Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und
der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Barbara Hendricks. Bitte
schön.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Bitte erlauben Sie, dass ich mich kurz an unsere Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne wende - ich
sehe, dort sitzen vor allem Gruppen von jungen Menschen -: Der Sachverhalt, den ich gleich darlegen werde,
ist ziemlich schwierig. Im Wesentlichen geht es um die
Frage, wie viel Geld eine Bank oder Sparkasse überhaupt haben muss, damit sie an andere Geld verleihen
darf. Das ist eigentlich ein ziemlich einfacher Sachverhalt. Aber die Materie insgesamt ist schwierig. Ich bitte
dafür um Verständnis. Sie müssen nicht denken, Sie wären dumm, wenn Sie gleich nicht mehr so viel verstehen.
({0})
- Ein Kollege hat gerade gesagt: Den meisten Abgeordneten geht es auch so. Das will ich nicht kommentieren.
Wir hoffen ganz auf Sie, Frau Staatssekretärin, dass
wir hinterher vollständig informiert sind und alles verstehen. Nun aber los!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den vom
Bundesministerium der Finanzen vorgelegten Entwurf
eines Gesetzes zur Umsetzung der neu gefassten Bankenrichtlinie und der neu gefassten Kapitaladäquanzrichtlinie beschlossen. Den vorangegangenen Prozess
zur grundlegenden Modernisierung der bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalvorschriften für Banken und
Wertpapierfirmen, bekannt unter dem Stichwort Basel II,
haben wir seit Beginn der Diskussionen vor knapp sieben Jahren auf internationaler Ebene begleitet und mitgestaltet. Auch der Deutsche Bundestag hat diesen Prozess stets begleitet.
Auf dem Gebiet der Finanzmarktpolitik sieht die Bundesregierung eine zentrale Aufgabe in der neuen Legislaturperiode darin, den Inhalt von Basel II eins zu eins in
Verwaltungsvorschriften zu überführen, welche für die
beaufsichtigten Institute praktikabel, für die Kunden und
die übrigen Marktteilnehmer akzeptabel und für den Finanzdienstleistungssektor insgesamt stabilitätsfördernd
sind. Dies soll eine weiterhin reibungslose Versorgung
der Wirtschaft und vor allem der mittelständischen Betriebe und Unternehmen mit Bankkrediten zu attraktiven
Konditionen sicherstellen.
Darüber hinaus werden die neuen bankaufsichtsrechtlichen Regelungen wettbewerbsneutral für die Banken
und Sparkassen und außerdem benutzerfreundlich für
die Kreditinstitute und deren Kunden ausgestaltet.
Lassen Sie mich die vorrangigen Ziele im Zusammenhang mit diesem Gesetzgebungsprojekt verdeutlichen: Das Kreditgewerbe, aber auch die Kredit nehmenden Unternehmen und Haushalte sollen von der
Neufassung der bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen profitieren. Die künftig differenziertere
Erfassung der Risiken aus dem Kreditgeschäft ermöglicht den Instituten eine exaktere Berechnung der bankaufsichtsrechtlich verursachten Kapitalkosten. Damit
wird die Voraussetzung für eine risikogerechtere Gestaltung der Kreditkonditionen geschaffen. Nach dem neuen
Regelungswerk steht sämtlichen Instituten grundsätzlich
Redetext
die Möglichkeit offen, die modernisierten Verfahren zur
Risikoanrechnung zu nutzen. Der Anreiz zur Anwendung ausgefeilter, fortgeschrittener Verfahren besteht in
der Aussicht auf Erleichterungen bei den bankaufsichtsrechtlichen Eigenkapitalanforderungen.
Die Sorge vor allem kleinerer Institute, die neuen Eigenkapitalregelungen könnten unverhältnismäßig hohe
Hürden für sie darstellen, wird im Bundesfinanzministerium sehr ernst genommen. Einseitige Belastungen oder
überzogene Anforderungen sind nicht beabsichtigt.
Die im Rahmen der Baseler und Brüsseler Verhandlungen bei der Mittelstandsfinanzierung erzielten Erfolge werden nun im deutschen Bankenaufsichtsrecht
festgeschrieben. Sämtliche in der neuen EU-Richtlinie
enthaltenen Wahlrechte zugunsten von Mittelstandskrediten sollen ausgeübt werden. Dies betrifft sowohl die
genauere Berücksichtigung von risikomindernden Portfolioeffekten bei kleinvolumigen Krediten, den so genannten Retailportfolios, als auch die Anerkennung von
Kreditsicherheiten.
Ganz generell ist die Umsetzung strikt an den Mindestvorgaben aus den neu gefassten EU-Richtlinien ausgerichtet worden. Eine Überregulierung wäre unerwünscht. Allerdings müssen wir einräumen, dass allein
die Mindestvorgaben aus Brüssel bereits einen beträchtlichen Umfang aufweisen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stellt die Bundesregierung die Weichen für eine mittelstandsfreundliche Umsetzung von Basel II. Die internationalen Verhandlungen über Basel II sind aus deutscher Sicht
erfolgreich gestaltet worden und es ist ein Mittelstandspaket zur fairen Behandlung von Mittelstandskrediten
vereinbart worden. Nunmehr kommt es darauf an, diesen
Erfolg endgültig zu sichern.
Lassen Sie mich auf das im Rahmen der Basel-II-Verhandlungen vereinbarte so genannte Mittelstandspaket
eingehen: Es beinhaltet zum Beispiel eine Senkung des
Anrechnungssatzes für Kredite an kleine und mittlere
Unternehmen, wenn es um einen Kreditbetrag von bis zu
1 Million Euro geht. Diese Zuordnung zum so genannten
bankaufsichtsrechtlichen Retailportfolio, auf das ich bereits eingegangen bin, bedeutet, dass man solche kleineren Kredite bis zu 1 Million Euro auch dann ausreichen
kann, wenn man bei den Banken 25 Prozent weniger Sicherheiten bzw. Eigenkapital hat.
Außerdem hat das Mittelstandspaket niedrigere Anrechnungssätze für Kredite an Unternehmen mit einem
Umsatz von bis zu 50 Millionen Euro zum Inhalt. In Bezug auf diese Unternehmen kann es Abschläge bei den
Eigenkapitalanforderungen von maximal 20 Prozent geben. Darüber hinaus ist enthalten, dass es keine Risikozuschläge für langfristige Kredite an Unternehmen mit
einem Jahresumsatz und einer Bilanzsumme von jeweils
maximal 500 Millionen Euro gibt. Die Kreditsicherheiten, die in Deutschland üblich sind, werden stärker als
bisher berücksichtigt; hier lautet das Stichwort: Pfandbriefe.
Zur Umsetzung der neuen EU-Eigenkapitalregelungen in das deutsche Bankenaufsichtsrecht ist vorgesehen, neben dem vorliegenden Gesetzentwurf auch zwei
Rechtsverordnungen in Kraft zu setzen, die die neuen
Regelungen im Kreditwesengesetz um notwendige technische Bestimmungen ergänzen sollen: Zum einen wird
eine Solvabilitätsverordnung zur Festlegung von Ausführungsbestimmungen zu den Eigenkapitalanforderungen erlassen - diese Verordnung wird den bisherigen
Grundsatz I im Kreditwesengesetz ersetzen -, zum anderen werden die Großkredit- und Millionenkreditverordnung überarbeitet und ergänzt.
Mit dem heutigen Beschluss des Kabinetts ist die Voraussetzung für eine gründliche Befassung des Parlaments mit dem vorgelegten Gesetzentwurf geschaffen
worden. Nun besteht Gelegenheit zur vertieften Erörterung dieses wichtigen Vorhabens. Das Bundesministerium der Finanzen wird Ihnen hierfür gerne zur fachlichen Beratung zur Verfügung stehen.
Herzlichen Dank.
Danke schön. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem
Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet
wurde.
Als erster hat sich Kollege Leo Dautzenberg, CDU/
CSU-Fraktion, gemeldet.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin! Die EU-Richtlinien, um die es geht, sind vom Finanzministerium relativ schnell umgesetzt worden. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, dass auch die
vorhandenen Wahlrechte genutzt werden. Schließlich
war es ja auch das Verdienst der parlamentarischen Begleitung dieser Maßnahmen, dass die Mittelstandskomponenten realisiert werden konnten.
Meine Frage an Sie lautet: Werden die Verordnungen,
die Sie gerade genannt haben - ich meine zum einen die
Solvabilitätsverordnung und zum anderen die Großkredit- und Millionenkreditverordnung -, zeitgleich zur parlamentarischen Beratung vorliegen, damit wir sie in das
Beratungsverfahren einbeziehen können?
Herr Kollege, derzeit liegen lediglich Entwürfe dieser
Verordnungen vor. Es wäre zwar möglich, dass sie dem
Parlament informell zur Kenntnis gegeben werden. Aber
im Grunde handelt es sich hier um ein exekutives Verfahren. Um diese Verordnungen zu erlassen, ist, soweit
ich weiß - allerdings bin ich mir nicht sicher; da bin ich
im Moment überfragt -, die Zustimmung des Bundesrates erforderlich. Selbstverständlich werden wir auf informellem Wege über ihren Inhalt berichten. Aber das ist
nicht Gegenstand der Abstimmungen in diesem Haus
oder im Finanzausschuss.
Herr Kollege, der Hinweis, den Sie eingangs gemacht
haben, ist richtig: Trotz wechselnder Mehrheiten hat dieses Haus den Basel-II-Prozess immer einvernehmlich
sehr positiv begleitet. Sie werden sich daran erinnern,
dass wir bereits im Sommer 2000 und im Sommer 2001
einvernehmlich zwei Entschließungen gefasst haben, die
sehr positive Wirkungen hatten, weil sie die Position unserer Verhandlungsführer auf internationaler Ebene gestärkt haben. Denn dieser Richtlinie der Europäischen
Union sind ja Verhandlungen auf der internationalen
Ebene vorausgegangen, im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht. Dort ist die Position unserer Verhandler von
der Deutschen Bundesbank und von der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht durch die Entschließungen, die der Deutsche Bundestag im Hinblick auf die
Mittelstandskredite gefasst hatte, sehr gestärkt worden.
Sonst hätte das von mir eben angesprochene und dargestellte so genannte Mittelstandspaket innerhalb des
Richtlinienvorschlages so nicht ausgestaltet werden können.
Danke schön. - Ich erteile das Wort zu einer Frage
Kollegen Roland Claus, Linkspartei.
Frau Kollegin, ich beziehe mich auf Ihre Koalitionsvereinbarung, in der Sie in der Rubrik „Aufbau Ost
voran bringen“ angekündigt haben, Mitte 2006 neue
Rahmenbedingungen für Kredite an kleine und mittelständische Unternehmen sowie Existenzgründer zu
schaffen. In welchem Zusammenhang stehen die heutigen Entscheidungen des Kabinetts mit dieser Ankündigung und inwiefern berücksichtigen Sie mit dem Gesetzentwurf die besondere Verantwortung der Sparkassen?
Welche Nachteile entfallen für die Sparkassen und was
wird sich für sie verbessern?
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Kollege Claus: Das steht
nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Was in der Koalitionsvereinbarung zur Überarbeitung von Kreditkonditionen angekündigt worden ist, bezieht sich auf Mittelstandskredite, zum Beispiel durch die Kreditanstalt für
Wiederaufbau. Das ist ein anderes Thema, mit dem wir
uns, wie angekündigt, bis Mitte des Jahres befasst haben
wollen.
Zu Ihrer zweiten Frage. Es ist nicht so, dass die Sparkassen in besonderer Weise bevorteilt oder benachteiligt
würden. Entscheidend ist, dass die Frage der so genannten Intergruppenforderungen auch zugunsten der Sparkassen gelöst worden ist. Das war, auch auf der europäischen Ebene, zunächst sehr fraglich. Sie müssen wissen,
dass die Banken in Deutschland in drei Säulen organisiert sind: Wir haben zum Ersten die Privatbanken, die
als Konzerne strukturiert sind, zum Zweiten die Sparkassen und zum Dritten die Volksbanken, die als Genossenschaften organisiert sind. Nun sind die jeweiligen Sparkassen wie auch die Genossenschaftsbanken in ihrem
Verbund zunächst jeweils selbstständig. Bei einer Konzernstruktur hingegen gibt es natürlich keine eigenständige X-Bank in Y-Stadt; vielmehr ist jede Bank dem
Mutterkonzern - dessen Sitz meist Frankfurt ist - zugeordnet. Die Frage war, wie Kredite innerhalb dieser
Gruppen bewertet werden müssen: ob dafür viel oder
wenig Eigenkapital zugrunde gelegt werden muss. Da ist
es uns gelungen, im Interesse der Sparkassen und auch
der Volksbanken die so genannten Intergruppenforderungen zu minimieren. Das war uns aus dem Grund
möglich, weil die Sparkassen bzw. die Volksbanken untereinander einen Haftungsverbund bilden. Wir haben
dafür sorgen können, dass ein solcher Haftungsverbund
von Brüssel genauso gewertet wird, als wenn die jeweiligen Banken zu einem Konzern gehörten. Dadurch ist
eine mögliche Benachteiligung der Sparkassen oder
Volksbanken ausgeräumt worden und die besondere
Struktur des deutschen Bankenwesens hat Berücksichtigung gefunden.
Danke schön. - Nun erteile ich Kollegen Fahrenschon
das Wort. Bitte.
Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen,
dass es sich bei Basel II um einen internationalen Rahmen für Bankgeschäfte handelt und dass die Bundesregierung vorschlägt, die nationale Umsetzung des europäischen Rahmens schnellstmöglich voranzutreiben.
In den Vereinigten Staaten hat die Debatte über
Basel II dazu geführt, dass dort die Umsetzung dieses
Regelwerks verschoben wurde. Vor diesem Hintergrund
möchte ich wissen, wo das Bundeskabinett die Vorteile
einer schnelleren Umsetzung für den Finanzmarkt
Deutschland sieht. Dabei würden mich auch zwei
Details interessieren: Am Anfang waren zwei Wahlrechte mit sektoralen Auswirkungen in der Diskussion.
Zum einen war angedacht, die Energiehändler von den
Eigenkapitalanforderungen auszunehmen, zum anderen,
die Wertpapierhandelsfirmen von den speziellen Unterlegungen für operationelle Risiken auszunehmen. Inwieweit sind diese Punkte im Gesetzentwurf berücksichtigt
worden?
Herr Kollege Fahrenschon, bezüglich der nicht zeitgleichen Umsetzung in den Vereinigten Staaten ist die
Bundesregierung gemeinsam mit der EU-Kommission
der Auffassung - die EU-Kommission wird dies in den
Gesprächen mit der amerikanischen Seite mit Nachdruck
vortragen -, dass Basel II möglichst rasch auch in den
USA eingeführt werden sollte. Das sehen nicht nur wir
und die EU-Kommission, sondern auch unsere europäischen Partner so.
Unabhängig von der Umsetzung in den Vereinigten
Staaten bleibt es bei dem Zeitplan, dass nämlich die
neuen Eigenkapitalregelungen für die Kreditinstitute und
die Wertpapierfirmen in der Europäischen Union zum
1. Januar 2007 eingeführt werden. Es liegt im Interesse
der Europäer, dass die in den USA tätigen EU-Banken
die Vorteile aus den neuen EU-Eigenkapitalregelungen
von Beginn an ohne Einschränkung nutzen können. Die
europäischen Institute haben sich darauf eingestellt, ihre
neuen Systeme weltweit einzusetzen. Auch wenn sie
Niederlassungen in den Vereinigten Staaten haben, werden die europäischen Institute das also zum 1. Januar
2007 tun.
Sie hatten noch nach den Energiehändlern und anderem gefragt. Moment, ich habe mir die Einzelheiten dazu
notiert. Ich habe es jetzt nicht im Kopf.
({0})
Zur Ausübung von Wahlrechten. Wir üben ungefähr
100 Wahlrechte aus. Insgesamt gibt es etwa 120 Wahlrechte. Für uns sind davon 100 interessant, die wir auch
ausüben. 30 davon üben wir wiederum zugunsten des
Mittelstandes aus. Wir üben praktisch alle aus, die von
Interesse für uns sind.
Eine der wichtigsten davon ist die Ausnahme von der
Überwachung des Eigenkapitals beim einzelnen Institut,
was bei der Aufsicht über die Bankengruppe zu Erleichterungen beim Meldeaufwand führt. Außerdem haben
wir - danach haben Sie gerade gefragt - die Ausnahme
für die Energiehändler in Anspruch genommen. Daneben nehmen wir auch die Ausnahme für die Wertpapierhandelsfirmen im Hinblick auf die Eigenkapitalunterlegung von operationellen Risiken in Anspruch.
Die beiden Fragen, die Sie gerade gestellt haben,
kann ich deswegen mit Ja beantworten.
Kollege Jochen-Konrad Fromme, bitte.
Frau Staatssekretärin, die Kreditversorgung ist für die
Mittelstandsbetriebe ja ein besonderes Problem. Die
Diskussion über Basel II hat zunächst einmal zu einer
großen Verunsicherung geführt, weil viele Kredite mit
Bezugnahme auf Basel II im Vorfeld versagt worden
sind.
Damit es jeder versteht: Können Sie noch einmal
ganz einfach darstellen, wie zum Beispiel ein Kredit von
bis zu 1 Million Euro - einen Kredit in einer solchen
Höhe brauchen Handwerksbetriebe ja häufig - behandelt
wird und was Sie tun werden, um jetzt in der Öffentlichkeit Aufklärungsarbeit zu betreiben, damit durch dieses
komplizierte Gebilde keine Verunsicherung geschaffen,
sondern die notwendige Sicherheit wiedergegeben wird?
Herr Kollege, ich bin Ihnen dankbar für die Frage und
ich will gerne noch einmal versuchen, das mit einfachen
Worten auszudrücken.
Gehen wir von einem Kredit in der Größenordnung
von bis zu 1 Million Euro je Kreditinstitut aus. Jemand,
der genügend Bonität hat, könnte sich also bei dem einen
Kreditinstitut 1 Million Euro leihen und bei einem anderen eine weitere Million Euro aufnehmen. Wenn er die
Bonität nachweist, werden ihm die beiden Banken das
wohl leihen. Man hat ja häufig eine Kreditstreuung über
mehrere Institute.
Dieser Kredit in der Größenordnung von bis zu
1 Million Euro fällt unter die so genannten Privatkredite
oder auch unter das Retailportfolio. Im Zusammenhang
mit dem Finanzmarkt werden ja immer englische Begriffe verwendet. - Für diese Kredite von nicht so umfangreicher Größe - also bis zu 1 Million Euro - wird es
zukünftig sogar weniger Anforderungen an die Höhe des
Eigenkapitals der kreditgebenden Banken geben, und
zwar wird die Erleichterung etwa ein Viertel betragen.
Wenn die Bank also nach noch geltendem Recht einen
Kredit in der Größenordnung von 1 Million Euro vergibt, dann muss sie mehr Eigenkapital dafür haben, als
sie zukünftig dafür haben muss. Das heißt, das, was zukünftig bankaufsichtsrechtlich dabei zu tun ist, führt bei
den Banken zu einer Erleichterung bei der Kreditvergabe. Es geht jetzt nur um bankaufsichtsrechtliche Fragen. In Bezug darauf wird es zu einer Erleichterung
kommen.
Unabhängig davon muss die Bonität des einzelnen
Kreditnehmers durch die Bank natürlich geprüft werden.
Das ist nicht anders, als es bisher schon war. Es ist nicht
so, dass man einen Anspruch auf eine Kreditvergabe
hätte; vielmehr handelt es sich um ein zweiseitiges Geschäft zwischen einem, der einen Kredit haben möchte,
und einem, der einen Kredit vergibt oder aber auch nicht.
Niemand hat einen Anspruch auf einen Kredit; vielmehr muss eine ausreichende Bonität vorhanden sein.
Das hat sich durch die bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften nicht geändert. Aber vonseiten der Banken
wird die Kreditvergabe in der Größenordnung von bis zu
1 Million Euro zunächst erleichtert.
({0})
Kollege Fromme.
Das heißt im Grunde genommen: Weil die Bank weniger Eigenkapital hinterlegen muss, kann sie - eine ausreichende Bonität vorausgesetzt - den Kredit wirtschaftlicher und damit preiswerter vergeben?
Richtig. Sie kann im Verhältnis zu ihrem Eigenkapital
mehr Kredite vergeben, als sie das bisher tun konnte,
wenn die Kredite sich in dem Volumen von bis zu
1 Million Euro bewegen. Bei sehr vielen kleineren Instituten mit lokaler Bedeutung macht dies fast das ganze
Geschäft aus.
({0})
Ich erteile das Wort Kollegen Gerhard Schick von den
Grünen.
Danke schön. - Frau Staatssekretärin, meine Fragen
gehen in Richtung der Diskussion, die ganz am Anfang
stand, nämlich in Richtung der Systemrisiken.
Meine erste Frage ist: Kann man jetzt davon ausgehen, dass durch diese Regelungen, die wir in Deutschland übernehmen, das Risiko, das wir im Zusammenhang mit der Asienkrise diskutiert haben, zurückgeht?
Meine zweite Frage bezieht sich auf die prozyklische
Wirkung, die die Eigenkapitalunterlegung haben kann.
Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland gemerkt,
wie gefährlich es ist, wenn sich die Versorgung gerade
des Mittelstandes mit Krediten in der Phase eines konjunkturellen Abschwungs verschlechtert. Es besteht die
Gefahr, dass aufgrund einer Eigenkapitalunterlegung
nach Risikokomponenten dann, wenn im Abschwung
das Risiko zunimmt, eine prozyklische Wirkung auftritt.
Mich interessiert, ob im Kabinett diskutiert worden
ist, wie man damit umgeht und, da man in Deutschland
nicht mehr das gesamte System umgestalten kann - das
ist klar -, welche entsprechenden Vorkehrungen man
treffen kann, um eine mögliche prozyklische Wirkung zu
kompensieren.
Zu Ihrer ersten Frage, Herr Kollege Schick. Sie haben
Recht, Ausgangspunkt der ganzen Überlegungen zu
Basel II waren die Finanzkrisen insbesondere in Asien.
Davor gab es aber auch schon eine Krise in Mittel- und
Südamerika. Es ging um die Begrenzung der so genannten systemischen Risiken.
Vereinfacht ausgedrückt: In einigen Regionen in der
Welt wurden Kredite zu leichtfertig vergeben. Anschließend drohte ein Crash, der nur durch die Weltbank gemeinsam mit anderen Institutionen aufgefangen werden
konnte. Dies sollte für die Zukunft möglichst vermieden
werden. Das war der Ausgangspunkt der gesamten Überlegungen. Es ist gut, dass Sie daran noch einmal erinnern.
Soweit man das beurteilen kann, helfen die Basel-IIRegelungen, ein solches Szenario zu vermeiden. Seither
haben wir solche Krisen nicht mehr erlebt. In der Tat
sind die Banken vorsichtiger geworden. Soweit wir das
einschätzen können, wirken diese Vereinbarungen, die
durch Basel II getroffen worden sind und über eine EURichtlinie deutsches Recht werden, den systemischen
Risiken entgegen, weil die Risikogewichtung in den
Vordergrund tritt. Kredite werden nicht mehr schematisch vergeben; vielmehr werden je nach Risiko unterschiedlich teure Kredite - vereinfacht ausgedrückt - vergeben. Die Zinslast wird also höher, wenn das Risiko
steigt, oder aber es wird gar kein Kredit vergeben. Das
ist nicht neu, das hat es auch früher schon gegeben. Nach
unserer Kenntnis kann man sagen: Die Basel-II-Regelungen wirken diesen systemischen Risiken entgegen.
So ist es angelegt.
Mit den prozyklischen Effekten hat sich das Bundeskabinett in seiner Beratung im Einzelnen nicht befasst.
Aber das Kreditgeschäft reagiert auf Konjunkturschwankungen grundsätzlich empfindlich; das ist nicht zu vermeiden. Prozyklische Effekte durch Basel II sind selbstverständlich nicht beabsichtigt und sollten möglichst
vermieden werden. Andererseits ist nicht von der Hand
zu weisen, dass das Kreditgeschäft auf Konjunkturschwankungen empfindlich reagiert und infolgedessen
eine Tendenz aufweist, sich prozyklisch zu verhalten.
Das wird aber durch Basel II nicht verstärkt.
Die Institute sind angehalten, durch eine vorausschauende Steuerung der Kreditvergabe einem bloßen zyklischen Kreditvergabeverhalten entgegenzuwirken. Das ist
die Aufgabe der Institute selbst.
Der gesamte Basel-II-Prozess hat auch dazu geführt,
dass in den Bankengruppen in Deutschland eine vertiefte
Kenntnis über die Risikoadäquanz erworben wurde, weil
sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Banken
schon seit Jahren - intensiver als früher - mit diesem
Thema befassen. Insofern ist die intellektuelle Kapazität
der handelnden Personen in den letzten Jahren erweitert
worden, sodass man in dieser Hinsicht guten Mutes sein
kann. Gleichwohl lassen sich Risiken nie ganz ausschließen.
Ihre Nachfrage, bitte.
Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es bei dem
Systemrisiko um die Risikoposition im Gesamtsystem
aufgrund der Interaktion zwischen den verschiedenen
Kreditinstituten, Währungsräumen etc. Die Basel-II-Regelungen beziehen sich aber auf die Kreditvergabe an ein
einzelnes Unternehmen und reduzieren das Insolvenzrisiko des einzelnen Kreditinstituts, können aber - so
habe ich es der wissenschaftlichen Diskussion entnommen - das Systemrisiko gerade dadurch noch erhöhen.
Ich habe Ihre Antwort so verstanden, dass Sie auf das
Risiko der Insolvenz des einzelnen Instituts eingegangen
sind.
Nein, Herr Kollege. Das ist zwar einerseits der Fall,
aber auf der anderen Seite ist bei der jeweiligen Kreditvergabe die Risikobehaftetheit des geforderten Kredites
genauer zu betrachten, sodass es, vereinfacht ausgedrückt, nicht mehr so einfach ist, schlechtem Geld immer weiter gutes Geld hinterherzuwerfen, wie es manchmal der Fall ist. Das sind natürlich Fehlentscheidungen.
In einigen Fällen empfiehlt es sich, einen Kreditnehmer mit einem weiteren Kredit zu stärken, wenn zu erwarten ist, dass er damit bestehende Turbulenzen überwinden kann. In manchen Fällen wird aber lediglich
schlechtem Geld gutes Geld hinterhergeworfen. Das liegt
zwar in der Verantwortung der einzelnen Institute - das
lässt sich nicht leugnen -, aber wenn die Risikoadäquanz
im Einzelnen stärkere Berücksichtigung findet, dann
wird auch das systemische Risiko insgesamt vermindert.
Danke schön. - Nun hat Kollege Axel Troost, Fraktion Die Linke, Gelegenheit zu einer Frage.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten noch einmal den eigentlichen Anlass der Basel-II-Regelungen dargestellt.
Ich meine aber, dass Sie die Auswirkungen auf die Mittelstandsfinanzierung ein bisschen bagatellisieren. Tatsächlich hatte man noch nie Anspruch auf einen Kredit.
Aber jetzt habe ich den Eindruck, dass Unternehmen, die
keinen Kredit brauchen, einen bekommen, während diejenigen, die einen brauchen, keinen bekommen. Durch
die Rankingverfahren und vieles andere mehr ist die Situation entstanden, dass nicht mehr allein der individuelle Tatbestand zugrunde gelegt wird.
Ich bin im Rahmen der Betriebsräteberatung relativ
viel herumgekommen und habe mit einem absolut gesunden Unternehmen - das ergibt sich aus der Bilanzanalyse des vergangenen Jahres - zu tun, dessen völlig
verängstigte Geschäftsführung mir jetzt dargelegt hat,
dass ihr die Werte aus der Vergangenheit in diesem Jahr
wenig nutzen; das Kreditinstitut gibt ihm kein Geld
mehr. Ich habe in der Textilbranche zu tun. In diesem
Bereich werden eben keine Kredite mehr vergeben bzw.
nur in Verbindung mit enormen Auflagen.
Insofern stellt sich die Frage, ob es nicht sinnvoll
wäre, zu untersuchen, welche Konsequenzen sich aus
den Basel-II-Regelungen für die Finanzierung des Mittelstands ergeben haben und ob andere Wege gefunden
werden müssen, um die Kreditversorgung des Mittelstandes sicherzustellen.
Herr Kollege Troost, durch die bankaufsichtsrechtlichen Vorschriften der Basel-II-Regelungen ergibt sich
keine schwierigere Situation für den deutschen Mittelstand. Im Gegenteil wird es - wie ich eben bereits ausgeführt habe - bei Krediten bis zu 1 Million Euro für die
Institute sogar prinzipiell leichter, Kredite zu vergeben,
weil sie selber diese Kredite mit weniger Eigenkapital
unterlegen müssen. Insofern bedeutet unser Vorhaben
eine Verbesserung bei der Vergabe von Krediten in einer
Größenordnung von bis zu 1 Million Euro. Das sind fast
90 Prozent aller bundesweit vergebenen gewerblichen
Kredite.
Gleichwohl will ich nicht von der Hand weisen, dass
es bei manchen Instituten - das ist manchmal fälschlich
mit Basel II begründet worden - Vorsichtsprinzipien
gibt, die im Einzelfall übertrieben sein mögen. Das hat
sich allerdings schon wieder geändert. Im Moment gibt
es keine Kreditrestriktionen, sondern eine verhältnismäßig geringe Kreditnachfrage. Tatsächlich sind die Verhältnisse nun wieder anders als vor einem Jahr.
In diesem von Ihnen angesprochenen Fall, wenn also
die Bilanz hervorragend ist, sollte der Betreffende natürlich einen Kredit bekommen, wenn nicht bei der einen,
dann bei einer anderen Bank; das ist gar keine Frage.
Andererseits müsste man den einen oder anderen deutschen Mittelständler auffordern - damit will ich jetzt
nicht den Stab über alle brechen -, die Offenlegung gegenüber seiner Bank zu verbessern. Ich selber komme
aus dem ländlichen Raum. Wenn dort ein Schreinermeister zu seiner Sparkasse geht und sagt: „Was willst du alles von mir wissen? Du hast doch schon meinem Vater
Kredite gegeben“, dann reicht das heutzutage einfach
nicht mehr aus. Er wird wohl die Fragen, die ihm seine
Bank stellt, beantworten müssen, auch wenn ihm das lästig ist. Daran muss sich der eine oder andere - insbesondere kleinere - deutsche Mittelständler noch gewöhnen.
In der Tat ändert sich die Kultur der Kreditvergabe,
aber nicht wegen Basel II, sondern zeitgleich mit
Basel II.
Danke schön, Frau Staatssekretärin.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Zuerst Kollegin Cornelia Hirsch und
dann Kollegin Petra Pau.
Ich möchte mich erkundigen, was heute zur geplanten
Föderalismusreform beraten wurde.
Wer von den anwesenden Staatssekretären möchte
antworten? - Der Vertreter des Bundeskanzleramtes,
Herr Staatsminister Neumann, wird antworten.
Im Bundeskabinett wurde dieses Thema heute kurz
angesprochen. Wir haben uns über den Stand der Gespräche informieren lassen. Es ist für morgen erneut eine
Runde vorgesehen, die versuchen wird, die Dinge, die
zwischen Bund und Ländern strittig sind, auszuräumen.
Ich gehe davon aus, dass das gelingt. Das Ziel der Bundesregierung ist, zu demselben Ergebnis wie in den von
der großen Koalition verabschiedeten Texten zu kommen. Von unserer Seite ist also nicht vorgesehen, Änderungen herbeizuführen. Das deckt sich auch mit der Meinung der beiden Koalitionsfraktionen. Ziel ist, auf der
Grundlage der Ergebnisse der damals vorzeitig beendeten Föderalismuskommission einen gemeinsamen Entwurf vorzulegen und dann einen gemeinsamen Beschluss
zu fassen.
Kollegin Pau, bitte.
Da in die Zeit der heutigen Kabinettssitzung die Verkündung des lang erwarteten Urteils des Bundesverfassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz fiel, interesPetra Pau
siert mich eine erste Stellungnahme der Bundesregierung
dazu bzw. die Antwort auf die Frage, auf welches weitere
Vorgehen Sie sich verständigt haben.
Wer kann darauf antworten? - Bitte, Herr Staatsminister Neumann.
Frau Kollegin, wir haben diese Nachricht über das
Urteil des Bundesverfassungsgerichtes im Laufe der Kabinettssitzung erhalten. Wir haben das kurz besprochen
und sind zu folgender Feststellung gelangt: Die Bundesregierung respektiert die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Luftsicherheitsgesetz. Ziel
der Bundesregierung bleibt jedoch, im Rahmen der Verfassung alles Menschenmögliche zu tun, um das Leben
unserer Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Anschlägen, auch vor solchen aus der Luft, zu schützen.
Wir werden prüfen, wie der Schutzzweck des Luftsicherheitsgesetzes in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz
und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes verwirklicht werden kann.
Kollegin Golze, Sie haben sich zu einer Frage gemeldet.
Ich habe eine Frage zur Föderalismusreform: Inwieweit wurde bei der heutigen kurzen Ansprache dieses
Themas auf die von der SPD geäußerten Bedenken beim
Thema Bildungspolitik eingegangen?
Herr Staatsminister.
Ich wiederhole das, was ich gesagt habe. Wir haben
nicht im Einzelnen Bedenken und Anregungen, die hier
und dort aus den unterschiedlichsten Richtungen vorgetragen worden sind, erörtert, sondern wir haben einmütig
vereinbart, was die Bundesregierung angeht, alles dazu
beizutragen, dass die inzwischen vorliegenden Texte in
diesem Sinne eingebracht und verabschiedet werden.
Somit haben Einzelheiten zu dem von Ihnen erfragten
Punkt keine Rolle gespielt.
Kollege Beck, bitte.
Ich wollte etwas zu dem von Frau Pau angesprochenen Komplex nachfragen: Teilt die Bundesregierung die
Auffassung, dass dieses Urteil eine klare Absage an einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist, und teilt sie
auch die Auffassung, dass es nicht notwendig ist, in diesem Zusammenhang grundsätzliche Korrekturen an der
Verfassung anzubringen, sondern dass es allenfalls darum gehen kann, für schwere Unglücksfälle in der Luft
einen entsprechenden Kompetenztitel für den Bund zu
schaffen, oder gehen die Überlegungen der Bundesregierung über diese Frage hinaus?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Die Bundesregierung hatte nicht die Zeit, diese Fragen im Einzelnen zu erörtern. Deswegen wiederhole ich
das, was ich als letzten Satz bezogen auf die Erklärung
gesagt habe. Wir wollen das Urteil in Ruhe prüfen und in
Ruhe bewerten. Ich finde, das Verfahren ist angemessen.
Wenn einem durch die Presse bzw. durch Anruf ein solcher Beschluss zukommt,
({0})
dann muss man sich erst einmal die Texte ansehen und
die Ausführungen im Einzelnen lesen. Das haben wir
uns vorgenommen. Deswegen haben wir über den Text,
den ich Ihnen vorgetragen habe, hinaus keine weiteren
Bewertungen vorgenommen.
Aber Sie können doch politisch die Frage beantworten, ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang
jenseits der Frage eines Einsatzes der Bundeswehr im
Rahmen der Luftsicherheit die Absicht hegt, die Verfassung in diesem Punkt zu ändern oder nicht. Dazu muss
man das Urteil nicht kennen; dazu muss man eine politische Auffassung haben.
Ich muss hier für die Bundesregierung sprechen. Die
Bundesregierung hält daran fest, dass sie sich, bevor sie
weitere Entscheidungen trifft bzw. weitere Schritte vorsieht, vorbehält, erst die Konsequenzen dieses Urteils im
Einzelnen zu prüfen und zu bewerten. Deswegen, aber
auch weil das nicht erörtert worden ist, bin ich nicht bereit, darüber hinaus weitere Mitteilungen zu machen.
Herzlichen Dank. Ich beende damit die Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/611 Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich der
Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die erste Frage wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern auf.
Vizepräsident Wolfgang Thierse
Wir kommen zur zweiten Frage, der Frage der Kollegin Kerstin Andreae. Da sie nicht anwesend ist, wird
verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Wir kommen zur Frage 3 des Abgeordneten HansKurt Hill:
Welche Auswirkungen auf den Wettbewerb im deutschen
Gasmarkt erwartet die Bundesregierung von der Tatsache,
dass der russische Energiekonzern Gasprom, der bereits eine
dominierende Marktstellung bei der Förderung, der Verteilung und dem Handel von Erdgas innehat, in Deutschland in
das Endkundengeschäft einsteigt und dazu Anteile an Stadtwerken erwerben will ({0})?
Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Wöhrl zur Verfügung. Bitte schön.
Herr Kollege Hill, Vorhaben von Zusammenschlüssen, auch wenn ausländische Unternehmen beteiligt
sind, sind eine Angelegenheit des Bundeskartellamts,
das diese im Rahmen der Fusionskontrolle bewertet. Es
gibt in Deutschland keine Möglichkeit, ausländische Kapitalbeteiligungen zu verhindern, weil wir die Freiheit
des Kapitalverkehrs haben. Die Bundesregierung steht
grundsätzlich Beteiligungen und Investitionen von ausländischen Unternehmen positiv gegenüber.
Sie haben die Gelegenheit zur Nachfrage, Kollege
Hill.
Vielen Dank. - Frau Staatssekretärin, ich möchte
nachhaken. Die deutsche Tochter der Gasprom, die ZGG
GmbH, ist bereits mit 35 Prozent an der Wingas GmbH
und mit 50 Prozent an der Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH beteiligt. 40 Prozent der Gasversorgung
kommen aus Russland. Gasprom agiert außerhalb der
Wettbewerbsregeln. Ich erinnere nur an die Probleme der
Ukraine. Wie will die Bundesregierung im Interesse der
Verbraucher konkret dem entgegenwirken, dass es auf
dem deutschen Markt durch die Vorgaben von Gasprom
zu einer verstärkten Abhängigkeit von den russischen
Gaslieferungen kommt?
Hinsichtlich unserer Abhängigkeit von Russland gilt:
Momentan beziehen wir 36 Prozent unseres Gases aus
Russland. Was Sie dazu gesagt haben, stimmt also. Man
kann aber nicht sagen, dass die deutsche Tochter von
Gasprom gegen Wettbewerbsrecht verstößt; sonst wäre
das Bundeskartellamt schon tätig geworden. Sie wissen
ganz genau, dass wir durch das neue Netzzugangsmodell
mehr Wettbewerb auf dem Gasmarkt schaffen wollen.
Das heißt, der Verbraucher soll den Gasproduzenten
künftig leichter wechseln können, um so zu günstigeren
Preisen zu kommen.
Ich nehme das gerne zur Kenntnis. Trotzdem möchte
ich noch einmal nachhaken. Die Marktsituation ist durch
eine Verflechtung der großen Gasversorger in Bezug auf
die Netze gekennzeichnet. Ich wage zu bezweifeln, dass
dies zum Vorteil der Verbraucher sein wird. Ich glaube
nicht, dass das Kartellamt ausreichend Kontrolle ausüben kann, um die Gaslieferanten davor zu schützen, einem neuen Monopol ausgesetzt zu sein. Auch Sie sagen,
dass man dieses neue Monopol mit den jetzigen Möglichkeiten kaum stoppen kann. Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Herr Hill, Sie sind der Erste, von dem ich höre, dass
er behauptet, in diesem Bereich entstehe in Deutschland
ein neues Monopol. Das widerspricht Ihrer Forderung,
zu kostengünstigen Energiepreisen zu kommen. Wir
wollen mehr Wettbewerb, gerade beim Netzzugang. Wir
haben das Energiewirtschaftsgesetz auf den Weg gebracht. Sie sagen einerseits: Wir wollen mehr Wettbewerb; wir wollen, dass der Verbraucher seinen Gasproduzenten künftig frei wählen kann. Auf der anderen
Seite sagen Sie: Den einen wollen wir nicht und den anderen wollen wir auch nicht. So geht das nicht.
Vielen Dank.
Wir kommen zur Frage 4 des Kollegen Hans-Kurt
Hill:
Welche konkreten Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu treffen, um die aktuellen nachfrage- und witterungsbedingten Engpässe bei der Versorgung mit Erdgas in
Deutschland zukünftig zu vermeiden?
Herr Kollege Hill, wir haben das Energiewirtschaftsgesetz auf den Weg gebracht. Der Versorgungsauftrag
betrifft in erster Linie die Gasversorgungsunternehmen.
Ich glaube hier sagen zu können, dass sie der Versorgungsverpflichtung bis jetzt in vollem Umfang gerecht
geworden sind.
Es gab nachfrage- und witterungsbedingte Engpässe.
Das wissen wir. Aber die Lage war beherrschbar. Der
Speichereinsatz ist sehr hoch. Wir haben in Deutschland
allein 40 Gasspeicheranlagen mit 100 Milliarden Kubikmetern, in denen ein Fünftel des jährlichen Bedarfs gespeichert werden kann.
Außerdem gibt es eine Diversifikation des Gasbezugs: Bestimmte Kunden haben Gasminderlieferungen
vertraglich vereinbart. Es gibt verschiedene Verträge mit
Kunden, die die Möglichkeit vorsehen, statt Erdgas andere Energieträger einzusetzen. Aufgrund vertraglicher
Vereinbarungen können die Lieferungen reduziert werden. Die entsprechenden Verträge beinhalten also Alternativen, weswegen Gas zu günstigeren Konditionen geliefert wird.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Das klingt sehr
beruhigend.
Trotzdem möchte ich eine Nachfrage stellen: Ist der
Bundesregierung bekannt, dass einzelne Energieversorgungsunternehmen planen, die Kapazität der Gasspeichersysteme auszubauen? Hält die Bundesregierung das
momentane Reservevolumen für ausreichend?
Mir liegen momentan keine Angaben dazu vor. Aber
ich kann Sie darüber schriftlich unterrichten.
({0})
- Bitte.
Die Frage 5 wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Scharfenberg auf:
Betrachtet die Bundesregierung den Erhalt von wohnortnahen Arbeitsplätzen, von dem insbesondere in Teilzeit arbeitende Frauen profitieren, wie zum Beispiel bei der Telekom,
als Chance für strukturschwache Regionen und was wird die
Bundesregierung als größter Anteilseigner der Telekom tun,
um Schließungen von Callcenterstandorten der Telekom, zum
Beispiel in Oberfranken, zu verhindern und damit die drohende Arbeitslosigkeit von Frauen abzuwenden, die auf
wohnortnahe Arbeitsplätze angewiesen sind?
Frau Scharfenberg, zu Ihrer Frage ist zu sagen, dass
es die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gibt - Sie kennen sie auch -,
die besonders in strukturschwachen Gebieten zum Tragen kommt. Die GA-Förderung ist zwar nicht geschlechtsspezifisch ausgerichtet, aber nichtsdestoweniger können in Ländern, die strukturschwache Regionen
haben, Investitionen gefördert werden, die gezielt Arbeitsplätze für Frauen schaffen, und dafür die Höchstförderbeträge gewährt werden.
Dann fördert die GA auch Investitionen zur Schaffung von Telearbeitsplätzen, wenn das mit Erziehungsbzw. Pflegeaufgaben in der Familie zusammenhängt.
Teilzeitarbeitsplätze werden bei der GA-Investitionsförderung anteilig berücksichtigt. Darüber hinaus kann
auch die Neuerrichtung von Callcentern, deren Arbeitsplätze überwiegend mit Frauen besetzt werden, mit GAZuschüssen gefördert werden.
Nun noch zu Ihrer speziellen Frage zu den Callcentern der Telekom. Sie wissen, dass die Telekom eine börsennotierte Aktiengesellschaft ist. Eine Einwirkung der
Bundesregierung ist nach dem Aktiengesetz nicht zulässig; denn nach dem Aktiengesetz werden die Geschäfte
vom Vorstand des Unternehmens in alleiniger Verantwortung geführt.
Kollegin Scharfenberg, bitte.
Ich habe dazu noch eine Nachfrage. Wie ich aus Ihren
Ausführungen heraushören kann, betrachten Sie es
schon als Chance für strukturschwache Gebiete, dass
solche Teilzeitarbeitsplätze, egal ob für Männer oder
Frauen, gefördert werden. Wenn die Bundesregierung
das als Chance sieht, dann würde mich interessieren, wie
die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsrat der
Telekom abgestimmt haben, als es um den angekündigten Stellenabbau bzw. um die Verlagerung der Callcenter
aus strukturschwachen Gebieten in Ballungsgebiete
ging.
Dazu kann ich Ihnen keine Angaben machen; ich
habe keine Kenntnis von dem Abstimmungsverhalten.
Ich habe aber schon darauf hingewiesen, dass aufgrund
des Aktiengesetzes keine Einflussnahme möglich ist.
({0})
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Der Parlamentarische Staatssekretär Peter
Paziorek beantwortet die Fragen hierzu.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Goldmann von der
FDP-Fraktion auf:
Durch welche Regelungen will die Bundesregierung das
Bedürfnis nach unabhängigen und verlässlichen Informationen der Verbraucherinnen und Verbraucher in einem Verbraucherinformationsgesetz - wie unter anderem im Zehnpunkteprogramm vom Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, angekündigt - befriedigen?
Herr Kollege Goldmann, um die Informationsmöglichkeiten der Verbraucherinnen und Verbraucher nachhaltig und wirksam zu stärken, wird sich die Bundesregierung für die Schaffung einer effektiven und
praktikablen gesetzlichen Regelung zur Verbesserung
der gesundheitsbezogenen Verbraucherinformation einsetzen. Neben einer Erleichterung der Befugnis der Behörden zur Information der Öffentlichkeit soll den Verbraucherinnen und Verbrauchern ein auf die Produkte
des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs sowie
des Weingesetzes bezogenes Zugangsrecht zu Informationen eröffnet werden, die bei Behörden vorhanden
sind.
Dies, Herr Goldmann, sollte heute Nachmittag im
Bund-Länder-Gespräch detailliert erörtert werden. Wieweit dies aber aufgrund der aktuellen Entwicklung im
Zusammenhang mit der Vogelgrippe tatsächlich der Fall
sein wird, kann von mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden.
Kollege Goldmann, bitte.
Herr Staatssekretär, zunächst einmal möchte ich Verständnis für den Teil Ihrer Antwort zum Ausdruck bringen. Wir haben uns heute Vormittag im Ausschuss ausgiebig mit dem Fall der Vogelgrippe beschäftigt. Nur, in
Ihrem Hause gibt es konzeptionelle Überlegungen. Die
wollten Sie heute Nachmittag der Verbraucherschutzministerkonferenz vorstellen. Ich hatte nun gefragt,
durch welche Regelungen Sie den Konflikt, der hier angesprochen worden ist, befrieden oder die Chance, die
nach Ihrer Auffassung in dem Zehnpunkteprogramm
liegt, nutzen wollen. Vielleicht können Sie an der einen
oder anderen Stelle doch noch etwas konkreter werden;
das, denke ich, darf ich als Parlamentarier von einer leistungsfähigen Regierung erwarten.
Herr Goldmann, ich habe Verständnis dafür, dass Sie
sehr hohe Anforderungen an die Leistungsfähigkeit der
Regierung stellen. Das ist auch grundsätzlich richtig so.
Man muss nur sehen, dass wir im Augenblick dabei sind,
die praktischen Fragen mit den zuständigen Ländern zu
erörtern. Bei den Fragen, ob ein eigenständiges Verbraucherinformationsgesetz aufgelegt und was im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch geregelt werden soll,
kommen wir, wie Sie wissen, in den Bereich der Zuständigkeit der Länder. Deren Antworten müssen also in der
Tat abgewartet werden. Deshalb kann ich zum jetzigen
Zeitpunkt nur sagen, dass wir die gesamte Palette der
Möglichkeiten erst einmal noch mit den Ländern erörtern müssen.
Kollege Goldmann, noch einmal.
Danke, Herr Präsident. - Ich ahne jetzt schon, wie
Sie, Herr Staatssekretär, die weiteren Antworten ausgestalten werden. Wir haben ja, wie Sie sicherlich zur
Kenntnis genommen haben, einen ganzen Fragenkomplex an Sie gerichtet, weil wir uns für diesen Sachverhalt
ganz besonders interessieren. Und erst gestern Abend,
als wir, Herr Staatssekretär, gemeinsam beim Abendessen waren, ist der Fall von Vogelgrippe aufgetreten.
({0})
- Ich rede von dem Fall auf Rügen, nicht von unserem
Abendessen.
Da sind wir beruhigt.
Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie die Antworten auf die sechs Fragen, die wir gestellt haben, erst
heute Morgen entwickelt haben. Lassen Sie mich deshalb zum Ausdruck bringen, dass ich ein wenig über Ihre
Antworten verwundert bin. Wir haben darüber hinaus
nämlich auch Informationen, dass Sie konzeptionelle
Vorstellungen bezüglich der Gesetzesformulierungen
schon an andere Institutionen herausgegeben haben. Vor
diesem Hintergrund halte ich es nicht für korrekt, dass
Sie mich als Parlamentarier - jedenfalls empfinde ich es
so - jetzt so auflaufen lassen.
({0})
Ich versuche es aber trotzdem noch einmal: Ist die
Bundesregierung weiterhin der Auffassung, dass ein
Verbraucherinformationsgesetz präventiv gegen Kriminalität wirkt? Vielleicht kann ich an dieser Stelle gleich
den Streit zwischen der Staatsanwaltschaft und den
Ministerien in Bayern einbinden, den es im Zusammenhang mit dem dortigen Wildfleischskandal gibt. Sind Sie
nicht auch der Auffassung, dass schon nach der jetzigen
Regelung die Staatsanwaltschaft die Ministerien darüber
informieren muss, dass Schaden für Menschen entstehen
kann, und dass es deshalb eigentlich gar keiner Neuregelung in Form eines Verbraucherinformationsgesetzes
mehr bedarf?
Herr Goldmann, zunächst einmal muss ich an dieser
Stelle klar und deutlich sagen, dass wir zurzeit in unserem Hause einen ersten Referentenentwurf erstellen.
Eine Kabinettsabstimmung hat also noch gar nicht stattgefunden. Wir sind vielmehr dabei, die nach den verschiedenen Verfahrensbestimmungen notwendigen Anhörungen und Gespräche zu führen. Wir sind dabei, mit
den Ländern Detailfragen abzustimmen; auch Sie rekurrieren ja mit Ihrem Hinweis auf Bayern auf die bestehende Gesetzeslage. Auch ich bin ja lange Zeit Oppositionspolitiker gewesen und weiß, dass man als
Parlamentarier in einer solchen Situation gerne wissen
möchte, wie der Sachstand zu einem bestimmten Zeitpunkt im Ministerium ist. Ich muss an dieser Stelle aber
klar und deutlich sagen, dass wir uns in Abstimmungsgesprächen mit den zuständigen Stellen befinden, und
bitte um Verständnis, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt
eine Position des Hauses aufgrund der Gesprächslage
nicht vortragen kann.
Damit sind wir bei der Frage 8, ebenfalls vom Kollegen Goldmann:
Wie will die Bundesregierung zugleich den durch unsere
Rechts- und Wirtschaftsordnung garantierten Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von Unternehmen sicherstellen?
({0})
Ich gebe wenigstens eine Antwort in einem Satz, Herr
Goldmann. - Mit der von mir in der Antwort zur vorigen
Frage genannten gesetzlichen Regelung soll nach unseParl. Staatssekretär Dr. Peter Paziorek
ren Vorstellungen ein umfassender Schutz von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen gewährleistet werden. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse - das ist eine Grundsatzposition unseres Hauses - sollen nicht offenbart werden.
Nachfragen dazu?
Ja, selbstverständlich, Herr Präsident.
Bitte schön.
Ich habe eine Nachfrage zu dem Verbraucherinformationsgesetz, das die Bundesregierung auf den Weg bringen will. Wie wollen Sie, Herr Staatssekretär, denn dieses Verbraucherinformationsgesetz - vielleicht gibt es
dazu ja schon Vorstellungen - in bestehende gesetzliche
Regelungen wie zum Beispiel die Informationsfreiheitsgesetze, die es auf Bundes- und Länderebene gibt, integrieren oder wollen Sie auch das erst mit den Ländervertretern besprechen?
Hier geht es in der Tat um die äußerst spannende
Frage, ob im IFG abschließende Regelungen für diesen
Fall vorgesehen sind oder ob die Rechtsmeinung zutrifft,
dass tatsächlich noch Formulierungen zum Schutze von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen eingefügt werden
müssen, die über die jetzige Rechtslage hinausgehen.
Diese Rechtsfrage wird im Augenblick geprüft. Aus diesem Grunde kann ich Ihnen nicht mehr als den Hinweis
auf diesen Rechtsstreit mitteilen.
Noch einmal.
Herr Staatssekretär, können Sie mir vielleicht andeutungsweise darlegen, welche Absichten Sie verfolgen
- ich nehme an, dass Sie präventiv gegen Fleischskandale wirken wollen - und was bisher konzeptionell im
Hause angedacht ist, um konsequenter gegen Fleischskandale vorzugehen?
Herr Goldmann, ich habe großen Respekt vor der Art
und Weise, in der Sie immer wieder versuchen, zu einem
internen Beratungsstand Informationen zu bekommen.
Ich kann an dieser Stelle nur auf den augenblicklichen
Sachstand hinweisen. Ich habe schon angedeutet - das
möchte ich noch einmal positiv erwähnen -, dass wir das
Betriebs- und Geschäftsgeheimnis - Ihnen ist es ein besonderes Anliegen; so haben Sie sich, Herr Goldmann,
in der letzten Legislaturperiode auch bezüglich des Vermittlungsausschusses immer eingelassen - als ein wichtiges Kriterium sehen. Ich muss aber ganz klar und deutlich sagen: Bei Rechtsverstößen ist es natürlich eine
spannende Frage, wie in diesem Fall der Informationsanspruch gestaltet werden kann. Wir sind im Augenblick
dabei, diesen Sachverhalt im Zusammenhang mit der Erstellung des Gesetzentwurfes zu prüfen.
Bitte schön, Kollegin Höfken.
Auch ich bin brennend daran interessiert, Näheres
dazu zu erfahren. Herr Staatssekretär, ist der Tatbestand
der wirtschaftlichen Täuschung auch im Verbraucherinformationsgesetz erfasst und gibt es in diesem Bereich
ein aktives und passives Informationsrecht bzw. eine aktive und passive Informationspflicht?
In der Tat wird im Augenblick bei uns geprüft, ob bei
der anstehenden Novellierung von Gesetzen zum Lebensmittelrecht und eventuell bei einem eigenständigen
Entwurf zum Verbraucherinformationsgesetz die Fragen
der aktiven und der passiven Rolle ausgewogen gestaltet
werden müssen. Beim aktiven Recht geht es ja um die
Fragen: Was kann die Behörde selbst im Rahmen eines
bestimmten Falles tun? Wie kann sie informieren? Das
passive Recht beinhaltet die Frage: Welche Fragen können die Bürger im Laufe eines Verfahrens den zuständigen Behörden stellen und welche Antworten müssen
dann von den Behörden gegeben werden? Das alles ist
eng miteinander verwoben. Wir werden das in dem Gesetzentwurf, den wir im Augenblick vorbereiten, miteinander abstimmen und harmonisiert in einem Artikelgesetz, das dann zum Beispiel Regelungen zu einem
bestimmten Gesetz beim Lebensmittelrecht und zum
Verbraucherinformationsgesetz enthält, zusammenfassen.
Jetzt kommen wir zu den Fragen des Kollegen
Geisen, zunächst zur Frage 9:
Plant die Bundesregierung, in dem vom Bundesminister
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst
Seehofer, vorgeschlagenen Verbraucherinformationsgesetz einen unmittelbaren Auskunftsanspruch von Verbraucherinnen
und Verbrauchern gegen Unternehmen zu verankern, und,
falls ja, aus welchen Gründen?
Herr Kollege Geisen, Herr Bundesminister Seehofer
hatte die Absicht, am heutigen Tag in einem Gespräch
mit den Wirtschaftsverbänden und einzelnen Unternehmen die Möglichkeit der Einbeziehung der Wirtschaft in
eine verbesserte Verbraucherinformation zu erörtern, um
eventuell Vorschläge aus der Praxis bei dem jetzt anstehenden Erarbeitungsverfahren zu diesem Gesetzeswerk
einzubeziehen. Leider musste das Gespräch aufgrund
der aktuellen Entwicklung im Zusammenhang mit der
Vogelgrippe kurzfristig abgesetzt werden. Es besteht
aber die Absicht aller Beteiligten, dieses Gespräch baldmöglichst nachzuholen, weil diese Fragen für die Ausgestaltung eines Regierungsentwurfs von großer Bedeutung sind.
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich eine Nachfrage stellen
darf: Plant die Bundesregierung den Ausschluss der Informationsweitergabe bei Daten, die Gegenstand eines
laufenden Verwaltungsverfahrens sind, und, falls ja, warum, falls nein, warum nicht?
Dazu kann ich noch nichts sagen, weil die Planungsabsicht in unserem Hause noch nicht endgültig zum Abschluss gebracht worden ist.
Eine zweite Frage: Wird die Bundesregierung die
Weitergabe und Veröffentlichung von in der Vergangenheit liegenden Sachverhalten, insbesondere von Verstößen gegen das Lebensmittelrecht, bei denen aber keine
Gefahr mehr für die Verbraucherinnen und Verbraucher
besteht, künftig zulassen, auch wenn dadurch die Gefahr
der Berufsschädigung für Unternehmen besteht, und,
falls ja, aus welchen Gründen hält die Bundesregierung
dies insbesondere für mit der Verfassung vereinbar?
Auch dazu, Herr Kollege Geisen, muss ich Ihnen mitteilen, dass die endgültige Entscheidung in unserem
Hause zu diesem Gesetzentwurf noch nicht getroffen ist,
sodass ich Ihnen hierzu im Detail keine Antwort geben
kann.
Dann kommen wir zur Frage 10 des Kollegen Geisen:
Wie will die Bundesregierung die Unternehmen allgemein
an dem Prozess der Information und Auskunft durch die Behörden, die ein Auskunftsbegehren eines Verbrauchers gemäß
dem geplanten Verbraucherinformationsgesetz bearbeiten, beteiligen, insbesondere durch Anhörungs- und Einspruchsrechte?
Herr Kollege Geisen, die Bundesregierung wird dafür
Sorge tragen, dass bei der geplanten gesetzlichen Regelung zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen
Verbraucherinformation auch berechtigte Belange betroffener Dritter bei der Bearbeitung eines Auskunftsbegehrens insbesondere durch verfahrensmäßige Absicherungen zu berücksichtigen sind.
Vielen Dank.
Danke schön. - Wir kommen damit zur Frage 11 der
Kollegin Schuster, FDP-Fraktion:
Wie will die Bundesregierung ein angekündigtes Verbraucherinformationsgesetz ausgestalten, damit komplexe und
fachspezifische Daten in allgemein verständlicher und für die
Verbraucherinnen und Verbraucher nachvollziehbarer Weise
herausgegeben werden?
Frau Kollegin Schuster, die Bundesregierung wird
sich dafür einsetzen, dass die genannte gesetzliche Regelung eine Bestimmung enthält, wonach die an die Verbraucherinnen und Verbraucher herauszugebenden Informationen verständlich dargestellt werden sollen.
({0})
Bitte, Sie haben Gelegenheit zur Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, meine
Nachfrage betrifft die Verbraucherinnen und Verbraucher. Plant die Bundesregierung, die Auskunftserteilung
durch die Behörden gegenüber den Verbrauchern kostenpflichtig zu gestalten? Falls ja: In welchem Rahmen sollen sich die Gebühren bewegen? Mich interessiert, ob
sich die Höhe dieser Gebühren an dem Informationsfreiheitsgesetz oder dem Umweltinformationsgesetz orientieren wird.
Auch dazu muss ich klar und deutlich sagen, dass eine
endgültige Entscheidung darüber noch nicht getroffen
worden ist. Die Problemlage, auf die sich auch Ihr berechtigter Hinweis bezogen hat, ist bekannt. Es ist sinnvoll, hier eine Abgleichung vorzunehmen. Aber ich kann
noch nicht sagen, wie die endgültige Entscheidung aussehen wird.
Jetzt zunächst der Kollege Goldmann mit seiner Zwischenfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie in groben Zügen darstellen, was Inhalt dieser „verständlichen Aufbereitung“
sein soll und welcher personelle - und damit kostenmäßige - Aufwand nach Ihrer Meinung nötig ist, um diese
sicherzustellen? Sie können dazu einmal ins Internet
schauen. Da sind konzeptionelle Vorstellungen Ihres
Hauses zu finden. Wie Sie sicherlich wissen, ist einer der
Juckepunkte, wie sich der Kostenrahmen beim Verbraucherinformationsgesetz entwickelt.
Herr Goldmann, Sie haben in der letzten Legislaturperiode monatelang an den Beratungen teilgenommen.
Daher ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die Länder zu
dieser Verpflichtung immer eine gewisse reservierte Haltung einnahmen. Denn diese Vorgehensweise ist personal- und damit kostenaufwendig. Ich weiß nicht, wie Sie
damals im Vermittlungsverfahren abgestimmt haben
({0})
- Sie waren also dagegen; jetzt verstehe ich Ihre Frage -,
aber jedenfalls ist seinerzeit vereinbart worden, dass die
Informationen für die Verbraucherinnen und Verbraucher verständlich dargestellt werden sollen. Das war
Konsens im Vermittlungsausschuss. Niemand in der
Bundesregierung und in diesem Hohen Hause käme
doch auf die Idee, eine andere Forderung zu erheben.
Ich gebe jetzt Kollegin Schuster die Gelegenheit zu
ihrer zweiten Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. - Auch auf die Gefahr hin,
dass es aus den bekannten Gründen jetzt keine Antwort
gibt, möchte ich fragen: Will die Bundesregierung die
Behörden zu weiter gehenden Veröffentlichungen, also
auch ohne konkretes Auskunftsbegehren eines Verbrauchers, insbesondere unter der Nutzung des Internets gesetzlich verpflichten? Aus welchen Gründen sieht die
Bundesregierung den bestehenden § 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches als nicht ausreichend
an?
Ich habe Verständnis dafür, dass Sie Kenntnis über
die genauen Formulierungen haben wollen. Aber es
existiert noch nicht einmal ein Referentenentwurf. Ihre
Fragen sind zwar berechtigt - damit treffen Sie den Kern
der Probleme, Hochachtung! -, aber sie werden etwas zu
früh gestellt, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben
darf.
Ich muss klar und deutlich sagen: Die Probleme sind
bekannt. Wenn es wissenschaftlichen Streit in der Frage
der Bewertung gibt, zum Beispiel ob etwas genotoxisch
ist oder nicht, dann muss der Sachverhalt so aufbereitet
werden, dass der interessierte Internetbenutzer erkennt,
dass es viele Meinungen und nicht eine einzige Meinung
gibt. Dieses Problem ist bekannt. Mit den Ländern muss
erörtert werden, wie man praktikabel vorgehen kann.
Kollegin Höfken hat auch noch eine Nachfrage.
Wir haben heute im Ausschuss auch schon ein wenig
über dieses Thema diskutiert. Sie konnten leider nicht
anwesend sein. Daher ist es ein bisschen gemein, wenn
Sie jetzt gefragt werden. Aber so ist es nun einmal.
Wir haben uns ausführlich mit dem Wildfleischskandal beschäftigt und haben, wie ich denke, im Großen und
Ganzen übereinstimmend festgestellt, dass es sich um einen unsäglichen Skandal handelt, der die Landwirtschaft
und die gesamte Lebensmittelbranche in Verruf bringt.
Aus diesem Skandal muss eine Vielzahl von Konsequenzen gezogen werden.
In diesem Zusammenhang ist das Verbraucherinformationsgesetz von besonderer Bedeutung. Meine Frage
dazu lautet: Gedenken Sie aus dem Wildfleischskandal
- wie Umetikettierung und Neudeklaration, Auftauen
von Tiefkühlware und Verkauf als frische Ware - entsprechende Konsequenzen für das Verbraucherinformationsgesetz zu ziehen?
Frau Höfken, alle Vorkommnisse und alle Tatbestände, die Sie gerade angesprochen haben, müssen vom
Sachverhalt her beurteilt und gewichtet werden. Daraus
müssen dann Konsequenzen hinsichtlich der Praktikabilität der neuen gesetzlichen Regelungen gezogen werden.
Aus diesem Grunde ist es eine dringende Notwendigkeit,
diese Fragen in den Gesprächen mit den Ländern, die
teilweise die allein zuständigen Vollzugsbehörden sind,
zu erörtern und darüber nachzudenken, welche Konsequenzen für die Formulierung der Gesetzesbestimmungen gezogen werden müssen. Daher kann ich nur sagen:
Wir sind bereit, alle Vorkommnisse in die Überprüfung
einzubeziehen.
Dann der Kollege Beck.
Herr Staatssekretär, über den Diskurs, den wir zu den
Fragen der FDP-Fraktion im Zusammenhang mit dem
Verbraucherinformationsgesetz führen, bin ich insgesamt etwas verwundert. Denn im Wesentlichen sagen Sie
uns: Informationen müssen verständlich sein. Über alles
muss geredet werden. - Das sind sehr pauschale Auskünfte. Wie erklären Sie es sich, dass man in dieser Fragestunde den Eindruck gewinnen muss, dass die Bundesregierung nicht weiß, was sie im Zusammenhang mit
dem Verbraucherinformationsgesetz will, bzw. Sie uns
Volker Beck ({0})
dies nicht sagen dürfen, angesichts der Tatsache, dass ein
Entwurf dieses Gesetzes für Ende Januar angekündigt
war und seit Dezember ein Gesetzentwurf unserer Fraktion dem Ausschuss vorliegt? Es steht Ihnen frei, von
diesem Gesetzentwurf abzuschreiben, wenn Sie selber
nicht mehr weiterwissen. Können Sie mir, falls Sie dem
Eindruck widersprechen wollen, dass Sie hier nur sehr
allgemein und an der Sache vorbei antworten, im Gegenzug, um mich vom Gegenteil zu überzeugen, sagen, in
welchen Punkten sich die Vorstellung der Bundesregierung vom Gesetzentwurf der Grünen, der schriftlich vorliegt, unterscheidet?
Zunächst einmal muss ich mit aller Entschiedenheit
den Vorwurf zurückweisen, die Bundesregierung in meiner Person rede an der Sache vorbei. Ganz im Gegenteil:
Ich habe Ihnen den Beratungsbedarf und den Arbeitsstand innerhalb der Bundesregierung bzw. des Ministeriums exakt geschildert. Ich bin der Ansicht - das ist der
Sachverhalt -, dass Informationen umfassend und korrekt erfolgen müssen. All die Punkte, die hier inhaltlich
angesprochen worden sind, müssen in der Tat bei der
rechtlichen Ausformulierung besonders berücksichtigt
werden. Wenn der Referentenentwurf in unserem Hause
fertig gestellt sein wird, wird das Verfahren so ablaufen,
wie Gesetzgebungsverfahren bei allen Bundesregierungen - auch zu Ihrer Zeit, als Sie in der Regierung waren abgelaufen sind: Dann wird der Referentenentwurf sowohl der Bundesregierung als auch dem Ausschuss und
den interessierten Kreisen für eine breitere Diskussion
zur Verfügung gestellt.
({0})
- Herr Beck, ich kenne keine Differenzen in der Sache.
Jetzt Kollegin Wolff und dann Kollege Goldmann.
Dann sollten wir die Frage 12 abschließen und zur
nächsten übergehen.
Herr Staatssekretär, gehe ich recht in der Annahme
- auch ich bin im Übrigen der Meinung, dass wir diese
Frage abschließen sollten -, dass das, was in der Bundesregierung jetzt vorbereitet wird, mit allen Betroffenen
besprochen wird? Soweit mir bekannt ist, ist das bisher
der Fall gewesen. Vielleicht könnten Sie den Parlamentariern noch erklären, dass, wenn ein Gesetzentwurf auf
den Tisch kommt, das Parlament gefragt ist und alle Kolleginnen und Kollegen - jedenfalls kenne ich das so aus
den sieben Jahren meiner Parlamentsarbeit - dann die
Möglichkeit haben, an diesem Gesetz mitzuarbeiten.
({0})
Den ersten Aspekt Ihrer Frage kann ich bejahen. Ich
will ausdrücklich betonen, Frau Wolff, dass aktuell Gespräche mit den betroffenen Bereichen der Wirtschaft,
den zuständigen Behörden und den Ländern geführt werden, um abzuchecken, ob uns eine Gesetzesformulierung, die wir eventuell vorschlagen wollen, auch tatsächlich in der Praxis einen Schritt weiterbringen würde. Das
ist ein ganz normales Verfahren, das in Gesetzesverfahren bei der Erarbeitung von Entwürfen immer angewandt wird. In der Praxis gibt es da kein Abweichen.
Ich kann also feststellen: Gespräche mit interessierten
Kreisen sind fest terminiert. Nach Abschluss dieser Gespräche werden wir einen Referentenentwurf erstellen.
Darüber hinaus wird es so sein, dass wir, wie es nach der
Geschäftsordnung die Pflicht unseres Hauses ist, in einen engen Dialog mit dem Gesetzgeber, nämlich mit diesem Hohen Hause, treten, das dieses Gesetz letztlich verabschieden wird.
Nun noch Kollege Goldmann.
Herr Staatssekretär, nach meiner Einschätzung haben
die Ungereimtheiten beim Fleischskandal sehr viel mit
„regionaler Verfilzung“ zu tun. Ist in Ihren Vorstellungen, die Sie heute Morgen Vertretern von Verbänden und
Parteien dargelegt haben und die Sie heute Nachmittag
den Verbraucherschutzministern zur Kenntnis geben, der
Gesichtspunkt einer fachlichen, informativen Meinungsführerschaft des Bundes gegenüber den Ländern berücksichtigt, oder ist das von Ihnen nicht angedacht?
Generell ist zu sagen, dass wir im Rahmen des BundLänder-Verhaltens von dem Grundsatz der Kooperation
ausgehen. Es muss ein gemeinsames Vertrauensverhältnis geben. Das ist sogar ein tragender Grundsatz der Verfassung. Unter diesem Gesichtspunkt beantworte ich
Ihre Frage nicht positiv.
({0})
- Das ist durchaus nicht ausgeschlossen. Auch eine
Taskforce ist im Gespräch. Hierzu gibt es aber noch
keine verbindliche Entscheidung.
Wenn ich richtig aufgepasst habe, kommen wir jetzt
zur Frage 12 der Kollegin Schuster. - War die schon beantwortet? - Entschuldigung, dann zur Frage 13 der Kollegin Höfken:
Wird die Bundesregierung die fehlenden toxikologischen
Daten, die für eine Gesamtbewertung der Gesundheitsgefährdung durch Isopropylthioxanton, ITX, erforderlich sind, erheben oder von der Verpackungsindustrie einfordern, um zu einer abschließenden Empfehlung für die Verwendung dieser
Chemikalie zu kommen?
Frau Höfken, in ihren Stellungnahmen kommen die
europäischen Behörden für Lebensmittelsicherheit und
das Bundesinstitut für Risikobewertung zu dem Schluss,
dass die ITX-Rückstände in Lebensmitteln nach dem jetzigen wissenschaftlichen Kenntnisstand nicht genotoxisch sind. Für eine vollständige gesundheitliche Bewertung sind zusätzliche Daten zur toxischen Wirkung,
zur Bioverfügbarkeit und zur Toxizität dieses Stoffes erforderlich. Es obliegt der Industrie, diese weiteren Daten
zur Verfügung zu stellen.
Das BMELV ist mit den Ländern und den beteiligten
Wirtschaftskreisen bezüglich eines nationalen Orientierungswertes für ITX im Gespräch. In Kontakt mit der
Wirtschaft sollen tragfähige Lösungen entwickelt werden, die dem Problem gerecht werden. Wie bekannt ist,
hat unter anderem Tetra Pak angekündigt, die Belastungen deutlich zu minimieren. In diesem Zusammenhang
wird aber geprüft, ob ein EU-weites Vorgehen, zum Beispiel die Festlegung einheitlicher Beurteilungskriterien
einschließlich der eventuellen Schließung von Datenlücken, auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist.
Es war vorgesehen, Frau Höfken, auch diesen Sachverhalt in dieser Woche zu erörtern. Die Termine waren
schon vereinbart, sowohl mit Vertretern der Wirtschaft
als auch mit Vertretern der zuständigen Länder. Inwieweit sich die beiden Termine in dieser Woche aufrechterhalten lassen, kann ich heute nicht beurteilen.
Bitte, Kollegin Höfken.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Instrument REACH, das es ermöglicht, Aufschluss über
die Daten solcher Altlasten zu geben? Sind Sie nicht
auch der Auffassung, dass es völlig ungerechtfertigt ist,
wenn die Bundesregierung die Bestimmungen in
REACH in Brüssel derart massiv einschränkt und hier
nicht die notwendigen Informationen über möglicherweise gefährliche Altlasten gibt?
Gefährliche Altlasten müssen - das ist unbestritten
und war immer Position der Bundesregierung - eindeutig benannt werden. Dazu bedarf es eines entsprechenden Prüfverfahrens.
Die entscheidende Frage in der letzten Legislaturperiode war ja, ob all die Verfahrensbestimmungen, die im
ersten Entwurf zu REACH von der Kommission angedacht waren, tatsächlich notwendig sind, um Gefahrensituationen zu beschreiben. Es gab unterschiedliche Ansichten darüber. Wir sind der Ansicht, dass das, was jetzt
auf europäischer Ebene zu REACH vereinbart worden
ist, ausreicht, um Gefahrenlagen, wie sie jetzt bei ITX
aufgetreten sind, zu beschreiben.
Haben Sie eine weitere Nachfrage dazu? - Dann können wir zur Frage 14 der Kollegin Höfken übergehen:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass angesichts
der ungeklärten toxikologischen Bewertung der Chemikalie ITX
in Kartonsäften und den von der Deutschen Umwelthilfe gefundenen Belastungen in Höhe von bis zu 447 Mikrogramm
pro Kilogramm in einzelnen Säften, die den österreichischen
Grenzwert von 50 Mikrogramm pro Kilogramm erheblich
überschreiten, eine Aktion des Rückrufs der belasteten Säfte
durch die Behörden und Unternehmen durchzuführen ist?
Nach Angaben der österreichischen Regierung ist
vorgesehen, zum Vorkommen von ITX eine Empfehlung
zu erarbeiten. Einen Grenzwert für ITX gibt es in Österreich nicht.
Für die Überwachung des Verkehrs mit Lebensmitteln
sind in der Bundesrepublik Deutschland die Länderbehörden zuständig. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat in seiner Empfehlung im Rahmen der Bewertung von ITX dargelegt, dass die bisher von der Industrie
vorliegenden toxikologischen Daten zum Ausschluss der
Genotoxizität für die Bewertung mit einem maximalen
Übergang von 50 Milligramm pro Kilogramm in Lebensmitteln ausreichen. Zu diesem Schluss kommt auch
die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit in
ihrer Bewertung. Diese Empfehlungen der beiden Stellen liegen den zuständigen Länderbehörden vor.
Bitte schön.
Ich würde gerne noch wissen, ob Sie in dem Zusammenhang nicht eine Rückrufaktion für erforderlich halten, weil der Wert doch sehr hoch ist. Ganz allgemein
kann man doch sagen: Druckereierzeugnisse gehören
wohl kaum in Säfte.
Wann rechnen Sie - das ist meine zweite Frage - mit
dem Abschluss der Datenerhebung?
Zunächst einmal kann ich für die Bundesregierung sagen, dass wir Ihrer Meinung sind: Solche Druckermittel
dürfen natürlich nicht in Lebensmitteln anzufinden sein.
Wir werden auch alles tun und die Wirtschaft darauf hinweisen, dass Verfahren geändert werden müssen, damit
solche Gefahren von vornherein ausgeschaltet sind. Es
hat bereits Mitte Dezember Gespräche zwischen Vertretern unseres Hauses und denen der betroffenen Wirtschaft dazu gegeben. Diese hat in den Gesprächen zugesagt, die Verfahren sofort zu verändern.
({0})
- Das wollte ich gerade sagen. Das ist erfolgt, sodass wir
jetzt davon ausgehen können, dass die Verfahren, die
zum Eintrag der Stoffe geführt haben, nicht mehr angewandt werden. Wir wollen in dieser Woche mit der Wirtschaft sprechen, ob das Verfahren, das wir angestrebt haben, in der Sache auch ausreichend ist oder ob noch
weitere Maßnahmen ergriffen werden müssen. Wir stehen also in Kontakt mit der Wirtschaft, um mögliche Gefahrenquellen von vornherein zu beseitigen.
Sind denn jetzt alle Verfahren geändert?
Soweit ich das im Augenblick beurteilen kann - das
muss ich an dieser Stelle etwas vorsichtig sagen -, sind
deutliche Minderungen eingetreten. Man hat mir gesagt,
man könne nach dem jetzigen Stand davon ausgehen,
dass fast alle Verfahren geändert worden sind. Wir werden auch dazu in dieser Woche eine Information seitens
der Wirtschaft bekommen.
Die Kollegin Schuster hat mir signalisiert, dass ich
doch Recht hatte und die Frage 12 der Kollegin Schuster
noch nicht beantwortet ist. Ich rufe sie daher auf:
Wie will die Bundesregierung insbesondere vermeiden,
dass Informationen dadurch missverständlich werden, dass sie
aus dem Zusammenhang gerissen an die Öffentlichkeit oder
an einzelne Verbraucherinnen und Verbraucher herausgegeben werden?
Herr Staatssekretär.
Frau Schuster, die in der Antwort auf eine vorhergehende Frage - ich weiß nicht, ob es eine von Ihnen war genannte Bestimmung kann im Einzelfall natürlich auch
erfordern, dass herauszugebende Informationen aufbereitet, mit Erläuterungen versehen oder im Zusammenhang dargestellt werden.
Bitte.
Ich habe keine Nachfrage, danke.
Danke schön.
Dann kommen wir zum nächsten Geschäftsbereich,
und zwar dem des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht
Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung.
Wir kommen zur Frage 15 der Kollegin Lötzsch:
Welche Aktivitäten plant die Bundesregierung in diesem
Jahr anlässlich des Internationalen Frauentages?
Konkret aus Anlass des Internationalen Frauentages
wird die Bundesregierung am Vorabend in Berlin ein
bundesweites Frauen-Business-Mentoring mit dem Titel
„Von Vorbildern lernen“ durchführen lassen. Die Mentoringfachtagung wird von der Käte-Ahlmann-Stiftung organisiert. Es ist die Abschlussveranstaltung eines sehr
erfolgreichen Modellprojektes, das vom Ministerium finanziert wurde. Die Käte-Ahlmann-Stiftung als Organisatorin setzt damit das erste bundesweite Mentoringprogramm von Unternehmerinnen für Unternehmerinnen
erfolgreich um.
Über den konkreten Anlass des Internationalen Frauentages hinaus sind im weiteren Verlauf der Legislaturperiode zahlreiche Projekte und Initiativen im Bereich
der Gleichstellungspolitik vorgesehen.
Kollegin Lötzsch, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
dankenswerterweise haben Sie in Ihrer Antwort den direkten Bezug auf den Internationalen Frauentag genommen. Ich habe auf der Homepage Ihres Ministeriums den
Suchbegriff „Frauentag“ eingegeben. Dort erschien jedoch kein Stichwort. Vielleicht können Sie eine entsprechende Änderung veranlassen, damit das der Öffentlichkeit bekannt gegeben wird.
Sie haben gesagt, Sie planen zahlreiche Initiativen.
Mich würde interessieren, welche Initiativen die Bundesregierung noch in diesem Jahr plant, um die Gleichstellung von Frauen und Männern zu fördern. Können
Sie Beispiele nennen?
Ja. Zunächst einmal vielen Dank für die Anregung zur
Gestaltung der Homepage. Ich werde das im Haus entsprechend weitergeben.
Konkret planen wir - auch gemäß Koalitionsvertrag einen Bericht zur Gleichstellung von Frauen und Männern. Die Bundesregierung wird dazu eine Stellungnahme abgeben. Es ist eine Regierungserklärung vorgesehen. In dieser sollen weitere Fortschritte aufgezeigt
werden. Die verbliebenen Defizite sollen offen gelegt
und die sich daraus ergebenden Konsequenzen gezogen
werden. Die Grundlage für diesen Bericht wird der kommentierte Datenreport sein, der 2005 im Auftrag des
BMFSFJ durch das Deutsche Jugendinstitut erstellt worden ist.
Als weiteren Punkt - neben vielen anderen - möchte
ich nennen: Es wird einen Bericht zu den Auswirkungen
des Prostitutionsgesetzes geben, beispielsweise zur
Frage, ob die damit verbundenen Erwartungen erfüllt
wurden. Eine Frage, über die viel diskutiert wurde und
die in diesem Zusammenhang auch erörtert werden
muss, ist, welche Konsequenzen sich aus dem Prostitutionsgesetz für die Strafverfolgung von Menschenhandel
ergeben haben. Dazu gibt es verschiedene Hypothesen
und Behauptungen. Dies soll untersucht werden.
Des Weiteren soll der Aktionsplan zur Bekämpfung
von Gewalt gegen Frauen fortgeschrieben werden.
Als Letztes will ich eine bundesweite Helpline „Gewalt gegen Frauen“ nennen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich komme noch
einmal auf Ihre ursprüngliche Antwort zur Frage zurück.
Sie erwähnten das Mentoringprogramm. Welche weiteren Initiativen plant die Bundesregierung, um Frauen zu
unterstützen, Führungspositionen in Wirtschaft und anderen Bereichen der Gesellschaft zu erreichen?
Wir werden das Mentoringprogramm, das erfolgreich
durchgeführt wurde, auswerten und dann in der Regierungserklärung zum Gleichstellungsbericht die notwendigen Konsequenzen aufzeigen. Das werden wir mit den
anderen Ressorts abstimmen, damit es handfest wird.
Danke schön. - Die Fragen 16 und 17 der Kollegin
Lenke werden schriftlich beantwortet, da sie nicht im
Saal ist. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth steht zur
Beantwortung bereit.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Döring werden
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir bei der Frage 20 der Kollegin Ekin
Deligöz:
Welche Informationen hat die Bundesregierung über den
Abfluss der Mittel für die Fertigstellung des vierspurigen
Ausbaus der Bahnstrecke zwischen Augsburg und München
und gibt es Informationen darüber, wann die Fertigstellung
endgültig erfolgen soll?
Verehrte Kollegin Deligöz, ich habe eine für Sie sicherlich erfreuliche Antwort. Die Fertigstellungen und
Inbetriebnahmen sind wie folgt vorgesehen: für den Abschnitt Augsburg-Mering bis Ende 2008, für den Abschnitt Mering-Olching Ende 2010 bzw. Anfang 2011.
Der Mittelabfluss der DB Netz AG und der DB Station
& Service AG beträgt inklusive der Planungskosten bis
einschließlich November 2005 249,9 Millionen Euro.
Nachfragen zur Frage 20?
Frau Staatssekretärin, vielen Dank für Ihre Antwort.
Ich habe eine Nachfrage. Es mag zwar sein, dass für ein
solches Ausbauvorhaben die Daten - 2008 und 2010 ganz gut sind, aber in Anbetracht der Tatsache, dass die
Fertigstellung damals von Herrn Waigel für 2004 angekündigt wurde, ist es trotzdem zu spät. Wenn jetzt die
Trasse zwischen München und Ingolstadt in Betrieb
kommt, fallen 50 Prozent aller ICE-Verbindungen über
Augsburg aus. Über 27 000 Pendler sind davon betroffen. Welche Ratschläge werden Sie vonseiten der Bundesregierung an die Pendler geben, wenn die Verbindung
nicht mehr gewährleistet ist?
Eine zügige Fertigstellung ist geplant. Sie wissen,
dass die Höhe der Haushaltsmittel hierbei eine Rolle gespielt hat. Die Planung und die Durchführung müssen
stringent durchgeführt werden. Wir haben schon einige
fertig gestellte Abschnitte. Wir wissen, dass das notwendig ist. Deshalb bauen wir den Schienenverkehr aus.
Darf ich noch eine Nachfrage stellen?
Ja.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie guten Willens sind.
Aber während die Kürzungen der Bahn auf dieser Strecke, jetzt im Februar angekündigt, zum nächsten Fahrplanwechsel kommen werden, dauert es bis zur Fertigstellung des Ausbaus noch ein paar Jahre. Für die
Region Schwaben ist das ein großes Desaster, weil sie so
auch wirtschaftlich abgehängt wird. Wie übernimmt die
Bundesregierung ihre Verantwortung, dieses wirtschaftliche Defizit, das durch den Wegfall der ICE-Verbindung
entstehen wird, wettzumachen? Ist Ihnen in der Bundesregierung dieses Problem bewusst und gibt es schon Gegenmaßnahmen?
Es ist eine Hypothese, zu sagen, dass die Verzögerung
des Ausbaus Nachteile für die Region mit sich bringt.
Wir gehen davon aus, dass die Planungen, die vonseiten
des Bundes vorgenommen wurden, notwendig und richtig waren und den dortigen Wirtschaftsraum unterstützen
und beflügeln werden. Wir denken aber nicht, dass diese
Maßnahme negative Auswirkungen auf die gesamte
Wirtschaft haben wird.
Damit sind wir bei der Frage 21 der Kollegin Ekin
Deligöz:
Welche Informationen hat die Bundesregierung bezüglich
der Berücksichtigung in der Bedarfsplanung zum Ausbau des
Schienennetzes über den Bahnstreckenausbau zwischen Ulm
und Oberstdorf, insbesondere zum geplanten Ausbau des Teil1284
Vizepräsident Wolfgang Thierse
stücks von Neu-Ulm nach Memmingen, und welche finanziellen Mittel des Bundes sind für die Realisierung des Projekts
eingeplant?
Der Ausbau der Strecke Ulm-Memmingen-Oberstdorf wurde in der Bedarfsplanung zum Ausbau des
Schienennetzes nicht berücksichtigt. Im Rahmen der Erarbeitung des Bundesverkehrswegeplans 2003 wurde
zum Ausbau der Strecke Ulm-Memmingen-Oberstdorf
eine gutachterliche Stellungnahme eingeholt. Diese ergab, dass aus Sicht des Schienengüterverkehrs und des
Schienenpersonenverkehrs für diese Strecke kein Ausbaubedarf besteht.
Kollegin Deligöz.
Da Sie die Nachfrage, die ich vorhin gestellt habe,
nicht zufrieden stellend beantwortet haben, muss ich
darauf zurückkommen: Wenn 50 Prozent aller ICE-Verbindungen, die auf einer Strecke abgewickelt werden,
gestrichen werden, aber nur durch sie die Anbindung an
die Flughäfen und Großstädte in der Region gewährleistet werden kann, dann hat das wirtschaftliche Nachteile.
Um diese Feststellung treffen zu können, braucht man
keine großartigen Expertisen durchzuführen; denn das
ist schon bekannt, und zwar auch bei der Bahn.
Inwieweit wird die Bundesregierung auf die Deutsche
Bahn AG und die Bayerische Staatsregierung Einfluss
nehmen, damit Maßnahmen wie der Ausbau der Regionalstrecken eingeleitet werden, durch die insbesondere
diese Region wieder gestärkt wird?
Frau Kollegin, seit der Bahnreform sind die Länder,
hier der Freistaat Bayern, für den regionalen Verkehr
bzw. den Schienenpersonennahverkehr zuständig, nicht
die Bundesregierung.
Angesichts der Tatsache, dass CDU und CSU im
Deutschen Bundestag eine Fraktionsgemeinschaft bilden, frage ich Sie: Inwieweit wird die Bundesregierung
im Interesse der Förderung der regionalen Wirtschaft ihren Einfluss geltend machen? Oder werden Sie hier
überhaupt nichts unternehmen?
Was Ihre Frage hinsichtlich unseres Einflusses auf
den Freistaat Bayern betrifft, so muss ich Ihnen sagen:
Wir gehen davon aus, dass die in der Region vorhandenen Bedarfe und Bedürfnisse bekannt sind. Über die
Verteilung der Regionalisierungsmittel entscheidet der
Freistaat Bayern aus seiner regionalen Sicht. Dabei soll
es auch bleiben.
Danke schön. - Die Fragen zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - Frage 22 des Kollegen Winfried
Hermann sowie die Fragen 23 und 24 der Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl - werden schriftlich beantwortet.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Die Fragen 25 des
Kollegen Hans-Josef Fell sowie die Fragen 26 und 27
der Kollegin Priska Hinz werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 28 der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Fraktion Die Linke, auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass zurzeit aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Haushaltsverhandlungen keine Auszahlungen über den so genannten Verbändetitel, über den unter anderem Seminare politischer
Studierendenorganisationen - Jungsozialisten, Ring Christlich-Demokratischer Studenten, bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft der Bundesausschuss der Studentinnen und Studenten, Freier Zusammenschluss von Student/inn/enschaften usw. - gefördert werden, erfolgen, womit die Möglichkeiten zur politischen Arbeit für die Betroffenen deutlich
eingeschränkt werden?
Frau Kollegin, Ihre Frage beantworte ich wie folgt:
Die Bundesregierung begrüßt die Arbeit der studentischen Verbände auf dem Gebiet der politischen und kulturellen Bildung. Im Jahr 2006 wird das Haushaltsgesetz
erst nach Beginn des Haushaltsjahres verkündet. Bis zu
diesem Zeitpunkt richtet sich die vorläufige Haushaltsführung zur Wahrung der Budgethoheit des Parlamentes
nach Art. 111 Grundgesetz.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
betrachtet in dieser Zeit die geltenden verfassungsmäßigen Vorgaben. Danach können Ausgaben, zu denen besagter Art. 111 Grundgesetz nicht ermächtigt, nur unter
Beachtung sehr enger Voraussetzungen, nämlich einem
unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnis, mit
Zustimmung des Bundesministers der Finanzen geleistet
werden.
Diese engen Voraussetzungen für die Bewilligung
von Zuwendungen sind nach Einschätzung der Bundesregierung im Falle der Förderung der Studentenverbände
nicht erfüllt. Im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten
wird das Bundesbildungsministerium bemüht sein, nach
In-Kraft-Treten des Haushaltsgesetzes 2006 etwaige Bewilligungsrückstände aufzuholen.
Kollegin Hirsch.
Ich habe eine konkrete Nachfrage zu dem, was Sie zuletzt gesagt haben: Zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter der genannten Organisationen haben uns ihre Befürchtung mitgeteilt, dass durch die faktische Verkürzung
des Bewilligungszeitraums - die Haushaltsgesetzgebung
ist ja noch nicht erfolgt - insgesamt weniger Mittel für
die Seminarförderung zur Verfügung stehen werden.
Wird über so etwas diskutiert bzw. wie wird damit umgegangen?
Die großen, leistungsstarken Verbände in diesem Bereich sind bereits mit Schreiben vom 8. September 2005
darüber unterrichtet worden, dass im Haushaltsjahr 2006
diese besondere Situation besteht. Sie sind darüber hinaus aufgefordert worden, zu überlegen, ob langfristig
eine zeitliche Verlagerung ihrer förderfähigen Maßnahmen möglich wäre, zum Teil in das Jahr 2005 oder in das
Jahr 2006. Im Übrigen wird sich die Situation dann ergeben, wenn konkret Mittel bewilligt sind, also voraussichtlich im Frühsommer 2006.
Ich verstehe nicht, warum Sie gesagt haben, dass nur
die Finanzstarken angeschrieben sind. Gerade die finanzschwächeren Organisationen haben doch besonderen Bedarf: Sie sind darauf angewiesen, ihre Seminarförderung, ihre politische Arbeit durch das BMBF zu
finanzieren.
Frau Kollegin Hirsch, Sie waren in der Vergangenheit
selbst in diesem Bereich aktiv. Man kann nicht sämtliche
Verbände anschreiben. Aber die Ihnen bekannten großen
Verbände wie RCDS, Jusos, fzs oder GEW, die regelmäßig von der Förderung profitieren, sind mit diesem
Schreiben vom September des Jahres 2005 informiert
worden.
Damit zur nächsten Frage der Kollegin Hirsch,
Frage 29:
Aus welchen Gründen orientiert sich nach Kenntnis der
Bundesregierung die Zuweisung der Mittel für den Hochschulbau gemäß den im Koalitionsvertrag niedergeschriebenen Pläne zur Föderalismusreform an den abgerufenen Mitteln der Jahre 2000 bis 2003?
Frau Kollegin Hirsch, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Im Koalitionsvertrag ist auf der Basis der Vorschläge der Föderalismuskommission eine Folgeregelung für die Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“, die
abgeschafft werden soll, vorgesehen: Ab dem 1. Januar
2007 sollen den Ländern jährliche Beträge aus dem
Haushalt des Bundes als Ausgleich für den Wegfall seiner Finanzierungsanteile zustehen. Die Regelung zur
Aufteilung des daraus resultierenden Betrages unter den
Ländern beruht auf einer Verständigung zwischen den
Ländervertretern in der Föderalismuskommission: Maßgeblich ist der Durchschnittsanteil eines jeden Landes an
den allen Ländern tatsächlich zugewiesenen Bundesmitteln im Zeitraum 2000 bis 2003.
Nachfrage.
Von den finanzschwächeren Bundesländern wurde
Kritik an dieser Verfahrensweise geäußert, weil sie im
Zeitraum 2000 bis 2003 weniger Mittel zur Verfügung
gestellt bekommen haben und daher befürchten, dass
sich diese Diskriminierung verfestigen wird. Inwieweit
sieht die Bundesregierung hier im Zuge der geplanten
Föderalismusreform Nachbesserungsbedarf, beispielsweise durch Änderung des Verteilungsschlüssels - Ausrichtung an der Studierendenzahl oder ähnlichen Punkten -, und inwieweit sieht die Bundesregierung die
Notwendigkeit, diese Diskriminierung abzubauen?
Frau Abgeordnete Hirsch, ich darf auf meine vorherige Antwort verweisen: Der Verteilungsschlüssel ist von
den Ländern in der Föderalismuskommission so vorgeschlagen und von uns akzeptiert worden. Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, auf eine Veränderung des
Schlüssels hinzuwirken, weil dieser eine Angelegenheit
der Länder ist.
Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung die
Studierendenquote deutlich steigern. Inwieweit sieht sie
die Möglichkeit, nach einem Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ eine Art gesamtstaatliche Bildungsplanung vorzunehmen, damit die Hochschulen ausreichend ausgebaut werden, um die größeren
Studierendenzahlen aufzufangen?
Frau Abgeordnete, wenn, wie im Koalitionsvertrag
vorgesehen, die Vorschläge der Föderalismuskommission umgesetzt werden, sind investive Maßnahmen im
Bereich der Hochschulen Aufgabe der Länder. Im Übrigen darf ich darauf verweisen, dass die Bundesbildungsministerin mit den Ministern der Länder Gespräche über
die Vorbereitung eines möglichen Hochschulpaktes 2020
führt, der genau diese Punkte zum Gegenstand hat.
Danke schön. - Die Fragen 30 und 31 werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen beantwortet der Parlamentarische Staatssekretär Gerd
Andres.
Ich rufe zunächst die Frage 32 der Kollegin Brigitte
Pothmer auf:
Mit welchen konkreten Ausweichreaktionen auf die geplante Erhöhung der Abgaben auf Minijobs im gewerblichen
Bereich um 5 Prozent rechnet die Bundesregierung, wenn sie
unterstellt, dass durch die Erhöhung die Lohnsumme aus geringfügiger Beschäftigung um 15 Prozent sinken wird?
Herr Präsident! Frau Kollegin Pothmer, wenn Sie einverstanden sind, würde ich die Fragen 32 und 33 gerne
zusammen beantworten.
Ich bin einverstanden.
Dann rufe ich zusätzlich noch die Frage 33 auf:
Mit welchen Nettomehreinnahmen für den Bundeshaushalt durch die geplante Erhöhung der Abgaben auf Minijobs
im gewerblichen Bereich um 5 Prozent rechnet die Bundesregierung, wenn nach eigenen Annahmen durch diese Erhöhung
die Lohnsumme aus geringfügiger Beschäftigung um
15 Prozent sinken wird?
Bitte schön.
Sehr verehrte Frau Kollegin, offensichtlich beziehen
Sie sich bei Ihren Fragen auf einen Arbeitsentwurf, den
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Rahmen der Vorbereitung des Haushaltsbegleitgesetzes dem
Bundesminister der Finanzen zur Verfügung gestellt hat.
Dieser auf Arbeitsebene entwickelte Entwurf, der die
Umsetzung der von der Bundesregierung in Genshagen
beschlossenen Erhöhung der Pauschalabgaben für geringfügige Beschäftigungen im gewerblichen Bereich
von bisher 25 Prozent auf künftig 30 Prozent zum Ziel
hat, basiert auf einer Modellrechnung, wie sich die Erhöhung der Beiträge um 5 Prozentpunkte und der Ansatz
bestimmter Annahmen mathematisch auf die gesamte
Lohnsumme auswirken könnten, wenn man Ausweichreaktionen unterstellt.
Es ist nicht vorhersehbar, ob es überhaupt zu Ausweichreaktionen kommen wird. Die Bundesregierung
rechnet daher auch nicht mit einem Rückgang der Lohnsumme aus den Minijobs in Höhe von 15 Prozent. Die
von Ihnen genannte Quote stellte lediglich den Wert einer beispielhaften Modellrechnung und nicht die Einschätzung der Bundesregierung dar. Die Bundesregierung geht, netto betrachtet, insgesamt von deutlichen
Mehreinnahmen in der Sozialversicherung durch die Anhebung der Pauschalabgaben aus, selbst wenn es zu Ausweichreaktionen kommen sollte.
Diese Mehreinnahmen schaffen Spielraum für eine
Entlastung des Bundeshaushaltes, indem Zuweisungen
an die Sozialversicherung entsprechend reduziert werden. Die Höhe der nach Auffassung der Bundesregierung zu erwartenden Mehreinnahmen wird aktuell durch
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Abstimmung mit dem Bundesministerium der Finanzen
noch geprüft. Eine Bezifferung wird im Rahmen der
Vorlage des Entwurfs des Haushaltsbegleitgesetzes
erfolgen, das nach derzeitiger Planung am 22. Februar
2006 im Bundeskabinett behandelt werden soll.
Bitte, Sie haben Gelegenheit zu Zusatzfragen.
Geht die Bundesregierung vor dem Hintergrund, dass
der Herr Professor Friedrich Schneider, der auch gerne
der „Papst der Schwarzarbeit“ genannt wird, in seinem
letzten Report noch einmal darauf hingewiesen hat, dass
der Rückgang der Schwarzarbeit sowohl im Jahre 2004
als auch im Jahre 2005 mit der derzeitigen Regelung der
Minijobs zu tun hat, nicht auch davon aus, dass eine
Neuregelung zu einer erneuten Abwanderung der Inhaber von Minijobs in die Schwarzarbeit führen würde?
Frau Kollegin, wie ich Ihnen in meiner Antwort schon
gesagt habe: Es kann sein, es kann aber auch nicht sein.
Ja, ja.
Ich habe die Frage beantwortet. - Ich glaube, Sie waren in der vorletzten Woche auf einer ähnlichen Veranstaltung wie ich. Dort haben diejenigen, die sich mit den
Minijobs auseinander setzen, den Verlauf dargestellt. Im
letzten Dreivierteljahr sank die Zahl der Minijobs um
etwa 500 000. Dieses Instrument wird relativ flexibel gehandhabt: Wenn es einen entsprechenden Bedarf gibt,
dann erhöht sich die Zahl, wenn nicht, dann geht sie wieder zurück.
Ich kenne die aktuellen Zahlen von Herrn Schneider
nicht. Deswegen will ich mich darauf auch nicht beziehen.
Ich stelle sie Ihnen gerne zur Verfügung. - Ich frage
Sie: Warum stellen Sie eigentlich Modellrechnungen an,
wenn Sie die Ergebnisse der Modellrechnungen doch für
so beliebig halten?
Nein, ich halte sie nicht für beliebig. Ich sage: Es
kann passieren, es kann sein.
Ah, ja. Wenn der Hahn kräht auf dem - Gerd Andres, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für Arbeit und Soziales:
Mit einer Erhöhung der Abgaben kann in bestimmten
Branchen das Sinken der Zahl der Beschäftigten einhergehen. Diese Branchen argumentieren auch damit, dass
das passieren würde, und sagen: Dann werden wir die
Zahl der Beschäftigten in diesem Bereich reduzieren. Der DEHOGA und andere sagen das gegenwärtig. Ob
sie das dann real auch tun, ist noch einmal eine ganz andere Frage. Man kann das berechnen.
Sie können sich vielleicht an die Erhöhung der Tabaksteuer erinnern.
({0})
Es wurde gesagt: Wenn man sie erhöht, dann kommt das
und das heraus. - Wenn es aber teurer wird und ganz
viele das Rauchen einstellen, dann kommt gar nichts dabei heraus. Man muss sich also anschauen, wie das ist.
Es ist schwierig, das vorherzusagen bzw. zu prognostizieren.
Ich kann Ihnen sagen, wie das auf der Arbeitsebene
gemacht wird. Wenn Sie das genauer kennen, wissen
Sie, dass die jeweiligen Häuser mit dem Finanzminister
verhandeln, wie viel oder wie wenig eingestellt werden
muss. Wenn man von einer relativ vorsichtigen Annahme ausgeht, dann ist man umso freudiger überrascht,
wenn die Einnahmen höher ausfallen als das, was man
angenommen hat.
({1})
- Bitte sehr. Das war kein Problem, Frau Kollegin.
Eine Nachfrage dazu vom Kollegen Kolb.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie gerne fragen, ob
Ihnen Fälle bekannt sind, bei denen der Preis einer Ware
oder Dienstleistung erhöht wurde und sich infolge dieser
Preiserhöhung die Nachfrage nach dieser Ware oder
Dienstleistung erhöht hat. Das könnte für das Hohe Haus
anschaulich sein.
Solche Fälle sind mir bekannt, Herr Kolb.
({0})
Damit sind wir bei der Frage 34 der Kollegin Petra
Pau:
Beabsichtigt die Bundesregierung, im Laufe dieser Legislaturperiode dem Parlament den Entwurf eines Gesetzes zum
Schutz von Arbeitnehmerdaten zuzuleiten?
Kollege Staatssekretär, bitte sehr.
Frau Kollegin Pau, nach Auffassung der Bundesregierung ist es sinnvoll, vor einer nationalen Kodifikation
die Überlegungen der Europäischen Kommission für einen Gemeinschaftsrahmen zum Schutz der Arbeitnehmerdaten abzuwarten. Diesen Punkt hat auch der Deutsche
Bundestag in seiner Entschließung zum 19. Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gesehen, indem er auf die Überlegungen der Kommission
für einen solchen Gemeinschaftsrahmen hingewiesen
hat. Dies ist in der Bundestagsdrucksache 15/4597 nachzulesen. Die Sachlage ist insoweit unverändert.
Bitte schön, Kollegin Pau.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Ihnen ist
genau wie allen anderen Mitgliedern des Hohen Hauses
sicherlich bekannt, dass ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz seit 1986 aussteht und dies seitdem in Entschließungen des Deutschen Bundestages an die wechselnden
Bundesregierungen regelmäßig gefordert wird. Deshalb
interessiert mich der von der Bundesregierung in Aussicht genommene Zeitrahmen. Wann, denken Sie, werden wir in der Bundesrepublik ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz haben?
Ich kann Ihnen nicht sagen, wann wir ein solches Gesetz haben werden. Wenn ich das könnte, ginge es mir
wahrscheinlich viel besser. Ich kann nur das wiederholen, was ich Ihnen eben schon geantwortet habe: Wir
warten auf das, was die Europäische Kommission dazu
machen wird. Die Bundesregierung hält weiterhin an
dem Vorhaben, ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz zu
machen, fest. Dies wird nicht aufgegeben. Aber wir wollen doch sehen, was dazu auf europäischer Ebene passiert. Das hatte ich Ihnen in meiner Antwort schon mitgeteilt.
Es tut mir Leid, dass es Ihnen offensichtlich nicht so
gut geht, wie es sein sollte.
Mich interessiert dann noch, ob die Bundesregierung
beabsichtigt, auf europäischer Ebene initiativ zu werden,
um diesen Prozess vielleicht zu inspirieren oder gar zu
beschleunigen, damit wir auch national weiterkommen.
Wir haben Erfahrungen damit, wie bestimmte Dinge
beschleunigt werden können. Wir haben in Brüssel unser
Interesse bekundet. Wir werden das gerne wieder tun.
Aber, wie gesagt, wir wollen gerne abwarten, was die
Kommission dazu für Vorstellungen hat. Diese soll sie
erst einmal vorlegen.
Damit kommen wir zu der Frage 35 des Kollegen
Kolb:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Verbandes
der Angestellten-Krankenkassen und des Verbandes der Arbeiterersatzkassen aus dem Schreiben vom 6. Januar 2006 an
die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände
und die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung aus
Vizepräsident Wolfgang Thierse
dem Schreiben vom 12. August 2005, dass es sich bei der am
drittletzten Bankarbeitstag jedes Monats zu erbringenden Beitragsschuld nicht um einen bloßen Abschlag handelt, sondern
die zu erbringende Leistungsschuld der endgültigen Beitragsschuld nahezu entsprechen soll?
Herr Kollege Kolb, die Frage 35 - das gilt auch für
die Frage 36 - könnte ich so, wie sie gestellt ist, schlicht
mit Ja beantworten. Ich will aber meine Antwort doch
ein bisschen ausführlicher formulieren.
In der gesetzlichen Regelung zur Neuordnung der
Fälligkeit der Gesamtsozialversicherungsbeiträge wird
ausdrücklich von der voraussichtlichen Beitragsschuld
gesprochen, nicht von einer Abschlagsregelung. Von daher teilt die Bundesregierung in vollem Umfang die Auffassung der Spitzenverbände der Sozialversicherung,
dass die voraussichtliche Beitragsschuld in der Weise zu
ermitteln ist, dass der im Folgemonat fällige Restbeitrag
so gering wie möglich ausfällt. Dabei können Arbeitgeber allerdings nur verpflichtet werden, Daten zu berücksichtigen, die ihnen zum Zeitpunkt der Ermittlung der
voraussichtlichen Beitragsschuld bekannt sind.
Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, das trifft aber für eine Reihe der
von mir in Frage 36 genannten Aspekte zu. Die Zahl der
Kalendertage und Mitarbeiter variiert. Beitragssatzänderungen der Einzugsstellen, das heißt der verschiedenen
Krankenkassen, sind auch bekannt. Im Ergebnis läuft
das darauf hinaus, dass ein Unternehmen faktisch eine
eigene Lohn- und Gehaltsabrechnung zur Ermittlung der
voraussichtlichen Beitragsschuld durchführen muss.
Stimmen Sie mir in dieser Einschätzung zu?
Nein.
Nächste Nachfrage.
Wenn es keiner eigenständigen Lohn- und Gehaltsüberschlagsrechnung bedarf, dann möchte ich gerne wissen, Herr Staatssekretär, wie ein Unternehmen sonst das
Kunststück zustande bringen soll, die voraussichtlich bestehende Beitragsschuld abzuschätzen.
Herr Abgeordneter Kolb, die Bundesregierung hat bewusst darauf gedrungen, dass es jedem Unternehmen
möglich sein muss, eine Vorausberechnung nach den individuellen Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens vorzunehmen. Dadurch wird es möglich, dass die
Berechnungsläufe für die voraussichtliche Beitragsschuld mit den Abrechnungsläufen für die Lohnabrechnung des vergangenen Monats zusammengefasst werden
können. Dazu ist es notwendig, einmalig in den Entgeltunterlagen die Faktoren zu dokumentieren, mit denen
die voraussichtliche Beitragsschuld jeweils errechnet
wird.
Wird ein solches Verfahren zusammen mit der gesetzlichen Erleichterung, dass nur noch einmal im Monat ein
Beitragsnachweis abzugeben ist, eingesetzt, ist mit keinem nennenswerten Mehraufwand zu rechnen. Es ist
doch klar, dass von der Zahl der Beschäftigten auszugehen ist. Änderungen hinsichtlich der Zahl der Beschäftigten haben schließlich weitere Auswirkungen. Auch
Einmalzahlungen und Beitragssatzänderungen bei den
Sozialkassen ziehen Änderungen nach sich. Das sind im
Wesentlichen die zu berücksichtigenden Punkte.
Es gibt sehr viele Unternehmen - darin werden Sie
mir sicherlich zustimmen, Herr Kolb -, in denen die
Zahl der Beschäftigten konstant ist. Beitragssatzänderungen erfolgen häufig zum Jahreswechsel. Auch wird
das Weihnachtsgeld bzw. die Jahresabschlussprämie
- wie auch immer Sie es nennen wollen; sofern es überhaupt noch gezahlt wird - nicht einmal im Juni und einmal im Mai fällig; auch dies ist absehbar. Insofern
glaube ich, dass sich das Verfahren administrativ bewältigen lässt, auch ohne ein zusätzliches Abrechnungsbüro
zu eröffnen.
Damit kommen wir zu Frage 36 des Abgeordneten
Kolb:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung und der Verbände der
Angestellten-Krankenkassen und der Arbeiterersatzkassen,
wie sie sich aus den in Frage 35 genannten Schreiben ergibt,
dass daher für die Berechnung des Beitragssolls am drittletzten Bankarbeitstag jedes Monats für den letzten Entgeltabrechnungszeitraum die jeweils im letzten Monat eingetretenen
Änderungen in der Zahl der Beschäftigten, der Arbeitstage
bzw. Arbeitsstunden sowie der einschlägigen Entgeltermittlungsgrundlagen und Beitragssätze aktualisiert werden müssen und daher alle Vorgehensweisen mit dem Gesetz vereinbar
sind, die diesem Anliegen gerecht werden?
Herr Kolb, die Bundesregierung teilt die Aussage der
Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 6. Januar
2006, dass alle Vorgehensweisen mit dem Gesetz vereinbar und von den Ausführungen des gemeinsamen Rundschreibens getragen sind, die darauf abzielen, eine möglichst genaue Vorausberechnung der Beitragsschuld zu
erreichen.
Kollege Kolb.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen die Äußerungen Ihres
Kollegen Schauerte aus dem Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie bekannt, der darauf verwiesen hat, dass man, um eine weitgehend einfache HandDr. Heinrich L. Kolb
habung der Beitragsberechnung zu ermöglichen, eine
Beitragsschuld in Höhe des Vormonats anmelden und
abführen könne? Eine solche Praxis müsste der von Ihnen hier gegebenen Antwort zufolge eigentlich unzulässig sein.
Die Überlegungen von Herrn Kollegen Schauerte
sind mir bekannt. Wir haben darüber auch korrespondiert.
In der Sozialversicherung gilt nicht das Zuflussprinzip, sondern das Entstehungsprinzip bezogen auf den jeweiligen Monat. Insofern stellen wir ausdrücklich fest,
dass zwar auf die Lohn- und Gehaltsabrechnung oder auf
die Unterlagen des Vormonats Bezug genommen werden
kann, aber mögliche Änderungen berücksichtigt werden
müssen. Auch muss das in dem Monat realisiert werden,
in dem die Sozialversicherungsbeiträge fällig werden.
Insofern unterscheidet sich das Sozialrecht leider von
anderen Rechtsgebieten.
Ich habe, wie gesagt, mit Herrn Schauerte sowohl
über das Thema gesprochen als auch mit ihm korrespondiert. Ich stelle Ihnen die Unterlagen gerne zur Verfügung, wenn Sie möchten.
Das würde mich sehr interessieren.
Das mache ich gern.
Ich würde gerne noch eine zweite Zusatzfrage stellen.
Wenn ich die Antworten auf die beiden Fragen und die
Zusatzfragen resümiere, dann stelle ich fest - ich bitte
Sie um Ihre Einschätzung, ob das zutrifft -, dass die
Bundesregierung gegenüber dem Rundschreiben des
VdAK, das auch im Namen aller anderen relevanten Träger der gesetzlichen Krankenversicherung verfasst
wurde, keinen Handlungsbedarf sieht und dass nicht geplant ist, eine Initiative zu ergreifen, wie sie von dem
Kollegen Schauerte angedacht wurde. Können Sie das
bestätigen?
Das kann ich so bestätigen.
Danke schön. - Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Die Fragen beantwortet
Staatsminister Gernot Erler.
Ich rufe zunächst die Frage 37 des Kollegen Addicks
auf:
Wie begründet und bewertet die Bundesregierung, dass die
Beiträge der Bundesrepublik Deutschland an UNICEF, das
Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, in der Verantwortung des Auswärtigen Amts liegen, also im Einzelplan 05 des
Bundeshaushalts geregelt werden, obwohl die Aufgaben von
UNICEF als Entwicklungsorganisation in den Bereich der
Entwicklungszusammenarbeit fallen und somit in dem
Einzelplan 23 geregelt werden müssten?
Herr Kollege Addicks, in der Arbeit von UNICEF fließen menschenrechtliche, humanitäre und entwicklungspolitische Gesichtspunkte zusammen. Die institutionelle
Zuständigkeit des für die internationale Menschenrechtspolitik sowie die humanitäre Hilfe zuständigen Auswärtigen Amtes für UNICEF ist daher gegenwärtig in der
Bundesregierung trotz des auch entwicklungspolitischen
Charakters der Arbeit von UNICEF unstrittig. Insbesondere findet eine enge Abstimmung zwischen dem AA
und dem BMZ statt, sofern Aspekte mit entwicklungspolitischem Bezug berührt sind. Der freiwillige Regelbeitrag erfolgt aus dem Einzelplan 05 - Auswärtiges
Amt - und zweckgebundene entwicklungspolitische
Beiträge erfolgen aus dem Einzelplan 21, Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Bitte schön, Kollege Dr. Addicks.
Danke sehr, Herr Staatssekretär. - Teilen Sie bzw. die
Bundesregierung meine Besorgnis, dass es dem Ansehen
Deutschlands in der Welt schadet, dass wir uns, was die
Beiträge zu UNICEF betrifft, auf einem beschämenden
16. Rang befinden, und dies vor dem Hintergrund, dass
wir uns normalerweise bei den Beiträgen zu solchen Organisationen auf Platz drei oder vier befinden?
Herr Kollege Addicks, Sie haben Recht, wenn Sie
darauf hinweisen, dass sich die Regelbeiträge in den
letzten Jahren eher reduziert haben. Der Regelbeitrag lag
2005 etwas unter 5 Millionen Euro, genau bei 4,75 Millionen Euro. Damit belegt Deutschland in der Tat keinen
sehr prominenten Platz in der Reihenfolge der Länder,
die Regelbeiträge leisten. Aber der Gesamtbeitrag, der
geleistet wird, setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Dazu gehört auch der Beitrag, der vom
nationalen Komitee von UNICEF geleistet wird. Hier
sieht die Sache völlig anders aus. Dieser jährliche Beitrag ist sehr hoch. Er lag 2005 bei 172 Millionen Euro.
Damit belegen wir im internationalen Vergleich nach Japan den zweiten Platz. Wenn man den Regelbeitrag und
das, was das nationale Komitee - insbesondere durch
viele Spenden, die aus der Öffentlichkeit kommen - leistet, zusammennimmt, dann stellt man fest, dass wir auf
einen sehr anerkennenswerten Beitrag zu UNICEF kommen.
Danke.
Damit kommen wir zu Frage 38 des Kollegen
Dr. Addicks:
Sieht sich die Bundesregierung veranlasst, diesen Sachverhalt in absehbarer Zeit zu ändern?
Herr Erler, bitte.
Herr Kollege Addicks, aus den schon genannten
Gründen gibt es derzeit keine Absicht, die Zuständigkeit
zu verändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Addicks.
Danke, Herr Präsident. - Nun werden die deutschen
Beiträge zu UNICEF immerhin auf die ODA-Quote angerechnet. Diese Quote bezieht sich im Wesentlichen auf
Mittel aus dem Einzelplan 23. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht folgerichtig, wenn auch die Beiträge zu
UNICEF aus dem Einzelplan 23 und nicht aus dem
Einzelplan 05 kämen?
Das wäre in der Tat folgerichtig. Auf jeden Fall lassen
wir uns diese Beiträge gerne auf die ODA-Quote anrechnen; denn wir verfolgen - international und von der EU
unterstützt - die ehrgeizige Zielsetzung, die ODA-Quote
heraufzusetzen. Der Grund dafür, dass eine Änderung
der Zuständigkeit nicht vorgenommen wurde, liegt in einer Veränderung der Aufgabenstellung von UNICEF.
Wir beobachten, dass sich die Arbeit von UNICEF in
den letzten Jahren zunehmend auf die rechtliche Stellung
von Kindern konzentriert hat. Es gibt zwar nach wie vor
sozusagen bedürfnisorientierte Arbeiten. Aber vor allen
Dingen nach der Kinderrechtskonvention von 1990 und
dem Weltkindergipfel von 2002 müssen wir feststellen,
dass der Hauptschwerpunkt der Tätigkeit von UNICEF
auf der rechtlichen Stellung von Kindern liegt. Das
rechtfertigt weiterhin die Zuständigkeit des Auswärtigen
Amtes.
Vielen Dank.
Damit kommen wir zu Frage 39 des Kollegen Volker
Beck:
Wie bewertet die Bundesregierung die Arbeit der bisherigen Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung im
Auswärtigen Amt seit der Einrichtung dieser Funktion und
wann soll ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Tom
Koenigs in dieser Funktion die Arbeit aufnehmen?
Herr Erler, bitte.
Herr Kollege Beck, die Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre
Hilfe im Auswärtigen Amt haben seit Schaffung des
Amtes einen anerkannten Beitrag zur Menschenrechtspolitik der Bundesregierung geleistet. Die Position des
Beauftragten der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt sollte
mit einer Persönlichkeit besetzt werden, die dieses Amt
optimal ausfüllt. Die Bundesregierung führt daher entsprechende Konsultationen mit dem Ziel einer möglichst
schnellen Nachbesetzung dieses wichtigen Amtes.
Kollege Beck.
Darf ich nachfragen? - Ich hatte danach gefragt, wann
dieses vakante Amt endlich besetzt wird. Ich meine, dass
es dem Ansehen dieses Amtes nicht dient, wenn man
wochenlang in der Presse über parteipolitisches Schachern um dieses Amt liest. Bislang ist keine Besetzung
vorgenommen worden. Ich würde gerne wissen, wann
Sie damit rechnen, dass das Amt spätestens besetzt ist.
Wir sind überhaupt nicht daran interessiert, dass
durch öffentliche Äußerungen oder Diskussionen in der
Öffentlichkeit das Amt, dessen Inhaber eine wertvolle
Arbeit leisten, beschädigt wird. Wir müssen eine sorgfältige Auswahl treffen. Es gebietet die Achtung vor der
Bedeutung des Amtes, dass hier keine große Eile an den
Tag gelegt, sondern eine sehr sorgfältige Auswahl getroffen wird. Wir sind zwar intensiv auf der Suche, ich
kann Ihnen aber im Augenblick nicht sagen, zu welchem
Zeitpunkt diese Suche abgeschlossen sein wird.
Müssen wir also damit rechnen, dass das Auswärtige
Amt in diesem Jahr ohne eine Besetzung dieses Amtes
wird arbeiten müssen, oder können Sie sagen, ob eine
Vorentscheidung nach dem Parteibuch gefallen ist? In
der Zeitung liest man, es müsse zwingend jemand von
der Union sein. Überraschen Sie mich und sagen Sie mir,
dass es nicht jemand von der Union ist!
Herr Kollege Beck, ich teile Ihre pessimistische
Prognose nicht, dass wir noch sehr lange ohne eine Besetzung dieses Amtes arbeiten werden. Ganz im Gegenteil: Wir sind auf einem guten Weg. Sie werden verstehen, dass ich jetzt hier keine personalpolitischen
Angaben zu dieser Frage machen kann.
({0})
Eine Nachfrage zu diesem Thema von Kollegin Pau.
Danke schön, Herr Präsident. - Ich habe eine inhaltliche Nachfrage. Nun haben uns wie auch die europäische
Öffentlichkeit in den letzten Wochen, wenn nicht gar
Monaten, Menschenrechtsfragen bzw. die Aufklärung
von schweren Vorwürfen zu Menschenrechtsverletzungen auf oder über dem Territorium der Bundesrepublik
beschäftigt. Hat sich denn Herr Koenigs an der Aufklärungsoffensive der Bundesregierung, die nächste Woche
in einen Bericht sowohl an den Europaratssonderermittler als auch in einen Bericht an den Bundestag münden
soll, beteiligt und können Sie die Frage des Kollegen
Beck nach der Bewertung der Qualität der Arbeit des
Menschenrechtsbeauftragten anhand dieser Aufklärung
und seiner Beteiligung daran beantworten?
Frau Kollegin Pau, Sie wissen, dass die Arbeit von
Tom Koenigs beendet ist.
({0})
Er hat bis zum letzten Moment seiner Beschäftigung alle
seine Aufgaben zur vollen Zufriedenheit der Bundesregierung erfüllt und damit zu dem hohen Ansehen dieses Amtes wesentlich beigetragen.
Die Frage 40 wird schriftlich beantwortet. Ich rufe
Frage 41 des Kollegen Paul Schäfer auf:
Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung gegen einen UN-geführten Einsatz zur Sicherung
der Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik
Kongo?
Herr Kollege Schäfer, zum Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen für die VN-Operation in der
Demokratischen Republik Kongo, MONUC, gehört die
Aufgabe, für ein sicheres Umfeld für die Parlamentsund Präsidentschaftswahlen zu sorgen. Der Leiter des
Department for Peacekeeping Operations der Vereinten
Nationen, Jean-Marie Guéhenno, hat Ende 2005 die EURatspräsidentschaft schriftlich um EU-Unterstützung für
MONUC während des Wahlzeitraums gebeten. In seinem Schreiben brachte er die Sorge der Vereinten Nationen zum Ausdruck, dass es bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu neuerlichen Ausbrüchen von
Gewalt kommen könnte, die weder MONUC noch die
kongolesischen Streitkräfte und Polizeikräfte eindämmen könnten. Eine Deterrent Force, die, falls nötig, während der Wahlen in die Demokratische Republik Kongo
verlegt werden könnte, solle die Reaktionsfähigkeit von
MONUC stärken.
Diese Einschätzung wurde seitens der Vereinten Nationen in New York wie seitens MONUC in Kinshasa
gegenüber den beiden Erkundungsmissionen des EURatssekretariats bestätigt, als diese dort in der vorvergangenen Woche sondierende Gespräche führten. Die
Bundesregierung nimmt diese Einschätzung ernst.
Kollege Schäfer, bitte.
Herr Staatsminister, lieber Kollege Erler, trifft es denn
zu, dass in der Vergangenheit eine Aufstockung bzw.
eine Verstärkung von MONUC im Rahmen der Vereinten Nationen blockiert wurde, und befinden sich eventuell EU-Mitgliedsländer unter denen, die das blockiert haben?
Herr Kollege Schäfer, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu
nehmen, dass MONUC mit einer Gesamtstärke von
16 700 Mann im Augenblick in der ganzen Geschichte
des Peacekeepings die umfangreichste und auch die kostenträchtigste Mission ist, sodass man hier keinesfalls
von einer Verweigerung irgendeiner Seite bei der Bereitstellung der notwendigen Mittel und Kräfte sprechen
kann.
Das Problem ist ganz anders gelagert: MONUC ist
schwerpunktmäßig im Ostteil des Landes aktiv; dort sind
nämlich 15 000 der 16 700 Kräfte stationiert. Dementsprechend ist die Hauptstadt Kinshasa in der entscheidenden Phase der Wahlkämpfe, was das internationale
Peacekeeping angeht, zu schwach abgesichert.
({0})
Die Ängste des Beauftragten der UN bestehen darin,
dass die Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen
- das sind der amtierende Präsident Kabila und zwei seiner Stellvertreter, die auch über bewaffnete Einheiten
verfügen - das Wahlergebnis vielleicht nicht anerkennen, was den ganzen Friedensprozess, der am 30. Juni zu
einem Abschluss kommen kann, gefährden könnte. Das
ist der Hintergrund der Nachfrage an die EU, ob im Rahmen der ESVP vorübergehend eine zusätzliche Sicherung dieses Wahlprozesses stattfinden kann.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege Erler, wäre
in den Augen der Bundesregierung eine vorübergehende
Aufstockung der UNO-geführten MONUC eine realistische Option, um den Wahlprozess zu stabilisieren?
Das könnte überhaupt nur dann in Betracht gezogen
werden, wenn die Vereinten Nationen darum bitten würden. Aber es ist nicht irgendeine andere Organisation,
sondern das Department for Peacekeeping Operations
der Vereinten Nationen, das sich mit dem Brief vom
27. Dezember von Jean-Marie Guéhenno an die EU gewandt hat und etwas ganz anderes wollte.
Hintergrund ist sicherlich, dass man hofft, dass die
Autorität der EU und die Verfügung der EU über schnell
einsetzbare Kräfte tatsächlich eine entmutigende Wirkung auf eventuelle Störer dieses Wahlprozesses ausüben; Guéhenno nennt das eine Deterrent Force. Die
MONUC - sie ist ausreichend stark vertreten; ich habe
Zahlen genannt - ist genau dazu nicht in der Lage.
Insofern gibt es gute Gründe dafür, dass die Nachfrage
eben nicht auf eine Erweiterung der MONUC zielt, sondern auf eine vorübergehende Zurverfügungstellung einer Deterrent Force durch einen anderen Organisator, in
diesem Fall durch die EU.
Ich rufe die Frage 42 des Kollegen Schäfer auf:
Welche besonderen militärischen Gründe sprechen für
eine Beteiligung der Bundeswehr an einem Militäreinsatz zur
Sicherung der Parlamentswahlen der Demokratischen Republik Kongo?
Herr Kollege Schäfer, in den Brüsseler Gremien wird
derzeit die Frage eines militärischen Einsatzes im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, ESVP - ich habe es gerade angesprochen -, zur
Unterstützung von MONUC bei den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo behandelt. Eine Entscheidung darüber ist noch nicht getroffen worden. Gestern
hat das Politische und Sicherheitspolitische Komitee der
EU, PSK, darüber beraten. Dabei hat es beschlossen, den
EU-Militärausschuss als das zuständige militärische
Gremium der EU zu beauftragen, einen Ratschlag auf
der Basis des vorgelegten Optionenpapiers zu geben.
Dieser Ratschlag wird die weitere Entscheidungsfindung
der EU prägen.
Sollte ein ESVP-Einsatz nach umfassender Abwägung, wozu neben der Einschätzung der Lage in der Demokratischen Republik Kongo auch das in der europäischen Sicherheitsstrategie niedergelegte Bekenntnis der
EU zur Stärkung der Vereinten Nationen gehört, beschlossen werden, wäre es ein Gebot europäischer Solidarität, die Verantwortung und die Kosten auf mehrere
Mitgliedstaaten zu verteilen. Das ist die Auffassung der
Bundesregierung.
Ihre Zusatzfrage.
Danke. - Sie haben das Kriterium „europäische Solidarität“ genannt. Welche anderen Kriterien müssten Ihrer Meinung nach erfüllt sein, um einen Einsatz der Bundeswehr als zwingend und unabweisbar erscheinen zu
lassen?
Herr Kollege Schäfer, ich möchte noch einmal betonen, dass wir mitten in einem Klärungs- und Entscheidungsprozess sind. Ich wiederhole ausdrücklich: Es gibt
noch keine Entscheidung dieser Art. Wichtig sind Klärungen der Rahmenbedingungen. Zum Beispiel wäre es
wichtig, zu wissen: Wie verhält sich eigentlich die amtierende Regierung, der so genannte Espace présidentiel,
also der Präsident des Kongo und seine Stellvertreter, zu
diesem Vorschlag der Vereinten Nationen? Ist man bereit, eine solche Mission zu akzeptieren? Es sind noch
wichtige Fragen der Sicherheit vor Ort zu klären: Wie ist
eigentlich das Gefährdungspotenzial einzuschätzen? Es
ist auch wichtig, zu wissen und zu klären: Was sollen
denn die eigentlichen Aufgaben sein? In dem Optionenpapier, das gestern Grundlage der Beratung des PSK
war, sind sieben verschiedene Einsatzmöglichkeiten genannt, aber zum Teil noch nicht klar definiert. All diese
Dinge soll jetzt das Sicherheitskomitee der EU dort klären, um dann die Mitgliedstaaten zu beraten bzw. ihnen
eine Empfehlung zu geben.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass nach Meinung
der Bundesregierung eine Zustimmung der kongolesischen Regierung für eine eventuelle EU-Militärmission
unverzichtbar ist? Bislang hörte man nur, Präsident
Kabila habe aus der Zeitung erfahren, dass so etwas diskutiert wird.
Dies ist ein Zustand, den wir schon überwunden haben. Das heißt, es hat Kontakte gegeben und es hat von
der Präsidentschaft Äußerungen gegeben, die schon wesentlich freundlicher waren. Besonders freundlich hat
sich der Außenminister geäußert. Auch hat ein Telefongespräch zwischen Javier Solana und dem kongolesischen Präsidenten stattgefunden. Aber es ist schon sehr
wünschenswert, dazu eine noch deutlichere Äußerung
des Präsidenten zu haben; denn in der Regel ist es natürlich eine wichtige Basis, zu wissen, ob man bei einer solchen Maßnahme - um es einmal unwissenschaftlich auszudrücken - erwünscht ist oder nicht. Dabei ist natürlich
klar, dass in dieser Region - das ist eine Region, in der
seit 1994 Krieg bzw. Bürgerkrieg geherrscht hat, und
zwar mit einer unvorstellbaren Zahl von Opfern, nämlich von 3,8 Millionen Menschen - allein durch Initiativen aus der Region heraus ein solcher Friedensprozess
nicht hätte in Gang gebracht werden können. Für uns ist
es, wie gesagt, sehr wünschenswert, wenigstens eine
klare Antwort auf diese Frage zu bekommen.
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Dagdelen auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der in der Nacht
zum 31. Januar 2006 nach Togo abgeschobene togoische Oppositionelle A. M. direkt nach seiner Ankunft am Flughafen
in Lomé von der Polizei festgehalten und bedroht wurde und
sich später einer Inhaftierung durch vermutlich zivile Milizen
nur durch Flucht entziehen konnte ({0}), und wie bewertet die Bundesregierung diese Inhaftierungsversuche in Bezug
auf die Sicherheit des Betroffenen?
Frau Kollegin Dagdelen, der Bundesregierung sind
die Behauptungen in der Pressemeldung, die Sie angesprochen haben, bekannt. Das Innenministerium des
Landes Mecklenburg-Vorpommern ist an das Auswärtige Amt mit der Bitte herangetreten, in Amtshilfe den
vorgetragenen Behauptungen nachzugehen.
Die Prüfung des Sachverhalts dauert derzeit noch an.
Bislang liegen folgende Erkenntnisse vor:
Die Rückführung von Herrn M. wurde der Botschaft
Lomé am 26. Januar 2006 für den 31. Januar 2006 angekündigt. Eine Unterstützung durch die Auslandsvertretung wurde nicht erbeten.
Der Leiter der Einreisestelle, also der Chef d’Immigration, am Flughafen Lomé wurde von der Botschaft
Lomé über die Ankunft informiert. Er ist für die Routinebefragung der rückgeführten Personen zuständig.
Falls Schwierigkeiten bei der Rückführung auftreten, informiert er die Botschaft umgehend telefonisch. Im
Fall M. berichtete er von keinen Problemen.
Die Botschaft hat am 9. Februar 2006 den Leiter der
Einreisestelle persönlich zu den Umständen der Rückführung von Herrn M. befragt. Er zeigte sich über die erhobenen Vorwürfe erstaunt.
Bestätigt durch das in Kopie vorgelegte und von
Herrn M. unterzeichnete Befragungsprotokoll hat die
Botschaft folgende Auskünfte erhalten:
Es seien Herrn M. keinerlei Fragen hinsichtlich seiner
politischen Aktivitäten im Ausland gestellt worden.
Ebenfalls habe er keine polizeilichen Meldeauflagen erhalten. Herr M. sei am 31. Januar 2006 um 21 Uhr in die
Obhut seines Cousins entlassen worden. Dieser sei am
Flughafen persönlich anwesend gewesen und habe eine
schriftliche Bestätigung abgegeben, dass er den Rückgeführten bei sich aufnehme.
Nach Angaben des Leiters der Reisestelle waren während des Aufenthalts von Herrn M. am Flughafen keine
Vertreter von Menschenrechtsorganisationen anwesend.
Erst nach Abschluss der Befragung von Herrn M. sei ein
Mitglied der Ligue Togolaise des Droits de l’Homme erschienen, um sich nach ihm zu erkundigen. Ob er
Herrn M. außerhalb des Flughafens noch angetroffen
habe, sei ungewiss.
Die Botschaft Lomé ist mit der weiteren Sachverhaltsaufklärung beauftragt.
Haben Sie eine Zusatzfrage?
Herr Staatsminister, es scheint, dass da widersprüchliche Angaben bzw. Aussagen gemacht werden. Es gibt
zig Presseerklärungen von Menschenrechtsorganisationen, auch der Menschenrechtsorganisation aus Togo,
dass es bereits in der kurzen Zeit, nachdem A. M. nach
Togo abgeschoben worden war, zwei Versuche gab, ihn
zu inhaftieren. Der erste Versuch, der am Flughafen selber stattgefunden hat, konnte durch die Anwesenheit von
Menschenrechtlern verhindert werden; der zweite Versuch, den frühmorgens zivile Milizen vor seiner Haustür
unternahmen, schlug deshalb fehl, weil er sich bereits
auf der Flucht befand. Mich würde als Erstes interessieren, wie die Bundesregierung und das Auswärtige Amt
die Glaubwürdigkeit einer offiziellen Stelle aus Togo besonders im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen, die dort unter dem jetzigen Regime immer noch
stattfinden, einschätzen.
Frau Kollegin, ich hatte gesagt, dass ich in meiner
Antwort eine Art Zwischenbilanz der bisherigen Nachforschungen gezogen habe. Natürlich haben auch wir gesehen, dass diese in Widerspruch zu den Angaben und
Erklärungen von Menschenrechtsorganisationen, die
auch wir kennen, steht. Dieser Widerspruch ist allerdings nur sehr schwer aufzuklären, wenn uns Dokumente vorgelegt werden, die von Herrn M. und seinem
Cousin, der ihn abgeholt hat, gegengezeichnet worden
sind. In der Tat gestehe ich, dass hier noch weiterer Klärungsbedarf besteht. Naturgemäß kann die Botschaft
durch Befragung des Flughafenpersonals und der zuständigen Stellen nicht ermitteln, was später geschehen ist.
Das ist klar. Deswegen habe ich Ihnen auch gesagt, dass
weitere Ermittlungen über den Sachstand erfolgen werden. Die Botschaft Lomé ist damit beauftragt.
Zweite Zusatzfrage?
Ja, die habe ich. - Es gibt auf der Homepage von der
Flüchtlingsorganisation Pro Asyl eine Pressemitteilung
vom 8. Februar, in der konstatiert wird, dass es in dem
relativ kleinen Togo sehr schwierig bzw. kaum möglich
ist, sich der Überwachung durch das Regime zu entziehen. Vor diesem Hintergrund möchte ich gerne wissen,
wie hoch die Bundesregierung die Wahrscheinlichkeit
einschätzt, dass abgeschobene togolesische Flüchtlinge
von Sicherheitskräften nicht inhaftiert werden bzw. ihr
Leben nicht gefährdet ist.
Die Bundesregierung kann sich natürlich nur nach
den Erfahrungen richten, die sie bisher gemacht hat. Ich
hatte Ihnen schon in der Fragestunde vom 18. Januar
mitgeteilt, dass uns Meldungen, in denen im Einzelfall
belegt wird, dass so ein Vorgehen, wie Sie es eben beschrieben haben, gegenüber zurückgekehrten Asylbewerbern erfolgt ist, nicht vorliegen. Auf diese Erkenntnis
muss sich natürlich die Bundesregierung stützen.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Pau.
Herr Staatsminister, vor dem Hintergrund der Debatte
vom 18. Januar, auf die Sie ja selbst hier schon verwiesen haben, der darauffolgenden Auseinandersetzung und
Ihrer Feststellung, dass zumindest in diesem Einzelfall
Aufklärungsbedarf besteht, frage ich: Sieht die Bundesregierung eventuell die Notwendigkeit, den derzeitigen
aktuellen Lagebericht, der innenpolitischen Entscheidungen Deutschlands zugrunde liegt, zu überarbeiten
bzw. die Botschaft mit der Prüfung zu beauftragen, inwieweit dieser Lagebericht noch den Tatsachen entspricht und dessen Informationen für die Behörden der
Bundesrepublik Entscheidungsgrundlage sein können?
Frau Kollegin Pau, ich kann Ihnen dazu sagen, dass
wir eine routinemäßige Überarbeitung dieser Berichte,
die ja für alle Asylentscheidungen wichtig sind, vornehmen. In der Tat ist der Lagebericht zu Togo gerade in
Überarbeitung. Sollten sich die Berichte bestätigen, die
uns im Fall M. erreichen, dann würde natürlich dieser
Fall in eine Fortschreibung dieses Lageberichtes eingehen.
Ich rufe die Frage 44 der Kollegin Dagdelen auf:
Sieht die Bundesregierung die Einschätzung von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen bestätigt, dass bei
einer Abschiebung nach Togo das Leben abgelehnter Asylbewerber bedroht ist, und beabsichtigt die Bundesregierung, der
Aufforderung von Amnesty International vom 20. Juli 2005
zu folgen, sich dafür einzusetzen, dass Asylsuchende nicht zur
Rückkehr nach Togo gezwungen werden, wenn sie dort
schwere Menschenrechtsverletzungen zu befürchten haben?
Frau Kollegin Dagdelen, aufgrund der Ereignisse im
Zusammenhang mit der Wahl im April hat Amnesty International mit seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2005
die internationale Gemeinschaft dazu aufgerufen - jetzt
zitiere ich wörtlich -,
darauf zu achten, dass Asylsuchende nicht zur
Rückkehr nach Togo gezwungen werden, wenn sie
dort schwere Menschenrechtsverletzungen zu befürchten haben, und sicher zu stellen, dass Asylbegehren … gründlich und unparteiisch geprüft werden. Amnesty International ermahnt die
ausländischen, vor allem die europäischen Regierungen, Asylanträge im Zusammenhang mit der
Menschenrechtslage in Togo zu prüfen.
Diesen an die internationale Gemeinschaft gerichteten Forderungen entspricht das Asylverfahren in
Deutschland. Auch bei dem Herkunftsland Togo prüft
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in jedem
Einzelfall individuell, ob dem Asylbewerber bei seiner
Rückkehr tatsächlich asylrelevante Gefahren oder sonstige Gefahren drohen, die einen Anspruch auf subsidiären Schutz begründen. Ist das der Fall, wird Asyl bzw.
Abschiebeschutz gewährt. Die zuständigen Länderbehörden prüfen darüber hinaus vor einer Abschiebung, ob
im Einzelfall Abschiebungshindernisse bestehen, die
sich nicht auf drohende Gefahren im Heimatstaat beziehen, zum Beispiel gesundheitliche Probleme.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Auch hier danke ich. - Ich möchte an die Frage meiner Kollegin Pau anknüpfen. Wie Sie wissen, ist im vergangenen Monat in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund
des öffentlichen Drucks ein Abschiebestopp verhängt
worden, der auch in diesem Monat noch andauert. Es ist
begrüßenswert, dass der SPD-Fraktionsvorsitzende,
Struck, sich in der Weise geäußert hat, dass der Lagebericht des Auswärtigen Amtes aktualisiert werden müsse.
Meine Frage richtet sich auf die Eilbedürftigkeit des Lageberichts. Sie sagen selber, aktuell werde an diesem Lagebericht gearbeitet. Mich interessiert: Bis wann beabsichtigen die Bundesregierung und das Auswärtige Amt,
den Lagebericht vorzulegen?
Ich hatte hier schon dazu gesagt, dass im Augenblick
die Überarbeitung dieses Lageberichtes im Gange ist.
Das erfolgt nach einem bestimmten Turnus. Wenn ich
Ihr Anliegen richtig verstanden habe, müssten Sie daran
interessiert sein, dass erst der Fall M. geklärt wird, damit
er noch in diesen Lagebericht eingehen kann. Insofern
wäre vielleicht eine vorschnelle Fortschreibung des Lageberichts gar nicht so zielführend.
Haben Sie eine zweite Zusatzfrage?
Ja. - Ich hoffe sehr, Herr Erler, dass Sie mein Anliegen richtig verstanden haben. Es geht mir nämlich nicht
nur um die über 300 von Abschiebung bedrohten Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, sondern auch um
die in den anderen Bundesländern. Mich würde interessieren, ob es wahrscheinlich ist, dass der Lagebericht bis
zur Innenministerkonferenz am 4. und 5. Mai vorliegt,
sodass andere Bundesländer ebenfalls einen Abschiebestopp erlassen könnten.
Es ist die Absicht des Auswärtigen Amtes, bei der
Fortschreibung des Lageberichtes möglichst noch
aktuelle Informationen einfließen zu lassen. Insofern
gibt es hier einen Zusammenhang mit der Klärung dieses
Falls, die, wie ich Ihnen geschildert habe, im Gange ist.
Wenn eine rechtzeitige Klärung erfolgt, müsste der Zeitplan einhaltbar sein. Wie Sie wissen, ist es dann Angelegenheit der Bundesländer, ihre Schlüsse aus dem neuen
Lagebericht zu ziehen und unter Umständen über einen
Abschiebestopp zu entscheiden.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amtes. Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Herr Karl Diller zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung, dass trotz steigenden
Investitionsbedarfs der Kommunen - so rechnet die Bankengruppe KfW mit einem Schulsanierungsbedarf von
60 Milliarden Euro bis 2009 - laut den jüngsten Angaben der
kommunalen Spitzenverbände ({0}) die jährlichen Investitionszuweisungen von
Bund und Ländern an die Kommunen von 8 Milliarden Euro
in 2004 auf 7,5 Milliarden Euro in 2006 zurückgehen, und
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die Investitionszuweisungen seitens des Bundes und der Länder an
die Kommunen wieder anzuheben?
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, ich möchte aufgrund
der in Ihrer Frage enthaltenen Formulierung „die Investitionszuweisungen seitens des Bundes … an die Kommunen wieder anzuheben“ vorausschicken, dass es keine
direkte Zuweisung von Mitteln des Bundes an die Kommunen gibt. Das ist verfassungsrechtlich gar nicht möglich.
Insbesondere durch die Maßnahmen bei der Gewerbesteuer und die Entlastung im Rahmen von Hartz IV
hat die Bundesregierung die Voraussetzung geschaffen,
die Investitionsfähigkeit der kommunalen Ebene zu festigen und wieder zu verbessern. Durch die verbesserte
Gewinnsituation der Unternehmen, aber insbesondere
durch unsere gesetzlichen Änderungen bei der Gewerbesteuer und bei der Abführung der Gewerbesteuerumlage
durch die Kommunen an die Länder und den Bund, gibt
es eine sehr erfreuliche Entwicklung, die ich Ihnen in Erinnerung rufen möchte. In den neuen Bundesländern betrug das Nettogewerbesteueraufkommen im Jahre 2003
1,54 Milliarden Euro. Im nächsten Jahr wird es auf
2,586 Milliarden Euro geschätzt, mithin 75 Prozent
mehr.
Die erfolgreiche Trendwende kommt im Übrigen
auch im jüngsten Bericht des Deutschen Städtetages zur
Investitionsentwicklung bei den Kommunen zum Ausdruck, in dem für das Jahr 2006 eine leichte Belebung
der kommunalen Investitionen in den alten Bundesländern erwartet wird. Diese Zahlen ebenso wie die zu den
Investitionszuweisungen stellen für das Jahr 2005 eine
Schätzung und für das Jahr 2006 eine Prognose der kommunalen Spitzenverbände dar. Sie sind deshalb zurückhaltend zu bewerten.
Wie gesagt: Direkte Zuweisungen von Mitteln an die
Kommunen durch den Bund gibt es nicht. Die Einnahmen der Kommunen aus Investitionszuweisungen kommen ausschließlich von den Ländern bzw. sie fließen ihnen über die Länder zu. Der Bund ist beispielsweise im
Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen und im
Falle der neuen Bundesländer im Rahmen der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen engagiert. Auf die
Höhe und Verwendung dieser Mittel hat der Bund aber
keinen Einfluss.
Die Bundesregierung wird auch weiterhin eine Vielzahl von Investitionsprogrammen fortführen, von denen
die Gemeinden in besonderem Maße profitieren. Ich
nenne in diesem Zusammenhang die Gemeinschaftsaufgaben, die Fortsetzung unseres Ganztagsschulprogramms sowie die KfW-Programme. Wenn der Haushalt
2006 in Kraft getreten ist, Frau Dr. Enkelmann, wird der
KfW beispielsweise durch das neu aufgelegte CO2-Programm ermöglicht werden, stark zinsverbilligte Kredite
an die Kommunen für die energetische Gebäudesanierung zu vergeben. Wir setzen auch die Städtebauförderung fort. Dazu findet sich im Übrigen im Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Wegen des enormen Investitionsbedarfs der Kommunen, der beispielsweise im Bereich der Schulen bei über
60 Milliarden Euro liegt, möchte ich fragen: Ist die Bundesregierung angesichts der offensichtlich geplanten zusätzlichen Steuereinnahmen, die für die nächsten Jahre
mit etwa 80 Milliarden Euro beziffert werden, bereit, die
Kommunen in höherem Maße als bisher an diesen Einnahmen beispielsweise durch ein kommunales Investitionsprogramm zu beteiligen?
Frau Dr. Enkelmann, das Thema Schulbausanierung
wird von den Bundesländern entsprechend den landesgesetzlichen Bestimmungen höchst unterschiedlich geregelt. Ob und in welchem Umfange die Länder dafür Zuschüsse geben, ist von Land zu Land verschieden.
Ich will außerdem darauf aufmerksam machen, dass
von den gesetzlichen Maßnahmen, die die Bundesregierung bereits beschlossen hat - beispielsweise der Abschaffung der Eigenheimzulage -, auch die Kommunen
profitieren. Denn es gibt einen Mehrertrag bei der Lohnund Einkommensteuer. Die Kommunen haben einen Anteil in Höhe von 15 Prozent an dem Mehraufkommen
originär; die Länder haben einen Anteil in Höhe von
42,5 Prozent an dem Mehraufkommen originär. Da dieses Mehraufkommen in die kommunale Verbundmasse
des jeweiligen Landes eingeht und in Höhe des Verbundsatzes an die Kommunen weitergeleitet wird, profitieren
je nach Höhe dieses Satzes auch die Gemeinden. Den
Kommunen kommen dadurch zusätzlich rund 8 Prozent
des Gesamtertrages zugute. Der kommunale Anteil wird
also bei etwa 23 bis 24 Prozent - das ist von Bundesland
zu Bundesland je nach Verbundsatz unterschiedlich liegen.
Was die Bundesregierung tun kann, tun wir. Wir sorgen dafür, dass es einen fairen Anteil der Kommunen an
den perspektivisch geschätzten Steuermehreinnahmen
gibt.
Ihre zweite Zusatzfrage.
Trotz allem ist das nach wie vor für die Kommunen
zu wenig. Aber darüber wollen wir jetzt nicht reden.
Sie haben unter anderem das Ganztagsschulprogramm angesprochen. Nun beklagt die Bundesregierung
ab und zu, dass die Mittel für dieses Programm nicht in
dem Maße abgerufen werden, wie es mit Blick auf die
Schulen notwendig wäre. Was will die Bundesregierung
tun, um die Lage der Länder bei der Kofinanzierung zu
verbessern - man könnte beispielsweise den Anteil der
Kommunen an der Kofinanzierung senken -, damit ein
Zugriff auf die Mittel dieses Programms erfolgen kann?
Nach meinem Eindruck besteht das Problem weniger
in dem fehlenden Interesse bzw. Desinteresse seitens der
Kommunen, sondern eher in dem fehlenden Interesse
bzw. Desinteresse der Länder. Ich kann Ihnen berichten,
dass mein Bundesland, Rheinland-Pfalz, den Gemeinden
die Möglichkeit bietet, von diesem Bundesprogramm
massiv zu profitieren. Allein in meinem Wahlkreis Trier
beispielsweise werden zurzeit Bundesmittel in Höhe von
mehr als 11 Millionen Euro in entsprechende Projekte
investiert. Das ist eine Frage, die sich an das jeweilige
Bundesland richtet.
({0})
Frau Kollegin, Sie hatten bereits zwei Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 46 von Frau Dr. Enkelmann auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die laut den jüngsten
Angaben der kommunalen Spitzenverbände ({0}) von 31,93 Milliarden Euro in
2004 auf 36,60 Milliarden Euro ansteigenden Ausgaben der
Kommunen für soziale Leistungen, und was will die Bundesregierung tun, um die Städte, Gemeinden und Landkreise hier
zu entlasten?
Frau Kollegin Dr. Enkelmann, die in der Gemeinschaftsprognose der kommunalen Spitzenverbände dargestellten Ausgaben für soziale Leistungen - dies betrifft
die Jahre 2004, 2005 und 2006 - sind nicht miteinander
vergleichbar. Mit Hartz IV wurden die Kommunen nämlich ab dem Jahre 2005 einerseits um die Sozialhilfeausgaben für Erwerbsfähige entlastet. Andererseits tragen
sie nun die Unterkunftskosten für Langzeitarbeitslose,
wobei ihnen aber der Bund 29,1 Prozent der Kosten erstattet. Dazu kommen bei den Ländern die durch
Hartz IV eingesparten Wohngeldausgaben in Höhe von
2,1 Milliarden Euro, die diese Länder jeweils an ihre
Kommunen weiterzugeben haben. Dadurch stehen den
durch die Unterkunftskosten gestiegenen kommunalen
Sozialausgaben höhere kommunale Einnahmen gegenüber. Das muss man zusammen sehen.
Fairerweise sagt dies auch der Deutsche Städtetag
selbst - ich zitiere ihn -:
Ihre Höhe ist aber mit dem Vorjahr nicht vergleichbar, da sich bei den Einnahmen der Kommunen
auch die Bundesbeteiligung an den Unterkunftskosten niederschlägt.
Durch Festhalten an der Beteiligungsquote des Bundes von 29,1 Prozent nicht nur für das Jahr 2005, sondern auch für das Jahr 2006 werden die Kommunen im
Übrigen nach Überzeugung der Bundesregierung - Kollege Andres und ich können ein Lied davon singen - entgegen der in Ihrer Frage enthaltenen Intention sogar um
mehr als die ihnen zugesagten 2,5 Milliarden Euro entlastet. Wir schätzen: Sie bekommen zusätzlich 1,3 Milliarden Euro zu den 2,5 Milliarden, die ihnen zugesagt
worden sind.
Frau Kollegin, ich füge aber hinzu: Die Bundesregierung ist bereit, Landes- und Kommunalhaushalte zu
entlasten, wenn sie durch die Umsetzung bundesgesetzlicher Regelungen belastet werden. In all den Programmen, die wir schon vor dem Jahreswechsel auf den Weg
gebracht haben - und noch bringen werden -, achten wir
immer darauf, dass nicht nur die Bundesseite entlastet
wird, sondern auch die Länder und die Kommunen
parallel dazu eine Entlastung erhalten. Wir werden beim
Abbau von Standards und Bürokratiekosten vorangehen.
Die Länder haben zugesagt, dem Bund entsprechende
Vorschläge vorzulegen, die wir umzusetzen bereit sind.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Die erste Frage: Wie bewertet die Bundesregierung
die Tatsache, dass die Kommunen durch Hartz IV unter
anderem zusätzlich mit den Kosten für die Obdachlosenbetreuung, die Schuldnerberatung, Suchtberatung usw.
belastet werden?
All das ist in die Gespräche mit den kommunalen
Spitzenverbänden, die vor der Einführung von Hartz IV
stattgefunden haben, mit einbezogen worden und hat seinen Niederschlag im Rechenwerk gefunden.
Nun Ihre zweite Zusatzfrage.
Ist die Bundesregierung angesichts Ihrer Erklärung,
dass der Bund bereit ist, für zusätzliche Kosten, die aufgrund der Umsetzung von Bundesgesetzen entstehen,
eine Entlastung vorzusehen, bereit, im Grundgesetz eine
Klausel im Sinne des Konnexitätsprinzips aufzunehmen,
das heißt, im Grundgesetz zu sichern, dass Kosten, die
Kommunen und Ländern durch die Umsetzung von Bundesgesetzen zusätzlich entstehen, entsprechend finanziell ausgeglichen werden?
Verehrte Frau Kollegin, ich hatte darauf hingewiesen,
dass die Gesetze, die wir vorbereiten, nicht ausschließlich im Bundesinteresse liegen, was die finanziellen
Auswirkungen angeht, sondern auch im Interesse der
Länder und der Kommunen. Sie werden entsprechend
ihrem Anteil an den Steuereinnahmen davon profitieren.
Zu Ihrer zweiten Frage. In jedem Gesetzentwurf, den
der Bundestag berät und beschließt, gibt es einen Teil,
der sich mit den Kosten befasst. Darin gibt es eine AufParl. Staatssekretär Karl Diller
stellung darüber, in welchem Umfang die Kommunen
eventuell belastet oder entlastet werden. Es ist immer am
Gesetzgeber, also an Ihnen, darauf zu achten, dass die
Kommunen nicht über Gebühr belastet werden.
Herr Staatssekretär, es gibt noch eine Zusatzfrage der
Kollegin Bluhm.
Herr Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zum
Ausdruck gebracht, dass die Bundesregierung für die
Jahre 2005 und 2006 den Bundesanteil an den Kosten
der Unterkunft auf 29,1 Prozent jährlich festgelegt hat.
Die kommunalen Spitzenverbände haben sich zwar auf
diesen Kompromiss mit der Bundesregierung eingelassen, sind aber nach wie vor der Auffassung, dass der
Kostenausgleich durch die Sozialhilfe, wie versprochen,
nicht stattgefunden hat und dass der Bundesanteil im
Durchschnitt 34,4 Prozent hätte betragen müssen, um
diesem Erfordernis Rechnung zu tragen. Meine Frage:
Hat die Bundesregierung schon eine Vorstellung dazu,
wie der Bundesanteil an den Kosten der Unterkunft ab
dem Jahr 2007 gestaltet werden soll, um den von den
kommunalen Spitzenverbänden bezifferten Anstieg der
kommunalen Ausgaben für soziale Leistungen von
32 auf 36,6 Milliarden Euro zu kompensieren?
Verehrte Frau Kollegin, wir haben während der Entwicklung der Hartz-Gesetzgebung mit den kommunalen
Spitzenverbänden viele Stunden um die Frage gerungen,
wie wir alles festzurren können. Auf Drängen der kommunalen Spitzenverbände wurde dem Gesetz ein Anhang zugefügt. In diesem Anhang sind alle Parameter
aufgeführt, die in das Rechenwerk eingehen sollen, um
die Belastung bzw. Entlastung zu ermitteln.
Das BMWA hat in der letzten Wahlperiode aufgrund
des Rechenwerks entsprechend der Anlage zu diesem
Gesetz festgestellt, dass man eigentlich einen deutlich
niedrigeren Satz als gerechtfertigt ansehen müsste. Das
ist von den Kommunen bestritten worden; ich kenne
aber kein Rechenwerk der Kommunen, das das Gegenteil beweist. Deswegen ist in den Gesprächen mit den
kommunalen Spitzenverbänden, um die sich Bundesminister Müntefering persönlich sehr bemüht hat, keine
Einigung zustande gekommen. Die Kommunen haben
darauf beharrt, unser Rechenwerk stimme nicht und ihr
Rechenwerk - das sie aber nicht im Detail aufgeschlüsselt vorlegen wollten - sei richtig. Ich hatte den Eindruck, dass die kommunalen Spitzenverbände am
Schluss der Gespräche, als wir gesagt haben, dass keine
Rückzahlung der Beträge des Jahres 2005 erfolgt und es
für das Jahr 2006 zu dieser Einigung kommt, erleichtert
waren. Lassen Sie mich das einmal deutlich festhalten.
Zum Zweiten. Wir werden noch in diesem Jahr festlegen - das wird das Parlament noch beschäftigen, weil
dies Niederschlag in einem Gesetz finden muss -, wie
die Kosten der Unterkunft künftig geregelt werden. Dies
bedarf aber noch sorgfältiger Beratungen.
Die Frage 47 des Kollegen Hermann und die Frage 48
des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet.
Dann kommen wir zur Frage 49 des Kollegen Volker
Beck:
Wie erklärt sich die Zusage des Bundesministeriums der
Finanzen, dass trotz der angespannten Haushaltslage dem
Bundesministerium für Arbeit und Soziales „19 neue Stellen
im Leitungsbereich zur Verfügung gestellt“ werden ({0}), und auf welcher haushaltsrechtlichen Grundlage beruht sie?
Herr Kollege Beck, das Bundesministerium der Finanzen hat auf Grundlage von § 13 Abs. 1 Satz 2 des
Haushaltsgesetzes 2005 in den Abschluss von 19 Arbeitsverträgen des neu gegründeten Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales eingewilligt, damit der Leitungsbereich des neuen Ministeriums arbeitsfähig werden
konnte. Mit dieser Einstellungsermächtigung wurde aber
noch keine Entscheidung über neue Stellen getroffen.
Diese Entscheidung bleibt dem Parlament vorbehalten.
Ihre Zusatzfrage, bitte.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine
Ausweitung der Stellen zur Erledigung der üblichen Aufgaben der Bundesregierung angesichts der gegenwärtig
angespannten Haushaltslage unangemessen wäre? Plant
sie, diese 19 Stellen gegebenenfalls anderweitig zu erwirtschaften, und können Sie mir sagen, um was für Stellen es im Einzelnen geht?
Herr Kollege Beck, wie Sie selber wissen, ist das alte
Wirtschafts- und Arbeitsministerium 2003 neu konzipiert worden und wurde in der neuen Wahlperiode erneut
anders zusammengesetzt. Deswegen ist dieser Mehrbedarf an Stellen vorhanden. Diesem Bedarf wird so Rechnung getragen, dass von den 19 Stellen 14 auf Dauer bewilligt und auf die Fusionsrendite angerechnet werden.
Fünf der neuen Stellen sollen mit kw-Vermerken versehen werden.
Sie haben nach der Wertigkeit der Stellen gefragt: Im
Bereich der A-Besoldung sind es neun Stellen, im Bereich der B-Besoldung fünf Stellen, im Bereich der Angestellten drei Stellen und im Bereich der Arbeiter zwei
Stellen.
Ihre weitere Zusatzfrage, bitte.
Wie erklären Sie sich den zusätzlichen Bedarf - wenn
man die kw-Stellen einmal außer Acht lässt - an 14 Stellen angesichts dessen, dass nicht die Arbeit der Bundesregierung zugenommen hat, sondern nur - was den
Steuerzahler ebenfalls schon belastet - die Zahl der Bundesministerien zugenommen hat? Halten Sie es nicht für
angemessen, diese Stellen zu erwirtschaften? Denn zusätzliche Arbeit gibt es nicht. Man muss zusehen, dass
man sich umorganisiert. So würde das auch ein Unternehmen machen, das eine Umstrukturierung vornimmt
und dabei nicht mehr Aufträge und nicht mehr Einnahmen hat und weiterhin die gleichen Aufgaben zu bewältigen hat.
Herr Kollege Beck, Sie wissen, dass die Entwicklung
der Personalkosten eine Erfolgsgeschichte der Bundesregierung ist, auch der früheren Bundesregierung - wir haben es erreicht, dass die Personalkosten seit 1994 relativ
konstant geblieben sind, obwohl es dazwischen Tarifsteigerungen gab, obwohl dazwischen die Dienstalterssprünge in der A-Besoldung zu Buche schlugen -, und
zwar deswegen, weil wir seit 1994 jedes Jahr 1,5 Prozent
aller Stellen streichen und die Mittel plafondiert sind. Es
kommt also für ein Haus nicht nur darauf an, dass es
Stellen hat, sondern auch darauf, dass es das Geld dafür
hat, die Stellen zu besetzen. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass wir einen Teil der Stellen mit Einsparauflagen bzw. mit kw-Vermerken versehen haben.
({0})
Herr Kollege, Sie hatten zwei Zusatzfragen.
Die Fragen 50 und 51 der Kollegin Bellmann sowie
die Fragen 52 und 53 des Kollegen Rainder Steenblock
werden schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen. Herr Staatssekretär,
herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Damit sind wir auch am Ende der Fragestunde.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der LINKEN
Zu den von der Bundesregierung geplanten
Kürzungen bei Hartz IV zulasten junger Erwachsener
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hätte mir gewünscht, dass ein solcher Antrag für eine
Aktuelle Stunde von allen Oppositionsfraktionen gemeinsam gestellt worden wäre. Hartz IV bewegt noch
immer sehr viele Menschen - und das zu Recht. Ich war
doch sehr erstaunt, dass die Fraktionen von Union und
SPD quasi über Nacht diesen Änderungsantrag eingebracht haben. Wollen Sie das Parlament möglichst
schnell und unbemerkt über die Hartz-IV-Verschlechterungen abstimmen lassen?
({0})
Wollen Sie damit den gesellschaftlichen Debatten und
öffentlichen Protesten ausweichen? Ich kann Ihnen nur
empfehlen, die Menschen auf der Straße ernst zu nehmen. Demokratie darf nicht an den Wahlurnen aufhören.
({1})
Auch Sachverständige haben bei der letzten Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.
In dem von Ihnen vorgelegten Änderungsantrag sieht
das Ministerium von Herrn Müntefering Kürzungen in
Höhe von 600 Milliarden Euro zulasten junger Erwerbsloser und ihrer Familien vor.
({2})
Erinnern Sie sich: Junge Menschen sind in der Bundesrepublik mit 18 Jahren volljährig. Wir verlangen von ihnen Eigenverantwortung und sie haften rechtlich für ihr
Handeln. Nicht die jungen Erwerbslosen sind für diese
teure Arbeitsmarktreform ohne Wirkung verantwortlich,
sondern die politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger.
({3})
In der Begründung des Änderungsantrags wird argumentiert, die Kürzungen der Regelleistungen seien zumutbar, weil Jugendliche unverzüglich in Arbeit, Ausbildung oder Arbeitsgelegenheiten vermittelt werden
sollten. In der Realität sieht das aber leider anders aus.
Die Vermittlungsversprechen werden nicht eingelöst.
Jährlich bekommen circa 100 000 Jugendliche keinen
Ausbildungsplatz.
Im bisherigen SGB II wurde wenigstens die Eigenständigkeit der jungen Erwachsenen mit einer abgeschlossen Berufsausbildung anerkannt.
Jetzt beseitigen Sie noch die letzten Reste des Förderns.
Wenn Sie meinen, ich argumentiere einseitig, dann
empfehle ich Ihnen, die „Frankfurter Rundschau“ von
gestern zu lesen. Dort wurde die Situation junger Menschen in der Bundesrepublik treffend zusammengefasst:
Sie dürfen wählen. Sie dürfen Kredite aufnehmen
… Sie dürfen, nein müssen, notfalls Krieg führen.
Nur aus dem heimischen Kinderzimmer ausziehen,
dürfen sie nicht - jedenfalls nicht, sofern sie arbeitslos sind.
({4})
Was sollen diese jungen Menschen machen, damit sie
vom Amt das Recht zugesprochen bekommen, in einem
eigenen Haushalt für sich selber Verantwortung zu übernehmen?
({5})
Die Zustimmung für einen Auszug erfolgt nur, wenn
schwerwiegende soziale Gründe vorliegen. Wie viel Gewalt oder Alkoholkonsum in der Familie reicht aus, um
das Recht auf eine eigene Wohnung zu haben? Können
die Angestellten in den Agenturen für Arbeit das angemessen entscheiden? Ich meine, sie sind schon jetzt
überfordert. Die Erfahrung von vielen Hartz-IV-Betroffenen zeigt: Ermessungsspielräume werden selten zu ihren Gunsten ausgelegt. Frau Ministerin von der Leyen
sprach von Kindern, die auf der Schattenseite des Lebens geboren werden. Mit diesem Antrag sorgen Sie dafür, dass ein großer Teil dieser Kinder sie nie verlassen
kann.
({6})
Sie nehmen ihnen mit Ihrem Änderungsantrag die Möglichkeit, mit einem selbstständigen Leben auf unterstem
Niveau zu beginnen. Das jetzige Arbeitslosengeld II
reicht nicht für eine Existenzsicherung und das Recht auf
eine gesellschaftliche Teilhabe. Das muss ich Ihnen
nicht noch einmal vorrechnen. Gerade jungen Menschen
darf man nicht noch 69 Euro wegnehmen. Wir fordern
eine armutsfeste Grundsicherung als individuelles
Recht.
({7})
Das Thema „arbeitsscheue Jugendliche“ lässt sich
hervorragend an Stammtischen besprechen. Wer diese
Zwangsmaßnahmen begrüßt, der sollte sich überlegen,
woher das Ministerium von Herrn Müntefering den Rest
der 3 Milliarden Euro Etatkürzungen nimmt. Bisher
müssen nur junge Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter
25 Jahren mit Leistungskürzungen rechnen, wenn sie
Arbeitsangebote nicht annehmen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert unter anderem diese
Sanktionen für alle Langzeitarbeitslosen, sollten sie Angebote für Arbeit, für die ihnen 3 Euro Stundenlohn gezahlt werden, ablehnen.
Herr Minister, werden Sie, um die geplanten Kürzungen durchführen zu können, auf die Vorschläge des
DIHK zurückgreifen? Ich als Abgeordnete kann den
Bürgerinnen und Bürgern nur empfehlen, diese Debatte
sehr aufmerksam zu verfolgen und ihre demokratischen
Rechte wahrzunehmen, bevor es zu spät ist.
Ich danke.
({8})
Das Wort hat nun der Kollege Stefan Müller, CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Reinke, über Ihre Aufregung muss ich
mich schon ein bisschen wundern. Sie haben gesagt, wir
hätten unsere Änderungsanträge quasi über Nacht eingebracht.
({0})
- Ja, ja.
Erstens empfehle ich Ihnen einen Blick in die Koalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPD, die
auch Ihnen zugänglich ist. Auf Seite 27 sind genau die
Vorschläge genannt, die wir in der letzten Woche in das
Parlament eingebracht haben.
Zweitens empfehle ich Ihnen, sich die Sitzung des
Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom
18. Januar dieses Jahres zu vergegenwärtigen, in der
Herr Bundesminister Franz Müntefering sein Arbeitsprogramm mündlich vorgetragen hat. Auch in der
schriftlichen Ausarbeitung, die damals ebenfalls vorgelegt worden ist, findet sich auf Seite 12 der Hinweis auf
unsere Änderungsanträge.
In der letzten Woche haben wir unsere Anträge in den
Ausschuss für Arbeit und Soziales, der federführend ist,
eingebracht. Am vergangenen Montag haben wir eine
Anhörung zu diesem Themenbereich durchgeführt.
Heute früh fand im zuständigen Ausschuss die abschließende Beratung statt. Am Freitag dieser Woche wird es
im Plenum des Deutschen Bundestages zur zweiten und
dritten Lesung des Gesetzentwurfs kommen. Es hätte
also genügend Möglichkeiten für eine Aussprache gegeben. Der heutigen Aktuellen Stunde hätte es jedenfalls
nicht bedurft.
({1})
Angesichts des Verlaufs dieses Gesetzgebungsverfahren und angesichts der verschiedenen Möglichkeiten zur
Aussprache, die es gegeben hätte, sage ich noch einmal:
Diese Aktuelle Stunde ist völlig überflüssig. Ihnen geht
es überhaupt nicht um eine sachliche Diskussion - denn
es hätte genügend Diskussionsmöglichkeiten gegeben -,
sondern Sie betreiben pure Polemik, weil Sie sich davon
Vorteile bei den anstehenden Landtagswahlen erhoffen.
({2})
Ich verstehe gar nicht, dass Sie sich über Hartz IV so
sehr aufregen. Denn wäre Hartz IV in der letzten Legislaturperiode nicht auf den Weg gebracht worden, würden
Sie heute nicht hier sitzen, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen von den Linken.
({3})
Nun zur Sache.
({4})
Darf ich Sie bitten, dem Redner zuzuhören?
({0})
Im Wesentlichen geht es jetzt um zweierlei:
Erstens. Wir wollen die Gleichbehandlung von minderjährigen Kindern bzw. Jugendlichen und volljährigen
Jugendlichen in einer Familie. Diesen Schritt halten wir
für vertretbar; denn diese Differenzierung im Gesetz ist
nicht einsichtig.
Zweitens. Ein 18- bis 25-Jähriger, der zu Hause auszieht, bekommt gegenwärtig nicht nur Arbeitslosengeld II, sondern es werden auch die ihm entstehenden
Kosten für Miete und Heizung und für die Erstausstattung seiner Wohnung übernommen.
({0})
Ursprünglich hat man beabsichtigt, durch diese Regelung Hilfebedürftige zu unterstützen, die aus bestimmten
Gründen nicht mehr zu Hause wohnen können, zum Beispiel weil sie an einem anderen Ort eine Arbeits- oder
Ausbildungsstelle angenommen haben. Darüber hinaus
hatte man Jugendliche im Blick, die aus verschiedenen
sozialen Gründen nicht mehr bei ihrer Familie leben
konnten.
Nach Einführung dieser Regelungen mussten wir
feststellen, dass sie massiv in Anspruch genommen wurden, und zwar auch von solchen Personen, angesichts
deren Situation man sich schon die Frage stellen musste,
ob sie tatsächlich hilfebedürftig sind; aus der massiven
Inanspruchnahme dieser Regelungen resultieren im
Übrigen auch die hohen Kostensteigerungen in diesem
Bereich. Nun wollen wir verhindern, dass Bedarfsgemeinschaften in Zukunft nur gegründet werden, um
Arbeitslosengeld II und andere staatliche Transferleistungen in größerem Umfang in Anspruch nehmen zu
können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, es
handelt sich lediglich um die Wiederherstellung der
Rechtslage vor Hartz IV. Denn es gab schon früher die
Regelung, dass der kommunale Träger bzw. der Sozialhilfeträger zustimmen musste. Letztendlich stellen wir
nur diesen Rechtszustand wieder her; denn er hat sich
seinerzeit bewährt. Auch das ist eine Erkenntnis aus
Hartz IV.
({1})
Da Sie immer von Gerechtigkeit und persönlicher
Entfaltung sprechen, will ich Ihnen folgenden Fall schildern: Was sagen Sie einem jungen Berufstätigen, der
eine Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle hat und sein eigenes Geld verdient, der aber zu viel verdient, um noch zusätzlich staatliche Hilfeleistungen in Anspruch nehmen
zu können, und der eine eigene Wohnung haben möchte,
aber nicht genug Geld hat, um sie selber zu finanzieren?
Wie sieht es hier mit freier Entfaltung aus? Warum muss
die Solidargemeinschaft in dem einen Fall die Kosten für
die Wohnung übernehmen, in dem anderen Fall aber
nicht? Ist das Ihr Verständnis von sozialer Gerechtigkeit?
Meines jedenfalls ist es nicht.
({2})
Für manch einen jungen Menschen unter 25 Jahren
mag es zwar eine Zumutung sein, noch bei seinen Eltern
zu wohnen. Aber es ist nicht unzumutbar, wenn wir verlangen, dass ein junger Hilfebedürftiger noch bei seinen
Eltern wohnt.
Ich will festhalten: Es wird auch in Zukunft die Möglichkeit geben, dass ein junger Mensch von zu Hause
auszieht: wenn er eine Ausbildungsstelle an einem anderen Ort antritt oder wenn es schwer wiegende soziale
Gründe gibt; Sie haben ja davon gesprochen. Dann muss
der kommunale Träger seine Zustimmung geben - und
das wird er, wenn diese Gründe vorliegen: weil er es
nach dem Wortlaut des Gesetzes muss.
Ich bin der Meinung, wir sollten, anstatt die Zeit mit
solchen Aktuellen Stunden zu verplempern,
({3})
ernsthaft darüber diskutieren, wie wir die Beschäftigungsmöglichkeiten für junge Menschen verbessern
können.
({4})
Wir sollten darüber reden, wie wir die jungen Menschen
in Lohn und Brot bekommen,
({5})
wie sie eine Arbeitsstelle oder eine Ausbildungsstelle
bekommen; dann brauchen wir über staatliche Fürsorge
und die Zustimmung kommunaler Träger nicht zu reden.
Stattdessen sprechen wir hier über irgendwelche Themen, die Sie aus purer Polemik aufbringen; jede Woche
versuchen Sie mit einer Aktuellen Stunde irgendein
Thema aufzubauschen. Ich würde mir wünschen, dass
wir die Zeit effizienter nutzen. Aber wenn nicht, dann
könnten wir wenigstens über andere, interessante Themen sprechen: Wir könnten zum Beispiel eine Aktuelle
Stunde zu den Vorkommnissen in Ihrer Fraktion machen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Mich würde zum Beispiel eine Aktuelle Stunde zu
den Vorkommnissen in den letzten Tagen in Ihrer Fraktion interessieren Stefan Müller ({0})
({1})
die Allgemeinheit mit Sicherheit auch.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb,
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei der Umsetzung der Arbeitsmarktreformen zu
Hartz IV wurden von Rot-Grün, mit Duldung der Union,
gravierende handwerkliche Fehler gemacht. Diese handwerklichen Fehler sind eine, wenn auch zugegebenermaßen nicht die einzige Erklärung dafür, dass statt der vorausberechneten 14 Milliarden Euro im ersten Jahr der
Anwendung von Hartz IV rund 26 Milliarden Euro auf
der Ausgabenseite gebunden wurden.
Gleich als diese Fehler erkennbar wurden, wurde der
Ruf nach Korrekturen laut. Das galt insbesondere für die
zahlreichen Fälle, dass Hilfebedürftige unter 25 Jahren
mit Unterstützung der Träger einen eigenen Hausstand
gegründet haben. Dafür, dass so etwas tatsächlich stattgefunden hat, haben wir in der Anhörung am Anfang
dieser Woche Belege geliefert bekommen. Unter den
2,8 Millionen Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen
nach SGB II beziehen, sind rund 2,2 Millionen Einpersonenbedarfsgemeinschaften, was 78 Prozent entspricht.
({0})
Der Vertreter der Bundesagentur hat bei uns unter Berufung auf Stellungnahmen und Aussagen der Arbeitsgemeinschaften sehr offen von Fehlanreizen gesprochen.
Er sagte wörtlich: Diese Fehlanreize entsprechen für
mich auch fast der Lebenswirklichkeit. Wenn ein junger
Mensch die Möglichkeit hat, zulasten der Allgemeinheit
aus dem elterlichen Haushalt auszuziehen, und seine
Haushaltsgründung auch noch von der Allgemeinheit finanziert wird, dann wird das wahrscheinlich von vielen
in Anspruch genommen worden sein.
Das heißt für uns: Es gibt Missbrauch. Die FPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Zielsetzung, diesen Missbrauch zurückzuführen, nachdrücklich.
({1})
Es geht also darum, Fehlanreize auszuräumen. Es kann
nicht sein, dass, wie nach der bestehenden Rechtslage
möglich, unter 25-Jährige relativ wahllos die elterliche
Bedarfsgemeinschaft verlassen, eine eigene Bedarfsgemeinschaft gründen und für Unterkunft und Heizung zusätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld II Ansprüche geltend
machen können. Wir begrüßen daher im Grundsatz die
vorgesehene Einbeziehung arbeitsloser Jugendlicher unter 25 Jahren in die elterliche Bedarfsgemeinschaft und
auch die vorgesehene Beschränkung, dass unter 25-Jährige nur noch im Ausnahmefall aus der elterlichen Wohnung ausziehen und eine geförderte Bedarfsgemeinschaft gründen können.
Allerdings haben wir in diesem Zusammenhang einige Bedenken: Erstens. Es kann nach unserer Auffassung nicht so sein, dass zum Stichtag - dem 17. Februar
2006 - vorhandene Bedarfsgemeinschaften einen weitestgehenden Bestandsschutz genießen und diese Änderungen nur für neu einzurichtende Einpersonenbedarfsgemeinschaften gelten sollen. Wir sind vielmehr der
Auffassung, dass im Rahmen der alle sechs Monate
stattfindenden Überprüfungen der Anspruchsvoraussetzungen dort, wo es möglich und sinnvoll ist - es wird
nicht überall möglich und sinnvoll sein -, auf die Rückeingliederung in die familiäre Bedarfsgemeinschaft gedrungen wird; wenn erforderlich - auch mit Blick auf
bestehende Mietverträge - auch mit Toleranzfristen.
Aber der Grundsatz muss klar sein. Ansonsten käme es
zu einer dauerhaften Belohnung der Findigen. Das darf
nicht sein. Denn wie wollen Sie einem Sozialhilfeempfänger klar machen, dass er seine Wohnung wegen Fehlbelegung räumen soll, wenn ein unter 25-Jähriger auf
Dauer in einer solchen leben darf? Hier gibt es aus unserer Sicht Handlungsbedarf.
({2})
Zweitens. Die vorgesehene Genehmigungsregelung,
wonach der Betroffene aus schwer wiegenden sozialen
Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines
Elternteils verwiesen werden kann, wird in der Verwaltungspraxis sehr schwer zu handhaben sein und die
Mitarbeiter der Bundesagentur und der Arbeitsgemeinschaften erneut vor Probleme stellen. Das gilt auch dann,
wenn, wie wir heute im Ausschuss gehört haben, darauf
verwiesen wird, dass die verwendeten unbestimmten
Rechtsbegriffe durch die Rechtsprechung der Sozialgerichte, zum Beispiel zum Sozialhilferecht, ausgeformt
seien.
Es bleibt das Problem, dass die Mitarbeiter in der
Agentur und in den Arbeitsgemeinschaften die vorgebrachten Gründe nachprüfen müssen, wofür sie aber
nicht ausgebildet sind. Bei der ohnehin bereits bestehenden hohen Arbeitsbelastung der Mitarbeiter werden auch
wohl kaum die Möglichkeit und die Zeit gegeben sein,
hier entsprechende Nachschulungen vorzunehmen. Im
Ergebnis würde hier eine Prozessflut ausgelöst werden.
Dem Ziel, Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, dient
man damit auf jeden Fall nicht.
Das dritte Problem, das wir ansprechen, ist der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der neuen Regelung. Bei der
Frage, ob das bereits am 1. Juli 2006 oder erst am
1. Januar 2007 möglich ist, ist die Kakophonie in den
Reihen der Koalition komplett.
({3})
Die Union will wohl ein schnelles In-Kraft-Treten. Herr
Müntefering, die Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums hat gestern erklärt, das Gesetz könne erst zum
1. Januar 2007 umgesetzt werden; früher sei die Umsetzung nicht möglich.
Da auch die Bundesagentur darauf hinweist, dass
Umgehungslösungen bezüglich der nicht anwendbaren
Software in diesem Fall wohl nicht möglich sein werden,
kann man hier nur sehr deutlich vor zu viel Optimismus
warnen. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder
erlebt, dass man sehr optimistisch an Dinge herangegangen ist und dass die Verfahren in der Praxis dann nicht
sauber durchgeführt werden konnten. Das alles klingt für
uns nicht sonderlich ermutigend.
Schließlich warnen wir auch noch vor Missbrauchstatbeständen, die sich aus der Zusicherung nach § 22
Abs. 2 a des Entwurfs ergeben könnten. Hier gibt es ein
großes Interesse der abgebenden Träger, einen Umzugskostenzuschuss zu gewähren. Ich sage: Wenn sich der
Arbeitslose an seinem neuen Wohnort wohl fühlt, dann
wird es nur sehr schwer möglich sein, einen Rückumzug
auf den Weg zu bringen. Das hätte für die verschiedenen
Träger aber dauerhafte Folgen in der einen und in der anderen Weise.
Insgesamt stellen sich hier also viele Fragen. Wir sind
aber bereit, an dem grundsätzlichen Ziel der Korrektur
der Fehlanreize mitzuwirken.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Für die Bundesregierung hat nun der Herr Bundesminister Franz Müntefering das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man ein großes Gesetzgebungswerk wie die
Schaffung der Grundsicherung in Bewegung setzt, dann
ist ganz klar, dass man beobachtet, was daraus wird, und
dass man dann auch Konsequenzen daraus zieht und
Veränderungen vornimmt, wenn sich dies als nötig erweist.
Das tun wir. Ich gehe davon aus, dass wir am Freitag
dieser Woche das SGB-II-Änderungsgesetz im Deutschen Bundestag beschließen werden. Es gibt einige
Punkte darin, die ich ansprechen möchte.
Punkt 1 des Gesetzes ist eine Mehrausgabe. Es geht
dort um die Anhebung der im Osten zu zahlenden ALGII-Beträge auf das Westniveau. Das steht darin. Das tritt
zum 1. Juli dieses Jahres in Kraft. Dadurch entstehen in
diesem Jahr Kosten in Höhe von 220 Millionen Euro. Im
nächsten Jahr gilt das dann voll.
Nun bin ich ganz gespannt, was Sie am Freitag tun
werden, ob Sie dem Gesetz zustimmen oder nicht; denn
ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diese Anhebung
des Betrages vom Ostniveau auf das Westniveau nicht
wollen. Ehe man sich hier also derart zu Wort meldet,
sollte man sich überlegen, welcher Zusammenhang da
eigentlich besteht. Wir warten also gespannt darauf, was
am Freitag passiert und wie Sie sich dabei verhalten.
({0})
Es gibt aber auch andere Punkte, bei denen wir versuchen müssen, einzusparen. Die Erfahrung des
Jahres 2005 war, dass die Bestimmungen des Gesetzes
gedehnt worden sind. Ich gebrauche ausdrücklich nicht
das Wort „missbraucht“; denn das, was da passiert ist,
war nach dem Gesetz möglich. Wir als Gesetzgeber
müssen sagen, dass wir uns da korrigieren und darauf
achten müssen, dass die entstehenden Kosten nicht über
Gebühr über das Ziel hinausschießen.
Was waren die Probleme? Es haben sich neue Bedarfsgemeinschaften gebildet, und zwar in erheblichem
Maße durch die ganz jungen Menschen, die 18-, 19- und
20-Jährigen, die aus ihrem elterlichen Verbund ausgezogen und in eine eigene Wohnung gezogen sind. Damit
waren sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft und erhielten
100 Prozent ALG II. Auch die Einrichtung für ihre Wohnung wurde in hohem Maße bezuschusst und dazu werden natürlich auch die Wohnkosten finanziert.
Es hat sich herausgestellt, dass dies eine große
Gruppe ist und dass an dieser Stelle eine Menge Kosten
entstanden sind, die wir nicht gewollt haben. So war das
nicht gemeint. Das kann auch nicht im Sinne des Erfinders sein; denn die Kosten, die dort entstehen, müssen
natürlich von den Steuerzahlern insgesamt getragen werden. Diese Situation nehmen wir auf, um sie zu korrigieren.
Wir haben im Verlauf des Jahres auch festgestellt: Die
Tatsache, dass jungen Menschen zwischen 18 und 24 Jahren, die zu Hause wohnen bleiben, 100 Prozent statt
80 Prozent des Regelsatzes gezahlt wird, ist mit deren
Situation nicht vereinbar; denn in einer Familie gibt es
keine doppelten Haushaltskosten. Deshalb können an
dieser Stelle Korrekturen stattfinden.
({1})
Wenn man das so macht, wird man im Jahr der vollen
Wirksamkeit 500 bis 600 Millionen Euro sparen.
({2})
Es wird dann so sein, dass die Bedarfsgemeinschaften,
die sich durch Umzug bilden, nur noch möglich sind,
wenn es dafür gute Gründe gibt. Das kann die Notwendigkeit sein, in eine andere Stadt umzuziehen. Das können aber auch schwerwiegende soziale Gründe sein,
etwa Verwerfungen in der Familie, die zwangsläufig
dazu führen, dass der junge Mensch auszieht. Das hat es
im Bereich der Sozialhilfe schon gegeben. Diese Entscheidungen muss man vor Ort individuell treffen. Solche Ausnahmesituationen gibt es. Aber es darf eben
nicht mehr die Regel sein, dass 18- oder 19-Jährige von
zu Hause ausziehen, sich eine eigene Wohnung nehmen
und die Kosten dafür von der Gemeinschaft aller getragen werden, wie wir das im Jahre 2005 erlebt haben.
Es gibt also diese Regel und es gibt Ausnahmen von
dieser Regel. Es wird auch in Zukunft so sein, dass diejenigen, die im elterlichen Verbund wohnen bleiben,
nicht 100 Prozent, sondern 80 Prozent des ALG II bekommen.
Die Frage ist: Wann wird das umgesetzt? Aufgrund
von technischen Problemen hat die BA mitgeteilt, dass
dies vernünftigerweise erst zum 1. Januar des nächsten
Jahres umgesetzt werden könne. Dies hat sich auch in
den Zeitungsmeldungen vom heutigen Tag niedergeschlagen. Aber darüber kann man ganz offen sprechen.
Wir in der Koalition haben heute im Ausschuss entschieden: Wir wollen diese Regelung ab dem 1. Juli umsetzen. Mit der Zustimmung des Deutschen Bundestages
am Freitag wollen wir der Agentur signalisieren, Druck
zu machen und sich zu beeilen, da die Umsetzung dieser
Regelung nicht unnötig lange dauern soll. Ich glaube,
dass diese Entscheidung vertretbar und richtig ist. Nun
muss man versuchen, diese Regelung ab dem 1. Juli umzusetzen. Dies kann auch dadurch geschehen, dass man
sich überlegt, mit welcher anderen Methode als nur mit
der vorhandenen Technik diese Dinge umgesetzt werden
können. Wir wollen, dass dies so schnell wie möglich
realisiert wird.
Wichtig ist - da stehe ich im Widerspruch zu dem,
was Herr Kolb von der FDP gesagt hat -: Diejenigen, die
auf legale Weise eine Bedarfsgemeinschaft gegründet
haben und in eine eigene Wohnung gezogen sind, werden wir dort lassen. Es macht überhaupt keinen Sinn, so
zu tun, als ob diese Menschen diese Regelung missbraucht hätten. Das Gesetz bot diese Möglichkeiten.
Dies wird korrigiert. Aber die jungen Menschen, die bereits eine eigene Wohnung haben, werden in ihrer Bedarfsgemeinschaft bleiben können.
Man kann sich hier viele Tausend Einzelfälle vorstellen. Darüber haben wir in den letzten Tagen in allen
Fraktionen hinreichend diskutiert. Einen Teil dieser Einzelfälle wird man vor Ort zu klären haben. Die große
Menge derer, die bereits in einer eigenen Bedarfsgemeinschaft leben, wird da bleiben. Aber in der Zukunft
wird das anders gehandhabt werden. Ich glaube, es ist
vernünftig, hier etwas zu ändern.
Ich will abschließend sagen: Mindestens so wichtig
wie das Thema, das wir hier jetzt behandeln, ist, dass wir
die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, noch konzentrierter und energischer dafür einsetzen, den jungen
Menschen eine Chance zu geben, in Ausbildung, Qualifizierung oder Beschäftigung zu kommen.
({3})
Wir in der Koalition haben uns vorgenommen, zu erreichen, dass junge Menschen maximal drei Monate arbeitslos sind und dass sie in den Argen oder in den optierenden Gemeinden so intensiv betreut werden, dass sie
innerhalb dieser drei Monate Ausbildung, Qualifizierung
oder Beschäftigung finden. Wenn man das erreicht, beantwortet das übrigens auch einen Großteil der Frage:
Was passiert mit denen, die arbeitslos sind, und wie wird
deren Lebensweg aussehen? Es ist nicht gut, wenn wir
als Staat jungen Menschen Arbeitslosengeld-II-Karrieren finanzieren, sondern es ist besser, wenn wir das Geld
dafür einsetzen, diesen Menschen eine Chance zu geben,
in den Arbeitsmarkt zu kommen.
Die Dauer der Arbeitslosigkeit junger Menschen beträgt zurzeit in Deutschland im Schnitt 4,4 Monate - damit sich auch da das eine oder andere Gerücht ein bisschen relativiert. Im europäischen Vergleich stehen wir so
schlecht nicht da. Deutsche Jugendliche in der Altersklasse zwischen 18 und 25 Jahren sind im Schnitt
4,4 Monate arbeitslos. Das muss an vielen Stellen besser
werden - das wissen wir -, aber ich sage Ihnen: Das
Geld, das wir einsparen wollen, geht den Jugendlichen
nicht verloren. Wir werden es dafür einsetzen, diesen Jugendlichen noch stärker als bisher zu helfen, um in vernünftiger Weise Qualifizierung, Ausbildung und letztlich
eine Arbeit zu bekommen. Insofern bin ich ganz sicher:
Das, was wir machen, ist ein vernünftiger Weg in die
richtige Richtung.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich erteile das Wort der Kollegin Brigitte Pothmer,
Fraktion des Bündnisses 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Müntefering, dass jetzt auch ein sozialdemokratischer
Arbeitsminister junge ALG-II-Empfänger zumindest als
potenzielle Schmarotzer ansieht
({0})
und damit relativ umstandslos an die Töne des nordrhein-westfälischen Sozialministers Karl-Josef Laumann
anknüpft, finde ich enttäuschend.
({1})
Letzterer hat schon im Herbst vergangenen Jahres
festgestellt - das sage ich an die CDU/CSU gewandt -,
es gehe nicht an, dass ganze Schulklassen eigene Wohnungen anmelden, um Anspruch auf ALG II zu bekommen.
({2})
- Das ist Ihre Auffassung; so betrachten Sie diese jungen
Leute. - In der Grobfassung dieser Rede wird dann von
Missbrauch geredet. Für die Feinnervigen - dazu gehören sicherlich Sie, Herr Müntefering - wird dann davon
gesprochen, dass die große Koalition die Familie als
Verantwortungsgemeinschaft stärken will.
Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass
sich die vorgesehenen Änderungen nicht auf Kinder beziehen. Es geht dabei um junge Staatsbürger, von denen
wir auch ziemlich viel verlangen.
({3})
Sie sind volljährig. Sie müssen die Wehrpflicht ableisten. Sie sind voll geschäftsfähig. Sie sind straffähig und
- auch daran will ich Sie erinnern - sie haben Gott sei
Dank das Wahlrecht. Diese jungen Leute sollen sich jetzt
wieder in die Haushalte ihrer Eltern einfügen.
({4})
Ich will gar nicht leugnen, dass auch wir einen gewissen Handlungsbedarf sehen.
({5})
Wenn junge Leute im Haushalt ihrer Eltern leben, bin
ich ebenfalls der Auffassung, dass die Generalkosten
nicht mehrfach anfallen und anders aufgeteilt werden
können wie bei anderen Erwachsenen auch.
({6})
Aber dann frage ich Sie: Warum bekommen diese
jungen Leute unter 25 nicht wie andere Erwachsene auch
90 Prozent der Regelleistung? Es gibt schließlich nicht
mehr den Haushaltsvorstand, der 100 Prozent bekommt,
während alle anderen 80 Prozent bekommen. Das
SGB II sieht eine gleichberechtigte Behandlung vor. Das
bedeutet dann eben auch 90 Prozent der Regelsätze für
beide Partner. Das sollte dann auch für unter 25-Jährige
gelten.
({7})
Herr Laumann, den ich bereits zitiert habe, hat von einer Auszugslawine gesprochen, die angeblich unter den
18- bis 25-Jährigen stattgefunden hat. Das ist gefühltes
Wissen. Das möchte ich ausdrücklich festhalten. Belastbare Daten gibt es dafür nicht.
({8})
Im Gegenteil: Es gibt deutliche Indizien für eine Entwicklung in die umgekehrte Richtung.
({9})
In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Bedarfsgemeinschaften, in denen nur eine Person lebt, vom Februar bis
zum September 2005 um 0,2 Prozent zurückgegangen.
({10})
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen:
Es ist nicht das politische Ziel der Grünen, 18-Jährigen
aus Steuermitteln ihre erste eigene Bude zu finanzieren,
wenn dazu keine Notwendigkeit besteht. Das ist auch
nicht unser Ziel.
Aber die von Ihnen in dem Gesetzentwurf vorgesehenen Korrekturen widersprechen jeder Vernunft. Denn
nach Ihren Vorstellungen müssen junge Menschen nicht
nur ihren Erstauszug genehmigen lassen; vielmehr müssen sie in der Folge jeden Umzug genehmigen lassen.
({11})
Stellen Sie sich einmal vor, ein junger Mensch aus
den neuen Bundesländern zieht nach Stuttgart, weil er
dort einen Arbeitsplatz gefunden hat. Wenn er diesen
wieder verliert und sich deshalb eine billigere Wohnung
suchen will, dann braucht er dafür wieder eine Genehmigung. Dann hat der kommunale Träger erneut das Recht,
ihm die eigene Bedarfsgemeinschaft zu verweigern. Das
bedeutet eine Rückabwicklung zum Einchecken in das
Hotel Mama. Vielleicht hat das Hotel Mama aber in der
Zwischenzeit längst dichtgemacht, weil sich die Eltern
bereits auf die neue Situation eingestellt haben und eine
kleinere Wohnung genommen haben.
({12})
Das, was Sie hier machen, stärkt in keiner Weise die
Verantwortungsgemeinschaft. Sie überfordern die Familie als Solidargemeinschaft.
({13})
Das vertreibt die jungen Leute eher aus den Haushalten
der Eltern, also genau von dort, wo Sie sie halten wollen.
Das, was Sie hier anzetteln wollen, nenne ich eine Stubenhockerkampagne. Sie wollen eine Renaissance der
Heimschläfer einleiten.
({14})
Um Ihr Vorhaben sollte man ein großes Schild hängen,
auf dem steht: Ins Leben eintreten verboten; Eltern haften für ihre Kinder!
({15})
Frau Kollegin, kommen Sie allmählich zum Schluss.
Ich komme zum Schluss.
Herr Müntefering, das Versprechen, jungen Menschen umgehend einen Ausbildungs- oder einen Arbeitsplatz anzubieten, ist nicht eingelöst worden.
({0})
Das ist das Kernproblem; dieses sollten Sie lösen. Aber
Sie zetteln hier Scheindebatten an, die niemandem nutzen, auch nicht den Jugendlichen.
Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich danke Ihnen.
({0})
Ich erteile das Wort der Kollegin Gitta Connemann,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Beim
Zuhören der Rede der Kollegin Pothmer - man konnte ja
nicht weghören ({0})
fiel mir ein Satz unseres ehemaligen Bundeskanzlers
Konrad Adenauer ein, der einmal sagte: „Wir leben alle
unter demselben Himmel, aber wir haben nicht alle denselben Horizont.“
({1})
Jedenfalls habe ich die Rede von Herrn Bundesminister
Müntefering vollkommen anders verstanden, Frau
Pothmer. Man kann aber auch mit dem Bonmot eines
Schriftstellers sagen, dass häufig diejenigen, die laut
schreien, heiser sind, wenn sie bekennen müssen. Ich
glaube, auch darum geht es heute.
Frau Pothmer, im Gegensatz zu Ihnen kann ich bestätigen, was der Bundesminister gesagt hat. Ich lebe in einem ländlichen Raum. Bei uns waren bislang gemeinsame Haushalte die Regel. Aber im letzten Jahr ist auch
bei uns die Zahl der Singlehaushalte schlagartig explodiert. Es war, als hätte die ganze Welt auf einmal die
Freuden des Alleinlebens entdeckt. Das betraf vor allem
die Haushalte, die ALG II beziehen. Nicht nur im Landkreis Leer - aus diesem komme ich und dort habe ich
mich informiert; das hätte Ihnen sicherlich ebenfalls gut
angestanden ({2})
stieg ihre Zahl um mehr als 40 Prozent. Vielmehr war
landauf, landab die Geschichte von der wundersamen
Vermehrung der Bedarfsgemeinschaften zu hören.
({3})
Da waren nicht nur die nicht ehelichen Lebensgemeinschaften, in denen zwar die Liebe nicht endete, die aber
seltsamerweise ihre gemeinsamen Haushalte auflösten.
Vielmehr gab es auch Jugendliche, die ihre Sachen packten, und zwar auf Kosten der Allgemeinheit. Das ist gut
so, Frau Kollegin, wenn es um die Eingliederung in den
Arbeitsmarkt geht. Das ist gut so, wenn das Familienleben zu Hause unerträglich ist. In diesen Fällen ist der
Staat, ist die Allgemeinheit gefordert, den betroffenen
Jugendlichen zu helfen; denn sie sind dann hilfsbedürftig.
({4})
Das war bislang der Fall und das wird weiterhin so
sein. Auch zukünftig übernimmt die Allgemeinheit die
Kosten der Unterkunft, wenn ein Grund für einen Erstwohnungsbezug vorliegt. Aber zukünftig muss die Arbeitsgemeinschaft oder die optierende Kommune vorher
zustimmen. Die jungen Arbeitslosen, die bei den Eltern
wohnen bleiben, erhalten nur noch 80 Prozent der Regelleistung. Das ist leicht zu berechnen; denn die Kosten einer gemeinsamen Wohnung sind nun einmal nicht so
hoch wie die mehrerer Haushalte.
Die Gegner dieser Pläne hatten ihr Urteil schnell gefällt. Wenn man im Internet chattet, dann stellt man fest,
dass dort die Rede vom Aushungern junger Hartz-IVEmpfänger sowie von Jugendlichen zweiter Klasse ist.
Meine Damen und Herren von der Linken, das ist aus
meiner Sicht Pathos pur. Große Worte, aber ohne jede
Substanz!
({5})
Frau Pothmer, Sie hätten sich ebenso wie ich mir die
Mühe machen sollen, sich vor Ort zu informieren. In den
Ämtern hätten Sie gehört, dass es auch Mitnahmeeffekte
gibt. Beispielsweise kursieren an den Gymnasien in meinem Landkreis inzwischen Formulare mit dem Titel
„Das Recht auf eine kostenfreie Bude“. Diese Formulare
werden bei den Ämtern vorgelegt. Sie hätten gehört,
dass der Abschluss von Mietverträgen in Familien auf
einmal Konjunktur hat. Da wird schon einmal die Einliegerwohnung von den Eltern an die Kinder vermietet. Die
Versuche der Kommunen, auf die Unterhaltsverpflichtung der Eltern hinzuweisen, scheitern spätestens vor
Gericht. Es gilt die Überleitung: Der Staat soll doch versuchen, sich die Miete bei den Eltern zu holen. Deshalb
wünschen sich zum Beispiel die Landkreise in meinem
Wahlkreis die beabsichtigte Gesetzesänderung, sorgt sie
doch auch für Klarheit bei den Sozialgerichten.
({6})
Das Angebot zum Alleinwohnen auf Kosten der Steuerzahler findet reißenden Absatz, allerdings mit unerwünschten Nebeneffekten. Die Kosten explodieren.
Aber es geht um mehr als Geld. Es geht hier auch um die
Frage, was sich der Sozialstaat noch leisten kann und
soll.
({7})
Ist es die Aufgabe der Solidargemeinschaft, den Start
in ein eigenständiges Leben zu finanzieren? Werden
Volljährige, die bei ihren Eltern wohnen, zu Erwachsenen zweiter Klasse? Wohl kaum. Der staatlich finanzierte Auszug von zu Hause ist kein Menschen- oder
Bürgerrecht. Es geht hier übrigens auch um Fragen der
Gerechtigkeit. Ist es gerecht, wenn Jugendliche, die
nicht arbeiten, genauso viel erhalten wie Jugendliche in
der Ausbildung? Der ALG-II-Satz von 345 Euro liegt
über dem, was in vielen Ausbildungsberufen verdient
wird. Ein Bauzeichner in Ostfriesland bekommt im ersten Lehrjahr 311,88 Euro, eine Floristin 321 Euro. Wer
ist denn jetzt der Jugendliche zweiter Klasse, meine
Damen und Herren von der Linken? Keiner mehr als der
andere. Das Signal ist für beide verheerend, sowohl für
den jugendlichen Arbeitslosen als auch für den Auszubildenden, nämlich dass sich Arbeit nicht mehr lohnt.
Ist es gerecht, dass die ursprünglich gedachte Unterstützung inzwischen zum Blankoscheck geworden ist,
der von den einen ausgegeben, aber von den anderen gezahlt werden muss? Ich spreche hier von vielen Millionen Normalverdienern. Ich selbst habe eine Lehre als
Einzelhandelsverkäuferin gemacht. Nach dem aktuellen
Tarifvertrag beträgt das Monatsgehalt einer Vollzeitverkäuferin in Sachsen-Anhalt nach sieben Berufsjahren
1 987 Euro Brutto. Meine früheren Kolleginnen stehen
dafür bei Wind und Wetter auf und arbeiten. Ist es gerecht, dass die Eigenständigkeit junger Menschen staatlich finanziert wird und nicht mehr von der Familie?
({8})
Hier geht es nicht um die Frage der Emanzipation
junger Menschen, sondern auch um die Frage der Entsolidarisierung von Familien.
({9})
Wenn Sie meinen, Eltern könne man nicht zumuten, für
ihren 20-jährigen Sohn aufzukommen, dann haben Sie
aus meiner Sicht ein ganz merkwürdiges Verständnis
von einer solidarischen Gesellschaft.
Am Ende dieser Aktuellen Stunde bleibt für mich ein
schaler Beigeschmack.
({10})
Denn Ihre fragwürdige Fähigkeit - sowohl bei der Linken als auch leider bei der Kollegin von den Grünen -,
größte Worte zu machen, hilft allenfalls Ihnen bei Landtagswahlen, aber nicht den Betroffenen. Ich bitte Sie: Pathos eignet sich nur für das Theater, aber nicht für das
Plenum.
({11})
Das Wort hat nun der Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin froh, dass ich nicht mehr in Ostfriesland lebe, wo es so schlimm ist.
Zwangsfamilie. Wir alle in diesem Hohen Haus sprechen uns gegen Zwangsehen bzw. Zwangverheiratungen
aus und Sie wollen durch die Novellierung des Gesetzes
für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt durch
die Hintertür wieder Zwangsfamilien einführen. Sieht so
die Förderung von Familie aus?
({0})
- Hören Sie mir einmal zu! Es wird noch besser.
({1})
Die Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaft auf die unter 25-Jährigen und die Einschränkungen beim Erstwohnbezug sind völlig überzogen. Das sagt übrigens
auch der DGB. Ich weiß nicht, wer von Ihnen bei der
Expertenanhörung war. Ich war dabei und habe sie mir
angehört. Es wird seitens der Regierung von ständigem
und massivem Missbrauch dieser Altersgruppe gesprochen und mit Zahlen herumgeworfen. Woher kommen
diese Zahlen? Diese Zahlen gibt es überhaupt nicht. In
der Expertenrunde ist gesagt worden, dass es keine belegbaren Zahlen gibt. Ich war bei den Arbeitsgemeinschaften bei mir zu Hause im Kreis. Auch dort ist gesagt
worden: Wir haben keine Zahlen. - Es gibt keine Hinweise auf Missbrauch durch diese Altersgruppe. Das ist
erstunken und erlogen.
({2})
Sie haben als hehres Ziel benannt, junge Arbeitslose
unter 25 keine drei Monate in der Arbeitslosigkeit zu belassen. Daran sollten Sie arbeiten; das ist das Ziel. Sie
sollten die Betroffenen aber nicht weiter schröpfen und
bluten lassen.
Von der Schaffung von Arbeitsplätzen wird hier überhaupt nicht mehr gesprochen. Es geht doch nur um die
Verwaltung von Arbeitslosen bei gleichzeitiger Kostendämpfung. Bestes Beispiel ist die Senkung der Bemessungsgrundlage für die Beitragsberechnung der Renten
von ALG-II-Empfängern. Wenn seitens der CDU festgestellt wird - ich zitiere -, „dass die Kosten so explodiert
sind, dass gehandelt werden muss“, dann ist es endlich
an der Zeit, zuzugeben, dass die Berechnungen zur
Hartz-Gesetzgebung verfehlt waren. Aber diese Größe
fehlt der Koalition.
Wie gehabt, sollen diese Fehler auf dem Rücken der
Betroffenen ausgeglichen werden, und das durch weitere
Eingriffe in Bürgerrechte.
({3})
Das heißt, es kommt wieder zu Leistungsbeschneidungen, Verdrängungseffekten und Repressionen. Aber was
kümmert das unseren Arbeitsminister?
In diesem Zusammenhang möchte ich einmal an das
Godesberger Programm erinnern, in welchem es unter
anderem heißt - ich zitiere -:
Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der
jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft
verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und
kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann.
({4})
Noch im Berliner Programm von 1989 heißt es:
Die Sozialdemokratie führt die Tradition der demokratischen Volksbewegungen des neunzehnten
Jahrhunderts fort und will daher beides: Demokratie und Sozialismus,
- hört! Selbstbestimmung der Menschen in Politik und Arbeitswelt.
({5})
Zurück zum SGB II. Aus meiner Sicht will die Koalition das SGB II nur aus fiskalpolitischen Erwägungen
ändern. Lebenslagen von Betroffenen werden überhaupt
nicht berücksichtigt.
({6})
Hier wird doch wieder nach dem Motto verfahren: Rechnet sich das überhaupt? Eine solche Politik ist weder kinder- noch familienfreundlich; sie kann es nicht sein. Das
habe ich bereits Anfang Dezember in diesem Hause an
diesem Pult gesagt und dazu stehe ich noch immer.
({7})
Dass es auch andere Stimmen dazu gibt, vornehmlich
die der Arbeitgeberverbände, wundert mich gar nicht.
Vorrangig scheinen sie von dieser Änderung keine Vorteile zu haben. Denkt man aber einmal weiter und verliert man die Gesamtzusammenhänge nicht aus den Augen, stellt man schnell fest, dass sich alles zu einem
bestimmten Bild zusammenfügt: Wenn junge Menschen
ohne Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen
Arbeitsplatz finanziell so weit drangsaliert werden, dass
sie auch bereit sind, im Niedriglohnsektor zu arbeiten,
dann entlastet dies letztlich die Statistik der BA.
({8})
Und: Die Arbeitgeber stehen nicht mehr so sehr unter
dem Erfolgsdruck - Sie waren dabei, als all diese Programme aufgelegt wurden -, ihrem nicht eingelösten
Versprechen aus dem Bündnis für Arbeit nachzukommen, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Im Gegenteil:
Die Arbeitgeber werden in die Lage versetzt, die Löhne
noch weiter zu drücken.
In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage - ich
warte wirklich auf eine Antwort -: Wann kommt endlich
der Vorschlag der Regierung, die Senioren ab 65 oder
demnächst ab 67 wieder in die Haushalte der Kinder zu
integrieren, natürlich unter Anrechnung der Einkommen
der Familie auf die Rente?
({9})
Das spart Renten und Wohnkosten, schafft gegebenenfalls auch kostenlose Kinderbetreuung.
({10})
Das Modell des Mehrgenerationenhauses hat sich dann
automatisch erledigt.
Der Kollege Dobrindt hat hier am 10. Februar erklärt
- Zitat -, „dass junge Menschen mehr Freiheit und
Selbstbestimmung brauchen“.
({11})
- Da hat er Recht -. Das ist hoffentlich nicht so zu verstehen, dass junge Menschen ab 18 wählen dürfen oder
als Soldaten ins Ausland geschickt werden können.
({12})
Es lebe der Sozialstaat!
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({13})
Ich erteile das Wort der Kollegin Angelika KrügerLeißner, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich muss daran erinnern, dass wir die Frage,
wie wir Jugendliche unter 25 künftig fördern werden, in
ein Paket der Änderungen an Hartz IV eingebettet haben. Manche vergessen das. Ich bin froh, dass der Minister zu Beginn seiner Rede gesagt hat: Es ist ein sehr positives Gesetz - das hat überhaupt nichts mit Kürzungen
zu tun -, zum Beispiel für die Menschen in Ostdeutschland. Die jetzt vollzogene Angleichung des Arbeitslosengeldes in Ost und West ist ein Gewinn, auch für die
jungen Leute.
({0})
Da frage ich mich: Wie können hier einige allein von
Kürzungen reden?
Die Frage der Förderung junger Menschen ist ein zentraler Punkt der Sozialreform. Gerade durch die Zusammenlegung des Fürsorgesystems haben wir für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, auch für die jungen
Leute, bessere Chancen erreicht, auf den Arbeitsmarkt
zu kommen. Wir haben die Grundsicherung eingeführt.
Alles das dürfen wir nicht vergessen. Wir sind im
14. Monat der Umsetzung eines sehr weit reichenden
Gesetzes, das vielleicht sogar ein Jahrzehnt braucht, um
seine volle Wirkung zu entfalten. Wir stecken noch in
den Kinderschuhen. Es hat sich gezeigt, dass es Fehlentwicklungen gibt und dass wir gewünschte Effekte nicht
erreichen können. Also ist es doch nur richtig, wenn wir
rechtzeitig darangehen, das zu ändern.
Ich will auch noch einmal an Folgendes erinnern: Wir
haben schon im Herbst darüber diskutiert. Das ist überhaupt kein neues Thema.
({1})
Dieses Thema war in den Kommunen gegenwärtig.
Wenn Sie in eine Arge oder in eine Optionskommune
gegangen sind, haben Sie gehört, welche Veränderungen
sich da ergeben haben und dass die Kosten enorm gestiegen sind.
({2})
- Ja.
Aus diesem Grunde sind wir an die Analyse gegangen, haben diesen Änderungsvorschlag eingebracht und
handeln auch. Wir korrigieren die Fehlentwicklung,
ohne dabei Härten zu schaffen.
Was die bisherige Regelung für junge Erwachsene unter 25 Jahre angeht, so haben wir eine Situation geschaffen, die in hohem Maße Mitnahmeeffekte zur Folge hat
- meine Vorrednerin aus der Union hat dazu gesprochen -,
übrigens in Ost und West; hierbei gibt es keine Unterschiede.
Falsch ist meiner Meinung nach, von Missbrauch zu
reden. Das tun wir auch überhaupt nicht.
({3})
Das war ganz legal. Die Regelungen sind von den jungen Leuten genutzt worden. Aber das Nutzen der Möglichkeiten des SGB II hat hohe Kosten für die Allgemeinheit mit sich gebracht. Die Gelder dafür sollten aus
meiner Sicht für andere Dinge zur Verfügung stehen.
({4})
Für mich ist es wichtiger, dass wir Ausbildung und
Integration in den Arbeitsmarkt fördern. Das ist die
Hauptaufgabe. Ich habe die Sorge, dass wir dieses Ziel
nicht erreichen, wenn wir die vorgesehene Änderung
nicht vornehmen. Wir sind auf dem Weg, das Ziel zu erreichen, innerhalb von drei Monaten Jugendlichen ein
Angebot zu machen und sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Aber wir haben es noch nicht erreicht. Mit der
Umsteuerung sind wir auf einem besseren Weg.
({5})
Was die Förderung junger Menschen betrifft, müssen
wir wie in jedem anderen Politikbereich ganz selbstverständlich sagen: Wir müssen Prioritäten setzen. Wir können zwar alles wünschen - wir haben hier auch die
Wunschpartei -, aber wir können nicht alles leisten. Ich
möchte, dass wir denjenigen helfen, die Hilfe brauchen,
die bedürftig sind.
({6})
Sie sollen unsere Unterstützung bekommen. Das gewährleistet die vorgesehene Regelung.
Dass der Schritt notwendig ist, zeigt der Blick auf die
Zahlen. Wir können hier nicht von Einzelfällen sprechen. Wir haben festgestellt, dass 58 Prozent der Bedarfsgemeinschaften Einpersonenhaushalte sind. Der
Anstieg der Zahl dieser Haushalte ist wesentlich gravierender als der der Zahl der Mehrpersonenhaushalte. Das
lässt die Kosten natürlich explodieren. Wenn wir da
nicht eingreifen, setzen wir weiterhin Geld ineffektiv ein
und werden dieser Entwicklung nicht Einhalt gebieten
können.
Den Kritikern der vorgesehenen Regelung kann ich
nur sagen: Gehen Sie vor Ort!
({7})
Gehen Sie in die Verwaltungen, in die Optionskommunen, in die Argen! Wenn Sie mit den Leuten dort reden,
werden Sie von denen die Erwartung hören, dass wir gegensteuern. Sie wollen das. Auch die öffentliche Debatte
läuft so. Die Menschen verstehen Ihr Anliegen überhaupt nicht. Wahrscheinlich sind Sie so weit weg von
der Lebenswirklichkeit, dass Sie das nicht mehr wahrnehmen können.
({8})
Ich glaube auch, dass wir den Mitarbeitern vor Ort
vertrauen können. Sie haben bisher sehr sachgerecht entschieden. Sie haben Erfahrungen im Umgang mit dem
Sozialrecht. Ich glaube, dass wir mit der Regelung, die
wir vorsehen, um Härtefälle auszuschließen, also mit der
Stichtagsregelung, in der Zukunft vernünftig umgehen
können. Klar ist: Es wird keine Zwangsräumung geben.
Es wird keinen Zwangsumzug geben. Die jungen Leute,
die einen eigenen Hausstand gegründet haben, werden
ihn auch behalten können. Bei künftigen Härtefällen
wird es wie in jedem anderen Sozialfall zu einer Einzelfallentscheidung kommen. Es wird nach wie vor junge
Leute geben, die aufgrund einer solchen Entscheidung
einen eigenen Hausstand gründen, in eine eigene Wohnung umziehen und 100 Prozent des Regelsatzes erhalten.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ja. - Und das gilt einheitlich in Ost und West. Das
wollte ich zum Schluss nur noch einmal sagen. Das ist
nämlich eigentlich der wichtigste Punkt in unserem Gesetz.
Ich denke, wenn wir zukünftig jungen Menschen
echte Chancen geben wollen - darauf sollten wir uns
konzentrieren -, dann müssen wir effektiver in Ausbildungsmöglichkeiten und Maßnahmen zur Integration in
den Arbeitsmarkt investieren. Das ist zukunftsorientiert.
Danke.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Karl Schiewerling,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Leistungen des SGB II sind eine Grundsicherung, nicht
mehr und nicht weniger. Sie wollen Menschen fördern
und fordern, nicht mehr und nicht weniger. Davon sind
auch junge Menschen betroffen. Wir gehen davon aus,
dass an diejenigen Kinder, die bereits vor Vollendung
des 18. Lebensjahres im Haushalt ihrer Eltern gelebt haben, nicht plötzlich mit Vollendung des 18. Lebensjahres
höhere Ansprüche von ihren Eltern gestellt werden, indem sie an den Generalkosten des Haushaltes, beispielsweise für Miete, Versicherung und Haushaltsgeräte, beteiligt werden. Deswegen wollen wir ihre Ansprüche auf
80 Prozent der Regelleistungen reduzieren.
({0})
Meine Damen und Herren, man darf - das ist vorhin
schon angeklungen - den Regelsatz nicht isoliert betrachten, sondern muss die Gesamtheit der Hilfen sehen,
die der Staat jungen Menschen gewährt. Dazu zählen
zum Beispiel Integrationshilfen wie berufsvorbereitende
Bildung, Möglichkeiten zum Erwerb von Einstiegsqualifikationen usw. Wir wollen, dass junge Menschen in
Ausbildung und dann in Arbeit kommen. Dass die Eingliederungsmaßnahmen fruchten, belegt übrigens auch
die Zahl arbeitsloser jungen Menschen. Diese ist nämlich gesunken. Nachdem der statistische Sondereffekt
durch Hartz IV ihre Zahl in den ersten Monaten des letzten Jahres noch um etwa 74 000 hat ansteigen lassen, erleben wir nun durch bessere Betreuung und verstärkten
Einsatz von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen einen
Rückgang der Jugendarbeitslosigkeit. Damit bekommen
mehr junge Menschen eine Perspektive.
Was ist denn im Übrigen daran so schlimm, wenn
junge Menschen bis zu ihrem 25. Lebensjahr bei ihren
Eltern leben, vor allem dann, wenn der unter 25-Jährige
nicht für sich selbst sorgen kann? Gerade dann muss die
Familie einspringen. Die Familie muss sich ihrer sozialen Verantwortung für sich selbst und für die eigenen Familienmitglieder bewusst sein. Dieser selbstverständliche Grundsatz muss in der Praxis auch gelebt werden. Es
gilt: Erst die Familie und dann der Staat.
Allerdings haben Familien dann, wenn sie ihre Aufgaben nicht alleine bewältigen können, ein Anrecht auf
Unterstützung.
({1})
Das geschieht auch auf Basis der Regelungen im SGB II.
({2})
Wir kommen nicht weiter, wenn bei jedem Konflikt nach
dem Staat gerufen wird. Konflikte zwischen Eltern und
jungen Erwachsenen sind das Normalste der Welt. Ich
kenne keine Familie, in der es keine Reibereien und
Auseinandersetzungen gibt und in der sich die Heranwachsenden nicht auf diesem Weg profilieren. Es gehört
nun einmal zu einem Miteinander, dass der Sohnemann
die Musik des Vaters ertragen muss und im Gegenzug
die Eltern die neueste CD von 50 Cent oder von Eminem
- oder wie sie auch immer heißen - schon einmal in voller Lautstärke ertragen müssen.
({3})
- Als Familienvater ist man ja nicht ganz aus der Welt. Das ist noch lange kein Grund, eine eigene Bedarfsgemeinschaft zu beantragen. Es kann nicht sein, dass junge
Menschen bei den Leistungsträgern erscheinen und den
Anspruch auf eine eigene Wohnung geltend machen, nur
weil seit ein paar Tagen dicke Luft im Elternhaus
herrscht. Der Automatismus dieses Anspruchsdenkens
muss gestoppt werden.
({4})
Wir wissen, dass es im SGB II Ausnahmen von diesem Grundsatz geben muss. Diese haben wir ausdrücklich im § 22 Abs. 2 a so geregelt. Wir verschließen ja
nicht die Aufgaben vor außergewöhnlichen Konfliktlagen in Familien. Wenn junge Erwachsene aus Schutzgründen aus dem Elternhaus heraus müssen, sei es
wegen häuslicher Gewalt, Missbrauch oder Drogenabhängigkeit, dann kommt der Staat auch weiterhin seiner
Fürsorgepflicht nach.
Wir haben im Gesetzentwurf die Entscheidung über
den Auszug von unter 25-Jährigen, die in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern nach SGB II leben, den
kommunalen Stellen und Arbeitsgemeinschaften zugewiesen. Dabei werden die Jugendämter einbezogen.
Diese werden im Rahmen der Gesetze die Rechte der
jungen Menschen schützen.
Natürlich wollen wir, dass junge Menschen mobil
sind. Wer in Kiel mit seinen Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft wohnt und einen Ausbildungsplatz in Konstanz bekommt, der wird unterstützt; das steht doch
überhaupt nicht infrage.
Ich halte es für notwendig, einen ganz wesentlichen
Punkt in den Blick zu nehmen, nämlich die Frage: Hat
sich eigentlich etwas verschlechtert? Wir haben im
SGB XII die Regelung, dass diejenigen, die mit ihren Eltern zusammenleben und einen Anspruch auf Sozialhilfe
haben, einen Satz von etwa 238 Euro bekommen. Der
abgesenkte Satz im SGB II beträgt 276 Euro. Das sind,
wenn ich das richtig sehe, knapp 40 Euro mehr als das,
was das SGB XII an Sozialhilfe vorsieht. Ich kann da
keine Verschlechterung erkennen.
({5})
Ich bitte Sie sehr herzlich, den Blick auch darauf zu
richten, wer das bezahlen muss. Hier sind eindeutige und
gute Beispiele genannt worden. Wir müssen daran denken, dass die Erzieherin und die Krankenschwester genauso wie der Arzt und alle anderen, die im Erwerbsleben stehen, über Steuern die Beiträge finanzieren
müssen, die wir als Transferleistungen an andere weitergeben.
({6})
Ich halte es für notwendig, das in den Blick zu nehmen
und dafür zu sorgen, dass auch in dieser Hinsicht soziale
Gerechtigkeit herrscht.
Herzlichen Dank.
({7})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Gregor Amann,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen von der Linkspartei, Sie zeichnen ein Zerrbild der Realität. Wir Sozialdemokraten
- und ich vermute, dass ich hier auch für unseren Koalitionspartner sprechen kann - wollen, dass alle volljährigen Menschen frei entscheiden können, ob sie bei ihren
Eltern wohnen bleiben oder in eine eigene Wohnung ziehen.
({0})
Aber die Voraussetzung für eine eigene Wohnung ist
doch, dass man über ein ausreichendes Einkommen verfügt, um sich diese leisten zu können.
({1})
Deswegen muss unser oberstes Ziel sein, allen Menschen dieses Einkommen zu verschaffen, und zwar indem wir Arbeitslosigkeit, speziell Jugendarbeitslosigkeit, abbauen. Das muss für uns Priorität haben.
({2})
Diese Koalition tut auch einiges dafür. In der Aktuellen Stunde bleibt mir nicht die Zeit, Ihnen das Investitionsprogramm, das wir in Genshagen beschlossen haben
und über das 25 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt
werden, im Einzelnen vorzustellen. Sie können im Koalitionsvertrag nachlesen, welche Maßnahmen wir für die
nächsten Monate zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit
vorgesehen haben. Unser Ziel ist es - der Herr Bundesminister hat bereits darauf hingewiesen -, dass kein junger Erwachsener länger als drei Monate ohne Arbeit
oder Ausbildung bleibt. Das ist das Ziel unserer Arbeitsmarktreformen - nicht Gängelei, wie Sie unterstellen.
({3})
Wenn uns dies gelingt, ist jedem eine freie Entscheidung
möglich, wo und wie er wohnt. Deshalb sollten wir alle
Kräfte und Ressourcen darauf konzentrieren.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit Steuergeldern
bedeutet nicht die Garantie einer eigenen Wohnung ab
dem 18. Geburtstag. Ich glaube, hier hat Ihnen die Droge
des Populismus die Sinne vernebelt.
({4})
Sie wollen die Menschen glauben machen, dass man jeden Euro zweimal ausgeben kann und anschließend noch
ein drittes Mal.
({5})
Mit dieser Mathematik kann man Volkswirtschaften in
den Ruin treiben; aber es lässt sich keine verantwortungsvolle Arbeitsmarktpolitik machen. Unser Ziel ist
es, Menschen aus der Sackgasse von Sozialhilfe und Arbeitslosigkeit herauszuführen, damit jeder selbstbestimmt leben kann. Das ist nicht nur richtig, sondern
auch sozial gerecht. Das ist vor allem wichtiger, als an
den Symptomen des Einkommensmangels herumzudoktern.
Ich glaube, es ist zumutbar, wenn junge Erwachsene
ohne eigenes Einkommen, die bis zum 18. Geburtstag
bei ihren Eltern gelebt haben, vorübergehend weiterhin
dort wohnen müssen, wenn wir alles dafür tun, dass sie
so schnell wie möglich in Brot und Arbeit kommen. Das
ist das Ziel unserer Politik.
({6})
Jetzt hat der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion,
das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich finde es geradezu unglaublich, wie Linke und
Grüne gemeinsam hier verkehrte Welt spielen und den
Sozialstaat schlichtweg auf den Kopf stellen.
({0})
Fakt ist: In Deutschland kann jeder junge Mensch, der
volljährig ist, von zu Hause ausziehen, eine eigene Wohnung beziehen und einen eigenen Hausstand gründen.
Bis zum Jahre 2005 wäre keiner der vielen Jugendlichen,
die dies mit Recht gemacht haben, auf die Idee gekommen, dass ihm der Staat die Wohnung finanzieren müsse.
({1})
Selbst in der alten DDR, der Sie von der PDS so sehr
hinterhertrauern, wäre kein Jugendlicher auf die Idee gekommen, dass ihm der Staat die Wohnung bezahlen
müsse, wenn er von zu Hause auszieht.
({2})
- Gott sei Dank sprechen Sie es auch noch wahrheitsgemäß aus.
({3})
Weil das mit der Finanzierung der eigenen Wohnung
so eine Sache ist, bleiben viele Jugendliche auch nach
ihrem 18. Geburtstag zu Hause wohnen: viele Tausende
Auszubildende, Studenten und junge Berufstätige, die
sich noch keine eigene Wohnung leisten können. Jetzt
frage ich: Warum soll ausgerechnet der arbeitslose Jugendliche im Gegensatz zu den vielen anderen Tausend
Peter Weiß ({4})
Jugendlichen nach Ihrer Auffassung einen Rechtsanspruch darauf haben, dass ihm der Staat eine Wohnung
kostenlos zur Verfügung stellt? Wer die Dinge so verdreht, der handelt nicht solidarisch, sondern entsolidarisiert diese Gesellschaft.
({5})
Man muss einmal daran erinnern: Die Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch II werden aus Steuermitteln
finanziert. Diese Steuern müssen die Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer von ihrem sauer verdienten Lohn an
den Staat abzweigen. Deshalb sind wir Abgeordnete aufgerufen, mit diesen Geldern sorgsamst umzugehen.
({6})
Ich muss auch prinzipiell daran erinnern: Sozialstaat
bedeutet, dass wir mit staatlichen Mitteln dem helfen,
der sich nicht selber helfen kann, aber nicht dem, der das
Geld gar nicht braucht.
({7})
Deswegen besagt die gesetzliche Regelung, die wir haben und mit diesem Gesetz fortschreiben: Wenn ein junger Mensch, der bislang arbeitslos ist, einen Job oder
eine Ausbildungsstelle findet oder wenn es, wie es im
Gesetz heißt, „zur Eingliederung in die Arbeitswelt“ notwendig ist, dann zahlt ihm der Staat die Wohnung. Wenn
der junge Mensch - auch das steht im Gesetz - „aus
schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern ... verwiesen werden kann“, dann zahlt
der Staat ihm die Wohnung. Ich finde, das ist ein großzügiges Angebot. Aber da, wo gar keine Notwendigkeit für
einen Auszug von zu Hause besteht, da kann es keinen
Hilfeanspruch an den Staat geben.
({8})
Es ist gefragt worden, warum wir das Gesetz überhaupt ändern. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich
weiß nicht, mit welcher Aufmerksamkeit Sie das, was
bei Ihnen im Wahlkreis passiert, verfolgen. Die Städte
und Landkreise, die für die Finanzierung der Wohnungskosten von ALG-II-Empfängern zuständig sind, haben
sich geradezu mit einem Hilferuf an uns, den Bundesgesetzgeber, gewandt,
({9})
endlich zu handeln.
({10})
Sie mussten nämlich im vergangenen Jahr feststellen,
dass junge Leute, die früher nie auf die Idee gekommen
wären, von zu Hause auszuziehen, nur deswegen scharenweise ausziehen, weil sie mit dem Verweis auf das
SGB II die Finanzierung ihrer Wohnung vom Staat verlangen können.
({11})
Man muss in diesem Zusammenhang an Folgendes
erinnern: Das Sozialgesetzbuch II wurde gemacht, damit
Langzeitarbeitslose eine Grundsicherung fürs Leben und
eine Chance auf Wiedereingliederung ins Arbeitsleben
erhalten. Es wurde aber nicht gemacht, um eine Auszugswelle noch nicht verdienender Jugendlicher auszulösen. Deshalb ist es dringend geboten, durch eine
Gesetzesänderung das eigentliche sozial- und arbeitsmarktpolitische Ziel des Sozialgesetzbuches II wiederherzustellen
({12})
und dafür zur sorgen, dass das Geld nicht für andere
Dinge ausgegeben wird.
({13})
Meine Damen und Herren von der Linken, der PDS,
({14})
und von den Grünen, wer so argumentiert wie Sie heute
Nachmittag, betreibt nichts anderes als linkspopulistische Stimmungsmache.
({15})
Er redet nicht vom Sozialstaat. In Wahrheit führen Ihre
Argumente dazu, dass Sie sich zum Totengräber des
Sozialstaates machen. Dies wollen wir mit einer Gesetzesänderung verhindern.
Vielen Dank.
({16})
Nun erteile ich das Wort dem Kollegen Wolfgang
Grotthaus, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte der PDS bzw. den Linken bestätigen: Ja, mit dem geplanten Gesetz wird der bisherige
Besitzstand eingeschränkt. Besser gesagt: Es wird eine
Rückführung einer nicht gewollten Entwicklung stattfinden.
({0})
Diese nicht gewollte Entwicklung ist schon von einigen
Kolleginnen und Kollegen dargestellt worden.
Ich bin doch erstaunt darüber, dass Sie von Basisnähe
sprechen. Sie scheinen nicht in den Arbeitsgemeinschaf1312
ten vor Ort, in den Arbeitsagenturen, den Jobcentern
oder wo auch immer gewesen zu sein. Informieren Sie
sich! Dann werden Sie von dort zu hören bekommen,
dass die Zahl der Bedarfsgemeinschaften explosionsartig
gestiegen ist. Wir haben das Empfinden, dass Sie bei
diesem Beispiel den Sozialstaat retten wollen. Er wird
hier bestimmt nicht zu retten sein. Wir sehen vielmehr
die Notwendigkeit, dass dieser Gesetzentwurf tatsächlich zu einem Gesetz wird.
Wie war die Situation bisher? Unabhängig davon, ob
junge Menschen unter 25 Jahre zu Hause oder in einem
eigenen Haushalt wohnten, bekamen sie 100 Prozent der
Regelleistung nach Hartz IV. Dies hatte zur Folge, dass
eine beträchtliche Anzahl junger Leute aus dem Elternhaus auszog und einen eigenen Hausstand gründete und
dass vom Staat die Ersteinrichtung der Wohnung, die
Miete und die Hilfe zum Lebensunterhalt finanziert wurden, und dies - ich sage das bewusst - unabhängig vom
finanziellen Status der Eltern. Tatsächlich ist es - das
will ich noch einmal betonen - zu einer explosionsartigen Vermehrung der Zahl der Bedarfsgemeinschaften
gekommen. Ich habe das Empfinden, dass Sie nach dem
Motto handeln: Was nicht sein darf, kann nicht sein.
Aber die Zahlen sprechen für sich.
({1})
- Machen Sie sich in Ihrem Wahlkreis sachverständig!
({2})
Dann könnten wir die Zahlen einmal miteinander vergleichen.
Wie gesagt, man kann der Auffassung sein, dass der
Staat diese Kosten zur Selbstverwirklichung junger
Menschen zu tragen hat. Wir sind aber nicht dieser Auffassung. Die persönlichen Lebenswünsche sind nicht
vom Steuerzahler zu bezahlen. Der Steuerzahler hat vielmehr nur dann einzugreifen, wenn tatsächlich Not besteht, wenn Hilfe notwendig ist und die Gesellschaft in
dieser Situation auch helfen kann. Denn alle Mittel, die
bisher in diesem Zusammenhang aufzubringen waren,
sind Steuergelder. Das muss man auch denjenigen Menschen gegenüber vertreten, die einen Job haben, einen
Beruf ausüben, teilweise nur mit 800 Euro nach Hause
kommen und sich dann wundern. An anderer Stelle aber
werden mit der Finanzierung der Miete, der Ersteinrichtung der Wohnung und dem ALG-II-Geld Leistungen erbracht, die fast so hoch sind wie der Verdienst einer Verkäuferin. Ob das sozial gerecht ist, darüber sollten Sie
aus meiner Sicht einmal nachdenken.
({3})
In diesem Fall ist meines Erachtens die Familie gefordert, wenn es möglich ist. Ich bin sehr erstaunt darüber,
wie man mit dem Begriff „Solidarität“ umgeht und die
Familie dabei ausklammert.
({4})
Die erste Form der Solidargemeinschaft ist die Familie.
({5})
Es geht insgesamt um Hilfeleistungen für Personen, die
nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, ihren Unterhalt
zu erwirtschaften. Ich sage noch einmal: Da ist Solidarität gefragt, und zwar Solidarität von allen: vom Staat
dort, wo die Familie aus unterschiedlichen Gründen
nicht helfen kann, und von der Familie dann, wenn Hilfe
tatsächlich möglich ist.
Aus diesem Grund schränken wir das Recht des Erstbezugs einer Wohnung für junge Menschen unter 25 ein.
Dies bedeutet, Frau Kollegin Pothmer: Unter 25-Jährige,
die bis zum Stichtag 17. Februar aus dem Elternhaus
ausgezogen sind, werden nicht gezwungen, in das Elternhaus zurückzukehren. Ich bin sehr erstaunt darüber,
Frau Kollegin Pothmer, dass Sie heute im Ausschuss
drei- bis viermal nachgefragt haben,
({6})
der Staatssekretär Ihnen das drei- bis viermal dargestellt
hat und Sie hier wiederum eine verkehrte Behauptung
aufstellen.
({7})
Es wird keiner gezwungen, auszuziehen. Sie sollten den
Text noch einmal lesen. Wir erläutern ihn Ihnen auch im
Detail.
Zu den Ausnahmeregelungen ist schon Stellung bezogen worden. Festzuhalten bleibt, dass dieses Gesetz
nicht unsozial ist. Es sichert den Besitzstand derjenigen,
die schon einen eigenen Hausstand gegründet haben,
({8})
und gewährt weiterhin denjenigen Hilfe, die hilfsbedürftig sind. In diesem Fall besteht aber die Notwendigkeit
- das ist auch gut und richtig so -, die Zustimmung der
kommunalen Träger einzuholen.
Ich darf festhalten: Bei Hartz IV geht es um die Integration von jungen Menschen in den Beruf und nicht um
die Alimentierung von Wünschenswertem außerhalb des
Berufes.
({9})
Als letzter Redner in der Aktuellen Stunde hat nun
das Wort der Kollege Rolf Stöckel, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat sind viele Argumente genannt worden. Deswegen möchte ich mich darauf besinnen, was eigentlich
der wesentliche Beitrag der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe im SGB II für jugendliche Arbeitslose war. Noch vor 13 Monaten galt für einen
jugendlichen Arbeitslosen, der nach der Schule - auch
ohne Schulabschluss - arbeitslos war und nach dem
SGB III keine Ansprüche hatte, dass er weder einen Anspruch auf eine erhöhte Leistung hatte, wenn ein Auszug
nicht finanzierbar war, noch einen Anspruch auf Vermittlung oder Qualifizierung. Die Programme, die es
gab, basierten mehr oder weniger auf Freiwilligkeit.
Hunderttausende Jugendliche erhalten nun durch das
SGB II Leistungs- und Vermittlungsansprüche. Die Tatsache, dass Jugendliche unter 25 Jahren nach drei Monaten - wenn die Umsetzung des Gesetzes vor Ort rund
läuft - einen Rechtsanspruch auf Qualifizierung, das
Nachholen eines Schulabschlusses, eine Berufsausbildung oder eine Beschäftigung haben, kann als Fortschritt
für die Jugendlichen bezeichnet werden.
Sie diskutieren hier über die Höhe von Transferleistungen, darüber, ob es einen individuellen, staatlich garantierten Rechtsanspruch auf Armutsvermeidung gibt.
Ich finde, da wird in der Tat ein unterschiedliches Verständnis von Sozialstaat, aber auch von Solidarität bei
den linken Parteien deutlich. Wir könnten natürlich den
Anspruch aufgeben, an erster Stelle zu prüfen - das ist
seit 1962 bei der Sozialhilfe so und das war auch bei der
ergänzenden Sozialhilfe zur Arbeitslosenhilfe so -, ob
jemand aus eigener Kraft dazu beitragen kann, sich zumindest zum Teil selbst zu helfen, und an zweiter Stelle
zu prüfen, ob Unterhaltsverpflichtungen von Eltern gegenüber ihren Kindern bzw. von Kindern gegenüber ihren Eltern bestehen. Wir können natürlich auch darüber
diskutieren, ob wir eine Unterstützung ab dem
18. Lebensjahr ganz abschaffen. Dann müssen Sie aber
einmal erklären, wie Sie etwa Rechtsansprüche wie das
einkommensunabhängige BAföG oder Berufsbildungsbeihilfen finanzieren wollen. Sie sprechen in diesem
Zusammenhang die Wiedereinführung der Vermögensteuer an und sagen, das könnten die Unternehmen bezahlen.
({0})
Je höher die Lohnnebenkosten und die Steuern werden,
desto mehr Bedarfsfälle und Bedürftige werden Sie dann
aber bekommen. Andererseits wollen Sie den Sozialstaat
lange leben lassen. Das ist ein Widerspruch in sich, liebe
Kolleginnen und Kollegen,
({1})
und hat mit linker Politik wirklich nichts zu tun. Das hat
weder etwas mit der Kenntnisnahme der Realität zu tun
noch mit der Emanzipation und der Förderung der freien
Entfaltung von Jugendlichen.
({2})
Dies geschieht nämlich durch eine ordentliche Förderung im Elementarbereich, durch eine umfassende Bildung an weiterführenden Schulen, durch Berufsausbildung oder durch ein Studium. Dies ist wesentlich, nicht
die Frage, ob jemand 80 oder 100 Prozent des Regelsatzes bekommt. Das hat mit freier Entfaltung nichts zu
tun - und auch nicht mit einem linken Anspruch.
({3})
Das ist Populismus, wenn auch vor dem Hintergrund der
Landtagswahl in Sachsen-Anhalt - das ist schon gesagt
worden - ein verständlicher. Sagen Sie dann aber, dass
Sie eine Transferleistungsgewerkschaft sind, und vergessen Sie Ihren gesellschaftspolitischen Anspruch auf
Emanzipation, Aufklärung und soziale Gerechtigkeit.
({4})
Wir sind damit am Ende der Aktuellen Stunde und
auch am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 16. Februar 2006,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.