Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich und rufe den ersten Tagesordnungspunkt der
Plenarberatung in dieser Woche - Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit 2008.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee. - Bitte schön.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wie in jedem Jahr hat der Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer den Bericht
zum Stand der deutschen Einheit vorgelegt. Wir konstatieren eine positive Entwicklung und haben dennoch
eine Reihe von Problemen im Jahresbericht 2008 beschrieben.
Positiv ist, dass seit 2005 500 000 Menschen weniger
arbeitslos sind und dass die Arbeitslosenquote mittlerweile auf 12,7 Prozent von vormals 18 Prozent gefallen
ist. Rund 110 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze sind im Jahr 2007 zusätzlich entstanden. Positiv
ist, dass wir insbesondere in der Industrie und darüber
hinaus in neuen Branchen, beispielsweise in der Solartechnik, der Mikroelektronik und der Biotechnologie,
überproportionale Zuwächse bei den Arbeitsplätzen und
der Wertschöpfung zu verzeichnen haben, dass also in
diesen Bereichen der Aufschwung Ost der wirtschaftlichen Entwicklung in Westdeutschland gleichkommt.
Desgleichen ist die Exportquote gestiegen. Wir haben
die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ verstärkt umsetzen können. Wir befinden uns dort auf einem sehr guten Weg.
Es gibt aber eine Reihe von Herausforderungen, die
uns schwer zu schaffen machen. Die erste ist, dass es
noch immer keinen sich selbst tragenden Aufschwung
gibt. Die Wirtschaft trägt sich nicht selbst. Es gibt zu wenig Entwicklungskapazität im Mittelstand. Darüber hinaus beklagen wir in Ostdeutschland eine in Relation zu
Westdeutschland noch immer doppelt so hohe Arbeitslosigkeit. Wir haben es besonders mit dem Problem der
Langzeitarbeitslosigkeit zu tun, die verfestigt ist und von
der mittlerweile über 40 Prozent der Arbeitslosen in Ostdeutschland betroffen sind. Wir stehen zudem vor demografischen Herausforderungen. Es gibt eine Reihe von
Gebieten, insbesondere ländlichen Gebieten, in denen
junge Menschen, kreative Menschen und junge Familien
ihre Städte und Gemeinden verlassen und ein Defizit
hinterlassen, das nur schwer zu bewältigen ist.
Die Bundesregierung konstatiert, dass die Förderinstrumente greifen. Deshalb wollen wir sie verstetigen
bzw. verstärken. Der Solidarpakt II bis 2019 bietet eine
solide Grundlage. Wir wollen darüber hinaus an der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ festhalten. Wir wollen die Geltungsdauer
der Investitionszulage verlängern. Den Stadtumbau Ost,
das Projekt „Soziale Stadt“ und den städtebaulichen
Denkmalschutz wollen wir auf hohem Niveau weiter
fördern, um unsere Städte und Gemeinden voranzubringen. Darüber hinaus werden wir die Verschränkung von
Wissenschaft und Wirtschaft verbessern und mit externen Forschungs-GmbHs dafür sorgen, dass Entwicklungskapazitäten auch im Mittelstand entstehen. Mit
Programmen wie dem „Kommunal-Kombi“ wollen wir
den Langzeitarbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Über drei Jahre werden sie in sozialversicherungspflichtige Arbeitplätze geführt, die ein
ideales Sprungbrett sind, um in den ersten Arbeitsmarkt
zurückzukehren.
Wir wollen auf dem Gebiet der demografischen Entwicklung weiter diejenigen Regionen unterstützen, die
es besonders schwer haben. Zwei Modellregionen, das
Stettiner Haff und der Kyffhäuserkreis bzw. das Mansfelder Land, belegen, dass dann, wenn man Arbeit
schafft und den Mittelstand stützt, die demografische
Redetext
Entwicklung beeinflusst und umgekehrt werden kann.
Das wollen wir mit Programmen weiter fördern.
Insgesamt lässt sich die Bilanz vielleicht so zusammenfassen: Wir haben viel erreicht, aber noch immens
viel zu tun. Wir setzen dabei auf die Kraft der Ostdeutschen, auf die Kraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Unternehmer, die in der Vergangenheit Enormes geleistet haben, um diesen Aufschwung im
Osten zu ermöglichen.
Vielen Dank.
Ich bitte nun, zunächst die Fragen zu stellen, die sich
auf den gerade vorgetragenen Themenbereich beziehen.
Gegebenenfalls besteht hinterher die Möglichkeit, die
Bundesregierung zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung oder zu anderen Aspekten zu befragen.
Die erste Wortmeldung habe ich von dem Kollegen
Roland Claus.
Herr Bundesminister, ich frage Sie: Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Christlich Demokratischen
Union,
({0})
dass in den neuen Bundesländern eine - ich zitiere „weitergehende Öffnung der Tarifverträge für betriebliche Bündnisse für Arbeit“ angestrebt werden sollte? Ist
also - im Klartext gesprochen - der Niedriglohn die Perspektive für den Osten?
Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht zum Stand
der deutschen Einheit auch zur Frage der Löhne und der
Lohnentwicklung Stellung genommen. Wir sehen bei einer Reihe von Kriterien Vorteile Ostdeutschlands gegenüber Westdeutschland. Diese beziehen sich nicht in erster Linie auf das Lohngefälle, sondern darauf, dass wir
insbesondere auf einen Stamm von hochqualifizierten
und hochmotivierten Facharbeitern setzen können, dass
unsere Förderung greift, wenn es um die Ansiedlung von
Unternehmen geht, und dass wir flexible Verwaltungen
haben. Aus diesem Grund setzen wir genau auf diese
Punkte, wenn es darum geht, den Osten voranzubringen,
und nicht darauf, die Lohnentwicklung zu behindern, die
Löhne einzufrieren bzw. in irgendeiner Weise zur Lockerung von Arbeitnehmerrechten beizutragen.
Kollege Mücke.
Herr Minister, ich habe zwei Fragen. Die eine Frage
bezieht sich auf das Auseinanderklaffen des Wirtschaftswachstums in den alten und den neuen Ländern. Wir haben jetzt die aktuellen Zahlen für das erste Halbjahr
2008 zur Kenntnis nehmen müssen. Danach liegt das
Wirtschaftswachstum in den alten Ländern bei 2,4 Prozent und in den neuen Ländern bei 1,8 Prozent. Die
Schere ist auseinandergegangen. Im Jahr 2007 betrug
das Wachstum noch 2,5 Prozent im Westen und 2,2 Prozent im Osten.
Für mich stellt sich die Frage, welchen Schluss die
Bundesregierung aus diesen Zahlen zieht und welches
Maßnahmenpaket sie ergreifen wird, um das Wirtschaftswachstum in den neuen Ländern so anzuregen,
dass es höher als in den alten Ländern sein kann; denn
anders wird sich ein Angleichungsprozess kaum machen
lassen. Die Frage, die sich daran anschließt, bezieht sich
darauf, dass Sie in dem Bericht, den Sie vorlegen, eine
konkrete Zahl nennen, wann dieser Anpassungsprozess
beendet sein soll. Sie prognostizieren 30 Jahre. Ich frage
angesichts dieser Wachstumszahlen und des Auseinanderklaffens der Entwicklung in Ost und West, welche
Berechnung diesen 30 Jahren zugrunde liegt.
Die zweite Frage bezieht sich auf die Exportquote.
Die Exportquote beträgt in den alten Ländern 30 Prozent, in den neuen Ländern 23 Prozent. In den neuen
Ländern haben wir noch einen großen Nachholbedarf.
Die Frage ist, ob wir in dem großen Wachstumsbereich
der Metall- und Elektroindustrie in den neuen Ländern,
also im verarbeitenden Gewerbe, eine Gefährdung des
Wirtschaftswachstums in Kauf nehmen müssen, wenn
die Lohnforderungen, die dort gegenwärtig gestellt werden, weiter so unvernünftig bleiben.
Zunächst zur ersten Frage: Es ist richtig, dass wir in
Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland nach
wie vor ein insgesamt geringeres Wirtschaftswachstum
konstatieren. Die Frage ist - dies ist zu berücksichtigen -,
ob man Berlin in die Statistik Ostdeutschlands einbezieht. Das Bild verändert sich sofort, wenn wir nur die
fünf neuen Bundesländer sehen. Da haben wir eine ausgewogene wirtschaftliche Entwicklung.
Darüber hinaus besteht die Frage, welche Branchen
und welche Spezifika wir in Ostdeutschland betrachten.
Die geringere wirtschaftliche Entwicklung ist auf mindestens zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen
schlägt im Osten die Entwicklung der Bauindustrie nach
wie vor besonders zu Buche, zum anderen fehlen die
hochwertigen Dienstleistungen. Es wird aber deutlich,
dass - ich habe es angesprochen - im industriellen Sektor, beispielsweise bei den regenerativen Energien, also
bei den klassischen neuen Branchen, eine überproportional gute Entwicklung zu verzeichnen ist.
Auch haben wir regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Es gibt in Ostdeutschland einerseits kleinere
und größere Wachstumskerne, die überproportionale
Wachstumsraten vorweisen, die aber andererseits durch
die negative Entwicklung in den ländlichen Räumen eingeebnet werden. Statistisch gesehen weist Ostdeutschland damit ein geringeres Wirtschaftswachstum als
Westdeutschland auf.
Wir begegnen dem, indem wir die klassischen Förderinstrumente, etwa die Gemeinschaftsaufgabe „VerbesseBundesminister Wolfgang Tiefensee
rung der regionalen Wirtschaftsstruktur“, auf hohem Niveau fortführen. Das ist der entscheidende Punkt, um
zusätzliche Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung in Ostdeutschland zu ermöglichen. Die Investitionszulage soll gerade denjenigen schwachen Regionen
zugutekommen, die die Statistik in gewissem Sinne negativ beeinflussen.
Darüber hinaus - ich habe es bereits angesprochen wird es darum gehen, die hochwertigen Dienstleistungen
- das sind die Entwicklungsleistungen, die in der Regel
in Westdeutschland beheimatet sind - nach Ostdeutschland zu holen. Bei den neuen Branchen gelingt dies, aber
im klassischen industriellen Sektor noch zu wenig. Hier
sehen wir mit unseren Instrumenten durchaus einen Ansatzpunkt.
Zur Exportquote.
({0})
- Pardon. Die 30 Jahre beziehen sich auf den Zeitraum
von 1989 bis 2019. Wir befinden uns jetzt am Ende der
zweiten Dekade. Die Jahreszahl 2019 bezieht sich auf
das Auslaufen des Solidarpakts. Ab diesem Zeitpunkt
wird Ostdeutschland beim reinen Länderfinanzausgleich
bzw. bei den Zuweisungen der Europäischen Union ohne
eine Sonderförderung auskommen müssen. Ich prognostiziere, dass es dann, wenn wir die kleinen und großen
Wachstumsregionen, die Lokomotiven, die wir bereits
jetzt im Osten sehen, weiterentwickeln, möglich sein
wird, ähnlich wie in den alten Bundesländern die Differenzen zwischen Nord und Süd mit den normalen Regularien auszugleichen.
Ihre zweite Frage bezog sich auf die Exportquote. Der
Export hat sich in Ostdeutschland hervorragend entwickelt, aber - da gebe ich Ihnen recht - von einem niedrigen Niveau aus. Trotzdem haben wir Steigerungsraten
im zweistelligen Bereich zu verzeichnen, nämlich rund
25 Prozent nach Osteuropa, was deutlich macht, dass
Ostdeutschland besonders an der EU-Osterweiterung
partizipiert und daraus Nutzen zieht. Die Kooperationen
mit Mittel- und Osteuropa, die im fünften Kapitel unseres Berichtes besonders herausgehoben werden, sind ein
entscheidendes Fundament. Ich denke, dass die Tarifpartner, die die Löhne aushandeln - davon haben Sie gesprochen -, eingedenk dieser Tatsache zu weisen Lohnabschlüssen kommen werden.
Kollege Hübner, bitte.
Herr Minister, meine Frage geht an Sie als Fachminister, aber auch als Beauftragten für die Angelegenheiten
der neuen Länder. Sie haben eben ausgeführt, dass die
gewerbliche Wirtschaft in Ostdeutschland stark zugelegt
hat. Das ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass
man beim Export, gerade in Richtung Osteuropa, sehr
erfolgreich gewesen ist. Die osteuropäischen EU-Erweiterungsländer haben dabei eine große Rolle gespielt.
Sind nach Ihrer Auffassung die Verkehrsanbindungen
gerade in diese Richtung ausreichend, und wo müssen
sie noch weiter ausgebaut werden?
Ein durchaus positives Kapitel im Aufbau Ost ist die
Umsetzung der Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“,
die im Übrigen - das sieht man an dem Schienenprojekt
8.1 bzw. 8.2, aber auch an den Autobahnen, beispielsweise der A 9 - nicht nur dem Osten, sondern auch dem
Westen zugutekommen, da diese Projekte in weiten Teilen auch in Westdeutschland angesiedelt sind.
Deutschland, namentlich Ostdeutschland, entwickelt
sich immer mehr zum Transitraum. Aus diesem Grund
ist die Anbindung auf der Straße, auf der Schiene und
auf der Binnenwasserstraße von existenzieller Bedeutung. Sie wissen, dass wir 17 Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ haben; neun beziehen sich auf die Schiene,
sieben auf die Straße und eines auf die Binnenwasserstraßen. Wir werden diese Projekte bis zum Jahr 2017
abgeschlossen haben.
Ich greife zwei Beispiele heraus. Wenn die A 20, die
Ostsee-Autobahn, in den polnischen Raum fortgeführt
wird, dann wird sie ganz wesentlich zur Verzahnung beitragen. Das Gleiche gilt für die A 17 nach Prag. Man
könnte auch die A 6 zwischen Bayern und Tschechien
als ein zwar nicht ostdeutsches, aber westdeutsches
Transitinfrastrukturprojekt anführen.
Alle diese Projekte haben eine immense Bedeutung
im Hinblick darauf, dass Wirtschaftsräume zusammenwachsen, Kooperationen entstehen und das vorangetrieben wird, was Sie angesprochen haben, nämlich die
Entwicklung des industriellen Sektors genauso wie die
Entwicklung der neuen Branchen, die nicht zuletzt deshalb in Ostdeutschland angesiedelt sind, weil man die
Märkte in den neuen EU-Mitgliedstaaten in Osteuropa
erschließen will.
Arnold Vaatz, bitte.
Herr Minister, ich finde, der diesjährige Bericht zum
Stand der deutschen Einheit ist ein außerordentlich ermutigender Bericht. Er zeigt eine Reihe von Tendenzen
auf, die für Ostdeutschland sehr positiv sind, insbesondere die Wachstumstendenzen und die Tatsache, dass es
uns gemeinsam tatsächlich gelungen ist, die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken. Das ist eine gute Arbeit der
Regierung, auch eine gute Arbeit von Ihnen persönlich.
Herr Minister, ich habe noch eine Frage, die in die
Richtung der Frage des Kollegen Hübner geht. Sie wissen, dass in diesem Herbst in Brüssel die transeuropäischen Netze einer Evaluierung unterzogen werden. Das
heißt, es wird eine sogenannte TEN-Revision geben. Es
stellt sich die Frage, inwieweit die Bundesregierung auf
diesen Prozess Einfluss nehmen wird.
Sie haben vorhin sehr richtig gesagt, dass in Europa
eine Veränderung stattgefunden hat. Der gesamte mittel18922
osteuropäische Raum kommt zum europäischen Wirtschaftsraum hinzu. Es wird auch in der Mittelmeerregion
eine Veränderung geben. Die Intensität des Handels, insbesondere in Richtung China, durch den Sueskanal
nimmt zu. Damit entstehen erhöhte Anforderungen an
die Verkehrswege.
Wir haben die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“.
Das war meines Erachtens eine sehr nachhaltige Entscheidung des damaligen Bundesverkehrsministers
Krause; das hat sich außerordentlich bewährt. Ich frage
Sie jetzt, ob es uns gelingen kann, angesichts der TENRevision noch eine weitere Nord-Süd-Linie mit einer
Präferenz auszustatten, nämlich die Linie von Rostock
zum slowenischen Hafen Koper. Sie hätte den Charme,
dass sie eine Meer-zu-Meer-Verbindung ist und alpenquerungsfrei verläuft.
Vielen Dank. - Sie sprechen das Thema der NordSüd-Verbindung an, das Projekt Nr. 22 der transeuropäischen Netze, die Verbindung von Dresden über Prag in
den Mittelmeerraum. Wenn ich Sie richtig verstehe, geht
es ganz besonders um den Lückenschluss zwischen Berlin und Dresden.
({0})
Wir brauchen transeuropäische Verbindungen durch
Deutschland, insbesondere auf der Schiene, nicht zuletzt
deshalb, um die Straße zu entlasten, aber auch deshalb,
um die Häfen in Ostdeutschland weiterentwickeln zu
können. Es besteht Einvernehmen darüber, die Strecke
zwischen Rostock und Berlin sowie zwischen Berlin und
Dresden zu ertüchtigen, damit sie eine solche transeuropäische Rolle spielen kann.
Wir sind momentan in der Diskussion darüber, was
der beste Weg und vor allen Dingen die beste Art der Finanzierung ist, um die Verbindung zwischen Berlin und
Dresden schnell voranzutreiben. Wie Sie wissen, gibt es
zwei Möglichkeiten: Die erste Möglichkeit, die der Freistaat Sachsen beantragt hat, ist die, den Ausbau der Trasse
zur Erreichung einer Geschwindigkeit von 160 Stundenkilometern auf Basis des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung zu finanzieren. Die andere Möglichkeit besteht darin, die TEN-Revision zu nutzen und den
Ausbau als Bestandteil eines zusätzlichen transeuropäischen Netzes anzumelden. Letzteres hat die Nachteile,
dass der Ausbau unter Umständen erst ab 2013 in Angriff genommen werden kann und dafür eine wesentlich
geringere quotale Förderung aus Europa zu erlangen ist:
65 Prozent aus EFRE und 20 Prozent aus TEN.
Aus diesem Grund sind wir in der Diskussion über
das Wie. Hinsichtlich der Frage, ob diese zusätzliche
Nord-Süd-Verbindung benötigt wird, gibt es überhaupt
keinen Dissens. Ich spreche mich dafür aus, dass wir so
schnell wie möglich die Verbindung zwischen Berlin
und Dresden und dann weiter in den Mittelmeerraum ertüchtigen. Sie haben völlig recht: Wir müssen das Mittelmeer stärker an Zentraleuropa anbinden, damit wir eine
Entlastung auch der reinen Transitverkehre durch
Deutschland bekommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei mir sind nun ein
gutes Dutzend Fragewünsche notiert. Ich weise darauf
hin, damit niemand die Sorge hat, er sei nicht erfasst
worden. Ich bemühe mich jetzt sehr darum, diesen Wortmeldungen unter Berücksichtigung der Abfolge zwischen den Fraktionen und im Übrigen in der Reihenfolge
ihrer Abgabe nachzukommen.
Die nächste Fragestellerin ist Frau Schewe-Gerigk.
Herr Minister Tiefensee, zunächst vielen Dank für Ihren Bericht. - Ich bin allerdings sehr erstaunt darüber,
dass Sie ein Thema überhaupt nicht angesprochen haben, das in den letzten Tagen die Zeitungen gefüllt hat.
Es geht um die unterschiedlichen Rentenwerte Ost und
West. Im Osten ist der Rentenwert noch 12 Prozent niedriger als im Westen. Sind Sie nicht der Meinung, dass die
Menschen im Osten 18 Jahre nach der Wiedervereinigung eine verlässliche Perspektive benötigen, wann sie
gleiche Lebensbedingungen haben werden? Sollten Sie
dieser Meinung sein, dann frage ich Sie: Wie wollen Sie
das umsetzen, damit man tatsächlich sagen kann, es sei
nun auch eine Vereinigung in den sozialen Sicherungssystemen erreicht?
Ihre Frage gibt mir Gelegenheit, ganz klar herauszustellen - das kann man auch im Bericht nachlesen -, dass
die jetzige Generation der Seniorinnen und Senioren
durch die Hochwertung und die Berechnung des Rentenpunktes in Bezug auf das dahinterliegende Gehalt bessergestellt ist, als es ohne diese Hochwertung und die
Berechnung des Rentenpunktes der Fall wäre. Es ist eine
große Leistung, dass es im Rahmen der deutschen Einheit gelungen ist, Seniorinnen und Senioren in Anerkennung ihrer Lebensleistungen diese Renten zu ermöglichen.
({0})
Eines muss ich in diesem Zusammenhang ganz deutlich sagen: Wer den Eindruck erweckt, dass die Renten
in Ostdeutschland in Relation zu Westdeutschland jetzt
unbotmäßig niedrig seien
({1})
- ich richte meinen Blick in eine andere Richtung -, der
zündelt an einer Stelle, an der nicht gezündelt werden
darf.
Die zweite Frage ist, wie wir im Laufe der nächsten
Jahre mit dem Ziel eines einheitlichen Rentensystems
umgehen werden. Hier sind die verschiedenen Ressorts
der Bundesregierung in gründlicher und konstruktiver
Diskussion. Wir werden im Laufe der nächsten Wochen
dem Bundestag eine gute Lösung vorstellen können.
Frau Enkelmann.
Herr Minister, Ihre Aussage zu den Renten kommt
mir ein bisschen wie eine „Milchbubenrechnung“ vor,
weil nur die Alterseinkommen miteinander vergleichbar
sind. Es ist eine Tatsache, dass im Osten neben der gesetzlichen Rentenversicherung die beiden anderen Säulen fehlen: die Betriebsrente und die private Vorsorge.
Das ist Ihnen bekannt. Was wollen Sie tun, um vor allen
Dingen diese Lücke künftig zu schließen? Das ist nämlich das Problem der Rentnerinnen und Rentner.
({0})
Das Problem steht nicht heute an.
({0})
Dieses Problem steht im nächsten Jahrzehnt für eine
Gruppe von Menschen an, die wir auch der Öffentlichkeit gegenüber genau identifizieren müssen. Diese
Gruppe gibt es in Ost und West; es ist die Gruppe derjenigen, die wenig verdient haben, wenn sie in Arbeit waren, und außerdem eine gebrochene Erwerbsbiografie
aufweisen. Dieser Gruppe müssen wir uns zuwenden.
Sie haben jetzt die beiden Säulen private Vorsorge
und Betriebsrente angesprochen. Wir nehmen erfreut zur
Kenntnis, dass die Anzahl derjenigen, die in Ostdeutschland auf diese beiden Säulen zurückgreifen, wesentlich
stärker als in Westdeutschland zunimmt. Das heißt, die
Rate derjenigen, die diese beiden Säulen in ihre Altersvorsorge einbeziehen, nimmt zu. Hier lässt sich ein Aufholprozess im Osten feststellen. Dies müssen wir verstetigen, indem wir für diese Produkte werben und deutlich
machen, dass jeder Einzelne die Aufgabe hat, für das Alter vorzusorgen.
({1})
Darüber hinaus bleibt die Aussage, die ich auf eine
vorangegangene Frage bereits getroffen habe, bestehen,
nämlich dass wir in der Bundesregierung darüber diskutieren, wie wir im kommenden Jahrzehnt mit den unterschiedlichen Rentensystemen umgehen wollen.
({2})
Kollegin Weis.
Herr Minister, auch ich danke ganz herzlich für die
Vorlage des Berichts und bitte, meine Frage nicht nur,
aber auch vor dem Hintergrund meiner regionalen Herkunft - ich komme aus dem Ruhrgebiet, aus Duisburg zu begreifen. Inwieweit lassen sich Ihrer Meinung nach
die Erfahrungen, die im Zuge des Aufbaus Ost gewonnen worden sind, ganz generell auf die Förderung strukturschwacher Regionen übertragen? Welche Konzepte
sind aus Ihrer Sicht dabei besonders erfolgversprechend?
Vielen Dank. - Bei meinen Reisen durch Westdeutschland stelle ich immer wieder fest, dass es in einer
Reihe von Regionen Städte bzw. Stadtteile mit ähnlichen
Situationen gibt, wie ich sie aus Ostdeutschland kenne.
Charakteristisch hierfür sind Wohnungsleerstände, eine
hohe Dichte an Menschen, die ein geringes Einkommen
haben, eine hohe Arbeitslosenquote, eine schlechte Infrastruktur, insbesondere in Bezug auf Schulen oder
Straßen. Das muss uns als Bundesregierung interessieren; viel mehr muss das aber die Landesregierungen interessieren, damit in Westdeutschland nicht ähnliche Situationen entstehen oder sich verfestigen, wie wir sie in
Ostdeutschland konstatieren.
Die Bundesregierung nutzt die Instrumentarien, die
wir nach der Föderalismusreform I in der Hand haben,
um direkt oder über die Länder Fördermaßnahmen in
diesen Stadtteilen anzustoßen. Dabei übertragen wir die
guten Erfahrungen zum Beispiel aus dem Stadtumbau
Ost - sprich: Abriss von Häusern, Umwidmung von ehemals militärisch genutzten Gebieten und dergleichen auf den Stadtumbau West. Darüber hinaus stocken wir
die Mittel für Programme wie „Soziale Stadt“ auf und
lassen sie jetzt auch Regionen in Westdeutschland zugutekommen. Erstmals ab 2009 werden wir, wenn Sie den
Haushalt so, wie er vorliegt, beschließen, auch die Förderung des städtebaulichen Denkmalschutzes auf Westdeutschland ausweiten.
Schließlich werden wir eine Veränderung der Gewichte - hier bin ich auch als Verkehrsminister angesprochen - zwischen Fördergeldern für den Neubau von
Infrastruktur und denen für den Erhalt von Infrastruktur
vornehmen. Wir wollen im Laufe der nächsten Jahre
mehr Geld in den Erhalt stecken - und das nicht zuletzt
vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Westdeutschland.
Ich darf also noch einmal sagen: Der Ausgleich innerhalb der Länder - das betrifft insbesondere die Region,
aus der Sie kommen - ist zuallererst eine Aufgabe der
Landesregierungen.
Kollege Barth.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich
möchte kurz auf das Thema Renten zurückkommen. Die
FDP-Fraktion hat ja, wie Sie wissen, einen Antrag zu
diesem Thema mit dem Ziel vorgelegt, möglichst ab
2010 eine Vereinheitlichung des Rentenrechts herbeizuführen. Sie haben jetzt gesagt, dass es darüber in der
Bundesregierung umfangreiche Diskussionen gibt. Dabei kann es sich ja höchstens um Diskussionen zwischen
dem Ministerium für Arbeit und Soziales und dem Finanzministerium handeln, an denen Sie als Beauftragter
für die neuen Bundesländer teilnehmen und die sie dann
gegebenenfalls moderieren.
Nun sind Sie sicherlich mit mir einer Meinung, dass
es darum gehen muss, den Betroffenen, also den Rentnerinnen und Rentnern, möglichst schnell die Perspektive
einer Vereinheitlichung zu geben. Weil mir das nicht klar
genug herauskam, meine Frage: Werden die Verhandlungen mit dem Ziel geführt, das Rentenrecht zu vereinheitlichen, oder, was ich nicht hoffe, mit dem Ziel, die ungleiche Behandlung weiterhin zu begründen?
Wenn Sie uns schon in wenigen Wochen einen Plan
hierzu vorlegen wollen, können Sie uns doch sicherlich
jetzt schon in etwa skizzieren, wie Ihr Plan aussehen
soll.
Vielen Dank. - Die Frage des Rentensystems in Ostdeutschland wird in der Bundesregierung mit hoher Priorität behandelt.
Wir haben es aber - da wiederhole ich mich - zum
Ersten mit der Frage zu tun, wie wir diejenigen, die jetzt
Rente beziehen, weiterhin so gut behandeln, wie sie derzeit behandelt werden. Zum Zweiten geht es darum, in
Ost und West die Zahl derjenigen, die Grundsicherung
bekommen, möglichst niedrig zu halten. Ich weiß nicht,
ob Ihnen bekannt ist, dass der Anteil derjenigen bei
2,5 Prozent liegt. Mit anderen Worten: Nur 2,5 Prozent
der Menschen in Deutschland sind auf Grundsicherung
angewiesen. Nun stellt sich die Frage, ob wir diesen Anteil im nächsten Jahrzehnt auf diesem Niveau halten oder
sogar noch senken können.
Und schließlich steht die Frage an, ab welchem Zeitraum es sinnvoll ist, von einem einheitlichen Rentensystem auszugehen. Diese Frage wird diskutiert, und als
Vertreter der Bundesregierung bitte ich um Verständnis,
dass wir zunächst einmal die Ressortabstimmungen beenden wollen, ehe ein Fachminister einen Zwischenstand aus der Diskussion hier referiert. Gedulden Sie
sich. Wir werden den Seniorinnen und Senioren, die
heute Rente beziehen, und den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern, die jetzt einzahlen, eine solide Perspektive für die nächsten Jahre und Jahrzehnte eröffnen.
({0})
Frau Lötzsch, bitte die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich hätte eigentlich auch
gerne etwas zur Rente gefragt, aber die bisherigen Antworten waren an Unklarheit nicht zu überbieten. Daher
versuche ich es mit einem anderen Thema.
Herr Minister, Sie haben darauf Bezug genommen, dass
Forschung und Entwicklung sehr wichtige Standbeine sind
und dass Forschung und Entwicklung die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass Arbeitsplätze entstehen können. Wie
kann es sein - haben Sie dazu vielleicht im Bericht ändernd Stellung genommen? -, dass von wichtigen Forschungsförderprogrammen in Ostdeutschland nicht, wie
man vermuten könnte, 20 Prozent, sondern - als Beispiel
nenne ich die Exzellenzinitiative - nur 4 Prozent ankommen? Ich wiederhole: Nur 4 Prozent der Fördermittel
kommen im Osten Deutschlands an.
Vielen Dank. Ich denke, wir sollten die Zahlen, soweit ich sie im Kopf habe, zur Antwort heranziehen.
Wenn man den Fördertopf von Frau Kollegin Schavan
betrachtet und sich fragt, welcher Anteil dieses vom
Bund bereitgestellten Geldes in den Osten geht, dann
stellt man fest, dass nicht nur 20 Prozent, sondern, soweit ich weiß, 25 Prozent in den Osten fließen. Das
macht deutlich, dass der Osten überproportional an diesen Geldern partizipiert.
Sie vermengen das mit einem besonderen Programm,
nämlich dem der Exzellenzinitiative. Dieses Programm
setzt darauf, dass diejenigen ausgezeichnet und extrem
gefördert werden, die bereits momentan stark sind. Es ist
ausdrücklich ein Programm, welches vorsieht, die Stärken zu stärken.
Die ostdeutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben mehrfach deutlich gemacht, dass sie
keine „Exzellenzinitiative light“ wollen, also keine, die
ausschließlich dem besonderen Blickwinkel Osten Rechnung trägt. Vielmehr wollen sie in der zweiten Stufe der
Exzellenzinitiative die Kriterien berücksichtigt wissen,
die im Osten besonders positiv zu Buche schlagen.
Uns fehlt die Masse, uns fehlt das Fundament im Osten. Selbst 18 Jahre nach der friedlichen Revolution ist
es nicht gelungen, das Defizit aus 40 Jahren DDR in diesem Sektor zu beseitigen.
Was sind das für Kriterien? Das erste Kriterium ist die
Dynamik. In dem Moment, in dem man die Dynamik eines Forschungsverbundes heranzieht, werden die Ostdeutschen besser abschneiden. Das zweite Kriterium ist
die besondere Vernetzung zwischen Forschungseinrichtungen und Wirtschaft, die im Osten besonders ausgeprägt ist.
Meine Kollegin Schavan hat diese Kriterien in die
Bewertung der nächsten Exzellenzinitiative mit einbezogen, und insofern gehe ich davon aus, dass wir dann erfolgreicher sein werden.
Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern,
dass es einen Existenzclusterwettbewerb gegeben hat,
der sich im Übrigen auch auf die Frage bezogen hat, wie
es um die Forschung bestellt ist. Hier sind fünf Gebiete
in Deutschland prämiert worden, und von diesen fünf
befinden sich immerhin zwei - das sind 40 Prozent - in
Ostdeutschland. Das ist zum einen Mitteldeutschland
mit seinem Solarcluster und zum anderen Dresden mit
seiner Mikroelektronik. Das ist ein Beleg dafür, dass wir
auf den unterschiedlichen Feldern ausgewogen fördern.
Kollege Günther.
Herr Minister, Ihr Bericht enthält einige Zahlen, die
deutlich machen, dass 18 Jahre nach der deutschen Einheit die Kluft zwischen Ost und West wieder größer und
nicht kleiner wird. Das Wirtschaftswachstum - die Zahlen haben Sie selbst genannt - ist im Osten geringer als
im Westen. Damit ist der Aufholprozess aus meiner
Sicht in größter Gefahr. Da Sie davon ausgehen, die
klassischen Förderinstrumente so wie bisher beizubehalten, frage ich mich, wie Sie diese Lücke schließen wollen. Oder sind Sie bereit, jetzt einmal ein Gesamtkonzept
anzugehen, in dem es zum Beispiel auch Sonderwirtschaftszonen und Ähnliches gibt, damit der Osten die
Chance erhält, nach 18 Jahren endlich aufzuholen?
Vielen Dank. - Ich halte nichts von einer Sonderwirtschaftszone. Aber es gibt eine ganz besondere Förderung
für Ostdeutschland. Unter Gerhard Schröder sind mit
dem Solidarpakt II 156 Milliarden Euro zusätzlich in
den Osten geflossen; darüber hinaus sind die Gemeinschaftsaufgabe und zu Teilen die Investitionszulage
finanziert worden. Das sind Sonderförderungen, die der
besonderen Situation Ostdeutschlands Rechnung tragen.
Jetzt sprechen Sie noch einmal die Frage des Wirtschaftswachstums an. Wir müssen unterscheiden zwischen prosperierenden Branchen, die sich wesentlich
besser entwickeln als in Westdeutschland - bei diesen
Branchen geht die Schere zu -, und Branchen bzw. Regionen, bei denen das nicht der Fall ist, die noch nachhinken. Unser Ziel ist es, die Branchen, die überproportional wachsen, die eine überproportionale Wertschöpfung
mit sich bringen und Arbeitsplätze generieren, zu fördern. Das ist der Industriesektor - da greift die Investitionszulage, wie Sie wissen -, und das sind die neuen
Branchen, New Economy, New Technology, Biotechnologie usw. Dort fördern wir.
Wir können unmöglich schon heute kompensieren,
was sich beispielsweise an Sondersituationen in der Bauwirtschaft im Osten abspielt. Das werden wir nicht kompensieren können. Deshalb konzentrieren wir uns - das
ist die Antwort; das ist das Programm - strategisch auf
die Felder, auf die mittleren und großen Lokomotivregionen, die bereits jetzt so viel Bruttoinlandsprodukt
und Steigerung des Bruttoinlandsprodukts generieren,
dass wir hier den Aufholprozess gestalten können. Wie
Sie wissen, gibt es einige Regionen, die eben nicht nur
67 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von Westdeutschland erwirtschaften, sondern bereits bei 75 oder 78 Prozent angekommen sind. Dort gilt es, die Stärken zu stärken, um den Aufschwung zu beschleunigen.
Die üblicherweise für eine Regierungsbefragung vorgesehenen 30 Minuten sind jetzt erschöpft. Ich schlage
vor, dass wir die Möglichkeit der Befragung zu diesem
besonders wichtigen Thema etwas ausweiten, um etwa
15 Minuten. Dann können die sechs Kolleginnen und
Kollegen, die ich notiert habe, noch zu Wort kommen,
zumal wir die Zeit für die anschließende Fragestunde
vermutlich gar nicht in vollem Umfang benötigen, weil
bei sehr vielen der eingereichten Fragen eine schriftliche
Beantwortung erbeten worden ist. - Ich stelle fest, dass
es dazu Einvernehmen gibt. Ich bedanke mich.
Für die nächste Frage erteile ich das Wort dem Kollegen Kranz.
Herr Minister, wir stellen fest, dass der Rechtsextremismus sein Gesicht in der Öffentlichkeit gewandelt hat. Er versucht, sich vor Ort scheinheilig, indem er
sich der Probleme der Bürger annimmt, in Vereine usw.
einzuschleichen.
({0})
Trotzdem tritt er auch noch mit Gewalt auf. Gleichzeitig
stellen wir fest, dass es in manchen Landesbehörden sehr
große Unsicherheiten im Umgang mit diesen Erscheinungsformen gibt. Herr Minister, wie gedenkt die Bundesregierung - eventuell durch Aufklärung, durch Förderung bürgerlichen Engagements - an diesen Stellen zu
reagieren?
Vielen Dank. - Sie sprechen eine ganz schwierige
Problematik an. Wir wissen aus einer Fülle von Untersuchungen, nicht zuletzt aus den Berichten zu den deutschen Zuständen, die Professor Heitmeyer in jährlicher
Abfolge vorgelegt hat, aber auch aus vielen anderen Statistiken, dass wir in Ostdeutschland ein erhöhtes Aufkommen von Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund
haben sowie eine Zunahme von Aktivitäten mit rechtsradikalem Hintergrund. Dennoch sei hinzugefügt: Dieses
Problem ist nicht nur ein ostdeutsches. Es ist ein westdeutsches genauso wie ein gesamteuropäisches. In Ostdeutschland werden wir in besonderer Weise davon
betroffen, und wir müssen auch in besonderer Weise reagieren. Die Bundesregierung stellt mit ihren Programmen, die bei meiner Kollegin Frau von der Leyen angesiedelt sind, jährlich 19 Millionen Euro zur Verfügung,
die, ergänzt durch Aktivitäten und Mittel der Länder und
der Kommunen, dafür sorgen, dass die örtlichen Initiativen gestärkt werden.
Wenn Sie wissen wollen, wie wir diesem Problem
Herr werden, sage ich Ihnen: Es ist nicht nur die Aufklärung, sondern vor allem die Unterstützung der Vereine
und Initiativen, die tagtäglich und vor Ort mit dieser Problematik befasst sind. Sie brauchen eine langfristige,
eine stabile und eine qualitativ hochwertige Förderung
und Unterstützung.
Auf der anderen Seite muss der Staat mit all seinen
Instrumenten dort eingreifen, wo Rechtsradikalismus
und Rechtsextremismus die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit überschreiten. Auch hier brauchen wir wirkungsvolle Instrumente, die dann zur Anwendung kommen, wenn in Städten und Gemeinden diese rote Linie
überschritten wird.
Ich freue mich über ein großes bürgerschaftliches
Engagement, wie wir es zum Beispiel vorherige Woche
in Köln erleben konnten. Aber ich gebe Ihnen recht: Wir
müssen unsere Anstrengungen verstetigen und verstärken. Als politisch Aktive und politisch Verantwortliche
müssen wir vor allen Dingen dieses Thema in der Öffentlichkeit immer wieder diskutieren, wollen wir dem
Rechtsextremismus, der wächst und der eine große Bedrohung ist, Herr werden.
Kollege Niebel.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie die Stunde des
Parlaments ein wenig ausweiten konnten. Es ist unsere
Hauptaufgabe, die Regierung zu kontrollieren. Das tun
wir gerne.
Ich möchte gern auf die Frage des Kollegen Mücke
zurückkommen, der Ihnen vorgehalten hat, dass das
Wirtschaftswachstum im Osten und im Westen unterschiedlich stark ist: 1,8 Prozent im Osten und 2,4 Prozent im Westen. Sie antworteten auf die entsprechende
Frage, es käme darauf an, wie man den Osten definiere,
ob man nur die fünf neuen Länder einbezöge oder auch
noch die Bundeshauptstadt Berlin, also das Land Berlin.
Interpretiere ich Ihre Antwort richtig, dass Sie der
Meinung sind, dass das Land Berlin das durchschnittliche Wirtschaftswachstum nach unten zieht? Wenn ja:
Welches Wirtschaftswachstum wäre in den fünf neuen
Bundesländern zu erwarten, wenn Berlin nicht berücksichtigt würde? Zu guter Letzt: Wer regiert eigentlich in
Berlin?
Vielen Dank. - Ich habe unter anderem angeführt,
dass es eine Frage der statistischen Betrachtungsweise
ist. Sie wissen, dass Ostdeutschland definiert wird als die
fünf neuen Länder. Wir beziehen aber in die Statistik oftmals Berlin, also das ehemalige Westberlin und das ehemalige Ostberlin, mit ein.
Die Hauptgründe habe ich versucht deutlich zu machen. Die Unterschiede, die uns zu schaffen machen,
liegen besonders in der Bauindustrie und bei den hochwertigen Dienstleistungen. Wir werden sie durch die industrielle Entwicklung - Steigerung der Exportquote
und Wachstum bei den neuen Technologien - nicht kompensieren können, zumindest nicht im Jahr 2009. Darauf
müssen wir uns einstellen. Die Antwort ist eine verstärkte Förderung in den Bereichen, in denen wir ohnehin schon jetzt stark sind und in denen wir große Wachstumsraten aufweisen können.
Ja, wenn wir Berlin mit einrechnen, dann fällt die Statistik negativer aus. Dies hat damit zu tun, dass der Aufholprozess, was die industrielle Entwicklung betrifft, in
Berlin nicht so stark ist wie zum Beispiel in Regionen in
Sachsen und Thüringen, wo wir im industriellen Sektor
traditionell sehr gut aufgestellt sind.
Es wird darauf ankommen, dass wir mit dem größten
ostdeutschen Investitionsprojekt, nämlich dem Flughafen Berlin Brandenburg International, einen Akzent setzen und damit einen Wachstumskern stärken. Dann wird
es sicherlich auch in Berlin möglich sein, Schritt für
Schritt im industriellen Sektor aufzuschließen.
Wer in Berlin regiert, ist sicherlich eine rhetorische
Frage.
Frau Bellmann.
Ich komme noch einmal auf das Thema Verkehrsinfrastruktur zurück. Ich bedauere ein wenig, dass Sie
sich im Jahresbericht zur Deutschen Einheit auf lediglich
zwei von insgesamt 180 Seiten mit diesem Thema beschäftigen. Ich habe dennoch vorhin mit Freude gehört,
dass Sie die Forderung nach einem Vier-Meeres-Schienenkorridor und Nord-Süd-Korridor unterstützen. Ich
gehe davon aus, dass Sie nunmehr die TEN-Anmeldung
in Brüssel für die Zukunft vornehmen können. Sie haben
sie bis jetzt immer blockiert, zumindest haben Sie versucht, sie trickreich zu umgehen. Die Begründung war:
Finanzierungshöhen und Förderhöhen.
In dem Zusammenhang möchte ich die Frage stellen,
ob Ihnen bekannt ist, dass die Verkehrsprojekte „Deutsche Einheit“ 8.1 und 8.2 mit TEN-Mitteln und mit
EFRE-Mitteln finanziert worden sind, kombiniert nicht
als Doppelförderung, sondern aufgeteilt in Teilstücke?
Ich will gleich die zweite Frage anschließen. Sie haben gesagt, der Freistaat Sachsen habe beantragt, die
Strecke Berlin-Dresden auf 160 km/h auszubauen. Mir
ist das nicht bekannt; mir ist nur das Ansinnen des Freistaates bekannt, auf 200 km/h auszubauen; denn eine Ertüchtigung bis 160 km/h würde lediglich den Stand von
1938 festschreiben. In Zukunft wäre damit das Thema
Verkehrsinfrastruktur, bezogen auf Verbindungen mit
Südosteuropa und Osteuropa, sozusagen lahmgelegt.
Vielen Dank. - Mich wundert umgekehrt, dass Ihnen
nicht bekannt ist, dass der Ausbau des Nord-Süd-Korridors Berlin-Dresden ein wichtiges Vorhaben meines
Hauses ist. Ich unterstreiche an dieser Stelle noch einmal: Es geht nicht um das Ob, sondern es geht um die
Frage des Wie. Ich arbeite Ihnen gerne noch einmal zu,
was der Antrag des Freistaats Sachsen, der aktuell vorliegt, hierzu enthält.
Es geht schlicht und ergreifend darum - wir kommen,
sehr verehrter Herr Präsident, in eine ziemlich kleinteilige Diskussion -, wie schnell, mit welchem Geld, mit
welcher Qualität und bis zu welcher Geschwindigkeit
diese Strecke ausgebaut werden soll. Es ist - noch einmal - keine Frage, dass wir diesen Ausbau beschleunigen wollen. Die EFRE-Finanzierung erlaubt uns, bis
zum Jahre 2015 fertig zu sein, verbunden mit der Möglichkeit eines späteren Aufwuches, auch was die Geschwindigkeit angeht. Eine Revision der TEN-Richtlinie
erlaubt es uns nicht, bis 2015 fertig zu sein. Wir müssen
jetzt schauen, welche Art der Finanzierung wir vorantreiben wollen. Wenn der Freistaat Sachsen mit dem
Bund zu einer Meinung gekommen ist, dann werden wir
das in Brüssel entsprechend umsetzen.
Ich habe im Übrigen bereits mit dem neuen Kommissar für Verkehr, Tajani, über diese Frage diskutiert. Wir
sind uns darin einig, dass wir zusätzlich zu den bestehenden Verbindungen eine Nord-Süd-Verbindung brauchen. Aus diesem Grunde sehe ich keinen Dissens, sondern nur die Frage: Erstens. Wie erreichen wir das
Optimum bei der zeitlichen Abfolge? Wann also ist diese
Verbindung tatsächlich vorhanden und nutzbar? Zweitens. Wie gelingt es uns, die Finanzierung möglichst optimal darzustellen? Wir sind uns also in diesem Punkt einig.
Ich bitte darum - wenn ich diese Bitte äußern darf -,
die Frage des Wie nicht dazu hochzustilisieren, dass es
dem Bundesverkehrsminister und zumal dem Beauftragten für die neuen Bundesländer nicht um diese Verbindung ginge. Im Gegenteil: Ich bin derjenige, der ab dem
Jahr 2005 den Ausbau der Abschnitte 8.1 und 8.2, die
Sie angesprochen haben - das sind die Abschnitte München-Erfurt und Erfurt-Halle-Leipzig -, beschleunigt
hat, sodass wir 2015 respektive 2017 fertig sein können.
Wir beschleunigen den Ausbau der Strecke Rostock-Berlin und viele andere Projekte, die ich jetzt nicht
im Einzelnen aufzählen will. Es mangelt also nicht an
dem Willen, besonders für Ostdeutschland etwas zu tun.
Kollege Hettlich.
Vielen Dank, Herr Minister, für den Bericht. Sie erinnern sich vielleicht noch an die Fragestunde im letzten
Jahr. Da habe ich Sie auf Ihre Bemerkung hin, die Schere
schließe sich, gefragt, wie sich bei einer - damals positiven - Differenz von 0,3 Prozent die Schere schließen
kann. Das hätte nämlich bedeutet, dass die Angleichung
der Verhältnisse von Ost und West 100 Jahre gedauert
hätte.
Zwischenzeitlich hat das IWH in Halle, ein sehr renommiertes Institut, gesagt, wenn es mit dem Tempo so
weiterginge, könnte es sogar 300 Jahre dauern. Jetzt gibt
es sogar negative Differenzen. Es gibt seit zehn Jahren
eine Stagnation. Ich denke, diese ehrliche Ansage brauchen auch die Menschen in Ostdeutschland. Stellen Sie
sich nicht manchmal die Frage, ob die Instrumente, die
wir dafür verwenden, wirklich tauglich sind? Ist beispielsweise die Verlängerung der Gewährung der Investitionszulage ohne irgendeine Zielförderung sinnvoll
oder ist dies nicht längst überholt? Angesichts des Fachkräftemangels in Ostdeutschland und auch des Umstandes, den Sie zu Recht ansprechen, dass wir viel zu wenig
Forschung und Entwicklung, vor allem unternehmensnahe Forschung und Entwicklung, und zu viele verlängerte Werkbänke haben, stellt sich die Frage, ob wir
nicht viel stärker in diesem Sektor etwas tun müssen,
und zwar nicht mit 10 Millionen oder 20 Millionen, sondern mit dreistelligen Millionenbeträgen, um genau dieses Problem zu lösen.
Zweite Frage. Sie haben eben auf die Hafenhinterlandverbindung, auch im Zusammenhang mit der Diskussion über die Strecke Dresden-Berlin, hingewiesen.
Aber Sie unterschreiben als Minister einen Vertrag zur
Fehmarnbeltquerung und schlagen damit auch den ostdeutschen Seehäfen die Füße weg. Da müssen Sie mir
einmal erklären, wie das beispielweise zusammengehen
kann.
Danke schön. - Gestatten Sie, dass ich auf Ihre erste
Frage etwas ironisch antworte. Ihre Frage bzw. die Expertise des IWH unterstellt, dass Johann Sebastian Bach
im Jahre 1708 offensichtlich gewusst hätte, was im
Jahre 2008 vonstatten geht. Eine solche Prognose kann
man nicht wirklich ernst nehmen.
Man kann auch nicht - das ist das, was ich deutlich zu
machen versucht habe - die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, also die Steigerung des Bruttoinlandsproduktes, heranziehen, um Steigerungsraten insgesamt in die
nächsten Jahre zu extrapolieren.
Ich sage noch einmal: Es wird darauf ankommen,
dass die Wirtschaftszweige in Ostdeutschland gefördert
werden, die ein überproportionales Wachstum aufweisen. Dabei geht es um wesentlich mehr als 0,3 Prozent
Wachstum. Beispielsweise bei der Industrieentwicklung
ist das Verhältnis 6 : 10. Es geht darum, diese Wirtschaftszweige zu fördern und mit Sondersituationen,
zum Beispiel in der Bauwirtschaft, fertig zu werden. Das
muss man separiert und nicht in einer einheitlichen Statistik betrachten.
Jetzt komme ich zu Ihrer Frage nach unseren Instrumenten. Unsere Instrumente setzen genau dort an. Sie
setzen bei der Förderung der Cluster, der Wirtschaftskerne, der Wachstumskerne an. Ich sage ausdrücklich:
Es geht nicht nur um die Metropolregionen, es geht nicht
nur um die ganz großen, sondern auch um die Wirtschafts- und Wachstumsregionen um Arnstadt, Eggesin
und Torgelow herum, wo wir einen 300 bis 400 Mann
starken Betrieb stabilisiert haben, der seinerseits Wirkung entfaltet. Natürlich geht es auch um Thalheim oder
Frankfurt/Oder, um nur einige Beispiele zu nennen. Wir
nutzen die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Durch die Wirtschaftsförderungsinstrumente wird Starkes stärker gemacht.
Jetzt könnte der Vorwurf kommen: Ihr fördert vom
grünen Tisch aus. Deshalb haben wir ein zweites Instru18928
ment, die Investitionszulage. Sie setzt an dem Punkt
„Entwicklung der Industrie“ an. Es gibt drei Vorbedingungen, die erfüllt sein müssen, um die Investitionszulage in Anspruch nehmen zu können: Industriearbeitsplätze schaffen, industrienahe Dienstleistungen ausbauen
und im Beherbergungsgewerbe zusätzliche Arbeitsplätze
schaffen. Ein Investor ist also in der Lage, auf dem flachen Land, in einem Gebiet, das er zunächst nicht auf
dem Bildschirm bzw. auf seiner Landkarte hatte, einen
Betrieb zu stabilisieren bzw. auszubauen.
Die Fehmarnbeltquerung ist ein spezielles Problem.
Der Bundesverkehrsminister steht in Diskussion mit seinem dänischen Kollegen. Die Bundesregierung muss gemeinsam mit dem Königreich Dänemark zu einer Lösung kommen, die die Infrastruktur in Europa im Blick
behält. Wir sprechen häufig über transeuropäische
Netze. Das ist ein solches Netz. Es wird übrigens auch
europäisch gefördert. Wir müssen dafür sorgen - da gebe
ich Ihnen völlig recht -, dass die Häfen in Ostdeutschland, speziell der Rostocker Hafen, aber auch der Wismarer und der Sassnitzer Hafen, stabilisiert werden und
die Arbeitsplätze, die wegfallen könnten, wenn die Fährverbindungen eingeschränkt würden, in andere Branchen konvertiert werden, sodass die Arbeitslosigkeit
nicht steigt, sondern im Gegenteil sogar sinkt. Aus diesem Grunde bemüht sich der Osten nicht nur um Hafenwirtschaft, sondern ist auch auf vielen anderen Gebieten
stark.
Ich habe den Unmut in der Region zur Kenntnis genommen. Bis zum Jahr 2018 - dann wird die Brücke frühestens fertig sein -, also in den nächsten neun oder zehn
Jahren, können wir eine Menge dafür tun, Nordostdeutschland zu stabilisieren, auch mit Fehmarnbeltquerung.
Ich habe noch zwei Wortmeldungen zu Ihrem Bericht,
Herr Minister, und eine Frage zu einem anderen Themenkomplex. Wenn Sie damit einverstanden sind, würde
ich diese gerne noch aufrufen. - Zunächst der Kollege
Haustein, und dann der Kollege Mücke.
Werter Herr Minister, Sie reden zum wiederholten
Male von Ballungszentren, von Leuchttürmen. Leuchttürme haben den Nachteil, dass sie den ländlichen Raum
nicht erreichen. Wenn doch, ist es den Menschen im
ländlichen Raum praktisch nicht möglich, das Ballungszentrum wirtschaftlich zu nutzen, das heißt, dort zur
Arbeit zu gehen. Was gedenken Sie zu tun, um die Infrastruktur, sagen wir einmal: im Erzgebirge so auszubauen, dass man in Annaberg wohnen und in Dresden
zur Arbeit gehen kann?
Vielen Dank. - Ich spreche ausdrücklich nicht von
Leuchttürmen. Das ist nicht mein Bild. Es gibt den saloppen Satz: Ein Leuchtturm blendet und ist am Fuße
dunkel. Deshalb ist mir das Bild einer Lokomotive wesentlich näher. Eine Lokomotive, ein starker Wachstumskern, der auch in einer 10 000 oder 30 000 Menschen umfassenden Stadt liegen kann, zieht eine Region,
die eher strukturschwach ist, mit sich. Sie stellen völlig
zu Recht fest, dass wir im Osten Deutschlands, aber
nicht nur dort, sondern mittlerweile auch in einigen
westdeutschen Regionen, Gebiete haben, die Bevölkerung verlieren, wo Arbeitsplätze abgebaut werden und
überproportional viele Seniorinnen und Senioren zu finden sind, wo das kreative Potenzial fehlt, wo Facharbeiter fehlen, die stabilisierend auf die Wirtschaft wirken
können.
Ein Thema ist, Arbeitsplätze dort zu schaffen und zu
erhalten; das haben Sie nicht angesprochen. Das wird
das Hauptthema sein. Ich kann gemeinsam mit den Wirtschaftsförderinstitutionen und meinem Kollege Glos, der
dort einiges in der Wirtschaftsförderung macht, in einigen Gebieten Erfolge vorweisen. Wir wirken dort tatsächlich stabilisierend.
Sie sprechen jetzt die Infrastruktur an. Zum Beispiel
tragen wir durch den Bau einer Ortsumgehung bei
Marienberg - das haben Sie nicht erwähnt - wesentlich
zur Entlastung bei. Dann sei gesagt, dass wir in Ostdeutschland über ein hervorragend ausgebautes Netz
verfügen. Das ist so gut ausgebaut, dass mittlerweile
- zu Recht oder zu Unrecht; das klang bereits an bei einigen Kollegen - die westdeutschen Regionen nachfragen, wie es um ihre Infrastruktur bestellt ist.
Wir verfügen in Sachsen - Sie haben speziell Sachsen
angesprochen - über ein hervorragend ausgebautes Netz
an Autobahnen, Bundesstraßen und Eisenbahntrassen.
Da könnten sich andere wesentlich mehr beschweren;
nehmen Sie beispielsweise die Autobahn A 14 zwischen
Magdeburg und Schwerin. Sachsen hat an den Geldern
überproportional partizipiert. Bezogen auf den Bundesverkehrswegeplan und alle anderen Projekte sind in Gesamtdeutschland durchschnittlich 30 Prozent dieser Infrastrukturvorhaben abgearbeitet, während es in Sachsen
bereits 50 Prozent sind. Das macht deutlich, dass wir
ganz besonders im Freistaat Sachsen überproportional
gefördert haben.
Kollege Mücke.
Herr Minister, auch auf die Gefahr hin, dass Ihnen die
Frage etwas zu kleinteilig erscheint - Ihre Antworten
waren bisher sehr allgemein gehalten -, möchte ich an
der einen oder anderen Stelle noch einmal nachhaken.
Sie sollten sich auf eine Stelle beschränken.
Okay, ich beschränke mich auf eine Stelle, und zwar
auf die mir wichtigste: die Bahnstrecke Berlin-Dresden.
Sie wurde hier schon angesprochen. Sie haben der Kol-
legin von der CDU/CSU-Fraktion angeboten, dass Sie
ihr Informationen zu dieser Strecke und zum Antrags-
verfahren, das der Freistaat Sachsen angestrengt hat, zur
Verfügung stellen werden.
Ich erinnere an die Beantwortung einer schriftlichen
Frage, die ich Ihnen zu diesem Thema gestellt habe.
Diese Antwort ist jetzt drei oder vier Wochen alt. Ich
gehe also davon aus, dass sich der Sachstand kaum geän-
dert hat. Danach möchte Ihr Haus mit der DB AG Finan-
zierungsvereinbarungen für vier Bauabschnitte auf die-
ser Strecke abschließen. Diese Verhandlungen sind so
weit gediehen, dass die DB AG diese vier Finanzie-
rungsvereinbarungen für diese Bauabschnitte jetzt über-
arbeiten muss. Geplant ist jedoch nur ein Ausbau bis
Tempo 160 km/h. Das heißt, dass wir zwischen Dresden
und Berlin eine Fahrzeit von einer Stunde und 45 Minu-
ten haben werden; das entspricht dem Vorkriegszustand.
Ursprünglich war aber durch die Bundesregierung ein
Ausbau bis 200 km/h geplant, der zu einer Fahrzeit von
58 Minuten geführt hätte. Das wäre dann eine wirklich
sehr hervorragende Bahnverbindung. Herr Minister,
habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie einen Ausbau
bis Tempo 200 km/h nicht befürworten und dass die
Bundesregierung bei einem Ausbau bis lediglich
160 km/h bleibt?
Vielen Dank. Zunächst noch einmal allgemein: Mir
geht es darum, dass wir die Verkehrsinfrastruktur in Ost-
deutschland insgesamt ertüchtigen. Die Verkehrsprojekte
„Deutsche Einheit“ und die Projekte darüber hinaus
- über die 17 Projekte hinaus gibt es eine Menge andere -
sind hervorragend abgearbeitet. 70 Prozent davon sind
mittlerweile umgesetzt. Zwei Drittel der Projekte sind
abgeschlossen, insbesondere das Eisenbahnprojekt
Nürnberg-Erfurt, Erfurt-Halle/Leipzig, 8.1 und 8.2. Das
ist übrigens der transeuropäische Korridor Nummer 1
von Skandinavien nach Palermo und das kostenträch-
tigste Projekt; deshalb die Quote in Höhe von 70 Prozent.
Wir sind uns also völlig einig.
Das Gleiche gilt für den zweiten Korridor zwischen
Berlin und Dresden. Wir suchen eine gemeinsame Lö-
sung. Wir können diese Strecke durchaus auf 200 km/h
ausbauen. Sie wird dann übrigens die Fahrzeit aufwei-
sen, von der Sie gesprochen haben, während die 160 km/h
eine kürzere Fahrzeit aufweisen, als Sie prognostiziert
haben; aber das sei jetzt dahingestellt. Wir können das
ausbauen. Aber, sehr verehrter Herr Abgeordneter, wir
müssen dann unter Umständen die Nachteile in Kauf
nehmen, die mit einer solchen Lösung einhergehen. Die
Nachteile könnten sein, dass wir a) einen späteren Bau-
beginn haben und dass wir b) die Förderung durch die
Europäische Union nicht so stark in Anspruch nehmen
können wie bei EFRE.
Warum später? Weil die TEN-Überarbeitung dazu
führt, dass wir - wenn es gut läuft - erst ab dem Jahre
2013 von der Förderung der transeuropäischen Netze
profitieren können. Die Anzahl der Projekte in Europa
ist weitaus größer als die Anzahl der Fördermöglichkeiten, wie Sie wissen; der Umfang der TEN-Förderung für
Gesamteuropa liegt in der Finanzperiode von 2006 bis
2013 nur bei knapp 6 Milliarden Euro netto. Deshalb
rate ich dazu, dass wir uns die Pros und Kontras genau
anschauen. Wenn die 200 Stundenkilometer das Hauptkriterium sind und die Frage des Baubeginns unter Umständen ein Stück nachgelagert ist, dann finden wir da
eine Lösung - nicht im Gegensatz zueinander, sondern
im Einvernehmen miteinander.
Noch einmal: Stilisieren Sie das bitte nicht hoch
- auch ich lese die sächsische Presse - zu einem Widerstand des Verkehrsministers gegen die Ertüchtigung dieser Strecke. Das Gegenteil ist der Fall. Ich möchte nur,
dass es so schnell wie möglich und optimal finanziert
wird, damit auch das Steuersäckl des sächsischen Steuerzahlers möglichst wenig beansprucht wird.
Jetzt gibt es noch eine Frage des Kollegen Grund zu
einem anderen Themenkomplex.
Vielen Dank. - Man ist versucht, ein „ceterum censeo“
anzuhängen und zu sagen: Zu den neuen Bundesländern
gehören auch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg,
Thüringen und Sachsen-Anhalt.
({0})
Meine Frage bezieht sich auf die weitere Tagesordnung der heutigen Kabinettssitzung; dort stand heute
auch die Krankenhausfinanzierung und damit die
Situation des Pflegepersonals und der Ärzte auf der Tagesordnung. Ich glaube, die Bundesregierung hat heute
Zusagen gegeben, dass sich insbesondere die Finanzierung verbessern wird. Kann man dazu Weiteres ausführen? Hat bei diesen Festlegungen auch die unterschiedliche Situation der Krankenhäuser in den neuen und in den
alten Bundesländern eine Rolle gespielt?
Frau Staatsministerin Müller.
Herr Grund, vielen Dank für Ihre Frage. - In der Tat
ist die Krankenhausfinanzierung Thema der heutigen
Kabinettssitzung gewesen. Wir haben einen Gesetzentwurf beschlossen, der die künftigen Rahmenbedingungen für die Krankenhausfinanzierung vorgibt. Insofern
können wir einen Teil der Ängste, die sich in der angekündigten morgigen Großdemonstration hier äußern,
strikt zurückweisen. Das gilt auch für Fehlinformationen, die verbreitet werden.
Den Krankenhäusern werden zur Verbesserung der
Situation etwa 3 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt.
Dies beinhaltet unter anderem die Abschaffung des Sonderopfers, die im Zuge der Gesundheitsreform beschlossen worden ist. Es wird ein Anteil von etwa 50 Prozent
der Tariflohnsteigerungen übernommen. Die hier geschürten Ängste, dass die Tariflohnsteigerungen von den
Krankenhäusern nicht zu schultern sind, sind also zurückzuweisen. Ich will nur darauf hinweisen, dass es ei18930
gentlich ein einmaliger Vorgang ist, dass die Bundesregierung ihre Bereitschaft dazu erklärt.
Die Landesbasiswerte werden einer Überprüfung unterzogen. In Zusammenarbeit mit den Ländern soll in
den nächsten Jahren eine Weiterentwicklung erarbeitet
werden. Mit einem erheblichen Millionenbetrag werden
auch Verbesserungen im Bereich der pauschalierten und
tagesbezogenen Vergütungen für Leistungen der Psychiatrie und Psychosomatik vorgenommen.
Vielen Dank. - Ich beende damit die Befragung der
Bundesregierung.
Ich bedanke mich insbesondere beim Verkehrsminister für die ausführliche Beantwortung der zahlreichen
gestellten Fragen. Ich glaube, es war angesichts der Bedeutung dieses Themas und der Anzahl der Fragen vernünftig, die übliche Fragezeit erheblich auszuweiten. Ich
empfehle uns, bei ähnlichen Tagesordnungspunkten auch
künftig so zu verfahren. Noch einmal herzlichen Dank
an alle Beteiligten.
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksache 16/10277 Ich rufe die Geschäftsbereiche in der Ihnen bekannten
Reihenfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Hier steht der Kollege
Peter Altmaier zur Beantwortung der Frage zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Petra Pau auf:
Sieht die Bundesregierung in der am 22. Juli 2008 in Templin erfolgten Tötung des Tischlers B. T. den Anfangsverdacht eines rechtsextrem motivierten Tötungsdeliktes als gegeben an, und mit welcher Begründung taucht dieses
Tötungsdelikt nicht in den Zahlen der „Politisch motivierten
Kriminalität - rechts“ für den Monat Juli 2008 auf ({0})?
Herr Staatssekretär, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin, die
Antwort der Bundesregierung in der von Ihnen zitierten
Kleinen Anfrage war selbstverständlich korrekt. Wie Sie
wissen - schließlich stellen Sie diese Anfrage regelmäßig -, ist in der Antwort auf Ihre Anfrage darauf hingewiesen worden, dass es sich zunächst einmal um vorläufige Zahlen handelt. Vorläufig insofern, als sie nur
diejenigen Fälle umfassen, die bis zum 28. August dieses Jahres gemeldet waren. Die Meldefrist läuft für die
Landeskriminalämter allerdings weiter, und zwar im
konkreten und vorliegenden Fall bis zum 31. Januar
2009. Erst dann wird es endgültige Fallzahlen geben
können.
Der Antwort der Bundesregierung können Sie auch
entnehmen, dass der von Ihnen zitierte Fall bis zum
28. August dieses Jahres nicht gemeldet war. Ich darf in
diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass die Bewertungshoheit bezüglich der Frage, ob ein solcher Fall
in diesen Phänomenbereich eingeordnet wird, ausschließlich bei den Bundesländern liegt. Darauf hat der
Bund keinen Einfluss. Deshalb entscheiden wir auch
nicht darüber, ob eine solche Straftat als politisch motivierte Straftat zu werten und zu erfassen ist oder nicht.
Im Übrigen muss ich darauf hinweisen, dass sich die
Bundesregierung grundsätzlich nicht zu laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren äußert. Das gilt natürlich
auch für den vorliegenden konkreten Fall.
Eine Zusatzfrage? - Kollegin Pau.
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, natürlich ist mir bekannt, dass Sie sich nicht zu laufenden
Verfahren äußern. In diesem konkreten Fall sind wir allerdings mit der Situation konfrontiert, dass die mutmaßlichen Täter wegen rechtsextrem motivierter Straftaten
schon einschlägig verurteilt waren und dass die zuständige Staatsanwaltschaft Neuruppin ein rechtsextremes
Motiv deshalb nicht ausschließen will. Gibt es eine
Möglichkeit, dies in Zukunft auch in den entsprechenden
Statistiken zum Ausdruck zu bringen? Ansonsten wäre
das nämlich, auch für die Öffentlichkeit, ein großer Widerspruch. Denn über diesen Fall wurde - zu Recht umfassend berichtet, und die Öffentlichkeit hat sich damit intensiv auseinandergesetzt. In der Statistik aber
steht, dass es im Juli dieses Jahres keine solche Straftat
gegeben hat.
Frau Kollegin, ich glaube nicht, dass man das von Ihnen beschriebene Problem durch eine Änderung der Statistik in den Griff bekommen kann. Wenn Sie zeitnah
Fallzahlen haben wollen, werden Sie immer nur vorläufige Fallzahlen haben können. Außerdem halte ich es für
angezeigt und richtig - nicht nur, weil Deutschland ein
föderales Land ist, sondern auch aufgrund der Sachnähe -,
dass die einzelnen Bundesländer darüber entscheiden,
wie sie einen Fall einordnen und bewerten. Darüber
müssen dann unter Umständen die im betreffenden
Landtag vertretenen Fraktionen mit der jeweiligen Landesregierung diskutieren.
Gut. Soweit ich weiß, geschieht das gerade.
Ich habe eine zweite Nachfrage: Würden Sie persönlich - unabhängig von der Statistik - aufgrund der Tatsache, dass die beiden Tatverdächtigen am Tattag und während der Tatausübung ein T-Shirt mit dem Bild des
Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß bzw. ein Sweatshirt mit
der Aufschrift „Frontkämpfer“ trugen, zumindest einen
Anfangsverdacht als gegeben ansehen, dass diese StrafPetra Pau
tat rechtsextrem motiviert gewesen sein könnte, dass die
Täter ihre Gesinnung also sozusagen mit an den Tatort
getragen haben?
Frau Kollegin, es ist ehrenwert, dass Sie es immer
wieder versuchen. Ich habe aber vorhin schon darauf
hingewiesen, dass sich die Bundesregierung nicht zu
laufenden Ermittlungs- und Strafverfahren äußert, auch
nicht in allgemeiner Form.
Die Frage 2 der Kollegin Zimmermann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft
und Technologie wird schriftlich beantwortet.
Die Frage 3 des Kollegen Nouripour und die Frage 4
des Kollegen Ströbele zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung sowie die Frage 5 des
Kollegen Nouripour zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit werden ebenfalls schriftlich
beantwortet.
Ich rufe nun die Frage 6 des Kollegen Dr. Seifert zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung
und Forschung auf:
Inwieweit wird die Bildung von Menschen mit Behinderung auf dem am 22. Oktober 2008 in Dresden stattfindenden
Bildungsgipfel sowie in der dort zur Debatte stehenden Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung „Aufstieg durch Bildung“ thematisiert werden?
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. - Bitte sehr.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter
Seifert, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung misst den Bildungsbelangen von Menschen
mit Behinderung und von Menschen, die von Behinderung bedroht sind, besondere Bedeutung bei. Sie setzt
sich dafür ein, dass sich alle am Bildungsgipfel Beteiligten diesbezüglich auf konkrete Maßnahmen verständigen.
Eine Zusatzfrage? - Herr Kollege Seifert.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Storm,
Sie haben bereits am 18. Juni dieses Jahres, als ich Sie
danach fragte, gesagt, dass dieses Thema auf dem Bildungsgipfel eine Rolle spielen wird. Aber all dem, was
im Hinblick auf diesen Gipfel bis jetzt durchgedrungen
ist, habe ich nicht entnehmen können, dass zum Beispiel
die Frage, ob wir inklusiv oder integrativ bilden sollten
- darüber ist bereits sehr breit diskutiert worden -, überhaupt eine Rolle spielt. Immerhin wurde sowohl von
Herrn Muñoz, dem UNO-Sonderberichterstatter für Bildung, als auch in der UN-Konvention über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen betont, dass inklusive
Bildung angesagt wäre.
Herr Kollege Seifert, das spielt indirekt eine Rolle.
Ich möchte Ihnen zwei Themen nennen, bei denen die
Bundesregierung darauf dringt, dass sie beim Bildungsgipfel mitbehandelt werden.
Zum Ersten geht es um die Bereiche Frühkindliche
Bildung und Förderschulen. Wir setzen uns dafür ein,
dass die Frühförderung nach SGB IX für behinderte und
für von Behinderung bedrohte Kinder bundesweit flächendeckend angeboten wird. Beim zweiten Thema geht
es darum, welche Chancen Menschen mit Behinderung
auf einen Hauptschulabschluss haben, und zwar unabhängig davon, ob sie die Hauptschule oder eine Förderschule besuchen. Wir setzen uns dafür ein, dass auch
Schülerinnen und Schüler an Förderschulen mit entsprechendem Leistungspotenzial dort ihren Hauptschulabschluss erwerben können.
Wenn Sie sich den Nationalen Bildungsbericht 2008
vom Juni anschauen, dann werden Sie feststellen, dass
nahezu die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, die keinen Hauptschulabschluss haben, aus Förderschulen
kommen. Deshalb muss eine Doppelstrategie verfolgt
werden: Zum einen muss denjenigen, die die Möglichkeit haben, eine Hauptschule zu besuchen, dies ermöglicht werden - auch durch Frühförderung -, zum anderen
muss denen, die eine Förderschule besuchen, auch die
Möglichkeit gegeben werden, einen entsprechenden Abschluss zu erreichen.
Sie sehen also, dass es eine Reihe von Maßnahmen
gibt, an denen wir ein starkes Interesse haben, damit die
Dinge im Interesse der Menschen mit Behinderung zu
guten Ergebnissen geführt werden.
Zweite Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Kollege Seifert.
Vielen Dank für die beiden Informationen. Das ändert
aber nichts an der Tatsache, dass die grundsätzliche
Frage dort offensichtlich nicht gestellt wird: Ist ein Bildungssystem zukunftsfähig, in dem Menschen mit Behinderung erst einmal ausgesondert werden, um sie dann
über Förderschulen wieder zu integrieren, oder ist ein
Bildungssystem zukunftsfähig, bei dem von vornherein
davon ausgegangen wird, dass Menschen mit Behinderung - also auch Kinder mit Behinderung - Teile der Gesellschaft sind und in die Regelschule gehören? Das
muss der normale Weg sein. Über andere Bildungs- und
pädagogische Konzepte müssen die Förderung der Kinder mit und ohne Behinderung und das Leben von Kindern mit und ohne Behinderung gemeinsam gestärkt
werden.
Diese Frage müsste auf einem solchen Nationalen
Bildungsgipfel diskutiert werden, damit wir endlich ein18932
mal aus der Falle der Aussonderung mit anschließender
Integration herauskommen.
Herr Abgeordneter Seifert, Ziel der Bundesregierung
ist es ja, dass Menschen mit Behinderung im Bildungsbereich die gleichen Chancen wie Menschen ohne Behinderung haben.
Ich habe eben schon angesprochen, dass wir versuchen, dass möglichst viele Menschen mit Behinderung
oder Menschen, die von Behinderung bedroht sind, die
Möglichkeit haben, Bildung auf dem normalen schulischen Weg vermittelt zu bekommen. Das setzt aber voraus, dass wir sehr früh und präventiv aktiv werden.
Hierfür setzen wir uns ein. Wir müssen uns aber auch
und gerade um die Jugendlichen kümmern, die zum Beispiel in Förderschulen eine spezifische Förderung erhalten, damit auch sie die Chance auf einen regulären
Schulabschluss erhalten.
Im Übrigen werden natürlich auch Systemfragen behandelt, allerdings nur am Rande - sie sind nur ein Aspekt -; denn auf diesem Bildungsgipfel ist ja die gesamte Palette der bildungspolitischen Themen zu
behandeln: von der frühkindlichen Bildung bis hin zur
berufsbegleitenden Weiterbildung über alle Stationen
und für behinderte und nichtbehinderte Menschen zugleich.
Weitere Fragen dazu gibt es nicht.
Die Frage 7 der Kollegin Cornelia Hirsch wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Warum ist es zu dem radikalen Strategiewechsel von der
trockenen Lagerung zu einer Nasslagerung von Atommüll in
Asse II gekommen, und welche Personen im Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, waren in die Entscheidung einbezogen?
Bitte schön.
Frau Kollegin Höhn, wie Sie wissen, treten in der
Asse seit 1988 entgegen den früheren Erwartungen täglich rund 12 Kubikmeter Flüssigkeit aus dem sogenannten Deckgebirge aus. Dementsprechend musste diesem
Umstand mit einem zu erarbeitenden Schließungskonzept Rechnung getragen werden.
Auf dieser Basis hat der Betreiber der Schachtanlage
Asse, das Helmholtz Zentrum München, im Januar 2007
einen Schließungsantrag gestellt, in dem die Verfüllung
der Grubenhohlräume und der Schächte mit geeigneten
Materialien unter Zugabe eines sogenannten Schutzfluids vorgesehen ist. Dieser Antrag wird derzeit auf Bitten der Genehmigungsbehörden vom derzeitigen Betreiber HMGU überarbeitet. Mögliche Alternativen zu
diesem Schließungskonzept werden durch den Prozess,
den die Bundesforschungsministerin auf den Weg gebracht hat, angestoßen und parallel von der Arbeitsgruppe Optionenvergleich erarbeitet.
Ich will schließlich daran erinnern, dass die zuständige
Genehmigungsbehörde das niedersächsische Landesamt
für Bergbau, Energie und Geologie ist. Mit anderen Worten: Das BMBF ist nicht die Genehmigungsbehörde und
wird daher über Entscheidungen zum Schließungskonzept informiert, aber nicht in die Entscheidungen einbezogen.
Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Höhn.
Herr Staatssekretär, das hört sich sehr verwaltungsmäßig an. Es hieß immer, dass der Wassereinbruch bei
der Asse der größte anzunehmende Unfall sei. Professor
Klaus Kühn - der damalige Leiter der Asse - hat das
weitestgehend ausgeschlossen. Er hat 1976 gesagt: Wasser- und Laugeneinbrüche seien mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen.
Diese Annahme schlug fehl. Plötzlich gab es Wasserund Laugeneintritte in der Asse. Wann hat das Ministerium davon erfahren, und wie haben Sie auf diese dramatische Änderung reagiert? Es reicht nicht aus, sich zu
fragen, wie man die Asse verschließen kann.
Wie haben Sie darauf reagiert? Welche Besprechungen hat es gegeben? Was hat die Hausspitze dazu gesagt? Es war schließlich eine dramatische Veränderung.
Das Atomlager sollte 500 000 Jahre halten. Jetzt stellen
wir fest, dass es schon nach 40 Jahren nicht mehr dicht
ist. Das ist ein großer Unterschied in der Zeitspanne.
Wie haben Sie darauf reagiert? Sie haben den Betreiber immerhin zu über 90 Prozent finanziert und waren
damit praktisch der Besitzer des Betreibers.
Frau Kollegin Höhn, ganz so einfach, wie Sie es in
Ihrer Frage zu zeichnen versuchen, ist es nicht. Vielmehr
haben, wie ich bereits beschrieben habe, die Beteiligten
und der Betreiber 1988 festgestellt, dass in die Asse täglich rund 12 Kubikmeter Flüssigkeit eintreten. Das hat
sich als dauerhaft herausgestellt.
Auf diesen Sachverhalt muss ein Schließungskonzept
- wenn es denn erarbeitet wird - Rücksicht nehmen.
Diesen gravierenden Gesichtspunkt hat dann auch das
spätere Helmholtz-Zentrum München, das dann Betreiber wurde, in seinem Schließungsantrag, der im Jahr
2007 gestellt wurde, entsprechend berücksichtigt. Ich weise
noch einmal darauf hin, dass nicht das Bundesministerium für Bildung und Forschung die zuständige Genehmigungsbehörde ist, sondern das Landesbergamt.
Weitere Frage.
Herr Staatssekretär, der Betreiber hat, wie Sie eben
ausgeführt haben, die Flutung des Atomlagers mit Magnesiumchloridlösung befürwortet. Mich interessiert, wer
das entschieden hat, wann die Entscheidung getroffen
worden ist und auf welcher Grundlage dies erfolgte.
Schließlich gab es schon eine Empfehlung im Zusammenhang mit der Gefahrenabschätzung von 1993 bis
1997, in der eindeutig festgestellt wurde, dass es massive
Probleme mit dieser Lösung gibt.
Auf welcher Grundlage ist das gemacht worden? Wer
hat das im Ministerium abgesegnet?
({0})
- Er war aber nicht in dem Ministerium, von dem wir
sprechen. Sie müssen sich schon erkundigen, Herr Kollege.
({1})
Nun hat zur Beantwortung der Staatssekretär Rachel
das Wort.
({0})
- So ähnlich hatte ich das auch verstanden. Es schien
aber Irritationen zu geben. Deswegen haben wir das jetzt
klargestellt. - Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, in Ihrer Frage
kommt ein weiteres Missverständnis zum Ausdruck. Es
ist bisher nicht genehmigt, dass die Grubenhohlräume
und Schächte, wie ich es formuliert habe, mit geeigneten
Materialien und einem Schutzfluid gefüllt werden. Dies
ist Gegenstand bzw. Grundlage des Schließungskonzepts
des Betreibers. Dieses Schließungskonzept liegt auch
der zuständigen Genehmigungsbehörde vor. Die Genehmigungsbehörde hat erheblichen Änderungsbedarf gesehen. Daran arbeitet der derzeitige Betreiber.
Unabhängig davon haben wir, das Bundesforschungsministerium, durch den engen Dialog, den wir mit den
Verantwortlichen in der Region hatten, die enge Kooperation mit dem BMU und die Diskussionen im Umweltausschuss dafür Sorge getragen, dass ein genereller Optionenvergleich durchgeführt wird, der Ende dieses
Jahres Ergebnisse zeitigen wird. Wenn diese vorliegen,
werden alle unterschiedlichen Konzepte zu bewerten
sein.
Prädident Dr. Norbert Lammert:
Nun gibt es noch Zusatzfragen zum gleichen Thema.
Frau Höhn, bevor ich Ihre zweite schriftliche Frage aufrufe, erhält als Erste die Kollegin Kotting-Uhl das Wort.
Herr Staatssekretär, Frau Höhn hat eben Professor
Klaus Kühn von 1976 zitiert, wonach Wasser- und Laugeneinbrüche mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen seien. Das bezog sich auf die
Asse.
Ich will noch ein Zitat hinzufügen - Professor Kühn
war Betriebsleiter der Asse -:
Ziel war es, für ein geplantes Endlager im Salzstock
Gorleben die entsprechenden Techniken und die
wissenschaftlich-technischen Daten zu ermitteln
und bereitzustellen. Der Salzstock Gorleben war in
der Eignungsuntersuchung. Wir von der GSF sollten im Forschungsbergwerk Asse die entsprechenden Technologien und wissenschaftlichen Untersuchungen durchführen.
Die logische Frage nach der Verantwortung, die sich
daran anschließt, lautet: Welche Forschungsarbeiten im
Zusammenhang mit Asse sind in die Planungen zu Gorleben eingeflossen, und inwieweit gibt es zwischen beiden Planungen eine personelle und institutionelle Kontinuität?
Sehr geehrte Frau Kollegin, das von Ihnen angeführte
Zitat kontrastiert ganz eindeutig mit den seit 1988 festgestellten Veränderungen im Salzbergwerk Asse; das
stelle ich an dieser Stelle einfach fest.
Zu der Frage nach den Forschungsaktivitäten: Es ist
wohl so gewesen, dass in früheren Jahrzehnten im genehmigten Verfahren Forschungsaktivitäten hinsichtlich
Techniken, Verfahren und Umgang stattgefunden haben.
Dabei ging es um die Frage nach der Einlagerung von
schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Dazu gibt es
umfangreiche Veröffentlichungen. Sie können die Jahresberichte lesen und diesen die einzelnen Ergebnisse
entnehmen.
Frau Kollegin Pothmer.
Ich finde, die Frage von Frau Kotting-Uhl ist eigentlich nicht beantwortet worden; denn die Frage lautete,
welche Konsequenzen aus der Tatsache für Gorleben gezogen worden sind, dass in der Asse, die als Prototyp für
Gorleben angelegt wurde, erforscht werden sollte, ob
Atommüll in Salz eingelagert werden kann. Dann ist der
größte anzunehmende Unfall eingetreten. Die entscheidende Frage lautet: Welche Konsequenzen muss das aus
Ihrer Sicht für Gorleben haben, und was haben Sie in
diesem Kontext unternommen?
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Frage ist sehr wohl
richtig beantwortet worden. Allerdings enthält Ihre
Frage eine Hypothese, die nicht richtig ist. Asse ist nicht
Prototyp für Gorleben gewesen. Vielmehr sind dort Untersuchungen durchgeführt worden, wie ich sie gerade
beschrieben habe. Das gilt auch im Hinblick auf die
Materialien, die dort in Forschungsarbeiten untersucht
wurden. Diese werden in Gorleben nicht eingelagert. Insofern ist der eine Sachverhalt nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem anderen zu sehen.
Ich will darüber hinaus darauf hinweisen, dass Gorleben ein unberührter Salzstock ist, der im Gegensatz zu
Asse über Tausende von Jahren nicht angetastet war,
während es sich bei Asse um einen stillgelegten Salzstock handelt, der aus riesigen Löchern besteht. Das ist
schon vom Grundansatz her etwas völlig anderes. Das ist
sicherlich einleuchtend.
Kollege Hill.
Herr Staatssekretär, etwas verwundert mich an Ihren
Ausführungen. Wir wissen, dass die Genehmigungsbehörden in dem entsprechenden Bundesland angesiedelt
sind. Trotz allem war die Helmholtz-Gesellschaft bzw.
die vorher tätige Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in der Verantwortung. Mir als normalem Bürger stellt sich erst einmal die Frage, wer überhaupt die
Eignungsprüfung dieser Einrichtung durchgeführt hat.
Dabei will ich die Helmholtz-Gesellschaft, die ja auch in
anderen Bereichen forscht, nicht allgemein verdächtigen. Letztendlich ist aber die Frage der Eignung des Betreibers ein ganz wesentlicher Punkt. Ich bin der Meinung, dass wir von der Bundesebene nicht auf die
Länder verweisen dürfen; vielmehr haben auch wir Verantwortung. Deswegen möchte ich Sie bitten, mir die
Frage zu beantworten, was Sie getan haben, um die Eignung von Anfang an festzustellen.
Vielen Dank, Herr Kollege. Wie Sie vielleicht wissen,
ist zum damaligen Zeitpunkt die Betreiberfunktion von
der GSF an das Helmholtz-Zentrum München - HMGU übergegangen. Die Finanzierung ist, da es eine HGFEinrichtung ist, zu 90 Prozent vom Bund und zu 10 Prozent vom Land zu tragen. Die Genehmigung und die
Aufsicht liegen in anderen Händen. Die Genehmigung
liegt in der Zuständigkeit des Landesbergamtes, die Aufsicht ist vom niedersächsischen Umweltministerium
wahrzunehmen, und sie ist auch wahrgenommen worden. Für die Aufsicht über die Aufsicht ist das Bundesumweltministerium zuständig.
({0})
Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Kurth.
Hier kann jeder fragen, was er will, und jeder kann
antworten, was er will. Das ist die Geschäftsordnungslage.
Bitte schön.
Vielen Dank für dieses großzügige Angebot, Herr
Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben eben auf den
sehr engen Dialog zwischen allen Beteiligten hingewiesen. Ich aber habe den Eindruck, dass dieser enge Dialog
nicht unbedingt dazu führt, dass Sie uns gegenüber aussagefähig sind; denn es verwundert mich schon, wie oft
Sie darauf verweisen, dass andere zuständig waren und
dass Ihre Antworten sich nur auf die gemachten Aussagen beschränken können. Eben haben Sie uns sehr klar
dargelegt, dass zwischen Gorleben und Asse kein wirklicher Zusammenhang hergestellt werden kann, weil die
Asse anders als Gorleben strukturiert ist. Es hat aber unter der Asse die Forschung an einer Kaverne gegeben,
um den Zustand eines unberührten Salzstockes - wir
vermuten, für Gorleben - zu testen. Dieser Versuch ist
Anfang der 90er-Jahre eingestellt worden. Jetzt unterstelle ich, dass der Grund nicht gewesen sein kann, dass
Sie alle keine Lust mehr hatten, sondern dass es einen
anderen Grund dafür gegeben haben muss. Ich möchte
von Ihnen wissen, ob Ihnen dieser Grund bekannt ist und
ob dieser Grund in andere Entscheidungen eingeflossen
ist.
Vielen Dank, Frau Kollegin. Entgegen Ihrer in der
Frage deutlich werdenden Grundthese dienten die Forschungsarbeiten an der von Ihnen angesprochenen Kaverne nie der Simulation des Endlagers Gorleben. Die
Forschungsarbeiten, die dort stattgefunden haben, betrafen die Einlagerung von mittelaktiven Abfällen. Insofern
stellt dies etwas ganz anderes dar. Soweit mir bekannt ist
- ich muss das mit diesem Vorbehalt sagen -, hat man
die Versuche beendet, als nicht mehr klar war, ob die
Stabilität dauerhaft in dem Bereich gewährleistet ist. Der
Gegenstand der Untersuchung war aber ein anderer und
hat nichts damit zu tun, was in Gorleben diskutiert bzw.
beabsichtigt wird.
({0})
Nein, tut mir leid, aber Sie können es vielleicht im
Zusammenhang mit der nächsten Frage der Kollegin
Höhn noch einmal versuchen.
Herr Kollege Hofreiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bedanke mich
auch für die klarstellende Bemerkung, dass jeder fragen
kann, was er will, und jeder antworten kann, was er will.
Der Staatssekretär macht davon reichlich Gebrauch.
Man hat den Eindruck, seine Antworten haben mit der
Realität überhaupt nichts zu tun, aber offensichtlich
macht das nichts.
({0})
Wir probieren es trotzdem mit einer weiteren Frage.
Im November 2005 ist bekannt geworden, dass der
Langzeitsicherungsnachweis für Asse auf unbekannte
Zeit verschoben wurde, weil es neue Erkenntnisse gebe.
Was waren diese Erkenntnisse, und wann haben das Ministerium und die Hausspitze davon erfahren?
Herr Kollege, diese Frage werde ich Ihnen gerne
schriftlich beantworten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Dückert
das Wort.
Herr Staatssekretär, ich möchte doch noch einmal auf
die Frage zurückkommen, die die Kollegin Kurth gestellt hat. Sie haben gesagt, in dem besagten Jahr ist
deutlich geworden, dass die Kaverne nicht stabil ist und
die Untersuchungen in der unberührten Kaverne unterhalb der Asse deswegen beendet wurden. Wenn dort
Instabilitäten festgestellt worden sind, dann frage ich
mich, warum dann die Asse weiterhin betrieben wurde.
Warum sind dann nicht für die Asse selbst Konsequenzen gezogen worden, wenn festgestellt worden ist, dass
im gesamten Bergwerk Instabilitäten bestehen?
Vielen Dank, Frau Kollegin. - Zum eigentlichen
Sachverhalt habe ich Ihnen bereits alles gesagt. Zu der
Frage, welche Folgerungen sich daraus für die Asse insgesamt ergeben, wissen Sie, dass es Untersuchungen und
Gutachten gegeben hat, in denen genauestens berechnet
wurde, wie lange die Stabilität von Asse aufrechterhalten werden kann. Nach dem derzeitigen Informationsstand, der uns vorliegt, kann die Stabilität bis zum Jahr
2014 gewährleistet werden, weshalb sich alle Beteiligten
bemühen, egal ob auf Landes- oder auf Bundesebene, innerhalb dieses Zeitraums eine zügige Schließung zu ermöglichen.
Zurzeit sieht es so aus, dass diese Gutachten noch einmal genau betrachtet werden. Es wird geschaut, ob es
Möglichkeiten gibt, den Zeitraum bis 2014 noch ein
Stück zu verlängern, weil wir die Zeit bis dahin - das hat
die Sitzung des Umweltausschusses gezeigt - klug nutzen müssen. Auf jeden Fall ist es das Ziel, die Schließung zu ermöglichen, bevor die Stabilität der gesamten
Asse nicht mehr zu 100 Prozent gewährleistet werden
kann.
({0})
Zur nächsten Frage hat der Kollege Tauss das Wort.
Ein kleiner Hinweis an die Fragesteller, weil hier
mehrmals von „Helmholtz-Gesellschaft“ die Rede war.
Es handelt sich um die Helmholtz-Gemeinschaft. Worüber wir hier reden, ist das Helmholtz Zentrum München. Bevor man hier Vorwürfe in den Raum stellt, sollten sie richtig adressiert sein.
Herr Staatssekretär, meine Frage an Sie ist, ob es Ansatzpunkte dafür gibt, dass das Helmholtz Zentrum
München als Betreiber an irgendeiner Stelle Maßnahmen vorgenommen hat, die nicht den behördlichen Genehmigungen entsprochen haben. Ich erinnere an Genehmigungen aus dem Landesbergamt. Können Sie mir
bestätigen, dass hier und auch in den Gesprächen, die
wir geführt haben, niemand gesagt hat, dass das
Helmholtz Zentrum Verantwortung für Vorgänge aus
den 60er-Jahren trägt, als eine in der Tat verantwortungslose Politik, die heute noch von Teilen der Kernkraftindustrie betrieben wird, diese chaotische Einlagerung
vorgenommen hat? Es geht mir darum, die Verantwortlichkeiten in diesem Bereich klarer darzustellen.
Vielen Dank, Herr Kollege Tauss. - Der Betreiber,
also das Helmholtz Zentrum München, hat, soweit mir
bekannt ist, sein Vorgehen in einem Abstimmungsprozess mit dem zuständigen Landesbergamt festgelegt. Die
verschiedenen Maßnahmen, auch die baulichen Maßnahmen, sind in der Vergangenheit ebenfalls mit den Genehmigungsbehörden abgestimmt gewesen. Sie wissen
vielleicht, dass die aktuellen Baumaßnahmen in der Asse
aufgrund einer Anordnung des NMU im Juni gestoppt
worden sind.
Unabhängig davon: Was die Frage des Umgangs betrifft, wie im Bereich der Asse gewirkt worden ist, vor
allem in Bezug auf die kontaminierten Laugen, muss
man davon ausgehen, dass es zwischen dem Landesbergamt und dem Bundesumweltministerium unterschiedliche Rechtsauffassungen gibt, wie das im Statusbericht auch sichtbar geworden ist.
Eine weitere Nachfrage zur Beantwortung der Frage 8
stellt jetzt der Kollege Rainder Steenblock.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
ich würde den Zusammenhang zwischen Asse und Gorleben doch gern etwas klarer herausarbeiten. Wenn ich
Ihre Antworten richtig verstanden habe, haben Sie das
heute hier so dargestellt, als wenn das Forschungsvorhaben in der Asse und die Untersuchung von Gorleben
nichts miteinander zu tun haben. Mein Wissensstand ist,
dass - dazu gibt es eine Reihe von Zitaten und Belegen in der Asse Verfahren und Techniken untersucht werden
sollten, wobei sich die Ergebnisse der Forschungsarbeiten auf den Standort Gorleben, auch wenn dieser nicht
direkt vergleichbar ist, beziehen sollten. Das sollte also
nicht allgemeine Grundlagenforschung sein, sondern einen Anwendungsfall haben. Können Sie bestätigen, dass
Gorleben dieser Anwendungsfall sein sollte und dass
das, was man in der Asse erforscht, in Gorleben zu Konsequenzen führen sollte? Oder ist es so, dass es für Gorleben keine anderen Forschungsarbeiten als die in Gorleben selber gibt, also die Asse wirklich überhaupt nichts
damit zu tun hat?
Wie Sie vielleicht wissen, ist für die Thematik Gorleben das Bundesumweltministerium zuständig. Insofern
werde ich mich mit meiner Antwort auf das in der Gesamtzuständigkeit des BMBF befindliche Bergwerk
Asse beziehen.
Die Forschungsarbeiten, die dort über Jahre und Jahrzehnte stattgefunden haben, haben sich ganz vordringlich mit der Frage der Einlagerung von schwach- und
mittelradioaktiven Abfällen befasst. Wenn Sie genauere
Detailinformationen, auch über die Ergebnisse, haben
wollen, ist das kein Problem. Die Dinge sind veröffentlicht. Dazu gibt es umfangreiche Publikationen. Ich
möchte es der Wissenschaft überlassen, welche Schlussfolgerungen sie im Einzelnen aus diesen Punkten zieht.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zur Frage 9 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Wann hat das BMBF zum ersten Mal von radioaktiver
Kontaminierung der Flüssigkeit im Salzstock Asse II Kenntnis erlangt, und wann wurde die „Hausspitze“ darüber informiert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, ich darf Ihnen dazu
antworten: Die Überschreitung der Freigrenze für mit
Caesium-137 kontaminierte Lauge in der Schachtanlage
Asse ist dem BMBF und auch der Hausspitze zeitgleich
mit der Öffentlichkeit, dem NMU und dem Bundesumweltministerium am 13. Juni 2008 bekannt geworden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, mir liegt ein Brief vom
27. Juli 2001 vor. Darin schreibt die GSF, das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit - das war
damals für die Asse zuständig und ist in der HelmholtzGemeinschaft, also dem Helmholtz Zentrum München,
aufgegangen -, dass regelmäßig auf radioaktive Kontaminationen kontrolliert wird. Das Schreiben ist in Kopie
auch ans Ministerium gegangen.
Wir haben jetzt Folgendes erlebt: Da ist Lauge drin,
das ist der größte anzunehmende Unfall. Es wurde deutlich gesagt, dass nun auf radioaktive Kontamination
kontrolliert werde. Aus dem Statusbericht wissen wir,
dass seit 2001 mindestens an einer Messstelle die Freigrenzen dramatisch überschritten wurden, in jedem Jahr
ein bisschen mehr. Was hat das Ministerium daraufhin
gemacht? Sie bekommen einen Brief, in dem es heißt,
dass kontrolliert werde. Gibt es einen weiteren Brief der
GSF an das Ministerium - das ist ja zu vermuten -, in
dem sie die Messergebnisse mitteilt? Fragt das Ministerium nach, was dort gemessen wurde? Es ist, wie gesagt,
der größte anzunehmende Unfall passiert. Jetzt wird gemessen. Was tun Sie, wie reagieren Sie? Wie haben Sie
auf diesen Brief reagiert?
Vielen Dank, Frau Höhn. - Dieser Brief liegt mir hier
nicht vor, weswegen ich zu ihm unmittelbar nichts sagen
kann. Aber ich weise noch einmal darauf hin, dass über
die Überschreitung von Freigrenzen bei Caesium-137 in
kontaminierter Lauge das NMU, das BMBF und das
BMU am 13. Juni zeitgleich informiert worden sind.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Langsam platzt mir der Kragen. Sie machen hier folgendes Spiel: Das Ministerium hat nichts gesehen, nichts
gehört und nichts gewusst. Gleichzeitig sagen Sie aber
der Bevölkerung, alles ist sicher. Wie können Sie diese
Aussage treffen, wenn Sie in Ihrem Ministerium so wenig machen und so wenig über die Sache Bescheid wissen?
Frau Kollegin Höhn, ich habe das Gefühl, Ihre Frage
gleitet jetzt in einen parteipolitischen Beitrag ab. Daran
möchte ich mich nicht beteiligen. Im Jahr 2001 gab es
eine andere Bundesregierung, an der Ihre Partei beteiligt
war. Ich bin mir sicher, dass Sie Gelegenheit haben, den
damals zuständigen Bundesumweltminister Trittin zu
diesem Sachverhalt zu befragen.
({0})
Er war nämlich Aufsichtsbehörde der Aufsichtsbehörde.
Ich habe dazu an dieser Stelle alles gesagt. Im Übrigen
ist über den Informationsstand im Statusbericht des Landes Niedersachsen zur Asse alles gesagt. Dies deckt sich
nicht mit dem, was Sie hier vorgetragen haben.
Das Wort zu einer Nachfrage hat der Kollege Hill.
Herr Staatssekretär, nachdem wir bei der ersten Fragerunde relativ unzufrieden sein mussten, frage ich jetzt
nicht zur Eignung, sondern zur Forschung nach. Asse ist
eine Forschungseinrichtung, und Forschungseinrichtungen werden aus dem Bundeshaushalt finanziert. Meines
Erachtens müssten die Forschungsergebnisse daher auch
so vorliegen, dass sie verwertbar sind. Wenn es eine derartige Forschung nicht gegeben haben sollte, wie ich
vermute, dann wäre es keine Forschungseinrichtung,
sondern ein Endlager, und dann stellte sich die Frage der
Finanzierung neu. Dies bedeutete nämlich, dass es als
billiges Endlager von der Atomindustrie genutzt wird
und wir Bürgerinnen und Bürger die Zeche zahlen sollen. Ich bitte Sie, einmal zu erklären, welche Forschungsergebnisse Sie erreicht haben, die uns in Bezug
auf die Endlagerproblematik weiterbringen.
({0})
Vielen Dank, Herr Kollege. - In der gemeinsamen
Sitzung des Umwelt- und des Forschungsausschusses ist
dieses Thema bereits angesprochen worden. Der zuständige Staatssekretär hat den beiden Ausschüssen zugesagt, dass wir ihnen eine Liste der Forschungsprojekte, -aktivitäten und -ergebnisse vorlegen werden. Dies
ist am ehesten hilfreich, weil Sie sich im Detail mit den
verschiedenen Projekten und Ergebnissen auseinandersetzen können.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Brigitte
Pothmer.
Herr Staatssekretär, wir wissen immer noch nicht,
was in der Asse tatsächlich eingelagert ist. Die Begleitscheine, wenn es sie überhaupt gibt, definieren nicht
klar, was gerade eingelagert ist. Wir wissen zum Beispiel
nicht, ob es in der Asse 9 Kilogramm oder 28 Kilogramm Plutonium gibt. Was ist in Ihrem Ministerium geplant, um herauszufinden, welche gefährlichen Stoffe in
welchem Umfang in der Asse eingelagert sind?
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, im Rahmen der Erstellung des Statusberichts des Landes Niedersachsen, an
der das BMU, das BMBF und verschiedene Forschungseinrichtungen mitgewirkt haben, wurde die Inventarliste
überprüft und zusammengestellt. Ich darf aus der Seite 121
des Statusberichtes zitieren: Zusammenfassend wird
festgestellt,
dass unter Berücksichtigung der dargelegten Definition in der Lagerkammer 8a keine hochradioaktiven Abfälle … eingelagert wurden.
Auch dieser Punkt ist also untersucht worden.
Das Wort hat die Kollegin Kotting-Uhl zu einer weiteren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es bleibt ja ein sehr unbefriedigender Eindruck zurück. Man hat immer das Gefühl, die
Zeitrechnung fängt am 13. Juni 2008 an, und davor liegt
alles in einem grauen Nebel: Niemand wusste etwas,
niemand war verantwortlich bzw. die GSF, die als Einzige verantwortlich war, gibt es nicht mehr und damit
keine Fortgeltung der Verantwortung. Selbst wenn man
auf dem Standpunkt steht, dass die Zeitrechnung im Juni
2008 anfängt, kann es doch trotzdem nicht sein, dass es
vorher überhaupt keine Korrespondenzen gegeben hat.
Die Kollegin Höhn hat ja aus einem Brief zitiert, durch
den zwei Referate Ihres Ministeriums darüber in Kenntnis gesetzt wurden, dass es Messungen gab.
Wir wollen jetzt gerne wissen, wie oft und seit wann
Besprechungen des BMBF und der GSF bzw. des Nachfolgers, also des Helmholtz Zentrums München, zum
Thema Asse stattfanden, ob diese protokolliert wurden
und ob Sie uns gegebenenfalls diese Protokolle zur Verfügung stellen werden, und wenn ja, wann.
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich glaube, Sie werden Verständnis dafür haben,
({0})
dass ich Ihnen hier weder Protokolle vorlegen noch die
Anzahl der Gespräche aus der Hand nennen kann. Ich
werde aber gerne diese Frage mitnehmen und sie Ihnen
schriftlich beantworten.
({1})
Jetzt hat die Kollegin Undine Kurth das Wort zu einer
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, meine Nachfrage leite ich damit
ein, dass wir bei diesem hochsensiblen Thema relativ
wenig Verständnis für das haben, was Sie eben gesagt
haben.
Ich setze noch einmal nach: Es muss einen entsprechenden Briefwechsel gegeben haben. Wir haben eben
Passagen aus dem einen Brief vom Jahre 2001 gehört. Es
ist nun nicht nur parteipolitisch motiviert, wenn man
sehr aufmerksam und sehr kritisch allem gegenübersteht
und sehr genau verfolgt, was mit der Nutzung von
Atomtechnologie zu tun hat. So frage ich noch einmal:
Sind Sie in der Lage oder willens, uns zum Beispiel die
Korrespondenz, die sich um die Asse dreht, zur Verfügung zu stellen?
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin, die Bundesregierung wird auch in Zukunft in der von ihr als geeignet angesehenen Art und Weise die Fragen beantworten.
Ich habe jetzt noch zwei Wortmeldungen mit Nachfragen zur Frage 9. Als Erste hat das Wort die Kollegin
Dr. Thea Dückert.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben einerseits deutlich
bestätigt, dass bei der Asse sehr gefährliche Entwicklungen zu verzeichnen sind, zum Beispiel, indem kontaminierte Laugen ausgetreten sind. Sie haben andererseits
aber über die Art der Gefährlichkeit und über Zukunftsprojekte keine Aussagen machen können.
Vielleicht verstehen Sie vor diesem Hintergrund und
unterstützen uns dabei, dass wir es bei dem Aufklärungsbedarf, der objektiv bei der Bevölkerung, die dort lebt,
aber auch bei der Gesamtbevölkerung in Sachen Endlager besteht, als notwendig und auch dem Parlament gegenüber als angemessen ansehen, dass Sie alle zur Verfügung stehenden Informationen an die Abgeordneten
weitergeben. Ich denke, dass Sie sich dieser Pflicht nicht
entziehen können. Ansonsten werden wir versuchen, von
unserer Seite aus Aufklärungsarbeit bei der Bevölkerung
zu leisten.
Denken Sie also bitte noch einmal darüber nach, ob
Sie uns nicht in anderer Weise als nur durch Nichtantwort begegnen sollten. Das könnte zum Beispiel geschehen, indem Sie uns die vorhandenen Informationen, also
zum Beispiel die Protokolle, zur Verfügung stellen. Alles
andere wäre ein sehr fahrlässiger Umgang mit einer
hochgefährlichen Situation.
Herr Staatssekretär.
Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft die
Fragen im Plenum, im Ausschuss und auch darüber hinaus auf den dafür geeigneten Wegen beantworten, wie
wir es auch in der Vergangenheit gemacht haben.
({0})
Bei den Themen, die eine genaue Nachprüfung erforderlich machen, werden wir das selbstverständlich nachreichen.
({1})
Nun stellt der Kollege Dr. Hofreiter noch eine Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wir verstehen Ihre
Antwort so, dass wir die Protokolle bekommen. Das sehen wir nämlich als die einzige geeignete Art und Weise
an, es nachzuprüfen.
Ich habe eine weitere Frage. Es gab eine Reihe von
Untersuchungen, die die GSF - sie gibt es ja nicht mehr
in dieser Form, bzw. sie hat ihren Namen geändert - an
der Asse hat durchführen lassen. Es gibt starke Hinweise
darauf, dass bei den eigenen Untersuchungen der GSF
festgestellt worden ist, dass bei der Asse jederzeit mit
Wassereinbrüchen und Radioaktivitätskontaminationen
zu rechnen ist. Diese Gutachten sind angeblich zur
Kenntnis genommen worden, aber es sind daraus keine
Konsequenzen gezogen worden. Liegen diese Gutachten
dem Forschungsministerium vor, oder hat das Forschungsministerium die Institute so wenig im Griff, dass
die Daten dort in den untersten Schubladen verschwunden sind?
Vielen Dank für Ihre Frage. - Zunächst möchte ich
zum Ausdruck bringen, dass ich Ihr Verständnis meiner
Antwort ausdrücklich nicht teile.
Natürlich sind vor allem die Genehmigungsbehörden
mit entsprechenden Unterlagen ausgestattet worden,
weil sie bewerten mussten, ob sie eine Genehmigung erteilen. Einen Informationsaustausch mit dem BMBF hat
es auch gegeben.
Nun liegen immer noch zwei Nachfragen zu Frage 9
vor. Liebe Kollegen, ich bitte darum, jetzt Fragen zu formulieren; das war keine Kritik am Kollegen Hofreiter,
sondern an vorhergehenden Fragestellungen.
Kollege Rainder Steenblock hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Natürlich stelle ich
eine Frage. - Herr Staatsekretär, Sie lesen hier vor, dass
in Asse nur schwach- oder mittelradioaktive Substanzen
eingebracht worden sind. Im Aktivitätsbericht der GSF
aus dem Jahre 2002 und wohl auch im Statusbericht
steht allerdings, dass zwischen 9 und 28 Kilogramm Plutonium eingelagert sind. Sie wissen wahrscheinlich, welche Funktion Plutonium in der Atomindustrie hat und
welche Giftigkeit von dieser Substanz ausgeht.
Einerseits sagen Sie uns hier, dass solche Substanzen,
die hochradioaktiv sind, nicht eingelagert wurden. Andererseits stehen diese Mengenangaben in den Dokumenten. Ist es dann so - das ist die Frage -, dass Sie selber
nicht darüber informiert sind, was da tatsächlich passiert
ist, oder informieren Sie das Parlament - um es einmal
vorsichtig auszudrücken - wissentlich nicht über die
Wahrheit?
An Ihren Kommentierungen möchte ich mich nicht
beteiligen.
({0})
Ich verweise auf das, was der Statusbericht festgestellt
hat. Der Statusbericht hat keine Hinweise auf hochradioaktive Abfälle gegeben. Im Gegenteil: Ich verweise auf
Seite 121, wo ausdrücklich steht, dass „keine hochradioaktiven Abfälle“ eingelagert worden sind.
Frau Kollegin Kurth zur Geschäftsordnung.
Danke, Frau Präsidentin. - Ich möchte für meine
Fraktion sagen, dass wir aufgrund der Art und Weise der
Beantwortung, zumindest in Bezug auf Inhalt und Ausführlichkeit, unsere Fragen nicht als ausreichend beantwortet ansehen. Wir haben erheblichen Nachfragebedarf
und bitten darum, dass die Ministerin uns jetzt Rede und
Antwort steht.
({0})
Wir stimmen über das Begehren, die Ministerin herbeizurufen, ab. Wer stimmt diesem Begehren zu? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? ({0})
Das Präsidium ist sich nicht einig in der Feststellung des
Abstimmungsergebnisses. Daraus folgt, dass wir das
Abstimmungsergebnis per Hammelsprung feststellen
müssen.
({1})
Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, den Saal
zu verlassen.
Sind alle Türen besetzt? - Dann wird die Abstimmung jetzt eröffnet. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, wieder in den Plenarsaal zu kommen.
Da es vom Präsidium aus nicht zu erkennen ist, frage
ich: Gibt es Kolleginnen und Kollegen, die noch nicht
Gelegenheit hatten, durch die entsprechend gekennzeichneten Türen zu gehen? Falls ja, bitte ich diese, den
Plenarsaal wieder zu betreten, damit die Schriftführer
das Abstimmungsergebnis feststellen können.
Ich bitte um ein Signal von den Schriftführern an den
Türen, ob inzwischen alle Kolleginnen und Kollegen
den Saal betreten konnten und das Abstimmungsergebnis festgestellt werden kann. - Das ist offensichtlich
noch nicht der Fall.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die noch an
der Abstimmung teilnehmen wollen, jetzt durch die entsprechend gekennzeichneten Türen zu treten.
Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftführer
um ein Signal, ob ich die Abstimmung schließen kann. Das war das Signal. Die Abstimmung ist geschlossen.
Ich bitte die Schriftführer, mir das Ergebnis zu übermitteln.
Wir haben das Abstimmungsergebnis festgestellt. Ich
bitte Sie, Ihre Gespräche einzustellen, damit ich es bekannt geben kann. Für den Antrag auf Herbeirufung der
Ministerin haben 65 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein stimmten 249, kein Kollege und keine
Kollegin hat sich enthalten. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.
Gleichwohl sind wir immer noch bei der Frage 9 der
Kollegin Bärbel Höhn zum Komplex Schachtanlage
Asse. Als letzte Nachfragerin zu dieser Frage hat nun die
Kollegin Schewe-Gerigk das Wort. - Frau Kollegin
Schewe-Gerigk, warten Sie bitte noch einen Moment.
Ich bitte auch den Herrn Staatssekretär um einen Moment Geduld, bis uns die Kolleginnen und Kollegen, die
sich nicht an der Weiterführung der Fragestunde beteiligen wollen oder können, die Möglichkeit geben, die Fragestunde in der verabredeten Ordnung weiterzuführen.
Herr Staatssekretär, ich spreche nicht nur im Namen
meiner Fraktion. Ich habe gerade von vielen Kollegen
und Kolleginnen gehört, dass sie unzufrieden damit sind,
wie unsere Fragen in diesem Hause beantwortet wurden:
Sie wollen uns keine Protokolle zur Verfügung stellen;
Sie wollen uns den Schriftverkehr nicht zur Verfügung
stellen. Jetzt versuche ich es ein allerletztes Mal: Der
Betreiber von Asse muss Halbjahres- und Jahresberichte
bzw. Fortschrittsberichte erstellen. Können Sie uns diese
Schriftstücke komplett zur Verfügung stellen?
Frau Kollegin, ich bin gern bereit, dies im Ministerium zu prüfen. Ich werde Sie dann informieren.
Allerletzte Nachfrage. Kollegin Müller.
Auch von mir noch einmal die Frage, weil die Antworten eben sehr ungenau, unzureichend und unbefriedigend waren: Sehen Sie sich in der Lage, uns bis zur
nächsten Sitzungswoche einen detaillierten Bericht vorzulegen, in dem auf die Frage eingegangen wird, welche
Kerstin Müller ({0})
Forschungsarbeiten aus Asse in die Planung von Gorleben eingeflossen sind bzw. welche institutionellen und
personellen Überschneidungen es bei beiden Lagern
gab, damit wir den Informationsstand in diesem Hause
etwas erhöhen können?
Frau Kollegin Müller, die Fragen habe ich aufgenommen, und ich werde Ihnen gern einen Bericht dazu vorlegen.
({0})
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Die Fragen 10 und 11 zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes zum Komplex „Bildungsreise der Bundeskanzlerin“, gestellt von
dem Kollegen Dr. Ilja Seifert und der Kollegin Cornelia
Hirsch, werden schriftlich beantwortet.
Auch die Frage 12 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
die zur Suspendierung einer Redakteurin der China-Redaktion der Deutschen Welle gefragt hat, wird schriftlich
beantwortet.
({0})
- Ich will nicht versäumen, trotz alledem bekannt zu geben, dass sich die Staatsministerin Hildegard Müller sehr
auf die Beantwortung dieser Fragen vorbereitet hat.
Aber die Kollegen haben in der Zwischenzeit den
Wunsch nach schriftlicher Beantwortung signalisiert.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister
Günter Gloser zur Verfügung.
Die Fragen 13 und 14 des Kollegen Paul Schäfer zum
russisch-georgischen Konflikt werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die
Einbindung der 167 US-Militärberater in Georgien in das militärische Vorgehen gegenüber Südossetien vor?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Die Antwort lautet:
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darüber
vor.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich bin tief verwundert und erschüttert; aber das ist
keine Frage. Daher hänge ich eine Frage an: Will die
Bundesregierung sich endlich bemühen, solche Erkenntnisse zu erhalten, weil sie zur Beurteilung des Konfliktes
von ausschlaggebender Bedeutung sind?
Bitte.
Herr Kollege Gehrcke, es ist nicht üblich, dass wir
und auch andere über bilaterale Militärberatungen unterrichtet werden. Sie verknüpfen damit bereits einen anderen Themenkomplex. Sie wissen genau, dass die Bundesregierung - letztlich bestätigt durch den
Außenministerrat am 15. September dieses Jahres in
Brüssel - gesagt hat, dass sich alle darauf verständigt haben, eine internationale Untersuchung einzuberufen. Die
Aufgabe ist jetzt, das entsprechende Mandat zu finden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Nun ist diese internationale Untersuchung aber bislang nicht eingerichtet worden. Sie wissen genau, dass
die Konfliktparteien nicht besonders interessiert daran
sind. Andere sind nicht daran interessiert, dass die Einbindung der US-Militärberater überhaupt untersucht
wird. Wird die Bundesregierung sich dafür einsetzen, dass
in den Auftrag der internationalen Untersuchungskommission auch der Informationsstand über die Einbindung
der US-Militärberater in Georgien einbezogen wird?
Herr Kollege Gehrcke, wir werden diesen Untersuchungsauftrag natürlich gemeinsam formulieren müssen.
Es hängt ja nicht nur von der deutschen Bundesregierung
ab. Wir haben uns am vergangenen Montag, also vor
zehn Tagen, in der Europäischen Union einstimmig darauf verständigt, dass wir diese internationale Untersuchung durchführen werden. Wir wissen, dass beispielsweise Georgien das unterstützt. Wir haben bisher auch
keine negative Reaktion seitens Russlands.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Königshaus das
Wort.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung denn wenigstens bekannt, wie viele russische Militärangehörige
bei den Abchasen und bei den Osseten integriert sind?
({0})
Herr Kollege Königshaus, wir haben im Vorfeld, vor
Ausbruch des Konflikts, immer gewusst, wie viele russische Soldaten im Rahmen der Mission vorhanden sind.
Wir haben aber über das Ausmaß und den Umfang von
verschiedenen Institutionen keine Erkenntnisse.
Damit kommen wir zur Frage 16 des Kollegen
Gehrcke:
Welche Zusagen sind der georgischen Regierung und der
Regierung der Ukraine für eine Aufnahme in den Membership
Action Plan der NATO durch den NATO-Generalsekretär
bzw. den NATO-Rat gemacht worden?
Bitte, Herr Staatsminister.
Ich darf in meiner Antwort auf das Abschlusskommuniqué der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten vom 4. April 2008 in Bukarest Bezug nehmen - ich zitiere aus diesem Kommuniqué, weil es den
Rahmen aufzeigt -:
Die NATO begrüßt die euro-atlantischen Bestrebungen der Ukraine und Georgiens, die dem Bündnis beitreten wollen. Wir kamen heute überein, dass
diese Länder NATO-Mitglieder werden. Beide
Staaten haben wertvolle Beiträge zu Bündnisoperationen geleistet. Wir begrüßen die demokratischen
Reformen in der Ukraine und in Georgien und hoffen auf freie und faire Parlamentswahlen in Georgien im Mai. MAP-Status ist für die Ukraine und
Georgien der nächste Schritt auf ihrem direkten
Weg zur Mitgliedschaft. Heute machen wir deutlich, dass wir die MAP-Anträge dieser Länder unterstützen. Daher werden wir jetzt mit beiden in
eine Phase intensiven Engagements auf hoher politischer Ebene eintreten, um die noch offenen Fragen im Zusammenhang mit ihren MAP-Anträgen
zu lösen. Wir haben die Außenminister gebeten, auf
ihrer Tagung im Dezember 2008 eine erste Bewertung der Fortschritte vorzunehmen. Die Außenminister sind befugt, über die MAP-Anträge der
Ukraine und Georgiens zu entscheiden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Das erinnert mich direkt an den vorangegangenen Teil
der Fragestunde: Man bekommt nie eine Antwort auf
das, was man eigentlich wissen will. Ich frage noch einmal direkt danach: Wird die Bundesregierung öffentlich
und in einer politischen Auseinandersetzung deutlich
machen, dass sie nicht dafür ist, dass der Ukraine und
Georgien derzeit der Status MAP verliehen wird?
Herr Kollege Gehrcke, ich habe deutlich gemacht,
was im April beschlossen worden ist. Ein Zeitplan ist
aufgestellt worden, und an diesem Zeitplan wird auch
nicht gerüttelt, sodass die NATO-Außenminister im Dezember über alle Entwicklungen entsprechend beraten
werden.
Herr Gehrcke, zweite Nachfrage, bitte.
Ich habe soeben zum Vorteil der Bundesregierung unterstellt - so war auch die öffentliche Wahrnehmung -,
dass die Bundesregierung nicht zu den Kräften gehört
hat, die in Richtung Bukarest auf eine Aufnahme der
Ukraine und Georgiens in den Membership Action Plan
besonders agiert haben. Warum will die Bundesregierung nicht für sich in Anspruch nehmen, endlich einmal
einen vernünftigen Schritt zu machen und dafür zu sorgen, dass die Einbindung der beiden Staaten in die
NATO derzeit nicht stattfinden kann? Sie hätten doch
eine große Chance.
Herr Kollege Gehrcke, wir haben uns beim NATORat in Bukarest, beispielsweise gemeinsam mit unserem
Nachbarn Frankreich, darüber ausgelassen - Sie haben
das richtig zitiert -; wir haben uns aber insgesamt auf
diese neue Zeitlinie - sie endet im Dezember - verständigt. Es ist klar, dass alle Umstände, die bis Dezember
eingetreten sind, einer Bewertung unterzogen werden
müssen. Ich glaube, es hat jetzt gar keinen Sinn, zu spekulieren. Das wird dann rechtzeitig entschieden.
Danke, Herr Staatsminister. - Die Frage 17 des Kollegen Volker Beck zur Menschenrechtslage syrischer Kurden wird schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Frage 18 der Kollegin Veronika Bellmann, die
Frage 19 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, die Frage 20
der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann, die Frage 21 der
Kollegin Christine Scheel, die Frage 22, ebenfalls von
der Kollegin Christine Scheel gestellt, wie auch die
Fragen 23 und 24 des Kollegen Dr. Gerhard Schick werden aufgrund unserer Richtlinien schriftlich beantwortet;
denn sie befassen sich alle mit der aktuellen Finanzmarktkrise. Dazu haben wir in dieser Sitzungswoche einen eigenen Tagungsordnungspunkt, und deshalb erörtern wir das nicht hier in der Fragestunde.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Klaus Brandner zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Dirk Niebel auf:
Wann und unter welchen Bedingungen wird der beamtete
Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales,
Karl-Josef Wasserhövel, ausscheiden, um das Amt als SPDBundesgeschäftsführer anzutreten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Danke sehr, Frau Präsidentin. - Mit Ihrer Genehmigung und auf Wunsch des Kollegen Niebel würde ich
aus Gründen der Zeitökonomie gerne beide Fragen des
Kollegen, die Fragen 25 und 26, gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 26 des Kollegen Niebel
auf:
Welche finanziellen Konsequenzen sind für den Steuerzahler abzusehen?
Herr Niebel, zu Frage 25 treffe ich folgende klare
Aussage: Staatssekretär Wasserhövel wurde mit Ablauf
des 18. September 2008 auf eigenen Antrag gemäß § 30
des Bundesbeamtengesetzes aus dem Beamtenverhältnis
entlassen. Nach der Entlassung hat der frühere Beamte
gemäß § 34 BBG keinen Anspruch auf Dienstbezüge
und Versorgung.
Auf Ihre daraus abgeleitete Frage 26 lautet die Antwort der Bundesregierung: Da der Beamte im Falle der
Entlassung auf eigenen Antrag nach § 30 BBG ohne Anspruch oder Anwartschaft auf Versorgung aus dem versicherungsfreien Beschäftigungsverhältnis als Beamter
auf Lebenszeit ausscheidet, ist diese Zeit gemäß § 8
Abs. 2 SGB VI grundsätzlich in der gesetzlichen Rentenversicherung nachzuversichern. Daher wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales an die Deutsche
Rentenversicherung Bund einen Nachversicherungsbeitrag in Höhe von 31 880 Euro leisten.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier
Nachfragen. Bitte, Kollege Niebel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Da der beamtete
Staatssekretär Wasserhövel aus dem Amt geschieden ist,
um das Amt des SPD-Bundesgeschäftsführers anzutreten, um also seinem ehemaligen Chef, dem damaligen
Vizekanzler Müntefering, in dessen vermutlich neuer
Funktion als SPD-Vorsitzender zu folgen, stellt sich die
Frage, aus welchen Gründen dieses zusätzliche Staatssekretärsamt nachbesetzt wird. Denn es ist damals im Rahmen der Koalitionsverhandlungen - wir alle erinnern uns unter dem Stichwort „Verhandeln auf gleicher Augenhöhe“ eingeführt worden, um im Arbeitsministerium
eine Art Nebenkanzleramt zu installieren.
Herr Abgeordneter Niebel, wie Sie wissen, sind gerade im Bundesministerium für Arbeit und Soziales umfangreiche Aufgaben zu erledigen. Diese Arbeiten mussten auch nach dem Weggang des damaligen
Bundesministers für Arbeit und Soziales Müntefering
weiterhin erledigt werden. Daher ist das Ministerium mit
drei beamteten Staatssekretären besetzt.
Ich will Sie daran erinnern, dass sich die Koalition
vorgenommen hat, bis zum Ende dieser Legislaturperiode noch umfangreiche gesetzliche Maßnahmen zu
beschließen. Aus diesem Grunde ist es dringend erforderlich, dass das Ministerium in voller Stärke besetzt ist.
Ich glaube, Sie legen genauso wie wir Wert auf qualitativ gute Arbeit. Dafür ist der dritte Staatssekretär notwendig.
Sie haben das Wort für Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da in der Vergangenheit niemals
drei Staatssekretäre notwendig waren und da aus den
veröffentlichten Berichten über die damaligen Koalitionsverhandlungen klar ersichtlich ist, dass in diesem
Ministerium allein aufgrund des Bestrebens nach Verhandlungen auf gleicher Augenhöhe zwischen den Koalitionspartnern eine personelle Aufstockung stattfinden
musste, stellt sich, da der damalige Vizekanzler jetzt in
einer anderen Funktion personelle Unterstützung benötigt und er die gleiche Person zu seiner Unterstützung
heranzieht, die Frage, ob Sie dem Rat des CDU-Haushaltspolitikers Fuchtel folgen, diese Staatssekretärsstelle
im Hinblick auf die Konsolidierung des Haushaltes nicht
nachzubesetzen.
Nein, Herr Abgeordneter Niebel, wir können und
werden diesem Rat nicht folgen.
Erstens legen wir Wert auf qualitativ gute Arbeit;
dazu ist die Besetzung der dritten Staatssekretärsstelle,
wie ich schon angemerkt habe, notwendig.
Zum Zweiten möchte ich Sie darauf hinweisen, dass
das Ministerium für Arbeit und Soziales auch während
der Zuständigkeit von Bundesarbeitsminister Scholz mit
drei beamteten Staatssekretären besetzt ist. Das ist dringend notwendig wegen der umfangreichen Arbeiten, die
dort anfallen, und aufgrund der Tatsache - das wissen
auch Sie aus den Haushaltsberatungen -, dass der Haushalt für Arbeit und Soziales der größte Einzeltitel des
Bundeshaushalts ist.
Ihre dritte Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir zustimmen, dass
im Geschäftsbereich dieses Ministeriums - ob er „Arbeit
und Soziales“ oder „Wirtschaft und Arbeit“ hieß - in der
gesamten Geschichte der Bundesrepublik niemals drei
beamtete Staatssekretäre eingesetzt waren und dass dies
in dieser Legislaturperiode zum ersten Mal der Fall ist?
In dieser Legislaturperiode ist es so, dass drei beamtete Staatssekretäre eingesetzt sind. In dem Fachbereich,
für den dieses Ministerium zuständig ist, werden sehr
umfangreiche gesetzliche Reformen vorbereitet. Das erfordert nun einmal qualifiziertes Fachpersonal.
Ihre vierte Nachfrage.
Um es noch einmal anders zu probieren: Stimmen Sie
mir zu, dass in diesem Geschäftsbereich außer in dieser
Legislaturperiode bisher noch niemals - selbst in der
Zeit der Agendapolitik nicht, in der umfangreichste Reformarbeiten gesetzgeberisch umzusetzen waren - drei
beamtete Staatssekretäre eingesetzt wurden?
Herr Niebel, auch Sie wissen, dass die Ministerien in
den verschiedenen Legislaturperioden immer umorganisiert worden sind. In dieser Legislaturperiode war das
Ministerium immer mit drei beamteten Staatssekretären
besetzt. Daran soll sich bis zum Ende dieser Legislaturperiode auch nichts ändern.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Frage 27 der Kollegin Sabine Zimmermann, bei
der es um Aufstocker - das sind Erwerbstätige, die Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II beziehen - im Bereich des Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesens
geht, wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter auf:
Inwieweit lässt sich nach Auffassung der Bundesregierung
aus Art. 5 der Verordnung ({0}) Nr. 1371/2007 eine Rechtspflicht zum Umbau im Einsatz befindlicher Fahrzeuge bzw.
eine Rechtspflicht zur Anschaffung von Neufahrzeugen, die
eine Fahrradmitnahme ermöglichen, ableiten, und ist der Bundesregierung bekannt, wie die Deutsche Bahn AG die Rechtspflichten aus der Verordnung beurteilt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege
Dr. Hofreiter, Sie haben schon mehrmals Fragen zu diesem Thema gestellt. Ich kann Ihnen dazu sagen: Aus
Art. 5 Verordnung ({0}) Nr. 1371/2007 ist keine Rechtspflicht zum Umbau im Einsatz befindlicher Fahrzeuge
bzw. keine Rechtspflicht zur Anschaffung von Neufahrzeugen, die eine Fahrradmitnahme ermöglichen, ableitbar.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Wie gedenkt die
Bundesregierung, die Umsetzung dieser EU-Richtlinie
zu garantieren?
Frau Präsidentin, Herr Dr. Hofreiter, wir gedenken,
sie so umzusetzen, wie es in Art. 5 vorgesehen ist.
({0})
Sie können noch eine zweite Nachfrage dazu stellen.
Entschuldigen Sie, aber nach dem, wie Sie die erste
Frage beantwortet haben, gedenken Sie, Art. 5 schlichtweg nicht umzusetzen. Deshalb noch einmal meine konkrete Nachfrage: Wie gedenkt die Bundesregierung, das
konkret umzusetzen? Wenn es keinerlei Pflichten gibt,
dann ist Art. 5 de facto nämlich unwirksam.
Frau Präsidentin, Herr Dr. Hofreiter, ich darf Ihnen
Art. 5 einmal vorlesen, damit wir wissen, über was wir
reden und was man verlangen darf.
({0})
In Art. 5 steht nämlich:
Die Eisenbahnunternehmen ermöglichen den Fahrgästen die Mitnahme von Fahrrädern im Zug, gegebenenfalls gegen Entgelt, wenn sie leicht zu handhaben
sind, dies den betreffenden Schienenverkehrsdienst
nicht beeinträchtigt und in den Fahrzeugen möglich
ist.
Das steht in Art. 5, auf den Sie sich beziehen. Genau
das prüfen wir vonseiten der Bundesregierung im Einzelfall. Wir werden die Bahn in diesem Zusammenhang
auffordern, dies zu tun, wo es möglich ist. Wo es nicht
möglich ist, da geht es eben nicht.
Damit kommen wir zur Frage 29 des Kollegen
Dr. Anton Hofreiter:
Wie ist der aktuelle Sachstand bei der vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vor nunmehr über
einem Jahr vorgeschlagenen Einrichtung einer Pilotstrecke
zur Fahrradmitnahme im ICE, und über welche greifbaren Ergebnisse der Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG
kann die Bundesregierung berichten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Dazu kann ich Ihnen sagen: Der im Jahr 2007 begonnene intensive Meinungsaustausch mit der Deutschen
Bahn AG über die Fahrradmitnahme im ICE mit dem
Ziel der Einrichtung einer geeigneten, touristisch interessierenden Pilotstrecke ist letztmalig im April 2008
fortgesetzt worden. Die Bundesregierung nimmt die von
der Deutschen Bahn AG erneut vorgetragenen betrieblichen und wirtschaftlichen Bedenken ernst; denn auch im
Bereich der Radverkehrsförderung ist uns daran gelegen,
eine gemeinsame Lösung mit der Deutschen Bahn AG
zu finden, mit der den unterschiedlichen Interessen aller
Beteiligten Rechnung getragen wird.
Insofern werden mit der Deutschen Bahn AG weiterhin Diskussionen über dieses Thema Pilotstrecke geführt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Tiefensee hat öffentlich bekannt gegeben, dass
eine solche Pilotstrecke eingerichtet wird. Zur Klarstellung habe ich eine konkrete Nachfrage: Wie lange gedenkt sich der Herr Minister noch von der Bahn AG vorführen zu lassen, und wie lange sollen die netten
Plauderrunden mit der Bahn noch stattfinden? Ist daran
gedacht, das irgendwann zum Abschluss zu bringen,
oder schleppen Sie das bis in die nächste oder übernächste Legislaturperiode mit?
Frau Präsidentin, Herr Dr. Hofreiter, die Einrichtung
einer Pilotstrecke zur Fahrradmitnahme im ICE ist kein
einfaches Thema. Plauderstunden finden nicht statt. Es
geht um ein ernsthaftes Anliegen, das geprüft werden
muss. Wahr ist aber auch, dass es nicht so einfach ist,
wie man vielleicht annimmt.
Insofern kann man sich nicht auf Art. 5 der erwähnten
Verordnung berufen. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig,
dass wir mit der Deutschen Bahn AG zu Lösungen kommen. Wie Sie wissen, hat die Bahn schon sehr viele fahrradfreundliche Investitionen getätigt, zum Beispiel für
Leihfahrräder und anderes.
Wir sind mit der Bahn im Dialog, damit die Fahrradmitnahme verbessert wird.
Sie haben eine zweite Nachfrage, bitte.
Sie sind seit weit über einem Jahr mit der Bahn im
Dialog. Die Frage war, ob es absehbar ist, wann dieser
Dialog zu einem greifbaren Ergebnis führt.
Frau Präsidentin, Herr Dr. Hofreiter, dazu müssen die
technischen Voraussetzungen gegeben sein, und wir
müssen auch die wirtschaftlichen Bedingungen mitberücksichtigen. Wir können das gegenwärtig nicht absehen.
Wir kommen damit zu Frage 30 der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Wasser- und
Schifffahrtsdirektion Ost, dass für den Ausbau des SacrowParetzer-Kanals im Zuge des Verkehrsprojektes „Deutsche
Einheit“ Nr. 17 keine Nutzen-Kosten-Analyse erforderlich sei
({0}), und wie ist dies vor dem Hintergrund der aktuellen
Prognosen des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung von 2007 mit der Bundeshaushaltsordnung
vereinbar?
Ich möchte es nicht versäumen, Ihnen zu Ihrem heutigen Geburtstag zu gratulieren, Frau Kollegin Tackmann!
({1})
Ich gebe der Staatssekretärin das Wort.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Frau Dr. Tackmann,
auch von mir alles Gute und erfolgreiche Arbeit!
Die Antwort auf Ihre Frage lautet wie folgt: Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Ost ist nicht der Auffassung, dass für den Ausbau des Sacrow-Paretzer-Kanals
keine Kosten-Nutzen-Analyse erforderlich sei. Eine derartige Aussage wird im Planfeststellungsbeschluss auch
nicht getroffen. Die weisungsunabhängige Planfeststellungsbehörde hat lediglich entschieden, dass gegenüber
den im Planfeststellungsverfahren vorgelegten planbegründenden Unterlagen für ihre Entscheidung keine
neuen zusätzlichen Kosten-Nutzen-Analysen erforderlich sind.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wir alle wissen, dass es neue Prognosen - beispielsweise zum Schiffsverkehrsaufkommen - gibt. Wir wissen auch, dass es in dem Bereich des Sacrow-ParetzerKanals, um den es geht, schon Verbesserungen gegeben
hat und die Durchlässigkeit erhöht wurde. Insofern halten wir eine neue Kosten-Nutzen-Analyse für notwendig.
Deswegen lautet meine Nachfrage, ob vor dem Hintergrund der neu vorgelegten Prognosen nicht eine erneute Prüfung der Kosten und Nutzen auch im Hinblick
auf die Haushaltsordnung notwendig ist.
Frau Präsidentin, Frau Dr. Tackmann, wir hatten die
Bewertung schon 1995 vorgenommen. Auf dieser
Grundlage wurde das Projekt als wirtschaftlich angesehen, und zwar mit einer relativ hohen Quote. Deshalb sehen wir die Voraussetzung gegeben, im Rahmen des
Planfeststellungsverfahrens die bereits vorliegende Kosten-Nutzen-Analyse zugrunde zu legen. Denn wie Sie
wissen, sind Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit des gesamten Projekts erst dann gegeben, wenn der
Kanal durchgängig ausgebaut ist. Dazu fehlt aber noch
das eine Stück des Kanals.
Darüber hinaus ist es, glaube ich, wichtig zu wissen,
dass im Rahmen der Planfeststellungsverfahren und des
anstehenden Klageverfahrens noch eine Bewertung erfolgt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Darf ich noch einmal konkret feststellen, dass Sie der
Meinung sind, dass sich seit 1995 nichts geändert hat,
was eine neue Bewertung dieses Bauvorhabens erforderlich machen würde?
Das ist in der Tat so. Wir haben das zur Grundlage genommen, weil sich in den letzten zehn Jahren keine dramatischen Veränderungen abgezeichnet haben.
Wir haben ja im Gegenteil eine Prognose, in der von
einer Ausweitung der Güterverkehre die Rede ist. Daher
besteht für uns zurzeit keine Notwendigkeit. Im Übrigen
gibt es ein Planfeststellungsverfahren. Dieses Verfahren
muss zuerst abgeschlossen sein.
Wir kommen damit zu Frage 31 der Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann:
Wie bewertet die Bundesregierung die 1992 prognostizierte Transportleistung im Hinblick darauf, dass durch die im
Rahmen des Verkehrsprojektes „Deutsche Einheit“ Nr. 17 bereits abgeschlossenen Maßnahmen seit 2004 die Bedingungen
für die Schiffbarkeit von und nach Berlin deutlich verbessert
wurden, sodass nun eine Befahrbarkeit mit vollabgeladenen
Europaschiffen und teilabgeladenen Großmotorgüterschiffen
zugelassen ist?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Über die Bewertung haben wir bereits diskutiert. Ich
will Ihnen nur noch sagen, dass der Planfeststellungsbeschluss derzeit beklagt wird und die Bundesregierung
die Entscheidung des Gerichts abwartet. Die Planfeststellungsbehörde ist unabhängig. Das Klageverfahren
wird eingeleitet. Danach wird man sehen.
Sie haben keine weiteren Nachfragen. Dann danke ich
der Staatssekretärin für die Beantwortung der Fragen.
Die Frage 32 des Kollegen Hans-Christian Ströbele,
welche sich mit Maßnahmen gegen Dieselrußemissionen
von Binnenschiffen befasst, wird genauso wie die Fragen 33 und 34 des Kollegen Lutz Heilmann zu Meldepflichten beim Einbau von Partikelminderungssystemen
in Fahrzeuge schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Pakistan stabilisieren - Völkerrecht beachten
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Omid Nouripour für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
schreckliche Anschlag vom 20. September auf das Marriott-Hotel in Islamabad hat uns alle tief erschüttert.
Über 50 Menschen haben dabei ihr Leben verloren.
Hunderte wurden verletzt. Ich erlaube mir, im Namen
des gesamten Hauses den Opfern und ihren Angehörigen
unser tiefes Mitgefühl und unsere Anteilnahme auszusprechen.
({0})
Dieser Anschlag zeigt, wie fragil die Situation derzeit in
Pakistan ist. Dieser Anschlag war der möglicherweise
vorläufige Höhepunkt einer langen und blutigen Reihe
von Anschlägen, die wir in den letzten Monaten erleben
mussten, unter anderem einen Anschlag, bei dem die
ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto ums Leben
gekommen ist.
Pakistan ist ein unheimlich wichtiges Land, nicht nur
wegen der Bevölkerungszahl von über 170 Millionen,
nicht nur wegen der schwierigen Grenzlage zu Afghanistan, sondern vor allem auch wegen der Tatsache, dass es
ein Nukleararsenal in diesem Land gibt. Wir haben in
den letzten Wochen und Monaten einen demokratischen
Machtwechsel erlebt, eingeleitet durch die Wahl des Präsidenten Asif Ali Zardari, und können nach langer Zeit
erstmalig wieder ein wenig Hoffnung für dieses Land
schöpfen. Dennoch ist nach neun Jahren Militärdiktatur
unter General Musharraf einiges zu Schaden gekommen.
Deshalb braucht Pakistan umso mehr die Unterstützung
der internationalen Gemeinschaft. Dabei darf aber nicht
vergessen werden, dass die Fragen nach den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit wieder auf die Tagesordnung dieses Landes gesetzt werden müssen.
({1})
Was wir aber derzeit erleben, ist nicht unbedingt Unterstützung. Wir erleben derzeit, dass es Kommandoaktionen der US-amerikanischen Streitkräfte auf pakistanischem Territorium gibt, anscheinend und angeblich auf
Anweisung des Präsidenten Bush persönlich. Er hat nur
noch 117 Tage im Amt. Mögen diese schnell zu Ende gehen.
Nun ist die Situation unheimlich schwierig. Wir erleben, dass es zivile Opfer gibt. Nicht nur Terroristen werden umgebracht, sondern auch pakistanische Polizisten.
Das ist keine Unterstützung für Pakistan. Das ist kontra18946
produktiv und gefährlich. Was dort passiert, stellt einen
offenen Bruch des Völkerrechts dar.
({2})
Diese Aktionen schwächen die Zentralregierung in Islamabad. Diese Aktionen unterminieren das Vertrauen der
Bevölkerung in die pakistanischen Behörden. Diese Aktionen spielen den Extremisten in die Hände. Diese Aktionen gefährden die Entwicklung in der gesamten Region. Wir erleben derzeit, dass die pakistanische Armee
bereit ist, zurückzuschießen. Sie hat den Befehl, sich zu
wehren. Es gab bereits die ersten Zwischenfälle zwischen pakistanischen und amerikanischen Streitkräften.
Wir werden im Herbst hier in diesem Haus über die
Verlängerung der beiden Mandate für Afghanistan entscheiden. Wir sind uns sicherlich einig, dass es keine
Perspektive für Afghanistan geben kann, wenn Pakistan
zu einem Brandherd wird.
Wir brauchen in Pakistan einen verlässlichen Partner,
um für Afghanistan Stabilität herzustellen. Gerade weil
die US-amerikanische Administration ein Partner der
Bundesrepublik ist und gerade weil die Amerikaner unsere Freunde sind, muss es doch verdammt noch einmal
möglich sein, jetzt klare Worte zu sprechen, in Washington zu protestieren und dort darauf zu dringen, dass diese
Militäraktionen in Pakistan endlich beendet werden.
({3})
Vom Verteidigungsminister haben wir in Islamabad
gehört, er habe Verständnis dafür, dass die pakistanische
Seite verärgert darüber sei, dass das Territorium dieses
Landes verletzt werde. Ich finde, das ist nicht ausreichend. Der Adressat sitzt nicht in Islamabad, sondern in
Washington. Vom Verteidigungsminister also nichts, vom
Außenminister nichts und aus dem Kanzleramt auch
nichts. Dort gibt es eine Nähe zu Herrn Bush dann nicht,
wenn es um kritische Worte geht, sondern nur dann,
wenn es darum geht, sich Nackenmassagen abzuholen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass Sie jetzt Antworten
geben.
Ich selbst war Anfang dieses Monats in Afghanistan.
Ich habe erlebt, wie deutsche Polizistinnen und Polizisten mit großer Motivation die Grenzpolizei ausbilden.
Ich frage mich, was in diesen Menschen vorgeht, wenn
sie dort unter unheimlich schwierigen Bedingungen
diese Arbeit machen - im Übrigen herzlichen Dank an
dieser Stelle dafür -, dann aber erleben müssen, dass die
Arbeit an der pakistanischen Grenze permanent konterkariert wird. Wenn man die Bundesregierung nach ihrer
Vorstellung fragt, erhält man keine Antwort. Fehlanzeige. Ich möchte hier nicht mit dem Anspruch auftreten,
wir Grünen hätten die Masterpläne und die ultimativen
Antworten für Pakistan. Die Situation ist extrem verfahren, sie ist unheimlich schwierig. Pakistan ist ein sehr
kompliziertes Land. Es geht nicht darum, endgültige
Antworten zu geben. Aber was falsch ist, muss benannt
und beendet werden. Deshalb muss man auch die militärischen Aktionen der Amerikaner kritisieren und dagegen in Washington protestieren. Das tut die Bundesregierung leider nicht. Weil Falsches benannt und beendet
werden muss, muss man in diesem Haus auch über OEF
sprechen. Die Operation Enduring Freedom hat mittlerweile keine völkerrechtliche Grundlage mehr. Deshalb
muss man auch darüber sprechen. Was wir von dieser
Bundesregierung schließlich zwingend erwarten, ist:
Bitte, legen Sie endlich eine umfassende Strategie vor,
was Ihre Pakistan-Politik betrifft! - Kein Mensch weiß,
was die Bundesregierung von Pakistan will und was sie
dort vorhat. Es ist höchste Zeit - das sieht man an den
Ereignissen vor Ort -, dass diese endlich formuliert
wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eckart
von Klaeden das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Mit dem blutigen Selbstmordanschlag auf das Marriott-Hotel im Regierungsviertel von Islamabad hat der
Terrorismus in Pakistan das Machtzentrum des Landes
erreicht. Die radikalislamistischen Terrorgruppen bringen damit zum Ausdruck, dass sie überall im Lande zuschlagen können. Das ist nicht nur in der Weise, die der
Kollege Nouripour beschrieben hat, sondern darüber hinausgehend auch für die Ordnung und für die ohnehin
schon fragile Situation des Landes ein schwerer Schlag.
Der große Teil der Bevölkerung in Pakistan lehnt die
Aktivitäten und Terroranschläge der Radikalislamisten
ab. Bei den Parlamentswahlen im Frühjahr haben die
Parteien, die ihnen nahestehen, in den sogenannten
FATAs eine klare Abfuhr bekommen. Aber die pakistanische Bevölkerung erwartet von ihrer Regierung auch,
dass sie einen klaren Kurs einschlägt, und sie erwartet
ein schärferes Vorgehen gegen den radikalislamistischen
Terrorismus. In der pakistanischen Bevölkerung gibt es
wachsenden Zweifel am Willen der eigenen Regierung,
alles zu unternehmen, um den Terrorismus zu bekämpfen. Es sind pakistanische Zeitungen, in denen in den
vergangenen Tagen ein Ende der Doppelbödigkeit im
Umgang mit dem Terrorismus und eine klare Annahme
des Antiterrorkriegs als nationales pakistanisches Interesse gefordert werden.
Die Politik der pakistanischen Regierungen - das gilt
sowohl für Präsident Musharraf als auch für Premierminister Gilani - zeichnet sich durch Ambivalenz aus,
die darin besteht, einerseits gegen die Terrorgruppen
vorzugehen, andererseits aber immer wieder Verhandlungslösungen zu suchen, die bedauerlicherweise nicht
zu dem notwendigen Erfolg führen. Das hat die jetzt demokratisch legitimierte Regierung erneut getan. Das hat
- das haben Sie beschrieben - zu erneuten Terroranschlägen geführt. Präsident Zardari hat deshalb angekündigt, den militärischen Druck auf die radikalen Islamisten wieder zu verstärken.
Es ist selbstverständlich erforderlich, dass die Vereinigten Staaten ihre Militäraktionen in Pakistan mit der
pakistanischen Regierung abstimmen und sie dann,
wenn es vonseiten der pakistanischen Regierung keine
Zustimmung gibt, unterlassen; da sind wir völlig einer
Meinung, Herr Kollege Nouripour. Wenn wir aber über
völkerrechtliche Verpflichtungen sprechen, so ist es zuallererst die Aufgabe einer Regierung, alles zu unternehmen, damit von ihrem Boden aus nicht Terrorangriffe in
benachbarte Länder unternommen werden. Wenn eine
Regierung dazu nicht in der Lage ist, dann ist sie verpflichtet, die Hilfe, die ihr angeboten wird, anzunehmen.
Deswegen geht in Zeiten des Wahlkampfes in Bayern
mein Appell eben nicht nur nach Washington, sondern
mindestens genauso nach Islamabad und nach Kabul,
dafür zu sorgen, dass das, was es bereits gegeben hat,
nämlich die Zusammenarbeit dieser Regierungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, wieder aufgenommen
wird. Dazu gehört nicht nur, aber auch ein abgestimmtes
militärisches Vorgehen gegen die Aufständischen. Es
kommt darauf an, dass die pakistanische Regierung begreift, dass der Terror, der in den FATAs gewachsen ist,
eine Bedrohung für sie selber darstellt, und dass sie alles
unternimmt, diesen Terrorismus zu bekämpfen. Dafür,
dass es daran gefehlt hat, gibt es leider mehr als nur Anzeichen.
Die Lage in den FATAs im Westen Pakistans lässt
sich nicht militärisch lösen; dieser selbstverständliche
Satz gilt auch hier. Es gibt dort ein hohes Maß an Unterentwicklung: 30 Prozent der männlichen Bevölkerung
und nur 3 Prozent der weiblichen Bevölkerung können
lesen und schreiben. Diese dramatische Unterentwicklung geht vor allem auf die jahrelange, ja jahrzehntelange Vernachlässigung dieser Region durch die pakistanische Regierung zurück.
Es ist in unserem eigenen Interesse, nicht nur hinsichtlich der Mission in Afghanistan, sondern auch hinsichtlich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der seine Arme in unser Land ausstreckt - das geht
bis zur Sauerland-Gruppe -, die pakistanische Regierung
zu unterstützen und die entsprechende Entwicklungsarbeit zu leisten. Dazu bedarf es neuer und größerer Unternehmungen und Anstrengungen, die wir bereit sind,
zu unterstützen und zu initiieren.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! Ich begrüße es sehr, dass wir heute an
dieser Stelle über die Situation in Pakistan reden. Ich bedauere es sehr, dass wir in den letzten Jahren nicht mehr
darüber gesprochen haben, was sich in einer auch für
den Einsatz der Bundeswehr sehr sensiblen Region tatsächlich ereignet. Ich finde es an dieser Stelle zwar richtig, zu sagen, dass die amerikanischen Militäroperationen, die ohne Zustimmung der pakistanischen Regierung
durchgeführt worden sind, zu verurteilen sind. Aber es
ist zu kurz gesprungen, nur auf der Grundlage einer ersten oberflächlichen Analyse der Situation in Pakistan
hier im Deutschen Bundestag zu diskutieren.
({0})
Ich hätte mir gewünscht, dass die Bundesregierung
bereits parallel zu den vielen Diskussionen, die wir über
die Verlängerung der Mandate in Afghanistan geführt
haben, auch diesen Bereich der Region mehr in den
Fokus gerückt hätte. Wir alle wissen, dass ohne die Kooperation Pakistans und auch des Irans in diesem Bereich keine Fortschritte zu erzielen sind.
Wie sieht die aktuelle Situation in Pakistan aus? Die
pakistanische Bevölkerung hat sehr eindrucksvoll bewiesen, dass sie Demokratie will. Sie hat sehr eindrucksvoll allen extremistischen, islamistischen Bewegungen
im Lande eine Abfuhr erteilt. Aber jetzt hier zu sagen:
„Ihr müsst sehen, wie ihr vor Ort klarkommt“, reicht
nicht aus.
Pakistan erlebt im ökonomischen Bereich eine Talfahrt ersten Ranges. Es gibt in diesem Land zurzeit
25 Prozent Inflation. Es besteht ein riesiges Problem mit
der Energieversorgung. Man hat kein Bildungssystem,
das der explosionsartigen Verbreitung der Madrasas
auch nur annähernd Paroli bieten könnte. Es gab mehr
als einmal die Hilferufe der vorangegangenen pakistanischen Regierung - ich denke, das gilt auch für die jetzige -: Helft uns doch dabei, ein Bildungssystem in
unserem Land aufzubauen, das es uns ermöglicht, der
Bevölkerung eine Alternative aufzuzeigen! - Das ist bitter notwendig. Hierbei können wir direkt, unmittelbar
Hilfe leisten.
({1})
Wie sieht die militärische Situation aus? Wenn man
die Presse verfolgt, kann man feststellen, dass selbst die
leitenden Offiziere der pakistanischen Armee darüber erstaunt sind, mit welchen Fähigkeiten, mit welcher Präzision und mit welcher Strategie die Aufständischen zu
Werke gehen. Man hat es nicht mit irgendeiner verlumpten Aufstandsbewegung, sondern mit einer klar strukturierten militärischen Kraft zu tun. Da braucht auch die
pakistanische Armee entsprechende Fähigkeiten.
Man kann sich an der Stelle natürlich fragen, was
denn mit den 10 Milliarden Dollar passiert ist, die die
amerikanische Regierung in Pakistan hineingepumpt
hat, insbesondere zum Aufbau und Aufwuchs des Militärs. Die Frage können wir nicht beantworten. Aber
wenn Hilferufe von pakistanischer Seite kommen: „Wir
brauchen mehr Aufklärungsmaterial, wir brauchen
Nachtsichtgeräte, wir brauchen Fähigkeiten, um unsere
Aufgabe zu erfüllen, eine Grenze zu sichern“, sollten wir
die Letzten sein, die diesen berechtigten Anliegen die
Unterstützung verweigern.
({2})
Ich kann vonseiten der FDP die Marschrichtung der
Kollegen nur nachdrücklich unterstützen. Wenn es nicht
gelingt, in relativ kurzer Zeit in dieser Region eine Plattform für alle Beteiligten zu schaffen, wenn die Konflikte, die der Problematik zugrunde liegen - ich nenne
die Kaschmir-Frage, die den Konflikt Afghanistan/Pakistan nach wie vor erheblich beeinflusst, und auch die
Frage der Grenzziehung zwischen Afghanistan und Pakistan -, nicht auf den Tisch des Herrn kommen, sehe
ich persönlich Pakistan in der gleichen Gefahr, ein sogenannter Failed State zu werden, wie Afghanistan, und
dann haben wir wirklich ein Problem, an dem wir nicht
unbeteiligt sind, weil es auch unsere Aufgabe ist und
nicht zuletzt eine Legitimation des Bundeswehreinsatzes
in Afghanistan darstellt, die Region so zu stabilisieren,
dass sich die nukleare Bedrohung nicht so ausweitet,
dass wir die Situation nicht mehr unter Kontrolle haben.
Ich kann an der Stelle auch das Anliegen der grünen
Kollegen nur unterstützen, dass uns endlich eine Pakistan-Strategie der Bundesregierung vorgelegt wird, damit
wir in der Lage sind, den Pakistani auch durch Präsenz,
auch durch Interesse des Außenministers, auch durch Interesse der Bundeskanzlerin zu zeigen: Wir als Demokraten helfen euch dabei, eure Demokratie aufzubauen.
Wir unterstützen eure Institutionen. Wir möchten, dass
das Land von einer Militärdiktatur zu einer zivilen Demokratie wird. - Die Hilfestellung, die wir als Bundesrepublik dazu leisten können, sollten wir auch geben.
Deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn das
heute nicht die einzige Diskussion über Pakistan bliebe.
Dieses Thema wird uns noch lange beschäftigen. Noch
einmal herzlichen Dank für die Initiative. Ich hoffe, wir
schaffen es gemeinsam.
({3})
Das Wort hat der Kollege Hans-Ulrich Klose für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich darf vorab eine Bemerkung zu Afghanistan
machen. Es ist immer wichtig, finde ich, zu erklären, warum wir dort sind. Wir sind dort, weil ein deutscher Bundeskanzler Amerika nach den Anschlägen von New
York und Washington uneingeschränkte Solidarität zugesagt hat. Wir sind dort, weil wir auf dem Petersberg
versprochen haben, Afghanistan bei der Stabilisierung
zu helfen. Und wir sind dort, weil wir, wie Peter Struck
gesagt hat, am Hindukusch auch unsere Sicherheit verteidigen. Nach einem Abzug aus Afghanistan - das wissen wir alle - würden die Taliban relativ schnell wieder
die Herrschaft in Afghanistan übernehmen.
Die Taliban - von daher erklärt sich mein Umweg haben ihre Ruheräume weitgehend in den sogenannten
Stammesgebieten in Pakistan. Weil das so ist, sickern
aus Pakistan immer wieder Kämpfer und Attentäter nach
Afghanistan ein.
Die Kontrolle der Grenzen ist auf beiden Seiten, auf
der afghanischen wie der pakistanischen, nicht gesichert.
Auf pakistanischer Seite dominieren in den Stammesgebieten terroristische Gruppen, darunter die Taliban und alQaida, obwohl die Wahlen dort ganz anders ausgegangen
sind, als zu erwarten gewesen war, und obwohl in diesen
Stammesgebieten inzwischen ungefähr 100 000 pakistanische Soldaten operieren - Sie tun dies übrigens mit hohen Verlusten; die Rede ist von etwa 1 000 -, weitestgehend ohne Erfolg. Warum haben diese Soldaten keinen
Erfolg? Es wird darüber spekuliert, ob die Schaukelpolitik von Musharraf, einmal mit den Extremisten zu verhandeln und sie ein anderes Mal zu bekämpfen, dazu
beigetragen habe. Weitere Gründe könnten sein, dass
Teile der Armee oder des Geheimdienstes mit den Taliban sympathisierten und dass Teile der pakistanischen
Bevölkerung - ich muss sagen: wachsende Teile - den
Krieg gegen den Terror zunehmend mehr für einen amerikanischen als für einen eigenen Krieg halten.
Weil keine Erfolge zu erkennen sind, gab es Aktionen
der amerikanischen OEF-Kräfte im pakistanischen Grenzgebiet. Angriffe mit Drohnen, Raketen und Hubschraubern erfolgten ohne Zustimmung der pakistanischen Regierung, wie mir der Verteidigungsminister auf Anfrage
ausdrücklich bestätigt hat, und ohne Absprache mit den
Verbündeten. Die Aktionen sind - darüber kann kein
Zweifel bestehen - völkerrechtlich nicht zu rechtfertigen, auch nicht durch den Gesichtspunkt der Selbstverteidigung. Dies ist schon schlimm genug; schlimmer ist
aber die Tatsache zu bewerten, dass diese Aktionen ausgesprochen kontraproduktiv wirken, weil sie die Regierung in Islamabad schwächen und die Taliban durch Zulauf neuer Rekruten und Kämpfer stärken. Darüber ist
ganz dringlich mit den Amerikanern zu reden: nicht in
Form eines Protests, sondern im Hinblick auf eine veränderte Strategie, die militärisch und zugleich im weitesten
Sinne politisch sein muss.
In Afghanistan geht es meines Erachtens darum, die
afghanische Zentralregierung zu stärken. Es muss mit
der afghanischen Regierung über die Aufgabenverteilung bei der Terrorbekämpfung geredet werden, und es
müssen die Verantwortlichkeiten der afghanischen Provinzen neu definiert werden. Mir scheint wichtig zu sein,
dass wir Afghanistan nicht mehr nur als Helfer und Unterstützer im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan
sehen. Inzwischen ist die Stabilität Pakistans ein Thema
geworden, das vielleicht sogar wichtiger als das Thema
Afghanistan selbst ist. Deshalb ist es dringlich, dass wir
durch eine Politik, die Nachbarschaften einbezieht und
die durch praktische und für die Bevölkerung erfahrbare
Hilfen unterfüttert wird, ein partnerschaftliches Verhältnis zu Pakistan entwickeln. Hier liegt eine wichtige Herausforderung auch für die Europäische Union. Eine
Nebenbemerkung: Könnte man in diesen Dialog Indien
einbeziehen, wäre es hilfreich.
({0})
Darüber hinaus müsste mit Washington über den Iran
gesprochen werden - allerdings nicht unter dem GeHans-Ulrich Klose
sichtspunkt seiner nuklearen Ambitionen -, weil wir alle
wissen, dass der Iran seit Jahren einen äußerst verlustreichen Krieg gegen die Drogenmafia aus Afghanistan
führt. Die Iraner haben uns mehrfach um Hilfe gebeten.
Die Hilfe ist immer unter dem Aspekt verweigert worden, wir könnten die Iraner doch nicht militärisch aufrüsten, da sie es am Ende gegen uns selber wenden
könnten. Ich halte es für an der Zeit, diese Position zu
überdenken.
({1})
Die Situation wäre eine andere, wenn wir die Iraner
schrittweise als Partner gewinnen könnten. Ich weiß,
dass dies für die Amerikaner wegen ihres Traumas aufgrund der Botschaftsbesetzung und ihrer Konsequenzen
schwierig ist. Gleichwohl gehört dies zu den notwendigen politischen Diskussionen, die wir mit den Amerikanern führen müssen. Mit der gegenwärtigen Regierung
scheint mir dies nicht aussichtsreich zu sein; aber spätestens dann, wenn wir wissen werden, wer neuer Präsident
ist, sollten wir diesen Dialog beginnen.
Danke.
({2})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Wolfgang Gehrcke das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich will vorab sagen, dass ich es menschlich wie politisch tief erschütternd finde, wenn Menschen ihr eigenes
Leben zur Waffe machen, um das Leben anderer und ihr
eigenes Leben auszulöschen. Ich frage mich immer: Was
treibt Menschen dahin? Was macht sie fähig, sich selber
zu lebendigen Bomben zu machen und keine Skrupel zu
haben, Unschuldige zu töten?
Immer häufiger werden die Kriege gegen den Terror
und der Terror selbst gegen die Zivilbevölkerung geführt. Man nimmt die Bevölkerung als Geisel. Man benutzt sie als Druckinstrument, um politische Ergebnisse
zu erreichen. Das kann man nur verurteilen. Man muss
versuchen, eine andere Politik zu machen. Dabei stellt
sich die Frage: Wie kommt man da raus?
Wie instabil die Lage in Pakistan und in der ganzen
Region ist, das wissen wir. Ich möchte damit anfangen,
einige Vorschläge zu entwickeln, die aus meiner Sicht
notwendig sind. Auch wenn ich bekanntermaßen die
meisten politischen Aussagen des Kollegen Klose nicht
teile, gibt es bei dem, was notwendig ist, durchaus Näherungswerte.
Ich glaube, man muss viel stärker auf eine regionale
Lösung setzen, die sowohl Afghanistan und Pakistan,
aber auch andere Länder einbezieht. Wenn man eine regionale Lösung will, muss man sich klarmachen: Das
geht nicht ohne den Iran; da sind wir uns völlig einig.
Der Iran hat 3 000 Polizisten im Kampf gegen Drogenbanden verloren. Aber der Iran wird so lange nicht zu
gewinnen sein, wie er von den USA mit einem Militärschlag bedroht wird. Es geht aber auch nicht ohne Pakistan. Ich sage Ihnen, Kollege Klose und allen Kolleginnen und Kollegen, der Atomdeal zwischen den USA und
Indien und das Versagen bei der Regulierung dieser
Frage wird dazu führen, dass es auch in Pakistan zu Verschärfungen kommt; das liegt doch auf der Hand.
({0})
Man muss sich also überlegen, wie man in der Region
agiert. Die NATO fällt aus, weil Kriegspartei. Die USA
sind als Vermittler überhaupt nicht akzeptabel. Ich denke
sehr stark darüber nach, ob man nicht solche Organisationen wie die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit trotz aller Differenzen, die zu einigen Akteuren
bestehen, für Vermittlungsprozesse in dieser Region gewinnen kann. Dies halte ich für nötig, um eine politische
Lösung hinzubekommen.
Wenn man an dem Punkt ist, dann muss man sich
auch ein paar Wahrheiten vor Augen führen: Das Vorgehen der NATO und der USA im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet hat dem Terrorismus jeden Tag Tausende neue Mitstreiter in die Arme getrieben.
({1})
Sie haben den Terrorismus durch ihr Vorgehen geradezu
befördert. Die sehr schwachen Proteste dagegen, dass
sich die USA einfach anmaßen, wider das Völkerrecht
Militäraktionen, Bombenabwürfe, Hubschrauber- und
Bodentruppeneinsätze im Grenzgebiet von Pakistan
durchzuführen und noch nicht einmal mit der pakistanischen Regierung darüber zu reden - all das hätte ich
auch dann für falsch gehalten -, zeigt nur, wie willkürlich die USA mit dem Völkerrecht umgehen. Das wird
wahrgenommen.
({2})
Auch die doppelten politischen Standards werden
wahrgenommen. Das ganze Grenzgebiet war schon einmal Ausbildungslager für Terroristen. Momentan gibt es
dort, wenn ich richtig informiert bin - so haben es mir
jedenfalls afghanische Abgeordnete gesagt -, 250 Lager
bzw. Koranschulen. All das gab es schon einmal. Damals wurden die Mudschaheddin und die Taliban im
Krieg gegen die Sowjetunion vom pakistanischen Geheimdienst und von der CIA ausgebildet und mit Geld
versorgt. Die Leute erinnern sich doch und sagen: Damals war das alles in Ordnung. Damals waren das die
Freiheitskämpfer. Heute werden die gleichen Personen
als Terroristen bezeichnet und mit Bomben und Waffen
angegriffen. - Die doppelten Standards, die wir in der
Politik an den Tag legen, wirken wie ein Mühlstein, der
uns herunterzieht.
({3})
Ich glaube auch, dass man die Rückkehr zum Völkerrecht politisch viel klarer erstreiten sollte. Ich habe mich
ja gefreut, dass die Grünen den Begriff „völkerrechtliche
Verurteilung der USA“ in ihren Text aufgenommen
haben. Ich habe noch die vage Hoffnung, dass aus den
Grünen wieder eine Partei wird, die es mit dem Völkerrecht ernst meint.
({4})
- Ich wusste ja, dass ihr euch darüber aufregt. Deswegen
habe ich das ja gesagt. - Aber die doppelten Standards,
die auch die Partei Die Grünen und andere immer an den
Tag gelegt haben, schwächen die Position, das Völkerrecht wirklich durchzusetzen.
Ich finde, wir müssen in den Vereinten Nationen eine
sehr ernsthafte Debatte darüber führen,
({5})
wie wir es schaffen können, dass die Charta der Vereinten Nationen zur einzigen Grundlage wird, auf der dem
Völkerrecht anstelle des Rechts des Stärkeren wieder zu
mehr Einfluss verholfen wird.
({6})
Ein letzter Satz - dazu hat noch niemand etwas gesagt -:
Entschuldigen Sie, aber die USA haben dieser korrupten
Militärregierung von Pakistan mindestens 7 Milliarden
US-Dollar an Militärhilfe gegeben.
({7})
- Man spricht von 5 bis 10 Milliarden US-Dollar, so in
der Größenordnung. Das weiß man nicht so genau.
Meine Kollegen sagten: Sag mal lieber 7 Milliarden USDollar. Dann liegst du auf der sicheren Seite.
({8})
Deutschland hat von 2004 bis 2006 für 268 Millionen
Euro Waffen nach Afghanistan exportiert. Was passiert
hier eigentlich? Hier ist ein Land mit enormen Mitteln
militärisch aufgerüstet worden. Dies hat nicht zu einer
Verdünnung der militärischen Probleme in der Region
beigetragen.
Kollege Gehrcke, jetzt müssen Sie wirklich auf die
Zeit achten.
Danke sehr. - Afghanische Abgeordnete haben mir
gesagt: Frag doch mal, wie die Chemikalien, die es ermöglichen, aus Opium Heroin zu machen, nach Afghanistan kommen. Sie wachsen dort noch nicht einmal.
Frag doch mal, wie die Waffen nach Afghanistan kommen, wer diese Waffen liefert. - Auch mit solchen Fragen müssen wir uns hier auseinandersetzen, wenn wir
ernsthafte Politik betreiben wollen.
Danke.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Ruprecht
Polenz das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben uns ein bisschen daran gewöhnt, den Blick
auf Pakistan nur wegen Afghanistan zu richten. Durch
die Brille unseres Einsatzes und unseres Engagements
für Afghanistan diskutieren wir Fragen der fehlenden
Grenzsicherung oder der Terrorismusbekämpfung. Ich
habe den Eindruck, dass diese Aktuelle Stunde so etwas
wie ein Wendepunkt sein könnte; denn wenn ich die Vorrednerinnen und Vorredner richtig verstanden habe, ist
es Zeit für einen Perspektivwechsel. Wir müssen eine
Pakistanpolitik wegen Pakistan machen, und ich sage
pointiert: Pakistan ist wichtiger als Afghanistan.
Pakistan hat 170 Millionen Einwohner. Damit hat es
30 Millionen Einwohner mehr als Russland und viermal
so viele wie Afghanistan. Pakistan ist eine Regionalmacht mit Atomwaffen, und Pakistan bleibt der Nachbar
von Afghanistan, auch nachdem ISAF längst abgezogen
ist. Von daher kommt es sehr darauf an, dass wir uns intensiver mit Pakistan beschäftigen.
Wenn wir uns die Lage in Pakistan vor Augen führen,
dann finden wir in den Analysen Besorgnisse dahin gehend, dass Pakistan auf dem Weg sei, ein Failed State zu
werden; wenn man europäische Maßstäbe anlegt, dann
kann man leicht zu diesem Urteil kommen. Ich empfehle
allerdings, sich zur Beurteilung der Lage die Regionen
anzuschauen, also den indischen Subkontinent, und dann
die Situation in Pakistan mit der Lage in Indien, in
Bangladesch, in Afghanistan, in Nepal oder in Sri Lanka
zu vergleichen. Gemessen an dem Zustand in diesen
Ländern, liegt Pakistan irgendwo in der Mitte dazwischen. Wenn wir - die negativen Entwicklungen sind
hier schon angesprochen worden - auch auf Stabilisierungs- und positive Faktoren schauen, dann fällt auf,
dass die Pressefreiheit in den Regionen Pakistans am
besten gewährleistet wird. Die Wahlen - das ist schon
angesprochen worden - haben das demokratische Bewusstsein der Bevölkerung gezeigt und den radikalen islamistischen Parteien eine deutlich Abfuhr gebracht.
So problematisch die Klanstrukturen, die die pakistanische Gesellschaft repräsentieren und zusammenhalten,
auch sein mögen, so sehr geben sie dem Land vor allen
Dingen in den ländlichen Regionen eine gewisse Stabilität. Wir müssen mit diesen Strukturen bei der Entwicklung einer Pakistanpolitik rechnen, weil auch das pakistanische Parteiensystem ganz wesentlich auf diesen
Klanstrukturen aufbaut. Ich füge in Klammern hinzu:
Manches, was wir nach unseren Maßstäben - wahrscheinlich auch richtigerweise - als Korruption und Nepotismus ansehen, ist im pakistanischen Selbstverständnis die ganz normale Versorgung derer, die die eigene
Machtbasis sichern und stabilisieren, und auch das Mittun derer, die sich davon Schutz und ein Stück Geborgenheit versprechen. Das müssen wir in eine realistische
Analyse einbeziehen.
Nun gibt es den Satz - den kennen wir alle -: Normalerweise hat ein Staat eine Armee; in Pakistan ist es so,
dass sich die Armee einen Staat hält. - Es ist wahr, dass
die Armee einen großen Einfluss in Pakistan ausübt. Das
liegt zum einen daran, dass sie wohl über die effizientesten Strukturen im Land verfügt, zum anderen aber auch
daran, dass sie der größte Arbeitgeber im Land ist, auch
was den zivilen Sektor anbetrifft. Anders als in manchem anderen Staat, wo Armeen dominieren, steht nicht
so sehr die Bereicherung der Generäle im Vordergrund;
vielmehr versorgt die Armee sich, alle Angehörigen und
die Institutionen der pakistanischen Armee mit diesem
zivilen Engagement.
Nun komme ich zu dem, was Anlass der Aktuellen
Stunde war: Die Angriffe von außen auf pakistanisches
Gebiet bergen eine ziemlich große Gefahr, die pakistanische Armee zu destabilisieren. Warum? Die Paschtunen
machen 12 Prozent der Bevölkerung, aber 20 Prozent
der Armeeangehörigen aus, und die Angriffe finden auf
paschtunischem Gebiet statt. Es liegt auf der Hand, dass
es bei Fortsetzung einer solchen Politik zu Desintegrationsbestrebungen in der Armee bis hin zum Bürgerkrieg
kommen könnte. Wenn man dann noch ins Kalkül zieht,
dass es eine große pakistanische Diaspora in Großbritannien gibt, dann braucht man den Faden nicht mehr weiterzuspinnen, um klarzumachen, welche Konfliktpotenziale in der Fortsetzung dieser Politik liegen würden. Ich
kann mich all den Vorrednern anschließen, die hier ein
ernstes Wort mit unseren amerikanischen Freunden angemahnt haben.
Es geht um eine Pakistan-Strategie nicht wegen Afghanistan, sondern wegen Pakistan. Die Elemente kann ich
aus Zeitgründen nur stichwortartig nennen: Wir müssen
Pakistan als Regionalmacht anerkennen und über die
Rolle Pakistans als Regionalmacht nachdenken. Bildung, Wirtschaft, Energie und Rechtsstaat sind natürlich
Faktoren, die darin vorkommen müssen. Aber es geht
nicht um eine deutsche Pakistan-Strategie. Wir können
nur Teil einer multilateralen Pakistan-Strategie der Europäischen Union sein,
({0})
abgestimmt mit den USA; aber wir müssen auch SaudiArabien und die Vereinigten Arabischen Emirate fragen,
die mit ihrem Geld die wahabitische Mission im Lande
unterstützen. Wir sollten China einbeziehen, das ja der
engste strategische Partner von Pakistan ist. Ich schließe
mich Herrn Klose ausdrücklich an: Wir sollten auch
schauen, dass wir etwas beitragen können zur Entspannung des pakistanisch-indischen Verhältnisses.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Ute Koczy das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Wir Grünen haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wir es für dringend notwendig erachten, Pakistan stabil zu halten. Die USA haben Angriffe auf pakistanischem Boden verübt. Diese destabilisieren nicht
nur Pakistan, sondern die gesamte Region.
Deutschland wird durch diese Anschläge in Mithaftung genommen. Was also tut die Bundesregierung? Wo
ist die Strategie? Wo sind die Konzepte? Wo ist tatsächlich ein ganzheitlicher Ansatz für die Region, die von einigen meiner Vorrednerinnen und Vorredner ja schon beschrieben worden ist? Ich möchte hinzufügen: Es geht,
wenn man die Region betrachtet, auch um die Staaten in
Zentralasien, die im Norden Pakistans und Afghanistans
zusehen, wie der Westen sich quasi aufreibt. Es geht bis
nach Russland, das natürlich auch ein Interesse daran
hat, zu sehen, wie wir uns in der Region halten. Wir
müssen darauf achten, dass diese Region nicht zu einem
Pulverfass wird.
Das, was wir jetzt erleben, die Übertragung der OEF
von Afghanistan nach Pakistan, ist - sosehr man es
verstehen kann, da die Terrorgruppen von Pakistan nach
Afghanistan herüberkommen - ein grundlegender, katastrophaler Fehler, der zum Ruin der gesamten Aufbauarbeit, die wir in Afghanistan und auch in Pakistan leisten, beitragen wird. Die USA machen denselben Fehler;
dasselbe Prinzip war schon in Afghanistan zum Scheitern verurteilt.
Wir wissen doch seit langem um die fragile Lage in
Pakistan - und dies nicht erst seit dem furchtbaren Anschlag auf das Marriott-Hotel. Es ist außerdem seit langem bekannt, dass die fragile Lage in Pakistan direkte
Auswirkungen auf Afghanistan hat. Wenn Pakistan nicht
stabil ist, dann kann es keine Stabilität in Afghanistan
geben. In diesem Falle wären unsere Bemühungen hinsichtlich der Aufbauarbeit, die wir dort leisten, zum
Scheitern verurteilt.
Es ist einfach erschreckend zu sehen, wie wenig Lösungsansätze wir in Deutschland und im Westen parat
haben. Herr Polenz hat von einem Perspektivwechsel gesprochen. Dieser Wechsel kommt aber reichlich spät für
eine Region, in der wir schon so lange aktiv sind.
({0})
Man darf die Bundesregierung nicht aus der Verantwortung dafür entlassen, dass hier viel zu spät die Bedeutung Pakistans in den Mittelpunkt gerückt wurde. Dieser
Mangel ist meiner Meinung nach jetzt eklatant zum Vorschein gekommen.
({1})
Das Problem des Terrorismus in dieser Region - der
furchtbare Anschlag gibt gewiss Anlass zum Nachdenken und hoffentlich zu klugen Interventionen - lässt sich
nicht allein mit militärischen Mitteln lösen, schon gar
nicht über die USA; denn alles, was von den USA
kommt, ist in dieser Region per se diskreditiert. Hier
muss man sorgfältig, mit Abstand und mit großer Sensibilität agieren. Man darf auf keinen Fall die jetzige pakistanische Regierung gefährden.
Es gibt eine Chance. Pakistan hat zum ersten Mal seit
den langen Musharraf-Jahren wieder eine demokratisch
gewählte Regierung und einen demokratisch gewählten
Präsidenten. So schwach die Regierung auch noch ist:
Man muss gemeinsam mit dieser Regierung einen Weg
zur Stabilisierung Pakistans suchen. Dazu bedarf es des
politischen Willens auf allen Seiten.
Es gibt in Pakistan trotz der besorgniserregenden
Lage positive Anknüpfungspunkte; wir stellen uns Pakistan immer nur als das gefährlichste Land vor. Es gibt
nämlich eine landesweite Bewegung der Richter und
Anwälte. Diese demokratische Massenbewegung verdient Unterstützung.
({2})
Die pakistanische Regierung muss die Freilassung von
noch immer unter Hausarrest stehenden Richtern verfügen und die Einschränkungen der Verfassungsordnung
unter Musharraf zurückdrehen.
Wir haben entsprechende Ansätze in unserer Entwicklungspolitik für Pakistan. Mit Energiesicherung, mit
Bildung und mit Frauenförderung sind wir auf dem richtigen Weg. Dies alles sind Zeichen der Hoffnung. Aber
damit allein ist es nicht getan. Wir brauchen eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans. Das muss natürlich einhergehen mit einer massiven Unterstützung
der Reformen im Justiz- und Sicherheitssektor.
Mit dem Blick auf Afghanistan brauchen wir eine
Stabilität in der gesamten Region. Pakistan ist schließlich Atommacht, und das Konfliktpotenzial mit Indien
ist längst nicht aus dem Weg geräumt. Ein Wettrüsten in
der Region muss verhindert werden; die Proliferationsgefahr muss eingeschränkt werden. Dass der indischamerikanische Atomdeal, der hier offen Doppelstandards etabliert und das Nichtverbreitungsregime entwertet, von der Bundesregierung in der Nuclear Suppliers
Group durchgewunken wurde, macht die Lage nicht einfacher, sondern gefährlicher.
({3})
Ähnliches gilt für die noch immer im Raum stehenden
Rüstungsexporte aus Deutschland an Pakistan, die in der
derzeitigen Lage sicher ein ganz falsches Signal wären.
Wir wollen von der Regierung deutliche Worte zu diesem wichtigen Thema hören.
Danke.
({4})
Das Wort hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt,
Gernot Erler.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zunächst den Angehörigen der Opfer des
schrecklichen Anschlags auf das Marriott-Hotel in Islamabad mein tiefstes Mitgefühl ausdrücken. Meine - ich
glaube, unser aller - Gedanken sind bei den Familien,
die einen tragischen Verlust erlitten haben, und bei den
zahlreichen Verletzten.
Dieser Anschlag hat uns allen noch einmal deutlich
gezeigt, wie schwierig die Lage in Pakistan ist und wie
dringend die internationale Gemeinschaft zu einer gemeinsamen Politik finden muss, durch die wir Pakistan
stabilisieren und durch die wir Pakistan in die Lage versetzen, eine positive, stabilisierende Rolle in einer strategisch wichtigen Region zu spielen. Die Zeit drängt - das
ist heute deutlicher als je zuvor -; denn Pakistan ist in
der Tat ein wichtiger Partner für uns. Mehrere Kolleginnen und Kollegen haben das hier gesagt. Gerade bei der
Stabilisierung Afghanistans geht nichts ohne eine verlässliche Zusammenarbeit mit Pakistan.
Die Bundesregierung hat immer für einen regionalen
Ansatz bei der Stabilisierung Afghanistans geworben,
Kollege Klose, Iran einschließend. Während unserer
G-8-Präsidentschaft im letzten Jahr haben wir eine Initiative zur Verbesserung der Beziehungen zwischen Pakistan und Afghanistan angestoßen. Wir sind mit der
nächsten G-8-Präsidentschaft - das ist Italien - im Gespräch, eine Regionalkonferenz durchzuführen, die alle
Nachbarn einbezieht. Ähnliche Vorschläge habe ich eben
schon gehört.
Aber Pakistan ist nicht nur aus diesem Grund ein
wichtiger Partner für uns. Pakistan ist eine Atommacht
in einem komplizierten regionalen Umfeld. Pakistan ist
das zweitgrößte muslimische Land der Erde. Pakistan
liegt an der Grenze zwischen zwei strategisch entscheidenden Weltregionen: dem mittleren Osten und Südasien. Deswegen greift es in der Tat zu kurz, Pakistan
ausschließlich durch das Prisma des Problems Afghanistan zu sehen. Da kann ich dem Kollegen Polenz nur
recht geben. Pakistan ist eine wichtige Regionalmacht.
Seine Handlungen und seine innere Verfasstheit haben
Auswirkungen auf die sicherheitspolitische Lage in der
gesamten Region. Damit sind für uns auch so strategisch
bedeutende Staaten wie die kommende Großmacht Indien und eben auch Afghanistan betroffen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade vor diesem
Hintergrund haben wir natürlich alle große Sorgen, wenn
wir heute nach Pakistan schauen und sagen müssen: Die
Sicherheitslage ist kritisch. In manchen Teilen des Landes drohen extremistische Kräfte die Kontrolle zu übernehmen. Dabei hat sich in der pakistanischen Innenpolitik - auch darauf ist hier schon hingewiesen worden - im
letzten Jahr einiges bewegt. Manches davon lässt uns
hoffen. Pakistan hat wieder eine vom Volk gewählte Regierung unter einem zivilen Präsidenten. Bei allen Problemen, die wir auch sehen: Das war ein wichtiger
Schritt in die richtige Richtung.
Präsident Zardari, der seine Frau Benazir Bhutto bei
einem Anschlag verloren hat, hat dem Terrorismus den
Kampf angesagt. Wir müssen ihn da beim Wort nehmen;
denn die Verantwortung für die Sicherheit in Pakistan
- in Islamabad, Karatschi und an der Grenze zu Afghanistan - trägt alleine die pakistanische Regierung. Sie
kann dabei auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft zählen, eine Unterstützung, die - das betone
ich - nur in Abstimmung mit der pakistanischen Regierung Erfolg verspricht. Gegenüber unseren Partnern,
auch gegenüber den Vereinigten Staaten, haben wir uns
entschieden dafür ausgesprochen, dass nur eine kooperative Lösung langfristig Erfolg haben kann. Jede getroffene Maßnahme muss daraufhin überprüft werden, ob
sie nicht das Gegenteil des Gewollten erreicht und von
den radikalen, antiwestlichen Kräften als Argument
missbraucht werden kann.
Leider ist Sicherheit nicht das einzige Problem. Pakistan befindet sich auch in einer tiefen Wirtschafts- und
Finanzkrise. Hier ist eine international abgestimmte Anstrengung nötig, um Pakistan zu helfen, langfristig zu einem sicheren, stabilen Wachstumskurs zu gelangen, eine
Anstrengung, die neben klassischer Entwicklungszusammenarbeit besonders ein Engagement der internationalen
Finanzinstitutionen erfordert. Wir als Bundesregierung
stehen bereit, uns an einer solchen internationalen Initiative zu beteiligen;
({0})
denn am Ende gilt: Eine positive wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist die beste Waffe gegen Radikalisierung, Instabilität und Terror.
({1})
Die Bundesregierung war frühzeitig in Kontakt mit
ihren Partnern in den USA und in Großbritannien, die
jetzt eine internationale Freundesgruppe für Pakistan
gründen wollen. Wir wollen uns in dieser Gruppe engagieren. In diesem Zusammenhang plädieren wir auch für
eine stärkere Rolle der EU. Europa war bisher in Pakistan nicht ausreichend präsent. Dies stellt uns zunächst
vor die Herausforderung, innerhalb der EU zu einer kohärenten Pakistan-Politik zu kommen, die der Rolle Pakistans als wichtiger Regionalmacht Rechnung trägt. Die
Bundesregierung - ich möchte das wiederholen und bekräftigen - ist zu diesen Anstrengungen bereit. Wir hoffen dabei auf Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
({2})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Jürgen
Klimke das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Der Kampf gegen den transnationalen Terrorismus
bleibt eine vorrangige Aufgabe der davon betroffenen Länder wie Pakistan und der internationalen
Gemeinschaft.
Dieses Zitat der Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigt
den Menschen in Pakistan, dass wir an ihrer Seite stehen
und auch in Zukunft an ihrer Seite stehen wollen und
werden.
Was brauchen wir in Pakistan? Was brauchen wir in
der Region? Es geht schließlich nicht nur um Pakistan,
sondern um die ganze Region. Wir brauchen zunächst
einmal Ruhe. Wir brauchen den Versuch, inneren Frieden
zu erzielen. Wir brauchen Entwicklung im gesellschaftspolitischen und im wirtschaftspolitischen Bereich. Eine
Möglichkeit ist der Beistand über die deutsche Entwicklungspolitik. In Abstimmung mit der EU kann durch konsequente Arbeit in allen entwicklungspolitischen Sektoren Terror und Gewalt der Nährboden entzogen werden.
Auch das ist Sinn der Entwicklungspolitik. In diesem
Sinn unterstützen wir die pakistanische Regierung in ihren Bemühungen, den Terrorismus nicht als Mittel der
politischen Auseinandersetzung gelten zu lassen.
Debatten wie diese sind notwendig, um der Weltöffentlichkeit immer wieder deutlich zu machen, um ihr jeden Tag ins Bewusstsein zu rufen, dass Pakistan neben
der Atomproblematik mit dem Iran in der jetzigen Situation eines der großen Risiken der internationalen Politik
ist und dass wir gemeinsam eine Lösung finden müssen.
Wie könnten Lösungsversuche aussehen? Für mich
als Entwicklungspolitiker heißt das, dass wir verstärkt
die Instrumente der Entwicklungspolitik und der Diplomatie nutzen müssen. Wir müssen die Bevölkerung in
Pakistan, die pakistanische Zivilregierung, das Militär
und den mächtigen Geheimdienst ISI gewinnen, um
mehr gegenseitiges Vertrauen herzustellen. Wir müssen
allen Pakistani die Möglichkeit eröffnen, im Rahmen
von stabilen politischen Verhältnissen am internationalen wirtschaftlichen Fortschritt teilzunehmen. Wir dürfen die Menschen in den Stammesgebieten, wo teilweise
noch archaische Zustände herrschen, oder auch in den
Großstadtslums nicht allein lassen. Die feudalistischen
Zustände, ob es nun Leibeigenschaft oder mittelalterliche Stadt- und Landstrukturen in weiten Teilen des Landes sind, müssen überwunden werden. Dabei müssen wir
helfen. Die Stabilität Pakistans und eine positive Entwicklung sind - das ist mehrfach gesagt worden - für die
friedliche Entwicklung in der Region und insbesondere
für die Konsolidierung in Afghanistan entscheidend.
Seit den letzten Regierungsverhandlungen mit Pakistan vor drei Jahren haben wir durch finanzielle Hilfe,
aber auch durch Projekte zur Stabilisierung beigetragen.
Pakistan erhielt Zusagen in Höhe von 54 Millionen Euro
für zwei Jahre, zusätzlich 27,5 Millionen Euro speziell
für den Wiederaufbau der vom Erdbeben betroffenen
Gebiete. Wir müssen aber auch die pakistanischen Provinzen erreichen, die an Afghanistan grenzen. Dort müssen geeignete entwicklungspolitische Maßnahmen zum
Einsatz kommen, weil wir dafür sorgen müssen, dass die
Bürger dieser Region den Heilsversprechungen der Taliban nicht länger verfallen. Ein sinnvoller Ansatz ist zum
Beispiel die Mikrofinanzierung. Sinnvoll ist vor allen
Dingen auch der Versuch der demokratischen Kräfte, die
unabhängige Justiz und die Medienfreiheit wiederherzustellen und zu sichern.
Wir müssen aber auch sehen, dass Pakistan eine Bildungsoffensive braucht, gegebenenfalls gegen den Wider18954
stand der Koranschulen, dass Pakistan ein viel besseres
Gesundheitssystem braucht, inklusive Familienplanung,
und dass Pakistan eine Landreform braucht, die den ländlichen Raum wieder mit Zukunft versieht, ihm eine Perspektive und Nachhaltigkeit gibt. Unabdingbar und notwendig ist, dass Pakistan mithilfe der Möglichkeiten
gerade im mittelständischen Bereich, im Bereich der Mikrofinanzierung mehr Wachstum auch in den sozial ganz
niedrigen Schichten erzielt. Letztendlich ist die Energieversorgung ein weiterer wichtiger Punkt, bei dem auch
Unterstützung von uns notwendig ist.
Pakistan muss wissen, dass wir die Hilfsangebote vergrößern wollen. Die Regierung hat es erklärt. Ich gebe
nicht nur der Bundeskanzlerin recht, die ich zu Beginn
meiner Rede zitiert habe, sondern auch der französischen Präsidentschaft, wenn sie sagt, dass wir Pakistan
mehr denn je an der Seite stehen wollen und werden.
Danke sehr.
({0})
Das Wort hat der Kollege Johannes Pflug für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Anschlag auf das Marriott-Hotel in Islamabad
hat bis heute 53 Menschen das Leben gekostet und
266 Menschen verletzt. Dieser Anschlag hat der Welt die
herrschende Instabilität und den zunehmenden Terror im
Nachbarland Afghanistans sehr deutlich vor Augen geführt.
Zwölf Familien stellen in Pakistan die Führungseliten
in Militär, Politik, Parteien und Wirtschaft. Die erste und
größte gesellschaftliche Gruppe ist das Militär. Es ist der
Staat im Staate. Die beiden großen pakistanischen Parteien PPP und PML-N haben sich in der Vergangenheit
weniger als politische Konkurrenten gesehen, sondern
mehr als Feinde bekämpft. Sie sind Kern der zweiten gesellschaftlichen Gruppe. Daneben wächst die Gruppe der
Zivilgesellschaft - Juristen, NGOs und Intellektuelle -,
die den Mittelstand verkörpert und sehr konservativ geprägt ist. Die vierte gesellschaftliche Gruppe ist die der
radikalen Islamisten, die gegen alle anderen Gruppen
kämpft.
Lassen Sie mich ein paar Positiva nennen. Erstens hat
die Präsidentschaftswahl am 6. September dieses Jahres
ein positives Ergebnis gebracht. Mit der Wahl Zardaris
ist zumindest im Augenblick der Machtkampf zwischen
den beiden großen Parteien entschieden. Das gibt die
Chance, dass PPP und PML-N zu einem fairen Parteienwettbewerb übergehen und somit für mehr Stabilität sorgen. Zweitens haben die Menschen in Pakistan bei den
Parlamentswahlen mit ihrer Entscheidung erneut deutlich gemacht, dass sie den Radikalen ablehnend gegenüberstehen. Lassen Sie mich einen dritten Punkt nennen:
Es gibt in Pakistan freie und kritische Medien.
Die gegenwärtige Instabilität hat verschiedene Ursachen. Dies ist vor allen Dingen der Niedergang der pakistanischen Wirtschaft mit einer Inflationsrate von derzeit
etwa 25 Prozent, bei Nahrungsmitteln sogar 35 Prozent,
bei gleichzeitig abnehmendem Wirtschaftswachstum
- auf derzeit etwa 3,5 bis 4 Prozent - und zunehmender
Arbeitslosigkeit.
Eine zweite Ursache ist das Erstarken der Taliban.
Die Taliban haben sich immer stärker von Afghanistan
in den Nordwesten Pakistans zurückgezogen und verbünden sich mit al-Qaida. Sie wollen nicht nur die afghanische Entwicklung zerstören, sondern auch Pakistan
erschüttern und den Staat beherrschen.
Eine dritte Ursache ist, dass der pakistanische Geheimdienst, ISI, zu großen Teilen mit den Taliban paktiert, um dadurch seinen Einfluss in Afghanistan vermeintlich zu stärken.
Die vierte Ursache ist, dass die amerikanischen Militäroperationen gegen die Terroristen auf pakistanischem
Territorium sicherlich wenig Erfolg hatten und keine
Sympathien bei der Bevölkerung bewirkt haben. Sie sind
kontraproduktiv; denn sie stoßen bei den Pakistani auf
immer stärkeren Widerspruch und Widerstand. Davon
profitieren nur die Radikalen. Sie stellen die pakistanische Regierung als Handlanger der USA dar und destabilisieren somit deren Autorität.
Kurz gesagt: Die Situation in Pakistan ist nicht nur
schwierig, sondern dramatisch. Es wird Zeit zum Umdenken. Die Vereinigten Staaten müssen die pakistanische Regierung zu ernsthaften Versuchen zwingen, den
Geheimdienst ISI unter Kontrolle zu bekommen. Der
Versuch des pakistanischen Innenministers, Rehman
Malik, im Juli dieses Jahres, dies zu tun, ist kläglich gescheitert. Dies geht nur mithilfe der Vereinigten Staaten.
Wir brauchen vor allem eine zwischen den USA, Pakistan und Afghanistan sowie den ISAF-Truppen in
Afghanistan abgestimmte Strategie. Dabei kann die Europäische Union eine besondere Rolle spielen, und
gleichzeitig müssen China und Indien unbedingt in diese
Strategie eingebunden werden, da beide mit Afghanistan
oder Pakistan eng verbunden sind.
Wer Terrorismus in Pakistan wirksam bekämpfen
will, muss die Unterstützung der Pakistani gewinnen.
Deshalb müssen wir mehr Engagement für Hilfsprogramme aufbringen, die die Infrastruktur, die Wirtschaft
und vor allen Dingen das pakistanische Bildungssystem
verbessern und stärken, vor allem gegen den Einfluss der
rund 14 000 Religionsschulen.
({0})
Diese Religionsschulen sind Kaderschmieden der Taliban. Das waren sie vor einigen Jahren und sind es noch
heute.
Wir müssen endlich verstehen: Pakistan ist nicht nur
das Nachbarland von Afghanistan, über die Bevölkerung
mit diesem Land eng verbunden, sondern auch ein Krisenherd mit ganz besonderen Problemen. Wenn wir die
Atommacht Pakistan jetzt nicht stabilisieren, ist auch unser Engagement in Afghanistan ernsthaft gefährdet.
({1})
Nun hat der Kollege Hans Raidel für die Unionsfraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Fest steht: Deutschland, die EU und die Staatengemeinschaft sind im eigenen Interesse aufgefordert,
eine stabilitätsorientierte Entwicklung in Pakistan nach
Kräften zu fördern. Alle Beiträge hier haben das unterstrichen. Nach den Irrungen und Wirrungen der letzten
Zeit muss Pakistan aber selbst die Chance für einen Neuanfang nutzen. Wir müssen mithelfen, die demokratischen Kräfte des Landes zu stärken, Menschenrechte zu
schützen, die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern,
kulturelle Identität zu stiften und vor allem das Gewaltmonopol des Staates wiederherzustellen, um dem Land
damit wieder Stabilität zu geben.
Nach meiner Auffassung sind die Terroranschläge
eine eindeutige Kriegserklärung auch an die neue Regierung in Pakistan. Sie sind sicherlich geeignet, das Land
an den Rand des politischen Abgrunds zu drängen. Insbesondere wird versucht, die derzeit sehr enge Zusammenarbeit zwischen Amerika und der Regierung zu stören,
praktisch einen Keil dazwischenzutreiben. Natürlich: Die
USA glauben, dass Pakistan den Terror nicht allein bekämpfen kann, und wollen verstärkt eingreifen. Die pakistanische Seite vertritt den Standpunkt, dass das Eingreifen der ungeliebten Supermacht gerade dazu beiträgt,
den Terrorismus weiter anzuheizen und zu fördern. Ich
glaube, beide Seiten haben aus ihrer Sicht recht. Aber genau das macht die Lage natürlich nicht einfacher.
Der neue Präsident hat gesagt - für mich ein wenig
vollmundig -: Ich werde das Krebsgeschwür Terrorismus nun vernichten. - Ich bin der Meinung, dass solche
starken Worte allein natürlich wenig helfen. Die Regierung muss zusammen mit dem Militär endlich entschlossen reagieren und den radikalen Islamisten nun das
Handwerk legen. Dazu braucht es natürlich viel Geduld
und vor allem viel Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.
Auch nach einhelliger Auffassung des Sicherheitsrates gilt es, den Terrorismus in Afghanistan, in Pakistan,
wenn Sie so wollen: weltweit entschiedener zu bekämpfen. Deshalb hat der afghanische Verteidigungsminister
den Vorschlag gemacht, dass die afghanische und die pakistanische Armee zusammen mit ISAF, OEF und insbesondere den Amerikanern abgestimmte, gemeinsame
Operationen durchführen, zumal sich Terroristen, wie
wir wissen, sowohl in dem einen als auch in dem anderen Gebiet aufhalten und reorganisieren. Wenn das gelänge, könnte man vielleicht auch die leidigen Probleme
der Grenzüberschreitungen, der Völkerrechtsverletzungen etc. zumindest ein bisschen besser in den Griff bekommen.
Eine florierende Wirtschaft ist - auch das wurde bereits erläutert - die notwendige Voraussetzung für Befriedung und Entwicklung. Wenn die internationale Staatengemeinschaft hier wirklich helfen will - das muss sie
tun -, dann könnte sie für das gesamte Gebiet, insbesondere für Pakistan, aber auch für Afghanistan, eine Art
Marshallplan auflegen.
In Pakistan sollte man sich das Konzept, nach dem
Deutschland in Afghanistan vorgeht, zu eigen machen.
Es muss gelingen, die Hoheit über die Stammesgebiete
zu gewinnen, nicht nur militärisch, sondern vor allen
Dingen auch ideell. Es müssen Straßen und Schulen gebaut werden; das haben wir vor, und das tun wir bereits.
Man muss die Sicherheit fördern und damit die Voraussetzungen für die Entwicklung von Wohlstand schaffen.
Vor allen Dingen muss man den Fundamentalisten den
Boden unter den Füßen wegziehen. Man muss also einen
Kampf um Köpfe und Herzen führen. Wenn in diesem
Kampf ein Sieg gelänge, dann wäre das nicht nur Pakistan, sondern uns allen dienlich.
Der moralische Zeigefinger, der heute häufig erhoben
worden ist, hilft uns bei der Bewältigung dieses Problems aber nicht. Die praktischen Beiträge, die notwendig sind, erfordern Personal und Material. Außerdem
müssen dafür finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt
werden. Ich bin gespannt, wie sich dieses Haus - insbesondere die Fraktionen, die hier immer die moralische
Keule schwingen - dann verhalten wird, wenn es darum
geht, diese Anstrengungen durch finanzielle Beiträge,
aber auch durch andere Maßnahmen, die positiv dargestellt worden sind, zu untermauern.
({0})
Denn ohne finanzielle Hilfe sind die Programme nicht
das Papier wert, auf dem sie stehen, und auch nicht die
Worte, die darüber gesprochen werden.
({1})
Das Wort hat der Kollege Detlef Dzembritzki für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich erinnere mich noch gut an das Frühjahr dieses Jahres, als wir uns mit dem Ergebnis der Wahl in Pakistan
auseinandergesetzt haben. Wir alle waren aufgrund der
Tatsache, dass die Extremisten die Verlierer der Wahl
waren und die gemäßigten Kräfte die Mehrheit im Parlament errungen haben, großer Hoffnung. Das Wahlergebnis hatte zur Folge, dass nicht nur bei uns, sondern insbesondere auch in der pakistanischen Bevölkerung eine
gewisse Erwartungshaltung entstanden ist. Zu einer offenen Diskussion gehört, festzuhalten, dass die Erwartungen, die die pakistanische Bevölkerung hatte und hat,
von den Wahlsiegern bisher nicht hinreichend erfüllt
worden sind.
Wir alle erinnern uns daran, wie sich die Wahlsieger
verhielten, als es darum ging, die Richter wieder einzusetzen, und daran, wie der jetzige Präsident mit allen
möglichen Taktiken verhindert hat, dass das Amnestiegesetz zurückgenommen wird, weil er offensichtlich
Sorge hatte, selbst die Amnestie zu verlieren.
({0})
Ich will all das nicht vertiefen. Ich will nur aufzeigen,
dass die wichtigsten Mechanismen im Land selbst zu
finden sind. Diejenigen, die in Pakistan Verantwortung
haben, müssen diese Verantwortung im Interesse ihres
Volkes viel stärker wahrnehmen.
({1})
Ich glaube, darauf muss man ab und zu hinweisen.
Frau Kollegin Koczy, bei aller Sympathie für Ihren
Beitrag muss ich Ihnen sagen: Durch diese Aktuelle
Stunde können wir zur Stabilität in Pakistan nur wenig
beitragen. Hilfreich wäre es, wenn im dortigen Parlament Aktuelle Stunden stattfänden, in denen darum gerungen würde, wie man Arbeitsplätze schaffen kann, wie
die Energieprobleme beseitigt werden können und wie
die Wirtschaft angekurbelt werden kann. In den Gesprächen, die ich im Mai dieses Jahres mit Kollegen aus
Pakistan geführt habe - ob mit Kollegen aus der
Musharraf-Partei, aus der Sharif-Partei oder aus der
Bhutto-Partei -, empfand ich es allerdings als sehr deprimierend, dass die Themen Wirtschaft und Arbeitsplätze
von ihnen gar nicht angesprochen wurden. Wenn überhaupt, äußerten sie die Erwartung, die Probleme in diesen Bereichen würden von den internationalen Investoren gelöst.
Ich finde es auch wichtig, zu wissen, dass die Deutschen in Pakistan einen sehr guten Ruf haben, und zwar
aufgrund unserer Entwicklungszusammenarbeit und aufgrund der guten Arbeit, die auch von der Botschaft
geleistet wird, die nicht nur zur Regierung und zum Parlament, sondern auch in die Nichtregierungsorganisationen und in die Zivilgesellschaft hinein hervorragende
Kontakte hat. Wir sollten hier auch einmal ein bisschen
selbstbewusst festhalten, dass unsere politischen Stiftungen - die Konrad-Adenauer-Stiftung, die FriedrichEbert-Stiftung, die Hanns-Seidel-Stiftung und die
Friedrich-Naumann-Stiftung - eine sehr gute Arbeit im
Lande leisten.
({2})
Liebe Kollegen von der FDP, wir haben hier vom
Kollegen Dr. Hoyer gerade gehört, dass auch der Leiter
der Friedrich-Naumann-Stiftung zu den Verunglückten
und Verletzten gehört. Ich glaube, dass an dieser Stelle
insbesondere der Wunsch besteht, dass dieser Kollege
schnell genesen wird.
({3})
Aus persönlichem Erleben kann ich sagen, dass alle
hier genannten Institutionen eine hervorragende Arbeit
leisten, mit der wir - ich will nicht das Wort „stolz“ wählen - sehr zufrieden sein können.
({4})
Ob wir im Energiebereich, im Gesundheitsbereich, im
Bildungsbereich oder in der Demokratieförderung tätig
sind: Es entstehen bestimmte Erwartungen. Eine Erwartung ist - das muss auch in Richtung der Regierung gesagt werden -, dass unsererseits Einfluss auf die amerikanischen Partner genommen wird. Ich glaube, ich habe
das hier im Bundestag schon einmal gesagt: Ich war über
die Einschätzung erschrocken, die die USA in Pakistan
erfahren. Von Vertrauen ist dort überhaupt nichts zu spüren. Die Erfahrung, dass die gleiche Augenhöhe offensichtlich überhaupt nicht herstellbar ist - ich formuliere
das alles noch sehr freundlich -, geht so tief, dass auch
von anderen erwartet wird, Einfluss zu nehmen.
Hier sind viele Vorschläge gemacht worden. Ich
glaube, dass Deutschland die Erfahrungen, die wir aufgrund unserer Nachkriegsgeschichte gewonnen haben,
in die Region tragen muss. Hier wurde von Perspektive
gesprochen: Es hat über den Helsinki-Prozess perspektivische Veränderungen gegeben, und solche Erfahrungen
müssen in die Region eingebracht werden. Ich glaube,
wir sollten nicht sagen, welches Land wichtig oder wichtiger ist. Wenn die Region insgesamt nicht befriedet wird
oder sich nicht selbst befriedet, wenn nicht das Misstrauen abgebaut wird - wenn Sie in Afghanistan sind,
dann hören Sie natürlich Vorurteile gegenüber Pakistan,
wenn Sie in Indien sind, dann hören Sie Vorurteile gegenüber anderen Ländern - und wenn wir nicht den Versuch unternehmen, bestimmte Grundregeln, die zum
Beispiel in Helsinki entwickelt worden sind, mit internationaler Hilfe, aber auch in voller Verantwortung der betroffenen Länder dort in eine regionale Konferenz einfließen zu lassen, dann wird es in dieser Region aus
meiner Sicht schwierig bleiben und dann wird nicht die
notwendige Veränderung erreicht werden, die wir dort
alle gemeinsam erwarten müssen.
Neben der Hoffnung, die durchaus erkennbar ist,
bleibt auch die Herausforderung, dass wir dort nicht nur
mit Einzelaktionen tätig werden, wie zum Beispiel - das
ist sehr richtig -, die Außenminister von Afghanistan
und Pakistan zusammenzubringen.
Herr Dzembritzki, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Wir müssen auch spüren, dass dort eine Kontinuität
hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit und der
eigenen Wahrnehmung von Verantwortung in der Region entsteht.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Gert Weisskirchen für
die SPD-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will Detlef Dzembritzki nur noch ergänzen
und ausdrücklich erwähnen, dass die Heinrich-Böll-Stiftung ebenfalls in Pakistan vertreten ist - in Lahore - und
dort eine ganz außergewöhnlich gute Arbeit leistet, wie
alle anderen politischen Stiftungen aus der Bundesrepublik Deutschland auch.
({0})
Einen entscheidenden Punkt können und dürfen wir
hier festhalten: Extremismus und Terrorismus kann man
am besten bekämpfen oder verdrängen, indem man das
Land im Inneren stabiler macht und festigt. Ich glaube,
das ist die beste Waffe - wenn man das überhaupt als
Waffe bezeichnen darf -, mit der deutlich gemacht werden kann, dass dieses Land in der Zukunft eine Perspektive haben muss.
Insbesondere die jungen Menschen brauchen diese
Perspektive, damit sich ihre eigene ökonomische, soziale
und kulturelle Zukunft positiv entwickelt. Der eine oder
andere hat wie Sie, Frau Koczy, gefragt, was die Bundesregierung tut. Genau das leistet die Bundesregierung:
Sie hilft mit bei dieser Entwicklung. Sie wissen doch aus
Ihrem eigenen Ausschuss, was sie über die Entwicklungsministerin und die Arbeit des Auswärtigen Amtes
leistet.
Frank-Walter Steinmeier hat im Mai des vergangenen
Jahres in Potsdam ganz bewusst das Treffen der G-8-Außenminister dazu genutzt, die Außenminister Afghanistans und Pakistans einzuladen und miteinzubeziehen. Sie
haben eine gemeinsame Erklärung abgegeben, die ebenfalls zum Ziel hat, die innere Entwicklung Pakistans zu
festigen und voranzutreiben.
Nach dem G-8-Gipfel hat sich die internationale Staatengemeinschaft mit immerhin 160 Projekten verpflichtet, die Zusammenarbeit vor allem junger Menschen im
Bildungsbereich, im Erziehungswesen und beim Aufbau
neuer Arbeitsplätze zu fördern. Alleine die Bundesrepublik Deutschland hat sich verpflichtet, 20 Projekte zu finanzieren. Dabei besteht die Möglichkeit, dass junge Pakistani, aber auch junge Deutsche, Briten und andere in
zivilgesellschaftlichen Projekten zusammenarbeiten.
Eines der schönsten Projekte ist ein Jugendparlament
in Pakistan, in dem 60 junge Frauen und Männer zusammenarbeiten. In diesem Jugendparlament ist es ihnen gelungen, ein Manifest dazu zu erarbeiten, wie die zukünftige Entwicklung Pakistans aussehen kann. Es geht
konkret darum, die Situation insbesondere von jungen
Menschen in Pakistan selbst zu verbessern.
Das sind, wie ich finde, sehr schöne Zeichen dafür,
dass wir zwar die Zukunft Pakistans in ihren ganzen großen Gefahren sehen müssen, aber auch die Chancen erkennen und durch unsere Entwicklungspolitik und die
Arbeit des Auswärtigen Amtes mithelfen, diesen jungen
Menschen eine bessere Perspektive dafür zu bieten, ihr
Leben in die eigene Hand nehmen zu können.
Ich finde, allein das Jugendparlament macht deutlich,
dass dieses Land eine andere Zukunft haben kann. Daran
sollten wir gemeinsam mitarbeiten.
({1})
Gestatten Sie mir zum Schluss eine kritische Anmerkung. Wir wissen, dass Pakistan ein Land ist, das vor
dem Abgrund steht. Es kann auch passieren, dass es sich
selbst in diesen Abgrund hineinmanövriert. Aber wir
sollten uns auch daran erinnern, warum die Situation
beiderseits der Grenzen zwischen Afghanistan und Pakistan so ungeheuer gefährlich ist. Liegt es nicht vielleicht auch daran, dass man früher künstlich koloniale
Grenzen mitten durch die Stammesgebiete beispielsweise der Paschtunen gezogen hat,
({2})
ohne auf die Bedürfnisse dieser Menschen, die zusammenbleiben wollten, Rücksicht zu nehmen? Dieser Tatbestand geht nun einmal auf das britische Kolonialreich
zurück. Natürlich ändert das nichts an den terroristischen
Gefahrenpotenzialen dort. Peschawar ist nur ein Beispiel. Der Kollege von Klaeden hat auf die FATA hingewiesen. Das sind die Stammesgebiete, die die Terroristen
von innen zu erobern versuchen, um von dort aus neue
kriegerische Angriffe zu starten. Es ist richtig, dass das
bekämpft werden muss. Dabei kommt es darauf an, die
richtigen Mittel einzusetzen. Man darf nicht allein auf
das Militär setzen, sondern muss den zivilen Aufbau so
vorantreiben, dass die ökonomische und soziale Entwicklung und die Zukunft dieser Menschen im Blickfeld
stehen und mit ihnen gemeinsam eine neue Perspektive
für Pakistan erarbeitet wird.
({3})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 25. September
2008, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.