Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich begrüße Sie alle recht herzlich, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord-
nungspunkte 1 a bis b - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({0})
- Drucksache 16/9900 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache
eine Redezeit von insgesamt siebeneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen die heutigen Beratungen mit
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
Das Wort hat der Bundesminister Olaf Scholz.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Täglich gehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Fabriken und Verwaltungen, in die Läden und Lagerhäuser, auf die Baustelle oder in die Praxis, um zu arbeiten. Sie strengen sich an - mit
Leidenschaft oder mit zusammengebissenen Zähnen, mit
vollem Nachdruck oder mit den Gedanken bei den Kindern. Ihre Anstrengungen müssen sich auszahlen. Ihre
Leistung muss sich lohnen. Anders als mancher nur
Wirtschaftsliberale meine ich mit Leistung auch die Arbeit des Altenpflegers, der sich für 1 700 Euro brutto im
Monat um alte Menschen kümmert.
({0})
Ich meine auch den älteren Monteur im Projekt „Silver
Line“ bei Audi in Neckarsulm, den ich vor ein paar Wochen traf und der stolz ist, eine abwechslungsreiche Arbeit zu haben.
({1})
Ich meine auch die Alleinerziehende, die mit einem
Minijob am Berufsleben teilnimmt. Unter Leistung verstehe ich auch die Anstrengung eines Sohns türkischer
Eltern, der sich über eine Einstiegsqualifizierung eine
Lehrstelle erkämpft.
({2})
Ich meine auch den Querschnittsgelähmten, der sich in
einer Reha-Einrichtung auf ein neues Leben einstellen
muss und sich seinen Alltag mit dem persönlichen Budget selbst organisiert. Natürlich meine ich auch die Ingenieurin, die versucht, ihre Qualifikation zu bewahren
bzw. weiterzuentwickeln, um Schritt zu halten mit dem
Fortschritt.
Alle diese Bürgerinnen und Bürger haben zu Recht
die Erwartung, dass wir Politikerinnen und Politiker unsere Verantwortung wahrnehmen und ihnen bei der Gestaltung ihres Lebens helfen - konkret und pragmatisch.
Meine Damen und Herren, das Schlimmste ist, wenn
man bei dem Vorhaben, eine Arbeit zu finden, um sein
Leben dadurch zu organisieren, immer wieder auf
Schwierigkeiten stößt, weil man keine Arbeitsmöglichkeit findet. Darum finde ich, dass es eine der besten
Nachrichten der letzten Zeit ist, dass die Arbeitslosigkeit so stark zurückgegangen ist. Es wäre eines der besten Signale für die Zukunft, wenn wir erreichen könnten,
dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr einmal unter
Redetext
3 Millionen sinkt. Das ist ein Erfolg guter Politik, meine
Damen und Herren.
({3})
Wir tun recht daran, am Ziel der Vollbeschäftigung in
unserer Gesellschaft festzuhalten.
({4})
In einer Gesellschaft, die so sehr auf Arbeit aufgebaut
ist, die so sehr an den Anstrengungen unserer Bürgerinnen und Bürger partizipiert, die sie so sehr fordert, muss
eine an sozialer Marktwirtschaft orientierte Politik jedem das Versprechen geben, dass er es schaffen kann,
eine Arbeit zu finden. Für mich ist deshalb unser wichtigster Auftrag, sicherzustellen, dass man spätestens
nach einem Jahr eine Arbeit findet, wenn man eine
sucht. Das wäre für mich eine gute Definition von Vollbeschäftigung. Das ist ein Auftrag für die Politik.
({5})
Wir müssen alles tun, um das zu erreichen. Wenn wir
das also wollen, müssen wir den Ehrgeiz haben, dass die
Arbeitsvermittlung in unserem Land zur weltweit leistungsfähigsten Institution wird.
({6})
Daran arbeiten wir jetzt zum Beispiel, indem wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente bündeln, indem wir
dafür sorgen, dass jeder Vermittler und jede Vermittlerin
in diesem Land den Instrumentenkasten auswendig
kennt und nicht in irgendeinem Handbuch blättern muss,
um jemandem zu helfen.
({7})
Dafür sorgen wir auch, indem wir uns jetzt darum bemühen, eine Anschlussregelung für die Arbeitsgemeinschaften aus Kommunen und Bundesagentur zu finden;
denn sie sind es, die sich vor allem um die Langzeitarbeitslosen kümmern. Die Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir auf alle Fälle und mit allen Möglichkeiten, die
wir haben, bekämpfen; denn die Angst, die man hat,
wenn man seinen Arbeitsplatz verloren hat und meint,
dass es nicht mehr besser wird, ist das, was am meisten
schreckt. Darum müssen wir alles tun, um das zu ändern.
({8})
Ich sage auch in Richtung derjenigen, die skeptisch sind:
Die 41 Milliarden Euro, die wir in diesen Haushalt für
arbeitsmarktbezogene Leistungen eingeplant haben,
sind gut angelegtes Geld. Die Bürgerinnen und Bürger
haben es verdient, dass wir es dafür einsetzen und zur
Verfügung stellen.
({9})
Erlauben Sie mir die Bemerkung: Gelegentlich heißt es
in öffentlichen Pressemeldungen: Scholz soll sparen.
Damit sind immer Einsparungen bei den Arbeitslosen
gemeint, mein persönliches Einkommen ist davon nicht
berührt. Ich hoffe, dass sich dann auch die eigentlich betroffenen Arbeitslosen empören, weil sie wissen, dass sie
selbst gemeint sind, wenn diese Wörter in irgendeiner
Pressemitteilung fallen.
({10})
Wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will, dann
muss man überall Arbeit schaffen. Man muss sie im Bereich hoher Technologie schaffen, aber auch dort, wo
Arbeit anders strukturiert ist. Deshalb werden wir jetzt
eine Initiative ergreifen, um im haushaltsnahen Bereich
Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bundesregierung wird
dazu in Kürze die notwendigen Vorschläge machen. Das
wird ein guter Fortschritt für mehr Beschäftigung in diesem Land.
({11})
Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, wer dafür sorgen will, dass wir in der Zukunft eine gute Beschäftigungslage haben, der muss sich sehr klar sein über die
Szenarien, die für unser Land möglich sind. Ich sehe genau zwei. Das eine Szenario für - sagen wir - das Jahr
2015 ist, dass wir eine hohe Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel haben. Das andere Szenario ist, dass wir
keinen Fachkräftemangel und kaum Arbeitslosigkeit haben. Welches der beiden Szenarien eintreten wird, haben
wir mit unseren Entscheidungen, die wir hier in diesem
Parlament treffen, die die Länder treffen und die natürlich jeden Tag in der Wirtschaft getroffen werden, in der
Hand.
({12})
Weil das so ist, dürfen wir nichts falsch machen. Wir
müssen in dieser Angelegenheit das Notwendige tun.
Das heißt, wir dürfen es nicht hinnehmen, dass jedes
Jahr fast 80 000 junge Leute - fast 8 Prozent aller Jugendlichen - die Schulen ohne Schulabschluss verlassen. Wir müssen das ändern. Wir müssen die Länder auffordern, alles dafür zu tun, um die Zahl dieser
Schulabbrecher zu halbieren.
({13})
Wir müssen auch Wege finden, um denjenigen helfen zu
können, bei denen es nicht geklappt hat. Darum ist es
notwendig, dass wir jedem sagen: Wer sich in seinem
Leben noch einmal auf den Hosenboden setzen will - ob
mit 27 oder mit 37 -, dem muss das möglich sein. Darum wollen wir es fördern, wenn jemand seinen Hauptschulabschluss nachholen will. Das ist ein gutes Signal,
das unsere Gesellschaft aussenden kann.
({14})
Es bedeutet auch, dass wir uns darum bemühen, dass
mehr Ausbildungsplätze entstehen. Wie viel ausgebildet wird, entscheidet darüber, wie viele Fachkräfte wir
haben. Es entscheidet auch mit darüber, welches SzenaBundesminister Olaf Scholz
rio eintreten wird. Der schöne Spruch „Wer nicht ausbildet, der soll sich nicht über den Fachkräftemangel beklagen“ enthält zu viel Wahrheit. Er bedeutet, dass noch
mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden müssen.
({15})
Wir helfen mit dem Ausbildungsbonus. Wir helfen
aber auch, indem wir sagen: Lasst niemanden beiseite,
guckt euch auch diejenigen an, die keine so guten Ausgangsbedingungen mitbringen; die meisten schaffen es
noch. Wenn sie eine Lehre geschafft haben, dann können
sie noch viele Jahrzehnte lang erfolgreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Niemand darf als ausbildungsunfähig abgetan werden. Das ist meine feste
Überzeugung.
({16})
Vergessen wir nicht: Die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen hat keinen Berufsabschluss. Das ist etwas, über das
zwar gern und viel geredet wird, das uns aber nicht nur
als Rede einleuchten soll. Vielmehr muss es jeden Tag
unsere Praxis bestimmen.
Fachkräftemangel kann man auch bekämpfen, indem
man ein durchlässigeres Bildungssystem schafft. Deshalb ist es aus meiner Sicht unbedingt notwendig, dass
wir auch für diejenigen, die nicht mit Abitur an die Universität können, eine Möglichkeit schaffen, ihre Talente
zu entwickeln. Ich bin dafür, dass auch derjenige, der
den Meister gemacht hat, oder derjenige, der eine Lehre
gemacht und ein paar Jahre Berufserfahrung gesammelt
hat, die Möglichkeit bekommt, an die Universität zu gehen.
({17})
Auf diese Weise könnte ein Teil der in unserem Land
fehlenden Ingenieure schnell ausgebildet werden.
Auch darüber hinaus müssen wir meiner Meinung
nach die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Deshalb ist es eine sehr gute Initiative der Bundesregierung,
dort, wo es um Spitzenkräfte geht, um diejenigen, die
eine akademische Qualifizierung haben, den Arbeitsmarkt in Deutschland so beweglich zu machen, wie es
notwendig ist. Wir haben sichergestellt, dass es ab dem
nächsten Januar möglich ist, Akademiker aus Europa
und auch aus anderen Ländern der Welt zu holen.
Deutschland kann in den Wettbewerb um die besten
Köpfe eintreten. Die Unternehmen müssen von dieser
Möglichkeit nur Gebrauch machen.
({18})
Arbeit nimmt einen großen Raum in unserem Leben
ein. Manche arbeiten fünf Jahrzehnte. Damit das gut
geht, müssen wir alles tun, um das möglich zu machen,
im Interesse der Beschäftigten, aber auch der Unternehmen. Deshalb wird es notwendig sein, dass wir noch eine
neue Initiative für humane Arbeitsbedingungen starten. Es geht um alternsgerechtes Arbeiten. Das fängt
aber schon mit 22 Jahren an. Wer in diesem Alter verschlissen wird, kann mit 52 nicht mehr arbeiten. Das
heißt, die humanen Arbeitsbedingungen müssen schon
in einem frühen Lebensalter sichergestellt sein.
({19})
Arbeit und Ehe, Partnerschaft und Kinder unter einen
Hut zu bringen, wird immer schwierig bleiben. Aber wir
können es leichter machen. Das haben wir mit unseren
Initiativen zum Ausbau der Kinderbetreuung getan.
Aber das müssen auch die Unternehmen mit unserer Unterstützung tun, indem sie die Vereinbarkeit von Beruf
und Familie als Teil eines normalen langen Arbeitslebens ermöglichen; alle müssen dazu beitragen, dass das
funktioniert.
({20})
Natürlich müssen wir auch dafür sorgen, dass die
Menschen sich ordentlich weiterbilden. Das hört sich
immer so an, als gehe es darum, dass jeder die höchsten
Bildungsstufen erreichen müsse.
({21})
- Warum fragen Sie mich das? - Aber darum geht es
nicht; vielmehr geht es darum, dass jeder die Möglichkeit erhält, seine Fähigkeiten auszuschöpfen. Denn vier,
fünf Jahrzehnte Arbeit können nicht immer allein auf
dem aufgebaut werden, was man am Anfang gelernt hat.
Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich weiterbilden, wollen wir mit einer starken Weiterbildungsinitiative in den Unternehmen erreichen.
({22})
Zu einem modernen Arbeitsleben gehört auch Souveränität der Beschäftigten, sich ihre Zeit selbst organisieren zu können. Sonst sind die vier, fünf Jahrzehnte Arbeit viel zu schwierig zu bewältigen. Darum ist eines der
Gesetzgebungsvorhaben, die wir in der nächsten Zeit beraten werden, vielleicht das, von dem man in zehn Jahren sagen wird: Das war eine ganz entscheidende Weichenstellung in der Politik. Es geht um die Absicherung
der Langzeitkonten, ihre Insolvenzsicherung, damit
man sich als Arbeitnehmer darauf einlassen kann; es
geht um die Möglichkeit, diese Konten mitzunehmen.
Wer vier, fünf Jahrzehnte arbeitet, braucht Spielraum,
um Zeit zu haben, um zum Beispiel ein Jahr aus dem Arbeitsleben herausgehen zu können, vielleicht um das mit
den Kindern besser hinzubekommen, um im Alter gleiten zu können oder um sich weiterbilden zu können. Darum werden diese Langzeitkonten und ihre für jeden
Mann und jede Frau nutzbare praktische Verbreiterung
für das Arbeitsleben der Zukunft eine wichtige Rolle
spielen. Wir haben jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen.
({23})
Zu einer modernen Welt gehört auch, dass die Beschäftigten an ihren Unternehmen mitbeteiligt sein können. Darum ist die Mitarbeiterbeteiligung, die die
Große Koalition politisch miteinander vereinbart und die
Regierung jetzt auf den Weg gebracht hat, ein ganz entscheidender Schritt für ein modernes Arbeitsleben, für
eine Welt, in der die Beschäftigten an den Früchten ihrer
Arbeit auch anders als über den Lohn beteiligt werden
und in der die deutschen Unternehmen die Möglichkeit
haben, mit ihrer sehr zurückhaltenden Kultur in dieser
Frage zu brechen und anzuschließen an modernere Länder, in denen es mehr Mitarbeiterbeteiligung gibt. Wir
schaffen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür.
({24})
Meine Damen und Herren, wer sich anstrengt, will,
dass das anerkannt wird. Selbstverständlich müssen wir
auch erreichen, dass die Lebensleistung derjenigen, die
sich schon angestrengt haben, anerkannt und geachtet
wird. Die Rentnerinnen und Rentner haben es verdient,
dass wir dafür sorgen, dass sie eine ordentliche Altersversorgung haben. Sie haben es nicht verdient, dass ihre
Lebensleistung als Transferleistung disqualifiziert wird.
Es ist richtig, dass wir das als einen Anspruch absichern.
Es ist richtig, dass dafür in diesem Haushalt ein allgemeiner Zuschuss von 63,5 Milliarden Euro vorgesehen
ist; das will ich ausdrücklich hinzufügen.
({25})
Meine Damen und Herren, wenn es um Anstrengungen geht, dann geht es auch darum, dass die Arbeit, die
man leistet, in ihrer Werthaltigkeit und in ihrer ganzen
Ehre geschätzt wird. Darum will ich zum Schluss sagen,
was notwendig dazu gehört: Es kann nicht sein, dass jemand den ganzen Tag, die ganze Woche, den ganzen
Monat arbeitet und dann vom Ergebnis dieser Arbeit
nicht leben kann. Die erbrachte Leistung muss anerkannt
werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass es Mindestlöhne gibt. Dafür sorgen wir in dieser Bundesregierung.
({26})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin
Dr. Claudia Winterstein das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Scholz, Sie haben recht: Es ist
eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Es hat
allerdings auch lange gedauert, insbesondere bis diese
Besserung auch bei den Langzeitarbeitslosen angekommen ist.
Leider sind sich die Experten aber einig: So positiv
geht es nicht weiter. Der Abschwung auf dem Arbeitsmarkt zeichnet sich bereits ab. Das Kieler Institut für
Weltwirtschaft hat die Wachstumsprognose für 2009 auf
0,2 Prozent korrigiert. Wir haben also nicht mehr die
1,2 Prozent, von denen Sie im Haushaltsplan ausgehen.
Ihre vollmundigen Versprechungen, die Sie eben gemacht haben, klangen recht gut: Vollbeschäftigung,
Rundumbetreuung - das war ja schon fast eine Märchenstunde. Wir sollten aber zur Wirklichkeit zurückkehren.
({0})
Herr Minister, man muss ganz klar sagen: Sie legen uns
einen Haushaltsplan vor, in dem die Risiken völlig ignoriert werden. Sie haben für 2009 geringere Ausgaben als
für 2008 angesetzt. Man könnte sagen: Das ist toll; das
ist wohl doch ein Sparhaushalt. Schön wäre es. Aber leider sind die Zahlen nur geschönt.
({1})
Für das Arbeitslosengeld II zum Beispiel sind im
Haushalt 2009 20 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind
880 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Nun
wissen gerade Sie am besten, dass wir damit in diesem
Jahr nicht auskommen werden, sondern dass wir 1 Milliarde Euro mehr brauchen - und das bei einer noch relativ guten Konjunktur. Es ist doch völlig unrealistisch, für
das nächste Jahr bei einer schwächeren Konjunktur davon auszugehen, dass Sie weniger brauchen. Das heißt,
Ihr vermeintlicher Sparbeitrag, Herr Minister, ist eine
komplette Luftbuchung.
({2})
Wenn Sie schon nicht beim Sparen erfinderisch sind,
so doch zumindest bei der Geldbeschaffung; das kennzeichnet ja sowieso diese Regierung. Der Eingliederungsbeitrag von 5 Milliarden Euro, den Sie neuerdings
von der Bundesagentur für Arbeit einfordern, ist ebenso
systemwidrig wie sein Vorgänger, der Aussteuerungsbetrag.
({3})
Dieser brachte nämlich zum Schluss nicht das Geld, das
Sie gerne in der Kasse haben wollten, und dann haben
Sie ihn einfach gegen diesen Eingliederungsbeitrag ausgetauscht. Was Sie da tun, Herr Minister, ist schlichtweg
eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern. Die Klage,
die dagegen Anfang September eingereicht worden ist,
ist von daher völlig berechtigt.
({4})
Ohne die Abführung dieses Eingliederungsbeitrages
könnten die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um
0,6 Beitragspunkte gesenkt werden. Wir wären deutlich
unter 3 Prozent.
Auch auf andere Weise greifen Sie der Bundesagentur
und damit natürlich auch dem Beitragszahler ungeniert
in die Tasche. Einen Zinsgewinn von 150 Millionen Euro verschaffen Sie sich damit, dass Sie den Bundeszuschuss aus der Mehrwertsteuer nicht mehr wie bisher jeden Monat abführen, sondern ihn einfach erst am
Jahresende zahlen. 290 Millionen Euro verschaffen Sie
sich dadurch, dass die Bundesagentur künftig die Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Kindererziehungszeiten übernehmen soll. Hinzu kommen wahrscheinlich
noch 170 Millionen Euro für den Rechtsanspruch auf
das Nachholen des Hauptschulabschlusses. Herr Minister, lassen Sie doch die Hände weg vom Geld der Beitragszahler. Wenn Sie sparen wollen, dann sparen Sie bei
Ihrem eigenen Etat!
({5})
6,2 Milliarden Euro sind für arbeitsmarktpolitische
Maßnahmen für Langzeitarbeitslose vorgesehen. Die
Reform dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen verspricht diese Bundesregierung nun schon seit Regierungsantritt im Jahr 2005. Seit drei Jahren warten wir auf
ein Ergebnis, bisher vergeblich. Herr Arbeitsminister,
Sie haben sich eine Halbierung der Zahl der Instrumente
zum Ziel gesetzt. Im Sommer habe ich die Bundesregierung gefragt, wie viele Maßnahmen es gibt. Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, wie die Antwort lautete: Es
existieren unterschiedliche Zählweisen. - Eine solche
Auskunft ist doch wohl ein Armutszeugnis.
({6})
Dann habe ich die Bundesregierung gefragt, welche dieser Instrumente evaluiert wurden. Das Ergebnis: Von
45 aufgezählten Instrumenten und Leistungen haben gerade einmal neun - ich wiederhole: neun - eine positive
Wirkung. Auch das ist ein Armutszeugnis. Vor allen
Dingen ist es aber ein Skandal, dass für unwirksame
Maßnahmen weiterhin Geld verschleudert wird.
({7})
Herr Minister, Sie versagen bei diesem Reformprojekt ganz eindeutig. Das sage nicht nur ich, sondern auch
Ihr Kollege, der Wirtschaftsminister. Ich zitiere ihn: Der
Entwurf verfehlt das Ziel, die Mittel der Beitragszahler
sparsamer und wirksamer einzusetzen. Herr Minister, eines ist doch klar: Wenn man solche Maßnahmen vorhat,
dann muss man damit Einsparungen verbinden. Sie können doch nicht sagen: Das ist egal, viel hilft viel. Sie
müssen doch überlegen, wo Sie sparen können. Das ist
aber nicht Ihr Ding. Sie befinden sich auf dem Holzweg.
So kommen Sie nicht weiter.
Kollegin Winterstein, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
({0})
Ein Zitat zur Anregung als Abschluss. Es stammt von
Talleyrand, dem französischen Staatsmann, der bereits
vor 200 Jahren gesagt hat: Man glaubt gar nicht, „wie
viele politische Dummheiten durch Mangel an Geld verhindert worden sind.“
Vielen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Ilse Falk
das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In den Debatten dieser Woche haben schon viele Redner
und Rednerinnen die erfreuliche Entwicklung bei den
Arbeitslosenzahlen herangezogen - so auch der Minister
gerade eben -, um deutlich zu machen, dass es in diesem
Land aufwärtsgeht.
({0})
Seit diese Bundesregierung ihre Arbeit im November 2005 aufgenommen hat, hat sich die Situation für die
Menschen in Deutschland deutlich verbessert.
({1})
Das drückt sich darin aus, wie viele Menschen am Arbeitsprozess beteiligt sind und in welchem Maße sie ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften bzw. zumindest - im ersten Schritt - dazu beitragen können. Das
bedeutet mehr Chancen im Leben und ein erheblich geringeres Armutsrisiko für jeden Einzelnen.
Die Studie des DIW kommt in dieser Woche zum genau richtigen Zeitpunkt. Sie räumt auf mit den Kassandrarufen, der Aufschwung komme nicht bei den Menschen und schon gar nicht bei den von Armut bedrohten
an. Es sei mit aller Deutlichkeit gesagt, dass der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung mit seinen
sehr negativen Zahlen auf Daten aus dem Jahr 2005 beruht, also gewissermaßen eine Bilanz der rot-grünen
Bundesregierung darstellt.
({2})
In der DIW-Studie werden zum ersten Mal Zahlen des
sozioökonomischen Panels aus dem Jahr 2006 zugrunde
gelegt, also Zahlen aus dem Jahr, in dem die Belebung
der Wirtschaft erstmals Wirkung zeigte.
({3})
Selbst das Handelsblatt brachte gestern die Überschrift: „Hartz-Reformen bringen mehr Gerechtigkeit“.
({4})
Ich bin sicher, dass sich dieser Trend fortgesetzt hat;
denn als Hauptursache für die positive Entwicklung
nennt DIW-Präsident Zimmermann den deutlichen
Rückgang der Arbeitslosigkeit infolge der Konjunkturbelebung und das wiederum als Ergebnis guter Vermittlungsarbeit der Bundesagentur für Arbeit. Die Tatsache,
dass seit November 2005 1 330 000 Menschen weniger
arbeitslos sind und die Arbeitslosenquote im Osten von
16,9 auf aktuell 12,8 Prozent und im Westen von 9,4 auf
6,3 Prozent gesunken ist, spricht für diese Annahme.
Dies ist trotz der Aussagen von Fachleuten über drohende Konjunktureintrübungen der Fall.
({5})
Dies drückt sich übrigens auch im Einzelplan 11 bei
den sinkenden Ausgaben im Bereich der Langzeitarbeitslosen aus. Dort sind die Ausgaben von 38,7 Milliarden Euro in 2006 auf 34,9 Milliarden Euro in diesem
Jahr gesunken. Es ist völlig klar, dass der Etat des Einzelplans mit 123,5 Milliarden Euro und damit fast
43 Prozent des gesamten Haushaltes immer noch viel zu
hoch ist und wir immer noch viel Arbeit vor uns haben.
Aber immerhin zeigt sich Bewegung. Die Chancen, wieder Arbeit zu finden, auch sozialversicherungspflichtige,
haben sich deutlich verbessert. In vielen Branchen - auch
das wurde gerade angesprochen - wachsen inzwischen
die Sorgen, nicht genügend Fachkräfte zu haben.
Ein kleiner Schlenker am Rande sei mir erlaubt - in
dieser Woche kommt das ja hier und da einmal vor -: In
Bayern, dem Bundesland mit der bundesweit geringsten
Arbeitslosenquote, wurde teilweise bereits Vollbeschäftigungsniveau erreicht. So gibt es dort in über 30 Kreisen
und kreisfreien Städten eine Arbeitslosenquote von unter
3 Prozent, teilweise sogar unter 2 Prozent.
({6})
Natürlich werden wir uns auf diesen Erfolgen nicht
ausruhen. Unser Ziel ist es, allen Arbeitslosen bessere
Perspektiven zu bieten. Deshalb ist es wichtig, bestmögliche strukturelle Rahmenbedingen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Arbeitsvermittlung zu schaffen. Gerade bei der Schnelligkeit und Qualität der Vermittlung
von Langzeitarbeitslosen gibt es trotz aller dankenswerten Anstrengungen der Beteiligten noch viel zu tun.
({7})
Denn auch wenn die Zahl der Langzeitarbeitslosen allein
innerhalb des letzten Jahres um 300 000 zurückgegangen ist, so ist ein Anteil von immerhin noch 36 Prozent
an der Gesamtzahl der Arbeitslosen viel zu hoch. Umso
wichtiger wird es sein - dies hat auch der Minister in den
Mittelpunkt gestellt -, dass wir sowohl bei der SGB-IINeuorganisation wie auch bei der Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente den Handelnden vor
Ort ausreichend Entscheidungsfreiheit geben, damit sie
passgenaue und den regionalen Situationen entsprechende Antworten geben können.
({8})
Wir sollten den Mitarbeitern zutrauen, dass sie mit mehr
Flexibilität umgehen und so am besten unseren Grundsatz durchsetzen können, den Menschen durch Fordern
und Fördern zu helfen.
({9})
Zugleich bedeuten schneller vermittelte und mehr beschäftigte Menschen, dass die Solidarität in unserer sozialen Marktwirtschaft auf mehr Schultern verteilt wird,
soziale Sicherungssysteme zukunftsfest gemacht werden
und Leistungsträger entlastet werden können. 2005 waren die Rentenkassen in einem desaströsen Zustand. Die
Monatsrücklage lag bei 0,11, heute haben wir eine Monatsrücklage von 0,95, was circa 15,5 Milliarden Euro
entspricht. Damit sind beinahe zwei Drittel des Weges
zur Höchstnachhaltigkeitsrücklage - das ist ein schönes
Wort - erreicht, deren Überschreiten sogar zu Beitragssenkungen führen würde. Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir den Beitragssatz von 6,5 Prozent in 2005
auf momentan 3,3 Prozent schon jetzt beinahe halbiert.
Sie wissen, als Union wollen wir eine Absenkung auf
2,8 Prozent. Ich denke, wir werden uns in der Großen
Koalition darauf einigen können.
({10})
Nicht nur kostenträchtige Entwicklungen sollten sich in
höheren Beitragssätzen widerspiegeln, sondern auch positive Spielräume müssen zeitnah an diejenigen weitergegeben werden, die sie erwirtschaftet haben.
Wir haben in den letzten drei Jahren vieles erreicht
und für die Menschen vieles zum Besseren verändert.
Wir sind aber noch nicht am Ende des Weges der Großen
Koalition. Lassen Sie uns daher gemeinsam die kommenden Monate nutzen, um das Leben der Menschen in
Deutschland weiter spürbar zu verbessern. Sei es durch
weitere Entlastungen der Leistungsträger, wo immer dies
möglich ist. Sei es durch Förderung der Mitarbeiterbeteiligung, die zeigt, dass derjenige, der am Aufschwung eines Unternehmens mitarbeitet, auch an den Ergebnissen
teilhaben kann. Sei es durch Eröffnung weiterer Beschäftigungschancen im Bereich privater Haushalte;
Stichwort „Haushalt als Arbeitgeber“. Sei es durch konsequente Bekämpfung der Schwarzarbeit, aber auch
durch maßvolle Umsetzung von Mindestlohnerstreckung
in denjenigen Branchen, wo es nachvollziehbare Verwerfungen gibt, und zwar unter Wahrung der Tarifautonomie und ohne Beschäftigung und Wettbewerb in unserer sozialen Marktwirtschaft zu gefährden. Sei es durch
Planungssicherheit für die Organisationsstrukturen beim
SGB II. Sei es bei der Schaffung besserer Rahmenbedingungen für eine effizientere und wirksamere Vermittlung
in Arbeit durch eine Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zum Nutzen der Arbeitsuchenden.
Oder sei es bei der Verbesserung der Chancen von Menschen mit Behinderungen und anderen Vermittlungshemmnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Kollegin Falk, achten Sie bitte auf die Zeit?
Meine letzte Bemerkung. Unser Ziel kann nicht der
immer perfekter organisierte Sozialstaat sein, sondern es
muss darum gehen, den Menschen etwas zuzutrauen,
({0})
sie spüren zu lassen, dass jeder und jede Begabungen
hat, die für die Gemeinschaft wichtig sind, und ihnen die
Chance zu geben, sich einzubringen und sich selbst als
tüchtig und erfolgreich zu erfahren. Dafür brauchen wir
nicht mehr Geld, sondern die Stärkung von Lebens- und
Alltagskompetenzen. Statt Angstmachern brauchen wir
viele Mutmacher. Das können wir alle sein, Sie und ich.
Wir alle sind aufgefordert, den Menschen Mut zu machen, statt ihnen Illusionen zu nehmen.
({1})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dr. Gesine Lötzsch das Wort.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! „Sozial ist, was
Arbeit schafft.“ Dieser Leitspruch der Kanzlerin Angela
Merkel wurde durch die Praxis widerlegt. Minister
Scholz hat gerade selbst gesagt: Millionen Menschen in
unserem Land haben eine Arbeit, von der sie nicht leben
können. Ist das etwa sozial?
Herr Scholz, Sie können diese Situation gerne beklagen. Aber wer hat den Unternehmen denn die Instrumente, die dazu geführt haben, an die Hand gegeben? Es
war doch die Regierung, die es den Unternehmen ermöglicht hat, aus einem gut bezahlten Arbeitsplatz zwei
oder gar drei schlecht bezahlte Arbeitsplätze zu machen.
Beklagen Sie also keine Zustände, die Sie selbst geschaffen haben, sondern ändern Sie sie.
({0})
Wenn die Regierung Statistiken bemüht, um über ihre
Erfolge am Arbeitsmarkt zu berichten, dann sagt sie
leider nicht einmal die halbe Wahrheit. Das Statistische
Bundesamt - nicht etwa die Linke - hat festgestellt, dass
die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland seit 1991
insgesamt gesunken ist. Das untermauert unsere Auffassung, dass Minijobs und die vielen anderen prekären
Arbeitsverhältnisse keine neuen Arbeitsplätze sind, sondern nur noch Bruchstücke und Überbleibsel von ehemals sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Das
ist ein Betrug an den Menschen.
({1})
Die Arbeitslosenstatistik ist wohl eine der am meisten verfälschten Statistiken in unserem Land. Es ist unglaublich - das ist viel zu wenig bekannt -, dass zum
Beispiel 1-Euro-Jobber nicht mehr als Arbeitslose gelten
und aus der Statistik herausfallen. Meine Damen und
Herren, mit diesen sogenannten Arbeitsgelegenheiten
wollten Sie den Arbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen. Das ist offensichtlich gescheitert.
Doch die Lösung der Regierung ist ganz einfach: Sie erklärt diese Menschen kurzerhand für nicht mehr arbeitslos. Das ist wirklich grotesk.
({2})
Die Bundesregierung trägt mit ihrem Verhalten dazu
bei, den normalen Arbeitsmarkt zu zerstören, und zwar
mit staatlicher Lohndrückerei. Ja, meine Damen und
Herren, Sie sind staatliche Lohndrücker, da Sie den Unternehmen die Möglichkeit andienen, Hungerlöhne
durch Steuergelder aufstocken zu lassen. Die Unternehmen werden dadurch mit 9 Milliarden Euro im Jahr subventioniert. Für uns, die Linke, gibt es nur eine Lösung
dieses Problems: die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns.
({3})
Herr Minister, Sie haben gerade darauf hingewiesen,
dass Kollegen von der SPD den bayerischen Minister
Huber gestern aufgefordert haben, sich für gesetzliche
Mindestlöhne einzusetzen; das war geradezu grotesk.
({4})
Fangen Sie lieber bei sich selbst an, liebe Kollegen von
der SPD,
({5})
nutzen Sie die parlamentarische Mehrheit und stimmen
Sie hier im Bundestag endlich für die Einführung eines
gesetzlichen Mindestlohns.
({6})
Bekanntermaßen hat sich die Kanzlerin gegen den
Mindestlohn ausgesprochen und die Tarifautonomie beschworen. Das ist völlig wirklichkeitsfremd. Gerade in
Ostdeutschland gibt es kaum noch Tarifpartner, weil
viele Unternehmen gar nicht mehr in der Tarifgemeinschaft sind. Dort werden teilweise Hungerlöhne von 3 bis
4 Euro pro Stunde gezahlt. Das nimmt die Kanzlerin, die
aus dem Osten stammt, einfach schulterzuckend hin.
Überhaupt habe ich den Eindruck, dass sie vergessen
hat, woher sie kommt. Viele Menschen im Osten hatten
Hoffnungen in sie gesetzt, die überhaupt nicht erfüllt
worden sind.
({7})
Meine Damen und Herren, wir fordern die Aufstockung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro. Das ist
keine willkürliche Zahl, wie mancher glaubt, sondern
dieser Betrag ergibt sich aus der geltenden Rechtslage.
Der Arbeitslosengeld-II-Regelsatz ist nur deshalb so
niedrig, weil die Bundesregierung ihn mit rechtswidrigen und rein willkürlichen Abschlägen so niedrig hält,
wie zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband
nachwies.
Wenn ein Professor, der aus dem Westen nach Chemnitz gekommen ist, behauptet, man könne mit 132 Euro
im Monat auskommen, dann ist das einfach nur zynisch.
Besonders zynisch ist es, dass Herr Merz von der CDU
das aufgreift.
({8})
Hartz IV betrifft nicht nur die Menschen, die Hartz IV
erhalten, sondern drückt auch auf die Löhne. Herr
Scholz, deshalb hätte ich von Ihnen nicht erwartet, dass
Sie sagen, dass Sie sich den gesetzlichen Mindestlohn
wünschen, sondern ich hätte einen konkreten Fahrplan
und Zeitplan erwartet, wann Sie noch in dieser Legislaturperiode den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen
wollen. Mit CDU und FDP wird Ihnen das sicher nicht
gelingen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({9})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Alexander Bonde das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir erleben seit Beginn der Haushaltsverhandlungen
eine Koalition, die Sonnenscheinpredigten hält, die so
tut, als ginge die Konjunktur immer auf Höchstniveau
weiter und die konsequent Wolken am Konjunkturhimmel nicht sehen will. Wir haben heute den Arbeitsminister erlebt, der, als sich der Regen ankündigte, immer
noch versucht hat, uns arbeitsmarktpolitisch die Badehose zu verkaufen.
({0})
Sie tragen mit diesem Haushalt eine besonders große
Verantwortung. Wenn sich die Konjunktur eintrübt, stehen besonders große Herausforderungen für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf der Tagesordnung.
Wenn wir uns Ihren Einzelplan einmal anschauen,
dann stellt sich die Frage, ob Sie darauf vorbereitet sind,
ob Sie Vorsorge dafür getroffen haben, wenn es darauf
ankommt. Dann wird es spannend: Denn Ihr Einzelplan
ist der Einzelplan, dem bei der Durchsetzung der großen
Linien des Finanzministers und des Versprechens des
Haushaltsausgleichs im Jahr 2011 an ein paar Stellschrauben entscheidende Bedeutung beigemessen wird.
Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II in diesem
Einzelplan wurden für das nächste Jahr um fast 1 Milliarde Euro gekürzt.
({1})
Der Finanzplan sieht bis zum Jahr 2011 eine Absenkung
um 2,9 Milliarden Euro vor, also eine Absenkung der
Ausgaben für Arbeitslosengeld-II-Bezieher um 14 Prozent.
Herr Scholz, Sie sind die Antwort schuldig geblieben,
ob dies Haushaltskosmetik ist oder ob Sie versuchen, Ihrem Kollegen Steinbrück mit einem Haushaltsrechentrick unter die Arme zu greifen, damit dieser 2011 eine
Null darstellen kann, die er nie hinbekommt. Oder ist das
eine knallharte Ansage an die Betroffenen, für die die
Diskussionen aus Chemnitz und andernorts Pate stehen?
Darauf müssen Sie eine Antwort, aber keine Besinnungsaufsätze liefern, wie dies gerade passiert ist, Herr
Scholz.
({2})
Eine zentrale Frage im Rahmen der politischen Auseinandersetzung mit Ihrem Etat ist, wie es mit den
Lohnnebenkosten weitergeht. Zu dieser Thematik gibt
es die schönsten Ansagen im bayerischen Landtagswahlkampf. Es gibt eine große Hausaufgabe für die Große
Koalition: Wenn Sie wirklich entlasten wollen, dann
müssen Sie endlich Transparenz schaffen hinsichtlich
der Frage, was bei der Bundesagentur für Arbeit beitragsfinanziert ist und was vom Bund durch Steuermittel
finanziert wird. Dabei erleben wir bei der Großen Koalition einen munteren Verschiebebahnhof.
({3})
1 Prozentpunkt des Mehrwertsteueraufkommens fließt
der Bundesagentur zu. 5 Milliarden Euro gehen von der
Agentur zum Bund zurück. Die Schaffung der erforderlichen Transparenz, aus der Sie Beitragssenkungen ableiten können, verweigern Sie, Sie verschleiern die Finanzsituation. Vor diesem Hintergrund ist es wohlfeil, mit
Zahlen hinsichtlich möglicher Absenkungen zu hantieren. Auch hier zwickt die Badehose an allen Ecken und
Enden.
({4})
Sie versprechen jetzt eine Beitragssatzsenkung. Das
Verhalten der CSU ist ja durchsichtig. Bereits eine kleine
Eintrübung der Konjunktur wird dazu führen, dass Sie
den Beitrag im Abschwung wieder erhöhen müssen, was
prozyklisch wirkt. Damit schaffen Sie nicht einen einzigen Arbeitsplatz. Sie werden in den Bereichen, um die es
geht, keinen Unternehmer finden, der so doof ist, Arbeitsplätze auf ein Versprechen hin zu schaffen, von dem
er weiß, dass das ein halbes Jahr später nicht mehr eingehalten wird. Damit setzen Sie keinen sinnvollen Impuls
für die Wirtschaft.
({5})
Deshalb verpassen Sie die große Chance, die Finanzen der Bundesagentur zu entflechten, was in der jetzigen Situation der BA möglich wäre, und Sie verpassen
die Chance, eine Senkung der Lohnnebenkosten bzw.
der Beiträge dort einzuleiten, wo sie ökonomisch wirklich Sinn macht, nämlich im Bereich der unteren Einkommensgruppen. Wir haben Ihnen mit unserem Progressivmodell Vorschläge dafür auf den Tisch gelegt;
denn gerade im Bereich der Geringverdiener ist die
Höhe der Beiträge entscheidend dafür, ob neue Jobs geschaffen werden oder nicht.
In diesem Bereich hat die Koalition viele Hausausgaben zu machen. Aber auch an dieser Stelle sind an dieser
Koalition nur die Reden groß. Auf das Handeln warten
wir und die Betroffenen seit Jahren vergeblich.
Herzlichen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn für die
SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! 123,5 Milliarden
Euro sind für die meisten Menschen eine unvorstellbare
Summe. Fast jeden zweiten Euro unserer Ausgaben verwenden wir auch im nächsten Jahr für den Bereich Arbeit und Soziales. Hinter dieser gigantischen Summe stehen fast 80 Milliarden Euro für die Rente, 20 Milliarden
Euro für das Arbeitslosengeld II und über 6 Milliarden
Euro für die Eingliederung der Empfänger der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
123,5 Milliarden Euro - aus dieser Zahl lässt sich
mehr als eine immense staatliche Ausgabe ablesen. Damit leisten wir Unterstützung und tragen Verantwortung
für fast 30 Millionen Menschen in unserem Land, ein
Drittel unserer Bevölkerung. Das ist eine große Herausforderung.
Erfolg lässt sich nicht immer an bloßen Zahlen ablesen. Sprechen Zahlen jedoch eine so deutliche Sprache
wie jene vom Arbeitsmarkt, dann sollten sie auch gesagt
werden. Nachdem wir die Zahl der Arbeitslosen bereits
erheblich abgesenkt hatten, haben wir jetzt noch einmal
500 000 Arbeitslose weniger als im August des Vorjahres und 1,2 Millionen Arbeitslose weniger als im August
2006.
({0})
Aktuell gibt es 40 Millionen Erwerbstätige in Deutschland.
({1})
Seit 2006 haben wir die Versichertengemeinschaft hinsichtlich der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um
insgesamt 45 Milliarden Euro entlastet.
Auch in Bezug auf die Rentenversicherung trägt unsere Politik Früchte. Mehr sozialversicherungspflichtige
Beschäftigung bedeutet auch mehr Rentenbeiträge. So
hat die Deutsche Rentenversicherung in der ersten Hälfte
dieses Jahres 2,7 Milliarden Euro mehr eingenommen
als im gleichen Vorjahreszeitraum. Durch diese Zahlen
wird deutlich, dass wir mit unserer Beschäftigungs- und
Rentenpolitik auf einem wirklich guten Kurs liegen.
({2})
Abseits aller parteipolitischen Diskussionen bedeutet
diese Entwicklung Verlässlichkeit für die Rentnerinnen
und Rentner. Mit diesen Zahlen wird auch der Zusammenhang zwischen dem politisch Richtigen auf der einen Seite und dem finanziell Vernünftigen auf der anderen Seite aufgezeigt.
({3})
Gerechtigkeit bedeutet nämlich immer Zweierlei: Sie
muss dem gerecht werden, der Hilfe braucht, und dem,
der sie geben soll.
({4})
In diesem Zusammenhang muss ich auf die populistischen Milliardenforderungen der Linken von jährlich
26 Milliarden Euro im Sozialbereich eingehen. 26 Milliarden sind 26 000 Millionen! Das entspricht dem Wert
von 130 000 funkelnagelneuen, guten Einfamilienhäusern jedes Jahr oder der Finanzierung der aus dem Boden
gestampften Stadt Dresden.
({5})
Diese Mittel wollen Sie den Menschen nehmen, die
ohnehin schon hohe Steuern zahlen.
({6})
Das erinnert mich an meinen Onkel Paul.
({7})
Onkel Paul begann bei Familienzusammenkünften seine
Ausführungen immer mit den Worten: „Wenn ich mal zu
Geld komme.“ Dann wollte er mir ein Fahrrad, meiner
Mutter eine Nähmaschine und meinem Vater einen Fernseher kaufen. Sie werden es nicht glauben, aber Onkel
Paul kam in den 60er-Jahren tatsächlich zu einem Totogewinn von 5 000 D-Mark, und er hielt seine Versprechen. Onkel Paul kaufte mir ein Fahrrad. Er kaufte diesem etwas und jenem etwas. Nach relativ kurzer Zeit
kam dann der Gerichtsvollzieher. Onkel Paul war pleite.
Onkel Paul hatte über seine Verhältnisse gelebt und nicht
einmal einen Bruchteil seiner Versprechen einlösen können.
Der linken Seite des Hauses sage ich deutlich: Wir
sind nicht in der Sendung „Wünsch dir was“, sondern
bei „So isses!“.
({8})
Wir laden nicht zum Träumen ein, sondern gestalten den
Lebensalltag von Menschen sehr real.
({9})
An die FDP gerichtet stelle ich fest: Ihre Forderung
nach Streichung der Sozialleistungen führt diese Gesellschaft auf eine andere Art und Weise auch in den Ruin.
({10})
So unterschiedlich die Forderungen von rechts und
links sind, sie bewegen sich auf das gleiche Ziel zu,
nämlich auf den Ruin.
({11})
Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Es ist ein Glück
für die Menschen in unserem Land, dass diese Irrtümer
niemals Realität werden.
Herzlichen Dank.
({12})
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege
Dr. Heinrich Kolb das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir brauchen mehr Zeit für die Sozialdebatten, wenn wir
die Verwandtschaftsverhältnisse von Frau Lehn vollständig aufklären wollen. Ich weiß nur eines: Für Lottoeinsätze hat Olaf Scholz in seinem Haushalt nichts vorgesehen.
({0})
Deshalb wird er versuchen müssen, mit harter Arbeit
statt mit Glück Erfolge zu erzielen. Ich sage das deswegen, Herr Scholz, weil wir mit dem, was Sie bisher geleistet haben, nicht zufrieden sind.
({1})
Wir beraten heute den letzten Haushalt, der in dieser
Legislaturperiode beschlossen wird. Insofern muss man
ein Stück weit Bilanz ziehen. Dabei sind wenig Ideen
und wenig Engagement zu erkennen. Das haben Sie mit
Ihrer heutigen Rede unterstrichen.
Es muss ein bisschen mehr kommen. Sie haben bisher
mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt Glück gehabt. Sie
sind Trittbrettfahrer einer guten Weltkonjunktur gewesen. Sie haben nichts gesät, aber trotzdem geerntet. Ein
Plan für die weitere Zukunft ist das nicht. Das muss
deutlich gesagt werden.
({2})
Allenfalls der Vorgängerregierung der Großen Koalition hätte man konzedieren können, dass sie mit den
Hartz-Reformen aktiv das Fundament für einen deutlichen Rückgang der Sockelarbeitslosigkeit im jetzt zu
Ende gehenden Aufschwung gelegt hat. Aber statt sich
vor die Hartz-Reformen und die Agenda 2010 zu stellen
und die Reformen weiter voranzutreiben, haben Sie sich
in den Mainstream Ihrer Partei eingereiht, Herr Scholz,
die die Reformen der Agenda lieber heute als morgen
rückgängig machen würde. Das ist ein Fehler, wie es
auch ein Fehler ist, dass der Kollege Oppermann von der
SPD die Agenda 2010 schon als Kapitel der jüngeren
Zeitgeschichte abgehakt hat.
Der DIW-Chef Zimmermann hat zu Recht gestern
darauf hingewiesen, dass wir nicht weniger, sondern
mehr Reformen brauchen. Die Agenda 2010 muss zur
Agenda 2015 fortgeschrieben werden. Dabei gibt es in
der Tat noch einiges zu tun, Herr Scholz.
({3})
Sie haben unlängst den dritten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt, Herr Scholz. Das war peinlich,
was die Umstände angeht, und es war auch inhaltlich
peinlich, weil Sie in dem Bericht einräumen müssen,
dass sich nach zehn Jahren SPD-Führung im Sozialministerium die Armutsbedrohung für viele Menschen in
Deutschland ausgeweitet hat.
({4})
Das ist eine Schande.
({5})
Aber der Bericht enthält auch eine klare Handlungsanweisung: Ein Arbeitsplatz ist der beste Schutz vor Armut. Das hat die FDP schon immer gesagt. Sie haben das
nun zum ersten Mal in dem Armutsbericht offiziell zugestehen müssen. Solange noch 3,2 Millionen Menschen in
unserem Land keinen Arbeitsplatz haben, besteht kein
Anlass zur Selbstzufriedenheit.
({6})
Was, Herr Scholz, wollen Sie tun? Was Sie gesagt haben, war mir zu wenig. Ich bin bei Ihrer Rede wehmütig
geworden und habe mir Franz Müntefering zurückgewünscht, der bei der Haushaltsdebatte im letzten Jahr einen ganz anderen Auftritt hatte. Herr Scholz, was tun Sie
denn bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes? Dieses Thema haben Sie doch aus der Arbeit Ihrer Koalition
vollkommen verdrängt. Sie sollten nachlesen, welches
Vermächtnis Ihnen Altbundeskanzler Helmut Schmidt in
seinem Buch Außer Dienst auf den Weg gegeben hat:
Unser Arbeitsmarkt ist übermäßig … eingeengt …
Nur eine weitreichende Deregulierung des Arbeitsmarktes kann Abhilfe schaffen. Weitere und unvermeidlich schmerzhafte Veränderungen bleiben notwendig.
Das sagt Ihnen Helmut Schmidt, einer Ihrer Altvorderen.
Aber er kennt natürlich auch seine Pappenheimer. Er
sagt sehr klar:
Es wird besonders der Sozialdemokratie, aber auch
den Sozialausschüssen der Unionsparteien sehr
schwer fallen, den deutschen Arbeitsmarkt aufzulockern … Wer jedoch an allen vermeintlichen Errungenschaften unserer Arbeitsgesetzgebung festhält,
hält im Ergebnis an einer zu hohen Arbeitslosigkeit
fest.
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
({7})
Wenn wir Bilanz ziehen, müssen wir uns anschauen,
was Sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen haben.
Dort heißt es:
CDU/CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten ({8}) dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden.
Fehlanzeige, Herr Scholz! Auch dieses Ziel haben Sie
nicht erreicht. Nach meiner Einschätzung haben Sie es
auch nie ernsthaft versucht. Sie haben mitgenommen,
was sich ergab. Sie haben sich mit der Mehrwertsteuererhöhung Luft für eine Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verschafft. Auch der Rückenwind
durch die gute konjunkturelle Entwicklung hat ein Stück
weit geholfen. Aber die Dynamik bei den Sozialversicherungsbeiträgen ist insgesamt ungebrochen. Das gilt
insbesondere für die gesetzliche Krankenversicherung.
Laut Koalitionsvertrag wollten Sie hierfür ein umfassendes Zukunftskonzept entwickeln, das darauf angelegt
sein sollte, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zumindest stabil zu halten, wenn nicht sogar zu
senken. Herr Scholz, umso wichtiger ist es daher, jeden
Spielraum zu nutzen. Wenn Sie den Koalitionsvertrag
und das, was in sozialdemokratischen Sonntagsreden
immer wieder vorkommt, ernst nehmen, nämlich dass
Beitragssatzsenkungen besser seien als Steuersenkungen, dann verstehe ich Ihr Zaudern nicht. Herr Kauder
und Herr Huber haben Ihnen doch gestern die 2,8 Prozent sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Sie sollten
nun Mut zeigen und im Interesse der Menschen handeln,
die mehr Netto auf ihren Lohn- und Gehaltsabrechnungen sehen wollen.
({9})
Es gäbe noch viel zu sagen. Aber hier blinkt eine rote
Leuchte. Deswegen kann ich das allenfalls in Zwischenfragen oder Kurzinterventionen tun.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns gute Haushaltsberatungen.
Vielen Dank.
({10})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege HansJoachim Fuchtel das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Opposition kann kritisieren, bis sie giftgrün, blassgelb oder SED-rot wird. Das kann uns nicht beeindrucken. Der bisherige Kurs der Großen Koalition hat
1,6 Millionen Menschen in Lohn und Brot gebracht. Das
ist mehr, als jeder der Anwesenden gedacht hat. Das
zählt für die Menschen im Lande.
({0})
Deswegen werden wir an unserem Kurs festhalten. Frau
Kollegin Dr. Winterstein, Sie haben kritisiert, dass das
nicht schneller gegangen sei. Der Arbeitsmarkt folgt der
Konjunktur nun einmal zeitversetzt;
({1})
das ist der Grund. Das wird sich auch nicht ändern, wenn
Sie wieder einmal in der Regierung sein sollten.
Für die CDU/CSU ist auf jeden Fall klar: Vom größten Einzelplan dürfen keine Signale neuer haushaltspolitischer oder sozialpolitischer Instabilität ausgehen. Dies
ist auch der Fall. Der vorliegende Haushalt trägt dazu
bei, dass wir unserem Ziel näherkommen, die Nettoneuverschuldung auf Null zu senken. In dieser Hinsicht
setzen wir mit dem größten Einzelplan das richtige Signal.
Nach vielen Jahren gibt es in diesem Sozialhaushalt
erstmals keinen Aufwuchs. Das ist etwas völlig Neues.
({2})
Zumindest das müsste einmal anerkannt werden, auch
von der Opposition, die ja weiß, dass es zu Zeiten ihrer
Mitregierung anders gewesen ist.
({3})
Ein weiteres Fundamentalziel ist, dass die Sozialleistungsquote an der 40-Prozent-Marge bleibt. Wir alle
- das möchte ich nicht nur für eine Gruppe in Anspruch
nehmen - wissen, wie es im Geldbeutel der Bürgerinnen
und Bürger aussieht. Da wir alle wissen, dass der Krankenkassenbeitrag nicht auf dem jetzigen Niveau gehalten
werden kann, muss es unsere Anstrengung sein, einen
Weg zu finden, die Sozialleistungsquote insgesamt bei
40 Prozent anzusiedeln. Das ist sehr wichtig, damit die
Arbeitsmarktentwicklung so weitergeht, und es ist auch
mit Blick auf alle anderen Daten eines Haushaltsplanes
wichtig.
({4})
Deswegen müssen wir uns gemeinsam um eine Absenkung um 0,3 Beitragspunkte bemühen; darin sind wir
uns bereits einig. Das entspricht 2,4 Milliarden Euro, die
gut darstellbar sind. Aber aus Sicht der Union kann man
auch eine weitere Absenkung um 0,2 Beitragspunkte
und damit um insgesamt 0,5 Prozent darstellen. Darum
müssen wir hier im Hause uns im Interesse des Ganzen
bemühen.
({5})
Ich sehe da eine ganze Reihe von Möglichkeiten.
Herr Kollege Bonde, Sie sind nach einem kurzen
Zwischenspiel relativ schnell aus der Universität hier angekommen und müssten sich eigentlich noch gut daran
erinnern, dass es die rot-grüne Koalition war, die den
Aussteuerungsbeitrag eingeführt hat. Oder ist Ihnen
das entgangen? Jetzt stellen Sie sich hier hin, als wüssten
Sie von nichts, und fordern etwas ganz anderes. Das ist
ganz schön dreist.
({6})
Kollege Westerwelle hat gestern hier gesagt, es sei
nichts für Rücklagen getan worden. Dem muss ich allein
wegen der Haushälterehre widersprechen. Als wir die
Regierung übernommen haben, betrug die Rücklage der
Rentenversicherung 0,02 Monatsumsätze; das entsprach
ein paar Stunden. Heute liegt der Wert bei 0,95; das ist
fast ein ganzer Monat. Das ist ein Unterschied wie Tag
und Nacht.
({7})
- Endlich, Herr Kolb, ich habe ja schon darauf gewartet.
({8})
Sie gestatten also eine Zwischenfrage?
Natürlich.
Herr Kollege Fuchtel, wenn Sie darauf hinweisen,
dass die Rücklage der Rentenversicherung mittlerweile
15 Milliarden Euro beträgt, dann sollten Sie der Fairness
halber auch sagen, dass 10,5 Milliarden Euro davon aus
dem Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge kommen, mithin ein Darlehen der Arbeitgeber
an den Rentenhaushalt darstellen. Es ist nicht Ihr Verdienst, dass dieser Rücklagenaufbau erfolgt ist.
Das war sehr wohl unser Verdienst. Sie hätten den
Mut dazu gar nicht gehabt.
({0})
Nach § 158 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI kann der Beitrag verändert werden, wenn die Rücklage entweder das
0,2-fache der durchschnittlichen Monatsausgaben unterschreitet oder das 1,5-fache überschreitet. In dem einen
Fall geht es mit den Beiträgen nach oben, in dem anderen nach unten. Wir sind jetzt bei 0,95. Wir haben den
Riester-Effekt zweimal verschoben. Ich prognostiziere,
dass es trotzdem bereits im Jahre 2011 möglich sein
wird, eine Beitragsreduzierung bei der Rentenversicherung zu erreichen. So gut ist die Kassenlage, lieber Herr
Kollege Kolb. Das ist doch ein Hoffnungszeichen für
das weitere Geschehen.
({1})
Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir Rücklagen in Höhe von 9 Milliarden Euro plus Pensionsrücklagen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro. Herr
Westerwelle mag das bisher nicht gesehen haben. Ich bin
mir aber sicher, dass er es sofort sehen wird, sobald er
wieder einmal in der Regierung ist.
({2})
Zum Abschluss möchte ich noch auf einen persönlichen Sparbeitrag des Ministers zu sprechen kommen,
der von der Mitarbeiterbeteiligung bis zur Rückkehr von
Menschen in den Beruf sehr viele gute Dinge eingeleitet
hat; das zeigt alles in eine sehr gute richtige Richtung.
Aber, lieber Herr Minister, Sie haben drei Staatssekretäre, von denen Ihnen einer dadurch, dass Ihr Vorgänger
Müntefering Vizekanzler war, zugefallen ist. Es wäre
doch im Sinne eines Spareffektes schön, wenn es dem
Haus gelingen würde, die Zahl der Staatssekretäre wieder von drei auf zwei zu reduzieren.
({3})
Das brächte zwar nur die geringe Summe von
340 000 Euro, aber es wäre ein Zeichen an das Volk,
dass man in dieser Regierung ernsthaft spart. Wenn ich
Minister wäre, dann würde ich das tun.
({4})
Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, weil das ein
Zeichen dafür wäre, wie man auch auf der oberen Ebene
die Verwaltung straffen und verschlanken kann.
({5})
Wir werden sehen, ob Sie dazu die Kraft haben.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Falk, das, was Sie eben so locker über den Sozialstaat gesagt haben, halte ich für in höchstem Maße
bedenklich. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Bundesstaat. Dieses Sozialstaatsgebot war den Vätern und Müttern des Grundgesetzes immerhin so wichtig, dass sie verfügten, dass eine
Änderung, die diesen Grundsatz berührt, schlicht unzulässig ist.
({0})
Sie räumten weiterhin allen Deutschen das Recht auf
Widerstand gegen jeden ein, der es unternimmt, diese
Ordnung zu beseitigen. Derart weitgehende Regelungen
sollten Ihnen eine Ermahnung sein, darüber nachzudenken, ob Ihre Sozialpolitik mit dieser elementaren Forderung nach Sozialstaatlichkeit tatsächlich in Übereinstimmung steht.
Was heißt das konkret? Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellt in seinem Urteil vom 18. Juli
1967 in erfreulicher Klarheit fest, dass aus dem Sozialstaatsgebot folgt, dass der Staat die Pflicht hat, für einen
Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine
gerechte Sozialordnung zu sorgen. Ich wiederhole und
betone das noch einmal: Der Staat soll nicht für eine geVolker Schneider ({1})
rechte Sozialordnung und einen Ausgleich der Gegensätze sorgen, sondern er hat dazu die Pflicht.
({2})
Wie will die Bundesregierung damit in Einklang bringen, dass zwischen 2000 und 2007 die Renten inflationsbereinigt um 6 Prozent und die Löhne inflationsbereinigt
um 4 Prozent gesunken sind, während gleichzeitig die
Einkünfte aus Unternehmenstätigkeit und Vermögen um
satte 35 Prozent angestiegen sind? Ist es das, was Sie unter einem Ausgleich der sozialen Gegensätze verstehen?
({3})
Als Konsequenz dieser Entwicklung sank der Anteil
der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen, der in
den 90er-Jahren nach Auf und Ab bei etwas mehr als
72 Prozent fast unverändert blieb, auf unter 65 Prozent.
Bei fast 300 Milliarden Euro zusätzlichem Volkseinkommen heißt das, dass von den Arbeitnehmerentgelten den
Arbeitnehmern statt 213 Milliarden Euro gerade einmal
81 Milliarden blieben, also 132 Milliarden weniger. Ist
das Ihr Verständnis einer gerechten Sozialordnung?
({4})
Frau Lehn, 132 Milliarden Arbeitseinkommen weniger, das heißt allein in den Rentenkassen ein Minus von
26 Milliarden. Wir können für die Rentnerinnen und
Rentner mit unseren Anträgen gar nicht so schnell das
Geld zurückfordern, wie Sie es auf der anderen Seite für
die Unternehmen zum Fenster herauswerfen.
({5})
Sagen Sie nicht, das läge nicht in der Verantwortung
Ihrer Politik. Sie sind es, die eine Ausweitung von Miniund Midijobs vorangetrieben haben. Sie haben der Ausweitung von Leiharbeit alle Türen geöffnet. Und Sie
sind es auch, die mit der Agenda 2010 den Druck auf Arbeitslose erhöht haben, jede noch so schlechtbezahlte
Arbeit anzunehmen. Sie sind es, die die Spirale des
Lohndumpings in Gang gesetzt haben.
Die Koalition redet gerne vom Dreiklang ihrer Politik. Auch ich kann einen solchen erkennen. Aber er heißt
Tarnen, Täuschen, Tricksen. Die Beschäftigung wollen
Sie verbessert haben; das haben wir heute wieder dauernd gehört. Ja, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist angestiegen. Aber
das hat mit einem Mehr an Beschäftigung nichts, aber
rein gar nichts zu tun. Gesine Lötzsch hat es bereits gesagt: Seit 1991 ist die Zahl der Arbeitsstunden gesunken,
und seit 1997 ist sie faktisch gleichgeblieben. So täuschen Sie die Bürger. Ihr Trick ist ganz einfach: Rauf mit
der Teilzeitbeschäftigung, rauf mit Mini- und Midijobs,
runter mit der Vollzeitbeschäftigung - seit 2000 um
mehr als 10 Prozent -, und fertig ist Ihr Beschäftigungswunder. Das sieht hübsch aus, ist leider nur das blanke
Gift für die Sozialversicherungskassen.
({6})
Das Einzige, was bei Ihnen wirklich zunimmt, sind unsichere, schlecht bezahlte und perspektivlose Jobs.
Viel zu teuer, so erklären Sie, sei die Rentenversicherung in der Form, in der wir sie fordern. Ein Rentenversicherungsbeitrag von 25,2 Prozent ist Ihnen zu hoch.
Seltsamerweise sind Ihnen 22 Prozent Rentenversicherungsbeitrag in der Zukunft plus 4 Prozent Beitrag für
die Riester-Rente plus 4 Prozent für die Betriebsrente
nicht zu hoch. Hört es bei Ihnen schon bei den Grundrechenarten auf? Sie haben die Menschen lange genug
getäuscht. Ihre Politik hat weder etwas mit einem Ausgleich der sozialen Gegensätze noch mit einer gerechten
Sozialordnung zu tun.
Kollege Schneider, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes treten Sie
mit Füßen. Wenn es Sie noch so sehr ärgert: Die Linke
wird nicht aufhören, Ihre Tricks und Täuschungen aufzudecken und Ihnen den Spiegel vorzuhalten.
Danke schön.
({0})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Markus Kurth das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vor knapp einem Jahr haben die Fraktion und die Partei
Bündnis 90/Die Grünen eine Einschätzung, eine Neubetrachtung der Arbeitsmarktpolitik vorgenommen, insbesondere von Hartz IV bzw. dem Sozialgesetzbuch II, und
wir sind zu einer sehr differenzierten Bewertung gekommen. Wir sagen: Es gibt bestimmte Dinge, die positiv bei
Hartz IV waren, zum Beispiel Dezentralität, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Leistungserbringung vor Ort in den Jobcentern, so wie sie im Gesetz
festgehalten ist. Es gibt aber auch kritikwürdige Dinge
wie die Höhe des Regelsatzes, die Rechte der Betroffenen und die Zumutbarkeitsregelung, bei denen wir klar
für Veränderungen sind. Wir haben also in der Bewertung differenziert und unterschieden.
Sie, insbesondere Sie von den Sozialdemokraten, machen das genaue Gegenteil. Sie halten an dem fest, was
schlecht bei Hartz IV ist. Sie klammern sich an einem
viel zu niedrigen Regelsatz fest, Sie wollen die Zumutbarkeitsbedingungen nicht verändern, und Sie verschlechtern das, was positiv in diesem Gesetz war.
({0})
Wir reden hier über hohe Summen, aber es wird kaum
darüber gesprochen, wie das Geld ausgegeben wird. Das
ist doch das Entscheidende. Die Kanzlerin hat gestern an
dieser Stelle von Eigenverantwortung gesprochen. Die
Ausführung der Arbeit in den Jobcentern kann sie jedenfalls nicht gemeint haben. Wenn ich mir das Handeln des
Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in den letzten Wochen und Monaten anschaue, dann muss ich feststellen: Immer dann, wenn Eigenverantwortung wahrgenommen wird, bei flexibler Projektförderung, wie sie der
Gesetzgeber vorgesehen hat, treten Ihnen im Ministerium die Schweißperlen auf die Stirn. Sie haben nichts
Eiligeres zu tun, als diese Selbstständigkeit zu unterbinden und zu unterdrücken.
({1})
Vergabe und keine Projektförderung: Sogar die Bundesagentur für Arbeit hat kritisiert, dass ein Instrument,
das Projektförderung ermöglicht, faktisch eingestellt
worden ist. Das muss Ihnen doch zu denken geben. Die
Bundesagentur für Arbeit ist nun nicht gerade eine Behörde, in der Subsidiarität und Dezentralität zu den
Hauptbestandteilen der Behördenkultur zählen.
({2})
Da müssen Sie doch stutzig werden. Trotzdem schieben
Sie jetzt - das ist noch im Gesetzgebungsverfahren - einen Gesetzentwurf zur Veränderung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente nach, der das Ganze noch
verschlimmern wird, der die Möglichkeit der Berücksichtigung von Sozialpolitik in der Arbeitsmarktpolitik
verschlechtert, weil den Kommunen kein Zugriff mehr
etwa auf Gelder, mit denen sie experimentieren können,
gegeben wird. Es geht um Menschen, und es geht nicht
um Produkte. Das müssen wir bedenken, wenn wir überlegen, wie wir das Geld vernünftig ausgeben.
({3})
Es geht, gerade weil es sich um Personen mit sehr komplexen, individuellen Problemlagen handelt, um Dezentralität und Selbstständigkeit. Gegen die Art und Weise,
wie das Ministerium hier führt, ist die Bundeswehr regelrecht ein demokratischer Verein. Da gibt es mehr Dezentralität als im Bereich dieses Ministeriums.
({4})
Zu dieser Art von Kommandowirtschaft passt auch
die Art und Weise, wie die Vertreter der Bundesregierung, wenigstens wie ich es wahrnehme, durch die
Lande ziehen. Sie machen, wie mir berichtet wird, oft in
brüsker Weise Ansagen wie „Wir ziehen das jetzt so
durch“, sie hinterlassen Ratlosigkeit, Mutlosigkeit und
Verzweiflung.
({5})
- Wenn es schon nicht die Einsicht ist, Frau Nahles,
dann sollte vielleicht doch der politische Selbsterhaltungstrieb ein Umdenken einleiten. Sie lachen. Dann ist
die Lust am Untergang offensichtlich so groß, dass Sie
an Ihrem politischen Geschäftsmodell des systematischen Enttäuschens und Vor-den-Kopf-Stoßens von allen
vor Ort, die Ahnung haben, weiter festhalten wollen. Ich
wünsche Ihnen viel Spaß auf diesem Weg.
({6})
Zu diesem Geschäftsmodell des systematischen Enttäuschens passt auch - ich kann es leider nicht mehr
lange ausführen -, wie Sie, Herr Scholz, auf die unsägliche Kampagne des Springer-Konzerns gegenüber den
Arbeitslosengeld-II-Beziehenden reagieren. Den Umfang des Missbrauchs, von dem in dieser Kampagne die
Rede ist, gibt es gar nicht. Da muss der Herr Weise sich
hinstellen und sagen: Das stimmt nicht. - Sie haben die
Möglichkeit, in einem Interview dazu Stellung zu nehmen, und das Beste, was Ihnen einfällt, ist, zu sagen: Wir
führen jetzt mehr Kontrollen bei Schwarzarbeit mithilfe
des Zolls durch. Sie sollten sich lieber vor die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden stellen und sagen: Die ganz
überwiegende Mehrheit, fast alle, wollen Arbeit und betreiben keinen Missbrauch. Ich erwarte von einem Sozialminister, dass er sich der Rechte dieser Leute annimmt.
({7})
Das tun Bündnis 90/Die Grünen.
Danke.
({8})
Das Wort hat der Kollege Stefan Müller für die
Unionsfraktion.
({0})
Herr Dr. Kolb, vielen Dank für das Kompliment. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diese Haushaltsdebatten laufen doch immer irgendwie
nach dem gleichen Schema ab: Der FDP ist das Leistungsvolumen unseres Sozialhaushaltes generell zu
hoch. Den Linken ist dieses Volumen generell zu niedrig. Die Grünen können sich nicht wirklich entscheiden,
was sie nun wollen: ein bisschen mehr oder ein bisschen
weniger.
({0})
Auch für uns wäre es vielleicht einmal wichtig, zu wissen, wohin sie eigentlich wollen. Herr Kurth, Sie haben
es leider nicht geschafft - vielleicht war das auch der
Zeit geschuldet -, uns aufzuzeigen, was die Grünen perspektivisch wollen.
Ich bin froh, dass wir eine wesentliche Konstante haben: Frau Lehn informiert uns darüber, wie ihre Familienmitglieder heißen. Nach Tante Käthe haben wir jetzt
Onkel Paul kennengelernt.
({1})
Stefan Müller ({2})
- Es fehlt uns Onkel Otto. - Tante Käthe war diejenige,
die gut wirtschaften konnte. Onkel Paul war derjenige,
der mit dem Geld nicht auskam. Es fehlte noch die wesentliche Information, ob er Sozialdemokrat war. Das
würde manchen von uns hier noch interessieren.
({3})
Unser Sozialbudget umfasst über 700 Milliarden
Euro, alle Sozialleistungen zusammengerechnet. Das
sind pro Bürger pro Jahr 8 500 Euro. Wer angesichts von
700 Milliarden Euro behauptet, dass unser Land unsozial sei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
der sagt schlicht die Unwahrheit. Das kann doch nun
wirklich nicht Ihr Ernst sein.
({4})
Niemand kann behaupten, dass unser Land unsozial sei.
Natürlich steht unser Sozialstaat gerade wegen seines
großen Leistungsvolumens immer wieder in der Kritik.
Natürlich gibt es auch politische Kräfte, die einen funktionierenden Sozialstaat eben nicht als Wirtschaftsfaktor
sehen, liebe Kollegen von der FDP; vielmehr tun sie immer so, als wäre ein funktionierender Sozialstaat eine
Belastung für die Wirtschaft.
({5})
Da sage ich: Soziale Sicherheit hat auch etwas mit sozialem Frieden zu tun, und sozialer Frieden ist die Grundlage dafür, dass wir auch wirtschaftlich erfolgreich sein
können.
({6})
Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Niebel?
Bitte.
Vielen Dank, Herr Kollege Müller. - Sind Sie bereit,
zur Kenntnis zu nehmen, dass wir durchaus der festen
Überzeugung sind, dass ein funktionierender Sozialstaat
ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist? Sind Sie ferner
bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es durchaus kritikwürdig sein kann, wenn 700 Milliarden Euro - es handelt sich um das Geld anderer Leute, nämlich der Steuerzahler und Beitragszahler - eingesetzt werden und es
trotzdem noch Kinderarmut in Deutschland gibt, wie der
Armutsbericht der Bundesregierung deutlich macht?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass man die
Verteilung der in dem Sozialsystem befindlichen öffentlichen Mittel durchaus zu Recht kritisieren kann?
Herr Kollege Niebel, ich nehme zur Kenntnis, dass
das, was Sie hier sagen, und das, was Sie teilweise in Interviews vortragen, und vor allem das, was Sie in Ihre
Programme schreiben, sich zuweilen doch sehr stark unterscheidet.
({0})
Ich sage nur: Ohne wirtschaftlichen Erfolg wird es
auch keine soziale Sicherheit geben. Aber genauso wird
es ohne soziale Sicherheit und ohne sozialen Frieden
keinen wirtschaftlichen Erfolg in unserem Lande geben.
({1})
Deswegen müssen auch Sie begreifen, Herr Niebel, dass
Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zwei Seiten der gleichen Medaille sind und dass das eine nicht ohne das andere geht. Das sagen Sie jedenfalls hier so deutlich nicht.
({2})
Die sozialpolitischen Politikbereiche gehören von jeher zu den zentralen Handlungsfeldern einer jeden Bundesregierung. Wir haben in den vergangenen drei Jahren
in der Großen Koalition Wichtiges auf den Weg gebracht. Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die
Arbeitslosigkeit bekämpft werden konnte und dass die
Beschäftigung in unserem Land hat ansteigen können.
({3})
Wir haben dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Wir haben aber auch unseren Beitrag dazu geleistet,
dass die Rente gesichert wird und vor allem Altersarmut
verhindert wird.
Wir waren in den vergangenen drei Jahren als Große
Koalition also erfolgreich. Ich sage noch einmal: Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Die Beschäftigung ist gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist gesunken. Auch die
Beschäftigung Älterer - ein wesentliches Ziel unserer
Arbeit - ist gestiegen. Wir haben Einstellungshemmnisse abgebaut.
Nun gibt es eine rege Diskussion darüber: Wem ist
denn das zu verdanken? Zunächst einmal ist für den
Aufschwung am Arbeitsmarkt natürlich die Tatsache
ursächlich, dass die Arbeitnehmer in unserem Land in
den vergangenen Jahren auch durch Lohnzurückhaltung
dafür gesorgt haben, dass Arbeitsplätze in Deutschland
wieder wettbewerbsfähig geworden sind. Natürlich haben Unternehmer neue Märkte erschlossen, neue Produkte entwickelt, neue Arbeitsplätze geschaffen und zur
Verfügung gestellt.
Da dieser Beschäftigungsaufbau insbesondere in den
kleinen und mittleren Betrieben, in familiengeführten
Unternehmen stattgefunden hat, halte ich es für unanständig, dass Sie, Kollegen von den Linken, familiengeführte Unternehmen so diffamieren, wie es in den vergangenen Tagen insbesondere Herr Lafontaine getan hat.
({4})
Stefan Müller ({5})
Es waren gerade diese Unternehmen, die in den letzten
Jahren neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Dort
herrscht langfristiges Denken vor und eben nicht Denken
in Quartalen, und Shareholder-Value spielt nicht die
Rolle wie anderswo. Was Sie ansonsten kritisieren, gibt
es in familiengeführten Unternehmen nicht. Deswegen
sage ich noch einmal: Sie tun gut daran, diese Unternehmen nicht so zu diffamieren, wie Sie es getan haben. Ich
bin froh darüber, dass wir Unternehmen in unserem
Land haben, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht
werden und in den vergangenen Jahren auch neue Arbeitsplätze geschaffen haben.
({6})
Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel erreicht. Wir werden - das ist angedeutet worden - noch
einiges auf den Weg bringen müssen, etwa im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Ich betone: Es geht hierbei nicht
in erster Linie darum, Geld einzusparen, sondern es geht
darum, die Instrumente neu zu ordnen, einfacher zu machen, Beitragsmittel wirkungsvoller einzusetzen, damit
auch diejenigen in den Arbeitsmarkt integriert werden
können, die vom Beschäftigungsaufbau bislang noch
nicht profitiert haben. Auch dabei, Herr Minister Scholz,
werden Sie unsere Unterstützung haben. Wir werden in
den nächsten Wochen sicherlich noch etliche Male darüber reden können.
Ich halte fest: Eine erfolgreiche Sozialpolitik ist die
Voraussetzung für innenpolitische Stabilität. Sie ist Garant für sozialen Frieden, für politischen und ökonomischen Frieden. Wir tragen mit dem Bundeshaushalt für
das Jahr 2009 diesem Umstand Rechnung.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer dasselbe:
({0})
Wenn es gute Arbeitsmarktzahlen gibt, dann war es,
wenn man der Opposition glauben darf, die Konjunktur;
aber wenn, was möglich ist, aufgrund der konjunkturellen Abschwächung die Arbeitslosenzahl im nächsten
Jahr vielleicht wieder steigen wird,
({1})
dann wird es natürlich die Regierung schuld sein.
({2})
Sie müssen sich irgendwann entscheiden, wie es denn
ist. Warum können Sie sich nicht einfach einmal entscheiden, zu sagen: „Sie haben mit einer konsequenten
Haushaltskonsolidierung und einer sehr guten Arbeitsmarktpolitik Ihren Job gut gemacht“?
({3})
Das wäre doch ein Punkt, auf dem wir aufbauen könnten. Über Verbesserungen können wir gern streiten. Aber
das ist erst einmal unsere Aufgabe, und der sind wir
nachgekommen.
Ich will das unterstreichen: Wir haben 510 000 Arbeitsplätze mehr. Wir haben über 40 Millionen Erwerbstätige. Das ist die höchste Zahl seit langem. Wir haben
durch Programme wie WeGebAU, „JobPerspektive“ und
Kommunal-Kombi im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosen die Weichen richtig gestellt. Die ersten Ergebnisse - minus 20,5 Prozent bei der Langzeitarbeitslosigkeit - sind da. Hier müssen wir noch besser werden.
Wir müssen auch in den Ländern noch besser werden,
wo es nicht selten an der Kofinanzierung für genau diese
Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hapert.
({4})
Ich kann Ihnen gern eine Liste reichen, aus der hervorgeht, wo das besonders problematisch ist.
Wenn es so ist, wie wir sagen, dass sich die Arbeitsmarktpolitik auszahlt und die Menschen, die gefördert
werden, bessere Vermittlungschancen haben, dann kann
man die Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht als
Spielball für Landtagswahlen nutzen. Da kann ich nur
hoffen, dass nach dem 28. September, 18 Uhr, wieder
mehr Vernunft in die Debatte einkehrt.
({5})
Zu den Forderungen von Herrn Clever, die Beiträge
zur Arbeitslosenversicherung auf 2,5 Prozent zu senken,
kann ich nur sagen: Darf es noch etwas weniger sein?
Herr Kauder und andere sprechen von 2,8 Prozent. Ich
sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind bereit, die Spielräume, die da sind, zu nutzen.
({6})
Wir haben - das ist unsere gemeinsame Leistung - die
Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bereits von
6,5 Prozent auf 3,3 Prozent gesenkt. Da ist auch noch
mehr drin.
({7})
Wir dürfen aber den Hosenbund, Herr Kauder, nicht
so eng schnallen, dass am Ende die Arbeitslosenversicherung wichtige Aufgaben, wie zum Beispiel die Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen - das ist
unsere erste Priorität -,
({8})
in einer Phase sich abschwächender Konjunktur nicht
mehr in dem Umfang, wie es notwendig wäre, leisten
kann.
({9})
Lassen Sie uns deswegen doch einfach dabei bleiben,
was wir vereinbart haben, nämlich zu schauen, was geht,
und das dann zu machen.
({10})
Zugleich muss aber immer die Hauptaufgabe im Blick
bleiben, nämlich die Vermittlung von Arbeitslosen.
Ich erwähne an dieser Stelle auch, was wir meiner
Meinung noch besser machen müssen. 25 Prozent der
Mitarbeiter in den Argen und Optionskommunen haben
befristete Arbeitsverhältnisse. Wir haben zwar 7 000 Stellen in den letzten beiden Jahren entfristet. Ich möchte
aber, dass klar ist, dass das Rückrat unserer Arbeitsvermittlung - das sind die Vermittlerinnen und Vermittler
vor Ort - gestärkt wird und noch mehr Leute dort eine
feste und nicht eine befristete Anstellung haben. Auch
insgesamt brauchen wir noch mehr Menschen, die sich
um Vermittlung kümmern. Das ist unsere feste Überzeugung.
({11})
Wir werden uns auch mit der Frage der Arbeitsmarktinstrumente befassen müssen. Wir wollen zum
einen deren Zahl reduzieren. Ich kann Ihnen - das sage
ich insbesondere an die FDP gewandt - gerne im Detail
auflisten, was wir da machen. Aber der entsprechende
Gesetzentwurf dürfte Ihnen längst bekannt sein, Frau
Winterstein. Es ist tatsächlich so. Wichtig ist zum anderen aber, dass den Regionen mehr Handlungsspielräume
eingeräumt werden. Deswegen bekenne ich mich hier
klipp und klar zu der Ansicht, dass innovative Ansätze
und freie Förderung mit einem Anteil von 1 bzw.
2 Prozent am Gesamtbudget nicht ausreichend bedacht
sind. Ich stelle mir vor, diesen Anteil auf 10 bis 15 Prozent anzuheben.
({12})
Diese Position wird die SPD-Bundestagsfraktion auch in
den parlamentarischen Beratungen deutlich machen.
Schließlich möchte ich mir noch die Bemerkung
erlauben, dass Maßnahmen mit Blick auf den Hauptschulabschluss eine der zentralen Neuerungen bei den
arbeitsmarktpolitischen Instrumenten sein werden. Der
Arbeitsminister hat das eben ausgeführt. Wer kann denn
im Ernst dafür sein, dass ein Rechtsanspruch auf einen
Schulabschluss verwehrt wird? „Pfui!“, sage ich dazu
nur. Jeder, der das tut, hat die Grundlagen nicht begriffen; denn Bildungspolitik ist Arbeitsmarktpolitik.
({13})
- Wir bauen aus Haupt- und Realschule eine schöne Realschule plus. Wir schaffen nichts ab. Sie können aber
gerne einmal zu mir nach Rheinland-Pfalz kommen,
Herr Kolb.
({14})
Im Übrigen brauchen wir die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen.
Vielen Dank.
({15})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf
Brauksiepe das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Große Koalition ist drei Jahre im Amt. Die Zwischenbilanz auf dem Arbeitsmarkt sieht so aus: fast
2 Millionen Arbeitslose weniger als im letzten rot-grünen Sommer 2005, fast 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als im
letzten rot-grünen Sommer 2005, davon über die Hälfte
in Vollzeit. Das ist eine gute Bilanz nach drei Jahren,
eine Bilanz, auf die wir mit Recht stolz sein können,
liebe Kolleginnen und Kollegen.
({0})
Wir haben nicht nur mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, wir haben auch höhere
Löhne. Das schlägt sich in höheren Steuereinnahmen
nieder, über die wir im Bundeshalt verfügen können. Es
schlägt sich natürlich auch in höheren Einnahmen der
Sozialversicherungen nieder.
({1})
Die Entwicklung bei den Renten, auf die Kollege
Fuchtel völlig zu Recht hingewiesen hat, ist nicht darauf
zurückzuführen, dass wir die Renten gekürzt hätten. Im
Gegenteil, wir haben sie erhöht, sogar stärker, als es die
Rentenformel vorsah. Sie hat vielmehr etwas damit zu
tun, dass wir durch mehr Beschäftigung und aufgrund
vielfach höherer Löhne auch mehr Einnahmen aus den
Sozialversicherungsbeiträgen erzielt haben. Das ist die
Bilanz, die wir vorzuweisen haben, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({2})
Es ist gut, dass das in diesen Tagen auch durch die aktuelle Studie des DIW, die mit ihrem Zahlenmaterial
über das Ende der rot-grünen Regierung hinausgeht, bestätigt worden ist. Die Bilanz ist klar: Das Armutsrisiko
in Deutschland ist gesunken. Die Lohnspreizung ist kleiner geworden. Es gibt keine weitere Ausweitung des
Niedriglohnsektors. Jeder kann es beobachten. Wir haben heute Tarifabschlüsse, die deutlich über die Forderungen der Gewerkschaften, die sie in der Zeit der früheren Regierung gestellt haben, hinausgehen. Das ist auch
eine logische Entwicklung. Jeder weiß - auch der Ar18778
mutsbericht der Bundesregierung macht es deutlich -:
Arbeitslosigkeit ist das größte Armutsrisiko. Deshalb ist
es logisch und richtig: Wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, dann geht auch die das Armutsrisiko zurück. Wenn
die Arbeitslosigkeit zurückgeht, dann - und genau dann kann man auch den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken. Genau das streben wir für die Zukunft an.
({3})
Der Aufschwung hat längst die Älteren erreicht; er
hat die Langzeitarbeitslosen und die Geringqualifizierten
erreicht. Weil das von der linken Seite dieses Hauses
nicht mehr bestritten werden kann, wird die Mär erzählt,
es gebe immer mehr Armutslöhne, der ganze Aufschwung sei durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse
erkauft usw. Ich will deutlich machen, was die Realität
ist und was uns von anderen unterscheidet. Wenn wir
von Niedriglöhnen sprechen, dann sprechen wir von
Löhnen, die zwei Drittel unter dem Bundesdurchschnitt
liegen. Der Niedriglohnsektor beginnt bei uns bei einem
Stundenlohn von 9,60 Euro. Wenn jemand aus der Langzeitarbeitslosigkeit eine Beschäftigung mit einem Lohn
von 9,60 Euro findet, einem Lohn, der weit jenseits dessen liegt, was an Mindestlöhnen gefordert wird, dann ist
er, statistisch gesehen, ein Bezieher von Niedriglöhnen
mehr. Wenn dieser eine große Familie hat, dann muss er
vielleicht noch aufstockendes Arbeitslosengeld II bekommen. Die Statistik weist dann einen Bezieher von
Niedriglöhnen und einen Aufstocker mehr auf. Vor allem aber gibt es einen Langzeitarbeitslosen weniger. Sie
sehen das als ein Zeichen von sozialem Elend, wenn ein
Langzeitarbeitsloser für mehr als 9 Euro eine Beschäftigung findet. Für uns ist das sozialer Fortschritt mit Blick
auf den betroffenen Menschen und seine Familie. Das ist
der Unterschied, und das ist die Realität in diesem Land.
({4})
Es geht dabei um 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens und entsprechender Löhne. Das ist weit
über dem Durchschnitt der Länder um uns herum, die
immer angeführt werden, wenn es um Armut und Entlohnung geht.
Wir müssen wegkommen von einer Debatte, in der
am Anfang gesagt wird: Wir müssen das soziale Netz
ausweiten und es stabil machen. - Wir sind sehr für ein
dichtes soziales Netz und soziale Sicherheit. Wenn man
aber anschließend sagt: „Jeder, der eine Transferleistung
bekommt, ist arm“, dann ist das falsch. Der Sozialstaat
schützt vor Armut. Wer zu Recht eine soziale Leistung
in Anspruch nimmt, der ist deshalb nicht arm, vielmehr
- auch das macht der Armuts- und Reichtumsbericht
deutlich - schützt dieser Sozialstaat mit den Leistungen,
die er gewährt, davor, dass Menschen in Armut geraten.
Diesen Sozialstaat wollen wir erhalten.
({5})
Ich will auch etwas zu der Kritik sagen, die von anderer Seite geäußert wurde. Wir haben in diesem Jahr in
der Tat etwas gemacht, was man wirklich nur in einer
guten konjunkturellen Lage und bei einer sehr guten
Lage auf dem Arbeitsmarkt tun kann. Wir haben die
Leistungen der Arbeitslosenversicherung für ältere und
langjährige Beitragszahler ausgebaut, und wir haben
gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung
gesenkt. Das ist genau der richtige Weg gewesen.
({6})
- Sie von der FDP haben uns genauso wie die Grünen,
die ihrer alten Propaganda verfallen sind, gesagt, man
dürfe den Arbeitslosengeldbezug nicht ausweiten, da
sich die Leute dann in die soziale Hängematte legen
würden. Ich empfehle Ihnen, nach Bochum zu gehen, wo
Nokia zugemacht hat. Dort ist es jetzt gelungen, neue
Arbeitsplätze zu schaffen. Wie viele Leute haben denn
gesagt: „Geht mir weg mit der Arbeit, ich gehe erst mal
drei Monate lang in die Hängematte, da ich ja länger Arbeitslosengeld bekomme“? - Das hat kein Einziger gesagt. Es ist richtig, Menschen auch dafür zu belohnen,
dass sie lange Beiträge zahlen. Davon geht der Sozialstaat nicht unter, das ist sozial gerecht.
({7})
Es hat sich gezeigt, dass das richtig ist. Die Menschen
wollen arbeiten. Sie nehmen auch Arbeit an. Wir machen ihnen in dieser Großen Koalition mit vernünftigen
Rahmenbedingungen dazu Mut. Nehmen Sie das bitte
zur Kenntnis, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({8})
Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Kolb?
Selbstverständlich, was soll er sonst machen?
Herr Kollege Brauksiepe, das, was Sie gesagt haben,
sollte ja in Wirklichkeit von der Kernfrage ablenken,
nämlich wohin der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in der näheren Zukunft geht. Gilt das Wort
von 2,8 Prozent, was Herr Kauder gestern gesagt hat,
oder war das nur eine Wahlkampfshow von Herrn
Kauder und Herrn Huber?
({0})
Wollen Sie weiter absenken und wohin? Welche Möglichkeit sehen Sie da?
Herr Kollege Kolb, wir haben beschlossen, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 2,8 Prozent zu senken. Das ist kein Alleingang von Volker Kauder, sondern
das ist die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
({0})
Dafür setzen wir uns ein. Wir sind fest davon überzeugt,
dass das ohne Leistungskürzungen geht, ohne die Kürzung von aktiven und passiven Leistungen.
({1})
Das ist ohne Verschiebebahnhöfe möglich, weil wir auf
dem Arbeitsmarkt immer weniger Arbeitslosigkeit haben, sodass sich eine entsprechende Dividende ergibt,
die an die Beitragszahler weitergegeben werden kann.
Wir haben dreimal Beschlüsse gefasst und den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt, und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das auch ein weiteres Mal hinbekommen.
({2})
Das ist mit dem Koalitionspartner nicht immer einfach,
aber wir sind ja auch nicht zusammen in der Regierung,
damit es immer einfach ist. Wir sind gemeinsam drei
Jahre zu vernünftigen Lösungen gekommen und haben
eine hervorragende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
erreicht, und das schaffen wir auch weiterhin. Wenn Sie
in Zukunft beim Regieren wieder mitmachen wollen,
Herr Kollege Kolb, dann müssen Sie erst einmal wieder
auf einen so vernünftigen, realistischen Kurs kommen.
Dann kann man darüber reden, vorher nicht.
({3})
Wir haben nicht einfach nur zusätzliche Arbeit in diesem Land, sondern zusätzliche Arbeit, die Menschen aus
dem Transferbezug gelöst hat, die dafür gesorgt hat, dass
es den Menschen in diesem Land wieder besser geht.
Wir werden diesen Weg auch im vierten und letzten Jahr
der Großen Koalition gemeinsam weitergehen.
Herzlichen Dank.
({4})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend, Einzelplan 17.
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der
Leyen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir
werden auch im nächsten Jahr wieder in Familien investieren.
({0})
Gegenüber der Finanzplanung wächst der Einzelplan 17
um 410 Millionen Euro.
Unsere Aufgabe in der Familienpolitik ist es, immer
wieder den Blick für die Frage zu schärfen: Wie können
wir Familien, wie können wir Kindern und Jugendlichen
Teilhabe, Selbstständigkeit und Entfaltung ihrer Fähigkeiten ermöglichen? Dazu sind in verschiedenen Lebensphasen und in verschiedenen Lebenssituationen
differenzierte Leistungen notwendig.
Wir haben den Etat für das Elterngeld gegenüber
2008 um 135 Millionen Euro angehoben, nicht nur wegen der Konjunktur, die bessere Einkommen für junge
Familien und damit eine höhere Einkommensersatzleistung mit sich bringt, sondern auch und vor allem weil die
Geburtenrate gestiegen ist.
({1})
Das ist ein Vertrauensbeweis der jungen Menschen in
unser Land; wir dürfen sie nicht enttäuschen.
Besonders freut mich die wachsende Akzeptanz der
Partnermonate bei den jungen Vätern. Bei der Einführung des Elterngeldes lag die Zahl der Väter, die Elternzeit nahmen, in Stein gemeißelt bei 3,5 Prozent. Mittlerweile nimmt in 16 Prozent der Elterngeldhaushalte ein
Vater Elternzeit, Tendenz weiter steigend. Das hilft nicht
nur, das Bild der Väter in unseren Köpfen zu verändern,
sondern es ist auch ein Riesengewinn für die Kinder, ihren Vater hautnah zu erleben.
({2})
Der Ausbau der Kinderbetreuung ist die folgerichtige nächste Investition gewesen; denn gerade auf den
Anfang kommt es an, wenn die ersten Weichen für Bildungschancen für alle Kinder gestellt werden. Der
nächste entscheidende Schritt ist der Übergang von
Schule in den Beruf. Hier sind viele Akteure gefragt;
das ist klar: die Länder mit den Schulen, die Wirtschaft,
die Bundesagentur für Arbeit. Wir haben die Aufgabe,
auf Bundesebene mit den Modellprogrammen genauer
hinzuschauen, wenn Jugendliche sich besonders schwertun und im Regelsystem verloren gehen. Deshalb verstärken wir 2009 die jugendpolitischen Leistungen für
sozial benachteiligte Jugendliche und für junge Migrantinnen und Migranten. Da geht es um eine zweite
Chance für die harten Schulverweigerer. Es geht um eine
bessere Vernetzung der Jugendsozialarbeit mit der
Schule und um den Übergang von der Schule in den Beruf. Mit dem ESF und der Kofinanzierung setzen wir dafür mehr als 180 Millionen Euro ein.
Die Förderung des Zivilengagements soll mit dem
Haushalt 2009 gegenüber der Finanzplanung um
2 Millionen Euro auf dauerhaft 12 Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist gut angelegtes Geld. Das bürgerschaftliche Engagement verändert sich; das sehen
wir. Auf der einen Seite sinkt die Anzahl der Vereine und
auch der Mitgliedschaften in den Vereinen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Spendenbereitschaft, die
Zahl der Bürgerstiftungen und die Unternehmensaktivitäten steigen. Darauf müssen wir reagieren; denn es wol18780
len sich viele engagieren, aber sie brauchen den richtigen Impuls dafür.
Wir haben den Einzelplan 17 noch an einer anderen
Stelle aufgestockt. Für den Ausbau des Kinderzuschlags
brauchen wir jetzt mehr als 253 Millionen Euro zusätzlich. Das ist richtig; denn auch bei einem niedrigen Einkommen muss gelten: Arbeit lohnt sich.
({3})
Der Kinderzuschlag wirkt gegen Kinderarmut, und er ist
gleichzeitig ein arbeitsmarktpolitischer Anreiz.
Wir erreichen mit dem neuentwickelten Kinderzuschlag im Zusammenspiel mit der Wohngeldreform eine
viertel Million Kinder. Es sind 150 000 Kinder mehr, die
aus Hartz IV herauskommen. Das Ziel ist immer, Familien unabhängig zu machen, dass sie auf eigenen Füßen
stehen können, dass sie die Kinder haben können, die sie
sich wünschen, und diese Kinder gut ins Leben begleiten
können.
Wir diskutieren jetzt über die Erhöhung des Kindergeldes. Das ist richtig und das ist notwendig.
({4})
Das Kindergeld für das erste und zweite Kind ist seit
2001 nicht mehr erhöht worden. Für das dritte Kind und
die folgenden Geschwister ist das Kindergeld seit 1995
nicht mehr erhöht worden. Dabei sind es gerade die kinderreichen Familien, die auf das Kindergeld angewiesen
sind. Sie haben unvermeidbare Fixkosten. Sie brauchen
die größere Wohnung, mehr Heizung, mehr Lebensmittel, mehr Kleidung, mehr Schulmaterial. Die Waschmaschine läuft häufiger. Das kann nicht nur durch mehr Arbeit erwirtschaftet werden. Da ist das Kindergeld
unverzichtbar.
({5})
In vielen europäischen Ländern gibt es - in Deutschland
gab es dies lange - aus gutem Grund ein gestaffeltes
Kindergeld. Ich halte das für richtig; denn Kinderreichtum darf nicht zu Armut führen.
({6})
Nun hören wir in diesen Tagen öfter den Satz: Jedes
Kind muss dem Staat gleich viel wert sein.
({7})
Wer würde da nicht auf den ersten Blick - dieser Satz
hört sich gut an ({8})
wohlwollend nicken? Sicher alle, außer der Finanzminister. Den kostet das nämlich 15 Milliarden Euro.
({9})
Warum? Weil Politik bekanntlich mit dem Betrachten
der Wirklichkeit beginnt. Die Wirklichkeit ist: Keineswegs zahlt der Staat für jedes Kind gleich viel, weil er in
verschiedenen Lebenssituationen differenziert Teilhabe
und Gerechtigkeit ermöglicht. Wer Arbeitslosengeld II
bezieht und Kinder hat, erhält für seine Kinder kein Kindergeld - es wird verrechnet -, sondern das höhere Sozialgeld. Aus gutem Grund; denn hier geht es um das
Existenzminimum des Kindes. Das sind je nach Alter
des Kindes 211 bis 281 Euro. Diejenigen, die den Kinderfreibetrag im Steuerrecht heute voll ausschöpfen, erhalten eine Entlastung von bis zu 230 Euro im Monat.
Aus gutem Grund; denn diejenigen, die Kinder erziehen,
dürfen im Vergleich zu denjenigen, die ein gleich hohes
Einkommen haben, aber keine Kinder erziehen, nicht so
hoch besteuert werden. Auch das ist eine Frage des Existenzminimums.
({10})
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich führe diesen Gedanken erst zu Ende, dann gerne.
Nur die Familien in der Mitte, die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen, erhalten das reine Kindergeld von 154 Euro für das erste, zweite und dritte
Kind und von 179 Euro für das vierte. Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will, dann kann man das
Ganze doch wohl nicht auf das niedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss man vielmehr lege artis auf das
höchste gemeinsame Niveau heraufzustufen. Das würde
15 Milliarden Euro kosten - eine Illusion, die mit der
Realität wenig zu tun hat.
({0})
Nun steht der Vorschlag im Raum, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen. Ich kann Neugierige davor nur warnen.
({1})
Das wäre ein Systemwechsel mit erheblichen Nebenwirkungen, vor allen Dingen mit erheblichen unerwünschten familienpolitischen Nebenwirkungen. Der Wechsel
vom heutigen Freibetrag zu einem Grundfreibetrag heißt
erst einmal: Alle mit Kindern, die Steuern zahlen
- Facharbeiter, Lehrerinnen, Alleinerziehende -, müssen
in Zukunft mehr Steuern zahlen. Das kann ja wohl nicht
das Ziel sein. Das Absurde ist: Je mehr Kinder, desto
stärker die Auswirkungen dieses Systemwechsels. Der
vorgeschlagene Grundfreibetrag schneidet das Einkommen unten ab - vorweg. Das heißt: Mit jedem Kind
steigt man bei der Besteuerung des verfügbaren Einkommens in einen höheren Tarif ein. Mit jedem Kind steigt
der Steuersatz.
({2})
Nebenbei steigen auch der Soli und die Kirchensteuer,
natürlich nur für Familien mit Kindern. Was hat denn
das mit Steuergerechtigkeit zu tun, wenn Kinder steuererhöhend wirken?
({3})
Das werden wir nicht zulassen.
Wer nun darüber nachdenkt, die Steuermehreinnahmen, die sich durch diesen Systemwechsel bei den Familien holen ließen, in die Kindergelderhöhung zu stecken,
dem gebe ich mit auf den Weg: Eine Kindergelderhöhung ist klasse, aber nicht, wenn sie aus einer bloßen
Umverteilung zulasten der Familien resultiert.
Jetzt hat der Kollege Kurth das Wort.
Danke, Frau Ministerin. - Sie erwarten mutmaßlich
eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro. Sie haben
gerade die gestiegenen Kosten für Kinder angesprochen.
Sind Sie mit mir der Auffassung, dass der Kostenanstieg
auch diejenigen Kinder betrifft, die im Arbeitslosengeld-II-Bezug bzw. im Sozialgeldbezug sind, und wie
stehen Sie zu dem von den 16 Bundesländern im Bundesrat einstimmig gefassten Beschluss, der besagt, dass
die entwicklungsbedingten Bedarfe für Kinder im
Arbeitslosengeld II nicht ausreichend abgebildet sind
und es deswegen einen ordentlichen Kinderregelsatz geben muss?
Exakt, weil es diese Diskussion gibt, werden die Regelsätze im Augenblick von den Experten überprüft.
Man kann das nämlich nicht aus dem hohlen Bauch heraus bestimmen.
({0})
Eine differenzierte Prüfung der Regelsätze ist erforderlich. Wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir darüber zum gegebenen Zeitpunkt diskutieren.
Zum Abschluss: Der aktuelle Allensbach-Familienmonitor hat ergeben: Das Kindergeld ist die angesehenste familienpolitische Leistung in der Bevölkerung.
Und die Bevölkerung hat recht. Diese Leistung ist armutreduzierend, und sie stärkt die Familien in der Mitte.
Was die Bevölkerung aus eigenem Empfinden und eigenem Erleben als richtig einschätzt, wird von der Wissenschaft bestätigt: Das Kindergeld wirkt. Das Kindergeld
stärkt Familien und vermeidet Armut, gerade bei Alleinerziehenden und Familien mit kleinem Einkommen und
mehreren Kindern. Wenn Ende September der Existenzminimumbericht vorliegt, werden wir über den Spielraum entscheiden können. Doch die Erhöhung ist für
mich Pflicht und nicht Kür.
Danke.
({1})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Miriam
Gruß das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Vielleicht haben wir gerade die zukünftige Finanzministerin sprechen hören.
({0})
Die FDP jedenfalls war mit weiten Teilen sehr einverstanden. Glänzende Rede, Frau Ministerin. Leider haben
Sie eine kleinere, unbedeutendere Partei an Ihrer Seite,
mit der ich mich jetzt ein bisschen auseinandersetzen
möchte: die CSU.
Ich hatte gestern das Glück, Herrn Huber zuhören zu
können.
({1})
Es war interessant, was Herr Huber hier gesagt hat. Herr
Huber sprach auf einmal - hört, hört - von einer Mutter,
die alleinerziehend ist und zwei Kinder hat. Da habe ich
aufgehorcht. Das gibt es im Familienbild der CSU doch
eigentlich gar nicht. Beckstein fordert im Übrigen mehr
Geld für Hartz-IV-Kinder. Aber es ist Wahlkampf, und in
einer Woche ist Wahl. Da erkennt auch die CSU: Nicht
jedes Kind kommt mit einem goldenen Löffel im Mund
auf die Welt. In dieser Analyse sind wir uns einig. Es
gibt tatsächlich Kinder, bei denen wir eingreifen müssen,
bei denen der Staat etwas tun muss. Jetzt stellt sich nur
noch die Frage: Was ist zu tun?
Da muss ich Ihnen, die Sie regieren, sagen: Wir glauben, dass Sie hier auf dem falschen Dampfer sind.
({2})
Denn was machen Sie? Sie ziehen den Familien zunächst das Geld aus der Tasche, schicken es durch einen
gigantischen Umverteilungsmechanismus und geben es
dann großgönnerhaft aus. Ich stimme zu: Eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ist gut. - Man kann
dennoch darüber diskutieren; denn Sie haben in den letzten drei Jahren dafür gesorgt, dass eine durchschnittliche
vierköpfige Familie im letzten Jahr 1 600 Euro weniger
zur Verfügung hatte, weil Sie den Familien das Geld mit
Hilfe von 19 Steuererhöhungen aus der Tasche gezogen
haben. Auch das muss an dieser Stelle ganz klar gesagt
werden.
({3})
Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht und damit gerade
die Familien belastet, die Sie jetzt durch eine Kindergelderhöhung entlasten wollen. Das ist ganz offensichtlich Wahlkampfgetöse. Heute, eine Woche vor der Landtagswahl in Bayern, fordert dies auch Frau Stewens. Oh
Wunder!
Wir hingegen hatten im Vergleich zu allen anderen
Fraktionen hier im Bundestag schon immer das familienfreundlichste Steuerkonzept,
({4})
mit niedrigen, einfachen und gerechten Steuersätzen von
10, 25 und 35 Prozent, mit einem einheitlichen Steuerfreibetrag in Höhe von 8 000 Euro - die Ministerin hat
das gerade noch einmal bestätigt - und einer besseren
steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten
in Höhe von 12 000 Euro, die Eltern wirkliche Wahlfreiheit ermöglicht. Wir sagen weder, dass alle Kinder in die
Krippe gesteckt werden müssen, noch, dass die drei Ks
weiter gelten sollen, die in weiten Teilen Bayerns nach
wie vor im Kopf verankert sind. Wir wollen Rahmenbedingungen, die es den Familien ermöglichen, sich frei zu
entscheiden. Das ist mit unserem Steuerkonzept und unseren Auffassungen zur Kinderbetreuung möglich.
({5})
Da ich gerade über die Steuererhöhungen gesprochen
habe, ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die
Große Koalition, insbesondere die CSU, auch einmal
Steuern gesenkt hat, und zwar bei der mechanischen
Aufstiegshilfe.
({6})
Für diejenigen, die nicht aus Bayern kommen: Damit
sind die Lifte gemeint. Der Umsatzsteuersatz für Seilbahnfahrten ist von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt
worden. Ich freue mich darüber; denn jetzt kommt der
Winter, und dann können Familien günstiger auf den
Berg fahren. Skifahren macht ja Spaß. Hier handelt es
sich um eine ganz bedeutende Steuer.
({7})
- Herr Singhammer, wir sprechen uns nach dem 28. September wieder.
({8})
- Das ist eine Drohung. Herr Singhammer sitzt deswegen schon nur noch in der zweiten Reihe.
({9})
An dieser Stelle sei gesagt: Einmal ist tatsächlich eine
Steuer gesenkt worden. Das muss man lobend anerkennen. Aber wenn ich an Berge denke, denke ich an etwas
ganz anderes - jetzt wird es wieder ernst -, nämlich an
den Schuldenberg Deutschlands. Jedes Kind, das heutzutage auf die Welt kommt, hat bereits 18 000 Euro
Schulden im Rucksack. Wenn wir auf die Berge fahren,
dann sollten wir bitte schön auch an den Schuldenberg
denken und daran, dass Kinder auf Schuldenbergen nicht
spielen und erst recht nicht lernen können.
Vielen Dank.
({10})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel
Humme das Wort.
({0})
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die heutige Debatte über den Familienhaushalt ist zweierlei: ein Ausblick auf das, was wir noch zu tun haben - Frau Ministerin, Sie haben gerade schon vieles genannt -, aber auch
eine kleine Bilanz der Großen Koalition über die Politikfelder, die wir gemeinsam zu verantworten haben. Als
Bilanz können wir feststellen: Wir haben zur Überraschung vieler einiges Gutes geschafft; das ist gar keine
Frage.
({0})
Wir sind familienpolitisch endlich im 21. Jahrhundert
angekommen, Herr Singhammer.
({1})
Die Bedenkenträger von damals sind heute voll des Lobes; das betrifft auch Sie. Sie wissen, dass gerade die
bayerischen Väter Spitzenreiter sind, wenn es um die
Beanspruchung der Vätermonate geht.
({2})
Ich denke, daran wird deutlich, dass moderne sozialdemokratische Politik bei den Eltern sehr gut ankommt.
Dafür danke ich auch den beiden zuständigen Ministerien: Ihnen, Frau von der Leyen, aber auch Finanzminister Peer Steinbrück; denn er hat die finanziellen
Voraussetzungen geschaffen, dass der Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige jetzt tatsächlich realisiert werden kann.
({3})
Er hat 4 Milliarden Euro und darüber hinaus Mittel für
eine dauerhafte Förderung zur Verfügung gestellt. Dafür
danken wir Ihnen recht herzlich.
({4})
Was haben wir erreicht? Was die Zielformulierung
angeht, waren wir uns eigentlich immer einig. Wir wollChristel Humme
ten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; hier gab
es überhaupt keinen Dissens.
({5})
Über den Weg dorthin waren wir uns aber nicht immer
einig - das muss man ehrlicherweise sagen -, und hinsichtlich der Interpretation, was unter echter Wahlfreiheit zu verstehen ist, waren wir uns auch nicht einig.
In dieser Woche wurde eine Untersuchung des Allensbach-Instituts veröffentlicht. Daraus ging ganz klar
hervor, dass zwei Drittel der Frauen immer noch meinen,
das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei
nicht gelöst, weil die Länder nicht für genug Betreuungsplätze gesorgt hätten. 97 Prozent der Frauen - diese
Zahl finde ich besonders erstaunlich - sind der Auffassung, dass die Betriebe zu wenig für familienfreundliche
Arbeitsbedingungen tun. Solange diese Zahlen im Raum
stehen und solange es Untersuchungen gibt, die zu solchen Ergebnissen kommen, glaube ich, dass für Mütter,
die berufstätig sein wollen, noch keine echte Wahlfreiheit besteht. Hier müssen wir mehr tun. Wir Sozialdemokraten werden unsere Ziele in diesem Bereich weiter
verfolgen.
({6})
In der nächsten Woche - Gott sei Dank schon so früh entscheiden wir über das Kinderfördergesetz, mit dem
wir einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz begründen werden.
({7})
Ich freue mich darauf. Die Länder werden aufgefordert,
Tempo zu machen und mehr Betreuungsplätze anzubieten; das wird die gute Botschaft der nächsten Woche
sein, und das ist wichtig. Wir müssen schneller werden,
und zwar nicht nur, um unser Ziel der Vereinbarkeit von
Familie und Beruf zu erreichen, sondern auch, weil die
Bildungschancen unserer Kinder verbessert werden
müssen.
({8})
Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Mehrheit der
Familien in Deutschland geht es gut;
({9})
ich glaube, das ist zweifelsfrei der Fall. Es gibt aber auch
Familien, die vom Armutsrisiko bedroht sind. Ich bin
froh, dass wir den Kinderzuschlag in der übernächsten
Woche, am 1. Oktober, in Kraft treten lassen. Ich hoffe,
dass es uns gemeinsam gelingt, auch die Verbesserungen
beim Wohngeld ab dem 1. Oktober in Kraft treten zu lassen.
({10})
Frau Ministerin, ich gebe Ihnen vollkommen recht: Mit
diesen Instrumenten erreichen wir 250 000 Kinder und
ihre Eltern. Vor allen Dingen - das ist mir wichtig - werden wir damit Mehrkindfamilien erreichen; das ist gut
so.
Ich glaube, im Zusammenhang mit den Leistungen
für Familien müssen wir ab Mitte Oktober auch über das
Existenzminimum sprechen. Ich verhehle nicht: Auch
ich bin dafür, dass wir das Kindergeld erhöhen.
({11})
Ich mache mir allerdings Gedanken darüber, welche Folgen es hat, wenn wir eine breitere Staffelung vornehmen
und für diesen Bereich noch mehr Geld ausgeben. Eine
breitere Staffelung bedeutet keine breitere Familienförderung. Wir wissen ganz genau, dass 90 Prozent der Familien ein bis zwei Kinder haben und - mehr noch dass 94 Prozent der Alleinerziehenden ein bis zwei Kinder haben. Ich bin der Meinung, dass wir das Kindergeld
erhöhen sollten. Eine breitere Staffelung lehne ich allerdings ab, weil sie in der Breitenwirkung keinen Erfolg
hat.
({12})
Ich bin dezidiert der Auffassung, dass unser Familienleistungssystem in seiner derzeitigen Ausgestaltung
sozial ungerecht ist. Ich halte es für nicht richtig, dass
die Familien, die ein hohes Einkommen oder sogar ein
Spitzeneinkommen haben, monatlich 230 Euro pro Kind
erhalten,
({13})
also 76 Euro mehr als die Familien, die über ein niedriges oder mittleres Einkommen verfügen; sie bekommen
derzeit monatlich 154 Euro pro Kind.
({14})
Ich bin dezidiert der Meinung - diese Auffassung teile
ich mit meiner Fraktion und meiner Partei -, dass dem
Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss.
({15})
Das verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit. Darum,
Frau Ministerin, werden wir an dieser Stelle noch heftig
miteinander streiten müssen.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, unbestritten ist:
Die beste Armutsprävention sind nicht Transferleistungen, auch nicht das Kindergeld. Die beste Armutsprävention kann nur die Beschäftigung der Eltern sein. Im
Dritten Armuts- und Reichtumsbericht wurde deutlich,
dass das Armutsrisiko dann, wenn ein Elternteil beschäftigt ist oder wenn sogar beide Elternteile beschäftigt
sind, auf 4 Prozent sinkt. Daher müssen wir uns damit
beschäftigen, folgende Aufgaben zu lösen: Wir müssen
erreichen, dass die Frauenerwerbsquote endlich auf
europäisches Niveau steigt. Wir müssen erreichen, dass
wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Frauen und
Männern haben. Wir müssen natürlich auch erreichen,
dass wir uns bei den Minijobs bewegen.
Wer sich die Statistiken genau anschaut, der stellt fest,
dass die Personen, die vorrangig über ein Einkommen
aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung oder aufgrund eines Minijobs verfügen, zu 67,5 Prozent Frauen
sind. Deshalb ist es unbedingt geboten, die Wochenstundenzahl auf 15 zu fixieren. Auch das ist ein Beitrag zu
einem Mindestlohn. Besser für Frauen ist natürlich ein
gesetzlicher Mindestlohn; denn ich weiß, dass die meisten Frauen in Branchen beschäftigt sind, in denen es
keine tarifliche Bindung gibt. Deshalb nützt es auch
nichts, wenn die Kanzlerin fordert, dass Tarifpolitik vorgehen soll. In diesem Bereich müssen wir unbedingt etwas tun.
({16})
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe mich
sehr stark für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
eingesetzt. Ich bin sehr froh, dass wir dieses Gesetz seit
dem Jahr 2006 haben. Dieses Gesetz gibt den Frauen die
Chance, sich für ihre Rechte - zum Beispiel gleichen
Lohn für gleiche Arbeit - einzusetzen und diese einzuklagen. Mir war es immer sehr wichtig, dass es eine
Antidiskriminierungsstelle gibt; denn diese soll die
Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit, die Meinungsbildung
zur Antidiskriminierung in der Öffentlichkeit, übernehmen. Ich war immer der Meinung, dass diese Stelle finanziell und personell gut ausgestattet sein sollte. Trotzdem war ich über die vorgeschlagene Steigerung des
Haushaltsansatzes 2009 für die Antidiskriminierungsstelle - lange Zeit gefordert und erkämpft - sehr überrascht. 9 000 Euro wurden bisher für die Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben, 220 000 Euro sollen es im nächsten
Jahr sein. Das ist gut. Ich füge aber hinzu, dass dies ein
Geschmäckle hat; denn das Jahr 2009 ist ein Wahljahr.
Wir werden genau hinschauen, was mit den Geldern der
Antidiskriminierungsstelle gemacht wird. Das kann ich
Ihnen schon jetzt versprechen.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sowie das
Bundesgleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst
haben deutlich gemacht, was wichtig ist, wenn man
Gleichstellung ernst meint. Wir brauchen unbedingt gesetzliche Regelungen; das ist die Überzeugung der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir brauchen
ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.
Frau Kollegin Humme, bitte achten Sie auf die Zeit!
Wir brauchen eine Quotierung, wenn es darum geht,
Aufsichtsratssitze mit Frauen zu besetzen. Außerdem
brauchen wir gesetzliche Mindestlöhne. Das ist unverzichtbar.
({0})
Wir können den Frauen an dieser Stelle versprechen,
dass das auf der sozialdemokratischen Agenda bleibt.
Schönen Dank.
({1})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Roland Claus das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir reden hier über das Geld des Bundes für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, über einen Etat, der
uns von der Wiege bis zur Bahre begleitet, also gewissermaßen über einen Allgenerationenetat. Dafür sind im
Bundeshaushalt 6 Milliarden Euro eingestellt; das entspricht 2 Prozent des Gesamtetats. Zum Vergleich: Der
Militäretat ist fünf Mal größer. Von 100 Euro Steuergeld
zahlen wir 2 Euro für Familien, Rentner, Kinder und Jugendliche, aber 10 Euro für Militärausgaben. - Selbstverständlich ist auch uns klar, dass nicht alles, worum es
hier geht, vom Bund zu finanzieren ist. Wir sind aber der
Auffassung, dass Zukunft so nicht gelingen kann, weil
die Zustände in Deutschland nicht so sind, wie Sie sie
beschrieben haben, Frau Ministerin.
({0})
Kinder zu haben ist ein Armutsrisiko. Wir wollen, dass
sich das ändert.
Wir reden vor allem von einer besseren Kinderbetreuung als soziale und bildungspolitische Herausforderung.
Frau Ministerin, Sie haben hier gewiss eine Diskussion
angestoßen, und das geht auch in Ordnung. Die realen
Ergebnisse aber sind nicht besonders. Frau Ministerin,
gemessen am Familienbild der CSU sind Sie wahrscheinlich eine Revolutionärin. Gemessen an zukunftsorientierter Familienpolitik in Sachen Kinderbetreuung
sind Sie aber in hohem Maße versetzungsgefährdet.
({1})
Wir müssen auch über eine dringend notwendige
Nachholentwicklung im Westen reden. Es gibt eine nicht
hinzunehmende Spaltung: Wir haben im Westen die Arbeitsplätze, aber keine Kitas, und wir haben im Osten die
Kitas und keine Arbeit. Wir wollen, dass sich das ändert
und nicht so bleibt. Dafür müssten Sie aber etwas anderes tun, als Sie mit diesem Etat jetzt vorhaben.
({2})
Wenn wir Zukunft gestalten wollen, dann brauchen
wir eine neue Verbindung von Lernen, Erwerbsarbeit
und sozialer Sicherung, und das von Kindheit an. Ich erlebe auch bei Unternehmensbesuchen immer mehr, dass
sich die Geschäftsführungen mangels kommunaler Angebote inzwischen wieder selbst helfen und Betriebskindergärten einrichten. So gesehen werden die heute als
weiche Standortfaktoren beschriebenen Kitas, KinderbeRoland Claus
treuungseinrichtungen irgendwann die harten Standortfaktoren sein.
Natürlich müssen wir auch über Kinderarmut in einem reichen Land reden. Die Tendenz ist leider steigend.
Das ist das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Niedriglohnpolitik. Ich finde es sehr charmant, wenn die Rednerinnen und Redner der SPD hier den gesetzlichen Mindestlohn einfordern. Ich muss Sie daran erinnern: Es gibt
in diesem Bundestag eine parlamentarische Mehrheit für
den Mindestlohn. Fassen Sie sich ein Herz, und bringen
Sie das ein!
({3})
Wir haben zu konstatieren, dass 1965 nur jedes
75. Kind Sozialhilfe erhielt, während es 2007 jedes
sechste Kind war, im Osten sogar jedes Vierte. Armut,
die sich in den Gesichtern von Kindern widerspiegelt,
muss uns doch zu Veränderungen in unserer Politik veranlassen.
({4})
Ich will noch ein paar Worte zu den Programmen im
Kampf gegen den Rechtsextremismus sagen. Vor zwei
Jahren haben wir intensiv darüber gestritten, als diese
zunächst abgewickelt werden sollten. Sie haben Ihre
Position dann korrigiert, und die Programme werden
fortgesetzt.
({5})
Allerdings hat sich die Ministerialverwaltung nach dieser Entscheidung gerächt und den Zugang für Projektträger erheblich erschwert. In einer Situation, in der in diesem Lande der Rechtsextremismus als gesellschaftliche
Bedrohung nicht etwa zurückgeht, sondern anwächst,
brauchen wir diese Initiativen, Vereine und Projektträger. Wir sollten ihnen auch von dieser Stelle aus herzlich
für die Arbeit danken, die sie leisten.
({6})
Rechtsextremisten versuchen inzwischen, immer jüngere Menschen zu erreichen. Ein Mangel an historischer
Bildung und soziale Notlagen wirken bei ihrem Agieren
begünstigend.
Die Fraktion Die Linke wird auch in diesem Jahr eine
ganze Reihe von Forderungen zur Veränderung des Etats
einbringen. Das gilt gerade für den Bereich Familien und
Jugendliche. Diese Forderungen sind uns teuer. Deren
Umsetzung kostet nicht etwa 150 Milliarden Euro, wie
hier immer gesagt wird. Im vergangenen Jahr haben wir
Mehrausgaben in Höhe von 28 Millionen Euro vorgeschlagen, die gedeckt waren. Davon entfiel etwa die
Hälfte auf diesen Bereich. Wir wollen uns auch weiterhin an dem Grundsatz orientieren: Den Kindern soll es
einmal besser gehen.
({7})
Frau Ministerin, insgesamt muss ich feststellen: Ihr
Etat für das Jahr 2009 zeigt die gleichen Merkmale wie
der Etat des Bundes insgesamt. Sie verzichten auf eine
notwendige politische Gestaltung. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition. So geht Zukunft nicht, aber es geht immer auch anders. Deshalb
bietet die Fraktion Die Linke hier auch zahlreiche Alternativen an.
({8})
Die Kollegin Ekin Deligöz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
reden jetzt über einen Zukunftshaushalt und darüber,
dass die Familien die Zukunft dieses Landes sind.
({0})
Leider muss ich nach den Reden - auch der von Ihnen,
Frau Ministerin - aber sagen, dass Sie hier Erfolge feiern, die keine sind.
Zukunft fängt heute an. Sie verschieben die Lösung
gegenwärtiger Probleme in die Zukunft. Das sind keine
Lösungsvorschläge, die wir jetzt umsetzen können.
({1})
Ich nenne Ihnen dazu ein paar Beispiele:
Beispiel Nummer eins: Vereinbarkeit von Beruf
und Familie. Sie sagen, Sie haben mit dem Ausbau der
Kinderbetreuung hier eine ganze Menge erreicht.
Gleichzeitig sagen Sie aber, der Rechtsanspruch kommt
frühestens 2013.
({2})
Meine Tochter, die jetzt ein Jahr alt ist, wird im
Jahr 2013 bereits in der Schule sein. Wir brauchen die
Kinderbetreuung jetzt und nicht irgendwann in der Zukunft.
({3})
Wir brauchen Ganztagsplätze. In Bayern wird ein
Großteil der Kindergärten - wir reden noch nicht über
Kinderkrippen - innerhalb der nächsten halben Stunde
schließen. Glauben Sie, dass dort auch nur eine Teilzeiterwerbstätigkeit möglich wäre, die zu fördern eigentlich
eine Intention des Elterngelds gewesen ist?
({4})
Herr Singhammer.
Ich bin immer ganz gerührt, wenn die Handhabung
der Geschäftsführung durch Redner und Zwischenrufer
sozusagen gleich selbst in die Hand genommen wird,
Präsident Dr. Norbert Lammert
aber ich stelle fest, dass es ein Interesse an einer Zwischenfrage des Kollegen Singhammer gibt, der hiermit
das Wort erhält. Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Deligöz, Sie haben gerade die Situation in Bayern angesprochen und erwähnt, die Kindergärten würden in der
nächsten halben Stunde schließen. Das wäre gegen
11.35 Uhr. Sie haben damit auch auf die Diskussion über
Kindergerechtigkeit und die Erwerbstätigkeit der Frauen
hingewiesen.
Ist Ihnen bekannt, dass die Erwerbstätigkeit der
Frauen in Bayern bei 67 Prozent und damit weit über
dem Bundesdurchschnitt liegt? Ist das nicht auch ein
Zeichen dafür, dass wir gerade in Bayern mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon ziemlich weit gekommen sind?
({0})
Herr Singhammer, ich finde es sehr schön, dass Sie
ausgerechnet dieses Beispiel bringen. Mir ist die Zahl
von 67 Prozent durchaus bekannt. Aber lesen Sie dazu
die Analyse verschiedener Gewerkschaften! Daraus ergibt sich, dass gerade in Bayern ein sehr großer Anteil
von Frauen erstens in Teilzeit und zweitens in schlechtbezahlten Dienstleistungsberufen arbeitet. Das ist die
Realität der Frauen. Dagegen werden Sie in gutbezahlten
Ganztagsjobs in Bayern immer weniger Frauen finden,
weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem
Bereich überhaupt nicht gewährleistet ist.
Ihre Ministerin Stewens, die damals ein Kinderbetreuungsgesetz durchgesetzt hat, hat seinerzeit gesagt: In
Bayern müssen wir anfangen, die Betriebswirtschaftlichkeit in die Kindergärten hineinzutragen, denn dort gibt
es noch Sparpotenziale. - Das ist die bayerische Politik
für Familien und Kinder.
Nun möchte die Kollegin Schmidt eine weitere Zwischenfrage stellen. Bitte schön.
Frau Kollegin, ist Ihnen auch bekannt, dass die hohe
Frauenerwerbstätigenquote, die es in Bayern zweifelsohne gibt, vor allen Dingen daraus resultiert, dass dort
ein überproportional hoher Anteil von Frauen bereits
zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr erwerbstätig ist,
also keine weiterführende Ausbildung hat und nicht studiert? Betrachten Sie das als Vorteil?
({0})
Frau Kollegin Schmidt, Sie haben in der Tat recht.
Genau das bestätigt die These, dass ein Großteil der
Frauen in Bayern in schlechtbezahlten und unqualifizierten Jobs in Teilzeit beschäftigt ist. Das ist aber nicht die
richtige Antwort in der heutigen Situation, in der es einen Fachkräftemangel gibt und sich Frauen von ihrem
Verdienst sehr wohl selbst ernähren wollen und dies oftmals auch müssen.
({0})
- Wir reden gerade über Bayern.
({1})
- Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden, die
ich dann gerne beantworte.
Ja, Frau Schmidt, Sie haben recht. Ich hoffe, das ist
auch bei Herrn Singhammer so angekommen.
({2})
Jetzt komme ich zum Beispiel Nummer zwei: die
Qualität der Kinderbetreuung. Sie alle reden über die
Qualität der Kinderbetreuung, und auch die Frau Kanzlerin hat warme Worte für die Erzieherinnen gefunden.
Gleichzeitig findet sich in Ihren Vorhaben rein gar nichts
zur Qualitätssteigerung. Wo sind Ihre Vorschläge zu
einem Qualitätssiegel? Wo ist die Aufwertung der Erzieherinnenausbildung? Wo sind verbindliche Grundstandards für die Erzieherinnenausbildung und die Tagespflegepersonen? Nichts davon steht hier drin.
({3})
Aber Sie sagen: Wir machen ein Onlineportal. - Ein Onlineportal als Weiterbildungsmaßnahme von Erzieherinnen, ich bitte Sie. Wenn die Qualifizierung von Menschen, die mit Menschen arbeiten, online stattfinden
könnte, dann könnte die Medizinerausbildung in Zukunft um einiges billiger gestaltet werden. Sie glauben
doch wohl selber nicht, dass ein Onlineportal ein wirksames Instrument zur Qualifizierung von Erzieherinnen
ist.
({4})
Aber kommen wir zu den Familienleistungen. Sie
haben kurz vorgetragen, warum alle anderen Ideen jenseits Ihrer Ideen die falschen sind. Um die Familienleistungen zielgenauer neu zu gestalten, haben Sie viele
Millionen Euro ausgegeben und viele Wissenschaftler
eineinhalb Jahre damit beschäftigt, das Ganze zu analysieren. Wir wussten auch schon vorher, dass die Familienleistungen heute unübersichtlich, uneffektiv und uneffizient sind. Jetzt, eineinhalb Jahre später, wissen wir:
Die Familienleistungen sind uneffektiv, uneffizient und
unübersichtlich. Was ist der qualitative Gewinn aus den
Millionen, die Sie für dieses Kompetenzzentrum ausgegeben haben? Nichts, rein gar nichts,
({5})
abgesehen von der Tatsache, dass Sie nun sagen können,
dass alles, was in eine andere Richtung geht, nur falsch
sein kann.
Sie wissen sehr wohl, dass es auch anders gehen
kann. Ich glaube aber, dass Sie sich nicht trauen, beispielsweise die Eheförderung abzuschaffen, erst recht
nicht im bayerischen Wahlkampf; denn es geht darum,
Ideologien zu verteidigen, die nicht die Ihrigen sind,
wohl aber die Ihrer Partei.
({6})
Sicherlich kann man das Kindergeld erhöhen. Dafür
gibt es gute Gründe. Aber was machen Sie? Diejenigen,
die mehr als 60 000 Euro im Jahr verdienen und den
Steuerfreibetrag nutzen können, bekommen mehr als
diejenigen, die weniger verdienen. Diejenigen, die gar
nichts verdienen, die am unteren Ende sind, die von Armut betroffen sind, also die ALG-II-Bezieher, gehen leer
aus. Wir brauchen keine neuen Studien und keine neuen
Expertisen. Wir wissen, dass die Sätze zu niedrig sind.
Wir brauchen keine neuen Erkenntnisse; denn die Fakten
sind uns bekannt. Wir müssen endlich handeln, und zwar
nicht nach dem Gießkannenprinzip. Wir müssen Armut
bekämpfen und dürfen nicht Almosen in diesem Land
verteilen.
({7})
Frau Ministerin, Sie verschieben die Lösungen der
Probleme unserer Zeit auf die Zukunft. Sie sind auch
Ministerin für Frauen und Senioren. Dazu haben wir in
Ihrer Rede leider gar nichts gehört; das fand nicht statt.
Bei Ihnen kommen Frauen leider nur als Mütter vor. Ich
finde es falsch, dass ausgerechnet Sie diese Reduktion
vornehmen. Die Grünen haben mehr als einen Antrag
zur Frauenpolitik eingebracht. Ich erwarte von Ihnen
demnächst eine frauenpolitische Rede. Die Vorlagen
dazu liefern wir Ihnen gerne.
Danke schön.
({8})
Dr. Ole Schröder ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Familienpolitik hat sich mit Kanzlerin
Merkel und Familienministerin von der Leyen zum
wichtigsten Politikfeld innerhalb dieser Regierung entwickelt.
({0})
Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen; denn die Herausforderungen der demografischen Entwicklung sind enorm. Wir sind gefordert, in
unserer Politik noch mehr Rücksicht auf die älteren
Menschen zu nehmen. Wir sind gefordert, noch mehr für
Familien mit Kindern zu tun, damit sich gerade junge
Menschen dazu entschließen können, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Wir sind gefordert, mit unserer
Kinder- und Jugendpolitik allen Jugendlichen eine Perspektive zu geben, sodass niemand zurückbleibt, insbesondere nicht benachteiligte Jugendliche wie Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Jugendliche, die
sich in links- oder rechtsradikale Gruppen verirrt haben.
({1})
Der Staat muss alles dafür tun, damit Kinder und Jugendliche nicht auf die schiefe Bahn geraten. Wir Christdemokraten wissen aber auch, dass der Staat die Eltern
nicht ersetzen kann.
({2})
Wir wehren uns deshalb gegen staatliche Bevormundung. Wo Kinder am besten aufgehoben sind, wer für
das Familieneinkommen sorgt, das ist in erster Linie
eine private Entscheidung der Familie. Den Familien
Wahlfreiheit zu geben, die sie brauchen, um ihre beruflichen Ziele und ihre Familienplanung unter einen Hut
zu bringen, ist unser Anliegen.
Die Lebenswirklichkeit junger Familien sieht heute
anders aus als vor Jahrzehnten. Heute sind die meisten
Familien auf zwei Erwerbseinkommen angewiesen.
Junge Frauen sind heute genauso gut, wenn nicht sogar
besser ausgebildet als junge Männer. Familien zu stärken, bedeutet deshalb, junge Paare von dem Zwang zu
befreien, sich zu entscheiden: entweder Beruf oder Familie. Die niedrigen Geburtenraten in den vergangenen
Jahren zeigen uns: Wenn es nur ein Entweder-oder und
kein Sowohl-als-auch gibt, dann ist es häufig der Kinderwunsch, der am Ende auf der Strecke bleibt.
Den traditionellen Wert Familie können wir nur bewahren, wenn wir Familie auf moderne Art und Weise
unterstützen. Deshalb treiben wir die Kinderbetreuung
wie keine andere Regierung zuvor voran. Ab 2013 wird
es einen Anspruch auf Kinderbetreuung auch für die
Ein- bis Dreijährigen geben. Diejenigen, die dies nicht in
Anspruch nehmen, haben einen Anspruch auf Betreuungsgeld. Die Wahl liegt bei den Eltern.
({3})
Als Bund haben wir die haushalterische Grundlage dafür
geschaffen. Jetzt liegt es an den Kommunen und Ländern, dieses Programm möglichst zügig voranzubringen.
Zur Wahlfreiheit gehört vor allen Dingen die direkte
finanzielle Unterstützung der Familien. Deshalb setzen
wir als Koalition hier einen wichtigen Akzent. Es ist selten, dass ein Haushälter sich darüber freut, dass die Ansätze steigen, also mehr Geld ausgegeben wird. Ein Beispiel, bei dem das aber der Fall ist, ist das Elterngeld.
Die Geburtenrate ist leicht angestiegen, auch die Vätermonate werden hervorragend angenommen.
({4})
Deshalb ist das Elterngeld mit 4,175 Milliarden Euro höher veranschlagt, als ursprünglich geplant; es sind
125 Millionen Euro mehr.
Einen weiteren Schwerpunkt haben wir in diesem
Jahr auf den Kinderzuschlag gelegt. Die Ausgaben für
den Kinderzuschlag werden im Haushalt 2009 ebenfalls
erheblich aufgestockt. Für das Jahr 2008 waren es noch
150 Millionen Euro, und jetzt planen wir mit
362 Millionen Euro. Mit der Absenkung der Einkommensgrenzen und der Anrechnungsquote sowie der Entfristung des Kinderzuschlages weiten wir den Empfängerkreis erheblich aus. Wir holen einkommensschwache
Familien aus der Sozialhilfe heraus. Vor allen Dingen
schaffen wir Anreize, das Einkommen durch Erwerbstätigkeit zu verdienen. Es ist der beste Schutz gegen Kinderarmut, wenn die Familien ihr Einkommen selbst verdienen können.
({5})
Die zentrale familienpolitische Leistung, um Familien
finanziell zu unterstützen, ist nach wie vor das Kindergeld. Es wundert mich schon, dass ausgerechnet die politischen Kreise, die ständig insbesondere höhere Sozialhilfe fordern, den Eltern, die Kindergeld bekommen,
unterstellen, dass dieses Kindergeld für Schnaps, Zigaretten und andere Dinge ausgegeben wird, aber nicht für
die Kinder.
({6})
Diejenigen, die so etwas sagen, verkennen komplett die
Familienrealität in Deutschland, dass sich eben die meisten Familien für ihre Kinder lang machen und für sie bis
an die Grenzen des Möglichen gehen. Deshalb ist es
richtig, dass wir als Koalition uns darauf verständigt haben, auf der Basis des kommenden Existenzminimumsberichts eine Erhöhung des Kindergeldes vorzunehmen.
Hieran dürfen wir nicht rütteln, denn - die Ministerin hat
es gesagt - die Kosten für die Familien sind erheblich
angestiegen.
({7})
Jeder muss wissen, dass der in die Diskussion eingebrachte Wechsel vom heutigen Freibetrag zu einem
Grundfreibetrag bedeutet, dass alle Menschen mit Kindern, die Steuern zahlen, in Zukunft mehr Steuern zahlen
müssen als heute. Das kann nicht im Ernst unser Ziel
sein.
({8})
Die Geburtenrate ist gestiegen. Darauf dürfen wir uns
aber nicht ausruhen. Ich freue mich auf gute Beratungen.
Die Familienministerin hat unsere Unterstützung, die
Unterstützung der Koalition,
({9})
und wir sollten weiterhin wichtige Akzente in der Familienpolitik setzen.
({10})
Es tut mir in der Seele weh, Frau Kollegin Kressl,
aber Zusatzfragen nach Ablauf der Redezeit sind selbst
bei großzügiger Interpretation der Geschäftsordnung
nicht möglich. Ihr Beitrag kann jetzt nur im Wege einer
Kurzintervention erfolgen, bei der nach dem Sinn unserer Geschäftsordnung die Betonung auf der ersten Silbe
liegt. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Da ich mich auf eine
Zwischenfrage eingerichtet hatte, wird die Kurzintervention entsprechend sein.
Herr Kollege, nachdem Sie gerade über die Umstellung von dem Kinderfreibetrag auf den Kindergrundfreibetrag philosophiert und erklärt haben, dass dies alle Familien mit Kindern steuerlich schlechter stellen würde,
will ich hier klarstellen: Dies ist ausdrücklich nicht der
Fall. Im Zweifel verteidigen Sie ausschließlich Familien
mit einem sehr hohen zu versteuernden Einkommen.
Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit.
({0})
Zur Erwiderung, Herr Kollege Schröder.
({0})
Frau Kollegin, das Problem des von Ihnen vorgeschlagenen Systemwechsels ist doch: je mehr Kinder,
desto stärker die Auswirkung des Systemwechsels, und
zwar in negativer Art und Weise.
({0})
Mit jedem Kind steigt man bei der Besteuerung des verfügbaren Einkommens in einen höheren Tarif auf. Es
kann doch wohl nicht ernsthaft sein, dass Sie Familien
mit vielen Kindern höher besteuern wollen.
({1})
Wir sollten bei dem bewährten System bleiben. Wir
lehnen Steuererhöhungen für Familien mit vielen Kindern strikt ab. Dieser Vorschlag wird sich in den Koalitionsverhandlungen hoffentlich nicht durchsetzen. Wir
wollen etwas für Familien mit Kindern tun. Deshalb ist
der Vorschlag der Familienministerin genau richtig, das
Kindergeld zu erhöhen. Dies würde sich gerade für Familien mit mittleren Einkommen positiv auswirken.
Wir müssen uns überlegen, ob es nicht sinnvoll ist,
gerade die Familien mit vielen Kindern dadurch zu entlasten - schließlich wollen wir sie nicht weiter belasten -,
dass wir ihnen ein höheres Kindergeld zur Verfügung
stellen, weil es diese Familien besonders schwer haben,
wenn beide Eltern arbeiten. Die Kosten für Familien mit
Kindern sind entsprechend hoch. Deshalb ist Ihr Vorschlag familienfeindlich und strikt abzulehnen.
({2})
Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir können uns doch einfach auf Folgendes einigen: Der SPD-Vorschlag - das hat die Ministerin richtig
festgestellt - sieht einen Kinderhöchstfreibetrag vor.
Nichts anderes ist es, das ist ganz einfach. Genau das
wollen Sie von der SPD einführen. Sie wollen an der einen Stelle kappen, um an der anderen Stelle mehr Geld
zur Verfügung zu stellen. Sie haben genau benannt, bei
wem Sie kappen wollen, nämlich bei den Leistungsträgern, und Sie haben genau gesagt, wem Sie etwas geben
wollen. Damit ist das klar, das ist in Ordnung. Aber dann
sollten Sie das auch sagen und sich nicht hinter einem
Scheinwort verstecken.
({0})
So wie viele von uns bin ich letzthin von einer Wahlkampfreise aus Bayern zurückgekommen - keine Angst,
es kommt kein Wahlkampf - und wurde von meinem
Sohn mit folgenden Worten begrüßt: Papa, ich habe zum
ersten Mal Post von der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Auch seine beiden Schwestern - die Jüngste
ist fünf Jahre alt - haben Post von der Bundesrepublik
Deutschland bekommen. - Das war kein familienfreundlicher Willkommensgruß, Frau Ministerin. Das war
nichts anderes als ein Schreiben des Bundeszentralamtes
für Steuern mit folgendem Inhalt - die Anrede war an
eine Fünfjährige gerichtet, sie gilt übrigens auch für
Neugeborene -:
Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,
das Bundeszentralamt für Steuern hat Ihnen die
Identifikationsnummer … zugeteilt.
({1})
Sie wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist
lebenslang gültig. Sie werden daher gebeten, dieses
Schreiben aufzubewahren …
- Willkommen im Steuerland Deutschland, auf Wiedersehen zum Kinderland Deutschland, Frau Ministerin,
kann ich dazu nur sagen.
({2})
- Auch für dieses Schreiben ist sie verantwortlich; denn
dieses Kabinett, bei dem im Moment kaum noch jemand
da ist - selbst das Kanzleramt und das Finanzministerium sind nicht mehr vertreten -, hat die Voraussetzungen für einen solchen Blödsinn geschaffen.
Meine Damen und Herren, es ist schon interessant:
Da man nun weiß, dass die Schulden von heute, auch die
Schulden, die Sie jetzt wieder machen werden, die Steuern von morgen sind, sagt man: Wenn wir schon wissen,
dass wir morgen Steuern zahlen, dann wollen wir sehen,
dass die Kinder von heute möglichst schnell zu den Steuerzahlern von morgen gemacht werden. - Dieses Prinzip
steht inzwischen hinter Ihrer Politik.
({3})
Dann haben wir in der Vergangenheit immer über die
vielen Familienleistungen geredet. Da stellt sich die
Frage, wie Familienleistungen definiert werden bzw.
was familiennahe Leistungen sind.
({4})
- Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie wollen,
dass ich zu einer anderen Sache komme. - Das jedenfalls, was da kommen sollte, kam nicht. Es kam keine
Evaluierung der Familienleistungen, im Gegenteil.
Das, was kam, war ein Arbeitsbericht „Zukunft für Familie“ vom Kompetenzzentrum für familienbezogene
Leistungen. Dann denkt doch jeder hier - auch der Kollege Kampeter hat das gedacht, wenn er ehrlich ist -,
dass evaluiert und beschrieben wird, was gut und was
schlecht ist. Ich hätte auch sagen können: was schlecht
und was noch schlechter ist. Aber welche Antworten erhalten wir? Wir erhalten als Antwort nur den Hinweis,
an welcher Stelle man mehr Leistungen braucht. Alle
Leistungen sind richtig, alles läuft toll, und eigentlich
müssen wir nur noch ein bisschen mehr haben. Dann
wird gesagt: Okay, mehr Geld, eine größere Väterkomponente beim Elterngeld, mehr Kinderzuschlag, mehr
Kindergeld und mehr familienunterstützende Dienstleistungen. - Das Ganze am besten noch mit den Ländern
zusammen und möglichst außerhalb der Bundeskompetenz. Das Ergebnis dieses Berichtes ist doch, dass die
Koalition der Meinung ist, sparen für Kinder sei nicht
notwendig. Genau das ist der Irrweg, den Sie nach meiner Meinung und der Meinung der FDP-Fraktion beschreiten. Anstatt zu schauen, an welcher Stelle Geld bei
Kindern überhaupt noch ankommt, sagen Sie, die Hauptsache sei, irgendjemandem Geld zu zahlen, damit Sie belegen können, eine gewisse Leistung erbracht zu haben.
({5})
Ob das Geld wirklich bei den Kindern ankommt, scheint
Sie nicht wirklich zu interessieren.
({6})
Wenn die Frage gestellt wird, wo wir kürzen wollen,
dann sage ich Ihnen: Es geht gar nicht darum, zu kürzen.
Ich will wissen, welche Leistung von den Leistungsträgern, die die Verantwortung tragen, nicht bei denjenigen
ankommt, die in unserer Gesellschaft schwach sind;
denn wenn ich weiß, welche Leistungen nicht ankommen, dann kann ich dafür sorgen, dass die finanziellen
Mittel, die wir haben, dort ankommen, wo sie hingehören, nämlich bei den Schwächsten unserer Gesellschaft.
Das wäre eigentlich das Ziel, aber nicht immer nur neu
aufzuplustern.
({7})
Es fällt überhaupt auf: Die ganze Debatte, die wir hier
führen, verläuft nach dem Motto: Obwohl wir alle wissen, dass Geld alleine nicht glücklich macht, ist es doch
schön, wenn wir als Politiker möglichst viel Geld versprechen. - Das kann es nicht sein. Diese komische
Orientierung am Geld kennzeichnet auch die CSU in
Bayern. Sie scheint zu glauben, dass es richtige wäre,
den Wählern zu erklären, dass sie diese mit Geld glücklich macht. Das ist in den Debatten hier ähnlich.
Frau Ministerin, Sie haben mit Sicherheit den Artikel
in der Welt von Frau Siems gelesen. Ich kann ihr nur zustimmen. Nie zuvor war Familienpolitik so ökonomistisch, so sozialtechnokratisch wie zuzeiten der gegenwärtigen Großen Koalition.
({8})
Dabei geht es doch um etwas ganz anderes. Es geht um
die Frage, was uns Kinder wert sind. Sie sind uns, so
glaube ich, unendlich viel wert; denn das, was von uns
allen bleiben wird, sind die Kinder. Sie sind unsere Zukunft, und zugleich sind sie das Spiegelbild unseres eigenen Tuns im Hier und Heute. Für die Haushaltsberatungen hoffe ich, dass es ein besseres Tun wird und dass
die Vorschläge besser werden als die, die bisher vorliegen.
Herzlichen Dank.
({9})
Ich erteile nun der Kollegin Caren Marks, SPD-Fraktion, das Wort.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind der Veränderung
weht, versuchen einige Leute, Schutz zu bauen, und andere Windmühlen. - Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nutzen den Wind der Veränderung für
eine moderne und gerechte Kinder- und Familienpolitik.
Wir waren und sind die treibende Kraft, und das bereits
seit zehn Jahren in Regierungsverantwortung.
({0})
In Deutschland hat Bildung für Kinder frischen Wind
unter die Flügel bekommen. Die SPD hat ein erfolgreiches Ganztagsschulprogramm aufgelegt und den Startschuss für den Ausbau der Kinderbetreuung gegeben.
Einige Gegnerinnen der Reformen von damals sind
heute glühende Befürworterinnen.
({1})
Wir heißen alle herzlich Willkommen im Fanclub der
Krippen und Ganztagsschulen.
({2})
In der Großen Koalition sind wir beim Ausbau der
Kinderbetreuung nochmals einen Riesenschritt vorangekommen. Zusammen mit den Ländern und Kommunen
haben wir uns darauf verständigt, das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren deutlich zu verbessern.
Damit es hierbei wirklich zu einer Verlässlichkeit für
Kinder und Eltern kommt, führen wir den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab eins ein. Der
Bund beteiligt sich bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden
Euro am Ausbau. Ein weiterer Erfolg ist die dauerhafte
jährliche Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten.
Das ist ein Novum, und es ist richtig. Das alles macht
deutlich: Wir investieren in die Zukunft, in eine gute
Kinder- und Familienpolitik.
Kitas machen fit für das Leben und auch fit für die
Schule. Dort lernen Kinder im wahrsten Sinne des Wortes spielend, und zwar miteinander und voneinander.
Gute Kita-Angebote von klein auf sind in skandinavischen Ländern längst selbstverständlich. Es wurde
höchste Zeit, dass wir an dieser Stelle wirklich aufholen.
Neben dem Ausbau der Betreuungsplätze brauchen
wir eine gezielte Qualitätsoffensive. Die SPD will vor
allem Verbesserungen bei der Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte und einen besseren Betreuungsschlüssel.
({3})
Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit der Union darauf verständigt haben, die bewährten Strukturen der Finanzierung der Kinderbetreuung zu erhalten. Öffentliche
Gelder für Kinderbetreuung sollen auch in Zukunft nicht
zur Maximierung des Gewinns von privat-gewerblichen
Trägern eingesetzt werden. Gute Bildung für alle von
Anfang an ist ein zentraler Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, für Aufstiegschancen und für Zukunftsperspektiven.
Neben guter Bildung und Betreuung ist der SPD auch
die finanzielle Förderung von Familien wichtig. Wir haben den Kinderzuschlag eingeführt, und er hat sich bewährt. Deshalb war es richtig und auch wichtig, dass wir
ihn in der Großen Koalition gemeinsam weiterentwickelt
haben. Der Kinderzuschlag hilft gezielt Familien mit geringem Einkommen. Sie profitieren auch von der bereits
beschlossenen Wohngelderhöhung, die nach bisherigem Stand am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft
treten soll. Wir Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker der SPD setzen uns für ein Vorziehen der
anstehenden Wohngelderhöhung ein. Mit der Kombination aus Kinderzuschlag und Wohngeld werden wir
250 000 Kinder erreichen, mehr als doppelt so viele wie
bisher. Das ist ein Erfolg.
({4})
Familien mit Neugeborenen unterstützen wir zielgerichtet mit dem Elterngeld. Es ist Einkommensersatz für
wegfallendes Einkommen des betreuenden Elternteils.
Bereits anderthalb Jahre nach der Einführung können
wir wirklich festhalten: Das von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten konzipierte und von der Großen Koalition umgesetzte Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Besonders freut mich die anwachsende Zahl der
Väter, die sich dank des Elterngeldes mehr Zeit für ihre
Kinder nehmen - ein wichtiger Schritt zu mehr partnerschaftlicher Aufgabenteilung und auch zu einer besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Die bayerischen Väter können froh sein, dass wir uns
gegen die „Wickelvolontariatskampagne“ durchgesetzt
haben.
({5})
Denn auch in Bayern werden die Partnermonate gut und
gern in Anspruch genommen. Mittlerweile sind auch Sie
stolz darauf. Das freut uns.
Für die SPD ist es nicht wirklich überraschend, dass
die Linksfraktion auch beim Thema Elterngeld rückwärtsgewandt ist. Sie wünschen sich das alte Erziehungsgeld zurück. Damit würden Sie, meine Damen und
Herren von der Linksfraktion, vor allem Frauen mit geringem Einkommen und Empfängerinnen von Transferleistungen wirklich einen Bärendienst erweisen; denn
das alte Erziehungsgeld hat einen langen Berufsausstieg
von Müttern gefördert und Väter von der Elternzeit abgehalten. Dieser Ansatz passt zum verstaubten Familienbild Ihrer familienpolitischen Stimme aus dem Saarland,
Ihrer Christa Müller.
({6})
Die SPD hat in ihrer zehnjährigen Regierungsverantwortung bewiesen: Uns ist die finanzielle Unterstützung
für Familien wichtig. Dreimal haben wir, die SPD, das
Kindergeld erhöht, insgesamt um 37 Prozent. Die vierte
Erhöhung ist in Arbeit; darauf haben wir uns in der Großen Koalition verständigt.
Über die langfristige Ausgestaltung gibt es allerdings
- das kam heute schon mehrfach zur Sprache - unterschiedliche Vorstellungen.
({7})
Wir wollen die Ungerechtigkeit beseitigen, die darin besteht, dass Familien mit höheren Einkommen über den
steuerlichen Kinderfreibetrag mehr Geld bekommen als
Familien mit geringeren Einkommen, die ausschließlich
Kindergeld erhalten. Deshalb begrüßen wir, dass hierzu
im Bundesfinanzministerium Lösungen erarbeitet werden. Für uns gilt: Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel
wert sein.
({8})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Falk?
Sofort, wenn ich den einen Gedanken noch zu Ende
gebracht habe, Frau Falk.
An dieser Stelle, Frau von der Leyen, würden wir uns
wirklich wünschen, Sie würden, statt mathematisch
mehr als fragwürdige Rechnereien beim Thema „Kindergeld und Kindergrundfreibetrag“ anzustellen, Ihre
Hausaufgaben bei der Überprüfung der Effizienz der familienpolitischen Leistungen machen; da ist in der Tat
noch viel zu tun.
({0})
Frau Kollegin Marks, jetzt kann ich es Ihnen doch
nicht ersparen, Sie zu fragen, ob Sie sich darüber im Klaren sind, welchen Hintergrund die Systematik der steuerlichen Entlastung eigentlich hat.
Die Steuerfreibeträge und auch die Kinderfreibeträge
sind keine originären familienpolitischen Leistungen
und stellen keine Förderung von Familien dar. Vielmehr
trägt das dem Tatbestand Rechnung, dass der Staat berechtigt ist, Steuern einzuziehen, Einkommen mit Steuern zu belegen und das Steueraufkommen für Aufgaben
für die Allgemeinheit zu verwenden. Eine gemeinsame
Beschlusslage unserer Steuerpolitik lautet aber: Es ist
ein Teil des Einkommens von der Belegung mit Steuern
freizustellen, weil er von vornherein einer anderen Aufgabe zugeordnet ist und nicht noch ein zweites Mal
beansprucht werden darf. Das sind zum Beispiel die Unterhaltsleistungen für Ehegatten. Das sind die Unterhaltsleistungen und die Ausgaben für die Kinder. Wenn
man sich das einmal klarmacht, dann wird deutlich, dass
es um eine ganz bestimmte Summe geht, die dafür zur
Verfügung gestellt wird.
({0})
- Ja. Ich habe die Frage gestellt, ob sich die Kollegin
darüber im Klaren ist, dass die Steuersystematik so ist
und deswegen der Weg, der jetzt offensichtlich über den
Grundfreibetrag eingeschlagen wird, ein grundverkehrter ist.
({1})
Frau Falk, uns und auch mir persönlich ist die Steuersystematik gut bekannt. Es freut mich, dass auch Sie begonnen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Es gibt
aber auch bei der bestehenden Steuersystematik Spielräume, etwaige Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Wir
haben vorhin schon deutlich gemacht, dass es darum
geht, die Ungerechtigkeit dort zu beseitigen, wo sehr gut
verdienende Eltern von diesem Freibetrag besonders
profitieren.
({0})
Mit dieser Ungerechtigkeit wollen wir aufräumen. Wir
sind auf einem guten Weg. Sie haben Ihre Position deutlich gemacht. Wir verfolgen einen anderen Ansatz.
({1})
Wir werden weiter für frischen Wind nicht nur in der
Kinder- und Familienpolitik, sondern auch in der
Gleichstellungs-, Jugend- und Seniorenpolitik sorgen:
Wir stehen für eine aktive Gleichstellungspolitik.
Wir wollen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und
mehr Frauen in Führungspositionen. Wir stehen für einen gesetzlichen Mindestlohn; denn davon würden insbesondere Frauen profitieren.
Wir als SPD stehen für eine Politik, die Kinder und
Jugendliche stark macht und beteiligt. Deshalb ist für
uns klar: Kinderrechte gehören ins Grundgesetz.
Die SPD steht dafür, die Potenziale des Alters zu erkennen. Die demografische Entwicklung ist eine
Chance. Die wollen wir nutzen, um die soziale Gesellschaft zu stärken und Generationensolidarität in diesem Land zu leben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Jörn Wunderlich,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Regierung feiert sich und den angeblichen Aufschwung
({0})
und brüstet sich damit, wie sparsam sie gewirtschaftet
hat und dass dies bei allen angekommen ist. Zynismus,
sage ich dazu nur.
Eine Politik, die Großunternehmen und Vermögende
durch fortlaufende Steuerentlastung fördert und für Arbeitslose nur immer neue Drangsalierungen übrig hat,
beschädigt die Demokratie, zerstört den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in diesen Staat.
({1})
Die wenigsten Familien und Kinder spüren nämlich etwas vom angeblichen Aufschwung. Sie reden immer davon, dass der Aufschwung bei allen angekommen ist.
Wir wissen doch inzwischen, dass er letztlich bei nur
16 Prozent der Bevölkerung angekommen ist und Familien oder Kinder so gut wie nichts davon verspüren. Gespart wird im Haushalt auf deren Kosten. Es sei kein
Geld da, heißt es.
Was kostete zum Beispiel der Kinderzuschlag bislang? 150 Millionen Euro. Und es wurde drei Jahre darüber debattiert. Was ist vor drei Tagen von der KfW
verschossen und versenkt worden? 300 Millionen Euro!
Damit hätte man die Ansätze für den Kinderzuschlag
und das Elterngeld im Haushalt fast verdoppeln können.
Apropos verschossen: Sie haben nichts Besseres zu
tun, als die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr für
Auslandseinsätze kompromisslos umzusetzen
({2})
und den Verteidigungshaushalt im Vergleich zum Vorjahr um etwa 1,6 Milliarden Euro aufzustocken.
({3})
- Gestern wurde bei der Beratung über den Verteidigungshaushalt ja nur über Einsätze gesprochen und nicht
über den Haushalt.
Dieser Aufrüstungskurs der Bundesregierung ist nicht
nur sicherheitspolitisch falsch, sondern reduziert auch
auf drastische Art und Weise den finanziellen Handlungsspielraum, um die drängenden gesellschaftlichen
Probleme zu lösen: Gesundheit, Bildung, Kampf gegen
Kinderarmut oder Armut im Alter.
({4})
Lassen Sie uns doch nur einmal die Kosten für den
Eurofighter aus dem Verteidigungshaushalt 2009 herausrechnen und sie hypothetisch dem Familienhaushalt zuführen. Von diesem Geld könnten in jedem der knapp
300 Wahlkreise zehn Kindergärten à vier Gruppen oder
vier Grundschulen für je 200 Schüler und zwei Pflegeheime für je 60 Pflegebedürftige gebaut werden. Ich
wiederhole: in jedem einzelnen Wahlkreis!
Jetzt erklären Sie einmal den Bürgern, warum es vor
Ort keine Grundschule mehr gibt, warum es nicht genügend Kindertagesplätze gibt, warum es keine Pflegestellen gibt, aber stattdessen superteure Kampfflugzeuge,
mit denen man Kriege führen kann. Das erklären Sie einmal den Leuten vor Ort.
({5})
Man könnte auch die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West damit erreichen, zum Beispiel im Westen verstärkt Kindergärten bauen und im
Osten die Renten anpassen - als steuerfinanzierte Folgekosten der Einigung. Oder verstehen Sie unter Angleichung der Lebensverhältnisse, dass ein sächsischer und
ein bayerischer Soldat gemeinsam in einem Kampfjet
sitzen? Dann allerdings haben Sie Ihr Ziel erreicht.
Die Kritik von mir und meiner Fraktion von vor drei
Jahren ist nach wie vor aktuell. Ich wiederhole, was
schon am 1. Dezember 2005 ausgesprochen wurde:
Denn eine Gesellschaft, die sich im Wesentlichen
dem Diktat des Geldes und der Ökonomie unterwirft, eine Gesellschaft, die nach dem Motto
„Rechnet sich das überhaupt?“ handelt, kann nicht
familien- und kinderfreundlich sein.
({6})
Durch die Familienpolitik der Bundesregierung zieht
sich eben eine tiefe Kluft. Besserverdienende Eltern
werden gefördert, und Familien mit geringem Einkommen haben das Nachsehen.
({7})
Genau das ist das Verwerfliche an den ganzen Gesetzgebungsverfahren: Bei der Umsetzung mangelt es immer
an der sozialen Ausgestaltung. Schon vor knapp drei
Jahren habe ich Sie gefragt: Können Sie nicht oder wollen Sie nicht? Inzwischen weiß ich, Sie wollen nicht.
({8})
- Sie waren bei der Anhörung nicht dabei. - Obwohl bei
der Anhörung zum Elterngeld letzten Dienstag von allen Sachverständigen trotz des guten Ansatzes die soziale Schieflage in der Ausführung angemahnt wurde,
wird das entsprechende Gesetz durch die Koalition nicht
geändert. Das ist kein Einzelbeispiel.
({9})
Zu guter Letzt noch ein Blick nach Bayern. Alle reden ja von Bayern. „Vorfahrt für Kinder“ heißt es im
Programm der CSU für Bayern.
({10})
Von der CSU als reiches Land gefeiert, leben dort aber
doch immer mehr Kinder in Armut: Rund 130 000 Kinder leben auf Sozialhilfeniveau, und über 20 000 Kinder
sind auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen.
({11})
Die Bayern-CSU spart hemmungslos bei den Kindern.
Mit 134 Euro, Herr Singhammer, ist Bayern bundesweit
das Schlusslicht bei den Pro-Kopf-Ausgaben für die
Kinder- und Jugendhilfe.
({12})
Ich hoffe, dass das Herr Huber in Bayern auch einmal erzählt. Beschämend ist es allemal.
({13})
Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich mich ausschließlich auf den Einzelplan 17 konzentrieren.
({0})
Ich möchte zunächst die Frau Ministerin ansprechen.
Nach Ihrer Rede hier und heute müssten Sie Ihr Ministerium eigentlich konsequenterweise umtaufen: Nennen
Sie es künftig Familienministerium;
({1})
denn zu Senioren, Frauen und Jugendlichen haben Sie
leider wieder einmal nichts zu sagen gehabt.
({2})
Was machen Sie zum Beispiel für Senioren? Welche
Altenpolitik verfolgen Sie? Wie gestalten Sie den demografischen Wandel? Wann kämpfen Sie endlich für Geschlechtergerechtigkeit, insbesondere für gleichen Lohn
für gleiche Arbeit bei Frauen und Männern? Das wären
wichtige Punkte gewesen, zu denen wir gern etwas von
Ihnen gehört hätten. Zum Einzelplan 17 war von Ihnen
wenig zu hören. Stattdessen war vieles zu den aktuellen
Konflikten in der Großen Koalition und insbesondere
mit dem Finanzminister der SPD zu hören.
({3})
Neben der Kinder- und Familienpolitik fristet gerade
die Jugendpolitik bei Ihnen ein Schattendasein. Frau
von der Leyen, seitdem Sie Ressortchefin sind, sind die
Jugendlichen zur „vernachlässigten Generation“ dieser
Bundesregierung geworden. Das ist sehr schade und das
ist ein Armutszeugnis, denn bessere Chancen für Jugendliche und deren Teilhabe sind zentral für die Zukunft unserer Gesellschaft und auch für unsere Gegenwart. Die Jugendlichen in unserem Land haben eine
andere Regierung verdient. Sie haben eine Regierung
verdient, die unter Jugendpolitik mehr versteht als Jugendgewalt, Computerspielverbote und Alkoholverbote.
Jugendliche wollen nicht bevormundet werden.
({4})
- Die zwei Maß sind ein gutes Stichwort. Diejenigen, die
immer Alkoholverbote fordern, präsentieren sich in
Landtagswahlkämpfen offensichtlich ganz anders. Es
geht aber um die Jugendlichen. Die Jugendlichen wollen
selbstbestimmt leben, sie wollen ernst genommen werden. Dafür braucht es einen klaren Politikansatz.
({5})
Es ist unverantwortlich, dass jedes sechste Kind und
sogar jeder vierte Jugendliche in Armut leben muss.
Wie können Sie in dieser Situation die Mittel für die soziale und berufliche Integration Jugendlicher empfindlich kürzen? Wie können Sie es weiterhin unterlassen,
die ALG-II-Leistungen für Kinder und Jugendliche zu
erhöhen? Sie prüfen seit 2006. Sie müssen endlich zu
Entscheidungen kommen, damit sich die Lage armer
Kinder und Jugendlicher in diesem Land tatsächlich verbessert.
({6})
Wir können auch nicht nachvollziehen, wie Sie dazu
kommen, die Mittel zur Chancenförderung in sozialen
Brennpunkten komplett zu streichen.
({7})
Das richtet sich gerade an die Kolleginnen und Kollegen
aus der SPD, denn in Zeiten immer stärkerer sozialer
Spaltungen in unseren Städten ist das verantwortungslos.
Statt zu streichen, müssen wir gerade mehrfach benachteiligte Jugendliche intensiver unterstützen.
({8})
Notwendig sind dafür eine starke Jugendhilfe und eine
präventive Jugendpolitik, die niemanden zurücklässt.
Stattdessen kürzen Sie teilweise die Mittel der freien Jugendhilfe. Das ist ein schlechtes Signal an die Jugendlichen in unserem Land, und das ist das genaue Gegenteil
einer verantwortlichen und engagierten Jugendpolitik,
die wir hier seit 2005 immer wieder einfordern.
Der Haushalt 2009 wäre übrigens die letzte Chance
der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode gewesen, Konzepte für eine verbesserte Teilhabe Jugendlicher
auf den Weg zu bringen. Diese Chance haben Sie offensichtlich vertan.
Ich möchte ein letztes Thema ansprechen. Sie sind
auch Ministerin für den Zivildienst. Wenn Sie den Zivildienst durch eine wirklich mickrige Reform zum Lerndienst umtaufen wollen und gleichzeitig die Mittel für
Lerndienst-Projekte halbieren, dann ist das ein gravierender Widerspruch. Auch dazu hätte ich gern etwas von
Ihnen gehört.
({9})
Gucken Sie sich bitte die Zahlen an. Von Wehrgerechtigkeit kann in diesem Land seit Jahren überhaupt keine
Rede mehr sein. Wir sagen, dass die Wehrpflicht völlig
antiquiert ist. Sie behindert die Ausbildungschancen junger Männer, und deshalb wollen wir die Wehrpflicht abschaffen.
({10})
- Ja, auch der Zivildienst muss dann umgewandelt werden. Stattdessen ist es wichtig, dass wir eine tatsächliche
und echte Offensive für Jugendfreiwilligendienste hinbekommen, bei der die Zahl der Plätze endlich verdoppelt wird, damit alle jungen Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten wollen, das auch tun können. Sie
reden viel darüber, dass freiwilliges Engagement anerkannt werden soll. Tun Sie es hier ganz konkret! Hier
können Sie Jugendliche und ihr Engagement fördern und
wertschätzen, denn es kann nicht sein, dass Jugendliche
in diesem Land nur Objekte einer konzeptionslosen Jugendschutzpolitik oder einer populistischen Verbotspolitik sind, die im bayerischen Landtagswahlkampf allerdings völlig konterkariert wird. Man denke an das
geforderte Alkoholverbot.
Herr Kollege!
Das alles ist wichtig, damit wir in diesem Land tatsächlich eine engagierte Jugendpolitik und einen generationengerechten Haushalt haben.
Vielen Dank.
({0})
Johannes Singhammer ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt kommen wir vom Verteidigungshaushalt wieder zum Familienhaushalt zurück. Seit drei Jahren wissen die Menschen in Deutschland, dass die Anliegen der
Familien, ihre Wünsche und Sorgen nicht mehr als „Gedöns“ abgewertet werden, sondern zur Chefsache aufgewertet worden sind.
({0})
Ob Elterngeld, die Möglichkeit erhöhter steuerlicher Abschreibung der Kinderbetreuung, Kinderzuschlag, Ausbau der Kinderbetreuung und Betreuungsgeld, für uns
waren immer zwei Grundprinzipien maßgebend: Zum
einen müssen die Eltern Luft zum Überleben haben,
auch finanziell; wir haben Vertrauen in die Eltern.
Zum anderen gilt das Prinzip Wahlfreiheit. Niemand
soll mit staatlichen Maßnahmen und Subventionen in ein
bestimmtes Lebensmodell gedrängt und gegängelt werden,
({1})
sondern jeder soll die Freiheit haben, über die Gestaltung seines Lebens selbst zu entscheiden.
({2})
Das heißt konkret für das kommende Jahr: Wir wollen
das Kindergeld erhöhen. 18 Millionen Familien warten
sehnsüchtig darauf. Seit 2002 ist das Kindergeld nicht
mehr erhöht worden. Seitdem sind die Preise zum Beispiel für Butter um über 16 Prozent gestiegen, die Milchpreise sind um 10 Cent pro Liter gestiegen, und die
Energiekosten sind - das wissen wir alle - in den zurückliegenden Monaten geradezu explodiert.
Nun hegt manch einer den Generalverdacht - die einen sprechen ihn aus, andere nicht, tragen ihn aber in ihrem Herzen -, Eltern würden das Kindergeld als Barauszahlung weniger zum Wohl ihrer Kinder einsetzen. Es
wird behauptet, es bestehe die latente Gefahr, dass Bargeld für Flachbildschirme, Alkohol oder Ähnliches ausgegeben wird.
({3})
Wir haben eine ganz klare Haltung, nämlich: Die Eltern
wissen am besten, was für ihre Kinder gut ist. Wir sind
überzeugt, dass sich die allermeisten Eltern krummlegen
und lieber drei oder vier Stunden länger arbeiten, damit
ihre Kinder es einmal besser haben.
({4})
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Keine staatliche
Leistung, keine Anstrengung der Politik kann das aufwiegen, was die Eltern an Einsatz, an Fürsorge und
Liebe ihren Kindern zukommen lassen. Staat und Politik
können nur ein lautes Dankeschön an die Eltern sagen,
und das sage ich an dieser Stelle: Danke schön!
({5})
Das heißt, Eltern brauchen weniger Misstrauen und
mehr Bares.
Nun wird gesagt, in den letzten Jahren seien ohnehin
viele zusätzliche Leistungen für Familien möglich gemacht worden. Das war und ist gut so. Der Ausbau der
Kinderbetreuung war nicht billig und wird auch teuer
bleiben. Aber der kostenlose Kindergartenbesuch, möglicherweise ein kostenloses Mittagessen in der Schule,
eine Grundausstattung mit Federmäppchen für die Erstklässler ersetzen keinesfalls eine Kindergelderhöhung.
Wir wollen nicht, dass der Ausbau der Kinderinfrastruktur mit dem Kindergeld verrechnet wird. Wenn wir gemeinsam Kinderarmut bekämpfen wollen, dann gilt ein
Grundsatz: Kinderarmut lässt sich dann am besten bekämpfen, wenn wir auch die Elternarmut bekämpfen.
Deshalb brauchen wir eine Kindergelderhöhung.
({6})
Geld dafür ist da. Seit dem Jahr 2006 wird weniger
Kindergeld ausgezahlt, weil die Zahl der Geburten rückläufig ist.
({7})
Wir sollten keine Konsolidierung auf diese unfreiwillige
Art betreiben. Stattdessen sollten wir das Kindergeld erhöhen. Die wichtigste Aufgabe für die Zukunft ist neben
der Sicherung des Haushalts, damit wir den nachwachsenden Generationen keinen Schuldenberg hinterlassen,
die Senkung der Arbeitslosigkeit, die finanzielle Absicherung der Familien. Das ist nachhaltige Politik, wie sie
nachhaltiger nicht sein kann.
({8})
Wir wollen eine Staffelung bei der Erhöhung des Kindergelds; denn kinderreiche Familien haben es besonders schwer. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung - wenn Sie mir nicht glauben, dann
glauben Sie doch sicherlich dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ({9})
wird beispielsweise festgestellt:
So ist das Armutsrisiko von Familien ({10})
in starkem Maße davon abhängig, ob und wie viele
Bezieher von Erwerbseinkommen im Haushalt leben.
Bei einer Familie mit vier oder mehr Kindern ist es
schwer vorstellbar, dass beide Elternteile gleichzeitig erwerbstätig sind. Deshalb ist es ganz klar, dass wir hier
mehr tun müssen.
({11})
Schon jetzt werden im Übrigen Kinder unterschiedlich gefördert; Frau Ministerin, Sie haben es exakt dargestellt. Zum einen ist die Höhe des Sozialgeldes pro
Monat logischerweise unterschiedlich im Vergleich zum
Kindergeld; denn diejenigen Kinder, die Sozialgeld bekommen, brauchen es besonders dringend. Wir sind uns
alle einig, dass hier eine Differenzierung notwendig ist
und Gleichmacherei ungerecht wäre.
Jetzt komme ich auf den Gedanken der Einführung eines Kindergrundfreibetrages für alle zu sprechen. Das
klingt gut. Aber wenn damit gemeint wäre, dass ein Teil
der Familien weniger bekommt, als er jetzt hat, dann
frage ich mich, worin da der Zugewinn an Gerechtigkeit
liegen soll. Ich sehe darin vielmehr vor allem eine neue
Ungerechtigkeit. Wir sind uns - jedenfalls fast alle, mit
wenigen Ausnahmen - darin einig, dass diejenige
Gruppe, die die Leistungsträger in unserem Staat umfasst,
({12})
die Familien haben, nicht zusätzlich im Wege der kalten
Progression belastet werden darf, sondern entlastet werden soll. Wenn aber mit einem solchen Kindergrundfreibetrag aus einer kalten Progression eine eiskalte Progression wird, dann ist das garantiert der falsche Weg.
({13})
Vor allem: Ein Teil der Familien mit Kindern würde
dann mehr bezahlen, während kinderlose Ehepaare keine
Änderung zu verzeichnen hätten. Es kann aber nicht
sein, dass es zum einen für kinderlose Ehepaare keine
Veränderung gibt und zum anderen kinderreiche Familien weniger bekommen.
Ich frage mich auch: Wie hoch ist denn der Einsparungsbetrag? Da ist von 1 Milliarde Euro die Rede.
Wenn damit 1 Milliarde Euro eingespart würde, dann
stellt sich natürlich sofort die Frage: Was wird mit diesem Betrag gemacht? Wird damit das Kindergeld aufgestockt? Dann stellt sich auch die Frage: Macht es Sinn,
Kinderförderung bzw. Familienförderung so zu betrei18796
ben, dass das Geld aus der einen Tasche genommen und
in die andere verteilt wird? Ich bin der Meinung, wir
müssen das Kindergeld insgesamt erhöhen. Die Eltern
brauchen mehr Bares. Sie brauchen mehr Vertrauen.
Dann geht es uns wieder besser.
Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf.
Eigentlich nicht.
Die Kollegin Renate Schmidt ist leider nicht mehr anwesend. Sie hat vorhin in einem Zuruf gesagt, in Bayern
sei die Statistik in Bezug darauf, dass 67 Prozent der
Frauen eine Beschäftigung hätten, deshalb so gut, weil
darin die 15- bis 25-Jährigen ohne gute Ausbildung mit
eingerechnet seien. Ich sage hier: Eine Abwertung - sei
es in der Statistik oder sonst wo - der Beschäftigung von
Herr Kollege Singhammer!
- die keine Universitätsausbildung haben, halte ich
für nicht richtig. Ich glaube, die Wertigkeit der Arbeit ist
für alle gleich - egal ob mit Universitätsausbildung oder
ohne.
({0})
Ich bitte doch sehr darum, den notorisch großzügigen
Präsidenten in seiner Großzügigkeit nicht überzustrapazieren, insbesondere dann, wenn nach deutlicher Überschreitung der Redezeit ein weiterer Satz angekündigt
wird.
Letzter Redner in der Debatte zu diesem Einzelplan
ist der Kollege Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Ich habe die besondere Ehre, als Letzter zu sprechen. Ich
muss aber versichern: Das ist der reine Zufall und bedeutet nicht, dass sich die Senioren bei uns hinten anstellen
müssen.
({0})
Familie, Frauen, Senioren und Jugend - das ist nicht
bloß eine Aneinanderreihung von Zielgruppen. Es heißt
vielmehr, wir haben den gesamten Lebenslauf und die
demografische Entwicklung im Blick. Dazu muss ich
keine Fakten vorlegen. Seit langem ist klar, dass
Deutschland ebenso wie alle anderen Industrieländer
eine niedrige Geburtenrate hat. Trotz aller Maßnahmen,
die uns vielleicht noch einfallen werden, wird sich daran
nicht grundlegend etwas ändern. Seit langem schon haben wir eine immer weiter steigende Lebenserwartung.
Das ist die große Herausforderung an den Sozialstaat.
Das zwingt uns, langfristige und generationenübergreifende Weichenstellungen vorzunehmen. Der Schlüssel
zum Ganzen ist wohl nicht nur für uns Sozialdemokraten
die Solidarität zwischen den Generationen.
({1})
Herr Claus, das spiegelt sich nicht nur in unserem
Haushalt wider, dessen Volumen im Vergleich zum Sozialhaushalt eher begrenzt ist. Das spiegelt sich auch in
der Verteilung von Lasten und Chancen bei der Altersvorsorge wider. Es geht um die Balance zwischen Belastung der Beitragszahler und Zuwächsen für Rentnerinnen und Rentner. Das spiegelt sich auch in den
Bereichen Gesundheit und Pflege wider. Auf der einen
Seite haben die Älteren und die Hochbetagten einen Anspruch auf menschenwürdige Pflege, auf der anderen
Seite steht aber die Belastung der Beitragszahler. Das
spiegelt sich auch in der Finanzpolitik wider. Es ist heute
schon mehrfach angesprochen worden, dass wir Verantwortung für die künftigen Generationen haben und wir
diese nicht ausblenden können. Deswegen ist Haushaltskonsolidierung nicht nur ein finanztechnisches Ziel, sondern hat auch etwas mit Solidarität zwischen den Generationen zu tun.
({2})
Traditionell gehen wir von drei Lebensphasen aus:
Kindheit und Jugend, die Erwachsenen-, Familien- und
Erwerbsphase und dann traditionell die Phase des Ruhestands. Das hat sich nachhaltig und grundsätzlich verändert. Die letzte Phase ist nicht länger eine Phase des Ruhestandes. Diese Phase ist nicht nur länger geworden,
sondern hat sich auch inhaltlich komplett verändert. Wir
haben nicht nur ein langes Leben, sondern wir haben
auch - und das ist ganz wichtig; das sage ich als 65-Jähriger - einen Gewinn an aktiven Jahren.
Unser Bild vom Alter muss sich nachhaltig verändern. Es gibt kuriose Wortschöpfungen. Wir sagen nicht
mehr „alte Menschen“, was mich übrigens gar nicht stören würde, sondern wir sagen „Senioren“, „Best-Ager“,
„Silberrücken“ usw. Was „alt“ heißt in unserer Gesellschaft, das ist offensichtlich nur sehr schwer zu definieren. Wir müssen einen differenzierten Blick auf diese
letzte lange Phase des Lebens richten. Wir haben einerseits einen Gewinn an aktiven Jahren, andererseits haben
wir aber immer mehr Hochbetagte. Es wird ja wohl nicht
nur im Kreis Herford so sein, dass sich die Zahl der über
80-Jährigen bis zum Jahr 2020 verdoppelt; ich gehöre
knapp nicht dazu. Das bedeutet: Alter heißt nicht nur
flotte Senioren, die mit Motorbooten im Mittelmeer herumfahren, wie uns die Werbung suggeriert,
({3})
sondern eben auch Verletzlichkeit und Hinfälligkeit.
Auch das müssen wir berücksichtigen.
Der letzte Altenbericht, über den wir hier im Parlament zu Recht ausgiebig diskutiert haben, hat die Potenziale des Alters aufgezeigt - ich habe das mit großem
Wohlwollen gelesen -: eine größere Leistungsfähigkeit
der älteren Generation gegenüber früheren älteren Generationen, ein deutlich besserer Gesundheitszustand, eine
höhere Lernfähigkeit, größere Interessen und natürlich
Erfahrung, Wissen und mehr Zeit. Das ist ein großer Gewinn für die älteren Menschen.
Solidarität zwischen den Generationen heißt eben
auch: Wir Älteren müssen diese Potenziale nutzen, jeder
für sich, aber auch für die Gesellschaft, und die jüngeren
Generationen müssen bereit sein, dieses Engagement aktiv zu unterstützen. Wir müssen diese Potenziale in unsere Familien und in die sozialen Netzwerke einbringen.
Übrigens funktioniert das bereits heute besser, als wir
alle glauben. Wir müssen sie auch in die Gesellschaft
einbringen. Bürgerschaftliches Engagement ist dabei
das Schlüsselwort.
Ganz entscheidend für die Älteren - das sage ich sozusagen an meine Generation gerichtet - ist: Wir dürfen
uns nicht in den Ruhestand verabschieden, und wir dürfen uns nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung
verabschieden. Gerade im Alter müssen wir - jeder von
uns - diese gesellschaftliche Verantwortung nutzen.
({4})
Eines will ich anmerken - auch das steht im Altenbericht -: Wie diese Potenziale im Alter aussehen, hängt
sehr stark von den biografischen Voraussetzungen des
Einzelnen, aber auch von sozialen Voraussetzungen ab.
Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wer Ungleichheit
und Ausgrenzung in jungen Jahren, in der Erwerbsphase
erfährt, von dem kann ich nicht erwarten, dass er im Alter über die Potenziale, die ich gerade beschrieben habe,
verfügt. Das ist ein ernstes Problem.
({5})
Es gehört zur Generationensolidarität, dass wir auch das
im Blick haben.
Deswegen ist der folgende Satz aus dem Altenbericht
ganz wichtig: Nur in einer kinderfreundlichen Gesellschaft ist die Verwirklichung der Potenziale des Alters
auf Dauer möglich.
({6})
Das ist ein ganz entscheidender Satz. Hier schließt sich
sozusagen der Kreis. Solidarität zwischen den Generationen bedeutet, dass wir den gesamten Lebenslauf
- Frau Ministerin, Sie müssen nicht immer alles in einer
Rede ansprechen - im Blick haben. Das ist ganz entscheidend. Wo spielt sich das ab? Es spielt sich in unseren Städten und Gemeinden ab. Deswegen haben wir Sozialdemokraten gesagt: Leitbild für unsere Städte und
Gemeinden muss die soziale Stadt sein, die vor Ort genau das umsetzt, was wir Generationensolidarität nennen.
({7})
Ein Satz noch zu den Haushaltsberatungen. Ich fand
diese Debatte heute streckenweise etwas kurios, vor allen Dingen hinsichtlich der Rednerinnen und Redner unseres Koalitionspartners. Ich habe nicht gewusst, dass
diese Debatte sozusagen die Koalitionsverhandlungen
über Kindergeld und Ähnliches ersetzen soll. Dazu werden wir uns sicherlich noch zusammensetzen. Ich bin
ganz sicher, dass wir im November gemeinsam den
Haushalt verabschieden werden und dass wir die Impulse für Senioren und für Generationengerechtigkeit,
die wir in unserem Haushalt haben, beibehalten und
möglicherweise sogar verstärken werden.
Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch darum, dass wir zum Beispiel durch den Altenbericht und
durch den Familienbericht in den Köpfen - in unseren
Köpfen, aber auch in den Köpfen vieler Menschen in der
Gesellschaft - etwas ändern. Das wünsche ich mir für
die kommenden Wochen. Ich bin trotz allen Geplänkels,
das wir hier heute geliefert haben, ganz zuversichtlich.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
({8})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelhaushalt
liegen nicht vor.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf. Hier handelt es sich um die Beschlussfassung zu
Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 7 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 7. Dezember 2004
zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat zum Vertrag vom 23. November 1964
über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen am Hochrhein in das schweizerische Zollgebiet über die Erhebung und die Ausrichtung
eines Anteils der von der Schweiz in ihrem
Staatsgebiet und im Gebiet der Gemeinde Büsingen am Hochrhein erhobenen leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe ({0})
- Drucksache 16/9041 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({1})
- Drucksache 16/9762 Berichterstattung:
Abgeordnete Erich G. Fritz
Dr. Ditmar Staffelt
Dr. Werner Hoyer
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({2})
Präsident Dr. Norbert Lammert
Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/9762, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9041
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Da wir jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung kommen und diese durch Aufstehen erfolgt, bitte
ich diejenigen, die an der Abstimmung nicht teilnehmen
wollen oder können, sich entweder zu setzen oder den
Saal zu verlassen.
({3})
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer möchte gegen diesen Gesetzentwurf stimmen? - Wer
möchte sich der Stimme enthalten? - Dann ist der Gesetzentwurf, wenn ich das richtig sehe, einstimmig angenommen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 b:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4})
zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes
Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2007
- Einzelplan 20 - Drucksachen 16/9046, 16/9785 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider ({5})
Roland Claus
Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, die
Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Wer
stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Die
Beschlussempfehlung ist angenommen.
Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, die
Erteilung der Entlastung? - Stimmt jemand dagegen? -
Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Dann ist
auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenom-
men und die Entlastung erteilt.
Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass
ich auch die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 j sowie
Zusatzpunkt 1 aufrufen soll:
6 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 8. Dezember 2005 zu den
Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über
die Annahme eines zusätzlichen Schutzzeichens ({6})
- Drucksache 16/9700 -
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die
Anerkennung von Berufsqualifikationen in
der Gewerbeordnung
- Drucksache 16/9996 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 25. Juli 2007 über die
Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum
- Drucksache 16/9997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes
- Drucksache 16/10118 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege
({10})
- Drucksache 16/10173 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens ({12})
- Drucksache 16/10188 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({13})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Präsident Dr. Norbert Lammert
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Ahrendt, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ prüfen
- Drucksache 16/9819 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({14})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, HansChristian Ströbele, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl von Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichtern
- Drucksache 16/9927 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({15})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
i) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({16}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({17})
Forschungs- und wissensintensive Branchen Optionen zur Stärkung ihrer internationalen
Wettbewerbsfähigkeit ({18})
- Drucksache 16/7310 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({19})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
j) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
({20}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung
Technikfolgenabschätzung ({21})
TA-Zukunftsreport: Arbeiten in der Zukunft Strukturen und Trends der Industriearbeit
- Drucksache 16/7959 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({22})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Petra Pau, Wolfgang Nešković, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbot der „Heimattreuen Deutschen Jugend
e. V.“ prüfen
- Drucksache 16/10232 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({23})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Hierbei geht es um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/9819 zu Tagesordnungspunkt 6 g soll zusätzlich an den Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen
werden.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart, die heutige
Tagesordnung um den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/10232 mit dem Titel „Verbot der ‚Heimattreuen Deutschen Jugend e.V. prüfen“ zu erweitern
und diesen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf
Drucksache 16/9819 zu überweisen.
Ich vermute, dass Sie mit all diesen Überweisungen
einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16.
Ich erteile dem Bundesminister Sigmar Gabriel das
Wort.
({24})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein
Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, dann wird im
vierten Jahr dieser Bundesregierung, der Großen Koalition, mehr als deutlich, wie sehr die Bedeutung der Umweltpolitik gewachsen ist. Der Entwurf des Bundeshaushalts 2009 enthält Ausgaben für den Umweltschutz in
Höhe von insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Im Jahre 2005,
also vier Haushalte zuvor, waren es 4 Milliarden Euro.
Das heißt, die Große Koalition hat die Ausgaben für den
Umweltsektor in dieser Legislaturperiode im Rahmen
ihrer Finanz- und Umweltpolitik über alle Einzelpläne
hinweg um immerhin 1,5 Milliarden Euro erhöht. Ich
finde, das ist ein gutes Zeichen für den Stellenwert der
Umweltschutzpolitik in Deutschland und in der Regierungsarbeit.
({0})
Den größten Anteil am Umwelthaushalt der Bundesregierung hat erstmals das Umweltministerium. Die veranschlagte Mittelsteigerung von 769 Millionen Euro im
Jahre 2005 auf jetzt mehr als 1,3 Milliarden Euro ist
Ausdruck einer erfolgreichen ökologischen Industriepolitik. Von 2005 bis 2009 hat sich das Volumen des
Haushalts des Bundesumweltministeriums fast verdoppelt.
Ich sage ausdrücklich: Eine solche Entwicklung ist
nur dann möglich, wenn man insgesamt eine solide
Haushaltspolitik betreibt und den Haushalt konsolidiert,
um überhaupt wieder die Möglichkeit zu haben, in den
Klima- und Umweltschutz zu investieren. Ich danke ausdrücklich dem Bundesfinanzminister, aber auch den
Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages, die durch eine solide Finanzpolitik die Voraussetzungen dafür geschaffen haben,
dass wir auch in neue gesellschaftliche Aufgaben investieren können.
({1})
- Da selbst der Kollege Kampeter applaudiert, muss ich
wohl aufpassen, dass ich nicht zu viel lobe.
({2})
Meine Damen und Herren, diese Steigerung findet
überwiegend im Programmhaushalt des Umweltministeriums statt, das heißt bei konkreten Maßnahmen und
Projekten, die Verbrauchern, Haushalten, Schulen, Kommunen und Unternehmen zugutekommen. Diese Ausgaben richten wir aus auf den nationalen und internationalen Klimaschutz, die Förderung von Leitmärkten in der
Umwelttechnologie, die Schaffung von Arbeits- und
Ausbildungsplätzen und die Forschung.
Mehr als 6 000 neue Ausbildungsplätze wurden gemeinsam mit der Umwelttechnikbranche in den letzten
Jahren verabredet, neue Ausbildungsplätze für junge
Leute in zukunftssicheren Berufen. Allein im Bereich
der erneuerbaren Energien haben wir in den letzten Jahren über 250 000 neue zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen.
Unbestreitbar ist: Die Umweltschutzwirtschaft ist ein
enormer Wirtschaftsfaktor, und ihre Bedeutung wird in
den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht nur in
Deutschland und Europa, sondern weltweit anwachsen.
({3})
Gegenwärtig arbeiten 1,8 Millionen Menschen in
Deutschland im Umweltschutz. Wir sind Weltmarktführer, fast 20 Prozent der weltweiten Umwelttechnologien
kommen aus unserem Land.
({4})
Das beste Beispiel, dass gute Arbeit und gute Umwelt
zusammengehören, ist die Klima- und Energiepolitik
der Bundesregierung. Das Parlament und die Regierung
haben inzwischen insgesamt 20 Gesetze und Verordnungen beraten und zum Teil schon verabschiedet, um zu erreichen, dass wir weg vom Öl und weg vom Gas kommen und hinkommen zu einer klimafreundlichen
Umwelt- und Energiepolitik, dass wir dazu beitragen,
dass die Energiekosten durch eine höhere Energieeffizienz sinken, dass wir Verbraucher und Unternehmen
entlasten und dass wir die enormen Anstrengungen im
Klimaschutz wirklich bewältigen.
Deutschland ist das einzige Land in Europa und auch
weltweit, das nicht nur klimaschutzpolitische Zielsetzungen verabredet hat, sondern auch damit begonnen
hat, diese derart ambitioniert umzusetzen. Von den
40 Prozent weniger CO2 im Jahr 2020 bilden wir knapp
36 Prozent im Klima- und Energiepaket der Bundesregierung ab. Das zeigt: Es ist noch etwas zu tun. Das zeigt
aber auch, dass wir in Deutschland inzwischen weit
mehr die Umsetzung angegangen sind, als dies in der
Vergangenheit der Fall war und dies im Rest Europas
und der Welt der Fall ist.
({5})
Im Jahr 2020 wollen wir einen Anteil erneuerbarer
Energien von mindestens 30 Prozent haben. Zudem wollen wir im Jahr 2020 eine Verdoppelung des Anteils der
Kraft-Wärme-Kopplung erreichen.
Gestern hat der Fraktionssprecher der Grünen in der
allgemeinen Debatte übrigens gesagt, der Ausbau der
Kraft-Wärme-Kopplung sei zu wenig, weil wir eine
Deckelung von 750 Millionen Euro vorgesehen haben.
Erstens fließen derzeit nicht einmal 600 Millionen Euro
ab. Zweitens wird dabei vergessen, dass wir zum ersten
Mal bei der Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung die
industrielle Kraft-Wärme-Kopplung für neue Kraftwerke in die Förderung aufnehmen, die natürlich wesentlich effizienter ist. Sie benötigt Gott sei Dank geringere Fördersätze, leistet aber einen viel größeren Beitrag
zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, als dies jemals zuvor in Deutschland der Fall gewesen ist.
({6})
Wir bauen den Einsatz erneuerbarer Energien im
Wärmebereich aus. Bei Neubauten ist dies verpflichtend. Bei Altbauten wollten wir keine Verpflichtung. Der
Vorwurf, der gestern von den Grünen erhoben wurde, ist
falsch. Der Bundesverband Erneuerbare Energien, der
Verband, der für den Ausbau erneuerbarer Energien eintritt, sagt eindeutig, dass das beim Altbau nichts bringt,
weil sich die Menschen nicht dazu zwingen lassen werden, erhöhte Kosten hinzunehmen.
Vielmehr brauchen wir im Bereich des Altbaus eine
öffentliche Förderung. Mit diesem Haushalt wird die öffentliche Förderung durch das Marktanreizprogramm für
erneuerbare Energien zum Ausbau und zur Förderung
erneuerbarer Energien bei der Altbausanierung von
130 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt über
400 Millionen Euro gesteigert. Das ist ein Riesenerfolg,
den wir hiermit erreicht haben.
({7})
Meine Damen und Herren, Energieeinsparverordnung, Gebäudesanierungsprogramm, das Ganze ist ein
Rieseninvestitionsprogramm für die nächsten Jahre. Bis
zum Jahr 2020 werden etwa 400 Milliarden Euro in
Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare
Energien investiert. Das sind Arbeitsplätze für unser
Land. Das ist vor allen Dingen der größte Beitrag, der in
Europa überhaupt im Bereich des Klimaschutzes geleistet wird.
Wir sind sicher, dass wir zu den 250 000 neuen Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien zusätzlich mindestens 400 000 bis 500 000 bis zum Jahr
2020 schaffen können. Das heißt, wir verbinden mit der
Klima- und Energiepolitik das, was wir gute Arbeit und
gute Umwelt nennen.
Dazu gehört aber auch die Erneuerung des Kraftwerksparks. Der Bundesverband Erneuerbare Energien
sagt: Wir schaffen beim Einsatz erneuerbarer Energien
bis 2020 vielleicht sogar einen Anteil von 35 Prozent.
Die Einzigen, die erklären, mehr sei möglich, sind die
Grünen. Vermutlich sagen sie das aber ohne einen realen
wirtschaftlichen Hintergrund. Der Lobbyverband für erneuerbare Energien sagt: 35 Prozent im Jahr 2020. Dann
wird man eine Antwort darauf geben müssen, wie die
übrigen 65 Prozent im Stromsektor geliefert werden.
Das erreicht man nicht mit Erdgas allein. Das wird weder der Verbraucher noch die deutsche Industrie am
Ende bezahlen können. Also brauchen wir die Erneuerung des Kraftwerksparks auch im Bereich der Kohle.
({8})
Es ist eben falsch, den Menschen ständig vorzumachen, dass die Anzahl der Kohlekraftwerke eine Auswirkung auf die Menge an CO2 aus Deutschland und
Europa hat. Wahr ist: Durch den europäischen Emissionshandel wird die Menge an CO2 gedeckelt. Es darf
also nicht mehr CO2 emittiert werden, als aufgrund der
internationalen Klimaschutzziele im europäischen Emissionshandel verabredet ist.
Die Anzahl an Kohlekraftwerken in Deutschland hat
eine Auswirkung auf den Preis des CO2-Ausstoßes; denn
die Bundesregierung hat sich unmissverständlich darauf
verständigt, dass wir in der Europäischen Union bei der
Beratung über das EU-Klima- und Energiepaket für eine
Versteigerung von 100 Prozent im Stromsektor ab dem
Jahre 2013 eintreten. Deutschland schöpft zurzeit ja
10 Prozent - also das Maximum - dessen aus, was uns
die EU erlaubt. Wir wollen ab dem Jahre 2013 eine Versteigerung von 100 Prozent, keine Ausnahmen für neue
Kraftwerke und auch keine indirekte Subventionierung
von Kraftwerken.
({9})
Ich sage das noch einmal, damit Frau Kotting-Uhl das
auch richtig versteht: Wir wollen keine Subventionierung von Kraftwerken, und wir wollen eine Versteigerung von 100 Prozent - egal, ob für alte oder neue Kraftwerke. Hören Sie bitte auf, öffentlich zu erklären, dass
die Anzahl an Kohlekraftwerken Auswirkungen auf die
Menge an CO2 hat. Das ist schlichtweg falsch.
Ich finde, dass man ehemalige Vorsitzende der Grünen nicht loben muss, aber ein bisschen sollten Sie noch
auf Joschka Fischer hören. Er hat für Sie ja große Erfolge erreicht. Ich lese Ihnen einmal vor, was er heute in
der Financial Times Deutschland zum Besten gibt. Dort
steht unter der Überschrift „Fischer hält Kohlekraftwerke vorerst für unverzichtbar“:
„Wir werden als Übergangstechnologie auch weiter
Kohle einsetzen müssen, wenn wir nicht wieder bei
den mehr als zweifelhaften Segnungen der Atomkraft landen wollen“ ... Es wäre ein Riesenfehler
von Grünen und Umweltbewegung, wenn sie an
diesem Punkt unrealistisch seien, fügte er hinzu.
({10})
Nichts anderes sagen wir Ihnen seit mehreren Sitzungen hier. Wenn Sie uns das nicht glauben, Frau KottingUhl,
({11})
dann glauben Sie das wenigstens Ihrem früheren Außenminister. Er war damals klug und ist es auch heute noch.
Er sagt schlicht die Wahrheit. Wenn Sie das nicht tun,
Frau Kotting-Uhl, dann sind Sie - freiwillig oder unfreiwillig - die Helferin derjenigen, die zurück zur Kernenergie wollen. Das und nichts anderes ist das Ergebnis
Ihrer Politik.
({12})
- Sie sind nicht an allem schuld. Ich finde nur, dass Sie
zur Kenntnis nehmen sollten, was kluge Leute aus Ihren
Reihen sagen. Ihrem zukünftigen Vorsitzenden Cem
Özdemir haben Sie gleich einen Maulkorb verpasst, als
er zum Thema Kohlekraftwerke einmal die Wahrheit gesagt hat. Mit Liberalität ist es in Ihrer Partei in dieser Debatte nicht weit her, wie ich feststellen darf.
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
Haushaltsentwurf setzt die Bundesregierung einen deutlichen Schwerpunkt bei erneuerbaren Energien und bei
der Energieeffizienz. Wenn wir in Deutschland über die
Frage diskutieren, wie wir die Belastung der Menschen
durch die steigenden Energiekosten, die stark von den
Weltmarktpreisen abhängig sind, verringern können,
dann dürfen wir ihnen nicht vormachen, dass wir ihnen
helfen könnten, indem wir damit beginnen, mit Steuer18802
senkungen gegen die Weltmarktpreise im Energiesektor
zu arbeiten.
({13})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wenn Sie
durch die Lande ziehen und sagen: „Lasst uns die Ökosteuer abschaffen“, dann müssen Sie den Menschen auch
sagen, wie die 18 Milliarden Euro für die Rentenversicherung gegenfinanziert werden. Sie dürfen den Leuten nicht immer nur die Hälfte der Wahrheit sagen.
({14})
- Entschuldigung, das ist doch Ihre Forderung. Sie erklären den Leuten, dass Sie Ihnen hinsichtlich der Energiepreise helfen, indem Sie die Ökosteuer abschaffen. Erstens sagen Sie den Leuten damit nicht, dass die
Ökosteuer an der Tankstelle in Cent pro Liter und nicht
in Prozent berechnet wird - die Ökosteuer steigt ja nicht
parallel zu den Energiepreisen -, und zweitens verheimlichen Sie den Rentnerinnen und Rentnern, dass Sie ihnen 18 Milliarden Euro aus der Rentenkassen wegnehmen wollen. So betreiben Sie Politik.
({15})
Sie müssen den Menschen sagen, dass es nicht möglich ist, mit Steuersenkungen gegen steigende Energiepreise anzukämpfen. Sie müssen in die Energieeffizienz
und in erneuerbare Energien investieren. Wir müssen
weg von der Kohle - langfristig -, weg vom Erdgas, weg
vom Erdöl und hin zu erneuerbaren Energien und zum
Einsparen von Energie. Dadurch wird den Menschen dabei geholfen, Kosten zu senken.
({16})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Fricke?
Selbstverständlich.
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, wenn ich hier festhalte, dass es im Haushalt keinerlei Verbindung zwischen Ökosteuer und Rentenversicherung gibt, sondern
dass die Ökosteuereinnahmen schlicht in den allgemeinen Haushalt fließen und dass die Rentenhöhe und der
Rentenzuschuss in keiner Weise davon abhängig sind?
({0})
Nein, Herr Kollege Fricke, ich stimme Ihnen selbstverständlich nicht zu. Ich finde, dass Politik nicht darin
besteht, so zu tun, als ginge es um formale Fragen.
18 Milliarden Euro fließen in den allgemeinen Steuerhaushalt.
({0})
80 Milliarden Euro fließen in die Rentenversicherung.
Davon sind die 18 Milliarden Euro abzuziehen, wenn
die Einnahmequelle wegfällt. Sie müssten mir eigentlich
zustimmen, wenn ich sage, dass man Geld nur einmal
ausgeben kann: entweder für die Rente oder für einen
höheren Schuldendienst.
({1})
Der Großteil der für die Klimaschutzinitiative vorgesehenen Mittel - 340 Millionen Euro - sind für nationale
Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen, davon 240 Millionen Euro zusätzlich im Marktanreizprogramm. Insgesamt geht es um 400 Millionen Euro bzw. um 10 Prozent
der vorgesehenen Investitionen. Wir können so, über ein
Konjunkturprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich und Energiesparen, in Deutschland immerhin
Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro auslösen.
Ich finde, das kann sich sehen lassen. Wachstumsmotor
und Exportschlager sind auch weiterhin die erneuerbaren
Energien. Die Erneuerbaren-Energien-Branche hat im
letzten Jahr nicht weniger als 25 Milliarden Euro in
Deutschland umgesetzt.
Deutschland wird in diesem Jahr sicherlich seine
Kioto-Ziele erfüllen. Wir sind in Deutschland auf einem
guten Wege, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das
40-Prozent-Ziel im Jahre 2020 zu erreichen. Deswegen
unterstützen wir die Europäische Kommission beim
Klima- und Energiepaket. Ich habe bereits ausgeführt,
dass die Bundesregierung die Versteigerung von
100 Prozent der Emissionszertifikate im Stromsektor anstrebt, und zwar ohne Einschränkungen. Wir wollen
keine Subventionen und keine Windfall-Profits.
Die Bundeskanzlerin und auch der Bundesfinanzminister haben recht, wenn sie sagen, dass man nicht so tun
könne, als gebe es bereits weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen. Solange wir international im Klimaschutz
nicht die gleichen Standards wie in Europa erreichen,
können wir nicht so tun, als gebe es nicht die Gefahr,
dass bei durch die CO2-Abgaben steigenden Strompreisen ein Elektrostahlwerk, eine Aluminiumhütte oder andere Teile der Industrie in Zukunft nicht mehr in
Deutschland zu finden sind, sondern in die Länder abwandern, in denen es keine Klimaschutzauflagen gibt.
Deswegen ist es das oberste Ziel in den internationalen Verhandlungen, gleiche Bedingungen durchzusetzen.
Solange uns das nicht gelingt, werden wir bei dem bleiben, was wir bereits heute tun. Wir stellen derzeit das
produzierende Gewerbe in Deutschland von Klimaschutzauflagen praktisch frei, weil wir nicht wollen, dass
an anderer Stelle außerhalb Europas die CO2-Emissionen entstehen, die sonst in Deutschland entstanden wären, und die Arbeitsplätze mit abwandern.
({2})
Deswegen bleibt es dabei: Wir treten offensiv dafür
ein, dass die deutsche Industrie Best available Technologies - also den neusten Stand der Technik - vorhalten
muss und dass sie, wenn sie das macht, Zertifikate so
lange kostenlos zugeteilt bekommt, bis wir international
gleiche Standards erreichen. Wer den Menschen weismacht, das sei sozusagen ein Verrat am Klimaschutz, der
führt die Leute hinter die Fichte. Denn die Menschen,
die in diesem Bereich arbeiten, verlieren ihren Job deshalb, weil dann nicht nur die Emissionen in der Ukraine,
in China oder Indien entstehen, sondern auch die Arbeitsplätze.
Wir reduzieren keine Emissionen dadurch, dass wir
die Industrie aus Deutschland verdrängen. In allen Klimaverhandlungen, an denen ich teilnehme, will man von
Deutschland eines sehen, nämlich dass es gelingt, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Wachstum und Klimaschutz zusammenzubringen. Würden wir in Deutschland
eine Politik betreiben, die Klimaschutz sozusagen durch
die Behinderung von Wachstum und wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit zu betreiben versucht, dann würde
uns nicht ein einziges Land folgen.
({3})
Deswegen brauchen wir solche Regelungen. Wer sie
nicht mitträgt, der wird letztlich ein Scheitern der Klimapolitik mitzuverantworten haben.
Das gilt übrigens auch für die Debatten um den CO2Ausstoß von Pkws. Worum geht es dabei eigentlich?
Wir reden darüber, dass wir ab dem Jahr 2012 in der Europäischen Union eine Begrenzung des CO2-Ausstoßes
von Pkws auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer - Jürgen Trittin hat mir bestätigt, dass es nie um irgendwas anderes ging - einführen wollen.
Nun gibt es einen Vorschlag, das nicht gleich für alle
Fahrzeuge einzuführen, sondern zunächst auf 60 oder
70 Prozent zu beschränken und erst drei Jahre später auf
100 Prozent zu erweitern, um nicht in den Produktionszyklus der Autoindustrie einzugreifen, sondern um die
Umstellung mit dem Produktionszyklus zu erreichen.
Nun gibt es Leute, die erklären, wenn 2012 nur 60 oder
70 Prozent und erst 2015, also drei Jahre später,
100 Prozent der Autos die vorgegebenen Normen erfüllten, sei das der Untergang der Klimapolitik und der Beweis dafür, dass Deutschland seine Vorreiterrolle nicht
einnehme. Wo leben Sie eigentlich, wenn Sie solche Debatten führen? Das ist doch abenteuerlich. Natürlich
wollen wir im Zweifel, dass die Umstellung effizient
und so geschieht, dass wir damit nicht einen der zentralen Motoren der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Europas und insbesondere Deutschlands beschädigen.
({4})
Was wir machen, kostet viel Geld. In diesen Haushalt
sind 1,5 Milliarden Euro mehr für den Umweltschutz
eingestellt. Dieses Geld muss aber in diesem Land erwirtschaftet werden. Das muss auch ein Umweltminister
wollen. Nur dann werden wir erfolgreich sein. Deswegen ist das, was wir tun, vernünftig. Wir werden die
120 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer erreichen. Wir
wollen übrigens kein doppeltes Phase-in. Ich finde, die
Strafzahlungen müssen zu Beginn hoch sein, wenn man
drei Jahre Zeit hat, 100 Prozent zu erreichen. Wir müssen das mit effizienten Technologien schaffen. Aber hören Sie auf, Volksverdummung zu betreiben!
({5})
Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum müssen
zusammenpassen. Sonst haben wir das Geld nicht, um
das zu erreichen, was wir uns alle vorgenommen haben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Horst Meierhofer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Man brauchte schon eine gewisse Portion schwarz-roten
Humor, um der Rede von Herrn Gabriel zuzuhören. Es
wird so getan, als fielen die ganzen Kosten vom Himmel. Ich denke, dass Sie für einen Großteil derselben
verantwortlich sind. Dennoch erklären Sie, dass wir die
Menschen hinter die Fichte führen wollen, obwohl wir
nur versuchen, die Kosten zu senken. Das halte ich für
einen ziemlichen Skandal.
({0})
Sie haben in Ihrer Haushaltsrede gesagt, dass die Kosten, die bei der Vermeidung von Umweltbelastungen
entstehen, diejenigen tragen sollen, die für die Umweltbelastungen verantwortlich sind. Sie tun so, als wäre das
ausschließlich die Wirtschaft. Natürlich muss die Wirtschaft ihren Beitrag leisten. Aber Sie haben vielleicht
vergessen, dass Sie, die Sie den Unternehmen entgegen
Ihrer Erklärung, dass Sie sie im internationalen Wettbewerb entlasten wollen, Kosten aufbürden, dafür mindestens genauso verantwortlich sind. Sie, die Bundesregierung, sind der größte Preistreiber. Darauf haben Sie
keine Antwort gegeben.
({1})
- Ich werde Ihnen sogar drei Beispiele nennen.
Wir haben eine sehr teure und chaotische Umweltpolitik. Es geht gerade in der Umweltpolitik um Konsequenzen und Kostenersparnisse. Davon ist aber nichts zu
sehen. Es geht um relativ viele schöne Symbole, die sich
nett darstellen lassen. Dabei könnten Sie zu einem sehr
günstigen Preis sehr viel bessere Ergebnisse in der Umweltpolitik erzielen. Aber das interessiert Sie nicht. Sie
knechten die Menschen und machen die Angebote so
teuer, dass die Unternehmen ins Ausland abwandern.
Genau darauf haben Sie auch keine Antwort gegeben.
Ich finde es interessant, dass die CSU mit den Ministern Glos und Seehofer grundsätzlich andere Positionen
vertritt als Sie in der SPD-Fraktion. Sie wollen internationale Vereinbarungen und ein international einheitliches Korsett erreichen, was den Emissionshandel betrifft. Aber Sie schaffen es noch nicht einmal in der
eigenen Regierung, einen einheitlichen Kurs festzulegen. Sie diskutieren monatelang und gefährden damit die
deutsche Position auf internationaler Ebene. In Brüssel
konnten die Deutschen im letzten halben Jahr nicht geschlossen auftreten, weil Sie nicht in der Lage waren,
hier eine gemeinsame Position abzustimmen.
({2})
- Definieren Sie zuerst, was Sie beispielsweise unter
Schwerindustrie verstehen, und stimmen Sie sich dann
mit Herrn Glos ab. Sie können im Übrigen gerne eine
Zwischenfrage stellen.
Ich nenne als Beispiel das Umweltgesetzbuch. Trotz
zweier Referentenentwürfe vom November 2007 und
Mai 2008 warten wir noch immer auf einen Kabinettsbeschluss. In diesem Bereich passiert überhaupt nichts.
Schwarz-Rot wird sich nicht einig. Von Woche zu Woche werden neue Termine angekündigt, zu denen das
Umweltgesetzbuch kommen soll. Es sollte irgendwann
der große Wurf sein, bei dem Herr Gabriel seine Meisterprüfung ablegen sollte. Aber nichts dergleichen
kommt. Mittlerweile freut man sich schon, wenn von
60 Streitpunkten elf übrig bleiben.
({3})
Das ist der momentane Stand. Dazu kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch!
Ein Umweltgesetzbuch wird es nicht geben. Ich befürchte, dass Sie nicht in der Lage sein werden, das zu
entscheiden. Sie haben Angst vor der Bayernwahl; das
ist ein Bremsklotz. Hier stellt sich die CSU wieder quer.
So schaffen wir kein einheitliches Umweltrecht in
Deutschland. Vielmehr gibt es eine Zersplitterung zwischen den 16 Bundesländern. Das alles geschieht ohne
jegliche Zielorientierung. Man kommt zu keinem Ergebnis, weil gerade Wahlkampf ist. Das ist mehr als unverantwortlich.
({4})
Ein weiteres Beispiel, das zeigt, welche großartigen
Leistungen Sie im letzten Jahr erbracht haben, ist die
Novelle zur Verpackungsverordnung. Sie haben sich
monatelang gezankt. Die Union hat irgendwann, spät
aufwachend, festgestellt: Um Himmels willen, das läuft
in die falsche Richtung. Sie landete allerdings nicht als
Tiger, sondern als Bettvorleger. Im Endeffekt wurde fast
nichts erreicht.
Wir haben im Moment keinen vernünftigen Wettbewerb, überhaupt keine vernünftigen Innovationsmöglichkeiten, und wir haben eine Marktaufteilung, die eher
an den Sozialismus erinnert. Herr Dr. Nüßlein, Sie haben
den Mund vorher relativ weit aufgemacht, erreicht haben
Sie im Endeffekt aber fast gar nichts.
({5})
Am allerwenigsten haben wir erreicht, was die abfallpolitischen Ergebnisse und die Umweltpolitik betrifft.
Der Emissionshandel ist ein zentraler Punkt, auf den
ich sehr gerne noch eingehen möchte; Herr Kelber, auch
Sie haben danach gefragt. Es gibt diesbezüglich einen
lähmenden Streit, der uns große Probleme bereitet. Die
Argumentation dazu, wie man die Ökosteuer ersetzen
sollte, zeigt doch schon, dass Sie versuchen, die Leute
hinters Licht zu führen. Sie sind nicht in der Lage, den
Leuten zu sagen, welche Kosten durch die Rentenpolitik
verursacht werden. Vielmehr nennen Sie das Ganze
Ökosteuer und wollen damit verheimlichen, was wirklich vorgeht. Das ist doch keine verantwortungsvolle Politik. Man muss den Leuten doch sagen, wofür sie wie
viel ausgeben sollen.
({6})
Ich werde Ihnen jetzt einmal sagen, wie man die gleichen Ergebnisse für die Umwelt deutlich günstiger erzielen kann als mit Ihrer Ökosteuer.
({7})
Die Ökosteuer beträgt mindestens 18 Cent pro Liter. Sie
könnten mit dem Emissionshandel für 6 Cent einen Zustand herstellen, als gäbe es überhaupt keinen verbrannten Diesel und kein verbranntes Benzin. Das könnte man
problemlos mit 6 Cent pro Liter erreichen. Sie verlangen
18 Cent. Dabei geht es um alles, nur nicht um die Umweltpolitik. Ich kann Ihnen das gerne vorrechnen.
({8})
- Aus dem allgemeinen Haushalt nimmt man die
18 Milliarden Euro, aber doch nicht aus dem Umwelthaushalt.
({9})
Was ist denn das für eine Argumentation? Ist die Umweltpolitik denn dafür verantwortlich, dass der Arbeitsminister nicht in der Lage ist, seine Probleme in den
Griff zu bekommen? Das wird ja immer bunter.
({10})
Sie verlangen 86 Cent pro Liter Sprit. Am Schluss
glauben die Leute auch noch, sie würden damit etwas für
den Umweltschutz tun. 6 Cent würden ausreichen. Weder 18 Cent noch 86 Cent sind notwendig.
({11})
Dass Sie nicht in der Lage sind, Ihre Probleme in den
Griff zu bekommen, und die Menschen dafür bezahlen
lassen, ist eine Unverschämtheit. Das Ergebnis ist Folgendes.
Herr Kollege.
- Letzter Satz, Herr Präsident. - Die Menschen merken, dass es zu teuer wird und haben deswegen keine
Lust mehr, etwas für den Umweltschutz zu tun. Sie erreichen das genaue Gegenteil von dem, was Sie erreichen
wollen, nämlich eine Verdrossenheit der Bürger.
({0})
Sie müssen das Geld an die Menschen zurückgeben.
Dann haben sie mehrere Milliarden Euro zusätzlich in
der Tasche. Dann können wir uns Gedanken über die
Rentenversicherung machen. Es darf nicht abkassiert
und abgezockt werden, sondern das Geld muss den Menschen zurückgegeben werden.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat nun Katherina Reiche für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Klima- und Energiefragen halten nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Weltmärkte in
Atem, sondern auch die Politik. In den kommenden Monaten wird es darum gehen, wie wir wirksamen Klimaschutz mit preiswerter und sicherer Energieversorgung
verbinden können.
Sie waren in den letzten Wochen Zeuge eines wahren
Wettbewerbes der Ideen. Am Ende geht es darum, welche Ideen umzusetzen sind, nicht darum, sich über das
Urheberrecht zu streiten. Eine Gruppe, die Vorschläge
gemacht hat, ist die von Michael Glos eingesetzte PEPPGruppe, die „Projektgruppe Energiepolitisches Programm“. Ziel ist es, diese Vorschläge umzusetzen, damit
Energie für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch
in Zukunft bezahlbar bleibt.
Es geht um die Steigerung und Förderung der Energieeffizienz. Es geht darum, den Menschen Möglichkeiten zu geben, den Verbrauch und die Energiekosten spürbar zu senken, zum Beispiel indem man sie darüber
informiert, wie man den Strom- oder Gasanbieter wechselt.
Wir haben uns auch in der CDU/CSU-Fraktion zusammengesetzt und haben mit einem Papier mit dem
Titel „Energie für Deutschland“ unsere Vorschläge eingebracht. Auch wir denken an die Stellschrauben Energieeffizienz und Energieeinsparung und daran, die Energiekompetenz beim Verbraucher zu stärken, aber auch
daran, deutlich mehr in die Forschung zu investieren.
Bei Energieforschung und bei Effizienzmaßnahmen
werden wir in Zukunft mehr investieren müssen.
({0})
Wir plädieren auch dafür, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern.
({1})
Herr Gabriel, eine Steilvorlage von Ihnen kann ich
nicht ungenutzt lassen. Sie haben gerade die Grünen aufgefordert, auf die klugen Menschen in ihren eigenen Reihen zu hören, zu denen Sie Herrn Fischer zählen, der dafür plädiert, bei der Kohle zu bleiben. Aber auch in Ihren
Reihen gibt es sehr kluge Menschen, wie zum Beispiel
Herrn Clement, der dafür plädiert, an der Atomenergie
festzuhalten. Natürlich wollen wir keine Maulkörbe verteilen. Insofern werden wir weitere Vorschläge aus der
SPD gerne entgegennehmen.
({2})
Die Vorgänge im Forschungsbergwerk Asse haben
uns in den vergangenen Monaten beschäftigt. Da gab es
schwerwiegende Kommunikationsdefizite
({3})
zwischen allen beteiligten Behörden. Aber es gab zu keinem Zeitpunkt eine aktuelle Gefährdung von Mensch
und Umwelt.
({4})
Nach diesen Vorgängen in der Schachtanlage Asse
war es notwendig, den Betreiber zu wechseln, um für ein
zukunftsgerichtetes Verfahren zu sorgen. Bundesminister Gabriel hat mit Bundesministerin Schavan und dem
Umweltminister aus Niedersachsen nun einen Weg vorgeschlagen, um die ordnungsgemäße Schließung der
Asse herbeizuführen. Es geht darum, mit den Experten
alle Optionen für eine sichere Schließung der Asse zu
prüfen. Wir brauchen eine rasche und reibungslose
Übergabe der Schachtanlage. Jetzt geht es darum, das
Konzept für eine geordnete und sichere Schließung der
Asse zu erarbeiten.
({5})
Es ist richtig, dass wir die Sorgen der Bürgerinnen
und Bürger nicht nur ernst nehmen, sondern darauf auch
Antworten geben müssen. Natürlich hat dabei die
Sicherheit bei Betriebspersonal und der übrigen Bevölkerung absolute Priorität.
({6})
Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz steht
nun vor keiner leichten Aufgabe. Wir jedoch vertrauen
darauf, dass schnellstmöglich eine gangbare Lösung vorgelegt wird. Aber der Versuch einiger, die Asse mit dem
sich in Erkundung befindenden Endlagerstandort Gorleben gleichzusetzen, ist politisch durchsichtig und der
Katherina Reiche ({7})
Problematik in keinem Fall angemessen. Herr Gabriel,
wir sind uns einig, dass dem Versuch, Asse und Gorleben gleichzusetzen, entgegenzutreten ist. Das haben Sie
getan. Dafür möchten wir Ihnen danken.
({8})
Aber wer Generationenverantwortung ernst nimmt,
der muss eben dafür sorgen, dass die produzierten Abfälle tatsächlich sicher entsorgt werden, und zwar unabhängig davon, wie lange die Kernkraftwerke noch laufen.
({9})
Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eine staatliche
Aufgabe von übergeordneter Bedeutung. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, „die Lösung dieser Frage
zügig und ergebnisorientiert“ - so steht es im Koalitionsvertrag - anzugehen und noch „in dieser Legislaturperiode“ zu einer Lösung zu kommen.
({10})
Wir können positiv festhalten, dass wir bei der
Schachtanlage Konrad einer Lösung näher gekommen
sind. Die Anlage soll zügig fertiggestellt und in Betrieb
genommen werden. Ich möchte aber auch sagen, dass
wir als Unionsfraktion keine neue Standortsuche wollen. Das würde zu weiteren Verzögerungen führen. Das
ist weder sinnvoll noch notwendig, aber definitiv kostspielig.
({11})
Wir wollen das Moratorium in Gorleben aufheben, um
die Untersuchungen ergebnisoffen, Frau Kotting-Uhl,
fortzuführen.
({12})
Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir den zustimmungspflichtigen Teil des Integrierten Klima- und
Energieprogramms fast komplett abgearbeitet. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz novelliert. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz verabschiedet. Wir haben in der Kraft-Wärme-Kopplung Maßstäbe
gesetzt. Wir haben das Messwesen bei Strom und Gas
für den Wettbewerb geöffnet. All das sind Meilensteine
für den Klimaschutz.
Ein Problem - das muss man ansprechen - gibt es
noch in diesem Bereich; das sind die Biokraftstoffe.
Dies harrt noch einer Lösung. Es gibt ungeklärte Fragen
im Bereich der Nachhaltigkeit. Es gibt Fragen hinsichtlich der Biokraftstoffquote. Auch darüber werden wir
noch intensiv diskutieren müssen. Ich möchte ganz klar
sagen, dass wir an der Nutzung der Biokraftstoffe festhalten wollen.
({13})
Biokraftstoffe, die nachhaltig erzeugt und richtig angewendet werden, schonen das Klima und sorgen hier
im eigenen Land für Wertschöpfung. Die Hersteller von
Biokraftstoffen haben in den letzten Monaten schwierige
Zeiten durchleben müssen. Für das Auf und Ab auf den
Rohölmärkten können wir nichts. Aber bei der Besteuerung können wir sicherlich etwas machen. Deshalb haben wir dafür plädiert, die nächste Steuerstufe auszusetzen.
({14})
Ich zumindest finde, dass das ein gangbarer Weg
wäre, der auch die Verbraucherinnen und Verbraucher
entlasten und den Unternehmen Luft verschaffen würde.
({15})
Wichtig ist auch ein Plädoyer an dieser Stelle für die
Biokraftstoffe der zweiten Generation, für die nicht die
Pflanzenfrucht, sondern die gesamte Pflanze gebraucht
wird, um mögliche Nutzungskonkurrenzen auszuschließen. Wir besitzen hier - ich sage: noch - die Technologieführerschaft. Ich denke an Unternehmen wie Choren
oder das Bioliq-Forschungszentrum in Karlsruhe. Das
sind ermutigende Beispiele. Diese wollen wir erhalten,
und wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, hier in
Deutschland zu investieren und groß zu werden.
Ein weiteres Thema, das auf europäischer Ebene angesiedelt ist, möchte ich hier ansprechen. Ich möchte die
Aussage von Sigmar Gabriel unterstützen, dass die Ausgestaltung des europäischen Emissionshandels von entscheidender Bedeutung für den Industriestandort
Deutschland ist. Ich glaube, man kann ohne Übertreibung sagen, dass Deutschland der größte Industriestandort in Europa ist und eine Palette aufweist, die in keinem
anderen europäischen Land zu finden ist. Von der Chemie- über die Stahl- und die Aluminiumindustrie bis hin
zu Automobilunternehmen sind alle Branchen vertreten.
Wir können nicht leichtfertig alles nur unter dem Aspekt
des Klimaschutzes betrachten, egal was mit unserem Industriestandort geschieht. Es ist richtig, dass nirgendwo
in der Welt so effizient und unter den gegebenen Umständen so klimaschonend produziert wird wie in
Deutschland.
Dass Verbesserungen möglich sind, ist unbestritten,
aber es ist dem Klima nicht geholfen, wenn hier Arbeitsplätze verloren gehen und Standorte verlagert werden.
Das hilft dem Klima nicht und schon gar nicht dem deutschen Technologie- und Industriestandort oder den Unternehmerinnen und Unternehmern.
(Beifall des Abg. Michael Brand ({16})
Es kommt nicht von ungefähr, dass ich fast täglich mit
Betriebsräten von großen Unternehmen zu tun habe, die
fürchten, dass ihr Unternehmen durch eine falsche Ausgestaltung des Emissionshandels wettbewerbsunfähig
wird. Zumindest deren Bedenken müssen wir ernst nehmen.
({17})
Eine letzte Aussage zum UGB. Es wurde bereits angesprochen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ein
Umweltgesetzbuch zu schaffen, das einheitlich ist. Das
ist bei der Komplexität der Materie kein ganz einfaches
Unterfangen. Wir wollen das Umweltrecht harmonisieKatherina Reiche ({18})
ren, es soll vereinfacht und entbürokratisiert werden.
Das heißt, das Leben soll danach möglichst einfacher
werden. Wir wollen bisherige Standards möglichst weder anheben noch deutlich absenken. Es soll also der
Status quo erhalten bleiben.
({19})
Es gibt viele offene Fragen. Ich finde es richtig, dass
das Parlament, dass die Koalitionsfraktionen darauf
drängen, dass diese Fragen von den zuständigen Ministerien zunächst beantwortet werden. Uns liegt daran,
dass uns dieses ambitionierte Vorhaben gelingt. Ein
schnelles Gesetz nützt keinem, ein Gesetz, bei dem später viele Fehler festgestellt werden und gegen das geklagt wird, hilft weder der Wirtschaft noch der Umwelt.
Wir werden uns weiter mit diesen Fragen beschäftigen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({20})
Das Wort erhält nun der Kollege Michael Leutert,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, ich muss Ihnen gratulieren. Ich bin sehr
erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie überhaupt in
der Lage sind, hier einen Haushalt vorzulegen.
({0})
Das ist ein Meisterstück.
Auch Sie erinnern sich doch sicher an die letzte Sitzung im Haushaltsausschuss. Es ging um die Freigabe
der Mittel für die Klimaschutzinitiative, immerhin ein
Kernstück in Ihrem Ministerium. Ich erinnere mich daran, wie viele Steine Ihnen von Ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen in den Weg
gelegt worden sind. Es war zum Teil absurd. Man hatte
den Eindruck, dass Ihr Ministerium das Oppositionsministerium ist, das nur noch von Linken und Grünen
gestützt wird,
({1})
und man die SPD daran erinnern muss, dass sie den
Minister im Ministerium stellt.
({2})
Tatsächlich ist es so, dass die Einnahmen aus dem
Emissionshandel bei Ihnen im Ministerium derzeit mit
900 Millionen Euro verbucht sind. Das ist die Einnahmeseite.
Mitnichten haben Sie aber auf der Ausgabenseite
900 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Tatsächlich
steht dort nur die Hälfte bereit. Warum? Aus zwei Gründen: Erstens. Sie müssen anderen Ministerien abgeben,
damit Sie überhaupt die Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Zweitens. Sie müssen an den Finanzminister 300 Millionen Euro wegen angeblicher Steuerausfälle durch den Emissionshandel abgeben.
({3})
Dieser holt sich also sein Geld von Ihnen zurück.
Aber immerhin - kein Wermutstropfen -: Sie können
ab sofort behaupten, dass Sie wahrscheinlich das erste
Ministerium leiten, das sich zu zwei Dritteln aus eigenen
Einnahmen finanziert. Das ist ja schon mal was.
Zu den angeblichen Steuerausfällen ist Folgendes
anzumerken - es ist eigentlich kaum zu glauben; ich erinnere an die großen Debatten im Sommer -: Die Energieunternehmen zocken die Bürger bis auf das letzte
Hemd ab. Die Preise steigen. Die Gewinne steigen ebenfalls ins Unermessliche. Gleichzeitig weint der Finanzminister über Steuerausfälle durch den Emissionshandel.
Die Regierung scheint sich selbst nicht im Klaren zu
sein, wie die Effekte einzuschätzen sind. Auf eine Kleine
Anfrage von uns wird in Bezug auf die Steuereffekte angegeben: Berechnungen zu diesen Effekten können seriöserweise nicht angestellt werden. Das heißt, aufgrund
unseriöser Angaben nimmt Ihnen der Finanzminister
300 Millionen Euro aus Ihrem Etat.
Herr Gabriel, bei allem Respekt, wenn diese Antwort
auf unsere Kleine Anfrage stimmt, haben Sie sich bei
den Haushaltsverhandlungen einfach über den Tisch ziehen lassen.
({4})
- Ja, wir können uns gern noch einmal zusammensetzen.
Wenn Sie einen solchen Kurs für Ihre eigenen Regierungskollegen durchführen, dann können Sie uns vielleicht bessere Antworten geben.
Die Situation ist vom Prinzip her exakt die gleiche
wie letztes Jahr; es wurden lediglich Zahlen in den verschiedenen Einzelplänen verschoben. Es geht um die
Frage: Wie werden die Einnahmen aus dem Emissionshandel eingesetzt? Da die Situation exakt die gleiche ist
wie letztes Jahr, ist auch die Position der Linken exakt
die gleiche wie letztes Jahr, nämlich: Die Erlöse aus dem
Emissionshandel müssen zu 100 Prozent in den Klimaschutz fließen.
({5})
Herr Minister, ich kann Ihnen in diesem Punkt versichern: Im Kampf gegen die Koalitionsfraktionen können
Sie weiterhin hundertprozentig auf die Linke zählen.
Vielen Dank.
({6})
Anna Lührmann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will meine Rede heute einmal anders als
für eine Oppositionspolitikerin üblich beginnen, nämlich
mit einem Lob für die Regierung.
({0})
Was Sie vorhaben, im nächsten Haushaltsjahr für Klimaschutz auszugeben, das kann sich in der Tat sehen lassen.
600 Millionen Euro für Klimaschutz, das ist in der Tat
beachtlich.
({1})
- Freuen Sie sich nicht zu früh! Die schöne Planung hat
nämlich zwei Haken:
Erstens. Sie dürfen nicht nur versprechen, 600 Millionen Euro auszugeben, Sie müssen es auch wirklich tun.
({2})
Auch im Haushaltsjahr 2008 haben Sie versprochen,
400 Millionen Euro zusätzlich in den Klimaschutz zu investieren. Nun raten Sie einmal, wie viel davon bisher,
also Mitte September, ausgegeben worden ist? - Keiner
traut sich, etwas zu sagen. Es sind in der Tat 0 Cent. Sie
tun also so, als hätten wir alle Zeit der Welt, um die Erderwärmung aufzuhalten. Dabei haben wir nur wenig
Zeit. Ihre Luftbuchungen helfen uns da wirklich nicht
weiter.
({3})
Zweitens. Wir als Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, dass neue Ausgaben für eine Regierung sehr
einfach zu planen sind. Mit Mehrausgaben kauft man
sich neue Freunde und macht sich keine neuen Feinde.
Das ist in einem Wahljahr besonders gut.
Anders sieht es aus, wenn sich eine Regierung an alte
Besitzstände heranwagt, Subventionen streicht und fehlgeleitete Ausgaben kürzt. Damit verliert man alte
Freunde und schafft sich neue Feinde. Das ist in einem
Wahljahr besonders schlecht. Kein Wunder, dass sich die
Regierung da nicht heranwagt.
Nur drei Beispiele für besonders klimaschädliche
Subventionen im Bundeshaushalt 2009. Erstens. Das
Flugzeug ist das klimaschädlichste Verkehrsmittel überhaupt. Die CO2-Emissionen des Luftverkehrs übersteigen schon lange die aller weltweit genutzten Lkws. Eine
Regierung, die Klimaschutz wirklich ernst meint, müsste
also alles dafür tun, dass Flugverkehr reduziert wird.
Was macht die Große Koalition? Sie subventioniert die
Luftfahrtindustrie weiterhin mit 7 Milliarden Euro im
Jahr. Durch die Steuerbefreiung für Kerosin ist Fliegen
oft billiger als die Taxifahrt zum Flughafen. Das darf
wirklich nicht so bleiben.
({4})
Zweites Beispiel. Die Verbrennung von Kohle ist mit
die klimaschädlichste Form, Strom zu erzeugen. Selbst
das modernste Kohlekraftwerk stößt doppelt so viel CO2
aus wie ein modernes Gaskraftwerk. Wenn alle in
Deutschland geplanten Kohlekraftwerke noch gebaut
werden, dann stoßen sie mehr CO2 aus, als in Deutschland 2050 noch ausgestoßen werden darf. Deshalb sind
führende Umweltexperten, die grüne Partei und die
grüne Bundestagsfraktion eindeutig gegen den Bau von
neuen Kohlekraftwerken, solange es nicht gelingt, CO2
abzuscheiden.
({5})
Selbst wenn man dieses strittige Thema des Kraftwerksneubaus einmal ausklammert, muss man sich doch
die Frage stellen, was die Koalition beim Thema Steinkohle noch so macht. Schaut man in den Subventionsbericht, dann sieht man, dass die Bundesregierung die
Steinkohle immer noch mit knapp 2 Milliarden Euro im
Jahr subventioniert, und das, obwohl sich der Weltmarktpreis für Steinkohle seit 2005 fast verdoppelt hat.
Ein weiterer Beleg dafür, dass Ihre Klimaschutzpolitik
aus viel heißer Luft besteht, Herr Gabriel!
({6})
- Gegen die Subvention sind wir Grüne schon immer gewesen, wenn Sie sich recht erinnern.
({7})
- Ich möchte Sie daran erinnern, Herr Kollege Kelber: In
Koalitionen macht man Kompromisse. Wir Grüne, übrigens inklusive Joschka Fischer, sind immer dafür eingetreten, möglichst schnell aus der Steinkohlesubventionierung auszusteigen.
({8})
Das dritte Beispiel. Die Industrie in Deutschland ist
immer noch für 20 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Eine Regierung, die Klimaschutz wirklich
ernst meint, darf klimaschädliches Verhalten der Industrie nicht weiter subventionieren. Wie steht es so schön
in Ihrem Diskussionspapier zum Thema „Ökologische
Industriepolitik“, Herr Gabriel, auf das Sie, glaube ich,
relativ stolz sind? Ich zitiere:
Oftmals aber bringen Subventionen Märkte nicht in
Bewegung, sondern zementieren Besitzstände.
Nicht Dynamik, sondern Statik ist die Folge.
Sehr richtig!
Frau Kollegin Lührmann, möchten Sie kurz vor Ende
Ihrer Rede noch eine Zwischenfrage des Kollegen
Kauch beantworten?
Sehr gern.
Liebe Kollegin, es ist eher unüblich, dass eine Oppositionsfraktion den Minister verteidigen will, aber hier
werden Legenden aufgebaut, die man so nicht stehen
lassen kann.
Sie sagen, es war Joschka Fischer, der an der Spitze
stand, als es darum ging, die Steinkohlesubventionen
abzubauen. Das haben wir nicht nur in der rot-grünen
Koalition nicht erlebt. Wir haben vor allen Dingen das
Jahr 1997 in Erinnerung, als nämlich die schwarz-gelbe
Regierung die Steinkohlesubventionen erstmals gesenkt
hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wer auf
den Barrikaden der Gewerkschaften stand und gesagt
hat, dass das sozusagen der Untergang der Wirtschaft ist.
({0})
Es war Joschka Fischer, der auf den Gewerkschaftsveranstaltungen dagegen polemisiert hat.
Sie sind immer da, wo eine Bürgerinitiative ist, die
stänkert, oder eine Gewerkschaft, die etwas blockieren
will. Aber wenn hier tatsächlich ökonomisch sinnvolle
Politik gemacht wird, dann sind Sie nicht dabei, insbesondere deshalb nicht, weil Sie den Emissionshandel
nicht verstehen. Der Minister hat völlig recht: Ein neues
Kohlekraftwerk erhöht die CO2-Emission nicht. Man
kann sich nicht einfach Technologien heraussuchen, die
man nicht will. Wenn es Emissionshandel gibt, wird der
Markt entscheiden, welche Technologien eingesetzt werden.
({1})
Herr Kollege Kauch, ich bin ganz verwundert darüber, dass ausgerechnet Sie als FDP-Politiker eine der
größten Subventionen im Bundeshaushalt so vehement
verteidigen.
({0})
2 Milliarden Euro für den Absatz der deutschen Steinkohle, das ist nicht sinnvoll. Deshalb gab es zum Beispiel im Landtag Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr einen gemeinsamen Antrag von CDU, FDP und Grünen
für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Steinkohle.
Das ist die Position, die wir als Fraktion von Bündnis 90/
Die Grünen hier vertreten. Das ist die Position, die wir in
die Koalitionsverhandlungen der rot-grünen Koalition
eingebracht haben.
({1})
Zurück zu meiner Rede. Ich wollte noch auf die Steuerbefreiung für die Industrie im Bereich Energie eingehen, die für Großkonzerne immer noch 5 Milliarden
Euro im Jahr ausmacht, an die Sie sich nicht heranwagen, Herr Gabriel. Damit ist ziemlich klar, dass Sie hier
Schönwetterklimaschutz betreiben. Wenn Ihnen der
Wind rau ins Gesicht weht, streichen Sie die Segel.
Wenn man allein diese drei Beispiele für klimaschädliche Subventionen addiert, kommt man auf 14 Milliarden Euro, die für die Verschmutzung des Klimas ausgegeben werden. Jetzt wollen Sie mit einem 600Millionen-Euro-Programm die Auswirkungen dieser klimaschädlichen Politik wieder reparieren. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik, und das gehört abgewählt.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Kelber, SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der Debatte eines gelernt: Ich werde in
Zukunft nicht mehr behaupten, dass die FDP den Rentnerinnen und Rentnern 18 Milliarden Euro wegnehmen
will, um ihre steuerpolitischen Vorschläge zu finanzieren. Wir haben heute gelernt, dass sie 18 Milliarden Euro
mehr Schulden aufnehmen möchte. Ich halte das für
konsequent. 1997 - das letzte Jahr, in dem die FDP an
der Bundesregierung beteiligt war - war das Jahr mit der
höchsten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und dem höchsten Eingangssteuersatz in der Geschichte der Bundesrepublik
Deutschland. Zugleich wurden in diesem Jahr die Bildungsausgaben in Deutschland radikal gekürzt. Der Minister, der diese Kürzungen mittrug, nannte sich damals
Zukunftsminister.
Man muss auch einen anderen Punkt in Erinnerung
rufen: Die FDP hat einen Anteil von 75 Prozent der Mineralölsteuer mitbeschlossen. Dementsprechend passt
das, was ich am Anfang sagte.
({0})
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Meierhofer zulassen?
Gerne.
Frau Präsidentin! Herr Kelber, nur noch einmal zur
Klarstellung: Wir als FDP gehen davon aus, dass durch
technologischen Fortschritt der Benzinverbrauch in den
nächsten Jahren sinken wird. Wenn Sie diese Feststellung teilen, behalten Sie das bitte im Hinterkopf bei Ihrer
Antwort auf die folgende Frage: Wollen Sie, wenn der
Benzinverbrauch sinkt, dann als nächsten Schritt die
Renten der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland
kürzen, weil diese ja zum Teil über die Ökosteuer erwirtschaftet werden?
({0})
Jetzt verstehe ich das FDP-Konzept noch besser: Sie
wollen im nächsten Jahr 18 Milliarden Euro neue Schul18810
den und dann aufgrund technischer Verbesserungen
diese zusätzliche Neuverschuldung etwas senken, also
zum Beispiel auf 17,5 oder 17 Milliarden Euro. Das war
eine wichtige zusätzliche Korrektur Ihres Programms.
Vielen Dank.
({0})
Ich höre der Kollegin Lührmann immer gerne zu, aber
rhetorisches Geschick ersetzt keine Fakten.
({1})
Nehmen wir einmal Ihr Beispiel mit den 400 Millionen Euro. Ich würde Sie darum bitten, nächstes Mal, bevor Sie reden, die Drucksachen des Haushaltsausschusses zu lesen. In der Drucksache 16({2})4473 werden die
gesamten Bewilligungen aus diesem Programm benannt.
Hier findet sich auch das Marktanreizprogramm. Die
Gelder für das Marktanreizprogramm für erneuerbare
Energien im Wärmebereich, das ja noch aus rot-grünen
Zeiten stammt, wurden ja deutlich aufgestockt. Ende
August war das Geld jedoch, wenn man die oben genannten 400 Millionen Euro außen vor lässt, aufgrund
der hohen Zahl bewilligter Anträge ausgeschöpft. Das
heißt, das ganze restliche Jahr werden die 30 000 Anträge, die sich im Augenblick im Bewilligungsverfahren
befinden, aus den 400 Millionen Euro bedient. Eine Zahl
aus einem großen Bericht herauszuklauben, um damit
das Ganze zu diskreditieren, ist, wie ich glaube, dem
Ernst der Sache nicht angemessen.
({3})
Wir haben in der Umweltpolitik viele Aufgaben. Auf
der Artenschutzkonferenz und bei anderen Gelegenheiten haben wir ja viele wichtige Themen in diesem Jahr
behandelt, die nicht unmittelbar mit Energie und Klimaschutz zu tun haben. Wenn man aber mit den Menschen
redet, stellt man fest, dass sie im Augenblick von der
Umweltpolitik insbesondere zu zwei Themen Antworten
erwarten: zum Klimaschutz und zum Umgang mit den
hohen Energiepreisen. Manche Menschen wissen nämlich einfach nicht mehr, wie sie in diesem Jahr die Heizkosten bezahlen sollen, und noch weniger, wie sie in
Zukunft damit klarkommen. Das macht ihnen verständlicherweise Angst.
Das Spannende für uns in der Politik ist doch, dass
wir auf beide Herausforderungen die gleichen Antworten geben können,
({4})
nämlich radikal den Energieverbrauch senken und die
bisherigen Energieträger durch die preisstabileren und
endlos verfügbaren erneuerbaren Energien ersetzen.
Ich halte es übrigens für sehr wichtig, dass die meisten Mitglieder des Deutschen Bundestages den Menschen die Wahrheit sagen, nämlich dass wir die Preise
nicht heruntersubventionieren können; weder durch
Steuersenkungen noch durch Zuschüsse können wir die
Mehrkosten, die den Menschen entstanden sind, kompensieren. Es gibt zwar Ausnahmen für Einzelne - ich
nenne hier die Erhöhung des Wohngeldes -, aber die
große Masse der Geldmittel muss dazu verwendet werden, den Unternehmen und den Privathaushalten zu helfen, die Energiekosten radikal zu reduzieren. Das kann
nur geschehen, indem auch der Verbrauch radikal reduziert wird.
Wir haben dabei mit mehreren Herausforderungen zu
kämpfen: Erstens müssen wir die Unternehmen durch
ordnungsrechtliche Maßnahmen verpflichten, energieeffizientere Geräte anzubieten. Ich würde mir wünschen,
dass die Europäische Union im Rahmen der Ökodesignrichtlinie mehr von dem umsetzen würde, was der Deutsche Bundestag schon beschlossen hat. Ich nenne beispielhaft die Top-Runner-Systematik, nämlich dass
immer die besten Geräte den Standard definieren
({5})
und alle anderen Geräte diesen Standard innerhalb der
nächsten fünf Jahre entweder auch erreichen müssen
oder sonst nicht mehr eingesetzt werden dürfen.
Ich bin übrigens immer wieder erstaunt, wie die Beamten des Wirtschaftsministeriums in Brüssel in Verhandlungen genau das Gegenteil von dem einbringen,
was wir hier einhellig im Deutschen Bundestag beschlossen haben. So habe ich Anrufe aus Den Haag oder
Paris bekommen, wo ich gefragt wurde: Was ist eigentlich mit euren deutschen Unterhändlern los? Die sprechen sich gegen die Top-Runner-Systematik aus, obwohl
ihr sie doch gerade im Parlament beschlossen habt.
Ich glaube, dass wir auch einige nationale Instrumente zusätzlich zum Top-Runner-Programm einsetzen
müssen. Ich bin dafür, dass wir 10 Prozent der besten
Geräte den Blauen Engel verleihen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf sofort wissen, ob
es noch ein besseres Gerät geben könnte oder ob das eigene Gerät bereits effizient ist und durch seinen Verbrauch sparsam mit ihrem Geld umgeht. Das könnten
wir auf nationaler Ebene zusätzlich machen.
Wir müssen den Menschen helfen, die nicht genügend
Geld haben, um in energieeffiziente Geräte und in die
Hausdämmung zu investieren, die also nicht über diese
Investitionshürde kommen, um danach preiswerter zu leben. An diesem Punkt brauchen wir die öffentlichen Fördermittel. Das kann der Markt nicht allein leisten. Hier
müssen wir uns auch über neue Instrumente unterhalten,
um diesen Menschen zu helfen, zum Beispiel den etwas
teureren Kühlschrank zu kaufen, der aber jedes Jahr
50 Euro weniger an Stromkosten verursacht. Dies
könnte zum Beispiel über Minikredite oder Mini-Contracting erfolgen.
Es erscheint immer das Reizwort der Sozialtarife. Ich
bin auch kein Anhänger von Sozialtarifen. Ich glaube,
dass sie eine erneute Subvention sind. Ich bin aber ein
Anhänger davon, die Energietarife in Deutschland endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. In diesem Land
ist es - pro Kilowattstunde - billiger, mehr Energie zu
verbrauchen. Ich bin daher dafür, die Energieanbieter
darauf zu verpflichten, dass es billiger wird, weniger
Energie zu verbrauchen, dass die Kilowattstunde also
mit zunehmendem Verbrauch teurer wird. Das ist eine
Herausforderung, der sich die Politik im Rahmen der
Daseinsvorsorge stellen sollte, nämlich die Energieanbieter dazu zu verpflichten. Wir sind dafür da, Gesetze
und Verordnungen zu machen, die so etwas erzwingen,
wenn es vonseiten der Energieanbieter nicht freiwillig
passiert.
({6})
Ich habe in der letzten Woche eine Pressemitteilung
herausgegeben, die „Atomsekte die 523.“ hieß. Ich
müsste heute eine herausgeben, die „Atomsekte die
524.“ hieße. Es ist traurig, dass der Gag kurz vor der
bayerischen Landtagswahl, der den Menschen erzählt,
man müsste nur die Atomkraft länger laufen lassen,
dann würden sie 40 Milliarden Euro mehr in der Tasche
haben, in der öffentlichen Wahrnehmung so schnell verpufft.
({7})
Die Expertinnen und Experten, die Verbraucherzentrale
Bundesverband, der Sachverständigenrat der Bundesregierung und andere haben sich mit diesem Vorschlag beschäftigt. Als man bei RWE sagte, man wisse nicht, wie
die CDU/CSU auf 40 Milliarden Euro komme, das sei
völlig aus der Luft gegriffen, hat man sehr schnell bei
RWE angerufen. Einen Tag später hat dann ein anderer
Sprecher von RWE gesagt, man ziehe diese Äußerung
zurück. Ich kann mir vorstellen, welche politische Intervention aus dem Kanzleramt vorher erfolgt ist. Man
muss aber die Zahlen benennen. Sie bieten den Menschen einen Fonds an, der im Jahr 2029 vollständig gefüllt ist. Das ist natürlich eine Antwort auf die hohen
Energiepreise des Jahres 2008. Sie bieten eine Entlastung an, zu der der Experte der Verbraucherzentrale
Bundesverband sagt, jedem Haushalt eine Energiesparleuchte zu geben, würde mehr Entlastung bringen als der
Vorschlag der CDU/CSU.
Das Letzte, was ich wirklich nicht verstehen kann, ist
das Folgende: Diesen vier Energiemonopolisten, die mit
16 Milliarden Euro Gewinn jedem Bundesbürger
200 Euro aus der Tasche ziehen und die sich an keine
Vereinbarung halten, sagen Sie, Sie wollen die
40 Milliarden Euro nicht per Gesetz nehmen, Sie wollen
mit ihnen freiwillige Vereinbarungen schließen und das
Gespräch suchen. Glauben Sie, dass irgendein Mensch
- abgesehen von den 110-prozentig überzeugten Atomenergieanhängern - glaubt, dass es in der Geschichte der
Bundesregierung jemals zu diesem Fonds kommen
wird? Das ist nichts anderes als eine Verlängerung der
Monopole, die den Menschen längst das Geld aus der
Tasche ziehen. Diese Politik muss beendet werden. Wir
sind auf einem guten Weg. Das läuft aus, dabei wird es
bleiben.
({8})
Die Kollegin Ulrike Flach hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kelber, das Kuscheln hat offensichtlich ein schnelles Ende gefunden. Man ist immer wieder erstaunt darüber, wie weit gerade die Umweltpolitikideen der beiden Fraktionen auseinandertreiben.
({0})
- Na ja. Eines muss man dem Minister lassen, das muss
ich als Haushälterin an dieser Stelle sagen. Sie sind mit
Sicherheit der Sieger dieser Haushaltsplanungen für das
Jahr 2009. Sie haben es immerhin geschafft, Ihren Etat
in einem einzigen Jahr um über 50 Prozent zu steigern
und ihn innerhalb von drei Jahren nahezu zu verdoppeln.
Frau Schavan lächelt schon ganz glücklich. Das ist eine
Leistung, die wir uns für den Bereich Bildung und Forschung gewünscht hätten.
({1})
Allerdings basiert dieser Haushalt auf einer Luftbuchung, genauer gesagt auf der Buchung von verschmutzter Luft. Er basiert nämlich auf den prognostizierten Einnahmen von 460 Millionen Euro aus den
Emissionszertifikaten.
Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Die FDP war die
einzige Partei, die ungefähr zehn Jahre lang für den
Emissionshandel gekämpft hat. Das heißt, wir stehen
diesem Instrument natürlich ausgesprochen positiv gegenüber. Aber wir sind definitiv der Meinung, dass die
Mittel, die dadurch hereinkommen, völlig anders verwendet werden sollten als in der Form, die Sie uns hier
vorführen.
({2})
Entlastung ist unsere Maxime, nicht Subventionierung politischer Wunschträume. Gebt den Menschen, die
unter den hohen Energiepreisen leiden, dieses Geld über
eine Senkung der Stromsteuer zurück!
({3})
Das ist unser Vorschlag, nun schon im zweiten Jahr. Man
muss sich überlegen: Rund 6,3 Milliarden Euro an
Stromsteuern nimmt der Staat jedes Jahr ein; das sind
20,50 Euro pro Megawattstunde. Das schreit nach Entlastung, nicht nach Subvention.
({4})
Dies gilt übrigens umso mehr, auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir eben hatten, als wir davon
ausgingen, dass wir in ein paar Jahren ungefähr das
Zehnfache von der Summe, über die wir im Augenblick
reden, einnehmen werden. Sie aber, Herr Gabriel, finanzieren damit Ihre Klimaschutzinitiative, 120 Millionen
Euro für internationale, 340 Millionen Euro für nationale
Klimaschutzmaßnahmen. Bei beiden haben wir, auch
inhaltlich, erhebliche Bedenken.
Ich denke, einige der internationalen Projekte, gerade
was die Länder China und Russland betrifft, werden
wohl kaum auf großes Verständnis in diesem Lande treffen.
({5})
Ich weiß nicht, warum in einem Lande wie Russland Gebäudesanierungen vorgenommen werden müssen und
warum die Subventionierung einer nachhaltigen Energieversorgung von Sotschi, der Stadt der Olympischen
Winterspiele, nahe am ergiebigsten Erdöl- und Gasgebiet in Russland gelegen, mit deutschen Steuermitteln
erfolgen muss.
({6})
Auch bei den nationalen Projekten ist Skepsis angebracht. Ist es wirklich Aufgabe des Bundes, ein neues
Verzinkungsverfahren zur Herstellung von Stahlseilen
zu finanzieren - 1 Million Euro für die Vermeidung von
486 Tonnen CO2 - oder 2 Millionen Euro für die thermische Klärschlammverwertung in Albstadt aufzubringen?
Sie finanzieren damit, Herr Gabriel, Aufgaben mit Steuermitteln, die die Wirtschaft oder, im Falle von Albstadt,
die Kommunen selbst finanzieren sollten. Ihr Klimaschutz ist im Prinzip nur noch eine einzige, wirklich sehr
klar zu Tage tretende Subventionierungspolitik, nicht
mehr.
({7})
Übrigens habe ich am heutigen Tage den Äußerungen
des Kollegen Tiefensee entnehmen müssen, dass solche
Pläne im Energiebereich von den Verkehrspolitikern
noch zu toppen sind. Er möchte zukünftig zinsverbilligte
Darlehen für neue Autos von Geringverdienern über unsere tolle Staatsbank KfW mit Anrechnung der Altautos
ausgeben, um CO2 zu vermeiden. Der Staat als Autohändler für dieses Land, das ist wirklich das Letzte, was
wir Liberalen uns vorstellen können!
({8})
Wir haben eben schon über Asse gesprochen. Wir bezweifeln, Herr Gabriel, dass die von Frau Schavan angeführten Kosten von ungefähr 1 Milliarde Euro wirklich
in dieser Höhe entstehen werden. Wir sind gespannt, wie
Sie das in Ihrem Haushalt, den wir auch in diesem Jahr
generell als Blackbox bezeichnen, verkraften werden.
Das werden wir sehen, vor allen Dingen bei den Beratungen.
„Blackbox“ heißt unter dem Strich: Sie hantieren mit
Subventionsprogrammen, von denen wir weder wissen,
ob das nötige Geld da ist - da bin ich bei Ihnen, Frau
Lührmann -, noch, ob es richtig ausgegeben werden
kann, und schon gar nicht, ob Sinn und Zweck wirklich
erfüllt werden. Sie haben mit der Asse ein Projekt übernommen, dessen finanzielle Auswirkungen völlig unklar
sind und die Sie in diesem Haushalt bisher nicht darstellen können.
Das heißt, es wird spannend bei den Beratungen. Ich
bin gespannt, was wir im November zu diesem Thema
hören werden.
({9})
Bernhard Schulte-Drüggelte hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Über Sinn und Zweck dieser Maßnahmen möchte
ich gleich sprechen. Aber zuerst möchte ich noch einmal
deutlich machen, dass der Einzelplan 16 des Bundesumweltministers für das Jahr 2009 eine ganz erhebliche
Steigerung erfahren hat. Er steigt auf 1,32 Milliarden Euro; das sind 477 Millionen Euro mehr als 2008.
Das zeigt, welche Bedeutung der Klimaschutz für diese
Koalition hat. Das zeigt auch, dass wir nicht nur reden,
sondern auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen.
({0})
Im nächsten Jahr wird es in zwei Bereichen zu wesentlichen Veränderungen kommen. Das ist zum einen
die Klimaschutzinitiative. Die Mittel hierfür werden eine
Steigerung um 60 Millionen Euro auf insgesamt 460 Millionen Euro erfahren. Zum anderen werden im Endlagerbereich 12,6 Millionen Euro für die Umrüstung des
Schachtes Konrad zu einem Endlager für schwach- und
mittelradioaktive Stoffe zur Verfügung gestellt.
Ich will auch sagen, dass die Konsolidierung des
Haushaltes natürlich im Vordergrund steht. Aber neben
dem Konsolidieren steht - das haben wir oft gesagt; das
ist auch in diesem Haushalt so - das Investieren. Auch
im Einzelplan 16 steigen die Investitionen.
Es wurde schon angedeutet: Diese Klimapolitik zeigt,
dass die Bewahrung der Schöpfung und gleichzeitig eine
nachhaltige Entwicklung möglich sind. Das ist die These
der Verknüpfung der ökologischen Verantwortung mit
der ökonomischen Vernunft. Das passt zusammen und
zeigt sich in diesem Haushalt.
({1})
Wir haben - auch darauf können wir stolz sein - in diesen Jahren der Koalition viel erreicht. Wir werden den
zukunftsorientierten Bereich des Klimaschutzes weiter
ausbauen.
Ein Beispiel ist das Marktanreizprogramm. Wie der
Name schon sagt, soll es ein Anreiz für Investitionen
sein. In der Diskussion der letzten Jahre war es wichtig,
dass eine Verstetigung stattfindet. Das passiert jetzt. Die
Mittelansätze werden deutlich erhöht, und zwar von
164 Millionen auf 400 Millionen Euro. Das zeigt, dass
man das ernst nimmt. Beispiele hierfür sind Solarkollektoren für die Erzeugung von Warmwasser, Holzpelletheizungen, die Kraft-Wärme-Koppelung und Kälteanlagen im gewerblichen Bereich. Auch Kommunen,
öffentliche Einrichtungen und Schulen sollen - das ist
für die Zukunft ganz bedeutsam, weil es neu ist - gefördert werden. Ich bin sicher, dass dieses Programm gerade von den Städten und Gemeinden sehr gut angenommen wird,
({2})
die Mittel, die noch nicht voll genutzt wurden, eingesetzt
werden und es ein erfolgreiches Programm wird.
({3})
Vorhin wurde gesagt, dass der Klimaschutz in der Regierung breit aufgestellt ist. Ich will über die 600 Millionen Euro sprechen, die aufgrund der Erlöse aus dem
Emissionshandel zu erwarten sind. Diese fließen an das
Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - das ist klar -, an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das
Ministerium für Wirtschaft und Technologie, das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an das Ministerium für Bildung und Forschung. Daran sieht man, dass wir breit aufgestellt sind,
dass nicht nur ein Ministerium mit Klimaschutz befasst
ist und dass die Regierung insgesamt eine erfolgreiche
Arbeit gemacht hat.
Geld weckt natürlich Begehrlichkeiten. Das ist klar;
das kann man verstehen. In der letzten Zeit gab es eine
Diskussion darüber, was mit diesem Geld passiert. Es
gab auch Begehrlichkeiten bei der Europäischen Union.
Eines möchte ich deutlich machen: Das Geld aus den
Emissionserlösen muss natürlich in Deutschland bleiben. Ich hoffe, dass wir uns zumindest in diesem Punkt
einig sind.
({4})
Ich möchte den Bereich der Endlagerung radioaktiver Stoffe ansprechen. Ich habe zu Beginn meiner Rede
den Schacht Konrad erwähnt. Im letzten Jahr wurde ein
Bericht über die Umrüstung vorgelegt. Wir müssen natürlich überprüfen, inwiefern dieser Plan eingehalten
wurde. Klärungsbedürftig ist auch das Endlager Morsleben. Wir müssen fragen, warum das Planfeststellungsverfahren noch immer stockt. Man sagt: Zeit ist Geld.
Dies ist Steuerzahlergeld. Wir müssen sehen, dass nicht
weiter verzögert wird, und müssen herausfinden, an
wem dies liegt.
({5})
Zum ehemaligen Forschungsendlager Asse, das jetzt
in den Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministers überstellt wird. Diese Entscheidung ist neu und findet sich nicht im Haushalt wieder. Aber dies wird haushaltsrechtliche Auswirkungen haben. Es wurde vorhin
angedeutet: Das ist natürlich eine Herausforderung. Ich
vermute, dass das mehr kosten wird als geplant. Im Forschungshaushalt wurden 850 Millionen Euro angesetzt.
Man muss davon ausgehen, dass das teurer wird. Ich
möchte aber auch sagen, dass im Interesse der Menschen
vor Ort und im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem Vorliegen des Statusberichts konsequent und zügig gehandelt worden ist.
({6})
In diesem Zusammenhang möchte ich Frau Ministerin
Schavan und Herrn Minister Gabriel für eine schnelle
und sachgerechte Entscheidung beim Betreiberwechsel
danken.
({7})
Herr Kelber, im Übrigen sage ich: Wer den CO2-Ausstoß in naher Zukunft reduzieren will, muss auch über
eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken sprechen. Ich sage das nur einmal so.
({8})
Vielleicht ist diesbezüglich eine sachgerechte Entscheidung, zum Beispiel für einen Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien, möglich. Von Ihrem Fraktionsvorsitzenden habe ich einen Ausspruch gehört, den ich ganz
gut fand: Alles hat seine Zeit. - Vielleicht auch diese
Entscheidung.
({9})
Ich danke an dieser Stelle allen für die gute Vorbereitung und für die Informationen, die wir bekommen haben. Ich wünsche uns allen eine gute Beratung.
Danke.
({10})
Das Wort hat Eva Bulling-Schröter für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Letzte Woche hat sich der Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion zu Wort gemeldet. Mit seinem Energiepapier macht er nicht nur Front gegen den Koalitionspartner, die Union richtet sich auch gegen die Bürgerinnen und Bürger, denen sie mit sehr seltsamen
Argumenten niedrige Strompreise verspricht.
So soll der Ausstieg aus dem Ausstieg den Stromkunden angeblich 40 Milliarden Euro einbringen; denn
Atomstrom ist ja so billig. Billig ist aber auch die Logik.
Ich frage Sie: Würden Eon & Co. die Preise wirklich
senken wollen? Warum sollten sie das tun? Noch einmal
zum Mitschreiben: Der Handelspreis bildet sich an der
Strombörse nicht auf Grundlage der niedrigsten Kraftwerksgrenzkosten bei Brennstoffen und Betrieb, sondern
auf Basis der höchsten, und die haben in der Regel Gasoder Steinkohlekraftwerke, nicht aber abgeschriebene
AKWs. Je deutlicher ein Kraftwerk unter den genannten
Kosten liegt, umso höher ist dessen Gewinn. Deshalb bedeutet jede Stunde längere Laufzeit zusätzlichen Profit
für Atomkraftwerke. Für alle, die zuhören: Das heißt,
eine Million Euro Profit pro Tag pro abgeschriebenem
AKW. Darum geht es!
({0})
Um dieses Geld zu kassieren, bliebe die Brennelementesteuer, die Minister Gabriel vorschlug. Wir unterstützen diese Idee. Die Union lehnt sie natürlich ab, ganz
strikt, wie ich lese. Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn an
die 40 Milliarden Euro herankommen? Vielleicht wird
diese Frage ja gleich noch geklärt.
({1})
Glauben Sie tatsächlich an eine Vereinbarung mit den
Konzernen? Da kann ich nur lachen. Das kennen wir
alle. Das ist lächerlich.
({2})
Eine Brennelementesteuer wäre der einzige Weg, die
enormen Mitnahmeeffekte der Atomverstromer für die
bislang vereinbarte Laufzeit wenigstens zu begrenzen.
Sie wäre übrigens auch der einzige Weg, die absurd hohen Gewinne abzuschöpfen, die den AKW-Betreibern
aus dem Emissionshandel zusätzlich zufließen. Durch
die Kosten für die Zertifikate steigt der Großhandelspreis nämlich noch ein Stück weit an. Diese WindfallProfits bei AKWs bleiben im Gegensatz zum Kohle- und
Gasbereich übrigens auch dann bestehen, wenn die
Emissionsrechte ab 2013 vollständig versteigert werden.
Nun will die Union die Laufzeiten sogar um weitere
30 Jahre verlängern. Das heißt nicht nur 30 Jahre mehr
Risiko - insbesondere in Bayern, wo 62 Prozent des
Stroms aus Atomenergie stammen -, sondern auch
30 Jahre lang Extraprofite in Milliardenhöhe aus dem
Zertifikatshandel. Aber Sozialtarife für Familien, die
ihre Kinder nicht in die Ferien schicken können, lehnen
Sie ab. Das zeigt für mich, wie christlich und sozial Sie
wirklich sind.
({3})
Jetzt wollen CDU und CSU auch noch schnell das
Gorleben-Moratorium aufheben. Dazu kann ich nur sagen: super. Das ist die Antwort auf das Desaster mit
Asse II und kommt gerade jetzt, wo klar wird, dass all
die Versprechungen von Politik und Wissenschaft, die
wir jahrzehntelang hören konnten, in sich zusammenstürzen wie in Kürze die Salzpfeiler des vermeintlichen
Endlagers.
Noch ein letztes Wort zum Emissionshandel: Wer die
Energiewirtschaft auch nach 2012 kostenlos mit Zertifikaten ausstatten will - und seien es nur die Kraftwerksneubauten -, hat entweder nichts von der Idee des Emissionshandels begriffen oder ist ein unverbesserlicher
Lobbyist der Stromkonzerne. Eines von beiden können
sich Herr Glos und Herr Huber aussuchen.
({4})
In Ehrfurcht vor der Weisheit der beiden tippe ich auf
Lobbyismus. Hier kennt man sich schließlich aus, besonders prächtig in Bayern. Im Freistaat freut man sich beispielsweise über mehr Verkehr, sei es auf der Straße, in
der Luft oder zu Wasser. Das nutzt den Baukonzernen
und auch anderen.
Die Union möchte folgerichtig für 2009 1 Milliarde
Euro mehr zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, weil
Deutschland, wie ich gelesen habe, ein Transitland ist.
Dafür muss dann die Donau herhalten. Eine dritte Startbahn in München und einiges mehr sollen gebaut werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Menschen in Bayern
wehren sich. Sie wehren sich zum Beispiel gegen den
Transrapid, gegen den Bau der A 94 München-Passau
durch das Isental, gegen die Fichtelgebirgsautobahn und
gegen die Verkehrsanbindung an den Nürnberger Flughafen durch den Reichswald. Ich kann Ihnen nur sagen:
Es gab in München eine große Demonstration von Umweltverbänden. Diese sagen: So geht es nicht weiter. Wir
wollen ein lebenswertes Bayern. - Das unterstützen wir.
Ich hoffe, auch Sie unterstützen das mit dem Haushalt,
indem diese Großprojekte klug überdacht und gestrichen
werden. Wir brauchen das Geld für andere Dinge.
({5})
Ich hoffe, dass Sie - leider sind nur wenige Kolleginnen und Kollegen der CSU bei dieser Umweltdebatte anwesend ({6})
nächste Woche die Quittung dafür bekommen.
Danke.
({7})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt
die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Hit zum Umwelthaushalt heißt:
600 Millionen Euro mehr für den Klimaschutz. Wie vieles, das man von der Regierung zum Klimaschutz hört,
klingt das gut. Aber was nützen diese 600 Millionen
Euro, wenn es nicht die richtige Begleitmusik zum Hit
gibt, also die richtige Politik? Da herrscht statt Harmonie
die reine Dissonanz. Diese 600 Millionen Euro für den
Klimaschutz sind eingebettet in eine Politik von abschreibungsfähigen Dienstwagen, die gerne auch mit einem CO2-Ausstoß von 360 Gramm pro Kilometer über
Autobahnen ohne Tempolimit brettern dürfen, in eine
Biospritstrategie, die die Urwaldrodung direkt anheizt,
und in Ihre Kohlepolitik, Herr Umweltminister. Was
wollen Sie allein gegen diese von Ihrer falschen Politik
produzierten Emissionen mit 600 Millionen Euro anfangen? Diese 600 Millionen Euro haben Ähnlichkeit mit
Ihrer Patenschaft für Knut
({0})
- nichts gegen Knut -, den Bildern der Kanzlerin vor
den Eisbergen und mit den Reden auf der COP 9, die
auch 2009 mit Kürzungen in Höhe von fast 3 Millionen
Euro beim Naturschutz bezahlt wird. Das ist mehr PR als
reeller Klimaschutz. Wir brauchen aber reellen Klimaschutz mit hohem Wirkungsgrad.
({1})
- Sie können eine Zwischenfrage stellen, Herr Kelber.
Meine Redezeit ist zu kurz.
Dafür müssten Sie als Erstes im Kabinett den
Lobbyisten der Automobil- und Energiekonzerne die
Tür weisen. Als Zweites müssten Sie lernen, Ihr Ressort
gegen die Interessen, auch die Wahlkampfinteressen, Ihrer Kabinettskollegen zu verteidigen. Was Sie sich beim
Abstimmungsprozess zum Umweltgesetzbuch von den
bayerischen Kollegen Seehofer und Glos haben bieten
lassen, spottet der Beschreibung. Das als größtes umweltpolitisches Vorhaben dieser Legislatur angekündigte
Werk glänzt nun damit, die Eingriffsregel, das zentrale
Element des Naturschutzes, im Einvernehmen mit dem
Landwirtschaftsminister und dem Verkehrsminister festlegen zu wollen. Das sind bekanntermaßen oberste Naturschützer. Das Begehr, Naturverlust durch Geld ausgleichen zu lassen, ist bei ihnen gut aufgehoben. Aber
hier geht es leider nicht um Einnahmen, sondern - ganz
im Gegenteil - um immense zukünftige Kosten durch
den dadurch weiter angeheizten Natur- und Biodiversitätsverlust.
Auch das Buch „Erneuerbare Energien“ haben Sie
sich von Ihren Kollegen aus dem UGB schmeißen lassen. Dieser Entwurf eines UGB in Zeiten des Klimawandels enthält nun außer dem von der EU vorgegebenen
Emissionshandel nichts zum Klimaschutz, nichts zu den
Wirkungsgraden fossiler Kraftwerke, nichts zur Ressourcenschonung und nichts zum Anbau von Biomasse.
Das ist kein Umweltgesetzbuch. Das ist eine Umgehungsstraße, um den Klima- und Naturschutz.
Auch die Umweltbrisanz bergbaulicher Vorhaben
wird im UGB-Entwurf ignoriert. Die Asse ist vermutlich
nur das hässlichste Beispiel für diese Brisanz. Die grüne
Opposition konnte Sie - so sind nun einmal die parlamentarischen Gepflogenheiten - nicht dazu bringen, das
Atommüllendlager Asse unter Atomrecht zu stellen. Die
Macht des Faktischen und die nicht mehr zu übersehende - vorsichtig ausgedrückt - Inkompetenz der Betreiber haben Sie jetzt dazu gebracht. Ich gratuliere Ihnen, zwar nicht zu einem Vergnügen - das weiß ich -,
aber zu einer überfälligen richtigen Entscheidung.
({2})
Diese Entscheidung wird Geld kosten. Ergibt der Optionenvergleich, den das BfS durchführt, dass der Atommüll teilweise oder gar vollständig zurückgeholt werden
muss, dann reichen die dafür in den Entwurf des
Haushalts 2009 eingestellten 89,7 Millionen Euro nicht
aus. Auch die Asse-Gesamtkosten in Höhe von geschätzten 536 Millionen Euro werden sich eher in der
Größenordnung von Milliardenbeträgen bewegen.
Angesichts des immer eindringlicheren Verdachts,
dass die Asse von den EVU über den Umweg über das
Forschungszentrum Karlsruhe zur billigen Entsorgung
genutzt wurde, stellt sich wirklich die Frage, ob die Sanierung des Skandalfalles Asse allein eine öffentliche
Aufgabe ist.
Angesichts der ständig steigenden Kosten für die
Atommüllentsorgung auf dem Rücken der Steuerzahler
- diese Kosten stiegen von 77 Millionen Euro im Haushalt
2007 auf 300 Millionen Euro im Haushalt für 2009 -, rate
ich Ihnen, Herr Minister: Schaffen Sie im Hinblick auf
die Asse eine rechtliche Grundlage zur Beteiligung der
Betreiber. Das wäre sicherlich auch ganz im Sinne von
Frau Flach, nicht wahr?
Vielen Dank.
({3})
Jetzt spricht der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
darf am Ende dieser Debatte feststellen, dass in keinem
anderen Bereich so viel Wirtschaftspolitik gemacht wird
wie im Umweltbereich.
({0})
Dieser Verantwortung wollen und müssen wir gerecht
werden.
Ich möchte zunächst das Thema Umweltgesetzbuch
aufgreifen, das bereits mehrfach angesprochen wurde.
Frau Bulling-Schröter und Frau Kotting-Uhl, es geht darum, dass wir Transparenz schaffen und Bürokratie abbauen wollen. Die singulären Interessen irgendeines Naturschutzverbandes spielen keine Rolle. Es geht darum,
die Umweltgesetze übersichtlich zusammenzufassen,
nicht darum, bei dieser Gelegenheit die Standards zu erhöhen.
({1})
Gleichzeitig sage ich aber auch: Zur Beratung eines
Gesetzeswerkes, das einen Umfang von 1 200 Seiten
hat, braucht man natürlich Zeit. Einen solchen Gesetzentwurf kann man nicht im Husch-husch-Verfahren
durch das Parlament jagen. Wir müssen uns genau überlegen, was wir wo regeln und wie wir die Regelungen so
gestalten, dass diejenigen, die betroffen sind und sich davon zum Beispiel einfachere Genehmigungsverfahren
versprechen, letztlich mit Fug und Recht sagen können:
An dieser Stelle hat die Politik etwas erreicht.
({2})
Damit möchte ich ein ausdrückliches Lob gegenüber
dem Bundesumweltminister aussprechen, der heute
deutlich gemacht hat, wie eng die Verknüpfung von
Ökologie und Ökonomie sein muss und dass wir im Hinblick auf Ökologie und Umweltschutz nur dann etwas
erreichen, wenn wir auch ökonomisch vorankommen;
das sage ich insbesondere Ihnen, Frau Bulling-Schröter.
Ihr Versuch, hier bayerischen Landtagswahlkampf zu
machen, ist gründlich verunglückt.
({3})
Wir sind stolz darauf, dass sich in Bayern etwas bewegt, dass sich im Verkehrsbereich etwas tut, dass die
Wirtschaft wächst und dass wir in vielen Bereichen die
Technologieführerschaft haben;
({4})
darüber freuen wir uns. Die CSU hat über viele Jahrzehnte hinweg den Grundstein dafür gelegt, dass Bayern
unter allen Bundesländern ganz vorn dabei ist.
({5})
Wir haben auch dafür gesorgt, dass der Umweltschutz
heute eine große Bedeutung hat. Denn den Leuten in
Bayern, die nicht arbeitslos sind, ist es ein Anliegen,
Umweltschutz zu betreiben.
({6})
Andere, die keinen Job haben und keinen bekommen,
wenn Leute wie Sie Politik machen, haben natürlich andere Sorgen und Nöte. Diese versuchen Sie zu verführen
mit Sprüchen über Sozialtarife und darüber, was Sie ihnen alles Gutes tun wollen, was Sie ihnen alles schenken
wollen. Sorgen Sie mit einer sinnvollen Wirtschaftspolitik dafür, dass sie in Lohn und Brot kommen, dass sie
nicht auf Hartz IV angewiesen sind. Dann muss man
nicht derartige Klimmzüge machen, sondern jeder kann
sich letztendlich selbst finanzieren.
({7})
Das haben wir in Bayern erreicht. Das ist ein großes
Verdienst der Menschen, der Unternehmer und der Arbeitnehmer, aber auch ein Verdienst der CSU. Ich hoffe,
dass Sie das an dieser Stelle zur Kenntnis nehmen.
Natürlich ist die Verknüpfung von Klimaschutz- und
Energiepolitik wichtig. Ich sage auch deutlich: Wir haben in das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das wir meines
Erachtens in der Großen Koalition gut novelliert haben,
hineingeschrieben, dass wir den Anteil der erneuerbaren
Energien bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent
ausbauen wollen. Das war wichtig und richtig.
({8})
Die Beiträge dazu haben wir geleistet. Man muss sich
aber auch die Frage stellen, woher die restlichen
70 Prozent kommen. Wir wollen keine Denkverbote,
weder für Herrn Fischer noch für Herrn Clement.
({9})
- Noch für Herrn Töpfer. Wir wollen offen darüber diskutieren und nicht die Antwort auf die Frage schuldig
bleiben, wie wir diese 70 Prozent wirtschaftlich sinnvoll
und ökologisch vertretbar und wie wir sie vor allen Dingen in diesem Land produzieren wollen. Das ist ganz
wichtig. Man kann nicht einfach mir nichts, dir nichts
fast 50 Prozent der Grundlast herausschneiden wollen
und so tun, als seien die Kernkraftwerke in diesem Land
nicht notwendig.
({10})
Als der Umweltminister die Themen Ökologie und
Ökonomie angesprochen hat, hat er sich aus meiner Sicht
- so hoffe ich es - insbesondere auf den Emissionshandel bezogen, dessen Ausgestaltung noch bevorsteht. Was
passiert hier?
Die Franzosen lehnen sich momentan zurück und sagen, dass sie einen 80-prozentigen Anteil der Kernenergie haben. Ihr Anteil ist erfüllt. Das kann doch nicht die
Wahrheit sein.
Wir müssen auf der einen Seite den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie überdenken und auf der anderen Seite den Emissionshandel so ausgestalten, dass
energieintensive Unternehmen nicht einfach aus dem
Land getrieben werden. Ich bin der festen Überzeugung,
dass der Emissionshandel nur dann zu einem kostengünstigen Klimaschutz führt, wenn der Wettbewerb auf
dem Energiemarkt tatsächlich funktioniert. Auf dem
Energiemarkt herrscht jedoch nach wie vor ein Oligopol,
das die Preise so durchsetzt, wie es dies möchte.
({11})
- Herr Kelber, das eine sind Produktionskapazitäten, und
das andere betrifft die Frage, wie wir den Wettbewerb
gestalten. Vorhin hat sogar Frau Bulling-Schröter eingeräumt, dass es sich hierbei um eine kostengünstige Energie handelt.
({12})
Es kann doch nicht sein, dass es keine Preiswirkungen
nach sich zieht, wenn man einen Zweig herausschneidet
und durch teurere Kernkraftwerke ersetzt. Das glauben
Sie doch selbst nicht. Das wissen Sie doch ganz genau.
({13})
Zurück zum Thema Emissionshandel. Solange wir die
Problematik der Oligopolsituation haben, so lange besteht das Risiko, dass das, was durch den Emissionshandel geschieht, am Ende nur eingepreist wird und zu höheren Strompreisen führt, was angesichts einer niedrigen
Preiselastizität der Nachfrage das Ganze letztlich nur
noch teurer macht.
Entscheidend ist, dass wir eine Verknüpfung zur Ökosteuer sehen, die heute auch schon mehrfach angesprochen worden ist. Wir werden doch am Schluss nicht eine
Energiepolitik machen wollen, bei der wichtig ist, dass
jede Kilowattstunde teuer ist, sodass die Leute entsprechend weniger verbrauchen. Das kann doch nicht unser
Ziel sein. Das ist im Hinblick auf die Verbraucherinnen
und Verbraucher unsozial und im Hinblick auf die Unternehmen gefährlich; denn wir beschädigen am Ende den
Standort Deutschland. Das darf nicht sein.
Einiges, was vonseiten der EU in unsere Richtung
lanciert wird, erweckt bei mir den Eindruck, als ziele es
darauf ab, den Standort Deutschland etwas einzuengen
und einzuschränken. Ich erinnere an das, was der Umweltminister im Zusammenhang mit den Flottenzielen
für unsere Automobilindustrie angesprochen hat. Entscheidend ist, sorgfältig mit dem Thema umzugehen und
dafür Sorge zu tragen, dass am Standort Deutschland die
Premiummodelle der Welt produziert werden, dass wir
letztlich im Bereich der Automobilindustrie vorankommen.
Herr Kollege, Sie könnten Ihre Redezeit verlängern,
wenn Sie eine Zwischenfrage von Undine Kurth zulassen.
Ja, herzlich gerne.
Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob ich Sie eben
richtig verstanden habe, dass Sie der Meinung sind, dass
die EU mit umweltpolitischen Vorgaben darauf abzielt,
den Standort Deutschland zu schädigen.
Ich habe gerade gesagt, dass ich mich an manchen
Stellen des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier
auch Industriepolitik betrieben wird. Speziell bezogen
auf die Franzosen sage ich, dass ich ihnen das unterstelle.
Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass wir hier in
Deutschland unseren Energiemarkt liberalisieren und
den Unternehmen - vom Stadtwerk bis hin zum Großkonzern - Daumenschrauben anlegen, während es in
Frankreich ganz selbstverständlich ist, dass ein großer
staatlich geführter Energiekonzern zum Schluss auch
noch die Chemieunternehmen mit billigem Strom subventioniert. Liebe Frau Kollegin, darüber darf man im
nationalen Interesse doch auch einmal reden.
({0})
Es ist natürlich auch spannend, dass man im Bereich
der Automobilindustrie insbesondere die belastet, die die
Premiummodelle dieser Welt produzieren. Wir wollen
diese großen Autos ja weiterhin, aber mit anderen Standards. Sie wollen einen Verzichtsumweltschutz. Wir haben das heute ja an verschiedenen Stellen gehört. Frau
Lührmann hat gesagt, dass nur noch die Reichen bzw.
Wohlhabenden fliegen sollen, während sich die anderen
das nicht mehr leisten können sollen, weil das so stark
verteuert wird.
({1})
Liebe Kollegin, Sie wollen einen Verzichtsumweltschutz. Wir von der Union wollen einen Hightech-Umweltschutz, mit dem wir dieses Land und uns alle technisch voranbringen und dafür Sorge tragen,
({2})
dass auch Umweltschutz Spaß macht, sodass wir am
Ende die Ideenschmiede der Welt sind,
({3})
Schlüsseltechnologien anbieten und dafür Sorge tragen,
dass gesagt wird: Mit der Ökologie erzielt man auch eine
Rendite in diesem Land.
Das ist unser Anliegen. Vielleicht überdenken Sie einmal Ihre Position, weil sie demnächst niemand mehr hören will.
Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({4})
Damit sind wir am Ende der Debatte über diesen Einzelplan.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30.
Als Erste spricht die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Die Bildungsrepublik und
der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland
lassen sich nicht voneinander trennen. Sie sind die Quellen des künftigen Wohlstands. Wer in Zukunft exzellente
Forschung will, der muss heute für exzellente Bildung
Sorge tragen.
Diese Bundesregierung macht mit dem Aufstieg
durch Bildung und mit der Modernisierung und Internationalisierung des Wissenschaftssystems Ernst. Das
ist eine Leistung der Großen Koalition und der sie tragenden Fraktionen. Dafür steht auch der Haushalt 2009,
mit dem wir erstmals die Grenze von 10 Milliarden Euro
überschreiten.
Zugleich ist klar: Geld ist nicht alles. Entscheidend
sind die richtigen Strategien und die Zusammenarbeit aller Akteure im Bildungs- und Wissenschaftssystem. Dafür stehen der Bildungsgipfel und exemplarisch auch die
Impulse, die wir mit diesem Haushalt verbinden.
Ich will zwölf solcher Impulse auswählen, die für
diese beiden großen Bereiche - Aufstieg durch Bildung
einerseits und Modernisierung und Internationalisierung
des Wissenschaftssystems andererseits - stehen.
Wir fördern die innovativen Wege zur Stärkung der
frühkindlichen Bildung wie die bessere Verbindung
von Grundschulen und Kindertagesstätten in den Bildungshäusern, die Erzieherinnenausbildung und das
„Haus der kleinen Forscher“.
Wir bauen die Ganztagesschulen aus - es sind mittlerweile 7 000 - und kümmern uns in nahezu allen Ländern mit den Serviceagenturen um die Qualität der Pädagogik in den Schulen.
Im Jahr 2008 wird die Zahl der Ausbildungsplätze so
hoch sein, wie es seit der Wiedervereinigung vor
20 Jahren nicht mehr der Fall gewesen ist.
({0})
Wir haben Aufstiegsstipendien für Begabte in der
beruflichen Bildung eingerichtet und machen ernst mit
der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher
Bildung. Wir öffnen die Hochschulen für beruflich Qualifizierte. Das ist ein Thema für den Bildungsgipfel, was
die Maßnahmen der Länder angeht, aber dazu werden
auch die Maßnahmen des Bundes in Richtung einer offenen Hochschule kommen.
Zusammen mit den Ländern werden wir Maßnahmen
vereinbaren, die jedem Jugendlichen die Chance auf einen Schulabschluss bieten, weil niemand verloren gehen darf und der Schulabschluss die Eintrittskarte für
eine qualifizierte Ausbildung ist. Wir verbessern das
Meister-BAföG, indem wir den Kreis derer erweitern,
die anspruchsberechtigt sind.
Die Zahl der Studienanfänger steigt seit dem Wintersemester 2007/2008 wieder, erfreulicherweise vor allem
in den Natur- und Technikwissenschaften. Wir haben das
BAföG erhöht: den Förderbetrag um 10 Prozent und die
Freigrenze um 8 Prozent.
Wir fördern „Lernende Regionen“ in Deutschland
und damit die Zusammenarbeit aller Institutionen im
Bildungssystem mit Blick auf ihren Beitrag zu einer lebenslangen Bildungsbiografie. Das ist die Voraussetzung, damit wir das Ziel einer deutlich höheren Teilhabe
an der Weiterbildung erreichen.
Mit der Exzellenzinitiative, dem Pakt für Forschung
und Innovation und dem Hochschulpakt stärken wir das
Wissenschaftssystem und fördern strukturelle Modernisierung, zum Beispiel durch die Gründung des Karlsruher Instituts für Technologie und andere Bündelung von
Kräften im Wissenschaftssystem. Wir fördern Spitzencluster in Deutschland, die das Potenzial haben, in die
internationale Liga aufzusteigen. Ich weise ausdrücklich
darauf hin, dass zwei der fünf Gewinner der ersten
Runde im Spitzencluster-Wettbewerb aus den neuen
Ländern kommen. Das ist ein großer Erfolg auch für die
wahre Innovationskraft in den neuen Ländern.
({1})
Die Bundesregierung hält an der Lissabon-Strategie
fest. Das ist in den Reden des Finanzministers und der
Bundeskanzlerin deutlich geworden. Wir investieren
3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und
Entwicklung. Der Bundesanteil wird im vorliegenden
Haushalt bei 2,8 Prozent liegen. Wir wissen aber auch,
dass die Erreichung des 3-Prozent-Ziels nicht allein Sache des Bundes ist. Auch die Länder und Unternehmen
in Deutschland müssen ihren Beitrag leisten. Bislang reichen die Bemühungen beider nicht aus.
({2})
Deshalb sage ich an die Adresse beider ganz klar,
dass es ein gemeinsames, nationales Ziel ist, zu dessen
Erreichung bei beiden Partnern zugelegt werden muss.
Zugleich stelle ich aber auch fest, dass wir mit unseren
erheblichen Investitionen in dieser Legislaturperiode zur
Spitzengruppe in Europa gehören. Deutschland steht mit
seiner F-und-E-Quote an dritter Position hinter Schweden mit 3,82 Prozent und Finnland mit 3,45 Prozent. In
absoluten Zahlen steht Deutschland mit 58,8 Milliarden
Euro - bereits in 2006 - an erster Stelle in Europa, gefolgt von Frankreich mit 38 Milliarden Euro und Großbritannien mit 32 Milliarden Euro. Das sollten wir
selbstbewusst zur Kenntnis nehmen. In dieser Legislaturperiode ist in der Großen Koalition viel erreicht worden, was zusätzliche Investitionen angeht.
({3})
Unsere internationalen Wissenschaftskooperationen nehmen zu. Wir sind gefragte Partner. Das hat nicht
zuletzt mit der exzellenten Arbeit unserer Forscherinnen
und Forscher zu tun. Klar ist: Die Dynamik im internationalen Wettbewerb ist enorm. Deshalb weise ich immer wieder darauf hin, dass wir bereits einen Teil des
Weges zurückgelegt haben. Weitere Teile liegen noch
vor uns. Das heißt, dass Deutschland noch attraktiver für
junge Talente aus aller Welt werden muss.
({4})
Deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung bessere Regelungen für die Zuwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte beschlossen hat. Wir wollen, dass
Deutschland für Talente aus aller Welt attraktiver wird
und dass diejenigen, die aus Deutschland weggegangen
sind, um an internationalen Forschungsinstituten zu arbeiten, den Weg zurück finden. Sie sollen spüren, dass
sich etwas bewegt, dass es attraktive Möglichkeiten auch
in Deutschland gibt. Allein im Kontext von Exzellenzinitiative und Hochschulpakt werden 10 000 Stellen für
Wissenschaftler entstehen.
Wer nach den Prioritäten bei den Forschungsthemen
fragt, dem antworte ich - ich bin fest davon überzeugt -:
Die Prioritäten werden in der nächsten Dekade bei EnerBundesministerin Dr. Annette Schavan
gie und Klimaschutz einerseits und Gesundheit und Ernährung andererseits liegen. Hier legen wir zu, auch
konzeptionell. Es geht um neue Strukturen. Dazu zähle
ich die Gründung eines Institute for Advanced Studies
für Klimaforschung in Potsdam sowie die Errichtung nationaler Kompetenzzentren gegen Demenz in Bonn und
gegen Diabetes in München. Ich werde die Leopoldina
beauftragen, uns bis zum Frühjahr ein nationales, integriertes Energieforschungskonzept vorzulegen. Wir
brauchen eine nationale Strategie der Energieforschung,
und zwar ressort- und institutionsübergreifend. Mit der
Bündelung der Kräfte können wir unseren Beitrag zur
internationalen Forschungsagenda leisten.
Kleine und mittlere Unternehmen sprechen wir mit
„KMU-innovativ“ an. Den vom Haushaltsausschuss bis
2009 geforderten Anstieg in Höhe von 25 Prozent bei
der Projektförderung werden wir voraussichtlich schon
zum Ende dieses Jahres erreichen. Die Hightech-Strategie für Deutschland ist international anerkannt. Sie
macht Wissenschaft und Wirtschaft zu natürlichen Partnern im Prozess der Innovation. Die ersten Innovationsallianzen sind geschlossen. Weitere werden folgen. Ich
bin davon überzeugt: Darin steckt auch ein wichtiges
wirtschaftspolitisches Potenzial.
Die Wirkung der Forschungsprämie stellt sich bislang
nicht wie gewünscht ein. Wir müssen über die Weiterentwicklung von Anreizsystemen sprechen. Das hat
auch mit der Ausgestaltung der Forschungsprämie im
Kontext von Auflagen der EU zu tun. Unsere Aufgabe
wird sein, darüber nachzudenken, wie das Anreizsystem
besser gestaltet werden kann.
({5})
Im internationalen Wettbewerb werden unsere Unternehmen in dem Maße erfolgreich sein können, in dem
sie innovativ sind. Dazu kann der Staat seinen Beitrag
leisten, und das tun wir. Dazu muss aber auch der Beitrag der Länder und der Unternehmen deutlich verbessert werden. Ansonsten ist das 3-Prozent-Ziel nicht zu
erreichen.
({6})
Bildung und Wissenschaft gehören in die Mitte der Politik und in die Mitte der Gesellschaft. Nur dann, wenn
wir heute die Weichen richtig stellen, wird der Aufstieg
durch Bildung gelingen und das Wissenschaftssystem
internationalen Ansprüchen genügen.
Es gehört zu den Leistungen der Großen Koalition, in
einem überwältigenden Konsens wichtige Weichen gestellt zu haben. Dafür danke ich den Kolleginnen und
Kollegen in den Fraktionen und in der Bundesregierung;
denn vieles von dem, was wir tun, geht nur, weil wir es
gemeinsam tun.
Vielen Dank.
({7})
Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin
Ulrike Flach.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Etat des Bundesforschungsministeriums hat in den
letzten Jahren - genauso wie in diesem Jahr - erhebliche
Steigerungen erfahren.
({0})
Das sind seit 2005 immerhin 33 Prozent mehr. Frau
Schavan, ich sage Ihnen für die FDP: Das ist eine beachtliche Leistung.
({1})
Ich will an dieser Stelle aber auch etwas anderes deutlich sagen: Wir begrüßen zwar diese Entwicklung und
begleiten sie natürlich haushalterisch. Aber wir sind
mehr als skeptisch, ob Sie - das klang schon in Ihrer
Rede an - das 3-Prozent-Ziel mit den bisher erkennbaren Anstrengungen erreichen werden. Der Finanzminister hat uns erklärt, er gehe davon aus, dass das BIP 2009
um ungefähr 1 bis 1,2 Prozent steige. Das hieße im
Klartext, dass allein Sie als Bund milliardenschwere zusätzliche Investitionen leisten müssten. Von den Ländern
und der Wirtschaft will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Sie als Große Koalition haben die Schlacht um das
3-Prozent-Ziel bereits verloren.
({2})
Vor diesem Hintergrund ist die Unverfänglichkeit des
Haushaltsentwurfes übrigens kein Wunder. Es ist zwar
ein Haushalt der höheren Ansätze, aber leider auch ein
Haushalt vieler guter Vorsätze. Frau Ministerin, die großen Fragen Ihres Bereiches bleiben unbeantwortet. Ich
als Parlamentarierin finde es mehr als unbefriedigend,
dass Sie die Klärung dieser Fragen auf einen außerparlamentarischen Gipfel verschieben. Die „Gipfelei“ der
Großen Koalition führt dazu, dass wir an einer Stelle, wo
es nötig wäre, keine Entscheidung mithilfe des Königsrechts des Parlaments, des Haushaltsrechts, treffen können.
({3})
- Ja, das ist der Gipfel, Herr Tauss.
Sie reden zum Beispiel davon, dass der Hochschulpakt 2020 fortgeführt werden muss. Das ist richtig. Aber
es ist an keiner Stelle zu erkennen, in welchem Ausmaße
Bund und Länder sich engagieren werden. Im kommenden Jahrzehnt rechnen wir mit ungefähr 270 000 zusätzlichen Studenten. Soll jedem ein Studienplatz zur
Verfügung gestellt werden, ist mit Kosten von rund
6 Milliarden Euro - das sind 3 Milliarden Euro für den
Bund - zu rechnen. Da haben Sie noch keinen einzigen
Cent für die Lehre ausgegeben. Dieser Haushalt ver18820
bleibt im Ungefähren und gibt die großen Probleme, die
auf uns zukommen, überhaupt nicht wieder.
({4})
Das Gleiche gilt für die Exzellenzinitiative. Natürlich ist der gute Wille da. Aber Sie beantworten überhaupt nicht die Frage, die überall im Lande diskutiert
wird. Ich meine den Wunsch der Länder, zum alten
Gießkannenprinzip zurückzukehren. Dazu erwarte ich
von Ihnen ein klares Wort. Exzellenzförderung darf nach
nur einer Periode nicht in die alte Unsitte zurückverfallen, dass jedem Landesminister, der die Hand hebt, nachgegeben wird, wie wir es vor ein paar Monaten mit einem zusätzlichen Programm von Ihnen schon erlebt
haben.
Ich erwarte auch, dass man den Fachhochschulen
eine Chance gibt. Es gibt dafür einen Haushaltsposten,
der bis zum heutigen Tage gerade einmal zu 33 Prozent
abgeflossen ist. Wir wollen eine Exzellenzinitiative für
die Fachhochschulen.
({5})
Das ist etwas, womit wir den Fachhochschulen helfen
können. Genau das erwarten wir von Ihnen.
Ein weiterer Punkt, der sich in diesem Haushalt nicht
widerspiegelt, ist der Pakt für Forschung zwischen
Bund, Ländern und den Forschungsorganisationen. Außerdem habe ich erwartet, dass Sie heute etwas zur Nullrunde für die Forscher sagen. Es gibt, wie bei jedem
Bürger in diesem Land, wachsende Energiekosten,
Preissteigerungen und eine Inflation von über 3 Prozent.
Das heißt für die Forscher, dass sie trotz einer Etatsteigerung von 3 Prozent in diesem Jahr nichts auf dem Tisch
haben.
({6})
Ich erwarte, dass die Bundesregierung darauf eine Antwort gibt und nicht nur auf die GWK verweist, die sagt,
dass vielleicht irgendwann einmal 5 Prozent mehr ausgeben werden sollen; das ist keine Aussage. Das mag vielleicht auf einer „Gipfelei“ zu irgendwelchen Ergebnissen führen. Es spiegelt sich aber nicht in dem Etat wider,
den wir heute besprechen.
Frau Schavan, ich finde es schon witzig, wie Sie in
den letzten Wochen in die Rolle Ihrer Vorgängerin geschlüpft sind, zur Bildungsministerin der Nation werden
({7})
und plötzlich das Ganztagsschulprogramm, das wir
übrigens schon immer gut gefunden haben, als etwas
Tolles betrachten.
({8})
Ich erinnere mich aber noch daran, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU aus dem Ausschuss
ausgezogen sind, weil sie das Ganztagsschulprogramm
nicht wollten. Das ist eine erstaunliche Entwicklung.
({9})
Vielleicht bewirkt die Koalition doch etwas.
Sehr übel nehme ich Ihnen, Frau Schavan, dass Sie es
bisher nicht geschafft haben, den Eifer von Herrn Scholz
in Grenzen zu halten. 170 Millionen Euro wird die Beitragszahler in diesem Lande der Spaß mit dem angeblichen Recht auf einen Hauptschulabschluss kosten. Sie
als christdemokratische Bildungsministerin haben die
Pflicht, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht umgesetzt
wird. Unsere Bürger werden bereits genug belastet. Dafür dürfen sie nicht zusätzlich belastet werden.
({10})
Jetzt hat Christel Humme das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der Einzelplan 30 ist Ausdruck eines Gesamtkonzeptes, das wir finanzpolitisch verfolgen, nämlich einen Haushalt für die
nachfolgenden Generationen aufzustellen. Auf der einen
Seite wollen wir für die nachfolgenden Generationen
konsolidieren - der Gesamthaushalt wächst um
1,8 Prozent -, auf der anderen Seite möchten wir den
nachfolgenden Generationen Zukunftschancen bieten.
Von daher freuen wir uns, dass der Einzelplan 30 um
7,8 Prozent wächst auf 10 Milliarden Euro. Das ist in der
Tat ein Rekordhaushalt.
({0})
Bildung und Forschung sind für die Teilhabe und
Aufstiegschancen, für mehr Innovation - Frau Flach, das
ist richtig -, aber auch für mehr soziale Gerechtigkeit
zwei der wichtigsten Politikfelder überhaupt. Dafür ist
jeder Euro, den wir hier investieren, genau richtig investiert. Es ist gut investiertes Geld, wenn die Forschungsausgaben, Frau Flach, um 450 Millionen Euro steigen.
Ich finde Ihre Kritik an dieser Stelle vollkommen verfehlt; denn der Bund hat in dieser Legislaturperiode
7 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung ausgegeben.
({1})
- Man kann immer sagen, das reicht nicht. Aber wenn
sich die Länder und die Wirtschaft so wie der Bund
engagieren würden, dann kämen wir dem 3-Prozent-Ziel
schon wesentlich näher.
({2})
Es ist gut investiertes Geld, wenn wir den Aufstieg
durch Bildung organisieren und die Weiterbildung stärken. Wir haben - das haben wir gerade gehört - das Programm für die Aufstiegsstipendien verabschiedet, die
Bildungsprämie eingeführt, und wir werden das MeisterBAföG reformieren. Dabei wollen wir stärker die Eltern
fördern, die finanzielle Ausstattung verbessern und vor
allen Dingen Menschen mit Migrationshintergrund einbeziehen. Wichtig ist uns, dass wir Zukunftsfragen beChristel Humme
antworten, indem wir Altenpflegerinnen und Altenpfleger sowie Erzieherinnen und Erzieher in die
Aufstiegsförderung einbeziehen und dadurch besser fördern.
({3})
Ich danke dem Finanzminister, dass er auch dafür bereits
jetzt das Geld zur Verfügung gestellt hat.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir Abgeordnete
sind regelmäßig in unseren Wahlkreisen unterwegs. Wir
sind quasi täglich auf Bildungsreise.
({4})
- Ja, schon seit ganz vielen Jahren, das ist richtig. - Wir
sind in Unternehmen, Schulen, Kindergärten, Universitäten und Fußgängerzonen unterwegs. Bei diesen vielen
Gesprächen stelle ich immer wieder fest: Das Thema
Bildung berührt die Menschen ganz unmittelbar und
brennt ihnen auf den Nägeln. Dabei interessiert es die
Menschen nicht, welche Ebene im föderalen Staatswesen für welche Frage zuständig ist. Die Menschen
verstehen die Zuständigkeitsdebatte überhaupt nicht. Sie
wollen Lösungen. Frau Flach, Sie haben gerade ein gutes
Beispiel dafür gebracht. Sie nutzen es aus, dass die Menschen das System nicht verstehen und den Schuldigen an
der falschen Stelle suchen.
({5})
Die Menschen sehen, dass Kinder aus den oberen sozialen Schichten vier- bis fünfmal häufiger zum Gymnasium gehen. Sie sehen, dass 40 Prozent der Migranten
keinen Berufsabschluss haben. Sie sehen, dass die Hälfte
der Hauptschüler nach einem Jahr noch immer keinen
Ausbildungsplatz hat. Sie sehen weiterhin, dass Kinder
aus Akademikerfamilien zu 83 Prozent und Kinder aus
Nichtakademikerfamilien zu 23 Prozent studieren. Diese
Liste der fehlenden Chancen könnte ich noch erweitern.
({6})
Uns geht es darum, die Chancen zu verbessern und die
Ungleichheiten zu beseitigen. Ich stelle dabei mit großer
Zufriedenheit fest, dass sich das Bewusstsein vieler Verantwortlicher an dieser Stelle geändert hat.
Erstes Beispiel: Ich erinnere an die kontroverse Debatte von vor einem Jahr über die frühkindliche Bildung.
Heute stellt keiner mehr infrage, dass wir mehr Kitaplätze für die frühe Bildung brauchen. Das ist die Überzeugungsarbeit der SPD.
({7})
Das Gleiche - zweites Beispiel - gilt für die Schulpolitik. Ich weiß - daran erinnere ich mich noch ganz deutlich -, dass die Durchsetzung des Ganztagsschulprogramms unter Rot-Grün mit einer Mittelausstattung von
4 Milliarden Euro - darauf sind wir sehr stolz - ein regelrechter Kampf war.
({8})
Ich freue mich, dass auch Sie, Frau Ministerin, öffentlich
darüber nachdenken - so konnte man es lesen -, dieses
Ganztagsschulprogramm auch 2010 weiterzuführen. Ich
glaube, richtige Konzepte setzen sich in der Tat durch.
({9})
Das dritte Beispiel ist der Hochschulpakt II. Was gab
es für Debatten! Darf der Bund dafür sorgen, dass die
Zahl der Studienplätze steigt? Ja, er darf. Heute gibt es
darüber einen Konsens, und die Debatte von vor zwei
Jahren ist vergessen.
({10})
Alles in allem denke ich: Wenn, was hier vor zwei Tagen auch zum Ausdruck kam, das Bewusstsein einer Gesamtverantwortung für Bildung schon vor drei Jahren
vorhanden gewesen wäre, vor allen Dingen auf Unionsseite, dann, so glaube ich, hätte die Föderalismusreform I etwas anders ausgesehen.
({11})
Darum, Frau Schavan, teile ich Ihre Auffassung, dass
der Bildungsgipfel Zeichen setzen muss. Ich denke, es
ist richtig, dass föderale Zuständigkeit sicherlich nicht
ein Vorwand für Untätigkeit sein kann. Vielmehr müssen
Bund und Länder gemeinsame Ziele formulieren. Es
muss konkrete Vereinbarungen mit den Ländern für
mehr Investitionen in Bildung, für mehr Ganztagsschulen, für mehr Studienplätze und größere Anstrengungen
für mehr Durchlässigkeit, was ich ganz wichtig finde,
geben. Der Hochschulzugang sollte bundesweit gleich
organisiert sein, auch der ohne Abitur. Letztlich gehört
dazu auch die zweite Chance.
({12})
Frau Flach, da teile ich Ihre Auffassung überhaupt nicht.
({13})
- Nein, das ist schon die richtige Stelle, hören Sie nur zu.
Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Woher wissen Sie,
was ich sagen will?
({14})
Ich teile Ihre Auffassung gar nicht, dass das Nachholen
des Hauptschulabschlusses nicht der richtige Weg ist.
Ich glaube, wir dürfen keinen jungen Menschen alleine
lassen oder zurücklassen. Jeder muss die Chance auf
eine Grundausbildung und einen Grundabschluss haben.
Dafür sorgen wir auch bundesweit. Ich hoffe, dass die
Union ihre Blockadehaltung in dieser Frage aufgibt und
wir einen Schritt weiterkommen.
({15})
Frau Kollegin Humme, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Flach zulassen?
Ich hätte jetzt meinen letzten Satz gesagt. - Bitte
schön, Frau Flach.
Danke schön, Frau Kollegin. - Ich wollte Sie fragen,
ob Ihnen klar ist, dass wir als FDP natürlich nicht dagegen sind, dass Menschen einen Hauptschulabschluss
nachholen,
({0})
sondern dass wir dezidiert dagegen sind, dass der Beitragszahler über die Arbeitslosenversicherung zusätzlich
belastet wird, weil wir nicht glauben und uns das in Diskussionen im Haushaltsausschuss auch von der BA bestätigt wurde, dass die Bundesagentur die richtige Organisation ist, um den Menschen zu helfen, denen wir alle
helfen wollen.
Frau Flach, welche Antwort geben Sie denn aus Bundessicht den Jugendlichen? Sie wissen, dass Jahr für Jahr
80 000 junge Menschen in den Ländern keinen Hauptschulabschluss erreichen.
({0})
Wo landen die denn? Die landen in Weiterbildungsmaßnahmen und Eingliederungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Warum sollte die Bundesagentur für
Arbeit nicht die Grundausbildung vermitteln, damit die
jungen Menschen eine Chance in der Zukunft haben?
Die Antwort auf diese Frage bleiben Sie mir schuldig.
Wir sind der Meinung, wir müssen an dieser Stelle unbedingt handeln, um zukünftige Kosten für die BA zu vermeiden.
({1})
Mein Schlusssatz bleibt aus. Ich sage für die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen: Für uns bleibt
Aufstieg durch Bildung ein zentrales Leitmotiv. Wir haben da die Verantwortung für eine 145-jährige Tradition.
({2})
Es spricht jetzt Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Danke. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Humme, es ist genau richtig: Tatsächlich wird
in den Wahlkreisen sehr viel über Bildung geredet, und
die Leute sind extrem unzufrieden mit dem Bildungssystem in diesem Land. Tatsächlich haben viele Angst, dass
ihre Kinder nicht die bestmögliche Bildung erhalten. Genau das bestätigen Studien der OECD und die PISA-Studien. Die letzte Studie der OECD ist ganz neu, die PISAStudie schon einige Jahre alt. Das heißt, wir reden hier
über eine Entwicklung mit einer längeren Vorgeschichte.
Aus diesen Studien wie aus vielen Gesprächen geht ganz
klar hervor, dass eben keine Chancengleichheit für
Kinder in diesem Land besteht, dass soziale Auslese in
Schule und Hochschule stattfindet und bis in den Beruf
hineinreicht. Das ist ein unhaltbarer Zustand.
({0})
Deshalb sind natürlich die Erwartungen an die Politik
enorm. Was Sie jedoch in Ihrer Regierungszeit gegen genau diese Missstände unternommen haben, entspricht
nicht den Erwartungen und Erfordernissen. Wir reden
hier nicht über Hochglanzprogramme. Da hilft auch die
Bildungstour der Bundeskanzlerin nicht. Das ist doch alles nur Stückwerk.
Ich weiß schon, dass jetzt wieder einige im Geiste an
der Startlinie stehen und sagen: Bildung ist doch Sache
der Länder und nicht des Bundes. Darauf entgegne ich
Ihnen:
Erstens: Warum geht denn die Bundeskanzlerin
höchstpersönlich in Kindertagesstätten und Schulen?
Dagegen ist nichts zu sagen. Da kann sie nur lernen.
Fraglich ist nur, welche Einrichtungen sie besucht. Das
ist sehr interessant. Schauen Sie es sich einmal an. Wir
haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt.
Zweitens. Genau dieses Problem, die kleinstaatliche
Bildungswursterei, ist doch die Ursache für diese Entwicklung.
({1})
Für die Linke besteht Bildungspolitik in gesamtstaatlicher Verantwortung. Diese Politik muss endlich aus einem Guss gemacht werden. Es muss egal sein, ob man
auf Rügen oder in Bayern wohnt.
({2})
Wer wirklich Bildung für alle will, wer moderne Bildung will, der muss an dieser Stelle eben auch einen Politikwechsel vertreten. Kinderbetreuung, Bildung und
Forschung müssen endlich in Gänze ausreichend finanziert und qualifiziert werden. Ihre Initiativen sind eigentlich - Sie geben es auch selber zu - nichts als halbherzige Kompromisse, die Sie mit den Ländern schließen
müssen, weil Sie sich die wesentlichen Entscheidungskompetenzen in der Föderalismusreform haben aus der
Hand schlagen lassen.
({3})
Dem hat die FDP übrigens zugestimmt.
Deshalb hat sich die Linke bei der Fortsetzung der
Föderalismusreform für einen nationalen Bildungspakt
ausgesprochen.
({4})
- Das wäre ja ganz neu. Okay, ich schlage nach. Verhaken wir uns jetzt nicht an diesem Punkt.
({5})
Es geht hier nicht - das ist allerdings festzustellen um Hoheitsrechte von Bildungsministern, sondern um
Bildungsrechte von Kindern und Jugendlichen.
({6})
Frau Humme, Sie haben ein Beispiel gebracht, das ich
jetzt wirklich als selektive Wahrnehmung bezeichnen
will. Das Gezerre um die Verbesserung der Tagesbetreuung ist bezeichnend. So kommen aktuell auf
100 Kinder im Westen 3,4 Krippenplätze; im Osten sind
es 34,8. Dazu sagte eine zuständige CDU-Ministerin:
Das muss sich ändern; wir brauchen mehr Platzangebote
im Westen. - Das sagen viele im Land. Sehr gut, das soll
man machen. Aber was passiert? Diese CDU-Ministerin
scheitert fast an den eigenen Parteifreunden, und der sozialdemokratische Finanzminister boykottiert diese Entwicklung über weite Strecken.
({7})
Das ist absurdes Theater. Umgekehrt wird ein Schuh
daraus.
({8})
Wir sagen: Betreuung und Bildung müssen den ganzen Tag angeboten werden. Sie müssen als Rechtsanspruch der Kinder ausgestaltet werden - unabhängig von
deren sozialer Situation -, und sie müssen schrittweise
gebührenfrei werden. Dieser Anspruch darf nicht, wie es
beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt passiert, eingeschränkt werden, nur weil die Eltern arbeitslos sind.
Wer Chancengleichheit für Kinder will, muss auch
das Schulwesen modernisieren, ganz klar. Gemeinschaftsschulen als Schule für alle sind jetzt wieder in aller Munde. Wir unterstützen das ebenso. Diese Schule
soll bis zum mittleren Abschluss führen.
({9})
Lernen und Lehren sollen so gestaltet werden, dass individuelle Förderung den jeweiligen Begabungen der Kinder entspricht. Warum soll in diesem Land nicht möglich
sein, was in anderen Ländern längst praktiziert wird?
({10})
Ebenso dramatisch ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt; Sie haben es schon angedeutet. 400 000
Jugendliche hängen in einer Warteschleife. Das heißt, sie
beginnen ihr Leben auf einem Abstellgleis. Man muss
sich einmal vorstellen, was das für ein Lebensgefühl ist.
Deshalb brauchen wir an dieser Stelle einen scharfen
Schnitt. Das Recht auf Bildung muss schlicht und ergreifend erweitert werden. Deswegen unterstützen wir die
Petition, die ein Grundrecht auf Ausbildung zum Ziel
hat. Das ist im Übrigen eine bayerische Maßnahme. Entsprechendes steht in der bayerischen Verfassung. Ich
sage einmal: An dieser Stelle können wir durchaus etwas
von Bayern lernen. Machen Sie auch gleich den zweiten
Schritt: Erheben Sie eine Ausbildungsplatzumlage!
Dann können Sie sich auch die finanzielle Basis dafür sichern.
({11})
Zum Hochschulpakt, der ursprünglich zusätzliche
Studienplätze bringen sollte, bleibt nur zu sagen: Die
Zahl der Studierenden eines Jahrgangs in der Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor weit unter europäischem Durchschnitt. Dieser liegt bei knapp 50 Prozent.
In Deutschland sind es etwas über 30 Prozent. Wer vor
diesem Hintergrund immer noch über die Erhebung von
Studiengebühren spricht, dem kann ich nur sagen: Ihnen
hilft wahrscheinlich nicht einmal mehr Bildung.
({12})
Dennoch muss man ganz klar feststellen: Die Situation für Lehrende und Forschende an diesen Einrichtungen ist zum Teil unhaltbar. Unlängst habe ich mich richtig darüber aufgeregt. Da stand ein Interview mit dem
Prorektor der Uni Leipzig in der Zeitung. Er hat darin
gesagt: Es mangelt gar nicht an jungen Wissenschaftlern,
nur sind die Stellen immer befristet. Deshalb ist sozusagen ein permanenter Wechsel der jungen Nachwuchswissenschaftler zu konstatieren. - Er sagte weiter, das
sei schon ein soziales Problem.
Es ist üblich geworden, an Hochschulen auf halben
Stellen 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Es ist
üblich geworden, dass, wie an der Uni Leipzig, Nachwuchswissenschaftler, also Personen mit erfolgreich abgeschlossenem Hochschulstudium, auf einer Hilfsassistenten- bzw. Hilfskraftstelle arbeiten, die eigentlich für
Studenten sein soll - und das für 660 Euro im Monat.
Das ist unhaltbar.
({13})
Die gleichen Rektoren und Prorektoren sagen: „Wir
wollen Spielräume für Verhandlungen mit Spitzenwissenschaftlern im Ausland; wir wollen die besten Köpfe
nach Deutschland ziehen“ - als ob wir in Deutschland
keine hätten! - und wollen dafür das Tarifrecht preisgeben.
({14})
- Ach Gott, Herr Tauss, „Nationalistin“! Bleiben Sie
doch mal auf dem Teppich!
({15})
Die besten Köpfe will man also anziehen, indem man
das Tarifrecht bricht. Das heißt, die sozialen und beruflichen Perspektiven von Nachwuchswissenschaftlern, die
sich an der eigenen Universität oder Hochschule entwickelt haben, werden preisgegeben. Was kommt dabei
heraus? Am Ende wandern genau die ab, und Sie versu18824
chen ein paar Jahre später, diese mit Spitzengehältern
wieder zurückzuholen. Das ist doch abstrus.
({16})
Wir sagen: Wer Leistungskriterien erfüllt, muss an
den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland
auch klare Perspektiven bekommen. Soziale und familiäre Planungen des wissenschaftlichen Nachwuchses,
insbesondere von Frauen, müssen verlässlich werden.
Ich sage Ihnen: Die Milliarden für die wunderschönen
Hochglanzprogramme, über die Sie vorhin gesprochen
haben, drohen zu verpuffen, wenn die Fachkräfte fehlen.
In Ostdeutschland ist das heute schon Alltag.
In diesem Land leben immer mehr qualifizierte
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Freiberufler
und Selbstständige von Peanuts - ich benutze diesen Begriff bewusst -, insbesondere im kreativen Bereich. Gemeint sind Informatik und Kommunikation, beispielsweise die Computerspielbranche und dergleichen. In
Hamburg arbeiten 21 Prozent aus dieser Branche zu einem Jahresgehalt von unter 10 000 Euro. Das heißt:
Lange Arbeitszeiten, hoher Stress, mangelnde Aufstiegschancen, fehlende Absicherung für Zeiten der Krankheit
und der Rente sowie unsichere Jobs sind für diese Bereiche typisch geworden - auch unter den Bedingungen der
schönen Programme, von denen Sie gesprochen haben.
Das Neue an dieser Entwicklung ist - darauf muss
man aufmerksam machen -: Bildung schützt in diesem
Land gar nicht mehr vor Armut. Ist das nicht ein Argument mehr dafür, dass man in diesem Land flächendeckend Mindestlöhne gesetzlich einführen sollte?
({17})
Das Fazit der Linken will ich in folgenden Forderungen an den Bildungsgipfel der Bundesregierung ausdrücken:
Erstens. Bildung muss eine gemeinsame Aufgabe von
Bund und Ländern werden.
({18})
Wir brauchen einen nationalen Bildungspakt.
({19})
Sie müssen zum Ende kommen, bitte.
Ich bin sofort fertig.
Zweitens. Bildung muss gebührenfrei werden - von
der Kindertagesstätte bis zur Weiterbildung.
({0})
Drittens. Das gegliederte Schulsystem ist abzuschaffen - als erster entscheidender Schritt hin zu Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen in diesem
Land.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({1})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Krista Sager das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Merkel hat gestern gesagt: Die Bildungsrepublik ist der
beste Sozialstaat. - Wenn das stimmt, dann muss ich sagen: Es ist um beides in Deutschland aber nicht sonderlich gut bestellt. Fachkräftemangel und Bildungsarmut
sind bei uns längst zwei Seiten der gleichen Medaille.
Tatsache ist: Die Merkel’sche Bildungsrepublik ist
weder auf den demografischen Wandel noch auf den globalen Wettbewerb sonderlich gut vorbereitet.
({0})
8 Prozent eines Jahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss. Von den 15-Jährigen sind 20 Prozent funktionale Analphabeten. Von den Hauptschulabgängern haben über die Hälfte ein Jahr nach Schulende noch immer
keinen Ausbildungsplatz. Das Merkel’sche „glaubwürdige Wohlstandsversprechen“, das Versprechen „Aufstieg durch Bildung“, gilt für diese jungen Menschen in
diesem Lande nicht. Das wollen wir einmal festhalten.
Bei der Startchancengerechtigkeit ist Deutschland ein
Entwicklungsland. Das darf nicht so bleiben.
({1})
Auch der letzte OECD-Bericht stellt Deutschland kein
gutes Zeugnis aus. Wir geben immer noch mit 5,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 1 Prozent weniger für
Bildung aus als der OECD-Durchschnitt; ich rede dabei
noch gar nicht von den Ländern, die bei den Bildungsausgaben an der Spitze stehen. Wir müssten jedes Jahr
23 Milliarden Euro mehr in die Hand nehmen, um überhaupt zum Durchschnitt aufzuschließen.
Der Anteil der Studienanfänger an einem Jahrgang ist
bei uns seit 2003 sogar zurückgegangen. Dagegen erhöhen die anderen schneller und auf höherem Niveau ihre
Absolventenzahlen. Das heißt, die Bildungsrepublik
hinkt im internationalen Vergleich hinterher. Dabei geht
es nicht nur um Geld, sondern auch um notwendige
Strukturreformen. Leider muss man feststellen: Die
Bundesbildungsministerin hinkt auch dabei mental hinterher.
({2})
Was erwarten die Leute denn vom Bildungsgipfel am
22. Oktober? Ich sage: Die Menschen erwarten Ergebnisse. Schauveranstaltungen oder Symbolveranstaltungen zur Bildung in diesem Land hat es genug gegeben.
({3})
Die Menschen wollen ein Signal, dass endlich etwas
passiert. Sie wollen ein Signal, dass dieses Land alle
Kinder braucht. Sie wollen ein Signal, dass es deswegen
auch gerechte Startchancen für alle Kinder geben wird.
Etikettieren und Aussortieren von 10-jährigen Kindern
muss der Vergangenheit angehören.
({4})
Eine Schulform, die keinen Einstieg in eine Berufsausbildung eröffnet, eine Schulform wie die Hauptschule, hat in diesem Land keine Zukunft mehr.
({5})
Der Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung
ab dem ersten Lebensjahr stellt einen Einstieg dar. Wir
brauchen aber auch eine Qualitätsoffensive. Sonst wird
nämlich aus dem Fördern nichts werden.
({6})
Zu diesen zentralen Fragen, Frau Schavan, habe ich
von Ihnen nie klare Worte gehört. Hier sind Sie immer
mit den Traditionalisten unter den Landespolitikern marschiert. Diese sind es aber auch, die jetzt schon wieder
den Bildungsgipfel zernörgeln. Frau Schavan, ich kann
nicht erkennen, welche Ergebnisse Sie selbst beim Bildungsgipfel erzielen wollen, außer dass Sie all das noch
einmal beschwören wollen, was sowieso schon stattfindet.
Frau Merkel hat gestern gesagt, den Menschen ist es
egal, wer in Bund, Ländern und Kommunen wofür zuständig ist. Sie wollen eine Bildungspolitik aus einem
Guss. Guten Morgen, Frau Merkel! Das ist aber eine
ziemlich späte Erkenntnis.
({7})
Die erste Großtat dieser Koalition war es doch, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Bund und
Ländern im Bildungsbereich möglichst weitgehend zu
zerschlagen. Sie haben die entsprechenden Instrumente
in der Verfassung nicht verbessert, sondern Sie haben sie
weitgehend kaputtgemacht.
({8})
Bildungsministerin Schavan ging dabei mit ihrer badenwürttembergischen Landesbrille voran bzw. dem Stoiber
hinterher und hat immer gegen den goldenen Zügel gewettert.
({9})
Das heißt, Sie haben sich von Anfang an bei den Hauptproblemen in unserem Bildungssystem zur Lame Duck
gemacht. Selbst die kleine Verfassungslücke, die die
Möglichkeit zu einem Ganztagsschulprogramm eröffnet
hätte, musste auf Ihre Initiative hin noch zugemauert
werden.
Was erleben wir jetzt? CSU-Politiker weihen in Bayern Schulkantinen festlich ein, die mit Bundesgeld finanziert worden sind, und eine Bundesministerin erzählt in
Zeitungen, dass das Ganztagsschulprogramm fortgesetzt werden soll. Bis 2020 sollen Ganztagsschulen der
Normalfall werden. Da reibt man sich doch die Augen.
Nun möchte ich aber auch einmal Antworten von Ihnen
hören: Erstens: Woher soll das Geld dafür kommen? Der
flächendeckende Ausbau, den wir sehr begrüßen, würde
bis 2020 58 Milliarden Euro kosten. Zweitens: Wie wollen Sie das an der Verfassung vorbei auf den Weg bringen? Sie sind da allerdings äußerst kreativ: Sondervermögen für Kinderbetreuung,
({10})
Umleitung von Geldern der Versicherten der Bundesanstalt in die Schulen, Bildungsstiftung usw.
Wir haben zwei ganz konkrete Vorschläge: Erstens.
Wandeln Sie den Solidaritätszuschlag in einen BildungsSoli um.
({11})
Bis 2019 werden aus dem Soli 55 Milliarden Euro frei.
Sorgen Sie dafür, dass diese Gelder nicht irgendwo im
Gesamthaushalt versickern, sondern zum großen Teil in
die Bildung fließen.
({12})
Sorgen Sie dafür, dass Ausgaben für eine öffentliche
Friedhofsmauer im Vergleich zu Investitionen für Lehrer
und Erzieher für unsere Kinder und Enkelkinder in Zukunft nicht mehr privilegiert werden.
({13})
Bildungsausgaben dürfen nicht mehr zweitrangig sein.
({14})
Fordern Sie das nicht nur in Festtagsreden, sondern bringen Sie das endlich in die Föderalismuskommission II
ein.
({15})
Sie sind so stolz auf Ihre große Mehrheit. Solange Sie
noch miteinander zwangsverheiratet sind, nutzen Sie
diese große Mehrheit bitte, um eine entsprechende Korrektur in der Verfassung vorzunehmen, die notwendig
ist. Da haben Sie wirklich einen Fehler gemacht.
({16})
Werfen wir jetzt einen Blick auf die Bereiche, in denen Sie echte Verantwortung tragen und sich nicht hinter
den Ländern verstecken können. Wir haben immer noch
300 000 Altbewerber ohne Ausbildungsplatz. 500 000 junge Leute sind im Übergangssystem. Die Strukturreform
in der beruflichen Bildung ist überfällig. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber machen Ihnen das Leben
nicht leicht. Frau Schavan, Sie sind hier aber einfach zu
zaghaft. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Wir können
es nicht von der Konjunktur abhängig machen, ob junge
Leute einen Ausbildungsplatz bekommen. Deswegen
brauchen wir auch überbetriebliche Ausbildungszentren
bei Beibehaltung des dualen Prinzips und mit der gemeinsamen Verantwortung von Kammern und Berufsschulen für diese Ausbildungsplätze.
({17})
Wir brauchen auch die Zertifizierung und Anerkennung von Ausbildungsmodulen. Wer - wie Frau Merkel Durchlässigkeit fordert, der kann nicht zugucken, wie
junge Leute ihre Lebenszeit vertrödeln und immer wieder in der Sackgasse dieser Übergangssysteme landen,
ohne dass dabei etwas für sie herauskommt.
({18})
Nun zur Weiterbildung. Frau Schavan, das Bildungssparen, das Sie initiiert haben, ist bestenfalls symbolische Politik. Dort brauchen wir einen großen Wurf, um
international überhaupt den Anschluss zu finden. Das
Meister-BAföG zu öffnen, ist okay; das wollen wir auch.
Wir brauchen aber ein echtes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz. Wir müssen gerade die Gruppen erreichen, die nicht selbst in ihre Weiterbildung investieren,
aber schulische oder berufliche Abschlüsse dringend
nachholen müssen.
({19})
Eine Zwischenbilanz zum Hochschulpakt: Er funktioniert nicht. Statt 13 000 Plätzen haben wir jetzt
3 400 Plätze. Es ist auch klar, warum er nicht funktioniert: Er ist unterfinanziert. Zusätzliche Plätze gibt es
nur auf der Basis einer realistischen Kostenrechnung und
eines fairen Interessenausgleichs zwischen den Ländern.
Beides ist dringend erforderlich.
Zum Schluss habe ich noch eine dringende Bitte an
Sie. Hören Sie endlich auf, gutes Geld aus dem Forschungsbereich in atomaren Altlasten zu versenken.
({20})
Die Altlasten werden wir nicht mehr los. Sie aber wollen
immer wieder neue Lasten in der Zukunft produzieren.
({21})
Das ist doch verrückt. Wir haben auch bei den hochkompetenten Mitarbeitern der Helmholtz-Gemeinschaft gesehen: Menschen machen Fehler. Die Atomtechnologie
verträgt leider keine Fehler. Also ist sie offensichtlich
nicht für Menschen - auch nicht für hochkompetente
Menschen - gemacht. Hören Sie auf, Frau Schavan,
diese Technologie immer weiter zu befördern.
({22})
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege KlausPeter Willsch.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Sager, Ihre
Philippika vorhin war maßlos. Sie hatte nichts mit dem
Einzelplan zu tun, über den wir hier reden.
({0})
Sie führen alte Grundsatzdebatten über Einheitsschulen
und Gesamtschulen und satteln gleich noch die Kernenergie oben drauf. Das hat mit dem, über das wir hier
reden, nichts zu tun.
({1})
Dagegen war das, was Frau Flach vorgetragen hat, wohltuend sachlich. Ich rate uns, unser Land an diesem Punkt
nicht schlechtzureden. Vielmehr sollten wir uns darüber
freuen, dass wir auf dem Weg, mehr Geld für Bildung
und Forschung zu haben, Stück für Stück vorwärts kommen und dem 3-Prozent-Ziel jedes Jahr etwas näher
kommen. Freuen Sie sich einfach einmal still darüber
und mäßigen Sie sich ein wenig im Ton. Ich fand das
wirklich kaum erträglich.
({2})
Zu Ihrem letzten Punkt, zu den Forschungsaktivitäten
im Bereich der kerntechnischen Anlagen. Hier können
Sie einen Teilerfolg verbuchen. Herr Gabriel wird sich
um die Asse kümmern. Wenn wir diesen Bereich nicht
abgegeben hätten, dann lägen wir in diesem Jahr erstmals bei über 10 Milliarden Euro. Wir sind im Bereich
des Entwurfs des Einzelplans 30 jetzt noch bei ungefähr
10 Milliarden Euro. Das ist eine Rekordzahl, angesichts
derer man einfach einmal innehalten und feststellen
sollte, dass wir auf dem richtigen Wege sind.
({3})
Wir haben seit 2005 im Bereich des Einzelplanes 30,
also im Haushalt der Bundesministerin für Bildung und
Forschung, einen Aufwuchs von 2,5 Milliarden Euro zu
verzeichnen. Gegenüber dem vergangenen Jahr wollen
wir den Gesamtansatz noch einmal um 650 Millionen Euro steigern.
Die Koalition steht für Haushaltskonsolidierung; das
hat die Debatte in dieser Woche deutlich gemacht. Aber
wir verlieren die Zukunftsinvestitionen nicht aus dem
Blick, sondern investieren in diesen Bereich und haben
hervorragende Erfolge zu verzeichnen. Ein Flaggschiff
ist und bleibt die Hightech-Strategie. Wenn Sie einmal
zu den Universitäten und Forschungseinrichtungen gehen, können Sie dort die Aufbruchstimmung in unserem
Lande im Bereich Forschung mit Händen greifen.
({4})
Wir fördern Forschung und Entwicklung, weil das die
Grundlagen für zukünftiges Wirtschaftswachstum und
zukünftigen Wohlstand sind. Davon hat sich auch das Finanzministerium leiten lassen, indem es den weiteren
Weg zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels - 2,8 Prozent
sind geschafft - mit entsprechenden Veranschlagungen
im Haushaltsplan für das kommende Jahr unterstützt.
Allein in der Titelgruppe 40 „Stärkung des Lernens
im Lebenslauf“ - Frau Sager, Sie sollten sich die Ansätze wirklich einmal anschauen - sind im Regierungsentwurf 137 Millionen Euro vorgesehen. Die Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung soll mit
über 97 Millionen Euro unterstützt werden. Ich habe in
meinem Wahlkreis eine Volkshochschule, die an der Initiative „Lernende Regionen - Förderung von Netzwerken“ beteiligt ist. Das ist eine vorzügliche Arbeit, die
dort gemacht wird. Dort wird berufsbegleitend lebenslang gelernt, um Qualifikationen zu erhalten und neue zu
erwerben. Wir wissen doch, dass das, was früher einmal
galt - wenn man einmal einen Beruf erlernt hat, reicht
das für das ganze Leben -, angesichts der Vervielfältigung des Wissens in dieser Welt, der Beschleunigung
der Verfahren und der Prozesse heute nicht mehr gilt. Da
leisten wir eine verdienstvolle Arbeit, die vom BMBF
hervorragend unterstützt wird.
({5})
Die Ausgaben für BAföG steigen laut unseren Beschlüssen nach den vorangegangenen Diskussionen um
rund 136 Millionen Euro auf über 1,4 Milliarden Euro.
({6})
Die Begabtenförderungswerke erhalten eine bessere finanzielle Ausstattung; das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Wir brauchen die Förderung in der Breite, aber auch die
Förderung in der Spitze. Denn wenn die Supertalente an
der Spitze gut gefördert werden, finden wir dort den
Nachwuchs für die akademische Welt.
({7})
- Ich habe doch gerade gesagt - das ist ja ein gemeinsames Werk von uns, Frau Kollegin -, dass es wichtig ist,
nicht nur in der Breite, sondern auch in der Spitze zu fördern. Das ist hier angesagt.
({8})
Die Bildungspolitik ist in den Mittelpunkt der Diskussionen in unserem Land geraten. Die Kanzlerin hat dem
Thema durch ihre Bildungsreise bundesweit in den Medien eine besondere Aufmerksamkeit verschafft. Wir
werden auf dem Bildungsgipfel sehen, zu welchen Ergebnissen wir kommen.
Zu all den föderalismusskeptischen Äußerungen, die
überwiegend vonseiten der Opposition hier getätigt worden sind, möchte ich, als leidenschaftlicher Anhänger eines Wettbewerbsföderalismus, doch einmal ein paar
Anmerkungen machen.
({9})
Wir haben mit unserem föderalen System hervorragende
Erfahrungen gesammelt. Es folgt dem Grundgedanken,
dass die kleinere Einheit das erledigen soll, was sie erledigen kann. Dass Frau Sitte mit dem System Wettbewerb
Probleme hat, ist völlig logisch, weil sie aus einer Partei
kommt, die für ein System verantwortlich war, das eine
Mauer errichtet hat, damit die Leute nicht weglaufen.
({10})
Aber den Skeptizismus von demokratischen Vertretern
dieses Hauses kann ich nicht nachvollziehen; denn das
System funktioniert in der Wirklichkeit.
Ich will Ihnen zwei praktische Beispiele nennen. Zum
einen wird darüber geklagt, dass heute zu viele Schüler
das Schulsystem ohne Hauptschulabschluss verlassen.
Wenn wir uns einmal die Aufteilung der Schüler anschauen, dann stellen wir fest, dass sehr viele Migrantenkinder dabei sind; Sie haben es selber gesagt. Diese Kinder haben in der Schule gesessen, ohne Deutsch zu
können. Daraus haben wir damals, 1999/2000, in Hessen
auf Landesebene den Schluss gezogen, dass kein Kind in
die Schule kommt, bevor es nicht Deutsch kann. Da haben Sie uns geifernd beschimpft, das sei eine Zwangsgermanisierung. Was soll denn ein Kind in der Schule,
wenn es kein Deutsch kann und den Lehrer nicht versteht?
({11})
Wir haben hier ein Pilotprojekt durchgeführt und uns dafür heftig beschimpfen lassen müssen. Heute gehört es
zum bundesweiten Stand - auch das wird beim Bildungsgipfel herauskommen -, dass es Vorlaufkurse zum
Erlernen der deutschen Sprache geben muss, wenn Kinder kein Deutsch können, wenn sie in die Schule kommen.
Ein weiteres Beispiel: die Hauptschule. Hören Sie
doch mit dem Ruf nach der Gemeinschaftsschule und
der Einheitsschule und dem Vorwurf des Selektierens
der Schüler mit zehn Jahren auf! Wir haben in Deutschland eine hervorragende Ausbildung. Wir haben hervorragende Gymnasien; wir haben hervorragende Realschulen. Wir müssen versuchen, die Hauptschulen noch
besser, noch marktadäquater zu gestalten.
({12})
Wir haben in Hessen - auch das empfehle ich zur
Nachahmung - das Modell SchuB, „Schule und Betrieb“. Die jungen Leute in der siebten und achten Klasse
sind zwei, drei Tage in einem Betrieb, um zu sehen, dass
das, was sie in der Schule lernen, mit der konkreten
Wirklichkeit und der Möglichkeit der Einkommenserzielung etwas zu tun hat. Die bekommen wieder Spaß an
der Schule; das sage ich Ihnen.
Von einem Wettbewerbsföderalismus erhoffe ich mir,
dass ein gutes Beispiel nachgeahmt wird, dass man
schaut: „Was machen die einen, und was machen die anderen?“ und sagt: Wir machen es so, wie es die Besten
machen.
({13})
Wenn wir 1998 eine einheitliche Bundesverantwortung
für die Bildungspolitik gehabt hätten, hätten wir heute
von Flensburg bis zum Bodensee Gesamtschulen und
eine Zwangsförderstufe. Ich bin in Hessen während des
Schulkampfes Anfang der 70er-Jahre groß geworden.
Ich erinnere an von Friedeburg usw. Ich weiß, was das
heißt.
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dass wir das unseren Kindern ersparen konnten, ist
ein große Verdienst unserer Struktur der Grundzuständigkeit der Länder für Bildungsfragen.
({0})
Herr Kollege, Sie hätten zum Ende kommen müssen.
Ich sehe, dass es blinkt.
Es blinkt aber nicht nur, damit es blinkt.
Ich entschuldige mich bei meinem Mitarbeiter, der
mir unheimlich viel Kluges, was ich alles noch hätte vortragen können, zusammengetragen hat.
({0})
Wir grüßen ihn alle herzlich.
Es ist immer wieder so, dass bei Themen, die nicht
unbedingt voraussehbar waren, irgendwann die Leidenschaft mit mir durchgeht.
Ich möchte abschließend betonen, dass wir über diesen Einzelplan natürlich in allen Einzelheiten beraten
werden. Es wird sicher im Haushaltsausschuss Veränderungen geben.
Herr Kollege, ich denke, Ihr Mitarbeiter hat Verständnis dafür, dass die Redezeit begrenzt ist.
Für das, was bisher vorgelegt worden ist, bedanken
wir uns ganz herzlich.
Ich schließe damit. Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin.
({0})
Die Kollegin Cornelia Pieper hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerne
sage ich etwas dazu, Herr Tauss. Sie wissen, dass dieses
Thema nicht nur mich, sondern die ganze FDP beschäftigt.
Aber bevor ich das tue, will ich meiner Kollegin von
den Grünen, Krista Sager, zur Seite springen. Ich finde,
sie hatte durchaus recht, als sie gesagt hat: Wir müssen
den Bildungshaushalt, unsere Bildungslandschaft im internationalen Vergleich sehen. - Schauen wir uns einmal
an, wo Deutschland heute im internationalen Vergleich
steht: Trotz aller anerkennenswerten Steigerung der Mittel im Bildungs- und Forschungshaushalt - vorwiegend
sind ja die Forschungsausgaben erhöht worden; darauf
muss man einmal hinweisen - stehen wir im internationalen Vergleich, was die Bildungsausgaben anbelangt,
nicht an der Spitze.
({0})
Vielmehr sind die Bildungsausgaben in Deutschland sogar rückläufig und liegen unter dem OECD-Durchschnitt. Wir investieren inzwischen weniger in Bildung
als Polen, Ungarn oder Portugal; das muss man einfach
einmal zur Kenntnis nehmen.
({1})
Wir sind ein Land der Innovationen. Wir sind ein Land
der Spitzentechnologien und Hochtechnologien. Weil
wir diese Spitze weltweit halten wollen, müssen wir
mehr zulegen und mehr investieren. Deswegen kann
man heute keine kleinen Brötchen mehr backen, sondern
muss richtig groß an die Sache herangehen.
({2})
Das habe ich bei Ihnen vermisst. Ich will es noch einmal deutlich machen: Der Haushalt des Bildungs- und
Forschungsministeriums umfasst rund 10 Milliarden Euro.
Das macht ungefähr 3 Prozent des Gesamthaushalts aus.
Der Arbeitsminister hat einen Haushalt von 123 Milliarden Euro. Das macht fast die Hälfte des Budgets des
Bundeshaushalts aus.
Daran kann man erkennen, wo die Prioritäten im
Haushalt gesetzt werden. Wir Liberale meinen, man
könnte noch sehr viel mehr in Bildung investieren. Wir
sollten nicht mehr die Vergangenheit subventionieren.
Wir müssen in die Zukunft investieren. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Sie alle wissen, dass Wissenschaftler die Bildungspolitik zu Recht als präventive Sozialpolitik bezeichnen.
Wir hätten wahrscheinlich gar nicht so hohe Sozialausgaben, würden wir jedem jungen Menschen eine Chance
und, wenn nötig, eine zweite Chance auf einen ordentlichen Schul- und Berufsabschluss geben. Darum geht es.
({3})
Für uns steht der Mensch, das Kind im Mittelpunkt jeglicher Bildungspolitik. Das will ich ausdrücklich sagen.
Da sich die Regierung wegen ihres Engagements im
Bereich frühkindliche Bildung so sehr lobt, will ich daran erinnern, dass wir Krippen, Kindergartenplätze und
Schulhorte schon vor 18 Jahren hätten besser fördern
können.
({4})
Die FDP hat dafür gesorgt, dass mit dem Schwangerenund Familienhilfegesetz bundesweit ein Rechtsanspruch
auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr
eingeführt wurde. Wir hätten noch viel weiter gehen
können, aber Sie sind nicht mitgegangen. Auf diesem
Gebiet sind die neuen Bundesländer Vorbild. Auch das
muss an dieser Stelle einmal gesagt werden.
({5})
Dort gibt es seit 18 Jahren ein dichtes Netz an vorschulischen Kinderbetreuungseinrichtungen mit einem Bildungsplan, mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern. In diesem Fall kann man wirklich einmal vom
Osten lernen.
({6})
Die Kanzlerin spricht von einer Bildungsrepublik
Deutschland. Dabei sind wir von einer Bildungsrepublik
Deutschland weit entfernt. Ich will die Zahlen, die zu
den Altbewerbern, Schulabbrechern etc. genannt wurden, nicht wiederholen. Jedes Schicksal tut einem persönlich leid. Was wir in Deutschland brauchen, ist eine
Bildungsrevolution.
({7})
In Sachen Bildungspolitik sind wir doch in jeder Hinsicht staatsbürokratisch. Die FDP fordert mehr Freiheit
und Eigenverantwortung für Schulen. Wir wollen ein
klares Bekenntnis zu mehr Freiheit und ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz für die Hochschulen. Davor hat
sich die Bundesregierung gedrückt, weil sie von der SPD
gebremst wurde.
({8})
Jetzt noch zur Föderalismusreform: Ich habe mich
ebenso wie einige andere Kollegen gewundert, aber ich
finde es gut, dass Frau Ministerin Schavan in der liberalen
Ideenwerkstatt gefischt hat und gesagt hat, man müsse
sich eigentlich auch um pädagogische Konzepte für die
Ganztagsschulen kümmern. Wir haben schon vor zwei
Legislaturperioden vorgeschlagen, im Rahmen der BundLänder-Bildungsplanung Modellschulen vorzusehen. Frau
Ministerin, Sie haben mit der Föderalismusreform I die
Bund-Länder-Bildungsplanung abgeschafft. Die gibt
es nicht mehr. Der Bund hat gar keine Möglichkeit mehr,
für gute, innovative pädagogische Konzepte zu sorgen.
Das war unserer Ansicht nach falsch.
An dieser Stelle will ich für eine nationale Bildungsstrategie plädieren. Das ist es, was dieses Land braucht.
({9})
Wir brauchen ein Gesamtkonzept: von der frühkindlichen Bildung bis zum lebenslangen Lernen.
Frau Kollegin!
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss meiner
Rede. - Wir brauchen nicht nur mehr Investitionen, sondern auch, wie ich noch einmal betonen möchte, viel
mehr Entscheidungsfreiheit für die Lehrerinnen und
Lehrer sowie für die Erzieherinnen und Erzieher, die in
den Einrichtungen arbeiten.
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Sie haben unsere größte Anerkennung verdient. Ich
bin es leid, dass man ihnen immer die Schuld in die
Schuhe schiebt.
Vielen Dank.
({0})
Klaus Hagemann spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau
Pieper, dass Sie die Bildungsrevolution ausrufen wollen,
finde ich ganz toll.
({0})
Da Sie erzählt haben, was man in den 90er-Jahren alles
hätte machen können, frage ich Sie: Warum haben Sie es
nicht gemacht? Sie waren doch in der Bundesregierung
vertreten.
({1})
Frau Flach, natürlich kann man immer noch mehr machen. Ich bin auch dafür, noch mehr hineinzupacken.
Aber als Sie, nicht Sie persönlich, sondern die FDP, das
letzte Mal Regierungsverantwortung getragen haben, in
der Zeit des Zukunftsministers Rüttgers, sind die Mittel
für Bildung und Forschung nach unten gefahren worden.
Daran wollte ich nur noch einmal erinnern.
({2})
Herr Kollege, möchten Sie die Zwischenfrage der
Kollegin Pieper zulassen?
Ja, natürlich.
Bitte schön.
Das macht die Debatte auch lebendiger. Vielen Dank,
Frau Präsidentin.
({0})
Was Herr Hagemann sicher nicht weiß: Ich war 1990
zwar noch nicht im Bundestag, aber die FDP im Landtag
von Sachsen-Anhalt, dem ich damals angehören durfte,
hat dafür gesorgt, dass es von Anfang an ein Kindertagesstättengesetz gegeben hat mit einem Rechtsanspruch
für Kinder von 0 bis damals 12, heute bis 14 Jahre. Das
heißt, man hat ganz bewusst - im Übrigen über alle
Fraktionsgrenzen hinweg - dafür gesorgt, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen erhalten bleiben. Können
Sie sich noch daran erinnern, dass eine Kollegin von mir,
Uta Würfel, dafür gesorgt hat, dass im Schwangerenund Familienhilfegesetz des Bundes Mitte der 90erJahre auch der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bundesweit verankert worden ist?
({1})
Ich wusste nicht, dass Sie das schon damals im Landtag beantragt haben. Die Idee ist gut.
({0})
Sie wird ja jetzt auch von uns umgesetzt, Frau Pieper.
Wir haben diesen Rechtsanspruch vorgesehen. Wir sind
ein bisschen spät dran - das gebe ich zu -; aber wir reden schon lange darüber. Sie haben es aber als FDP, als
Sie im Bund in der Regierungsverantwortung waren,
nicht durchgesetzt.
({1})
Daran wollte ich erinnern.
Ich leite zum nächsten Thema über. Man kann es
nicht oft genug wiederholen: Die Große Koalition hält
ihre Zusage, mehr für die Zukunftsfähigkeit unseres
Landes zu tun. Wir werden, wenn ich das Ganztagsschulprogramm dazurechne, im nächsten Jahr fast
11 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen. Das haben die beiden Koalitionsfraktionen so beschlossen. Das ist ein Plus von 7,8 Prozent.
({2})
Ganztagsschulprogramm ist das Stichwort. Das
Programm ist sehr erfolgreich. Es wurde damals unter
Rot-Grün von Frau Bulmahn angestoßen und gegen die
CDU/CSU durchgesetzt; das ist richtig. Frau Flach, Sie
hatten darauf hingewiesen, dass die Unionskollegen damals ausgezogen sind. Das bestätigt Herbert Wehners
Aussage: Wer auszieht, muss auch wieder einziehen.
({3})
Wir haben jetzt das Ganztagsschulprogramm.
({4})
Wichtig ist, dass die Mittel, die zur Verfügung stehen,
auch abgerufen werden. Ich bitte Sie, Frau Ministerin
Schavan, Ihre Kollegen in den Ländern beim Bildungsgipfel darauf hinzuweisen, die Mittel auch abzurufen
und einzusetzen. Das Land Nordrhein-Westfalen beispielsweise liegt hier mit einer Abrufungsquote von
70 Prozent ziemlich weit hinten.
({5})
Es wurden Entscheidungen getroffen. Das Ganztagsschulprogramm habe ich schon angesprochen. Ich
möchte noch die Exzellenzinitiative erwähnen, die sich
deutlich positiv ausgewirkt hat und neuen Geist in die
Universitäten und Forschungseinrichtungen getragen
hat. Man hört es allenthalben - Kollege Willsch hat darauf hingewiesen -; auch ich stelle das immer wieder
fest. Deswegen sollten wir darüber nachdenken, eine
Exzellenzinitiative II auf den Weg zu bringen. Dabei
muss natürlich auch die Lehre berücksichtigt werden.
({6})
Wir müssen auch beraten, wie wir den Pakt für Forschung und Innovation, der damals geschlossen wurde,
nach 2010 bzw. 2011 fortführen.
({7})
Dies ist notwendig, weil zum Beispiel - ich glaube, das
ist von Ihnen, Frau Flach, schon gesagt worden - die
Preise für Energie gestiegen sind. Es handelt sich um ein
Nullsummenspiel; das wissen wir. Deswegen muss entsprechend reagiert werden.
Wir konnten auch - das ist im Haushaltsplan berücksichtigt - das BAföG, die Studentenförderung, deutlich
erhöhen, nämlich um 136 Millionen Euro zusätzlich.
Wir liegen damit deutlich über der Milliardengrenze.
Wichtig ist auch, dass jetzt mehr Studierende aus Nichtakademikerkreisen gewonnen werden können.
({8})
Die Presse hat berichtet, dass die Unis zum Teil „geschlossene Gesellschaften für Akademikerkinder“ seien.
Das reicht nicht aus.
({9})
Deswegen ist dies der Weg, den wir konsequent weitergehen müssen. Wir brauchen alle Talente. Es darf nicht
vom Geldbeutel der Eltern abhängen, ob jemand studiert.
Das gilt genauso für das Meister-BAföG. Auch hier
haben wir massiv draufgepackt. Wir wollen die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen und entsprechende Gelder zur Verfügung stellen. Die finanziellen Voraussetzungen werden mit dem Haushalt 2009 geschaffen.
Ich möchte auch noch das Stipendiensystem ansprechen. 1 Prozent eines Jahrgangs sollen bei der Hochbegabtenförderung berücksichtigt werden, und zwar in allen Schichten der Bevölkerung. Hierfür sind die Mittel
entsprechend erhöht worden. Ich habe in dieser Woche
ein Gespräch mit Vertretern der Friedrich-Ebert-Stiftung
geführt, die eines der Förderwerke unterhält. In diesem
Gespräch habe ich erfahren, dass 60 Prozent der Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Migrationshintergrund haben oder aus sozial schwachen Verhältnissen
kommen. Ich finde es gut, dass der Prozentsatz so hoch
ist, und hoffe, dass das bei anderen Fördereinrichtungen
ähnlich ist.
Meine Damen und Herren, gestern hat die Kanzlerin
gesagt, dass die Bürger kein Verständnis für Kompetenzstreitereien haben; dieser Satz wurde heute bereits
zitiert. Dem kann ich mich nur anschließen. Es geht
darum, Probleme zu lösen. Wir müssen mit dem Hochschulpakt 2020 voranschreiten. Die notwendigen
Schritte haben wir bereits eingeleitet. Jetzt müssen sie
umgesetzt werden.
Es sollen 91 000 zusätzliche Studienplätze geschaffen
werden. Das, was Frau Sager vorhin vorgetragen hat, ist
leider richtig: Bisher wurden erst 3 400 neue Studienplätze geschaffen. Die Länder Baden-Württemberg und
Hessen sind noch im Rückstand; dort wurde die Zahl der
Studienplätze sogar abgebaut.
({10})
- Ja, für Nordrhein-Westfalen gilt das auch. Dort ist der
zuständige Minister übrigens von der FDP.
({11})
- Herr Meinhardt, wenn Sie sich die entsprechenden Statistiken ansehen, werden Sie feststellen, dass dem so ist. ({12})
Es ist notwendig, zu fordern und zu fördern. Das Fördern
übernimmt der Bund. Allerdings fordert er von den Ländern, dass sie sich an die Vereinbarungen halten.
Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen
wurde zerschlagen. Jetzt herrscht Chaos. Man weiß
nicht, wie man die Verteilung der Studienplätze bewerkstelligen soll. Frau Ministerin, auch dieses Thema sollte
auf dem Bildungsgipfel angesprochen werden; denn für
gute Forschung braucht man gut ausgebildete Forscher.
Jetzt wird wieder nach Mitteln des Bundes gerufen.
({13})
Das sind Dinge, die im Bildungsbereich getan werden
müssen.
Die Grundlagenforschung von heute ist die Basis
für die Produkte und die Arbeitsplätze von morgen.
({14})
Das ist ein platter Satz, hinter dem allerdings viel Richtiges steht. Schon vor vielen Jahren haben wir uns auf das
3-Prozent-Ziel der Lissabon-Strategie verpflichtet. Jedes
Jahr müssen 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für
Forschung und Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund,
Ländern und der Wirtschaft.
Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht und
schreitet voran. Er muss einen Anteil von 0,5 Prozent
aufbringen, und das tut er auch. Aber wie ist die Situation in den Ländern? Wie der Statistik zu entnehmen ist,
hat der Bund bisher einen Anteil von 0,43 Prozent aufgebracht, und die Länder haben bis jetzt einen Anteil von
0,34 Prozent aufgebracht. In den Ländern besteht also
Handlungsbedarf. Wenn man eine Zwischenbilanz zieht,
kommt man zu dem Ergebnis: Der Bund macht seine
Hausaufgaben. Als einziger der drei Akteure erhöht er
seine Forschungsausgaben,
({15})
und zwar im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum in
überproportionalem Maße;
({16})
das möchte ich in Erinnerung rufen. Frau Ministerin, ich
bitte Sie, auch dieses Thema im Rahmen des Bildungsgipfels zu behandeln. Wir müssen alle Maßnahmen, die
Hightech-Strategie usw., einer Gesamtevaluation unterziehen und prüfen, wohin die Mittel fließen und welche
Hebelwirkung sie haben. Das sind die Aufgaben, die
jetzt angepackt werden müssen.
Zum Schluss noch folgende Bemerkung. Es wird immer wieder behauptet, dass Baden-Württemberg 4,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und
Entwicklung zur Verfügung stellt.
({17})
Herr Meinhardt, wenn man sich anschaut, wie viel von
diesen Mitteln tatsächlich Geld des Landes ist und wie
viel Prozent des BIP dieser Betrag entspricht,
({18})
kommt man zu dem Ergebnis, dass Baden-Württemberg
2007 nur 0,32 Prozent des landeseigenen BIP für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellt.
({19})
Alles andere, Herr Meinhardt, sind Bundesmittel, die
über die großen Forschungseinrichtungen, beispielsweise die Helmholtz-Gemeinschaft, nach BadenWürttemberg fließen.
({20})
Baden-Württemberg und Bayern müssen ihre Hausaufgaben noch machen und dafür sorgen, dass sie das landeseigene 0,5-Prozent-Ziel, wie die anderen Bundesländer auch, einhalten und sich nicht nur mit den „Federn“
des Bundes schmücken.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
({0})
- Ja, das ist wie in Des Kaisers neue Kleider.
Herr Kollege!
Ich komme zum Schluss. Es wurde ein guter Haushaltsentwurf vorgelegt. Wir werden ihn im Rahmen der
Haushaltsberatungen allerdings noch ein wenig verbessern.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Jetzt hat Ilse Aigner für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich schwerpunktmäßig auf die Forschung konzentrieren. Eine Aussage hat mich aber doch sehr gestört, nämlich die
Aussage von Frau Sager. Sie hat gesagt, bei uns würden
Kinder etikettiert und aussortiert.
({0})
Das kann man nur sagen, wenn man Menschen kategorisiert und der Mensch erst dann beginnt, wenn er
Abitur hat.
({1})
Ich finde das ziemlich bitter. Ich sage Ihnen das deshalb,
weil vor kurzem eine Abschlussfeier einer Hauptschule
stattgefunden hat, bei der eine Absolventin, die die Festansprache für die Schüler gehalten hat, uns Mandatsträgern und anderen Anwesenden entgegengeworfen hat:
Stellen Sie sich einmal vor, was in einem jungen Menschen vorgeht, dem tagtäglich gesagt wird, dass die
Hauptschule eigentlich gar nichts wert ist! Was meinen
Sie, was in einem solchen Menschen vorgeht?
({2})
- Lieber Kollege Tauss, entscheidend ist natürlich, dass
diese jungen Menschen Ausbildungsplätze bekommen.
Alle Schüler dieser Klasse haben einen Ausbildungsplatz bekommen. Entscheidend ist also auch, wie es in
der Wirtschaft läuft.
Sehr geehrte Frau Sager, die Altbewerber gibt es aufgrund der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage, in der
wir uns befanden. Jetzt haben wir Gott sei Dank die
Chance, das langsam aufzuarbeiten. Ich glaube, das ist
das Wichtigste. Wir sollten uns darüber freuen, wenn es
wieder mehr Ausbildungsplätze gibt,
({3})
wenn die jungen Menschen unabhängig davon, von welcher Schule sie kommen, einen Ausbildungsplatz bekommen.
Ich sage noch etwas zum OECD-Bericht, der ebenfalls angesprochen wurde. Ich muss mich jedes Mal über
diesen Bericht fürchterlich aufregen. Wie kann man Systeme miteinander vergleichen, die schlicht und ergreifend nicht miteinander zu vergleichen sind? Wie kann
ich ein System in einem Land, in dem es keinerlei berufliche Ausbildungschancen gibt, in dem es eine rein akademische Ausbildung oder gar keine Ausbildung gibt,
mit einem System in einem Land vergleichen, in dem es
eine Alternative gibt, und zwar eine sehr gute und hochqualitative Alternative?
Wir waren vor kurzem in China und durften dort mit
Vertretern deutscher Firmen sprechen. Interessant war,
dass sie gesagt haben: Wir haben hier sehr viele Ingenieure. Wissen Sie, was uns fehlt? Es fehlen die guten
Facharbeiter, die das, was sich Ingenieure ausdenken,
umsetzen können. Wir brauchen nicht nur Mundwerker,
sondern auch Handwerker.
({4})
Ich glaube, dass wir gemeinsame Ziele formulieren
könnten und sollten, auch gemeinsam mit den Ländern.
Es ist schon viel geschehen. Ich finde, wir sollten auch
einmal positiv darüber reden. Mein lieber Kollege hat
gesagt, der Hochschulpakt sei dank der SPD entstanden. Verhandelt hat diesen Hochschulpakt eine Person
- sie sitzt da drüben -, nämlich Frau Ministerin Schavan.
({5})
Sie hat es gemeinsam mit den Ländern zustande gebracht, dass man sich auf etwas einigt.
So ungefähr könnte nach meinen Vorstellungen der
Bildungsgipfel ablaufen. Die Arbeitsgruppe Bildung
und Forschung hat mehrere Ziele formuliert, die wir in
der Fraktion einbringen werden. Wir sind sehr wohl der
Meinung, dass im Bereich der Bildung mehr passieren
sollte. Wir sollten wie beim 3-Prozent-Ziel gemeinsam
mit den Ländern ein Ziel vereinbaren, damit wir wieder
auf den Stand von 1995 kommen, nämlich 10 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Bildung, Weiterbildung,
Forschung und Entwicklung auszugeben.
({6})
Das werden wir noch durchsetzen müssen. Ich glaube,
das ist ein wichtiges Ziel.
Umso mehr sollten wir positiv darüber reden, was wir
in den vergangenen Jahren gemacht haben. Die Zahlen
sind schon genannt worden. Die Mittel des Haushalts für
Bildung und Forschung betragen mehr als 10 Milliarden
Euro. Vom vergangenen Haushalt zu diesem Haushalt
haben wir eine Steigerung von 730 Millionen Euro zu
verzeichnen. Das ist eine traumhafte Summe. Ich bedanke mich bei der FDP, die die Leistung unserer Ministerin ausdrücklich gelobt hat.
Aber die Zahlen allein sind es nicht. Wichtig ist auch
die Mischung - und für was das Geld eingesetzt wird. Es
kann nicht nach der Rasenmähermethode vorgegangen
werden; denn es gibt die unterschiedlichsten Fördermöglichkeiten und -notwendigkeiten. Diese reichen von der
Grundlagenforschung bis zur angewandten Forschung,
von der Programmforschung bis hin zur Förderung von
kleinen und mittelständischen Unternehmen.
Ich freue mich, dass wir beim letzten Haushalt gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom Haushaltsausschuss einen weiteren Schnellzug für kleine und
mittelständische Unternehmen eingeführt haben. Die
Mittel im Rahmen von KMU-innovativ steigen exorbitant, weil das angenommen wird. Das ist eine Anlaufstelle, an die sich Mittelständler wenden und bei der sie
abrufen, an was sie forschen können. Das ist ein wichtiger Bereich.
Wir haben noch etwas erreicht, auf das ich hinweisen
möchte, da das ein wenig untergeht. Die Zahl der Dankesbriefe hält sich in der Regel in Grenzen, wenn man
etwas durchgesetzt hat.
({7})
Wir haben durchgesetzt, dass bei der Förderung durch
die Deutsche Forschungsgemeinschaft zusätzlich eine
Gemeinkostenfinanzierung erfolgt. Das hat es bisher
noch nicht gegeben, ist aber im internationalen Wettbewerb absolut unverzichtbar.
({8})
- Frau Flach, steigern kann man immer alles; das ist
keine Frage.
({9})
Es wäre doch auch einmal schön, wenn wir uns gemeinsam über Erreichtes freuen würden. Ich glaube, heute ist
ein guter Tag dafür.
Bei meinem nächsten Punkt geht es um die Hebelwirkung. Die Innovationsallianzen sind schon angesprochen worden. Ich weiß sehr wohl, dass nicht der Staat allein alles erbringen kann. Auch die Wirtschaft muss
etwas tun. Sehr geehrter Herr Hagemann, lieber Klaus,
es ist mir eigentlich egal, wer das Geld zur Verfügung
stellt. Wenn die 3 Prozent gemäß der Lissabon-Strategie
erreicht werden, dann sollten wir uns gemeinsam darüber freuen. Einige Länder erreichen wesentlich weniger. Es ist doch toll, wenn die Wirtschaft voll einsteigt.
Sind Mittel für Forschung und Entwicklung aus der
Wirtschaft verpönt? Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen.
({10})
- Schauen Sie einmal auf die Länder, in denen das gut
läuft. Dort steigt die Wirtschaft viel stärker ein. Es ist
doch wunderbar, wenn die Wirtschaft für Forschung ist
und ihren Anteil erbringt.
({11})
Ein wesentlicher Hebel sind die Innovationsallianzen.
Ich finde, das ist ein Paradebeispiel. Auf einen eingesetzten Euro kommen zusätzliche fünf Euro von der
Wirtschaft. Besser kann es eigentlich nicht laufen. Die
Idee kam von unserer Ministerin. Dies geschieht mittlerweile in fünf verschiedenen Bereichen. Ich nenne nur die
organische Photovoltaik und die Lithium-Ionen-Batterie.
Diese Batterie stellt einen Schlüsselpunkt im Bereich der
Energie dar. Wenn wir künftig überlegen, ob wir für den
Antrieb von Autos Strom nutzen, dann ist zum einen
entscheidend, wie die Batterie aufgeladen wird, zum anderen ist aber auch entscheidend, wie wir den Strom
speichern können. Deswegen ist diese Forschung ein
wesentlicher Punkt.
({12})
Ich komme zum Abschluss. Einige kennen sich in der
Bibel aus, besonders die Präsidentin, Lukas 19, das
Gleichnis von den Talenten. - Oh, der Vorsitz hat gewechselt.
({13})
Aber Sie kennen sich auch aus.
Ich kenne die Stelle auch.
Entschuldigung, Herr Präsident, aber den Bereich
hinter meinem Rücken hatte ich nicht im Blick. Ich bin
mir sicher, dass Sie die Stelle auch kennen. - Es geht in
dem Gleichnis von den Talenten jedenfalls darum, dass
Talente nicht vergraben werden dürfen, sondern gewinnbringend eingesetzt werden müssen.
Ich glaube, mit diesem Haushalt haben wir das erreicht. Ein herzliches Dankeschön an die Ministerin und
an das ganze Haus.
Herzlichen Dank.
({0})
Ich nehme an, es gibt in diesem Hause eine ganze
Reihe sehr bibelfester Leute.
Das Wort hat nun Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Liebe Frau Flach, Ihr Lob war berechtigt.
({0})
Dennoch erinnern wir uns - das sei erlaubt - ein paar
Jahre zurück.
Ich bin jetzt 14 Jahre im Bundestag. Seit zehn Jahren,
seit 1998, macht es Spaß. Erinnern wir uns einmal an
1998. Das war das Jahr, in dem Ihre Regierungszeit endete. Kohl war weg, und Deutschland war ein Sanierungsfall. CDU, CSU und FDP hatten den Bildungsetat
als Steinbruch benutzt und Jahr für Jahr weiter zurückgefahren. Fast wie in dem Lied Hell aus dem dunklen Vergangenen aus der Arbeiterbewegung kam dann Gerhard
Schröder, und Edelgard Bulmahn wurde Ministerin.
Lafontaine war damals übrigens noch in der SPD und bei
Sinnen. Mit ihm konnten wir damals einen ganz guten
Etat aufstellen. Das hat aber nicht lange angehalten.
({1})
- Das alles können wir miteinander diskutieren.
Reden wir einmal über Zahlen. Von 1998 bis 2005
wurde der Etat des Bundesministeriums für Bildung und
Forschung, über den wir heute debattieren, um
38 Prozent erhöht.
({2})
Von 2005 bis 2009 haben wir eine Steigerung um
30 Prozent erreicht, obwohl wir zum Teil wichtige Dinge
aus diesem Bereich ausgelagert haben. Ich nenne als
Beispiel nur die Raumfahrt, die viel Geld kostet. Gemeinsam mit den anderen Ressorts haben wir die FuEAusgaben seit 1998 um 35 Prozent erhöht. Das sind Zahlen, auf die wir stolz sind
({3})
und die das Gegenteil der Kürzungspolitik waren, die
wir hatten. Das gehört einfach zu den Fakten.
Unser neuer lieber Koalitionspartner hat dazugelernt.
Das ist in diesem Punkt auch okay. Aus diesem Grund
war auch die schwarz-rote Regierung an dieser Stelle erfolgreich.
Es ist doch kein Gemäkel an der Ministerin, Frau Kollegin Aigner, wenn ich sage, dass der Hochschulpakt
auch der SPD zu verdanken ist. Bei der Föderalismusreform können wir über vieles diskutieren. Aber erst mit
der massiven Drohung der SPD-Bundestagsfraktion, die
gesamte Föderalismusreform zum Scheitern zu bringen,
wenn mit der Aufnahme des Kooperationsverbots ins
Grundgesetz im Hochschulbereich derselbe Unfug gemacht würde wie bei den Schulen, haben wir dies verhindert. Das war die Basis, aufgrund derer Frau Ministerin Schavan mit den Ländern überhaupt über einen
Hochschulpakt verhandeln konnte. Wir sind stolz darauf,
dass wir das miteinander erreicht haben.
({4})
- Ich habe bewusst gesagt: miteinander.
Auch das 6-Milliarden-Euro-Programm und das
3-Prozent-Ziel sind angesprochen worden. Ich stimme
dem Kollegen Hagemann aber ausdrücklich darin zu
- auch dies ist nichts, was es beim Bund zu kritisieren
gibt -, dass wir als einzige der drei Parteien, die am
Hochschulpakt beteiligt sind, unsere Hausaufgaben bereits gemacht haben, und zwar mit einem Plus von
9 Prozent. Die Wirtschaft hat das noch nicht geschafft.
Gestern hat ein Parlamentarischer Abend auf Einladung
von BDA, BDI, DIHK und wie die Arbeitgeberverbände
alle heißen, stattgefunden. Bei ein paar Häppchen gab es
Gelegenheit, mit einigen Herren darüber zu sprechen,
worum es geht. Wir erwarten, dass die deutsche Wirtschaft ihren Anteil dazu leistet, dass Deutschland Exportnation Nummer eins bleibt, das heißt, dass sie ihre
Zusagen für den Pakt für Forschung und Innovation einhält. Von den Bundesländern verlangen wir dies natürlich auch.
({5})
Einige haben sich über die Erwähnung des Landes
Baden-Württemberg aufgeregt. Entschuldigung, aber die
Zahlen lügen nicht. Baden-Württemberg hat trotz Hochschulpakt minus 1 900 Studienplätze, Nordrhein-Westfalen minus 3 300 Studienplätze und Hessen minus
1 600 Studienplätze zu verzeichnen. Dort ändert sich das
gerade. Weil wir den Unfug der Studiengebühren abgeschafft haben, werden wieder mehr Studierende an die
Universitäten kommen.
({6})
Es gibt aber auch andere Zahlen. Im großen und stolzen
Land Rheinland-Pfalz gibt es ein Plus von 1 300 StuJörg Tauss
dienplätzen. Das ist eine Erfolgszahl, die uns vorliegt.
Darüber kann und muss man diskutieren.
Wir müssen auch über einige Instrumente diskutieren.
Das ist heute bereits angesprochen worden. Wir waren
beispielsweise nicht zufrieden damit, wie es mit der Forschungsprämie gelaufen ist. Wir haben sie als Angebot
an die Universitäten und vor allem an die Fachhochschulen gedacht; sie ist aber in dieser Form auch vom Mittelstand nicht genutzt worden.
Wir haben heute Mittag - Herr Rachel war dabei - im
Kreis der Koalition über die Evaluierungsforschung gesprochen und uns mit der Frage beschäftigt, wie die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und dem Übergang zu den Produkten in Deutschland geschlossen
werden kann. An dieser Stelle gibt es noch Defizite. Wir
sind dabei in der Koalition auf einem guten Weg.
Dass das bitter notwendig ist, zeigt die Auskunft der
Max-Planck-Gesellschaft, dass 80 Prozent ihrer Patente
- 80 Prozent, das muss man sich auf der Zunge zergehen
lassen - ins Ausland verkauft werden. Die deutsche Industrie interessiert sich nicht dafür. Auch das ist eine
Blamage für die Exportnation Nummer eins.
({7})
Die Belehrungen von Herrn Dr. Hundt und anderen
weise ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zurück.
Wir haben im vorliegenden Etat noch an den unterschiedlichsten Stellen Schwerpunkte zu setzen. Wir haben mit einigen Kolleginnen und Kollegen die Arktis besucht. Wir haben zwar keine Eisbären gesehen, aber den
Klimawandel vor Ort ein Stück weit zur Kenntnis nehmen können. In der Polarforschung wollen wir mehr
machen. Wir wollen uns auch damit befassen - ich halte
das für richtig, Herr Kollege Hagemann -, wie wir bei
der Nachfolge von Polarschiffen wie dem „Polarstern“
verfahren, die wir dringend brauchen, um in diesem Bereich auch weiterhin erfolgreich an der Spitze zu stehen.
({8})
Gestatten Sie mir in der verbleibenden Zeit noch einen Satz zum Bildungsgipfel. Frau Merkel ist nicht da.
Ich erinnere mich noch gut daran - es war ein netter Disput um Milliarden -, wie Frau Merkel in diesem Hause
einst ausrief: Wenn der Tauss etwas für Bildung und
Schulen machen will, soll er in den Landtag gehen. Dieses harte Schicksal ist uns beiden erspart geblieben. Mir
wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn Frau Merkel
ihre Bildungsreise vor der Föderalismusreform I gemacht hätte. Aber das alles hilft nun nichts mehr.
({9})
Frau Sager, über eines müssen wir uns im Klaren
sein: Hier ging es nicht um SPD gegen Grüne oder SPD
gegen die Union. Vielmehr gab es eine knallharte Initiative der Bundesländer gegen den Bund, angeführt von
Herrn Koch. Wir haben Federn gelassen, und zwar zulasten des deutschen Bildungssystems; das ist bitter.
({10})
Aber Herr Kretschmann, der Fraktionsvorsitzender der
Grünen im baden-württembergischen Landtag ist und
gerade mit Herrn Teufel auf Kreuzfahrt war - so weit
sind wir in unserer Koalition noch nicht gegangen -, ist
an Extremföderalismus noch nicht einmal von Herrn
Meinhardt von der FDP zu übertreffen; das will was heißen.
Wir wollen, dass auf dem kommenden Bildungsgipfel
klare Erwartungen realisiert werden. Wir wollen eine
klare Aussage, wie sich die Bildungsausgaben entwickeln. Wir wollen keine Larifariaussagen à la BadenWürttemberg, wo man sich nicht an Vereinbarungen
hält, sondern eine konkrete Zusage, dass mehr für Bildung getan wird. Wir wollen, dass die demografische
Dividende eingefahren wird. Wir wollen bis 2013 die
Kitavorhaben absichern, und zwar unter Beteiligung der
Länder und der Kommunen. Es geht nicht länger an,
liebe Parlamentarische Staatssekretärin Kressl, dass wir,
der Bund, das Geld geben und dieses dann an den klebrigen Fingern der Landesfinanzminister hängen bleibt und
nicht bei den Kommunen zur Realisierung dessen, wofür
es gedacht ist, ankommt. Dieses Spiel darf es nicht geben. Dazu brauchen wir klare Aussagen auf dem Bildungsgipfel.
({11})
Das betrifft auch den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative.
Wir brauchen viel Geld, keine Frage. Aber es ist gut
investiertes Geld; denn es dient der Zukunftssicherung.
Wenn alle Beteiligten, Länder wie Wirtschaft, ihren Anteil so leisten, wie es der Bund getan hat, werden wir in
Deutschland bildungs- und forschungspolitisch vorankommen und Überschriften wie „Die besten Köpfe verlassen das Land“, wie sie vor 1998 üblich waren, hinter
uns lassen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. Das Wort hat Bundesminister
Wolfgang Tiefensee.
({0})
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Das, was in vielen Einzelpositionen steht,
muss die Gesamtstrategie eines Hauses, der Bundesregierung und des Bundestages abbilden. Wir debattieren nun über den Einzelplan 12. Ich möchte die großen
Linien deutlich machen, die uns geleitet haben, die einzelnen Positionen so aufzustellen, wie Sie sie im Einzelplan 12 finden. Die große Linie ist: Wir wollen den
Haushalt konsolidieren und dennoch unseren Beitrag
dazu leisten, dass es ein Wirtschaftswachstum gibt, dass
Innovation stattfindet, dass die soziale Frage in unserem
Land beantwortet wird und dass gleichzeitig etwas für
das Klima getan wird. Das ist eine Herkulesaufgabe im
Hinblick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Der Einzelplan 12 belegt, dass man diese Strategie
umsetzen kann.
({0})
In den letzten Tagen haben wir wieder einige Umgehungsstraßen und Autobahnen einweihen können. Wie
Sie wissen, haben wir im Baugewerbe mit jeder eingesetzten Milliarde Euro 25 000 Arbeitsplätze erhalten
bzw. schaffen können. Wir haben auch in den neuen
Bundesländern Akzente gesetzt. Das Wirtschaftswachstum ist stabil. Die Wachstumsraten liegen oberhalb von
2,2 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist seit 2005 von rund
18 Prozent auf circa 12 Prozent deutlich gesunken.
500 000 Menschen mehr sind mittlerweile wieder in Arbeit. Das ist das Ergebnis einer klugen Politik der letzten
Jahre, die wir auch im Jahr 2009 und in den darauffolgenden Jahren fortsetzen wollen.
({1})
Das erste Ziel ist, etwas für Mobilität, für bezahlbares
Fahren zu tun. Der Einzelplan 12 ist mit Investitionen in
Höhe von 14 Milliarden Euro der größte Investitionshaushalt. Das interessiert die Bürgerinnen und Bürger
aber nicht so sehr. Sie wollen wissen: Wird der Verkehr
komfortabler, wird er leiser? Stimmen die Taktfrequenzen bei der Bahn und im ÖPNV? Kann man in seiner
Stadt in Ruhe Fahrrad fahren? Kann man sich das Autofahren überhaupt noch leisten? Mit dem Masterplan
Güterverkehr und Logistik - wir haben ihn breit diskutiert und den Ausschüssen zugeleitet - legen wir als
Bundesregierung eine Strategie vor, mit der wir auf diese
Fragen eine Antwort geben. Im Verkehrshaushalt für das
Jahr 2009 sehen wir rund 1 Milliarde Euro mehr vor,
durchstoßen also endlich die magische Grenze von
10 Milliarden Euro. Dieses Geld wenden wir zum Beispiel auf, um Umgehungsstraßen zu bauen, um den Lärm
an der Schiene - das ist etwas, das die Menschen nervt zu beseitigen, und um mehr Verkehr von der Straße auf
die Schiene zu bringen. Das ist der Grund, warum wir
gerade hier einen Akzent setzen.
Ich muss diese 1 Milliarde Euro unter den Vorbehalt
stellen, dass es uns gelingt, die Länder zu überzeugen,
mit uns gemeinsam die Maut für die schweren Lkw anzuheben und damit gleichzeitig eine größere Spreizung
der Mauthöhe zugunsten der Umwelt vorzunehmen. Ich
appelliere an meine Kollegen von der CSU, sehr verehrter Herr Dr. Friedrich: Im Kabinett haben wir das gemeinsam beschlossen. Aus Bayern erbitte ich ebenfalls
einen nachhaltigen Rückenwind dafür. Wenn wir diese
1 Milliarde Euro nicht bekommen, wenn die Länder im
Bundesrat nicht zustimmen, dann wird das im
Jahre 2009 und darüber hinaus spürbar sein. Bis 2012
werden über 3 Milliarden Euro fehlen, die wir dringend
brauchen, um voranzukommen, um beispielsweise
kleine Bahnhöfe zu sanieren und Bauprojekte zeitiger
fertig zu stellen als ursprünglich geplant. Deshalb erbitte
ich Unterstützung für diese Erhöhung der Maut und damit für den Haushalt.
({2})
Im Bausektor setzen wir die gleichen Akzente. Wir
wollen das ehrgeizige CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortsetzen und mit 1 Milliarde Euro pro Jahr
fortschreiben, damit jeder einzelne Bürger, der Mieter
und die Mieterin, im Portemonnaie spürt, dass die Nebenkosten sinken, damit das Baugewerbe merkt, dass
neue Arbeitsplätze entstehen, und damit der CO2-Ausstoß nachhaltig gesenkt wird. Aus diesem Grund haben
wir das Programm bereits in 2008 um 500 Millionen
Euro aufgestockt. Wir wissen, dass mit der 1 Milliarde
Euro pro Jahr rund 11 Milliarden Euro an Investitionen
in Gang gesetzt werden. Mittlerweile sind bereits
730 000 Wohnungen energetisch saniert und energiesparend gebaut worden. Ich möchte dieses Programm gemeinsam mit den Städten und Gemeinden in einem
Investitionspakt gerne fortführen. Ich appelliere an die
Länder und Städte, diesen Investitionspakt weiter fortzuschreiben, um etwas für die Umwelt und das Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger zu tun.
({3})
Darüber hinaus haben wir den ehrgeizigen Vorschlag
gemacht, die Großsiedlungen umzurüsten. Auch das
wird sich im Portemonnaie der Mieterinnen und Mieter
widerspiegeln. Zum Beispiel im Märkischen Viertel hier
in Berlin werden die Kosten für das Heizen der Wohnung deutlich sinken. Das ist eine gute Nachricht. Darüber hinaus darf ich an die Wohngelderhöhung erinnern. Die Wohngelderhöhung macht es möglich, dass
insbesondere Rentner und Familien, die wenig Geld in
der Tasche haben, mehr Förderung erhalten. Statt bisher
durchschnittlich 90 Euro pro Monat, wollen wir mit der
Wohngelderhöhung, die wir gemeinsam mit den Ländern
vereinbart haben, jedem Wohngeldempfänger 140 Euro
geben. Das ist soziale Politik, und das ermöglicht bezahlbares Wohnen. Das ist unser Ziel.
({4})
Darüber hinaus gilt es, Akzente zu setzen, wenn es
um Innovationen und neue Technologien geht. Deutschland muss die Technologieführerschaft auf dem Felde
der Mobilität, aber auch auf dem Felde der Gebäudesanierung, der energetischen Sanierung von Gebäuden zurückgewinnen. Wir brauchen diesen Exportartikel, wollen wir die deutsche Wirtschaft voranbringen. Auch hier
setzen wir deutlich Akzente.
Wir wollen in der Bauforschung mehr Geld aufwenden, um mit einem Siegel für nachhaltiges Bauen, das
wir im Juni dieses Jahres vorgestellt haben, Deutschland,
Europa und der Welt vorzuführen, nach welchen Kriterien in Deutschland ökologisch gebaut und umgerüstet
wird. Wir wollen der Welt vorführen, wie wir mit neuen
Technologien bei Antriebssystemen und Kraftstoffen
Akzente setzen, damit Bürgerinnen und Bürger umweltfreundlicher fahren können und Autofahren bezahlbar
bleibt. Wir unterstützen die Industrie, indem wir die Forschungsprogramme für die Wasserstoff- und BrennstoffBundesminister Wolfgang Tiefensee
zellentechnologie sowie die Elektromobilität weiter auf
hohem Niveau fortführen. Das ist einzigartig. Diese
langfristige Strategie wird sich auszahlen.
({5})
Ich habe eingangs gefragt: Wie kommt das beim Bürger an? Wie kann der Bürger konkret unsere Politik
nachvollziehen? Lassen Sie mich zum Abschluss zwei
Programme herausgreifen, die mir ganz besonders am
Herzen liegen: Das ist das Programm Soziale Stadt bzw.
das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz. In diesen Programmen läuft alles zusammen, was die Strategie
der Bundesregierung ausmacht. Wir wollen gemeinsam
mit den Ländern, den Städten und Gemeinden, die natürlich lokal die Verantwortung haben, diese Programme
einsetzen, damit das städtebauliche Erbe erhalten bleibt.
Auf der einen Seite wird die Identifikation mit unseren
Städten gestärkt und auf der anderen Seite ein Beitrag
geleistet, damit Stadtteile nicht auseinanderdriften und
sich die Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Stellung in den Städten, Gemeinden
und im ländlichen Raum wohlfühlen.
Die Mittel für diese Programme werden erneut aufgestockt. Wir erweitern das Programm Städtebaulicher
Denkmalschutz auf die alten Bundesländer. Wir stocken
auch das Programm Stadtumbau West auf, um die Konversion von Industrie- und Militärbrachen in Gang zu
setzen und fortzuführen. Das ist kluge Sozialpolitik, sowohl auf dem Felde der Mobilität als auch auf dem
Felde des Bauens und des Wohnens. Das kommt allen
zugute: Nord, Süd, West und - das darf der Beauftragte
für die neuen Länder sagen - auch und ganz besonders
dem Osten.
Ich empfehle die Annahme dieses Haushaltes.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, die
Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ein Porträt von Ihnen mit dem Titel überschrieben: „Der Ankündigungsminister“. Sie hatten ein Aufbauprogramm für arme Regionen in Westdeutschland angekündigt und es wieder
zurückgenommen.
({0})
Sie haben mindestens 8 Milliarden Euro an Einnahmen
aus der Bahnprivatisierung angekündigt. Realistisch ist,
wenn überhaupt, die Hälfte.
Ihrem Ruf als Ankündigungsminister sind Sie eben in
Ihrer Rede wieder gerecht geworden, als Sie nämlich
große Investitionen angekündigt haben. Sie haben von
1 Milliarde Euro gesprochen, die Sie zusätzlich ausgeben wollen. Sie haben dabei aber verschwiegen, woher
dieses Geld kommt. Der Ehrlichkeit halber sollte man
das sagen. Sie wollen nämlich die Maut erhöhen. Statt
auf der Ausgabenseite zu sparen, wollen Sie sich das
Geld von den Spediteuren holen, die durch hohe Benzinpreise ohnehin schon gebeutelt sind.
({1})
Die erwarteten Einnahmen haben Sie im Haushalt
schon eingeplant. Aber Sie haben nicht damit gerechnet,
dass Ihnen die Länderminister vielleicht einen Strich
durch die Rechnung machen und Ihre Pläne dadurch
massiv infrage gestellt werden. Aus gutem Grund: Die
Folgen einer Mauterhöhung wären fatal. Rund
30 000 Arbeitsplätze wären in der Logistikbranche gefährdet. Haben Sie sich das eigentlich einmal überlegt?
Wir von der FDP jedenfalls wollen ganz sicher keine
Mauterhöhung. Bevor Sie hier Ihr nächstes Projekt ankündigen, sollten Sie einmal über den Tellerrand
schauen und die Auswirkungen Ihrer Vorhaben bedenken.
Dabei reichen die von Ihnen angekündigten zusätzlichen Gelder bei weitem nicht aus, um die grundsätzlichen Probleme zu lösen. Die Verkehrswege sind seit Jahren unterfinanziert. Dies gilt insbesondere für die Straße.
Das schafft Dauerstaus mit Milliardenverlusten für unsere Volkswirtschaft.
({2})
Unsere Autobahnen sind überlastet, weil der Ausbau
nicht mit dem wachsenden Verkehr Schritt hält. Bis zum
Jahre 2025 werden der Pkw-Verkehr um 16 Prozent und
der Lkw-Verkehr um 80 Prozent steigen.
({3})
Genau entgegengesetzt entwickeln sich die Investitionen. Im kommenden Jahr wollen Sie 5,2 Milliarden
Euro in den Ausbau der Straßen stecken, im Jahr 2012
seltsamerweise nur noch 4,8 Milliarden Euro. Also, wer
will denn hier kürzen? Dabei sind jährlich mindestens
7 Milliarden Euro notwendig. Dazu kommt, dass die
Baukosten natürlich drastisch gestiegen sind. Tatsächlich kann für das gleiche Geld nur noch 75 Prozent dessen gebaut werden, was vor zehn Jahren damit gebaut
wurde. Der eigentliche Skandal aber ist, dass gleichzeitig die Einnahmen des Bundes aus Steuern und Abgaben
auf den Straßenverkehr drastisch angestiegen sind. Auch
das sollten Sie ehrlicherweise sagen. 1998 betrug die
Steuerbelastung des Kraftfahrzeugverkehrs 37 Milliarden Euro, heute sind es 50 Milliarden Euro, also 40 Prozent mehr. Sie belasten die Autofahrer immer mehr, geben aber immer weniger in den Straßenbau zurück.
({4})
Die größte Sünde bei alledem ist aber die Verwendung der Lkw-Maut. Die Mauteinnahmen waren ursprünglich als zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur geplant. Daran haben Sie sich überhaupt nicht
gehalten. Die Mauteinnahmen verschwinden zum großen Teil einfach im Haushalt.
({5})
- Natürlich. - Sie dienen schlicht als Ersatz für steuerfinanzierte Investitionsmittel. Das ist Mautbetrug. Das
werfe ich Ihnen heute nicht zum ersten Mal vor und ganz
sicher nicht zum letzten Mal.
Insgesamt wollen Sie - die Einnahmen aus der Mauterhöhung vorausgesetzt - im Jahr 2009 10,2 Milliarden
Euro in Schienen, Straßen und Wasserstraßen investieren. Das ist in der Tat 1 Milliarde Euro mehr als im letzten Jahr. Doch schon im Jahr 2010 sollen die Verkehrsinvestitionen sinken und im Jahr 2012 nur noch 9,8 Milliarden Euro betragen. Wer redet denn hier von einer
Erhöhung? Herr Tiefensee hat das anscheinend nicht vor.
({6})
Das ist dauerhaft jedenfalls zu wenig Geld für eine
leistungsfähige Infrastruktur in Deutschland.
({7})
Am Verkehrshaushalt zeigt sich das generelle Problem dieser Regierung in der Haushaltspolitik. Die Ausgaben steigen, die Investitionen sinken. Die Investitionsquote wird von jetzt 9 Prozent auf 8,4 Prozent im
Jahr 2012 sinken. Zum Vergleich: Mitte der 90er-Jahre
lag sie bei 14 Prozent. Das ist wahrlich kein gutes Zeichen für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts
Deutschland.
({8})
Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur gehört zum Kernhandeln des Staates, und sie ist
Grundlage der Export- und Industrienation Deutschland.
Deswegen, lieber Herr Minister Tiefensee, bin ich sehr
froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, diesen Etat
um 1 Milliarde Euro aufzustocken, um unserer Aufgabe
gerecht zu werden. Ich sage aber auch für meine Fraktion: Das kann nur ein erster Schritt sein. Weitere
Schritte müssen unmittelbar folgen.
({0})
Denn die Prognosen gehen von einem gigantischen Verkehrswachstum in Deutschland in den nächsten Jahren
aus. Wir haben bereits heute erhebliche Schäden durch
Staus auf unseren Autobahnen, ökologische wie ökonomische Schäden. Mit jedem Stau wird die Umwelt belastet, ohne dass der Wohlstand im Land gemehrt wird.
Deswegen ist es eine wichtige Aufgabe, dass wir den
Stau bekämpfen.
({1})
Wir haben glücklicherweise im Masterplan, den Sie,
Herr Minister, vorgelegt haben, nicht die Zielsetzung,
Mobilität und Verkehr zu verdrängen, zu verteuern oder
zu verlagern, sondern wir haben die Zielrichtung, Mobilität und Güterkraftverkehr zu preisgünstigen Bedingungen und umweltverträglich zu ermöglichen. Das ist die
große Herausforderung für die deutsche Verkehrspolitik.
Die Nutzerfinanzierung ist vor drei Jahren eingeführt worden - mit der richtigen Idee, zusätzlich zur
Steuerfinanzierung aus dem Bundeshaushalt über eine
Maut denjenigen an den Straßenkosten stärker zu beteiligen, der die Straßen auch stärker nutzt. Derjenige, der
viel fährt, soll auch viel zum Straßenbau beitragen. Ich
denke, das ist ein richtiger Ansatz.
Aber wir müssen jetzt auch dafür sorgen, dass diese
Mauteinnahmen des Güterkraftverkehrs auch in den
Straßenbau fließen. Wir müssen außerdem dafür sorgen,
dass die Jahr für Jahr entstehenden Mehreinnahmen
nicht dazu führen, dass gleichzeitig der steuerfinanzierte
Anteil Stück für Stück zurückgefahren wird. Das ist eine
Aufgabe, bei der wir als Verkehrspolitiker zusammen
mit unseren Kollegen aus dem Haushaltsausschuss in
den nächsten Jahren kämpfen müssen, damit sich dies in
der Zukunft ändert.
Herr Minister, Sie haben die Mauterhöhung angesprochen. Sie hat mehrere Komponenten.
Erste Komponente. Die rot-grüne Vorgängerregierung
hat dem Fuhrgewerbe eine 600-Millionen-Euro-Harmonisierung versprochen, die sie aber nie vorgenommen hat. Wir haben jetzt durchgesetzt, dass diese
600-Millionen-Euro-Harmonisierung kommt, gegenfinanziert über eine Mauterhöhung. Das geschieht im
Konsens mit allen Beteiligten, auch mit dem Fuhrgewerbe.
Zweitens. Auch die Idee der Bundesregierung, eine
sogenannte Mautspreizung einzuführen, also demjenigen, der mit sauberen Lkws fährt, weniger Maut abzuverlangen als demjenigen, der mit einem alten Stinker
über die Autobahn fährt, ist im Grunde ein richtiger Ansatz. Es ist auch ein richtiger Ansatz, zu sagen: Wenn die
Kosten für den Wegebau, den Straßenbau steigen, dann
müssen diese Kosten auch zu einer entsprechenden Erhöhung der Maut führen.
Nur, Herr Minister, die Frage ist natürlich, in welchen
Schritten und zu welchem Zeitpunkt wir eine solche Erhöhung vornehmen. Ist es denn richtig, diese Erhöhung
in dieser Form und in diesem Umfang in einer Phase
vorzunehmen, in der die Dieselpreise explodiert sind, in
der mittelständische Fuhrunternehmen mit dem
Rücken zur Wand stehen?
({2})
Dr. Hans-Peter Friedrich ({3})
Ist es denn vernünftig, den Fuhrunternehmen Investitionsmittel zu entziehen, wodurch ihnen die Möglichkeit
genommen wird, sauberere Lkws zu kaufen?
({4})
Nachdem Sie, Herr Minister, so freundlich an mich
appelliert haben, appelliere ich deswegen an Sie: Drohen
Sie den Bundesländern bitte nicht, dass sie keine Straßen
bekommen, wenn sie Ihrer Mauterhöhung nicht zustimmen, sondern setzen Sie sich mit den hervorragenden
Verkehrsministern der Länder zusammen, mit Emilia
Müller, mit Alois Rhiel, mit Oliver Wittke - das sind
hervorragende Gesprächspartner -, und suchen Sie eine
mittelstandsverträgliche Lösung! Übernehmen Sie Verantwortung für 3 000 mittelständische Fuhrunternehmen und die Arbeitsplätze in diesen Betrieben.
({5})
Die Nutzerfinanzierung muss aber nicht nur auf der
Straße stattfinden, sondern auch im Schienenbereich.
Die Trassenerlöse der DB müssen künftig eins zu eins in
die Schiene fließen. Noch mehr - das allein reicht nicht
aus -: Die Bahn steht vor einer Teilprivatisierung.
25 Prozent der Betriebsgesellschaften werden an die
Börse gebracht. Jahr für Jahr werden die Kapitalgeber
Dividende verlangen. Sie werden diese Dividende bekommen; aber die dreifache Dividende bekommt das
Bundesunternehmen DB AG. Wir müssen gemeinsam
dafür sorgen, dass die dreifache Dividende, die die
DB AG erhält, eins zu eins in den Schienenverkehr und
in den Ausbau der Schienenstrecken in Deutschland
fließt. Wir haben genügend Aufgaben - Sie haben vorhin
schon einige angesprochen -: Lärmschutz, aber auch den
Ausbau der Güterverkehrsstrecken.
Herr Minister, ich lese, dass Sie mit der Bahn eine
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung treffen,
also einen Vertrag abschließen wollen, durch den geregelt wird, dass der Bahn jährlich 2,5 Milliarden Euro zur
Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug soll die Bahn
die Schienenstrecken in Ordnung halten. Das ist ein guter Ansatz. Aber ich habe auch gelesen, dass der Bahn
gestattet werden soll, pro Jahr bis zu 2 Prozent der Strecken in Deutschland stillzulegen, ohne dass sich diese
Summe von 2,5 Milliarden Euro reduziert.
({6})
Ich sage Ihnen: Das ist nicht akzeptabel. Wir können einer weiteren Reduzierung des Schienennetzes in
Deutschland nicht zustimmen. Das Schienennetz in
Deutschland muss sogar noch erweitert werden; sonst
sind alle unsere Versprechungen zur Verlagerung des
Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene Makulatur.
({7})
Lassen Sie mich etwas zum Baubereich sagen. Diese
Große Koalition hat im Baubereich wichtige Impulse gegeben. Ich erinnere an die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen. Ich erinnere an das neue Eigenheimrentengesetz, mit dem die Anschaffung von Immobilien in
die Förderung von Altersvorsorge einbezogen wird. Ich
erinnere an das große CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das nicht nur einen Impuls für das Bauhandwerk
gegeben hat, sondern auch dem Klimaschutz in besonderer Weise gedient hat.
Aber auch das reicht noch nicht aus. Wir werden weitere Schritte prüfen müssen. Die Bayerische Staatsregierung hat bereits im Juni im Bundesrat einige Vorschläge
eingebracht, denen sich meine Fraktion anschließt. Beispielsweise wird vorgeschlagen, zu prüfen, ob nicht für
den Mietwohnungsbau befristet die Abschreibungssätze
verdoppelt werden können. Eduard Oswald, der Finanzausschussvorsitzende, hat in diesen Tagen einen konkreten Vorschlag gemacht: für acht Jahre statt 2 Prozent
4 Prozent Abschreibung. Das wäre ein Wort!
Wir müssen die energetische Bausanierung steuerlich
fördern. Ich halte es für notwendig, dass derjenige, der
ein Bestandsgebäude in einen Neubauzustand versetzt,
steuerlich gefördert wird. Das alles sind zusätzliche Impulse für den Baubereich, die wir geben müssen.
Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt insgesamt
auf einem guten und richtigen Weg sind. Ich wünsche
den Haushältern in den nächsten Wochen gute Beratungen und vor allem die Erkenntnis, dass Verkehrsinfrastruktur in der Zukunft das entscheidende Kriterium für
die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist und
dass wir in dieser Frage eine hohe Verantwortung haben.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle
zunächst für mich fest: Prima Klima in der Großen Koalition
({0})
sieht anders aus als das, was wir gerade erlebt haben.
Herr Verkehrsminister, Sie sind auch der Verkehrssicherheitsminister; deshalb eine aktuelle Vorbemerkung,
gewissermaßen wegen Gefahr im Verzug. Ich muss Sie
auffordern: Stoppen Sie Herrn Beckstein, der mit seinem
Aufruf „Zwei Maß Bier am Steuer“ zur Verkehrsunsicherheit beiträgt.
({1})
Das können Sie ihm nicht durchgehen lassen. Dazu
braucht es die in Ihrer Partei beliebte klare Kante.
({2})
Wir reden hier über den Infrastrukturhaushalt des
Bundes, den größten Investitionsetat, wobei die Größe
eines Etats noch nichts über das Führungsniveau eines
Ministeriums sagt. Selbstverständlich hat die Linke ein
positives Verhältnis zu zukunftsfähigen Investitionen.
Ich kann das auch hinreichend belegen.
Die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister und
viele weitere haben das Gebäudesanierungsprogramm
hervorgehoben. Es ist just die Fraktion Die Linke gewesen, die schon in den Jahren 2006 und 2007 Anträge des
Inhalts gestellt hat, die Mittel dafür, weil es ein sinnvolles Programm ist, zu verstärken. Wir haben Sie gewissermaßen zum Jagen getragen.
({3})
Das geht auch in Ordnung so.
({4})
Das werden wir, wo nötig, auch weiter tun.
({5})
Ich will natürlich ein Wort zur Bahn sagen, die fast
ein Drittel der Investitionen bekommen wird, zu den Investitionen also, die dann an die DB AG oder deren teilprivatisierte Töchter gehen. Wir verhandeln gerade, und
zwar nicht stressfrei - das haben wir gemerkt -, die sogenannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Damit haben wir es in dieser Woche und in den
nächsten Wochen womöglich zum letzten Mal in der
Hand, eine Fehlentwicklung, wie wir finden, zu korrigieren und die Entscheidung zu treffen, ob wir wirklich eine
Börsenbahn oder eine Bürgerbahn wollen.
Die Turbulenzen am internationalen Finanzmarkt, die
Warnungen, die wir alle in dieser Woche aufgenommen
haben, müssten wirklich reichen, dass wir die Signale
hören. Wir müssten doch in der Lage sein, daraus Lehren
zu ziehen und die Entscheidung bei der Bahn zu korrigieren.
({6})
Herr Minister Tiefensee, Sie sind wie die halbe Ministerriege Mitglied des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Reicht es denn noch immer
nicht?
({7})
Was werden wir hier noch alles als Folge der Krise an
den internationalen Finanzmärkten erleben? Kann
man nicht einmal aus Fehlern lernen? Ich erinnere mich
gut daran, welche Häme ich erntete, als ich im vergangenen Jahr die Probleme von Börsengang und Teilprivatisierung vor dem Hintergrund der damals schon bekannten Turbulenzen bei der IKB angesprochen habe. Sie tun
so, als seien die internationalen Finanzmärkte, auf denen
sich ja die DB-Teilprivatisierung vollziehen soll, ein
Streichelzoo. Dem ist nicht so. Jetzt haben wir die letzte
Chance, diesen Fehler zu korrigieren.
({8})
Dann haben wir uns ja alle, und zwar fraktionsübergreifend, über die geplante Einführung eines „Bedienzuschlages“ aufgeregt. Dieser Begriff hätte ja gute Chancen gehabt, zum Unwort des Jahres zu werden. Dann ist
dieses Vorhaben sozusagen wieder aus der Welt geschafft worden. Was ich ziemlich zynisch und empörend
finde, ist die Tatsache, die sich hinter dem Nebel vollziehen wird, nämlich eine Preiserhöhung um durchschnittlich 4 Prozent bei der Bahn ab 14. Dezember. Diese wird
trotz allem stattfinden. Das nennen wir schlichtweg einen Skandal.
({9})
Wir müssen da auch nach Ihrer Rolle fragen, Herr Minister. Sie haben den Bahnchef kritisiert. Mutig, mutig!
Erwartet wird von Ihnen aber, dass Sie die Besitzer und
Kunden der Bahn vor solchem Unfug schützen, und
nicht, dass Sie nur drohend den Zeigefinger erheben;
denn nach Ihren eigenen Worten - ich hoffe, dass das
kein Versprecher war - ist die Bahn noch immer Volkseigentum.
Wir müssen Sie auch daran erinnern, dass seit drei
Jahren ein Schiedsverfahren bezüglich der entgangenen
Mauteinnahmen läuft. Sie halten uns weiter hin mit
dem Versprechen, dass man das in Ruhe durchführen
müsse; es ist nämlich erneut nichts in diesen Etat eingestellt.
Ich will ein letztes Wort zu Ihrer Rolle als Ostbeauftragter sagen. Außer der Formel „Alles wird gut“ haben
Sie dazu hier ja nichts gesagt.
({10})
Auch ich weiß natürlich, dass es inzwischen im Osten
Wachstumsregionen gibt. Ich weiß, dass es auch strukturschwache Gebiete im Westen gibt. Wir haben das alles in unseren Anträgen berücksichtigt. Aber solange es
noch so ist, dass unter den 50 leistungsschwächsten
Landkreisen der Bundesrepublik 49 ostdeutsche sind,
haben wir ein Ost-West-Problem. Solange es noch so
ist, dass der Umsatz der 100 größten ostdeutschen Unternehmen zusammen nicht einmal die Hälfte des Umsatzes
von Daimler erreichen, haben wir ein Ost-West-Problem.
Wir empfinden es auch als empörend, dass die Transformationserfahrungen der Ostdeutschen, die in den letzten 18 Jahren gesammelt wurden, nicht wirklich abgerufen und eingesetzt werden. Sie haben heute erneut eine
Chance vertan, Herr Minister, das zur Sprache zu bringen.
Wir werden Ihren Etat beraten - Verkehre zu Wasser,
zu Lande und in der Luft und vieles mehr. Wir werden
ihn sicherlich um einige Millionen Euro korrigieren. Wir
wissen ja noch nicht, welche Milliardenbeträge staatseiRoland Claus
gene Banken vielleicht demnächst wieder verzocken.
Deshalb sage ich: So kann es nicht weitergehen, und es
ist gut, dass es für Veränderungen und Alternativen eine
Adresse gibt, nämlich die Linke.
({11})
Das Wort hat nun Winfried Hermann für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr
Minister hat soeben gesagt, dass der Haushalt in Zahlen
gegossene politische Strategie sei. Das sollte er ja auch
sein. Deswegen will ich mich heute wirklich auf das
Zahlenmaterial und vor allen Dingen auf die Frage der
Infrastruktur konzentrieren, die, wie wir alle wissen,
sehr bedeutend für diesen Haushalt ist. Sie umfasst zwar
nicht das gesamte Gebiet des Verkehrs, stellt aber ein
zentrales Problem dar.
Sie haben sich damit gebrüstet - das kann man übrigens auch in Ihren Ergänzungen zum Haushalt nachlesen -,
dass für diesen Haushalt besonders viele Investitionsmittel locker gemacht wurden. Sie haben auch zu Recht
darauf verwiesen, dass die Ansätze angehoben wurden.
In einem Punkt will ich Sie ausdrücklich unterstützen
und auch loben: Es ist richtig, die Erhöhung der Investitionen an die Zustimmung des Bundesrates zur Mauterhöhung zu knüpfen. Es darf nämlich nicht zugelassen
werden, dass eine große Koalition der Scheinheiligen,
angeführt von der CSU und gefolgt von der FDP,
({0})
einerseits behauptet, dass es eine Sauerei sei, dass die
Maut erhöht werde, andererseits aber ständig darüber
klagt, dass zu wenig Mittel für Schiene, Straße usw. zur
Verfügung gestellt werden. Das passt nicht zusammen.
Das dürfen wir nicht durchgehen lassen.
({1})
Die CSU muss sich einmal entscheiden, ob sie wirklich
etwas für die Infrastruktur tun will oder ob sie populistisch einmal für das eine und ein anderes Mal für das andere eintreten will.
({2})
Sie sagen, Sie haben das deutlich erhöht. Wenn man
sich die Zahlen anguckt, dann ist das - genau betrachtet nicht so viel. Die Investitionen sind auch nicht so hoch.
Ich halte es für bedenklich, wenn man bei der Betrachtung des Schienenverkehrsbereichs sieht, dass die Investitionsmittel auf 3,9 Milliarden Euro gestiegen sind,
wenn aber im gleichen Zeitraum die Mittel für die Rentner der Bahn auf 5,8 Milliarden Euro gestiegen sind. Ich
will denen nicht die Rente neiden, aber es zeigt, wie
schräg der Etat bei uns inzwischen ist. Wir geben für die
Vergangenheit - also für die, die gearbeitet haben - inzwischen mehr aus als für Zukunftsinvestitionen. Das ist
ein Problem. Ich glaube, das muss man zur Kenntnis
nehmen.
({3})
Sie erklären stolz, es seien dieses Jahr schon
10 Milliarden Euro. Wenn man aber zurückblickt, dann
sieht man, dass wir in den Jahren 2001 bis 2003 allein im
Schienenbereich deutlich höhere Investitionen als heute
gehabt haben. Selbst die CDU/CSU-FDP-Regierung hat
in den 90er-Jahren zum Teil höhere Etats gehabt als wir
heute für das Jahr 2009. Sie sagen, das sei ein Zukunftsinvestitionsprogramm. Ich kann nur sagen, das ist ziemlich übertrieben, und zwar vor allem dann, wenn man bedenkt, dass sich die Preise in all den Jahren deutlich nach
oben entwickelt haben. Hierzu werde ich später noch
mehr sagen.
Man muss noch in Betracht ziehen, dass zu den relativ
geringen Mitteln hinzukommt, dass wir alte Projektentscheidungen haben, die unheimlich viel Geld kosten.
Wir haben es gestern im Unterausschuss Infrastruktur
gehört. Allein das Projekt Deutsche Einheit NürnbergErfurt in Richtung Berlin ist mit 10 Milliarden Euro angesetzt. Es wird ab 2011 mehr als 60 Prozent aller Investitionsmittel schlucken. Dazu kann ich nur sagen, damit
kann man die Zukunft im Netz nicht gewinnen, und das
ist das große Problem.
({4})
Wir plädieren sehr dafür, dass die Schiene weiterentwickelt wird. Wir sind natürlich dafür, Verkehr auf die
Schiene zu verlagern. Vorhin wurde gesagt, die Verlagerung stehe nicht an. Natürlich steht im Masterplan
Güterverkehr und Logistik eindeutig, dass wir eine Verlagerung des Verkehrs in Richtung Schiene wollen.
Wenn ich das aber will, dann muss sich das auch in Zahlen niederschlagen. Ich kann doch nicht einfach auf dem
Niveau vergangener Jahre weitermachen. Wir haben
festgestellt, dass wir keine wirkliche Verlagerung erreicht haben, obwohl wir in den letzten 10 bis 15 Jahren
ordentlich investiert haben. Wenn wir das wirklich wollen, dann muss hier deutlich mehr geschehen.
Betrachten wir die Preisentwicklung noch einmal genauer. Das Ministerium hat in der letzten Woche eine
Darstellung herausgebracht, die zeigt, wie sich die Baupreise beispielsweise im Tunnelbau und im Hochbau
entwickelt haben. Man muss sagen, dass es hier Preissteigerungen zwischen 50 und 100 Prozent gab. Bei genauer Betrachtung sind Ihre 10 Milliarden Euro in den
nächsten Jahren also eher die Hälfte wert. Es gibt faktisch nicht mehr Geld für Infrastrukturinvestitionen, sondern weniger. So kann man die Zukunft nicht gewinnen.
So kann man nicht verlagern. So wird man den Schienenverkehr nicht ausbauen.
({5})
Aus Zeitgründen verzichte ich darauf, den Straßenbau
genauer zu beleuchten. Die Struktur ist aber gleich. Er ist
im Bereich der Sanierung und des Erhalts unterfinanziert. Der Ausbau ist uns sicherlich nicht so wichtig, aber
das Geld reicht hinten und vorn nicht.
Jetzt kommt die Frage: Wie wollt ihr das anders machen? Wie wollt ihr das finanzieren? Wir sagen ganz offen und klar: Wenn wir eine bessere, eine wirklich gut
funktionierende Infrastruktur für alle Verkehrsträger haben wollen, dann müssen wir den Leuten sagen, dass dafür mehr Geld ausgegeben werden muss. Wenn wir das
sagen, dann müssen wir auch sagen, wie wir das finanzieren wollen. Deshalb sind wir erstens der Meinung,
dass die Erhöhung der Maut richtig ist. Aus unserer
Sicht hätte sie höher sein können. Zweitens muss es dazu
kommen, dass endlich auch die kleinen Lkws bezahlen.
Das ist dann keine Erhöhung, sondern eine Ausweitung.
Vor allem aber müssen wir drittens auch für die autobahnähnlichen Bundesfernstraßen Maut erheben. Auch das
bringt Einnahmen. Viertens müssen wir endlich die kontraproduktiven Subventionen beseitigen. Wir müssen
also die Kerosinsteuer einführen und die Mehrwertsteuerbefreiung für den Flugverkehr abschaffen. Das sind
nur zwei Baustellen, bei denen wir klar sagen, hier kann
man Mittel generieren, mit denen man die Infrastruktur
insgesamt nach vorn bringen kann.
({6})
Ich muss zum Schluss kommen. Eine Politik, die sagt,
wir wollen Verkehr verlagern und die Infrastruktur zukunftsfähig ausbauen, sieht anders aus. Bei genauer Betrachtung sind Ihre Zahlen ziemlich geschönt. Eigentlich
muss man sagen, dass wir in einer tiefen Finanzkrise der
Infrastruktur stecken. Darüber sollten wir reden.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat nun Klaas Hübner für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Opposition hat circa 15 Minuten lang in diesem
Hause geredet, dabei aber nicht immer etwas Sinnvolles
gesagt.
({0})
Frau Kollegin Winterstein, Sie haben eben eine solide
Finanzierung unserer Haushalte angemahnt; das tut die
FDP immer. Meistens fordern Sie in dem Zusammenhang auch Ausgabensenkungen. Gleichzeitig beklagen
Sie, dass es zu wenig Ausgaben im Infrastrukturbereich
gebe. Wir wollen dort die Ausgaben erhöhen, aber wir
wollen sie auch solide finanzieren. Da machen Sie sich
einen schlanken Fuß. Es wäre kein Skandal, wenn die
Maut erhöht würde; vielmehr wäre es ein Skandal, wenn
wir durch eine Nichterhöhung der Maut nicht 3 Milliarden Euro zusätzlich in den Straßenverkehr stecken könnten, Frau Kollegin Winterstein.
({1})
Herr Kollege Claus, Sie haben wieder einmal angemahnt, dass wir aus dem Schiedsgerichtsverfahren zur
Maut keine Einstellung in den Etat vorgenommen haben.
Zu den letzten beiden Etats haben Sie den gleichen Antrag eingebracht. Sie haben gesehen, dass es jeweils zu
keinem Ergebnis gekommen ist. Hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dieses Geld in den Etat einzustellen, hätte es
Ihnen also im Haushalt gefehlt. Sie hätten noch mehr
Schulden machen müssen, weil Sie den Haushalt eben
nicht solide finanziert haben. Sie sind die Schuldenmacherpartei. Von der Linkspartei werden immer unseriöse
und nichtfinanzierbare Forderungen aufgestellt.
({2})
Trotzdem ist in den letzten 15 Minuten auch etwas
Sinnvolles passiert. Wissen Sie, dass dank unserer
Politik in 15 Minuten über 34 Tonnen CO2 weniger aus
den Schornsteinen der Wohnhäuser in Deutschland in
die Atmosphäre geblasen werden? In 15 Minuten sparen
die Nutznießer unserer CO2-Gebäudesanierungspolitik
140 000 Kilowattstunden. Wir handeln für das Klima
und für die Menschen. Die Nachfrage der Menschen an
der Stelle gibt uns recht.
({3})
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist ein voller Erfolg. Bereits im August dieses Jahres waren so
viele Anträge eingegangen, dass die veranschlagten
Haushaltsmittel aufgebraucht waren. Wir haben deshalb
500 Millionen Euro nachgeschossen. Herr Minister, dieses Geld ist hervorragend angelegt.
({4})
Mit jeder Sanierungsmaßnahme werden Mieter und Eigentümer von Energiekosten entlastet. Mit jeder Sanierungsmaßnahme wird die Atmosphäre, wird die Umwelt
ein Stück mehr geschont.
Deshalb wollen wir Sozialdemokraten das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im kommenden Jahr um zusätzliche 270 Millionen Euro aufstocken und die Finanzierung in der Laufzeit bis mindestens 2015 garantieren;
denn Mieter und Eigentümer brauchen nach unserer
Auffassung echte Planungssicherheit an dieser Stelle.
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm entlastet aber
nicht nur Geldbeutel und Umwelt. Dieses Programm
schafft und sichert Arbeitsplätze, vor allem im Bauhandwerk und in der Bauindustrie. Es ist daher ein gutes Beispiel für eine intelligente Verzahnung von Ökonomie
und Ökologie, und das ist auch ein Markenzeichen Ihres
Hauses, Herr Minister.
({5})
Zwar ist die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogrammes ein wichtiger Beitrag; aber es müssen
weitere folgen. Herr Minister, Sie haben einige genannt,
zum Beispiel die Sanierung von Großwohnsiedlungen,
in denen immerhin 5 Millionen Menschen leben. Das
unterstützen wir voll und ganz. Sie haben auch etwas
zum Wohngeld gesagt, das wir ja schon novelliert haben. Ich will ergänzen, dass wir uns wünschen, dass die
Erhöhung auf den 1. Oktober vorgezogen und somit
schon früher wirksam wird.
({6})
Wir wollen das mit dem Koalitionspartner und den Ländern besprechen. Aber ich glaube, das wäre ein sinnvoller und effektiver Beitrag, zumal wir auch die Heizkostenkomponente eingeführt haben, um den steigenden
Energie- und Heizkosten wirkungsvoll entgegenzutreten.
Deshalb werden wir dafür kämpfen, Herr Minister, hoffentlich mit Ihnen an unserer Seite.
({7})
Intensiv haben wir in diesem Zusammenhang auch
weitere Möglichkeiten diskutiert, Energietarife zu beeinflussen. Wir sind - das will ich hier ehrlich sagen - zu
dem Ergebnis gekommen, dass dies nur unter Inkaufnahme erheblicher Ungerechtigkeiten im Einzelfall
möglich wäre. Am meisten profitieren würden von den
sogenannten verbrauchsorientierten Stromtarifen doch
die Haushalte, die mit Gas heizen und kochen und Strom
nur für Waschmaschine, Stereoanlage und Licht brauchen. Wer aber zum Beispiel im Geschosswohnungsbau
der 70er-Jahre wohnt und Energie nur aus der Steckdose
bezieht, wer also mit Strom auch kochen, heizen und
Wasser erwärmen muss, wäre dann der Gekniffene; er
müsste die höheren Tarife bezahlen. Das sind meistens
nicht die sozial starken, sondern die sozial schwachen
Gruppen. Darum wäre ein solcher verbrauchsorientierter
Tarif nicht sozial gerecht. Deshalb lehnen wir als Sozialdemokraten ihn ab.
Kommen wir zum mobilen Bereich. Es gibt ein
Grundrecht auf Mobilität; keine Frage. Es gibt aber kein
Grundrecht auf Automobilität bei konstanten Kosten; so
ehrlich müssen wir sein. Wir könnten dieses Grundrecht
nicht einlösen; das ist nicht finanzierbar. Wer das fordert,
müsste auch sagen, wo die Milliarden dann herkommen
sollen, um die Preissteigerungen zum Beispiel dieses
Sommers zu finanzieren. Wir müssen umgekehrt darauf
setzen, dass wir effizienter werden, auch im automobilen
Bereich. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten Anreize für den Kauf effizienterer Autos schaffen. Wir werden entsprechende Vorschläge machen. Insofern glaube
ich, dass wir auf das richtige Pferd setzen, wenn wir sagen, dass Effizienz wichtig ist. Wir werden die Weltmarktpreise nicht aus nationaler Sicht beeinflussen
können. Wir können nur versuchen, Energie effizienter
zu verbrauchen, weniger zu verbrauchen und so zu einer
Preisminderung beizutragen. Das ist der richtige Weg für
uns.
({8})
Es ist außerdem wichtig, das Angebot an alternativen Verkehrsmitteln weiter auszubauen. Ein gutes öffentliches Nah- und Fernverkehrsnetz sowie gute Radwege sind uns deshalb wichtig. Hier werden wir auch in
den kommenden Jahren gezielt investieren.
Aber klar ist auch: Güter müssen nicht nur auf der
Straße transportiert werden. Wir wollen mit unserem
Programm noch gezielter und noch stärker das Schienennetz, die Anlagen für den kombinierten Verkehr und die
Hafenhinterlandverbindungen ausbauen und damit die
Voraussetzung schaffen, mehr Güter auf der Bahn zu
transportieren. Wir wollen, dass Deutschland der Logistikstandort Nummer eins bleibt. Wir haben dort einen
wachsenden Arbeitsmarkt. Wir Sozialdemokraten werden dafür kämpfen, dass das möglich ist.
({9})
Sehr geehrter Herr Kollege Friedrich, Sie haben kurz
ein paar Anmerkungen zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemacht. Sie wissen, dass wir dazu
getagt haben. Sie hatten leider keine Zeit, daran teilzunehmen. Bevor Sie in der nächsten Zeit Ihre Informationen nur aus der Zeitung beziehen, biete ich Ihnen an,
darüber ein Gespräch zu führen. Ich bin dazu jederzeit
bereit. Ich glaube, wir können das Ganze bilateral richtigstellen.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zum Aufbau
Ost sagen, für den der Herr Minister auch zuständig ist.
Hier möchte ich ausnahmsweise - das haben wir in letzter Zeit nicht oft getan - den Spiegel zitieren. Der
Spiegel titelt in seiner jüngsten Ausgabe: „Vorteil Ost“.
Er übertreibt natürlich etwas - das ist beim Spiegel nicht
ganz unüblich -, indem er von Reindustrialisierung
spricht. Aber mit den Händen zu greifen sind die Erfolge, die im Hinblick auf die Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft und die dort entstandenen Arbeitsplätze
erzielt worden sind. Die in den vergangenen Jahren von
Konsequenz geprägte Förderpolitik der Bundesregierung
trägt offenbar allen Unkenrufen zum Trotz doch Früchte.
Ich möchte an dieser Stelle allen beteiligten Ressorts für
diese konsequente Politik ausdrücklich danken.
({10})
Angesichts der unbestreitbaren Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet sollte verstärkt eine andere Dimension ins Blickfeld rücken: Das ist die Vollendung der
Einheit im sozialen Bereich. Im nächsten Jahr werden
wir in vielfältiger Weise des 20. Jahrestages der friedlichen Revolution gedenken. Im Einigungsprozess ist vieles richtig gemacht worden, manches aber auch falsch.
Ich will darüber gar nicht rechten; aber es ist schon
merkwürdig, dass eine damalige Regierungspartei West
in einem offiziellen Papier versucht, sich das Verdienst
ganz allein zuzuschreiben, als wären die Ostdeutschen
nur Objekt gewesen und als hätte es eine frei gewählte
Volkskammer nie gegeben. Nein, die Bürgerinnen und
Bürger im Osten können stolz darauf sein, mit dieser
friedlichen Revolution die Einheit Deutschlands eingeleitet zu haben.
({11})
Mit den damals geweckten Erwartungen - dem
selbsttragenden Aufschwung und den blühenden Land18844
schaften - haben wir es noch heute zu tun. 20 Jahre danach müssen wir den Bürgern in Ostdeutschland eine
klare Ansage machen, eine klare Perspektive geben, wie
es weitergehen soll. Ich sehe dafür drei Kernbereiche:
Das erste Thema ist: Die gewerbliche Wirtschaft
brummt. Es hapert noch ein wenig bei der Dienstleistung, beim Handel. Das ist auch verständlich; denn das
Lohnniveau im Osten ist deutlich niedriger. Darum ist es
gerade für uns Sozialdemokraten so wichtig, im Osten
einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, damit der Konsum im Osten wieder eine selbsttragende
Kraft erreichen kann.
({12})
Natürlich müssen wir uns auch um die verfestigte
Langzeitarbeitslosigkeit - das ist das zweite Thema kümmern, die im Osten besonders stark ausgeprägt ist.
Wir müssen den Menschen wieder das Gefühl geben,
dass sie aus eigener Anstrengung in der Lage sind, an
der Gesellschaft teilzuhaben, es durch eigene Fähigkeiten schaffen, am Wohlstand teilzuhaben. Wir dürfen sie
nicht einfach nur alimentieren, wie das manche von der
Linkspartei wollen. Nein, wir wollen die Menschen individuell befähigen, dass sie aus eigener Kraft ihren eigenen Anteil am Wohlstand sichern können. Das ist der
richtige Weg - nicht eine Alimentation, wie sie teilweise
von der Linken gefordert wird.
({13})
Ich will ein drittes Thema nicht aussparen: Das ist das
Thema Rente. Ich glaube, dass wir auf Sicht in ganz
Deutschland ein einheitliches System für die Berechnung der Rente brauchen.
({14})
Das ist keine einfache Aufgabe; das ist eine sehr komplizierte Materie. Aber ich glaube, es ist an der Zeit und ist
den Schweiß der Kundigen wert, eine solide finanzierte,
für alle verständliche und in ganz Deutschland akzeptierte Lösung zu suchen.
Vielen Dank.
({15})
Das Wort hat nun Jan Mücke für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Vorausschicken möchte ich,
dass Kollege Friedrich vorhin eine klassische Oppositionsrede gehalten hat.
({0})
Dies hat mich sehr verwundert. Ich habe dies am Beifall
Ihrer Kollegen in der Koalition gesehen; er ist doch sehr
zurückhaltend ausgefallen.
Was ich besonders bemerkenswert finde, ist Ihre Argumentation zur Entlastung des deutschen Transportgewerbes beim Thema Maut.
({1})
Diese Entlastung - über 600 Millionen Euro - sollte seit
2005 gewährt werden. Sie haben es als Bundesregierung
bis heute nicht geschafft, diese Entlastung auf den Weg
zu bringen. Nun sagen Sie: In diesem Jahr schaffen wir
das, aber wir müssen im Gegenzug leider die Maut erhöhen. Das ist eine Entlastung nach CSU-Manier. Dafür
wird die FDP niemals die Hand reichen.
({2})
Noch ein Wort zum Thema Maut, zum Anteil der
Maut an den Gesamtinvestitionen. Wir haben uns das
einmal angesehen: Der Anteil der Maut an den Gesamtinvestitionen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das heißt, aus dem Bundeshaushalt sind für Investitionen in die Straßeninfrastruktur immer weniger
Mittel zur Verfügung gestellt worden. Der Anteil der aus
dem Haushalt finanzierten Infrastruktur sinkt immer
weiter. Unter Rot-Grün lag er noch bei 9,3 Milliarden
Euro. Zwischen 2005 und 2008, also in der Regierungszeit von CDU/CSU und SPD, bei 7,05 Milliarden Euro.
Nach Ihrer Planung wird er im Jahr 2009 auf 6,4 Milliarden Euro sinken. Den Anteil der tatsächlich aus dem
Haushalt finanzierten Investitionen fahren Sie immer
weiter zurück. Bei der Einführung der Maut ist aber genau das Gegenteil versprochen worden.
({3})
Es wurde immer gesagt: Die Maut wird eingeführt, um
zusätzliche Investitionsmittel für die Straße zu generieren. Das Gegenteil ist eingetreten: In dem Maße, in dem
Sie über die Maut zusätzlich Geld einnehmen, haben Sie
die Haushaltsmittel im Gegenzug heruntergefahren. Gegen dieses schleichende Zurückfahren der Investitionsmittel müssen wir ankämpfen.
Hier ist gesagt worden: Die Opposition meckert nur,
dabei sollte sie eigentlich einmal Gegenvorschläge machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, das Ganze ist eine Frage der Prioritätensetzung im Haushalt. Wofür soll das Geld ausgegeben
werden? Solange wir für die IKB noch 10 Milliarden
Euro übrig haben und für alle möglichen anderen Notfälle auch, aber nicht in das investieren, was für dieses
Land wirklich wichtig ist, nämlich in Bildung und Infrastruktur, so lange werden Sie diese Probleme nicht auf
die Reihe bekommen. Das ist eine Folge Ihrer falschen
Prioritätensetzung.
({4})
Im Bereich der Straßeninfrastruktur wird noch eine
große Herausforderung auf uns zukommen. Vielleicht
haben Sie heute in der Leipziger Volkszeitung gelesen:
Betonkrebs zerfrisst die Autobahnen. Experten rechnen
mit Belastungen in Milliardenhöhe durch schlecht verarbeiteten Beton. Im Übrigen ist das nicht nur bei Straßen,
sondern auch bei Bahnschwellen ein großes Problem.
Das werden wir im nächsten Jahr sehen, wenn die Bahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg teilweise gesperrt werden muss, weil über 200 000 Betonschwellen
ausgetauscht werden müssen. Diese Belastungen sind in
Ihrem Haushalt nicht abgebildet.
Das führt uns zu einem weiteren Problem, das ich mir
etwas genauer angeschaut habe, weil ich mich dafür besonders interessiere: Das ist der Luftverkehr. Ich will
das hier einmal zum Thema machen, weil es in der
Haushaltsdebatte relativ selten eine Rolle spielt. Ich
habe mir den Stellenplan des Luftfahrt-Bundesamtes angeschaut. Sie wissen, dass dem Luftfahrt-Bundesamt in
den letzten Jahren immer mehr Aufgaben übertragen
wurden, unter anderem die Umsetzung der Fluggastverordnung der Europäischen Union. Mittlerweile gibt es
über 6 000 Beschwerden von Fluggästen, die besagen,
dass sie von ihrer Airline nicht korrekt behandelt wurden. Die meisten dieser Beschwerden sind berechtigt.
Das Luftfahrt-Bundesamt hat die Aufgabe, diese Beschwerden zu prüfen. Allerdings hat es seit Jahren nicht
das dafür erforderliche Personal. Der Personalbestand
des Luftfahrt-Bundesamtes ist kontinuierlich zurückgefahren worden. Für 2009 wurde beantragt, über 80 neue
Stellen in den Haushalt, der uns als Entwurf vorliegt,
einzustellen. Herr Minister, im Haushaltsplan für 2009
vorgesehene neue Stellen: drei. Auf diese Art und Weise
können wir das Problem nie und nimmer in den Griff bekommen.
Wir haben schon einmal darüber debattiert, dass eine
neue Aufsichtsbehörde für die Flugsicherung beim Luftfahrt-Bundesamt als Voraussetzung für eine Kapitalprivatisierung der Flugsicherung eingerichtet werden muss.
Auch das würde neue Stellen erforderlich machen. Wenn
Sie das wollen, müssen Sie auch dafür sorgen, dass das
Luftfahrt-Bundesamt die Stellen, die dafür notwendig
sind, zur Verfügung gestellt bekommt.
({5})
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein weiteres
Thema ansprechen, das gerade ganz aktuell einige große
Rolle spielt - auch da ist die Bundesregierung gefragt -:
die Rechte von Passagieren, die in einem Flugzeug sitzen, das technisch nicht in Ordnung ist. Nach dem Spanair-Unglück haben wir gesehen, dass Passagiere zum
Weiterflug gezwungen wurden, obwohl sie ausdrücklich
gesagt hatten, dass sie aussteigen wollen. Hier ist der
Gesetzgeber gefragt. Wir müssen uns eine Regelung einfallen lassen. Wenn ein Start aus technischen Gründen
abgebrochen wurde, müssen die Passagiere ein gesetzlich verbrieftes Recht haben, aus der Maschine auszusteigen und eine alternative Maschine in Anspruch zu
nehmen.
({6})
Letzter Punkt: das Thema Bahn. Das, was wir hier
hinsichtlich des geplanten Bedienzuschlages und der Erhöhung der Fahrpreise erlebt haben, muss man, glaube
ich, differenziert betrachten, Herr Claus. Ich bin der
Meinung, dass auch die Bahn das Recht hat, ihre Fahrpreise anzuheben, wenn sie steigende Kosten hat, beispielsweise durch Tarifabschlüsse oder steigende Energiepreise. Das ist absolut konzediert. Das macht jedes
andere Unternehmen auch. Dafür würde ich die Bahn
also nicht kritisieren.
Bei der Frage des Bedienzuschlages - da hat der
Bahnvorstand ja nun endlich ein Einsehen gezeigt - ist
sie aber sehr wohl zu kritisieren. Ein Bedienzuschlag
sollte offensichtlich dazu führen, dass immer weniger
Menschen ein Reisezentrum in Anspruch nehmen.
({7})
Das ist gerade für die älteren Menschen in unserem
Lande ein großes Problem. Denn nicht jeder ältere
Mensch kann einen Computer bedienen oder möchte
sich an einem Automaten sein Ticket kaufen. Deshalb
war dieser Vorschlag des Bahnvorstandes keineswegs in
Ordnung. Wir als FDP haben uns dagegen eingesetzt.
({8})
- Der Minister auch. Es hat aber eine Weile gedauert, bis
er sich dagegen eingesetzt hat. Dass er es endlich getan
hat, rechnen wir der Politik der FDP zu.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun Kollege Norbert Königshofen für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mücke, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede, die in
vielen Teilen beachtlich war, geglaubt, feststellen zu
müssen, dass unser Kollege Dr. Friedrich eine Oppositionsrede gehalten hat.
({0})
Ich will Ihnen der Ordnung halber sagen, dass wir in der
Großen Koalition natürlich das Gemeinsame herausstellen, uns aber auch nicht scheuen, das anzusprechen, worüber wir noch zu reden haben. Genau so ein Punkt ist die
LuFV - auf die komme ich gleich noch zu sprechen -,
über die wir intensiv gesprochen haben und noch intensiv sprechen werden. Sie können davon ausgehen, dass
die CDU/CSU die sozialdemokratischen Minister genauso unterstützt wie die eigenen.
({1})
- Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen. Sie
werden sehen, dass wir das Versprechen halten werden.
({2})
In der Haushaltsdebatte ist es richtig und wichtig,
auch die Privatisierungserlöse anzusprechen; denn sie
stellen einen großen Brocken dar. Ich darf daran erinnern: Für dieses Jahr haben wir 10,7 Milliarden Euro
veranschlagt, für das nächste Jahr 4,3 Milliarden Euro,
6,5 Milliarden Euro für 2010 und 4,6 Milliarden Euro
für 2011. Das zeigt, dass dies ein wichtiges Gebiet ist.
Der Verkehrshaushalt ist dabei in starkem Maße betroffen.
Zwei Punkte möchte ich heute ansprechen: erstens die
DFS, die Deutsche Flugsicherung, und zweitens die
Deutsche Bahn.
Das Vorhaben, die DFS zu privatisieren, ist ja eine
Zeit lang vor sich hin gedümpelt. Niemand wollte das
Ganze mehr angehen; es war durch das Veto des Bundespräsidenten gescheitert. Es war schon der Eindruck entstanden, das Thema sei ad acta gelegt, obwohl wir im
Koalitionsvertrag eine eindeutige Vereinbarung dazu haben. Deswegen freue ich mich, dass es seit dieser Woche
eine neue Entwicklung gibt. Die Spitzen der Koalition
haben vereinbart, das Thema anzufassen, die notwendigen Strukturanpassungen durchzuführen und wenn notwendig eine Grundgesetzänderung zu machen.
({3})
- Noch in dieser Periode, so hoffen wir, Kollege
Hermann.
Sie wissen, Grundgesetzänderungen sind in einer
Großen Koalition immer leichter als in einer kleinen.
Man weiß ja nicht, was nach 2009 kommt. Ich glaube jedoch, dass es in dieser Frage keinen großen Dissens zwischen den meisten der hier vertretenen Fraktionen gibt.
Wir sind uns einig - das steht außer Frage -, dass die
Deutsche Flugsicherung im Hinblick auf die Schaffung
eines einheitlichen europäischen Luftraums handlungsfähig gemacht werden muss. Wir brauchen über Zentraleuropa, also über Deutschland, Belgien, Frankreich,
Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz, einen
einheitlichen Luftraum, und zwar unter Beteiligung der
DFS. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen.
({4})
In den grenznahen Bereichen gibt es Zustände, die
mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind; auch
deswegen brauchen wir eine Veränderung. Die Rechtsexperten sagen, um auf der sicheren Seite zu sein, sei
eine Grundgesetzänderung notwendig. Wir werden das
sorgfältig überprüfen. Für die CDU/CSU kann ich allerdings feststellen, dass wir bereit sind, diesen Schritt zu
gehen, wenn er denn notwendig wird. Ich hoffe, dass wir
in dieser Frage über die Koalitionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten werden, wie wir es auch getan haben,
als es zum ersten Mal um die Deutsche Flugsicherung
ging. Das damalige Gesetz fand die Zustimmung aller
Fraktionen, mit Ausnahme der Linken.
({5})
- Ja. Deswegen konnten sie auch nicht zustimmen.
({6})
Nun zur Deutschen Bahn. Wir haben die Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn beschlossen. Das war
eine heftige und lange Auseinandersetzung. Ich glaube,
die Regelung, die wir getroffen haben, ist vertretbar. Die
Infrastruktur verbleibt beim Bund. Das war vor allem
der Wunsch der Union, aber auch der Wunsch großer
Teile anderer Fraktionen. Daher denke ich, dass dieses
Haus mit der gefundenen Regelung zufrieden sein kann.
Der Betrieb der DB AG wird zu 24,9 Prozent veräußert. Wir wünschen uns natürlich einen möglichst hohen
Erlös. Nach der Prognose von Bundesminister Tiefensee
können wir mit einem Erlös von 5 bis 8 Milliarden Euro
rechnen; diese Schätzung, die auf den Vorhersagen der
großen Banken basiert, haben Sie einmal im Deutschlandfunk geäußert.
({7})
Ich hoffe, dass die Banken und damit auch der Minister
recht behalten. Wenn man daran denkt, was mit Morgan
Stanley geschehen ist, kann man allerdings Angst bekommen. Denn Morgan Stanley hat im letzten halben
Jahr 60 Prozent seines Börsenwertes verloren.
({8})
Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass wir einen dicken
Batzen einnehmen werden, damit wir das tun können,
was wir vorhaben: den Haushalt entlasten, der Bahn für
ihre Aktivitäten Geld geben und - das ist besonders
wichtig - zusätzliche Mittel in das Schienennetz pumpen.
Nun geht es um die LuFV, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Ein erster Entwurf liegt bereits
vor. Wir sind auf einem guten Weg. Zu begrüßen ist die
kurze Laufzeit von nur fünf Jahren. Denn lange Festlegungen sind angesichts solch riesiger Beträge - es geht
immerhin um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ({9})
natürlich nicht unproblematisch. Wir würden uns allerdings vor Beginn der Laufzeit ein Probejahr wünschen;
darüber müssen wir noch reden.
Natürlich stellt sich auch die Frage der Kapazitätskontrolle. Wir wollen Wettbewerb. Dafür brauchen wir
Kapazitäten; auch darüber muss noch diskutiert werden.
Vor allen Dingen muss die Frage beantwortet werden,
was mit den Gewinnen, die bei den Infrastrukturunternehmen anfallen, geschieht. Wir möchten, dass diese
Gewinne, die eigentlich ersparte Subventionen darstellen, bei den Infrastrukturunternehmen verbleiben.
Es ist weiterhin Wachsamkeit gefordert. Denn wir
wissen: Verhandlungen mit der Bahn sind immer ein
sehr schwieriges Unterfangen. Herr Mehdorn macht uns
das Leben nie leicht. Die Diskussion über die Einführung eines Bedienzuschlages ist ein aktuelles Beispiel.
Herr Kollege Claus, Sie sagten, dass die Bahn Volkseigentum sei. Das ist richtig. Sie ist aber kein Volkseigener Betrieb.
({10})
Deswegen wird das nicht so ablaufen, wie Sie befürchten.
({11})
Wir müssen wissen, dass die Bahn AG als Aktiengesellschaft natürlich ihre Prioritäten hat und ihre Ziele
verfolgt, die vom Aktiengesetz vorgegeben werden. Der
Deutsche Bundestag aber muss das Gemeinwohl im
Auge behalten. Dazu fordere ich uns alle auf. Ich hoffe,
dass wir uns gemeinsam darum bemühen.
Danke schön.
({12})
Das Wort hat nun Heidrun Bluhm von der Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Königshofen, gleich eine Antwort auf Ihre Bemerkung: Wäre die Bahn ein Volkseigener Betrieb, dann
wäre Herr Mehdorn Genosse. Gott bewahre uns davor!
({0})
Nach Ansicht des amerikanischen Bestsellerautors
Eric Weiner - nicht zu verwechseln mit Erich Weinert wird das persönliche Glück maßgeblich durch den Ort
und die Qualität des Wohnens bestimmt. Seine folgerichtige Empfehlung lautet also: Wer unglücklich ist, sollte
umziehen.
Jetzt kommen wir zu dem Dilemma in diesem Zusammenhang; denn nicht jeder Unglückliche kann diese Alternative nutzen. Nicht wenige sind froh, überhaupt eine
Wohnung zu haben. Nicht einmal diese können sie aus
eigenen Mitteln bezahlen; sie brauchen staatliche Unterstützung.
Heute, am 18. September, wenige Tage vor Herbstbeginn, ist eigentlich schon Winter, und das im doppelten
Sinne. Dies gilt sowohl für die Temperaturen als auch
für die soziale Kälte, die in Deutschland zunimmt.
({1})
Zu den Temperaturen. Die Explosion der Heizkosten
in bisher nicht gekanntem Maße wird weiter zunehmen.
Alleine für dieses Jahr sind weitere Preissteigerungen
von 20 Prozent angekündigt.
Herr Minister, dann wird genau das eintreten, was Sie
eigentlich ausschließen. Der bei den Heizkosten eingesparte Euro durch die Sanierung des Märkischen Viertels
wird alleine durch die Preissteigerung an anderer Stelle
wieder aufgefressen. Besonders die Menschen, die schon
heute in Schwierigkeiten sind, werden sich das Ganze
immer weniger leisten können. Dann hilft es nicht, sich
warm anzuziehen.
Schon heute müssen nach Angaben des Deutschen
Mieterbundes einkommensschwache Haushalte 50 Prozent ihres Einkommens und mehr für eine warme Wohnung aufbringen. Im Durchschnitt wird der Bundesbürger damit zwischen 25 Prozent und 30 Prozent belastet.
Einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger geben
mehr als die Hälfte ihres Einkommens für eine warme
Wohnung aus. Diese Situation betrifft bundesweit mehr
als 600 000 Menschen. Die Wohngeldempfänger im Osten sind doppelt so stark betroffen wie die Wohngeldempfänger im Westen. Das Verhältnis beträgt 3 : 1,5.
Auch die Stichworte „Effizienz“ und „Energiesparen“
greifen an dieser Stelle zu kurz; denn die Menschen, von
denen wir reden, leben in einer Wohnung von einfacher
Bauart. Deshalb ist es sehr schwierig, dort weitere Energiesparmaßnahmen durchzusetzen, weil sie da, wo sie
bisher eingespart haben, nicht noch weiter einsparen
können; denn ein Kühlschrank muss laufen, und eine
Waschmaschine muss laufen. Das sind Dinge, die wir
Bürgerinnen und Bürgern mit niedrigem Einkommen sicherlich nicht auch noch versagen wollen.
In diesem Zusammenhang ist auch von der KfW zu
reden. Die Kredite für die CO2-Gebäudesanierung sind
aus unserer Sicht zu befürworten. Herr Claus hat bereits
darauf hingewiesen, dass wir in den vergangenen Jahren
Aufstockungen gefordert haben, die Sie jetzt realisieren
wollen. Allerdings haben sich im Verlauf der Förderperiode bei den Linken einige Fragen ergeben, die ich
hier noch einmal stellen möchte.
Die erste Frage betrifft die Förderstruktur. Die Fördermittel geben wir im Wesentlichen - bis auf Ausnahmen und Anreize - als Darlehen aus. Es wäre besser - so
sagen die Linken -, diese in Zuschüsse umzuwandeln.
Das wäre besser für die Mieter, weil die Miete nicht
durch die Kreditkosten belastet werden müsste, für die
Städte, weil die Sanierungsanreize größer wären, und
vor allem für die Vermieter - egal, ob kommunal oder
privat -, für die ein Zuschuss wie eine Eigenkapitalhilfe
wirken würde und dann Anreize gegeben wären, die aus
unserer Sicht effektiver sind als das, was wir jetzt haben.
Hinzu kommt, dass die Zinsen für KfW-Kredite
enorm gestiegen sind. Zu Beginn des Programms sind
wir mit einer Verzinsung von 1 Prozent gestartet. Jetzt
sind wir fast bei banküblichen Zinsen. Für jemanden, der
noch investieren kann, ist es viel einfacher, wenn er direkt zu seiner Hausbank geht und keinen Antrag bei der
KfW stellt; vor allem muss er sich nicht kontrollieren
lassen. Das heißt, unsere Ziele für einen effektiven Klimaschutz werden dadurch infrage gestellt.
({2})
- Eben, stellen Sie doch eine Zwischenfrage. Herzlichen
Dank, Frau Kollegin!
({3})
Für uns ist eine weitere wesentliche Frage wichtig.
Diese kann ich aufgrund der Zeit jetzt leider nicht mehr
behandeln.
({4})
Aber ich möchte doch noch einmal zum Ausdruck
bringen, dass wir aufgrund der Baupreisentwicklung in
Deutschland ohnehin alternative Modelle finden müssen, durch die wir in die Lage versetzt werden, unsere
Klimaziele und die sozialen Ziele nicht aus den Augen
zu verlieren.
Danke.
({5})
Das Wort hat nun Petra Weis für die SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Haushaltsplanentwurf ein Beitrag einer Bundesregierung und
- das sage ich in Klammern dazu - natürlich auch der sie
tragenden Fraktionen zur Problemlösung sein soll, mit
dem gleichzeitig realisierbare Zukunftskonzepte aufgezeigt werden sollen, dann wird dieser Auftrag durch den
vorliegenden Entwurf des Einzelplans 12 in ganz außerordentlichem Maße erfüllt. Deswegen will ich gleich mit
einem Lob an den Minister und sein Team starten.
Wenn wir auf den bau- und stadtentwicklungspolitischen Teil des Haushalts blicken - ich kann mich aufgrund der Kürze der Zeit nur diesem Aspekt widmen -,
dann können wir unzweifelhaft erkennen, dass Minister
Wolfgang Tiefensee mit diesem Entwurf Lösungen für
die vier großen Herausforderungen anbietet, vor denen
sich die Städte augenblicklich gestellt sehen: der demografische und wirtschaftsstrukturelle Wandel, die Sicherung des sozialen Zusammenhalts in den Städten und in
den städtischen Quartieren, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt die
Bewältigung des Klimawandels.
({0})
Darauf reagieren wir mit einer nachhaltigen, weil integrierten und verlässlichen Stadtentwicklungspolitik,
wobei der Bund die Koordinations- und Netzwerkfunktion übernehmen sollte und die Städte bei der Entwicklung eigener maßgeschneiderter Programme und Aktivitäten unterstützen muss. Auch deswegen haben wir die
Initiative von Wolfgang Tiefensee im Hinblick auf den
Startschuss für die Nationale Stadtentwicklungspolitik
im letzten Jahr ausdrücklich begrüßt. Ich glaube, dass es
die bislang bundesweit positive Resonanz rechtfertigt,
dass wir diese Initiative im Haushalt 2009 mit einer Ausstattung von 8,5 Millionen Euro begünstigen.
({1})
Von mindestens ebenso großer Bedeutung ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung des Programms „Soziale
Stadt“ - Minister Tiefensee hatte schon vorhin darauf
hingewiesen -: zum Ersten auf finanziell hohem Niveau
und zum Zweiten auf der Basis einer neuen Schwerpunktsetzung mit Blick auf die Bereiche Integration, Bildung, Qualifizierung und lokale Ökonomie - auch durch
die Ergänzung durch das ESF-Programm BIWAQ; das
betone ich ausdrücklich.
Damit werden immerhin weitere 104 Millionen Euro
des Europäischen Sozialfonds in das Programm „Soziale
Stadt“ gelenkt. Dadurch kann der innovative, ressortübergreifende und damit vorbildliche Ansatz des Programms noch besser umgesetzt werden. Das Programm
„Soziale Stadt“ ist nach fast zehn Jahren schon jetzt ein
Riesenerfolg.
({2})
Den Herausforderungen des demografischen und des
wirtschaftsstrukturellen Wandels sind wir in den letzten
Jahren mit den beiden Programmen „Stadtumbau Ost“
und „Stadtumbau West“ erfolgreich begegnet. Meine
Fraktion begrüßt es ausdrücklich, dass das Programm
„Stadtumbau West“ um 18 Millionen Euro aufgestockt
wurde. An dieser Stelle will ich aber ehrlich gesagt nicht
verhehlen, dass wir uns wünschen, im Zuge dieser Haushaltsberatungen dort noch ein Schippchen draufzulegen.
Dies wünschen wir uns nicht nur, weil durch den Abschlussbericht des EXWOST-Forschungsfelds „Stadtumbau West“ deutlich gemacht wird, welch positives Fazit wir nach den bislang erreichten Ergebnissen ziehen
müssen; denn durch die beschriebenen Impulsprojekte
wird eindrucksvoll beschrieben, dass wir innerhalb von
nicht einmal fünf Jahren auch in Westdeutschland erhebliche Fortschritte bei der Bewältigung von Schrumpfung
und Leerstand erzielt haben. Ein stärkerer Aufwuchs der
Mittel für das Programm „Stadtumbau West“ ist unseres
Erachtens auch deswegen angezeigt, weil aufgrund der
Problemlagen in manchen Regionen Westdeutschlands
- viele sagen vielleicht sogar: in vielen - inzwischen unverzügliches Handeln erforderlich ist, was die Städte
auch bei noch so großer Anstrengung und, wie ich
meine, noch so gutem Willen nicht alleine leisten können.
Abschließend möchte ich das Thema Klimawandel
nur kurz streifen, weil der Minister und auch der Kollege
Hübner schon ausführlich Stellung dazu bezogen haben.
Wir müssen in der Tat die Frage beantworten, was wir zu
einer klimagerechten Stadt beitragen können, die zugleich immer auch eine sozial gerechte Stadt sein muss.
Deswegen sind Klimaschutz und Energieeffizienz in den
Städten von einer ganz besonderen Bedeutung.
Wir wissen, dass die Energieeffizienz von bestehenden Gebäuden, aber auch von ganzen Stadtstrukturen
unzureichend ist. Wir haben hier einen hohen NachholPetra Weis
bedarf. Deswegen ist der Slogan der energieeffizienten
und klimagerechten Stadtentwicklungspolitik sicherlich
modern. Wir haben - das haben meine Vorredner bereits
angesprochen - in diesem Haushalt Vorkehrungen getroffen, um auf diesem Weg auch im nächsten Jahr weitere Erfolge zu erzielen.
Wir begrüßen ausdrücklich die Fortsetzung des Investitionspakts zur energetischen Sanierung der städtischen
Infrastruktur. Wir sollten aber in den kommenden Wochen vielleicht noch darüber sprechen, ob die vorgesehenen 100 Millionen Euro der zu lösenden Aufgabe wirklich gerecht werden. Es geht immerhin um Kommunen
in Haushaltsnotlagen. Wer weiß, wo ich herkomme, der
weiß, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich glaube, dass deren Unterstützung auf diesem Zukunftsfeld der Stadtentwicklung eine Aufgabe ist, die wir sehr konsequent fortsetzen sollten. Dafür brauchen wir eine entsprechende
Mittelausstattung.
({3})
Angemessen und notwendig ist zweifelsohne die bessere Ausstattung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms. Dazu ist aber in der Tat von meinen Vorrednern und meinen Vorrednerinnen fast alles gesagt
worden. Deswegen will ich mich auf einige Sätze beschränken.
Neben den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen
Aspekten will ich gern wiederholen, was man meines
Erachtens gar nicht oft genug wiederholen kann: Energieeffizienz und Energiesparen sind zwei Bausteine, auf
die es in den kommenden Jahren ganz besonders ankommt. Es geht um Klimaschutz und um das buchstäbliche Schonen des Geldbeutels gerade auch für die Bevölkerungsgruppen, von denen wir wissen, dass sie den
galoppierenden Energiepreisen scheinbar ohnmächtig
gegenüberstehen. Sie zu unterstützen, ist unser aller gemeinsamer Wille.
({4})
Dagegen hilft auch die Erhöhung des Wohngelds unter Einbeziehung der Heizkosten. Aber darauf haben Minister Tiefensee und Klaas Hübner schon ausführlich
hingewiesen. Deswegen kann ich es bei diesen wenigen
Sätzen belassen.
Eine klimagerechte Stadt ist auch immer Teil einer sozial gerechten Stadt. Ich glaube, wenn wir uns diesem
Kredo verpflichtet fühlen und in den kommenden Wochen bei den Beratungen Wert darauf legen, dass der
Einzelplan 12 diesem Anspruch jederzeit gerecht werden kann, dann haben wir nicht nur ein gutes Werk getan, sondern hoffentlich auch eine qualitativ hochwertige
Debatte hinter uns.
Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun Kollege Peter Hettlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne
an das Ende der Rede von Winfried Hermann anknüpfen, als er auf das Papier der Bundesregierung eingegangen ist, dass die Kostensteigerungen vor allen Dingen
bei Infrastrukturprojekten und auch bei anderen Projekten - zum Teil bei besonders ambitionierten Vorhaben
wie Tunnelbauten - bis zu 100 Prozent betragen können.
Vonseiten der Koalition wurde dann gefragt, wo die
konstruktiven Vorschläge dazu bleiben. Ich hätte schon
einige. Die Kostensteigerung einfach damit zu beantworten, dass der Etat verdoppelt wird, weil alles
100 Prozent teurer wird, wäre falsch. Wir müssen vielmehr nach den Ursachen der Kostensteigerungen fragen.
Wenn Sie ins Detail gehen - das will ich Ihnen heute
ersparen -, dann werden Sie schnell merken, dass es in
dem Papier eine ganze Menge an Handlungsansätzen
gibt, die wir als Parlament aufgreifen müssen. Es reicht
nicht aus, den Einzelplan 12 zu verabschieden und zu sagen: Aus und vorbei. Es interessiert uns nicht, wie die
Projekte später laufen. - Wir werden von den Bürgern
angesprochen, wenn in der Presse darüber berichtet
wird, dass ein Autobahnprojekt teurer geworden ist als
geplant.
Wir setzen uns als Fachausschuss dann aber nicht mit
den Haushältern zusammen, um zu fragen, warum es
teurer geworden ist. An dieser Stelle müssen wir eine
bessere Kostenkontrolle sowohl von der Exekutive als
auch von uns selbst einfordern. Das ist unsere Pflicht.
({0})
Das ist ein Vorschlag. Ich hätte noch eine ganze
Menge anderer Vorschläge, die ich vielleicht im Ausschuss erläutern kann. Ich könnte mir vorstellen, einen
Unterausschuss zu diesem Thema zu gründen, damit wir
uns nicht nur im Vorhinein, sondern auch im Nachhinein
mit solchen Projekten beschäftigen.
Für mich als Baupolitiker ist die energetische Gebäudesanierung ein sehr wichtiges Thema. Kollegin
Bluhm ist ebenso wie andere Kollegen bereits darauf
eingegangen. Die energetische Gebäudesanierung ist in
der Tat alternativlos, und wir freuen uns, dass dieser Bereich finanziell entsprechend gut ausgestattet wird. Aber
das entbindet uns nicht von der Pflicht, darauf zu achten,
ob die Gelder sinnvoll ausgegeben werden. Ohne in den
Ruch des Netzbeschmutzers kommen zu wollen, meine
ich, dass nicht alles so toll ist, wie es hier dargestellt
wird.
Beispielsweise sollten wir jedes Jahr 1 Million Tonnen CO2 kumulativ einsparen. Bis jetzt haben wir
2,2 Millionen Tonnen in zweidreiviertel Jahren geschafft. Wir werden also dieses Ziel verfehlen. Auf
meine Kleine Anfrage zur Qualität dieser Maßnahmen
hat die Bundesregierung geantwortet, dazu sei ihr nichts
bekannt. Interessanterweise hat aber der Verband Privater Bauherren eine Studie veröffentlicht, die übrigens
auch Stephan Kohler von der dena in einer öffentlichen
Veranstaltung schon vorgestellt hat. Daraus will ich drei
Zahlen nennen, bei denen uns angst und bange werden
kann. Die Studie besagt: In den untersuchten Nachweisen zur EnEV sind die Berechnungen falsch. Es geht übrigens um einen Umfang von 8 000 Stichproben. Auf
59 Prozent der untersuchten Stichproben traf das zu. Das
Haus entspricht überhaupt nicht den Anforderungen der
EnEV. 40 Prozent aller Stichproben hatten dieses Ergebnis. 53 Prozent der - zum Beispiel durch die KfW - geförderten Bauten entsprachen offensichtlich nicht den
Förderbedingungen. Das ist keine Petitesse. Ich fordere
die Bundesregierung auf, aktiv zu werden. Es geht nicht
darum, mehr Geld ins System zu stecken, sondern darum, dass möglichst viel von dem Geld bei den Menschen ankommt und dass möglichst viel für den Klimaschutz getan wird.
({1})
Es geht auch um die Ehrlichkeit gegenüber den Bauherrinnen und Bauherren, die sich darauf verlassen, dass
sie ein KfW-40-Haus bekommen und nicht später anhand der Abrechnungen feststellen müssen, dass es sich
um ein KfW-60-Haus handelt. Hier müssen wir eine
ganze Menge tun. Manchmal muss man nur seinen Kopf
anstrengen. Dann geht es auch mit weniger Geld.
Zum Stadtumbau möchte ich kurz Folgendes sagen:
Keine Frage, der Stadtumbau Ost ist ganz wichtig. Ich
freue mich aber, dass auch das Budget für den Stadtumbau West deutlich aufgestockt wurde. Das wird von unserer Seite, insbesondere von den ostdeutschen Politikern, unterstützt. Aber passen Sie auf, dass Sie sich nicht
mit fremden Federn schmücken! Der Stadtumbau Ost ist
Bestandteil des Korbs II des Solidarpaktes. Das heißt,
alle Mittel, die in den Stadtumbau Ost fließen - das gilt
auch für die Altschuldenhilfe -, kommen aus dem
Korb II. Wir müssen uns fragen, wo wir die Prioritäten
setzen. Daher sind die Altschuldenhilfe und die Verlängerung der Geltungsdauer der entsprechenden Regelungen sehr dezidiert zu betrachten. Das trifft übrigens auf
die Verlängerung der Geltungsdauer der Investitionszulage genauso zu. Was weg ist, ist weg. Deswegen brauchen wir intelligente Lösungen. Es bringt also nichts,
wenn man sich wie Herr Claus hier hinstellt und behauptet: Wir tun etwas für den Osten.
Wir müssen mit dem vorhandenen Instrumentenkasten möglichst gut arbeiten. Damit ist uns allen gedient,
vor allem den Menschen, für die wir uns im Bundestag
engagieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
dem Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Mobilität ist für unsere moderne, dynamische Volkswirtschaft eine Grundvoraussetzung. Dafür brauchen wir
eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur. Wir wissen,
dass wir mit weiteren erheblichen Herausforderungen zu
rechnen haben. Neuere Prognosen sagen bis 2025 ein
Plus von 16 Prozent im Personenverkehr, ein Plus von
65 Prozent im Güterverkehr auf der Schiene und ein Plus
von 84 Prozent im Straßengüterfernverkehr voraus. Das
sind gewaltige Steigerungsraten. Auf diese Herausforderungen müssen wir Antworten geben. Der Haushaltsentwurf dokumentiert, dass sich die Große Koalition bemüht, dem Rechnung zu tragen und Antworten zu geben.
Ich denke, dass wir im Entwurf des Einzelplans 12 mit
einer Steigerung der Investitionen für Schiene, Straße
und Wasserstraße einschließlich des kombinierten Ladungsverkehrs um rund 1 Milliarde Euro im Vergleich
zum geltenden Finanzplan eine deutliche und überzeugende Antwort gefunden haben.
Insgesamt stehen rund 10,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Dies ist ein historischer Höchststand. Auch in
der Finanzplanung wurden die jährlichen Ansätze um
hohe dreistellige Millionenbeträge gesteigert. Zusammen
mit den Mitteln für das GVFG, das Satellitennavigationssystem Galileo und weiteren Positionen erreichen die Investitionen im Verkehrsbereich ein Volumen von über
12 Milliarden Euro. Wie der Minister bereits ausgeführt
hat, ist das der größte Investitionshaushalt des Bundes.
Wir haben den Turn-around zugunsten der Investitionen
in diesem Haushalt erreicht. Der Investitionshaushalt
liegt mit rund 54,3 Prozent deutlich über den konsumtiven Ausgaben.
Wenn ich das mit der rot-grünen Finanzplanung von
2005 vergleiche, dann stelle ich fest: Statt 3,1 Milliarden
Euro investieren wir 3,9 Milliarden Euro in die Bundesschienenwege. Bei der Straße sind es 5,2 Milliarden
Euro statt 4 Milliarden Euro. Bei den Bundeswasserstraßen investieren wir 900 Millionen Euro statt 561 Millionen Euro. Das ist eine deutliche Verbesserung. Natürlich
kommt ein Großteil dieser Mittel aus den gestiegenen
Mauteinnahmen. Durch diese haushaltspolitischen Maßnahmen wird aber das oberste Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, nicht gefährdet. Wir freuen uns jedenfalls,
dass die zusätzlichen Mittel in Höhe von insgesamt
1,08 Milliarden Euro eins zu eins in die Verkehrsinfrastruktur fließen.
({0})
So erfreulich dies alles ist, müssen wir dennoch über
neue Wege in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung
nachdenken. Wir brauchen eine echte und glaubwürdige
Nutzerfinanzierung bei der Straße über das Instrumentarium der Lkw-Maut. Wenn wir den Nutzern sagen,
dass sie zahlen müssen, um mehr und bessere Infrastruktur zu bekommen, dann muss dieses Wort auch eingelöst
werden. Ansonsten fühlt sich der Nutzer getäuscht. Wir
alle haben kein Interesse daran, dass der Gedanke der
Nutzerfinanzierung diskreditiert wird, indem solche Zusagen nicht eingelöst werden, was in der Vergangenheit
leider geschehen ist.
({1})
Dirk Fischer ({2})
Es wäre sehr überzeugend, wenn die Mautmittel unmittelbar der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, der sogenannten VIFG, zufließen würden. Das
würde die Akzeptanz der Maut deutlich erhöhen, weil damit ein zielgerichteter Mitteleinsatz bei der Straße und zusätzliche Handlungsspielräume für die VIFG ermöglicht
würden. Die VIFG könnte in Abstimmung mit den Bundesländern spezielle Straßeninfrastrukturprogramme,
zum Beispiel ein Brückensanierungsprogramm oder ein
Programm zum Ausbau der Parkplatzanlagen an Autobahnen, aus diesen Mitteln finanzieren; denn wir brauchen bei der Infrastrukturfinanzierung und der Bestandspflege insgesamt mehr Planungssicherheit.
Aus diesem Grund sollten wir darüber nachdenken,
ob wir nicht das Instrument, das wir jetzt bei der Schiene
schaffen, nämlich eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, in Zukunft auch für die Straße schaffen
sollten. Wir sollten eine Vereinbarung zwischen Bund,
Ländern und der VIFG treffen, damit die Straßeninvestitionen des Bundes über einen mittelfristigen Zeitraum
auf einem hohen Niveau gesichert werden können. Damit könnten wir den Ländern über verstetigte Mittel für
das Bestandsnetz die Chance geben, den Substanzerhalt
zu finanzieren, was mehr Planungssicherheit bedeutet.
Damit wäre das ausgeschlossen, was in der Vergangenheit geschehen ist, dass nämlich Mittel aus Erhaltungstiteln in Neubaumaßnahmen umgeschichtet werden. Damit fahren wir auf Verschleiß; das ist riskant. Durch eine
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung könnte das
ausgeschlossen werden.
Auch beim Neu- und Ausbau brauchen wir eine stetige Finanzplanung, um eine durchgängige, mehrjährige
Finanzierung gewährleisten zu können.
Außerdem müssen wir über zusätzliche Finanzierungslösungen außerhalb des Bundeshaushaltes unter
temporärer Einbindung von Fremdkapital nachdenken.
Eine begrenzte Kreditermächtigung für die VIFG bei
Zustimmung des Bundesfinanz- und des Bundesverkehrsministeriums, die wir als Verkehrspolitiker befürworten, wäre akzeptabel, um gewisse Unwuchten beim
Zu- und Abfluss der Mittel ausgleichen zu können, damit Baustellen kontinuierlich optimal abgewickelt werden können. Damit ließe sich ein kraftvoller Impuls für
mehr private Investitionen in die Verkehrswege organisieren.
Ich will noch den anderen Bereich unseres Ministeriums, Wohnungswesen und Städtebau, kurz ansprechen.
Auch da gibt es erhöhte Investitionen. Es stehen insgesamt Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung. Besonders hervorheben möchte ich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Aus einer kleinen rotgrünen Pflanze ist unter der Pflege der Großen Koalition
ein großer Baum mit reifen Früchten geworden.
({3})
Darüber sollten wir uns alle um der Sache willen freuen.
({4})
Dieses Programm wurde für die Jahre 2006 bis 2009
um jeweils 1 Milliarde Euro aufgestockt. Allein 2007
konnten damit Baumaßnahmen an circa 200 000 Wohnungen gefördert werden. Damit wird auch ein gewaltiges Volumen handwerklicher Beschäftigung ermöglicht.
Darüber freuen wir uns natürlich sehr. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist das ausbaufähige Erfolgsprojekt der Großen Koalition. Es soll aufgestockt und bis
2011 verstetigt werden. Aber es muss auch attraktiv und
planbar für den Einzelnen sein. Kurzfristig und wiederholt steigende Zinssätze sind das nicht.
Meine Fraktion schlägt ergänzend die Verbesserung
der steuerlichen Rahmenbedingungen für den energieeffizienten Wohnungsbau vor. Dieser Rechtsanspruch
im Rahmen der ohnehin abzugebenden Steuererklärung
würde für den Einzelnen hohe Planungssicherheit ohne
bürokratischen Zusatzaufwand bedeuten. So würde man
die Investitionsanreize für jene stärken, für die Kredite
oder Zulagen wenig attraktiv oder bürokratisch zu aufwendig sind. Davon könnten alle Hauseigentümer profitieren. Das Klima würde es danken, die Konjunktur ohnehin.
Der Bund stellt den Ländern auch 2009 allein
518 Millionen Euro als Kompensationszahlung für die
Übernahme der sozialen Wohnraumförderung zur Verfügung. Es wäre wirklich schön, wenn dieses Geld vollständig für diesen Zweck ausgegeben würde;
({5})
denn Haushaltssanierung der Länder zulasten der
Schwachen auf dem Wohnungsmarkt war nun wahrlich
nicht das Ziel der Föderalismusreform I.
Den Schwachen am Wohnungsmarkt wird zudem
durch die Novelle zum Wohngeldrecht geholfen. Der
Minister hat es dargestellt; ich möchte das nicht wiederholen. Wir haben die Mittel deutlich erhöht. Als sachgerechte Antwort auf die steigenden Energiekosten haben
wir eine Heizkostenkomponente eingeführt. Wenn es gelänge, das Inkrafttreten der Novelle auf den 1. Oktober
dieses Jahres vorzuziehen, würden wir uns darüber sehr
freuen.
({6})
Ich möchte zum Schluss kommen. Die Finanzhilfen
des Bundes für die Städtebauförderung sind erheblich
gestiegen. Die neuen Programme sind bereits angesprochen worden; wir wollen sie gerne ausbauen und hoffen,
dass hier im Rahmen der Haushaltsberatungen noch
nicht das letzte Wort gesprochen ist. Städtebauförderung
ist nämlich stets gut angelegtes Geld. Die Anstoßwirkung der Finanzhilfen des Bundes, der Länder und der
Gemeinden führt dazu, dass die Investitionswirkung
durch finanzielle Mittel der Bauherren verfünffacht
wird.
Sie sehen: Die Große Koalition stellt sich neuen Herausforderungen und gibt, wie ich denke, überzeugende
haushaltspolitische Antworten.
({7})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Das
Wort hat Bundesministerin Ulla Schmidt.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einzelplan 15 steigt im kommenden Jahr politisch gewollt um 53 Prozent. Der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung erhöht sich um 1,5 Milliarden Euro auf 4 Milliarden Euro und wird in den
kommenden Jahren Schritt für Schritt auf 14 Milliarden
Euro angehoben. So entlasten wir die Krankenkassen
und damit auch die Beitragszahler von Aufwendungen,
die entstehen, wenn zum Beispiel die Familien Leistungen in Anspruch nehmen.
Wir halten an der solidarischen Krankenversicherung
fest. Sie ist das solide Fundament eines gut funktionierenden, modernen und leistungsfähigen Gesundheitswesens. Lassen Sie mich angesichts der aktuellen Finanzkrise auf eines hinweisen: Es ist gut, dass wir dabei
geblieben sind, dass Menschen für Menschen stehen,
dass wir es bei der Umlagefinanzierung belassen haben
und nicht denen gefolgt sind, die teilweise die gesamte
Krankenversicherung auf Kapitaldeckung umstellen
wollten.
({0})
Ich glaube, angesichts der Nachrichten, die uns derzeit
Tag für Tag erreichen, ist das für die Menschen sehr beruhigend. Kapitaldeckung als Ergänzung ja, aber niemals ausschließlich. Menschen haben auf dieser Welt
schon sehr negative Erfahrungen mit Kapitaldeckung gesammelt. Deshalb hält die Koalition daran fest, dass die
Grundfesten über die Umlagefinanzierung solidarisch
getragen werden.
Mit 73 Millionen Euro für operative Mittel hat der
Einzelplan 15 eine solide Grundlage, um wichtige gesundheitspolitische Maßnahmen durchzuführen. Besonders hervorheben möchte ich, dass wir rund 4 Millionen
Euro mehr, und damit fast 40 Millionen Euro, zur Verfügung haben, um Prävention und Aufklärung zu stärken.
Dazu gehört beispielsweise die Unterstützung von Projekten zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung.
Dazu gehört der Kampf gegen HIV und Aids, für den
mehr Geld zur Verfügung steht. Dazu gehört die Finanzierung von Projekten in diesem Sektor in Osteuropa,
zum Beispiel die Finanzierung von elf Projekten in der
Ukraine zur Aidsprävention. Dazu gehört auch eine
Kampagne zur Steigerung der Bereitschaft, Organe und
Plasma zu spenden, damit mehr Menschen eine Chance
erhalten, zu überleben.
({1})
Wir werden älter, und mit der Zunahme der Zahl der
hochbetagten Menschen steigt auch die Anzahl derer, die
demenziell erkrankt und in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind. Die Koalition und die Bundesregierung
wollen wissen: Welche Angebote brauchen demenziell
erkrankte Menschen? Was müssen wir tun, um ihre
Selbstständigkeit zu erhalten? Wie kann ihre Würde bewahrt werden? Deshalb bin ich sehr froh, dass wir die
Versorgungsforschung stärken und die Mittel für das
Leuchtturmprojekt Demenz, das sich speziell mit diesen
Fragen beschäftigt, im kommenden Jahr 8,5 Millionen
Euro betragen werden. Wir brauchen dieses Wissen über
die Älteren auch zur Unterstützung der Familien.
({2})
Wir wollen uns aber auch um die Jüngsten kümmern.
Wir wollen, dass Kinder gleich gute Chancen auf eine
bestmögliche Gesundheit und damit auf den besten Start
ins Leben haben. Deshalb fördern wir Maßnahmen im
Rahmen der Strategie der Bundesregierung zur Verbesserung der Kindergesundheit durch mehr Früherkennungsuntersuchungen, mehr aufsuchende Hilfen, speziell für sozial benachteiligte Familien, und durch ein
besseres Gesundheitsmonitoring.
({3})
Die Zielsetzung der Gesundheitspolitik der Bundesregierung hat sehr viel mit dem Paradigmenwechsel zu
tun, der in den letzten Jahren stattgefunden hat: von der
Fürsorge zur Teilhabe hin zur Selbstbestimmung. Deshalb ist das Ziel „so lange wie möglich, so selbstständig
wie möglich, so schmerzfrei wie möglich und mit so viel
Würde wie möglich“ für alle Bürgerinnen und Bürger eines der Ziele in der Gesundheitspolitik, von dem wir uns
auch leiten lassen, wenn wir Leistungen der gesetzlichen
Krankenkassen ausweiten. Wir haben das mit der Gesundheitsreform ganz gezielt gemacht. Ich nenne den
Rechtsanspruch auf Rehabilitation unabhängig davon,
wie alt jemand ist, den Rechtsanspruch auf Impfschutz,
Vater-/Mutter-Kind-Kuren, die Stärkung der häuslichen
Krankenpflege und der häuslichen Versorgung oder auch
den Aufbau der Palliativversorgung für schwerstkranke
Menschen, damit auch Menschen, die schwer krank sind
und die ihre letzten Stunden oder Tage vor sich haben, zu
Hause sterben können, wenn sie dies wünschen, und
trotzdem eine gute Versorgung haben.
Wir sind uns dabei bewusst, dass die Erbringung und
die Ausweitung dieser Leistungen davon abhängen, dass
Tag für Tag Menschen da sind, die anderen Menschen
helfen, die für andere da sind und diese Leistungen erbringen. Ich bin der Auffassung, ihnen gebührt nicht immer nur unser Dank, sondern wir haben die Pflicht, für
gute Rahmenbedingungen zu sorgen, damit diejenigen,
die diese Arbeit machen, gute Arbeitsbedingungen vorfinden und auch anständig honoriert werden; denn das ist
die Voraussetzung dafür, dass wir auch morgen und
übermorgen wieder junge Menschen finden, die diesen
Beruf ergreifen und auch in diesem Beruf bleiben.
({4})
Deshalb wird es auch im kommenden Jahr eine Ausweitung von Leistungen in diesem Bereich geben.
({5})
Das hat viel mit der vereinbarten Honorarreform zu
tun. Das ist nicht nur eine Frage von mehr Geld; vielmehr geht es vor allem darum, dass wir den Weg für ein
überschaubares, kalkulierbares und verlässliches Vergütungssystem öffnen wollen. Wir wollen Spielräume eröffnen und Anreize setzen, damit Menschen in unterversorgte Regionen gehen, damit die Möglichkeit besteht,
Hausbesuche und die Arbeit in Pflegeeinrichtungen und
vieles mehr adäquat zu honorieren und dort mehr Geld
auszugeben, wo es gebraucht wird.
({6})
Dazu gehört, dass die Qualität verbessert wird. Ich erwarte von den Krankenkassen - ich hoffe, dass ich da in
Ihrem Namen sprechen kann -, dass bei den vertraglichen Vereinbarungen dafür gesorgt wird, dass - wenn
die Bürgerinnen und Bürger über ihre Beiträge höhere
Honorare finanzieren - in den Praxen mit einem unterschiedlichen Service für privat und für gesetzlich Versicherte endlich Schluss ist. Ich wiederhole: Es muss eine
bessere Qualität angeboten werden.
({7})
Wir haben die Krankenhäuser lange Jahre konsolidiert. Aber auch hier brauchen wir eine verlässliche
Neuregelung. Wir sind als Koalition der Auffassung,
dass wir einen Teil der tariflich bedingten Mehrausgaben
aus Mitteln der GKV finanzieren sollten. Wir wissen
auch, dass allein mehr Geld nicht ausreicht; vielmehr
geht es darum, einen Weg zu finden, der eine zukunftsfähige Finanzierung der Krankenhäuser unter Einbeziehung der Investitionsmittel ermöglicht; denn nur dann
kann ein Krankenhaus reagieren, wirtschaftlich arbeiten
und die hohe Qualität in der Patientenversorgung gewährleisten. Wir wollen auf Dauer nicht zulassen, dass
zulasten der Beschäftigten Gelder, die über die Krankenkassen für die Versorgung von Patienten gezahlt werden,
nur deswegen für Investitionen genutzt werden, weil die
Länder ihre Verantwortung hier nicht übernehmen.
({8})
Wir werden bei einer dualen Finanzierung bleiben.
Das Pflegepersonal muss von uns dringend unterstützt werden. Die Menschen, die diese Arbeit leisten,
sind an ihre Grenzen gestoßen. Deshalb machen wir den
Vorschlag, dass in den nächsten drei Jahren 21 000 neue
Pflegekräfte eingestellt werden. Wir wollen innerhalb
dieser Zeit dafür sorgen, dass deren Finanzierung dauerhaft sichergestellt ist, insbesondere was die pflegeintensiven Bereiche angeht.
({9})
Wer diese Dinge will, wer weiß, dass wir in die Arzneimittelversorgung und in andere Bereiche aufgrund
der - Gott sei Dank höheren - Überlebensfähigkeit von
vielen, die schwer erkrankt sind, aber auch aufgrund einer älter werdenden Gesellschaft mehr investieren müssen, der muss auch dafür sorgen, dass die Beitragsgelder
fair und gerecht aufgebracht werden.
Ich frage einmal all diejenigen, die jetzt dagegen eintreten, dass wir über den Gesundheitsfonds einen einheitlichen Beitragssatz auf den Weg bringen: Wie soll
das denn weitergehen, wenn wir schon heute für gleiche
Leistungen - Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte - einen Unterschied zwischen 11,3 Prozent und 16,5 Prozent
haben? Es hat viel damit zu tun, dass in der einen Krankenkasse viele ältere und kranke Menschen sind, auch
pflegebedürftige, während in der anderen viele gesunde
sind. Wenn wir dies ohne eine neue Finanzierung auf
den Weg brächten, dann würden diejenigen Krankenkassen, die es schon heute schwer haben, weil sie mehr als
ein Drittel aller älteren Menschen zu versorgen haben,
noch höhere Beiträge erheben müssen und in noch größere Schwierigkeiten kommen.
Deshalb ist es gerecht, was wir machen. Alle zahlen
den gleichen Anteil von ihrem Einkommen für die Finanzierung der Leistungen. Wir werden das Geld über
den Fonds so verteilen, dass dahin, wo kranke Menschen
sind, mehr Geld fließt als dorthin, wo gesunde Menschen
sind. Dann haben wir auch die Basis für eine fairere und
gerechtere Finanzierung im Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Ministerin Schmidt, der Countdown läuft:
Der Gesundheitsfonds steht kurz vor seiner Einführung leider, muss ich sagen. Während Sie das als Erfolg feiern, will ich hier heute noch einmal vor diesem sozialpolitischen Experiment warnen. Schon vor zwei Jahren
haben wir an dieser Stelle über den Gesundheitsfonds
debattiert. Schon vor zwei Jahren haben praktisch alle
Gruppen und Verbände aus dem Gesundheitswesen den
Fonds abgelehnt. Aber auch die Experten konnten Sie
nicht überzeugen.
Ihr Gesundheitsfonds gleicht einem - das sage ich
insbesondere als Haushälterin - finanziellen Blindflug,
Frau Ministerin.
({0})
Über den Fonds sollen mehr Steuergelder in das Gesundheitssystem fließen. 4 Milliarden Euro sollen es im
nächsten Jahr sein, im Jahr darauf dann 5,5 Milliarden
Euro, bis der Zuschuss auf 14 Milliarden Euro jährlich
angewachsen ist. Allein bis dahin werden insgesamt
75 Milliarden Euro in den Fonds fließen. Das ist eine
verdammt schwere Hypothek für alle zukünftigen Haushalte. Vielleicht sollten Sie auch einmal daran denken.
Über die Erstausstattung des Fonds bei seinem Start
im Januar haben Sie sich offenbar überhaupt noch keine
Gedanken gemacht. Aber es geht auch nur um 13 Milliarden Euro; das ist ja nicht so dramatisch, Frau Ministerin.
({1})
Sie haben versprochen: Durch die verstärkte Steuerfinanzierung sollen die Beiträge der Versicherten stabil
gehalten werden. Aber genau das passiert nicht. Die Beiträge steigen und steigen - trotz mehr Steuergeld.
({2})
Schon jetzt liegt der Durchschnittsbeitragssatz mit
14,9 Prozent auf Rekordhoch, und viele Experten gehen
davon aus, dass der Beitragssatz mit dem Fonds demnächst auf 16 Prozent steigen wird.
({3})
Damit müssen die meisten Versicherten im nächsten
Jahr deutlich mehr zahlen. Diese Versicherten müssen
sich von Ihnen eigentlich betrogen fühlen; denn Sie
selbst haben in der Vergangenheit immer wieder zum
Wechsel in die günstigeren Krankenkassen aufgerufen.
Wer Ihrem Ruf gefolgt ist, der wird jetzt bestraft.
({4})
Zur Situation der Krankenkassen. Sie versetzen die
Kassen in eine doppelte Unsicherheit. Die Kassen wissen erst im Dezember, wie hoch die Zuweisungen aus
dem neuen Fonds überhaupt sein werden. Erst dann wird
klar sein, ob sie von ihren Versicherten noch einen Zuschlag erheben müssen. Manche Kassen, denen es heute
ganz gut geht, können im nächsten Jahr schon in der Insolvenz stecken.
Dabei müssen die Kassen sowieso schon genug neue
Belastungen schultern: Ärztehonorare, Klinikfinanzierung, Arzneimittelpreise, Gesundheitskarte. Es sind
Milliardensummen, die die Krankenversicherungen
stemmen müssen. Dazu kommen die Bürokratiekosten
aus dem Gesundheitsfonds.
Außerdem sorgen Sie bei den Kassen für eine geradezu absurde Wettbewerbssituation. Es wird in Zukunft
einen Wettbewerb um Kranke geben, allerdings nur um
jene Patienten, für die die Kassen Zuweisungen aus dem
Fonds erhalten, weil sie unter einer von 80 bestimmten
Krankheiten leiden. Damit profitieren die Kassen von
kranken Versicherten, und das senkt, denke ich, den Anreiz, Präventionsmaßnahmen anzubieten.
Damit sind wir beim Thema Prävention; das ist ja
auch Ihnen ein wichtiges Anliegen. Für Ihre Präventionskampagne planen Sie 2,5 Millionen Euro ein, für
den Aktionsplan „Gesundheitliche Prävention durch ausreichende Bewegung und ausgewogene Ernährung“
noch einmal 5 Millionen Euro, dazu weitere Millionenbeträge für die Öffentlichkeitsarbeit. Frau Ministerin,
alle diese Kampagnen sind Aktionismus auf Kosten des
Steuerzahlers, vor allem um davon abzulenken, dass Sie
die wirklichen Probleme wie die Schaffung einer soliden
Gesundheitsfinanzierung nicht in den Griff bekommen.
Sie haben eben von „leistungsfähig“ gesprochen. Ich
habe überhaupt nicht verstanden, was hier wirklich leistungsfähig sein soll. Eigentlich wird uns immer wieder
nur das Gegenteil gezeigt.
Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel
zum privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer
Absicherung für alle.
({5})
Dieser Sozialausgleich soll aus Steuergeldern finanziert
werden, was in dem Fall auch sinnvoll ist. Es macht aber
überhaupt keinen Sinn, weiter Geld in das bestehende,
marode System hineinzupumpen. Eine Geldspritze wirkt
da eher wie Gift. Dadurch werden die Mängel nur noch
weiter verstetigt, und der Druck, eine grundlegende Reform durchzuführen, sinkt.
Wir lehnen den Gesundheitsfonds ab. Der Fonds löst
nicht die Probleme unseres Gesundheitssystems, sondern schafft im Endeffekt neue.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Zöller für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Man kann hier Kritik anbringen, aber eines ist
unbestritten: Die Koalition hat in den vergangenen drei
Jahren in der Gesundheitspolitik wohl den größten Aufgabenkatalog erledigt, der je in einer Legislaturperiode
erledigt wurde.
({0})
Die Gesundheitsreform ist zudem mit erheblichen Verbesserungen für Patienten und Versicherte verbunden.
({1})
Ich kann das kurz aufzählen - ich mache es nur stichpunktartig -: Es gibt keine neuen oder höheren Zuzahlungen. Es gibt sogar mehr Leistungen, wie zum Beispiel
für Schmerztherapien und Palliativmedizin. Niemand
bleibt ohne Versicherungsschutz. Es gibt mehr Wahlrechte bei den Versorgungsformen und zum Beispiel
mehr Wahlmöglichkeiten bei der Frage, welche RehaEinrichtung man besuchen möchte. Wir haben auch eine
Reform bei der ärztlichen Vergütung zustande gebracht,
die eine deutliche Verbesserung der Honorare vorsieht.
Neben diesen unbestreitbaren Verbesserungen bei der
Krankenversicherung haben wir erstmals seit zwölf Jahren die Leistungen der Pflegeversicherung ausgeweitet
und verbessert. Ich nenne das Stichwort Demenzkranke.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
auch auf Berichte über Missstände in Heimen reagiert.
Wir haben die Qualitätssicherungsprüfungen geändert. Die Heime werden nicht wie früher alle fünf Jahre,
sondern jetzt jährlich geprüft, und die Prüfungen können
- das halte ich für wichtig - auch unangemeldet durchgeführt werden. Endlich wird auch mehr Wert auf den
Zustand der Pflegebedürftigen gelegt und weniger auf
die Dokumentations- und Aktenlage.
({2})
Die Transparenz wird auch durch die Veröffentlichung
der Prüfergebnisse verbessert.
Wir haben noch weitere sogenannte heiße Eisen angepackt. Lange Jahre kontrovers diskutierte Themen wurden mit dem Gewebegesetz und mit dem Gendiagnostikgesetz aufgegriffen und, wie ich meine, vernünftig gelöst.
({3})
Auch das Krankenhausfinanzierungsrahmengesetz wird
die Planungssicherheit wesentlich verbessern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei all diesen Reformen bereitet mir allerdings eine Tendenz große Sorge. Es
geht darum, dass die Umsetzung gesetzlicher Regelungen
nicht zulasten mittelständischer Unternehmer und Leistungserbringer gehen darf.
({4})
Diese sind nämlich das Rückgrat der wohnortnahen, flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Versorgung.
({5})
Ich will in diesem Zusammenhang ganz konkrete Beispiele ansprechen.
({6})
Zunächst zur Ausschreibung von Hilfsmitteln: Es
darf doch nicht sein, dass Krankenkassen bei der Ausschreibung eines Rollstuhls vorgeben, Unterlagen in einem Umfang von 297 Seiten beizubringen. Der Umfang
des von den Anbietern abgeforderten Kataloges an Belegen ist nahezu grotesk. Geforderte Unterlagen sind - in
fünffacher Ausfertigung! -: polizeiliches Führungszeugnis, Versicherungsbestätigung, Bescheinigung über
gezahlte Versicherungsbeiträge für Sozial- und Haftpflichtversicherung, Auszug aus dem Berufs- und Handelsregister, Mitteilung der IK-Nummer, Auszug aus
dem Gewerbezentralregister, Unbedenklichkeitsbescheinigung der Finanzämter, Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialversicherungsträger, Nachweis über Gewerbeanmeldung, Kopie des Meisterbriefes - notariell
beglaubigt -,
({7})
Handwerkskarte, Nachweis über Qualitätsmanagement
nach DIN-ISO
({8})
- wenn Sie beim Zuhören keinen Fehler machen, werden
Sie gleich die Lösung hören -, Kopien der Ausbildungszertifikate aller Mitarbeiter, Kopie des Mietvertrages des
Geschäftes usw.
({9})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, welcher
kleine mittelständische Betrieb hat die Zeit und das Personal dafür, um das überhaupt durchzuführen?
({10})
Ich sage Ihnen: Bei solchen Vorgaben braucht man sich
nicht darüber zu wundern, dass die Verwaltungskosten
steigen. Zu dem jetzt hier von Ihnen erhobenen Vorwurf,
die Regierung trage dafür die Verantwortung, kann ich
nur sagen: Ich hätte Ihnen ein bisschen mehr Sachkenntnis zugetraut. Sie wissen genau, dass für die Ausschreibung die Selbstverwaltungsorgane zuständig sind.
({11})
Wir haben doch nicht die entsprechenden Vorschriften
gemacht. Wir machen aber Verbesserungsvorschläge.
({12})
So schlagen wir vor, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die dies wesentlich vereinfacht. Außerdem sollen
die Hilfsmittelerbringer schon von Anfang an in die Entscheidungen eingebunden werden.
Wir werden zum Beispiel die Übergangsregelung verlängern. So werden während dieser Frist für alle Leistungserbringer, die am 31. März 2007 über eine Zulassung verfügten, die gesetzlichen Eignungsanforderungen
als erfüllt angesehen.
Wir werden auch dafür sorgen, dass zum Beispiel
Krankenkassen und Leistungserbringer endlich gemeinsame Empfehlungen erarbeiten, für welche Hilfsmittel
Ausschreibungen überhaupt notwendig und sinnvoll
sind. Nicht immer sind Ausschreibungen sinnvoll.
({13})
Ähnliches gilt für den Bereich der Arzneimittel. Wir
werden dafür sorgen, dass bei Rabattverträgen geklärt
wird, dass das Vergaberecht als Rechtsgrundlage gilt.
Ich appelliere an die Krankenkassen, Ihre Ausschreibungsunterlagen sorgfältig vorzubereiten und auch die
Vorgaben für Ausschreibungsfristen zumutbar zu gestalten. Ansonsten überfordern wir besonders mittelständische Unternehmen, die mangels personeller Kapazität
nicht in der Lage sind, die Anforderungen in so kurzen
Zeitabständen zu erfüllen.
({14})
Wir werden dafür sorgen, dass die Entscheidungswege
bei Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln noch
transparenter werden und dass die betroffenen Hersteller
besser mit eingebunden werden.
Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zum
Thema Versandhandel mit Arzneimitteln sagen. Wir
setzen auf die seit vielen Jahrzehnten bewährte Qualität
und Sicherstellung der Versorgung durch mittelständische Apotheken. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein,
dass eine flächendeckende Versorgung nicht durch einen
den Wettbewerb verzerrenden Versandhandel gefährdet
wird.
({15})
Pick-up-Stationen und Arzneimittelautomaten widersprechen den hohen qualitativen Anforderungen, die wir
an die Abgabe von Arzneimitteln stellen.
({16})
Die Aufhebung des Fremdbesitzverbotes, die zu Apothekenketten führen würde, lehnen wir ebenfalls ab, da
dann kein fairer Wettbewerb stattfinden könnte. Die
Apothekenketten könnten auch die Arzneimittelversorgung in der Fläche gefährden, weil gewinnorientierte
Ketten sich natürlich mehr auf Ballungsgebiete konzentrieren würden, da diese attraktiver sind als die ländliche
Versorgung.
Ähnliches gilt auch für die zunehmende Übernahme
des Betriebes medizinischer Versorgungszentren durch
Kapitalgesellschaften. Die Praxis des freiberuflich niedergelassenen Arztes ist für uns ein Grundbaustein unseres Gesundheitssystems. Sie ist ein Garant für die qualitativ hochwertige und flächendeckende ambulante
ärztliche Versorgung. Medizinische Versorgungszentren
können den freiberuflich tätigen Haus- und Facharzt
nicht ersetzen, sondern nur ergänzen.
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, nämlich das Wahrnehmen von Verantwortung. Das gilt besonders für Akteure in unserem Gesundheitswesen. Deshalb sei mir eine Bemerkung an die Adresse der
Krankenkassen erlaubt: Große Kassen haben in den letzten Wochen reihenweise wichtige Versorgungs- und
Strukturverträge gekündigt. Betroffen ist zum Beispiel
die Sozialpsychiatrievereinbarung zur Versorgung Zehntausender Kinder und Jugendlicher. Diese Vertragskündigungen erfolgten, ohne den betroffenen Kinder- und
Jugendpsychiatern und ihren nichtärztlichen Fachmitarbeitern, vor allem aber auch ohne den betroffenen Patientenkindern sowie deren Eltern irgendeine Perspektive
aufzuzeigen. Die Begründung dieser Vertragskündigungen bestand lediglich in dem schlichten Verweis auf eine
angeblich völlig unwägbare Finanzsituation zu Beginn
des kommenden Jahres.
({17})
- Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet.
({18})
Die gleichen Kassen, die dies behaupten, sehen sich aber
sehr wohl in der Lage, auf den Euro genau zu beziffern,
wo ihnen durch bestimmte Detailregelungen Benachteiligungen drohen. Wenn ich das auf den Euro genau berechnen kann, dann kann ich zumindest auch wissen,
was mir finanziell zur Verfügung steht.
({19})
Ich appelliere ausdrücklich an die Verantwortlichen der
Kassen und an die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, in allererster Linie ihren Versorgungsauftrag zum
Wohle der Patienten ernst zu nehmen und zu erfüllen.
Vielen Dank.
({20})
Das Wort für die Fraktion Die Linke hat der Kollege
Frank Spieth.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede meines
Vorredners, Herrn Zöller, gehört hat, kann man sich des
Eindrucks nicht ganz erwehren, dass jemand aus der Opposition gesprochen hat und nicht ein an der Regierungsverantwortung maßgeblich Beteiligter.
({0})
Wir werden nächste Woche im Zusammenhang mit dem
Antrag der FDP zum Gesundheitsfonds Gelegenheit haben, den einen oder anderen Punkt zu vertiefen. Es hat
mich schon an manchen Stellen überrascht, was Herr
Zöller eben zum Thema Apotheken und Versandhandel
gesagt hat; denn das ist eine 180-Grad-Wende der CDU/
CSU in dieser Frage. Aber wir werden dazu noch kommen.
({1})
Meine Damen und Herren, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist seit dem 1. April 2007 in Kraft.
Zentrale Elemente der damit verbundenen Reformen
greifen aber erst im kommenden Jahr. So wird 2009 - es
ist schon angedeutet worden - das Jahr, in dem die wesentlichen Folgen für uns alle über den Gesundheitsfonds spürbar werden.
Mit dem Gesundheitsfonds werden die zukünftigen
Kostensteigerungen einseitig den Versicherten aufgelastet, und die Arbeitgeber werden nicht mehr daran beteiFrank Spieth
ligt. Diese Politik ist nicht neu. Ein Beispiel: Bis zum
30. Juni 2005 hatte jede Krankenkasse einen Beitragssatz, den Versicherte und Arbeitgeber halbe-halbe zahlten. Zum Juli 2005 führten SPD und Grüne einen Zusatzbeitrag für Versicherte zur Finanzierung von
Zahnersatz und Krankengeld in Höhe von 0,9 Prozent
ein. Dies kostet die Versicherten bisher jährlich
9 Milliarden Euro. Jeder Rentner und jeder Arbeitnehmer zahlt deshalb jährlich im Durchschnitt 180 Euro zusätzlich zum Krankenversicherungsbeitrag. Auf dem
Rücken der Versicherten werden die Arbeitgeber um läppische 4,5 Milliarden Euro entlastet. Dieser falsche Weg
der Lohnnebenkostensenkung wird mit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz konsequent fortgesetzt.
Mit dem Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 legt
zum ersten Mal die Regierung einen einheitlichen Beitragssatz fest. Dennoch bleibt es bei diesem Sonderbeitrag von 0,9 Prozent für Versicherte. Was in der Öffentlichkeit bisher aber weitgehend übersehen wurde: Die
Regierung wird erst dann gezwungen, den - paritätisch
von Arbeitgebern und Versicherten zu zahlenden - Beitrag wieder zu verändern, wenn die Ausgaben nur noch
zu 95 Prozent durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds gedeckt werden. Im Ergebnis werden erst 2013
auch die Arbeitgeber wieder mit Beitragserhöhungen
rechnen müssen. Da die Kosten im Gesundheitswesen
auch zukünftig stärker steigen werden als die Löhne und
Renten, wird es schon sehr bald bei allen Krankenkassen
ein erhebliches Finanzierungsproblem geben. Wer finanziert dann die fehlenden Milliarden? Ganz einfach: Die
Ausgabensteigerungen werden alleine von Rentnern und
Arbeitnehmern ohne Beteiligung der Arbeitgeber bezahlt. Bis zu 1 Prozent des Einkommens, also bis zu einem Fehlbetrag von 10 Milliarden Euro jährlich, wird
dann zusätzlich von den Versicherten verlangt. Pro Kopf
kostet uns das dann durchschnittlich 200 Euro im Jahr.
Herzlichen Glückwunsch, kann ich da nur sagen!
({2})
Sie werden jetzt natürlich dagegenhalten, dass Versicherte bei den Sonderbeiträgen ein Sonderkündigungsrecht haben. Wenn aber alle Kassen diese Beitragserhöhungen durchführen müssen, ist dieses Kündigungsrecht
blanker Unsinn.
In Ihrem Koalitionsvertrag, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ist die Rede
von einer „solidarischen und bedarfsgerechten Finanzierung“ der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies wird
nach meiner Auffassung mit dem Gesundheitsfonds
nicht realisiert. Mit Verlaub: Sie versuchen die Menschen für dumm zu verkaufen. Das wird Ihnen nicht gelingen.
({3})
In der Gesundheit gibt es aber weit mehr Problembaustellen. In der hausärztlichen Versorgung im ländlichen
Raum und in einkommensschwachen Regionen entstehen immer mehr weiße Flecken. Ihr neuester Lösungsansatz: 2,7 Milliarden Euro mehr für die Ärzte. Das kann
man ja machen. Wer mehr Geld mit der Gießkanne verteilt, wird das ärztliche Vergütungsniveau insgesamt erhöhen. Aber er wird das unzureichende ärztliche Angebot in denjenigen Gegenden, die offensichtlich für Ärzte
unattraktiv sind, damit nicht verbessern.
({4})
Spitzenverdiener in der Ärzteschaft werden genauso bedient wie der arme Hausarzt auf dem Land.
Ich befürchte, dass dieses Geld - abgesehen von einer
etwas höheren Vergütung der Ärzte im Osten - im Wesentlichen zu einem Mitnahmeeffekt führt, aber keine
Strukturverbesserungen schafft und den Patienten keine
Vorteile bringt.
({5})
Die Patienten warten zukünftig wahrscheinlich genauso
lange auf einen Termin wie bisher und erfahren nach wie
vor eine schlechtere Behandlung als Privatkrankenversicherte. Ich kann mich hier nur der Gesundheitsministerin
anschließen: Dies ist ein Skandal.
({6})
Jeden Beitragszahler kostet diese Erhöhung jährlich
50 Euro zusätzlich - ohne Zusatznutzen. Nutzen wird
dies offenkundig nur der Koalition. Hier wird Wahlkampf auf dem Rücken der Beitragszahler gemacht.
({7})
- Stellen Sie eine Frage! Dann antworte ich Ihnen gerne.
Eine weitere offene Baustelle sind die Entwicklung
der Arzneimittelkosten und die Rabattverträge. Ihr
Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz hat
zunächst zu einer Dämpfung der Preisentwicklung geführt; aber es war nur ein kurzer Effekt. Wir stehen jetzt
erneut vor einer Kostenexplosion. Aktuelle Prognosen
benennen Kostensteigerungen von bis zu 8 Prozent im
kommenden Jahr. Wir haben die absurde Situation, dass
im Arzneimittelbereich trotz Rabattverträgen und Festbeträgen die Preise munter weitergaloppieren. Das System der Rabattverträge und die Festbetragsregelungen
sind für die Patienten überhaupt nicht mehr durchschaubar. In den Apotheken gibt es immer öfter Konflikte,
weil bisher zuzahlungsfreie Medikamente auf einmal
wieder zuzahlungspflichtig sind. Neue Rabattverträge
werden abgeschlossen, wodurch Arzneien nicht mehr
30 Prozent unter der Festbetragsgrenze abgegeben werden und auf einmal nicht mehr zuzahlungsfrei bereitgestellt werden. Das damit entstehende Durcheinander
durchschauen nur noch sehr wenige Fachleute.
Es gibt nur eine wirklich sinnvolle Alternative: die
Einführung der Positivliste.
({8})
Mit dieser Positivliste könnten wir außerdem den himmelschreienden Unfug beenden, dass der Arzt am Ende
des Quartals kaum noch Medikamente verschreiben
kann, weil sein Budget ausgeschöpft ist. Die bisherigen
Arzneimittelbudgets hatten den Sinn der Kostenbegrenzung. Dies würde sich durch die Positivliste zukünftig
erübrigen.
Ein weiteres Beispiel für Rabattverträge: Eine Kasse
schreibt als Leistung die Bereitstellung von Inkontinenzwindeln aus. Ein Leistungserbringer gewinnt diese
Ausschreibung. Folglich ist nur noch dieser zulasten dieser Kasse lieferberechtigt, Herr Zöller. Diese Windel
führt er dann aus China ein; sie entspricht den qualitativen Mindestanforderungen. Die gewohnte Windel wird
zwar weiter angeboten, muss aber mit erheblichen Zuzahlungen gekauft werden.
Auch der benachbarte Sanitätsfachhandel führt die
gewohnte Windel. Da dieser Fachhandel aber keinen
Vertrag mit der Krankenkasse hat, kann der Patient die
dort vielleicht insgesamt preiswertere Windel nicht kaufen, da die Kasse nicht mitzahlt. Schlecht für den Patienten, gut für den neuen Monopolisten, der diesen Rabattvertrag abgeschlossen hat.
({9})
Die minderwertige Windel wird zuzahlungsfrei abgegeben. Bei der höherwertigen Windel wird zugelangt. Auf
diese Weise wird kein Wettbewerb zwischen Sanitätshäusern, sondern ein Mittelstandsvernichtungsprogramm organisiert - da haben Sie recht, Herr Zöller -,
und das auf dem Rücken und zum Leidwesen der Kranken.
Noch ein Wort zur Krankenhausfinanzierung. Die
Linke hat einen Antrag zur Beendigung der akuten Finanznöte der Krankenhäuser gestellt. Ich fand es interessant, dass bei der Beratung unseres Antrages im März
die Koalitionsfraktionen in diesem Haus mit dem allseits
bekannten Vorwurf, wir würden wieder einen Wünschdir-was-Katalog vorlegen, unsere Forderungen abgelehnt haben. Lachen Sie nicht zu früh! Jetzt machen Sie
mit dem Krankenhausfinanzierungsrahmengesetz fast
eins zu eins das, was wir in unserem Antrag gefordert
haben.
({10})
Sie wollen die Erhöhung der Tarife der Beschäftigten außerhalb der bisherigen Deckelung finanzieren. Sie wollen zusätzliche Pflegekräfte einstellen. Sie wollen einen
Krankenhauswarenkorb für die Festlegung der Budgetsteigerung einführen. Dies alles sind Forderungen,
die wir gestellt haben. Dies war kein Wünsch-dir-wasKatalog, sondern sind Ihre konkreten Vorschläge. So viel
zum Thema Sozialismus. Der ist bei Ihnen offenkundig
gut zu Hause.
Herr Kollege Spieth, beim Punkt Sozialismus müssen
Sie jetzt zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende.
({0})
Was wir allerdings ablehnen, ist die Tatsache, dass Sie
das Problem des Investitionsstaus nicht gelöst haben.
Darüber werden wir weiter diskutieren müssen. Ich sage:
Der Fonds, der jetzt kommt, ist unsozial, ungerecht und
nicht mit den Linken zu machen.
({1})
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Birgitt Bender jetzt
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
interessant, dass wir in einer zehnminütigen Rede des
Vertreters der CSU nicht einmal das Wort Gesundheitsfonds gehört haben.
({0})
Sie überlassen die Verteidigung dieser verkorksten Reform komplett der Bundesgesundheitsministerin. Von
der hören wir seit dem letzten Jahr gebetsmühlenartig,
diese Reform sei toll, weil sie nicht mit zusätzlichen Belastungen für die Versicherten verbunden sei.
Dazu kann ich nur sagen: Das erweist sich spätestens
jetzt als Falschaussage. Es ist doch so: Wir werden im
kommenden Jahr einen noch nie dagewesenen Beitragssatzsprung erleben. Abhängig davon, ob und wie sich die
Bundesregierung mit den Ländern bei der Krankenhausfinanzierung einigt, wird der Beitragssatz auf ein Allzeithoch von 15,5 oder gar 16 Prozent klettern. Damit
werden die Versicherten und ihre Arbeitgeber - Herr
Zöller, auch das ist ein Mittelstandsproblem - jeweils
mit 3 bis 5 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Das hat
die Bundesregierung aufgrund ihrer Reformversäumnisse zu verantworten.
({1})
Was haben Sie denn getan? Zur Finanzreform der
Krankenversicherung haben Sie überhaupt nichts beigetragen. Die Krankenkassen werden weiterhin fast ausschließlich über lohnbezogene Beiträge finanziert. Es ist
immer die Rede von einem steigenden Steuerzuschuss.
Wie sieht es damit denn wirklich aus? Auch im nächsten
Jahr wird der Steuerzuschuss noch unterhalb des Betrages liegen, den wir im Jahr 2006 schon einmal erreicht
hatten. Weiterhin ist es so, dass ausgerechnet die leistungsfähigsten und gesündesten Versicherten am Solidarausgleich nicht beteiligt werden. Das hat zur Folge, dass
die Ausgabensteigerungen bei den Arzneimitteln, die
Steigerungen bei den Arzthonoraren und auch die möglichen Finanzhilfen für die Krankenhäuser auf den Beitragssatz durchschlagen, und das mit voller Wucht. Die
Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, meine Damen und
Herren von der Großen Koalition.
({2})
Aber auch der Gesundheitsfonds mit seinem Einheitsbeitrag trägt zu den steigenden Belastungen bei. Diese
Belastungen werden regional gewiss unterschiedlich
verteilt sein. So werden zum Beispiel die Versicherten
und Arbeitgeber in Sachsen und Thüringen, die bisher
vergleichsweise niedrige Beiträge zahlen, Beitragssatzsteigerungen von bis zu 2 Prozentpunkten hinnehmen
müssen. Das entspricht, um das in Zahlen auszudrücken,
einer Steigerung der Lohnnebenkosten in diesen Ländern um - vorsichtig geschätzt - 300 bis 400 Millionen Euro. Anders gesagt: Eine völlig irrationale Gesundheitspolitik reißt das wieder ein, was mit Wirtschaftsund Arbeitsmarktförderung mühsam aufgebaut wurde.
Ich könnte das auch drastischer ausdrücken, das wäre
dann aber unparlamentarisch.
Die Beitragssatzsteigerung im nächsten Jahr ist ein
erster, aber beileibe nicht letzter Griff in die Taschen der
Versicherten. Im darauffolgenden Jahr geht es doch erst
richtig los. Ab 2010 soll der Gesundheitsfonds nur noch
95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen finanzieren.
({3})
Die restlichen 5 Prozent müssen die Kassen dann über
Zusatzbeiträge bei ihren Versicherten eintreiben. Das bedeutet, dass der Versichertenanteil um weitere 3,5 bis
4 Milliarden Euro angehoben wird.
({4})
In der Summe sind wir dann bei Zusatzbelastungen von
wenigstens 7 bis 9 Milliarden Euro, und das bei einer
Reform, von der die Ministerin behauptet hat, sie bringe
keine zusätzlichen Belastungen. Das ist doch ein
schlechter Witz.
({5})
Die Versicherten und Patienten werden nicht nur spüren, dass der Gesundheitsfonds zulasten ihres Geldbeutels geht, nein, sie werden auch Folgen bei der Versorgung spüren. Jede Kasse weiß, dass sie, wenn sie einen
Zusatzbeitrag erhebt, raus aus dem Wettbewerb ist. Also
wird sie alles tun, um das zu vermeiden.
({6})
- Herr Zöller, die Auswirkung wird Schwachsinn sein. Die Folge wird ein massives Sparregime sein. Das heißt,
freiwillige Leistungen werden abgebaut, genehmigungspflichtige Therapien nicht genehmigt und Investitionen
in neue Versorgungsformen stark gedrosselt. Es wird
eine Dominanz des Preises gegenüber dem Qualitätswettbewerb geben. Die seit dem Jahr 2000 entstandenen
Spielräume für Vertragsgeschehen, die auch Sie von der
Union inzwischen wollen, werden dadurch konterkariert.
Es wird so sein, dass Gesundheitsfonds und Zusatzbeitrag wie ein Betondeckel über dem Gesundheitswesen
liegen. Da wird sich nichts mehr bewegen.
({7})
Soll heißen, Ihre Reform führt zu einer Rekordbelastung der Versicherten und zu einem Abbau der Versorgungsqualität. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Im
nächsten Jahr werden sich die Gesundheitsministerin
und Sie alle noch wünschen, Sie hätten das Wort Gesundheitsfonds nie gehört und nur schlecht geträumt. Ich
sage Ihnen: Das Erwachen wird böse sein.
({8})
Die Kollegin Dr. Carola Reimann hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Man wundert sich. Das Wort Haushalt ist in Ihrer Rede, glaube ich, gar nicht gefallen, Frau Bender.
Dabei führen wir doch eine Haushaltsdebatte.
({0})
Der vorliegende Einzelplan 15 für das Jahr 2009 sieht
mehr Mittel für Gesundheit vor. Das ist erfreulich, insbesondere weil der Ausgleich für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, um 1,5 Milliarden Euro
steigt. Dieser Ausgleich ist uns deshalb so wichtig, weil
er für eine gerechtere Verteilung der Kosten sorgt. Wir
müssen davon wegkommen, dass Leistungen, von denen
die gesamte Gesellschaft profitiert, allein von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden.
({1})
Die insgesamt 4 Milliarden Euro, die ab 2009 in den
Gesundheitsfonds fließen, sind ein guter Anfang, gleichen die Gesamtausgaben aber nicht aus. Deshalb ist es
richtig und wichtig, dass ab 2010 weitere jährliche Steigerungen vorgesehen sind. Das entlastet die gesetzliche
Krankenversicherung und letztlich den Beitragszahler
und die Beitragszahlerin.
Es freut mich, dass im Einzelplan ein weiterer
Schwerpunkt auf Forschungsvorhaben, Modellprogramme und Maßnahmen der gesundheitlichen Aufklärung gelegt wird. Die Notwendigkeit gesundheitlicher
Aufklärung in allen Bevölkerungsschichten und Landesteilen ist für Fachpolitiker immer unumstritten gewesen. Die Äußerungen bayerischer Spitzenpolitiker zur
Fahrtüchtigkeit nach Alkoholkonsum müssen auch dem
Letzten gezeigt haben, dass mehr Aufklärung dringend
erforderlich ist.
({2})
Zurück zum Einzelplan. Wir haben dort für die Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs gut
9 Millionen Euro und für den Kampf gegen Aids fast
17 Millionen Euro vorgesehen. Die Ministerin hat auf
viele bilaterale Projekte in Osteuropa hingewiesen. Bei
der Prävention haben wir eine Steigerung um
3 Millionen auf fast 40 Millionen Euro. Das ist gut so.
Denn, Frau Kollegin Winterstein, Prävention ist kein
Aktionismus. So eine Aussage zeugt von einer atemberaubenden Unkenntnis. Prävention ist der Schlüssel zur
Verbesserung der Lebensqualität, zu einem gesunden
Aufwachsen unserer Kinder, zu gesundem Altern und
natürlich auch zur Entlastung unserer gesetzlichen Krankenkasse.
({3})
Da wir gerade beim Thema Prävention sind: Mehr
Mittel im Haushalt sind richtig und wichtig. Noch wichtiger wäre allerdings, dass wir endlich das Präventionsgesetz auf den Weg bringen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie
wissen: Wir wollen dieses Präventionsgesetz - gern auch
noch mit Ihnen gemeinsam in dieser Legislaturperiode.
({5})
Auch wenn die Finanzen der GKV nicht Teil des
Haushalts sind, möchte ich dieses Thema nicht ganz außer Acht lassen. Die Finanzentwicklung der gesetzlichen
Krankenversicherung in den letzten Jahren - das muss
einmal gesagt werden - ist positiv. Die Kassen haben in
den vergangenen vier Jahren Überschüsse erwirtschaftet
und konnten so ihre Entschuldung erfolgreich voranbringen. Während die gesetzlichen Krankenversicherungen
insgesamt Ende 2003 Nettoschulden in Höhe von
6 Milliarden Euro aufwiesen, hat sich dieser Wert Ende
2007 in ein Nettovermögen von 3,5 Milliarden Euro verwandelt.
({6})
Zum Ende dieses Jahres rechnen wir mit einem ausgeglichenen Finanzergebnis.
({7})
In diesem und auch im kommenden Jahr werden
Mehrausgaben auf die gesetzliche Krankenversicherung zukommen. Dafür ist nicht wie oft und viel behauptet der Gesundheitsfonds verantwortlich, sondern
({8})
die sattsam bekannten Entwicklungen im Bereich des
medizinischen Fortschritts und der Demografie. Dazu
gehören auch die steigenden Arzneimittelausgaben. Kollege Spieth, es lohnt sich, ein bisschen genauer hinzusehen. Durch Festbeträge und Rabattverträge wurde die
Arzneimittelversorgung in einigen Bereichen preisgünstiger und effizienter. Bei den neuen innovativen bzw. angeblich neuen Arzneimitteln ist die Ausgabensteigerung
zurzeit allerdings ungebrochen. Hier setzen wir auf die
Kosten-Nutzen-Bewertung, die wir im Rahmen der Gesundheitsreform eingeführt haben. Wenn sie zügig
durchgeführt wird, wird sich an dieser Stelle, wie ich
glaube, noch einiges tun.
Außerdem wird es zu Mehrausgaben kommen, weil
wir gezielte Verbesserungen der Versorgung umsetzen
werden.
({9})
Das betrifft den Krankenhausbereich sowie die ambulante ärztliche Versorgung.
Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass die
wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser schwieriger geworden ist. Die Ursachen dafür sind vielfältig.
An erster Stelle und aktuell im Vordergrund stehen die
gestiegenen Personal- und Sachkosten. Ein anderer
Grund sind die Investitionsrückstände, verantwortet und
verursacht von den Ländern, die ihren Verpflichtungen
auf diesem Gebiet nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sind.
({10})
Die Folge ist, dass die Krankenhäuser gezwungen
sind, notwendige Investitionen teilweise aus den Geldern für die Patientenversorgung zu finanzieren. Dadurch verschärft sich auch die Lage der Beschäftigten,
insbesondere der Beschäftigten im Pflegebereich; es hat
übrigens schon ein Abbau von Pflegepersonal stattgefunden.
Die Ministerin hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit
dem das Ziel verfolgt wird, genau diese Missstände zu
beheben. Die Refinanzierung von Tariferhöhungen, ein
Förderprogramm zur Verbesserung der Pflegesituation in
den Krankenhäusern und der Wegfall des GKV-Rechnungsabschlags sind angesichts der Herausforderungen,
vor denen wir im Krankenhausbereich stehen, die richtigen Maßnahmen. Aber auch an dieser Stelle sage ich:
Das allein reicht nicht aus. Die Länder sind für die Investitionen in den Krankenhäusern verantwortlich. Auch
hier muss sich etwas tun.
({11})
Vor diesem Hintergrund hat die Ministerin absolut
recht, wenn sie gemeinsam mit den Ländern im Hinblick
auf die Krankenhausinvestitionen eine verbindliche Lösung anstrebt. Es hilft nämlich nicht, wenn mit dem
Geld, das zusätzlich in die Versorgung fließen soll, letztDr. Carola Reimann
lich wieder die mangelnde Investitionsbereitschaft der
Länder aufgefangen werden muss. Das kann nicht in unserem Interesse und nicht im Interesse der Patienten und
der Beschäftigten sein.
Der zweite Punkt, den ich genannt habe, betrifft die
Verbesserungen bei der Ärztevergütung. Nun schaffen
wir das, was die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte
immer gefordert haben: ein kalkulierbares, gerechteres
und transparentes Honorarsystem. Das zwischen Ärzten
und Kassen ausgehandelte Ergebnis bedeutet für die niedergelassene Ärzteschaft eine kräftige Erhöhung der Honorare. Unser Ziel und unser Wunsch ist, dass sich die
bessere und gerechtere Vergütung auch positiv auf die
Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Arztpraxen auswirkt; auch darauf hat die Ministerin hingewiesen.
Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns in
diesem Hause einig, dass diese Verbesserungen unverzichtbar sind, sowohl im Interesse der Versicherten, die
auch weiterhin die bestmögliche Versorgung erhalten
sollen, als auch im Interesse der vielen Beschäftigten im
Gesundheitswesen, die gute Bedingungen brauchen, um
ihre Arbeit gut erledigen zu können. Es wäre verantwortungslos, ausgerechnet an dieser Stelle zu sparen.
Jeder weiß: Zusätzliche Ausgaben haben natürlich
Auswirkungen auf den Beitragssatz. Nur in den Traumwelten der Opposition scheinen Leistungsverbesserungen mit Beitragssatzsenkungen einherzugehen.
({12})
Wir allerdings machen eine Politik für die Realität.
({13})
Natürlich müssen wir die Belastungen der Beitragszahler im Auge behalten. Die SPD hat schon bei der
letzten Gesundheitsreform auf eine umfangreichere
Steuerfinanzierung gedrängt, um die Beitragszahler zu
entlasten. Leider stieß dies bei unserem Koalitionspartner auf Ablehnung. Für uns jedenfalls steht das Thema
„Entlastung der Beitragszahler“ nach wie vor auf der Tagesordnung.
({14})
Bereits im Mai dieses Jahres haben wir ein Konzept zur
Senkung der Sozialabgaben vorgelegt. Natürlich streben
wir auch weiterhin die Bürgerversicherung an, die sich,
wenn es zu einer Einbeziehung weiterer Einkommensarten käme, entlastend auf die Höhe des Beitragssatzes
auswirken würde.
({15})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
ein funktionierendes Gesundheitssystem mit einer hochwertigen Versorgung und weit über 4 Millionen Beschäftigten, die Tag für Tag engagiert arbeiten. Um dies zu
erhalten und zukunftssicher zu machen, müssen wir zusätzliche Mittel bereitstellen. Denn nur so können wir
auch in Zukunft den Zugang aller Bürger unabhängig
vom Geldbeutel zu einem modernen, leistungsfähigen
Gesundheitssystem gewährleisten. Das ist und bleibt für
uns Sozialdemokraten der Anspruch.
Danke.
({16})
- Dann klatscht auch!
({17})
Jetzt spricht der Kollege Daniel Bahr für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gestern hat die Bundeskanzlerin ihre Rede
hier im Deutschen Bundestag gehalten. Ich habe erwartet, dass sie zu den großen Projekten der schwarz-roten
Koalition im letzten Jahr ihrer Amtszeit noch einiges
sagt.
({0})
Sie hat in der Tat einiges zur Gesundheitspolitik gesagt. Sie hat aber - deshalb muss ich Sie ergänzen, Frau
Kollegin Bender - nicht ein Mal das Wort Gesundheitsfonds in den Mund genommen. Ich finde, das ist bemerkenswert und zeigt, dass das Herzstück der großen Gesundheitsreform, welches eines der Glanzstücke der
Leistungsfähigkeit dieser schwarz-roten Bundesregierung sein sollte, infrage steht und man sich die Frage
stellt, ob sich die Große Koalition für diese gigantische
Umverteilungsbehörde nicht mittlerweile schämt.
({1})
Frau Schmidt hat gesagt, durch den Steuerzuschuss
in Höhe von 4 Milliarden Euro würden die Beitragszahler entlastet. In der Koalitionsvereinbarung hat sich die
Große Koalition im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform zwei Ziele gesetzt, dass nämlich erstens die
Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil gehalten werden oder sinken sollen und dass zweitens
der Steuerzuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung, den es schon vorher gab, auf Null sinken soll.
Dazu muss ich sagen, dass Sie an den selbst gesetzten
Zielen gescheitert sind.
({2})
Sie haben einen neuen Zuschuss eingeführt. Wenn
man sich das über die gesamte Legislaturperiode anschaut, ist dieser aber geringer als das, was Sie zu Beginn der Legislaturperiode vorgefunden haben. De facto
entziehen Sie den gesetzlichen Krankenversicherungen
fast 4 Milliarden Euro. Sie tun jetzt so, als ob Ihre große
Leistung in dem neuen Steuerzuschuss bestehe, um die
Daniel Bahr ({3})
Beitragszahler zu entlasten. Dazu muss ich sagen, dass
Ihr Hin und Her bei dem Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung mit dafür verantwortlich ist,
dass die Beitragssätze für die Krankenversicherten auf
Rekordniveau gestiegen sind. Meine Damen und Herren,
Verlässlichkeit sieht anders aus.
({4})
Obwohl Sie mittlerweile wieder einen Steuerzuschuss
von 4 Milliarden Euro in das gesetzliche Krankenversicherungssystem schießen, steigen die Krankenkassenbeiträge aktuell und im nächsten Jahr weiter.
({5})
Schuld daran ist Ihre Politik. Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht. Sie haben ein Arzneimittelspargesetz verabschiedet, durch das angeblich die Arzneimittelausgaben sinken sollten. Stattdessen steigen sie um etwa
6 Prozent.
({6})
Die Krankenhausausgaben steigen schon in diesem Jahr,
und die ärztliche Vergütung steigt auch. Zudem steigen
die Ausgaben für Hilfsmittel und Heilmittel. Sie wollten
dazu beitragen, dass die Kosten nicht weiter steigen. Das
haben Sie aber nicht geschafft. Im Gegenteil, die Kostenentwicklung geht weiter nach oben.
({7})
Frau Kollegin Reimann, dafür ist die demografische
Entwicklung noch nicht verantwortlich. Diese kommt
erst auf uns zu. Die Kanzlerin hat in der gestrigen Debatte gesagt - das haben wir als FDP immer schon
gesagt -, dass die Kosten angesichts einer alternden Bevölkerung natürlich steigen werden und man die Versicherten darauf vorbereiten muss, dass demnächst, wenn
wir mehr Ältere bei weniger jungen Beitragszahlern haben werden, Gesundheit nicht zum Nulltarif zu haben
sein wird. Das stellt niemand infrage.
Die Frage ist aber, ob Sie etwas gegen die steigenden
Kosten einer alternden Gesellschaft unternehmen. Im
Gegenteil, Sie häufen doch weiter Lasten für die kommenden Generationen an.
({8})
Die private Krankenversicherung, die immerhin für die
steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung Rückstellungen bildet, wird durch Ihre Politik schleichend
ausgetrocknet. Immer weniger Menschen werden die
Möglichkeit haben, durch den Aufbau eigener Altersrückstellungen Vorsorge für die aufgrund einer alternden
Bevölkerung steigenden Kosten zu betreiben.
Liebe Frau Schmidt, das ist der Vorteil der Kapitaldeckung, die wir dringend auch für die Krankenversicherung brauchen, weil die alternde Bevölkerung eine Last
ist, die auf der Krankenversicherung lastet. Die umlagefinanzierte gesetzliche Krankenversicherung wird diese
Probleme nicht lösen.
({9})
Ihre Politik wird dazu führen, dass es für den Beitragszahler immer teurer, aber nicht besser wird. Die
Beitragszahler werden von Ihnen zur Kasse gebeten, damit Sie die Umsetzung einer verkorksten Gesundheitsreform noch angehen können.
Sie erkaufen sich die Ruhe bei Ärzten und Krankenhäusern derzeit mit Versprechungen, dass es mehr Geld
gebe, nur damit Sie still und leise eine verfehlte Gesundheitsreform auf den Weg bringen können, die die Versorgungsqualität in Deutschland verschlechtern wird, weil
sie in Wahrheit den Weg für ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen ebnet.
({10})
Das alles ist in den drei Jahren eines Wirtschaftsaufschwungs geschehen. Wir erlebten Beitragssatzsteigerungen bei Renten-, Pflege- und Krankenversicherungen
trotz Wirtschaftsaufschwung. Was steht uns aber bevor,
wenn die wirtschaftliche Entwicklung in eine schwierigere Phase kommt?
({11})
Dann haben wir zwar eine kurzfristige Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags erlebt, danach aber werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge wieder deutlich steigen, und mitnichten werden Renten-, Pflegeoder Krankenkassenbeiträge sinken.
Das heißt, durch Ihre Politik wird die Gesamtbelastung durch die Lohnzusatzkosten immer weiter steigen.
Nur weil Sie in der schwarz-roten Koalition nicht den
Mut zu wirklichen Strukturreformen haben, werden die
Lasten für die kommenden Generationen und Beitragszahler weiter wachsen.
({12})
Sie tun jetzt so, als wenn Sie der Kämpfer für die
Krankenhäuser und Ärzte seien, Frau Schmidt. Sie haben doch dazu beigetragen, dass die Finanzentwicklung
bei den Krankenhäusern so ist, wie sie ist. Sie haben
doch durch einen Sanierungssparbeitrag, durch die
Mehrwertsteuererhöhung und viele andere Maßnahmen
die Krankenhäuser erst in diese finanziell schwierige
Lage gebracht, in der sie sich jetzt befinden. Jetzt wollen
Sie für das Versprechen, mehr Geld bereitzustellen, wieder gefeiert werden. Das ist völlig unehrlich.
Ein kurzer Punkt noch. Herr Kollege Zöller, Medizinische Versorgungszentren und der Versandhandel
sind von Ihnen angesprochen worden. Wer hat das denn
seinerzeit beschlossen? SPD, Grüne und CDU/CSU haben die Medizinischen Versorgungszentren und den Versandhandel beschlossen.
({13})
Daniel Bahr ({14})
Lieber Herr Kollege Zöller, Sie beklagen jetzt die Probleme, die Sie durch Ihre Beschlussfassung selbst verursacht haben.
Sie sollten unseren Anträgen - zum Beispiel hinsichtlich der Ausfransung des Versandhandels - zustimmen;
denn die FDP-Fraktion hat im Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, mit dem dieses Problem angegangen wird.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Norbert Barthle spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin! Auch wenn
wir jetzt intensiv über den Etat für 2009 reden, will ich
noch einmal kurz im Jahr 2008 verharren und daran erinnern, dass der Reichskanzler Otto von Bismarck vor
125 Jahren das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter auf den Weg gebracht hat. Das war die
Grundlage unserer heutigen gesetzlichen Krankenversicherung. Nach 125 Jahren ist das inzwischen ein Erfolgsmodell, das nicht nur in unserer nahen Nachbarschaft, sondern auch in der ganzen Welt als solches
anerkannt wird. Ich glaube, wir sollten wieder einmal
daran erinnern und uns darüber freuen.
({0})
Dieses Erfolgsmodell ist auch ein Verdienst dieses
Hauses, dieses Parlaments - natürlich mit Ausnahme der
Linken -, der Ministerin und dieser Großen Koalition. In
den kommenden Wochen werden wir intensiv daran arbeiten, dass dieses Erfolgsmodell auch in Zukunft ein
solches ist. Ich bin davon überzeugt.
Lassen Sie mich zum Haushalt kommen. Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen: Auf den ersten
Blick ist das Plus von 53 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr exorbitant groß. Das widerspricht eigentlich der Haushaltskonsolidierungslinie, auf die wir uns
in dieser Großen Koalition geeinigt haben. Auf den
zweiten Blick erkennt man aber, dass das an diesem
Zuschuss an die GKV liegt, der Jahr für Jahr um
1,5 Milliarden Euro steigt und auch weiterhin steigen
wird, Frau Bender. Darauf kann man sich verlassen. Das
bedeutet Kontinuität.
({1})
Deshalb muss man an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen, welch großartige sozialpolitische Leistung es ist, mit diesen 4 Milliarden Euro die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der GKV zu bewältigen.
({2})
In diesem Zusammenhang gab es den Vorschlag aus
den Reihen unseres Koalitionspartners, diesen Zuschuss
durch Rückgriff auf die Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit schon im kommenden Jahr noch einmal um 2,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Der Kollege
Carsten Schneider hat das vorgeschlagen.
Ich will Ihnen an dieser Stelle gerne sagen, dass wir
von der Union von diesem Vorschlag nicht begeistert
sind. Wir sind im Gegenteil der Auffassung: Wenn es
Spielräume bei der Bundesagentur für Arbeit gibt - und
die gibt es -, dann wollen wir diese nutzen, um das Geld
den Menschen zukommen zu lassen, die das zu bezahlen
haben, indem wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag
möglichst bis auf 2,8 Prozent senken.
({3})
Das ist der bessere Weg. Lassen wir das Geld bei den
Bürgerinnen und Bürgern, und nehmen wir es ihnen
nicht zuerst aus der Tasche, um es ihnen dann über Umwege wieder zurückzugeben. Das ist nicht unser Rezept.
Noch einmal zurück zum Haushalt. Wenn man die
4 Milliarden Euro abzieht, dann verbleiben rund 450 Millionen Euro mehr für das Ministerium. Das bedeutet ein
Plus von 12,5 Prozent, womit wir auch über dem vereinbarten durchschnittlichen Zuwachs liegen. Deshalb auch
dazu ein paar Worte.
Dieser außergewöhnliche Aufwuchs hängt in erster
Linie mit Baumaßnahmen zusammen, die einen Einmalcharakter haben - in der mittelfristigen Finanzplanung
erscheinen diese erhöhten Beträge schon nicht mehr -,
nämlich beim Robert-Koch-Institut und beim PaulEhrlich-Institut. Herr Kollege Schurer, wir Haushälter
haben uns im vergangenen Jahr einen Eindruck von den
Baulichkeiten verschafft und können Ihnen versichern,
dass das gut angelegtes Geld ist.
({4})
Ein weiterer Aufwuchs ist für den Bereich Demenz
zu verzeichnen; Frau Ministerin hat darauf hingewiesen.
Als Haushälter sagen wir klipp und klar: Auch dazu stehen wir. Wenn das ein Leuchtturmprojekt sein soll, dann
muss dieses Leuchtturmprojekt Demenz mit 8,5 Millionen Euro auch leuchten können. Deshalb sind wir froh,
dort mehr Mittel zur Verfügung stellen zu können.
({5})
Im Bereich der Prävention beträgt das Plus knapp
4 Millionen Euro. Auch dort steht wesentlich mehr als
im vergangenen Jahr zur Verfügung. Das ist auch wichtig. Die wichtigsten Stichworte sind: Ernährung und Bewegung, Blut- und Organspenden, Drogen- und Suchtmittelmissbrauch. Dazu will ich gleich etwas sagen: Es
gab in dieser Woche eine Anhörung des Drogen- und
Suchtrates zum Nationalen Aktionsplan Alkohol. Diese
ergab, dass hinsichtlich der Bekämpfung des Missbrauchs, den es selbstverständlich gibt - insbesondere
auch bei Jugendlichen -, ein dringender Handlungsbedarf besteht. Wir sind bereit, etwas dafür zu tun, und unterstützen die Drogenbeauftragte Ihres Hauses. Aber wir
warnen davor, bei diesen Maßnahmen über das Ziel hinauszuschießen. Ein Verbot von Werbung und Sponsoring
bei Sportveranstaltungen, wie es der Drogen- und Suchtrat vorgeschlagen hat, schadet unserer Vereinskultur.
Wenn man Schaden und Nutzen gegeneinander abwiegt,
stellt man fest, dass der Schaden überwiegt. Das geht so
nicht.
({6})
Im Übrigen warne ich davor, im Zusammenhang mit
dem Konsum von Alkohol ständig von einer legalen
Droge zu sprechen. Ich denke, wir sollten eine distanzierte Position einnehmen. Wein und Bier sind ein Teil
unserer Kultur. In diesen Zeiten gehört sogar auch hin
und wieder eine Maß Bier zur Kultur.
({7})
Deshalb darf es keine allgemeine Diffamierung geben.
Das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit in unserem
Lande.
({8})
Was das zweite Präventionsprojekt, das Modellprojekt zur Heroinsubstitution anbetrifft,
({9})
muss ich Ihrer Pressestelle ein etwas zweifelhaftes Kompliment machen, Frau Ministerin. Es ist ihr nämlich gelungen, der Union die Verantwortung für das Auslaufen
der Zuschüsse zuzuschieben. Im Juli dieses Jahres
konnte man in der Frankfurter Rundschau lesen - ich zitiere -:
Im Frühjahr beschloss die Koalition auf Druck der
CDU, die Bundeszuschüsse für eine kontrollierte
Heroinabgabe in sieben Städten zu stoppen.
In diesem Zusammenhang muss ich etwas richtigstellen:
({10})
Wir von der Union sind gegen Diamorphin als Regelleistung der GKV. Das ist richtig. Übersetzt heißt das, wir
wollen nicht, dass es Heroin auf Krankenschein gibt, auf
Dauer, unbegrenzt und ohne entsprechende Ausstiegsszenarien.
({11})
Wir haben aber nichts gegen eine Fortsetzung oder eine
Neuauflage - in welcher Form auch immer - solcher
Modellversuche, auch unter Kostenbeteiligung des Bundes. Das ist keine Frage. Denn die Hilfe für Abhängige
steht im Vordergrund.
({12})
Lassen Sie mich auf das Thema gesetzliche Krankenversicherung zurückkommen. Dieses Erfolgsmodell
wird von 87 Prozent der Menschen in unserem Lande
genutzt, die in der GKV versichert sind. In der GKV
werden erhebliche Mittel in Höhe von rund 150 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Das sind - man rechne
und staune; so wird es fassbar - 17 Millionen Euro pro
Stunde oder 120 Millionen Euro seit Beginn unserer Debatte heute früh, die die Krankenkassen an die Versicherten überweisen. Daraus wird ersichtlich, welch einen
hohen wirtschaftlichen Faktor das Gesundheitswesen
darstellt.
Lassen Sie mich auch im Hinblick auf den Gesundheitsfonds auf einen weiteren Punkt eingehen. In den
vergangenen vier Jahren haben die Krankenkassen Überschüsse erzielt. Auch im Jahr 2008 werden die GKVen
vermutlich mit einer schwarzen Null abschließen. Bis
Ende 2007 konnte sogar ein Nettovermögen von rund
3,5 Milliarden Euro aufgebaut werden.
({13})
Die GKVen sind also nicht schlecht aufgestellt. Deshalb
muss der Hinweis erlaubt sein, dass nicht der Fonds ein
Kostentreiber ist - sofern es einen gibt -, sondern das
System an sich, nämlich die Krankenhäuser und die steigenden Kosten für Pflegepersonal und Ärzte. Das muss
in der Öffentlichkeit immer wieder betont werden.
Ich vertraue darauf, dass wir in den anstehenden
Haushaltsberatungen konstruktiv zusammenarbeiten und
die Beschlüsse fassen werden, die für die Menschen im
Land wichtig sind.
In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit.
({14})
Es spricht jetzt der Kollege Dr. Harald Terpe für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bezweifle, dass wir die aktuelle Debatte um
die finanzielle Situation der Krankenhäuser und den
Protest des Krankenhauspersonals vom September als
übertriebene Dramatisierung abtun dürfen, wie es die
Krankenkassen zum Teil tun.
({0})
Einer großen Anzahl von Krankenhäusern geht es wirtschaftlich gut. Allerdings gibt es auch eine wachsende
Zahl von Krankenhäusern, die rote Zahlen schreiben.
2007 betraf das fast ein Drittel der großen Krankenhäuser.
Man kann das nicht einfach damit abtun, dass diese
Häuser ineffizient wirtschaften. Überhaupt stellt sich die
Frage, ob die Betonung wirtschaftlicher Faktoren unseren Blickwinkel zum Nachteil der Patientennähe, Versorgungsqualität und Personalmotivation nicht zu sehr
verengt.
In den vergangenen Jahren fehlte eine vorausschauende Krankenhauspolitik. Die Ministerin sprach von
Konsolidierung. Das zögerliche Agieren des BMG und
der Koalition - nur auf Druck von Außen - zeigt doch,
wie sehr der Anspruch verloren geht, die Entwicklung
des Krankenhaussektors am Gemeinwohl orientiert zu
gestalten. Dabei wurde in Kauf genommen, dass gerade
kommunale und freigemeinnützige Krankenhäuser in
Schwierigkeiten geraten, während Krankenhäuser in privater Trägerschaft durch Dividenden im zweistelligen
Prozentbereich dem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen permanent Geld entziehen.
Dieser Prozess geht allzu oft zulasten der Patienten
und des Personals. Denken Sie nur an die Situation in
der Pflege: 50 000 gestrichene Stellen seit 1995! Ihr angekündigtes Sofortprogramm für etwa 20 000 neue Stellen ist diesbezüglich nur ein Eingeständnis einer Fehlentwicklung. Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen:
Eine Verbesserung in der Pflege mit mehr Zuwendung
und seelischer Betreuung ist vonnöten.
({1})
Aber in einer Haushaltsdebatte ist schon die Frage erlaubt, ob Risiken für die Konsolidierung oder zusätzliche Belastungen wieder nur für die Lohn- und Gehaltsempfänger entstehen.
Wie sahen Ihre bisherigen Lösungen aus? Ich nenne
das Stichwort „Sanierungsbeitrag“ - er wurde Anfang
2007 von der Koalition beschlossen - und das Stichwort
„Finanzierung der Arbeitszeitmodelle“. Sicherlich sind
dadurch die wirtschaftlichen Probleme manches Krankenhauses nur verschärft worden, oder den wirklich bedürftigen Krankenhäusern hat das zu wenig genutzt. Die
beiden Referentenentwürfe aus dem Sommer zeigen zumindest ein gewachsenes Problembewusstsein, machen
aber leider auch sichtbar, dass die Koalition in Bund und
Ländern ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage ist,
eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung auf den Weg zu bringen.
({2})
Mit Investitionspauschalen sollten die Krankenhäuser
die Möglichkeit erhalten, selbst über die Verwendung der
Mittel zu entscheiden, Bürokratieabbau eingeschlossen.
Dieser und der Vorschlag, sich auf verbindliche Investitionsquoten festzulegen, wurden - warum auch immer wieder fallen gelassen. Von all den Ankündigungen der
Ministerin ist nicht viel übrig. Sie wurden von den Ländern blockiert oder von der Kanzlerin eingesammelt. Sie
schlagen vor, die Bindung der Krankenhauspreise an die
Grundlohnrate zu beenden. Allerdings ist dies nur die
halbe Miete, wenn sie nicht gleichzeitig die Frage beantworten, woher das zusätzliche Geld kommen soll. Auf
die Überflüssigkeit des Gesundheitsfonds hat bereits
meine Kollegin hingewiesen.
Summa summarum: Bringen Sie vernünftige, praxistaugliche Lösungen für den Krankenhaussektor auf den
Weg! Bezüglich der Neuordnung der Krankenhausinvestitionen haben wir mit unserem Antrag einen Lösungsvorschlag vorgelegt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Jetzt hat Ewald Schurer das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte
zwei, drei Sätze zu den Ausführungen der geschätzten
Opposition sagen. Es gibt zum 1. Januar 2009 - das ist
das entscheidende politische Datum - eine neue Konstellation, einen Fonds mit gewissen Kriterien und einer gewissen Konstitution. Es ist das gute Recht der Opposition,
Worst-case-Szenarien zu skizzieren, alles schlechtzureden und so zu tun, als ob danach nichts mehr Bestand
hätte. Aber auch die Opposition hat die Chance, sich mental auf eine neue Gegebenheit einzustellen.
({0})
Sie sollte nicht nur klagen, sondern versuchen, sich mit
den neuen Gegebenheiten zu arrangieren und sie gedanklich weiterzuentwickeln.
({1})
Herr Bahr, Sie als der gesundheitspolitische Experte
der FDP haben behauptet, dass die demografischen Entwicklungsprozesse erst noch kämen. Haben Sie denn
vergessen, dass sich die demografische Struktur dieser
Gesellschaft bereits seit einer Generation - das besagen
alle wissenschaftlichen Gutachten - nachhaltig verändert? Wir alle, auch Sie, sind mitten drin. Das ist eine
Tatsache, die selbst ein FDP-Spezialist nicht ganz negieren kann. Dass es Verschärfungsprozesse geben wird, sei
Ihnen zugestanden.
({2})
Mit den 4 Milliarden Euro - bis zum Jahr 2016 sind
das 75 Milliarden Euro -, die in diesen Fonds hineingehen, werden gesellschaftlich notwendige Dinge in der
Krankenversicherung finanziert. Es tut dann ein bisschen weh, wenn die geschätzte Kollegin Winterstein
einfach dazu übergeht, zu behaupten, alle Präventionsteile seien umsonst und würden nichts bedeuten. Verehrte Frau Kollegin Winterstein, für mich ist Prävention
die höchste Form von Vorsorge, die man den Menschen
angedeihen kann. Alle Bereiche, die im Haushalt 2009
betitelt sind, sind wichtig. Inhaltlich möchte ich nicht
weiter darauf eingehen; das hat die Frau Ministerin bereits ausgeführt.
Dieser Haushalt ist in seinen wesentlichen Bestandteilen so wie immer proportioniert. Wir haben 73 Millionen Euro für das Haus selbst. 39,7 Millionen Euro sind
für Präventionsmaßnahmen vorgesehen, für sogenannte
gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen; das ist für
mich der wichtigste Teil. Weil Haushaltsdebatten auch
immer der Versuch sein sollen, inhaltlich in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse einzusteigen, möchte ich einen Punkt hervorheben, der mich als Vater und als jemand, der 20 Jahre lang Jugendarbeit gemacht hat, sehr
bewegt: Der Haushalt ist mit 16,3 Millionen Euro für
Maßnahmen gegen den Drogen- und Suchtmittelmissbrauch ausgestattet. Das ist ein sehr wichtiger Bereich
mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung.
Wir haben eine dramatische Entwicklung beim Alkoholmissbrauch durch junge Menschen. Wir wissen aus
Studien, dass 9,5 Millionen Menschen in Deutschland in
einer riskanten Art und Weise Alkohol genießen und
sich in einer Übergangszone befinden, in der die Selbstkontrolle kaum noch oder nicht mehr vorhanden ist.
Nach diesen Studien sind in Deutschland bereits 1,5 Millionen Menschen alkoholkrank. Im Jahr 2007 sind fast
20 000 junge Menschen, zum Teil Kinder im Alter von
12, 13 Jahren - in Hamburg, München, Berlin oder anderswo -, mit einer erhöhten Alkoholvergiftung mit Gefahr für Leib und Leben in Kliniken eingeliefert worden.
Aus diesem Grund ist das für mich ein Themenfeld im
Bereich Prävention, bei dem die Politik nicht zur Tagesordnung übergehen kann.
({3})
Die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und
Kommunen müssen zusammen mit den Gesundheitsinstitutionen neue Wege gehen, um die jungen Menschen zu
erreichen. Mit dem bekannten und wirkungslosen pädagogischen Zeigefinger erreicht man niemanden mehr.
Es müssen neue Wege begangen werden. Erst gestern
habe ich in der Berliner Morgenpost gelesen, dass die
Jugendlichen im Wesentlichen zwei Gründe angeben,
weshalb sie übermäßig trinken. Der erste ist das Gruppenverhalten. Wenn alle sich zudröhnen, so die Jugendlichen, kann man nicht außen vor bleiben. Der zweite
Grund sind Events, bei denen man angeblich einfach
mitmachen muss.
Diese Entwicklung erschüttert mich nachhaltig. Wir
werden die Präventionsmaßnahmen von Bund, Ländern
und allen anderen Institutionen in Zukunft noch deutlich
ausbauen müssen, weil diesbezüglich Gefahr im Verzuge
ist, der man - ich sage es noch einmal - nicht allein mit
dem pädagogischen Zeigefinger begegnen kann. Man
muss neue Wege gehen, um die jungen Menschen dort
zu erreichen, wo sie sind, um den Dialog auf gleicher
Augenhöhe zu suchen, und zwar ohne altbiedere Schulweisheiten zu predigen, die nicht zünden.
Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt aus
dem gesundheitspolitischen Teil ansprechen, der mich
sehr bewegt. Wir begleiten die Pflegereform 2008 im
Haushalt mit insgesamt 11 Millionen Euro. Das Leuchtturmprojekt Demenz wurde bereits angesprochen. Wir
befinden uns in einer gesellschaftlichen Entwicklung mit
einer stark steigenden Zahl demenzkranker Menschen.
Das ist auch wieder ein Widerspruch zu dem, was Sie als
Spezialist hier fachlich unrichtig dargestellt haben.
8,5 Millionen Euro werden allein für das Demenzprojekt
ausgegeben. Auch diesbezüglich wollen wir in den
nächsten Jahren noch mehr tun.
Ganz zum Schluss sei mir noch eine Bemerkung zur
Krankenhausfinanzierung erlaubt. Als Gesundheitshaushälter der Sozialdemokratischen Partei unterstütze
ich die Ministerin Ulla Schmidt leidenschaftlich in ihrem
Bemühen, dafür zu sorgen, dass künftig auch die Länder
wieder ihrer Verantwortung für eine duale Krankenhausfinanzierung gerecht werden und mehr investieren. Das
gilt vor allem für diejenigen, die es sich leisten könnten,
aber auch für diejenigen, die nicht so gut dastehen.
Bislang war es eine gute Sache, dass die Länder bei
den Krankenhäusern den investiven Teil übernehmen. In
Deutschland gibt es 2 100 Krankenhäuser und Kliniken.
Die Mittel für die Unterhaltung werden jetzt über die
Fallpauschalen generiert. Meine Damen und Herren, es
ist nicht seriös, wenn man die Fallpauschalen - über alle
Parteigrenzen hinweg - dauerhaft missbraucht, indem
man diese Gelder, die für die Durchführung von Leistungen am Patienten oder an der Patientin gedacht sind, in
den investiven Bereich abzweigt. Das kann man auf
Dauer nicht hinnehmen. Deswegen appelliere ich nachhaltig an das Verantwortungsbewusstsein aller Länder in
Deutschland, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die ökonomischen Möglichkeiten zu nutzen und zu einer dualen
Finanzierung zurückzukehren.
({4})
Ich hoffe, dass es der Ministerin mit ihren guten Bemühungen gelingt, diese Monistik abzuwenden und eine
nachhaltige, duale Finanzierung der deutschen Krankenhauslandschaft zu erreichen, und zwar im Interesse der
Menschen, der Patientinnen und Patienten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Der Kollege Jens Spahn spricht jetzt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist mir ein Anliegen, zu Beginn mit einer Mär aufzuräumen, die die Opposition und viele andere gern verbreiten: Immer wieder muss die Einführung des Fonds
zum 1. Januar als Grund für das Steigen der Beiträge
herhalten. Das ist aber nicht richtig.
Eines ist klar: Wer die gute medizinische Versorgung
im Land auf dem heutigen Niveau erhalten und im Rahmen des Notwendigen auch medizinischem Fortschritt
zugänglich machen will, der muss den Menschen am
Ende ehrlich sagen, dass Gesundheit und damit die
Krankenversicherung in Deutschland so oder so teurer
werden.
({0})
Herr Kollege Bahr, bei aller persönlichen Wertschätzung muss ich schon sagen: Ich komme bei Ihren Argumentationsmustern nicht mehr so ganz mit. Man kann
nicht draußen auf den Veranstaltungen, zum Beispiel auf
Ärztetagen, den Ärzten, den Krankenhäusern, Apothekern und den anderen Leistungserbringern sagen, sie
müssten mehr Geld für ihre Leistungen bekommen, und
später hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages
stehen und die Beitragsentwicklung kritisieren.
({1})
Wenn Sie die Beitragsentwicklung kritisieren, dann müssen Sie den Ärzten und Krankenhäusern ehrlich sagen,
dass Sie gegen eine Erhöhung der Honorare sind.
({2})
Hinzu kommt: Sie kritisieren die Spargesetze, die wir
für die Bereiche verabschiedet haben, in denen es nämlich möglich ist, zu sparen, ohne dass es zulasten der
Versorgungsqualität geht, etwa durch die Einführung
von Festbeträgen für Arzneimittel. Diesen Dreisatz der
FDP kann ich nicht nachvollziehen.
({3})
Zum Kollegen Spieth. Als Sie mit Ihrer Rede begannen, dachte ich: endlich einer, der den Fonds verstanden
hat!
({4})
Als dann aber der zweite Teil der Rede kam, hatte ich
wieder Zweifel. Natürlich wird es einen Wettbewerb
zwischen den Kassen geben, also auch Unterschiede,
wie es sie heute gibt. Dieser Wettbewerb wird - das wird
gern vergessen - über den Zusatzbeitrag stattfinden, der
unterschiedlich hoch sein wird.
({5})
Ich sage Ihnen voraus: So wie es heute Kassen gibt, die
einen Beitragssatz von 12,5 Prozentpunkten, 13,1 Prozentpunkten oder 15 Prozentpunkten und mehr erheben,
so wird es in Zukunft Kassen geben, die einen Zusatzbeitrag in Höhe von 8 Euro oder 10 Euro pro Monat erheben; es wird aber auch Kassen geben, die in der Lage
sein werden, ihren Versicherten 5 Euro, 8 Euro oder
10 Euro pro Monat zurückzuzahlen.
({6})
Die Preissignalwirkung ist dann wesentlich größer, weil
jeder wissen wird, wie viel mehr er zahlt. Es wird also
ein Wettbewerb stattfinden.
Ihre Aussage zur Frage der ärztlichen Vergütung und
der Verteilungswirkung halte ich für unredlich. Sie wissen mindestens so gut wie wir, dass gerade die Ärzte im
Osten Deutschlands von der Honorarerhöhung profitieren werden,
({7})
dass die Zuwächse bei den Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich dort wesentlich höher als im Westen sein werden. Das geschieht zu Recht; denn der
Dienst, den sie in zum Teil sehr dünn besiedelten Gebieten tun, ist nicht einfach. Sie haben das gerade anders
dargestellt.
({8})
Zur Aussage der Kollegin Winterstein, dass alle den
Gesundheitsfonds ablehnten: Das war schon damals, als
die Anhörungen und die Diskussionen darüber stattfanden, nicht richtig; heute ist es noch viel weniger richtig.
({9})
Denn alle, die sich in den letzten zwei Jahren mit dem
beschäftigt haben, was wir mit der letzten Gesundheitsreform eingeführt haben - es zeigt Schritt für Schritt
Wirkung -, die also unsere Beschlüsse in die Praxis umsetzen, sagen zum Teil mit glänzenden Augen, sie seien
dankbar für die zusätzlichen Möglichkeiten, die wir geschaffen haben.
({10})
Das sind Krankenkassenvorstände, die mit großem
Engagement in ihrem Hause die Möglichkeiten zu mehr
Wettbewerb, die wir ihnen gegeben haben, etwa für Verträge mit den Leistungserbringern und für eine Ausdifferenzierung im Angebot, tatsächlich nutzen wollen; das
sind die Ärzte und Ärzteverbände, die die Aufhebung
der Monopolstellung der kassenärztlichen Vereinigungen nutzen, um Verträge über zusätzliche Vergütungen
für höhere Qualität zu schließen, und das sind die Versicherten, die die Möglichkeit haben, zusätzliche Tarife zu
wählen und deswegen wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten haben. Es ist aber auch klar - da sind wir ganz
ehrlich, und darüber werden wir morgen im Ausschuss
weiter diskutieren -, dass es an der einen oder anderen
Stelle Nachbesserungsbedarf gibt, weil sich Dinge entwickelt haben, die wir nicht wollten. Das betrifft das
Vergaberecht oder etwa Ausschreibungen bei Hilfsmitteln.
Ich will gerne noch einen Gedanken des Kollegen
Zöller aufgreifen, nämlich die Frage der Versorgungsverträge, die durch die Krankenkassen gekündigt werden. Das gilt für den genannten Bereich, das gilt für den
Bereich HIV/Aids und für andere Versorgungsverträge.
Es kann nicht sein - das dürfen wir nicht zulassen -, dass
die Krankenkassen, die in Zukunft über den Risikostrukturausgleich noch viel mehr Geld als bisher für Menschen mit entsprechenden Erkrankungen bekommen,
dieses Geld nicht in die Versorgungsstrukturen stecken.
({11})
Wir müssen das in Zukunft klar regeln. Was die Kassen
auch besser verstehen müssen - einige haben es schon
verstanden -, ist, dass ein gut versorgter chronisch Kranker auf Dauer - wenn auch vielleicht nicht schon im ersten Jahr - wesentlich günstiger ist, weil keine Nebenerkrankungen nach 5, 10 oder 20 Jahren auftreten.
({12})
In diesem Zusammenhang ist es wichtig, von der Fixierung auf den Beitragssatz der Kasse in dem einen Jahr
wegzukommen. Es muss vielmehr ein Controlling geben, das es möglich macht, auch mittel- und langfristig
betriebswirtschaftlich zu denken.
Abschließend - ich weiß, Frau Präsidentin, Sie haben
heute das allerletzte Wort - nehme ich mir das letzte
Wort als letzter Redner des Tages heraus und sage im
Sinne des baldigen neuen alten Parteivorsitzenden der
SPD: Haushalt gut, Gesundheitsfonds gut, Koalition guter Stimmung.
({13})
Nun sind amtierende Präsidentinnen bzw. Präsidenten
zur Neutralität verpflichtet. Deswegen sage ich an dieser
Stelle, dass keine weiteren Wortmeldungen zu dem Einzelplan vorliegen. Wir können aber noch nicht nach
Hause gehen, weil wir zwei zusätzliche Punkte behandeln müssen.
Interfraktionell ist verabredet, die heutige Tagesordnung um die Beratung zweier Beschlussempfehlungen
des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu Anträgen auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und jetzt sofort als Zusatzpunkte 2 und 3 aufzurufen. - Ich sehe,
dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
- Drucksache 16/10271 Berichterstatter:
Abgeordneter Thomas Strobl ({1})
Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10271, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig
angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2})
Antrag auf Genehmigung zur Durchführung
eines Strafverfahrens
- Drucksache 16/10272 Berichterstatter:
Abgeordneter Thomas Strobl ({3})
Wir kommen auch hier sofort zur Abstimmung. In
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10272
empfiehlt der Ausschuss ebenfalls, die Genehmigung
zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen.
Damit sind wir nun am Schluss der heutigen Tagesordnung.
({4})
Genießen Sie die gewonnenen Einsichten den restlichen
Abend - auch gerne in Ihrem Büro.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. September 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.