir heute auch wieder
erleben - das Unvermeidbare am liebsten auf Protestkundgebungen, in Podien oder Foren immer neu problematisieren und am liebsten wegdiskutieren wollen, haben sich andere längst an die Arbeit gemacht, sei es
durch interne Umstrukturierungen, neue Vertragsverhandlungen und Ausschreibungen oder auch durch strategische Kassenzusammenschlüsse. Aber auch hier passt
es nicht zusammen, stets die überbordende Bürokratie
und die hohen Verwaltungskosten zu beklagen und dann
Fusionen mit dem Stichwort „Einheitskasse“ abzutun.
Sieben Spitzenverbände hatten weniger Kompetenz
als der eine neue Spitzenverband, und die sieben Spitzenverbände haben deutlich mehr Personal gebraucht,
um dieselbe oder weniger Arbeit zu leisten, als es heute
der eine Spitzenverband kann.
({15})
Das sind praktische Vorschläge zur Entbürokratisierung,
nicht aber Ihr Gebrüll, das Sie heute Vormittag wieder an
den Tag gelegt haben.
Wir machen uns an die Arbeit. Die Debatte um die
Umsetzung und die Fragen, die die Menschen beschäftigen, macht Sinn, Ihr Antrag auf jeden Fall nicht. Wir lassen uns durch Ihre Schmollhaltung nicht von der Arbeit
und auch nicht davon abhalten, an unserem Konzept,
dem überzeugendsten, einer solidarischen Gesundheitsprämie, weiterzuarbeiten und es zu verwirklichen.
Herzlichen Dank.
({16})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Heinz
Lanfermann.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich darf mich zunächst einmal ganz ausdrücklich bei fast allen Vorrednern dafür bedanken, dass sie
sich so intensiv mit der FDP beschäftigt haben. In der
Tat wird es bis zur nächsten Bundestagswahl genügend
Gelegenheiten geben, über unsere Vorstellungen von einem Gesundheitssystem, das allen Menschen die beste
Versorgung bringen kann, zu debattieren. Dieses soll allerdings die Elemente Selbstbestimmung, Wahlfreiheit
und Selbstverantwortung enthalten.
({0})
Unterlagen dazu schicken wir Ihnen gerne zu, weil hier
manches falsch zitiert oder verstanden worden ist.
({1})
Über eines wollen wir uns gar nicht beschweren: Hier
ist deutlich gesagt worden, was man will. Frau Schmidt
hat ganz klar gesagt: Der Fonds kommt.
({2})
Frau Widmann-Mauz und andere haben gesagt: Der
Fonds kommt. - Auch die CDU und die CSU sagen dies.
Insofern verwundert mich Folgendes: Wir haben Ihnen eine einfache Frage gestellt: Wollen wir die Einführung verschieben, ja oder nein? - Dann lassen Sie uns
doch darüber abstimmen.
({3})
Wo ist denn das Problem? Warum können Sie nicht das,
was Sie sagen, auch durch einfaches Heben der Hand visuell verdeutlichen? Dann würden es die Menschen im
Lande nämlich sehen.
({4})
- Dann stimmen wir gleich darüber ab. Dann ist es ja in
Ordnung.
({5})
Mehr wollen wir ja gar nicht. Sie sollen nur zu dem stehen, was Sie wollen.
({6})
Meine Damen und Herren, Frau Schmidt hat gesagt,
die Sache mit dem Bürokratiemonster sei völliger Unsinn, das sei alles falsch. Na ja, wir haben den Altkanzler
Schröder zitiert, der vom Bürokratiemonster gesprochen
hat; übrigens haben viele andere Kolleginnen und Kollegen - auch aus der SPD und der CDU - genau dieses
Wort gebraucht. Wenn Sie uns jetzt weismachen wollen,
das stimme nicht, dann stehen Sie nicht dazu. Sie reden
immer nur über das, was draußen Eindruck machen soll;
Sie reden nicht über das, was Sie zu verantworten haben.
Darin sind Sie ganz großartig: Sie bemängeln Sachen,
die Sie selber auf den Weg gebracht haben. Sie stehen
doch seit sechs Jahren für eine Politik, die den Menschen
sagt, dass sie die Kasse gefälligst wechseln sollen, wenn
sie ihnen nicht gefällt oder zu teuer wird. Das haben die
Menschen jetzt getan, und nun sagen Sie: Schaut einmal,
die AOK Saarland hat so viele Rentner und so wenige
Mitglieder, die höhere Beiträge zahlen. - Ja gut, das haben Sie gewollt. Das ist Wettbewerb.
({7})
Sie sehen doch einen Risikostrukturausgleich vor, in
dem gerade das Alter berücksichtigt wird. Dann gestalten Sie den Risikostrukturausgleich doch anders. Dafür
brauchen Sie doch keinen Fonds, in den die Gelder eingezahlt werden, damit sie später wieder ausgezahlt werden.
({8})
Heute gehen Sie gar nicht - das verschweigen Sie,
aber es ist ein wichtiges Thema - auf die Bürokratie
ein. Sie wissen ganz genau: Für 73 Millionen Versicherte
in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland
müssen Konten eingerichtet werden, die es bisher nicht
gab. Bisher zahlten nur die Arbeitgeber ein. Dann ist das
Geld da, und dann werden die Kosten bezahlt. Es gibt
aber keine Einzelkonten für die Versicherten.
Von den 73 Millionen Versicherten sind 51 Millionen
selbst versichert, der Rest ist mitversichert. Also braucht
man 51 Millionen Konten. Jetzt sagt der AOK-Bundesverband - also nicht die FDP und auch nicht deren Propagandaabteilung -, dass ein Konto 2,50 Euro pro Kopf
und Monat kostet. Das ist auch nachvollziehbar, wenn
Sie einmal überlegen, was Ihr Bankkonto kosten kann.
Wenn ich 2,50 Euro mal 51 Millionen auf die Schnelle
richtig gerechnet habe, kommt man immerhin auf einen
Betrag von 125 Millionen Euro im Monat.
({9})
Das kann man mal zwölf nehmen, um einen Jahresbetrag
zu bekommen. Dann ist man bei 1 500 Millionen Euro.
Man kann auch sagen: 1,5 Milliarden Euro. Da der Beitragssatz immer um 0,1 Prozent steigt, wenn man
1 Milliarde Euro mehr Ausgaben hat, dürften das
0,15 Beitragspunkte sein. Berücksichtigen Sie das bitte
in den nächsten Tagen, wenn Sie für ganz Deutschland
den Beitragssatz für die Krankenkasse festsetzen wollen.
Auch Sie, Herr Zöller, müssen dann bei Ihren Kalkulationen noch etwas drauflegen.
({10})
Es soll niemand sagen, er habe es nicht gewusst und
habe es nicht gehört. Sie müssen auch diese Bürokratiekosten einrechnen.
Wenn Ihnen das aber zu kompliziert ist oder Ihnen die
Zahlen zu hoch sind, dann machen Sie es andersherum:
Für Prävention, Ihr Lieblingsthema, geben Sie im
Jahre 2008 etwa 2,80 Euro pro Versicherten aus - nicht
pro Monat, pro Jahr. Dazu kommen noch 60 Cent oder
70 Cent für Selbsthilfe. Das ist auch ein edles Motiv, ein
edles Ziel. Das macht zusammen ungefähr 3 Euro oder
3,50 Euro.
({11})
Es sind jedenfalls über 3 Euro im Jahr.
Herr Kollege, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie
etwas schneller rechnen müssen, weil die Redezeit abgelaufen ist.
Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin.
({0})
30 Euro im Jahr für neue Verwaltungskosten, nämlich
zwölfmal 2,50 Euro, aber nur 3,50 Euro für Prävention
und Selbsthilfe. Mehr als achtmal so viel Geld, wie Sie
für Prävention und Selbsthilfe ausgeben, verschwenden
Sie für die neue Bürokratie.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, Herr Lanfermann hat eben eindrucksvoll
vorgeführt, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt
ist.
({0})
So gut, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt ist,
so gut ist es auch inhaltlich um die Künste der FDP bestellt, denn der Antrag, den Sie vorgelegt haben und den
wir heute debattieren, ist genauso schlicht, wie er
schlicht untauglich ist, liebe Kollegen und Kolleginnen.
Sie wollen mit Ihrem Antrag - was Sie wollen, sieht
man eigentlich erst in der Begründung - die Ungerechtigkeiten, die es im heutigen System gibt, nicht nur festschreiben, sondern Sie wollen sie sogar noch verstärken.
Sie tun das alles nach dem Motto: Allen wohl und keinem wehe. Das hat man auch gestern gesehen: bei der
Demo mitmarschieren und sich gleichzeitig an anderer
Stelle für Beitragssatzsenkungen aussprechen. Das passt
alles nicht zusammen.
({1})
Sie können nicht den einen mehr Geld versprechen
und auf der anderen Seite sagen, aber die Beiträge müssen sinken. Wenn Sie den einen mehr Geld geben wollen
und den anderen nur eine geringere Beitragslast zumuten
wollen, müssen Sie auch sagen, welche Leistungen Sie
aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgliedern wollen. Das tun Sie aber nicht.
Sie sagen in Ihrem Präsidiumsbeschluss, dass die
Leistungen auf das medizinisch Notwendige beschränkt
werden sollen. Ja, was ist denn das medizinisch Notwendige? Sie tun ja so, als sei das, was heute von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird, alles nicht medizinisch notwendig. Heißt das, dass ältere Menschen
vielleicht keine Hüftgelenksoperation mehr bekommen?
Heißt es das? Ist es das, was Sie unter „nicht medizinisch
notwendig“ verstehen?
({2})
Dann legen Sie die Karten doch endlich einmal auf den
Tisch, und sagen Sie, was Sie wollen!
({3})
Außerdem wollen Sie keinen vernünftigen Risikostrukturausgleich. Sie wollen sogar hinter den Status quo
noch zurück. Was bedeutet das denn? Das bedeutet, dass
die Kassen, die heute - nicht, weil sie es sich ausgesucht
haben, denn die Kassen können sich ihre Versicherten
nicht aussuchen; die gesetzlichen Krankenkassen müssen jeden, der Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse
hat, aufnehmen - einen hohen Anteil von Geringverdienern versichert haben, die wenig freiwillig Versicherte
haben, die viele kranke Menschen versichert haben, für
die sie ein gutes Versorgungsangebot haben, ihre Beiträge noch weiter erhöhen müssten, während andere, die
Internetkrankenkassen sind, die bestenfalls irgendwo
eine Geschäftsstelle haben und ansonsten nur per Telefon und Internet zu erreichen sind, ihre Beiträge sogar
noch absenken könnten.
Mit einem solidarischen Gesundheitssystem und einer
guten medizinischen Versorgung hat das überhaupt
nichts zu tun.
({4})
Sie sollten wirklich noch einmal in sich gehen, auch bezüglich der Frage, inwieweit von der solidarischen Fi19276
nanzierung der Krankenversicherung in Deutschland abgegangen werden soll.
Sie fordern auch, mehr Kapitaldeckungselemente in
die Krankenversicherung zu bringen. Ich frage mich:
Was wäre passiert, wenn wir einen noch höheren Anteil
an privater Vorsorge in dem gesetzlichen System der
Krankenversicherung gehabt hätten und das Geld bei der
Finanzkrise plötzlich „puff!“ gemacht hätte?
({5})
- Herr Bahr, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die
Krankenkassen im nächsten Jahr schuldenfrei sein werden,
({6})
dass auch regional tätige Krankenkassen in Ländern, in
denen die FDP Regierungsverantwortung mitträgt, von
der Landesaufsicht mit in die Verschuldung getrieben
worden sind. Keine Partei und keine Regierung kann
sich davon freisprechen, mit dem Ziel, die Beitragsstabilität zu erhalten, einige Krankenkassen in die Schulden
getrieben zu haben.
({7})
Damit haben wir jetzt aber Schluss gemacht.
({8})
Hinzu kommt, dass wir mit dem Fonds den Risikostrukturausgleich verbessern.
({9})
- Natürlich. - Mehr Krankheiten werden ausgeglichen.
Das heißt, Kassen, die mehr kranke Versicherte haben,
bekommen mehr Geld zugewiesen, damit die dadurch
entstehenden zusätzlichen Kosten ausgeglichen werden.
({10})
Wir hätten es allerdings besser gefunden, wenn es keine
Begrenzung auf 50 oder 80 Krankheiten gegeben hätte.
Wenn es nach Ihnen ginge, wären vielleicht Alter und
Geschlecht Kriterien, aber damit hätte sich die Sache
auch schon. Das trägt aber überhaupt nicht. Das würde
zu einer Verschlechterung der Versorgung führen.
({11})
- Herr Bahr, schreien Sie doch nicht so dazwischen!
Stellen Sie eine Zwischenfrage! Die beantworte ich Ihnen dann gerne.
({12})
Ich muss sagen: Im Zweifel kann ich etwas lauter reden
als Sie. Die Tatsache, dass Sie hier so rumschreien, zeigt,
dass ich Ihren Nerv getroffen habe.
({13})
Wir haben auch einen besseren Finanzkraftausgleich. Heute haben wir einen Finanzkraftausgleich von
nur 92 Prozent, künftig wird er 100 Prozent betragen.
({14})
In Zukunft wird es also keine Rolle mehr spielen, wie
viel ein Krankenversicherungsmitglied verdient. Das
Geld wird gerecht zwischen den Krankenversicherungen
aufgeteilt werden.
Wenn man sich die Unterschiede bei den Beitragssätzen anschaut, stellt man fest, dass die Bandbreite sehr
groß ist. Da Sie immer auf die billigen Internetkrankenkassen abstellen - Frau Schmidt hat eben ja auch die
AOK Saarland und die IKK Südwest-Direkt angesprochen - möchte ich sagen: Diese Änderung hat eine weitere Folge, die für Ihre Klientel nicht so ganz günstig ist.
Wenn ein Versicherter im Saarland, in Hessen oder in
Rheinland-Pfalz von der AOK zur IKK Südwest-Direkt
wechselt, dann spart er zwar Geld, aber seine Ärzte bekommen auch weniger Honorar. Warum? Weil die IKK
Südwest-Direkt weniger in den KV-Topf einbezahlt. Das
heißt, der Arzt, der den Patienten Müller oder die Patientin Schmidt behandelt, bekommt für die gleiche Leistung
beim gleichen Patienten weniger Geld, und zwar nur,
weil ein Krankenkassenwechsel stattgefunden hat.
({15})
Auch dieser Zustand wird mit der Gesundheitsreform
beendet. Künftig wird für gleiche Leistung auch gleiches
Geld bezahlt. Deshalb sind die Zuweisungen aus dem
Gesundheitsfonds gerecht.
({16})
Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren werden wir
darauf drängen, dass auch die Verwaltungskosten gerecht ausgeglichen werden. Im Regierungsentwurf
({17})
haben wir folgende Verteilung der Verwaltungskosten:
zu 50 Prozent morbiditätsorientiert und zu 50 Prozent an
der Mitgliedschaft orientiert. Wir möchten, dass sich die
Kassen um ihre kranken Versicherten kümmern und Beratungsangebote vorhalten. Wenn ich nur Mitglieder
habe, die gesund sind und Geld bezahlen - das ist ein
Gesetz der Logik -, habe ich weniger Verwaltungsaufwand, als wenn ich Mitglieder und Versicherte habe, die
krank sind, die Beratung, gute Versorgung und ein gutes
Versorgungsmanagement brauchen.
Deshalb sind wir der Überzeugung, dass die Aufteilung in 70 Prozent morbiditätsorientiert und 30 Prozent
orientiert an der Versichertenzahl die bessere Lösung ist.
Diese Auffassung teilen wir übrigens mit 16 Bundesländern; zwei Bundesländer haben sich bei der Abstimmung
im Bundesrat enthalten. Ich hoffe, dass die Unions-Bundestagsfraktion da ihre Blockadehaltung aufgibt und mit
uns für einen besseren Wettbewerb um die beste medizinische Versorgung, die beste Betreuung der Mitglieder
und nicht um die pflegeleichtesten Versicherten eintritt.
({18})
Der nächste Punkt, den ich noch ansprechen möchte,
ist der Beitragssatz. Wir haben in den letzten Wochen
und Monaten teilweise unsinnige Diskussionen erlebt.
Es wurde behauptet, höhere Beiträge seien auf den Gesundheitsfonds zurückzuführen. Das ist natürlich blanker Unsinn. - Sie schütteln den Kopf; daran merkt man,
dass Sie kein Experte sind.
({19})
- Ach, die Liquiditätsreserve. Herr Bahr, wenn ich im
nächsten Jahr mehr Ausgaben habe als in diesem Jahr,
würden auch im jetzigen System die Beiträge steigen. So
weit können Sie mir wahrscheinlich zustimmen.
({20})
Die Liquiditätsreserve wird beitragssatzneutral aufgebaut werden. Das ist der nächste Punkt.
({21})
- Herr Lanfermann, stehen Sie doch auf, und stellen Sie
eine Zwischenfrage, oder seien Sie ruhig! Das, was Sie
hier machen, ist ja wirklich unmöglich.
Der Punkt ist, dass der Schätzerkreis die voraussichtlichen Einnahmen und die voraussichtlichen Ausgaben
prognostizieren wird. Im Gesetz steht klar und deutlich,
dass der Beitragssatz so zu bemessen ist, dass hundert
Prozent der Ausgaben gedeckt werden können. Ich kann
Neugierige, die darauf jetzt politisch Einfluss nehmen
wollen, nur warnen. Herr Ramsauer beispielsweise hat
es vor ein paar Monaten versucht nach dem Motto: die
Beiträge runter. Das ist eher Populismus im Hinblick auf
die bayerische Landtagswahl, als dass es mit Seriosität
zu tun hat.
Wir werden dafür sorgen, dass die Beiträge so bemessen werden, dass alle Leistungen finanziert werden können und dass alle Versicherten auch künftig eine gute
und hochwertige medizinische Versorgung haben, die
solidarisch finanziert ist. Das werden wir im nächsten
Bundestagswahlkampf deutlich machen, in dem wir wieder für unser Konzept einer Bürgerversicherung werben
werden.
Vielen Dank.
({22})
Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
CSU-Politiker sind grundsätzlich der Wahrheit verpflichtet.
({0})
Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wiederum die Ehre, eine rückwärtsgerichtete Diskussion zu führen.
({1})
Die Abstimmung über den Gesundheitsfonds hat bereits
stattgefunden. Offensichtlich hat die FDP das noch nicht
kapiert
({2})
und deshalb einen Antrag gestellt. Es ist völlig klar: Das
ist der bayerischen Landtagswahl geschuldet. Ich kann
durchaus die Freude vom Kollegen Lanfermann verstehen, wenn er heute feststellt, dass sich so viele mit der
FDP beschäftigen. Aus meinem Einsatz im Landtagswahlkampf kann ich berichten,
({3})
dass alle FDP-Heroen in unserem Stimmkreis immer nur
einen Unternehmer besuchen können, weil es nur einen
bekennenden FDPler gibt; es sind auch immer dieselben
drei Personen dabei.
({4})
Von daher habe ich Verständnis dafür, dass er sich freut,
dass der FDP heute mehr Aufmerksamkeit zuteil wird
als im bayerischen Landtagswahlkampf.
({5})
Uns geht es um die hochwertige Versorgung unserer
Bürgerinnen und Bürger im medizinischen Bereich. Deshalb nutzen rückwärtsgerichtete Diskussionen nicht. Es
geht um die Gestaltung unseres solidarisch finanzierten
gesetzlichen Krankenversicherungssystems und auch um
den Stellenwert der privaten Krankenversicherung. Das
ist meines Erachtens etwas Entscheidendes.
Wir haben eine gute Gesundheitsreform auf den
Weg gebracht. Natürlich kann man sich über verschiedene Elemente streiten. Frau Bundesministerin und die
Kollegin Widmann-Mauz haben die Vorteile der Gesundheitsreform bereits dargestellt: verbesserte Pflichtleistungen für die gesetzlich Krankenversicherten, mehr
Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite, mehr Ver19278
tragsmöglichkeiten, etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung durch Selbstbehalttarife. Das zeigt, dass im
System der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin
Wettbewerbselemente vorhanden sind.
({6})
Natürlich möchte ich auch herausstellen, dass wir es krisenfest gemacht haben, indem die Schulden abgebaut
worden sind.
({7})
Schuldenabbau ist immer zum Vorteil aller Versicherten und der Gesellschaft insgesamt. Zukünftig werden
noch mehr Finanzmittel über Steuermittel beigesteuert.
Für diese Mittel muss die Gesellschaft insgesamt aufkommen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Solidarität in
unserer Gesellschaft mit dieser Reform gestärkt worden
ist.
({8})
Ich gebe ganz unumwunden zu: Wir als CSU haben
sehr vieles kritisch beäugt. Insbesondere was die Einführung des einheitlichen Beitragssatzes angeht, ist in
meinem Bundesland - das haben viele Gutachter hier bestätigt; die einzelnen Wissenschaftler haben lediglich
unterschiedliche Größenordnungen vorausgesagt - mit
einem Beitragsmittelabfluss zu rechnen. Für uns Bayern
ist das besonders bedeutsam; schließlich soll den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern weiterhin eine hochwertige medizinische Versorgung im ambulanten wie im stationären Bereich wie bisher gewährleistet werden.
Deshalb war für uns die Einführung der Konvergenzklausel wichtig. Ich möchte zugestehen: Wir haben mit
dafür gesorgt, dass die Konvergenzklausel so ausgestaltet ist, wie es im politischen Sinne vereinbart worden ist.
Daher haben wir Gutes für die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger geleistet.
({9})
Dasselbe gilt natürlich für die Bezahlung der Leistungserbringer im Rahmen der Honorarreform. Es
kann nicht sein, dass alle Ärzte in Deutschland bis auf
die in Bayern zukünftig mehr verdienen. Auch für die
Ärztinnen und Ärzte in Bayern muss ein Anteil abfallen.
Wichtig ist auch die Stärkung des Krankenhaussektors. Wir stehen dazu - bemerkenswert ist, dass die Frau
Kollegin Bender bekrittelt hat, dass mehr Geld für die
Krankenhäuser ausgegeben wird; die Kolleginnen und
Kollegen der FDP bekritteln dies, obwohl sie zusammen
mit den Demonstranten draußen marschieren und in diesem Hause günstige Beiträge fordern -, dass für die Bürgerinnen und Bürger weiterhin eine flächendeckende,
großartige Krankenhausversorgung zur Verfügung steht.
Das haben wir hier mit erreicht.
({10})
Frau Kollegin Ferner, eines möchte ich noch ansprechen. Ich möchte auf die Anhörung bezüglich der Verwaltungskosten verweisen. Sie fordern, dass die Aufteilung
der Verwaltungskosten zukünftig wieder nach dem Muster „70 Prozent nach Morbidität, 30 Prozent nach Versichertenanzahl“ erfolgt. Gerade in der Anhörung hatte der
ehemalige Präsident des Bundesversicherungsamtes,
Herr Dr. Daubenbüchel, dargestellt, dass es für diese Aufteilung keine empirische Grundlage gibt, sondern dass
- im Gegenteil - die im Gesetzentwurf der Bundesregierung verankerte Aufteilung der Verwaltungskosten „50 Prozent nach Morbidität, 50 Prozent nach Versichertenanzahl“ sehr sachgerecht ist. Wir werden die Intention der
Bundesregierung weiterhin mit größter Anstrengung unterstützen.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({11})
Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Peter Friedrich.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste und Zuhörer! Zunächst: Frau Staatsministerin Müller, auch von uns alles Gute für den weiteren
Weg. Sie haben uns zwei Wünsche hinterlassen: Der
eine war, für mehr Prävention zu sorgen, und der andere,
den Strukturwandel im Krankenhausbereich voranzubringen. Ich kann Ihnen versichern: Wir von der SPDFraktion werden bei unserer Arbeit beide Wünsche
nachhaltig berücksichtigen. Wir wollen ein Präventionsgesetz auf den Weg bringen, das diesen Namen auch verdient.
({0})
Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass in den Ländern
die notwendigen Investitionsmittel fließen und dass sich
die Strukturen der Krankenhäuser entsprechend anpassen.
Bevor ich ein paar Sätze zu dem Antrag der FDP
sage, möchte ich einige Worte zu dem Beitrag von Herrn
Spieth verlieren. Herr Spieth, ich kann gut verstehen,
dass Sie sich an der FDP abarbeiten. Aber Sie hätten der
Vollständigkeit halber schon erwähnen sollen, dass Sie
gestern - abends gingen alle Reden zu Protokoll - einen
Antrag eingebracht haben, in dem Sie vorschlagen, den
Gesundheitsfonds nicht einzuführen.
({1})
Da Sie schon mehrere Beiträge zu diesem Thema gebracht haben, weiß ich, dass Sie das eigentlich gar nicht
so sehen. Ich weiß nicht, ob Sie da überstimmt worden
sind oder ob der Fachsprecher Spieth vom Lautsprecher
Spieth übermannt wurde.
({2})
Aber in der Sache ist es so: Wir halten Kurs. Wir werden
den Fonds einführen. Schließlich stellen sich die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Kassen darauf ein;
und das ist gut so.
({3})
Ich komme nun zum Antrag der FDP. Der Text selber ist kurz, aber zu Ihrer Begründung möchte ich ein
paar Worte sagen. Sie schreiben im zweiten Absatz, dass
der Preis ein wesentliches Element des Wettbewerbs bei
den Versicherungen sei. Ich stelle fest, dass die FDP die
Strukturunterschiede zwischen der gesetzlichen und der
privaten Krankenversicherung offensichtlich immer
noch nicht ganz nachvollzogen hat. Wenn Sie schreiben,
der Preis sei das wesentliche Wettbewerbselement, dann
kann ich Ihnen nur sagen: Der Preis einer Versicherung
bemisst sich nach dem Risiko, das zu versichern ist. Sie
wollen nach wie vor - daran halten Sie fest -, dass Risikoselektion ein Wettbewerbsinstrument ist. Das wollen
wir nicht. Genau deswegen machen wir diese Reform.
({4})
Ich erinnere Sie nur an § 1 SGB V: Die Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft. Sie ist kein Element der Risikoselektion.
Sie schreiben im nächsten Absatz, dass der einheitliche Krankenversicherungsbeitrag dazu führen werde,
dass „Forderungen nach mehr Steuergeld“ kämen. Ich
sage Ihnen: Ich bin froh darüber, dass wir endlich im politischen Raum gleiche Bedingungen bei der Frage haben: Gehen wir in die Beitragssätze, oder nehmen wir
Steuergeld?
({5})
Wir sind der Auffassung - diese Meinung teilt der überwiegende Teil dieses Hauses -, dass die Versicherung
eben nicht allein an den Faktor Arbeit gekoppelt sein
darf, sondern dass wir gerade für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben mehr Steuergeld in die Hand nehmen
wollen. Das kritisieren Sie. Aber genau das ist unser
Wille und Wunsch: Wir wollen in der Krankenversicherung mehr Steuermittel einsetzen.
({6})
Ich als Gesundheitspolitiker betrachte deswegen die
Debatte um den Arbeitslosenversicherungsbeitrag mit
einer gewissen Sorge; das sage ich ganz offen. In den
Sozialversicherungen haben wir zum Teil kommunizierende Röhren. Es kann nicht sein, dass wir in einem Bereich die Beiträge immer weiter absenken, während
gleichzeitig Geld aus der GKV in die Arbeitslosenversicherung fließt und wir umgekehrt bei der gesetzlichen
Krankenversicherung mit höheren Beitragssätzen zu
rechnen haben, weil die Zuweisungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht ausreichen.
({7})
Das kann dauerhaft nicht ernsthaft gewollt sein, und
zwar allein deswegen, weil der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nur von denen gezahlt wird, die im Beschäftigungsleben stehen, während der Krankenversicherungsbeitrag auch von den Rentnerinnen und Rentnern erbracht
werden muss. Deswegen müssen wir auch hier für einen
vernünftigen Ausgleich sorgen. Wir können nicht auf der
einen Seite die Beiträge immer weiter absenken, wenn
sich das dann bei der GKV negativ auswirken würde. Ich
bin froh, dass wir in der Koalition gemeinsam für eine Lösung streiten.
In Ihrem Antrag kommen Sie dann im Weiteren dazu,
was Sie eigentlich umtreibt. Es geht Ihnen schon lange
nicht mehr um die Frage, wie die Einnahmen aufgeteilt
werden. Vielmehr geht es Ihnen um den Risikostrukturausgleich; die Kollegin Ferner hat das schon ausgeführt.
Sie wollen nicht, dass die Kassen das Geld bekommen,
um die Kranken zu versorgen.
({8})
Das ist nicht Ihr eigentliches Ziel. Dagegen gehen Sie
immer wieder vor.
({9})
Das wird auch ganz deutlich, wenn Sie schreiben: Der
Risikostrukturausgleich wird zu einem „allumfassenden
Zuteilungssystem“ ausgeweitet. Das kritisieren Sie. Wir
aber wollen das. Wir wären gerne noch ein Stückchen
weitergegangen; aber wir sind hier auf einem guten Weg.
({10})
Auf der zweiten Seite der Begründung kommen Sie
dann dazu, die Kassen würden in Zukunft nicht mehr
darauf achten, den Versicherten ein überzeugendes
Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Ich sage Ihnen:
Wenn Sie glauben, Gesundheit könne man allein als ein
Produkt, als eine Ware definieren, die dann ihren Preis
auf einem Markt im freien Spiel der Kräfte findet, dann
entsolidarisieren Sie die Gesellschaft auf einem wichtigen Feld, nämlich dort, wo es um die persönlichen Risiken der Menschen geht.
Wir haben dafür gesorgt - es macht uns noch einige
Mühe, hier die gesetzlichen Feinjustierungen vorzunehmen -, dass Kassen in Zukunft bei der Organisation der
Leistungen für die Versicherten vernünftige Instrumentarien haben und Verträge abschließen können, dass sie indikationsbezogene Versorgungsmodelle anbieten und
ganze Versorgungsketten entwickeln können, um optimale Leistungen für ihre Versicherten zu sichern. Das ist
die Qualität des Wettbewerbs, den wir in Zukunft haben
werden, also eine optimale Versorgung der Versicherten.
Es geht eben nicht um das Preis-Leistungs-Verhältnis anhand der Ware Gesundheit.
({11})
Zum Schluss noch ein Wort zu den regionalen Besonderheiten. Wir haben eben einen Beitrag zum
Thema Konvergenzklausel gehört. Wir sind froh, dass
wir die Forderungen aus der Bayerischen Staatskanzlei
samt denen zum Transrapid beiseitelegen können und
jetzt zu einer vernünftigen Methode bei der Konvergenz
kommen.
Mein Wahlkreis liegt am Bodensee. Dort gibt es eine
sehr hohe Versorgungsdichte; das ist für uns wichtig und
wertvoll. Gleichwohl muss ich sagen: Es kann nicht angehen, dass es weniger wert ist, die Erkältung, mit der
ich mich zurzeit herumplage, hier in Berlin auszukurieren, als wenn ich sie in Konstanz auskurieren würde.
({12})
Das kann nicht ernsthaft der Anspruch eines solidarischen Systems sein.
Wir müssen den regionalen Besonderheiten gerecht
werden. Beim Honorierungssystem tun wir das. Ihnen
kann aber doch nicht egal sein, ob die Menschen, wie es
in meinem Wahlkreis der Fall ist, fünf Minuten bis zu ihrem Hausarzt brauchen, oder ob sie, wie in der Uckermark, eine Dreiviertelstunde bis zu ihrem Arzt brauchen.
Das kann Ihnen doch nicht ernsthaft gleichgültig sein!
({13})
Mit dem Gesundheitsfonds gewährleisten wir zum
ersten Mal einen 100-prozentigen Einkommensausgleich. Damit vollenden wir die soziale innere Einheit
Deutschlands. Ich bitte Sie, das immer mitzubedenken.
Das ist für die Länder, die mehr hätten leisten müssen
- das sind in diesem Fall die grundlohnsummenstarken
Länder -, immer mühsam.
({14})
Ihnen muss man das erklären. Sie machen das auch nicht
gerne. Wenn man am Prinzip der Solidargemeinschaft
festhalten will, ist das aber notwendig. Hier sind wir auf
einem guten Weg. Darüber freue ich mich.
Ich bin mir ganz sicher: Im nächsten Jahr werden sich
die Menschen tatsächlich wundern.
({15})
Die ganze Zeit haben sie nämlich von Ihnen, der Opposition, zu hören bekommen, dass alles in sich zusammenbricht. Im nächsten Jahr werden sie aber feststellen, dass
die Leistungen weiterhin wie gewohnt erbracht werden
- in weiten Bereichen werden sie sogar ausgeweitet ({16})
und dass die Finanzierung insgesamt gerechter wird.
({17})
Daher blicke ich mit Freude auf das nächste Jahr, und
zwar auch auf die Wahlauseinandersetzung. Dann werden wir sehen, wer sich um das Gesundheitssystem verdient gemacht hat und wer nicht.
({18})
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin
Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Freuen Sie sich nicht auch, so wie ich, auf die
vielen schmackhaften Äpfel, die wir im Herbst ernten
können?
({0})
Sie sind sehr gesund. Was uns Menschen aber überhaupt
nicht bekommt, sind Zankäpfel.
({1})
Den Gesundheitsfonds zum Zankapfel zu machen,
was seit Wochen versucht wird
({2})
- das haben wir auch in dieser Debatte erlebt -, ist nicht
zielführend. Der Streit lähmt die Kräfte, die wir brauchen, um dieses anspruchsvolle und zukunftsorientierte
Projekt auf den Weg zu bringen. Ohne Fleiß kein Preis,
meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Einführung der neuen Regelungen wird nur gelingen, wenn
alle, aber auch wirklich alle, ihren Teil dazu beitragen.
({3})
Die Kernfrage ist: Wie viel Geld wollen wir, will jeder einzelne von uns mit großer Freude und freiwillig für
die Sicherung unseres qualitativ sehr hochwertigen Gesundheitswesens ausgeben? Die Gesundheit bzw. das
Wieder-Gesund-Werden ist ein sehr wertvolles Gut und
eigentlich gar nicht mit Geld zu bezahlen; hier schließe
ich mich meinem Vorredner an.
Gleichwohl dürfen wir uns nicht vor den Fragen der
Höhe des Beitragssatzes und der solidarischen Verteilung drücken. Entweder haben wir den Elan und das Augenmaß, diese Herausforderungen Schritt für Schritt,
aber konsequent zu bewältigen, oder wir kommen irgendwann, unter anderem aus demografischen Gründen,
in die Phase der totalen Rationierung, die ich schon einmal erlebt habe. Mit der jetzigen Form des Gesundheitsfonds sind wir nicht am Ende des Umbauprozesses,
wenn wir auf der einen Seite wettbewerbsfähig und auf
der anderen Seite medizinisch gut versorgt bleiben wollen.
Mich wundert der Kleinmut ob dieser großen Aufgabe. Hätten wir im Jahre 1990 auch so viel Zeit zum
Zögern gehabt, dann müssten sich die Menschen in den
neuen Bundesländern heute noch viel mehr mit den Folgen einer medizinischen Mangelwirtschaft auseinandersetzen,
({4})
die es trotz der fundierten Kenntnisse und der fleißigen
Arbeit aller in den medizinischen Berufen Tätigen gab.
({5})
Ich erinnere nur an die Abgabe notwendiger Medikamente gegen Herzleiden nach Parteibuch, das schmale
Sortiment von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, lange
Warteschlangen in den Polikliniken usw. usf. Die Krankenversicherungsbeiträge waren auch damals sehr niedrig, und das System war unterfinanziert. Viele wären
nicht so früh gestorben, wenn ihnen die medizinischen
Möglichkeiten unseres heutigen Gesundheitssystem zur
Verfügung gestanden hätten.
Aktuell müssen wir aber aufpassen. Denn der
Wunsch, von der Solidargemeinschaft immer mehr zu
bekommen, obwohl der zu verteilende Kuchen nicht
größer wird - das haben wir gestern gehört -, ist nicht zu
erfüllen.
Wir verstehen den Unmut der Menschen und auch der
Arbeitgeber in den Regionen, in denen sich die Beitragssituation der örtlichen Kassen dank vollzogener realer
Anstrengungen beim Abbau der Anzahl an Krankenhausbetten und hinsichtlich der Mehreinnahmen durch
den RSA in solidarischer Gemeinschaft, um nur zwei
Faktoren zu nennen, derzeit ausgesprochen günstig gestaltet und in denen dem höheren einheitlichen Beitrag
mit Stirnrunzeln entgegengesehen wird. Wenn alles
wunderbar ist, dann haben die betroffenen Krankenkassen den Spielraum einer Beitragsrückerstattung, die wir
ja ausdrücklich ins Gesetz geschrieben haben.
({6})
Ich erwarte, dass das dann auch getan wird.
Dass sich heute hier und da in den neuen Bundesländern leider wieder Warteschlangen bilden - zum Beispiel zur Vergabe von neuen Terminen -, liegt in erster
Linie daran, dass die ambulant tätigen Ärzte mit dem ihnen zugeteilten Finanzvolumen rund ein Drittel mehr Patienten betreuen müssen, damit die Versorgung gewährleistet wird. Manche können kaum noch neue Patienten
aufnehmen; das wissen wir. Auch die für diese Leistung
gezahlten niedrigen Einkommen werden nach der Einführung der neuen Honorarordnung mit Honorarzuschlägen für unterversorgte Gebiete Geschichte sein. Wer
diese gesetzliche Neuregelung nicht als Fortschritt begreift, der hat nichts begriffen.
({7})
Ich erwarte, dass das neue Honorarsystem ehrlich und
konsequent umgesetzt wird, und möchte nicht, dass wir
in einiger Zeit feststellen müssen, dass man sich hier und
da durchmogelt.
({8})
Die neue gesetzliche Möglichkeit, bei Bedarf auch
Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen,
wird schon genutzt. Die Akzeptanz - ja, die Freude - ist
sehr groß, wenn es auf diese Weise gelingt, die Praxis
vor Ort offen zu halten. Das hat aber auch Grenzen, wie
zum Beispiel in Sachsen. In den dortigen Krankenhäusern fehlen rund 270 Mediziner, und gleichzeitig fehlen
dort rund 80 niedergelassene Ärzte.
Mit dem Gesundheitsfonds wird die realistische
Chance geboten, eine Verteilung der Gelder unter Berücksichtigung der tatsächlichen Versorgungssituation
vorzunehmen. Durch den Morbi-RSA, nach dem die
Kassen in Zukunft ihre Zuweisungen erhalten, wird eine
gleichmäßige, dem Alter und dem Erkrankungsgrad der
Bevölkerung einer Region angepasste Verteilung des
vorhandenen Geldes garantiert.
Mit dem Gesundheitsfonds sichern wir eine auf Dauer
angelegte Solidarleistung. Wir zögern nicht, sondern wir
fangen damit jetzt an und werden uns bald mitten im
Umsetzungsprozess befinden. Ich danke allen, die in den
nächsten Wochen und Monaten noch sehr hart an dieser
Sache arbeiten werden.
Danke.
({9})
Ich schließe die Aussprache.
Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich
Herrn Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort
zur Geschäftsordnung.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Koalition beantragt, dass der Antrag der FDP an die
Ausschüsse überwiesen wird. Dem widersprechen wir.
({0})
Ich denke, dass durch die heutige Aussprache gezeigt
wurde, dass alle klar positioniert sind. Am Deutlichsten
gilt das für die Linkspartei, was mir zeigt, dass wir nicht
nur im klarsten Kontrast zur CSU in Bayern, sondern
auch im klarsten Kontrast zu den Linken stehen.
({1})
Ich weiß gar nicht, was Sie mit der Überweisung in
die Ausschüsse erreichen wollen.
({2})
Der Murks Gesundheitsfonds bleibt Murks, auch dann,
wenn er noch mehrfach gequirlt wird.
({3})
In Wirklichkeit gibt es doch nur einen einzigen Grund
dafür. Sie wollen die Wähler in Bayern hinsichtlich der
Haltung der CSU weiter unmündig lassen.
Hier erklärte der Straubinger Max, dass er die Regierungspolitik unterstützt,
({4})
und die Bundesgesundheitsministerin erklärte hier, dass
sie weiterhin den Weg zur Staatsmedizin beschreiten
will, während in Bayern der Eindruck erweckt wird, man
sei gegen den Gesundheitsfonds. Das lassen wir nicht zu.
({5})
Es ist kein Verschiebebahnhof, sondern Klarheit für
die Wähler gefragt.
({6})
Deshalb fordern wir Sie auf: Stimmen Sie heute hier ab
und sagen Sie klar Ihre Auffassung. Wir sagen Nein zum
Gesundheitsfonds und fordern Sie auf, das ebenfalls zu
tun.
Vielen Dank.
({7})
Wird das Wort zur Erwiderung gewünscht? - Ich
sehe, das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/9805. Wie Sie eben gehört haben,
wünscht die FDP-Fraktion Abstimmung in der Sache,
die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen die
Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss
für Gesundheit und mitberatend an den Finanzausschuss,
den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an
den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Die Abstimmung über den Antrag auf Überweisung
geht nach ständiger Übung in diesem Haus vor. Deshalb
frage ich: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? Wer stimmt dagegen? - Das erste war eindeutig die
Mehrheit. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir
stimmen über den Antrag in der Sache heute also nicht
ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs ({0})
- Drucksache 16/10144 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe
und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Bundesregierung Frau Bundesministerin
Brigitte Zypries das Wort.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten,
wenn Sie noch Gespräche führen wollen, dies außerhalb
des Plenarsaals zu tun.
({2})
Genau. Hier kann jeder lernen. Das ist völlig richtig,
Herr Kollege.
Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung
zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Versorgungsausgleich
ist, sage ich: Der Versorgungsausgleich bedeutet den
Ausgleich der Rentenansprüche, die man während der
Ehezeit erworben hat.
Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir sehr lange
beraten haben, wird zu gerechten Teilungsergebnissen
führen, wie wir meinen. Er ist einfach und verständlich
formuliert und regelt sämtliche Rentenangelegenheiten
bereits bei der Scheidung. Das ist der große materielle
Vorteil. Ansonsten geht es vor allen Dingen um technische Fragen; denn das materielle Recht - also die Teilung der Versorgungsansprüche durch zwei bei Auflösung einer Ehe - wird beibehalten. Das wollen wir nicht
ändern.
Das Konzept, das Sie zu beraten haben, hat bereits im
Vorfeld große Zustimmung gefunden - was nicht immer
der Fall ist -, sowohl bei den Ländern, der Anwaltschaft,
der Familiengerichtsbarkeit, den Versorgungsträgern und
ganz aktuell auch beim Deutschen Juristentag in Erfurt,
auf dem sich eine Abteilung mit dem Thema befasst hat.
Der Versorgungsausgleich ist existenziell wichtig. Ich
habe eben ausgeführt, dass die Rentenansprüche geteilt
werden. Deswegen ist er für diejenigen in einer Ehe besonders wichtig, die während der Ehezeit keine eigenen
Versorgungsansprüche erwerben konnten. Das sind immer noch ganz überwiegend die Frauen.
Wir müssen das Recht an die Veränderungen der Versorgungssysteme anpassen. Wir müssen aber auch die
Barwert-Verordnung aufheben, nach der der Versorgungsausgleich bisher errechnet wurde. Bis jetzt ist der
Versorgungsausgleich allein über die gesetzliche Rentenversicherung erfolgt. Das heißt, dass alle bestehenden
Ansprüche, auch aus anderen Systemen, hochgerechnet
und verglichen wurden. Das hat oft zu Ungenauigkeiten
geführt.
Wir wollen diese Art des Ausgleiches durch drei
Maßnahmen ändern. Erstens - das habe ich schon angesprochen - werden alle Versorgungsansprüche künftig
geteilt, und zwar innerhalb des bestehenden Systems.
Man erhält dann ein zusätzliches Konto für seine Versorgung. Dadurch entfällt die fehleranfällige Umrechnung
einer Betriebsrente oder einer privaten Versicherung in
Ansprüche der gesetzlichen Rente. Man hat dann zwar
im Zweifelsfall vier Rentenkonten, aber die Rente wird
dann vollständig in der Höhe gezahlt, die einem zusteht.
Ein Umrechnen findet also nicht mehr statt.
Für die gesetzliche Rentenversicherung ändert sich
nichts. Denn in diesem Bereich verfahren wir bereits in
dieser Weise.
Die zweite Änderung besteht darin, dass man bereits
bei der Scheidung alle Ansprüche vollständig ausgleichen kann. Bisher wird ein Teil der Ansprüche erst mit
Eintritt ins Rentenalter fällig, was für viele mit Schwierigkeiten verbunden ist. Manche wollen 25 Jahre nach
der Scheidung nicht ihrem Geld hinterherrennen. In
manchen Fällen besteht auch gar kein Kontakt mehr, sodass sich keine Gelegenheit dazu ergibt.
Drittens erhöhen wir durch die Änderungen die Anwenderfreundlichkeit. Dieses Gesetz bündelt alle einschlägigen Vorschriften in einem Gesetz, und zwar in einer übersichtlichen Ordnung und in einer klaren
Sprache.
An dieser Stelle gebührt den Berichterstattern besonderer Dank, die sich für das Projekt „Verständliche Gesetze“ eingesetzt haben und so dafür gesorgt haben, dass
Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt worden sind, damit die Gesellschaft für deutsche Sprache an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs mitwirken konnte. Das ist
der Grund dafür, dass wir es geschafft haben, ein sprachlich doch sehr verständliches Werk vorzulegen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir werden über Details
sicherlich noch zu reden haben. Aber das Grundkonzept
dessen, was wir Ihnen hier vorlegen, ist auf alle Fälle
richtig; denn die Interessen aller sind berücksichtigt: die
Interessen der Eheleute, die Interessen der Familiengerichte, für die es künftig sehr viel einfacher wird, den
Versorgungsausgleich auszurechnen, und auch die Interessen der Versorgungsträger.
Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass dieses Gesetz
zum 1. September nächsten Jahres in Kraft treten kann.
Dann hätten wir nämlich einen Gleichklang mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur FGG-Reform. Das wäre,
glaube ich, für die Praxis gut. Ich freue mich auch, dass
wir nach der Unterhaltsrechtsreform und der Reform des
Zugewinnausgleichs mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs einen weiteren Baustein in der Folge der Gesetze vorlegen
können, die eine größere Gerechtigkeit beim Scheidungsfolgenrecht schaffen sollen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche gute
Beratungen des Gesetzentwurfes.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Mit der Strukturreform des Versorgungsausgleichs liegt uns nach dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz innerhalb kurzer Zeit nun schon das zweite große
Reformpaket im Bereich des Familienrechts vor. Dabei
klingt der Begriff „Strukturreform des Versorgungsausgleichs“ zunächst vielleicht nicht vielsagend. Aber wenn
wir uns vergegenwärtigen, dass beispielsweise im Jahre
2007 in Deutschland rund 180 000 Scheidungen stattgefunden haben, dann wird deutlich, dass sich rund
300 000 Bürgerinnen und Bürger im Jahr im Rahmen
von Scheidung und auch im Zusammenhang mit Entscheidungen vor der Scheidung mit dem Versorgungsausgleich konfrontiert sehen.
Dabei hat sich der Versorgungsausgleich seit seiner
Einführung zu einer Sicherstellung der eigenständigen
Versorgung der Ehepartner nach der Scheidung grundsätzlich bewährt. Eine Reform des Versorgungsausgleichs ist dennoch dringend geboten. Die vielfältigen
Probleme des geltenden Rechts sind schon angesprochen
worden. Ich kenne sie aus meiner Praxis als Anwältin
zur Genüge.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist vor diesem Hintergrund zu unterstützen. Er bietet für die anstehenden Probleme zum großen Teil gute Lösungen. Insbesondere
den Übergang zum Verfahren der internen Teilung begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion. Nach diesem Grundsatz ist in Zukunft jedes Anrecht innerhalb des jeweiligen Versorgungssystems zu teilen, wodurch die mit der
Barwert-Verordnung zusammenhängenden Probleme der
Vergangenheit angehören mögen. Betriebliche und private Anrechte können zukünftig schon bei der Scheidung abschließend aufgeteilt werden. Anwartschaften
auf der Grundlage von Entgeltpunkten West und Entgeltpunkten Ost können dann durch eine vollständige Neuformulierung gesondert ausgeglichen werden.
Durch die Gliederung des Gesetzes wird die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit wiederhergestellt. Positiv
hervorzuheben ist auch die größere Gestaltungsfreiheit
für Eheleute, Familiengerichte und Versorgungsträger.
Im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens
und einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses wird jedoch mit Sicherheit noch über einzelne
Punkte zu diskutieren sein, von denen ich einige kurz ansprechen möchte.
Durch die Reform darf es mit Blick auf den ausgleichsberechtigten Partner nach Ansicht der FDP-Bundestagsfraktion zu keiner merklichen Verschlechterung
der Absicherung kommen. Dies muss bei der Reform
des Versorgungsausgleichs Priorität haben. Zunächst sei
in diesem Zusammenhang auf das Problem der Invaliditätsversorgung hingewiesen, auf das auch der Bundesrat
in seiner Stellungnahme aufmerksam macht, in der er die
unterschiedlichen Definitionen der Invalidität in den einzelnen Versorgungssystemen hervorhebt.
Doch auch die mögliche Kompensation des Invaliditätsschutzes muss noch einmal genauer betrachtet werden, da dieser nur wertmäßig zu kompensieren sein
kann. Insoweit handelt es sich um eine Beschränkung
des Risikoschutzes. Die Entscheidung über diese Beschränkung des Risikoschutzes trifft dann auch noch der
Versorgungsträger. Hier ist sicherlich noch Beratungsbedarf.
Grundlage der internen Teilung ist, dass jeder Ehegatte nach der Scheidung eigene Anrechte erwirbt. Wie
solche Verträge dann zu teilen sind, wird nur ansatzweise vorgegeben, und die Versorgungsträger erhalten
einen großen Spielraum, wonach die ausgleichsberechtigte Person ein vergleichbares Anrecht erhält. Ob es
hier weiterer Konkretisierungen bedarf, ist noch offen.
Nach dem Gesetzentwurf wird der Versorgungsausgleich bei einer Ehe von bis zu zwei Jahren Dauer grundsätzlich ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss ist nach
Einschätzung der FDP-Bundestagsfraktion durchaus erwägenswert; denn innerhalb der ersten Jahre hat noch
keine starke versorgungstechnische Verflechtung zwischen den Ehepartnern stattgefunden. Ob die Ausgleichsbeträge in den ersten Jahren tatsächlich so gering
sind, dass sie keine entscheidende Rolle spielen, muss
bei der Sachverständigenanhörung noch näher geprüft
werden.
Warum sich dieser Zeitraum nicht auf drei Jahre erstreckt, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen,
bleibt offen. Die bisherige Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht sieht als kurze Ehedauer maximal drei Jahre.
Wir könnten uns vorstellen, dass hier, auch in Anlehnung an das Unterhaltsrecht, die Einführung einer Billigkeitsklausel, um Einzelfällen Rechnung tragen zu können, zu überlegen ist.
Wenn ein Ehegatte innerhalb der kurzen Ehezeit beispielsweise die Altersvorsorge massiv aufstockt und sie
in dieser Zeit nicht geteilt werden müsste, wodurch aber
das Endvermögen, das für den Zugewinnausgleich von
Bedeutung ist, geschmälert würde, ist der Versorgungsausgleich nicht ganz so unproblematisch zu betrachten.
Hier haben wir auf jeden Fall noch Beratungsbedarf.
Die Kosten der internen Teilung sind richtigerweise
von den Eheleuten hälftig zu tragen, nicht von den Versorgungsträgern. Dabei müssen diese Kosten angemessen sein und dürfen pauschaliert werden, wobei eine
Pauschale von 2 bis 3 Prozent in der Gesetzesbegründung angegeben wird. Dabei ist zu bedenken, dass die
angegebenen Pauschalen bei einer Ehe von langer Dauer
zu einer sehr hohen Kostenpauschale führen können, sodass zumindest über eine Deckelung noch zu beraten ist.
Sie sehen, dass in der Ausschussberatung und in der
Sachverständigenanhörung noch vieles fachlich und
sachlich klug zu besprechen und dann im Interesse der
Betroffenen zu regeln ist. Ich wünsche uns gute Beratungen.
({0})
Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Ute Granold.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir beraten heute ein wichtiges, aber auch schwieriges
Gesetz. Der Deutsche Juristentag hat sich - Frau
Ministerin, Sie haben es gerade erwähnt - mit den drei
wesentlichen Ausgleichssystemen bei der Scheidung im
Familienrecht befasst: Zugewinn, Unterhalt und Versorgungsausgleich. Diese Ausgleichssysteme dienen dazu,
dass die Ehegatten bei einer Scheidung die Vermögenswerte ausgleichen, Defizite kompensieren, aber auch
Ausgleichsansprüche teilen, sodass eine echte Teilhabe
an dem, was erwirtschaftet wurde, erfolgt. Wir haben das
mit einer guten Reform des Unterhaltsrechts auf den
Weg gebracht.
Das eheliche Güterrecht, das heißt der gesetzliche
Güterstand der Zugewinngemeinschaft, befindet sich
derzeit in der Reform. Da wir uns im November mit diesem Thema befassen werden, können wir uns heute auf
die ganz wichtige Baustelle der Strukturreform im Versorgungsausgleich konzentrieren, worauf die Praxis
viele Jahre gewartet hat; denn es bestehen ganz erhebliche Probleme, die Versorgungsausgleiche durchzuführen.
Im Bewusstsein der Bevölkerung spielt Gott sei Dank
das Thema Rente und Rentenanwartschaften eine deutlich größere Rolle als früher, wo es nicht so sehr ein
Thema war. Man war öfter bereit, auf die Durchführung
des Versorgungsausgleichs zu verzichten, ohne zu wissen, worauf man eigentlich verzichtet.
Versorgungsdefizite bestehen gerade in den Erwerbsbiografien der Frauen; sie sind auszugleichen. Deshalb
ist dieses Gesetz auch für die Frauen sehr wichtig. In den
Scheidungsverfahren - wir haben eine hohe Scheidungsquote - ist häufig festzustellen, dass die Erwerbsbiografien der Frauen ganz anders sind als die der Männer,
bedingt durch Kindererziehung, Betreuungsleistung, Pflegeleistung in der Ehezeit.
({0})
Es gibt natürlich auch andere Ausgleichsmodalitäten
neben dem Versorgungsausgleich, der aber auf jeden
Fall vorzuziehen ist, weil die Anwartschaften, die dort
begründet werden, nicht der Dispositionsfreiheit unterliegen. Es ist also gesichert, dass die durch die AnwartUte Granold
schaften erworbenen Ansprüche im Falle der Rente tatsächlich ausgezahlt werden.
Wenn es andere Modalitäten wie Teilhabe an Immobilien und Unternehmensbeteiligungen gibt, kann man das
im Laufe der Zeit, wenn finanzielle Engpässe bestehen,
verkaufen. Im Alter steht man dann mit leeren Händen
da. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Versorgungsausgleich stärken und ihn für die Menschen transparent gestalten.
Wir wollen aber auch Freiräume geben; denn die
Altersversorgung ist sehr umfangreich. Es gibt die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersversorgung und eine Vielzahl privater Altersversorgungen.
Deshalb wollen wir mit dem Gesetz die Möglichkeit einräumen, eine Gesamtversorgung, eine Teilung der während der Ehe erworbenen Anwartschaften und des Vermögens, zu vereinbaren. Das können - das ist schon
heute der Fall - Vereinbarungen zum Unterhalt, zum
Vermögen und zum Versorgungsausgleich sein. Wir
müssen aber darauf achten, wie die erforderliche Form
eingehalten werden kann, zum Beispiel durch eine notarielle Beurkundung. Ich verweise auf die Inhaltskontrolle in den §§ 242 und 138 BGB.
Uns ist ganz wichtig, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs - das ist ein Amtsverfahren - nicht
von der Scheidung abgekoppelt wird, sondern im Scheidungsverfahren mitbehandelt wird, damit Druck gemacht werden kann, dass Auskunft über die erwirtschafteten Anwartschaften erteilt wird. Außerdem dient das
der Klarheit und trägt der Tatsache Rechnung, dass mit
der Scheidung Ansprüche der Ausgleichsberechtigten
bestehen.
Wir haben vor mehr als 30 Jahren - es war genau
1977 - den Versorgungsausgleich eingeführt. Er hat über
30 Jahre funktioniert. Es wurde aber angesichts der Vielfalt der Anwartschaften immer schwieriger. Wir benötigten Verordnungen zur Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Anwartschaften, teils dynamisch, teils statisch. Die
Barwert-Verordnung wurde bereits angesprochen. Das
Bundesverfassungsgericht war damit mehrfach befasst.
Ich hoffe, dass all dies in Kürze der Vergangenheit angehört. Bei den Familiengerichten sind eine Vielzahl von
Verfahren anhängig - ich selbst bin praktizierende Anwältin -, in denen der Versorgungsausgleich abgetrennt
oder ausgesetzt wurde. Das alles ist ganz schwierig. Das
soll nun zügig aufgearbeitet werden, sodass nach einer
Trennung alles klar geregelt ist.
Das neue Gesetz ist aus dem BGB ausgegliedert; das
ist gut. Es ist klar, übersichtlich und transparent. Die
Menschen werden dieses Gesetz annehmen, da sie es
verstehen können. Der Grundsatz der internen Teilung
wurde bereits angesprochen; er ist gut. Eine gerechte
Teilhabe bezüglich Qualität und Quantität bedeutet, dass
man Risiken trägt, aber auch Chancen hat, wenn es im
Laufe der Zeit zu einer Veränderung kommt. Der Grundsatz der externen Teilung gilt dann, wenn die Anwartschaften in einem anderen Versorgungssystem begründet
werden. Ich wünsche sehr - ich bitte um Nachsicht -,
dass in erster Linie die interne Teilung durchgeführt
wird. Der Weg in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich - diesen gibt es schon heute - ist ein schlechter
Weg; denn die Klärung kann erst später erfolgen. Viele,
insbesondere Frauen, verzichten daher auf die Durchführung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs,
wenn die Zeit dafür gekommen ist.
({1})
Ich möchte noch ganz wenige Punkte anführen, die
wir in der Sachverständigenanhörung, die vonnöten ist,
um den externen Sachverstand in diese komplexe Materie einzubeziehen, ansprechen sollten. Ein Punkt ist der
Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehedauer. Im Gesetzentwurf ist von zwei Jahren die Rede;
früher waren es drei Jahre. Der Bundesrat spricht sich
für drei Jahre und die Möglichkeit der Billigkeitsüberprüfung in eng umgrenzten Fällen aus. Das könnte in
den Fällen zum Tragen kommen, in denen bei der
Durchführung des Versorgungsausgleichs nach kurzer
Ehedauer die Wartezeiten durch einen Berechtigten erfüllt werden könnten. Über diesen Punkt sollte man reden, genauso wie über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei einer unbilligen Härte. Ich erinnere daran,
dass in der Regel die Mutter die Ausgleichsberechtigte
ist. Sie betreut die Kinder, erbringt Pflegeleistungen und
geht arbeiten. Wenn der Ehemann - aus welchen Gründen auch immer - keinerlei Beitrag zum Familieneinkommen leistet, soll sie dann noch eine Teilung der erwirtschafteten Anwartschaften hinnehmen? Das wäre
grob unbillig. Dass das im Gesetz geregelt ist, ist eine
gute Sache.
Ein wichtiges Anliegen ist die fehlende Ausgleichsreife. In § 19 geht es um Anwartschaften, die im Ausland erwirtschaftet werden. Das ist ein Problem. Das
kann nicht im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich geregelt werden. Hier wird auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen. Diese Vorschriften bleiben unberührt. Heute Morgen haben wir im
Unterausschuss Europarecht über die Harmonisierung
auf europäischer Ebene und die Stärkung der Rechtseinheitlichkeit bei Wahrung des Subsidiaritätsprinzips diskutiert. Es gibt sehr viele binationale Ehen. Es gibt große
Probleme, hier den Versorgungsausgleich durchzuführen. Wir sollten zusammen mit unseren europäischen
Nachbarn nicht nur für die Möglichkeit einer gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen und der Vollstreckbarkeit, sondern auch im materiellen Recht zumindest für einen gesicherten Auskunftsanspruch sorgen.
Dieser Punkt liegt mir persönlich sehr am Herzen. Darauf sollten wir achten.
Was die betriebliche Altersversorgung betrifft, so
wird die Realteilung derzeit noch sehr wenig durchgeführt. Die Satzungen lassen das nicht zu. Hier müsste mit
den Versorgungsträgern gesprochen werden, wie - da
muss natürlich ein Spielraum bestehen - die interne Teilung, die vorzuziehen ist - ich habe das schon einmal gesagt -, durchzuführen ist.
Ein weiterer Punkt sind die Übergangsvorschriften,
die bei gesetzlichen Neuregelungen ein Problem darstellen können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an
die Diskussion über das Unterhaltsrecht. Hier gibt es
- das hatte ich vorhin schon angesprochen - viele offene
und abgetrennte Verfahren. Wir müssen schauen, wie
mit dem Stau, der in Deutschland seit Jahren in dieser
Beziehung besteht, umgegangen wird.
Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft treten, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz.
Das ist positiv, und wir hoffen, dass wir gute Beratungen
haben und konstruktive Anregungen in der Sachverständigenanhörung bekommen werden. Wir müssen auch
mit den Ländern sprechen. Auf die Länder kommt am
1. September 2009 viel zu, wenn das Familienverfahrensrecht in Kraft tritt und alles neu strukturiert wird. Es
wird viel Arbeit geben, und mit dem neuen Versorgungsausgleich wird eine Mehrbelastung auf die Gerichte zukommen. Unabhängig von der Frage der Schulung, die
in der Kommission angeregt wurde, müssen wir noch
einmal darüber reden, ob man vielleicht bei der Deutschen Rentenversicherung eine Stelle einrichtet, die als
Dienstleister für die Familiengerichte konzipiert ist, um
diese ein Stück weit zu entlasten.
An dieser Stelle herzlichen Dank für den Regierungsentwurf. Die Praxis wartet mit Spannung auf das Ergebnis der Beratungen. Wir werden froh sein, wenn wir endlich ein neues Gesetz haben, das die Bürger verstehen
und das auch deshalb den Bedürfnissen der Menschen
entspricht.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wir stehen vor der Herausforderung, dass in vielen Familien immer noch eine patriarchale Arbeitsteilung in Bezug auf Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit besteht.
({0})
Die Feststellung, dass sich zumeist Frauen in einer bestehenden Ehe auch hinsichtlich der Rentenansprüche
vom Mann abhängig machten und dann bei einer Scheidung wenig bis gar keine eigenen Ansprüche auf Rente
hatten, brachte den Gesetzgeber, wie meine Vorrednerin
richtig dargestellt hat, 1977 dazu, den Versorgungsausgleich zu regeln. Dieser sieht vor, dass die während der
Ehe erworbenen Anrechte auf Versorgung grundsätzlich
hälftig geteilt werden sollen. Seit 1992 gilt das auch in
den neuen Bundesländern. Die Anpassungen der letzten
Jahre haben dazu geführt, dass auch eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften grundsätzlich am
Versorgungsausgleich partizipieren. So weit, so gut.
Dennoch führt der Versorgungsausgleich nicht zu einer wirklichen Gerechtigkeit; denn unberücksichtigt
bleiben viele Punkte. Unberücksichtigt bleibt, dass nicht
verheiratete bzw. nicht verpartnerte Personen trotz
ebenso vorhandener Aufgabenteilungen und Verantwortung für Kinder in den nicht privilegierten Partnerschaften nicht von Sicherungen wie einem Versorgungsausgleich profitieren können, dass sich Gesellschaft und
Politik insgesamt der Problematik der Bewertung sogenannter Reproduktionsarbeit nicht ausreichend stellen,
dass die Frage der Gewährleistung einer sozial gerechten
Rente noch nicht ausreichend beantwortet ist und dass an
der unsolidarischen und sozial ungerechten Aufweichung der gesetzlichen Rente nichts geändert wird.
Diese Probleme sind es, mit denen man sich im Zusammenhang mit der Altersarmut von Menschen und im
Zusammenhang mit einer einseitigen Arbeitsteilung in
Paargemeinschaften auseinandersetzen muss. Deshalb
gilt es, neue Konzepte der sozial gerechten Versorgung
im Alter - aber selbstverständlich nicht nur im Alter für jeden Menschen zu entwickeln, und zwar unabhängig von der privaten Lebensgestaltung in Beziehungen,
lückenlosen Erwerbsbiografien und nicht zuletzt überkommenen Rollenmustern. Politisch bleibt zu diskutieren, ob der Versorgungsausgleich einen Ersatz für wirklich eigenständige Ansprüche vornehmlich von Frauen
darstellen kann. Diese politische Frage wird naturgemäß
in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik entschieden.
Dies gilt es mittel- und langfristig zu regeln.
Die Linke fordert eine Strategie für die eigenständige,
existenzsichernde Alterssicherung für alle Menschen,
({1})
speziell aber für die gegenwärtig besonders stark betroffenen Frauen.
Kurzfristig müssen aber auch die Regelungen zum
Versorgungsausgleich verbessert werden. Der Gesetzentwurf zeigt einen für die Beteiligten voraussichtlich einfachen und nachvollziehbaren Weg des Versorgungsausgleichs auf. Aber ob man sich dabei die bisherigen
umständlichen Vergleiche beim Versorgungsausgleich
wirklich erspart, ist zu hinterfragen.
Für meine Fraktion ist ganz besonders wichtig, dass
die Ungerechtigkeiten infolge der Überleitung der Ostrenten in Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich
schnellstmöglich beseitigt werden.
({2})
Der Gesetzentwurf stellt sich diesem Problem in keiner
Weise. Die unerträgliche soziale Situation der geschiedenen Frauen aus der ehemaligen DDR - das sage ich ganz
bewusst vor dem Hintergrund, dass ich aus dem tiefsten
Westen komme -,
({3})
denen der Versorgungsausgleich bisher aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt ist, muss dringend verbessert werden. Hierzu hat meine Fraktion bereits an anderer Stelle Vorschläge unterbreitet.
Wie die Verschlechterung der Situation der Betroffenen durch die Strukturreform im Einzelnen verhindert
werden kann, werden wir wohl, wie meine Vorrednerinnen schon gesagt haben, in einer Anhörung zu klären
haben. Die bereits geäußerte Kritik am Gesetzentwurf
- auch der Bundesrat hat Kritik vorgebracht - wird darin
ebenso zu prüfen sein.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Frau Ministerin, schon unter Rot-Grün haben
wir mit einer Reform des Versorgungsausgleichs begonnen. Heute liegt endlich der Vorschlag vor. Das begrüße
ich sehr.
Die Strukturreform des Versorgungsausgleichs bedeutet vor allem für Frauen mehr Gerechtigkeit nach der
Scheidung; denn meist sind sie es, die zugunsten der Familie eine Auszeit nehmen, schon deshalb, weil sie aufgrund fehlender Kinderbetreuung gar keine andere Wahl
haben. In dieser Zeit können sie folglich weder eine betriebliche noch eine private Rente aufbauen. Der Staat
hat diese Formen der Altersvorsorge in den letzten Jahren gegenüber der gesetzlichen Rente massiv aufgewertet. Da finde ich es wirklich nur konsequent, dass geschiedene Frauen gleichberechtigt teilhaben, wenn in
den Ehejahren Anrechte in der zweiten und dritten Säule
der Alterssicherung erworben wurden.
({0})
Derzeit fällt die Beteiligung der Frauen an solchen
Vorsorgeformen aber in 80 Prozent der Fälle - so wird
geschätzt - unter den Tisch. Erstens können sie Ansprüche dieser Art bisher erst beim Renteneintritt geltend
machen. Aber wer möchte schon - die Frau Ministerin
hat es vorhin bereits angedeutet - nach Jahren oder Jahrzehnten der Trennung seinen verflossenen Gatten aufsuchen, um ihn über seine genauen Altersvorsorgeansprüche auszufragen? Zweitens ist das bisherige System
eines einmaligen Ausgleichs extrem fehleranfällig, weil
über viele Jahre Prognosen über die Entwicklung der
Rente aufgestellt werden müssen und weil die Rentenversicherer meist zu vorsichtig schätzen, um Mehrausgaben zu vermeiden. Daher ist diese Reform überfällig. Sie
wird zu einer gerechteren Teilhabe beider Partner an allen Formen der Altersvorsorge führen.
Zweifel hat meine Fraktion allerdings, was den Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehedauer
betrifft. Auch bei kurzer Ehedauer können durch die
Rollenverteilung Nachteile entstehen, zumal viele erst
heiraten, wenn Kinder da sind. Wenn wir die Statistik
anschauen, erkennen wir: Das ist ein in Ostdeutschland
häufig gelebtes Modell.
Passend dazu hat der Deutsche Juristentag in dieser
Woche angemahnt, dass auch die Ansprüche unverheirateter Eltern gestärkt werden müssen. Das ist Ihnen ins
Stammbuch geschrieben worden, Frau Ministerin. Ihre
Haltung, nämlich dass, wer nach Sicherheit sucht, heiraten soll, kann ich, ehrlich gesagt, nicht recht nachvollziehen. Das passt eigentlich nicht in ein modernes Konzept.
Aber das nur am Rande.
({1})
- Genau! Darüber diskutieren wir im Ausschuss.
Zurück zur Ehe. Dass Sie die Dauer einer kurzen Ehe
von drei auf zwei Jahre herabgesetzt haben, ist sicherlich
ein erster guter Schritt. Trotzdem: Mütter, die die rentenrechtliche Anrechnung von Kindererziehungszeiten für
die 36 Monate schon vor der Ehe aufgebraucht haben
und auch während der Ehe nicht berufstätig sind, gehen
so völlig leer aus.
Sie alle wissen: Das Alleinverdienermodell ist nicht
das von uns bevorzugte. Aber wenn sich zwei Partner in
einer Beziehung darauf geeinigt haben, dann müssen die
vorhandenen Rentenansprüche nachher gerecht verteilt
werden, auch wenn es sich nur um zwei Jahre handelt.
Gerade für Frauen, die in ihrem Leben nur wenige Jahre
berufstätig waren, können diese zwei Jahre für die spätere Rentensumme durchaus von Bedeutung sein. Auch
Kleinvieh macht Mist - dies gilt auch bei der Altersvorsorge.
Es ist richtig, dass Sie den Arbeitsaufwand der Gerichte und der Versorgungsträger so klein wie möglich
halten wollen. Aber der Schutz der Ausgleichsberechtigten hat im Zweifelsfall Vorrang. Ihre Idee einer Antragsklausel ist an dieser Stelle durchaus ein interessanter
Kompromissvorschlag.
Auch sonst haben wir noch Diskussionsbedarf, etwa
hinsichtlich der Verrechnung der Kosten, die die Versorgungsträger künftig haben werden, mit den Anrechten
der beiden Ehegatten und erst recht hinsichtlich der
Überlegung, auch die Kosten der externen Teilung auf
die Ehepartner abzuwälzen. Dies alles können wir im
Rahmen der Anhörung besprechen.
Insgesamt geht die Reform für uns Grüne aber in die
richtige Richtung.
Vielen Dank.
({2})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Versorgungsausgleich - das ist auch in dieser kurzen Debatte wieder deutlich geworden - ist wahrscheinlich die
schwierigste Materie im Familienrecht überhaupt. Selbst
Anwältinnen und Anwälte, die sich tagtäglich mit dem
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Thema beschäftigen, stoßen an ihre Grenzen, ebenso die
Richter und erst recht die Betroffenen, die im Falle einer
Scheidung mit dem umzugehen haben, was auf sie zukommt. Da dies auch schwierig zu berechnen ist, verwundert es nicht - diese Bemerkung sei mir gestattet; ein
Kollege hat mir schon alles Mögliche angedroht -, dass
alle Fraktionen Frauen in diese Debatte geschickt haben.
({0})
Zur Klarstellung will ich noch etwas deutlich machen,
von dem ich den Eindruck habe, dass es durch einzelne
Redebeiträge jetzt ein wenig ins Schwimmen gekommen
ist. Es geht uns nicht darum, ein neues Versorgungssystem zu erfinden und für Gerechtigkeit bei der Altersversorgung zu sorgen. Vielmehr geht es darum, einen Ausgleich zwischen denjenigen zu schaffen, die sich
scheiden lassen. Wir wollen keine neue Form der Rente
einführen oder die Rente aufstocken; vielmehr sind erworbene Rentenanwartschaften aufzuteilen. Darum geht
es bisher, und darum wird es auch in Zukunft gehen. Mit
nichts anderem beschäftigt sich dieser Entwurf.
({1})
Es wird die Frage zu beantworten sein, wie man es
transparenter ausgestalten kann. Momentan wird bei allen Formen der Ansparung von Renten eine Aufteilung
im jeweiligen System vorgenommen. Für die Betroffenen
ist es unglaublich schwer, vorauszusehen oder einzukalkulieren, was auf sie zukommt. Es wird in den einzelnen
Rentenversicherungen angespart und dann prognostiziert, hochgerechnet und in eine Rentenversicherung
übertragen. Im Endeffekt ist die Voraussage der Entwicklung einer solchen Versicherung eher Kaffeesatzleserei. Daher ist die jetzt vorgesehene interne Teilung der
transparentere Weg. Man kann nachvollziehen, was in
der Versicherung angespart wurde und wie das Ganze
aufgeteilt wird. Die externe Teilung ist als Ausnahme sicherlich dann sinnvoll, wenn dies, wie im Gesetz vorgesehen, vereinbart wird und es um ganz geringe Beträge
geht. Dann muss man also nicht alles im jeweiligen System aufteilen; wenn es sich um geringe Beiträge handelt,
können sie auch übertragen werden.
Ich gebe all den Vorrednerinnen recht, die Kritik oder
zumindest Prüfungsbedarf in Bezug auf den Ausschluss
bei einer kurzen Ehedauer angemeldet haben. Hier sollten wir noch einmal genau hinschauen. Es hört sich so
einfach an; 10, 20 oder 30 Euro sind ja nicht so viel.
Aber wenn jemand wirklich mit einer Rente am unteren
Level auskommen muss, dann kann schon eine solche
Summe darüber entscheiden, ob man in die Grundsicherung kommt oder nicht. Hier werden wir also darüber
nachdenken müssen, ob es tatsächlich sozial gerecht zugeht.
In diesem Sinne freue ich mich auf sachliche und vernünftige Beratungen, wie wir sie im Familienrecht bei
fast allen Punkten in den letzten Jahren gehabt haben.
Ich bin mir sicher, wir werden zu einem tragfähigen,
transparenten und akzeptablen Kompromiss kommen.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Wohngelderhöhung vorziehen
- Drucksache 16/10319 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache.
Ich erteile das Wort der ersten Rednerin, der Kollegin
Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nichts bleibt, wie es war, vor allem nicht dann, wenn
sich Voraussetzungen und auch Rahmenbedingungen ändern. So sagte Dirk Fischer namens der CDU/CSU-Fraktion bei den Haushaltsberatungen in der vergangenen
Woche, dass wir „als sachgerechte Antwort auf die steigenden Energiekosten“ eine Heizkostenkomponente eingeführt haben. Herr Fischer fügte wörtlich hinzu:
Wenn es gelänge, das Inkrafttreten der Novelle auf
den 1. Oktober dieses Jahres vorzuziehen, würden
wir uns darüber sehr freuen.
({0})
Die CDU/CSU hat also ihre Position verändert, nachdem sie auf einen entsprechenden Vorschlag des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Peter Struck, Anfang September ablehnend reagiert hatte. Man darf also gespannt
sein, wie sich heute die CDU/CSU und auch die SPD bei
der Abstimmung über diesen Vorschlag der Fraktion Die
Linke verhalten, der das sozialdemokratische Anliegen
ja eins zu eins aufgreift.
Ich glaube, im Unterschied zur gestrigen Debatte über
die Pendlerpauschale handelt es sich hierbei auch nicht
um eine wahltaktische Frage, sondern um eine Frage, bei
der wir alle der Tatsache Rechnung tragen können, dass
der Winter nicht erst am 1. Januar beginnt, sondern jetzt
schon, eigentlich viel zu früh. Viele haben die Heizung
längst angestellt.
Die Linke hat sich im Frühjahr bei der Abstimmung
über die Wohngeldnovelle der Stimme enthalten, weil
uns die Novelle damals nicht weit genug ging. Wir wollten - so habe ich das in meiner Rede damals auch formuliert -, dass die Wohngeldempfänger mit den Bedarfsgemeinschaften nach SGB II gleichgestellt werden. Das
halten wir auch heute noch für richtig. Trotzdem, liebe
Kolleginnen und Kollegen, wollen wir das Erreichte mit
diesem Antrag weiter befördern.
({1})
Lassen Sie mich noch einmal sagen, warum es notwendig ist, das Wohngeld sofort zu erhöhen: Durch die
explosionsartig gestiegenen Energiekosten haben wir bis
zu 20 Prozent höhere Heizkosten in diesem Jahr. Weitere
Preissteigerungen wurden bei Öl, Gas und Strom angekündigt. Die Heizperiode beginnt, wie gesagt, jetzt
schon und nicht erst am 1. Januar. Die einkommensschwachen Haushalte haben - so habe ich das auch in
meiner Rede letzte Woche bei der Haushaltsdebatte gesagt - 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens aufzuwenden, um überhaupt warm wohnen zu können.
Versetzen wir uns einmal in die Situation von Alten,
Kranken, Kindern und Kleinstkindern, wenn wir die
Wohngelderhöhung nicht vorziehen: Diese könnten dann
den Winter nicht in warmen Wohnungen verbringen.
({2})
Stellen Sie sich einmal vor, Ihre eigenen kranken Eltern
oder Ihre Enkelkinder wären betroffen.
({3})
In den neuen Bundesländern liegt der Anteil der Bedürftigen an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu dem in
den alten Bundesländern doppelt so hoch. Das Verhältnis
beträgt 3 zu 1,5.
Zur Finanzierung. Das Vorziehen der Wohngelderhöhung würde im Durchschnitt ein auf 130 bis 140 Euro
erhöhtes monatliches Wohngeld für die bedürftigen Familien bringen. Herr Struck hat ausgerechnet, dass das
circa 70 Millionen Euro kosten würde. Das Wohngeld
wird ja, wie wir wissen, zur Hälfte durch den Bund und
die Länder finanziert. Eine Gegenfinanzierung wäre allein dadurch möglich - das ist jedenfalls der Vorschlag
der Linken -, dass man die Gelder verwendet, die dadurch frei geworden sind, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die Wohngeld beziehen, von 700 000
- das war der kalkulatorische Ansatz im Haushaltsplan
2008 - auf mittlerweile 580 000 zurückgegangen ist. Gegenüber dem Haushaltsansatz spart allein der Bund
durch die zurückgegangene Zahl 43 Millionen Euro.
Wenn wir die anteiligen Mehrkosten für die Wohngelderhöhung von 70 Millionen Euro hälftig teilen, so entfallen auf den Bund 35 Millionen Euro; diese müsste man
aufwenden, um die Erhöhung vorzuziehen. Das hieße, es
bliebe summa summarum für den Bund im Haushalt sogar ein Plus von rund 8 Millionen Euro.
({4})
Falls Herr Fischer von der CDU/CSU sich in der letzten Woche vielleicht doch ein wenig zu weit aus dem
Fenster herausgelehnt haben sollte, bietet die Linke der
SPD an, den Vorschlag, den Herr Struck gemacht hat
und der von Herrn Tiefensee und auch von Herrn
Steinbrück unterstützt worden ist, mit uns abzustimmen
und gemeinsam etwas für die Menschen im Lande zu
tun, indem sie schon drei Monate früher von den gestiegenen Wohnkosten entlastet werden, und zwar unabhängig davon, ob der erhöhte Betrag sofort oder erst rückwirkend ausgezahlt werden kann. Ich weiß ja, dass für
die Berechnung die Strukturen in den Verwaltungen entsprechend anzupassen sind.
Das Beste für die Betroffenen wäre jedoch das geschlossene Ja aller Fraktionen hier im Hause.
({5})
Die Linke begrüßt und unterstützt daher ausdrücklich
die Vorschläge, die von Herrn Struck, von Herrn
Steinbrück und auch von Herrn Tiefensee im September
gemacht worden sind. Wie schon eingangs festgestellt:
Nichts bleibt, wie es war, vor allem, wenn sich die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ändern. Das
sollte vielleicht auch die CDU/CSU-Fraktion akzeptieren.
Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.
({6})
Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! CDU/CSU und SPD haben im April dieses Jahres gemeinsam eine Novelle des Wohngeldgesetzes erfolgreich - wie wir meinen - auf den Weg gebracht, und
das zeigt, dass das Wohngeldrecht bei dieser Koalition in
guten Händen ist.
({0})
Wir haben erreicht, dass das Wohngeld pro Empfängerhaushalt von durchschnittlich etwa 90 Euro auf etwa
140 Euro erhöht werden kann, also insgesamt um
60 Prozent, und damit haben wir gerade denjenigen ein
Stück mehr Lebensqualität und Sicherheit gegeben, die
geringe Renten beziehen oder für ein geringes Einkommen jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen. Denen wollen
wir helfen, und das ist - glaube ich - gut gelungen.
Kernelement der Neuregelung ist die Einführung einer Heizkomponente, die den stark gestiegenen Energiekosten Rechnung tragen soll. Mit 50 Cent pro Quadratmeter werden Heizkosten in pauschalierter Form
erstmals in die Berechnung einbezogen und damit im
gleichen Umfang bezuschusst wie die Bruttokaltmiete,
nämlich mit rund einem Drittel.
Dies verdeutlicht, dass wir uns um die Belange der
Betroffenen kümmern. Wir geben die richtigen Hilfestellungen zur richtigen Zeit und im richtigen Ausmaß. Das
impliziert selbstverständlich, dass wir das Recht ständig
weiterentwickeln und die jeweils aktuellen Gegebenheiten mit einspeisen.
Darum ist natürlich die Frage berechtigt, ob und,
wenn ja, wie die Gültigkeit des neuen Wohngeldgesetzes
vorverlegt werden kann, und genau das haben wir innerhalb der Koalition in der letzten Woche schon mehrfach
beraten und auch so verkündet. Es war ja nicht ein Vorschlag der Linken, der jetzt zu diesem Antrag geführt
hat,
({1})
sondern es waren Vorschläge, die aus der Koalition gekommen sind.
({2})
Für die Vorverlegung des Inkrafttretens des Wohngeldgesetzes brauchen wir weit mehr als das, was heute
vorliegt. Es liegt ein Antrag vor, der lediglich aus einem
einzigen Satz besteht, dass nämlich die Erhöhung des
Wohngeldes um drei Monate vorgezogen werden soll.
Punkt.
Dabei sind wir längst in Gesprächen über eine solche
Vorverlegung. Der Zug, der angeschoben wurde, fährt
bereits, und die Linke schmeißt sich jetzt mit voller
Wucht hinter diesen Zug.
({3})
Das hilft aber nicht den betroffenen Menschen und den
Haushalten
({4})
- Ich meine es ja gut mit ihnen. Ich habe „hinter den
Zug“ gesagt.
Was wir jetzt brauchen, ist eine Abstimmung mit den
Bundesländern. Wir brauchen die Einschätzung, ob die
Verwaltung, die all dies umsetzen muss, ein Vorziehen
überhaupt organisatorisch bewältigen kann.
Wir brauchen auch gar nicht so weit zu gucken. Auch
heute ging es durch die Presse, dass der Berliner Senat
Bearbeitungszeiten beim Wohngeld von drei bis acht
Monaten eingestehen muss.
({5})
Bei Erstanträgen beträgt die Bearbeitungszeit drei bis
acht Monate; das müssen wir berücksichtigen. Sie könnten ja im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag nach
dem Motto: „Wohngeldzahlung jetzt! Die Linke“ initiieren.
({6})
Dadurch würde sich auch nichts ändern. Politik ist eben
mehr, als nur Forderungen zu stellen. Der Politik obliegt
auch die Aufgabe, Lösungen für ein erkanntes Problem
anzubieten. Daran mangelt es diesem Antrag meiner
Meinung nach.
Meine Damen und Herren, solide Sozialpolitik
braucht nun einmal Grundlagen, die ebenfalls solide
sind. Dazu zählen Überlegungen über die Finanzierung,
den Auszahlungsmodus und den richtigen rechtlichen
Umsetzungszeitpunkt.
Hier gibt es noch Beratungsbedarf. Aber ich bin sicher, dass wir auch hier in der Großen Koalition eine
gute Lösung finden werden.
Die Sozialpolitik ist gerade deshalb bei uns in guten
Händen, weil wir unsere Beschlüsse überlegen, beraten,
ausarbeiten, justieren und in Form gießen. Das gilt auch
für die Vorverlegung der Wohngelderhöhung. Der uns
vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke kann diese
Kriterien nicht erfüllen. Darum ist er abzulehnen.
({7})
Das Wort hat der Kollege Joachim Günther von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir sprechen wieder einmal über das Wohngeld,
aber es ist ein hochsensibles Thema; denn 600 000 sozialschwache Haushalte machen sich ernsthaft Gedanken darüber, wie sie warm über diesen Winter kommen.
Wir haben seit längerer Zeit eine Aufbesserung des
Wohngeldes gefordert und uns maßgeblich daran beteiligt, dass dabei vor allem die Einbeziehung der Heizkosten geregelt werden konnte. Das war dringend geboten;
denn wir hatten eine Explosion bei den Heizkosten, Nebenkosten und Betriebskosten, die vor allem Wohngeldempfänger in immer größere Bedrängnis gebracht hat.
Schwarz-Rot hat sich bei diesem Thema schwergetan;
das muss ich meinen Kollegen schon einmal sagen. Erinnern Sie sich daran, dass wir als Opposition insgesamt
überhaupt erst einmal eine Anhörung fordern mussten.
In dieser Anhörung haben dann auch Sie begriffen, dass
es ohne eine Erhöhung des Wohngelds kaum weitergehen kann. Ich möchte einige Mitglieder der Koalition,
die jetzt sagen, dass sie daran arbeiten, einmal fragen:
Woran arbeiten Sie denn? Wenn Sie die Erhöhung um
drei Monate vorziehen wollen, wäre das zum 1. Oktober.
Dieses Datum liegt meines Erachtens nicht mehr weit
weg.
Inzwischen laufen einige durchs Land und verkünden: Wir ziehen die Erhöhung um drei Monate vor. Der
Bundesbauminister, der Bundesfinanzminister, auch Ihr
Geschäftsführer, Herr Röttgen, alle springen jetzt plötzlich auf dieses Boot: Vorziehen der Erhöhung des Wohngeldes!
({0})
Joachim Günther ({1})
Es ist natürlich rein zufällig, dass das kurz vor der Bayernwahl geschieht und man hier noch ein Geschenk verteilt. Herr Tiefensee und Herr Steinbrück verkünden - jeder kann es in der Presse nachlesen -: Es muss der warme
Winter gesichert werden. - Nachdem man sich für diese
Wohltat in der Presse hat feiern lassen, ist man plötzlich
erschrocken, dass eine Fraktion jetzt sagt „Nun wollen
wir das aber auch; wir wollen die Erhöhung drei Monate
eher haben“, obwohl es das ist, was Sie selber gefordert
haben. Das ist natürlich kurios.
Schauen wir einmal nach, was Herr Steinbrück erklärt
hat: Dieser Schritt ist jetzt angemessen. Er ist gezielt. Er
hilft Geringverdienern, die jüngsten Preissteigerungen
für Heizöl und Gas erträglicher zu machen. - Er nennt
die Erhöhung dieses Ansatzes im Bundeshaushalt „nicht
nennenswert“.
Meine Damen und Herren, ich muss es noch einmal
sagen: Es geht hier um Geringverdiener, die unterstützt
werden sollen. Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits einen Heizkostenzuschuss. Es geht also um diejenigen, die
täglich arbeiten gehen und aufgrund ihres geringen Einkommens nicht in der Lage sind, für die Kosten aufzukommen. Ich finde, das ist schon ein wichtiger Vorgang.
Uns als FDP soll es recht sein, wenn das schnell vonstatten geht. Wir müssen an dieser Stelle auch sagen: Jawohl, die Energiekosten sind explodiert. Aber ich bitte
die Koalition, sich daran zu erinnern, dass sie selbst einen maßgeblichen Anteil daran haben. Sie haben mehrfach die Steuern erhöht, und jetzt wundern Sie sich, dass
das Ganze nicht mehr bezahlt werden kann.
({2})
Wir als FDP werden diesem Antrag zustimmen. Wir
werden auch fragen, wo das Geld dafür herkommt. Es
geht für den Bund um etwas mehr als die zuletzt genannten 35 Millionen Euro. Ich gehe von 70 bzw. 75 Millionen Euro aus, aber das ist erst einmal zweitrangig.
Aus unserer Sicht hat der Wahlkampf schon begonnen. Ich hoffe, dass sich einige daran erinnern, dass wir
in diesem Zusammenhang die Bundesregierung erst einmal zum Jagen getragen haben. Ich hoffe, Sie als Koalition, vor allem Sie als SPD, stimmen heute dem Antrag
zu, das Wohngeld sofort zu erhöhen; sonst würden Sie
Ihren Bundesbauminister ein weiteres Mal im Regen stehen lassen.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Wohngelderhöhung kommt, und sie
kommt bald. Damit haben wir einen großen sozialpolitischen Schritt in dieser Legislaturperiode getan. Ich
möchte noch einmal daran erinnern, dass dies auf den
Einsatz der Wohnungspolitiker meiner Fraktion, auf einen Antrag der Koalition und - nicht zu vergessen - auf
den Einsatz des Bundesministers Wolfgang Tiefensee
zurückzuführen ist, der bei diesem angesichts der Haushaltskonsolidierung nicht unumkämpften Projekt nie locker gelassen hat - mit Erfolg.
({0})
Wir lassen Menschen mit geringem Einkommen nicht
im Regen stehen und entlasten mit der Novelle rund
800 000 Haushalte. Das Kernstück der Reform, die neu
eingeführte Heizkostenkomponente, trägt maßgeblich
dazu bei, die stark gestiegenen Energiekosten bei einkommensschwachen Haushalten sozial abzufedern. Die
Notwendigkeit, das zu tun - hier stimme ich mit Ihnen
überein -, wurde durch die weitere Entwicklung bei den
Energiepreisen nachdrücklich bestätigt.
Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linkspartei, nun erneut einen Antrag vorlegen, der das
Niveau des Parlaments gelinde gesagt nonchalant unterwandert, verwundert mich nicht. Man denke an Ihren
ersten Antrag zum Thema. Wir erinnern uns: Alles für
alle, und zwar gleich! So ließe er sich überschreiben. Er
sah die volle Übernahme der Kosten für Heizung und
Warmwasser vor, und zwar ab sofort. Dass das weder energie- noch umweltpolitisch sinnvoll noch administrativ
zu machen war, muss ich hier nicht näher ausführen.
Dass ein solcher Antrag allein durch seine handwerklichen Schwächen in der Realität nicht bestehen kann und
den von steigenden Energiekosten betroffenen Haushalten dadurch auch nicht geholfen wäre, muss angesichts
der vorausgegangenen Debatte hier noch einmal gesagt
werden.
({1})
Herr Kollege Bartol, erlauben Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Bluhm?
Ja.
Bitte schön.
Herr Präsident, herzlichen Dank. - Herr Bartol, lassen
Sie sich bitte fragen, ob der erste Entwurf der Wohngeldnovelle, der tatsächlich auf Initiative der Regierung im
Parlament eingebracht wurde, keinen Ansatz für eine
Wohngelderhöhung und auch keinen Ansatz hinsichtlich
der Heizkosten enthalten hat. Stimmt es, dass Sie erst
eingelenkt haben, nachdem die Opposition eine Anhörung zur Novelle gefordert hat, und der Entwurf, den wir
mit Leben gefüllt und im Frühjahr beschlossen haben,
erst danach auf den Weg gebracht wurde?
({0})
Ich glaube, Sie klatschen zu früh. - Liebe Kollegin
Bluhm, Sie wissen ganz genau, dass unsere erste Novelle
eine Verwaltungsvereinfachung zum Inhalt hatte und wir
uns in der Koalition zum damaligen Zeitpunkt sehr intensiv damit auseinandergesetzt haben, auch mit der Erhöhung des Wohngelds und der Einführung einer Heizkostenkomponente. Wir haben damals darüber diskutiert, ob
man alles sofort in einem Gesetz macht oder die Gesetzgebungsverfahren besser trennt. Wir haben uns dann dafür entschieden - ich denke, dahin gehend sind wir alle
einer Meinung -, das Ganze in ein Gesetz zu schreiben.
Dass Sie sich das jetzt auf die Fahne schreiben wollen,
kann ich angesichts Ihrer Situation verstehen, entspricht
aber nicht der Wahrheit.
({0})
Frau Bluhm, ich war gerade bei Ihnen und der Linkspartei. Fordern kann man vieles, aber nicht finanzieren.
Es gibt fast keinen Antrag, bei dem Sie nicht ein paar
Millionen mehr hier und ein paar Millionen mehr dort
fordern, bei dem die Linke Wohltaten für alle verspricht,
die sich in der Summe schon mal eben auf die Hälfte der
Mittel im Bundeshaushalt belaufen können.
({1})
Über die Gegenfinanzierung hört man indes wenig. Einerseits wird die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung gefordert, um diese Mittel gleichzeitig an anderer
Stelle zur Finanzierung eines anderen Vorschlags einzusetzen. Ich sage dazu immer: Wie gut, dass Sie auch die
Swimmingpoolsteuer in Ihrem Programm haben. Spaß
beiseite! Je mehr, desto sozialer? Ich glaube das keineswegs. Bei allem Dissens in der Frage, was man heute unter sozialer Politik versteht, ist eines klar: Einen handlungsunfähigen Staat wollen wir sicher nicht. Den
können sich nämlich nur Reiche leisten. Frau Bluhm,
nichts anderes aber würde die Finanzierung eines Bruchteils Ihrer Forderungen bedeuten.
({2})
Zurück zum Antrag. Auch meine Fraktion ist der
Meinung, dass die Wohngelderhöhung vorgezogen werden muss. Ich freue mich besonders darüber, dass wir
uns mit unserem größeren Koalitionspartner in dieser
Sache prinzipiell einig sind. Der Kollege Dirk Fischer
hat in seiner Rede deutlich gesagt - ich denke, das gilt
auch für die Rede meines Kollegen Storjohann -, dass
wir gemeinsam einen entsprechenden Gesetzentwurf
vorlegen werden.
Realpolitik heißt immer auch Abstimmung. Schließlich gilt es auch die Länder mit ins Boot zu holen. Ohne
sie geht es nicht. Wir leben nun einmal in einem föderalen Bundesstaat. Das haben die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei angesprochen; auch sie wissen
das. Für die Länder ist die Frage, wie die Wohngelderhöhung erfolgt - Sie formulieren das in Ihrem Antrag lapidar -, in Form einer Einmalzahlung im Oktober dieses
Jahres oder im Frühjahr 2009, sehr wohl von grundsätzlicher Bedeutung.
({3})
Vermutlich dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein, dass
die Länder bereits auf die mit einer Sonderzahlung verbundenen hohen Verwaltungskosten hingewiesen und
auch klargemacht haben, dass eine Auszahlung auch vernünftig administriert werden muss.
Wenn man Gesetze macht - verzeihen Sie -, sind derlei Fragen sehr wohl von Bedeutung. Diese Fragen müssen wir in Abstimmung mit den Ländern klären. Um die
Wohngelderhöhung vorzuziehen, müssen Bund und Länder an einem Strang ziehen. Andernfalls wird es weitaus
schwieriger. Das - da bin ich mir ganz sicher - ist weder
in Ihrem noch in unserem Sinne, und schon gar nicht im
Sinne der betroffenen Haushalte.
In der Tat ist ein Vorziehen der Reform - das kann man
im Moment leicht nachvollziehen - zwingend erforderlich. Nachdem im Juli der Spitzenwert von 140 US-Dollar pro Barrel Öl erreicht wurde, ist der Ölpreis nach zwischenzeitlichem Absinken in dieser Woche innerhalb von
wenigen Stunden um 25 Dollar auf 130 Dollar gestiegen.
Auch wenn er kurz darauf wieder gefallen ist, so wissen
wir doch alle, dass er mittelfristig weiter steigen wird.
Schon deshalb kann es keine Alternative zum Energiesparen geben. Die Devise muss lauten: Energie sparen!
Mit dem unter Rot-Grün initiierten CO2-Gebäudesanierungsprogramm sind wir ein ganzes Stück weitergekommen. Auch das hilft den Menschen, über die wir heute
sprechen.
Trotzdem müssen viele Verbraucherinnen und Verbraucher im kommenden Frühjahr mit hohen Nachzahlungen rechnen. Gleichzeitig ist für 2008 und 2009 zu
erwarten, dass die Nachzahlungen mit höheren monatlichen Abschlagszahlungen zusammenfallen. Deshalb sehen wir die Notwendigkeit für ein kurzfristiges Vorziehen der Wohngeldnovelle auf den 1. Oktober 2008, und
deshalb wollen wir gemeinsam als Koalition einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Im Unterschied zu Ihrem Antrag wird unser Entwurf Substanz enthalten.
Vielen Dank.
({4})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Selbstverständlich ist die Wohngelderhöhung
angesichts der Situation zu begrüßen. Es wäre auch zu
begrüßen, wenn das Wohngeld bereits zum 1. Oktober
2008 erhöht werden würde. Es ist spannend, wenn die
Redner der Großen Koalition hier die großen Schwierigkeiten benennen, die eine solche Erhöhung mit sich
bringt: administrative Probleme oder der Bundesrat. Da
stellt sich natürlich schon die Frage, warum sich die zuständigen Minister in der Öffentlichkeit bereits dafür haben feiern lassen.
({0})
Man hat den Eindruck, dass man es bei diesem Versprechen mit einem typischen Tiefensee zu tun hat: Klingt
gut, wird aber nicht eingehalten.
({1})
Man muss ehrlich sagen: Es ist beschämend, dass sich
SPD-Minister auf Kosten von Familien mit schwachen
Einkommen profilieren.
({2})
Es wäre zu begrüßen, wenn wir uns sicher sein könnten,
dass die Erhöhung wirklich kommt. Warum stimmen Sie
dem Antrag der Linken nicht zu?
({3})
- Ihre Erklärung war ein bisschen bürokratisch und wirr.
({4})
Man hatte den Eindruck, der Großen Koalition ist es
nicht möglich, anderen irgendetwas zuzugestehen. Es
war ganz klar so - wer dabei war, weiß es -, dass die Anhörung der Opposition bei Ihnen einen Denkprozess in
Gang gesetzt hat.
({5})
Das ist auch schön. Ich kann verstehen, dass man das
nicht zugeben kann. Ich könnte es noch besser verstehen,
wenn die Mehrheitsverhältnisse knapp wären. Eine so
unsouveräne Große Koalition wie Sie ist wirklich bewundernswert.
({6})
Allerdings muss man sich über eines im Klaren sein:
Diese Wohngelderhöhung ist letztendlich nichts anderes
als ein Herumdoktern am System. Die Energiepreise werden weiter steigen; damit ist zu rechnen. Es ist schön, dass
auch der SPD-Vertreter dies erkannt hat. Leider sehen wir
in der Politik keine entsprechenden Konsequenzen. Die
Förderprogramme müssten so organisiert werden, dass
insbesondere Einkommensschwache in energetisch sanierten Wohnungen leben können. Das Problem ist: Unsere Förderprogramme sind zu sehr darauf ausgelegt,
dass man ein relativ hohes Einkommen haben muss.
Auch die Sanierung der Häuser ist von grundlegender
Bedeutung. Das allein wird aber nicht genügen; denn
auch ein gut saniertes Haus braucht eine gewisse Menge
an Energie. Das heißt, der Umstieg auf regenerative
Energien ist entscheidend.
({7})
- Sie können darüber natürlich dumm lachen. Es ist seltsam, wenn ein SPDler darüber dumm lacht ({8})
- und noch dazu unmögliche Zwischenrufe macht. Sie
mögen es lustig finden, wenn sich Unmengen einkommensschwacher Familien das Heizen ihrer Häuser nicht
mehr leisten können. Wir finden das überhaupt nicht lustig.
({9})
Es wäre wunderbar, wenn die Mehrheit im Parlament
das ebenfalls nicht lustig fände, sondern handelte, wenn
es Zeit zum Handeln ist, und dem vorliegenden Antrag
zustimmte, auch wenn er - das muss man ehrlicherweise
zugeben - spät gestellt worden ist. Man kann den Eindruck gewinnen, dass der Antrag einen eher symbolischen Wert hat; er ist aber immer noch früher gestellt
worden, als die Regierung zu handeln begonnen hat.
Danke.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 16/10319. Die Fraktion Die Linke
wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen
CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar
federführend an den Ausschuss für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung und mitberatend an den Haushaltsausschuss sowie an den Ausschuss für Arbeit und Soziales.
Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Oppositionsfraktionen beschlossen. Damit
stimmen wir über den Antrag 16/10319 nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin
Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus
Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bessere Unterstützung für Alleinerziehende
- Drucksache 16/10257 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen alle Reden zu
Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die
Beiträge der Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
von der CDU/CSU-Fraktion, der Kollegin Helga Lopez
und des Kollegen Dieter Steinecke, SPD, der Kollegin
Sibylle Laurischk, FDP, des Kollegen Jörn Wunderlich,
Die Linke, und der Kollegin Britta Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.1)
Damit erübrigt sich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10257 an die in der Tagesordnung aufge-
1) Anlage 3
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 7. Oktober 2008, 16 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.