Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/26/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung: Der Kollege Dr. Hans-Heinrich Jordan feiert heute seinen 60. Geburtstag. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere ich dazu sehr herzlich und wünsche alles Gute. ({0}) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 32 a bis 32 d auf: a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ({1}) - Drucksache 16/9299 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ({2}) - Drucksache 16/10173 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) - Drucksache 16/10357 Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Marlene Rupprecht ({4}) Diana Golze - Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10358 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Ole Schröder Petra Hinz ({6}) Otto Fricke Roland Claus Omid Nouripour b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Britta Haßelmann, Krista Sager, Ekin Deligöz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bildungspolitische Katastrophe verhindern Betreuungsgeld eine Absage erteilen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Faire Chancen für private und privat-gewerbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung ohne weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes vorlegen - zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen Kommerzialisierung der Kinder- und Jugendhilfe vermeiden - Drucksachen 16/7114, 16/8406, 16/9305, 16/10357 Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Marlene Rupprecht ({8}) Diana Golze Redetext Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Carl-Ludwig Thiele, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung - zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Christine Scheel, Volker Beck ({10}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbe- treuung jetzt regeln - Verlässlichkeit für Fa- milien schaffen - Drucksachen 16/5114, 16/5426, 16/6534 - Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Ina Lenke Jörn Wunderlich Britta Haßelmann d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Ina Lenke, Miriam Gruß, Sibylle Laurischk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Chancengerechtigkeit von Beginn an - zu dem Antrag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln, Fachkräften und Qualität ausstatten Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen - zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen - Realisierung nicht erst 2013 - Drucksachen 16/6597, 16/6601, 16/6607, 16/6817 Berichterstattung: Abgeordnete Ingrid Fischbach Ina Lenke Britta Haßelmann Zu dem Entwurf eines Kinderförderungsgesetzes der Fraktionen der CDU/CSU und SPD liegen je ein Entschließungsantrag der Fraktionen der FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Bundesministerin Ursula von der Leyen das Wort.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Kinderförderungsgesetz wird unser Land spürbar verändern. Es setzt Meilensteine für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf, für mehr Bildung für unsere Kinder und für mehr Zukunft in unserem Land. 2013 wird es bundesweit im Durchschnitt für jedes dritte Kind unter drei Jahren einen Platz geben, sei es in einer Kita, sei es in einer Tagespflege. ({0}) 2013 wird jedes Kind mit Vollendung des ersten Lebensjahres einen Rechtsanspruch auf Förderung in einer Kita oder in der Tagespflege haben. Das schien vor zwei Jahren fast noch undenkbar zu sein. Schon heute ist es Wirklichkeit. Das ist ein Riesenerfolg. Wir können stolz darauf sein. ({1}) Es ist ein Riesenerfolg einer gemeinsamen Kraftanstrengung, die wir nur Hand in Hand mit Bund, Ländern und Gemeinden unternehmen konnten. Wir haben in rekordverdächtigem Tempo den Grundstein für ein starkes Fundament gelegt. Doch eines ist uns allen auch klar: Jetzt geht die Arbeit erst richtig los. Bis 2013 haben wir noch einen anspruchsvollen Fahrplan vor uns. In manchen Kommunen starten wir mit Betreuungsplätzen für gerade einmal 5 Prozent aller Kinder. In den neuen Bundesländern finden die Eltern ganz gut einen Platz für ihre Kinder. Doch der westdeutsche Durchschnitt lag für das Jahr 2007 gerade einmal bei 9,9 Prozent. Das heißt, nur jedes zehnte Kind findet einen Platz. Wir sind also von einem bedarfsgerechten Angebot noch weit entfernt. Eltern stehen vor frustrierend langen Wartelisten. Hier liegt noch ein steiler Weg vor den Kommunen. Aber der Bund hat die Kommunen auf diesem Weg nicht allein gelassen. Wir unterstützen diesen Weg mit 4 Milliarden Euro; denn wir wollen mehr frühe Bildung und echte Wahlfreiheit für Eltern herstellen. ({2}) Echte Wahlfreiheit heißt dabei für mich auch: Wir werden den Eltern nicht vorschreiben, wo und wie sie ihre Kinder betreuen und fördern. Sie sollen selbst organisieren, wie sie ihren Alltag mit Kindern leben, ob zu Hause, in einer altersgemischten Gruppe, einer Krippe oder der Kindertagespflege, ob wohnortnah oder betriebsnah. Wie immer sie ihren Alltag organisieren wollen, das liegt alleine im Ermessen der Eltern. Deshalb muss das Angebot stimmen. Ein gutes Drittel der Betreuungsplätze wird daher in der Tagespflege entstehen. Das entspricht den Wünschen vieler Eltern nach einer flexiblen und familiennahen Betreuung. Die anderen zwei Drittel der Plätze schaffen wir in Kindertageseinrichtungen, ob bei frei-gemeinnützigen oder bei privatgewerblichen Trägern. Die Entscheidung über die Förderung liegt jetzt bei den Ländern. Dazu ein offenes Wort: Sie wissen, dass ich mir wirklich mehr Mut beim Koalitionspartner gewünscht hätte. ({3}) Mir ist auch klar, dass nicht alle in der SPD solche Hemmungen vor privat-gewerblichen Anbietern haben; denn wir waren uns zum Beispiel mit dem Bundesfinanzminister einig, dass wir den Wettbewerb um Qualität nicht fürchten, sondern fördern wollen. ({4}) Nun ist das im parlamentarischen Verfahren zurückgenommen worden. Ich akzeptiere das, weil das Ihr gutes Recht ist. Doch ich bin sicher, dass die Macht des Faktischen zeigen wird, welcher Weg weiterführt. Der Trend ist jetzt schon eindeutig: Nur noch vier Länder in Deutschland schließen die privat-gewerblichen Anbieter von der Förderung grundsätzlich aus. Noch etwas ist klar, und das ist entscheidend: Alle Länder, auch diese vier Nachzügler, werden bis 2013 den Ausbau schaffen müssen. Das ist das Gute an diesem Gesetz. Niemand kann sich mehr drücken, niemand kann die Eltern mehr vertrösten, der Rechtsanspruch für die Kinder kommt, und das Land oder die Kommunen, die dann nicht vorbereitet sind, straft bekanntlich das Leben - und das ist auch gut so. ({5}) Der Ausbau läuft bereits seit Oktober vergangenen Jahres. Die Länder werden inzwischen mit Anträgen aus den Kommunen überschwemmt. Wir sehen auch: Die Länder haben mit ganz unterschiedlicher Geschwindigkeit ihre Förderrichtlinien umgesetzt. Zwei Länder sind immer noch nicht so weit, aber die Länder, die wissen, was Zukunft heißt, haben schnell reagiert. Schauen wir uns einmal den Abfluss der Mittel an, also der Bundesmittel, die direkt in die Kommunen gehen. Da sind Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg ganz vorn. Bayern und Schleswig-Holstein haben schon in das Jahr 2009 hinein Gelder gebucht. Diese Fakten strafen all diejenigen Lügen, die behaupten, es gebe Stillstand in unserem Land. ({6}) Das Gegenteil ist der Fall. Diese Regierung hatte die Idee und schließlich auch den Mut, gemeinsam mit den Ländern und Kommunen zu handeln. ({7}) Wir haben es gemeinsam geschafft, die Bremsen zu lösen, die so lange festgezogenen schienen. ({8}) Die Arbeit fängt jetzt erst richtig an. Wir werden unnachgiebig dafür sorgen, dass jeder Euro, den wir als Bund für die Betriebskosten geben, in Qualität fließt. Frau Künast, ich weiß, dass das Sie von den Grünen frustriert. Sie haben sieben Jahre lang dazu Zeit gehabt. Es bedurfte einer Großen Koalition und dieser Ministerin, das umzusetzen und zu handeln. ({9}) Wir sind jetzt dabei, uns auf gemeinsame Eckpunkte für eine Qualifizierungsoffensive für Erzieherinnen, Erzieher und Tagespflegepersonen zu einigen. Auch das werden wir beim Bildungsgipfel diskutieren. Besonders wichtig ist mir dabei die Qualifizierung von Tagesmüttern. Bisher gibt es keine einheitlichen Richtlinien für Tagesmütter, sondern jedes Land geht unterschiedlich mit ihnen um. Da ist zum Teil noch Kraut und Rüben. Im besten Fall reicht die Vergütung der Tagesmütter gerade einmal dafür, einigermaßen über die Runden zu kommen. Gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Verbänden und der Bundesagentur für Arbeit wollen wir den Beruf der Tagesmutter attraktiver machen. Das heißt, wir brauchen eine gemeinsame Grundqualifikation. Dazu gehört auch eine leistungsgerechte Bezahlung, ({10}) die wir im Gesetz festgeschrieben haben; denn die Tagespflege muss heraus aus dem Schwarzmarkt. ({11}) Das Kinderförderungsgesetz ist ein Meilenstein, auf den wir stolz sein können. Viele von Ihnen erinnern sich noch an die Debatten in den 90er-Jahren um den Rechtsanspruch für Kinder zwischen drei und sechs Jahren auf einen Kindergartenplatz. Heute setzen wir mit dem Kinderförderungsgesetz und dem verankerten Rechtsanspruch für Kinder ab einem Jahr endlich erfolgreich den Schlussstrich unter diese unseligen Debatten. Ich danke allen für ihre Unterstützung; denn ein solch großartiges Zukunftsprojekt wäre nicht gelungen ohne eine Kanzlerin, die standfest ist, ohne einen Finanzminister, der die Bedeutung des Themas erkennt, ({12}) und ohne ein Parlament, das die Mittel dafür gibt. Danke schön. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Miriam Gruß für die FDP-Fraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Vor ziemlich genau vier Monaten haben wir hier schon einmal über das Kinderförderungsgesetz diskutiert. Staatssekretär Kues sprach von einem historischen Schritt für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In die Geschichte wird dieses Gesetz aber nicht wegen der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingehen, sondern eher als Exempel für die zahlreichen Rückzieher der Familienministerin. Aber lassen Sie mich von vorne beginnen. Am Anfang waren Zigtausende Eltern, die keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder bekamen. 2002 - daran müssen wir uns erinnern - krebste die Versorgungsquote für unter Dreijährige in den alten Bundesländern im Schnitt bei 3,7 Prozent herum. Mein Heimatland Bayern tat sich, wie gewohnt, ({0}) durch den zweitschlechtesten Wert, nämlich 3,1 Prozent, hervor. ({1}) 2005 schließlich trat Ursula von der Leyen an, um alles besser zu machen: mehr Betreuungsplätze, hohe Qualitätsstandards und dadurch echte Wahlfreiheit für Väter und Mütter. - So weit die Ausgangslage. Heute, drei Jahre später, liegt uns das Ergebnis vor. Die anfangs formulierten Zielvorstellungen lassen sich nur noch vage erkennen. Gute Ideen wurden entweder gestrichen oder gar nicht erst aufgenommen. Der Rest ist so butterweich formuliert, dass sich verbindliche Aussagen nicht ableiten lassen. Konkret heißt das - ich will das an fünf Punkten festmachen -: Erstens. Statt einen zügigen Ausbau der Kinderbetreuungsangebote zu forcieren, soll erst 2013 für jedes dritte Kleinkind ein Platz zur Verfügung stehen. Aber Eltern, die jetzt eine Betreuung für ihre Kinder brauchen, werden nach wie vor im Regen stehen gelassen, ({2}) inklusive der Eltern, die beispielsweise nach 12- oder 14-monatigem Elterngeldbezug zusehen können, wie sie Familie und Beruf nun unter einen Hut bekommen; denn auch heute liegt die Betreuungsquote erst bei 15,5 Prozent. Bayern, das laut CSU ach so familienfreundliche Land, liegt mit 10,8 Prozent übrigens noch weit darunter. Die Ministerin hat gerade davon gesprochen, dass die Gelder vor allen Dingen von Bayern abgerufen werden. Das wundert mich nicht; denn da hat man ja auch einiges aufzuholen. ({3}) Zweitens. In Sachen Betreuungsgeld machte die Ministerin einen auf Andrea Ypsilanti: erst große Versprechen machen, dann einknicken. Ich zitiere Ursula von der Leyen im Spiegel: Mit dem Betreuungsgeld verstärken wir den Teufelskreis, ({4}) in dem Kinder, die von zu Hause keine Chance auf frühe Bildung, gute Sprache, wenig Fernsehen, viel Bewegung haben, vom Kindergarten ausgeschlossen werden, weil ihre Eltern mit 150 Euro lieber ihre Haushaltskasse aufbessern. ({5}) - Meine Herren von der CSU, hören Sie mir einfach einmal zu! Am Sonntag sprechen wir uns wieder. ({6}) Hier im Plenum geißelte die Ministerin das Betreuungsgeld als bildungspolitische Katastrophe. - Auch hier bitte zuhören! - Und jetzt? Das Betreuungsgeld steht groß und breit im Gesetz, und Herr Singhammer - wo sitzt er? Er darf wieder in der ersten Reihe sitzen ({7}) wird nicht müde zu betonen, dass wir dadurch echte Wahlfreiheit für Eltern schaffen. Herr Singhammer, ich frage Sie: Haben Sie sich einmal die Entwicklung in Thüringen angesehen? Die Zahl der Zweijährigen in Kitas - das ist die Altersgruppe, für die seit Juli 2006 ein Betreuungsgeld gezahlt wird - ist zurückgegangen, während in allen anderen Altersgruppen die Quoten gestiegen sind. Die Familieneinkommen in Thüringen sind vergleichsweise niedrig, und nun tritt genau das ein, was wir auch schon in Norwegen erleben und was die Ministerin vor ihrer Kehrtwende befürchtet hat: Gerade einkommensschwächere und bildungsferne Familie tendieren zum Betreuungsgeld und entscheiden sich gegen Kitas, obwohl gerade ihre Kinder besonders profitieren würden. ({8}) Verstehen Sie das unter „Wahlfreiheit“, Herr Singhammer? Haben Sie vielleicht auch einmal an die Kinder gedacht, ({9}) anstatt nur an die potenziellen CSU-Wähler-Eltern, die Sie mit diesem Geschenk vor der Wahl ködern wollen? ({10}) Von wegen: modernes Familienbild der CSU! Sie sehen Frauen doch immer noch lieber am Laufstall als am Laptop. Abgesehen davon, dass Sie den Kindern mit Ihrer veralteten Weltanschauung die frühkindliche Bildung vorenthalten, werden die Mütter durch ein Betreuungsgeld eher davon abgehalten, wieder in den Beruf einzusteigen. ({11}) Drittens. Der aktuellste Rückzieher der Großen Koalition ereignete sich schließlich in dieser Woche. Frei nach dem Motto „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ wurde die verbindliche finanzielle Gleichbehandlung der öffentlichen und privaten Träger - stets vorausgesetzt natürlich, dass die Standards erfüllt sind gestrichen. Stattdessen beschränkt man sich im Gesetz auf den Status quo und überlässt den Ermessensspielraum in der Frage, wer gefördert wird, auch weiterhin den Ländern. Für diese Feststellung hätte ich kein KiföG gebraucht, meine sehr geehrten Damen und Herren; denn das ist bereits Usus. Auch hierzu möchte ich ein Zitat vorbringen, und zwar von Herrn Staatssekretär Dr. Kues: Das Kinderförderungsgesetz stellt sicher, dass alle Träger von Einrichtungen … bei der Finanzierung gleich behandelt werden. Und weiter: Ich bin fest davon überzeugt, dass Wettbewerb die Qualität der Betreuung weiter steigen lässt. Herr Kues, Frau Ministerin, wie wollen Sie diesen Wettbewerb nun in Gang setzen, wenn alles beim Alten bleibt? ({12}) Aber einmal ganz abgesehen davon: Wie wollen Sie ohne die privaten Anbieter Ihr Ziel überhaupt erreichen, bis 2013 für 35 Prozent der Kinder einen Betreuungsplatz zur Verfügung zu stellen? Wie wollen Sie dem Rechtsanspruch gerecht werden? Denn auch hier gab die Ministerin noch bis vor kurzem zu Protokoll: Ohne die Privaten ist unser Ziel nicht zu schaffen. Nun gibt sich von der Leyen plötzlich mit dem von ihr festgestellten Trend zufrieden, dass zunehmend auch privat-gewerbliche Einrichtungen von den Ländern gefördert werden. Ein Trend, Frau Ministerin, stellt noch lange keine Sicherheit für die privaten Anbieter dar, und wie stark die öffentlichen Träger in der Lage sind, Druck auszuüben, haben wir doch gerade erst erlebt. Sie haben mit Ihrem Rückzieher nicht nur die dringend notwendige verbindliche Gleichbehandlung aller Träger von Kindertagesstätten gestoppt, Sie machen damit auch den angestrebten Ausbau der Betreuung eigentlich zu einem Ding der Unmöglichkeit. ({13}) Doch damit sind die Versäumnisse beim KiföG noch nicht zu Ende. Sie wissen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir, die FDP, immer ein Verfechter der Gleichstellung von öffentlichen und privaten bzw. privat-gewerblichen Trägern waren und sind. Da sich in diesem Haus die Meinung gern ändert, betone ich diesen Umstand erneut. Wir haben darüber hinaus immer gefordert, dass die Gemeinnützigkeit und die Anerkennung als Träger der freien Jugendhilfe gestrichen werden muss. Voraussetzung dafür ist jedoch zwingend, dass verbindliche Qualitätsstandards für alle Träger eingeführt werden. Genau hier liegt das nächste Versäumnis: Wir führen seit der Debatte um den Ausbau der Betreuungsplätze auch eine Debatte über die Qualitätsstandards in Betreuungseinrichtungen, die bisher aber an keiner Stelle aufgegriffen wurde. An keinem Punkt wagt es das Gesetz, in Absprache mit den Ländern verbindliche Mindeststandards für Kitas zu setzen. Wir haben nach wie vor keine verbindliche Evaluation oder so etwas wie einen Kindergarten- und Krippen-TÜV, ({14}) den beispielsweise Professor Rauschenbach in der Anhörung gefordert hat. ({15}) Die FDP hat aus diesem Grund einen Entschließungsantrag vorgelegt, zu dem ich um Ihre Zustimmung bitte. Herr Dr. Kues verkündete übrigens in der letzten Debatte, das Ziel seien Betreuungsplätze auf höchstem qualitativem Niveau. Anspruch und Wirklichkeit, meine sehr geehrten Damen und Herren, könnten nicht weiter auseinanderliegen als bei dieser Debatte. Abschließend noch ein Wort an die Damen und Herren der Linken: Ich bin mit Ihnen auf einer Linie, dass Kinder keine Ware sind. Aber deswegen die privaten Anbieter zu verteufeln, ist an Realitätsferne nicht zu überbieten. Sie tun gerade so, als fristeten Kinder in privaten Kitas ihr Dasein bei Wasser und Brot und würden davon für ihr Leben gezeichnet. ({16}) Ich sage Ihnen eines: Mein Eindruck ist - dieser wird mir immer wieder von Fachleuten bestätigt -, dass gerade die privaten Anbieter innovativer und überaus engagiert sind. ({17}) Starten Sie doch einmal eine Umfrage unter Ihren Mitarbeitern, wer sein Kind beispielsweise hier in der Kita des Bundestages betreuen lässt. Ich bin mir sicher, dass sich auch in ihren Reihen Mütter und Väter finden, die der Verlockung des Teufels erlegen sind und - das ist ja wohl der eigentliche Skandal - wahrscheinlich auch noch zufrieden mit der Betreuung sind. Luxus-Kitas, deren Entstehen Sie heraufbeschwören, werden so oder so entstehen. Hier besteht keinerlei Zu19240 sammenhang mit öffentlichen Fördergeldern; denn wer monatlich einen vierstelligen Betrag für die Betreuung eines Kindes verlangt, ist auf finanzstarke Eltern, aber sicherlich nicht auf Kommune oder Land angewiesen. ({18})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christel Humme, SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Frau von der Leyen, ich gebe Ihnen recht: Das heutige Datum, den 26. September 2008, muss man sich merken; denn ab heute können sich die Gesellschaft und die Bildungslandschaft in Deutschland erheblich verändern. ({0}) Wir schaffen - darin gebe ich Ihnen auch recht - mit unserem Rechtsanspruch für unter Dreijährige bessere Bildungschancen für alle Kinder und bessere Chancen für ihre Eltern, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Nach den heftigen Debatten der Vergangenheit können wir alle sehr stolz darauf sein, dass wir dies erreicht haben. Frau von der Leyen, Sie haben gesagt, wir hätten die Bremsen gelockert. Ich hoffe, das stimmt. Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, einem Land, dass von CDU/ CSU und FDP regiert wird. Da erkenne ich noch nicht ganz, dass die Bremsen gelockert sind. ({1}) - Nein, in Wirklichkeit nicht. Die Regierung in Nordrhein-Westfalen hat zwar festgeschrieben, dass es mehr Betreuungsplätze für unter Dreijährige geben soll, ({2}) aber - jetzt hören Sie genau zu - sie hat die Betreuungszeit gedeckelt. Sie hat gesagt: Bedarfsgerecht für unter Dreijährige sind 25 Stunden pro Woche. Das sagen Sie doch einmal einer Alleinerziehenden, die voll erwerbstätig sein muss. ({3}) Sie sagen ihr doch damit: Gehen Sie 20 Stunden pro Woche arbeiten! Falls das Geld nicht reicht, können Sie zur Jobagentur gehen. - Ich denke, das ist zynisch, meine Damen und Herren. ({4}) - Doch, man muss bei der Wahrheit bleiben. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, der heutige Tag ist eine Belohnung für die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich zehn Jahre lang für die frühkindliche Förderung und für Angebote für unter Dreijährige stark gemacht haben. ({5}) - Doch, das ist so. - Ich bin froh, dass es uns in der Großen Koalition gegen alle Widerstände der konservativen Länder und Parteien gelungen ist, dass es heute zur Verabschiedung dieses Kinderförderungsgesetzes kommt. Wir wollten immer - das halte ich für ganz wichtig eine Förderung aller Kinder, und zwar ausnahmslos aller Kinder, also auch der Kinder, deren Eltern nicht den finanziellen Hintergrund haben, um sich Bildung kaufen zu können, und auch der Kinder, die Probleme mit der deutschen Sprache haben, etwa weil sie selbst oder ihre Eltern aus einem anderen Land kommen, und natürlich auch all der Kinder mit Behinderungen. Auch an dieser Stelle sage ich noch einmal, was ich schon letzte Woche betont habe: Jedes Kind muss uns gleich viel wert sein. ({6}) Darum bin ich froh, Herr Singhammer, dass wir nicht auf die CSU gehört haben ({7}) und im Gesetz kein Betreuungsgeld festgelegt haben. Das Betreuungsgeld, Frau Gruß, steht nämlich nicht im Gesetz. ({8}) - Es steht da: „zum Beispiel“. - Ich war sehr erstaunt, als heute Morgen im Morgenmagazin als Nachricht verkündet wurde, dass es mit dem Kinderförderungsgesetz einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige, aber auch für diejenigen Kinder, die zu Hause erzogen werden, ein Betreuungsgeld gibt. Ich frage mich, wer diese Nachricht lanciert hat. Das ist meiner Ansicht nach vor der Wahl am Sonntag in Bayern Wählerbetrug. Das können wir so nicht stehen lassen. Das Betreuungsgeld kommt Gott sei Dank nicht. ({9}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, Deutschland hat europa-, vielleicht sogar weltweit eine Sonderstellung. ({10}) Bei uns ist Bildung ein öffentliches Gut. Bei uns organisieren neben den Kommunen gemeinnützige Träger wie die Arbeiterwohlfahrt, die Diakonie, die Caritas die frühe Förderung. Profit - das sage ich an dieser Stelle steht nicht im Vordergrund. ({11}) Das ist gut so; denn Gewinne - da stimme ich Ihnen zu, Frau Künast - lassen sich nur über die Höhe des Elternbeitrages oder durch eine schlechte Bezahlung der Mitarbeiter realisieren. ({12}) - Das stimmt im Übrigen nicht. Die Elternbeiträge sind nicht festgelegt. - Beides wäre schlecht: Hohe Elternbeiträge schließen die Kinder vom Bildungsangebot aus, deren Eltern kein Geld haben, und schlecht bezahlte Arbeitskräfte können zulasten der Qualität gehen. Frau Gruß, Sie kennen die Studie der BertelsmannStiftung, in der die Entwicklung in Ländern untersucht wurde, in denen auf privat-gewerbliche, gewinnorientierte Einrichtungen umgestellt wurde. In diesen Ländern gibt es kein ausreichendes und kein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen mehr. ({13}) Von daher wäre es dramatisch, wenn man sich dieses zum Ziel setzen würde. Wir wollen nicht, Frau Gruß, dass Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Jedes Kind ist uns gleich viel wert. ({14}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, unser Bildungssystem ist nach wie vor von einer hohen Selektion gekennzeichnet. Nirgendwo in Europa und in der Welt wird so früh wie in Deutschland festgelegt, welchen Abschluss Schülerinnen und Schüler erreichen werden. Für viele Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund wird die Hauptschule zur Sackgasse. 15 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund erreichen sogar überhaupt keinen Abschluss. Frühe Förderung in Einrichtungen, in denen Kinder ausländischer Eltern mit Kindern deutscher Eltern aufwachsen, ist für mich der beste Sprachkurs. Bildung ab eins stellt für mich und meine Partei die beste Integrationspolitik dar. ({15}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, lassen Sie mich zum Abschluss noch etwas ansprechen, was mich in den letzten Tagen sehr berührt hat. Wir reden in dieser Debatte zwar über das Kinderförderungsgesetz, aber auch darüber, wie dieses Land mit Kindern umgeht. Frühe Förderung aller Kinder - das gilt für uns vor allen Dingen auch für Kinder mit Behinderungen. Wir stellen in unserem Land fest, dass nur 10 Prozent der behinderten Kinder zurzeit gemeinsam mit anderen Kindern aufwachsen und gefördert werden. Die UN-Behindertenrechtskonvention schreibt ein Menschenrecht fest, nämlich dass behinderte Kinder und andere Kinder gleichgestellt sind. Sie beschreibt auch die Voraussetzungen, damit eine gemeinsame Förderung von Anfang an möglich ist. Deutschland soll diese Behindertenrechtskonvention der UNO jetzt ratifizieren. Ich wundere mich an dieser Stelle ganz gewaltig, dass mein Koalitionspartner, die Union, die Ratifizierung dieser Behindertenrechtskonvention im Kabinett zweimal verhindert hat. Frau von der Leyen, ich bitte Sie an dieser Stelle recht herzlich, Ihr ganzes Gewicht in die Kabinettssitzung einzubringen, damit Deutschland diese Behindertenrechtskonvention so schnell wie möglich ratifizieren kann. Ich danke Ihnen. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Diana Golze für die Fraktion Die Linke. ({0})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Wenn sich der Bundestag heute auf diesen Gesetzentwurf verständigt, scheint doch eines klar: Die Debatte um Kinderbetreuung in Deutschland ist damit noch längst nicht zu Ende. Das Kinderförderungsgesetz hat eine bewegte Vorgeschichte, die mit dem heutigen Beschluss wohl auch nicht unbedingt in ruhigeres Fahrwasser kommen wird. Warum ist das so? - Es lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Wahlfreiheit. Seit Jahren ist das Wort „Wahlfreiheit“ eines der meistgebrauchten, wenn es darum geht, über Sinn und Unsinn von Kindertagesbetreuung zu diskutieren. Ganz zu Beginn ging es noch um die Frage: Kind oder Beruf? Dann mussten selbst Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion einsehen, dass es Mütter gibt, die eben auch Frau im Beruf sein wollen. ({0}) Somit stellte sich die Frage der Wahlfreiheit neu: Wie vereinbaren wir Kinder, Familie und Beruf? In den letzten Jahren war dies vor allem in den westlichen Bundesländern eine Frage, auf die in den Familien eine Antwort meist selbst gefunden werden musste, sprich: Es begann für viele das Klinkenputzen bei den wenigen Kindertageseinrichtungen, das Anstehen bei den guten Tagesmüttern oder eben das Organisieren im Familien- und Freundeskreis. Und immer hatten die Frauen die bange Frage im Hinterkopf: Mache ich das Richtige, und bin ich trotzdem eine gute Mutter? Doch die Welt drehte sich weiter, und im Bundestag wurde das Tagesbetreuungsausbaugesetz beschlossen. Bei aller Kritik, die man daran äußern kann: Es war doch ein Meilenstein, der es vielen Eltern erleichterte, ihre Wahl für Kinder und Beruf zu treffen und beides miteinander zu vereinbaren. Aber der Ausbau der Tagesbetreuungsplätze ging zu langsam vonstatten. Viele Kommunen erreichten bei Weitem nicht die gesteckten Ziele. Finanzierungsprobleme machten es den Trägern vor Ort schwer, entspre19242 chend zu investieren und die Infrastruktur für Familien mit Kindern zu schaffen. Dabei sahen die Probleme regional sehr unterschiedlich aus: Im Westen glich vielerorts ein Ganztagsbetreuungsplatz weiterhin einem Sechser im Lotto. Gutes Personal wurde händeringend gesucht. Im Osten hingegen mussten zunehmend Einrichtungen geschlossen werden, da die Zahl der Kinder in diesen Altersgruppen zurückging. Die Beschäftigten arbeiten nach wie vor verkürzt und mit Haustarifverträgen. Wahlfreiheit lag also immer noch in weiter Ferne. Dann brach die Zeit der Großen Koalition an, und Frau von der Leyen schob eine Entwicklung an, mit der vorher wohl nur wenige gerechnet hatten. Ich habe es Ihnen von dieser Stelle aus schon einmal gesagt, Frau Ministerin: Ich bin Ihnen dankbar für die Aufräumarbeiten, die Sie in den Hinterstübchen der erlauchten Altherrenriege angefangen haben. ({1}) Sie haben in der Großen Koalition die Chance gesehen und den Staubwedel ergriffen, um mit überholten Geschlechterrollen zu brechen und ihnen zu einem frischeren Aussehen zu verhelfen. Doch Sie wissen, dass ich als Mitglied der Linken und damit der Opposition an dieser Stelle mit dem Lob wieder aufhören muss. ({2}) Leider haben Sie den Staubwedel zu früh wieder aus der Hand gelegt; denn mit diesem Gesetz bekommt das Wort „Wahlfreiheit“ eine ganz neue Bedeutung. Uns wird hier ein Gesetzentwurf vorgelegt, bei dem jeder die Wahl hat, sich einen Teil auszusuchen, der ihr oder ihm gefällt. Hier ein paar Beispiele. Ich beginne mit dem Thema Finanzierung: 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau. Das weckt Erinnerungen an ein Projekt der rot-grünen Regierung, dessen Finanzierung durch den Bund dieser Tage ausläuft, das Ganztagsschulprogramm. ({3}) Auch hier ist sicher viel geschehen, und der Ansatz ist begrüßenswert. Aber 20 Prozent aller schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in Ganztagsschulen bedeuten noch kein flächendeckendes Netz; das Projekt bleibt im Modellcharakter stecken. ({4}) Der Grund: Die Kommunen konnten und können den weiteren Ausbau aufgrund ihrer klammen Kassen nicht stemmen. Die Befürchtung der Fraktion Die Linke - diese wird von vielen Verbänden und nicht zuletzt von den Kommunen geteilt -, ist nun, dass es mit dem Ausbau der Kindertagesbetreuung letztlich nicht anders verlaufen wird. 4 Milliarden Euro stehen von Bundesseite zur Verfügung. Wir fordern, diese weiter aufzustocken, weil das vorgesehene Sondervermögen für das Volumen des Ausbaus nicht ausreichen wird. ({5}) Wenn die Bundesregierung die Kinderbetreuung zur gesamtgesellschaftlichen Aufgabe ausruft und die Bundeskanzlerin Bildung zur Chefsache macht, kann die Schlussfolgerung eigentlich nur sein, dass das Gros der Finanzierung am Ende nicht an den Kommunen hängen bleiben darf. ({6}) Die Warnung der kommunalen Spitzenverbände ist nur zu verständlich. Die Bundesregierung schafft mit einem zu begrüßenden Rechtsanspruch die Fakten, und die Kommunen sollen am Ende die Rechnung begleichen; denn dort werden die Eltern 2013 ihre berechtigte Forderung nach einem Kita-Platz aufmachen und nicht vor dem Bundeskanzleramt oder vor dem Ministerium. ({7}) Wenn der Rechtsanspruch da ist, dann haben die Kommunen keine Wahl. Der Ausbau muss deutlich an Fahrt aufnehmen, wenn die Vorgaben des Tagesbetreuungsausbaugesetzes und des vorliegenden KiföG erfüllt werden sollen. Dies kann nur geschehen, wenn die Kommunen stärker als bisher finanziell unterstützt werden. ({8}) Die im Gesetz vorgesehene Einschränkung der Bedarfskriterien, nach denen ein Kind Anspruch auf einen Kita-Platz haben soll, ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Wer die Kommunen während der Ausbauphase nicht übermäßig belasten möchte, sollte seine Finanzpolitik überprüfen und nicht die Zugangskriterien beschränken. Deswegen unsere Forderung: Stellen Sie den Kommunen ausreichende finanzielle Unterstützung zur Verfügung. Nächstes Beispiel: das Betreuungsgeld. Mehrmals hatten wir dazu in diesem Raum und andernorts schon die Debatte, doch die Formulierung, dass ab 2013 die Eltern, die ihr Kind nicht in einer Einrichtung betreuen lassen wollen oder können, eine finanzielle Leistung bekommen sollen, steht nach wie vor im Gesetz - und diesmal nicht nur in der Begründung. Dieses Argument, liebe SPD-Fraktion, zieht also nicht mehr.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Nicolette Kressl aus der SPD-Fraktion?

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gern.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Kollegin Golze, sollten Sie übersehen haben, dass der Bund bei der Finanzierung über die 4 Milliarden Euro hinaus den Kommunen ab 2013 jährlich 770 Millionen Euro vom Anteil an der Umsatzsteuer zur Verfügung stellt?

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das habe ich nicht übersehen. Ich habe über die Ausbauphase gesprochen, in der 4 Milliarden Euro vonseiten des Bundes zur Verfügung stehen. Aus unserer Sicht reichen diese nicht aus, um diese Plätze gegenzufinanzieren. Dies darf nicht nur den Kommunen überlassen werden. ({0}) Ich war beim Thema Betreuungsgeld. Liebe SPDFraktion, Sie müssen bei der Wahrheit bleiben - Frau Humme hat eben gesagt, wir wollen ja bei der Wahrheit bleiben -: Sie beschließen heute das Betreuungsgeld. Ja, Sie sagen, wer weiß, was bis 2013 noch alles passiert, und hoffen insgeheim, dass Sie dann am längeren Hebel sitzen. Aber leider sagt die CDU/CSU-Fraktion das auch. ({1}) Beide Koalitionsfraktionen reden sich ein, das letzte Wort darüber zu haben. Aber was ist denn das für ein Gesetz? Entweder will ich eine Leistung - dann definiere ich sie und schreibe sie so ins Gesetz -, oder ich sage, dass ich kein Betreuungsgeld will, weil viele Kinder, die die Betreuung bräuchten, davon ausgeschlossen sein werden; dann lasse ich es und nehme keine solche Formulierung auf. Die Große Koalition versucht einen Mittelweg. Die jeweilige Wählerklientel hat nun die Wahl, ob sie zu den Krötenschluckern oder zu den Hartleibigen gehören möchte. Na, wohl bekomm’s! ({2}) Drittes Beispiel: die Gleichstellung von gemeinnützigen und privat-gewerblichen Trägern. Auch hier haben wir die Wahl, wer sich nun letztendlich durchgesetzt hat. Während Frau Marks aus der SPD-Fraktion am letzten Donnerstag in der Haushaltsdebatte meinte: Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit der Union darauf verständigt haben, die bewährten Strukturen der Finanzierung der Kinderbetreuung zu erhalten. Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von privat-gewerblichen Trägern eingesetzt werden... ({3}) bleibt die Familienministerin ({4}) laut FAZ und auch in ihrer heutigen Rede beim Anliegen des Ursprungsentwurfs, wenn sie sagt: Der Trend geht eindeutig dahin, auch Privat-Gewerbliche zu fördern. ({5}) Im ersten Entwurf stand noch, dass privat-gewerbliche Träger gleichbehandelt werden sollen. Nach erheblichem Widerstand hieß es dann, alle Träger sollten gleichbehandelt werden. Nach dem energischen Einspruch des Bundesrates steht nun im Text, dass alle Träger gefördert werden können. Herr Singhammer und Frau Fischbach erklärten gestern gemeinsam dazu - ich zitiere wieder -: Im Gesetz zum Ausbau der Kinderbetreuung können privat-gewerbliche Träger von Kinderbetreuungseinrichtungen ebenso gefördert und damit auch gleichbehandelt werden wie jeder öffentliche Träger. Dies ist schon jetzt bereits der Fall … Mit dem Durchsetzungsvermögen der SPD hat das mitnichten zu tun. Jeder mag sich sein Urteil dazu selbst bilden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Pieper?

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, gern.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Golze, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es gerade in den neuen Bundesländern, wo wir eine fast flächendeckende Versorgung mit Krippen- und Kindergartenplätzen haben, einige Städte gibt, in denen es - so Ihre Formulierung - nur privat-gewerbliche Träger gibt? Das sind freie Träger, Elterninitiativen, der Paritätische Wohlfahrtsverband und die Volkssolidarität. ({0}) Ich möchte von Ihnen eine Erklärung, mit welchem Recht Sie diesen Organisationen Profitorientierung vorwerfen. Sie sollten Ihre ideologische Verblendung im Interesse der Kinder in diesem Land endlich ablegen. ({1}) Sie stimmen mir doch zu: Eine Vielfalt bei den Trägern von Kinderbetreuungseinrichtungen wird letztendlich eine bessere Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen nach sich ziehen. Das kann man gerade in den neuen Bundesländern wunderbar nachempfinden. ({2})

Diana Golze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003759, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin selbst seit vielen Jahren Mitglied eines Jugendhilfeausschusses. Ich weiß sehr wohl, dass eine Trägervielfalt für ein breiteres Angebot sorgt und sich so jeder seine Einrichtung aussuchen kann. Das ist gut für die Kinderbetreuungslandschaft. Aber dass die FDP nicht einmal den Unterschied zwischen gemeinnützig und pri19244 vat-gewerblich kennt, das tut mir wirklich leid, Frau Pieper. ({0}) Ich setze mich für den Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinder- und Jugendhilfe ein. Ich setze mich für den Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinderbetreuungslandschaft ein. Das schließt auch freie Träger ein. Natürlich gibt es auch in meiner Kommune freie Träger, die Kindertagesbetreuung anbieten, ({1}) die zum Beispiel zusammen mit Betrieben betriebliche Kindergärten organisieren. Das sind nicht die privat-gewerblichen Anbieter, die ich hier anspreche. ({2}) Dass ich Ihnen das erklären muss, tut mir wirklich leid. Ich bin aber froh, dass Sie diese Zwischenfrage gestellt haben. So konnte ich Ihnen diese Weiterbildung anbieten. ({3}) Zurück zum Thema: Bildung ist keine Ware, vor allem sind unsere Kinder keine Ware. Es gibt international genügend Belege dafür - schauen Sie nach Australien -, dass in dem Moment, wo Kinderbetreuung dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb unterworfen wird, die Qualität der Betreuung leidet oder ein Zweiklassensystem bei der Betreuung entsteht: privat-gewerbliche Angebote für die Familien, die es sich leisten können, und frei-gemeinnützig organisierte Betreuung für den großen Rest. Das Beispiel Australien zeigt uns: Kinderbetreuung gehört nicht an die Börse. ({4}) Sie muss für alle Kinder und für ihre Eltern ein verlässliches Angebot sein. Es geht uns nicht darum - ich wiederhole mich -, dass es keine privaten Angebote geben soll, sondern darum, dass in gewinnorientierte Betreuungsangebote keine öffentlichen Fördermittel fließen und die Kinder- und Jugendhilfe vor Kommerz- und Gewinninteressen bewahrt wird. Dieses Problem bleibt für uns Linke auch mit der Formulierung im aktuellen Gesetzentwurf bestehen. Das Argument, dass die ehrgeizigen Ausbauziele bei Kita-Plätzen ohne die Unterstützung privat-gewerblicher Träger nicht zu schaffen sei, ist nicht zu halten, Frau Gruß. Wie Sie der Stellungnahme des Deutschen Jugendinstituts zur KiföG-Anhörung entnehmen konnten, sind - ich zitiere ... die bisherigen Träger, was das Ausbauvolumen anbelangt, durchaus in der Lage, dieses Angebot zu realisieren. Gegenwärtig realisieren diese immerhin ein Platzangebot von rund 2,6 Mio. Plätzen für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Schulpflicht. Gemessen daran ist der zusätzliche Ausbaubedarf überschaubar. ({5}) Am vorläufigen Ende dieser parlamentarischen Debatte muss ich sagen: Der Start der Bundesministerin war vielversprechender als das, was nun als Ergebnis vorliegt. ({6}) Der Frühjahrsputz ist vorbei. Dabei hat die Debatte zu Beginn des Jahres gezeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung zu einer grundlegenden Sanierung bereit gewesen wäre. Diese Chance ist nun vertan. Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben deutlich gemacht, dass sie die Mittel, die für einen flächendeckenden Ausbau notwendig wären, nicht in die Hand nehmen wollen. Es bleibt beim Pferdefuß Betreuungsgeld. Obendrein setzt man Anreize zur Privatisierung der Betreuungslandschaft. Dies lässt sich mit den Zielen linker Kinder- und Familienpolitik nicht vereinbaren. ({7}) Die Linke sagt Ja zum Rechtsanspruch auf Kindertagesbetreuung für alle Kinder als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wir sagen Ja zu gut qualifiziertem und entsprechend gut bezahltem Personal. Wir sagen Ja zu einer neuen Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zwischen Müttern und Vätern. ({8}) Wir sagen Ja zum Erhalt der Gemeinnützigkeit der Kinder- und Jugendhilfelandschaft. Deshalb sagen wir Nein zu diesem Gesetzentwurf. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Krista Sager für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsache, dass die CDU jetzt langsam in der Realität ankommt, ist aus unserer Sicht kein hinreichender Grund, die Selbstzufriedenheit Überhand nehmen zu lassen. ({0}) Das Betreuungsgeld ist in der Tat ein bildungspolitisches Armutszeugnis. Das wissen Sie selber. Frau Humme, ein Blick auf die vorgesehene Änderung des § 16 des SGB VIII zeigt, dass Sie, aber vor allen Dingen die Ministerin vor der CSU eingeknickt sind. ({1}) Einkommensarme Familien bekommen einen Anreiz, gerade die Kinder nicht in die Frühförderung zu geben, die davon am meisten profitieren würden. Man kann sich nur wünschen, dass diese Extrawurst, die Sie der CSU da gebraten haben, ihr bei der Wahl am Sonntag im Halse stecken bleibt. ({2}) Ich habe den Eindruck, dass auch in Bayern immer mehr Menschen merken, dass gerechte Startchancen für die CSU schlichtweg ein Fremdwort ist. Wir werden diesem bildungspolitischen Unsinn nicht zustimmen. Daher werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. ({3}) Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ab 2013 - das wollen wir hier einmal klar sagen - kommt für viele Eltern zu spät. Die Kommunen haben jetzt zum Glück ernsthaft mit dem Ausbau angefangen, aber dies geschieht auf Basis des von Rot-Grün beschlossenen Tagesbetreuungsausbaugesetzes. Herr Singhammer, das haben Sie im Bundesrat bekämpft, als ob es Teufelswerk wäre. Diese Wahrheit muss hier einmal gesagt werden. ({4}) Fatal ist, dass Sie keinen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz geschaffen haben. Die Kommunen und die Länder haben jede Möglichkeit, den Ausbau auf 5-Stunden-Plätze zu konzentrieren. Das hat zur Folge, dass die Kinder mit einem höheren Betreuungsbedarf - in den Großstädten werden es immer mehr - weiter mit den Kindern von berufstätigen Eltern um die raren Ganztagsplätze konkurrieren werden. Das ist nicht gut. Junge Mütter und Väter wollen heute mehrheitlich eher zwischen 30 und 37 Stunden pro Woche arbeiten. Die Zeit, in der junge Mütter möglichst wenig im Beruf sein wollten und junge Väter möglichst 60 Stunden pro Woche arbeiten wollten, sind zum Glück vorbei. Diese veränderten Wünsche können sie aber mit einem 5-Stunden-Platz nicht abdecken. Deswegen wäre ein Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz so wichtig. ({5}) Es muss auch Schluss damit sein, dass Kinder arm sind, weil ihre Mütter nur in geringfügiger Beschäftigung arbeiten können, weil sie für ihre Kinder keine hinreichende flexible Betreuung ab dem ersten Lebensjahr - bis hin zu Ganztagsschulen - haben. Die Zahl der Alleinerziehenden nimmt zu; zwei Drittel der Väter können oder wollen keinen Unterhalt zahlen. Dieses Armutsrisiko müssen wir durch bessere Betreuung bekämpfen. Das heißt, wir brauchen Ganztagsbetreuung und einen Rechtsanspruch. ({6}) Vor allen Dingen brauchen wir eine Qualitätsoffensive. Nur so werden aus Betreuung frühe Förderung und gerechte Startchancen für alle Kinder. Dazu leistet Ihr Gesetzentwurf keinen Beitrag. ({7}) Wir brauchen Qualitätsstandards, wir brauchen eine Verkleinerung der Gruppen, Verbesserungen beim Personalschlüssel, bei den Konzepten, bei der Ausstattung und auch bei der Ausbildung und Qualifizierung des Personals. Da liegt in Deutschland noch ganz vieles im Argen. Zu Ihrem Streit über privat-gewerbliche und öffentliche Einrichtungen. Der Qualitätswettbewerb zwischen freien Trägern, privaten Anbietern und öffentlichen Anbietern ist in Ordnung. Er funktioniert in Deutschland auch längst. Aber dieser Wettbewerb ist doch etwas anderes als die Frage, warum es der Ministerin so unglaublich wichtig ist, dass man mit Kinderbetreuung auch Gewinne machen können muss. ({8}) Das ist der Unterschied. Es ist doch nicht nachzuvollziehen, warum der Ministerin das bei der Qualitätsfrage so wichtig ist. Wir brauchen die Qualitätsoffensive dringend, und zwar sowohl für die Kinder und auch, um die Eltern für die frühe Förderung zu gewinnen. Wir brauchen aber auch eine Qualitätsoffensive für die Beschäftigten, für die hoch motivierten, für die qualifizierten Erzieherinnen und Erzieher. Wir müssen aufpassen, dass uns im Bereich der Erzieherinnen und Erzieher nicht etwas Ähnliches passiert wie im Pflegebereich, nämlich dass die Besten, die Motiviertesten am Ende aus Frust das Handtuch werfen, weil sie das Gefühl haben, dass sie das, was sie jeden Tag erleben, vor den Eltern nicht länger verantworten können. Es geht nicht, dass die besten Leute den Kindern und den Familien am Ende verloren gehen. Deswegen muss das in den Fokus gerückt werden. Ich sage Ihnen eines: Rücken Sie die Frage der Qualitätsoffensive auch auf dem Bildungsgipfel in den Mittelpunkt! Denn genau dorthin gehört sie. Das muss am 22. Oktober ein Thema auf dem Bildungsgipfel sein, auch unter dem Gesichtspunkt: Wie gelingt es uns, dafür zu sorgen, dass das notwendige Geld in die Verbesserung der Qualität und nicht nur in den dringend erforderlichen Ausbau fließt? Es sollte also kein Ausruhen geben; denn es gibt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit. Wir werden dem bildungspolitischen Unsinn eines Betreuungsgeldes als „Frühförderungsabschreckungsprämie“ heute nicht zustimmen können. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegin Ingrid Fischbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Frau Ministerin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Frau Humme, ich wollte erst nichts sagen. Sie wissen, ich komme wie Sie aus Nordrhein-Westfalen, und ich habe mein ganzes bisheriges Leben in Nordrhein-Westfalen verbracht. Ich bin mit offenen Augen durch dieses wunderschöne Land gegangen. ({0}) Als die CDU zusammen mit der FDP 2005 die Regierung übernommen hat, war Nordrhein-Westfalen dank der vorherigen Landesregierung aus SPD und Grünen - ich will es Frau Humme nur einmal sagen, damit sie hier keine Märchen erzählt - Schlusslicht bei der Landesbewertung der Betreuungsplätze für unter Dreijährige. Wissen Sie, wie viel Prozent Sie geschafft haben? 2,5 Prozent! Mehr sage ich dazu nicht. ({1}) Mittlerweile haben wir den Anteil dieser Betreuungsplätze um 200 Prozent gesteigert, nämlich von den läppischen knapp - ({2}) - Frau Humme, diese Vorgehensweise ist typisch für Sie: Selber nichts tun, und wenn andere etwas tun, es noch schlechtrechnen. Sie haben Zeit gehabt. Wir sind jetzt auf einem guten Wege, und auf dem werden wir weitergehen. ({3}) Schlusslicht mit 2,5 Prozent! Frau Humme, ich hätte mich geschämt. Ich hätte das besser gar nicht angesprochen. ({4}) Frau Golze, ich habe schon mehrfach gesagt: Die Linken stellen sich hierhin und halten wunderbare Reden. Wenn man sie reden hört, könnte man sagen: Dem Volke das Beste. ({5}) Können Sie uns und auch den Zuhörern auf der Tribüne, die alle interessiert zuhören, denn einmal erklären, warum Sie noch nicht einmal einem Volksbegehren für mehr Kita-Plätze in Berlin mit 66 000 gesammelten Unterschriften stattgeben? Das hätten ich und vielleicht auch die Damen und Herren von Ihnen gerne einmal gewusst. Schließlich ist doch alles, was Sie machen, so toll. ({6}) Ich verstehe das überhaupt nicht. Sie wollen tolle Sachen. Sie stellen sich hierhin und fordern bestimmte Dinge; doch da, wo Sie in der Regierung sind, kürzen Sie die Anzahl der Betreuungsplätze, ({7}) schließen Einrichtungen und geben noch nicht einmal einem Volksbegehren statt. ({8}) Aber das zeigt Ihre Denkweise. Mehr sage ich auch dazu nicht. ({9}) Kommen wir nun zu der guten Nachricht; es ist wirklich eine gute Nachricht, egal wie Sie von der Opposition darüber reden. Dieses Gesetz ist der zweite Meilenstein, den die Bundesregierung, den die Große Koalition für Familien und Kinder setzt. Ich muss an dieser Stelle für meine Fraktion ganz deutlich sagen: Frau Ministerin, ohne Sie wäre das nicht möglich gewesen. ({10}) Als die Ministerin 2007 den Krippengipfel einberufen hat - ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern -, da haben gerade die Kolleginnen und Kollegen der Opposition und auch viele andere darüber gelächelt: Jetzt setzt sie sich mit Vertretern von Bund, Ländern und Kommunen zusammen. Was hat sie denn vor? Außer Geschwafel und einer schönen Schlagzeile in der Presse wird dabei wohl nichts herauskommen. - Was ist herausgekommen? Das Kinderförderungsgesetz, auf das wir gemeinsam stolz sein können. ({11}) Frau Humme, mir ist es vollkommen egal, wer sich diesen Erfolg auf seine Fahnen schreibt. Uns als CDU/ CSU-Fraktion sind die Kinder und die Eltern wichtig. Wenn wir für sie etwas Gutes schaffen, dann dürfen Sie sich dieses Verdienst gerne auf Ihre Fahnen schreiben. Das macht uns überhaupt nichts aus. ({12}) Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen, dass wir mit diesem Gesetz etwas auf den Weg bringen, was es bisher noch nicht gab: nicht nur dass bei der Finanzierung alle Beteiligte an einen Tisch gebracht und von allen drei Seiten jeweils 4 Milliarden Euro bereitgestellt wurden, mit denen nicht nur Investitionen gefördert werden; erstmals - das ist ganz wichtig - ist es möglich, auch die Betriebskosten mitzutragen, was gerade vor Ort sehr wichtig ist. Das ist eine große Errungenschaft. Auch dafür sage ich herzlichen Dank. ({13}) Jetzt möchte ich der Mär widersprechen, wir hätten den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz sofort einführen können. Wir alle sind doch Kommunalpolitiker. Wir alle wissen doch, wie die Situation vor Ort ist. ({14}) - Sie sind es nicht? Aber wir sind doch alle in Kommunen zu Hause. Als Abgeordneter redet man mit den Kommunalpolitikern in seinem Wahlkreis, damit man hier Politik machen kann, die auch die Kommunen vertreten können. So machen das wenigstens wir von der CDU/CSU-Fraktion. Wir achten schon darauf, dass unsere Politik bis nach unten durchgereicht werden kann. ({15}) Wir wissen, dass die Kommunen nicht in der Lage gewesen wären, diesen Rechtsanspruch sofort umzusetzen. ({16}) Deswegen macht es Sinn, die Beteiligten vor Ort, die die Plätze schaffen müssen, mit ins Boot zu nehmen. Deshalb macht es auch Sinn, zu sagen: Der Ausbau der Plätze erfolgt stufenweise bis 2013. Bis dahin müssen aber auch alle Kommunen die erforderlichen Plätze bereitgestellt haben; denn dann ist wirklich Schicht im Schacht. Wer dann nicht die Förderungsmaßnahmen so umgesetzt hat, wie wir es beabsichtigt haben, der hat Pech gehabt. Die Ministerin hat vollkommen recht: Die Menschen vor Ort werden dann mit den Füßen abstimmen. Sie werden sich Orte suchen, wo sie die entsprechenden Angebote bekommen. Deswegen machen - ich sage das noch einmal - ein Ausbau in Stufen und die Einführung des Rechtsanspruchs ab 2013 Sinn. Lassen Sie mich in den letzten zwei Minuten meiner Redezeit kurz auf die Tagespflege eingehen, die in NRW, Frau Humme, auch immer als Teufelswerk angesehen wurde. Die erste öffentliche Anhörung zu diesem Thema im Landtag NRW fand 1990 statt. Passiert ist bis 2005 so gut wie nichts. Wir haben jetzt die Bedingungen dafür geschaffen, dass die Tageseltern - inzwischen gibt es die ersten Tagesväter - aus dem Schatten bzw. der Schwarzarbeit herauskommen, dass sie qualifiziert werden. Wir legen großen Wert auf ihre Qualifizierung. Damit einhergehend muss natürlich auch eine andere Entgeltregelung gefunden werden. Die Tageseltern sind dann eben nicht mehr für 1,83 Euro zu haben. Das ist richtig und wichtig. Wir haben auch dafür gesorgt, dass Großtagespflegestellen als Alternative zu den Betreuungsangeboten eingerichtet werden können. Eines ist uns als CDU/CSUFraktion nämlich klar: Wir wollen keine Einheitsbetreuung für alle; für uns steht das Wohl des Kindes im Vordergrund. Danach müssen wir die Betreuungsangebote ausrichten. ({17}) Zu den Großtagespflegestellen kursiert so einiges in der Öffentlichkeit. Es wird oft gefragt: Was wollt ihr da auf den Weg bringen? Ist das eine Konkurrenz zu den Tageseinrichtungen? Werden dann plötzlich über 100 Kinder zum Minitarif betreut? - Wir haben zwei vernünftige Regelungen gefunden. Erstens. Bei Großtagespflegestellen muss mindestens eine Tagespflegeperson eine pädagogische Ausbildung haben. Diese qualitative Forderung haben wir in den Vordergrund gestellt. Zweitens. In dem Gesetz ist auch festgelegt, dass die Anzahl der zu betreuenden Kinder gedeckelt ist. Das heißt, sie darf nicht größer sein als die Kinderzahl in entsprechenden Einrichtungen der öffentlichen Träger. Das sind zwei gute Ansätze, die Großtagespflegestellen als eine weitere Alternative zur Kinderbetreuung auf den Weg zu bringen. ({18}) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie ehrlich sind, müssen Sie eingestehen, dass dieser Gesetzentwurf ein guter Gesetzentwurf ist. Ich bitte Sie: Geben Sie sich einen Ruck und stimmen Sie ihm zu! Er hilft den Eltern, Beruf und Familie zu vereinbaren. Was aber noch wichtiger ist: Er begründet für die Kinder den Anspruch, tatsächlich von Beginn an gefördert zu werden. Wer kann dazu schon Nein sagen? ({19})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kollegin Gesine Lötzsch von der Fraktion Die Linke.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau Kollegin, da Sie nicht aus Berlin sind und sich hier nicht so gut auskennen, muss ich kurz auf Ihre Einlassung reagieren. Erstens. In Berlin, wo SPD und Linke gemeinsam die Regierung bilden, bekommt jedes Kind, dessen Eltern es wünschen, einen Betreuungsplatz. - Das nur zur allgemeinen Information. Worum handelte es sich bei dem Volksbegehren, das Sie angesprochen haben, und warum hat der Senat von Berlin es abgelehnt? Dieses Volksbegehren hatte vor allen Dingen die Anliegen, darauf hinzuwirken, dass für die Kinderbetreuung mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden, dass das Betreuungspersonal besser ausgebildet wird ({0}) und dass der Betreuer-Kind-Schlüssel verbessert wird. Das sind Anliegen, die wir ausdrücklich unterstützen. Der Senat von Berlin hat auf Vorschlag des zuständigen Innensenators und des Finanzsenators - in Klam19248 mern: SPD - entschieden, dass dieses Volksbegehren nicht zugelassen werden kann, weil es in erheblicher Weise in den Haushalt eingreift. ({1}) Darum hat die Fraktion Die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus diejenigen, die dieses Volksbegehren vorbereitet haben, darin unterstützt, vor das Berliner Verfassungsgericht zu ziehen, um eindeutig klären zu lassen, wie weit ein solches Begehren in den Haushalt eingreifen kann, und um mögliche Verwerfungen zu vermeiden. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Für unsere Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kann ich erklären - ich finde übrigens, ab und zu könnten sich auch einmal die Kollegen der Sozialdemokratie zu den Berliner Verhältnissen äußern -: Wir haben die Anliegen dieses Volksbegehrens unterstützt. Wir werden versuchen, möglichst viele dieser Anliegen in der Koalition im Land Berlin umzusetzen. Damit es nicht zu Missverständnissen kommt, möchte ich abschließend wiederholen: In Berlin bekommt jedes Kind, dessen Eltern es wünschen, einen Betreuungsplatz. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Fischbach, bitte.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Lötzsch, ich freue mich, dass jedes Mal, wenn ich Ihre Fraktion anspreche, sofort ein oder zwei von Ihnen aufstehen und sich zu Wort melden. Das zeigt mir nämlich, dass ich mit den Dingen, die ich anspreche, richtig liege. ({0}) Natürlich gilt auch für die Bundesregierung ein gewisser finanzieller Rahmen. Sie darf den Etat, der ihr zur Verfügung steht, nicht einfach überschreiten. Die Frau Ministerin hat deutlich gemacht, dass sich der Finanzminister klar positioniert hat. Er hat dem Anliegen der Verbesserung der Kinderbetreuung Rechnung getragen; dafür sind wir dankbar. Das tut man am besten, indem man die Kinderbetreuung zur Chefsache erklärt und diesem Thema auf der politischen Agenda oberste Priorität einräumt. Ich habe mich gewundert, dass Sie gesagt haben: Alle Eltern, die es wollen, bekommen für ihr Kind einen Betreuungsplatz. Ich frage mich: Warum gehen die Eltern dann auf die Straße? ({1}) Dann stimmt wohl die Qualität nicht. Genau das ist der Punkt, den Sie an unseren Vorschlägen immer kritisieren. Wenn Sie Verantwortung tragen, sind Sie aber nicht in der Lage, das umzusetzen, was Sie selbst fordern. ({2}) Wir gehen so vor, wie wir es beschrieben haben. Wir brauchen Betreuungsangebote, und wir brauchen Qualität. Wir nehmen die Menschen mit. Wir würden kein Volksbegehren, wie Sie es getan haben, ablehnen; denn für uns ist ein Volksbegehren ein demokratisches Mittel. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Sibylle Laurischk für die FDPFraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe den Eindruck, Frau Fischbach hat einen wunden Punkt der Linken getroffen, und getretene Hunde bellen. ({0}) Es ist interessant, zu beobachten, dass sich SPD und Linke in gemeinsamem Applaus wiederfinden. ({1}) Man hat das Gefühl, dass sich die Große Koalition nicht so einig ist, wie man es sich wünschen würde. Als Opposition schauen wir sehr genau zu. Wir Liberale wollen bei den Themen Kinderförderungsgesetz und Betreuungsgeld noch einen anderen Aspekt in den Vordergrund stellen, der mir besonders am Herzen liegt. Es geht um die Integration von Zuwanderern und die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund. Hier werden die Defizite frühkindlicher Bildung und Betreuung in Deutschland so deutlich, als betrachte man sie unter der Lupe: Kinder mit Migrationshintergrund haben besondere Entwicklungsprobleme und Sprachdefizite. Das muss sich ändern. ({2}) Man weiß, dass Kinder im frühkindlichen Alter beeindruckende Sprachlernfähigkeiten haben. In einer Studie der Universität Mannheim wurde kürzlich wieder festgestellt, dass Kinder auch dann, wenn sie ohne Vorkenntnisse in der deutschen Sprache in den Kindergarten kommen, innerhalb von sechs Monaten SprachfähigkeiSibylle Laurischk ten besitzen, die denen ihrer gleichaltrigen Spielkameraden entsprechen. Daher ist das gemeinsame Aufwachsen mit deutschsprachigen Kindern in einer Gruppe die effektivste Sprachlernmethode, die wir kennen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Es muss zentrales Ziel der Politik beim Thema Kinderbetreuung sein, die entsprechenden Rahmenbedingungen herzustellen. Im Bundesdurchschnitt besucht die Hälfte der Dreibis Vierjährigen aus Familien mit Migrationshintergrund den Kindergarten. Bei den Vier- und Fünfjährigen sind es über 80 Prozent. Leider sinkt diese Quote bei Familien mit größerer Bildungsferne - dies gilt auch für deutsche Familien -, obwohl sie gerade hier steigen müsste. ({3}) Wir brauchen mehr Anreize, damit gerade diese Familien ihre Kinder häufiger als bisher in Betreuungseinrichtungen schicken; denn was in der Zeit bis zum Eintritt in die Grundschule beim Erwerb der deutschen Sprache versäumt wird, kann später nur sehr mühsam wieder aufgeholt werden. Mit dem Betreuungsgeld, das im vorliegenden Gesetzentwurf enthalten ist - es wurde nicht herausgenommen -, gehen Sie in die falsche Richtung. Aus integrationspolitischer Sicht ist es absolut kontraproduktiv. ({4}) Die FDP hat dieses Thema geklärt. Auf einem Bundesparteitag haben wir uns klar dahin gehend positioniert, dass mit dem Betreuungsgeld die falsche Richtung vorgegeben wird. Ich warne davor, weiter darüber zu diskutieren und es womöglich doch beschließen zu wollen. Das sage ich sehr bewusst auch in Richtung Bayern. ({5}) Wir wollen keine Ausgrenzung, und wir wollen auch keine Abgrenzung - weder im Aufenthaltsrecht noch bei der Familienfinanzierung oder bei der Familienförderung. Um Sprachlernerfolge zu ermöglichen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Gruppengröße, Kinderzahl pro Erzieherin und Erzieher sowie die individuelle pädagogische Qualifikation der Erzieherinnen und Erzieher. Bei allem ist aber eine einseitige Gruppenzusammensetzung hinsichtlich der Sprache ein Hemmschuh für eine angemessene Förderung von Migrantenkindern. Im Kinderförderungsgesetz sollte es neben dem richtigen quantitativen Ausbau auch darum gehen, dass Signale für mehr Qualität und Vielfalt in den Kinderbetreuungsangeboten gesetzt werden. Hier gehen Sie mit Ihrem Entwurf nicht weit genug. Ich erinnere daran - wir wissen das aus einer fraktionsinternen Anhörung -, dass die öffentliche Kinderbetreuung im rot-roten Berlin nicht mehr mit einer entsprechenden Qualität ausgebaut werden kann und bereits private und gemeinnützige Anbieter in diese Lücke stoßen. Insofern ist es absurd, dass hier kein Volksbegehren zugelassen wird. ({6}) Wir müssen vor allem Qualitätsstandards für die Kinderbetreuung entwickeln. Wir brauchen endlich eine stärkere bildungspolitische Sicht auf die Phase vor dem Schuleintritt. Dies leisten Sie mit dem vorliegenden Gesetzentwurf leider nicht. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Marlene Rupprecht, SPDFraktion. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Und natürlich: Liebe Kinder und liebe Eltern! Heute geht es nämlich um Kinder und Eltern. Wir führen in der Politik derzeit sehr häufig das Wort „Kinder“ im Mund, und wir werden alle ganz schwach, wenn wir es hören. Wenn es aber um die Realitäten geht, dann gibt es nur noch wenige in allen Fraktionen, die sich tatsächlich um die Belange von Kindern kümmern. Ich denke, in einer pluralen Gesellschaft wie der unseren werden Gesetze so gemacht, dass sie den pluralen Willen zum Ausdruck bringen. Unser Kinderförderungsgesetz spiegelt das wider. Manchen geht der Gesetzentwurf zu weit, anderen nicht weit genug. Ich denke, dass es wichtig ist, nachzuvollziehen, was die Menschen im Lande brauchen. Das sollte die Maxime der Politik sein. Den Menschen sind Ideologien ziemlich gleichgültig. Einer Mutter, die nicht weiß, wo sie morgens ihr Kind unterbringen kann - sie kann es schließlich nicht irgendwo an der Garderobe abgeben -, ist es egal, wer ihr das ermöglicht, ob links, rechts, Mitte oder wer auch immer. Sie will, dass wir handeln. Das haben wir getan. Es ist noch nicht so lange her. Mitte der 90er-Jahre war es ein riesiger Kraftakt des Parlaments - vor allem der Frauen im Parlament -, einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sicherzustellen. Die Kommunalpolitiker haben damals den Untergang des Abendlandes und den Bankrott der Kommunen befürchtet, wenn wir das durchsetzen würden. Inzwischen hat sich das Ganze beruhigt. Man hat damals befürchtet, die in den Einrichtungen betreuten Kinder würden alle kriminell. Das hat sich nicht bestätigt. Sie haben sich sehr gut entwickelt. Wir haben mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz einen zweiten Schritt unternommen. Wir haben darin vorgegeben, in welchen Stufen der Ausbau erfolgen soll. Die Regierung muss dazu Berichte vorlegen. Mittlerweile steht fest: Wenn das bisherige Tempo beibehalten wird, dann sind die Kinder, die eigentlich auf die Förderung angewiesen sind, längst Großmütter und Großväter, bis der Ausbau erfolgt ist. Was sind Anreize für die Kommunen, den Ausbau der Kinderbetreuung zu beschleunigen? Vernunft allein reicht nicht aus. Dass Kinder Betreuung brauchen, ist aus wissenschaftlichen Abhandlungen bekannt. ({0}) Marlene Rupprecht ({1}) Der einzige wirksame Anreiz ist Geld. Ich danke dem Bundesfinanzminister herzlich dafür, dass er 4 Milliarden Euro bereitgestellt hat. Das entspricht einem Drittel der Kosten, die in den nächsten Jahren entstehen. ({2}) Es ist zu hoffen, dass die Kommunen - die ebenso wie die Länder sonst alles übernehmen, was Geld bringt das Tempo beschleunigen. Wir mussten manche in diesem Haus noch überzeugen. Ich danke Ihnen, dass Sie diese Kontinuität fortgesetzt haben und nicht über manche Hürden und Wünsche innerhalb der Fraktion verzweifelt sind. Ich hätte das manches Mal tun können. Wir haben im Gesetzentwurf die Einführung eines Betreuungsgeldes vorgesehen. § 16 des Achten Buches Sozialgesetzbuch soll wie folgt ergänzt werden: Ab 2013 - darüber muss der Bundestag in der 18. Wahlperiode entscheiden soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder von ein bis drei Jahren nicht in Einrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung ({3}) eingeführt werden. Ich habe Ihnen schon öfter gesagt, Herr Singhammer, dass die Eltern entscheiden werden, wenn der übernächste Bundestag gewählt wird. ({4}) Hoffentlich ist die Politik so klug, auf die Wünsche und Bedürfnisse der Eltern einzugehen. Dann kann ich auch die Kröte schlucken, die ich nicht wollte. Denn das, was mir wichtig ist, ist darin vorgesehen, nämlich ein Rechtsanspruch ab dem 1. August 2013. ({5}) Dass der Rechtsanspruch erst ab 2013 vorgesehen ist, ist einfach zu begründen. Ich bin Realpolitikerin und lebe nicht im Wolkenkuckucksheim. Seit 17 Jahren arbeite ich in der Kinder- und Jugendhilfepolitik. Diese Erfahrungen vor Ort wünschte ich so manchem Politiker. Dann wüssten sie, dass man nur das in den Gesetzentwurf aufnehmen kann, was man auch umsetzen kann. Denn in den Kommunen fehlt es noch an Geld und an Betreuungsplätzen. Wenn man ein Windhundverfahren nach dem Motto „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ vermeiden will, dann muss man einen konditionierten Rechtsanspruch vorsehen, wie wir es getan haben. ({6}) In § 24 Abs. 3 ist folgende Regelung vorgesehen: Ein Kind, das das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn 1. durch diese Leistung seine Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gestärkt wird … Das alles dient dem Kindeswohl. ({7}) Das trägt auch dem Migrationshintergrund Rechnung. Das trägt den Erfordernissen in der Familie Rechnung. Es kann zum Beispiel sein, dass ein schwerkrankes Kind in einer Familie ist und ein anderes Kind dieser Familie, das nicht schwerkrank ist, die Gruppe braucht. Auch darauf sollte man reagieren. Des Weiteren gibt es einen Anspruch für Erziehungsberechtigte, die erwerbstätig sind, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen bzw. Arbeit suchen, die sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in einer Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des SGB II erhalten. Da wir nicht vorschreiben können, wie der Bedarf aussieht, sondern dieser ermittelt werden muss, ist im Gesetzentwurf geregelt: Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf. Das ist genau das, was ich mir wünsche, nämlich dass man den Bedarf anhand der Wünsche und Bedürfnisse der Menschen ermittelt und ein entsprechendes Angebot vorhält. ({8}) Aber was nützt das ganze Geld, was nützt all das Gute, was wir Kinderpolitiker wollen, wenn das in den Ländern und vielleicht auch in den Kommunen nicht entsprechend umgesetzt wird? Dass das geschieht, ist das Allerwichtigste. Wir haben die Tagespflege in die Regelung aufgenommen. Wir wollen, dass sie qualitativ gut ist. Wir wollen, dass sie personell, räumlich und konzeptionell so gestaltet ist, dass es dem Kind gut tut. Wir müssen weiterhin aufmerksam an dieser Sache dranbleiben, um zu verhindern, dass da ein Markt für Billigangebote entsteht. Wir haben deswegen die Anforderungen an die Statistiken geändert. Es interessiert niemanden, wenn durch Regelungen in den hinteren Paragrafen Statistiken geändert werden. Wir halten das für wichtig, weil wir die Entwicklung an der Statistik ablesen können und so rechtzeitig und schnell gegensteuern können, wenn Entwicklungen eintreten, die aus unserer Sicht für Kinder und Eltern nicht gut sind. Ich glaube, dass dieser Gesetzentwurf gut ist. Ich bitte Sie, zuzustimmen, damit das Signal gesetzt wird: Dieser Bundestag hat sich - bei allen Gegensätzen, die wir haben, und bei manchem, was vielleicht noch geschliffen werden müsste - zum Ziel gesetzt, Kinder zu fördern. Marlene Rupprecht ({9}) Das in diesem Haus hinzubekommen, halte ich für richtig. Es tut mir wirklich in der Seele weh, dass das zu einem Machtgezerre führt und dass wir uns nicht an dem orientieren, was zukünftig notwendig ist, um die Welt so zu gestalten, dass die Kinder, die jetzt heranwachsen, sich wohlfühlen und zu vernünftigen Erwachsenen werden. Wenn wir das täten, hätte ich keine Angst um die Zukunft. Im Moment ist mir allerdings angesichts dessen, was es an Wahlkampfgeschrei gibt, manchmal sehr bang darum. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Fischbach, Sie haben gesagt, ohne Frau von der Leyen wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen. Ich will wie folgt kontern: Ohne Sie und Ihre Fraktion hätten wir in Deutschland längst einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung. ({0}) Sie waren diejenigen, die das TAG verhindert haben. Sie waren diejenigen, die dagegen gearbeitet haben und gesagt haben, wir wollten eine verstaatlichte Kinderer- ziehung, wir wollten die Kinder den Eltern entreißen - und weiß Gott, was hier noch alles für Argumente ge- kommen sind. Ohne Sie hätten wir längst einen Rechts- anspruch. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie leben doch im Wolkenkuckucksheim!) Jetzt haben wir das auf 2013 verschoben. ({1}) - Ich wäre jetzt einmal ganz ruhig. - Sie sagen, Sie hätten das finanziert. Sie haben ein Volumen von 4 Milliarden Euro für die Infrastruktur vorgesehen, das über ein komisches Sondervermögen zur Verfügung steht. Dann sagen Sie, Bayern rufe am meisten ab. Ja, warum? ({2}) Weil die Bayern die schlechteste Quote haben - denn sie haben bisher nichts gemacht - und weil sie gerne Geld in Anspruch nehmen. ({3}) Dort gibt es die größten Defizite. Schauen Sie sich doch einmal die Quoten an! ({4}) Dann sagen Sie, Sie hätten jetzt 750 Millionen Euro eingestellt. Ich bitte Sie: Es geht hier um Personal. Es geht um Gruppen und um Qualitätsstandards. Sie selbst haben gesagt, zwei Drittel der Kosten sollten von den Ländern und Kommunen getragen werden. Ihr Staatssekretär sagte uns noch im Ausschuss: Die Verhandlungen mit den Kommunen und den Ländern gehen wir erst an, wenn wir ein Gesetz dazu haben. - Wo ist da bitte die Ernsthaftigkeit? ({5}) Woher nehmen Sie die Unverfrorenheit, zu sagen, das Ganze sei bereits finanziert? Ich würde sagen, das meiste ist überhaupt noch nicht geklärt, sondern steht noch aus. ({6}) Jetzt komme ich zum Betreuungsgeld. Frau Rupprecht, Sie sagen, Sie schluckten da gerne eine Kröte. Ich mag keine Kröten; das sage ich Ihnen ganz deutlich. Sie von der SPD haben doch noch vor wenigen Wochen ein Papier verabschiedet, in dem es um Chancengleichheit und Teilhabe geht, darum, wie wichtig die frühe Förderung der Kinder ist, ({7}) darum, dass es bei den Kinderkrippen nicht nur um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, sondern um die frühe Förderung der Kinder. Bei dieser Debatte können wir es uns doch gar nicht leisten, Kröten zu schlucken, selbst wenn wir es wollten. Das können Sie doch nicht allen Ernstes hier zulassen und dann auch noch rechtfertigen. Dafür habe ich gar kein Verständnis. An diesem Punkt wird ideologischen Scheuklappen Vorrang vor dem Kindeswohl eingeräumt. ({8}) Diese ideologiegefärbte Politik tragen Sie mit. Sie sagen, das sei eine Willensbekundung. Ich frage Sie: Was hat das dann im Gesetz zu suchen? Seit wann schreiben wir Willensbekundungen ins Gesetz? ({9}) Sie haben sie im Gesetz festgeschrieben; aber Sie sagen, bei der nächsten Wahl ändere sich das. Wem wollen Sie das verkaufen? Entweder Sie machen es, oder Sie machen es nicht. ({10}) Aber stehen Sie zu dem, was Sie machen! ({11}) Jetzt komme ich zu dem Wichtigsten überhaupt: Qualität. Wir haben ja heute viel über Berlin geredet. Ich nenne Ihnen ein anderes Beispiel für die Betreuungsquote in Kindergärten: In Bayern kommen auf 26 Kinder eine Erzieherin und eine Halbtagskraft. Wie sollen da Frühförderung, sprachliche Förderung, Förderung der kognitiven Kompetenz und weiß Gott was noch alles möglich sein? Es reicht nicht, in jedem Bundesland einen Bildungs- und Betreuungsplan zu haben, sondern wir müssen in das Personal investieren. Sie vertun hier eine große Chance, Qualität festzuschreiben. ({12}) Sie vertun eine historische Chance, festzuschreiben, was wir wollen, dass es nämlich nicht nur ums Aufbewahren geht, sondern auch um die frühe Förderung. ({13}) Zum Stichwort „Qualität“ steht nichts in diesem Gesetzentwurf. Das haben Sie wahrscheinlich schlicht und einfach vergessen, oder Sie wollen es nicht. Die Konsequenz dessen wäre nämlich das, was es in Berlin bereits gibt: Berlin hat die größte Zahl an Privateinrichtungen, Kinderläden, Elterninitiativen und Ähnlichem. Der Platz allein reicht nämlich nicht, sondern die Eltern wollen sich auf die Einrichtungen verlassen können. Für diese Eltern sind wir Grüne Lobbyisten, und das bis zum Schluss. Wir werden immer wieder danach fragen, wie es mit der Finanzierung aussieht, und Sie werden von uns auch die Frage nach der Qualität immer wieder aufs Brot geschmiert bekommen; denn verzichten können wir darauf nicht. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Michaela Noll für die CDU/CSUFraktion. ({0})

Michaela Tadjadod (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile sind eine Stunde und 17 Minuten vergangen, und wir haben sehr viel zum Kinderförderungsgesetz gehört. Aber ich hätte bei der ganzen Kritik der Opposition gern auch einmal ein Dankeschön gehört. Denn was wir hier auf den Weg gebracht haben, ist wirklich gut für die Familien in Deutschland, vor allem für diejenigen, die noch die Gründung einer Familie planen. ({0}) Deswegen richte ich meinen ausdrücklichen Dank an Sie, Frau Ministerin; denn Sie hatten es nicht immer einfach. Aber Sie sind durchsetzungsstark, und Sie haben extrem viel für die Familien erreicht, sei es durch das Elterngeld oder jetzt durch das KiföG. Ich glaube, viele Familien in Deutschland können durchatmen; denn Sie haben etwas geschafft, was es vorher nicht gab: Wir haben jetzt Wahlfreiheit. ({1}) Jetzt schlage ich einmal kurz einen Bogen. 1995 war für mich ein einschneidendes Jahr. Damals habe ich meine eigenen Erfahrungen dabei gemacht, was es heißt, Mutterschaft, Kind, Betreuungsplatz und Arbeit miteinander zu kombinieren. Es war schlicht unmöglich. Über Monate habe ich versucht, einen Betreuungsplatz zu bekommen - ich habe keinen bekommen. Daraufhin habe ich mir gesagt: Wenn du etwas ändern willst, gibt es nur einen Weg - du musst in die Politik, du musst die Rahmenbedingungen ändern. ({2}) Trotzdem musste ich noch lange warten. Frau von der Leyen, Sie hätten früher kommen müssen; dann wäre es einfacher gewesen. ({3}) Liebe Kollegin Humme, Sie wissen ja, woher ich komme, nämlich aus Nordrhein-Westfalen. ({4}) In Nordrhein-Westfalen gab es 1995 so gut wie überhaupt kein Betreuungsangebot. Zehn Jahre später gab es dort 11 000 Plätze für unter Dreijährige. Nun, nachdem wir seit 2005 die Regierung stellen, gibt es 44 600 Betreuungsplätze. Das ist eine Vervierfachung. Den Familien in NRW geht es jetzt besser. ({5}) Es hat sich also gelohnt. Viele Mütter werden das Problem, das ich damals hatte, jetzt nicht mehr haben. Wir haben ein vielfältiges Angebot geschaffen. Es ist ein riesiger Schritt für die Familien. Liebe Marlene, noch ein kleiner Hinweis: Die Bundesländer können das Geld nicht einfach einstecken. ({6}) - Du hat aber eben den Eindruck vermittelt. - Sie müssen Rechenschaft ablegen. ({7}) - Richtig, die Bundesländer müssen das Geld zuerst abfordern und dann Rechenschaft ablegen. Das werden sie auch tun. ({8}) Wir sollten uns noch einige Punkte anschauen, die wir nicht unterschätzen sollten. Was erreichen wir mit dem KiföG sonst noch? Wir schaffen Freiheit durch Vielfalt. Wir bekämpfen Kinderarmut. Wir schaffen Bildungschancen. Mit diesem Gesetz werden des Weiteren über die Schutzklausel in § 72 a des Achten Buches Sozialgesetzbuch - das erfreut insbesondere diejenigen, die in der Kinderkommission mitarbeiten - Kinder vor sexuellem Missbrauch geschützt. Was meine ich mit Freiheit durch Vielfalt? Viele Eltern wollen einen Spielraum haben. Sie wollen selber entscheiden, wie sie ihre Kinder optimal betreuen lassen können. Das gilt auch im Hinblick auf die Öffnungszeiten. Gerade das von uns zu beschließende KiföG trägt dem Rechnung. Es gibt Tageseinrichtungen, die Kindertagespflege und die Großtagespflege. Den Bedenkenträgern, die sagen, das sorge nicht für Qualität, sage ich: Weit gefehlt! Wir haben ausdrücklich hineingeschrieben: mit pädagogisch ausgebildetem Personal. Das ist Freiheit durch Vielfalt. Das hilft den Eltern. ({9}) Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir sprechen relativ viel über Kinderarmut. Kinderarmut hat wirklich viele Gesichter. Es gibt die materielle, die soziale, die emotionale und die kulturelle Armut. Bevor irgendwelche Einwände von der linken Seite kommen: Das Risiko der materiellen Armut in Deutschland liegt weiter unter dem EU-Durchschnitt. Mir geht es vor allem darum, die Lebenssituation der Kinder zu verbessern. Die beste Option dafür ist die Erwerbstätigkeit beider Elternteile. Auch dafür haben wir Grundlagen geschaffen. 1,6 Millionen Arbeitsplätze mehr bieten Eltern die Chance, über ausreichende finanzielle Ressourcen zu verfügen. Ich möchte aber auch zwei Risikogruppen ansprechen. Das ist zum einen die Gruppe der Alleinerziehenden; diese wurde schon angesprochen. Das sind immerhin fast 42 Prozent. Das ist zum anderen die Gruppe der Kinder in Familien mit Migrationshintergrund. Wie können wir ihnen helfen? Es gibt nur eines: Wir brauchen einen Mix aus Geldleistung und Infrastruktur. Wir in Deutschland sind gut aufgestellt, was die Geldleistungen angeht. Wir haben das Kindergeld, den Kinderzuschlag, das Wohngeld und das Elterngeld. All diese Faktoren senken die Einkommensarmut von Familien. Was können wir aber insbesondere für die Alleinerziehenden noch auf den Weg bringen? Ich schildere einmal die typische Situation einer Alleinerziehenden: Sie kommt zu einem Vorstellungsgespräch. Sie hat hervorragende Zeugnisse und wirkt kompetent. Aber spätestens nach zehn Minuten kommt die klassische Frage: Haben Sie Kinder? Dann sagt sie: Ja, ich habe einen zweijährigen Sohn. Dann kommt die nächste Frage: Wie ist die Betreuung geregelt? Wenn sie dann nicht klipp und klar sagen kann: „Ich habe einen Betreuungsplatz“, dann passiert Folgendes: Sie bekommt ein freundliches Absageschreiben, oder ihre Bewerbung landet in Ablage P, also im Papierkorb. Mit dem Ausbau der Kinderbetreuung, wie wir ihn auf den Weg gebracht haben, geben wir solchen Frauen die Chance, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Damit haben auch ihre Kinder bessere Chancen. ({10}) Vor wenigen Tagen war in den Zeitungen eine traurige Nachricht zu lesen. In einer Schuluntersuchung wurde festgestellt, dass sehr viele Kinder nicht den altersgerechten Entwicklungsstand haben. Sie waren motorisch nicht in der Lage, ein Kreuz zu machen. Sie konnten keinen Tisch zeichnen. Vier Kinder hatten keine Deutschkenntnisse, acht nur mangelhafte; das ist genau der Punkt, den Sie angesprochen haben, Frau Laurischk. Diese Kinder stammen also aus einem, wie wir es nennen, anregungsarmen Elternhaus. Die Kinder kannten von zu Hause auch keine Stifte und Bücher, geschweige denn eine Spielkultur. Ich glaube, dass wir diesen Kindern mit dem KiföG Bildungschancen eröffnen. Frühkindliche Bildung beginnt nicht erst in der Schule, sondern weit vorher. Alle Forschungsergebnisse zeigen das. Ich bin zwar für die Vererbbarkeit von Eigentum, aber nicht für die Vererbbarkeit von Chancen. Gerade durch den Besuch einer Kita, insbesondere einer guten - Kitas sind ideale Lernorte -, erhalten diese Kinder eine Chance. Der Kitabesuch macht Kinder schlauer. ({11}) Frau Humme, auch hier sind die Bundesländer, vor allem NRW, auf einem guten Weg. In NRW erhalten Einrichtungen, die in sozialen Brennpunkten liegen, eine zusätzliche Förderung für Kinder in Höhe von 15 000 Euro pro Jahr. NRW hat für Vierjährige Sprachtests eingeführt. Wenn Defizite festgestellt werden, können wir wichtige Weichen für die Kinder stellen. Das schafft Bildungschancen für alle. Ich glaube, heute können viele Eltern aufatmen. Mütter, Väter und Kinder sind die Gewinner des KiföG. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg einer Politik zugunsten von Familien. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach Elterngeld und Kinderzuschlag beschließen wir heute mit dem Kinderförderungsgesetz ein weiteres sozialdemokratisches Projekt, ({0}) den Ausbau von Einrichtungen zur frühkindlichen Bildung und Betreuung. Ich freue mich darüber, dass unser Koalitionspartner trotz anfänglicher Widerstände unseren roten Faden in der Familienpolitik aufgenommen hat. Herzlichen Dank und herzlichen Glückwunsch zu dieser Erkenntnis! ({1}) Damit nehmen wir unsere gesellschaftspolitische Verantwortung wahr. Wir sorgen gemeinsam für die frühe Förderung der Kinder, für bessere Bildungschancen und eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Es ist ein gemeinsamer Erfolg der Großen Koalition, dass das wichtige Thema Bildung und Betreuung mittlerweile überall angekommen ist, auch durch die finanzielle Beteiligung des Bundes. In diesem Zusammenhang möchte ich mich ausdrücklich bei unserem Finanzminister Peer Steinbrück bedanken. Diese Debatte und die Anträge der Opposition machen deutlich: Alle Fraktionen unterstützen mittlerweile generell die große Linie beim Betreuungsausbau. Deshalb ist es für mich ein Rätsel, warum Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, dem Gesetzentwurf im Fachausschuss nicht zugestimmt haben. Die unverbindliche - ich betone: unverbindliche - Absichtserklärung für ein Betreuungsgeld ist aus meiner Sicht kein ausreichender Grund. ({2}) Oder geht Ihnen der Gesetzentwurf nicht weit genug? Mit dem Rechtsanspruch ab 2013 haben wir die Zielmarke für den Betreuungsausbau definitiv und verbindlich festgelegt. Darauf können sich Kinder und Eltern wirklich verlassen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, es ist wirklich leicht, hier und heute einen noch umfangreicheren und noch schnelleren Ausbau zu fordern. Na klar, wer möchte das nicht? Aber meinen Sie nicht auch, dass wir, realistisch betrachtet, die Länder und Kommunen bei diesem ehrgeizigen Projekt mitnehmen und ihnen die Möglichkeiten zu diesem Ausbau geben müssen? Aufbauend auf dem Kinderförderungsgesetz wollen wir zusammen mit den Ländern in einem nächsten Schritt für einen weiteren Qualitätsschub in der frühkindlichen Bildung sorgen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Deligöz?

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Marks, Ihre Worte höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Stimmen Sie mir zu, dass im Gesetz das stehen wird, was ich Ihnen jetzt vorlese? Ab 2013 soll für diejenigen Eltern, die ihre Kinder im Alter von einem bis drei Jahren nicht in Tageseinrichtungen betreuen lassen wollen oder können, eine monatliche Zahlung ({0}) eingeführt werden.

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Deligöz, der 18. Deutsche Bundestag wird über das Betreuungsgeld entscheiden. Diese Entscheidung wird nicht eher und nicht später fallen. Die SPD wird in Regierungsverantwortung das Projekt Betreuungsgeld verhindern. ({0}) - Ich denke, dann sind wir wieder mit Ihnen gemeinsam in der Regierung. Daran arbeiten wir. Das ist doch ein schönes Ziel. ({1}) - Ich habe gesagt, das ist ein schönes Ziel. Aufbauend auf diesem wichtigen Gesetz wollen wir für einen Qualitätsschub in der frühkindlichen Bildung sorgen. Das können wir nur gemeinsam mit den Ländern erreichen; denn diese sind mit den sogenannten Landeskitagesetzen letztlich dafür zuständig. Aber auch wir werden initiativ. Wir wollen qualifizierte und auch akademische Ausund Weiterbildung für Erzieherinnen und Erzieher. Wir wollen gemeinsame Bildungsstandards. Wir wollen insbesondere den Spracherwerb aller Kinder verbessern; denn nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund haben sprachliche Defizite. Wir wollen für Tagesmütter und Tagesväter verbindliche Qualifizierungsprogramme. Auch sind uns eine bessere Entlohnung und soziale Absicherung in der Tagespflege wichtig. Gerade Frauen, die verstärkt in der Tagespflege arbeiten, brauchen hier unsere politische Unterstützung. Vor allem brauchen wir einen besseren Betreuungsschlüssel; denn nur ein solcher erlaubt es, jedes Kind wirklich individuell zu fördern und Startschwierigkeiten auszugleichen. Viele der Initiativen, die ich genannt habe, habe ich zu meiner Freude im Entschließungsantrag der FDP wiedergefunden. Auch in der Ablehnung des Betreuungsgeldes sind wir uns einig. Aber für ein Koalitionsangebot reicht das noch nicht; denn die Privatisierungs- und Wettbewerbsorientierung, die Sie gern auch in der Kinderbetreuung einführen wollen, steht einer stabilen Beziehung definitiv im Wege. ({2}) Erleben wir nicht gerade auf den Finanzmärkten, welche Risiken ein unkontrollierter Wettbewerb birgt? In Australien stand vor kurzem der größte private Anbieter von Kinderbetreuung vor der Pleite. Können Sie sich vorstellen, was der Wegfall von Tausenden Betreuungsplätzen für Kinder und Eltern bedeutet hätte? Frau von der Leyen, da waren Sie wirklich auf dem Holzweg. Mit der von Ihnen ursprünglich geplanten zwingenden Gleichstellung privat-gewerblicher, gewinnorientierter Träger mit gemeinnützigen Trägern hätten wir die Kinderbetreuung den freien Kräften des Marktes überlassen. ({3}) Schlechtere Qualität, soziale Entmischung und größere Ungleichheit in der Bildung wären vorprogrammiert gewesen; frühe Förderung und Integration, besonders von benachteiligten Kindern, wären erschwert worden. Es ist ein sozialdemokratischer Erfolg, dass wir die stärkere Privatisierung der Kinderbetreuung verhindert haben. Wir wollen Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. ({4}) Mit dem heute zu beschließenden KiföG wird klar: Der Bund steht zu seinen Zusagen. Nun sind die Länder in der Pflicht, die von ihnen zugesagte Drittelfinanzierung einzuhalten. Dabei sollten sie sich allerdings kein Beispiel an dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff nehmen. Als Niedersächsin erlebe ich vor Ort, wie er versucht, die Verantwortung des Landes auf den Bund und die Kommunen abzuschieben. Weniger Landesmittel - im Klartext: in Niedersachsen nur 5 Prozent -, das heißt: weniger Plätze für unter Dreijährige - und das in einem Bundesland, das schon heute Schlusslicht beim Betreuungsangebot ist. Eltern und Kinder brauchen in ganz Deutschland ein verlässliches und gutes Kita-Angebot. Mit dem Rechtsanspruch ab einem Jahr und der dauerhaften Beteiligung des Bundes leisten wir einen wichtigen Beitrag zu einem familienfreundlicheren und vor allem zu einem wirklich kindergerechten Deutschland. ({5}) Ich möchte mit einem Zitat von Nelson Mandela schließen: Eine Gesellschaft offenbart sich nirgendwo deutlicher als in der Art und Weise, wie sie mit ihren Kindern umgeht. Unser Erfolg muss am Glück und Wohlergeben unserer Kinder gemessen werden, die in einer jeden Gesellschaft zugleich die wunderbarsten Bürger und deren größter Reichtum sind. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Johannes Singhammer, CDU/CSUFraktion. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heute ist ein guter Tag für die Familien in Deutschland. Die Opposition sagt, es sei ein butterweiches Gesetz, das wir heute verabschieden werden. ({0}) Ich darf die knallharten Zahlen nennen: ({1}) 750 000 Plätze werden bis 2013 geschaffen. ({2}) 12 Milliarden Euro Steuergelder werden auf den unterschiedlichen Ebenen bewegt. Bereits jetzt werden jeden Monat mehrere Tausend neue Plätze geschaffen. Heute schließen wir ein Leuchtturmprojekt für die Familien mit Kindern ab: nach dem Elterngeld jetzt das zweite große Vorhaben, das Kinderförderungsgesetz, mit den klaren Zielsetzungen: Verdreifachung des Angebots, Rechtsanspruch und Betreuungsgeld. Nun ist über das Betreuungsgeld an dieser Stelle jetzt schon vieles gesagt worden. Frau Gruß, das Betreuungsgeld ist weder ein Osterei noch ein Überraschungsei. ({3}) Es steht im Gesetzentwurf, und genau so wird es auch kommen. Sie brauchen sich darüber keine Gedanken zu machen. ({4}) Ein Gesetz ist ein Gesetz, und deshalb beschließen wir es heute auch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Gruß?

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Welche Überraschungseier wir am Sonntag erleben dürfen - insbesondere Ihre Partei -, das lasse ich an dieser Stelle dahingestellt sein. Aber, Herr Singhammer, ganz ernsthaft: Würden Sie mir zustimmen, dass Ihre Fraktion und auch Sie den Familien im letzten Jahr durch 19 Maßnahmen, die die Steuern und Abgaben erhöht haben, das Geld erst einmal aus der Tasche gezogen haben, das Sie nun mit Wahlkampfgetöse als Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro zurückgeben wollen? Summa summarum bleibt trotzdem weniger in den Taschen der Familien, weil wegen der Maßnahmen, die auch Sie beschlossen haben, eine durchschnittliche vierköpfige Familie in diesem Jahr 1 600 Euro mehr ausgeben muss.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Gruß, halten Sie es wirklich für familienfeindlich, wie Sie hier sagen, dass wir als Große Koalition beschlossen haben, den Absetzungsbetrag für Kinderbetreuung auf 4 000 Euro zu erhöhen, dass wir das Elterngeld mit Zahlungen von bis zu 1 800 Euro und einem Mindestbetrag von 300 Euro eingeführt haben, ({0}) dass wir den Kinderzuschlag erhöht haben und dass wir eine Vielzahl weiterer Leistungen beschlossen haben? Angesichts dessen können Sie hier doch nicht sagen, die Familienleistungen seien zurückgefahren worden. Das Gegenteil ist richtig: Wir haben sie ausgebaut. ({1}) Da Sie gerade dort stehen, frage ich Sie: Wie verhält es sich mit Ihrem Verständnis von Liberalität, wenn Sie so vehement gegen das Betreuungsgeld - es scheint für Sie ja geradezu Teufelszeug zu sein - zu Felde ziehen? ({2}) Ist es liberal, frage ich Sie. Sie können jetzt leider nicht antworten, ({3}) aber vielleicht in einer Kurzintervention darauf reagieren. Ist es liberal, wenn man die Kindererziehung, die zu Hause erfolgt, unter den Verdacht stellt, sie könne unmöglich gelingen, die Kinder seien also generell gefährdet? ({4}) Ist es liberal, wenn Sie den Eindruck erwecken, als sei eine Kindererziehung zu Hause durch Vater und Mutter verzopft, also etwas, was man überhaupt nicht mehr zulassen könne? Ich frage Sie auch: Ist es liberal, wenn man die Leistung einer Familienmanagerin abwertet? ({5}) Betreuungsgeld hat sehr viel mit den heute schon zu Recht erwähnten Begriffen der Wahlfreiheit und des Kindeswohls zu tun. Wahlfreiheit heißt, dass sich die Eltern das Lebensmodell aussuchen können, das für sie das richtige ist, ({6}) dass wir es ihnen nicht vorschreiben und auch nicht durch staatliche Subventionen einen bestimmten Weg nahelegen. Das verstehen wir unter Wahlfreiheit. ({7}) Wir wollen, dass die Unterschiedlichkeit der Lebensmodelle auch tatsächlich ökonomisch möglich ist. Deshalb brauchen wir das Betreuungsgeld als einen kleinen Ausgleich für die große Leistung, die die Familien in der Kindererziehung erbringen. ({8}) Im Übrigen wollen 70 Prozent der Familien in Deutschland das Betreuungsgeld. Hier den Eindruck zu erwecken, als würde von uns etwas aufgedrängt, was niemand haben wolle, ist völlig falsch. Gerade die Familien mit Kindern warten auf diese Möglichkeit, um damit ihr Leben besser gestalten zu können. ({9}) - Sie brauchen Betreuung, aber auch die Möglichkeit, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das, was Sie mit dieser Diskussion beginnen, ist ein Rückfall in alte Stereotypen. Wir haben diese Diskussion überwunden; dies gilt auch für all diese unseligen Ausdrücke wie Heimchen am Herd, Herdprämie und Rabenmutter. Wir sagen: Jeder soll selbst entscheiden, wie er leben möchte. Wir wollen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern. Deshalb brauchen wir die Betreuungsplätze. Wir wollen denjenigen, die es jetzt aus bestimmten Gründen nicht können oder wollen, auch die Möglichkeit eröffnen, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das ist Wahlfreiheit. Diese setzen wir um. ({10}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich auch noch einmal auf die Haltung der Linken eingehen. Sie von der Linken erwecken hier immer den Eindruck, als seien noch höhere Ausgaben nötig. 12 Milliarden Euro seien noch zu wenig. Man müsse noch etwas drauflegen. Genaue Summen werden aber nicht genannt, und Sie verschweigen auch, woher das Geld kommen soll. Aber letztendlich - darauf kommt es mir an - verfolgen Sie ein ganz anderes Familienbild. Nach Ihrem Familienbild wird den Familien und den Eltern letztendlich das Erziehungsrecht abgesprochen. ({11}) Sie setzen auf einen großen Anteil staatlicher Erziehung. Sie trauen den Eltern kaum etwas zu. ({12}) Sie sind der Meinung, dass die Kinder besser in Erziehungseinrichtungen aufgehoben sind. ({13}) An dieser Stelle sage ich ganz klar: Das wollen wir nicht. Wir vertrauen den Eltern und wissen, dass es dem Kindeswohl am Besten entspricht, wenn die Eltern selbst entscheiden können, ({14}) wie sie die Erziehung regeln und wie sie das Familienleben organisieren. ({15}) Dagegen sichert unser Gesetzesvorschlag, den wir heute beschließen werden, nicht nur die Wahlfreiheit, sondern garantiert auch das Kindeswohl. ({16})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zur letzten Rede in dieser Debatte erteile ich Kollegin Kerstin Griese, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um wieder etwas Gelassenheit in die Debatte zu bringen, lassen Sie mich sagen: Auch beim Thema Betreuungsgeld gilt die Wahlfreiheit. Darüber werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden, und zwar 2012/2013. Ich bin mir sicher, dass dann niemand mehr das Betreuungsgeld will. ({0}) Ich kann nur Frau von der Leyen zitieren: Die Einführung eines Betreuungsgeldes wäre eine bildungspolitische Katastrophe. ({1}) Liebe Kolleginnen und Kollegen besonders von den Grünen und von der Linksfraktion, Sie haben kritisiert, im Gesetzentwurf sei keine Rede von der Qualität der Kinderbetreuung. Ich will Ihnen da ganz entschieden widersprechen. In der Tat haben wir in den letzten Jahren - das war nötig; das war auch gut so - viel für die Quantität der Kinderbetreuung getan. Es geht uns aber immer auch um die Qualität. Wir haben zum Beispiel eindeutig festgelegt, dass parallel zum Ausbau der Kindertagespflege - an dieser Stelle ist das ganz besonders wichtig - auch eine pädagogische Ausbildung von Tagesmüttern, Tagesvätern und Tagesgroßeltern zur Pflicht gemacht wird, damit auch die Betreuung durch diesen Personenkreis immer mit einer pädagogischen Qualifikation verbunden ist. Auch das ist ein Schritt vorwärts. Das war bisher nicht einheitlich festgelegt. Meine Damen und Herren besonders von der FDP, nun zum Thema privat-gewerbliche Kinderbetreuung. Ich will unsere Auffassung einfach noch einmal erklären. Wir von der SPD - ich glaube, da spreche ich auch für den Koalitionspartner - haben überhaupt nichts gegen private Elterninitiativen und gegen Betriebskindergärten. Diese sind übrigens auch alle gemeinnützig. Das sollte man einmal zur Kenntnis nehmen und nicht immer durcheinanderwerfen. Es ist gut, dass es diese Vielfalt, diese breite Landschaft der privaten Träger, in Form von kirchlichen Trägern und Wohlfahrtsverbänden, gibt. Wir haben also überhaupt nichts gegen private Kinderbetreuung. Wir haben nur etwas dagegen, wenn Kinderbetreuung aus rein kommerziellen Gründen von Unternehmen betrieben wird, die ausschließlich Gewinn erzielen wollen. ({2}) Das heißt, Privatinitiativen sind willkommen und können entsprechend gefördert werden, wenn sie Qualitätsstandards und rechtlichen Standards genügen. Darum geht es also eigentlich. ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir verabschieden hier heute neben dem Gesetz zum Elterngeld einen weiteren großen Meilenstein der Familienpolitik in dieser Wahlperiode. Zentrale Ziele unserer Politik sind erstens, Kinder besser und früher zu fördern - das ist heute schon deutlich geworden -, zweitens, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, und drittens - das ist mir ganz wichtig - Armutsprävention bei Kindern und Eltern. Der Gesetzentwurf, den wir heute verabschieden, wirkt sehr zielgenau, insbesondere bei der Armutsprävention, weil allen Kindern gute und gleiche Chancen auf frühkindliche Bildung und Erziehungshilfe gegeben werden. ({4}) Ein solcher Erfolg hat ja immer viele Mütter und Väter. Ich möchte in diesem Fall einmal drei Mütter und einen Vater nennen, bei denen wir uns ganz herzlich bedanken möchten. Im Zuge des Kinderförderungsgesetzes, das wir heute verabschieden, werden ja 4 Milliarden Euro in den Ausbau der Kinderbetreuung investiert. Jeder, der sagt, das sei zu wenig, sollte bei der Debatte einmal ernsthaft die heutigen Zustände mit den Zuständen von vor zehn oder acht Jahren in Deutschland vergleichen. Wir sind riesige Schritte gegangen. Dass heute der Bundesfinanzminister bereit ist, 4 Milliarden Euro für den Ausbau bereitzustellen, ist ein großes Dankeschön wert. ({5}) Ich möchte mich natürlich bei den Müttern dieses Gesetzentwurfs bedanken. Ich möchte gerne mit Renate Schmidt beginnen, die mit dem Tagesbetreuungsausbaugesetz die ersten Weichen gestellt hat, damit wir in Deutschland vorankommen. ({6}) Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen, Frau Ministerin von der Leyen, dafür bedanken, dass Sie diesen Gesetzentwurf mit uns durchgekämpft haben und dass wir nun einen weiteren Meilenstein setzen können. ({7}) Und ich möchte mich bei der Kollegin Nicolette Kressl bedanken, die - das muss man auch mal sagen die gute Idee hatte, den Ausbau und die Finanzierung der Kinderbetreuung mit dem Rechtsanspruch zu koppeln. Das war eine kluge Lösung, die uns voranbringt. Denn nun kann das Geld, das wir als Bund geben, in den Ländern und Kommunen tatsächlich mit Einführung des Rechtsanspruchs zum Ausbau der Kinderbetreuung eingesetzt werden. Einen herzlichen Dank also diesen Müttern und Vätern! ({8}) Als letzte Rednerin in dieser Debatte möchte ich noch einen Schritt weiter gehen. Es ist mir nämlich als Sozial19258 demokratin wichtig - ich hoffe, dass es allen in diesem Hause wichtig ist -, dass wir uns noch intensiver mit dem Thema Armutsrisiko von Kindern beschäftigen und diese Problematik noch stärker angehen. Vieles, was in dem Gesetzentwurf steht, hilft dabei. Es hilft dabei, dass vor Ort Eltern-Kind-Zentren entstehen können und eine bessere Qualität in der frühkindlichen Bildung entstehen kann. Wir brauchen auf der kommunalen Ebene noch mehr Netzwerke für das gesunde Aufwachsen von Kindern, und - das sage ich auch ganz deutlich - wir wollen darüber nachdenken, wie man ein gesundes Mittagessen in den Kindertagesstätten und in den Ganztagsschulen ermöglichen kann. ({9}) Wir wollen - und deshalb ist auch die Debatte um die Qualität in der Kinderbetreuung richtig und gut - Eltern in Eltern-Kind-Zentren, in Familienzentren und in Mehrgenerationenhäusern stärker einbinden. Denn die Kompetenz der Eltern ist gefragt. Es reicht nicht mehr aus - das sage ich auch in Richtung einiger Debattenredner -, Erziehung durch Eltern und Erziehung durch Kindertagesstätten gegeneinander auszuspielen. Das bringt gar nichts. Vielmehr müssen diese Elemente immer zusammenwirken, und deshalb ist die vernetzte Arbeit in Eltern-KindZentren sehr wichtig. ({10}) An die Adresse der Länder sage ich allerdings ganz eindeutig: Der Bund wird nicht alles machen können. Es geht darum, auch über die Betreuungsschlüssel die Betreuungsqualität zu verbessern. Wir als SPD haben in unserem Zehnpunkteplan gegen Kinderarmut sehr mutig gesagt: Ein qualitativ guter Betreuungsschlüssel ist 1 : 4 bei Kindern unter drei und 1 : 8 bei Kindern über drei. Diesen gilt es dann auch umzusetzen. Das ist der in der Wissenschaft anerkannte Schlüssel, und auch darum geht es, wenn die Betreuungsqualität verbessert werden muss. ({11}) Genauso geht es um Gebührenfreiheit. Ich bin froh, dass viele Länder - Rheinland-Pfalz hat als erstes Land damit begonnen - jetzt über die Gebührenfreiheit nicht nur nachdenken, sondern Gebührenfreiheit für Kinderbetreuung einführen. Denn für uns muss Bildung gebührenfrei sein - von der Kinderkrippe bis zum Studium. Schließlich hängen gleiche Bildungschancen damit zusammen. Ich sage auch: Wir sind im Bund mit dem, was wir machen können, noch nicht fertig. Wir werden darüber debattieren, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein muss. Wir werden über einen Kindergrundfreibetrag und einen gerechten Familienlastenausgleich diskutieren, damit tatsächlich alle Familien und alle Kinder gleichermaßen davon profitieren können. Ein weiterer Punkt, der uns hier im Bund zu Recht weiter verfolgen wird und über den wir debattieren werden, ist das Thema Kinderrechte ins Grundgesetz. Auch dieses Thema gehört mit dazu, wenn wir heute über ein Kinderförderungsgesetz sprechen. Auch diesen Schritt können wir hier im Bundestag gemeinsam gehen. ({12}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum Entwurf dieses Kinderförderungsgesetzes eine sehr breite Zustimmung bekommen. Wir haben eine Anhörung durchgeführt, in der aus den Reihen der Wissenschaft und der Verbände große Unterstützung für diesen Gesetzentwurf signalisiert wurde. Wir wissen aufgrund der öffentlichen Meinung, dass viele auf dieses Gesetz gewartet haben. Es gibt viele, die sagen: Endlich beginnt der Weg zum Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz ab dem ersten Geburtstag. Und vor allem erfahren wir von jungen Eltern und jungen Familien sehr viel Zuspruch. Ich denke, das sollte uns ein Zeichen sein. Lassen Sie uns doch einfach alle gemeinsam für dieses Kinderförderungsgesetz stimmen. Es ist ein guter Schritt für dieses Land. Es ist ein guter Schritt für die Familien und insbesondere für die Kinder. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ge- setzentwurf zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10357, den Gesetzentwurf der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/9299 in der Ausschussfassung anzunehmen. Zur Abstimmung liegt mir eine Erklärung des Kolle- gen Dörflinger vor.1) Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Lesung angenommen. ({0}) Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie- ßungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/10381? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschlie- 1) Anlage 2 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ßungsantrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses bei Zustimmung der FDP-Fraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10382? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen des Hauses gegen die Stimmen der Linksfraktion abgelehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10383? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Zustimmung der Fraktion der Grünen und Enthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt. Wir setzen mit der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/10357 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege auf Drucksache 16/10173 für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen. Der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend empfiehlt sodann unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7114 mit dem Titel „Bildungspolitische Katastrophe verhindern Betreuungsgeld eine Absage erteilen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthaltung der Fraktion der FDP gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen und der Fraktion Die Linke angenommen. Unter Nr. 4 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/8406 mit dem Titel „Faire Chancen für private und privatgewerbliche Anbieter bei der Kinderbetreuung - ohne weiteres Zögern Entwurf des Kinderförderungsgesetzes vorlegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 5 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9305 mit dem Titel „Öffentliche Kinderbetreuung ausbauen - Kommerzialisierung der Kinder- und Jugendhilfe vermeiden“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 32 c. Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/6534. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/5114 mit dem Titel „Sofortprogramm für mehr Kinderbetreuung“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5426 mit dem Titel „Verbindlichen Ausbau der Kindertagesbetreuung jetzt regeln - Verlässlichkeit für Familie schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksache 16/6817. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/6597 mit dem Titel „Chancengerechtigkeit von Beginn an“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/6601 mit dem Titel „Kinderbetreuungsausbau mit mehr Mitteln, Fachkräften und Qualität ausstatten - Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung 2010 einführen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/6607 mit dem Titel „Angebot und Qualität der Kindertagesbetreuung schneller und verlässlicher ausbauen - Realisierung nicht erst 2013“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen bei Enthaltung der Fraktionen der FDP und der Linken angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 33 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniel Bahr ({1}), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Gesundheitsfonds und staatliche Beitragssatzfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einführen - Drucksache 16/9805 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Be19260 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse vor ich die Aussprache eröffne, bitte ich diejenigen, die an der kommenden Debatte nicht teilnehmen möchten, möglichst schnell den Saal zu verlassen, damit wir in Ruhe fortfahren können. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Daniel Bahr für die FDP-Fraktion das Wort. ({2})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesundheitsfonds sollte das Herzstück der schwarzroten Gesundheitsreform werden. Er sollte die Transparenz verbessern, die Effizienz und den Wettbewerb im Gesundheitswesen stärken. Das war die Begründung, die Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, bei der Beschlussfassung zum Gesundheitsfonds seinerzeit hier, im Deutschen Bundestag, angeführt haben. Bei der Vorbereitung auf diese Debatte fiel es mir wirklich schwer, so lautende aktuelle Zitate von Koalitionsabgeordneten oder Spitzenvertretern der Koalition zu finden. Es gibt niemanden mehr, der den Gesundheitsfonds und die Gesundheitsreform insgesamt wirklich mit Nachdruck verteidigt. Selbst die Bundeskanzlerin hat letzte Woche in der Haushaltsdebatte - man hätte ja erwarten können, dass sie die letzten großen Projekte dieser Legislaturperiode anspricht - nicht ein Mal vom Gesundheitsfonds gesprochen, diesen Begriff nicht einmal in den Mund genommen. Das zeigt doch eines: Sie verschweigen den Gesundheitsfonds mittlerweile, weil Sie sich für Ihren verkorksten Kompromiss schämen. ({0}) Heute werden wir wieder hören, dass alles nach Plan läuft, dass alles so gedacht war und gemacht wird, wie es im Gesetz steht. Warum scheuen Sie eigentlich eine Abstimmung? Keiner will den Gesundheitsfonds noch: Die Krankenhäuser wollen ihn nicht; die Ärzte wollen ihn nicht; die Krankenkassen wollen ihn nicht; die Gewerkschaften wollen ihn nicht; die Arbeitgeber wollen ihn nicht; die große Mehrheit der Bevölkerung will den Gesundheitsfonds nicht; die Grünen und die FDP wollen ihn seit langem nicht; mittlerweile will auch die Fraktion der Linken den Gesundheitsfonds nicht mehr. Auch aus Ihren eigenen Reihen findet man zahlreiche Stimmen dagegen. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos sagt, der Kompromiss zum Gesundheitsfonds sei wirtschafts- und ordnungspolitisch einfach unbrauchbar. Herr Beckstein, noch Ministerpräsident in Bayern, sagt: Der Gesundheitsfonds war nie ein Kind der CSU. Auch von der SPD hören wir solche Töne. Frau Reimann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, sagt, der Fonds sei auch in ihrer Partei ein ungeliebtes Kind. ({1}) Und Herr Lauterbach von der SPD sagt, die Einführung des Fonds sei nie ein Projekt der SPD gewesen. In der CDU heißt es, der Fonds führe zu neuem Staatsdirigismus und zu einem unerträglichen Verwaltungsmoloch. Die CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung sagt: Wer den Weg in die Staatsmedizin stoppen will, muss endgültig auf den Fonds verzichten. ({2}) Wir werden erleben, wie Sie beide, die Sie diesen Kompromiss geschlossen haben, sich im nächsten Jahr im Wahlkampf zur Bundestagswahl vom Gesundheitsfonds und der Gesundheitsreform massiv distanzieren werden. Sie werden so tun, als ob Sie das, was entstanden ist, nie haben bewirken wollen. Das heißt, Sie beide werden einen Wahlkampf gegen das führen, was Sie gemeinsam hier beschlossen haben und gegen den breiten Widerstand in der Bevölkerung wie auch gegen jeden Sachverstand durchsetzen wollen. ({3}) Der Gesundheitsfonds ebnet den Weg in ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen. Die Kombination aus einem Spitzenverband der Krankenkassen, dem Gesundheitsfonds, der staatlichen Beitragssatzfestsetzung und einem wachsenden Einfluss des Gesundheitsministeriums auf das Gesundheitswesen zeigt, dass Sie den Staatseinfluss auf das Gesundheitswesen weiter ausbauen. Man braucht nur in Länder zu schauen, die staatliche Gesundheitswesen haben. Schauen Sie einmal nach Großbritannien. Dort gibt es Mangelverwaltung, krassere Unterschiede in einer Zweiklassenmedizin und sehr lange Wartezeiten. Warum wollen die Briten nach Deutschland kommen und im deutschen Gesundheitswesen behandelt werden? Weil sie die Nachteile eines staatlichen Gesundheitswesens sehen. Deswegen löst der Weg in ein staatliches Gesundheitswesen nicht die Probleme, vor denen wir stehen. Im Gegenteil: Das staatliche Gesundheitswesen wird die Probleme einer alternden Bevölkerung noch verschärfen. Deswegen ist der Gesundheitsfonds, der ein Weg in dieses staatliche Gesundheitswesen ist, fatal. Denn er löst die Probleme einer alternden Bevölkerung überhaupt nicht, sondern verschärft sie. ({4}) Wir sehen doch schon die Folgen. Die Krankenkassen kündigen zahlreiche Versorgungsverträge, zum Beispiel in der Sozialpsychiatrie. Ersatzkassen haben Onkologieverträge gekündigt. Die Barmer hat den Hausärztevertrag gekündigt. Die DAK hat Auslandsschutzimpfungen aus der Satzung gestrichen. Daran sehen wir, dass die Krankenkassen größte Sorge haben, weil sie selbst demnächst nicht mehr entscheiden dürfen, wie hoch ihre Beiträge sind ({5}) und wie viel Geld ihnen damit für die Versorgung zur Verfügung steht. Denn das werden demnächst Sie entscheiden. Demnächst wird die Regierung jedes Jahr entscheiden, wie viel Geld dem Gesundheitswesen für das nächste Jahr zur Verfügung steht. Damit gehen wir den Daniel Bahr ({6}) Weg in ein Gesundheitssystem nach Zuteilung und Kassenlage. ({7}) Demos wie die, die wir gestern und in den letzten Tagen erlebt haben, werden uns dann jedes Jahr bevorstehen. Am Anfang der Legislaturperiode, als keine Landtagswahlen bevorstanden und die Bundestagswahl noch weit weg war, haben Sie den Krankenhäusern Geld gestrichen. Sie haben die Mittel für die Krankenhäuser gekürzt. Sie haben gesagt, dass die Krankenhäuser das Geld nicht brauchen. Jetzt, da am kommenden Sonntag in Bayern eine wichtige Landtagswahl ({8}) und im nächsten Jahr die Bundestagswahl anstehen, versprechen Sie den Krankenhäusern plötzlich wieder mehr Geld. Frau Schmidt, Ihnen nimmt niemand ab, dass Sie sich jetzt für die Interessen der Krankenhäuser, der Pflegerinnen und Pfleger und der Ärztinnen und Ärzte einsetzen wollen. Denn das haben Sie in den letzten siebeneinhalb Jahren nie getan. ({9}) Daran sieht man doch, dass es Ihnen nur darum geht, sich jetzt bei den Ärztinnen und Ärzten und den Krankenhäusern Ruhe zu erkaufen, um eine verfehlte und verkorkste Gesundheitsreform umzusetzen. Strukturell wollen Sie doch daran nichts verbessern. ({10}) Schauen wir uns einmal an, wie sich ein solcher Gesundheitsfonds mit einem Einheitsbeitragssatz, den die Regierung demnächst festsetzt, auswirken wird. Sie alle haben mich im Januar, als wir davor gewarnt haben, dass der Einheitsbeitragssatz bei 15,5 Prozent liegen könnte, in der Debatte als unseriös beschimpft. Mir liegen die Zitate noch vor. Heute rechnet selbst Herr Zöller nach einer Aussage von gestern in einem Radiointerview mit einem Beitragssatz von 15,6 Prozent. Was bedeutet das denn, Herr Zöller, beispielsweise für eine bayerische Stadt wie Ingolstadt? In Ingolstadt ist Audi ein großer Arbeitgeber. Die Audi-BKK versichert einen stattlichen Teil der Ingolstädter. Wenn wir einen Einheitsbeitragssatz von 15,5 Prozent hätten, müssten die Versicherten der Audi-BKK 5,4 Millionen Euro mehr Beiträge zahlen. Die gleiche Summe müsste auch von den Arbeitgebern, von der Audi AG, gezahlt werden. ({11}) Das heißt, es wären 10,8 Millionen Euro Mehraufwendungen. Wir wissen noch nicht, wie sich die einheitliche Vergütung der Ärzte auf Ingolstadt auswirken wird. Dies hat wahrscheinlich einen Kaufkraftverlust zur Folge; Sie ziehen damit Kaufkraft aus Ingolstadt ab. Glauben Sie nicht, dass diese Riesenumverteilung, die Sie jetzt über den Gesundheitsfonds organisieren, keine regionalen Folgen hat! Schauen Sie sich an, wie es sich vor Ort auswirken wird, dass Sie das Geld dort abziehen, weil Sie es in eine Geldumverteilungsbehörde - genannt Gesundheitsfonds - stecken mit dem vermeintlichen Ziel, das Geld besser umzuverteilen! In Wahrheit bleibt es in einem enormen Verwaltungsaufwand mit Bürokratiekosten stecken. ({12}) Nun sagt die Union ja immer, dass es dann Wettbewerb zwischen den Krankenkassen geben wird. ({13}) Die einen werden Auszahlungen vornehmen, die anderen werden Zusatzbeiträge verlangen. Mitnichten! Die Beitragsunterschiede der Krankenkassen werden geringer. Es gibt überhaupt keinen Anreiz für die Krankenkassen, einen Zusatzbeitrag zu verlangen. Die Höhe des Zusatzbeitrags hängt von vielen Faktoren ab: Anzahl der Mitversicherten, Anzahl der schlechten Risiken, Anzahl der Geringverdiener. Sie brandmarken sogar Krankenkassen, die einen Zusatzbeitrag verlangen wollen. Frau von der Leyen - sie hat übrigens heute erklärt, sie stehe als nächste Gesundheitsministerin bereit; das habe ich gelesen; Frau Schmidt, langsam müssen Sie aufpassen, dass andere Sie nicht schon infrage stellen hat Krankenkassen beschimpft und gesagt: Wenn sie einen Zusatzbeitrag verlangen, dann macht das deutlich, dass sie unwirtschaftlich sind. Meinen Sie, dass das für Krankenkassen ein Anreiz ist, einen Zusatzbeitrag für bessere Versorgung zu verlangen? Das, was Sie hier angehen, ist der Weg in ein Einheitskassensystem mit Einheitsbeiträgen und Einheitsleistungen. Die Unterschiede zwischen den Krankenkassen werden immer geringer. Sie werden sich noch wundern. Irgendwann wird sich die Frage stellen: Wenn wir schon einen Gesundheitsfonds haben, warum schafft man dann nicht gleich eine Einheitskasse und unterstellt sie dem Gesundheitsministerium? ({14}) Wenn Sie von der CDU/CSU jetzt glauben, dass das alles Oppositionsgetöse der FDP sei, ({15}) dann will ich Ihnen nur sagen: Das ist genau das, was das Gesundheitsministerium von Frau Schmidt immer wollte. Sie hat in einem Interview gesagt, dass sie in dem Gesundheitsfonds einen großen Schritt in Richtung einer Einheitsversicherung, genannt Bürgerversicherung, sieht. Sie sagte in einem Interview wortwörtlich: „Für eine Bürgerversicherung bräuchten wir nur eine Gesetzesänderung“. Daran erkennen Sie, wie einfluss19262 Daniel Bahr ({16}) reich das Gesundheitsministerium in der Ausgestaltung dieser Gesundheitsreform ist. Meine Damen und Herren von der Koalition, ziehen Sie daraus jetzt noch Konsequenzen. Es wäre besser, den Fonds wieder einzustampfen. Es wäre das Mindeste, die Einführung des Gesundheitsfonds vom 1. Januar 2009 auf das Jahr 2010 zu verschieben, damit hier keine Vorentscheidungen getroffen werden, die es schwermachen, das Gesundheitswesen noch in eine andere Richtung weiterzuentwickeln. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun Frau Staatsministerin Hildegard Müller das Wort. ({0})

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist heute meine letzte Rede im Deutschen Bundestag. ({0}) Ich darf sie zu einem Themenkomplex halten, der mich bereits vor sechs Jahren, als ich mich in diesem Hohen Haus erstmals aktiv beteiligen durfte, beschäftigt hat, nämlich die Zukunft des Gesundheitswesens. Meine Damen und Herren von der FDP, Stichwort „die Wahrheit sagen“: Was ich in diesem Hause wirklich gelernt habe, das ist, zu schwierigen Entscheidungen zu stehen, auch wenn sie unbeliebt sind. ({1}) Das müssen wir gerade im Gesundheitswesen tun. Ich kann im Hinblick auf meinen Vorredner wirklich nicht erkennen, ob Sie mehr oder weniger Geld ausgeben wollen. Das, was Sie hier gerade dargestellt haben, kann eigentlich nicht Aufgabe der FDP sein. Ich hätte mir einen ernsthafteren Umgang mit diesem Thema gewünscht. Sowohl die Linksfraktion gestern als auch die FDPFraktion heute präsentieren nämlich nur Schaufensteranträge. Es geht Ihnen doch nicht darum, die Probleme zu lösen. Es geht Ihnen darum, vor der Bayernwahl einen wie auch immer gearteten Blick auf diese Probleme zu werfen und die bayerischen Wähler vor der Landtagswahl mit destruktiven Gedanken zu verunsichern. ({2}) Konstruktiv ist dieser Beitrag hier nicht. Er hilft weder den Patienten und Versicherten noch denjenigen, die im Gesundheitssystem arbeiten. Ich habe mir vorgenommen, schon gleich zu Anfang meiner Rede hier zu sagen: Lassen Sie sich nicht täuschen, weder aus der einen noch aus der anderen Richtung. Der Gesundheitsfonds kommt, und zwar pünktlich zum 1. Januar 2009. Diese Reform, meine Damen und Herren und vor allem liebe Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande, verbessert die Versorgung. Sie spart nicht an Leistungen und sie wird endlich auch für Patienten eine Vergleichbarkeit von Angeboten schaffen ({3}) und den Patienten damit mehr Wahlfreiheit bieten als bisher. ({4}) Schon als ich vor sechs Jahren meine Parlamentsarbeit im damaligen Ausschuss für Gesundheit und Soziale Sicherung beginnen durfte - Herr Spieth, Sie sind Gott sei Dank noch nicht so lange dabei; vielleicht werden Sie auch in Zukunft nicht mehr hier sein -, ({5}) gab es intensive Debatten über Strukturen und Sparpakete. ({6}) - Doch. Auch ich bin ein Bürger, ein Wähler, und ich hoffe, dass ich das mit entscheiden kann. Ich werde jedenfalls alles dafür tun. ({7}) Heute sind wir uns in einem Punkt sicherlich einig: Die gute medizinische Versorgung in Deutschland wird teurer werden. Das müssen wir den Menschen sagen. Das hat drei Ursachen, die nicht wegzudiskutieren sind: Der demografische Wandel; er ist in den meisten europäischen Staaten mit Problemen verbunden. Es ist wunderbar, dass die Lebenserwartung steigt, und sie steigt weiter. Aber das wird zu mehr Kosten im Gesundheitssystem führen. Der medizinische Fortschritt. Zahlreiche Krankheiten, die noch vor Jahrzehnten zum Tode geführt haben, können heute Gott sei Dank erfolgreich bekämpft werden. Um ein Beispiel zu geben: Eine Knochenmarktransplantation kann Menschenleben retten. Sie kostet rund 80 000 Euro. Diese Summe entspricht den Krankenversicherungsbeiträgen, die ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter in etwa 40 Jahren leistet. Trotzdem brauchen und wollen wir genau diesen medizinischen Fortschritt. ({8}) Das Dritte ist die Zunahme chronischer Krankheiten, wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie bedeuten für die Betroffenen eine massive Einschränkung ihrer Lebensqualität und für das Gesundheitssystem deutliche Mehrausgaben. Diese Erkrankungen sind im Übrigen in hohem Maße auf Fehlernährung und mangelnde Bewegung zurückzuführen. Deshalb ist es wichtig, im Gesundheitssystem die Eigenverantwortung der Patienten zu stärken und damit zu einer nachhaltigen Gesundheitspolitik zu kommen. Diese Reform ist ein Schritt in diese Richtung. ({9}) Wer jetzt vor den steigenden Beiträgen in der Krankenversicherung warnt, kann diese drei Gründe gerne anführen. Aber der Gesundheitsfonds gehört wirklich nicht dazu. Seien Sie so ehrlich, dies auch einzuräumen. Ich lade Sie herzlich dazu ein, sich an der Suche nach Lösungen zu beteiligen. ({10}) Die bloße Forderung nach einem Stopp kann nicht die Antwort auf die Situation sein. Wer, wie gesagt, vor den steigenden Beiträgen zur Krankenversicherung warnt, dem möchte ich noch einmal sagen: Dieses Geld ist kein Placebo. Der Sparbeitrag der Krankenhäuser lag bei 220 Millionen Euro. Denn auch in Krankenhäusern sind Strukturreformen notwendig. ({11}) Jetzt nehmen wir aufgrund der neuen Herausforderungen über 3 Milliarden Euro in die Hand. Dieses Geld kommt vom Beitragszahler. Das, was gestern einige Funktionäre abgezogen haben, um sowohl die Beschäftigten, die in den Krankenhäusern großartige Arbeit leisten, als auch die Patientinnen und Patienten in diesem Land zu verunsichern, finde ich eine wirkliche Frechheit; das muss ich sagen. ({12}) Wer einfach nur mehr Geld fordert, ohne selber auch nur einen kleinen konstruktiven Beitrag dabei zu leisten, wie Überkapazitäten im Krankenhaus abgebaut und viele andere Probleme gelöst werden können ({13}) - ich spreche über die Funktionäre, Frau Bender -, der macht sich unglaubwürdig und verdient es nicht, von der Politik gehört zu werden. ({14}) Deshalb setzen wir die 3 Milliarden Euro da ein, wo es strukturell nötig ist. Aber wir fordern auch die Krankenhäuser auf, sich an den Veränderungen zu beteiligen. ({15}) Den Fonds kann man nicht für alles verantwortlich machen. Wer vor den steigenden Beiträgen warnt, der kann auch gerne den Leistungsumfang einschränken. Mit dem Fonds gibt es weder neue Zuzahlungsregelungen noch Einschnitte in den Leistungskatalog. Im Gegenteil: Die Krankenversorgung verbessert sich. MutterKind-Kuren und Impfungen werden zu Pflichtleistungen, ein Rechtsanspruch auf Rehabilitation wird eingeführt und noch vieles mehr. Deshalb ist es unredlich, angesichts dieser Fakten eine Absenkung des medizinischen Versorgungsniveaus oder drohende Leistungseinschränkungen an die Wand zu malen. Die Einführung des Fonds ist deshalb ein Schritt in die richtige Richtung. Meine lieben Damen und Herren von der FDP, ich möchte nicht falsch verstanden werden. Hier werden nicht wahllos mit dem Füllhorn Wohltaten verteilt. Vielmehr ist es so, dass dort, wo es wirklich nötig und teilweise überfällig ist, Geld in die Hand genommen wird. Ein Beispiel dafür sind die Ärzte. Für sie werden über 2,5 Milliarden Euro bereitgestellt. Damit sichern wir die Freiberuflichkeit der Ärzte, eine Forderung, die Sie immer erhoben haben. Wir sichern damit auch die Versorgung für die Patienten. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt. ({16}) Diese Reform wird auch zu mehr Wahlfreiheit und Wettbewerb führen. Es kommt eben nicht die Einheitskasse, wie Sie das immer beschwören. Ich nenne hier einige Stichworte. Sie können sich jetzt als Versicherter in Zukunft die Tarife selber zusammenstellen, wie man das bisher sonst nur von privaten Krankenkassen kannte: Selbstbehalttarife, Tarife mit Kostenerstattung, Hausarzttarife, besondere Behandlungsmethoden. All das ist das genaue Gegenteil von staatlicher Einheitsmedizin, wie manche Kritiker sie hier sehen. ({17}) Es wird mehr Versorgungsmodelle und mehr Versicherungstarife geben. Das ist mit dem jetzigen System nicht möglich. Deshalb wird der Wettbewerb zu- statt abnehmen. Das merken inzwischen auch diejenigen, die eine Verschiebung gefordert haben. Bei den Krankenkassen kommt es bereits zu ersten Überlegungen zu Strukturveränderungen, etwa ob sie wettbewerbsfähig sind und ob sie sich neu aufstellen müssen. Auch meine eigene Krankenkasse, eine AOK, kommt auf einmal mit Angeboten auf mich zu, von denen ich in der Vergangenheit nur träumen konnte. Das ist genau das, was wir wollten. Deshalb ist das, was wir heute tun, richtig. ({18}) Ich sage noch einmal: Die Krankenkassen können von dem Beitrag abweichen. Sprechen Sie hier doch nicht von einem Einheitsbeitrag. Endlich ist es möglich, dass die Kassen von dem allgemeinen Beitrag abweichen können und dass der Versicherte die Wahlfreiheit erhält, zu einer Kasse zu gehen, wo er zum Beispiel Rückerstattungen bekommt. Das stärkt den Versicherten. Fragen Sie Ihre Krankenkasse, warum sie teurer ist als andere. Da wir die Risiken ausgleichen, liegt es am Management. Wechseln Sie Ihre Krankenkasse, wenn Ihre eigene Krankenkasse ein schlechtes Management hat. Das ist wichtig, und das wird durch den Fonds ermöglicht. ({19}) Wir schaffen auch Transparenz. Beispielsweise ist die Verschuldung von Krankenkassen bisher nie aufgefallen. Als ich anfing, im Deutschen Bundestag zu arbeiten, war eine der wichtigsten Fragen, herauszufinden, wie groß die gesetzwidrige Verschuldung der Krankenkassen ist. ({20}) So wurden im AOK-System größtenteils keine Rückstellungen für die Beschäftigten gemacht. Über 10 Milliarden Euro an Verschuldung wurden damals nicht erkannt. Die Situation ist jetzt dafür genutzt worden, Schulden abzubauen. Nehmen Sie das doch einmal zur Kenntnis. ({21}) - Sie dürfen sich nicht verschulden, weil sie sich damit der Verantwortung für die künftigen Generationen in diesem Land verweigern. ({22}) Wenn Sie von den Linken eine Politik machen, die den jungen Menschen keine Perspektive bietet, dann mag das Ihr Beitrag sein. Wir leisten einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Erst dann, wenn die Verschuldung zurückgefahren ist, können auch Rücklagen aufgebaut werden. ({23}) Ich denke, ich bin mir mit der FDP völlig einig, wie wichtig das ist. Lieber Daniel Bahr, wir haben lange gemeinsam dafür gestritten, dass endlich Rücklagen für die junge Generation in die Sozialsysteme eingebaut werden. ({24}) Außerdem machen wir einen Schritt in Richtung Entkoppelung von den Arbeitskosten; ({25}) das ist richtig. Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen: Mit der solidarischen Gesundheitsprämie hat die Union ein ordnungspolitisch überzeugendes und zukunftsverantwortliches Modell entwickelt. Es wäre ein richtiger und wichtiger Schritt, die Gesundheitsvorsorge von den Arbeitskosten abzukoppeln. Leider konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner nicht auf dieses soziale und wegweisende Reformkonzept einigen. ({26}) Ich bleibe aber dabei: Der Sozialausgleich über Steuern ist gerechter, als die Beschäftigten in diesem Land weiterhin durch die steigenden Kosten zu belasten. ({27}) Wir sind also auf dem richtigen Weg. Natürlich haben wir noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollen. Auf jeden Fall haben wir aber eine Verbesserung des Status quo erzielt. Meine Damen und Herren, weil man das Ziel nicht ganz erreicht, darf man nicht gar nichts tun, ({28}) sondern dann muss man sich in kleinen Schritten fortbewegen. Ich kann dieser Reform zustimmen, weil sie ein Schritt in die richtige Richtung ist und weil wir damit unser Gesundheitssystem, das großartig ist, weiter stärken und ausbauen. Es ist ein Faktor für die Gesundheitswirtschaft und ein Zukunftsfaktor für unser Land. Nicht zuletzt wollen wir, dass die großen Lebensrisiken der Menschen in unserer sozialen Marktwirtschaft weiterhin abgesichert werden. Das sind die gewaltigen Herausforderungen, vor denen wir in Zukunft stehen werden. ({29}) Meine Damen und Herren, in den vergangenen sechs Jahren in diesem Parlament habe ich die Gesundheitspolitik stets als besonders interessant und wichtig empfunden. Auf keinem anderen Feld wurden Reformanstrengungen allerdings so kontrovers diskutiert. Ich würde mir in diesem Land manchmal mehr Gemeinsamkeit wünschen. Ich würde mir wünschen, dass jeder nicht nur Vorschläge macht, die andere Bereiche betreffen, sondern über seine eigenen Beiträge dazu nachdenkt, wie sich unser Land in Zukunft gestalten lässt. Gerade im Gesundheitsbereich ist dieses Igeldenken, dieses Einigeln, dieses Denken nur an den eigenen Bereich, nicht aber an die Gesamtverantwortung, ein Problem. ({30}) Es geht darum, Politik für 80 Millionen Menschen in diesem Land zu machen. Das eignet sich nicht für Populismus. Das muss man seriös machen und ernst nehmen. Es war für mich eine große Ehre, daran mitzuwirken. Ich verabschiede mich heute mit der begründeten Hoffnung, dass wir mit dieser Reform einen weiteren Schritt - keinen abschließenden, aber einen weiteren Schritt - in die richtige Richtung gehen und das tun, was nötig ist. Ich möchte allen Kolleginnen und Kollegen, die ich in den letzten sechs Jahren habe kennenlernen dürfen - insStaatsministerin Hildegard Müller besondere denen, mit denen ich Freundschaften schließen konnte -, sehr herzlich für die Zusammenarbeit danken. Ich möchte ausdrücklich auch die vielen fantastischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Hause in diesen Dank einschließen. Ich möchte auch den Bürgerinnen und Bürgern in meinem Wahlkreis Düsseldorf danken. Ihr Vertrauen und ihre Anliegen, die sie mir immer wieder mitgeteilt haben, haben meine Arbeit vorangebracht. Ich denke, dass solche Denkanstöße, egal welcher Art, auch in Zukunft sehr wichtig sind, damit im Deutschen Bundestag die bestmöglichen Entscheidungen vorbereitet und getroffen werden können. Was meine zukünftige Arbeit angeht, habe ich insbesondere im Auge: Ich werde in einem Bereich arbeiten können, der die Lebenschancen aller Menschen in diesem Land tangiert. Deshalb freue ich mich sehr auf diese Aufgabe. Ich danke Ihnen allen sehr herzlich für die letzten sechs Jahre. Vielen Dank. ({31})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Staatsministerin, Sie werden den Deutschen Bundestag nach sechs Jahren der Zugehörigkeit zu diesem Haus verlassen. Sie verabschieden sich aber nicht von der Arbeit für die Menschen in diesem Land. Sie werden eine neue verantwortungsvolle Aufgabe übernehmen. Ich möchte Ihnen sehr herzlich für Ihre engagierte Arbeit an den unterschiedlichsten Stellen in diesem Haus und für die Zusammenarbeit, auch über Fraktionsgrenzen hinweg, danken. Ich wünsche Ihnen für Ihre neue Aufgabe eine glückliche Hand, viel Freude und natürlich auch den verdienten Erfolg. Alles Gute! ({0}) Nun hat der Kollege Frank Spieth für die Fraktion Die Linke das Wort. ({1})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich den Wünschen der Präsidentin an Frau Staatsministerin in einer etwas freundlicheren Art anschließen, als sie vorhin mit mir umgegangen ist. Ich wünsche Ihnen bei Ihrer zukünftigen verantwortlichen Lobbyistentätigkeit beim Energieunternehmen Eon viel Erfolg. ({0}) Die FDP will den Gesundheitsfonds mit dem heutigen Antrag stoppen. Tatsächlich will sie aber etwas anderes erreichen: Sie will im Kern die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die gesetzliche Krankenversicherung privatisiert werden kann. Deshalb ist dieser Antrag nach unserer Auffassung eine Mogelpackung. ({1}) Untersuchen wir die eigentlichen Absichten. Frau Dr. Winterstein, die FDP-Haushaltsexpertin, hat in der vergangenen Woche an dieser Stelle die Katze aus dem Sack gelassen. Sie sagte: Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel zum privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle. Dieser Sozialausgleich soll aus Steuergeldern finanziert werden. ({2}) Die Freien Demokraten wollen das soziale und solidarische Krankenversicherungssystem, ein Erfolgsmodell, das sich seit 125 Jahren in Deutschland bewährt hat, im Kern abschaffen. Werte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, Sie ignorieren die große Zustimmung der Bevölkerung zur gesetzlichen Krankenversicherung und demonstrieren nach meiner Auffassung Ihre Geringschätzung für dieses System, indem Sie es abschätzig „Kassensozialismus“ nennen, wie in dem Beschluss Ihres Präsidiums vom 3. Juli 2006 nachzulesen ist. ({3}) Komplett absurd wird Ihre Argumentation dadurch, dass Sie vor einer drohenden Steuererhöhung im bestehenden System warnen und gleichzeitig höhere Steuern fordern. Das steht auch im Beschluss. Sie wollen einen Sozialausgleich, den auch Frau Dr. Winterstein nannte, über das Steuersystem organisieren. Ich sage Ihnen: Dafür werden viele Milliarden Euro nötig sein. Wo sollen sie denn herkommen, wenn nicht aus satten Steuererhöhungen? ({4}) Sie wollen eine Privatisierung des gesamten Krankenversicherungssystems. Die privaten Versicherungsunternehmen sollen von den Versicherten für eine Regelversicherung Prämien verlangen, die unabhängig von der Höhe des Einkommens sind. Das bedeutet: Wer nicht zahlen kann, der muss auf einem von Ihnen noch nicht näher bestimmten Amt um Hilfe bitten. Für Millionen Menschen will die FDP eine neue Megabürokratie aufbauen. In einer Behörde soll nach genauer Einkommensprüfung über Zuschüsse zu Krankenversicherungsbeiträgen entschieden werden. Im Klartext: Wieder einmal ist damit der Schnüffelei Tür und Tor geöffnet. Ich dachte immer, dass die Entwürdigungen durch Hartz-IV-Behörden nicht mehr zu toppen sind. ({5}) Ein Mensch mit geringem Einkommen, der sein Krankheitsrisiko absichern will, muss nach Ihren Vorstellungen erst einmal die Hosen herunterlassen - im wahrsten Sinne des Wortes -, bevor er dann, zum Bittsteller degradiert, die Gnade des Sozialstaates erfahren kann. Die FDP gibt sich immer als Partei der Freiheit. Ich sage Ihnen: Ihre Freiheit ist die Freiheit der Besserverdiener. ({6}) Für Geringverdiener sehen Sie in Ihrem Konzept aber weniger Freiheit und dafür mehr Schnüffelei und mehr Bürokratie vor. Mich wundert es gar nicht, dass Sie unser Konzept der solidarischen und sozialen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, wie gestern geschehen, als Etikettenschwindel kritisieren. Sie behaupten, das sei keine Versicherung, sondern eine zweite Steuer. Bei der Umsetzung Ihres Konzepts müsste man weitere Steuern einführen und/oder bestehende Steuern erhöhen. Das ist ein Etikettenschwindel. Nebulös bleibt die FDP mit ihrem Konzept auch hinsichtlich des Begriffs der Regelversorgung, auf die jeder Bürger ein Recht haben soll. Sie schreiben einmal von „medizinisch notwendigen Leistungen“. Dann schreiben Sie von „medizinisch unbedingt notwendigen Leistungen“, die „in etwa dem heutigen um bestimmte zahnmedizinische Leistungen und das Krankengeld reduzierten GKV-Leistungskatalog entsprechen“. Mit diesem Umschreiben wollen Sie nichts anderes, als den ohnehin schon abgespeckten Leistungskatalog weiter zu skelettieren. Das ist die Logik: Je weniger Solidarleistungen, desto mehr Geschäftsfelder entstehen für private Krankenversicherungen. Sie schreiben: Jeder Versicherte kann oberhalb des Katalogs von Regelleistungen zwischen verschiedenen Paketen von Leistungen wählen, auf die er im Versicherungsfall zusätzlich Anspruch hat. Na klar! Jeder Bürger kann auch zwischen einer Vielzahl von Luxuslimousinen wählen. Es fehlt bei Ihnen nur der Zusatz: „wenn er dafür das notwendige Kleingeld hat“. ({7}) Ihr Konzept ist sonnenklar: Luxuslimousinen für die Privilegierten, die Golfklasse für den Mittelstand und Tretroller für die Geringverdiener. Das ist mit dem Sozialstaatsprinzip der Verfassung unvereinbar. ({8}) Ich gehe davon aus, dass Ihre Vorstellungen einer Regelversorgung deutlich weniger Leistungen vorsehen und deshalb Zusatzversicherungen für jeden zwangsläufig notwendig werden. Sie wollen das Solidarprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung abschaffen. Das jetzige umlagefinanzierte System soll nach Ihren Vorstellungen einem kapitalgedeckten System weichen. ({9}) Derzeit zahlen die Jungen und Gesunden für die Älteren und Kranken. Die FDP will, dass künftig jeder für sein eigenes Alter spart. Das hört sich schön an: Wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist an alle gedacht. Nach diesem Motto hat jeder seinen Sparstrumpf, mit dem er privat fürs Alter vorsorgt. Diese Vorstellung ist nach meiner Auffassung naiv. Wir können gerade in den USA sehen, wie unzuverlässig kapitalgedeckte Systeme funktionieren. Dort haben Millionen Menschen ihre private Altersvorsorge verloren, weil sie mangels sozialstaatlicher Absicherung gezwungen waren, einem kapitalgedeckten privaten System zu vertrauen. Die Bürger hatten nur die Wahl zwischen riskanten Investmentfonds und profitorientierten Versicherungskonzernen. Die Menschen stehen nach lebenslangem Sparen vor dem Nichts. Wollen Sie das auch in Deutschland? ({10}) Zudem hat der Aufbau von Kapitalreserven den Nachteil, dass die heutigen Beitragszahler bzw. Versicherungsnehmer erhebliche Doppelbelastungen zu schultern hätten. Zum einen müssen die Versicherten die derzeit notwendigen Beiträge zahlen und zum anderen zusätzlich einen Kapitalstock ansparen. Das verschweigen Sie den Menschen. Dieser Systemwechsel wird sehr teuer. ({11}) Die gesetzlichen Krankenkassen, die die FDP am liebsten abschaffen will, arbeiten deutlich preiswerter als die privaten Krankenversicherungen. Private haben zwar geringere Verwaltungskosten, aber es kommen die Kosten für die Provision ihrer Versicherungsverkäufer und Werbungskosten hinzu. Schon das übersteigt in der Regel die durchschnittlichen 6 Prozent Verwaltungskosten der gesetzlichen Kassen. Hinzu kommt noch die Rendite für die Aktionäre. Sie muss natürlich auch von den Versicherten gezahlt werden. Von wem denn sonst? Keine Versicherung wird ihr Produkt zum Selbstkostenpreis anbieten. Das gibt es nur bei den gesetzlichen Krankenkassen. Von jedem in die gesetzlichen Kassen gezahlten Euro gehen 94 Cent als Leistungen an die Versicherten zurück, bei der privaten Krankenversicherung sind dies nur 74 Cent. Die FDP macht mit ihrem Konzept ganz nebenbei ein Subventionsprogramm für Allianz und Co. Das wundert mich nicht; denn ein Drittel der Finanzmittel der FDP kommt aus Spenden. Gerade bei der Allianz hat die FDP offenkundig noch etwas gutzumachen: ({12}) Aus der Spendenpulle der Allianz bekamen laut der Zeitschrift Capital vom 14. Dezember 2006 in den Jahren 2002 bis 2006 CDU, SPD und sogar Grüne jeweils 240 000 Euro, die CSU 180 000 Euro, aber die FDP nur 150 000 Euro. Meine Partei bekommt keine Spenden der Allianz, und das finde ich prima. Einem der Hauptbegünstigten der Allianz macht die FDP neuerdings Koalitionsavancen. Seit die SPD mal wieder den Vorsitzenden weggeputscht und ausgetauscht hat, können sich Teile der FDP eine Koalition mit der SPD vorstellen, wie zu lesen war. Man liest auch, dass umgekehrt Franz Müntefering gerne eine Koalition mit der FDP eingehen würde. ({13}) Es gab schon einmal eine sozialliberale Koalition auf Bundesebene von 1969 bis 1982. Diese Koalition wurde durch einen Kurswechsel der FDP eingeleitet, der in die Freiburger Thesen mündete. ({14}) In diesen Thesen war von „Rechten auf Leben und Gesundheit“ die Rede, „die die großen demokratischen Errungenschaften einer Liberalisierung des Staates“ seien. Grund für die Beendigung der sozialliberalen Koalition und das Zusammengehen der FDP mit Helmut Kohl war die Abkehr von den Freiburger Thesen und die Abkehr von der Sozialpolitik der 70er-Jahre. Mit „Rechten auf Leben und Gesundheit“ im Sinne eines „sozialen Liberalismus“ - wie es damals in Ihren Freiburger Thesen hieß - hat Ihr heutiges gesundheitspolitisches Konzept nichts mehr zu tun. ({15}) Die SPD hielt zu jener Zeit noch an ihrer Sozialpolitik fest. Deshalb zerbrach diese Koalition. Unter Gerhard Schröder hat sich die SPD von ihrer Idee der sozialen Gerechtigkeit, die sie in den 70er- und 80er-Jahren vertrat, verabschiedet. Sie hat sich - wie alle anderen Parteien außer der Linken - zum Neoliberalismus bekannt. ({16}) Na prima! Und alle diese neoliberalen Parteien sind selbstverständlich grundsätzlich miteinander koalitionsfähig. Man könnte sagen: Schade um den Sozialstaat! ({17}) Die Linke hat andere Vorstellungen von einem gerechten Gesundheitssystem. Wir wollen eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. In dieser sind nach unserer Vorstellung alle Menschen unabhängig von Einkommen und Beruf versichert. ({18}) Das schreibt auch die SPD. Das heißt, auch Selbstständige, Beamte und Politiker sind da mit drin. ({19}) Alle zahlen den gleichen prozentualen Anteil ihres Einkommens. Bisher wird aber nur Einkommen aus Erwerbsarbeit herangezogen. ({20}) Wir wollen, dass alle Einkommensarten, also auch Kapitaleinkünfte, herangezogen werden. ({21}) Bei Einkommen aus Erwerbsarbeit zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Durch die Verbreiterung der Versicherten- und Finanzierungsbasis können wir dann die Beitragssätze senken. ({22}) Statt 15,5 Prozent oder noch mehr im Gesundheitsfonds wären dann 8,6 Prozent möglich. Da wir aber sämtliche Zuzahlungen abschaffen und die Kürzungen der letzten Jahre wieder rückgängig machen wollen, ({23}) wird der Beitragssatz bei etwa 10 Prozent liegen. Das ist unser Angebot. ({24}) Der Argumentation der FDP können wir nicht folgen. Eine Privatisierung der Krankenversicherung ist der falsche Weg. Ihr Antrag, meine Damen und Herren, zielt in die falsche Richtung. Deshalb lehnen wir ihn ab. ({25})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun Frau Bundesministerin Ulla Schmidt das Wort. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema Fonds hat die FDP schon einmal beschäftigt. ({0}) Es ging damals nicht um Soziales und Gesundheit, sondern - wie könnte es bei der FDP anders sein? - um Vermögen. Es war ein Vorschlag Ihres ehemaligen Vorsitzenden, Walter Scheel, der immerhin als weitsichtiger Mann bekannt ist und der sich große Verdienste in der Außenpolitik erworben hat. Zu der damaligen Debatte über diesen Fonds schrieb Der Spiegel 1969, Walter Scheel habe auf konkrete Fragen keine Antworten geben können. Er habe das mit den Worten entschuldigt, die FDP sei personell nicht in der Lage, einen Fondsplan gesetzestechnisch und rechnerisch durchzuarbeiten. ({1}) Mit Blick auf den heutigen Antrag und den Auftritt der FDP kann ich nur sagen: Die Weitsicht, die man ihm unterstellt, ist berechtigt; denn das hat Kontinuität. ({2}) Angesichts dessen, dass die FDP, Herr Bahr, gestern mit demonstriert und mehr Geld für die Krankenhäuser gefordert hat ({3}) und sich heute hier hinstellt und gegen Beitragserhöhungen wettert, muss ich sagen: Rechnerisch hat die FDP noch immer nichts dazugelernt. ({4}) Große Worte und nichts dahinter, das zeichnet sie aus. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Gesundheitsfonds kommt. Die Schritte zur Umsetzung sind beschlossen. In der nächsten Woche wird der Schätzerkreis des Bundesversicherungsamtes auf der Grundlage der verfügbaren Daten zu den Einnahmen - dabei wird berücksichtigt, wie sich die Beschäftigung entwickelt hat, wie die Prognose zu den Beitragseinnahmen und zu den Steuermitteln für das kommende Jahr aussieht - und zu den notwendigen Ausgaben einen Vorschlag für den Beitragssatz im Jahre 2009 machen. Das Bundeskabinett wird den Entwurf der entsprechenden Verordnung am 7. Oktober beschließen. Dann wird der Vorschlag hier im Parlament beraten, und rechtzeitig vor dem 1. November wird vom Bundeskabinett die endgültige Entscheidung getroffen, sodass die Krankenkassen am 15. November genau wissen, wie viel Geld sie im kommenden Jahr zur Verfügung haben. Das ist früher als in den vergangenen Jahren, als die Krankenkassen oft erst im Dezember wussten, wie denn ihre Finanzsituation im folgenden Jahr aussehen würde. Damit kann jede Krankenkasse ihre Haushaltsplanung rechtzeitig abschließen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen. Aber der Wettbewerb ist ein anderer als in anderen Bereichen. Es ist ein Wettbewerb um gute Qualität, der aber nur auf einer fairen Grundlage erfolgen kann. Wir wollen ihn da, wo es möglich und sinnvoll ist: bei den Krankenkassen, bei den Anbietern medizinischer Leistungen, im Verhältnis der Krankenkassen zu Ärzten und Krankenhäusern. Wir wollen, dass die Krankenkassen darum konkurrieren, wer seinen Mitgliedern die besten Angebote zum bestmöglichen Preis machen kann. Davon profitieren die Versicherten. Die Neuordnung der Finanzierung über den Gesundheitsfonds zwingt die Kassen mehr als bisher, aktiv zu werden. Sie haben sich über Jahre hinweg oft ganz passiv verhalten. Man hat die Beiträge erhöht, und dann ist alles weitergegangen wie zuvor. Jetzt müssen die Kassen aktiv werden, weil sie sich um ihre Versicherten mehr kümmern müssen. Das ganze Finanzgeschehen ist transparenter. Studien ist zu entnehmen, dass die Kassen ihre Versicherten viel stärker als heute durch guten Service und breite Leistungsangebote umwerben werden. Wer sich bei den Kassen umsieht, stellt fest, dass einige schon engagiert dabei sind, sich für die kommenden Jahre neu aufzustellen. Das ist zum Wohl der Versicherten und der kranken Menschen. Durch den Gesundheitsfonds erhalten alle Kassen die zur Versorgung ihrer Versicherten notwendigen Mittel auf einer fairen und gerechten Grundlage. Wir halten daran fest, dass Menschen für Menschen stehen. ({5}) Ich habe es letzte Woche schon gesagt: Das ist allemal besser, als allein auf Kapitaldeckung zu setzen, wie man jetzt auch an der weltweiten Finanzkrise sieht. Aber so, wie es heute geregelt ist, ist es nicht fair. Viele Menschen zahlen nicht deswegen höhere Beiträge, weil ihre Kasse unwirtschaftlich ist, sondern weil sie in einer Kasse mit einer ungünstigen Versichertenstruktur sind. Ich möchte Ihnen einmal zwei Beispiele dazu nennen: Die AOK Berlin hat als große Versorgerkasse einen Beitragssatz von 15,8 Prozent; denn etwa die Hälfte der dort Versicherten sind Rentnerinnen und Rentner. Eine Internetkasse oder auch einige IKKs hingegen, die nur zu 2, 3 oder 4 Prozent Versicherte haben, die älter als 65 sind, können natürlich leicht einen Beitragssatz von 12,3 oder 12,9 Prozent nehmen. ({6}) Nehmen Sie als zweites Beispiel die AOK Saarland. In der AOK Saarland sind mittlerweile nur noch 170 000 Menschen versichert, davon 84 000 Rentnerinnen und Rentner. Sie muss einen Beitragssatz von 15,8 Prozent verlangen. Der größte Konkurrent ist die IKK Südwest. Sie hat mittlerweile 314 000 Mitglieder, davon 10 000 Rentnerinnen und Rentner. Alle im Saarland, die gut verdienen, die gesund und jung sind, sind in die IKK Südwest gegangen. Das heißt, die AOK Saarland muss aufgrund ihrer Versichertenstruktur mehr Leistungen finanzieren und kann darauf nur mit immer höheren Beiträgen antworten; denn wir wissen, dass das Risiko, zu erkranken, mit zunehmendem Alter steigt. Außerdem haben die Rentnerinnen und Rentner in der Regel ein geringeres Einkommen als die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Beiträge von ihrem Bruttoeinkommen gerechnet werden. Ist das gerecht? Hat die Aufbringung der Beiträge auf diese Weise etwas mit Fairness zu tun? Oder hat das etwas mit Wirtschaftlichkeit zu tun? - Nein, damit hat es nichts zu tun. Deshalb werden wir mit der Neuordnung der Finanzierung dafür sorgen, dass dieser unfaire Wettbewerb aufhört und dass die Kassen, die mehr ältere und mehr kranke Menschen versichert haben, auch mehr Geld aus dem Solidartopf erhalten. Das ist fair und gerecht, und deshalb ist die Neuordnung der Finanzierung richtig. ({7}) Gute Kassen, deren günstige Beitragssätze tatsächlich auf Wirtschaftlichkeit und nicht auf einer unfairen Risikoverteilung beruhen, werden ihren Versicherten dann Prämien zurückzahlen können. Wer bisher nur aufgrund der Risikoverteilung günstige Beitragssätze anbieten kann, hat es dann natürlich schwerer, weil aus diesen Kassen Geld in die Kassen fließt, in denen mehr kranke Menschen versichert sind. Die Neuordnung wird auf jeden Fall transparenter machen, wie die einzelne Kasse arbeitet. Wenn eine Kasse mit dem Geld nicht auskommt, werden Zusatzbeiträge gezahlt. Nur eins ist auch klar: Wenn Sie sich anschauen, wohin die Beitragsentwicklung bei den Krankenkassen geht - das gilt insbesondere im Hinblick auf die neuen Aufgaben -, die als Versicherte überwiegend ältere Menschen oder Menschen mit geringem Einkommen haben, stellen Sie fest, dass schon heute 70 Prozent der Rentnerinnen und Rentner deutlich über dem durchschnittlichen Beitragssatz liegende Beiträge zahlen. In Zukunft wird der allgemeine Beitragssatz von allen gemeinsam aufgebracht. Ich bin davon überzeugt, dass dies eine fairere Grundlage ist, um die wachsende Zahl der Aufgaben im Gesundheitswesen so zu finanzieren, dass wir unseren hohen Anspruch, 100 Prozent unserer Bevölkerung am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, auch unter schwierigeren Bedingungen, insbesondere im Hinblick auf die veränderte Altersstruktur unserer Gesellschaft, aufrechterhalten können. ({8}) Medizinischer Fortschritt, mehr ältere und mehr hochbetagte Menschen, mehr chronisch kranke und mehr pflegebedürftige Menschen, das alles kostet mehr Geld. Es ist richtig, darüber zu diskutieren, wie viel Geld wir brauchen und wie es aufgebracht werden soll. Aber ohne eine fairere Verteilung, ohne dass wir dafür sorgen, dass das Geld insbesondere an die Krankenkassen geht, die viele Kranke versichern, ginge die Schere zwischen den Beitragssätzen - teilweise beträgt der Unterschied heute schon über 5 Prozentpunkte; bei einem Einkommen von 1 000 Euro macht das 50 Euro im Monat aus - weiter auseinander. Ich finde, das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Angesichts der neuen Honorarordnung, der Entscheidung zugunsten der Krankenhäuser, der Entwicklungen im Arzneimittelsektor und in anderen Leistungsbereichen wie der Rehabilitation und der Palliativmedizin, der Impfkosten - diese werden steigen, weil wir Impfungen zu Pflichtleistungen der Krankenkassen gemacht haben - und des höheren Behandlungsbedarfs, der auf die Krankenkassen und die Versicherten zukommt, müssen wir einfach neue Wege gehen und die Wettbewerbsverzerrungen beseitigen. Der Fonds ist auch kein bürokratisches Monster. Heute organisieren 14 Frauen und Männer im Bundesversicherungsamt einen unzureichenden Versorgungsausgleich und einen unzureichenden Risikostrukturausgleich. In Zukunft werden es 21 Frauen und Männer sein. Angesichts der Debatte über Bürokratiemonster genügte zumindest den Parlamentariern ein Blick in den Haushaltsplan, um zu sehen, wie dies im Bundesversicherungsamt organisiert wird. Mit einem Bürokratiemonster hat das nichts zu tun. Das ist einfach ein faires Angebot. Wir wissen, dass wir in einer Gesellschaft, in der die Menschen immer länger leben, mehr Geld brauchen, um das Gesundheitswesen zu finanzieren. Die 4,3 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen fordern zu Recht - das haben wir gestern wieder gesehen - anständige Arbeitsbedingungen und eine faire Bezahlung. Wenn dafür höhere Beiträge erforderlich sind, dann hat das nichts - auch ich bitte um Fairness - mit dem Fonds zu tun, sondern mit den wachsenden Ausgaben oder mit stagnierenden Einnahmen, wie es in den letzten Jahren aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit häufig der Fall war. Wir werden im nächsten Jahr mehr Geld zur Verfügung haben als in den Jahren zuvor. Trotzdem werden auch die Versicherten mehr aufbringen müssen. Der Fonds schafft so, wie er konstruiert ist, Sicherheit und sorgt für Fairness. Er macht vieles einfacher. Ich verhehle aber auch nicht, dass dies nur für 90 Prozent der Bevölkerung gilt. Wenn Sie darauf hinweisen, haben Sie völlig recht. Ich sage das auch in jedem Interview. Mein Ziel ist - dabei bleibe ich -, dass sich alle Menschen in diesem Land, egal welchen beruflichen Status sie haben, egal welches Einkommen sie haben, egal ob sie jung oder alt, gesund oder krank sind, zu gleichen und fairen Bedingungen an der Aufbringung der Beiträge zur Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens beteiligen werden. ({9}) Das hat nichts mit Einheitskasse zu tun, sondern damit, dass es besser ist, wenn alle Menschen für alle Risiken zu gleichen Bedingungen eintreten. Darin unterscheiden sich die Koalitionspartner. Das ändert aber nichts daran, dass wir mit der Einführung des Fonds für die gesetzlich Versicherten eine gerechtere und fairere Grundlage schaffen, als das heute der Fall ist. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgitt Bender für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die wohlgesetzten Worte der Ministerin können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Koalition die - ich möchte das mal so nennen - gesundheitsfondsgetriebene Unruhe umhergeht. Wie anders wäre es denn zu erklären, dass im Gesundheitswesen der Gabentisch schon zwölf Wochen vor Weihnachten gedeckt wird? Es sind sage und schreibe 5,5 Milliarden Euro, die die Gesundheitsministerin in den letzten Wochen kurzfristig verteilt hat. ({0}) Wir kennen das Prinzip schon. ({1}) Als es das erste Mal darum ging, diese fehlgeleitete Reform überhaupt zu beschließen, gab es Widerstand von den Apothekern und von der PKV. Dann hat man die von diesen Interessengruppen als ungünstig angesehenen Rechtsänderungen noch geschwind vom Tisch geräumt. ({2}) Jetzt geht es um Geld. Das Prinzip ist immer dasselbe. Es handelt sich um kurzfristige Befriedungsaktionen. ({3}) Gewiss, die höheren Honorare für die Ärzte und die finanzielle Soforthilfe für die Krankenhäuser sind in der Sache nicht unberechtigt. ({4}) Insbesondere die Ärztinnen und Ärzte in Ostdeutschland müssen bei den Honoraren trotz häufig höherer Arbeitsbelastung noch eine deutliche Lücke gegenüber ihren Kollegen im Westen schließen. Dass auch viele der Krankenhäuser finanziell unter Druck stehen, die gut aufgestellt sind und die für die flächendeckende Gesundheitsversorgung unerlässlich sind, steht außer Frage. Bemerkenswert ist aber doch, dass die Bundesregierung diese enormen Finanzspritzen gesetzt hat, ohne damit für mehr Qualität zu sorgen. ({5}) Es gibt keine Gegenleistung von den Ärztinnen und Ärzten, es gibt kein Reformpaket mit den Ländern. In Bezug auf die Arztpraxen hören wir von der Ministerin den frommen Wunsch, es möge sich nun etwas an der Bevorzugung der Privatpatienten ändern; aber was ist denn? Die höheren Honorare gehen nicht mit Anforderungen an Veränderungen in Bezug auf Qualität und Service einher. Also wird es weiterhin bei der Zweiklassenmedizin bleiben. ({6}) Wenn man sich einmal anschaut, welche Rolle die Bundesgesundheitsministerin bei der Krankenhausreform gespielt hat, dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Es ist doch so: Die Bundesländer haben den Reformentwurf der Ministerin in monatelangen Auseinandersetzungen auseinandergenommen wie eine russische Matroschka. Was am Ende übrig bleibt, ist nur ein bunt bemaltes, kleines Reförmchen, ein Sammelsurium von kurzfristigen Hilfen, mit denen die Krankenhäuser - vielleicht - über das nächste Jahr kommen. Daran, dass die Länder ihren Verpflichtungen zu Investitionen in die Krankenhäuser nicht nachkommen, wird sich aber nichts ändern. ({7}) Es fehlen weiterhin Steuerungsinstrumente, damit unwirtschaftlich geführte und für die Versorgung verzichtbare Krankenhäuser vom Netz gehen und sich die Mittel auf die guten Krankenhäuser konzentrieren können. So wird die Krise der Krankenhäuser nur verlängert, aber nicht gelöst. Woran liegt das? Die Bundesregierung hat sich mit ihrem sogenannten Reformmodell erpressbar gemacht. Die Bundeskanzlerin und die verantwortliche Ministerin wollen den Gesundheitsfonds auf Biegen und Brechen durchsetzen, und deswegen müssen sie ein Zugeständnis nach dem anderen machen. Es waren Bayern und Baden-Württemberg, die sich bereits in den Verhandlungen eine Kompensationszahlung erstritten haben. Wozu führt das jetzt? Künftig werden die Krankenversicherten in ganz Deutschland für die bessere Versorgung in Süddeutschland ebenso bezahlen wie für die überschüssigen Krankenhausbetten in Berlin. ({8}) Das setzt sich fort. Die Ärztehonorare mussten steigen, damit der Widerstand der Ärzte sinkt, ({9}) aber diese Honoraranhebungen müssen gleich flächendeckend sein, damit von dem Geldsegen auch etwas in Bayern ankommt; denn ansonsten hätte sich die dortige Landesregierung, ({10}) die bekanntlich um ihr politisches Überleben kämpft, quergestellt. Solche selbst geschaffenen Zwänge sind es, die zu der Verhandlungsniederlage der Ministerin in Sachen Krankenhausfinanzierung geführt haben. Jeder weiß: In zwei Wochen muss das Kabinett erstmals über den einheitlichen Krankenversicherungsbeitragssatz für das Jahr 2009 entscheiden. Für dessen Berechnung muss man aber wissen, wie viel die Krankenhäuser bekommen. Also brauchten die Länder ihren Verhandlungssieg doch nur zu ersitzen. ({11}) Was Sie sich geschaffen haben, Frau Ministerin, könnte man eine Form der politischen Gefangenschaft nennen, und sie ist selbst gewählt. Wir haben vorhergesagt, dass der Gesundheitsfonds mit seinem staatlich festgesetzten Einheitsbeitragssatz die Finanzausstattung der Krankenversicherung stärker vom politischen Kalkül abhängig machen wird. Dass das so schnell eintritt, haben wir uns selbst in unseren Albträumen nicht vorgestellt. ({12}) Tatsächlich wird die Bundesregierung jetzt ständig vorgeführt, von Interessengruppen ebenso wie von den Ländern. Die Kosten dieser Treibjagd werden an die Beitragszahlenden durchgereicht. Der durchschnittliche Beitragssatz wird ein Rekordniveau erreichen. ({13}) Einen vergleichbaren Sprung beim Beitragssatz, wie er zum 1. Januar 2009 zu erwarten ist, hat es in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung - daran sei noch einmal erinnert, Frau Kollegin - niemals zuvor gegeben, und das ist nur der Anfang. Ab dem Jahr 2010 wird das Stück „Der Versicherte ist immer der Dumme“ weitergespielt; denn dann soll die Finanzausstattung des Gesundheitsfonds nur noch 95 Prozent der Ausgaben der Krankenversicherung abdecken. Die restlichen 5 Prozent müssen die Versicherten über Zusatzbeiträge finanzieren. Da können die Frau von der Leyen als eine Art ehrenamtliche Gesundheitsministerin ({14}) und andere noch lange darüber philosophieren, man könne ja die Kasse wechseln, wenn es einen Zusatzbeitrag gibt: Sobald die erste große Kasse einen Zusatzbeitrag erhebt, werden alle anderen folgen. Am Ende werden es 7,5 Milliarden Euro sein, die die Versicherten zusätzlich zu tragen haben. ({15}) Zwischenzeitlich werden wir nach Scharfschaltung des Gesundheitsfonds noch sogenannte Umstellungsprobleme zu erwarten haben, die spielend die Dimension erreichen werden, die wir bei Einführung des Arbeitslosengeldes II oder der Lkw-Maut erleben mussten - allerdings mit einem großen Unterschied: Die Reformen waren sinnvoll. Das kann man vom Gesundheitsfonds aber nun wirklich nicht behaupten. ({16}) Er dient allein dazu, dass Kanzlerin und Gesundheitsministerin politisch ihr Gesicht wahren können, und das ist zu wenig für ein Projekt, das so weitreichende Folgen für die Gesundheitsversorgung von 70 Millionen Menschen hat. ({17}) Ich möchte noch ein paar Sätze zu dem vorliegenden Antrag der FDP sagen. Dieser Antrag enthält viele richtige Argumente gegen den Gesundheitsfonds: dass er den Beitragssatz zur politischen Größe macht, dass er zu einem übermäßigen bürokratischen Aufwand führt und den Wettbewerb behindert; so weit sind wir uns völlig einig, Herr Kollege Bahr. ({18}) Allerdings ärgert es uns als Grüne immer wieder, mit welcher Hartnäckigkeit die FDP auf dem krankheitsbezogenen Finanzausgleich - für die Fachchinesen: Morbi-RSA - herumhackt. Richtig ist in der Tat, dass die Koalition mit der Begrenzung auf 50 bis 80 Krankheiten einen schweren Fehler gemacht hat. ({19}) Wir haben dadurch Krankheiten erster und zweiter Klasse. Die Versicherten, die eine Krankheit haben, die nicht auf der Liste steht, Frau Widmann-Mauz, müssen befürchten, dass ihre Kasse ihnen keine guten Behandlungsangebote macht. Das ist ein ideologisch motivierter Konstruktionsfehler, der im Übrigen, Frau WidmannMauz, auf die Union zurückgeht. ({20}) Aber das ist kein Argument gegen einen krankheitsbezogenen Risikostrukturausgleich als solchen. Der ist - das will ich an dieser Stelle deutlich sagen - sinnvoll und notwendig. ({21}) Nur so kann man verhindern, dass eine Krankenkasse im Kassenwettbewerb nur deswegen scheitert, weil sie zufällig zu viele kranke und damit teure Mitglieder hat. Dafür muss es einen Ausgleich geben. ({22}) Es gibt eine andere Form des Ausgleichs - sie ist der FDP wahrscheinlich sympathischer -: Die private Krankenversicherung löst dieses Problem auf dem Rücken der Versicherten. Da zahlen diejenigen mehr, die ein entsprechendes Krankheitsrisiko haben. Die Beiträge bzw. Prämien sind nach Risiko gestaffelt. Das ist, finden wir, kein überzeugendes Prinzip. Aber selbst dann, wenn man das in der PKV für akzeptabel hält, liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP: Ihnen muss doch klar sein, dass ein solches System zur Absicherung der Gesamtbevölkerung völlig ungeeignet ist. ({23}) Wollte man nämlich verhindern, dass sich Kranke und Geringverdienende keinen Krankenversicherungsschutz mehr leisten können, müsste man die Prämien mit Steuermitteln subventionieren. Aber dann träte die von Ihnen beim Gesundheitsfonds zu Recht kritisierte Politisierung der Finanzausstattung des Gesundheitswesens erst recht ein. Über diesen Widerspruch sollten Sie einmal nachdenken. ({24}) Es macht also Sinn, den Ausgleich der unterschiedlichen Krankheitsrisiken zwischen den Kassen und nicht zwischen den Versicherten zu organisieren. Dabei geht es beim Morbi-RSA. Deswegen, meine Damen und Herren, sind die Grünen gegen den Gesundheitsfonds, aber für einen krankheitsbezogenen Finanzausgleich. Danke schön. ({25})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette WidmannMauz für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Seit’ an Seit’, so sieht man sie in letzter Zeit schreiten: nicht nur im Parlament, sondern auch durch das Brandenburger Tor. So war es wieder am gestrigen Tag bei der Demonstration gegen das Gesundheitswesen und gegen den Gesundheitsfonds. ({0}) Ich spreche von der Linken, den Nachfolgekommunisten, und einer Partei, die sich FDP nennt. ({1}) Heute legt uns die FDP einen Antrag vor, der ein Sammelsurium von altbekannten Vorurteilen enthält, wenn auch ein bisschen neu gemischt. Sie haben sich wenigstens noch die Mühe gemacht, den Titel zu ändern. ({2}) Früher hieß es „Den Gesundheitsfonds stoppen“, jetzt heißt es „Gesundheitsfonds … nicht einführen“. Da haben Sie sich viel Mühe gegeben. Das haben sie kurz vor der bayerischen Landtagswahl ausgeworfen. Welch ein Zufall in diesem Land! ({3}) Haben Sie eigentlich noch nicht bemerkt, dass sich die Kassen längst mit dem Fonds arrangiert haben? Die Kassen machen längst das, was Sie früher für richtig gehalten und gefordert haben. Sie stellen sich dem neuen Wettbewerb und nutzen die neuen Möglichkeiten. Auch die Bürgerinnen und Bürger, allen voran die bayerischen Wähler, die Sie heute besonders ansprechen wollen, wissen längst, dass der Gesundheitsfonds kommt, und beschäftigen sich mit völlig anderen Fragen. ({4}) - Ja, passen Sie einmal auf. Mit Ihren Fragen beschäftigen sie sich gar nicht. ({5}) Sie wollen wissen, was auf sie zukommt: ob ihre gesundheitliche Versorgung gesichert bleibt, ob der Hausarzt in dem Dorf, in dem sie leben, noch einen Nachfolger findet und ob ihre Kasse die Kosten einer Behandlung auf dem neuesten medizinischen Stand auch weiterhin finanzieren kann. Diese Fragen beschäftigen die Menschen. Mit diesen Fragen haben Sie sich aber heute Vormittag überhaupt nicht auseinandergesetzt. ({6}) Mit Ihren Kampfparolen aus längst vergangenen Zeiten bleiben Sie jegliche Antwort schuldig. Dies zeigt mir ganz deutlich: Ihnen kann man ein so existenziell wichtiges Thema schlicht nicht anvertrauen. ({7}) Wir sollten uns lieber den künftigen Herausforderungen im Gesundheitswesen stellen. Wir tun dies. Wenn Sie weiterhin schmollend in der Ecke sitzen und Ihren Trotz ausleben wollen, dann tun Sie es, bleiben Sie sitzen. ({8}) Mit der Einführung des Fonds zum Jahreswechsel werden wir die Budgetierung der ärztlichen Leistungen beenden. Die niedergelassenen Ärzte erhalten 2,7 Milliarden Euro mehr an Vergütung. Damit kehren nach 16 Jahren die Prinzipien der Leistungsgerechtigkeit und Verlässlichkeit bei der Honorierung wieder in die Praxen zurück. Dadurch stärken wir die Freiberuflichkeit. Das sind die Grundlagen, die geschaffen werden müssen, damit das, was uns wichtig ist, auch weiterhin funktioniert. Es stimmt überhaupt nicht, Kollegin Bender, dass nicht mehr Geld in die Versorgung gelange. Sie kennen doch die Verträge, die abgeschlossen wurden und die insbesondere darauf abzielen, die Versorgung zu verbessern, die Wartezeiten in den Praxen zu verringern und sogar Sprechstunden in den Abendstunden anzubieten. ({9}) Das sind doch die Verbesserungen in der Versorgung, die bei den Patientinnen und Patienten ankommen. ({10}) Wir sichern damit die flächendeckende medizinische Versorgung mit Praxen und Krankenhäusern auch in strukturschwachen Regionen, und zwar auch dort, wo niedrige Beiträge die Versorgung erschwert haben, wie es etwa in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit der Fall ist. Einheitlicher Orientierungswert bei der ärztlichen Honorierung bedeutet: Für die gleiche medizinische Leistung wird auch endlich der gleiche Preis gezahlt, egal wo sie in Deutschland erbracht wird. Die Konvergenzklausel sichert Leistungserbringer für eine Übergangszeit bei historisch gewachsenen und strukturell bedingten höheren Kostenstrukturen ab. Auch das ist wichtig. Mit einem zusätzlichen Krankenhausfinanzierungspaket hat die Bundesregierung in dieser Woche den Weg für eine Übernahme von 50 Prozent der Kosten durch die Tariflohnsteigerungen im Krankenhaus freigemacht. Mit dem Programm für mehr Pflegekräfte wird die Einstellung von 21 000 zusätzlichen Pflegekräften unterstützt. Der Sanierungsbeitrag der Krankenhäuser wird aufgehoben, und ab dem Jahr 2011 soll der Budgetdeckel, also die Anbindung an die Grundlohnrate, endlich wegfallen und durch sachgerechte Kostenkriterien neu definiert werden. ({11}) Das alles bedeutet, dass 3 Milliarden Euro zusätzlich für die Krankenhausversorgung in unserem Land ausgegeben werden. Mit der Einführung des Gesundheitsfonds werden die Krankenkassen erstmals auch keine Schulden mehr haben. Das ist doch ein echter Beitrag zur Generationengerechtigkeit. Das heißt, in Zukunft werden Beiträge wieder für echte Leistungen und nicht für Schuldentilgung oder Schuldzinsen eingesetzt. ({12}) Unter Einbeziehung der Kostensteigerungen bei Arzneimitteln und der Erhöhung der Leistungen für Prävention und Rehabilitation liegt ein Gesamtpaket mit einem Umfang in Höhe von fast 8 Milliarden Euro für eine bessere medizinische Versorgung vor. Das ist auch der Grund, warum im nächsten Jahr der durchschnittliche Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung ansteigen wird. Das hat nun wirklich überhaupt nichts mit der Einführung des Gesundheitsfonds zu tun. Wer das verschweigt, obwohl er es besser weiß, der täuscht die Versicherten vorsätzlich und will wohl den Beschäftigten im Gesundheitswesen die besseren Arbeitsbedingungen und den Patientinnen und Patienten sowie Versicherten die bessere Versorgung vorenthalten. In Ihrem Antrag haben Sie heute keinen einzigen Vorschlag unterbreitet, wie Sie mit den wachsenden medizinischen Herausforderungen umgehen und wie Sie sie finanzieren wollen. Deshalb müssen Sie sich auch immer wieder fragen lassen, wie Ihre Alternativen aussehen. Neue Zwangsrabatte, neue Budgets, Leistungsausschluss, Leistungsrationierung, höhere Zuzahlungen, sind das Ihre Vorstellungen, um das Gesundheitswesen der Zukunft zu steuern? Wir lassen es Ihnen jedenfalls nicht durchgehen, wenn Sie morgens bei der Demo vor dem Brandenburger Tor schreien, der Deckel muss weg ({13}) um das zu bewerkstelligen, berufen Sie sich ja gerne auf ominöse Wunderpapiere, die angeblich irgendwo im Hochsicherheitstrakt der Parteizentrale aufbewahrt werden -, und dann am Nachmittag, nachdem andere den Deckel weggeräumt und die Budgetierung beendet haben, die höheren Beiträge kritisieren. Diese Arbeitsteilung lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({14}) Wir wissen, dass wir für Gesundheit mehr tun müssen, im persönlichen Verhalten, aber auch finanziell. Wir wissen aber auch, dass „nur teuer“ nicht gleich „immer besser“ ist. Vielmehr lohnt es sich nun auch, die Kräfte des Wettbewerbs für eine effiziente Versorgung zu mobilisieren und sich auf die Menschen zu konzentrieren, für die die gesetzliche Krankenversicherung einmal geschaffen worden ist, nämlich für Kranke. Der Fonds bewirkt dieses Mehr an Wettbewerb, einen Wettbewerb vor allen Dingen um bessere Behandlungsprogramme und bessere Behandlungsstrukturen, insbesondere für chronisch kranke Menschen. Der gut geführte, angemessen versorgte und behandelte Patient als Mithandelnder gerät doch jetzt in den Mittelpunkt des Kasseninteresses. Doppeluntersuchungen und Fehlbehandlungen zu vermeiden, Patientenmotivation zu stärken, ihre Beteiligung zu fördern, die Abstimmungsprozesse im System zu verbessern, all das zahlt sich in Zukunft aus; denn genau für die so versorgten Patienten erhält die Krankenkasse in Zukunft unter dem Strich mehr an Zuweisungen, als diese an Ausgaben produzieren. Das bisherige Objekt der Begierde, also der gesunde, junge Gutverdiener ohne Familienanhang, wird an Attraktivität verlieren. Auf ihn abzielende Marketingstrategien werden sich in Zukunft nicht mehr rechnen. In modernen Behandlungsmethoden, intelligenten und effizienten Versorgungsstrukturen mit wenigen Schnittstellen, guter Beratung und guter Betreuung und damit geringeren Folgekosten liegt die Zukunft der Krankenkassen und der Vorteil für die Patienten. Richtig ist, dass nicht jede Kasse für diesen Leistungs- und Qualitätswettbewerb gleich gut gerüstet ist. Das Mehr an Transparenz, für das jetzt gesorgt wird, fördert das auch deutlich zutage. Das haben im Laufe dieses Jahres auch so manche Kassenmanager gemerkt. Während die einen - das konnten wir heute auch wieder erleben - das Unvermeidbare am liebsten auf Protestkundgebungen, in Podien oder Foren immer neu problematisieren und am liebsten wegdiskutieren wollen, haben sich andere längst an die Arbeit gemacht, sei es durch interne Umstrukturierungen, neue Vertragsverhandlungen und Ausschreibungen oder auch durch strategische Kassenzusammenschlüsse. Aber auch hier passt es nicht zusammen, stets die überbordende Bürokratie und die hohen Verwaltungskosten zu beklagen und dann Fusionen mit dem Stichwort „Einheitskasse“ abzutun. Sieben Spitzenverbände hatten weniger Kompetenz als der eine neue Spitzenverband, und die sieben Spitzenverbände haben deutlich mehr Personal gebraucht, um dieselbe oder weniger Arbeit zu leisten, als es heute der eine Spitzenverband kann. ({15}) Das sind praktische Vorschläge zur Entbürokratisierung, nicht aber Ihr Gebrüll, das Sie heute Vormittag wieder an den Tag gelegt haben. Wir machen uns an die Arbeit. Die Debatte um die Umsetzung und die Fragen, die die Menschen beschäftigen, macht Sinn, Ihr Antrag auf jeden Fall nicht. Wir lassen uns durch Ihre Schmollhaltung nicht von der Arbeit und auch nicht davon abhalten, an unserem Konzept, dem überzeugendsten, einer solidarischen Gesundheitsprämie, weiterzuarbeiten und es zu verwirklichen. Herzlichen Dank. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Heinz Lanfermann. ({0})

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst einmal ganz ausdrücklich bei fast allen Vorrednern dafür bedanken, dass sie sich so intensiv mit der FDP beschäftigt haben. In der Tat wird es bis zur nächsten Bundestagswahl genügend Gelegenheiten geben, über unsere Vorstellungen von einem Gesundheitssystem, das allen Menschen die beste Versorgung bringen kann, zu debattieren. Dieses soll allerdings die Elemente Selbstbestimmung, Wahlfreiheit und Selbstverantwortung enthalten. ({0}) Unterlagen dazu schicken wir Ihnen gerne zu, weil hier manches falsch zitiert oder verstanden worden ist. ({1}) Über eines wollen wir uns gar nicht beschweren: Hier ist deutlich gesagt worden, was man will. Frau Schmidt hat ganz klar gesagt: Der Fonds kommt. ({2}) Frau Widmann-Mauz und andere haben gesagt: Der Fonds kommt. - Auch die CDU und die CSU sagen dies. Insofern verwundert mich Folgendes: Wir haben Ihnen eine einfache Frage gestellt: Wollen wir die Einführung verschieben, ja oder nein? - Dann lassen Sie uns doch darüber abstimmen. ({3}) Wo ist denn das Problem? Warum können Sie nicht das, was Sie sagen, auch durch einfaches Heben der Hand visuell verdeutlichen? Dann würden es die Menschen im Lande nämlich sehen. ({4}) - Dann stimmen wir gleich darüber ab. Dann ist es ja in Ordnung. ({5}) Mehr wollen wir ja gar nicht. Sie sollen nur zu dem stehen, was Sie wollen. ({6}) Meine Damen und Herren, Frau Schmidt hat gesagt, die Sache mit dem Bürokratiemonster sei völliger Unsinn, das sei alles falsch. Na ja, wir haben den Altkanzler Schröder zitiert, der vom Bürokratiemonster gesprochen hat; übrigens haben viele andere Kolleginnen und Kollegen - auch aus der SPD und der CDU - genau dieses Wort gebraucht. Wenn Sie uns jetzt weismachen wollen, das stimme nicht, dann stehen Sie nicht dazu. Sie reden immer nur über das, was draußen Eindruck machen soll; Sie reden nicht über das, was Sie zu verantworten haben. Darin sind Sie ganz großartig: Sie bemängeln Sachen, die Sie selber auf den Weg gebracht haben. Sie stehen doch seit sechs Jahren für eine Politik, die den Menschen sagt, dass sie die Kasse gefälligst wechseln sollen, wenn sie ihnen nicht gefällt oder zu teuer wird. Das haben die Menschen jetzt getan, und nun sagen Sie: Schaut einmal, die AOK Saarland hat so viele Rentner und so wenige Mitglieder, die höhere Beiträge zahlen. - Ja gut, das haben Sie gewollt. Das ist Wettbewerb. ({7}) Sie sehen doch einen Risikostrukturausgleich vor, in dem gerade das Alter berücksichtigt wird. Dann gestalten Sie den Risikostrukturausgleich doch anders. Dafür brauchen Sie doch keinen Fonds, in den die Gelder eingezahlt werden, damit sie später wieder ausgezahlt werden. ({8}) Heute gehen Sie gar nicht - das verschweigen Sie, aber es ist ein wichtiges Thema - auf die Bürokratie ein. Sie wissen ganz genau: Für 73 Millionen Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland müssen Konten eingerichtet werden, die es bisher nicht gab. Bisher zahlten nur die Arbeitgeber ein. Dann ist das Geld da, und dann werden die Kosten bezahlt. Es gibt aber keine Einzelkonten für die Versicherten. Von den 73 Millionen Versicherten sind 51 Millionen selbst versichert, der Rest ist mitversichert. Also braucht man 51 Millionen Konten. Jetzt sagt der AOK-Bundesverband - also nicht die FDP und auch nicht deren Propagandaabteilung -, dass ein Konto 2,50 Euro pro Kopf und Monat kostet. Das ist auch nachvollziehbar, wenn Sie einmal überlegen, was Ihr Bankkonto kosten kann. Wenn ich 2,50 Euro mal 51 Millionen auf die Schnelle richtig gerechnet habe, kommt man immerhin auf einen Betrag von 125 Millionen Euro im Monat. ({9}) Das kann man mal zwölf nehmen, um einen Jahresbetrag zu bekommen. Dann ist man bei 1 500 Millionen Euro. Man kann auch sagen: 1,5 Milliarden Euro. Da der Beitragssatz immer um 0,1 Prozent steigt, wenn man 1 Milliarde Euro mehr Ausgaben hat, dürften das 0,15 Beitragspunkte sein. Berücksichtigen Sie das bitte in den nächsten Tagen, wenn Sie für ganz Deutschland den Beitragssatz für die Krankenkasse festsetzen wollen. Auch Sie, Herr Zöller, müssen dann bei Ihren Kalkulationen noch etwas drauflegen. ({10}) Es soll niemand sagen, er habe es nicht gewusst und habe es nicht gehört. Sie müssen auch diese Bürokratiekosten einrechnen. Wenn Ihnen das aber zu kompliziert ist oder Ihnen die Zahlen zu hoch sind, dann machen Sie es andersherum: Für Prävention, Ihr Lieblingsthema, geben Sie im Jahre 2008 etwa 2,80 Euro pro Versicherten aus - nicht pro Monat, pro Jahr. Dazu kommen noch 60 Cent oder 70 Cent für Selbsthilfe. Das ist auch ein edles Motiv, ein edles Ziel. Das macht zusammen ungefähr 3 Euro oder 3,50 Euro. ({11}) Es sind jedenfalls über 3 Euro im Jahr.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich muss Sie darauf hinweisen, dass Sie etwas schneller rechnen müssen, weil die Redezeit abgelaufen ist.

Heinz Lanfermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002717, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin sofort fertig, Frau Präsidentin. ({0}) 30 Euro im Jahr für neue Verwaltungskosten, nämlich zwölfmal 2,50 Euro, aber nur 3,50 Euro für Prävention und Selbsthilfe. Mehr als achtmal so viel Geld, wie Sie für Prävention und Selbsthilfe ausgeben, verschwenden Sie für die neue Bürokratie. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die SPD-Fraktion. ({0})

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, Herr Lanfermann hat eben eindrucksvoll vorgeführt, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt ist. ({0}) So gut, wie es um die Rechenkünste der FDP bestellt ist, so gut ist es auch inhaltlich um die Künste der FDP bestellt, denn der Antrag, den Sie vorgelegt haben und den wir heute debattieren, ist genauso schlicht, wie er schlicht untauglich ist, liebe Kollegen und Kolleginnen. Sie wollen mit Ihrem Antrag - was Sie wollen, sieht man eigentlich erst in der Begründung - die Ungerechtigkeiten, die es im heutigen System gibt, nicht nur festschreiben, sondern Sie wollen sie sogar noch verstärken. Sie tun das alles nach dem Motto: Allen wohl und keinem wehe. Das hat man auch gestern gesehen: bei der Demo mitmarschieren und sich gleichzeitig an anderer Stelle für Beitragssatzsenkungen aussprechen. Das passt alles nicht zusammen. ({1}) Sie können nicht den einen mehr Geld versprechen und auf der anderen Seite sagen, aber die Beiträge müssen sinken. Wenn Sie den einen mehr Geld geben wollen und den anderen nur eine geringere Beitragslast zumuten wollen, müssen Sie auch sagen, welche Leistungen Sie aus dem Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ausgliedern wollen. Das tun Sie aber nicht. Sie sagen in Ihrem Präsidiumsbeschluss, dass die Leistungen auf das medizinisch Notwendige beschränkt werden sollen. Ja, was ist denn das medizinisch Notwendige? Sie tun ja so, als sei das, was heute von der gesetzlichen Krankenkasse bezahlt wird, alles nicht medizinisch notwendig. Heißt das, dass ältere Menschen vielleicht keine Hüftgelenksoperation mehr bekommen? Heißt es das? Ist es das, was Sie unter „nicht medizinisch notwendig“ verstehen? ({2}) Dann legen Sie die Karten doch endlich einmal auf den Tisch, und sagen Sie, was Sie wollen! ({3}) Außerdem wollen Sie keinen vernünftigen Risikostrukturausgleich. Sie wollen sogar hinter den Status quo noch zurück. Was bedeutet das denn? Das bedeutet, dass die Kassen, die heute - nicht, weil sie es sich ausgesucht haben, denn die Kassen können sich ihre Versicherten nicht aussuchen; die gesetzlichen Krankenkassen müssen jeden, der Zugang zur gesetzlichen Krankenkasse hat, aufnehmen - einen hohen Anteil von Geringverdienern versichert haben, die wenig freiwillig Versicherte haben, die viele kranke Menschen versichert haben, für die sie ein gutes Versorgungsangebot haben, ihre Beiträge noch weiter erhöhen müssten, während andere, die Internetkrankenkassen sind, die bestenfalls irgendwo eine Geschäftsstelle haben und ansonsten nur per Telefon und Internet zu erreichen sind, ihre Beiträge sogar noch absenken könnten. Mit einem solidarischen Gesundheitssystem und einer guten medizinischen Versorgung hat das überhaupt nichts zu tun. ({4}) Sie sollten wirklich noch einmal in sich gehen, auch bezüglich der Frage, inwieweit von der solidarischen Fi19276 nanzierung der Krankenversicherung in Deutschland abgegangen werden soll. Sie fordern auch, mehr Kapitaldeckungselemente in die Krankenversicherung zu bringen. Ich frage mich: Was wäre passiert, wenn wir einen noch höheren Anteil an privater Vorsorge in dem gesetzlichen System der Krankenversicherung gehabt hätten und das Geld bei der Finanzkrise plötzlich „puff!“ gemacht hätte? ({5}) - Herr Bahr, Sie wissen genauso gut wie ich, dass die Krankenkassen im nächsten Jahr schuldenfrei sein werden, ({6}) dass auch regional tätige Krankenkassen in Ländern, in denen die FDP Regierungsverantwortung mitträgt, von der Landesaufsicht mit in die Verschuldung getrieben worden sind. Keine Partei und keine Regierung kann sich davon freisprechen, mit dem Ziel, die Beitragsstabilität zu erhalten, einige Krankenkassen in die Schulden getrieben zu haben. ({7}) Damit haben wir jetzt aber Schluss gemacht. ({8}) Hinzu kommt, dass wir mit dem Fonds den Risikostrukturausgleich verbessern. ({9}) - Natürlich. - Mehr Krankheiten werden ausgeglichen. Das heißt, Kassen, die mehr kranke Versicherte haben, bekommen mehr Geld zugewiesen, damit die dadurch entstehenden zusätzlichen Kosten ausgeglichen werden. ({10}) Wir hätten es allerdings besser gefunden, wenn es keine Begrenzung auf 50 oder 80 Krankheiten gegeben hätte. Wenn es nach Ihnen ginge, wären vielleicht Alter und Geschlecht Kriterien, aber damit hätte sich die Sache auch schon. Das trägt aber überhaupt nicht. Das würde zu einer Verschlechterung der Versorgung führen. ({11}) - Herr Bahr, schreien Sie doch nicht so dazwischen! Stellen Sie eine Zwischenfrage! Die beantworte ich Ihnen dann gerne. ({12}) Ich muss sagen: Im Zweifel kann ich etwas lauter reden als Sie. Die Tatsache, dass Sie hier so rumschreien, zeigt, dass ich Ihren Nerv getroffen habe. ({13}) Wir haben auch einen besseren Finanzkraftausgleich. Heute haben wir einen Finanzkraftausgleich von nur 92 Prozent, künftig wird er 100 Prozent betragen. ({14}) In Zukunft wird es also keine Rolle mehr spielen, wie viel ein Krankenversicherungsmitglied verdient. Das Geld wird gerecht zwischen den Krankenversicherungen aufgeteilt werden. Wenn man sich die Unterschiede bei den Beitragssätzen anschaut, stellt man fest, dass die Bandbreite sehr groß ist. Da Sie immer auf die billigen Internetkrankenkassen abstellen - Frau Schmidt hat eben ja auch die AOK Saarland und die IKK Südwest-Direkt angesprochen - möchte ich sagen: Diese Änderung hat eine weitere Folge, die für Ihre Klientel nicht so ganz günstig ist. Wenn ein Versicherter im Saarland, in Hessen oder in Rheinland-Pfalz von der AOK zur IKK Südwest-Direkt wechselt, dann spart er zwar Geld, aber seine Ärzte bekommen auch weniger Honorar. Warum? Weil die IKK Südwest-Direkt weniger in den KV-Topf einbezahlt. Das heißt, der Arzt, der den Patienten Müller oder die Patientin Schmidt behandelt, bekommt für die gleiche Leistung beim gleichen Patienten weniger Geld, und zwar nur, weil ein Krankenkassenwechsel stattgefunden hat. ({15}) Auch dieser Zustand wird mit der Gesundheitsreform beendet. Künftig wird für gleiche Leistung auch gleiches Geld bezahlt. Deshalb sind die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds gerecht. ({16}) Im anstehenden Gesetzgebungsverfahren werden wir darauf drängen, dass auch die Verwaltungskosten gerecht ausgeglichen werden. Im Regierungsentwurf ({17}) haben wir folgende Verteilung der Verwaltungskosten: zu 50 Prozent morbiditätsorientiert und zu 50 Prozent an der Mitgliedschaft orientiert. Wir möchten, dass sich die Kassen um ihre kranken Versicherten kümmern und Beratungsangebote vorhalten. Wenn ich nur Mitglieder habe, die gesund sind und Geld bezahlen - das ist ein Gesetz der Logik -, habe ich weniger Verwaltungsaufwand, als wenn ich Mitglieder und Versicherte habe, die krank sind, die Beratung, gute Versorgung und ein gutes Versorgungsmanagement brauchen. Deshalb sind wir der Überzeugung, dass die Aufteilung in 70 Prozent morbiditätsorientiert und 30 Prozent orientiert an der Versichertenzahl die bessere Lösung ist. Diese Auffassung teilen wir übrigens mit 16 Bundesländern; zwei Bundesländer haben sich bei der Abstimmung im Bundesrat enthalten. Ich hoffe, dass die Unions-Bundestagsfraktion da ihre Blockadehaltung aufgibt und mit uns für einen besseren Wettbewerb um die beste medizinische Versorgung, die beste Betreuung der Mitglieder und nicht um die pflegeleichtesten Versicherten eintritt. ({18}) Der nächste Punkt, den ich noch ansprechen möchte, ist der Beitragssatz. Wir haben in den letzten Wochen und Monaten teilweise unsinnige Diskussionen erlebt. Es wurde behauptet, höhere Beiträge seien auf den Gesundheitsfonds zurückzuführen. Das ist natürlich blanker Unsinn. - Sie schütteln den Kopf; daran merkt man, dass Sie kein Experte sind. ({19}) - Ach, die Liquiditätsreserve. Herr Bahr, wenn ich im nächsten Jahr mehr Ausgaben habe als in diesem Jahr, würden auch im jetzigen System die Beiträge steigen. So weit können Sie mir wahrscheinlich zustimmen. ({20}) Die Liquiditätsreserve wird beitragssatzneutral aufgebaut werden. Das ist der nächste Punkt. ({21}) - Herr Lanfermann, stehen Sie doch auf, und stellen Sie eine Zwischenfrage, oder seien Sie ruhig! Das, was Sie hier machen, ist ja wirklich unmöglich. Der Punkt ist, dass der Schätzerkreis die voraussichtlichen Einnahmen und die voraussichtlichen Ausgaben prognostizieren wird. Im Gesetz steht klar und deutlich, dass der Beitragssatz so zu bemessen ist, dass hundert Prozent der Ausgaben gedeckt werden können. Ich kann Neugierige, die darauf jetzt politisch Einfluss nehmen wollen, nur warnen. Herr Ramsauer beispielsweise hat es vor ein paar Monaten versucht nach dem Motto: die Beiträge runter. Das ist eher Populismus im Hinblick auf die bayerische Landtagswahl, als dass es mit Seriosität zu tun hat. Wir werden dafür sorgen, dass die Beiträge so bemessen werden, dass alle Leistungen finanziert werden können und dass alle Versicherten auch künftig eine gute und hochwertige medizinische Versorgung haben, die solidarisch finanziert ist. Das werden wir im nächsten Bundestagswahlkampf deutlich machen, in dem wir wieder für unser Konzept einer Bürgerversicherung werben werden. Vielen Dank. ({22})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Max Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

CSU-Politiker sind grundsätzlich der Wahrheit verpflichtet. ({0}) Verehrte Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute wiederum die Ehre, eine rückwärtsgerichtete Diskussion zu führen. ({1}) Die Abstimmung über den Gesundheitsfonds hat bereits stattgefunden. Offensichtlich hat die FDP das noch nicht kapiert ({2}) und deshalb einen Antrag gestellt. Es ist völlig klar: Das ist der bayerischen Landtagswahl geschuldet. Ich kann durchaus die Freude vom Kollegen Lanfermann verstehen, wenn er heute feststellt, dass sich so viele mit der FDP beschäftigen. Aus meinem Einsatz im Landtagswahlkampf kann ich berichten, ({3}) dass alle FDP-Heroen in unserem Stimmkreis immer nur einen Unternehmer besuchen können, weil es nur einen bekennenden FDPler gibt; es sind auch immer dieselben drei Personen dabei. ({4}) Von daher habe ich Verständnis dafür, dass er sich freut, dass der FDP heute mehr Aufmerksamkeit zuteil wird als im bayerischen Landtagswahlkampf. ({5}) Uns geht es um die hochwertige Versorgung unserer Bürgerinnen und Bürger im medizinischen Bereich. Deshalb nutzen rückwärtsgerichtete Diskussionen nicht. Es geht um die Gestaltung unseres solidarisch finanzierten gesetzlichen Krankenversicherungssystems und auch um den Stellenwert der privaten Krankenversicherung. Das ist meines Erachtens etwas Entscheidendes. Wir haben eine gute Gesundheitsreform auf den Weg gebracht. Natürlich kann man sich über verschiedene Elemente streiten. Frau Bundesministerin und die Kollegin Widmann-Mauz haben die Vorteile der Gesundheitsreform bereits dargestellt: verbesserte Pflichtleistungen für die gesetzlich Krankenversicherten, mehr Wettbewerb auf der Leistungserbringerseite, mehr Ver19278 tragsmöglichkeiten, etwa in der gesetzlichen Krankenversicherung durch Selbstbehalttarife. Das zeigt, dass im System der gesetzlichen Krankenversicherung weiterhin Wettbewerbselemente vorhanden sind. ({6}) Natürlich möchte ich auch herausstellen, dass wir es krisenfest gemacht haben, indem die Schulden abgebaut worden sind. ({7}) Schuldenabbau ist immer zum Vorteil aller Versicherten und der Gesellschaft insgesamt. Zukünftig werden noch mehr Finanzmittel über Steuermittel beigesteuert. Für diese Mittel muss die Gesellschaft insgesamt aufkommen. Das zeigt sehr deutlich, dass die Solidarität in unserer Gesellschaft mit dieser Reform gestärkt worden ist. ({8}) Ich gebe ganz unumwunden zu: Wir als CSU haben sehr vieles kritisch beäugt. Insbesondere was die Einführung des einheitlichen Beitragssatzes angeht, ist in meinem Bundesland - das haben viele Gutachter hier bestätigt; die einzelnen Wissenschaftler haben lediglich unterschiedliche Größenordnungen vorausgesagt - mit einem Beitragsmittelabfluss zu rechnen. Für uns Bayern ist das besonders bedeutsam; schließlich soll den Bürgerinnen und Bürgern in Bayern weiterhin eine hochwertige medizinische Versorgung im ambulanten wie im stationären Bereich wie bisher gewährleistet werden. Deshalb war für uns die Einführung der Konvergenzklausel wichtig. Ich möchte zugestehen: Wir haben mit dafür gesorgt, dass die Konvergenzklausel so ausgestaltet ist, wie es im politischen Sinne vereinbart worden ist. Daher haben wir Gutes für die gesundheitliche Versorgung der Bürgerinnen und Bürger geleistet. ({9}) Dasselbe gilt natürlich für die Bezahlung der Leistungserbringer im Rahmen der Honorarreform. Es kann nicht sein, dass alle Ärzte in Deutschland bis auf die in Bayern zukünftig mehr verdienen. Auch für die Ärztinnen und Ärzte in Bayern muss ein Anteil abfallen. Wichtig ist auch die Stärkung des Krankenhaussektors. Wir stehen dazu - bemerkenswert ist, dass die Frau Kollegin Bender bekrittelt hat, dass mehr Geld für die Krankenhäuser ausgegeben wird; die Kolleginnen und Kollegen der FDP bekritteln dies, obwohl sie zusammen mit den Demonstranten draußen marschieren und in diesem Hause günstige Beiträge fordern -, dass für die Bürgerinnen und Bürger weiterhin eine flächendeckende, großartige Krankenhausversorgung zur Verfügung steht. Das haben wir hier mit erreicht. ({10}) Frau Kollegin Ferner, eines möchte ich noch ansprechen. Ich möchte auf die Anhörung bezüglich der Verwaltungskosten verweisen. Sie fordern, dass die Aufteilung der Verwaltungskosten zukünftig wieder nach dem Muster „70 Prozent nach Morbidität, 30 Prozent nach Versichertenanzahl“ erfolgt. Gerade in der Anhörung hatte der ehemalige Präsident des Bundesversicherungsamtes, Herr Dr. Daubenbüchel, dargestellt, dass es für diese Aufteilung keine empirische Grundlage gibt, sondern dass - im Gegenteil - die im Gesetzentwurf der Bundesregierung verankerte Aufteilung der Verwaltungskosten „50 Prozent nach Morbidität, 50 Prozent nach Versichertenanzahl“ sehr sachgerecht ist. Wir werden die Intention der Bundesregierung weiterhin mit größter Anstrengung unterstützen. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Kollege Peter Friedrich. ({0})

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste und Zuhörer! Zunächst: Frau Staatsministerin Müller, auch von uns alles Gute für den weiteren Weg. Sie haben uns zwei Wünsche hinterlassen: Der eine war, für mehr Prävention zu sorgen, und der andere, den Strukturwandel im Krankenhausbereich voranzubringen. Ich kann Ihnen versichern: Wir von der SPDFraktion werden bei unserer Arbeit beide Wünsche nachhaltig berücksichtigen. Wir wollen ein Präventionsgesetz auf den Weg bringen, das diesen Namen auch verdient. ({0}) Außerdem wollen wir dafür sorgen, dass in den Ländern die notwendigen Investitionsmittel fließen und dass sich die Strukturen der Krankenhäuser entsprechend anpassen. Bevor ich ein paar Sätze zu dem Antrag der FDP sage, möchte ich einige Worte zu dem Beitrag von Herrn Spieth verlieren. Herr Spieth, ich kann gut verstehen, dass Sie sich an der FDP abarbeiten. Aber Sie hätten der Vollständigkeit halber schon erwähnen sollen, dass Sie gestern - abends gingen alle Reden zu Protokoll - einen Antrag eingebracht haben, in dem Sie vorschlagen, den Gesundheitsfonds nicht einzuführen. ({1}) Da Sie schon mehrere Beiträge zu diesem Thema gebracht haben, weiß ich, dass Sie das eigentlich gar nicht so sehen. Ich weiß nicht, ob Sie da überstimmt worden sind oder ob der Fachsprecher Spieth vom Lautsprecher Spieth übermannt wurde. ({2}) Aber in der Sache ist es so: Wir halten Kurs. Wir werden den Fonds einführen. Schließlich stellen sich die Bürgerinnen und Bürger ebenso wie die Kassen darauf ein; und das ist gut so. ({3}) Ich komme nun zum Antrag der FDP. Der Text selber ist kurz, aber zu Ihrer Begründung möchte ich ein paar Worte sagen. Sie schreiben im zweiten Absatz, dass der Preis ein wesentliches Element des Wettbewerbs bei den Versicherungen sei. Ich stelle fest, dass die FDP die Strukturunterschiede zwischen der gesetzlichen und der privaten Krankenversicherung offensichtlich immer noch nicht ganz nachvollzogen hat. Wenn Sie schreiben, der Preis sei das wesentliche Wettbewerbselement, dann kann ich Ihnen nur sagen: Der Preis einer Versicherung bemisst sich nach dem Risiko, das zu versichern ist. Sie wollen nach wie vor - daran halten Sie fest -, dass Risikoselektion ein Wettbewerbsinstrument ist. Das wollen wir nicht. Genau deswegen machen wir diese Reform. ({4}) Ich erinnere Sie nur an § 1 SGB V: Die Krankenversicherung ist eine Solidargemeinschaft. Sie ist kein Element der Risikoselektion. Sie schreiben im nächsten Absatz, dass der einheitliche Krankenversicherungsbeitrag dazu führen werde, dass „Forderungen nach mehr Steuergeld“ kämen. Ich sage Ihnen: Ich bin froh darüber, dass wir endlich im politischen Raum gleiche Bedingungen bei der Frage haben: Gehen wir in die Beitragssätze, oder nehmen wir Steuergeld? ({5}) Wir sind der Auffassung - diese Meinung teilt der überwiegende Teil dieses Hauses -, dass die Versicherung eben nicht allein an den Faktor Arbeit gekoppelt sein darf, sondern dass wir gerade für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben mehr Steuergeld in die Hand nehmen wollen. Das kritisieren Sie. Aber genau das ist unser Wille und Wunsch: Wir wollen in der Krankenversicherung mehr Steuermittel einsetzen. ({6}) Ich als Gesundheitspolitiker betrachte deswegen die Debatte um den Arbeitslosenversicherungsbeitrag mit einer gewissen Sorge; das sage ich ganz offen. In den Sozialversicherungen haben wir zum Teil kommunizierende Röhren. Es kann nicht sein, dass wir in einem Bereich die Beiträge immer weiter absenken, während gleichzeitig Geld aus der GKV in die Arbeitslosenversicherung fließt und wir umgekehrt bei der gesetzlichen Krankenversicherung mit höheren Beitragssätzen zu rechnen haben, weil die Zuweisungen aus der Arbeitslosenversicherung nicht ausreichen. ({7}) Das kann dauerhaft nicht ernsthaft gewollt sein, und zwar allein deswegen, weil der Arbeitslosenversicherungsbeitrag nur von denen gezahlt wird, die im Beschäftigungsleben stehen, während der Krankenversicherungsbeitrag auch von den Rentnerinnen und Rentnern erbracht werden muss. Deswegen müssen wir auch hier für einen vernünftigen Ausgleich sorgen. Wir können nicht auf der einen Seite die Beiträge immer weiter absenken, wenn sich das dann bei der GKV negativ auswirken würde. Ich bin froh, dass wir in der Koalition gemeinsam für eine Lösung streiten. In Ihrem Antrag kommen Sie dann im Weiteren dazu, was Sie eigentlich umtreibt. Es geht Ihnen schon lange nicht mehr um die Frage, wie die Einnahmen aufgeteilt werden. Vielmehr geht es Ihnen um den Risikostrukturausgleich; die Kollegin Ferner hat das schon ausgeführt. Sie wollen nicht, dass die Kassen das Geld bekommen, um die Kranken zu versorgen. ({8}) Das ist nicht Ihr eigentliches Ziel. Dagegen gehen Sie immer wieder vor. ({9}) Das wird auch ganz deutlich, wenn Sie schreiben: Der Risikostrukturausgleich wird zu einem „allumfassenden Zuteilungssystem“ ausgeweitet. Das kritisieren Sie. Wir aber wollen das. Wir wären gerne noch ein Stückchen weitergegangen; aber wir sind hier auf einem guten Weg. ({10}) Auf der zweiten Seite der Begründung kommen Sie dann dazu, die Kassen würden in Zukunft nicht mehr darauf achten, den Versicherten ein überzeugendes Preis-Leistungs-Verhältnis anzubieten. Ich sage Ihnen: Wenn Sie glauben, Gesundheit könne man allein als ein Produkt, als eine Ware definieren, die dann ihren Preis auf einem Markt im freien Spiel der Kräfte findet, dann entsolidarisieren Sie die Gesellschaft auf einem wichtigen Feld, nämlich dort, wo es um die persönlichen Risiken der Menschen geht. Wir haben dafür gesorgt - es macht uns noch einige Mühe, hier die gesetzlichen Feinjustierungen vorzunehmen -, dass Kassen in Zukunft bei der Organisation der Leistungen für die Versicherten vernünftige Instrumentarien haben und Verträge abschließen können, dass sie indikationsbezogene Versorgungsmodelle anbieten und ganze Versorgungsketten entwickeln können, um optimale Leistungen für ihre Versicherten zu sichern. Das ist die Qualität des Wettbewerbs, den wir in Zukunft haben werden, also eine optimale Versorgung der Versicherten. Es geht eben nicht um das Preis-Leistungs-Verhältnis anhand der Ware Gesundheit. ({11}) Zum Schluss noch ein Wort zu den regionalen Besonderheiten. Wir haben eben einen Beitrag zum Thema Konvergenzklausel gehört. Wir sind froh, dass wir die Forderungen aus der Bayerischen Staatskanzlei samt denen zum Transrapid beiseitelegen können und jetzt zu einer vernünftigen Methode bei der Konvergenz kommen. Mein Wahlkreis liegt am Bodensee. Dort gibt es eine sehr hohe Versorgungsdichte; das ist für uns wichtig und wertvoll. Gleichwohl muss ich sagen: Es kann nicht angehen, dass es weniger wert ist, die Erkältung, mit der ich mich zurzeit herumplage, hier in Berlin auszukurieren, als wenn ich sie in Konstanz auskurieren würde. ({12}) Das kann nicht ernsthaft der Anspruch eines solidarischen Systems sein. Wir müssen den regionalen Besonderheiten gerecht werden. Beim Honorierungssystem tun wir das. Ihnen kann aber doch nicht egal sein, ob die Menschen, wie es in meinem Wahlkreis der Fall ist, fünf Minuten bis zu ihrem Hausarzt brauchen, oder ob sie, wie in der Uckermark, eine Dreiviertelstunde bis zu ihrem Arzt brauchen. Das kann Ihnen doch nicht ernsthaft gleichgültig sein! ({13}) Mit dem Gesundheitsfonds gewährleisten wir zum ersten Mal einen 100-prozentigen Einkommensausgleich. Damit vollenden wir die soziale innere Einheit Deutschlands. Ich bitte Sie, das immer mitzubedenken. Das ist für die Länder, die mehr hätten leisten müssen - das sind in diesem Fall die grundlohnsummenstarken Länder -, immer mühsam. ({14}) Ihnen muss man das erklären. Sie machen das auch nicht gerne. Wenn man am Prinzip der Solidargemeinschaft festhalten will, ist das aber notwendig. Hier sind wir auf einem guten Weg. Darüber freue ich mich. Ich bin mir ganz sicher: Im nächsten Jahr werden sich die Menschen tatsächlich wundern. ({15}) Die ganze Zeit haben sie nämlich von Ihnen, der Opposition, zu hören bekommen, dass alles in sich zusammenbricht. Im nächsten Jahr werden sie aber feststellen, dass die Leistungen weiterhin wie gewohnt erbracht werden - in weiten Bereichen werden sie sogar ausgeweitet ({16}) und dass die Finanzierung insgesamt gerechter wird. ({17}) Daher blicke ich mit Freude auf das nächste Jahr, und zwar auch auf die Wahlauseinandersetzung. Dann werden wir sehen, wer sich um das Gesundheitssystem verdient gemacht hat und wer nicht. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin Maria Michalk für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Freuen Sie sich nicht auch, so wie ich, auf die vielen schmackhaften Äpfel, die wir im Herbst ernten können? ({0}) Sie sind sehr gesund. Was uns Menschen aber überhaupt nicht bekommt, sind Zankäpfel. ({1}) Den Gesundheitsfonds zum Zankapfel zu machen, was seit Wochen versucht wird ({2}) - das haben wir auch in dieser Debatte erlebt -, ist nicht zielführend. Der Streit lähmt die Kräfte, die wir brauchen, um dieses anspruchsvolle und zukunftsorientierte Projekt auf den Weg zu bringen. Ohne Fleiß kein Preis, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Einführung der neuen Regelungen wird nur gelingen, wenn alle, aber auch wirklich alle, ihren Teil dazu beitragen. ({3}) Die Kernfrage ist: Wie viel Geld wollen wir, will jeder einzelne von uns mit großer Freude und freiwillig für die Sicherung unseres qualitativ sehr hochwertigen Gesundheitswesens ausgeben? Die Gesundheit bzw. das Wieder-Gesund-Werden ist ein sehr wertvolles Gut und eigentlich gar nicht mit Geld zu bezahlen; hier schließe ich mich meinem Vorredner an. Gleichwohl dürfen wir uns nicht vor den Fragen der Höhe des Beitragssatzes und der solidarischen Verteilung drücken. Entweder haben wir den Elan und das Augenmaß, diese Herausforderungen Schritt für Schritt, aber konsequent zu bewältigen, oder wir kommen irgendwann, unter anderem aus demografischen Gründen, in die Phase der totalen Rationierung, die ich schon einmal erlebt habe. Mit der jetzigen Form des Gesundheitsfonds sind wir nicht am Ende des Umbauprozesses, wenn wir auf der einen Seite wettbewerbsfähig und auf der anderen Seite medizinisch gut versorgt bleiben wollen. Mich wundert der Kleinmut ob dieser großen Aufgabe. Hätten wir im Jahre 1990 auch so viel Zeit zum Zögern gehabt, dann müssten sich die Menschen in den neuen Bundesländern heute noch viel mehr mit den Folgen einer medizinischen Mangelwirtschaft auseinandersetzen, ({4}) die es trotz der fundierten Kenntnisse und der fleißigen Arbeit aller in den medizinischen Berufen Tätigen gab. ({5}) Ich erinnere nur an die Abgabe notwendiger Medikamente gegen Herzleiden nach Parteibuch, das schmale Sortiment von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln, lange Warteschlangen in den Polikliniken usw. usf. Die Krankenversicherungsbeiträge waren auch damals sehr niedrig, und das System war unterfinanziert. Viele wären nicht so früh gestorben, wenn ihnen die medizinischen Möglichkeiten unseres heutigen Gesundheitssystem zur Verfügung gestanden hätten. Aktuell müssen wir aber aufpassen. Denn der Wunsch, von der Solidargemeinschaft immer mehr zu bekommen, obwohl der zu verteilende Kuchen nicht größer wird - das haben wir gestern gehört -, ist nicht zu erfüllen. Wir verstehen den Unmut der Menschen und auch der Arbeitgeber in den Regionen, in denen sich die Beitragssituation der örtlichen Kassen dank vollzogener realer Anstrengungen beim Abbau der Anzahl an Krankenhausbetten und hinsichtlich der Mehreinnahmen durch den RSA in solidarischer Gemeinschaft, um nur zwei Faktoren zu nennen, derzeit ausgesprochen günstig gestaltet und in denen dem höheren einheitlichen Beitrag mit Stirnrunzeln entgegengesehen wird. Wenn alles wunderbar ist, dann haben die betroffenen Krankenkassen den Spielraum einer Beitragsrückerstattung, die wir ja ausdrücklich ins Gesetz geschrieben haben. ({6}) Ich erwarte, dass das dann auch getan wird. Dass sich heute hier und da in den neuen Bundesländern leider wieder Warteschlangen bilden - zum Beispiel zur Vergabe von neuen Terminen -, liegt in erster Linie daran, dass die ambulant tätigen Ärzte mit dem ihnen zugeteilten Finanzvolumen rund ein Drittel mehr Patienten betreuen müssen, damit die Versorgung gewährleistet wird. Manche können kaum noch neue Patienten aufnehmen; das wissen wir. Auch die für diese Leistung gezahlten niedrigen Einkommen werden nach der Einführung der neuen Honorarordnung mit Honorarzuschlägen für unterversorgte Gebiete Geschichte sein. Wer diese gesetzliche Neuregelung nicht als Fortschritt begreift, der hat nichts begriffen. ({7}) Ich erwarte, dass das neue Honorarsystem ehrlich und konsequent umgesetzt wird, und möchte nicht, dass wir in einiger Zeit feststellen müssen, dass man sich hier und da durchmogelt. ({8}) Die neue gesetzliche Möglichkeit, bei Bedarf auch Krankenhäuser für die ambulante Versorgung zu öffnen, wird schon genutzt. Die Akzeptanz - ja, die Freude - ist sehr groß, wenn es auf diese Weise gelingt, die Praxis vor Ort offen zu halten. Das hat aber auch Grenzen, wie zum Beispiel in Sachsen. In den dortigen Krankenhäusern fehlen rund 270 Mediziner, und gleichzeitig fehlen dort rund 80 niedergelassene Ärzte. Mit dem Gesundheitsfonds wird die realistische Chance geboten, eine Verteilung der Gelder unter Berücksichtigung der tatsächlichen Versorgungssituation vorzunehmen. Durch den Morbi-RSA, nach dem die Kassen in Zukunft ihre Zuweisungen erhalten, wird eine gleichmäßige, dem Alter und dem Erkrankungsgrad der Bevölkerung einer Region angepasste Verteilung des vorhandenen Geldes garantiert. Mit dem Gesundheitsfonds sichern wir eine auf Dauer angelegte Solidarleistung. Wir zögern nicht, sondern wir fangen damit jetzt an und werden uns bald mitten im Umsetzungsprozess befinden. Ich danke allen, die in den nächsten Wochen und Monaten noch sehr hart an dieser Sache arbeiten werden. Danke. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Bevor wir zur Abstimmung kommen, erteile ich Herrn Kollegen Jörg van Essen, FDP-Fraktion, das Wort zur Geschäftsordnung. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition beantragt, dass der Antrag der FDP an die Ausschüsse überwiesen wird. Dem widersprechen wir. ({0}) Ich denke, dass durch die heutige Aussprache gezeigt wurde, dass alle klar positioniert sind. Am Deutlichsten gilt das für die Linkspartei, was mir zeigt, dass wir nicht nur im klarsten Kontrast zur CSU in Bayern, sondern auch im klarsten Kontrast zu den Linken stehen. ({1}) Ich weiß gar nicht, was Sie mit der Überweisung in die Ausschüsse erreichen wollen. ({2}) Der Murks Gesundheitsfonds bleibt Murks, auch dann, wenn er noch mehrfach gequirlt wird. ({3}) In Wirklichkeit gibt es doch nur einen einzigen Grund dafür. Sie wollen die Wähler in Bayern hinsichtlich der Haltung der CSU weiter unmündig lassen. Hier erklärte der Straubinger Max, dass er die Regierungspolitik unterstützt, ({4}) und die Bundesgesundheitsministerin erklärte hier, dass sie weiterhin den Weg zur Staatsmedizin beschreiten will, während in Bayern der Eindruck erweckt wird, man sei gegen den Gesundheitsfonds. Das lassen wir nicht zu. ({5}) Es ist kein Verschiebebahnhof, sondern Klarheit für die Wähler gefragt. ({6}) Deshalb fordern wir Sie auf: Stimmen Sie heute hier ab und sagen Sie klar Ihre Auffassung. Wir sagen Nein zum Gesundheitsfonds und fordern Sie auf, das ebenfalls zu tun. Vielen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wird das Wort zur Erwiderung gewünscht? - Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann kommen wir zum Antrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9805. Wie Sie eben gehört haben, wünscht die FDP-Fraktion Abstimmung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen die Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Gesundheit und mitberatend an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie sowie an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Die Abstimmung über den Antrag auf Überweisung geht nach ständiger Übung in diesem Haus vor. Deshalb frage ich: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? Wer stimmt dagegen? - Das erste war eindeutig die Mehrheit. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir stimmen über den Antrag in der Sache heute also nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs ({0}) - Drucksache 16/10144 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin für die Bundesregierung Frau Bundesministerin Brigitte Zypries das Wort. Liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich Sie bitten, wenn Sie noch Gespräche führen wollen, dies außerhalb des Plenarsaals zu tun. ({2})

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Genau. Hier kann jeder lernen. Das ist völlig richtig, Herr Kollege. Vielen Dank für Ihre Fürsorge, Frau Präsidentin. Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute in erster Beratung den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs. Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Versorgungsausgleich ist, sage ich: Der Versorgungsausgleich bedeutet den Ausgleich der Rentenansprüche, die man während der Ehezeit erworben hat. Der vorliegende Gesetzentwurf, den wir sehr lange beraten haben, wird zu gerechten Teilungsergebnissen führen, wie wir meinen. Er ist einfach und verständlich formuliert und regelt sämtliche Rentenangelegenheiten bereits bei der Scheidung. Das ist der große materielle Vorteil. Ansonsten geht es vor allen Dingen um technische Fragen; denn das materielle Recht - also die Teilung der Versorgungsansprüche durch zwei bei Auflösung einer Ehe - wird beibehalten. Das wollen wir nicht ändern. Das Konzept, das Sie zu beraten haben, hat bereits im Vorfeld große Zustimmung gefunden - was nicht immer der Fall ist -, sowohl bei den Ländern, der Anwaltschaft, der Familiengerichtsbarkeit, den Versorgungsträgern und ganz aktuell auch beim Deutschen Juristentag in Erfurt, auf dem sich eine Abteilung mit dem Thema befasst hat. Der Versorgungsausgleich ist existenziell wichtig. Ich habe eben ausgeführt, dass die Rentenansprüche geteilt werden. Deswegen ist er für diejenigen in einer Ehe besonders wichtig, die während der Ehezeit keine eigenen Versorgungsansprüche erwerben konnten. Das sind immer noch ganz überwiegend die Frauen. Wir müssen das Recht an die Veränderungen der Versorgungssysteme anpassen. Wir müssen aber auch die Barwert-Verordnung aufheben, nach der der Versorgungsausgleich bisher errechnet wurde. Bis jetzt ist der Versorgungsausgleich allein über die gesetzliche Rentenversicherung erfolgt. Das heißt, dass alle bestehenden Ansprüche, auch aus anderen Systemen, hochgerechnet und verglichen wurden. Das hat oft zu Ungenauigkeiten geführt. Wir wollen diese Art des Ausgleiches durch drei Maßnahmen ändern. Erstens - das habe ich schon angesprochen - werden alle Versorgungsansprüche künftig geteilt, und zwar innerhalb des bestehenden Systems. Man erhält dann ein zusätzliches Konto für seine Versorgung. Dadurch entfällt die fehleranfällige Umrechnung einer Betriebsrente oder einer privaten Versicherung in Ansprüche der gesetzlichen Rente. Man hat dann zwar im Zweifelsfall vier Rentenkonten, aber die Rente wird dann vollständig in der Höhe gezahlt, die einem zusteht. Ein Umrechnen findet also nicht mehr statt. Für die gesetzliche Rentenversicherung ändert sich nichts. Denn in diesem Bereich verfahren wir bereits in dieser Weise. Die zweite Änderung besteht darin, dass man bereits bei der Scheidung alle Ansprüche vollständig ausgleichen kann. Bisher wird ein Teil der Ansprüche erst mit Eintritt ins Rentenalter fällig, was für viele mit Schwierigkeiten verbunden ist. Manche wollen 25 Jahre nach der Scheidung nicht ihrem Geld hinterherrennen. In manchen Fällen besteht auch gar kein Kontakt mehr, sodass sich keine Gelegenheit dazu ergibt. Drittens erhöhen wir durch die Änderungen die Anwenderfreundlichkeit. Dieses Gesetz bündelt alle einschlägigen Vorschriften in einem Gesetz, und zwar in einer übersichtlichen Ordnung und in einer klaren Sprache. An dieser Stelle gebührt den Berichterstattern besonderer Dank, die sich für das Projekt „Verständliche Gesetze“ eingesetzt haben und so dafür gesorgt haben, dass Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt worden sind, damit die Gesellschaft für deutsche Sprache an der Erarbeitung dieses Gesetzentwurfs mitwirken konnte. Das ist der Grund dafür, dass wir es geschafft haben, ein sprachlich doch sehr verständliches Werk vorzulegen. ({0}) Meine Damen und Herren, wir werden über Details sicherlich noch zu reden haben. Aber das Grundkonzept dessen, was wir Ihnen hier vorlegen, ist auf alle Fälle richtig; denn die Interessen aller sind berücksichtigt: die Interessen der Eheleute, die Interessen der Familiengerichte, für die es künftig sehr viel einfacher wird, den Versorgungsausgleich auszurechnen, und auch die Interessen der Versorgungsträger. Ich wünsche mir und hoffe sehr, dass dieses Gesetz zum 1. September nächsten Jahres in Kraft treten kann. Dann hätten wir nämlich einen Gleichklang mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur FGG-Reform. Das wäre, glaube ich, für die Praxis gut. Ich freue mich auch, dass wir nach der Unterhaltsrechtsreform und der Reform des Zugewinnausgleichs mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs einen weiteren Baustein in der Folge der Gesetze vorlegen können, die eine größere Gerechtigkeit beim Scheidungsfolgenrecht schaffen sollen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche gute Beratungen des Gesetzentwurfes. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-Fraktion. ({0})

Sibylle Laurischk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003580, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Strukturreform des Versorgungsausgleichs liegt uns nach dem Unterhaltsrechtsänderungsgesetz innerhalb kurzer Zeit nun schon das zweite große Reformpaket im Bereich des Familienrechts vor. Dabei klingt der Begriff „Strukturreform des Versorgungsausgleichs“ zunächst vielleicht nicht vielsagend. Aber wenn wir uns vergegenwärtigen, dass beispielsweise im Jahre 2007 in Deutschland rund 180 000 Scheidungen stattgefunden haben, dann wird deutlich, dass sich rund 300 000 Bürgerinnen und Bürger im Jahr im Rahmen von Scheidung und auch im Zusammenhang mit Entscheidungen vor der Scheidung mit dem Versorgungsausgleich konfrontiert sehen. Dabei hat sich der Versorgungsausgleich seit seiner Einführung zu einer Sicherstellung der eigenständigen Versorgung der Ehepartner nach der Scheidung grundsätzlich bewährt. Eine Reform des Versorgungsausgleichs ist dennoch dringend geboten. Die vielfältigen Probleme des geltenden Rechts sind schon angesprochen worden. Ich kenne sie aus meiner Praxis als Anwältin zur Genüge. Der vorliegende Gesetzentwurf ist vor diesem Hintergrund zu unterstützen. Er bietet für die anstehenden Probleme zum großen Teil gute Lösungen. Insbesondere den Übergang zum Verfahren der internen Teilung begrüßt die FDP-Bundestagsfraktion. Nach diesem Grundsatz ist in Zukunft jedes Anrecht innerhalb des jeweiligen Versorgungssystems zu teilen, wodurch die mit der Barwert-Verordnung zusammenhängenden Probleme der Vergangenheit angehören mögen. Betriebliche und private Anrechte können zukünftig schon bei der Scheidung abschließend aufgeteilt werden. Anwartschaften auf der Grundlage von Entgeltpunkten West und Entgeltpunkten Ost können dann durch eine vollständige Neuformulierung gesondert ausgeglichen werden. Durch die Gliederung des Gesetzes wird die Übersichtlichkeit und Verständlichkeit wiederhergestellt. Positiv hervorzuheben ist auch die größere Gestaltungsfreiheit für Eheleute, Familiengerichte und Versorgungsträger. Im Rahmen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens und einer Sachverständigenanhörung des Rechtsausschusses wird jedoch mit Sicherheit noch über einzelne Punkte zu diskutieren sein, von denen ich einige kurz ansprechen möchte. Durch die Reform darf es mit Blick auf den ausgleichsberechtigten Partner nach Ansicht der FDP-Bundestagsfraktion zu keiner merklichen Verschlechterung der Absicherung kommen. Dies muss bei der Reform des Versorgungsausgleichs Priorität haben. Zunächst sei in diesem Zusammenhang auf das Problem der Invaliditätsversorgung hingewiesen, auf das auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme aufmerksam macht, in der er die unterschiedlichen Definitionen der Invalidität in den einzelnen Versorgungssystemen hervorhebt. Doch auch die mögliche Kompensation des Invaliditätsschutzes muss noch einmal genauer betrachtet werden, da dieser nur wertmäßig zu kompensieren sein kann. Insoweit handelt es sich um eine Beschränkung des Risikoschutzes. Die Entscheidung über diese Beschränkung des Risikoschutzes trifft dann auch noch der Versorgungsträger. Hier ist sicherlich noch Beratungsbedarf. Grundlage der internen Teilung ist, dass jeder Ehegatte nach der Scheidung eigene Anrechte erwirbt. Wie solche Verträge dann zu teilen sind, wird nur ansatzweise vorgegeben, und die Versorgungsträger erhalten einen großen Spielraum, wonach die ausgleichsberechtigte Person ein vergleichbares Anrecht erhält. Ob es hier weiterer Konkretisierungen bedarf, ist noch offen. Nach dem Gesetzentwurf wird der Versorgungsausgleich bei einer Ehe von bis zu zwei Jahren Dauer grundsätzlich ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss ist nach Einschätzung der FDP-Bundestagsfraktion durchaus erwägenswert; denn innerhalb der ersten Jahre hat noch keine starke versorgungstechnische Verflechtung zwischen den Ehepartnern stattgefunden. Ob die Ausgleichsbeträge in den ersten Jahren tatsächlich so gering sind, dass sie keine entscheidende Rolle spielen, muss bei der Sachverständigenanhörung noch näher geprüft werden. Warum sich dieser Zeitraum nicht auf drei Jahre erstreckt, wie noch im Referentenentwurf vorgesehen, bleibt offen. Die bisherige Rechtsprechung zum Unterhaltsrecht sieht als kurze Ehedauer maximal drei Jahre. Wir könnten uns vorstellen, dass hier, auch in Anlehnung an das Unterhaltsrecht, die Einführung einer Billigkeitsklausel, um Einzelfällen Rechnung tragen zu können, zu überlegen ist. Wenn ein Ehegatte innerhalb der kurzen Ehezeit beispielsweise die Altersvorsorge massiv aufstockt und sie in dieser Zeit nicht geteilt werden müsste, wodurch aber das Endvermögen, das für den Zugewinnausgleich von Bedeutung ist, geschmälert würde, ist der Versorgungsausgleich nicht ganz so unproblematisch zu betrachten. Hier haben wir auf jeden Fall noch Beratungsbedarf. Die Kosten der internen Teilung sind richtigerweise von den Eheleuten hälftig zu tragen, nicht von den Versorgungsträgern. Dabei müssen diese Kosten angemessen sein und dürfen pauschaliert werden, wobei eine Pauschale von 2 bis 3 Prozent in der Gesetzesbegründung angegeben wird. Dabei ist zu bedenken, dass die angegebenen Pauschalen bei einer Ehe von langer Dauer zu einer sehr hohen Kostenpauschale führen können, sodass zumindest über eine Deckelung noch zu beraten ist. Sie sehen, dass in der Ausschussberatung und in der Sachverständigenanhörung noch vieles fachlich und sachlich klug zu besprechen und dann im Interesse der Betroffenen zu regeln ist. Ich wünsche uns gute Beratungen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion die Kollegin Ute Granold.

Ute Granold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003538, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute ein wichtiges, aber auch schwieriges Gesetz. Der Deutsche Juristentag hat sich - Frau Ministerin, Sie haben es gerade erwähnt - mit den drei wesentlichen Ausgleichssystemen bei der Scheidung im Familienrecht befasst: Zugewinn, Unterhalt und Versorgungsausgleich. Diese Ausgleichssysteme dienen dazu, dass die Ehegatten bei einer Scheidung die Vermögenswerte ausgleichen, Defizite kompensieren, aber auch Ausgleichsansprüche teilen, sodass eine echte Teilhabe an dem, was erwirtschaftet wurde, erfolgt. Wir haben das mit einer guten Reform des Unterhaltsrechts auf den Weg gebracht. Das eheliche Güterrecht, das heißt der gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft, befindet sich derzeit in der Reform. Da wir uns im November mit diesem Thema befassen werden, können wir uns heute auf die ganz wichtige Baustelle der Strukturreform im Versorgungsausgleich konzentrieren, worauf die Praxis viele Jahre gewartet hat; denn es bestehen ganz erhebliche Probleme, die Versorgungsausgleiche durchzuführen. Im Bewusstsein der Bevölkerung spielt Gott sei Dank das Thema Rente und Rentenanwartschaften eine deutlich größere Rolle als früher, wo es nicht so sehr ein Thema war. Man war öfter bereit, auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs zu verzichten, ohne zu wissen, worauf man eigentlich verzichtet. Versorgungsdefizite bestehen gerade in den Erwerbsbiografien der Frauen; sie sind auszugleichen. Deshalb ist dieses Gesetz auch für die Frauen sehr wichtig. In den Scheidungsverfahren - wir haben eine hohe Scheidungsquote - ist häufig festzustellen, dass die Erwerbsbiografien der Frauen ganz anders sind als die der Männer, bedingt durch Kindererziehung, Betreuungsleistung, Pflegeleistung in der Ehezeit. ({0}) Es gibt natürlich auch andere Ausgleichsmodalitäten neben dem Versorgungsausgleich, der aber auf jeden Fall vorzuziehen ist, weil die Anwartschaften, die dort begründet werden, nicht der Dispositionsfreiheit unterliegen. Es ist also gesichert, dass die durch die AnwartUte Granold schaften erworbenen Ansprüche im Falle der Rente tatsächlich ausgezahlt werden. Wenn es andere Modalitäten wie Teilhabe an Immobilien und Unternehmensbeteiligungen gibt, kann man das im Laufe der Zeit, wenn finanzielle Engpässe bestehen, verkaufen. Im Alter steht man dann mit leeren Händen da. Deshalb ist es wichtig, dass wir den Versorgungsausgleich stärken und ihn für die Menschen transparent gestalten. Wir wollen aber auch Freiräume geben; denn die Altersversorgung ist sehr umfangreich. Es gibt die gesetzliche Rentenversicherung, die betriebliche Altersversorgung und eine Vielzahl privater Altersversorgungen. Deshalb wollen wir mit dem Gesetz die Möglichkeit einräumen, eine Gesamtversorgung, eine Teilung der während der Ehe erworbenen Anwartschaften und des Vermögens, zu vereinbaren. Das können - das ist schon heute der Fall - Vereinbarungen zum Unterhalt, zum Vermögen und zum Versorgungsausgleich sein. Wir müssen aber darauf achten, wie die erforderliche Form eingehalten werden kann, zum Beispiel durch eine notarielle Beurkundung. Ich verweise auf die Inhaltskontrolle in den §§ 242 und 138 BGB. Uns ist ganz wichtig, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs - das ist ein Amtsverfahren - nicht von der Scheidung abgekoppelt wird, sondern im Scheidungsverfahren mitbehandelt wird, damit Druck gemacht werden kann, dass Auskunft über die erwirtschafteten Anwartschaften erteilt wird. Außerdem dient das der Klarheit und trägt der Tatsache Rechnung, dass mit der Scheidung Ansprüche der Ausgleichsberechtigten bestehen. Wir haben vor mehr als 30 Jahren - es war genau 1977 - den Versorgungsausgleich eingeführt. Er hat über 30 Jahre funktioniert. Es wurde aber angesichts der Vielfalt der Anwartschaften immer schwieriger. Wir benötigten Verordnungen zur Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Anwartschaften, teils dynamisch, teils statisch. Die Barwert-Verordnung wurde bereits angesprochen. Das Bundesverfassungsgericht war damit mehrfach befasst. Ich hoffe, dass all dies in Kürze der Vergangenheit angehört. Bei den Familiengerichten sind eine Vielzahl von Verfahren anhängig - ich selbst bin praktizierende Anwältin -, in denen der Versorgungsausgleich abgetrennt oder ausgesetzt wurde. Das alles ist ganz schwierig. Das soll nun zügig aufgearbeitet werden, sodass nach einer Trennung alles klar geregelt ist. Das neue Gesetz ist aus dem BGB ausgegliedert; das ist gut. Es ist klar, übersichtlich und transparent. Die Menschen werden dieses Gesetz annehmen, da sie es verstehen können. Der Grundsatz der internen Teilung wurde bereits angesprochen; er ist gut. Eine gerechte Teilhabe bezüglich Qualität und Quantität bedeutet, dass man Risiken trägt, aber auch Chancen hat, wenn es im Laufe der Zeit zu einer Veränderung kommt. Der Grundsatz der externen Teilung gilt dann, wenn die Anwartschaften in einem anderen Versorgungssystem begründet werden. Ich wünsche sehr - ich bitte um Nachsicht -, dass in erster Linie die interne Teilung durchgeführt wird. Der Weg in den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich - diesen gibt es schon heute - ist ein schlechter Weg; denn die Klärung kann erst später erfolgen. Viele, insbesondere Frauen, verzichten daher auf die Durchführung eines schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs, wenn die Zeit dafür gekommen ist. ({1}) Ich möchte noch ganz wenige Punkte anführen, die wir in der Sachverständigenanhörung, die vonnöten ist, um den externen Sachverstand in diese komplexe Materie einzubeziehen, ansprechen sollten. Ein Punkt ist der Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehedauer. Im Gesetzentwurf ist von zwei Jahren die Rede; früher waren es drei Jahre. Der Bundesrat spricht sich für drei Jahre und die Möglichkeit der Billigkeitsüberprüfung in eng umgrenzten Fällen aus. Das könnte in den Fällen zum Tragen kommen, in denen bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs nach kurzer Ehedauer die Wartezeiten durch einen Berechtigten erfüllt werden könnten. Über diesen Punkt sollte man reden, genauso wie über den Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei einer unbilligen Härte. Ich erinnere daran, dass in der Regel die Mutter die Ausgleichsberechtigte ist. Sie betreut die Kinder, erbringt Pflegeleistungen und geht arbeiten. Wenn der Ehemann - aus welchen Gründen auch immer - keinerlei Beitrag zum Familieneinkommen leistet, soll sie dann noch eine Teilung der erwirtschafteten Anwartschaften hinnehmen? Das wäre grob unbillig. Dass das im Gesetz geregelt ist, ist eine gute Sache. Ein wichtiges Anliegen ist die fehlende Ausgleichsreife. In § 19 geht es um Anwartschaften, die im Ausland erwirtschaftet werden. Das ist ein Problem. Das kann nicht im öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich geregelt werden. Hier wird auf den schuldrechtlichen Versorgungsausgleich verwiesen. Diese Vorschriften bleiben unberührt. Heute Morgen haben wir im Unterausschuss Europarecht über die Harmonisierung auf europäischer Ebene und die Stärkung der Rechtseinheitlichkeit bei Wahrung des Subsidiaritätsprinzips diskutiert. Es gibt sehr viele binationale Ehen. Es gibt große Probleme, hier den Versorgungsausgleich durchzuführen. Wir sollten zusammen mit unseren europäischen Nachbarn nicht nur für die Möglichkeit einer gegenseitigen Anerkennung der Entscheidungen und der Vollstreckbarkeit, sondern auch im materiellen Recht zumindest für einen gesicherten Auskunftsanspruch sorgen. Dieser Punkt liegt mir persönlich sehr am Herzen. Darauf sollten wir achten. Was die betriebliche Altersversorgung betrifft, so wird die Realteilung derzeit noch sehr wenig durchgeführt. Die Satzungen lassen das nicht zu. Hier müsste mit den Versorgungsträgern gesprochen werden, wie - da muss natürlich ein Spielraum bestehen - die interne Teilung, die vorzuziehen ist - ich habe das schon einmal gesagt -, durchzuführen ist. Ein weiterer Punkt sind die Übergangsvorschriften, die bei gesetzlichen Neuregelungen ein Problem darstellen können. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Diskussion über das Unterhaltsrecht. Hier gibt es - das hatte ich vorhin schon angesprochen - viele offene und abgetrennte Verfahren. Wir müssen schauen, wie mit dem Stau, der in Deutschland seit Jahren in dieser Beziehung besteht, umgegangen wird. Die Reform soll zum 1. September 2009 in Kraft treten, zeitgleich mit dem neuen Familienverfahrensgesetz. Das ist positiv, und wir hoffen, dass wir gute Beratungen haben und konstruktive Anregungen in der Sachverständigenanhörung bekommen werden. Wir müssen auch mit den Ländern sprechen. Auf die Länder kommt am 1. September 2009 viel zu, wenn das Familienverfahrensrecht in Kraft tritt und alles neu strukturiert wird. Es wird viel Arbeit geben, und mit dem neuen Versorgungsausgleich wird eine Mehrbelastung auf die Gerichte zukommen. Unabhängig von der Frage der Schulung, die in der Kommission angeregt wurde, müssen wir noch einmal darüber reden, ob man vielleicht bei der Deutschen Rentenversicherung eine Stelle einrichtet, die als Dienstleister für die Familiengerichte konzipiert ist, um diese ein Stück weit zu entlasten. An dieser Stelle herzlichen Dank für den Regierungsentwurf. Die Praxis wartet mit Spannung auf das Ergebnis der Beratungen. Wir werden froh sein, wenn wir endlich ein neues Gesetz haben, das die Bürger verstehen und das auch deshalb den Bedürfnissen der Menschen entspricht. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen von der Fraktion Die Linke. ({0})

Sevim Dağdelen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003746, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir stehen vor der Herausforderung, dass in vielen Familien immer noch eine patriarchale Arbeitsteilung in Bezug auf Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit besteht. ({0}) Die Feststellung, dass sich zumeist Frauen in einer bestehenden Ehe auch hinsichtlich der Rentenansprüche vom Mann abhängig machten und dann bei einer Scheidung wenig bis gar keine eigenen Ansprüche auf Rente hatten, brachte den Gesetzgeber, wie meine Vorrednerin richtig dargestellt hat, 1977 dazu, den Versorgungsausgleich zu regeln. Dieser sieht vor, dass die während der Ehe erworbenen Anrechte auf Versorgung grundsätzlich hälftig geteilt werden sollen. Seit 1992 gilt das auch in den neuen Bundesländern. Die Anpassungen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass auch eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften grundsätzlich am Versorgungsausgleich partizipieren. So weit, so gut. Dennoch führt der Versorgungsausgleich nicht zu einer wirklichen Gerechtigkeit; denn unberücksichtigt bleiben viele Punkte. Unberücksichtigt bleibt, dass nicht verheiratete bzw. nicht verpartnerte Personen trotz ebenso vorhandener Aufgabenteilungen und Verantwortung für Kinder in den nicht privilegierten Partnerschaften nicht von Sicherungen wie einem Versorgungsausgleich profitieren können, dass sich Gesellschaft und Politik insgesamt der Problematik der Bewertung sogenannter Reproduktionsarbeit nicht ausreichend stellen, dass die Frage der Gewährleistung einer sozial gerechten Rente noch nicht ausreichend beantwortet ist und dass an der unsolidarischen und sozial ungerechten Aufweichung der gesetzlichen Rente nichts geändert wird. Diese Probleme sind es, mit denen man sich im Zusammenhang mit der Altersarmut von Menschen und im Zusammenhang mit einer einseitigen Arbeitsteilung in Paargemeinschaften auseinandersetzen muss. Deshalb gilt es, neue Konzepte der sozial gerechten Versorgung im Alter - aber selbstverständlich nicht nur im Alter für jeden Menschen zu entwickeln, und zwar unabhängig von der privaten Lebensgestaltung in Beziehungen, lückenlosen Erwerbsbiografien und nicht zuletzt überkommenen Rollenmustern. Politisch bleibt zu diskutieren, ob der Versorgungsausgleich einen Ersatz für wirklich eigenständige Ansprüche vornehmlich von Frauen darstellen kann. Diese politische Frage wird naturgemäß in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik entschieden. Dies gilt es mittel- und langfristig zu regeln. Die Linke fordert eine Strategie für die eigenständige, existenzsichernde Alterssicherung für alle Menschen, ({1}) speziell aber für die gegenwärtig besonders stark betroffenen Frauen. Kurzfristig müssen aber auch die Regelungen zum Versorgungsausgleich verbessert werden. Der Gesetzentwurf zeigt einen für die Beteiligten voraussichtlich einfachen und nachvollziehbaren Weg des Versorgungsausgleichs auf. Aber ob man sich dabei die bisherigen umständlichen Vergleiche beim Versorgungsausgleich wirklich erspart, ist zu hinterfragen. Für meine Fraktion ist ganz besonders wichtig, dass die Ungerechtigkeiten infolge der Überleitung der Ostrenten in Zusammenhang mit dem Versorgungsausgleich schnellstmöglich beseitigt werden. ({2}) Der Gesetzentwurf stellt sich diesem Problem in keiner Weise. Die unerträgliche soziale Situation der geschiedenen Frauen aus der ehemaligen DDR - das sage ich ganz bewusst vor dem Hintergrund, dass ich aus dem tiefsten Westen komme -, ({3}) denen der Versorgungsausgleich bisher aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt ist, muss dringend verbessert werden. Hierzu hat meine Fraktion bereits an anderer Stelle Vorschläge unterbreitet. Wie die Verschlechterung der Situation der Betroffenen durch die Strukturreform im Einzelnen verhindert werden kann, werden wir wohl, wie meine Vorrednerinnen schon gesagt haben, in einer Anhörung zu klären haben. Die bereits geäußerte Kritik am Gesetzentwurf - auch der Bundesrat hat Kritik vorgebracht - wird darin ebenso zu prüfen sein. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Irmingard Schewe-Gerigk von Bündnis 90/Die Grünen.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, schon unter Rot-Grün haben wir mit einer Reform des Versorgungsausgleichs begonnen. Heute liegt endlich der Vorschlag vor. Das begrüße ich sehr. Die Strukturreform des Versorgungsausgleichs bedeutet vor allem für Frauen mehr Gerechtigkeit nach der Scheidung; denn meist sind sie es, die zugunsten der Familie eine Auszeit nehmen, schon deshalb, weil sie aufgrund fehlender Kinderbetreuung gar keine andere Wahl haben. In dieser Zeit können sie folglich weder eine betriebliche noch eine private Rente aufbauen. Der Staat hat diese Formen der Altersvorsorge in den letzten Jahren gegenüber der gesetzlichen Rente massiv aufgewertet. Da finde ich es wirklich nur konsequent, dass geschiedene Frauen gleichberechtigt teilhaben, wenn in den Ehejahren Anrechte in der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung erworben wurden. ({0}) Derzeit fällt die Beteiligung der Frauen an solchen Vorsorgeformen aber in 80 Prozent der Fälle - so wird geschätzt - unter den Tisch. Erstens können sie Ansprüche dieser Art bisher erst beim Renteneintritt geltend machen. Aber wer möchte schon - die Frau Ministerin hat es vorhin bereits angedeutet - nach Jahren oder Jahrzehnten der Trennung seinen verflossenen Gatten aufsuchen, um ihn über seine genauen Altersvorsorgeansprüche auszufragen? Zweitens ist das bisherige System eines einmaligen Ausgleichs extrem fehleranfällig, weil über viele Jahre Prognosen über die Entwicklung der Rente aufgestellt werden müssen und weil die Rentenversicherer meist zu vorsichtig schätzen, um Mehrausgaben zu vermeiden. Daher ist diese Reform überfällig. Sie wird zu einer gerechteren Teilhabe beider Partner an allen Formen der Altersvorsorge führen. Zweifel hat meine Fraktion allerdings, was den Ausschluss des Versorgungsausgleichs bei kurzer Ehedauer betrifft. Auch bei kurzer Ehedauer können durch die Rollenverteilung Nachteile entstehen, zumal viele erst heiraten, wenn Kinder da sind. Wenn wir die Statistik anschauen, erkennen wir: Das ist ein in Ostdeutschland häufig gelebtes Modell. Passend dazu hat der Deutsche Juristentag in dieser Woche angemahnt, dass auch die Ansprüche unverheirateter Eltern gestärkt werden müssen. Das ist Ihnen ins Stammbuch geschrieben worden, Frau Ministerin. Ihre Haltung, nämlich dass, wer nach Sicherheit sucht, heiraten soll, kann ich, ehrlich gesagt, nicht recht nachvollziehen. Das passt eigentlich nicht in ein modernes Konzept. Aber das nur am Rande. ({1}) - Genau! Darüber diskutieren wir im Ausschuss. Zurück zur Ehe. Dass Sie die Dauer einer kurzen Ehe von drei auf zwei Jahre herabgesetzt haben, ist sicherlich ein erster guter Schritt. Trotzdem: Mütter, die die rentenrechtliche Anrechnung von Kindererziehungszeiten für die 36 Monate schon vor der Ehe aufgebraucht haben und auch während der Ehe nicht berufstätig sind, gehen so völlig leer aus. Sie alle wissen: Das Alleinverdienermodell ist nicht das von uns bevorzugte. Aber wenn sich zwei Partner in einer Beziehung darauf geeinigt haben, dann müssen die vorhandenen Rentenansprüche nachher gerecht verteilt werden, auch wenn es sich nur um zwei Jahre handelt. Gerade für Frauen, die in ihrem Leben nur wenige Jahre berufstätig waren, können diese zwei Jahre für die spätere Rentensumme durchaus von Bedeutung sein. Auch Kleinvieh macht Mist - dies gilt auch bei der Altersvorsorge. Es ist richtig, dass Sie den Arbeitsaufwand der Gerichte und der Versorgungsträger so klein wie möglich halten wollen. Aber der Schutz der Ausgleichsberechtigten hat im Zweifelsfall Vorrang. Ihre Idee einer Antragsklausel ist an dieser Stelle durchaus ein interessanter Kompromissvorschlag. Auch sonst haben wir noch Diskussionsbedarf, etwa hinsichtlich der Verrechnung der Kosten, die die Versorgungsträger künftig haben werden, mit den Anrechten der beiden Ehegatten und erst recht hinsichtlich der Überlegung, auch die Kosten der externen Teilung auf die Ehepartner abzuwälzen. Dies alles können wir im Rahmen der Anhörung besprechen. Insgesamt geht die Reform für uns Grüne aber in die richtige Richtung. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat die Kollegin Christine Lambrecht von der SPD das Wort. ({0})

Christine Lambrecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003167, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Versorgungsausgleich - das ist auch in dieser kurzen Debatte wieder deutlich geworden - ist wahrscheinlich die schwierigste Materie im Familienrecht überhaupt. Selbst Anwältinnen und Anwälte, die sich tagtäglich mit dem Sevim DaðdelenSevim Dağdelen Thema beschäftigen, stoßen an ihre Grenzen, ebenso die Richter und erst recht die Betroffenen, die im Falle einer Scheidung mit dem umzugehen haben, was auf sie zukommt. Da dies auch schwierig zu berechnen ist, verwundert es nicht - diese Bemerkung sei mir gestattet; ein Kollege hat mir schon alles Mögliche angedroht -, dass alle Fraktionen Frauen in diese Debatte geschickt haben. ({0}) Zur Klarstellung will ich noch etwas deutlich machen, von dem ich den Eindruck habe, dass es durch einzelne Redebeiträge jetzt ein wenig ins Schwimmen gekommen ist. Es geht uns nicht darum, ein neues Versorgungssystem zu erfinden und für Gerechtigkeit bei der Altersversorgung zu sorgen. Vielmehr geht es darum, einen Ausgleich zwischen denjenigen zu schaffen, die sich scheiden lassen. Wir wollen keine neue Form der Rente einführen oder die Rente aufstocken; vielmehr sind erworbene Rentenanwartschaften aufzuteilen. Darum geht es bisher, und darum wird es auch in Zukunft gehen. Mit nichts anderem beschäftigt sich dieser Entwurf. ({1}) Es wird die Frage zu beantworten sein, wie man es transparenter ausgestalten kann. Momentan wird bei allen Formen der Ansparung von Renten eine Aufteilung im jeweiligen System vorgenommen. Für die Betroffenen ist es unglaublich schwer, vorauszusehen oder einzukalkulieren, was auf sie zukommt. Es wird in den einzelnen Rentenversicherungen angespart und dann prognostiziert, hochgerechnet und in eine Rentenversicherung übertragen. Im Endeffekt ist die Voraussage der Entwicklung einer solchen Versicherung eher Kaffeesatzleserei. Daher ist die jetzt vorgesehene interne Teilung der transparentere Weg. Man kann nachvollziehen, was in der Versicherung angespart wurde und wie das Ganze aufgeteilt wird. Die externe Teilung ist als Ausnahme sicherlich dann sinnvoll, wenn dies, wie im Gesetz vorgesehen, vereinbart wird und es um ganz geringe Beträge geht. Dann muss man also nicht alles im jeweiligen System aufteilen; wenn es sich um geringe Beiträge handelt, können sie auch übertragen werden. Ich gebe all den Vorrednerinnen recht, die Kritik oder zumindest Prüfungsbedarf in Bezug auf den Ausschluss bei einer kurzen Ehedauer angemeldet haben. Hier sollten wir noch einmal genau hinschauen. Es hört sich so einfach an; 10, 20 oder 30 Euro sind ja nicht so viel. Aber wenn jemand wirklich mit einer Rente am unteren Level auskommen muss, dann kann schon eine solche Summe darüber entscheiden, ob man in die Grundsicherung kommt oder nicht. Hier werden wir also darüber nachdenken müssen, ob es tatsächlich sozial gerecht zugeht. In diesem Sinne freue ich mich auf sachliche und vernünftige Beratungen, wie wir sie im Familienrecht bei fast allen Punkten in den letzten Jahren gehabt haben. Ich bin mir sicher, wir werden zu einem tragfähigen, transparenten und akzeptablen Kompromiss kommen. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/10144 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Wohngelderhöhung vorziehen - Drucksache 16/10319 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Ich erteile das Wort der ersten Rednerin, der Kollegin Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nichts bleibt, wie es war, vor allem nicht dann, wenn sich Voraussetzungen und auch Rahmenbedingungen ändern. So sagte Dirk Fischer namens der CDU/CSU-Fraktion bei den Haushaltsberatungen in der vergangenen Woche, dass wir „als sachgerechte Antwort auf die steigenden Energiekosten“ eine Heizkostenkomponente eingeführt haben. Herr Fischer fügte wörtlich hinzu: Wenn es gelänge, das Inkrafttreten der Novelle auf den 1. Oktober dieses Jahres vorzuziehen, würden wir uns darüber sehr freuen. ({0}) Die CDU/CSU hat also ihre Position verändert, nachdem sie auf einen entsprechenden Vorschlag des Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Peter Struck, Anfang September ablehnend reagiert hatte. Man darf also gespannt sein, wie sich heute die CDU/CSU und auch die SPD bei der Abstimmung über diesen Vorschlag der Fraktion Die Linke verhalten, der das sozialdemokratische Anliegen ja eins zu eins aufgreift. Ich glaube, im Unterschied zur gestrigen Debatte über die Pendlerpauschale handelt es sich hierbei auch nicht um eine wahltaktische Frage, sondern um eine Frage, bei der wir alle der Tatsache Rechnung tragen können, dass der Winter nicht erst am 1. Januar beginnt, sondern jetzt schon, eigentlich viel zu früh. Viele haben die Heizung längst angestellt. Die Linke hat sich im Frühjahr bei der Abstimmung über die Wohngeldnovelle der Stimme enthalten, weil uns die Novelle damals nicht weit genug ging. Wir wollten - so habe ich das in meiner Rede damals auch formuliert -, dass die Wohngeldempfänger mit den Bedarfsgemeinschaften nach SGB II gleichgestellt werden. Das halten wir auch heute noch für richtig. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen wir das Erreichte mit diesem Antrag weiter befördern. ({1}) Lassen Sie mich noch einmal sagen, warum es notwendig ist, das Wohngeld sofort zu erhöhen: Durch die explosionsartig gestiegenen Energiekosten haben wir bis zu 20 Prozent höhere Heizkosten in diesem Jahr. Weitere Preissteigerungen wurden bei Öl, Gas und Strom angekündigt. Die Heizperiode beginnt, wie gesagt, jetzt schon und nicht erst am 1. Januar. Die einkommensschwachen Haushalte haben - so habe ich das auch in meiner Rede letzte Woche bei der Haushaltsdebatte gesagt - 50 Prozent ihres Haushaltseinkommens aufzuwenden, um überhaupt warm wohnen zu können. Versetzen wir uns einmal in die Situation von Alten, Kranken, Kindern und Kleinstkindern, wenn wir die Wohngelderhöhung nicht vorziehen: Diese könnten dann den Winter nicht in warmen Wohnungen verbringen. ({2}) Stellen Sie sich einmal vor, Ihre eigenen kranken Eltern oder Ihre Enkelkinder wären betroffen. ({3}) In den neuen Bundesländern liegt der Anteil der Bedürftigen an der Gesamtbevölkerung im Vergleich zu dem in den alten Bundesländern doppelt so hoch. Das Verhältnis beträgt 3 zu 1,5. Zur Finanzierung. Das Vorziehen der Wohngelderhöhung würde im Durchschnitt ein auf 130 bis 140 Euro erhöhtes monatliches Wohngeld für die bedürftigen Familien bringen. Herr Struck hat ausgerechnet, dass das circa 70 Millionen Euro kosten würde. Das Wohngeld wird ja, wie wir wissen, zur Hälfte durch den Bund und die Länder finanziert. Eine Gegenfinanzierung wäre allein dadurch möglich - das ist jedenfalls der Vorschlag der Linken -, dass man die Gelder verwendet, die dadurch frei geworden sind, dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, die Wohngeld beziehen, von 700 000 - das war der kalkulatorische Ansatz im Haushaltsplan 2008 - auf mittlerweile 580 000 zurückgegangen ist. Gegenüber dem Haushaltsansatz spart allein der Bund durch die zurückgegangene Zahl 43 Millionen Euro. Wenn wir die anteiligen Mehrkosten für die Wohngelderhöhung von 70 Millionen Euro hälftig teilen, so entfallen auf den Bund 35 Millionen Euro; diese müsste man aufwenden, um die Erhöhung vorzuziehen. Das hieße, es bliebe summa summarum für den Bund im Haushalt sogar ein Plus von rund 8 Millionen Euro. ({4}) Falls Herr Fischer von der CDU/CSU sich in der letzten Woche vielleicht doch ein wenig zu weit aus dem Fenster herausgelehnt haben sollte, bietet die Linke der SPD an, den Vorschlag, den Herr Struck gemacht hat und der von Herrn Tiefensee und auch von Herrn Steinbrück unterstützt worden ist, mit uns abzustimmen und gemeinsam etwas für die Menschen im Lande zu tun, indem sie schon drei Monate früher von den gestiegenen Wohnkosten entlastet werden, und zwar unabhängig davon, ob der erhöhte Betrag sofort oder erst rückwirkend ausgezahlt werden kann. Ich weiß ja, dass für die Berechnung die Strukturen in den Verwaltungen entsprechend anzupassen sind. Das Beste für die Betroffenen wäre jedoch das geschlossene Ja aller Fraktionen hier im Hause. ({5}) Die Linke begrüßt und unterstützt daher ausdrücklich die Vorschläge, die von Herrn Struck, von Herrn Steinbrück und auch von Herrn Tiefensee im September gemacht worden sind. Wie schon eingangs festgestellt: Nichts bleibt, wie es war, vor allem, wenn sich die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen ändern. Das sollte vielleicht auch die CDU/CSU-Fraktion akzeptieren. Ich bitte deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Gero Storjohann von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Gero Storjohann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003643, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! CDU/CSU und SPD haben im April dieses Jahres gemeinsam eine Novelle des Wohngeldgesetzes erfolgreich - wie wir meinen - auf den Weg gebracht, und das zeigt, dass das Wohngeldrecht bei dieser Koalition in guten Händen ist. ({0}) Wir haben erreicht, dass das Wohngeld pro Empfängerhaushalt von durchschnittlich etwa 90 Euro auf etwa 140 Euro erhöht werden kann, also insgesamt um 60 Prozent, und damit haben wir gerade denjenigen ein Stück mehr Lebensqualität und Sicherheit gegeben, die geringe Renten beziehen oder für ein geringes Einkommen jeden Tag ihrer Arbeit nachgehen. Denen wollen wir helfen, und das ist - glaube ich - gut gelungen. Kernelement der Neuregelung ist die Einführung einer Heizkomponente, die den stark gestiegenen Energiekosten Rechnung tragen soll. Mit 50 Cent pro Quadratmeter werden Heizkosten in pauschalierter Form erstmals in die Berechnung einbezogen und damit im gleichen Umfang bezuschusst wie die Bruttokaltmiete, nämlich mit rund einem Drittel. Dies verdeutlicht, dass wir uns um die Belange der Betroffenen kümmern. Wir geben die richtigen Hilfestellungen zur richtigen Zeit und im richtigen Ausmaß. Das impliziert selbstverständlich, dass wir das Recht ständig weiterentwickeln und die jeweils aktuellen Gegebenheiten mit einspeisen. Darum ist natürlich die Frage berechtigt, ob und, wenn ja, wie die Gültigkeit des neuen Wohngeldgesetzes vorverlegt werden kann, und genau das haben wir innerhalb der Koalition in der letzten Woche schon mehrfach beraten und auch so verkündet. Es war ja nicht ein Vorschlag der Linken, der jetzt zu diesem Antrag geführt hat, ({1}) sondern es waren Vorschläge, die aus der Koalition gekommen sind. ({2}) Für die Vorverlegung des Inkrafttretens des Wohngeldgesetzes brauchen wir weit mehr als das, was heute vorliegt. Es liegt ein Antrag vor, der lediglich aus einem einzigen Satz besteht, dass nämlich die Erhöhung des Wohngeldes um drei Monate vorgezogen werden soll. Punkt. Dabei sind wir längst in Gesprächen über eine solche Vorverlegung. Der Zug, der angeschoben wurde, fährt bereits, und die Linke schmeißt sich jetzt mit voller Wucht hinter diesen Zug. ({3}) Das hilft aber nicht den betroffenen Menschen und den Haushalten ({4}) - Ich meine es ja gut mit ihnen. Ich habe „hinter den Zug“ gesagt. Was wir jetzt brauchen, ist eine Abstimmung mit den Bundesländern. Wir brauchen die Einschätzung, ob die Verwaltung, die all dies umsetzen muss, ein Vorziehen überhaupt organisatorisch bewältigen kann. Wir brauchen auch gar nicht so weit zu gucken. Auch heute ging es durch die Presse, dass der Berliner Senat Bearbeitungszeiten beim Wohngeld von drei bis acht Monaten eingestehen muss. ({5}) Bei Erstanträgen beträgt die Bearbeitungszeit drei bis acht Monate; das müssen wir berücksichtigen. Sie könnten ja im Berliner Abgeordnetenhaus einen Antrag nach dem Motto: „Wohngeldzahlung jetzt! Die Linke“ initiieren. ({6}) Dadurch würde sich auch nichts ändern. Politik ist eben mehr, als nur Forderungen zu stellen. Der Politik obliegt auch die Aufgabe, Lösungen für ein erkanntes Problem anzubieten. Daran mangelt es diesem Antrag meiner Meinung nach. Meine Damen und Herren, solide Sozialpolitik braucht nun einmal Grundlagen, die ebenfalls solide sind. Dazu zählen Überlegungen über die Finanzierung, den Auszahlungsmodus und den richtigen rechtlichen Umsetzungszeitpunkt. Hier gibt es noch Beratungsbedarf. Aber ich bin sicher, dass wir auch hier in der Großen Koalition eine gute Lösung finden werden. Die Sozialpolitik ist gerade deshalb bei uns in guten Händen, weil wir unsere Beschlüsse überlegen, beraten, ausarbeiten, justieren und in Form gießen. Das gilt auch für die Vorverlegung der Wohngelderhöhung. Der uns vorliegende Antrag der Fraktion Die Linke kann diese Kriterien nicht erfüllen. Darum ist er abzulehnen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Joachim Günther von der FDP-Fraktion.

Joachim Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000750, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sprechen wieder einmal über das Wohngeld, aber es ist ein hochsensibles Thema; denn 600 000 sozialschwache Haushalte machen sich ernsthaft Gedanken darüber, wie sie warm über diesen Winter kommen. Wir haben seit längerer Zeit eine Aufbesserung des Wohngeldes gefordert und uns maßgeblich daran beteiligt, dass dabei vor allem die Einbeziehung der Heizkosten geregelt werden konnte. Das war dringend geboten; denn wir hatten eine Explosion bei den Heizkosten, Nebenkosten und Betriebskosten, die vor allem Wohngeldempfänger in immer größere Bedrängnis gebracht hat. Schwarz-Rot hat sich bei diesem Thema schwergetan; das muss ich meinen Kollegen schon einmal sagen. Erinnern Sie sich daran, dass wir als Opposition insgesamt überhaupt erst einmal eine Anhörung fordern mussten. In dieser Anhörung haben dann auch Sie begriffen, dass es ohne eine Erhöhung des Wohngelds kaum weitergehen kann. Ich möchte einige Mitglieder der Koalition, die jetzt sagen, dass sie daran arbeiten, einmal fragen: Woran arbeiten Sie denn? Wenn Sie die Erhöhung um drei Monate vorziehen wollen, wäre das zum 1. Oktober. Dieses Datum liegt meines Erachtens nicht mehr weit weg. Inzwischen laufen einige durchs Land und verkünden: Wir ziehen die Erhöhung um drei Monate vor. Der Bundesbauminister, der Bundesfinanzminister, auch Ihr Geschäftsführer, Herr Röttgen, alle springen jetzt plötzlich auf dieses Boot: Vorziehen der Erhöhung des Wohngeldes! ({0}) Joachim Günther ({1}) Es ist natürlich rein zufällig, dass das kurz vor der Bayernwahl geschieht und man hier noch ein Geschenk verteilt. Herr Tiefensee und Herr Steinbrück verkünden - jeder kann es in der Presse nachlesen -: Es muss der warme Winter gesichert werden. - Nachdem man sich für diese Wohltat in der Presse hat feiern lassen, ist man plötzlich erschrocken, dass eine Fraktion jetzt sagt „Nun wollen wir das aber auch; wir wollen die Erhöhung drei Monate eher haben“, obwohl es das ist, was Sie selber gefordert haben. Das ist natürlich kurios. Schauen wir einmal nach, was Herr Steinbrück erklärt hat: Dieser Schritt ist jetzt angemessen. Er ist gezielt. Er hilft Geringverdienern, die jüngsten Preissteigerungen für Heizöl und Gas erträglicher zu machen. - Er nennt die Erhöhung dieses Ansatzes im Bundeshaushalt „nicht nennenswert“. Meine Damen und Herren, ich muss es noch einmal sagen: Es geht hier um Geringverdiener, die unterstützt werden sollen. Hartz-IV-Empfänger erhalten bereits einen Heizkostenzuschuss. Es geht also um diejenigen, die täglich arbeiten gehen und aufgrund ihres geringen Einkommens nicht in der Lage sind, für die Kosten aufzukommen. Ich finde, das ist schon ein wichtiger Vorgang. Uns als FDP soll es recht sein, wenn das schnell vonstatten geht. Wir müssen an dieser Stelle auch sagen: Jawohl, die Energiekosten sind explodiert. Aber ich bitte die Koalition, sich daran zu erinnern, dass sie selbst einen maßgeblichen Anteil daran haben. Sie haben mehrfach die Steuern erhöht, und jetzt wundern Sie sich, dass das Ganze nicht mehr bezahlt werden kann. ({2}) Wir als FDP werden diesem Antrag zustimmen. Wir werden auch fragen, wo das Geld dafür herkommt. Es geht für den Bund um etwas mehr als die zuletzt genannten 35 Millionen Euro. Ich gehe von 70 bzw. 75 Millionen Euro aus, aber das ist erst einmal zweitrangig. Aus unserer Sicht hat der Wahlkampf schon begonnen. Ich hoffe, dass sich einige daran erinnern, dass wir in diesem Zusammenhang die Bundesregierung erst einmal zum Jagen getragen haben. Ich hoffe, Sie als Koalition, vor allem Sie als SPD, stimmen heute dem Antrag zu, das Wohngeld sofort zu erhöhen; sonst würden Sie Ihren Bundesbauminister ein weiteres Mal im Regen stehen lassen. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Sören Bartol von der SPD-Fraktion. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wohngelderhöhung kommt, und sie kommt bald. Damit haben wir einen großen sozialpolitischen Schritt in dieser Legislaturperiode getan. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass dies auf den Einsatz der Wohnungspolitiker meiner Fraktion, auf einen Antrag der Koalition und - nicht zu vergessen - auf den Einsatz des Bundesministers Wolfgang Tiefensee zurückzuführen ist, der bei diesem angesichts der Haushaltskonsolidierung nicht unumkämpften Projekt nie locker gelassen hat - mit Erfolg. ({0}) Wir lassen Menschen mit geringem Einkommen nicht im Regen stehen und entlasten mit der Novelle rund 800 000 Haushalte. Das Kernstück der Reform, die neu eingeführte Heizkostenkomponente, trägt maßgeblich dazu bei, die stark gestiegenen Energiekosten bei einkommensschwachen Haushalten sozial abzufedern. Die Notwendigkeit, das zu tun - hier stimme ich mit Ihnen überein -, wurde durch die weitere Entwicklung bei den Energiepreisen nachdrücklich bestätigt. Dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, nun erneut einen Antrag vorlegen, der das Niveau des Parlaments gelinde gesagt nonchalant unterwandert, verwundert mich nicht. Man denke an Ihren ersten Antrag zum Thema. Wir erinnern uns: Alles für alle, und zwar gleich! So ließe er sich überschreiben. Er sah die volle Übernahme der Kosten für Heizung und Warmwasser vor, und zwar ab sofort. Dass das weder energie- noch umweltpolitisch sinnvoll noch administrativ zu machen war, muss ich hier nicht näher ausführen. Dass ein solcher Antrag allein durch seine handwerklichen Schwächen in der Realität nicht bestehen kann und den von steigenden Energiekosten betroffenen Haushalten dadurch auch nicht geholfen wäre, muss angesichts der vorausgegangenen Debatte hier noch einmal gesagt werden. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bartol, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bluhm?

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident, herzlichen Dank. - Herr Bartol, lassen Sie sich bitte fragen, ob der erste Entwurf der Wohngeldnovelle, der tatsächlich auf Initiative der Regierung im Parlament eingebracht wurde, keinen Ansatz für eine Wohngelderhöhung und auch keinen Ansatz hinsichtlich der Heizkosten enthalten hat. Stimmt es, dass Sie erst eingelenkt haben, nachdem die Opposition eine Anhörung zur Novelle gefordert hat, und der Entwurf, den wir mit Leben gefüllt und im Frühjahr beschlossen haben, erst danach auf den Weg gebracht wurde? ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, Sie klatschen zu früh. - Liebe Kollegin Bluhm, Sie wissen ganz genau, dass unsere erste Novelle eine Verwaltungsvereinfachung zum Inhalt hatte und wir uns in der Koalition zum damaligen Zeitpunkt sehr intensiv damit auseinandergesetzt haben, auch mit der Erhöhung des Wohngelds und der Einführung einer Heizkostenkomponente. Wir haben damals darüber diskutiert, ob man alles sofort in einem Gesetz macht oder die Gesetzgebungsverfahren besser trennt. Wir haben uns dann dafür entschieden - ich denke, dahin gehend sind wir alle einer Meinung -, das Ganze in ein Gesetz zu schreiben. Dass Sie sich das jetzt auf die Fahne schreiben wollen, kann ich angesichts Ihrer Situation verstehen, entspricht aber nicht der Wahrheit. ({0}) Frau Bluhm, ich war gerade bei Ihnen und der Linkspartei. Fordern kann man vieles, aber nicht finanzieren. Es gibt fast keinen Antrag, bei dem Sie nicht ein paar Millionen mehr hier und ein paar Millionen mehr dort fordern, bei dem die Linke Wohltaten für alle verspricht, die sich in der Summe schon mal eben auf die Hälfte der Mittel im Bundeshaushalt belaufen können. ({1}) Über die Gegenfinanzierung hört man indes wenig. Einerseits wird die Rücknahme der Mehrwertsteuererhöhung gefordert, um diese Mittel gleichzeitig an anderer Stelle zur Finanzierung eines anderen Vorschlags einzusetzen. Ich sage dazu immer: Wie gut, dass Sie auch die Swimmingpoolsteuer in Ihrem Programm haben. Spaß beiseite! Je mehr, desto sozialer? Ich glaube das keineswegs. Bei allem Dissens in der Frage, was man heute unter sozialer Politik versteht, ist eines klar: Einen handlungsunfähigen Staat wollen wir sicher nicht. Den können sich nämlich nur Reiche leisten. Frau Bluhm, nichts anderes aber würde die Finanzierung eines Bruchteils Ihrer Forderungen bedeuten. ({2}) Zurück zum Antrag. Auch meine Fraktion ist der Meinung, dass die Wohngelderhöhung vorgezogen werden muss. Ich freue mich besonders darüber, dass wir uns mit unserem größeren Koalitionspartner in dieser Sache prinzipiell einig sind. Der Kollege Dirk Fischer hat in seiner Rede deutlich gesagt - ich denke, das gilt auch für die Rede meines Kollegen Storjohann -, dass wir gemeinsam einen entsprechenden Gesetzentwurf vorlegen werden. Realpolitik heißt immer auch Abstimmung. Schließlich gilt es auch die Länder mit ins Boot zu holen. Ohne sie geht es nicht. Wir leben nun einmal in einem föderalen Bundesstaat. Das haben die Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei angesprochen; auch sie wissen das. Für die Länder ist die Frage, wie die Wohngelderhöhung erfolgt - Sie formulieren das in Ihrem Antrag lapidar -, in Form einer Einmalzahlung im Oktober dieses Jahres oder im Frühjahr 2009, sehr wohl von grundsätzlicher Bedeutung. ({3}) Vermutlich dürfte auch Ihnen nicht entgangen sein, dass die Länder bereits auf die mit einer Sonderzahlung verbundenen hohen Verwaltungskosten hingewiesen und auch klargemacht haben, dass eine Auszahlung auch vernünftig administriert werden muss. Wenn man Gesetze macht - verzeihen Sie -, sind derlei Fragen sehr wohl von Bedeutung. Diese Fragen müssen wir in Abstimmung mit den Ländern klären. Um die Wohngelderhöhung vorzuziehen, müssen Bund und Länder an einem Strang ziehen. Andernfalls wird es weitaus schwieriger. Das - da bin ich mir ganz sicher - ist weder in Ihrem noch in unserem Sinne, und schon gar nicht im Sinne der betroffenen Haushalte. In der Tat ist ein Vorziehen der Reform - das kann man im Moment leicht nachvollziehen - zwingend erforderlich. Nachdem im Juli der Spitzenwert von 140 US-Dollar pro Barrel Öl erreicht wurde, ist der Ölpreis nach zwischenzeitlichem Absinken in dieser Woche innerhalb von wenigen Stunden um 25 Dollar auf 130 Dollar gestiegen. Auch wenn er kurz darauf wieder gefallen ist, so wissen wir doch alle, dass er mittelfristig weiter steigen wird. Schon deshalb kann es keine Alternative zum Energiesparen geben. Die Devise muss lauten: Energie sparen! Mit dem unter Rot-Grün initiierten CO2-Gebäudesanierungsprogramm sind wir ein ganzes Stück weitergekommen. Auch das hilft den Menschen, über die wir heute sprechen. Trotzdem müssen viele Verbraucherinnen und Verbraucher im kommenden Frühjahr mit hohen Nachzahlungen rechnen. Gleichzeitig ist für 2008 und 2009 zu erwarten, dass die Nachzahlungen mit höheren monatlichen Abschlagszahlungen zusammenfallen. Deshalb sehen wir die Notwendigkeit für ein kurzfristiges Vorziehen der Wohngeldnovelle auf den 1. Oktober 2008, und deshalb wollen wir gemeinsam als Koalition einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundestag einbringen. Im Unterschied zu Ihrem Antrag wird unser Entwurf Substanz enthalten. Vielen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Dr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich ist die Wohngelderhöhung angesichts der Situation zu begrüßen. Es wäre auch zu begrüßen, wenn das Wohngeld bereits zum 1. Oktober 2008 erhöht werden würde. Es ist spannend, wenn die Redner der Großen Koalition hier die großen Schwierigkeiten benennen, die eine solche Erhöhung mit sich bringt: administrative Probleme oder der Bundesrat. Da stellt sich natürlich schon die Frage, warum sich die zuständigen Minister in der Öffentlichkeit bereits dafür haben feiern lassen. ({0}) Man hat den Eindruck, dass man es bei diesem Versprechen mit einem typischen Tiefensee zu tun hat: Klingt gut, wird aber nicht eingehalten. ({1}) Man muss ehrlich sagen: Es ist beschämend, dass sich SPD-Minister auf Kosten von Familien mit schwachen Einkommen profilieren. ({2}) Es wäre zu begrüßen, wenn wir uns sicher sein könnten, dass die Erhöhung wirklich kommt. Warum stimmen Sie dem Antrag der Linken nicht zu? ({3}) - Ihre Erklärung war ein bisschen bürokratisch und wirr. ({4}) Man hatte den Eindruck, der Großen Koalition ist es nicht möglich, anderen irgendetwas zuzugestehen. Es war ganz klar so - wer dabei war, weiß es -, dass die Anhörung der Opposition bei Ihnen einen Denkprozess in Gang gesetzt hat. ({5}) Das ist auch schön. Ich kann verstehen, dass man das nicht zugeben kann. Ich könnte es noch besser verstehen, wenn die Mehrheitsverhältnisse knapp wären. Eine so unsouveräne Große Koalition wie Sie ist wirklich bewundernswert. ({6}) Allerdings muss man sich über eines im Klaren sein: Diese Wohngelderhöhung ist letztendlich nichts anderes als ein Herumdoktern am System. Die Energiepreise werden weiter steigen; damit ist zu rechnen. Es ist schön, dass auch der SPD-Vertreter dies erkannt hat. Leider sehen wir in der Politik keine entsprechenden Konsequenzen. Die Förderprogramme müssten so organisiert werden, dass insbesondere Einkommensschwache in energetisch sanierten Wohnungen leben können. Das Problem ist: Unsere Förderprogramme sind zu sehr darauf ausgelegt, dass man ein relativ hohes Einkommen haben muss. Auch die Sanierung der Häuser ist von grundlegender Bedeutung. Das allein wird aber nicht genügen; denn auch ein gut saniertes Haus braucht eine gewisse Menge an Energie. Das heißt, der Umstieg auf regenerative Energien ist entscheidend. ({7}) - Sie können darüber natürlich dumm lachen. Es ist seltsam, wenn ein SPDler darüber dumm lacht ({8}) - und noch dazu unmögliche Zwischenrufe macht. Sie mögen es lustig finden, wenn sich Unmengen einkommensschwacher Familien das Heizen ihrer Häuser nicht mehr leisten können. Wir finden das überhaupt nicht lustig. ({9}) Es wäre wunderbar, wenn die Mehrheit im Parlament das ebenfalls nicht lustig fände, sondern handelte, wenn es Zeit zum Handeln ist, und dem vorliegenden Antrag zustimmte, auch wenn er - das muss man ehrlicherweise zugeben - spät gestellt worden ist. Man kann den Eindruck gewinnen, dass der Antrag einen eher symbolischen Wert hat; er ist aber immer noch früher gestellt worden, als die Regierung zu handeln begonnen hat. Danke. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10319. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktionen CDU/CSU und SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an den Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und mitberatend an den Haushaltsausschuss sowie an den Ausschuss für Arbeit und Soziales. Die Abstimmung über den Antrag auf Ausschussüberweisung geht nach ständiger Übung vor. Ich frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen beschlossen. Damit stimmen wir über den Antrag 16/10319 nicht ab. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 37 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Ekin Deligöz, Irmingard Schewe-Gerigk, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bessere Unterstützung für Alleinerziehende - Drucksache 16/10257 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen alle Reden zu Protokoll genommen werden. Es handelt sich um die Beiträge der Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms von der CDU/CSU-Fraktion, der Kollegin Helga Lopez und des Kollegen Dieter Steinecke, SPD, der Kollegin Sibylle Laurischk, FDP, des Kollegen Jörn Wunderlich, Die Linke, und der Kollegin Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.1) Damit erübrigt sich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10257 an die in der Tagesordnung aufge- 1) Anlage 3 führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 7. Oktober 2008, 16 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.