Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/18/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie alle recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir setzen die Haushaltsberatungen - Tagesord- nungspunkte 1 a bis b - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 ({0}) - Drucksache 16/9900 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 - Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt siebeneinhalb Stunden beschlossen. Wir beginnen die heutigen Beratungen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11. Das Wort hat der Bundesminister Olaf Scholz. ({1})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Täglich gehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Fabriken und Verwaltungen, in die Läden und Lagerhäuser, auf die Baustelle oder in die Praxis, um zu arbeiten. Sie strengen sich an - mit Leidenschaft oder mit zusammengebissenen Zähnen, mit vollem Nachdruck oder mit den Gedanken bei den Kindern. Ihre Anstrengungen müssen sich auszahlen. Ihre Leistung muss sich lohnen. Anders als mancher nur Wirtschaftsliberale meine ich mit Leistung auch die Arbeit des Altenpflegers, der sich für 1 700 Euro brutto im Monat um alte Menschen kümmert. ({0}) Ich meine auch den älteren Monteur im Projekt „Silver Line“ bei Audi in Neckarsulm, den ich vor ein paar Wochen traf und der stolz ist, eine abwechslungsreiche Arbeit zu haben. ({1}) Ich meine auch die Alleinerziehende, die mit einem Minijob am Berufsleben teilnimmt. Unter Leistung verstehe ich auch die Anstrengung eines Sohns türkischer Eltern, der sich über eine Einstiegsqualifizierung eine Lehrstelle erkämpft. ({2}) Ich meine auch den Querschnittsgelähmten, der sich in einer Reha-Einrichtung auf ein neues Leben einstellen muss und sich seinen Alltag mit dem persönlichen Budget selbst organisiert. Natürlich meine ich auch die Ingenieurin, die versucht, ihre Qualifikation zu bewahren bzw. weiterzuentwickeln, um Schritt zu halten mit dem Fortschritt. Alle diese Bürgerinnen und Bürger haben zu Recht die Erwartung, dass wir Politikerinnen und Politiker unsere Verantwortung wahrnehmen und ihnen bei der Gestaltung ihres Lebens helfen - konkret und pragmatisch. Meine Damen und Herren, das Schlimmste ist, wenn man bei dem Vorhaben, eine Arbeit zu finden, um sein Leben dadurch zu organisieren, immer wieder auf Schwierigkeiten stößt, weil man keine Arbeitsmöglichkeit findet. Darum finde ich, dass es eine der besten Nachrichten der letzten Zeit ist, dass die Arbeitslosigkeit so stark zurückgegangen ist. Es wäre eines der besten Signale für die Zukunft, wenn wir erreichen könnten, dass die Arbeitslosigkeit in diesem Jahr einmal unter Redetext 3 Millionen sinkt. Das ist ein Erfolg guter Politik, meine Damen und Herren. ({3}) Wir tun recht daran, am Ziel der Vollbeschäftigung in unserer Gesellschaft festzuhalten. ({4}) In einer Gesellschaft, die so sehr auf Arbeit aufgebaut ist, die so sehr an den Anstrengungen unserer Bürgerinnen und Bürger partizipiert, die sie so sehr fordert, muss eine an sozialer Marktwirtschaft orientierte Politik jedem das Versprechen geben, dass er es schaffen kann, eine Arbeit zu finden. Für mich ist deshalb unser wichtigster Auftrag, sicherzustellen, dass man spätestens nach einem Jahr eine Arbeit findet, wenn man eine sucht. Das wäre für mich eine gute Definition von Vollbeschäftigung. Das ist ein Auftrag für die Politik. ({5}) Wir müssen alles tun, um das zu erreichen. Wenn wir das also wollen, müssen wir den Ehrgeiz haben, dass die Arbeitsvermittlung in unserem Land zur weltweit leistungsfähigsten Institution wird. ({6}) Daran arbeiten wir jetzt zum Beispiel, indem wir die arbeitsmarktpolitischen Instrumente bündeln, indem wir dafür sorgen, dass jeder Vermittler und jede Vermittlerin in diesem Land den Instrumentenkasten auswendig kennt und nicht in irgendeinem Handbuch blättern muss, um jemandem zu helfen. ({7}) Dafür sorgen wir auch, indem wir uns jetzt darum bemühen, eine Anschlussregelung für die Arbeitsgemeinschaften aus Kommunen und Bundesagentur zu finden; denn sie sind es, die sich vor allem um die Langzeitarbeitslosen kümmern. Die Langzeitarbeitslosigkeit müssen wir auf alle Fälle und mit allen Möglichkeiten, die wir haben, bekämpfen; denn die Angst, die man hat, wenn man seinen Arbeitsplatz verloren hat und meint, dass es nicht mehr besser wird, ist das, was am meisten schreckt. Darum müssen wir alles tun, um das zu ändern. ({8}) Ich sage auch in Richtung derjenigen, die skeptisch sind: Die 41 Milliarden Euro, die wir in diesen Haushalt für arbeitsmarktbezogene Leistungen eingeplant haben, sind gut angelegtes Geld. Die Bürgerinnen und Bürger haben es verdient, dass wir es dafür einsetzen und zur Verfügung stellen. ({9}) Erlauben Sie mir die Bemerkung: Gelegentlich heißt es in öffentlichen Pressemeldungen: Scholz soll sparen. Damit sind immer Einsparungen bei den Arbeitslosen gemeint, mein persönliches Einkommen ist davon nicht berührt. Ich hoffe, dass sich dann auch die eigentlich betroffenen Arbeitslosen empören, weil sie wissen, dass sie selbst gemeint sind, wenn diese Wörter in irgendeiner Pressemitteilung fallen. ({10}) Wenn man Arbeitslosigkeit bekämpfen will, dann muss man überall Arbeit schaffen. Man muss sie im Bereich hoher Technologie schaffen, aber auch dort, wo Arbeit anders strukturiert ist. Deshalb werden wir jetzt eine Initiative ergreifen, um im haushaltsnahen Bereich Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bundesregierung wird dazu in Kürze die notwendigen Vorschläge machen. Das wird ein guter Fortschritt für mehr Beschäftigung in diesem Land. ({11}) Wer Arbeitslosigkeit bekämpfen will, wer dafür sorgen will, dass wir in der Zukunft eine gute Beschäftigungslage haben, der muss sich sehr klar sein über die Szenarien, die für unser Land möglich sind. Ich sehe genau zwei. Das eine Szenario für - sagen wir - das Jahr 2015 ist, dass wir eine hohe Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel haben. Das andere Szenario ist, dass wir keinen Fachkräftemangel und kaum Arbeitslosigkeit haben. Welches der beiden Szenarien eintreten wird, haben wir mit unseren Entscheidungen, die wir hier in diesem Parlament treffen, die die Länder treffen und die natürlich jeden Tag in der Wirtschaft getroffen werden, in der Hand. ({12}) Weil das so ist, dürfen wir nichts falsch machen. Wir müssen in dieser Angelegenheit das Notwendige tun. Das heißt, wir dürfen es nicht hinnehmen, dass jedes Jahr fast 80 000 junge Leute - fast 8 Prozent aller Jugendlichen - die Schulen ohne Schulabschluss verlassen. Wir müssen das ändern. Wir müssen die Länder auffordern, alles dafür zu tun, um die Zahl dieser Schulabbrecher zu halbieren. ({13}) Wir müssen auch Wege finden, um denjenigen helfen zu können, bei denen es nicht geklappt hat. Darum ist es notwendig, dass wir jedem sagen: Wer sich in seinem Leben noch einmal auf den Hosenboden setzen will - ob mit 27 oder mit 37 -, dem muss das möglich sein. Darum wollen wir es fördern, wenn jemand seinen Hauptschulabschluss nachholen will. Das ist ein gutes Signal, das unsere Gesellschaft aussenden kann. ({14}) Es bedeutet auch, dass wir uns darum bemühen, dass mehr Ausbildungsplätze entstehen. Wie viel ausgebildet wird, entscheidet darüber, wie viele Fachkräfte wir haben. Es entscheidet auch mit darüber, welches SzenaBundesminister Olaf Scholz rio eintreten wird. Der schöne Spruch „Wer nicht ausbildet, der soll sich nicht über den Fachkräftemangel beklagen“ enthält zu viel Wahrheit. Er bedeutet, dass noch mehr Ausbildungsplätze geschaffen werden müssen. ({15}) Wir helfen mit dem Ausbildungsbonus. Wir helfen aber auch, indem wir sagen: Lasst niemanden beiseite, guckt euch auch diejenigen an, die keine so guten Ausgangsbedingungen mitbringen; die meisten schaffen es noch. Wenn sie eine Lehre geschafft haben, dann können sie noch viele Jahrzehnte lang erfolgreiche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein. Niemand darf als ausbildungsunfähig abgetan werden. Das ist meine feste Überzeugung. ({16}) Vergessen wir nicht: Die Hälfte aller Langzeitarbeitslosen hat keinen Berufsabschluss. Das ist etwas, über das zwar gern und viel geredet wird, das uns aber nicht nur als Rede einleuchten soll. Vielmehr muss es jeden Tag unsere Praxis bestimmen. Fachkräftemangel kann man auch bekämpfen, indem man ein durchlässigeres Bildungssystem schafft. Deshalb ist es aus meiner Sicht unbedingt notwendig, dass wir auch für diejenigen, die nicht mit Abitur an die Universität können, eine Möglichkeit schaffen, ihre Talente zu entwickeln. Ich bin dafür, dass auch derjenige, der den Meister gemacht hat, oder derjenige, der eine Lehre gemacht und ein paar Jahre Berufserfahrung gesammelt hat, die Möglichkeit bekommt, an die Universität zu gehen. ({17}) Auf diese Weise könnte ein Teil der in unserem Land fehlenden Ingenieure schnell ausgebildet werden. Auch darüber hinaus müssen wir meiner Meinung nach die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Deshalb ist es eine sehr gute Initiative der Bundesregierung, dort, wo es um Spitzenkräfte geht, um diejenigen, die eine akademische Qualifizierung haben, den Arbeitsmarkt in Deutschland so beweglich zu machen, wie es notwendig ist. Wir haben sichergestellt, dass es ab dem nächsten Januar möglich ist, Akademiker aus Europa und auch aus anderen Ländern der Welt zu holen. Deutschland kann in den Wettbewerb um die besten Köpfe eintreten. Die Unternehmen müssen von dieser Möglichkeit nur Gebrauch machen. ({18}) Arbeit nimmt einen großen Raum in unserem Leben ein. Manche arbeiten fünf Jahrzehnte. Damit das gut geht, müssen wir alles tun, um das möglich zu machen, im Interesse der Beschäftigten, aber auch der Unternehmen. Deshalb wird es notwendig sein, dass wir noch eine neue Initiative für humane Arbeitsbedingungen starten. Es geht um alternsgerechtes Arbeiten. Das fängt aber schon mit 22 Jahren an. Wer in diesem Alter verschlissen wird, kann mit 52 nicht mehr arbeiten. Das heißt, die humanen Arbeitsbedingungen müssen schon in einem frühen Lebensalter sichergestellt sein. ({19}) Arbeit und Ehe, Partnerschaft und Kinder unter einen Hut zu bringen, wird immer schwierig bleiben. Aber wir können es leichter machen. Das haben wir mit unseren Initiativen zum Ausbau der Kinderbetreuung getan. Aber das müssen auch die Unternehmen mit unserer Unterstützung tun, indem sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als Teil eines normalen langen Arbeitslebens ermöglichen; alle müssen dazu beitragen, dass das funktioniert. ({20}) Natürlich müssen wir auch dafür sorgen, dass die Menschen sich ordentlich weiterbilden. Das hört sich immer so an, als gehe es darum, dass jeder die höchsten Bildungsstufen erreichen müsse. ({21}) - Warum fragen Sie mich das? - Aber darum geht es nicht; vielmehr geht es darum, dass jeder die Möglichkeit erhält, seine Fähigkeiten auszuschöpfen. Denn vier, fünf Jahrzehnte Arbeit können nicht immer allein auf dem aufgebaut werden, was man am Anfang gelernt hat. Dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich weiterbilden, wollen wir mit einer starken Weiterbildungsinitiative in den Unternehmen erreichen. ({22}) Zu einem modernen Arbeitsleben gehört auch Souveränität der Beschäftigten, sich ihre Zeit selbst organisieren zu können. Sonst sind die vier, fünf Jahrzehnte Arbeit viel zu schwierig zu bewältigen. Darum ist eines der Gesetzgebungsvorhaben, die wir in der nächsten Zeit beraten werden, vielleicht das, von dem man in zehn Jahren sagen wird: Das war eine ganz entscheidende Weichenstellung in der Politik. Es geht um die Absicherung der Langzeitkonten, ihre Insolvenzsicherung, damit man sich als Arbeitnehmer darauf einlassen kann; es geht um die Möglichkeit, diese Konten mitzunehmen. Wer vier, fünf Jahrzehnte arbeitet, braucht Spielraum, um Zeit zu haben, um zum Beispiel ein Jahr aus dem Arbeitsleben herausgehen zu können, vielleicht um das mit den Kindern besser hinzubekommen, um im Alter gleiten zu können oder um sich weiterbilden zu können. Darum werden diese Langzeitkonten und ihre für jeden Mann und jede Frau nutzbare praktische Verbreiterung für das Arbeitsleben der Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wir haben jetzt die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. ({23}) Zu einer modernen Welt gehört auch, dass die Beschäftigten an ihren Unternehmen mitbeteiligt sein können. Darum ist die Mitarbeiterbeteiligung, die die Große Koalition politisch miteinander vereinbart und die Regierung jetzt auf den Weg gebracht hat, ein ganz entscheidender Schritt für ein modernes Arbeitsleben, für eine Welt, in der die Beschäftigten an den Früchten ihrer Arbeit auch anders als über den Lohn beteiligt werden und in der die deutschen Unternehmen die Möglichkeit haben, mit ihrer sehr zurückhaltenden Kultur in dieser Frage zu brechen und anzuschließen an modernere Länder, in denen es mehr Mitarbeiterbeteiligung gibt. Wir schaffen die gesetzlichen Voraussetzungen dafür. ({24}) Meine Damen und Herren, wer sich anstrengt, will, dass das anerkannt wird. Selbstverständlich müssen wir auch erreichen, dass die Lebensleistung derjenigen, die sich schon angestrengt haben, anerkannt und geachtet wird. Die Rentnerinnen und Rentner haben es verdient, dass wir dafür sorgen, dass sie eine ordentliche Altersversorgung haben. Sie haben es nicht verdient, dass ihre Lebensleistung als Transferleistung disqualifiziert wird. Es ist richtig, dass wir das als einen Anspruch absichern. Es ist richtig, dass dafür in diesem Haushalt ein allgemeiner Zuschuss von 63,5 Milliarden Euro vorgesehen ist; das will ich ausdrücklich hinzufügen. ({25}) Meine Damen und Herren, wenn es um Anstrengungen geht, dann geht es auch darum, dass die Arbeit, die man leistet, in ihrer Werthaltigkeit und in ihrer ganzen Ehre geschätzt wird. Darum will ich zum Schluss sagen, was notwendig dazu gehört: Es kann nicht sein, dass jemand den ganzen Tag, die ganze Woche, den ganzen Monat arbeitet und dann vom Ergebnis dieser Arbeit nicht leben kann. Die erbrachte Leistung muss anerkannt werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass es Mindestlöhne gibt. Dafür sorgen wir in dieser Bundesregierung. ({26})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Claudia Winterstein das Wort. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Scholz, Sie haben recht: Es ist eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt eingetreten. Es hat allerdings auch lange gedauert, insbesondere bis diese Besserung auch bei den Langzeitarbeitslosen angekommen ist. Leider sind sich die Experten aber einig: So positiv geht es nicht weiter. Der Abschwung auf dem Arbeitsmarkt zeichnet sich bereits ab. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft hat die Wachstumsprognose für 2009 auf 0,2 Prozent korrigiert. Wir haben also nicht mehr die 1,2 Prozent, von denen Sie im Haushaltsplan ausgehen. Ihre vollmundigen Versprechungen, die Sie eben gemacht haben, klangen recht gut: Vollbeschäftigung, Rundumbetreuung - das war ja schon fast eine Märchenstunde. Wir sollten aber zur Wirklichkeit zurückkehren. ({0}) Herr Minister, man muss ganz klar sagen: Sie legen uns einen Haushaltsplan vor, in dem die Risiken völlig ignoriert werden. Sie haben für 2009 geringere Ausgaben als für 2008 angesetzt. Man könnte sagen: Das ist toll; das ist wohl doch ein Sparhaushalt. Schön wäre es. Aber leider sind die Zahlen nur geschönt. ({1}) Für das Arbeitslosengeld II zum Beispiel sind im Haushalt 2009 20 Milliarden Euro vorgesehen. Das sind 880 Millionen Euro weniger als in diesem Jahr. Nun wissen gerade Sie am besten, dass wir damit in diesem Jahr nicht auskommen werden, sondern dass wir 1 Milliarde Euro mehr brauchen - und das bei einer noch relativ guten Konjunktur. Es ist doch völlig unrealistisch, für das nächste Jahr bei einer schwächeren Konjunktur davon auszugehen, dass Sie weniger brauchen. Das heißt, Ihr vermeintlicher Sparbeitrag, Herr Minister, ist eine komplette Luftbuchung. ({2}) Wenn Sie schon nicht beim Sparen erfinderisch sind, so doch zumindest bei der Geldbeschaffung; das kennzeichnet ja sowieso diese Regierung. Der Eingliederungsbeitrag von 5 Milliarden Euro, den Sie neuerdings von der Bundesagentur für Arbeit einfordern, ist ebenso systemwidrig wie sein Vorgänger, der Aussteuerungsbetrag. ({3}) Dieser brachte nämlich zum Schluss nicht das Geld, das Sie gerne in der Kasse haben wollten, und dann haben Sie ihn einfach gegen diesen Eingliederungsbeitrag ausgetauscht. Was Sie da tun, Herr Minister, ist schlichtweg eine Zweckentfremdung von Beitragsgeldern. Die Klage, die dagegen Anfang September eingereicht worden ist, ist von daher völlig berechtigt. ({4}) Ohne die Abführung dieses Eingliederungsbeitrages könnten die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um 0,6 Beitragspunkte gesenkt werden. Wir wären deutlich unter 3 Prozent. Auch auf andere Weise greifen Sie der Bundesagentur und damit natürlich auch dem Beitragszahler ungeniert in die Tasche. Einen Zinsgewinn von 150 Millionen Euro verschaffen Sie sich damit, dass Sie den Bundeszuschuss aus der Mehrwertsteuer nicht mehr wie bisher jeden Monat abführen, sondern ihn einfach erst am Jahresende zahlen. 290 Millionen Euro verschaffen Sie sich dadurch, dass die Bundesagentur künftig die Arbeitslosenversicherungsbeiträge für Kindererziehungszeiten übernehmen soll. Hinzu kommen wahrscheinlich noch 170 Millionen Euro für den Rechtsanspruch auf das Nachholen des Hauptschulabschlusses. Herr Minister, lassen Sie doch die Hände weg vom Geld der Beitragszahler. Wenn Sie sparen wollen, dann sparen Sie bei Ihrem eigenen Etat! ({5}) 6,2 Milliarden Euro sind für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Langzeitarbeitslose vorgesehen. Die Reform dieser arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen verspricht diese Bundesregierung nun schon seit Regierungsantritt im Jahr 2005. Seit drei Jahren warten wir auf ein Ergebnis, bisher vergeblich. Herr Arbeitsminister, Sie haben sich eine Halbierung der Zahl der Instrumente zum Ziel gesetzt. Im Sommer habe ich die Bundesregierung gefragt, wie viele Maßnahmen es gibt. Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, wie die Antwort lautete: Es existieren unterschiedliche Zählweisen. - Eine solche Auskunft ist doch wohl ein Armutszeugnis. ({6}) Dann habe ich die Bundesregierung gefragt, welche dieser Instrumente evaluiert wurden. Das Ergebnis: Von 45 aufgezählten Instrumenten und Leistungen haben gerade einmal neun - ich wiederhole: neun - eine positive Wirkung. Auch das ist ein Armutszeugnis. Vor allen Dingen ist es aber ein Skandal, dass für unwirksame Maßnahmen weiterhin Geld verschleudert wird. ({7}) Herr Minister, Sie versagen bei diesem Reformprojekt ganz eindeutig. Das sage nicht nur ich, sondern auch Ihr Kollege, der Wirtschaftsminister. Ich zitiere ihn: Der Entwurf verfehlt das Ziel, die Mittel der Beitragszahler sparsamer und wirksamer einzusetzen. Herr Minister, eines ist doch klar: Wenn man solche Maßnahmen vorhat, dann muss man damit Einsparungen verbinden. Sie können doch nicht sagen: Das ist egal, viel hilft viel. Sie müssen doch überlegen, wo Sie sparen können. Das ist aber nicht Ihr Ding. Sie befinden sich auf dem Holzweg. So kommen Sie nicht weiter.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Winterstein, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ein Zitat zur Anregung als Abschluss. Es stammt von Talleyrand, dem französischen Staatsmann, der bereits vor 200 Jahren gesagt hat: Man glaubt gar nicht, „wie viele politische Dummheiten durch Mangel an Geld verhindert worden sind.“ Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Ilse Falk das Wort. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Debatten dieser Woche haben schon viele Redner und Rednerinnen die erfreuliche Entwicklung bei den Arbeitslosenzahlen herangezogen - so auch der Minister gerade eben -, um deutlich zu machen, dass es in diesem Land aufwärtsgeht. ({0}) Seit diese Bundesregierung ihre Arbeit im November 2005 aufgenommen hat, hat sich die Situation für die Menschen in Deutschland deutlich verbessert. ({1}) Das drückt sich darin aus, wie viele Menschen am Arbeitsprozess beteiligt sind und in welchem Maße sie ihren Lebensunterhalt selbst erwirtschaften bzw. zumindest - im ersten Schritt - dazu beitragen können. Das bedeutet mehr Chancen im Leben und ein erheblich geringeres Armutsrisiko für jeden Einzelnen. Die Studie des DIW kommt in dieser Woche zum genau richtigen Zeitpunkt. Sie räumt auf mit den Kassandrarufen, der Aufschwung komme nicht bei den Menschen und schon gar nicht bei den von Armut bedrohten an. Es sei mit aller Deutlichkeit gesagt, dass der Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung mit seinen sehr negativen Zahlen auf Daten aus dem Jahr 2005 beruht, also gewissermaßen eine Bilanz der rot-grünen Bundesregierung darstellt. ({2}) In der DIW-Studie werden zum ersten Mal Zahlen des sozioökonomischen Panels aus dem Jahr 2006 zugrunde gelegt, also Zahlen aus dem Jahr, in dem die Belebung der Wirtschaft erstmals Wirkung zeigte. ({3}) Selbst das Handelsblatt brachte gestern die Überschrift: „Hartz-Reformen bringen mehr Gerechtigkeit“. ({4}) Ich bin sicher, dass sich dieser Trend fortgesetzt hat; denn als Hauptursache für die positive Entwicklung nennt DIW-Präsident Zimmermann den deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit infolge der Konjunkturbelebung und das wiederum als Ergebnis guter Vermittlungsarbeit der Bundesagentur für Arbeit. Die Tatsache, dass seit November 2005 1 330 000 Menschen weniger arbeitslos sind und die Arbeitslosenquote im Osten von 16,9 auf aktuell 12,8 Prozent und im Westen von 9,4 auf 6,3 Prozent gesunken ist, spricht für diese Annahme. Dies ist trotz der Aussagen von Fachleuten über drohende Konjunktureintrübungen der Fall. ({5}) Dies drückt sich übrigens auch im Einzelplan 11 bei den sinkenden Ausgaben im Bereich der Langzeitarbeitslosen aus. Dort sind die Ausgaben von 38,7 Milliarden Euro in 2006 auf 34,9 Milliarden Euro in diesem Jahr gesunken. Es ist völlig klar, dass der Etat des Einzelplans mit 123,5 Milliarden Euro und damit fast 43 Prozent des gesamten Haushaltes immer noch viel zu hoch ist und wir immer noch viel Arbeit vor uns haben. Aber immerhin zeigt sich Bewegung. Die Chancen, wieder Arbeit zu finden, auch sozialversicherungspflichtige, haben sich deutlich verbessert. In vielen Branchen - auch das wurde gerade angesprochen - wachsen inzwischen die Sorgen, nicht genügend Fachkräfte zu haben. Ein kleiner Schlenker am Rande sei mir erlaubt - in dieser Woche kommt das ja hier und da einmal vor -: In Bayern, dem Bundesland mit der bundesweit geringsten Arbeitslosenquote, wurde teilweise bereits Vollbeschäftigungsniveau erreicht. So gibt es dort in über 30 Kreisen und kreisfreien Städten eine Arbeitslosenquote von unter 3 Prozent, teilweise sogar unter 2 Prozent. ({6}) Natürlich werden wir uns auf diesen Erfolgen nicht ausruhen. Unser Ziel ist es, allen Arbeitslosen bessere Perspektiven zu bieten. Deshalb ist es wichtig, bestmögliche strukturelle Rahmenbedingen auf dem Arbeitsmarkt und bei der Arbeitsvermittlung zu schaffen. Gerade bei der Schnelligkeit und Qualität der Vermittlung von Langzeitarbeitslosen gibt es trotz aller dankenswerten Anstrengungen der Beteiligten noch viel zu tun. ({7}) Denn auch wenn die Zahl der Langzeitarbeitslosen allein innerhalb des letzten Jahres um 300 000 zurückgegangen ist, so ist ein Anteil von immerhin noch 36 Prozent an der Gesamtzahl der Arbeitslosen viel zu hoch. Umso wichtiger wird es sein - dies hat auch der Minister in den Mittelpunkt gestellt -, dass wir sowohl bei der SGB-IINeuorganisation wie auch bei der Neuordnung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente den Handelnden vor Ort ausreichend Entscheidungsfreiheit geben, damit sie passgenaue und den regionalen Situationen entsprechende Antworten geben können. ({8}) Wir sollten den Mitarbeitern zutrauen, dass sie mit mehr Flexibilität umgehen und so am besten unseren Grundsatz durchsetzen können, den Menschen durch Fordern und Fördern zu helfen. ({9}) Zugleich bedeuten schneller vermittelte und mehr beschäftigte Menschen, dass die Solidarität in unserer sozialen Marktwirtschaft auf mehr Schultern verteilt wird, soziale Sicherungssysteme zukunftsfest gemacht werden und Leistungsträger entlastet werden können. 2005 waren die Rentenkassen in einem desaströsen Zustand. Die Monatsrücklage lag bei 0,11, heute haben wir eine Monatsrücklage von 0,95, was circa 15,5 Milliarden Euro entspricht. Damit sind beinahe zwei Drittel des Weges zur Höchstnachhaltigkeitsrücklage - das ist ein schönes Wort - erreicht, deren Überschreiten sogar zu Beitragssenkungen führen würde. Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir den Beitragssatz von 6,5 Prozent in 2005 auf momentan 3,3 Prozent schon jetzt beinahe halbiert. Sie wissen, als Union wollen wir eine Absenkung auf 2,8 Prozent. Ich denke, wir werden uns in der Großen Koalition darauf einigen können. ({10}) Nicht nur kostenträchtige Entwicklungen sollten sich in höheren Beitragssätzen widerspiegeln, sondern auch positive Spielräume müssen zeitnah an diejenigen weitergegeben werden, die sie erwirtschaftet haben. Wir haben in den letzten drei Jahren vieles erreicht und für die Menschen vieles zum Besseren verändert. Wir sind aber noch nicht am Ende des Weges der Großen Koalition. Lassen Sie uns daher gemeinsam die kommenden Monate nutzen, um das Leben der Menschen in Deutschland weiter spürbar zu verbessern. Sei es durch weitere Entlastungen der Leistungsträger, wo immer dies möglich ist. Sei es durch Förderung der Mitarbeiterbeteiligung, die zeigt, dass derjenige, der am Aufschwung eines Unternehmens mitarbeitet, auch an den Ergebnissen teilhaben kann. Sei es durch Eröffnung weiterer Beschäftigungschancen im Bereich privater Haushalte; Stichwort „Haushalt als Arbeitgeber“. Sei es durch konsequente Bekämpfung der Schwarzarbeit, aber auch durch maßvolle Umsetzung von Mindestlohnerstreckung in denjenigen Branchen, wo es nachvollziehbare Verwerfungen gibt, und zwar unter Wahrung der Tarifautonomie und ohne Beschäftigung und Wettbewerb in unserer sozialen Marktwirtschaft zu gefährden. Sei es durch Planungssicherheit für die Organisationsstrukturen beim SGB II. Sei es bei der Schaffung besserer Rahmenbedingungen für eine effizientere und wirksamere Vermittlung in Arbeit durch eine Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente zum Nutzen der Arbeitsuchenden. Oder sei es bei der Verbesserung der Chancen von Menschen mit Behinderungen und anderen Vermittlungshemmnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Falk, achten Sie bitte auf die Zeit?

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine letzte Bemerkung. Unser Ziel kann nicht der immer perfekter organisierte Sozialstaat sein, sondern es muss darum gehen, den Menschen etwas zuzutrauen, ({0}) sie spüren zu lassen, dass jeder und jede Begabungen hat, die für die Gemeinschaft wichtig sind, und ihnen die Chance zu geben, sich einzubringen und sich selbst als tüchtig und erfolgreich zu erfahren. Dafür brauchen wir nicht mehr Geld, sondern die Stärkung von Lebens- und Alltagskompetenzen. Statt Angstmachern brauchen wir viele Mutmacher. Das können wir alle sein, Sie und ich. Wir alle sind aufgefordert, den Menschen Mut zu machen, statt ihnen Illusionen zu nehmen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch das Wort. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! „Sozial ist, was Arbeit schafft.“ Dieser Leitspruch der Kanzlerin Angela Merkel wurde durch die Praxis widerlegt. Minister Scholz hat gerade selbst gesagt: Millionen Menschen in unserem Land haben eine Arbeit, von der sie nicht leben können. Ist das etwa sozial? Herr Scholz, Sie können diese Situation gerne beklagen. Aber wer hat den Unternehmen denn die Instrumente, die dazu geführt haben, an die Hand gegeben? Es war doch die Regierung, die es den Unternehmen ermöglicht hat, aus einem gut bezahlten Arbeitsplatz zwei oder gar drei schlecht bezahlte Arbeitsplätze zu machen. Beklagen Sie also keine Zustände, die Sie selbst geschaffen haben, sondern ändern Sie sie. ({0}) Wenn die Regierung Statistiken bemüht, um über ihre Erfolge am Arbeitsmarkt zu berichten, dann sagt sie leider nicht einmal die halbe Wahrheit. Das Statistische Bundesamt - nicht etwa die Linke - hat festgestellt, dass die Zahl der Arbeitsstunden in Deutschland seit 1991 insgesamt gesunken ist. Das untermauert unsere Auffassung, dass Minijobs und die vielen anderen prekären Arbeitsverhältnisse keine neuen Arbeitsplätze sind, sondern nur noch Bruchstücke und Überbleibsel von ehemals sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Das ist ein Betrug an den Menschen. ({1}) Die Arbeitslosenstatistik ist wohl eine der am meisten verfälschten Statistiken in unserem Land. Es ist unglaublich - das ist viel zu wenig bekannt -, dass zum Beispiel 1-Euro-Jobber nicht mehr als Arbeitslose gelten und aus der Statistik herausfallen. Meine Damen und Herren, mit diesen sogenannten Arbeitsgelegenheiten wollten Sie den Arbeitslosen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt ebnen. Das ist offensichtlich gescheitert. Doch die Lösung der Regierung ist ganz einfach: Sie erklärt diese Menschen kurzerhand für nicht mehr arbeitslos. Das ist wirklich grotesk. ({2}) Die Bundesregierung trägt mit ihrem Verhalten dazu bei, den normalen Arbeitsmarkt zu zerstören, und zwar mit staatlicher Lohndrückerei. Ja, meine Damen und Herren, Sie sind staatliche Lohndrücker, da Sie den Unternehmen die Möglichkeit andienen, Hungerlöhne durch Steuergelder aufstocken zu lassen. Die Unternehmen werden dadurch mit 9 Milliarden Euro im Jahr subventioniert. Für uns, die Linke, gibt es nur eine Lösung dieses Problems: die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. ({3}) Herr Minister, Sie haben gerade darauf hingewiesen, dass Kollegen von der SPD den bayerischen Minister Huber gestern aufgefordert haben, sich für gesetzliche Mindestlöhne einzusetzen; das war geradezu grotesk. ({4}) Fangen Sie lieber bei sich selbst an, liebe Kollegen von der SPD, ({5}) nutzen Sie die parlamentarische Mehrheit und stimmen Sie hier im Bundestag endlich für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns. ({6}) Bekanntermaßen hat sich die Kanzlerin gegen den Mindestlohn ausgesprochen und die Tarifautonomie beschworen. Das ist völlig wirklichkeitsfremd. Gerade in Ostdeutschland gibt es kaum noch Tarifpartner, weil viele Unternehmen gar nicht mehr in der Tarifgemeinschaft sind. Dort werden teilweise Hungerlöhne von 3 bis 4 Euro pro Stunde gezahlt. Das nimmt die Kanzlerin, die aus dem Osten stammt, einfach schulterzuckend hin. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass sie vergessen hat, woher sie kommt. Viele Menschen im Osten hatten Hoffnungen in sie gesetzt, die überhaupt nicht erfüllt worden sind. ({7}) Meine Damen und Herren, wir fordern die Aufstockung des Arbeitslosengeldes II auf 435 Euro. Das ist keine willkürliche Zahl, wie mancher glaubt, sondern dieser Betrag ergibt sich aus der geltenden Rechtslage. Der Arbeitslosengeld-II-Regelsatz ist nur deshalb so niedrig, weil die Bundesregierung ihn mit rechtswidrigen und rein willkürlichen Abschlägen so niedrig hält, wie zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband nachwies. Wenn ein Professor, der aus dem Westen nach Chemnitz gekommen ist, behauptet, man könne mit 132 Euro im Monat auskommen, dann ist das einfach nur zynisch. Besonders zynisch ist es, dass Herr Merz von der CDU das aufgreift. ({8}) Hartz IV betrifft nicht nur die Menschen, die Hartz IV erhalten, sondern drückt auch auf die Löhne. Herr Scholz, deshalb hätte ich von Ihnen nicht erwartet, dass Sie sagen, dass Sie sich den gesetzlichen Mindestlohn wünschen, sondern ich hätte einen konkreten Fahrplan und Zeitplan erwartet, wann Sie noch in dieser Legislaturperiode den gesetzlichen Mindestlohn durchsetzen wollen. Mit CDU und FDP wird Ihnen das sicher nicht gelingen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Alexander Bonde das Wort.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben seit Beginn der Haushaltsverhandlungen eine Koalition, die Sonnenscheinpredigten hält, die so tut, als ginge die Konjunktur immer auf Höchstniveau weiter und die konsequent Wolken am Konjunkturhimmel nicht sehen will. Wir haben heute den Arbeitsminister erlebt, der, als sich der Regen ankündigte, immer noch versucht hat, uns arbeitsmarktpolitisch die Badehose zu verkaufen. ({0}) Sie tragen mit diesem Haushalt eine besonders große Verantwortung. Wenn sich die Konjunktur eintrübt, stehen besonders große Herausforderungen für die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auf der Tagesordnung. Wenn wir uns Ihren Einzelplan einmal anschauen, dann stellt sich die Frage, ob Sie darauf vorbereitet sind, ob Sie Vorsorge dafür getroffen haben, wenn es darauf ankommt. Dann wird es spannend: Denn Ihr Einzelplan ist der Einzelplan, dem bei der Durchsetzung der großen Linien des Finanzministers und des Versprechens des Haushaltsausgleichs im Jahr 2011 an ein paar Stellschrauben entscheidende Bedeutung beigemessen wird. Die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II in diesem Einzelplan wurden für das nächste Jahr um fast 1 Milliarde Euro gekürzt. ({1}) Der Finanzplan sieht bis zum Jahr 2011 eine Absenkung um 2,9 Milliarden Euro vor, also eine Absenkung der Ausgaben für Arbeitslosengeld-II-Bezieher um 14 Prozent. Herr Scholz, Sie sind die Antwort schuldig geblieben, ob dies Haushaltskosmetik ist oder ob Sie versuchen, Ihrem Kollegen Steinbrück mit einem Haushaltsrechentrick unter die Arme zu greifen, damit dieser 2011 eine Null darstellen kann, die er nie hinbekommt. Oder ist das eine knallharte Ansage an die Betroffenen, für die die Diskussionen aus Chemnitz und andernorts Pate stehen? Darauf müssen Sie eine Antwort, aber keine Besinnungsaufsätze liefern, wie dies gerade passiert ist, Herr Scholz. ({2}) Eine zentrale Frage im Rahmen der politischen Auseinandersetzung mit Ihrem Etat ist, wie es mit den Lohnnebenkosten weitergeht. Zu dieser Thematik gibt es die schönsten Ansagen im bayerischen Landtagswahlkampf. Es gibt eine große Hausaufgabe für die Große Koalition: Wenn Sie wirklich entlasten wollen, dann müssen Sie endlich Transparenz schaffen hinsichtlich der Frage, was bei der Bundesagentur für Arbeit beitragsfinanziert ist und was vom Bund durch Steuermittel finanziert wird. Dabei erleben wir bei der Großen Koalition einen munteren Verschiebebahnhof. ({3}) 1 Prozentpunkt des Mehrwertsteueraufkommens fließt der Bundesagentur zu. 5 Milliarden Euro gehen von der Agentur zum Bund zurück. Die Schaffung der erforderlichen Transparenz, aus der Sie Beitragssenkungen ableiten können, verweigern Sie, Sie verschleiern die Finanzsituation. Vor diesem Hintergrund ist es wohlfeil, mit Zahlen hinsichtlich möglicher Absenkungen zu hantieren. Auch hier zwickt die Badehose an allen Ecken und Enden. ({4}) Sie versprechen jetzt eine Beitragssatzsenkung. Das Verhalten der CSU ist ja durchsichtig. Bereits eine kleine Eintrübung der Konjunktur wird dazu führen, dass Sie den Beitrag im Abschwung wieder erhöhen müssen, was prozyklisch wirkt. Damit schaffen Sie nicht einen einzigen Arbeitsplatz. Sie werden in den Bereichen, um die es geht, keinen Unternehmer finden, der so doof ist, Arbeitsplätze auf ein Versprechen hin zu schaffen, von dem er weiß, dass das ein halbes Jahr später nicht mehr eingehalten wird. Damit setzen Sie keinen sinnvollen Impuls für die Wirtschaft. ({5}) Deshalb verpassen Sie die große Chance, die Finanzen der Bundesagentur zu entflechten, was in der jetzigen Situation der BA möglich wäre, und Sie verpassen die Chance, eine Senkung der Lohnnebenkosten bzw. der Beiträge dort einzuleiten, wo sie ökonomisch wirklich Sinn macht, nämlich im Bereich der unteren Einkommensgruppen. Wir haben Ihnen mit unserem Progressivmodell Vorschläge dafür auf den Tisch gelegt; denn gerade im Bereich der Geringverdiener ist die Höhe der Beiträge entscheidend dafür, ob neue Jobs geschaffen werden oder nicht. In diesem Bereich hat die Koalition viele Hausausgaben zu machen. Aber auch an dieser Stelle sind an dieser Koalition nur die Reden groß. Auf das Handeln warten wir und die Betroffenen seit Jahren vergeblich. Herzlichen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Lehn für die SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Lehn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002719, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! 123,5 Milliarden Euro sind für die meisten Menschen eine unvorstellbare Summe. Fast jeden zweiten Euro unserer Ausgaben verwenden wir auch im nächsten Jahr für den Bereich Arbeit und Soziales. Hinter dieser gigantischen Summe stehen fast 80 Milliarden Euro für die Rente, 20 Milliarden Euro für das Arbeitslosengeld II und über 6 Milliarden Euro für die Eingliederung der Empfänger der Grundsicherung für Arbeitsuchende. 123,5 Milliarden Euro - aus dieser Zahl lässt sich mehr als eine immense staatliche Ausgabe ablesen. Damit leisten wir Unterstützung und tragen Verantwortung für fast 30 Millionen Menschen in unserem Land, ein Drittel unserer Bevölkerung. Das ist eine große Herausforderung. Erfolg lässt sich nicht immer an bloßen Zahlen ablesen. Sprechen Zahlen jedoch eine so deutliche Sprache wie jene vom Arbeitsmarkt, dann sollten sie auch gesagt werden. Nachdem wir die Zahl der Arbeitslosen bereits erheblich abgesenkt hatten, haben wir jetzt noch einmal 500 000 Arbeitslose weniger als im August des Vorjahres und 1,2 Millionen Arbeitslose weniger als im August 2006. ({0}) Aktuell gibt es 40 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. ({1}) Seit 2006 haben wir die Versichertengemeinschaft hinsichtlich der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung um insgesamt 45 Milliarden Euro entlastet. Auch in Bezug auf die Rentenversicherung trägt unsere Politik Früchte. Mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bedeutet auch mehr Rentenbeiträge. So hat die Deutsche Rentenversicherung in der ersten Hälfte dieses Jahres 2,7 Milliarden Euro mehr eingenommen als im gleichen Vorjahreszeitraum. Durch diese Zahlen wird deutlich, dass wir mit unserer Beschäftigungs- und Rentenpolitik auf einem wirklich guten Kurs liegen. ({2}) Abseits aller parteipolitischen Diskussionen bedeutet diese Entwicklung Verlässlichkeit für die Rentnerinnen und Rentner. Mit diesen Zahlen wird auch der Zusammenhang zwischen dem politisch Richtigen auf der einen Seite und dem finanziell Vernünftigen auf der anderen Seite aufgezeigt. ({3}) Gerechtigkeit bedeutet nämlich immer Zweierlei: Sie muss dem gerecht werden, der Hilfe braucht, und dem, der sie geben soll. ({4}) In diesem Zusammenhang muss ich auf die populistischen Milliardenforderungen der Linken von jährlich 26 Milliarden Euro im Sozialbereich eingehen. 26 Milliarden sind 26 000 Millionen! Das entspricht dem Wert von 130 000 funkelnagelneuen, guten Einfamilienhäusern jedes Jahr oder der Finanzierung der aus dem Boden gestampften Stadt Dresden. ({5}) Diese Mittel wollen Sie den Menschen nehmen, die ohnehin schon hohe Steuern zahlen. ({6}) Das erinnert mich an meinen Onkel Paul. ({7}) Onkel Paul begann bei Familienzusammenkünften seine Ausführungen immer mit den Worten: „Wenn ich mal zu Geld komme.“ Dann wollte er mir ein Fahrrad, meiner Mutter eine Nähmaschine und meinem Vater einen Fernseher kaufen. Sie werden es nicht glauben, aber Onkel Paul kam in den 60er-Jahren tatsächlich zu einem Totogewinn von 5 000 D-Mark, und er hielt seine Versprechen. Onkel Paul kaufte mir ein Fahrrad. Er kaufte diesem etwas und jenem etwas. Nach relativ kurzer Zeit kam dann der Gerichtsvollzieher. Onkel Paul war pleite. Onkel Paul hatte über seine Verhältnisse gelebt und nicht einmal einen Bruchteil seiner Versprechen einlösen können. Der linken Seite des Hauses sage ich deutlich: Wir sind nicht in der Sendung „Wünsch dir was“, sondern bei „So isses!“. ({8}) Wir laden nicht zum Träumen ein, sondern gestalten den Lebensalltag von Menschen sehr real. ({9}) An die FDP gerichtet stelle ich fest: Ihre Forderung nach Streichung der Sozialleistungen führt diese Gesellschaft auf eine andere Art und Weise auch in den Ruin. ({10}) So unterschiedlich die Forderungen von rechts und links sind, sie bewegen sich auf das gleiche Ziel zu, nämlich auf den Ruin. ({11}) Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun. Es ist ein Glück für die Menschen in unserem Land, dass diese Irrtümer niemals Realität werden. Herzlichen Dank. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Heinrich Kolb das Wort. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir brauchen mehr Zeit für die Sozialdebatten, wenn wir die Verwandtschaftsverhältnisse von Frau Lehn vollständig aufklären wollen. Ich weiß nur eines: Für Lottoeinsätze hat Olaf Scholz in seinem Haushalt nichts vorgesehen. ({0}) Deshalb wird er versuchen müssen, mit harter Arbeit statt mit Glück Erfolge zu erzielen. Ich sage das deswegen, Herr Scholz, weil wir mit dem, was Sie bisher geleistet haben, nicht zufrieden sind. ({1}) Wir beraten heute den letzten Haushalt, der in dieser Legislaturperiode beschlossen wird. Insofern muss man ein Stück weit Bilanz ziehen. Dabei sind wenig Ideen und wenig Engagement zu erkennen. Das haben Sie mit Ihrer heutigen Rede unterstrichen. Es muss ein bisschen mehr kommen. Sie haben bisher mit der Entwicklung am Arbeitsmarkt Glück gehabt. Sie sind Trittbrettfahrer einer guten Weltkonjunktur gewesen. Sie haben nichts gesät, aber trotzdem geerntet. Ein Plan für die weitere Zukunft ist das nicht. Das muss deutlich gesagt werden. ({2}) Allenfalls der Vorgängerregierung der Großen Koalition hätte man konzedieren können, dass sie mit den Hartz-Reformen aktiv das Fundament für einen deutlichen Rückgang der Sockelarbeitslosigkeit im jetzt zu Ende gehenden Aufschwung gelegt hat. Aber statt sich vor die Hartz-Reformen und die Agenda 2010 zu stellen und die Reformen weiter voranzutreiben, haben Sie sich in den Mainstream Ihrer Partei eingereiht, Herr Scholz, die die Reformen der Agenda lieber heute als morgen rückgängig machen würde. Das ist ein Fehler, wie es auch ein Fehler ist, dass der Kollege Oppermann von der SPD die Agenda 2010 schon als Kapitel der jüngeren Zeitgeschichte abgehakt hat. Der DIW-Chef Zimmermann hat zu Recht gestern darauf hingewiesen, dass wir nicht weniger, sondern mehr Reformen brauchen. Die Agenda 2010 muss zur Agenda 2015 fortgeschrieben werden. Dabei gibt es in der Tat noch einiges zu tun, Herr Scholz. ({3}) Sie haben unlängst den dritten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt, Herr Scholz. Das war peinlich, was die Umstände angeht, und es war auch inhaltlich peinlich, weil Sie in dem Bericht einräumen müssen, dass sich nach zehn Jahren SPD-Führung im Sozialministerium die Armutsbedrohung für viele Menschen in Deutschland ausgeweitet hat. ({4}) Das ist eine Schande. ({5}) Aber der Bericht enthält auch eine klare Handlungsanweisung: Ein Arbeitsplatz ist der beste Schutz vor Armut. Das hat die FDP schon immer gesagt. Sie haben das nun zum ersten Mal in dem Armutsbericht offiziell zugestehen müssen. Solange noch 3,2 Millionen Menschen in unserem Land keinen Arbeitsplatz haben, besteht kein Anlass zur Selbstzufriedenheit. ({6}) Was, Herr Scholz, wollen Sie tun? Was Sie gesagt haben, war mir zu wenig. Ich bin bei Ihrer Rede wehmütig geworden und habe mir Franz Müntefering zurückgewünscht, der bei der Haushaltsdebatte im letzten Jahr einen ganz anderen Auftritt hatte. Herr Scholz, was tun Sie denn bei der Deregulierung des Arbeitsmarktes? Dieses Thema haben Sie doch aus der Arbeit Ihrer Koalition vollkommen verdrängt. Sie sollten nachlesen, welches Vermächtnis Ihnen Altbundeskanzler Helmut Schmidt in seinem Buch Außer Dienst auf den Weg gegeben hat: Unser Arbeitsmarkt ist übermäßig … eingeengt … Nur eine weitreichende Deregulierung des Arbeitsmarktes kann Abhilfe schaffen. Weitere und unvermeidlich schmerzhafte Veränderungen bleiben notwendig. Das sagt Ihnen Helmut Schmidt, einer Ihrer Altvorderen. Aber er kennt natürlich auch seine Pappenheimer. Er sagt sehr klar: Es wird besonders der Sozialdemokratie, aber auch den Sozialausschüssen der Unionsparteien sehr schwer fallen, den deutschen Arbeitsmarkt aufzulockern … Wer jedoch an allen vermeintlichen Errungenschaften unserer Arbeitsgesetzgebung festhält, hält im Ergebnis an einer zu hohen Arbeitslosigkeit fest. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. ({7}) Wenn wir Bilanz ziehen, müssen wir uns anschauen, was Sie sich im Koalitionsvertrag vorgenommen haben. Dort heißt es: CDU/CSU und SPD stellen sicher, dass die Lohnzusatzkosten ({8}) dauerhaft auf unter 40 Prozent gesenkt werden. Fehlanzeige, Herr Scholz! Auch dieses Ziel haben Sie nicht erreicht. Nach meiner Einschätzung haben Sie es auch nie ernsthaft versucht. Sie haben mitgenommen, was sich ergab. Sie haben sich mit der Mehrwertsteuererhöhung Luft für eine Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge verschafft. Auch der Rückenwind durch die gute konjunkturelle Entwicklung hat ein Stück weit geholfen. Aber die Dynamik bei den Sozialversicherungsbeiträgen ist insgesamt ungebrochen. Das gilt insbesondere für die gesetzliche Krankenversicherung. Laut Koalitionsvertrag wollten Sie hierfür ein umfassendes Zukunftskonzept entwickeln, das darauf angelegt sein sollte, die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung zumindest stabil zu halten, wenn nicht sogar zu senken. Herr Scholz, umso wichtiger ist es daher, jeden Spielraum zu nutzen. Wenn Sie den Koalitionsvertrag und das, was in sozialdemokratischen Sonntagsreden immer wieder vorkommt, ernst nehmen, nämlich dass Beitragssatzsenkungen besser seien als Steuersenkungen, dann verstehe ich Ihr Zaudern nicht. Herr Kauder und Herr Huber haben Ihnen doch gestern die 2,8 Prozent sozusagen auf dem Silbertablett serviert. Sie sollten nun Mut zeigen und im Interesse der Menschen handeln, die mehr Netto auf ihren Lohn- und Gehaltsabrechnungen sehen wollen. ({9}) Es gäbe noch viel zu sagen. Aber hier blinkt eine rote Leuchte. Deswegen kann ich das allenfalls in Zwischenfragen oder Kurzinterventionen tun. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche uns gute Haushaltsberatungen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege HansJoachim Fuchtel das Wort. ({0})

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition kann kritisieren, bis sie giftgrün, blassgelb oder SED-rot wird. Das kann uns nicht beeindrucken. Der bisherige Kurs der Großen Koalition hat 1,6 Millionen Menschen in Lohn und Brot gebracht. Das ist mehr, als jeder der Anwesenden gedacht hat. Das zählt für die Menschen im Lande. ({0}) Deswegen werden wir an unserem Kurs festhalten. Frau Kollegin Dr. Winterstein, Sie haben kritisiert, dass das nicht schneller gegangen sei. Der Arbeitsmarkt folgt der Konjunktur nun einmal zeitversetzt; ({1}) das ist der Grund. Das wird sich auch nicht ändern, wenn Sie wieder einmal in der Regierung sein sollten. Für die CDU/CSU ist auf jeden Fall klar: Vom größten Einzelplan dürfen keine Signale neuer haushaltspolitischer oder sozialpolitischer Instabilität ausgehen. Dies ist auch der Fall. Der vorliegende Haushalt trägt dazu bei, dass wir unserem Ziel näherkommen, die Nettoneuverschuldung auf Null zu senken. In dieser Hinsicht setzen wir mit dem größten Einzelplan das richtige Signal. Nach vielen Jahren gibt es in diesem Sozialhaushalt erstmals keinen Aufwuchs. Das ist etwas völlig Neues. ({2}) Zumindest das müsste einmal anerkannt werden, auch von der Opposition, die ja weiß, dass es zu Zeiten ihrer Mitregierung anders gewesen ist. ({3}) Ein weiteres Fundamentalziel ist, dass die Sozialleistungsquote an der 40-Prozent-Marge bleibt. Wir alle - das möchte ich nicht nur für eine Gruppe in Anspruch nehmen - wissen, wie es im Geldbeutel der Bürgerinnen und Bürger aussieht. Da wir alle wissen, dass der Krankenkassenbeitrag nicht auf dem jetzigen Niveau gehalten werden kann, muss es unsere Anstrengung sein, einen Weg zu finden, die Sozialleistungsquote insgesamt bei 40 Prozent anzusiedeln. Das ist sehr wichtig, damit die Arbeitsmarktentwicklung so weitergeht, und es ist auch mit Blick auf alle anderen Daten eines Haushaltsplanes wichtig. ({4}) Deswegen müssen wir uns gemeinsam um eine Absenkung um 0,3 Beitragspunkte bemühen; darin sind wir uns bereits einig. Das entspricht 2,4 Milliarden Euro, die gut darstellbar sind. Aber aus Sicht der Union kann man auch eine weitere Absenkung um 0,2 Beitragspunkte und damit um insgesamt 0,5 Prozent darstellen. Darum müssen wir hier im Hause uns im Interesse des Ganzen bemühen. ({5}) Ich sehe da eine ganze Reihe von Möglichkeiten. Herr Kollege Bonde, Sie sind nach einem kurzen Zwischenspiel relativ schnell aus der Universität hier angekommen und müssten sich eigentlich noch gut daran erinnern, dass es die rot-grüne Koalition war, die den Aussteuerungsbeitrag eingeführt hat. Oder ist Ihnen das entgangen? Jetzt stellen Sie sich hier hin, als wüssten Sie von nichts, und fordern etwas ganz anderes. Das ist ganz schön dreist. ({6}) Kollege Westerwelle hat gestern hier gesagt, es sei nichts für Rücklagen getan worden. Dem muss ich allein wegen der Haushälterehre widersprechen. Als wir die Regierung übernommen haben, betrug die Rücklage der Rentenversicherung 0,02 Monatsumsätze; das entsprach ein paar Stunden. Heute liegt der Wert bei 0,95; das ist fast ein ganzer Monat. Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. ({7}) - Endlich, Herr Kolb, ich habe ja schon darauf gewartet. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie gestatten also eine Zwischenfrage?

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Fuchtel, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Rücklage der Rentenversicherung mittlerweile 15 Milliarden Euro beträgt, dann sollten Sie der Fairness halber auch sagen, dass 10,5 Milliarden Euro davon aus dem Vorziehen der Fälligkeit der Sozialversicherungsbeiträge kommen, mithin ein Darlehen der Arbeitgeber an den Rentenhaushalt darstellen. Es ist nicht Ihr Verdienst, dass dieser Rücklagenaufbau erfolgt ist.

Hans Joachim Fuchtel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000616, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das war sehr wohl unser Verdienst. Sie hätten den Mut dazu gar nicht gehabt. ({0}) Nach § 158 Abs. 1 Sozialgesetzbuch VI kann der Beitrag verändert werden, wenn die Rücklage entweder das 0,2-fache der durchschnittlichen Monatsausgaben unterschreitet oder das 1,5-fache überschreitet. In dem einen Fall geht es mit den Beiträgen nach oben, in dem anderen nach unten. Wir sind jetzt bei 0,95. Wir haben den Riester-Effekt zweimal verschoben. Ich prognostiziere, dass es trotzdem bereits im Jahre 2011 möglich sein wird, eine Beitragsreduzierung bei der Rentenversicherung zu erreichen. So gut ist die Kassenlage, lieber Herr Kollege Kolb. Das ist doch ein Hoffnungszeichen für das weitere Geschehen. ({1}) Bei der Arbeitslosenversicherung haben wir Rücklagen in Höhe von 9 Milliarden Euro plus Pensionsrücklagen in Höhe von 11,5 Milliarden Euro. Herr Westerwelle mag das bisher nicht gesehen haben. Ich bin mir aber sicher, dass er es sofort sehen wird, sobald er wieder einmal in der Regierung ist. ({2}) Zum Abschluss möchte ich noch auf einen persönlichen Sparbeitrag des Ministers zu sprechen kommen, der von der Mitarbeiterbeteiligung bis zur Rückkehr von Menschen in den Beruf sehr viele gute Dinge eingeleitet hat; das zeigt alles in eine sehr gute richtige Richtung. Aber, lieber Herr Minister, Sie haben drei Staatssekretäre, von denen Ihnen einer dadurch, dass Ihr Vorgänger Müntefering Vizekanzler war, zugefallen ist. Es wäre doch im Sinne eines Spareffektes schön, wenn es dem Haus gelingen würde, die Zahl der Staatssekretäre wieder von drei auf zwei zu reduzieren. ({3}) Das brächte zwar nur die geringe Summe von 340 000 Euro, aber es wäre ein Zeichen an das Volk, dass man in dieser Regierung ernsthaft spart. Wenn ich Minister wäre, dann würde ich das tun. ({4}) Sie sollten ernsthaft darüber nachdenken, weil das ein Zeichen dafür wäre, wie man auch auf der oberen Ebene die Verwaltung straffen und verschlanken kann. ({5}) Wir werden sehen, ob Sie dazu die Kraft haben. Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Volker Schneider für die Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Falk, das, was Sie eben so locker über den Sozialstaat gesagt haben, halte ich für in höchstem Maße bedenklich. Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Bundesstaat. Dieses Sozialstaatsgebot war den Vätern und Müttern des Grundgesetzes immerhin so wichtig, dass sie verfügten, dass eine Änderung, die diesen Grundsatz berührt, schlicht unzulässig ist. ({0}) Sie räumten weiterhin allen Deutschen das Recht auf Widerstand gegen jeden ein, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen. Derart weitgehende Regelungen sollten Ihnen eine Ermahnung sein, darüber nachzudenken, ob Ihre Sozialpolitik mit dieser elementaren Forderung nach Sozialstaatlichkeit tatsächlich in Übereinstimmung steht. Was heißt das konkret? Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellt in seinem Urteil vom 18. Juli 1967 in erfreulicher Klarheit fest, dass aus dem Sozialstaatsgebot folgt, dass der Staat die Pflicht hat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Ich wiederhole und betone das noch einmal: Der Staat soll nicht für eine geVolker Schneider ({1}) rechte Sozialordnung und einen Ausgleich der Gegensätze sorgen, sondern er hat dazu die Pflicht. ({2}) Wie will die Bundesregierung damit in Einklang bringen, dass zwischen 2000 und 2007 die Renten inflationsbereinigt um 6 Prozent und die Löhne inflationsbereinigt um 4 Prozent gesunken sind, während gleichzeitig die Einkünfte aus Unternehmenstätigkeit und Vermögen um satte 35 Prozent angestiegen sind? Ist es das, was Sie unter einem Ausgleich der sozialen Gegensätze verstehen? ({3}) Als Konsequenz dieser Entwicklung sank der Anteil der Arbeitnehmerentgelte am Volkseinkommen, der in den 90er-Jahren nach Auf und Ab bei etwas mehr als 72 Prozent fast unverändert blieb, auf unter 65 Prozent. Bei fast 300 Milliarden Euro zusätzlichem Volkseinkommen heißt das, dass von den Arbeitnehmerentgelten den Arbeitnehmern statt 213 Milliarden Euro gerade einmal 81 Milliarden blieben, also 132 Milliarden weniger. Ist das Ihr Verständnis einer gerechten Sozialordnung? ({4}) Frau Lehn, 132 Milliarden Arbeitseinkommen weniger, das heißt allein in den Rentenkassen ein Minus von 26 Milliarden. Wir können für die Rentnerinnen und Rentner mit unseren Anträgen gar nicht so schnell das Geld zurückfordern, wie Sie es auf der anderen Seite für die Unternehmen zum Fenster herauswerfen. ({5}) Sagen Sie nicht, das läge nicht in der Verantwortung Ihrer Politik. Sie sind es, die eine Ausweitung von Miniund Midijobs vorangetrieben haben. Sie haben der Ausweitung von Leiharbeit alle Türen geöffnet. Und Sie sind es auch, die mit der Agenda 2010 den Druck auf Arbeitslose erhöht haben, jede noch so schlechtbezahlte Arbeit anzunehmen. Sie sind es, die die Spirale des Lohndumpings in Gang gesetzt haben. Die Koalition redet gerne vom Dreiklang ihrer Politik. Auch ich kann einen solchen erkennen. Aber er heißt Tarnen, Täuschen, Tricksen. Die Beschäftigung wollen Sie verbessert haben; das haben wir heute wieder dauernd gehört. Ja, die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse ist angestiegen. Aber das hat mit einem Mehr an Beschäftigung nichts, aber rein gar nichts zu tun. Gesine Lötzsch hat es bereits gesagt: Seit 1991 ist die Zahl der Arbeitsstunden gesunken, und seit 1997 ist sie faktisch gleichgeblieben. So täuschen Sie die Bürger. Ihr Trick ist ganz einfach: Rauf mit der Teilzeitbeschäftigung, rauf mit Mini- und Midijobs, runter mit der Vollzeitbeschäftigung - seit 2000 um mehr als 10 Prozent -, und fertig ist Ihr Beschäftigungswunder. Das sieht hübsch aus, ist leider nur das blanke Gift für die Sozialversicherungskassen. ({6}) Das Einzige, was bei Ihnen wirklich zunimmt, sind unsichere, schlecht bezahlte und perspektivlose Jobs. Viel zu teuer, so erklären Sie, sei die Rentenversicherung in der Form, in der wir sie fordern. Ein Rentenversicherungsbeitrag von 25,2 Prozent ist Ihnen zu hoch. Seltsamerweise sind Ihnen 22 Prozent Rentenversicherungsbeitrag in der Zukunft plus 4 Prozent Beitrag für die Riester-Rente plus 4 Prozent für die Betriebsrente nicht zu hoch. Hört es bei Ihnen schon bei den Grundrechenarten auf? Sie haben die Menschen lange genug getäuscht. Ihre Politik hat weder etwas mit einem Ausgleich der sozialen Gegensätze noch mit einer gerechten Sozialordnung zu tun.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Schneider, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes treten Sie mit Füßen. Wenn es Sie noch so sehr ärgert: Die Linke wird nicht aufhören, Ihre Tricks und Täuschungen aufzudecken und Ihnen den Spiegel vorzuhalten. Danke schön. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Markus Kurth das Wort.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp einem Jahr haben die Fraktion und die Partei Bündnis 90/Die Grünen eine Einschätzung, eine Neubetrachtung der Arbeitsmarktpolitik vorgenommen, insbesondere von Hartz IV bzw. dem Sozialgesetzbuch II, und wir sind zu einer sehr differenzierten Bewertung gekommen. Wir sagen: Es gibt bestimmte Dinge, die positiv bei Hartz IV waren, zum Beispiel Dezentralität, Eigenverantwortung und Selbstständigkeit der Leistungserbringung vor Ort in den Jobcentern, so wie sie im Gesetz festgehalten ist. Es gibt aber auch kritikwürdige Dinge wie die Höhe des Regelsatzes, die Rechte der Betroffenen und die Zumutbarkeitsregelung, bei denen wir klar für Veränderungen sind. Wir haben also in der Bewertung differenziert und unterschieden. Sie, insbesondere Sie von den Sozialdemokraten, machen das genaue Gegenteil. Sie halten an dem fest, was schlecht bei Hartz IV ist. Sie klammern sich an einem viel zu niedrigen Regelsatz fest, Sie wollen die Zumutbarkeitsbedingungen nicht verändern, und Sie verschlechtern das, was positiv in diesem Gesetz war. ({0}) Wir reden hier über hohe Summen, aber es wird kaum darüber gesprochen, wie das Geld ausgegeben wird. Das ist doch das Entscheidende. Die Kanzlerin hat gestern an dieser Stelle von Eigenverantwortung gesprochen. Die Ausführung der Arbeit in den Jobcentern kann sie jedenfalls nicht gemeint haben. Wenn ich mir das Handeln des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in den letzten Wochen und Monaten anschaue, dann muss ich feststellen: Immer dann, wenn Eigenverantwortung wahrgenommen wird, bei flexibler Projektförderung, wie sie der Gesetzgeber vorgesehen hat, treten Ihnen im Ministerium die Schweißperlen auf die Stirn. Sie haben nichts Eiligeres zu tun, als diese Selbstständigkeit zu unterbinden und zu unterdrücken. ({1}) Vergabe und keine Projektförderung: Sogar die Bundesagentur für Arbeit hat kritisiert, dass ein Instrument, das Projektförderung ermöglicht, faktisch eingestellt worden ist. Das muss Ihnen doch zu denken geben. Die Bundesagentur für Arbeit ist nun nicht gerade eine Behörde, in der Subsidiarität und Dezentralität zu den Hauptbestandteilen der Behördenkultur zählen. ({2}) Da müssen Sie doch stutzig werden. Trotzdem schieben Sie jetzt - das ist noch im Gesetzgebungsverfahren - einen Gesetzentwurf zur Veränderung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente nach, der das Ganze noch verschlimmern wird, der die Möglichkeit der Berücksichtigung von Sozialpolitik in der Arbeitsmarktpolitik verschlechtert, weil den Kommunen kein Zugriff mehr etwa auf Gelder, mit denen sie experimentieren können, gegeben wird. Es geht um Menschen, und es geht nicht um Produkte. Das müssen wir bedenken, wenn wir überlegen, wie wir das Geld vernünftig ausgeben. ({3}) Es geht, gerade weil es sich um Personen mit sehr komplexen, individuellen Problemlagen handelt, um Dezentralität und Selbstständigkeit. Gegen die Art und Weise, wie das Ministerium hier führt, ist die Bundeswehr regelrecht ein demokratischer Verein. Da gibt es mehr Dezentralität als im Bereich dieses Ministeriums. ({4}) Zu dieser Art von Kommandowirtschaft passt auch die Art und Weise, wie die Vertreter der Bundesregierung, wenigstens wie ich es wahrnehme, durch die Lande ziehen. Sie machen, wie mir berichtet wird, oft in brüsker Weise Ansagen wie „Wir ziehen das jetzt so durch“, sie hinterlassen Ratlosigkeit, Mutlosigkeit und Verzweiflung. ({5}) - Wenn es schon nicht die Einsicht ist, Frau Nahles, dann sollte vielleicht doch der politische Selbsterhaltungstrieb ein Umdenken einleiten. Sie lachen. Dann ist die Lust am Untergang offensichtlich so groß, dass Sie an Ihrem politischen Geschäftsmodell des systematischen Enttäuschens und Vor-den-Kopf-Stoßens von allen vor Ort, die Ahnung haben, weiter festhalten wollen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß auf diesem Weg. ({6}) Zu diesem Geschäftsmodell des systematischen Enttäuschens passt auch - ich kann es leider nicht mehr lange ausführen -, wie Sie, Herr Scholz, auf die unsägliche Kampagne des Springer-Konzerns gegenüber den Arbeitslosengeld-II-Beziehenden reagieren. Den Umfang des Missbrauchs, von dem in dieser Kampagne die Rede ist, gibt es gar nicht. Da muss der Herr Weise sich hinstellen und sagen: Das stimmt nicht. - Sie haben die Möglichkeit, in einem Interview dazu Stellung zu nehmen, und das Beste, was Ihnen einfällt, ist, zu sagen: Wir führen jetzt mehr Kontrollen bei Schwarzarbeit mithilfe des Zolls durch. Sie sollten sich lieber vor die Arbeitslosengeld-II-Beziehenden stellen und sagen: Die ganz überwiegende Mehrheit, fast alle, wollen Arbeit und betreiben keinen Missbrauch. Ich erwarte von einem Sozialminister, dass er sich der Rechte dieser Leute annimmt. ({7}) Das tun Bündnis 90/Die Grünen. Danke. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller für die Unionsfraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Kolb, vielen Dank für das Kompliment. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Haushaltsdebatten laufen doch immer irgendwie nach dem gleichen Schema ab: Der FDP ist das Leistungsvolumen unseres Sozialhaushaltes generell zu hoch. Den Linken ist dieses Volumen generell zu niedrig. Die Grünen können sich nicht wirklich entscheiden, was sie nun wollen: ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger. ({0}) Auch für uns wäre es vielleicht einmal wichtig, zu wissen, wohin sie eigentlich wollen. Herr Kurth, Sie haben es leider nicht geschafft - vielleicht war das auch der Zeit geschuldet -, uns aufzuzeigen, was die Grünen perspektivisch wollen. Ich bin froh, dass wir eine wesentliche Konstante haben: Frau Lehn informiert uns darüber, wie ihre Familienmitglieder heißen. Nach Tante Käthe haben wir jetzt Onkel Paul kennengelernt. ({1}) Stefan Müller ({2}) - Es fehlt uns Onkel Otto. - Tante Käthe war diejenige, die gut wirtschaften konnte. Onkel Paul war derjenige, der mit dem Geld nicht auskam. Es fehlte noch die wesentliche Information, ob er Sozialdemokrat war. Das würde manchen von uns hier noch interessieren. ({3}) Unser Sozialbudget umfasst über 700 Milliarden Euro, alle Sozialleistungen zusammengerechnet. Das sind pro Bürger pro Jahr 8 500 Euro. Wer angesichts von 700 Milliarden Euro behauptet, dass unser Land unsozial sei, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, der sagt schlicht die Unwahrheit. Das kann doch nun wirklich nicht Ihr Ernst sein. ({4}) Niemand kann behaupten, dass unser Land unsozial sei. Natürlich steht unser Sozialstaat gerade wegen seines großen Leistungsvolumens immer wieder in der Kritik. Natürlich gibt es auch politische Kräfte, die einen funktionierenden Sozialstaat eben nicht als Wirtschaftsfaktor sehen, liebe Kollegen von der FDP; vielmehr tun sie immer so, als wäre ein funktionierender Sozialstaat eine Belastung für die Wirtschaft. ({5}) Da sage ich: Soziale Sicherheit hat auch etwas mit sozialem Frieden zu tun, und sozialer Frieden ist die Grundlage dafür, dass wir auch wirtschaftlich erfolgreich sein können. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. - Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir durchaus der festen Überzeugung sind, dass ein funktionierender Sozialstaat ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor ist? Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es durchaus kritikwürdig sein kann, wenn 700 Milliarden Euro - es handelt sich um das Geld anderer Leute, nämlich der Steuerzahler und Beitragszahler - eingesetzt werden und es trotzdem noch Kinderarmut in Deutschland gibt, wie der Armutsbericht der Bundesregierung deutlich macht? Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass man die Verteilung der in dem Sozialsystem befindlichen öffentlichen Mittel durchaus zu Recht kritisieren kann?

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Niebel, ich nehme zur Kenntnis, dass das, was Sie hier sagen, und das, was Sie teilweise in Interviews vortragen, und vor allem das, was Sie in Ihre Programme schreiben, sich zuweilen doch sehr stark unterscheidet. ({0}) Ich sage nur: Ohne wirtschaftlichen Erfolg wird es auch keine soziale Sicherheit geben. Aber genauso wird es ohne soziale Sicherheit und ohne sozialen Frieden keinen wirtschaftlichen Erfolg in unserem Lande geben. ({1}) Deswegen müssen auch Sie begreifen, Herr Niebel, dass Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik zwei Seiten der gleichen Medaille sind und dass das eine nicht ohne das andere geht. Das sagen Sie jedenfalls hier so deutlich nicht. ({2}) Die sozialpolitischen Politikbereiche gehören von jeher zu den zentralen Handlungsfeldern einer jeden Bundesregierung. Wir haben in den vergangenen drei Jahren in der Großen Koalition Wichtiges auf den Weg gebracht. Wir haben einen Beitrag dazu geleistet, dass die Arbeitslosigkeit bekämpft werden konnte und dass die Beschäftigung in unserem Land hat ansteigen können. ({3}) Wir haben dem Fachkräftemangel entgegenwirken können. Wir haben aber auch unseren Beitrag dazu geleistet, dass die Rente gesichert wird und vor allem Altersarmut verhindert wird. Wir waren in den vergangenen drei Jahren als Große Koalition also erfolgreich. Ich sage noch einmal: Die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Die Beschäftigung ist gestiegen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist gesunken. Auch die Beschäftigung Älterer - ein wesentliches Ziel unserer Arbeit - ist gestiegen. Wir haben Einstellungshemmnisse abgebaut. Nun gibt es eine rege Diskussion darüber: Wem ist denn das zu verdanken? Zunächst einmal ist für den Aufschwung am Arbeitsmarkt natürlich die Tatsache ursächlich, dass die Arbeitnehmer in unserem Land in den vergangenen Jahren auch durch Lohnzurückhaltung dafür gesorgt haben, dass Arbeitsplätze in Deutschland wieder wettbewerbsfähig geworden sind. Natürlich haben Unternehmer neue Märkte erschlossen, neue Produkte entwickelt, neue Arbeitsplätze geschaffen und zur Verfügung gestellt. Da dieser Beschäftigungsaufbau insbesondere in den kleinen und mittleren Betrieben, in familiengeführten Unternehmen stattgefunden hat, halte ich es für unanständig, dass Sie, Kollegen von den Linken, familiengeführte Unternehmen so diffamieren, wie es in den vergangenen Tagen insbesondere Herr Lafontaine getan hat. ({4}) Stefan Müller ({5}) Es waren gerade diese Unternehmen, die in den letzten Jahren neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Dort herrscht langfristiges Denken vor und eben nicht Denken in Quartalen, und Shareholder-Value spielt nicht die Rolle wie anderswo. Was Sie ansonsten kritisieren, gibt es in familiengeführten Unternehmen nicht. Deswegen sage ich noch einmal: Sie tun gut daran, diese Unternehmen nicht so zu diffamieren, wie Sie es getan haben. Ich bin froh darüber, dass wir Unternehmen in unserem Land haben, die ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden und in den vergangenen Jahren auch neue Arbeitsplätze geschaffen haben. ({6}) Wir haben in den vergangenen drei Jahren viel erreicht. Wir werden - das ist angedeutet worden - noch einiges auf den Weg bringen müssen, etwa im Zusammenhang mit der Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Ich betone: Es geht hierbei nicht in erster Linie darum, Geld einzusparen, sondern es geht darum, die Instrumente neu zu ordnen, einfacher zu machen, Beitragsmittel wirkungsvoller einzusetzen, damit auch diejenigen in den Arbeitsmarkt integriert werden können, die vom Beschäftigungsaufbau bislang noch nicht profitiert haben. Auch dabei, Herr Minister Scholz, werden Sie unsere Unterstützung haben. Wir werden in den nächsten Wochen sicherlich noch etliche Male darüber reden können. Ich halte fest: Eine erfolgreiche Sozialpolitik ist die Voraussetzung für innenpolitische Stabilität. Sie ist Garant für sozialen Frieden, für politischen und ökonomischen Frieden. Wir tragen mit dem Bundeshaushalt für das Jahr 2009 diesem Umstand Rechnung. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Andrea Nahles für die SPD-Fraktion. ({0})

Andrea Nahles (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist immer dasselbe: ({0}) Wenn es gute Arbeitsmarktzahlen gibt, dann war es, wenn man der Opposition glauben darf, die Konjunktur; aber wenn, was möglich ist, aufgrund der konjunkturellen Abschwächung die Arbeitslosenzahl im nächsten Jahr vielleicht wieder steigen wird, ({1}) dann wird es natürlich die Regierung schuld sein. ({2}) Sie müssen sich irgendwann entscheiden, wie es denn ist. Warum können Sie sich nicht einfach einmal entscheiden, zu sagen: „Sie haben mit einer konsequenten Haushaltskonsolidierung und einer sehr guten Arbeitsmarktpolitik Ihren Job gut gemacht“? ({3}) Das wäre doch ein Punkt, auf dem wir aufbauen könnten. Über Verbesserungen können wir gern streiten. Aber das ist erst einmal unsere Aufgabe, und der sind wir nachgekommen. Ich will das unterstreichen: Wir haben 510 000 Arbeitsplätze mehr. Wir haben über 40 Millionen Erwerbstätige. Das ist die höchste Zahl seit langem. Wir haben durch Programme wie WeGebAU, „JobPerspektive“ und Kommunal-Kombi im Hinblick auf die Langzeitarbeitslosen die Weichen richtig gestellt. Die ersten Ergebnisse - minus 20,5 Prozent bei der Langzeitarbeitslosigkeit - sind da. Hier müssen wir noch besser werden. Wir müssen auch in den Ländern noch besser werden, wo es nicht selten an der Kofinanzierung für genau diese Programme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hapert. ({4}) Ich kann Ihnen gern eine Liste reichen, aus der hervorgeht, wo das besonders problematisch ist. Wenn es so ist, wie wir sagen, dass sich die Arbeitsmarktpolitik auszahlt und die Menschen, die gefördert werden, bessere Vermittlungschancen haben, dann kann man die Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht als Spielball für Landtagswahlen nutzen. Da kann ich nur hoffen, dass nach dem 28. September, 18 Uhr, wieder mehr Vernunft in die Debatte einkehrt. ({5}) Zu den Forderungen von Herrn Clever, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 2,5 Prozent zu senken, kann ich nur sagen: Darf es noch etwas weniger sein? Herr Kauder und andere sprechen von 2,8 Prozent. Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten sind bereit, die Spielräume, die da sind, zu nutzen. ({6}) Wir haben - das ist unsere gemeinsame Leistung - die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bereits von 6,5 Prozent auf 3,3 Prozent gesenkt. Da ist auch noch mehr drin. ({7}) Wir dürfen aber den Hosenbund, Herr Kauder, nicht so eng schnallen, dass am Ende die Arbeitslosenversicherung wichtige Aufgaben, wie zum Beispiel die Vermittlung und Qualifizierung von Arbeitslosen - das ist unsere erste Priorität -, ({8}) in einer Phase sich abschwächender Konjunktur nicht mehr in dem Umfang, wie es notwendig wäre, leisten kann. ({9}) Lassen Sie uns deswegen doch einfach dabei bleiben, was wir vereinbart haben, nämlich zu schauen, was geht, und das dann zu machen. ({10}) Zugleich muss aber immer die Hauptaufgabe im Blick bleiben, nämlich die Vermittlung von Arbeitslosen. Ich erwähne an dieser Stelle auch, was wir meiner Meinung noch besser machen müssen. 25 Prozent der Mitarbeiter in den Argen und Optionskommunen haben befristete Arbeitsverhältnisse. Wir haben zwar 7 000 Stellen in den letzten beiden Jahren entfristet. Ich möchte aber, dass klar ist, dass das Rückrat unserer Arbeitsvermittlung - das sind die Vermittlerinnen und Vermittler vor Ort - gestärkt wird und noch mehr Leute dort eine feste und nicht eine befristete Anstellung haben. Auch insgesamt brauchen wir noch mehr Menschen, die sich um Vermittlung kümmern. Das ist unsere feste Überzeugung. ({11}) Wir werden uns auch mit der Frage der Arbeitsmarktinstrumente befassen müssen. Wir wollen zum einen deren Zahl reduzieren. Ich kann Ihnen - das sage ich insbesondere an die FDP gewandt - gerne im Detail auflisten, was wir da machen. Aber der entsprechende Gesetzentwurf dürfte Ihnen längst bekannt sein, Frau Winterstein. Es ist tatsächlich so. Wichtig ist zum anderen aber, dass den Regionen mehr Handlungsspielräume eingeräumt werden. Deswegen bekenne ich mich hier klipp und klar zu der Ansicht, dass innovative Ansätze und freie Förderung mit einem Anteil von 1 bzw. 2 Prozent am Gesamtbudget nicht ausreichend bedacht sind. Ich stelle mir vor, diesen Anteil auf 10 bis 15 Prozent anzuheben. ({12}) Diese Position wird die SPD-Bundestagsfraktion auch in den parlamentarischen Beratungen deutlich machen. Schließlich möchte ich mir noch die Bemerkung erlauben, dass Maßnahmen mit Blick auf den Hauptschulabschluss eine der zentralen Neuerungen bei den arbeitsmarktpolitischen Instrumenten sein werden. Der Arbeitsminister hat das eben ausgeführt. Wer kann denn im Ernst dafür sein, dass ein Rechtsanspruch auf einen Schulabschluss verwehrt wird? „Pfui!“, sage ich dazu nur. Jeder, der das tut, hat die Grundlagen nicht begriffen; denn Bildungspolitik ist Arbeitsmarktpolitik. ({13}) - Wir bauen aus Haupt- und Realschule eine schöne Realschule plus. Wir schaffen nichts ab. Sie können aber gerne einmal zu mir nach Rheinland-Pfalz kommen, Herr Kolb. ({14}) Im Übrigen brauchen wir die flächendeckende Einführung von Mindestlöhnen. Vielen Dank. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe das Wort. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Große Koalition ist drei Jahre im Amt. Die Zwischenbilanz auf dem Arbeitsmarkt sieht so aus: fast 2 Millionen Arbeitslose weniger als im letzten rot-grünen Sommer 2005, fast 1,5 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr als im letzten rot-grünen Sommer 2005, davon über die Hälfte in Vollzeit. Das ist eine gute Bilanz nach drei Jahren, eine Bilanz, auf die wir mit Recht stolz sein können, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({0}) Wir haben nicht nur mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, wir haben auch höhere Löhne. Das schlägt sich in höheren Steuereinnahmen nieder, über die wir im Bundeshalt verfügen können. Es schlägt sich natürlich auch in höheren Einnahmen der Sozialversicherungen nieder. ({1}) Die Entwicklung bei den Renten, auf die Kollege Fuchtel völlig zu Recht hingewiesen hat, ist nicht darauf zurückzuführen, dass wir die Renten gekürzt hätten. Im Gegenteil, wir haben sie erhöht, sogar stärker, als es die Rentenformel vorsah. Sie hat vielmehr etwas damit zu tun, dass wir durch mehr Beschäftigung und aufgrund vielfach höherer Löhne auch mehr Einnahmen aus den Sozialversicherungsbeiträgen erzielt haben. Das ist die Bilanz, die wir vorzuweisen haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({2}) Es ist gut, dass das in diesen Tagen auch durch die aktuelle Studie des DIW, die mit ihrem Zahlenmaterial über das Ende der rot-grünen Regierung hinausgeht, bestätigt worden ist. Die Bilanz ist klar: Das Armutsrisiko in Deutschland ist gesunken. Die Lohnspreizung ist kleiner geworden. Es gibt keine weitere Ausweitung des Niedriglohnsektors. Jeder kann es beobachten. Wir haben heute Tarifabschlüsse, die deutlich über die Forderungen der Gewerkschaften, die sie in der Zeit der früheren Regierung gestellt haben, hinausgehen. Das ist auch eine logische Entwicklung. Jeder weiß - auch der Ar18778 mutsbericht der Bundesregierung macht es deutlich -: Arbeitslosigkeit ist das größte Armutsrisiko. Deshalb ist es logisch und richtig: Wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, dann geht auch die das Armutsrisiko zurück. Wenn die Arbeitslosigkeit zurückgeht, dann - und genau dann kann man auch den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung senken. Genau das streben wir für die Zukunft an. ({3}) Der Aufschwung hat längst die Älteren erreicht; er hat die Langzeitarbeitslosen und die Geringqualifizierten erreicht. Weil das von der linken Seite dieses Hauses nicht mehr bestritten werden kann, wird die Mär erzählt, es gebe immer mehr Armutslöhne, der ganze Aufschwung sei durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse erkauft usw. Ich will deutlich machen, was die Realität ist und was uns von anderen unterscheidet. Wenn wir von Niedriglöhnen sprechen, dann sprechen wir von Löhnen, die zwei Drittel unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Der Niedriglohnsektor beginnt bei uns bei einem Stundenlohn von 9,60 Euro. Wenn jemand aus der Langzeitarbeitslosigkeit eine Beschäftigung mit einem Lohn von 9,60 Euro findet, einem Lohn, der weit jenseits dessen liegt, was an Mindestlöhnen gefordert wird, dann ist er, statistisch gesehen, ein Bezieher von Niedriglöhnen mehr. Wenn dieser eine große Familie hat, dann muss er vielleicht noch aufstockendes Arbeitslosengeld II bekommen. Die Statistik weist dann einen Bezieher von Niedriglöhnen und einen Aufstocker mehr auf. Vor allem aber gibt es einen Langzeitarbeitslosen weniger. Sie sehen das als ein Zeichen von sozialem Elend, wenn ein Langzeitarbeitsloser für mehr als 9 Euro eine Beschäftigung findet. Für uns ist das sozialer Fortschritt mit Blick auf den betroffenen Menschen und seine Familie. Das ist der Unterschied, und das ist die Realität in diesem Land. ({4}) Es geht dabei um 60 Prozent des mittleren Haushaltsnettoeinkommens und entsprechender Löhne. Das ist weit über dem Durchschnitt der Länder um uns herum, die immer angeführt werden, wenn es um Armut und Entlohnung geht. Wir müssen wegkommen von einer Debatte, in der am Anfang gesagt wird: Wir müssen das soziale Netz ausweiten und es stabil machen. - Wir sind sehr für ein dichtes soziales Netz und soziale Sicherheit. Wenn man aber anschließend sagt: „Jeder, der eine Transferleistung bekommt, ist arm“, dann ist das falsch. Der Sozialstaat schützt vor Armut. Wer zu Recht eine soziale Leistung in Anspruch nimmt, der ist deshalb nicht arm, vielmehr - auch das macht der Armuts- und Reichtumsbericht deutlich - schützt dieser Sozialstaat mit den Leistungen, die er gewährt, davor, dass Menschen in Armut geraten. Diesen Sozialstaat wollen wir erhalten. ({5}) Ich will auch etwas zu der Kritik sagen, die von anderer Seite geäußert wurde. Wir haben in diesem Jahr in der Tat etwas gemacht, was man wirklich nur in einer guten konjunkturellen Lage und bei einer sehr guten Lage auf dem Arbeitsmarkt tun kann. Wir haben die Leistungen der Arbeitslosenversicherung für ältere und langjährige Beitragszahler ausgebaut, und wir haben gleichzeitig die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt. Das ist genau der richtige Weg gewesen. ({6}) - Sie von der FDP haben uns genauso wie die Grünen, die ihrer alten Propaganda verfallen sind, gesagt, man dürfe den Arbeitslosengeldbezug nicht ausweiten, da sich die Leute dann in die soziale Hängematte legen würden. Ich empfehle Ihnen, nach Bochum zu gehen, wo Nokia zugemacht hat. Dort ist es jetzt gelungen, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Wie viele Leute haben denn gesagt: „Geht mir weg mit der Arbeit, ich gehe erst mal drei Monate lang in die Hängematte, da ich ja länger Arbeitslosengeld bekomme“? - Das hat kein Einziger gesagt. Es ist richtig, Menschen auch dafür zu belohnen, dass sie lange Beiträge zahlen. Davon geht der Sozialstaat nicht unter, das ist sozial gerecht. ({7}) Es hat sich gezeigt, dass das richtig ist. Die Menschen wollen arbeiten. Sie nehmen auch Arbeit an. Wir machen ihnen in dieser Großen Koalition mit vernünftigen Rahmenbedingungen dazu Mut. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Brauksiepe, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, was soll er sonst machen?

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Brauksiepe, das, was Sie gesagt haben, sollte ja in Wirklichkeit von der Kernfrage ablenken, nämlich wohin der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung in der näheren Zukunft geht. Gilt das Wort von 2,8 Prozent, was Herr Kauder gestern gesagt hat, oder war das nur eine Wahlkampfshow von Herrn Kauder und Herrn Huber? ({0}) Wollen Sie weiter absenken und wohin? Welche Möglichkeit sehen Sie da?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Kolb, wir haben beschlossen, den Arbeitslosenversicherungsbeitrag auf 2,8 Prozent zu senken. Das ist kein Alleingang von Volker Kauder, sondern das ist die Position der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. ({0}) Dafür setzen wir uns ein. Wir sind fest davon überzeugt, dass das ohne Leistungskürzungen geht, ohne die Kürzung von aktiven und passiven Leistungen. ({1}) Das ist ohne Verschiebebahnhöfe möglich, weil wir auf dem Arbeitsmarkt immer weniger Arbeitslosigkeit haben, sodass sich eine entsprechende Dividende ergibt, die an die Beitragszahler weitergegeben werden kann. Wir haben dreimal Beschlüsse gefasst und den Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesenkt, und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir das auch ein weiteres Mal hinbekommen. ({2}) Das ist mit dem Koalitionspartner nicht immer einfach, aber wir sind ja auch nicht zusammen in der Regierung, damit es immer einfach ist. Wir sind gemeinsam drei Jahre zu vernünftigen Lösungen gekommen und haben eine hervorragende Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt erreicht, und das schaffen wir auch weiterhin. Wenn Sie in Zukunft beim Regieren wieder mitmachen wollen, Herr Kollege Kolb, dann müssen Sie erst einmal wieder auf einen so vernünftigen, realistischen Kurs kommen. Dann kann man darüber reden, vorher nicht. ({3}) Wir haben nicht einfach nur zusätzliche Arbeit in diesem Land, sondern zusätzliche Arbeit, die Menschen aus dem Transferbezug gelöst hat, die dafür gesorgt hat, dass es den Menschen in diesem Land wieder besser geht. Wir werden diesen Weg auch im vierten und letzten Jahr der Großen Koalition gemeinsam weitergehen. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Einzelplan 17. Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. ({0})

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden auch im nächsten Jahr wieder in Familien investieren. ({0}) Gegenüber der Finanzplanung wächst der Einzelplan 17 um 410 Millionen Euro. Unsere Aufgabe in der Familienpolitik ist es, immer wieder den Blick für die Frage zu schärfen: Wie können wir Familien, wie können wir Kindern und Jugendlichen Teilhabe, Selbstständigkeit und Entfaltung ihrer Fähigkeiten ermöglichen? Dazu sind in verschiedenen Lebensphasen und in verschiedenen Lebenssituationen differenzierte Leistungen notwendig. Wir haben den Etat für das Elterngeld gegenüber 2008 um 135 Millionen Euro angehoben, nicht nur wegen der Konjunktur, die bessere Einkommen für junge Familien und damit eine höhere Einkommensersatzleistung mit sich bringt, sondern auch und vor allem weil die Geburtenrate gestiegen ist. ({1}) Das ist ein Vertrauensbeweis der jungen Menschen in unser Land; wir dürfen sie nicht enttäuschen. Besonders freut mich die wachsende Akzeptanz der Partnermonate bei den jungen Vätern. Bei der Einführung des Elterngeldes lag die Zahl der Väter, die Elternzeit nahmen, in Stein gemeißelt bei 3,5 Prozent. Mittlerweile nimmt in 16 Prozent der Elterngeldhaushalte ein Vater Elternzeit, Tendenz weiter steigend. Das hilft nicht nur, das Bild der Väter in unseren Köpfen zu verändern, sondern es ist auch ein Riesengewinn für die Kinder, ihren Vater hautnah zu erleben. ({2}) Der Ausbau der Kinderbetreuung ist die folgerichtige nächste Investition gewesen; denn gerade auf den Anfang kommt es an, wenn die ersten Weichen für Bildungschancen für alle Kinder gestellt werden. Der nächste entscheidende Schritt ist der Übergang von Schule in den Beruf. Hier sind viele Akteure gefragt; das ist klar: die Länder mit den Schulen, die Wirtschaft, die Bundesagentur für Arbeit. Wir haben die Aufgabe, auf Bundesebene mit den Modellprogrammen genauer hinzuschauen, wenn Jugendliche sich besonders schwertun und im Regelsystem verloren gehen. Deshalb verstärken wir 2009 die jugendpolitischen Leistungen für sozial benachteiligte Jugendliche und für junge Migrantinnen und Migranten. Da geht es um eine zweite Chance für die harten Schulverweigerer. Es geht um eine bessere Vernetzung der Jugendsozialarbeit mit der Schule und um den Übergang von der Schule in den Beruf. Mit dem ESF und der Kofinanzierung setzen wir dafür mehr als 180 Millionen Euro ein. Die Förderung des Zivilengagements soll mit dem Haushalt 2009 gegenüber der Finanzplanung um 2 Millionen Euro auf dauerhaft 12 Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist gut angelegtes Geld. Das bürgerschaftliche Engagement verändert sich; das sehen wir. Auf der einen Seite sinkt die Anzahl der Vereine und auch der Mitgliedschaften in den Vereinen. Auf der anderen Seite sehen wir, dass die Spendenbereitschaft, die Zahl der Bürgerstiftungen und die Unternehmensaktivitäten steigen. Darauf müssen wir reagieren; denn es wol18780 len sich viele engagieren, aber sie brauchen den richtigen Impuls dafür. Wir haben den Einzelplan 17 noch an einer anderen Stelle aufgestockt. Für den Ausbau des Kinderzuschlags brauchen wir jetzt mehr als 253 Millionen Euro zusätzlich. Das ist richtig; denn auch bei einem niedrigen Einkommen muss gelten: Arbeit lohnt sich. ({3}) Der Kinderzuschlag wirkt gegen Kinderarmut, und er ist gleichzeitig ein arbeitsmarktpolitischer Anreiz. Wir erreichen mit dem neuentwickelten Kinderzuschlag im Zusammenspiel mit der Wohngeldreform eine viertel Million Kinder. Es sind 150 000 Kinder mehr, die aus Hartz IV herauskommen. Das Ziel ist immer, Familien unabhängig zu machen, dass sie auf eigenen Füßen stehen können, dass sie die Kinder haben können, die sie sich wünschen, und diese Kinder gut ins Leben begleiten können. Wir diskutieren jetzt über die Erhöhung des Kindergeldes. Das ist richtig und das ist notwendig. ({4}) Das Kindergeld für das erste und zweite Kind ist seit 2001 nicht mehr erhöht worden. Für das dritte Kind und die folgenden Geschwister ist das Kindergeld seit 1995 nicht mehr erhöht worden. Dabei sind es gerade die kinderreichen Familien, die auf das Kindergeld angewiesen sind. Sie haben unvermeidbare Fixkosten. Sie brauchen die größere Wohnung, mehr Heizung, mehr Lebensmittel, mehr Kleidung, mehr Schulmaterial. Die Waschmaschine läuft häufiger. Das kann nicht nur durch mehr Arbeit erwirtschaftet werden. Da ist das Kindergeld unverzichtbar. ({5}) In vielen europäischen Ländern gibt es - in Deutschland gab es dies lange - aus gutem Grund ein gestaffeltes Kindergeld. Ich halte das für richtig; denn Kinderreichtum darf nicht zu Armut führen. ({6}) Nun hören wir in diesen Tagen öfter den Satz: Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein. ({7}) Wer würde da nicht auf den ersten Blick - dieser Satz hört sich gut an ({8}) wohlwollend nicken? Sicher alle, außer der Finanzminister. Den kostet das nämlich 15 Milliarden Euro. ({9}) Warum? Weil Politik bekanntlich mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnt. Die Wirklichkeit ist: Keineswegs zahlt der Staat für jedes Kind gleich viel, weil er in verschiedenen Lebenssituationen differenziert Teilhabe und Gerechtigkeit ermöglicht. Wer Arbeitslosengeld II bezieht und Kinder hat, erhält für seine Kinder kein Kindergeld - es wird verrechnet -, sondern das höhere Sozialgeld. Aus gutem Grund; denn hier geht es um das Existenzminimum des Kindes. Das sind je nach Alter des Kindes 211 bis 281 Euro. Diejenigen, die den Kinderfreibetrag im Steuerrecht heute voll ausschöpfen, erhalten eine Entlastung von bis zu 230 Euro im Monat. Aus gutem Grund; denn diejenigen, die Kinder erziehen, dürfen im Vergleich zu denjenigen, die ein gleich hohes Einkommen haben, aber keine Kinder erziehen, nicht so hoch besteuert werden. Auch das ist eine Frage des Existenzminimums. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich führe diesen Gedanken erst zu Ende, dann gerne. Nur die Familien in der Mitte, die Familien mit kleinen und mittleren Einkommen, erhalten das reine Kindergeld von 154 Euro für das erste, zweite und dritte Kind und von 179 Euro für das vierte. Wenn man das alles auf ein Niveau bringen will, dann kann man das Ganze doch wohl nicht auf das niedrigste Niveau herunterstufen. Dann muss man vielmehr lege artis auf das höchste gemeinsame Niveau heraufzustufen. Das würde 15 Milliarden Euro kosten - eine Illusion, die mit der Realität wenig zu tun hat. ({0}) Nun steht der Vorschlag im Raum, einen Kindergrundfreibetrag einzuführen. Ich kann Neugierige davor nur warnen. ({1}) Das wäre ein Systemwechsel mit erheblichen Nebenwirkungen, vor allen Dingen mit erheblichen unerwünschten familienpolitischen Nebenwirkungen. Der Wechsel vom heutigen Freibetrag zu einem Grundfreibetrag heißt erst einmal: Alle mit Kindern, die Steuern zahlen - Facharbeiter, Lehrerinnen, Alleinerziehende -, müssen in Zukunft mehr Steuern zahlen. Das kann ja wohl nicht das Ziel sein. Das Absurde ist: Je mehr Kinder, desto stärker die Auswirkungen dieses Systemwechsels. Der vorgeschlagene Grundfreibetrag schneidet das Einkommen unten ab - vorweg. Das heißt: Mit jedem Kind steigt man bei der Besteuerung des verfügbaren Einkommens in einen höheren Tarif ein. Mit jedem Kind steigt der Steuersatz. ({2}) Nebenbei steigen auch der Soli und die Kirchensteuer, natürlich nur für Familien mit Kindern. Was hat denn das mit Steuergerechtigkeit zu tun, wenn Kinder steuererhöhend wirken? ({3}) Das werden wir nicht zulassen. Wer nun darüber nachdenkt, die Steuermehreinnahmen, die sich durch diesen Systemwechsel bei den Familien holen ließen, in die Kindergelderhöhung zu stecken, dem gebe ich mit auf den Weg: Eine Kindergelderhöhung ist klasse, aber nicht, wenn sie aus einer bloßen Umverteilung zulasten der Familien resultiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt hat der Kollege Kurth das Wort.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Ministerin. - Sie erwarten mutmaßlich eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro. Sie haben gerade die gestiegenen Kosten für Kinder angesprochen. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass der Kostenanstieg auch diejenigen Kinder betrifft, die im Arbeitslosengeld-II-Bezug bzw. im Sozialgeldbezug sind, und wie stehen Sie zu dem von den 16 Bundesländern im Bundesrat einstimmig gefassten Beschluss, der besagt, dass die entwicklungsbedingten Bedarfe für Kinder im Arbeitslosengeld II nicht ausreichend abgebildet sind und es deswegen einen ordentlichen Kinderregelsatz geben muss?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Exakt, weil es diese Diskussion gibt, werden die Regelsätze im Augenblick von den Experten überprüft. Man kann das nämlich nicht aus dem hohlen Bauch heraus bestimmen. ({0}) Eine differenzierte Prüfung der Regelsätze ist erforderlich. Wenn wir die Ergebnisse haben, werden wir darüber zum gegebenen Zeitpunkt diskutieren. Zum Abschluss: Der aktuelle Allensbach-Familienmonitor hat ergeben: Das Kindergeld ist die angesehenste familienpolitische Leistung in der Bevölkerung. Und die Bevölkerung hat recht. Diese Leistung ist armutreduzierend, und sie stärkt die Familien in der Mitte. Was die Bevölkerung aus eigenem Empfinden und eigenem Erleben als richtig einschätzt, wird von der Wissenschaft bestätigt: Das Kindergeld wirkt. Das Kindergeld stärkt Familien und vermeidet Armut, gerade bei Alleinerziehenden und Familien mit kleinem Einkommen und mehreren Kindern. Wenn Ende September der Existenzminimumbericht vorliegt, werden wir über den Spielraum entscheiden können. Doch die Erhöhung ist für mich Pflicht und nicht Kür. Danke. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Miriam Gruß das Wort. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht haben wir gerade die zukünftige Finanzministerin sprechen hören. ({0}) Die FDP jedenfalls war mit weiten Teilen sehr einverstanden. Glänzende Rede, Frau Ministerin. Leider haben Sie eine kleinere, unbedeutendere Partei an Ihrer Seite, mit der ich mich jetzt ein bisschen auseinandersetzen möchte: die CSU. Ich hatte gestern das Glück, Herrn Huber zuhören zu können. ({1}) Es war interessant, was Herr Huber hier gesagt hat. Herr Huber sprach auf einmal - hört, hört - von einer Mutter, die alleinerziehend ist und zwei Kinder hat. Da habe ich aufgehorcht. Das gibt es im Familienbild der CSU doch eigentlich gar nicht. Beckstein fordert im Übrigen mehr Geld für Hartz-IV-Kinder. Aber es ist Wahlkampf, und in einer Woche ist Wahl. Da erkennt auch die CSU: Nicht jedes Kind kommt mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt. In dieser Analyse sind wir uns einig. Es gibt tatsächlich Kinder, bei denen wir eingreifen müssen, bei denen der Staat etwas tun muss. Jetzt stellt sich nur noch die Frage: Was ist zu tun? Da muss ich Ihnen, die Sie regieren, sagen: Wir glauben, dass Sie hier auf dem falschen Dampfer sind. ({2}) Denn was machen Sie? Sie ziehen den Familien zunächst das Geld aus der Tasche, schicken es durch einen gigantischen Umverteilungsmechanismus und geben es dann großgönnerhaft aus. Ich stimme zu: Eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro ist gut. - Man kann dennoch darüber diskutieren; denn Sie haben in den letzten drei Jahren dafür gesorgt, dass eine durchschnittliche vierköpfige Familie im letzten Jahr 1 600 Euro weniger zur Verfügung hatte, weil Sie den Familien das Geld mit Hilfe von 19 Steuererhöhungen aus der Tasche gezogen haben. Auch das muss an dieser Stelle ganz klar gesagt werden. ({3}) Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht und damit gerade die Familien belastet, die Sie jetzt durch eine Kindergelderhöhung entlasten wollen. Das ist ganz offensichtlich Wahlkampfgetöse. Heute, eine Woche vor der Landtagswahl in Bayern, fordert dies auch Frau Stewens. Oh Wunder! Wir hingegen hatten im Vergleich zu allen anderen Fraktionen hier im Bundestag schon immer das familienfreundlichste Steuerkonzept, ({4}) mit niedrigen, einfachen und gerechten Steuersätzen von 10, 25 und 35 Prozent, mit einem einheitlichen Steuerfreibetrag in Höhe von 8 000 Euro - die Ministerin hat das gerade noch einmal bestätigt - und einer besseren steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten in Höhe von 12 000 Euro, die Eltern wirkliche Wahlfreiheit ermöglicht. Wir sagen weder, dass alle Kinder in die Krippe gesteckt werden müssen, noch, dass die drei Ks weiter gelten sollen, die in weiten Teilen Bayerns nach wie vor im Kopf verankert sind. Wir wollen Rahmenbedingungen, die es den Familien ermöglichen, sich frei zu entscheiden. Das ist mit unserem Steuerkonzept und unseren Auffassungen zur Kinderbetreuung möglich. ({5}) Da ich gerade über die Steuererhöhungen gesprochen habe, ist es mir wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Große Koalition, insbesondere die CSU, auch einmal Steuern gesenkt hat, und zwar bei der mechanischen Aufstiegshilfe. ({6}) Für diejenigen, die nicht aus Bayern kommen: Damit sind die Lifte gemeint. Der Umsatzsteuersatz für Seilbahnfahrten ist von 19 Prozent auf 7 Prozent gesenkt worden. Ich freue mich darüber; denn jetzt kommt der Winter, und dann können Familien günstiger auf den Berg fahren. Skifahren macht ja Spaß. Hier handelt es sich um eine ganz bedeutende Steuer. ({7}) - Herr Singhammer, wir sprechen uns nach dem 28. September wieder. ({8}) - Das ist eine Drohung. Herr Singhammer sitzt deswegen schon nur noch in der zweiten Reihe. ({9}) An dieser Stelle sei gesagt: Einmal ist tatsächlich eine Steuer gesenkt worden. Das muss man lobend anerkennen. Aber wenn ich an Berge denke, denke ich an etwas ganz anderes - jetzt wird es wieder ernst -, nämlich an den Schuldenberg Deutschlands. Jedes Kind, das heutzutage auf die Welt kommt, hat bereits 18 000 Euro Schulden im Rucksack. Wenn wir auf die Berge fahren, dann sollten wir bitte schön auch an den Schuldenberg denken und daran, dass Kinder auf Schuldenbergen nicht spielen und erst recht nicht lernen können. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christel Humme das Wort. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Die heutige Debatte über den Familienhaushalt ist zweierlei: ein Ausblick auf das, was wir noch zu tun haben - Frau Ministerin, Sie haben gerade schon vieles genannt -, aber auch eine kleine Bilanz der Großen Koalition über die Politikfelder, die wir gemeinsam zu verantworten haben. Als Bilanz können wir feststellen: Wir haben zur Überraschung vieler einiges Gutes geschafft; das ist gar keine Frage. ({0}) Wir sind familienpolitisch endlich im 21. Jahrhundert angekommen, Herr Singhammer. ({1}) Die Bedenkenträger von damals sind heute voll des Lobes; das betrifft auch Sie. Sie wissen, dass gerade die bayerischen Väter Spitzenreiter sind, wenn es um die Beanspruchung der Vätermonate geht. ({2}) Ich denke, daran wird deutlich, dass moderne sozialdemokratische Politik bei den Eltern sehr gut ankommt. Dafür danke ich auch den beiden zuständigen Ministerien: Ihnen, Frau von der Leyen, aber auch Finanzminister Peer Steinbrück; denn er hat die finanziellen Voraussetzungen geschaffen, dass der Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für unter Dreijährige jetzt tatsächlich realisiert werden kann. ({3}) Er hat 4 Milliarden Euro und darüber hinaus Mittel für eine dauerhafte Förderung zur Verfügung gestellt. Dafür danken wir Ihnen recht herzlich. ({4}) Was haben wir erreicht? Was die Zielformulierung angeht, waren wir uns eigentlich immer einig. Wir wollChristel Humme ten die Vereinbarkeit von Familie und Beruf; hier gab es überhaupt keinen Dissens. ({5}) Über den Weg dorthin waren wir uns aber nicht immer einig - das muss man ehrlicherweise sagen -, und hinsichtlich der Interpretation, was unter echter Wahlfreiheit zu verstehen ist, waren wir uns auch nicht einig. In dieser Woche wurde eine Untersuchung des Allensbach-Instituts veröffentlicht. Daraus ging ganz klar hervor, dass zwei Drittel der Frauen immer noch meinen, das Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei nicht gelöst, weil die Länder nicht für genug Betreuungsplätze gesorgt hätten. 97 Prozent der Frauen - diese Zahl finde ich besonders erstaunlich - sind der Auffassung, dass die Betriebe zu wenig für familienfreundliche Arbeitsbedingungen tun. Solange diese Zahlen im Raum stehen und solange es Untersuchungen gibt, die zu solchen Ergebnissen kommen, glaube ich, dass für Mütter, die berufstätig sein wollen, noch keine echte Wahlfreiheit besteht. Hier müssen wir mehr tun. Wir Sozialdemokraten werden unsere Ziele in diesem Bereich weiter verfolgen. ({6}) In der nächsten Woche - Gott sei Dank schon so früh entscheiden wir über das Kinderfördergesetz, mit dem wir einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz begründen werden. ({7}) Ich freue mich darauf. Die Länder werden aufgefordert, Tempo zu machen und mehr Betreuungsplätze anzubieten; das wird die gute Botschaft der nächsten Woche sein, und das ist wichtig. Wir müssen schneller werden, und zwar nicht nur, um unser Ziel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu erreichen, sondern auch, weil die Bildungschancen unserer Kinder verbessert werden müssen. ({8}) Liebe Kollegen und Kolleginnen, der Mehrheit der Familien in Deutschland geht es gut; ({9}) ich glaube, das ist zweifelsfrei der Fall. Es gibt aber auch Familien, die vom Armutsrisiko bedroht sind. Ich bin froh, dass wir den Kinderzuschlag in der übernächsten Woche, am 1. Oktober, in Kraft treten lassen. Ich hoffe, dass es uns gemeinsam gelingt, auch die Verbesserungen beim Wohngeld ab dem 1. Oktober in Kraft treten zu lassen. ({10}) Frau Ministerin, ich gebe Ihnen vollkommen recht: Mit diesen Instrumenten erreichen wir 250 000 Kinder und ihre Eltern. Vor allen Dingen - das ist mir wichtig - werden wir damit Mehrkindfamilien erreichen; das ist gut so. Ich glaube, im Zusammenhang mit den Leistungen für Familien müssen wir ab Mitte Oktober auch über das Existenzminimum sprechen. Ich verhehle nicht: Auch ich bin dafür, dass wir das Kindergeld erhöhen. ({11}) Ich mache mir allerdings Gedanken darüber, welche Folgen es hat, wenn wir eine breitere Staffelung vornehmen und für diesen Bereich noch mehr Geld ausgeben. Eine breitere Staffelung bedeutet keine breitere Familienförderung. Wir wissen ganz genau, dass 90 Prozent der Familien ein bis zwei Kinder haben und - mehr noch dass 94 Prozent der Alleinerziehenden ein bis zwei Kinder haben. Ich bin der Meinung, dass wir das Kindergeld erhöhen sollten. Eine breitere Staffelung lehne ich allerdings ab, weil sie in der Breitenwirkung keinen Erfolg hat. ({12}) Ich bin dezidiert der Auffassung, dass unser Familienleistungssystem in seiner derzeitigen Ausgestaltung sozial ungerecht ist. Ich halte es für nicht richtig, dass die Familien, die ein hohes Einkommen oder sogar ein Spitzeneinkommen haben, monatlich 230 Euro pro Kind erhalten, ({13}) also 76 Euro mehr als die Familien, die über ein niedriges oder mittleres Einkommen verfügen; sie bekommen derzeit monatlich 154 Euro pro Kind. ({14}) Ich bin dezidiert der Meinung - diese Auffassung teile ich mit meiner Fraktion und meiner Partei -, dass dem Staat jedes Kind gleich viel wert sein muss. ({15}) Das verstehen wir unter sozialer Gerechtigkeit. Darum, Frau Ministerin, werden wir an dieser Stelle noch heftig miteinander streiten müssen. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, unbestritten ist: Die beste Armutsprävention sind nicht Transferleistungen, auch nicht das Kindergeld. Die beste Armutsprävention kann nur die Beschäftigung der Eltern sein. Im Dritten Armuts- und Reichtumsbericht wurde deutlich, dass das Armutsrisiko dann, wenn ein Elternteil beschäftigt ist oder wenn sogar beide Elternteile beschäftigt sind, auf 4 Prozent sinkt. Daher müssen wir uns damit beschäftigen, folgende Aufgaben zu lösen: Wir müssen erreichen, dass die Frauenerwerbsquote endlich auf europäisches Niveau steigt. Wir müssen erreichen, dass wir gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Frauen und Männern haben. Wir müssen natürlich auch erreichen, dass wir uns bei den Minijobs bewegen. Wer sich die Statistiken genau anschaut, der stellt fest, dass die Personen, die vorrangig über ein Einkommen aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung oder aufgrund eines Minijobs verfügen, zu 67,5 Prozent Frauen sind. Deshalb ist es unbedingt geboten, die Wochenstundenzahl auf 15 zu fixieren. Auch das ist ein Beitrag zu einem Mindestlohn. Besser für Frauen ist natürlich ein gesetzlicher Mindestlohn; denn ich weiß, dass die meisten Frauen in Branchen beschäftigt sind, in denen es keine tarifliche Bindung gibt. Deshalb nützt es auch nichts, wenn die Kanzlerin fordert, dass Tarifpolitik vorgehen soll. In diesem Bereich müssen wir unbedingt etwas tun. ({16}) Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich habe mich sehr stark für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz eingesetzt. Ich bin sehr froh, dass wir dieses Gesetz seit dem Jahr 2006 haben. Dieses Gesetz gibt den Frauen die Chance, sich für ihre Rechte - zum Beispiel gleichen Lohn für gleiche Arbeit - einzusetzen und diese einzuklagen. Mir war es immer sehr wichtig, dass es eine Antidiskriminierungsstelle gibt; denn diese soll die Aufgabe der Öffentlichkeitsarbeit, die Meinungsbildung zur Antidiskriminierung in der Öffentlichkeit, übernehmen. Ich war immer der Meinung, dass diese Stelle finanziell und personell gut ausgestattet sein sollte. Trotzdem war ich über die vorgeschlagene Steigerung des Haushaltsansatzes 2009 für die Antidiskriminierungsstelle - lange Zeit gefordert und erkämpft - sehr überrascht. 9 000 Euro wurden bisher für die Öffentlichkeitsarbeit ausgegeben, 220 000 Euro sollen es im nächsten Jahr sein. Das ist gut. Ich füge aber hinzu, dass dies ein Geschmäckle hat; denn das Jahr 2009 ist ein Wahljahr. Wir werden genau hinschauen, was mit den Geldern der Antidiskriminierungsstelle gemacht wird. Das kann ich Ihnen schon jetzt versprechen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sowie das Bundesgleichstellungsgesetz für den öffentlichen Dienst haben deutlich gemacht, was wichtig ist, wenn man Gleichstellung ernst meint. Wir brauchen unbedingt gesetzliche Regelungen; das ist die Überzeugung der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Kollegin Humme, bitte achten Sie auf die Zeit!

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir brauchen eine Quotierung, wenn es darum geht, Aufsichtsratssitze mit Frauen zu besetzen. Außerdem brauchen wir gesetzliche Mindestlöhne. Das ist unverzichtbar. ({0}) Wir können den Frauen an dieser Stelle versprechen, dass das auf der sozialdemokratischen Agenda bleibt. Schönen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Roland Claus das Wort. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden hier über das Geld des Bundes für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, über einen Etat, der uns von der Wiege bis zur Bahre begleitet, also gewissermaßen über einen Allgenerationenetat. Dafür sind im Bundeshaushalt 6 Milliarden Euro eingestellt; das entspricht 2 Prozent des Gesamtetats. Zum Vergleich: Der Militäretat ist fünf Mal größer. Von 100 Euro Steuergeld zahlen wir 2 Euro für Familien, Rentner, Kinder und Jugendliche, aber 10 Euro für Militärausgaben. - Selbstverständlich ist auch uns klar, dass nicht alles, worum es hier geht, vom Bund zu finanzieren ist. Wir sind aber der Auffassung, dass Zukunft so nicht gelingen kann, weil die Zustände in Deutschland nicht so sind, wie Sie sie beschrieben haben, Frau Ministerin. ({0}) Kinder zu haben ist ein Armutsrisiko. Wir wollen, dass sich das ändert. Wir reden vor allem von einer besseren Kinderbetreuung als soziale und bildungspolitische Herausforderung. Frau Ministerin, Sie haben hier gewiss eine Diskussion angestoßen, und das geht auch in Ordnung. Die realen Ergebnisse aber sind nicht besonders. Frau Ministerin, gemessen am Familienbild der CSU sind Sie wahrscheinlich eine Revolutionärin. Gemessen an zukunftsorientierter Familienpolitik in Sachen Kinderbetreuung sind Sie aber in hohem Maße versetzungsgefährdet. ({1}) Wir müssen auch über eine dringend notwendige Nachholentwicklung im Westen reden. Es gibt eine nicht hinzunehmende Spaltung: Wir haben im Westen die Arbeitsplätze, aber keine Kitas, und wir haben im Osten die Kitas und keine Arbeit. Wir wollen, dass sich das ändert und nicht so bleibt. Dafür müssten Sie aber etwas anderes tun, als Sie mit diesem Etat jetzt vorhaben. ({2}) Wenn wir Zukunft gestalten wollen, dann brauchen wir eine neue Verbindung von Lernen, Erwerbsarbeit und sozialer Sicherung, und das von Kindheit an. Ich erlebe auch bei Unternehmensbesuchen immer mehr, dass sich die Geschäftsführungen mangels kommunaler Angebote inzwischen wieder selbst helfen und Betriebskindergärten einrichten. So gesehen werden die heute als weiche Standortfaktoren beschriebenen Kitas, KinderbeRoland Claus treuungseinrichtungen irgendwann die harten Standortfaktoren sein. Natürlich müssen wir auch über Kinderarmut in einem reichen Land reden. Die Tendenz ist leider steigend. Das ist das Ergebnis Ihrer Arbeitsmarkt- und Niedriglohnpolitik. Ich finde es sehr charmant, wenn die Rednerinnen und Redner der SPD hier den gesetzlichen Mindestlohn einfordern. Ich muss Sie daran erinnern: Es gibt in diesem Bundestag eine parlamentarische Mehrheit für den Mindestlohn. Fassen Sie sich ein Herz, und bringen Sie das ein! ({3}) Wir haben zu konstatieren, dass 1965 nur jedes 75. Kind Sozialhilfe erhielt, während es 2007 jedes sechste Kind war, im Osten sogar jedes Vierte. Armut, die sich in den Gesichtern von Kindern widerspiegelt, muss uns doch zu Veränderungen in unserer Politik veranlassen. ({4}) Ich will noch ein paar Worte zu den Programmen im Kampf gegen den Rechtsextremismus sagen. Vor zwei Jahren haben wir intensiv darüber gestritten, als diese zunächst abgewickelt werden sollten. Sie haben Ihre Position dann korrigiert, und die Programme werden fortgesetzt. ({5}) Allerdings hat sich die Ministerialverwaltung nach dieser Entscheidung gerächt und den Zugang für Projektträger erheblich erschwert. In einer Situation, in der in diesem Lande der Rechtsextremismus als gesellschaftliche Bedrohung nicht etwa zurückgeht, sondern anwächst, brauchen wir diese Initiativen, Vereine und Projektträger. Wir sollten ihnen auch von dieser Stelle aus herzlich für die Arbeit danken, die sie leisten. ({6}) Rechtsextremisten versuchen inzwischen, immer jüngere Menschen zu erreichen. Ein Mangel an historischer Bildung und soziale Notlagen wirken bei ihrem Agieren begünstigend. Die Fraktion Die Linke wird auch in diesem Jahr eine ganze Reihe von Forderungen zur Veränderung des Etats einbringen. Das gilt gerade für den Bereich Familien und Jugendliche. Diese Forderungen sind uns teuer. Deren Umsetzung kostet nicht etwa 150 Milliarden Euro, wie hier immer gesagt wird. Im vergangenen Jahr haben wir Mehrausgaben in Höhe von 28 Millionen Euro vorgeschlagen, die gedeckt waren. Davon entfiel etwa die Hälfte auf diesen Bereich. Wir wollen uns auch weiterhin an dem Grundsatz orientieren: Den Kindern soll es einmal besser gehen. ({7}) Frau Ministerin, insgesamt muss ich feststellen: Ihr Etat für das Jahr 2009 zeigt die gleichen Merkmale wie der Etat des Bundes insgesamt. Sie verzichten auf eine notwendige politische Gestaltung. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner der Großen Koalition. So geht Zukunft nicht, aber es geht immer auch anders. Deshalb bietet die Fraktion Die Linke hier auch zahlreiche Alternativen an. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Ekin Deligöz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist die nächste Rednerin.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden jetzt über einen Zukunftshaushalt und darüber, dass die Familien die Zukunft dieses Landes sind. ({0}) Leider muss ich nach den Reden - auch der von Ihnen, Frau Ministerin - aber sagen, dass Sie hier Erfolge feiern, die keine sind. Zukunft fängt heute an. Sie verschieben die Lösung gegenwärtiger Probleme in die Zukunft. Das sind keine Lösungsvorschläge, die wir jetzt umsetzen können. ({1}) Ich nenne Ihnen dazu ein paar Beispiele: Beispiel Nummer eins: Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie sagen, Sie haben mit dem Ausbau der Kinderbetreuung hier eine ganze Menge erreicht. Gleichzeitig sagen Sie aber, der Rechtsanspruch kommt frühestens 2013. ({2}) Meine Tochter, die jetzt ein Jahr alt ist, wird im Jahr 2013 bereits in der Schule sein. Wir brauchen die Kinderbetreuung jetzt und nicht irgendwann in der Zukunft. ({3}) Wir brauchen Ganztagsplätze. In Bayern wird ein Großteil der Kindergärten - wir reden noch nicht über Kinderkrippen - innerhalb der nächsten halben Stunde schließen. Glauben Sie, dass dort auch nur eine Teilzeiterwerbstätigkeit möglich wäre, die zu fördern eigentlich eine Intention des Elterngelds gewesen ist? ({4}) Herr Singhammer.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bin immer ganz gerührt, wenn die Handhabung der Geschäftsführung durch Redner und Zwischenrufer sozusagen gleich selbst in die Hand genommen wird, Präsident Dr. Norbert Lammert aber ich stelle fest, dass es ein Interesse an einer Zwischenfrage des Kollegen Singhammer gibt, der hiermit das Wort erhält. Bitte schön.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin Deligöz, Sie haben gerade die Situation in Bayern angesprochen und erwähnt, die Kindergärten würden in der nächsten halben Stunde schließen. Das wäre gegen 11.35 Uhr. Sie haben damit auch auf die Diskussion über Kindergerechtigkeit und die Erwerbstätigkeit der Frauen hingewiesen. Ist Ihnen bekannt, dass die Erwerbstätigkeit der Frauen in Bayern bei 67 Prozent und damit weit über dem Bundesdurchschnitt liegt? Ist das nicht auch ein Zeichen dafür, dass wir gerade in Bayern mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon ziemlich weit gekommen sind? ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Singhammer, ich finde es sehr schön, dass Sie ausgerechnet dieses Beispiel bringen. Mir ist die Zahl von 67 Prozent durchaus bekannt. Aber lesen Sie dazu die Analyse verschiedener Gewerkschaften! Daraus ergibt sich, dass gerade in Bayern ein sehr großer Anteil von Frauen erstens in Teilzeit und zweitens in schlechtbezahlten Dienstleistungsberufen arbeitet. Das ist die Realität der Frauen. Dagegen werden Sie in gutbezahlten Ganztagsjobs in Bayern immer weniger Frauen finden, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Bereich überhaupt nicht gewährleistet ist. Ihre Ministerin Stewens, die damals ein Kinderbetreuungsgesetz durchgesetzt hat, hat seinerzeit gesagt: In Bayern müssen wir anfangen, die Betriebswirtschaftlichkeit in die Kindergärten hineinzutragen, denn dort gibt es noch Sparpotenziale. - Das ist die bayerische Politik für Familien und Kinder.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun möchte die Kollegin Schmidt eine weitere Zwischenfrage stellen. Bitte schön.

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, ist Ihnen auch bekannt, dass die hohe Frauenerwerbstätigenquote, die es in Bayern zweifelsohne gibt, vor allen Dingen daraus resultiert, dass dort ein überproportional hoher Anteil von Frauen bereits zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr erwerbstätig ist, also keine weiterführende Ausbildung hat und nicht studiert? Betrachten Sie das als Vorteil? ({0})

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Kollegin Schmidt, Sie haben in der Tat recht. Genau das bestätigt die These, dass ein Großteil der Frauen in Bayern in schlechtbezahlten und unqualifizierten Jobs in Teilzeit beschäftigt ist. Das ist aber nicht die richtige Antwort in der heutigen Situation, in der es einen Fachkräftemangel gibt und sich Frauen von ihrem Verdienst sehr wohl selbst ernähren wollen und dies oftmals auch müssen. ({0}) - Wir reden gerade über Bayern. ({1}) - Sie können sich zu einer Zwischenfrage melden, die ich dann gerne beantworte. Ja, Frau Schmidt, Sie haben recht. Ich hoffe, das ist auch bei Herrn Singhammer so angekommen. ({2}) Jetzt komme ich zum Beispiel Nummer zwei: die Qualität der Kinderbetreuung. Sie alle reden über die Qualität der Kinderbetreuung, und auch die Frau Kanzlerin hat warme Worte für die Erzieherinnen gefunden. Gleichzeitig findet sich in Ihren Vorhaben rein gar nichts zur Qualitätssteigerung. Wo sind Ihre Vorschläge zu einem Qualitätssiegel? Wo ist die Aufwertung der Erzieherinnenausbildung? Wo sind verbindliche Grundstandards für die Erzieherinnenausbildung und die Tagespflegepersonen? Nichts davon steht hier drin. ({3}) Aber Sie sagen: Wir machen ein Onlineportal. - Ein Onlineportal als Weiterbildungsmaßnahme von Erzieherinnen, ich bitte Sie. Wenn die Qualifizierung von Menschen, die mit Menschen arbeiten, online stattfinden könnte, dann könnte die Medizinerausbildung in Zukunft um einiges billiger gestaltet werden. Sie glauben doch wohl selber nicht, dass ein Onlineportal ein wirksames Instrument zur Qualifizierung von Erzieherinnen ist. ({4}) Aber kommen wir zu den Familienleistungen. Sie haben kurz vorgetragen, warum alle anderen Ideen jenseits Ihrer Ideen die falschen sind. Um die Familienleistungen zielgenauer neu zu gestalten, haben Sie viele Millionen Euro ausgegeben und viele Wissenschaftler eineinhalb Jahre damit beschäftigt, das Ganze zu analysieren. Wir wussten auch schon vorher, dass die Familienleistungen heute unübersichtlich, uneffektiv und uneffizient sind. Jetzt, eineinhalb Jahre später, wissen wir: Die Familienleistungen sind uneffektiv, uneffizient und unübersichtlich. Was ist der qualitative Gewinn aus den Millionen, die Sie für dieses Kompetenzzentrum ausgegeben haben? Nichts, rein gar nichts, ({5}) abgesehen von der Tatsache, dass Sie nun sagen können, dass alles, was in eine andere Richtung geht, nur falsch sein kann. Sie wissen sehr wohl, dass es auch anders gehen kann. Ich glaube aber, dass Sie sich nicht trauen, beispielsweise die Eheförderung abzuschaffen, erst recht nicht im bayerischen Wahlkampf; denn es geht darum, Ideologien zu verteidigen, die nicht die Ihrigen sind, wohl aber die Ihrer Partei. ({6}) Sicherlich kann man das Kindergeld erhöhen. Dafür gibt es gute Gründe. Aber was machen Sie? Diejenigen, die mehr als 60 000 Euro im Jahr verdienen und den Steuerfreibetrag nutzen können, bekommen mehr als diejenigen, die weniger verdienen. Diejenigen, die gar nichts verdienen, die am unteren Ende sind, die von Armut betroffen sind, also die ALG-II-Bezieher, gehen leer aus. Wir brauchen keine neuen Studien und keine neuen Expertisen. Wir wissen, dass die Sätze zu niedrig sind. Wir brauchen keine neuen Erkenntnisse; denn die Fakten sind uns bekannt. Wir müssen endlich handeln, und zwar nicht nach dem Gießkannenprinzip. Wir müssen Armut bekämpfen und dürfen nicht Almosen in diesem Land verteilen. ({7}) Frau Ministerin, Sie verschieben die Lösungen der Probleme unserer Zeit auf die Zukunft. Sie sind auch Ministerin für Frauen und Senioren. Dazu haben wir in Ihrer Rede leider gar nichts gehört; das fand nicht statt. Bei Ihnen kommen Frauen leider nur als Mütter vor. Ich finde es falsch, dass ausgerechnet Sie diese Reduktion vornehmen. Die Grünen haben mehr als einen Antrag zur Frauenpolitik eingebracht. Ich erwarte von Ihnen demnächst eine frauenpolitische Rede. Die Vorlagen dazu liefern wir Ihnen gerne. Danke schön. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Ole Schröder ist der nächste Redner für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Familienpolitik hat sich mit Kanzlerin Merkel und Familienministerin von der Leyen zum wichtigsten Politikfeld innerhalb dieser Regierung entwickelt. ({0}) Das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird in den nächsten Jahren noch an Bedeutung gewinnen; denn die Herausforderungen der demografischen Entwicklung sind enorm. Wir sind gefordert, in unserer Politik noch mehr Rücksicht auf die älteren Menschen zu nehmen. Wir sind gefordert, noch mehr für Familien mit Kindern zu tun, damit sich gerade junge Menschen dazu entschließen können, ihren Kinderwunsch zu realisieren. Wir sind gefordert, mit unserer Kinder- und Jugendpolitik allen Jugendlichen eine Perspektive zu geben, sodass niemand zurückbleibt, insbesondere nicht benachteiligte Jugendliche wie Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Jugendliche, die sich in links- oder rechtsradikale Gruppen verirrt haben. ({1}) Der Staat muss alles dafür tun, damit Kinder und Jugendliche nicht auf die schiefe Bahn geraten. Wir Christdemokraten wissen aber auch, dass der Staat die Eltern nicht ersetzen kann. ({2}) Wir wehren uns deshalb gegen staatliche Bevormundung. Wo Kinder am besten aufgehoben sind, wer für das Familieneinkommen sorgt, das ist in erster Linie eine private Entscheidung der Familie. Den Familien Wahlfreiheit zu geben, die sie brauchen, um ihre beruflichen Ziele und ihre Familienplanung unter einen Hut zu bringen, ist unser Anliegen. Die Lebenswirklichkeit junger Familien sieht heute anders aus als vor Jahrzehnten. Heute sind die meisten Familien auf zwei Erwerbseinkommen angewiesen. Junge Frauen sind heute genauso gut, wenn nicht sogar besser ausgebildet als junge Männer. Familien zu stärken, bedeutet deshalb, junge Paare von dem Zwang zu befreien, sich zu entscheiden: entweder Beruf oder Familie. Die niedrigen Geburtenraten in den vergangenen Jahren zeigen uns: Wenn es nur ein Entweder-oder und kein Sowohl-als-auch gibt, dann ist es häufig der Kinderwunsch, der am Ende auf der Strecke bleibt. Den traditionellen Wert Familie können wir nur bewahren, wenn wir Familie auf moderne Art und Weise unterstützen. Deshalb treiben wir die Kinderbetreuung wie keine andere Regierung zuvor voran. Ab 2013 wird es einen Anspruch auf Kinderbetreuung auch für die Ein- bis Dreijährigen geben. Diejenigen, die dies nicht in Anspruch nehmen, haben einen Anspruch auf Betreuungsgeld. Die Wahl liegt bei den Eltern. ({3}) Als Bund haben wir die haushalterische Grundlage dafür geschaffen. Jetzt liegt es an den Kommunen und Ländern, dieses Programm möglichst zügig voranzubringen. Zur Wahlfreiheit gehört vor allen Dingen die direkte finanzielle Unterstützung der Familien. Deshalb setzen wir als Koalition hier einen wichtigen Akzent. Es ist selten, dass ein Haushälter sich darüber freut, dass die Ansätze steigen, also mehr Geld ausgegeben wird. Ein Beispiel, bei dem das aber der Fall ist, ist das Elterngeld. Die Geburtenrate ist leicht angestiegen, auch die Vätermonate werden hervorragend angenommen. ({4}) Deshalb ist das Elterngeld mit 4,175 Milliarden Euro höher veranschlagt, als ursprünglich geplant; es sind 125 Millionen Euro mehr. Einen weiteren Schwerpunkt haben wir in diesem Jahr auf den Kinderzuschlag gelegt. Die Ausgaben für den Kinderzuschlag werden im Haushalt 2009 ebenfalls erheblich aufgestockt. Für das Jahr 2008 waren es noch 150 Millionen Euro, und jetzt planen wir mit 362 Millionen Euro. Mit der Absenkung der Einkommensgrenzen und der Anrechnungsquote sowie der Entfristung des Kinderzuschlages weiten wir den Empfängerkreis erheblich aus. Wir holen einkommensschwache Familien aus der Sozialhilfe heraus. Vor allen Dingen schaffen wir Anreize, das Einkommen durch Erwerbstätigkeit zu verdienen. Es ist der beste Schutz gegen Kinderarmut, wenn die Familien ihr Einkommen selbst verdienen können. ({5}) Die zentrale familienpolitische Leistung, um Familien finanziell zu unterstützen, ist nach wie vor das Kindergeld. Es wundert mich schon, dass ausgerechnet die politischen Kreise, die ständig insbesondere höhere Sozialhilfe fordern, den Eltern, die Kindergeld bekommen, unterstellen, dass dieses Kindergeld für Schnaps, Zigaretten und andere Dinge ausgegeben wird, aber nicht für die Kinder. ({6}) Diejenigen, die so etwas sagen, verkennen komplett die Familienrealität in Deutschland, dass sich eben die meisten Familien für ihre Kinder lang machen und für sie bis an die Grenzen des Möglichen gehen. Deshalb ist es richtig, dass wir als Koalition uns darauf verständigt haben, auf der Basis des kommenden Existenzminimumsberichts eine Erhöhung des Kindergeldes vorzunehmen. Hieran dürfen wir nicht rütteln, denn - die Ministerin hat es gesagt - die Kosten für die Familien sind erheblich angestiegen. ({7}) Jeder muss wissen, dass der in die Diskussion eingebrachte Wechsel vom heutigen Freibetrag zu einem Grundfreibetrag bedeutet, dass alle Menschen mit Kindern, die Steuern zahlen, in Zukunft mehr Steuern zahlen müssen als heute. Das kann nicht im Ernst unser Ziel sein. ({8}) Die Geburtenrate ist gestiegen. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen. Ich freue mich auf gute Beratungen. Die Familienministerin hat unsere Unterstützung, die Unterstützung der Koalition, ({9}) und wir sollten weiterhin wichtige Akzente in der Familienpolitik setzen. ({10})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es tut mir in der Seele weh, Frau Kollegin Kressl, aber Zusatzfragen nach Ablauf der Redezeit sind selbst bei großzügiger Interpretation der Geschäftsordnung nicht möglich. Ihr Beitrag kann jetzt nur im Wege einer Kurzintervention erfolgen, bei der nach dem Sinn unserer Geschäftsordnung die Betonung auf der ersten Silbe liegt. Bitte schön, Frau Kollegin.

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Da ich mich auf eine Zwischenfrage eingerichtet hatte, wird die Kurzintervention entsprechend sein. Herr Kollege, nachdem Sie gerade über die Umstellung von dem Kinderfreibetrag auf den Kindergrundfreibetrag philosophiert und erklärt haben, dass dies alle Familien mit Kindern steuerlich schlechter stellen würde, will ich hier klarstellen: Dies ist ausdrücklich nicht der Fall. Im Zweifel verteidigen Sie ausschließlich Familien mit einem sehr hohen zu versteuernden Einkommen. Das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zur Erwiderung, Herr Kollege Schröder. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin, das Problem des von Ihnen vorgeschlagenen Systemwechsels ist doch: je mehr Kinder, desto stärker die Auswirkung des Systemwechsels, und zwar in negativer Art und Weise. ({0}) Mit jedem Kind steigt man bei der Besteuerung des verfügbaren Einkommens in einen höheren Tarif auf. Es kann doch wohl nicht ernsthaft sein, dass Sie Familien mit vielen Kindern höher besteuern wollen. ({1}) Wir sollten bei dem bewährten System bleiben. Wir lehnen Steuererhöhungen für Familien mit vielen Kindern strikt ab. Dieser Vorschlag wird sich in den Koalitionsverhandlungen hoffentlich nicht durchsetzen. Wir wollen etwas für Familien mit Kindern tun. Deshalb ist der Vorschlag der Familienministerin genau richtig, das Kindergeld zu erhöhen. Dies würde sich gerade für Familien mit mittleren Einkommen positiv auswirken. Wir müssen uns überlegen, ob es nicht sinnvoll ist, gerade die Familien mit vielen Kindern dadurch zu entlasten - schließlich wollen wir sie nicht weiter belasten -, dass wir ihnen ein höheres Kindergeld zur Verfügung stellen, weil es diese Familien besonders schwer haben, wenn beide Eltern arbeiten. Die Kosten für Familien mit Kindern sind entsprechend hoch. Deshalb ist Ihr Vorschlag familienfeindlich und strikt abzulehnen. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Otto Fricke für die FDP-Fraktion. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir können uns doch einfach auf Folgendes einigen: Der SPD-Vorschlag - das hat die Ministerin richtig festgestellt - sieht einen Kinderhöchstfreibetrag vor. Nichts anderes ist es, das ist ganz einfach. Genau das wollen Sie von der SPD einführen. Sie wollen an der einen Stelle kappen, um an der anderen Stelle mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Sie haben genau benannt, bei wem Sie kappen wollen, nämlich bei den Leistungsträgern, und Sie haben genau gesagt, wem Sie etwas geben wollen. Damit ist das klar, das ist in Ordnung. Aber dann sollten Sie das auch sagen und sich nicht hinter einem Scheinwort verstecken. ({0}) So wie viele von uns bin ich letzthin von einer Wahlkampfreise aus Bayern zurückgekommen - keine Angst, es kommt kein Wahlkampf - und wurde von meinem Sohn mit folgenden Worten begrüßt: Papa, ich habe zum ersten Mal Post von der Bundesrepublik Deutschland bekommen. Auch seine beiden Schwestern - die Jüngste ist fünf Jahre alt - haben Post von der Bundesrepublik Deutschland bekommen. - Das war kein familienfreundlicher Willkommensgruß, Frau Ministerin. Das war nichts anderes als ein Schreiben des Bundeszentralamtes für Steuern mit folgendem Inhalt - die Anrede war an eine Fünfjährige gerichtet, sie gilt übrigens auch für Neugeborene -: Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr, das Bundeszentralamt für Steuern hat Ihnen die Identifikationsnummer … zugeteilt. ({1}) Sie wird für steuerliche Zwecke verwendet und ist lebenslang gültig. Sie werden daher gebeten, dieses Schreiben aufzubewahren … - Willkommen im Steuerland Deutschland, auf Wiedersehen zum Kinderland Deutschland, Frau Ministerin, kann ich dazu nur sagen. ({2}) - Auch für dieses Schreiben ist sie verantwortlich; denn dieses Kabinett, bei dem im Moment kaum noch jemand da ist - selbst das Kanzleramt und das Finanzministerium sind nicht mehr vertreten -, hat die Voraussetzungen für einen solchen Blödsinn geschaffen. Meine Damen und Herren, es ist schon interessant: Da man nun weiß, dass die Schulden von heute, auch die Schulden, die Sie jetzt wieder machen werden, die Steuern von morgen sind, sagt man: Wenn wir schon wissen, dass wir morgen Steuern zahlen, dann wollen wir sehen, dass die Kinder von heute möglichst schnell zu den Steuerzahlern von morgen gemacht werden. - Dieses Prinzip steht inzwischen hinter Ihrer Politik. ({3}) Dann haben wir in der Vergangenheit immer über die vielen Familienleistungen geredet. Da stellt sich die Frage, wie Familienleistungen definiert werden bzw. was familiennahe Leistungen sind. ({4}) - Stellen Sie doch eine Zwischenfrage, wenn Sie wollen, dass ich zu einer anderen Sache komme. - Das jedenfalls, was da kommen sollte, kam nicht. Es kam keine Evaluierung der Familienleistungen, im Gegenteil. Das, was kam, war ein Arbeitsbericht „Zukunft für Familie“ vom Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen. Dann denkt doch jeder hier - auch der Kollege Kampeter hat das gedacht, wenn er ehrlich ist -, dass evaluiert und beschrieben wird, was gut und was schlecht ist. Ich hätte auch sagen können: was schlecht und was noch schlechter ist. Aber welche Antworten erhalten wir? Wir erhalten als Antwort nur den Hinweis, an welcher Stelle man mehr Leistungen braucht. Alle Leistungen sind richtig, alles läuft toll, und eigentlich müssen wir nur noch ein bisschen mehr haben. Dann wird gesagt: Okay, mehr Geld, eine größere Väterkomponente beim Elterngeld, mehr Kinderzuschlag, mehr Kindergeld und mehr familienunterstützende Dienstleistungen. - Das Ganze am besten noch mit den Ländern zusammen und möglichst außerhalb der Bundeskompetenz. Das Ergebnis dieses Berichtes ist doch, dass die Koalition der Meinung ist, sparen für Kinder sei nicht notwendig. Genau das ist der Irrweg, den Sie nach meiner Meinung und der Meinung der FDP-Fraktion beschreiten. Anstatt zu schauen, an welcher Stelle Geld bei Kindern überhaupt noch ankommt, sagen Sie, die Hauptsache sei, irgendjemandem Geld zu zahlen, damit Sie belegen können, eine gewisse Leistung erbracht zu haben. ({5}) Ob das Geld wirklich bei den Kindern ankommt, scheint Sie nicht wirklich zu interessieren. ({6}) Wenn die Frage gestellt wird, wo wir kürzen wollen, dann sage ich Ihnen: Es geht gar nicht darum, zu kürzen. Ich will wissen, welche Leistung von den Leistungsträgern, die die Verantwortung tragen, nicht bei denjenigen ankommt, die in unserer Gesellschaft schwach sind; denn wenn ich weiß, welche Leistungen nicht ankommen, dann kann ich dafür sorgen, dass die finanziellen Mittel, die wir haben, dort ankommen, wo sie hingehören, nämlich bei den Schwächsten unserer Gesellschaft. Das wäre eigentlich das Ziel, aber nicht immer nur neu aufzuplustern. ({7}) Es fällt überhaupt auf: Die ganze Debatte, die wir hier führen, verläuft nach dem Motto: Obwohl wir alle wissen, dass Geld alleine nicht glücklich macht, ist es doch schön, wenn wir als Politiker möglichst viel Geld versprechen. - Das kann es nicht sein. Diese komische Orientierung am Geld kennzeichnet auch die CSU in Bayern. Sie scheint zu glauben, dass es richtige wäre, den Wählern zu erklären, dass sie diese mit Geld glücklich macht. Das ist in den Debatten hier ähnlich. Frau Ministerin, Sie haben mit Sicherheit den Artikel in der Welt von Frau Siems gelesen. Ich kann ihr nur zustimmen. Nie zuvor war Familienpolitik so ökonomistisch, so sozialtechnokratisch wie zuzeiten der gegenwärtigen Großen Koalition. ({8}) Dabei geht es doch um etwas ganz anderes. Es geht um die Frage, was uns Kinder wert sind. Sie sind uns, so glaube ich, unendlich viel wert; denn das, was von uns allen bleiben wird, sind die Kinder. Sie sind unsere Zukunft, und zugleich sind sie das Spiegelbild unseres eigenen Tuns im Hier und Heute. Für die Haushaltsberatungen hoffe ich, dass es ein besseres Tun wird und dass die Vorschläge besser werden als die, die bisher vorliegen. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile nun der Kollegin Caren Marks, SPD-Fraktion, das Wort. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Wind der Veränderung weht, versuchen einige Leute, Schutz zu bauen, und andere Windmühlen. - Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nutzen den Wind der Veränderung für eine moderne und gerechte Kinder- und Familienpolitik. Wir waren und sind die treibende Kraft, und das bereits seit zehn Jahren in Regierungsverantwortung. ({0}) In Deutschland hat Bildung für Kinder frischen Wind unter die Flügel bekommen. Die SPD hat ein erfolgreiches Ganztagsschulprogramm aufgelegt und den Startschuss für den Ausbau der Kinderbetreuung gegeben. Einige Gegnerinnen der Reformen von damals sind heute glühende Befürworterinnen. ({1}) Wir heißen alle herzlich Willkommen im Fanclub der Krippen und Ganztagsschulen. ({2}) In der Großen Koalition sind wir beim Ausbau der Kinderbetreuung nochmals einen Riesenschritt vorangekommen. Zusammen mit den Ländern und Kommunen haben wir uns darauf verständigt, das Betreuungsangebot für Kinder unter drei Jahren deutlich zu verbessern. Damit es hierbei wirklich zu einer Verlässlichkeit für Kinder und Eltern kommt, führen wir den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz ab eins ein. Der Bund beteiligt sich bis 2013 mit insgesamt 4 Milliarden Euro am Ausbau. Ein weiterer Erfolg ist die dauerhafte jährliche Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten. Das ist ein Novum, und es ist richtig. Das alles macht deutlich: Wir investieren in die Zukunft, in eine gute Kinder- und Familienpolitik. Kitas machen fit für das Leben und auch fit für die Schule. Dort lernen Kinder im wahrsten Sinne des Wortes spielend, und zwar miteinander und voneinander. Gute Kita-Angebote von klein auf sind in skandinavischen Ländern längst selbstverständlich. Es wurde höchste Zeit, dass wir an dieser Stelle wirklich aufholen. Neben dem Ausbau der Betreuungsplätze brauchen wir eine gezielte Qualitätsoffensive. Die SPD will vor allem Verbesserungen bei der Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte und einen besseren Betreuungsschlüssel. ({3}) Wir freuen uns darüber, dass wir uns mit der Union darauf verständigt haben, die bewährten Strukturen der Finanzierung der Kinderbetreuung zu erhalten. Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von privat-gewerblichen Trägern eingesetzt werden. Gute Bildung für alle von Anfang an ist ein zentraler Schlüssel für gesellschaftliche Teilhabe, für Aufstiegschancen und für Zukunftsperspektiven. Neben guter Bildung und Betreuung ist der SPD auch die finanzielle Förderung von Familien wichtig. Wir haben den Kinderzuschlag eingeführt, und er hat sich bewährt. Deshalb war es richtig und auch wichtig, dass wir ihn in der Großen Koalition gemeinsam weiterentwickelt haben. Der Kinderzuschlag hilft gezielt Familien mit geringem Einkommen. Sie profitieren auch von der bereits beschlossenen Wohngelderhöhung, die nach bisherigem Stand am 1. Januar des nächsten Jahres in Kraft treten soll. Wir Familienpolitikerinnen und Familienpolitiker der SPD setzen uns für ein Vorziehen der anstehenden Wohngelderhöhung ein. Mit der Kombination aus Kinderzuschlag und Wohngeld werden wir 250 000 Kinder erreichen, mehr als doppelt so viele wie bisher. Das ist ein Erfolg. ({4}) Familien mit Neugeborenen unterstützen wir zielgerichtet mit dem Elterngeld. Es ist Einkommensersatz für wegfallendes Einkommen des betreuenden Elternteils. Bereits anderthalb Jahre nach der Einführung können wir wirklich festhalten: Das von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten konzipierte und von der Großen Koalition umgesetzte Elterngeld ist ein Erfolgsmodell. Besonders freut mich die anwachsende Zahl der Väter, die sich dank des Elterngeldes mehr Zeit für ihre Kinder nehmen - ein wichtiger Schritt zu mehr partnerschaftlicher Aufgabenteilung und auch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die bayerischen Väter können froh sein, dass wir uns gegen die „Wickelvolontariatskampagne“ durchgesetzt haben. ({5}) Denn auch in Bayern werden die Partnermonate gut und gern in Anspruch genommen. Mittlerweile sind auch Sie stolz darauf. Das freut uns. Für die SPD ist es nicht wirklich überraschend, dass die Linksfraktion auch beim Thema Elterngeld rückwärtsgewandt ist. Sie wünschen sich das alte Erziehungsgeld zurück. Damit würden Sie, meine Damen und Herren von der Linksfraktion, vor allem Frauen mit geringem Einkommen und Empfängerinnen von Transferleistungen wirklich einen Bärendienst erweisen; denn das alte Erziehungsgeld hat einen langen Berufsausstieg von Müttern gefördert und Väter von der Elternzeit abgehalten. Dieser Ansatz passt zum verstaubten Familienbild Ihrer familienpolitischen Stimme aus dem Saarland, Ihrer Christa Müller. ({6}) Die SPD hat in ihrer zehnjährigen Regierungsverantwortung bewiesen: Uns ist die finanzielle Unterstützung für Familien wichtig. Dreimal haben wir, die SPD, das Kindergeld erhöht, insgesamt um 37 Prozent. Die vierte Erhöhung ist in Arbeit; darauf haben wir uns in der Großen Koalition verständigt. Über die langfristige Ausgestaltung gibt es allerdings - das kam heute schon mehrfach zur Sprache - unterschiedliche Vorstellungen. ({7}) Wir wollen die Ungerechtigkeit beseitigen, die darin besteht, dass Familien mit höheren Einkommen über den steuerlichen Kinderfreibetrag mehr Geld bekommen als Familien mit geringeren Einkommen, die ausschließlich Kindergeld erhalten. Deshalb begrüßen wir, dass hierzu im Bundesfinanzministerium Lösungen erarbeitet werden. Für uns gilt: Jedes Kind sollte dem Staat gleich viel wert sein. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Falk?

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sofort, wenn ich den einen Gedanken noch zu Ende gebracht habe, Frau Falk. An dieser Stelle, Frau von der Leyen, würden wir uns wirklich wünschen, Sie würden, statt mathematisch mehr als fragwürdige Rechnereien beim Thema „Kindergeld und Kindergrundfreibetrag“ anzustellen, Ihre Hausaufgaben bei der Überprüfung der Effizienz der familienpolitischen Leistungen machen; da ist in der Tat noch viel zu tun. ({0})

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Marks, jetzt kann ich es Ihnen doch nicht ersparen, Sie zu fragen, ob Sie sich darüber im Klaren sind, welchen Hintergrund die Systematik der steuerlichen Entlastung eigentlich hat. Die Steuerfreibeträge und auch die Kinderfreibeträge sind keine originären familienpolitischen Leistungen und stellen keine Förderung von Familien dar. Vielmehr trägt das dem Tatbestand Rechnung, dass der Staat berechtigt ist, Steuern einzuziehen, Einkommen mit Steuern zu belegen und das Steueraufkommen für Aufgaben für die Allgemeinheit zu verwenden. Eine gemeinsame Beschlusslage unserer Steuerpolitik lautet aber: Es ist ein Teil des Einkommens von der Belegung mit Steuern freizustellen, weil er von vornherein einer anderen Aufgabe zugeordnet ist und nicht noch ein zweites Mal beansprucht werden darf. Das sind zum Beispiel die Unterhaltsleistungen für Ehegatten. Das sind die Unterhaltsleistungen und die Ausgaben für die Kinder. Wenn man sich das einmal klarmacht, dann wird deutlich, dass es um eine ganz bestimmte Summe geht, die dafür zur Verfügung gestellt wird. ({0}) - Ja. Ich habe die Frage gestellt, ob sich die Kollegin darüber im Klaren ist, dass die Steuersystematik so ist und deswegen der Weg, der jetzt offensichtlich über den Grundfreibetrag eingeschlagen wird, ein grundverkehrter ist. ({1})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Falk, uns und auch mir persönlich ist die Steuersystematik gut bekannt. Es freut mich, dass auch Sie begonnen haben, sich damit auseinanderzusetzen. Es gibt aber auch bei der bestehenden Steuersystematik Spielräume, etwaige Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Wir haben vorhin schon deutlich gemacht, dass es darum geht, die Ungerechtigkeit dort zu beseitigen, wo sehr gut verdienende Eltern von diesem Freibetrag besonders profitieren. ({0}) Mit dieser Ungerechtigkeit wollen wir aufräumen. Wir sind auf einem guten Weg. Sie haben Ihre Position deutlich gemacht. Wir verfolgen einen anderen Ansatz. ({1}) Wir werden weiter für frischen Wind nicht nur in der Kinder- und Familienpolitik, sondern auch in der Gleichstellungs-, Jugend- und Seniorenpolitik sorgen: Wir stehen für eine aktive Gleichstellungspolitik. Wir wollen gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und mehr Frauen in Führungspositionen. Wir stehen für einen gesetzlichen Mindestlohn; denn davon würden insbesondere Frauen profitieren. Wir als SPD stehen für eine Politik, die Kinder und Jugendliche stark macht und beteiligt. Deshalb ist für uns klar: Kinderrechte gehören ins Grundgesetz. Die SPD steht dafür, die Potenziale des Alters zu erkennen. Die demografische Entwicklung ist eine Chance. Die wollen wir nutzen, um die soziale Gesellschaft zu stärken und Generationensolidarität in diesem Land zu leben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regierung feiert sich und den angeblichen Aufschwung ({0}) und brüstet sich damit, wie sparsam sie gewirtschaftet hat und dass dies bei allen angekommen ist. Zynismus, sage ich dazu nur. Eine Politik, die Großunternehmen und Vermögende durch fortlaufende Steuerentlastung fördert und für Arbeitslose nur immer neue Drangsalierungen übrig hat, beschädigt die Demokratie, zerstört den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in diesen Staat. ({1}) Die wenigsten Familien und Kinder spüren nämlich etwas vom angeblichen Aufschwung. Sie reden immer davon, dass der Aufschwung bei allen angekommen ist. Wir wissen doch inzwischen, dass er letztlich bei nur 16 Prozent der Bevölkerung angekommen ist und Familien oder Kinder so gut wie nichts davon verspüren. Gespart wird im Haushalt auf deren Kosten. Es sei kein Geld da, heißt es. Was kostete zum Beispiel der Kinderzuschlag bislang? 150 Millionen Euro. Und es wurde drei Jahre darüber debattiert. Was ist vor drei Tagen von der KfW verschossen und versenkt worden? 300 Millionen Euro! Damit hätte man die Ansätze für den Kinderzuschlag und das Elterngeld im Haushalt fast verdoppeln können. Apropos verschossen: Sie haben nichts Besseres zu tun, als die Auf- und Umrüstung der Bundeswehr für Auslandseinsätze kompromisslos umzusetzen ({2}) und den Verteidigungshaushalt im Vergleich zum Vorjahr um etwa 1,6 Milliarden Euro aufzustocken. ({3}) - Gestern wurde bei der Beratung über den Verteidigungshaushalt ja nur über Einsätze gesprochen und nicht über den Haushalt. Dieser Aufrüstungskurs der Bundesregierung ist nicht nur sicherheitspolitisch falsch, sondern reduziert auch auf drastische Art und Weise den finanziellen Handlungsspielraum, um die drängenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen: Gesundheit, Bildung, Kampf gegen Kinderarmut oder Armut im Alter. ({4}) Lassen Sie uns doch nur einmal die Kosten für den Eurofighter aus dem Verteidigungshaushalt 2009 herausrechnen und sie hypothetisch dem Familienhaushalt zuführen. Von diesem Geld könnten in jedem der knapp 300 Wahlkreise zehn Kindergärten à vier Gruppen oder vier Grundschulen für je 200 Schüler und zwei Pflegeheime für je 60 Pflegebedürftige gebaut werden. Ich wiederhole: in jedem einzelnen Wahlkreis! Jetzt erklären Sie einmal den Bürgern, warum es vor Ort keine Grundschule mehr gibt, warum es nicht genügend Kindertagesplätze gibt, warum es keine Pflegestellen gibt, aber stattdessen superteure Kampfflugzeuge, mit denen man Kriege führen kann. Das erklären Sie einmal den Leuten vor Ort. ({5}) Man könnte auch die Angleichung der Lebensverhältnisse zwischen Ost und West damit erreichen, zum Beispiel im Westen verstärkt Kindergärten bauen und im Osten die Renten anpassen - als steuerfinanzierte Folgekosten der Einigung. Oder verstehen Sie unter Angleichung der Lebensverhältnisse, dass ein sächsischer und ein bayerischer Soldat gemeinsam in einem Kampfjet sitzen? Dann allerdings haben Sie Ihr Ziel erreicht. Die Kritik von mir und meiner Fraktion von vor drei Jahren ist nach wie vor aktuell. Ich wiederhole, was schon am 1. Dezember 2005 ausgesprochen wurde: Denn eine Gesellschaft, die sich im Wesentlichen dem Diktat des Geldes und der Ökonomie unterwirft, eine Gesellschaft, die nach dem Motto „Rechnet sich das überhaupt?“ handelt, kann nicht familien- und kinderfreundlich sein. ({6}) Durch die Familienpolitik der Bundesregierung zieht sich eben eine tiefe Kluft. Besserverdienende Eltern werden gefördert, und Familien mit geringem Einkommen haben das Nachsehen. ({7}) Genau das ist das Verwerfliche an den ganzen Gesetzgebungsverfahren: Bei der Umsetzung mangelt es immer an der sozialen Ausgestaltung. Schon vor knapp drei Jahren habe ich Sie gefragt: Können Sie nicht oder wollen Sie nicht? Inzwischen weiß ich, Sie wollen nicht. ({8}) - Sie waren bei der Anhörung nicht dabei. - Obwohl bei der Anhörung zum Elterngeld letzten Dienstag von allen Sachverständigen trotz des guten Ansatzes die soziale Schieflage in der Ausführung angemahnt wurde, wird das entsprechende Gesetz durch die Koalition nicht geändert. Das ist kein Einzelbeispiel. ({9}) Zu guter Letzt noch ein Blick nach Bayern. Alle reden ja von Bayern. „Vorfahrt für Kinder“ heißt es im Programm der CSU für Bayern. ({10}) Von der CSU als reiches Land gefeiert, leben dort aber doch immer mehr Kinder in Armut: Rund 130 000 Kinder leben auf Sozialhilfeniveau, und über 20 000 Kinder sind auf Hartz-IV-Leistungen angewiesen. ({11}) Die Bayern-CSU spart hemmungslos bei den Kindern. Mit 134 Euro, Herr Singhammer, ist Bayern bundesweit das Schlusslicht bei den Pro-Kopf-Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe. ({12}) Ich hoffe, dass das Herr Huber in Bayern auch einmal erzählt. Beschämend ist es allemal. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zu meinem Vorredner möchte ich mich ausschließlich auf den Einzelplan 17 konzentrieren. ({0}) Ich möchte zunächst die Frau Ministerin ansprechen. Nach Ihrer Rede hier und heute müssten Sie Ihr Ministerium eigentlich konsequenterweise umtaufen: Nennen Sie es künftig Familienministerium; ({1}) denn zu Senioren, Frauen und Jugendlichen haben Sie leider wieder einmal nichts zu sagen gehabt. ({2}) Was machen Sie zum Beispiel für Senioren? Welche Altenpolitik verfolgen Sie? Wie gestalten Sie den demografischen Wandel? Wann kämpfen Sie endlich für Geschlechtergerechtigkeit, insbesondere für gleichen Lohn für gleiche Arbeit bei Frauen und Männern? Das wären wichtige Punkte gewesen, zu denen wir gern etwas von Ihnen gehört hätten. Zum Einzelplan 17 war von Ihnen wenig zu hören. Stattdessen war vieles zu den aktuellen Konflikten in der Großen Koalition und insbesondere mit dem Finanzminister der SPD zu hören. ({3}) Neben der Kinder- und Familienpolitik fristet gerade die Jugendpolitik bei Ihnen ein Schattendasein. Frau von der Leyen, seitdem Sie Ressortchefin sind, sind die Jugendlichen zur „vernachlässigten Generation“ dieser Bundesregierung geworden. Das ist sehr schade und das ist ein Armutszeugnis, denn bessere Chancen für Jugendliche und deren Teilhabe sind zentral für die Zukunft unserer Gesellschaft und auch für unsere Gegenwart. Die Jugendlichen in unserem Land haben eine andere Regierung verdient. Sie haben eine Regierung verdient, die unter Jugendpolitik mehr versteht als Jugendgewalt, Computerspielverbote und Alkoholverbote. Jugendliche wollen nicht bevormundet werden. ({4}) - Die zwei Maß sind ein gutes Stichwort. Diejenigen, die immer Alkoholverbote fordern, präsentieren sich in Landtagswahlkämpfen offensichtlich ganz anders. Es geht aber um die Jugendlichen. Die Jugendlichen wollen selbstbestimmt leben, sie wollen ernst genommen werden. Dafür braucht es einen klaren Politikansatz. ({5}) Es ist unverantwortlich, dass jedes sechste Kind und sogar jeder vierte Jugendliche in Armut leben muss. Wie können Sie in dieser Situation die Mittel für die soziale und berufliche Integration Jugendlicher empfindlich kürzen? Wie können Sie es weiterhin unterlassen, die ALG-II-Leistungen für Kinder und Jugendliche zu erhöhen? Sie prüfen seit 2006. Sie müssen endlich zu Entscheidungen kommen, damit sich die Lage armer Kinder und Jugendlicher in diesem Land tatsächlich verbessert. ({6}) Wir können auch nicht nachvollziehen, wie Sie dazu kommen, die Mittel zur Chancenförderung in sozialen Brennpunkten komplett zu streichen. ({7}) Das richtet sich gerade an die Kolleginnen und Kollegen aus der SPD, denn in Zeiten immer stärkerer sozialer Spaltungen in unseren Städten ist das verantwortungslos. Statt zu streichen, müssen wir gerade mehrfach benachteiligte Jugendliche intensiver unterstützen. ({8}) Notwendig sind dafür eine starke Jugendhilfe und eine präventive Jugendpolitik, die niemanden zurücklässt. Stattdessen kürzen Sie teilweise die Mittel der freien Jugendhilfe. Das ist ein schlechtes Signal an die Jugendlichen in unserem Land, und das ist das genaue Gegenteil einer verantwortlichen und engagierten Jugendpolitik, die wir hier seit 2005 immer wieder einfordern. Der Haushalt 2009 wäre übrigens die letzte Chance der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode gewesen, Konzepte für eine verbesserte Teilhabe Jugendlicher auf den Weg zu bringen. Diese Chance haben Sie offensichtlich vertan. Ich möchte ein letztes Thema ansprechen. Sie sind auch Ministerin für den Zivildienst. Wenn Sie den Zivildienst durch eine wirklich mickrige Reform zum Lerndienst umtaufen wollen und gleichzeitig die Mittel für Lerndienst-Projekte halbieren, dann ist das ein gravierender Widerspruch. Auch dazu hätte ich gern etwas von Ihnen gehört. ({9}) Gucken Sie sich bitte die Zahlen an. Von Wehrgerechtigkeit kann in diesem Land seit Jahren überhaupt keine Rede mehr sein. Wir sagen, dass die Wehrpflicht völlig antiquiert ist. Sie behindert die Ausbildungschancen junger Männer, und deshalb wollen wir die Wehrpflicht abschaffen. ({10}) - Ja, auch der Zivildienst muss dann umgewandelt werden. Stattdessen ist es wichtig, dass wir eine tatsächliche und echte Offensive für Jugendfreiwilligendienste hinbekommen, bei der die Zahl der Plätze endlich verdoppelt wird, damit alle jungen Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten wollen, das auch tun können. Sie reden viel darüber, dass freiwilliges Engagement anerkannt werden soll. Tun Sie es hier ganz konkret! Hier können Sie Jugendliche und ihr Engagement fördern und wertschätzen, denn es kann nicht sein, dass Jugendliche in diesem Land nur Objekte einer konzeptionslosen Jugendschutzpolitik oder einer populistischen Verbotspolitik sind, die im bayerischen Landtagswahlkampf allerdings völlig konterkariert wird. Man denke an das geforderte Alkoholverbot.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das alles ist wichtig, damit wir in diesem Land tatsächlich eine engagierte Jugendpolitik und einen generationengerechten Haushalt haben. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Johannes Singhammer ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jetzt kommen wir vom Verteidigungshaushalt wieder zum Familienhaushalt zurück. Seit drei Jahren wissen die Menschen in Deutschland, dass die Anliegen der Familien, ihre Wünsche und Sorgen nicht mehr als „Gedöns“ abgewertet werden, sondern zur Chefsache aufgewertet worden sind. ({0}) Ob Elterngeld, die Möglichkeit erhöhter steuerlicher Abschreibung der Kinderbetreuung, Kinderzuschlag, Ausbau der Kinderbetreuung und Betreuungsgeld, für uns waren immer zwei Grundprinzipien maßgebend: Zum einen müssen die Eltern Luft zum Überleben haben, auch finanziell; wir haben Vertrauen in die Eltern. Zum anderen gilt das Prinzip Wahlfreiheit. Niemand soll mit staatlichen Maßnahmen und Subventionen in ein bestimmtes Lebensmodell gedrängt und gegängelt werden, ({1}) sondern jeder soll die Freiheit haben, über die Gestaltung seines Lebens selbst zu entscheiden. ({2}) Das heißt konkret für das kommende Jahr: Wir wollen das Kindergeld erhöhen. 18 Millionen Familien warten sehnsüchtig darauf. Seit 2002 ist das Kindergeld nicht mehr erhöht worden. Seitdem sind die Preise zum Beispiel für Butter um über 16 Prozent gestiegen, die Milchpreise sind um 10 Cent pro Liter gestiegen, und die Energiekosten sind - das wissen wir alle - in den zurückliegenden Monaten geradezu explodiert. Nun hegt manch einer den Generalverdacht - die einen sprechen ihn aus, andere nicht, tragen ihn aber in ihrem Herzen -, Eltern würden das Kindergeld als Barauszahlung weniger zum Wohl ihrer Kinder einsetzen. Es wird behauptet, es bestehe die latente Gefahr, dass Bargeld für Flachbildschirme, Alkohol oder Ähnliches ausgegeben wird. ({3}) Wir haben eine ganz klare Haltung, nämlich: Die Eltern wissen am besten, was für ihre Kinder gut ist. Wir sind überzeugt, dass sich die allermeisten Eltern krummlegen und lieber drei oder vier Stunden länger arbeiten, damit ihre Kinder es einmal besser haben. ({4}) Deshalb sage ich an dieser Stelle: Keine staatliche Leistung, keine Anstrengung der Politik kann das aufwiegen, was die Eltern an Einsatz, an Fürsorge und Liebe ihren Kindern zukommen lassen. Staat und Politik können nur ein lautes Dankeschön an die Eltern sagen, und das sage ich an dieser Stelle: Danke schön! ({5}) Das heißt, Eltern brauchen weniger Misstrauen und mehr Bares. Nun wird gesagt, in den letzten Jahren seien ohnehin viele zusätzliche Leistungen für Familien möglich gemacht worden. Das war und ist gut so. Der Ausbau der Kinderbetreuung war nicht billig und wird auch teuer bleiben. Aber der kostenlose Kindergartenbesuch, möglicherweise ein kostenloses Mittagessen in der Schule, eine Grundausstattung mit Federmäppchen für die Erstklässler ersetzen keinesfalls eine Kindergelderhöhung. Wir wollen nicht, dass der Ausbau der Kinderinfrastruktur mit dem Kindergeld verrechnet wird. Wenn wir gemeinsam Kinderarmut bekämpfen wollen, dann gilt ein Grundsatz: Kinderarmut lässt sich dann am besten bekämpfen, wenn wir auch die Elternarmut bekämpfen. Deshalb brauchen wir eine Kindergelderhöhung. ({6}) Geld dafür ist da. Seit dem Jahr 2006 wird weniger Kindergeld ausgezahlt, weil die Zahl der Geburten rückläufig ist. ({7}) Wir sollten keine Konsolidierung auf diese unfreiwillige Art betreiben. Stattdessen sollten wir das Kindergeld erhöhen. Die wichtigste Aufgabe für die Zukunft ist neben der Sicherung des Haushalts, damit wir den nachwachsenden Generationen keinen Schuldenberg hinterlassen, die Senkung der Arbeitslosigkeit, die finanzielle Absicherung der Familien. Das ist nachhaltige Politik, wie sie nachhaltiger nicht sein kann. ({8}) Wir wollen eine Staffelung bei der Erhöhung des Kindergelds; denn kinderreiche Familien haben es besonders schwer. Im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung - wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie doch sicherlich dem Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung ({9}) wird beispielsweise festgestellt: So ist das Armutsrisiko von Familien ({10}) in starkem Maße davon abhängig, ob und wie viele Bezieher von Erwerbseinkommen im Haushalt leben. Bei einer Familie mit vier oder mehr Kindern ist es schwer vorstellbar, dass beide Elternteile gleichzeitig erwerbstätig sind. Deshalb ist es ganz klar, dass wir hier mehr tun müssen. ({11}) Schon jetzt werden im Übrigen Kinder unterschiedlich gefördert; Frau Ministerin, Sie haben es exakt dargestellt. Zum einen ist die Höhe des Sozialgeldes pro Monat logischerweise unterschiedlich im Vergleich zum Kindergeld; denn diejenigen Kinder, die Sozialgeld bekommen, brauchen es besonders dringend. Wir sind uns alle einig, dass hier eine Differenzierung notwendig ist und Gleichmacherei ungerecht wäre. Jetzt komme ich auf den Gedanken der Einführung eines Kindergrundfreibetrages für alle zu sprechen. Das klingt gut. Aber wenn damit gemeint wäre, dass ein Teil der Familien weniger bekommt, als er jetzt hat, dann frage ich mich, worin da der Zugewinn an Gerechtigkeit liegen soll. Ich sehe darin vielmehr vor allem eine neue Ungerechtigkeit. Wir sind uns - jedenfalls fast alle, mit wenigen Ausnahmen - darin einig, dass diejenige Gruppe, die die Leistungsträger in unserem Staat umfasst, ({12}) die Familien haben, nicht zusätzlich im Wege der kalten Progression belastet werden darf, sondern entlastet werden soll. Wenn aber mit einem solchen Kindergrundfreibetrag aus einer kalten Progression eine eiskalte Progression wird, dann ist das garantiert der falsche Weg. ({13}) Vor allem: Ein Teil der Familien mit Kindern würde dann mehr bezahlen, während kinderlose Ehepaare keine Änderung zu verzeichnen hätten. Es kann aber nicht sein, dass es zum einen für kinderlose Ehepaare keine Veränderung gibt und zum anderen kinderreiche Familien weniger bekommen. Ich frage mich auch: Wie hoch ist denn der Einsparungsbetrag? Da ist von 1 Milliarde Euro die Rede. Wenn damit 1 Milliarde Euro eingespart würde, dann stellt sich natürlich sofort die Frage: Was wird mit diesem Betrag gemacht? Wird damit das Kindergeld aufgestockt? Dann stellt sich auch die Frage: Macht es Sinn, Kinderförderung bzw. Familienförderung so zu betrei18796 ben, dass das Geld aus der einen Tasche genommen und in die andere verteilt wird? Ich bin der Meinung, wir müssen das Kindergeld insgesamt erhöhen. Die Eltern brauchen mehr Bares. Sie brauchen mehr Vertrauen. Dann geht es uns wieder besser. Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eigentlich nicht.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Kollegin Renate Schmidt ist leider nicht mehr anwesend. Sie hat vorhin in einem Zuruf gesagt, in Bayern sei die Statistik in Bezug darauf, dass 67 Prozent der Frauen eine Beschäftigung hätten, deshalb so gut, weil darin die 15- bis 25-Jährigen ohne gute Ausbildung mit eingerechnet seien. Ich sage hier: Eine Abwertung - sei es in der Statistik oder sonst wo - der Beschäftigung von

Not found (Gast)

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Singhammer!

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- die keine Universitätsausbildung haben, halte ich für nicht richtig. Ich glaube, die Wertigkeit der Arbeit ist für alle gleich - egal ob mit Universitätsausbildung oder ohne. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich bitte doch sehr darum, den notorisch großzügigen Präsidenten in seiner Großzügigkeit nicht überzustrapazieren, insbesondere dann, wenn nach deutlicher Überschreitung der Redezeit ein weiterer Satz angekündigt wird. Letzter Redner in der Debatte zu diesem Einzelplan ist der Kollege Wolfgang Spanier für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Spanier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002803, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich habe die besondere Ehre, als Letzter zu sprechen. Ich muss aber versichern: Das ist der reine Zufall und bedeutet nicht, dass sich die Senioren bei uns hinten anstellen müssen. ({0}) Familie, Frauen, Senioren und Jugend - das ist nicht bloß eine Aneinanderreihung von Zielgruppen. Es heißt vielmehr, wir haben den gesamten Lebenslauf und die demografische Entwicklung im Blick. Dazu muss ich keine Fakten vorlegen. Seit langem ist klar, dass Deutschland ebenso wie alle anderen Industrieländer eine niedrige Geburtenrate hat. Trotz aller Maßnahmen, die uns vielleicht noch einfallen werden, wird sich daran nicht grundlegend etwas ändern. Seit langem schon haben wir eine immer weiter steigende Lebenserwartung. Das ist die große Herausforderung an den Sozialstaat. Das zwingt uns, langfristige und generationenübergreifende Weichenstellungen vorzunehmen. Der Schlüssel zum Ganzen ist wohl nicht nur für uns Sozialdemokraten die Solidarität zwischen den Generationen. ({1}) Herr Claus, das spiegelt sich nicht nur in unserem Haushalt wider, dessen Volumen im Vergleich zum Sozialhaushalt eher begrenzt ist. Das spiegelt sich auch in der Verteilung von Lasten und Chancen bei der Altersvorsorge wider. Es geht um die Balance zwischen Belastung der Beitragszahler und Zuwächsen für Rentnerinnen und Rentner. Das spiegelt sich auch in den Bereichen Gesundheit und Pflege wider. Auf der einen Seite haben die Älteren und die Hochbetagten einen Anspruch auf menschenwürdige Pflege, auf der anderen Seite steht aber die Belastung der Beitragszahler. Das spiegelt sich auch in der Finanzpolitik wider. Es ist heute schon mehrfach angesprochen worden, dass wir Verantwortung für die künftigen Generationen haben und wir diese nicht ausblenden können. Deswegen ist Haushaltskonsolidierung nicht nur ein finanztechnisches Ziel, sondern hat auch etwas mit Solidarität zwischen den Generationen zu tun. ({2}) Traditionell gehen wir von drei Lebensphasen aus: Kindheit und Jugend, die Erwachsenen-, Familien- und Erwerbsphase und dann traditionell die Phase des Ruhestands. Das hat sich nachhaltig und grundsätzlich verändert. Die letzte Phase ist nicht länger eine Phase des Ruhestandes. Diese Phase ist nicht nur länger geworden, sondern hat sich auch inhaltlich komplett verändert. Wir haben nicht nur ein langes Leben, sondern wir haben auch - und das ist ganz wichtig; das sage ich als 65-Jähriger - einen Gewinn an aktiven Jahren. Unser Bild vom Alter muss sich nachhaltig verändern. Es gibt kuriose Wortschöpfungen. Wir sagen nicht mehr „alte Menschen“, was mich übrigens gar nicht stören würde, sondern wir sagen „Senioren“, „Best-Ager“, „Silberrücken“ usw. Was „alt“ heißt in unserer Gesellschaft, das ist offensichtlich nur sehr schwer zu definieren. Wir müssen einen differenzierten Blick auf diese letzte lange Phase des Lebens richten. Wir haben einerseits einen Gewinn an aktiven Jahren, andererseits haben wir aber immer mehr Hochbetagte. Es wird ja wohl nicht nur im Kreis Herford so sein, dass sich die Zahl der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2020 verdoppelt; ich gehöre knapp nicht dazu. Das bedeutet: Alter heißt nicht nur flotte Senioren, die mit Motorbooten im Mittelmeer herumfahren, wie uns die Werbung suggeriert, ({3}) sondern eben auch Verletzlichkeit und Hinfälligkeit. Auch das müssen wir berücksichtigen. Der letzte Altenbericht, über den wir hier im Parlament zu Recht ausgiebig diskutiert haben, hat die Potenziale des Alters aufgezeigt - ich habe das mit großem Wohlwollen gelesen -: eine größere Leistungsfähigkeit der älteren Generation gegenüber früheren älteren Generationen, ein deutlich besserer Gesundheitszustand, eine höhere Lernfähigkeit, größere Interessen und natürlich Erfahrung, Wissen und mehr Zeit. Das ist ein großer Gewinn für die älteren Menschen. Solidarität zwischen den Generationen heißt eben auch: Wir Älteren müssen diese Potenziale nutzen, jeder für sich, aber auch für die Gesellschaft, und die jüngeren Generationen müssen bereit sein, dieses Engagement aktiv zu unterstützen. Wir müssen diese Potenziale in unsere Familien und in die sozialen Netzwerke einbringen. Übrigens funktioniert das bereits heute besser, als wir alle glauben. Wir müssen sie auch in die Gesellschaft einbringen. Bürgerschaftliches Engagement ist dabei das Schlüsselwort. Ganz entscheidend für die Älteren - das sage ich sozusagen an meine Generation gerichtet - ist: Wir dürfen uns nicht in den Ruhestand verabschieden, und wir dürfen uns nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung verabschieden. Gerade im Alter müssen wir - jeder von uns - diese gesellschaftliche Verantwortung nutzen. ({4}) Eines will ich anmerken - auch das steht im Altenbericht -: Wie diese Potenziale im Alter aussehen, hängt sehr stark von den biografischen Voraussetzungen des Einzelnen, aber auch von sozialen Voraussetzungen ab. Das ist ein ganz entscheidender Punkt. Wer Ungleichheit und Ausgrenzung in jungen Jahren, in der Erwerbsphase erfährt, von dem kann ich nicht erwarten, dass er im Alter über die Potenziale, die ich gerade beschrieben habe, verfügt. Das ist ein ernstes Problem. ({5}) Es gehört zur Generationensolidarität, dass wir auch das im Blick haben. Deswegen ist der folgende Satz aus dem Altenbericht ganz wichtig: Nur in einer kinderfreundlichen Gesellschaft ist die Verwirklichung der Potenziale des Alters auf Dauer möglich. ({6}) Das ist ein ganz entscheidender Satz. Hier schließt sich sozusagen der Kreis. Solidarität zwischen den Generationen bedeutet, dass wir den gesamten Lebenslauf - Frau Ministerin, Sie müssen nicht immer alles in einer Rede ansprechen - im Blick haben. Das ist ganz entscheidend. Wo spielt sich das ab? Es spielt sich in unseren Städten und Gemeinden ab. Deswegen haben wir Sozialdemokraten gesagt: Leitbild für unsere Städte und Gemeinden muss die soziale Stadt sein, die vor Ort genau das umsetzt, was wir Generationensolidarität nennen. ({7}) Ein Satz noch zu den Haushaltsberatungen. Ich fand diese Debatte heute streckenweise etwas kurios, vor allen Dingen hinsichtlich der Rednerinnen und Redner unseres Koalitionspartners. Ich habe nicht gewusst, dass diese Debatte sozusagen die Koalitionsverhandlungen über Kindergeld und Ähnliches ersetzen soll. Dazu werden wir uns sicherlich noch zusammensetzen. Ich bin ganz sicher, dass wir im November gemeinsam den Haushalt verabschieden werden und dass wir die Impulse für Senioren und für Generationengerechtigkeit, die wir in unserem Haushalt haben, beibehalten und möglicherweise sogar verstärken werden. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch darum, dass wir zum Beispiel durch den Altenbericht und durch den Familienbericht in den Köpfen - in unseren Köpfen, aber auch in den Köpfen vieler Menschen in der Gesellschaft - etwas ändern. Das wünsche ich mir für die kommenden Wochen. Ich bin trotz allen Geplänkels, das wir hier heute geliefert haben, ganz zuversichtlich. Herzlichen Dank, Herr Präsident. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelhaushalt liegen nicht vor. Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf. Hier handelt es sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zunächst zum Tagesordnungspunkt 7 a: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 7. Dezember 2004 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Schweizerischen Bundesrat zum Vertrag vom 23. November 1964 über die Einbeziehung der Gemeinde Büsingen am Hochrhein in das schweizerische Zollgebiet über die Erhebung und die Ausrichtung eines Anteils der von der Schweiz in ihrem Staatsgebiet und im Gebiet der Gemeinde Büsingen am Hochrhein erhobenen leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe ({0}) - Drucksache 16/9041 Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses ({1}) - Drucksache 16/9762 Berichterstattung: Abgeordnete Erich G. Fritz Dr. Ditmar Staffelt Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({2}) Präsident Dr. Norbert Lammert Der Auswärtige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/9762, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9041 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Da wir jetzt zur dritten Beratung und Schlussabstimmung kommen und diese durch Aufstehen erfolgt, bitte ich diejenigen, die an der Abstimmung nicht teilnehmen wollen oder können, sich entweder zu setzen oder den Saal zu verlassen. ({3}) Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer möchte gegen diesen Gesetzentwurf stimmen? - Wer möchte sich der Stimme enthalten? - Dann ist der Gesetzentwurf, wenn ich das richtig sehe, einstimmig angenommen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 7 b: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrechnungshofes Rechnung des Bundesrechnungshofes für das Haushaltsjahr 2007 - Einzelplan 20 - Drucksachen 16/9046, 16/9785 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Carsten Schneider ({5}) Roland Claus Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, die Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? - Wer stimmt dagegen? - Wer möchte sich enthalten? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, die Erteilung der Entlastung? - Stimmt jemand dagegen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Dann ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenom- men und die Entlastung erteilt. Ich werde gerade darauf aufmerksam gemacht, dass ich auch die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 j sowie Zusatzpunkt 1 aufrufen soll: 6 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Zusatzprotokoll vom 8. Dezember 2005 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über die Annahme eines zusätzlichen Schutzzeichens ({6}) - Drucksache 16/9700 - Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen in der Gewerbeordnung - Drucksache 16/9996 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({7}) Rechtsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Juli 2007 über die Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum - Drucksache 16/9997 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({8}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union d) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes - Drucksache 16/10118 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({9}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung e) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege ({10}) - Drucksache 16/10173 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({11}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO f) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung und Entbürokratisierung des Steuerverfahrens ({12}) - Drucksache 16/10188 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({13}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Präsident Dr. Norbert Lammert g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian Ahrendt, Dr. Max Stadler, Gisela Piltz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbot des Vereins „Heimattreue Deutsche Jugend“ prüfen - Drucksache 16/9819 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({14}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, HansChristian Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl von Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichtern - Drucksache 16/9927 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({15}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend i) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({16}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung ({17}) Forschungs- und wissensintensive Branchen Optionen zur Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit ({18}) - Drucksache 16/7310 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({19}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung j) Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({20}) gemäß § 56 a der Geschäftsordnung Technikfolgenabschätzung ({21}) TA-Zukunftsreport: Arbeiten in der Zukunft Strukturen und Trends der Industriearbeit - Drucksache 16/7959 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({22}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Petra Pau, Wolfgang Nešković, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Verbot der „Heimattreuen Deutschen Jugend e. V.“ prüfen - Drucksache 16/10232 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({23}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Hierbei geht es um Überweisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 16/9819 zu Tagesordnungspunkt 6 g soll zusätzlich an den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden. Weiterhin ist interfraktionell vereinbart, die heutige Tagesordnung um den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/10232 mit dem Titel „Verbot der ‚Heimattreuen Deutschen Jugend e.V. prüfen“ zu erweitern und diesen an dieselben Ausschüsse wie die Vorlage auf Drucksache 16/9819 zu überweisen. Ich vermute, dass Sie mit all diesen Überweisungen einverstanden sind. - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir setzen nun die Haushaltsberatungen fort. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Einzelplan 16. Ich erteile dem Bundesminister Sigmar Gabriel das Wort. ({24})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ein Haushalt in Zahlen gegossene Politik ist, dann wird im vierten Jahr dieser Bundesregierung, der Großen Koalition, mehr als deutlich, wie sehr die Bedeutung der Umweltpolitik gewachsen ist. Der Entwurf des Bundeshaushalts 2009 enthält Ausgaben für den Umweltschutz in Höhe von insgesamt 5,5 Milliarden Euro. Im Jahre 2005, also vier Haushalte zuvor, waren es 4 Milliarden Euro. Das heißt, die Große Koalition hat die Ausgaben für den Umweltsektor in dieser Legislaturperiode im Rahmen ihrer Finanz- und Umweltpolitik über alle Einzelpläne hinweg um immerhin 1,5 Milliarden Euro erhöht. Ich finde, das ist ein gutes Zeichen für den Stellenwert der Umweltschutzpolitik in Deutschland und in der Regierungsarbeit. ({0}) Den größten Anteil am Umwelthaushalt der Bundesregierung hat erstmals das Umweltministerium. Die veranschlagte Mittelsteigerung von 769 Millionen Euro im Jahre 2005 auf jetzt mehr als 1,3 Milliarden Euro ist Ausdruck einer erfolgreichen ökologischen Industriepolitik. Von 2005 bis 2009 hat sich das Volumen des Haushalts des Bundesumweltministeriums fast verdoppelt. Ich sage ausdrücklich: Eine solche Entwicklung ist nur dann möglich, wenn man insgesamt eine solide Haushaltspolitik betreibt und den Haushalt konsolidiert, um überhaupt wieder die Möglichkeit zu haben, in den Klima- und Umweltschutz zu investieren. Ich danke ausdrücklich dem Bundesfinanzminister, aber auch den Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, die durch eine solide Finanzpolitik die Voraussetzungen dafür geschaffen haben, dass wir auch in neue gesellschaftliche Aufgaben investieren können. ({1}) - Da selbst der Kollege Kampeter applaudiert, muss ich wohl aufpassen, dass ich nicht zu viel lobe. ({2}) Meine Damen und Herren, diese Steigerung findet überwiegend im Programmhaushalt des Umweltministeriums statt, das heißt bei konkreten Maßnahmen und Projekten, die Verbrauchern, Haushalten, Schulen, Kommunen und Unternehmen zugutekommen. Diese Ausgaben richten wir aus auf den nationalen und internationalen Klimaschutz, die Förderung von Leitmärkten in der Umwelttechnologie, die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen und die Forschung. Mehr als 6 000 neue Ausbildungsplätze wurden gemeinsam mit der Umwelttechnikbranche in den letzten Jahren verabredet, neue Ausbildungsplätze für junge Leute in zukunftssicheren Berufen. Allein im Bereich der erneuerbaren Energien haben wir in den letzten Jahren über 250 000 neue zukunftssichere Arbeitsplätze geschaffen. Unbestreitbar ist: Die Umweltschutzwirtschaft ist ein enormer Wirtschaftsfaktor, und ihre Bedeutung wird in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit anwachsen. ({3}) Gegenwärtig arbeiten 1,8 Millionen Menschen in Deutschland im Umweltschutz. Wir sind Weltmarktführer, fast 20 Prozent der weltweiten Umwelttechnologien kommen aus unserem Land. ({4}) Das beste Beispiel, dass gute Arbeit und gute Umwelt zusammengehören, ist die Klima- und Energiepolitik der Bundesregierung. Das Parlament und die Regierung haben inzwischen insgesamt 20 Gesetze und Verordnungen beraten und zum Teil schon verabschiedet, um zu erreichen, dass wir weg vom Öl und weg vom Gas kommen und hinkommen zu einer klimafreundlichen Umwelt- und Energiepolitik, dass wir dazu beitragen, dass die Energiekosten durch eine höhere Energieeffizienz sinken, dass wir Verbraucher und Unternehmen entlasten und dass wir die enormen Anstrengungen im Klimaschutz wirklich bewältigen. Deutschland ist das einzige Land in Europa und auch weltweit, das nicht nur klimaschutzpolitische Zielsetzungen verabredet hat, sondern auch damit begonnen hat, diese derart ambitioniert umzusetzen. Von den 40 Prozent weniger CO2 im Jahr 2020 bilden wir knapp 36 Prozent im Klima- und Energiepaket der Bundesregierung ab. Das zeigt: Es ist noch etwas zu tun. Das zeigt aber auch, dass wir in Deutschland inzwischen weit mehr die Umsetzung angegangen sind, als dies in der Vergangenheit der Fall war und dies im Rest Europas und der Welt der Fall ist. ({5}) Im Jahr 2020 wollen wir einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 30 Prozent haben. Zudem wollen wir im Jahr 2020 eine Verdoppelung des Anteils der Kraft-Wärme-Kopplung erreichen. Gestern hat der Fraktionssprecher der Grünen in der allgemeinen Debatte übrigens gesagt, der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung sei zu wenig, weil wir eine Deckelung von 750 Millionen Euro vorgesehen haben. Erstens fließen derzeit nicht einmal 600 Millionen Euro ab. Zweitens wird dabei vergessen, dass wir zum ersten Mal bei der Förderung von Kraft-Wärme-Kopplung die industrielle Kraft-Wärme-Kopplung für neue Kraftwerke in die Förderung aufnehmen, die natürlich wesentlich effizienter ist. Sie benötigt Gott sei Dank geringere Fördersätze, leistet aber einen viel größeren Beitrag zum Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung, als dies jemals zuvor in Deutschland der Fall gewesen ist. ({6}) Wir bauen den Einsatz erneuerbarer Energien im Wärmebereich aus. Bei Neubauten ist dies verpflichtend. Bei Altbauten wollten wir keine Verpflichtung. Der Vorwurf, der gestern von den Grünen erhoben wurde, ist falsch. Der Bundesverband Erneuerbare Energien, der Verband, der für den Ausbau erneuerbarer Energien eintritt, sagt eindeutig, dass das beim Altbau nichts bringt, weil sich die Menschen nicht dazu zwingen lassen werden, erhöhte Kosten hinzunehmen. Vielmehr brauchen wir im Bereich des Altbaus eine öffentliche Förderung. Mit diesem Haushalt wird die öffentliche Förderung durch das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien zum Ausbau und zur Förderung erneuerbarer Energien bei der Altbausanierung von 130 Millionen Euro im Jahr 2005 auf jetzt über 400 Millionen Euro gesteigert. Das ist ein Riesenerfolg, den wir hiermit erreicht haben. ({7}) Meine Damen und Herren, Energieeinsparverordnung, Gebäudesanierungsprogramm, das Ganze ist ein Rieseninvestitionsprogramm für die nächsten Jahre. Bis zum Jahr 2020 werden etwa 400 Milliarden Euro in Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbare Energien investiert. Das sind Arbeitsplätze für unser Land. Das ist vor allen Dingen der größte Beitrag, der in Europa überhaupt im Bereich des Klimaschutzes geleistet wird. Wir sind sicher, dass wir zu den 250 000 neuen Arbeitsplätzen im Bereich der erneuerbaren Energien zusätzlich mindestens 400 000 bis 500 000 bis zum Jahr 2020 schaffen können. Das heißt, wir verbinden mit der Klima- und Energiepolitik das, was wir gute Arbeit und gute Umwelt nennen. Dazu gehört aber auch die Erneuerung des Kraftwerksparks. Der Bundesverband Erneuerbare Energien sagt: Wir schaffen beim Einsatz erneuerbarer Energien bis 2020 vielleicht sogar einen Anteil von 35 Prozent. Die Einzigen, die erklären, mehr sei möglich, sind die Grünen. Vermutlich sagen sie das aber ohne einen realen wirtschaftlichen Hintergrund. Der Lobbyverband für erneuerbare Energien sagt: 35 Prozent im Jahr 2020. Dann wird man eine Antwort darauf geben müssen, wie die übrigen 65 Prozent im Stromsektor geliefert werden. Das erreicht man nicht mit Erdgas allein. Das wird weder der Verbraucher noch die deutsche Industrie am Ende bezahlen können. Also brauchen wir die Erneuerung des Kraftwerksparks auch im Bereich der Kohle. ({8}) Es ist eben falsch, den Menschen ständig vorzumachen, dass die Anzahl der Kohlekraftwerke eine Auswirkung auf die Menge an CO2 aus Deutschland und Europa hat. Wahr ist: Durch den europäischen Emissionshandel wird die Menge an CO2 gedeckelt. Es darf also nicht mehr CO2 emittiert werden, als aufgrund der internationalen Klimaschutzziele im europäischen Emissionshandel verabredet ist. Die Anzahl an Kohlekraftwerken in Deutschland hat eine Auswirkung auf den Preis des CO2-Ausstoßes; denn die Bundesregierung hat sich unmissverständlich darauf verständigt, dass wir in der Europäischen Union bei der Beratung über das EU-Klima- und Energiepaket für eine Versteigerung von 100 Prozent im Stromsektor ab dem Jahre 2013 eintreten. Deutschland schöpft zurzeit ja 10 Prozent - also das Maximum - dessen aus, was uns die EU erlaubt. Wir wollen ab dem Jahre 2013 eine Versteigerung von 100 Prozent, keine Ausnahmen für neue Kraftwerke und auch keine indirekte Subventionierung von Kraftwerken. ({9}) Ich sage das noch einmal, damit Frau Kotting-Uhl das auch richtig versteht: Wir wollen keine Subventionierung von Kraftwerken, und wir wollen eine Versteigerung von 100 Prozent - egal, ob für alte oder neue Kraftwerke. Hören Sie bitte auf, öffentlich zu erklären, dass die Anzahl an Kohlekraftwerken Auswirkungen auf die Menge an CO2 hat. Das ist schlichtweg falsch. Ich finde, dass man ehemalige Vorsitzende der Grünen nicht loben muss, aber ein bisschen sollten Sie noch auf Joschka Fischer hören. Er hat für Sie ja große Erfolge erreicht. Ich lese Ihnen einmal vor, was er heute in der Financial Times Deutschland zum Besten gibt. Dort steht unter der Überschrift „Fischer hält Kohlekraftwerke vorerst für unverzichtbar“: „Wir werden als Übergangstechnologie auch weiter Kohle einsetzen müssen, wenn wir nicht wieder bei den mehr als zweifelhaften Segnungen der Atomkraft landen wollen“ ... Es wäre ein Riesenfehler von Grünen und Umweltbewegung, wenn sie an diesem Punkt unrealistisch seien, fügte er hinzu. ({10}) Nichts anderes sagen wir Ihnen seit mehreren Sitzungen hier. Wenn Sie uns das nicht glauben, Frau KottingUhl, ({11}) dann glauben Sie das wenigstens Ihrem früheren Außenminister. Er war damals klug und ist es auch heute noch. Er sagt schlicht die Wahrheit. Wenn Sie das nicht tun, Frau Kotting-Uhl, dann sind Sie - freiwillig oder unfreiwillig - die Helferin derjenigen, die zurück zur Kernenergie wollen. Das und nichts anderes ist das Ergebnis Ihrer Politik. ({12}) - Sie sind nicht an allem schuld. Ich finde nur, dass Sie zur Kenntnis nehmen sollten, was kluge Leute aus Ihren Reihen sagen. Ihrem zukünftigen Vorsitzenden Cem Özdemir haben Sie gleich einen Maulkorb verpasst, als er zum Thema Kohlekraftwerke einmal die Wahrheit gesagt hat. Mit Liberalität ist es in Ihrer Partei in dieser Debatte nicht weit her, wie ich feststellen darf. Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf setzt die Bundesregierung einen deutlichen Schwerpunkt bei erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz. Wenn wir in Deutschland über die Frage diskutieren, wie wir die Belastung der Menschen durch die steigenden Energiekosten, die stark von den Weltmarktpreisen abhängig sind, verringern können, dann dürfen wir ihnen nicht vormachen, dass wir ihnen helfen könnten, indem wir damit beginnen, mit Steuer18802 senkungen gegen die Weltmarktpreise im Energiesektor zu arbeiten. ({13}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, wenn Sie durch die Lande ziehen und sagen: „Lasst uns die Ökosteuer abschaffen“, dann müssen Sie den Menschen auch sagen, wie die 18 Milliarden Euro für die Rentenversicherung gegenfinanziert werden. Sie dürfen den Leuten nicht immer nur die Hälfte der Wahrheit sagen. ({14}) - Entschuldigung, das ist doch Ihre Forderung. Sie erklären den Leuten, dass Sie Ihnen hinsichtlich der Energiepreise helfen, indem Sie die Ökosteuer abschaffen. Erstens sagen Sie den Leuten damit nicht, dass die Ökosteuer an der Tankstelle in Cent pro Liter und nicht in Prozent berechnet wird - die Ökosteuer steigt ja nicht parallel zu den Energiepreisen -, und zweitens verheimlichen Sie den Rentnerinnen und Rentnern, dass Sie ihnen 18 Milliarden Euro aus der Rentenkassen wegnehmen wollen. So betreiben Sie Politik. ({15}) Sie müssen den Menschen sagen, dass es nicht möglich ist, mit Steuersenkungen gegen steigende Energiepreise anzukämpfen. Sie müssen in die Energieeffizienz und in erneuerbare Energien investieren. Wir müssen weg von der Kohle - langfristig -, weg vom Erdgas, weg vom Erdöl und hin zu erneuerbaren Energien und zum Einsparen von Energie. Dadurch wird den Menschen dabei geholfen, Kosten zu senken. ({16})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fricke?

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Selbstverständlich.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, stimmen Sie mir zu, wenn ich hier festhalte, dass es im Haushalt keinerlei Verbindung zwischen Ökosteuer und Rentenversicherung gibt, sondern dass die Ökosteuereinnahmen schlicht in den allgemeinen Haushalt fließen und dass die Rentenhöhe und der Rentenzuschuss in keiner Weise davon abhängig sind? ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Nein, Herr Kollege Fricke, ich stimme Ihnen selbstverständlich nicht zu. Ich finde, dass Politik nicht darin besteht, so zu tun, als ginge es um formale Fragen. 18 Milliarden Euro fließen in den allgemeinen Steuerhaushalt. ({0}) 80 Milliarden Euro fließen in die Rentenversicherung. Davon sind die 18 Milliarden Euro abzuziehen, wenn die Einnahmequelle wegfällt. Sie müssten mir eigentlich zustimmen, wenn ich sage, dass man Geld nur einmal ausgeben kann: entweder für die Rente oder für einen höheren Schuldendienst. ({1}) Der Großteil der für die Klimaschutzinitiative vorgesehenen Mittel - 340 Millionen Euro - sind für nationale Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen, davon 240 Millionen Euro zusätzlich im Marktanreizprogramm. Insgesamt geht es um 400 Millionen Euro bzw. um 10 Prozent der vorgesehenen Investitionen. Wir können so, über ein Konjunkturprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich und Energiesparen, in Deutschland immerhin Investitionen in Höhe von 4 Milliarden Euro auslösen. Ich finde, das kann sich sehen lassen. Wachstumsmotor und Exportschlager sind auch weiterhin die erneuerbaren Energien. Die Erneuerbaren-Energien-Branche hat im letzten Jahr nicht weniger als 25 Milliarden Euro in Deutschland umgesetzt. Deutschland wird in diesem Jahr sicherlich seine Kioto-Ziele erfüllen. Wir sind in Deutschland auf einem guten Wege, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, das 40-Prozent-Ziel im Jahre 2020 zu erreichen. Deswegen unterstützen wir die Europäische Kommission beim Klima- und Energiepaket. Ich habe bereits ausgeführt, dass die Bundesregierung die Versteigerung von 100 Prozent der Emissionszertifikate im Stromsektor anstrebt, und zwar ohne Einschränkungen. Wir wollen keine Subventionen und keine Windfall-Profits. Die Bundeskanzlerin und auch der Bundesfinanzminister haben recht, wenn sie sagen, dass man nicht so tun könne, als gebe es bereits weltweit gleiche Wettbewerbsbedingungen. Solange wir international im Klimaschutz nicht die gleichen Standards wie in Europa erreichen, können wir nicht so tun, als gebe es nicht die Gefahr, dass bei durch die CO2-Abgaben steigenden Strompreisen ein Elektrostahlwerk, eine Aluminiumhütte oder andere Teile der Industrie in Zukunft nicht mehr in Deutschland zu finden sind, sondern in die Länder abwandern, in denen es keine Klimaschutzauflagen gibt. Deswegen ist es das oberste Ziel in den internationalen Verhandlungen, gleiche Bedingungen durchzusetzen. Solange uns das nicht gelingt, werden wir bei dem bleiben, was wir bereits heute tun. Wir stellen derzeit das produzierende Gewerbe in Deutschland von Klimaschutzauflagen praktisch frei, weil wir nicht wollen, dass an anderer Stelle außerhalb Europas die CO2-Emissionen entstehen, die sonst in Deutschland entstanden wären, und die Arbeitsplätze mit abwandern. ({2}) Deswegen bleibt es dabei: Wir treten offensiv dafür ein, dass die deutsche Industrie Best available Technologies - also den neusten Stand der Technik - vorhalten muss und dass sie, wenn sie das macht, Zertifikate so lange kostenlos zugeteilt bekommt, bis wir international gleiche Standards erreichen. Wer den Menschen weismacht, das sei sozusagen ein Verrat am Klimaschutz, der führt die Leute hinter die Fichte. Denn die Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, verlieren ihren Job deshalb, weil dann nicht nur die Emissionen in der Ukraine, in China oder Indien entstehen, sondern auch die Arbeitsplätze. Wir reduzieren keine Emissionen dadurch, dass wir die Industrie aus Deutschland verdrängen. In allen Klimaverhandlungen, an denen ich teilnehme, will man von Deutschland eines sehen, nämlich dass es gelingt, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Wachstum und Klimaschutz zusammenzubringen. Würden wir in Deutschland eine Politik betreiben, die Klimaschutz sozusagen durch die Behinderung von Wachstum und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu betreiben versucht, dann würde uns nicht ein einziges Land folgen. ({3}) Deswegen brauchen wir solche Regelungen. Wer sie nicht mitträgt, der wird letztlich ein Scheitern der Klimapolitik mitzuverantworten haben. Das gilt übrigens auch für die Debatten um den CO2Ausstoß von Pkws. Worum geht es dabei eigentlich? Wir reden darüber, dass wir ab dem Jahr 2012 in der Europäischen Union eine Begrenzung des CO2-Ausstoßes von Pkws auf durchschnittlich 120 Gramm pro Kilometer - Jürgen Trittin hat mir bestätigt, dass es nie um irgendwas anderes ging - einführen wollen. Nun gibt es einen Vorschlag, das nicht gleich für alle Fahrzeuge einzuführen, sondern zunächst auf 60 oder 70 Prozent zu beschränken und erst drei Jahre später auf 100 Prozent zu erweitern, um nicht in den Produktionszyklus der Autoindustrie einzugreifen, sondern um die Umstellung mit dem Produktionszyklus zu erreichen. Nun gibt es Leute, die erklären, wenn 2012 nur 60 oder 70 Prozent und erst 2015, also drei Jahre später, 100 Prozent der Autos die vorgegebenen Normen erfüllten, sei das der Untergang der Klimapolitik und der Beweis dafür, dass Deutschland seine Vorreiterrolle nicht einnehme. Wo leben Sie eigentlich, wenn Sie solche Debatten führen? Das ist doch abenteuerlich. Natürlich wollen wir im Zweifel, dass die Umstellung effizient und so geschieht, dass wir damit nicht einen der zentralen Motoren der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Europas und insbesondere Deutschlands beschädigen. ({4}) Was wir machen, kostet viel Geld. In diesen Haushalt sind 1,5 Milliarden Euro mehr für den Umweltschutz eingestellt. Dieses Geld muss aber in diesem Land erwirtschaftet werden. Das muss auch ein Umweltminister wollen. Nur dann werden wir erfolgreich sein. Deswegen ist das, was wir tun, vernünftig. Wir werden die 120 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer erreichen. Wir wollen übrigens kein doppeltes Phase-in. Ich finde, die Strafzahlungen müssen zu Beginn hoch sein, wenn man drei Jahre Zeit hat, 100 Prozent zu erreichen. Wir müssen das mit effizienten Technologien schaffen. Aber hören Sie auf, Volksverdummung zu betreiben! ({5}) Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum müssen zusammenpassen. Sonst haben wir das Geld nicht, um das zu erreichen, was wir uns alle vorgenommen haben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Horst Meierhofer für die FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Man brauchte schon eine gewisse Portion schwarz-roten Humor, um der Rede von Herrn Gabriel zuzuhören. Es wird so getan, als fielen die ganzen Kosten vom Himmel. Ich denke, dass Sie für einen Großteil derselben verantwortlich sind. Dennoch erklären Sie, dass wir die Menschen hinter die Fichte führen wollen, obwohl wir nur versuchen, die Kosten zu senken. Das halte ich für einen ziemlichen Skandal. ({0}) Sie haben in Ihrer Haushaltsrede gesagt, dass die Kosten, die bei der Vermeidung von Umweltbelastungen entstehen, diejenigen tragen sollen, die für die Umweltbelastungen verantwortlich sind. Sie tun so, als wäre das ausschließlich die Wirtschaft. Natürlich muss die Wirtschaft ihren Beitrag leisten. Aber Sie haben vielleicht vergessen, dass Sie, die Sie den Unternehmen entgegen Ihrer Erklärung, dass Sie sie im internationalen Wettbewerb entlasten wollen, Kosten aufbürden, dafür mindestens genauso verantwortlich sind. Sie, die Bundesregierung, sind der größte Preistreiber. Darauf haben Sie keine Antwort gegeben. ({1}) - Ich werde Ihnen sogar drei Beispiele nennen. Wir haben eine sehr teure und chaotische Umweltpolitik. Es geht gerade in der Umweltpolitik um Konsequenzen und Kostenersparnisse. Davon ist aber nichts zu sehen. Es geht um relativ viele schöne Symbole, die sich nett darstellen lassen. Dabei könnten Sie zu einem sehr günstigen Preis sehr viel bessere Ergebnisse in der Umweltpolitik erzielen. Aber das interessiert Sie nicht. Sie knechten die Menschen und machen die Angebote so teuer, dass die Unternehmen ins Ausland abwandern. Genau darauf haben Sie auch keine Antwort gegeben. Ich finde es interessant, dass die CSU mit den Ministern Glos und Seehofer grundsätzlich andere Positionen vertritt als Sie in der SPD-Fraktion. Sie wollen internationale Vereinbarungen und ein international einheitliches Korsett erreichen, was den Emissionshandel betrifft. Aber Sie schaffen es noch nicht einmal in der eigenen Regierung, einen einheitlichen Kurs festzulegen. Sie diskutieren monatelang und gefährden damit die deutsche Position auf internationaler Ebene. In Brüssel konnten die Deutschen im letzten halben Jahr nicht geschlossen auftreten, weil Sie nicht in der Lage waren, hier eine gemeinsame Position abzustimmen. ({2}) - Definieren Sie zuerst, was Sie beispielsweise unter Schwerindustrie verstehen, und stimmen Sie sich dann mit Herrn Glos ab. Sie können im Übrigen gerne eine Zwischenfrage stellen. Ich nenne als Beispiel das Umweltgesetzbuch. Trotz zweier Referentenentwürfe vom November 2007 und Mai 2008 warten wir noch immer auf einen Kabinettsbeschluss. In diesem Bereich passiert überhaupt nichts. Schwarz-Rot wird sich nicht einig. Von Woche zu Woche werden neue Termine angekündigt, zu denen das Umweltgesetzbuch kommen soll. Es sollte irgendwann der große Wurf sein, bei dem Herr Gabriel seine Meisterprüfung ablegen sollte. Aber nichts dergleichen kommt. Mittlerweile freut man sich schon, wenn von 60 Streitpunkten elf übrig bleiben. ({3}) Das ist der momentane Stand. Dazu kann ich nur sagen: Herzlichen Glückwunsch! Ein Umweltgesetzbuch wird es nicht geben. Ich befürchte, dass Sie nicht in der Lage sein werden, das zu entscheiden. Sie haben Angst vor der Bayernwahl; das ist ein Bremsklotz. Hier stellt sich die CSU wieder quer. So schaffen wir kein einheitliches Umweltrecht in Deutschland. Vielmehr gibt es eine Zersplitterung zwischen den 16 Bundesländern. Das alles geschieht ohne jegliche Zielorientierung. Man kommt zu keinem Ergebnis, weil gerade Wahlkampf ist. Das ist mehr als unverantwortlich. ({4}) Ein weiteres Beispiel, das zeigt, welche großartigen Leistungen Sie im letzten Jahr erbracht haben, ist die Novelle zur Verpackungsverordnung. Sie haben sich monatelang gezankt. Die Union hat irgendwann, spät aufwachend, festgestellt: Um Himmels willen, das läuft in die falsche Richtung. Sie landete allerdings nicht als Tiger, sondern als Bettvorleger. Im Endeffekt wurde fast nichts erreicht. Wir haben im Moment keinen vernünftigen Wettbewerb, überhaupt keine vernünftigen Innovationsmöglichkeiten, und wir haben eine Marktaufteilung, die eher an den Sozialismus erinnert. Herr Dr. Nüßlein, Sie haben den Mund vorher relativ weit aufgemacht, erreicht haben Sie im Endeffekt aber fast gar nichts. ({5}) Am allerwenigsten haben wir erreicht, was die abfallpolitischen Ergebnisse und die Umweltpolitik betrifft. Der Emissionshandel ist ein zentraler Punkt, auf den ich sehr gerne noch eingehen möchte; Herr Kelber, auch Sie haben danach gefragt. Es gibt diesbezüglich einen lähmenden Streit, der uns große Probleme bereitet. Die Argumentation dazu, wie man die Ökosteuer ersetzen sollte, zeigt doch schon, dass Sie versuchen, die Leute hinters Licht zu führen. Sie sind nicht in der Lage, den Leuten zu sagen, welche Kosten durch die Rentenpolitik verursacht werden. Vielmehr nennen Sie das Ganze Ökosteuer und wollen damit verheimlichen, was wirklich vorgeht. Das ist doch keine verantwortungsvolle Politik. Man muss den Leuten doch sagen, wofür sie wie viel ausgeben sollen. ({6}) Ich werde Ihnen jetzt einmal sagen, wie man die gleichen Ergebnisse für die Umwelt deutlich günstiger erzielen kann als mit Ihrer Ökosteuer. ({7}) Die Ökosteuer beträgt mindestens 18 Cent pro Liter. Sie könnten mit dem Emissionshandel für 6 Cent einen Zustand herstellen, als gäbe es überhaupt keinen verbrannten Diesel und kein verbranntes Benzin. Das könnte man problemlos mit 6 Cent pro Liter erreichen. Sie verlangen 18 Cent. Dabei geht es um alles, nur nicht um die Umweltpolitik. Ich kann Ihnen das gerne vorrechnen. ({8}) - Aus dem allgemeinen Haushalt nimmt man die 18 Milliarden Euro, aber doch nicht aus dem Umwelthaushalt. ({9}) Was ist denn das für eine Argumentation? Ist die Umweltpolitik denn dafür verantwortlich, dass der Arbeitsminister nicht in der Lage ist, seine Probleme in den Griff zu bekommen? Das wird ja immer bunter. ({10}) Sie verlangen 86 Cent pro Liter Sprit. Am Schluss glauben die Leute auch noch, sie würden damit etwas für den Umweltschutz tun. 6 Cent würden ausreichen. Weder 18 Cent noch 86 Cent sind notwendig. ({11}) Dass Sie nicht in der Lage sind, Ihre Probleme in den Griff zu bekommen, und die Menschen dafür bezahlen lassen, ist eine Unverschämtheit. Das Ergebnis ist Folgendes.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- Letzter Satz, Herr Präsident. - Die Menschen merken, dass es zu teuer wird und haben deswegen keine Lust mehr, etwas für den Umweltschutz zu tun. Sie erreichen das genaue Gegenteil von dem, was Sie erreichen wollen, nämlich eine Verdrossenheit der Bürger. ({0}) Sie müssen das Geld an die Menschen zurückgeben. Dann haben sie mehrere Milliarden Euro zusätzlich in der Tasche. Dann können wir uns Gedanken über die Rentenversicherung machen. Es darf nicht abkassiert und abgezockt werden, sondern das Geld muss den Menschen zurückgegeben werden. Herzlichen Dank. ({1})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun Katherina Reiche für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Klima- und Energiefragen halten nicht nur die Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Weltmärkte in Atem, sondern auch die Politik. In den kommenden Monaten wird es darum gehen, wie wir wirksamen Klimaschutz mit preiswerter und sicherer Energieversorgung verbinden können. Sie waren in den letzten Wochen Zeuge eines wahren Wettbewerbes der Ideen. Am Ende geht es darum, welche Ideen umzusetzen sind, nicht darum, sich über das Urheberrecht zu streiten. Eine Gruppe, die Vorschläge gemacht hat, ist die von Michael Glos eingesetzte PEPPGruppe, die „Projektgruppe Energiepolitisches Programm“. Ziel ist es, diese Vorschläge umzusetzen, damit Energie für die Verbraucherinnen und Verbraucher auch in Zukunft bezahlbar bleibt. Es geht um die Steigerung und Förderung der Energieeffizienz. Es geht darum, den Menschen Möglichkeiten zu geben, den Verbrauch und die Energiekosten spürbar zu senken, zum Beispiel indem man sie darüber informiert, wie man den Strom- oder Gasanbieter wechselt. Wir haben uns auch in der CDU/CSU-Fraktion zusammengesetzt und haben mit einem Papier mit dem Titel „Energie für Deutschland“ unsere Vorschläge eingebracht. Auch wir denken an die Stellschrauben Energieeffizienz und Energieeinsparung und daran, die Energiekompetenz beim Verbraucher zu stärken, aber auch daran, deutlich mehr in die Forschung zu investieren. Bei Energieforschung und bei Effizienzmaßnahmen werden wir in Zukunft mehr investieren müssen. ({0}) Wir plädieren auch dafür, die Laufzeit der Kernkraftwerke zu verlängern. ({1}) Herr Gabriel, eine Steilvorlage von Ihnen kann ich nicht ungenutzt lassen. Sie haben gerade die Grünen aufgefordert, auf die klugen Menschen in ihren eigenen Reihen zu hören, zu denen Sie Herrn Fischer zählen, der dafür plädiert, bei der Kohle zu bleiben. Aber auch in Ihren Reihen gibt es sehr kluge Menschen, wie zum Beispiel Herrn Clement, der dafür plädiert, an der Atomenergie festzuhalten. Natürlich wollen wir keine Maulkörbe verteilen. Insofern werden wir weitere Vorschläge aus der SPD gerne entgegennehmen. ({2}) Die Vorgänge im Forschungsbergwerk Asse haben uns in den vergangenen Monaten beschäftigt. Da gab es schwerwiegende Kommunikationsdefizite ({3}) zwischen allen beteiligten Behörden. Aber es gab zu keinem Zeitpunkt eine aktuelle Gefährdung von Mensch und Umwelt. ({4}) Nach diesen Vorgängen in der Schachtanlage Asse war es notwendig, den Betreiber zu wechseln, um für ein zukunftsgerichtetes Verfahren zu sorgen. Bundesminister Gabriel hat mit Bundesministerin Schavan und dem Umweltminister aus Niedersachsen nun einen Weg vorgeschlagen, um die ordnungsgemäße Schließung der Asse herbeizuführen. Es geht darum, mit den Experten alle Optionen für eine sichere Schließung der Asse zu prüfen. Wir brauchen eine rasche und reibungslose Übergabe der Schachtanlage. Jetzt geht es darum, das Konzept für eine geordnete und sichere Schließung der Asse zu erarbeiten. ({5}) Es ist richtig, dass wir die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger nicht nur ernst nehmen, sondern darauf auch Antworten geben müssen. Natürlich hat dabei die Sicherheit bei Betriebspersonal und der übrigen Bevölkerung absolute Priorität. ({6}) Das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz steht nun vor keiner leichten Aufgabe. Wir jedoch vertrauen darauf, dass schnellstmöglich eine gangbare Lösung vorgelegt wird. Aber der Versuch einiger, die Asse mit dem sich in Erkundung befindenden Endlagerstandort Gorleben gleichzusetzen, ist politisch durchsichtig und der Katherina Reiche ({7}) Problematik in keinem Fall angemessen. Herr Gabriel, wir sind uns einig, dass dem Versuch, Asse und Gorleben gleichzusetzen, entgegenzutreten ist. Das haben Sie getan. Dafür möchten wir Ihnen danken. ({8}) Aber wer Generationenverantwortung ernst nimmt, der muss eben dafür sorgen, dass die produzierten Abfälle tatsächlich sicher entsorgt werden, und zwar unabhängig davon, wie lange die Kernkraftwerke noch laufen. ({9}) Die Endlagerung radioaktiver Abfälle ist eine staatliche Aufgabe von übergeordneter Bedeutung. Die Bundesregierung bleibt aufgefordert, „die Lösung dieser Frage zügig und ergebnisorientiert“ - so steht es im Koalitionsvertrag - anzugehen und noch „in dieser Legislaturperiode“ zu einer Lösung zu kommen. ({10}) Wir können positiv festhalten, dass wir bei der Schachtanlage Konrad einer Lösung näher gekommen sind. Die Anlage soll zügig fertiggestellt und in Betrieb genommen werden. Ich möchte aber auch sagen, dass wir als Unionsfraktion keine neue Standortsuche wollen. Das würde zu weiteren Verzögerungen führen. Das ist weder sinnvoll noch notwendig, aber definitiv kostspielig. ({11}) Wir wollen das Moratorium in Gorleben aufheben, um die Untersuchungen ergebnisoffen, Frau Kotting-Uhl, fortzuführen. ({12}) Im ersten Halbjahr dieses Jahres haben wir den zustimmungspflichtigen Teil des Integrierten Klima- und Energieprogramms fast komplett abgearbeitet. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Gesetz novelliert. Wir haben das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz verabschiedet. Wir haben in der Kraft-Wärme-Kopplung Maßstäbe gesetzt. Wir haben das Messwesen bei Strom und Gas für den Wettbewerb geöffnet. All das sind Meilensteine für den Klimaschutz. Ein Problem - das muss man ansprechen - gibt es noch in diesem Bereich; das sind die Biokraftstoffe. Dies harrt noch einer Lösung. Es gibt ungeklärte Fragen im Bereich der Nachhaltigkeit. Es gibt Fragen hinsichtlich der Biokraftstoffquote. Auch darüber werden wir noch intensiv diskutieren müssen. Ich möchte ganz klar sagen, dass wir an der Nutzung der Biokraftstoffe festhalten wollen. ({13}) Biokraftstoffe, die nachhaltig erzeugt und richtig angewendet werden, schonen das Klima und sorgen hier im eigenen Land für Wertschöpfung. Die Hersteller von Biokraftstoffen haben in den letzten Monaten schwierige Zeiten durchleben müssen. Für das Auf und Ab auf den Rohölmärkten können wir nichts. Aber bei der Besteuerung können wir sicherlich etwas machen. Deshalb haben wir dafür plädiert, die nächste Steuerstufe auszusetzen. ({14}) Ich zumindest finde, dass das ein gangbarer Weg wäre, der auch die Verbraucherinnen und Verbraucher entlasten und den Unternehmen Luft verschaffen würde. ({15}) Wichtig ist auch ein Plädoyer an dieser Stelle für die Biokraftstoffe der zweiten Generation, für die nicht die Pflanzenfrucht, sondern die gesamte Pflanze gebraucht wird, um mögliche Nutzungskonkurrenzen auszuschließen. Wir besitzen hier - ich sage: noch - die Technologieführerschaft. Ich denke an Unternehmen wie Choren oder das Bioliq-Forschungszentrum in Karlsruhe. Das sind ermutigende Beispiele. Diese wollen wir erhalten, und wir wollen ihnen die Möglichkeit geben, hier in Deutschland zu investieren und groß zu werden. Ein weiteres Thema, das auf europäischer Ebene angesiedelt ist, möchte ich hier ansprechen. Ich möchte die Aussage von Sigmar Gabriel unterstützen, dass die Ausgestaltung des europäischen Emissionshandels von entscheidender Bedeutung für den Industriestandort Deutschland ist. Ich glaube, man kann ohne Übertreibung sagen, dass Deutschland der größte Industriestandort in Europa ist und eine Palette aufweist, die in keinem anderen europäischen Land zu finden ist. Von der Chemie- über die Stahl- und die Aluminiumindustrie bis hin zu Automobilunternehmen sind alle Branchen vertreten. Wir können nicht leichtfertig alles nur unter dem Aspekt des Klimaschutzes betrachten, egal was mit unserem Industriestandort geschieht. Es ist richtig, dass nirgendwo in der Welt so effizient und unter den gegebenen Umständen so klimaschonend produziert wird wie in Deutschland. Dass Verbesserungen möglich sind, ist unbestritten, aber es ist dem Klima nicht geholfen, wenn hier Arbeitsplätze verloren gehen und Standorte verlagert werden. Das hilft dem Klima nicht und schon gar nicht dem deutschen Technologie- und Industriestandort oder den Unternehmerinnen und Unternehmern. (Beifall des Abg. Michael Brand ({16}) Es kommt nicht von ungefähr, dass ich fast täglich mit Betriebsräten von großen Unternehmen zu tun habe, die fürchten, dass ihr Unternehmen durch eine falsche Ausgestaltung des Emissionshandels wettbewerbsunfähig wird. Zumindest deren Bedenken müssen wir ernst nehmen. ({17}) Eine letzte Aussage zum UGB. Es wurde bereits angesprochen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, das einheitlich ist. Das ist bei der Komplexität der Materie kein ganz einfaches Unterfangen. Wir wollen das Umweltrecht harmonisieKatherina Reiche ({18}) ren, es soll vereinfacht und entbürokratisiert werden. Das heißt, das Leben soll danach möglichst einfacher werden. Wir wollen bisherige Standards möglichst weder anheben noch deutlich absenken. Es soll also der Status quo erhalten bleiben. ({19}) Es gibt viele offene Fragen. Ich finde es richtig, dass das Parlament, dass die Koalitionsfraktionen darauf drängen, dass diese Fragen von den zuständigen Ministerien zunächst beantwortet werden. Uns liegt daran, dass uns dieses ambitionierte Vorhaben gelingt. Ein schnelles Gesetz nützt keinem, ein Gesetz, bei dem später viele Fehler festgestellt werden und gegen das geklagt wird, hilft weder der Wirtschaft noch der Umwelt. Wir werden uns weiter mit diesen Fragen beschäftigen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({20})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Leutert, Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich muss Ihnen gratulieren. Ich bin sehr erstaunt. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie überhaupt in der Lage sind, hier einen Haushalt vorzulegen. ({0}) Das ist ein Meisterstück. Auch Sie erinnern sich doch sicher an die letzte Sitzung im Haushaltsausschuss. Es ging um die Freigabe der Mittel für die Klimaschutzinitiative, immerhin ein Kernstück in Ihrem Ministerium. Ich erinnere mich daran, wie viele Steine Ihnen von Ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen in den Weg gelegt worden sind. Es war zum Teil absurd. Man hatte den Eindruck, dass Ihr Ministerium das Oppositionsministerium ist, das nur noch von Linken und Grünen gestützt wird, ({1}) und man die SPD daran erinnern muss, dass sie den Minister im Ministerium stellt. ({2}) Tatsächlich ist es so, dass die Einnahmen aus dem Emissionshandel bei Ihnen im Ministerium derzeit mit 900 Millionen Euro verbucht sind. Das ist die Einnahmeseite. Mitnichten haben Sie aber auf der Ausgabenseite 900 Millionen Euro mehr zur Verfügung. Tatsächlich steht dort nur die Hälfte bereit. Warum? Aus zwei Gründen: Erstens. Sie müssen anderen Ministerien abgeben, damit Sie überhaupt die Zustimmung der Koalitionsfraktionen bekommen. Zweitens. Sie müssen an den Finanzminister 300 Millionen Euro wegen angeblicher Steuerausfälle durch den Emissionshandel abgeben. ({3}) Dieser holt sich also sein Geld von Ihnen zurück. Aber immerhin - kein Wermutstropfen -: Sie können ab sofort behaupten, dass Sie wahrscheinlich das erste Ministerium leiten, das sich zu zwei Dritteln aus eigenen Einnahmen finanziert. Das ist ja schon mal was. Zu den angeblichen Steuerausfällen ist Folgendes anzumerken - es ist eigentlich kaum zu glauben; ich erinnere an die großen Debatten im Sommer -: Die Energieunternehmen zocken die Bürger bis auf das letzte Hemd ab. Die Preise steigen. Die Gewinne steigen ebenfalls ins Unermessliche. Gleichzeitig weint der Finanzminister über Steuerausfälle durch den Emissionshandel. Die Regierung scheint sich selbst nicht im Klaren zu sein, wie die Effekte einzuschätzen sind. Auf eine Kleine Anfrage von uns wird in Bezug auf die Steuereffekte angegeben: Berechnungen zu diesen Effekten können seriöserweise nicht angestellt werden. Das heißt, aufgrund unseriöser Angaben nimmt Ihnen der Finanzminister 300 Millionen Euro aus Ihrem Etat. Herr Gabriel, bei allem Respekt, wenn diese Antwort auf unsere Kleine Anfrage stimmt, haben Sie sich bei den Haushaltsverhandlungen einfach über den Tisch ziehen lassen. ({4}) - Ja, wir können uns gern noch einmal zusammensetzen. Wenn Sie einen solchen Kurs für Ihre eigenen Regierungskollegen durchführen, dann können Sie uns vielleicht bessere Antworten geben. Die Situation ist vom Prinzip her exakt die gleiche wie letztes Jahr; es wurden lediglich Zahlen in den verschiedenen Einzelplänen verschoben. Es geht um die Frage: Wie werden die Einnahmen aus dem Emissionshandel eingesetzt? Da die Situation exakt die gleiche ist wie letztes Jahr, ist auch die Position der Linken exakt die gleiche wie letztes Jahr, nämlich: Die Erlöse aus dem Emissionshandel müssen zu 100 Prozent in den Klimaschutz fließen. ({5}) Herr Minister, ich kann Ihnen in diesem Punkt versichern: Im Kampf gegen die Koalitionsfraktionen können Sie weiterhin hundertprozentig auf die Linke zählen. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Anna Lührmann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Rede heute einmal anders als für eine Oppositionspolitikerin üblich beginnen, nämlich mit einem Lob für die Regierung. ({0}) Was Sie vorhaben, im nächsten Haushaltsjahr für Klimaschutz auszugeben, das kann sich in der Tat sehen lassen. 600 Millionen Euro für Klimaschutz, das ist in der Tat beachtlich. ({1}) - Freuen Sie sich nicht zu früh! Die schöne Planung hat nämlich zwei Haken: Erstens. Sie dürfen nicht nur versprechen, 600 Millionen Euro auszugeben, Sie müssen es auch wirklich tun. ({2}) Auch im Haushaltsjahr 2008 haben Sie versprochen, 400 Millionen Euro zusätzlich in den Klimaschutz zu investieren. Nun raten Sie einmal, wie viel davon bisher, also Mitte September, ausgegeben worden ist? - Keiner traut sich, etwas zu sagen. Es sind in der Tat 0 Cent. Sie tun also so, als hätten wir alle Zeit der Welt, um die Erderwärmung aufzuhalten. Dabei haben wir nur wenig Zeit. Ihre Luftbuchungen helfen uns da wirklich nicht weiter. ({3}) Zweitens. Wir als Mitglieder des Haushaltsausschusses wissen, dass neue Ausgaben für eine Regierung sehr einfach zu planen sind. Mit Mehrausgaben kauft man sich neue Freunde und macht sich keine neuen Feinde. Das ist in einem Wahljahr besonders gut. Anders sieht es aus, wenn sich eine Regierung an alte Besitzstände heranwagt, Subventionen streicht und fehlgeleitete Ausgaben kürzt. Damit verliert man alte Freunde und schafft sich neue Feinde. Das ist in einem Wahljahr besonders schlecht. Kein Wunder, dass sich die Regierung da nicht heranwagt. Nur drei Beispiele für besonders klimaschädliche Subventionen im Bundeshaushalt 2009. Erstens. Das Flugzeug ist das klimaschädlichste Verkehrsmittel überhaupt. Die CO2-Emissionen des Luftverkehrs übersteigen schon lange die aller weltweit genutzten Lkws. Eine Regierung, die Klimaschutz wirklich ernst meint, müsste also alles dafür tun, dass Flugverkehr reduziert wird. Was macht die Große Koalition? Sie subventioniert die Luftfahrtindustrie weiterhin mit 7 Milliarden Euro im Jahr. Durch die Steuerbefreiung für Kerosin ist Fliegen oft billiger als die Taxifahrt zum Flughafen. Das darf wirklich nicht so bleiben. ({4}) Zweites Beispiel. Die Verbrennung von Kohle ist mit die klimaschädlichste Form, Strom zu erzeugen. Selbst das modernste Kohlekraftwerk stößt doppelt so viel CO2 aus wie ein modernes Gaskraftwerk. Wenn alle in Deutschland geplanten Kohlekraftwerke noch gebaut werden, dann stoßen sie mehr CO2 aus, als in Deutschland 2050 noch ausgestoßen werden darf. Deshalb sind führende Umweltexperten, die grüne Partei und die grüne Bundestagsfraktion eindeutig gegen den Bau von neuen Kohlekraftwerken, solange es nicht gelingt, CO2 abzuscheiden. ({5}) Selbst wenn man dieses strittige Thema des Kraftwerksneubaus einmal ausklammert, muss man sich doch die Frage stellen, was die Koalition beim Thema Steinkohle noch so macht. Schaut man in den Subventionsbericht, dann sieht man, dass die Bundesregierung die Steinkohle immer noch mit knapp 2 Milliarden Euro im Jahr subventioniert, und das, obwohl sich der Weltmarktpreis für Steinkohle seit 2005 fast verdoppelt hat. Ein weiterer Beleg dafür, dass Ihre Klimaschutzpolitik aus viel heißer Luft besteht, Herr Gabriel! ({6}) - Gegen die Subvention sind wir Grüne schon immer gewesen, wenn Sie sich recht erinnern. ({7}) - Ich möchte Sie daran erinnern, Herr Kollege Kelber: In Koalitionen macht man Kompromisse. Wir Grüne, übrigens inklusive Joschka Fischer, sind immer dafür eingetreten, möglichst schnell aus der Steinkohlesubventionierung auszusteigen. ({8}) Das dritte Beispiel. Die Industrie in Deutschland ist immer noch für 20 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich. Eine Regierung, die Klimaschutz wirklich ernst meint, darf klimaschädliches Verhalten der Industrie nicht weiter subventionieren. Wie steht es so schön in Ihrem Diskussionspapier zum Thema „Ökologische Industriepolitik“, Herr Gabriel, auf das Sie, glaube ich, relativ stolz sind? Ich zitiere: Oftmals aber bringen Subventionen Märkte nicht in Bewegung, sondern zementieren Besitzstände. Nicht Dynamik, sondern Statik ist die Folge. Sehr richtig!

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin Lührmann, möchten Sie kurz vor Ende Ihrer Rede noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kauch beantworten?

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr gern.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin, es ist eher unüblich, dass eine Oppositionsfraktion den Minister verteidigen will, aber hier werden Legenden aufgebaut, die man so nicht stehen lassen kann. Sie sagen, es war Joschka Fischer, der an der Spitze stand, als es darum ging, die Steinkohlesubventionen abzubauen. Das haben wir nicht nur in der rot-grünen Koalition nicht erlebt. Wir haben vor allen Dingen das Jahr 1997 in Erinnerung, als nämlich die schwarz-gelbe Regierung die Steinkohlesubventionen erstmals gesenkt hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wer auf den Barrikaden der Gewerkschaften stand und gesagt hat, dass das sozusagen der Untergang der Wirtschaft ist. ({0}) Es war Joschka Fischer, der auf den Gewerkschaftsveranstaltungen dagegen polemisiert hat. Sie sind immer da, wo eine Bürgerinitiative ist, die stänkert, oder eine Gewerkschaft, die etwas blockieren will. Aber wenn hier tatsächlich ökonomisch sinnvolle Politik gemacht wird, dann sind Sie nicht dabei, insbesondere deshalb nicht, weil Sie den Emissionshandel nicht verstehen. Der Minister hat völlig recht: Ein neues Kohlekraftwerk erhöht die CO2-Emission nicht. Man kann sich nicht einfach Technologien heraussuchen, die man nicht will. Wenn es Emissionshandel gibt, wird der Markt entscheiden, welche Technologien eingesetzt werden. ({1})

Dr. Anna Lührmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003585, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauch, ich bin ganz verwundert darüber, dass ausgerechnet Sie als FDP-Politiker eine der größten Subventionen im Bundeshaushalt so vehement verteidigen. ({0}) 2 Milliarden Euro für den Absatz der deutschen Steinkohle, das ist nicht sinnvoll. Deshalb gab es zum Beispiel im Landtag Nordrhein-Westfalen im letzten Jahr einen gemeinsamen Antrag von CDU, FDP und Grünen für den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Steinkohle. Das ist die Position, die wir als Fraktion von Bündnis 90/ Die Grünen hier vertreten. Das ist die Position, die wir in die Koalitionsverhandlungen der rot-grünen Koalition eingebracht haben. ({1}) Zurück zu meiner Rede. Ich wollte noch auf die Steuerbefreiung für die Industrie im Bereich Energie eingehen, die für Großkonzerne immer noch 5 Milliarden Euro im Jahr ausmacht, an die Sie sich nicht heranwagen, Herr Gabriel. Damit ist ziemlich klar, dass Sie hier Schönwetterklimaschutz betreiben. Wenn Ihnen der Wind rau ins Gesicht weht, streichen Sie die Segel. Wenn man allein diese drei Beispiele für klimaschädliche Subventionen addiert, kommt man auf 14 Milliarden Euro, die für die Verschmutzung des Klimas ausgegeben werden. Jetzt wollen Sie mit einem 600Millionen-Euro-Programm die Auswirkungen dieser klimaschädlichen Politik wieder reparieren. Das ist das Gegenteil von nachhaltiger Politik, und das gehört abgewählt. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Ulrich Kelber, SPDFraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe in der Debatte eines gelernt: Ich werde in Zukunft nicht mehr behaupten, dass die FDP den Rentnerinnen und Rentnern 18 Milliarden Euro wegnehmen will, um ihre steuerpolitischen Vorschläge zu finanzieren. Wir haben heute gelernt, dass sie 18 Milliarden Euro mehr Schulden aufnehmen möchte. Ich halte das für konsequent. 1997 - das letzte Jahr, in dem die FDP an der Bundesregierung beteiligt war - war das Jahr mit der höchsten Neuverschuldung in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und dem höchsten Eingangssteuersatz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zugleich wurden in diesem Jahr die Bildungsausgaben in Deutschland radikal gekürzt. Der Minister, der diese Kürzungen mittrug, nannte sich damals Zukunftsminister. Man muss auch einen anderen Punkt in Erinnerung rufen: Die FDP hat einen Anteil von 75 Prozent der Mineralölsteuer mitbeschlossen. Dementsprechend passt das, was ich am Anfang sagte. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Meierhofer zulassen?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Herr Kelber, nur noch einmal zur Klarstellung: Wir als FDP gehen davon aus, dass durch technologischen Fortschritt der Benzinverbrauch in den nächsten Jahren sinken wird. Wenn Sie diese Feststellung teilen, behalten Sie das bitte im Hinterkopf bei Ihrer Antwort auf die folgende Frage: Wollen Sie, wenn der Benzinverbrauch sinkt, dann als nächsten Schritt die Renten der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland kürzen, weil diese ja zum Teil über die Ökosteuer erwirtschaftet werden? ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Jetzt verstehe ich das FDP-Konzept noch besser: Sie wollen im nächsten Jahr 18 Milliarden Euro neue Schul18810 den und dann aufgrund technischer Verbesserungen diese zusätzliche Neuverschuldung etwas senken, also zum Beispiel auf 17,5 oder 17 Milliarden Euro. Das war eine wichtige zusätzliche Korrektur Ihres Programms. Vielen Dank. ({0}) Ich höre der Kollegin Lührmann immer gerne zu, aber rhetorisches Geschick ersetzt keine Fakten. ({1}) Nehmen wir einmal Ihr Beispiel mit den 400 Millionen Euro. Ich würde Sie darum bitten, nächstes Mal, bevor Sie reden, die Drucksachen des Haushaltsausschusses zu lesen. In der Drucksache 16({2})4473 werden die gesamten Bewilligungen aus diesem Programm benannt. Hier findet sich auch das Marktanreizprogramm. Die Gelder für das Marktanreizprogramm für erneuerbare Energien im Wärmebereich, das ja noch aus rot-grünen Zeiten stammt, wurden ja deutlich aufgestockt. Ende August war das Geld jedoch, wenn man die oben genannten 400 Millionen Euro außen vor lässt, aufgrund der hohen Zahl bewilligter Anträge ausgeschöpft. Das heißt, das ganze restliche Jahr werden die 30 000 Anträge, die sich im Augenblick im Bewilligungsverfahren befinden, aus den 400 Millionen Euro bedient. Eine Zahl aus einem großen Bericht herauszuklauben, um damit das Ganze zu diskreditieren, ist, wie ich glaube, dem Ernst der Sache nicht angemessen. ({3}) Wir haben in der Umweltpolitik viele Aufgaben. Auf der Artenschutzkonferenz und bei anderen Gelegenheiten haben wir ja viele wichtige Themen in diesem Jahr behandelt, die nicht unmittelbar mit Energie und Klimaschutz zu tun haben. Wenn man aber mit den Menschen redet, stellt man fest, dass sie im Augenblick von der Umweltpolitik insbesondere zu zwei Themen Antworten erwarten: zum Klimaschutz und zum Umgang mit den hohen Energiepreisen. Manche Menschen wissen nämlich einfach nicht mehr, wie sie in diesem Jahr die Heizkosten bezahlen sollen, und noch weniger, wie sie in Zukunft damit klarkommen. Das macht ihnen verständlicherweise Angst. Das Spannende für uns in der Politik ist doch, dass wir auf beide Herausforderungen die gleichen Antworten geben können, ({4}) nämlich radikal den Energieverbrauch senken und die bisherigen Energieträger durch die preisstabileren und endlos verfügbaren erneuerbaren Energien ersetzen. Ich halte es übrigens für sehr wichtig, dass die meisten Mitglieder des Deutschen Bundestages den Menschen die Wahrheit sagen, nämlich dass wir die Preise nicht heruntersubventionieren können; weder durch Steuersenkungen noch durch Zuschüsse können wir die Mehrkosten, die den Menschen entstanden sind, kompensieren. Es gibt zwar Ausnahmen für Einzelne - ich nenne hier die Erhöhung des Wohngeldes -, aber die große Masse der Geldmittel muss dazu verwendet werden, den Unternehmen und den Privathaushalten zu helfen, die Energiekosten radikal zu reduzieren. Das kann nur geschehen, indem auch der Verbrauch radikal reduziert wird. Wir haben dabei mit mehreren Herausforderungen zu kämpfen: Erstens müssen wir die Unternehmen durch ordnungsrechtliche Maßnahmen verpflichten, energieeffizientere Geräte anzubieten. Ich würde mir wünschen, dass die Europäische Union im Rahmen der Ökodesignrichtlinie mehr von dem umsetzen würde, was der Deutsche Bundestag schon beschlossen hat. Ich nenne beispielhaft die Top-Runner-Systematik, nämlich dass immer die besten Geräte den Standard definieren ({5}) und alle anderen Geräte diesen Standard innerhalb der nächsten fünf Jahre entweder auch erreichen müssen oder sonst nicht mehr eingesetzt werden dürfen. Ich bin übrigens immer wieder erstaunt, wie die Beamten des Wirtschaftsministeriums in Brüssel in Verhandlungen genau das Gegenteil von dem einbringen, was wir hier einhellig im Deutschen Bundestag beschlossen haben. So habe ich Anrufe aus Den Haag oder Paris bekommen, wo ich gefragt wurde: Was ist eigentlich mit euren deutschen Unterhändlern los? Die sprechen sich gegen die Top-Runner-Systematik aus, obwohl ihr sie doch gerade im Parlament beschlossen habt. Ich glaube, dass wir auch einige nationale Instrumente zusätzlich zum Top-Runner-Programm einsetzen müssen. Ich bin dafür, dass wir 10 Prozent der besten Geräte den Blauen Engel verleihen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kauf sofort wissen, ob es noch ein besseres Gerät geben könnte oder ob das eigene Gerät bereits effizient ist und durch seinen Verbrauch sparsam mit ihrem Geld umgeht. Das könnten wir auf nationaler Ebene zusätzlich machen. Wir müssen den Menschen helfen, die nicht genügend Geld haben, um in energieeffiziente Geräte und in die Hausdämmung zu investieren, die also nicht über diese Investitionshürde kommen, um danach preiswerter zu leben. An diesem Punkt brauchen wir die öffentlichen Fördermittel. Das kann der Markt nicht allein leisten. Hier müssen wir uns auch über neue Instrumente unterhalten, um diesen Menschen zu helfen, zum Beispiel den etwas teureren Kühlschrank zu kaufen, der aber jedes Jahr 50 Euro weniger an Stromkosten verursacht. Dies könnte zum Beispiel über Minikredite oder Mini-Contracting erfolgen. Es erscheint immer das Reizwort der Sozialtarife. Ich bin auch kein Anhänger von Sozialtarifen. Ich glaube, dass sie eine erneute Subvention sind. Ich bin aber ein Anhänger davon, die Energietarife in Deutschland endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. In diesem Land ist es - pro Kilowattstunde - billiger, mehr Energie zu verbrauchen. Ich bin daher dafür, die Energieanbieter darauf zu verpflichten, dass es billiger wird, weniger Energie zu verbrauchen, dass die Kilowattstunde also mit zunehmendem Verbrauch teurer wird. Das ist eine Herausforderung, der sich die Politik im Rahmen der Daseinsvorsorge stellen sollte, nämlich die Energieanbieter dazu zu verpflichten. Wir sind dafür da, Gesetze und Verordnungen zu machen, die so etwas erzwingen, wenn es vonseiten der Energieanbieter nicht freiwillig passiert. ({6}) Ich habe in der letzten Woche eine Pressemitteilung herausgegeben, die „Atomsekte die 523.“ hieß. Ich müsste heute eine herausgeben, die „Atomsekte die 524.“ hieße. Es ist traurig, dass der Gag kurz vor der bayerischen Landtagswahl, der den Menschen erzählt, man müsste nur die Atomkraft länger laufen lassen, dann würden sie 40 Milliarden Euro mehr in der Tasche haben, in der öffentlichen Wahrnehmung so schnell verpufft. ({7}) Die Expertinnen und Experten, die Verbraucherzentrale Bundesverband, der Sachverständigenrat der Bundesregierung und andere haben sich mit diesem Vorschlag beschäftigt. Als man bei RWE sagte, man wisse nicht, wie die CDU/CSU auf 40 Milliarden Euro komme, das sei völlig aus der Luft gegriffen, hat man sehr schnell bei RWE angerufen. Einen Tag später hat dann ein anderer Sprecher von RWE gesagt, man ziehe diese Äußerung zurück. Ich kann mir vorstellen, welche politische Intervention aus dem Kanzleramt vorher erfolgt ist. Man muss aber die Zahlen benennen. Sie bieten den Menschen einen Fonds an, der im Jahr 2029 vollständig gefüllt ist. Das ist natürlich eine Antwort auf die hohen Energiepreise des Jahres 2008. Sie bieten eine Entlastung an, zu der der Experte der Verbraucherzentrale Bundesverband sagt, jedem Haushalt eine Energiesparleuchte zu geben, würde mehr Entlastung bringen als der Vorschlag der CDU/CSU. Das Letzte, was ich wirklich nicht verstehen kann, ist das Folgende: Diesen vier Energiemonopolisten, die mit 16 Milliarden Euro Gewinn jedem Bundesbürger 200 Euro aus der Tasche ziehen und die sich an keine Vereinbarung halten, sagen Sie, Sie wollen die 40 Milliarden Euro nicht per Gesetz nehmen, Sie wollen mit ihnen freiwillige Vereinbarungen schließen und das Gespräch suchen. Glauben Sie, dass irgendein Mensch - abgesehen von den 110-prozentig überzeugten Atomenergieanhängern - glaubt, dass es in der Geschichte der Bundesregierung jemals zu diesem Fonds kommen wird? Das ist nichts anderes als eine Verlängerung der Monopole, die den Menschen längst das Geld aus der Tasche ziehen. Diese Politik muss beendet werden. Wir sind auf einem guten Weg. Das läuft aus, dabei wird es bleiben. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Ulrike Flach hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kelber, das Kuscheln hat offensichtlich ein schnelles Ende gefunden. Man ist immer wieder erstaunt darüber, wie weit gerade die Umweltpolitikideen der beiden Fraktionen auseinandertreiben. ({0}) - Na ja. Eines muss man dem Minister lassen, das muss ich als Haushälterin an dieser Stelle sagen. Sie sind mit Sicherheit der Sieger dieser Haushaltsplanungen für das Jahr 2009. Sie haben es immerhin geschafft, Ihren Etat in einem einzigen Jahr um über 50 Prozent zu steigern und ihn innerhalb von drei Jahren nahezu zu verdoppeln. Frau Schavan lächelt schon ganz glücklich. Das ist eine Leistung, die wir uns für den Bereich Bildung und Forschung gewünscht hätten. ({1}) Allerdings basiert dieser Haushalt auf einer Luftbuchung, genauer gesagt auf der Buchung von verschmutzter Luft. Er basiert nämlich auf den prognostizierten Einnahmen von 460 Millionen Euro aus den Emissionszertifikaten. Ich sage an dieser Stelle sehr klar: Die FDP war die einzige Partei, die ungefähr zehn Jahre lang für den Emissionshandel gekämpft hat. Das heißt, wir stehen diesem Instrument natürlich ausgesprochen positiv gegenüber. Aber wir sind definitiv der Meinung, dass die Mittel, die dadurch hereinkommen, völlig anders verwendet werden sollten als in der Form, die Sie uns hier vorführen. ({2}) Entlastung ist unsere Maxime, nicht Subventionierung politischer Wunschträume. Gebt den Menschen, die unter den hohen Energiepreisen leiden, dieses Geld über eine Senkung der Stromsteuer zurück! ({3}) Das ist unser Vorschlag, nun schon im zweiten Jahr. Man muss sich überlegen: Rund 6,3 Milliarden Euro an Stromsteuern nimmt der Staat jedes Jahr ein; das sind 20,50 Euro pro Megawattstunde. Das schreit nach Entlastung, nicht nach Subvention. ({4}) Dies gilt übrigens umso mehr, auch vor dem Hintergrund der Diskussion, die wir eben hatten, als wir davon ausgingen, dass wir in ein paar Jahren ungefähr das Zehnfache von der Summe, über die wir im Augenblick reden, einnehmen werden. Sie aber, Herr Gabriel, finanzieren damit Ihre Klimaschutzinitiative, 120 Millionen Euro für internationale, 340 Millionen Euro für nationale Klimaschutzmaßnahmen. Bei beiden haben wir, auch inhaltlich, erhebliche Bedenken. Ich denke, einige der internationalen Projekte, gerade was die Länder China und Russland betrifft, werden wohl kaum auf großes Verständnis in diesem Lande treffen. ({5}) Ich weiß nicht, warum in einem Lande wie Russland Gebäudesanierungen vorgenommen werden müssen und warum die Subventionierung einer nachhaltigen Energieversorgung von Sotschi, der Stadt der Olympischen Winterspiele, nahe am ergiebigsten Erdöl- und Gasgebiet in Russland gelegen, mit deutschen Steuermitteln erfolgen muss. ({6}) Auch bei den nationalen Projekten ist Skepsis angebracht. Ist es wirklich Aufgabe des Bundes, ein neues Verzinkungsverfahren zur Herstellung von Stahlseilen zu finanzieren - 1 Million Euro für die Vermeidung von 486 Tonnen CO2 - oder 2 Millionen Euro für die thermische Klärschlammverwertung in Albstadt aufzubringen? Sie finanzieren damit, Herr Gabriel, Aufgaben mit Steuermitteln, die die Wirtschaft oder, im Falle von Albstadt, die Kommunen selbst finanzieren sollten. Ihr Klimaschutz ist im Prinzip nur noch eine einzige, wirklich sehr klar zu Tage tretende Subventionierungspolitik, nicht mehr. ({7}) Übrigens habe ich am heutigen Tage den Äußerungen des Kollegen Tiefensee entnehmen müssen, dass solche Pläne im Energiebereich von den Verkehrspolitikern noch zu toppen sind. Er möchte zukünftig zinsverbilligte Darlehen für neue Autos von Geringverdienern über unsere tolle Staatsbank KfW mit Anrechnung der Altautos ausgeben, um CO2 zu vermeiden. Der Staat als Autohändler für dieses Land, das ist wirklich das Letzte, was wir Liberalen uns vorstellen können! ({8}) Wir haben eben schon über Asse gesprochen. Wir bezweifeln, Herr Gabriel, dass die von Frau Schavan angeführten Kosten von ungefähr 1 Milliarde Euro wirklich in dieser Höhe entstehen werden. Wir sind gespannt, wie Sie das in Ihrem Haushalt, den wir auch in diesem Jahr generell als Blackbox bezeichnen, verkraften werden. Das werden wir sehen, vor allen Dingen bei den Beratungen. „Blackbox“ heißt unter dem Strich: Sie hantieren mit Subventionsprogrammen, von denen wir weder wissen, ob das nötige Geld da ist - da bin ich bei Ihnen, Frau Lührmann -, noch, ob es richtig ausgegeben werden kann, und schon gar nicht, ob Sinn und Zweck wirklich erfüllt werden. Sie haben mit der Asse ein Projekt übernommen, dessen finanzielle Auswirkungen völlig unklar sind und die Sie in diesem Haushalt bisher nicht darstellen können. Das heißt, es wird spannend bei den Beratungen. Ich bin gespannt, was wir im November zu diesem Thema hören werden. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bernhard Schulte-Drüggelte hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Schulte-Drüggelte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003629, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Über Sinn und Zweck dieser Maßnahmen möchte ich gleich sprechen. Aber zuerst möchte ich noch einmal deutlich machen, dass der Einzelplan 16 des Bundesumweltministers für das Jahr 2009 eine ganz erhebliche Steigerung erfahren hat. Er steigt auf 1,32 Milliarden Euro; das sind 477 Millionen Euro mehr als 2008. Das zeigt, welche Bedeutung der Klimaschutz für diese Koalition hat. Das zeigt auch, dass wir nicht nur reden, sondern auch die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. ({0}) Im nächsten Jahr wird es in zwei Bereichen zu wesentlichen Veränderungen kommen. Das ist zum einen die Klimaschutzinitiative. Die Mittel hierfür werden eine Steigerung um 60 Millionen Euro auf insgesamt 460 Millionen Euro erfahren. Zum anderen werden im Endlagerbereich 12,6 Millionen Euro für die Umrüstung des Schachtes Konrad zu einem Endlager für schwach- und mittelradioaktive Stoffe zur Verfügung gestellt. Ich will auch sagen, dass die Konsolidierung des Haushaltes natürlich im Vordergrund steht. Aber neben dem Konsolidieren steht - das haben wir oft gesagt; das ist auch in diesem Haushalt so - das Investieren. Auch im Einzelplan 16 steigen die Investitionen. Es wurde schon angedeutet: Diese Klimapolitik zeigt, dass die Bewahrung der Schöpfung und gleichzeitig eine nachhaltige Entwicklung möglich sind. Das ist die These der Verknüpfung der ökologischen Verantwortung mit der ökonomischen Vernunft. Das passt zusammen und zeigt sich in diesem Haushalt. ({1}) Wir haben - auch darauf können wir stolz sein - in diesen Jahren der Koalition viel erreicht. Wir werden den zukunftsorientierten Bereich des Klimaschutzes weiter ausbauen. Ein Beispiel ist das Marktanreizprogramm. Wie der Name schon sagt, soll es ein Anreiz für Investitionen sein. In der Diskussion der letzten Jahre war es wichtig, dass eine Verstetigung stattfindet. Das passiert jetzt. Die Mittelansätze werden deutlich erhöht, und zwar von 164 Millionen auf 400 Millionen Euro. Das zeigt, dass man das ernst nimmt. Beispiele hierfür sind Solarkollektoren für die Erzeugung von Warmwasser, Holzpelletheizungen, die Kraft-Wärme-Koppelung und Kälteanlagen im gewerblichen Bereich. Auch Kommunen, öffentliche Einrichtungen und Schulen sollen - das ist für die Zukunft ganz bedeutsam, weil es neu ist - gefördert werden. Ich bin sicher, dass dieses Programm gerade von den Städten und Gemeinden sehr gut angenommen wird, ({2}) die Mittel, die noch nicht voll genutzt wurden, eingesetzt werden und es ein erfolgreiches Programm wird. ({3}) Vorhin wurde gesagt, dass der Klimaschutz in der Regierung breit aufgestellt ist. Ich will über die 600 Millionen Euro sprechen, die aufgrund der Erlöse aus dem Emissionshandel zu erwarten sind. Diese fließen an das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit - das ist klar -, an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Ministerium für Wirtschaft und Technologie, das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie an das Ministerium für Bildung und Forschung. Daran sieht man, dass wir breit aufgestellt sind, dass nicht nur ein Ministerium mit Klimaschutz befasst ist und dass die Regierung insgesamt eine erfolgreiche Arbeit gemacht hat. Geld weckt natürlich Begehrlichkeiten. Das ist klar; das kann man verstehen. In der letzten Zeit gab es eine Diskussion darüber, was mit diesem Geld passiert. Es gab auch Begehrlichkeiten bei der Europäischen Union. Eines möchte ich deutlich machen: Das Geld aus den Emissionserlösen muss natürlich in Deutschland bleiben. Ich hoffe, dass wir uns zumindest in diesem Punkt einig sind. ({4}) Ich möchte den Bereich der Endlagerung radioaktiver Stoffe ansprechen. Ich habe zu Beginn meiner Rede den Schacht Konrad erwähnt. Im letzten Jahr wurde ein Bericht über die Umrüstung vorgelegt. Wir müssen natürlich überprüfen, inwiefern dieser Plan eingehalten wurde. Klärungsbedürftig ist auch das Endlager Morsleben. Wir müssen fragen, warum das Planfeststellungsverfahren noch immer stockt. Man sagt: Zeit ist Geld. Dies ist Steuerzahlergeld. Wir müssen sehen, dass nicht weiter verzögert wird, und müssen herausfinden, an wem dies liegt. ({5}) Zum ehemaligen Forschungsendlager Asse, das jetzt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesumweltministers überstellt wird. Diese Entscheidung ist neu und findet sich nicht im Haushalt wieder. Aber dies wird haushaltsrechtliche Auswirkungen haben. Es wurde vorhin angedeutet: Das ist natürlich eine Herausforderung. Ich vermute, dass das mehr kosten wird als geplant. Im Forschungshaushalt wurden 850 Millionen Euro angesetzt. Man muss davon ausgehen, dass das teurer wird. Ich möchte aber auch sagen, dass im Interesse der Menschen vor Ort und im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seit dem Vorliegen des Statusberichts konsequent und zügig gehandelt worden ist. ({6}) In diesem Zusammenhang möchte ich Frau Ministerin Schavan und Herrn Minister Gabriel für eine schnelle und sachgerechte Entscheidung beim Betreiberwechsel danken. ({7}) Herr Kelber, im Übrigen sage ich: Wer den CO2-Ausstoß in naher Zukunft reduzieren will, muss auch über eine Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken sprechen. Ich sage das nur einmal so. ({8}) Vielleicht ist diesbezüglich eine sachgerechte Entscheidung, zum Beispiel für einen Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien, möglich. Von Ihrem Fraktionsvorsitzenden habe ich einen Ausspruch gehört, den ich ganz gut fand: Alles hat seine Zeit. - Vielleicht auch diese Entscheidung. ({9}) Ich danke an dieser Stelle allen für die gute Vorbereitung und für die Informationen, die wir bekommen haben. Ich wünsche uns allen eine gute Beratung. Danke. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzte Woche hat sich der Vorstand der CDU/CSUBundestagsfraktion zu Wort gemeldet. Mit seinem Energiepapier macht er nicht nur Front gegen den Koalitionspartner, die Union richtet sich auch gegen die Bürgerinnen und Bürger, denen sie mit sehr seltsamen Argumenten niedrige Strompreise verspricht. So soll der Ausstieg aus dem Ausstieg den Stromkunden angeblich 40 Milliarden Euro einbringen; denn Atomstrom ist ja so billig. Billig ist aber auch die Logik. Ich frage Sie: Würden Eon & Co. die Preise wirklich senken wollen? Warum sollten sie das tun? Noch einmal zum Mitschreiben: Der Handelspreis bildet sich an der Strombörse nicht auf Grundlage der niedrigsten Kraftwerksgrenzkosten bei Brennstoffen und Betrieb, sondern auf Basis der höchsten, und die haben in der Regel Gasoder Steinkohlekraftwerke, nicht aber abgeschriebene AKWs. Je deutlicher ein Kraftwerk unter den genannten Kosten liegt, umso höher ist dessen Gewinn. Deshalb bedeutet jede Stunde längere Laufzeit zusätzlichen Profit für Atomkraftwerke. Für alle, die zuhören: Das heißt, eine Million Euro Profit pro Tag pro abgeschriebenem AKW. Darum geht es! ({0}) Um dieses Geld zu kassieren, bliebe die Brennelementesteuer, die Minister Gabriel vorschlug. Wir unterstützen diese Idee. Die Union lehnt sie natürlich ab, ganz strikt, wie ich lese. Ich frage Sie: Wie wollen Sie denn an die 40 Milliarden Euro herankommen? Vielleicht wird diese Frage ja gleich noch geklärt. ({1}) Glauben Sie tatsächlich an eine Vereinbarung mit den Konzernen? Da kann ich nur lachen. Das kennen wir alle. Das ist lächerlich. ({2}) Eine Brennelementesteuer wäre der einzige Weg, die enormen Mitnahmeeffekte der Atomverstromer für die bislang vereinbarte Laufzeit wenigstens zu begrenzen. Sie wäre übrigens auch der einzige Weg, die absurd hohen Gewinne abzuschöpfen, die den AKW-Betreibern aus dem Emissionshandel zusätzlich zufließen. Durch die Kosten für die Zertifikate steigt der Großhandelspreis nämlich noch ein Stück weit an. Diese WindfallProfits bei AKWs bleiben im Gegensatz zum Kohle- und Gasbereich übrigens auch dann bestehen, wenn die Emissionsrechte ab 2013 vollständig versteigert werden. Nun will die Union die Laufzeiten sogar um weitere 30 Jahre verlängern. Das heißt nicht nur 30 Jahre mehr Risiko - insbesondere in Bayern, wo 62 Prozent des Stroms aus Atomenergie stammen -, sondern auch 30 Jahre lang Extraprofite in Milliardenhöhe aus dem Zertifikatshandel. Aber Sozialtarife für Familien, die ihre Kinder nicht in die Ferien schicken können, lehnen Sie ab. Das zeigt für mich, wie christlich und sozial Sie wirklich sind. ({3}) Jetzt wollen CDU und CSU auch noch schnell das Gorleben-Moratorium aufheben. Dazu kann ich nur sagen: super. Das ist die Antwort auf das Desaster mit Asse II und kommt gerade jetzt, wo klar wird, dass all die Versprechungen von Politik und Wissenschaft, die wir jahrzehntelang hören konnten, in sich zusammenstürzen wie in Kürze die Salzpfeiler des vermeintlichen Endlagers. Noch ein letztes Wort zum Emissionshandel: Wer die Energiewirtschaft auch nach 2012 kostenlos mit Zertifikaten ausstatten will - und seien es nur die Kraftwerksneubauten -, hat entweder nichts von der Idee des Emissionshandels begriffen oder ist ein unverbesserlicher Lobbyist der Stromkonzerne. Eines von beiden können sich Herr Glos und Herr Huber aussuchen. ({4}) In Ehrfurcht vor der Weisheit der beiden tippe ich auf Lobbyismus. Hier kennt man sich schließlich aus, besonders prächtig in Bayern. Im Freistaat freut man sich beispielsweise über mehr Verkehr, sei es auf der Straße, in der Luft oder zu Wasser. Das nutzt den Baukonzernen und auch anderen. Die Union möchte folgerichtig für 2009 1 Milliarde Euro mehr zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, weil Deutschland, wie ich gelesen habe, ein Transitland ist. Dafür muss dann die Donau herhalten. Eine dritte Startbahn in München und einiges mehr sollen gebaut werden. Ich kann Ihnen nur sagen: Die Menschen in Bayern wehren sich. Sie wehren sich zum Beispiel gegen den Transrapid, gegen den Bau der A 94 München-Passau durch das Isental, gegen die Fichtelgebirgsautobahn und gegen die Verkehrsanbindung an den Nürnberger Flughafen durch den Reichswald. Ich kann Ihnen nur sagen: Es gab in München eine große Demonstration von Umweltverbänden. Diese sagen: So geht es nicht weiter. Wir wollen ein lebenswertes Bayern. - Das unterstützen wir. Ich hoffe, auch Sie unterstützen das mit dem Haushalt, indem diese Großprojekte klug überdacht und gestrichen werden. Wir brauchen das Geld für andere Dinge. ({5}) Ich hoffe, dass Sie - leider sind nur wenige Kolleginnen und Kollegen der CSU bei dieser Umweltdebatte anwesend ({6}) nächste Woche die Quittung dafür bekommen. Danke. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Hit zum Umwelthaushalt heißt: 600 Millionen Euro mehr für den Klimaschutz. Wie vieles, das man von der Regierung zum Klimaschutz hört, klingt das gut. Aber was nützen diese 600 Millionen Euro, wenn es nicht die richtige Begleitmusik zum Hit gibt, also die richtige Politik? Da herrscht statt Harmonie die reine Dissonanz. Diese 600 Millionen Euro für den Klimaschutz sind eingebettet in eine Politik von abschreibungsfähigen Dienstwagen, die gerne auch mit einem CO2-Ausstoß von 360 Gramm pro Kilometer über Autobahnen ohne Tempolimit brettern dürfen, in eine Biospritstrategie, die die Urwaldrodung direkt anheizt, und in Ihre Kohlepolitik, Herr Umweltminister. Was wollen Sie allein gegen diese von Ihrer falschen Politik produzierten Emissionen mit 600 Millionen Euro anfangen? Diese 600 Millionen Euro haben Ähnlichkeit mit Ihrer Patenschaft für Knut ({0}) - nichts gegen Knut -, den Bildern der Kanzlerin vor den Eisbergen und mit den Reden auf der COP 9, die auch 2009 mit Kürzungen in Höhe von fast 3 Millionen Euro beim Naturschutz bezahlt wird. Das ist mehr PR als reeller Klimaschutz. Wir brauchen aber reellen Klimaschutz mit hohem Wirkungsgrad. ({1}) - Sie können eine Zwischenfrage stellen, Herr Kelber. Meine Redezeit ist zu kurz. Dafür müssten Sie als Erstes im Kabinett den Lobbyisten der Automobil- und Energiekonzerne die Tür weisen. Als Zweites müssten Sie lernen, Ihr Ressort gegen die Interessen, auch die Wahlkampfinteressen, Ihrer Kabinettskollegen zu verteidigen. Was Sie sich beim Abstimmungsprozess zum Umweltgesetzbuch von den bayerischen Kollegen Seehofer und Glos haben bieten lassen, spottet der Beschreibung. Das als größtes umweltpolitisches Vorhaben dieser Legislatur angekündigte Werk glänzt nun damit, die Eingriffsregel, das zentrale Element des Naturschutzes, im Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsminister und dem Verkehrsminister festlegen zu wollen. Das sind bekanntermaßen oberste Naturschützer. Das Begehr, Naturverlust durch Geld ausgleichen zu lassen, ist bei ihnen gut aufgehoben. Aber hier geht es leider nicht um Einnahmen, sondern - ganz im Gegenteil - um immense zukünftige Kosten durch den dadurch weiter angeheizten Natur- und Biodiversitätsverlust. Auch das Buch „Erneuerbare Energien“ haben Sie sich von Ihren Kollegen aus dem UGB schmeißen lassen. Dieser Entwurf eines UGB in Zeiten des Klimawandels enthält nun außer dem von der EU vorgegebenen Emissionshandel nichts zum Klimaschutz, nichts zu den Wirkungsgraden fossiler Kraftwerke, nichts zur Ressourcenschonung und nichts zum Anbau von Biomasse. Das ist kein Umweltgesetzbuch. Das ist eine Umgehungsstraße, um den Klima- und Naturschutz. Auch die Umweltbrisanz bergbaulicher Vorhaben wird im UGB-Entwurf ignoriert. Die Asse ist vermutlich nur das hässlichste Beispiel für diese Brisanz. Die grüne Opposition konnte Sie - so sind nun einmal die parlamentarischen Gepflogenheiten - nicht dazu bringen, das Atommüllendlager Asse unter Atomrecht zu stellen. Die Macht des Faktischen und die nicht mehr zu übersehende - vorsichtig ausgedrückt - Inkompetenz der Betreiber haben Sie jetzt dazu gebracht. Ich gratuliere Ihnen, zwar nicht zu einem Vergnügen - das weiß ich -, aber zu einer überfälligen richtigen Entscheidung. ({2}) Diese Entscheidung wird Geld kosten. Ergibt der Optionenvergleich, den das BfS durchführt, dass der Atommüll teilweise oder gar vollständig zurückgeholt werden muss, dann reichen die dafür in den Entwurf des Haushalts 2009 eingestellten 89,7 Millionen Euro nicht aus. Auch die Asse-Gesamtkosten in Höhe von geschätzten 536 Millionen Euro werden sich eher in der Größenordnung von Milliardenbeträgen bewegen. Angesichts des immer eindringlicheren Verdachts, dass die Asse von den EVU über den Umweg über das Forschungszentrum Karlsruhe zur billigen Entsorgung genutzt wurde, stellt sich wirklich die Frage, ob die Sanierung des Skandalfalles Asse allein eine öffentliche Aufgabe ist. Angesichts der ständig steigenden Kosten für die Atommüllentsorgung auf dem Rücken der Steuerzahler - diese Kosten stiegen von 77 Millionen Euro im Haushalt 2007 auf 300 Millionen Euro im Haushalt für 2009 -, rate ich Ihnen, Herr Minister: Schaffen Sie im Hinblick auf die Asse eine rechtliche Grundlage zur Beteiligung der Betreiber. Das wäre sicherlich auch ganz im Sinne von Frau Flach, nicht wahr? Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich darf am Ende dieser Debatte feststellen, dass in keinem anderen Bereich so viel Wirtschaftspolitik gemacht wird wie im Umweltbereich. ({0}) Dieser Verantwortung wollen und müssen wir gerecht werden. Ich möchte zunächst das Thema Umweltgesetzbuch aufgreifen, das bereits mehrfach angesprochen wurde. Frau Bulling-Schröter und Frau Kotting-Uhl, es geht darum, dass wir Transparenz schaffen und Bürokratie abbauen wollen. Die singulären Interessen irgendeines Naturschutzverbandes spielen keine Rolle. Es geht darum, die Umweltgesetze übersichtlich zusammenzufassen, nicht darum, bei dieser Gelegenheit die Standards zu erhöhen. ({1}) Gleichzeitig sage ich aber auch: Zur Beratung eines Gesetzeswerkes, das einen Umfang von 1 200 Seiten hat, braucht man natürlich Zeit. Einen solchen Gesetzentwurf kann man nicht im Husch-husch-Verfahren durch das Parlament jagen. Wir müssen uns genau überlegen, was wir wo regeln und wie wir die Regelungen so gestalten, dass diejenigen, die betroffen sind und sich davon zum Beispiel einfachere Genehmigungsverfahren versprechen, letztlich mit Fug und Recht sagen können: An dieser Stelle hat die Politik etwas erreicht. ({2}) Damit möchte ich ein ausdrückliches Lob gegenüber dem Bundesumweltminister aussprechen, der heute deutlich gemacht hat, wie eng die Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie sein muss und dass wir im Hinblick auf Ökologie und Umweltschutz nur dann etwas erreichen, wenn wir auch ökonomisch vorankommen; das sage ich insbesondere Ihnen, Frau Bulling-Schröter. Ihr Versuch, hier bayerischen Landtagswahlkampf zu machen, ist gründlich verunglückt. ({3}) Wir sind stolz darauf, dass sich in Bayern etwas bewegt, dass sich im Verkehrsbereich etwas tut, dass die Wirtschaft wächst und dass wir in vielen Bereichen die Technologieführerschaft haben; ({4}) darüber freuen wir uns. Die CSU hat über viele Jahrzehnte hinweg den Grundstein dafür gelegt, dass Bayern unter allen Bundesländern ganz vorn dabei ist. ({5}) Wir haben auch dafür gesorgt, dass der Umweltschutz heute eine große Bedeutung hat. Denn den Leuten in Bayern, die nicht arbeitslos sind, ist es ein Anliegen, Umweltschutz zu betreiben. ({6}) Andere, die keinen Job haben und keinen bekommen, wenn Leute wie Sie Politik machen, haben natürlich andere Sorgen und Nöte. Diese versuchen Sie zu verführen mit Sprüchen über Sozialtarife und darüber, was Sie ihnen alles Gutes tun wollen, was Sie ihnen alles schenken wollen. Sorgen Sie mit einer sinnvollen Wirtschaftspolitik dafür, dass sie in Lohn und Brot kommen, dass sie nicht auf Hartz IV angewiesen sind. Dann muss man nicht derartige Klimmzüge machen, sondern jeder kann sich letztendlich selbst finanzieren. ({7}) Das haben wir in Bayern erreicht. Das ist ein großes Verdienst der Menschen, der Unternehmer und der Arbeitnehmer, aber auch ein Verdienst der CSU. Ich hoffe, dass Sie das an dieser Stelle zur Kenntnis nehmen. Natürlich ist die Verknüpfung von Klimaschutz- und Energiepolitik wichtig. Ich sage auch deutlich: Wir haben in das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das wir meines Erachtens in der Großen Koalition gut novelliert haben, hineingeschrieben, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2020 auf mindestens 30 Prozent ausbauen wollen. Das war wichtig und richtig. ({8}) Die Beiträge dazu haben wir geleistet. Man muss sich aber auch die Frage stellen, woher die restlichen 70 Prozent kommen. Wir wollen keine Denkverbote, weder für Herrn Fischer noch für Herrn Clement. ({9}) - Noch für Herrn Töpfer. Wir wollen offen darüber diskutieren und nicht die Antwort auf die Frage schuldig bleiben, wie wir diese 70 Prozent wirtschaftlich sinnvoll und ökologisch vertretbar und wie wir sie vor allen Dingen in diesem Land produzieren wollen. Das ist ganz wichtig. Man kann nicht einfach mir nichts, dir nichts fast 50 Prozent der Grundlast herausschneiden wollen und so tun, als seien die Kernkraftwerke in diesem Land nicht notwendig. ({10}) Als der Umweltminister die Themen Ökologie und Ökonomie angesprochen hat, hat er sich aus meiner Sicht - so hoffe ich es - insbesondere auf den Emissionshandel bezogen, dessen Ausgestaltung noch bevorsteht. Was passiert hier? Die Franzosen lehnen sich momentan zurück und sagen, dass sie einen 80-prozentigen Anteil der Kernenergie haben. Ihr Anteil ist erfüllt. Das kann doch nicht die Wahrheit sein. Wir müssen auf der einen Seite den deutschen Ausstieg aus der Kernenergie überdenken und auf der anderen Seite den Emissionshandel so ausgestalten, dass energieintensive Unternehmen nicht einfach aus dem Land getrieben werden. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Emissionshandel nur dann zu einem kostengünstigen Klimaschutz führt, wenn der Wettbewerb auf dem Energiemarkt tatsächlich funktioniert. Auf dem Energiemarkt herrscht jedoch nach wie vor ein Oligopol, das die Preise so durchsetzt, wie es dies möchte. ({11}) - Herr Kelber, das eine sind Produktionskapazitäten, und das andere betrifft die Frage, wie wir den Wettbewerb gestalten. Vorhin hat sogar Frau Bulling-Schröter eingeräumt, dass es sich hierbei um eine kostengünstige Energie handelt. ({12}) Es kann doch nicht sein, dass es keine Preiswirkungen nach sich zieht, wenn man einen Zweig herausschneidet und durch teurere Kernkraftwerke ersetzt. Das glauben Sie doch selbst nicht. Das wissen Sie doch ganz genau. ({13}) Zurück zum Thema Emissionshandel. Solange wir die Problematik der Oligopolsituation haben, so lange besteht das Risiko, dass das, was durch den Emissionshandel geschieht, am Ende nur eingepreist wird und zu höheren Strompreisen führt, was angesichts einer niedrigen Preiselastizität der Nachfrage das Ganze letztlich nur noch teurer macht. Entscheidend ist, dass wir eine Verknüpfung zur Ökosteuer sehen, die heute auch schon mehrfach angesprochen worden ist. Wir werden doch am Schluss nicht eine Energiepolitik machen wollen, bei der wichtig ist, dass jede Kilowattstunde teuer ist, sodass die Leute entsprechend weniger verbrauchen. Das kann doch nicht unser Ziel sein. Das ist im Hinblick auf die Verbraucherinnen und Verbraucher unsozial und im Hinblick auf die Unternehmen gefährlich; denn wir beschädigen am Ende den Standort Deutschland. Das darf nicht sein. Einiges, was vonseiten der EU in unsere Richtung lanciert wird, erweckt bei mir den Eindruck, als ziele es darauf ab, den Standort Deutschland etwas einzuengen und einzuschränken. Ich erinnere an das, was der Umweltminister im Zusammenhang mit den Flottenzielen für unsere Automobilindustrie angesprochen hat. Entscheidend ist, sorgfältig mit dem Thema umzugehen und dafür Sorge zu tragen, dass am Standort Deutschland die Premiummodelle der Welt produziert werden, dass wir letztlich im Bereich der Automobilindustrie vorankommen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie könnten Ihre Redezeit verlängern, wenn Sie eine Zwischenfrage von Undine Kurth zulassen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, herzlich gerne.

Undine Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003579, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, ich möchte Sie fragen, ob ich Sie eben richtig verstanden habe, dass Sie der Meinung sind, dass die EU mit umweltpolitischen Vorgaben darauf abzielt, den Standort Deutschland zu schädigen.

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe gerade gesagt, dass ich mich an manchen Stellen des Eindrucks nicht erwehren kann, dass hier auch Industriepolitik betrieben wird. Speziell bezogen auf die Franzosen sage ich, dass ich ihnen das unterstelle. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, dass wir hier in Deutschland unseren Energiemarkt liberalisieren und den Unternehmen - vom Stadtwerk bis hin zum Großkonzern - Daumenschrauben anlegen, während es in Frankreich ganz selbstverständlich ist, dass ein großer staatlich geführter Energiekonzern zum Schluss auch noch die Chemieunternehmen mit billigem Strom subventioniert. Liebe Frau Kollegin, darüber darf man im nationalen Interesse doch auch einmal reden. ({0}) Es ist natürlich auch spannend, dass man im Bereich der Automobilindustrie insbesondere die belastet, die die Premiummodelle dieser Welt produzieren. Wir wollen diese großen Autos ja weiterhin, aber mit anderen Standards. Sie wollen einen Verzichtsumweltschutz. Wir haben das heute ja an verschiedenen Stellen gehört. Frau Lührmann hat gesagt, dass nur noch die Reichen bzw. Wohlhabenden fliegen sollen, während sich die anderen das nicht mehr leisten können sollen, weil das so stark verteuert wird. ({1}) Liebe Kollegin, Sie wollen einen Verzichtsumweltschutz. Wir von der Union wollen einen Hightech-Umweltschutz, mit dem wir dieses Land und uns alle technisch voranbringen und dafür Sorge tragen, ({2}) dass auch Umweltschutz Spaß macht, sodass wir am Ende die Ideenschmiede der Welt sind, ({3}) Schlüsseltechnologien anbieten und dafür Sorge tragen, dass gesagt wird: Mit der Ökologie erzielt man auch eine Rendite in diesem Land. Das ist unser Anliegen. Vielleicht überdenken Sie einmal Ihre Position, weil sie demnächst niemand mehr hören will. Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit sind wir am Ende der Debatte über diesen Einzelplan. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, Einzelplan 30. Als Erste spricht die Bundesministerin Dr. Annette Schavan. ({0})

Dr. Annette Schavan (Minister:in)

Politiker ID: 11003836

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Bildungsrepublik und der Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland lassen sich nicht voneinander trennen. Sie sind die Quellen des künftigen Wohlstands. Wer in Zukunft exzellente Forschung will, der muss heute für exzellente Bildung Sorge tragen. Diese Bundesregierung macht mit dem Aufstieg durch Bildung und mit der Modernisierung und Internationalisierung des Wissenschaftssystems Ernst. Das ist eine Leistung der Großen Koalition und der sie tragenden Fraktionen. Dafür steht auch der Haushalt 2009, mit dem wir erstmals die Grenze von 10 Milliarden Euro überschreiten. Zugleich ist klar: Geld ist nicht alles. Entscheidend sind die richtigen Strategien und die Zusammenarbeit aller Akteure im Bildungs- und Wissenschaftssystem. Dafür stehen der Bildungsgipfel und exemplarisch auch die Impulse, die wir mit diesem Haushalt verbinden. Ich will zwölf solcher Impulse auswählen, die für diese beiden großen Bereiche - Aufstieg durch Bildung einerseits und Modernisierung und Internationalisierung des Wissenschaftssystems andererseits - stehen. Wir fördern die innovativen Wege zur Stärkung der frühkindlichen Bildung wie die bessere Verbindung von Grundschulen und Kindertagesstätten in den Bildungshäusern, die Erzieherinnenausbildung und das „Haus der kleinen Forscher“. Wir bauen die Ganztagesschulen aus - es sind mittlerweile 7 000 - und kümmern uns in nahezu allen Ländern mit den Serviceagenturen um die Qualität der Pädagogik in den Schulen. Im Jahr 2008 wird die Zahl der Ausbildungsplätze so hoch sein, wie es seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren nicht mehr der Fall gewesen ist. ({0}) Wir haben Aufstiegsstipendien für Begabte in der beruflichen Bildung eingerichtet und machen ernst mit der Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Wir öffnen die Hochschulen für beruflich Qualifizierte. Das ist ein Thema für den Bildungsgipfel, was die Maßnahmen der Länder angeht, aber dazu werden auch die Maßnahmen des Bundes in Richtung einer offenen Hochschule kommen. Zusammen mit den Ländern werden wir Maßnahmen vereinbaren, die jedem Jugendlichen die Chance auf einen Schulabschluss bieten, weil niemand verloren gehen darf und der Schulabschluss die Eintrittskarte für eine qualifizierte Ausbildung ist. Wir verbessern das Meister-BAföG, indem wir den Kreis derer erweitern, die anspruchsberechtigt sind. Die Zahl der Studienanfänger steigt seit dem Wintersemester 2007/2008 wieder, erfreulicherweise vor allem in den Natur- und Technikwissenschaften. Wir haben das BAföG erhöht: den Förderbetrag um 10 Prozent und die Freigrenze um 8 Prozent. Wir fördern „Lernende Regionen“ in Deutschland und damit die Zusammenarbeit aller Institutionen im Bildungssystem mit Blick auf ihren Beitrag zu einer lebenslangen Bildungsbiografie. Das ist die Voraussetzung, damit wir das Ziel einer deutlich höheren Teilhabe an der Weiterbildung erreichen. Mit der Exzellenzinitiative, dem Pakt für Forschung und Innovation und dem Hochschulpakt stärken wir das Wissenschaftssystem und fördern strukturelle Modernisierung, zum Beispiel durch die Gründung des Karlsruher Instituts für Technologie und andere Bündelung von Kräften im Wissenschaftssystem. Wir fördern Spitzencluster in Deutschland, die das Potenzial haben, in die internationale Liga aufzusteigen. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass zwei der fünf Gewinner der ersten Runde im Spitzencluster-Wettbewerb aus den neuen Ländern kommen. Das ist ein großer Erfolg auch für die wahre Innovationskraft in den neuen Ländern. ({1}) Die Bundesregierung hält an der Lissabon-Strategie fest. Das ist in den Reden des Finanzministers und der Bundeskanzlerin deutlich geworden. Wir investieren 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung. Der Bundesanteil wird im vorliegenden Haushalt bei 2,8 Prozent liegen. Wir wissen aber auch, dass die Erreichung des 3-Prozent-Ziels nicht allein Sache des Bundes ist. Auch die Länder und Unternehmen in Deutschland müssen ihren Beitrag leisten. Bislang reichen die Bemühungen beider nicht aus. ({2}) Deshalb sage ich an die Adresse beider ganz klar, dass es ein gemeinsames, nationales Ziel ist, zu dessen Erreichung bei beiden Partnern zugelegt werden muss. Zugleich stelle ich aber auch fest, dass wir mit unseren erheblichen Investitionen in dieser Legislaturperiode zur Spitzengruppe in Europa gehören. Deutschland steht mit seiner F-und-E-Quote an dritter Position hinter Schweden mit 3,82 Prozent und Finnland mit 3,45 Prozent. In absoluten Zahlen steht Deutschland mit 58,8 Milliarden Euro - bereits in 2006 - an erster Stelle in Europa, gefolgt von Frankreich mit 38 Milliarden Euro und Großbritannien mit 32 Milliarden Euro. Das sollten wir selbstbewusst zur Kenntnis nehmen. In dieser Legislaturperiode ist in der Großen Koalition viel erreicht worden, was zusätzliche Investitionen angeht. ({3}) Unsere internationalen Wissenschaftskooperationen nehmen zu. Wir sind gefragte Partner. Das hat nicht zuletzt mit der exzellenten Arbeit unserer Forscherinnen und Forscher zu tun. Klar ist: Die Dynamik im internationalen Wettbewerb ist enorm. Deshalb weise ich immer wieder darauf hin, dass wir bereits einen Teil des Weges zurückgelegt haben. Weitere Teile liegen noch vor uns. Das heißt, dass Deutschland noch attraktiver für junge Talente aus aller Welt werden muss. ({4}) Deshalb war es richtig, dass die Bundesregierung bessere Regelungen für die Zuwanderung hoch qualifizierter Fachkräfte beschlossen hat. Wir wollen, dass Deutschland für Talente aus aller Welt attraktiver wird und dass diejenigen, die aus Deutschland weggegangen sind, um an internationalen Forschungsinstituten zu arbeiten, den Weg zurück finden. Sie sollen spüren, dass sich etwas bewegt, dass es attraktive Möglichkeiten auch in Deutschland gibt. Allein im Kontext von Exzellenzinitiative und Hochschulpakt werden 10 000 Stellen für Wissenschaftler entstehen. Wer nach den Prioritäten bei den Forschungsthemen fragt, dem antworte ich - ich bin fest davon überzeugt -: Die Prioritäten werden in der nächsten Dekade bei EnerBundesministerin Dr. Annette Schavan gie und Klimaschutz einerseits und Gesundheit und Ernährung andererseits liegen. Hier legen wir zu, auch konzeptionell. Es geht um neue Strukturen. Dazu zähle ich die Gründung eines Institute for Advanced Studies für Klimaforschung in Potsdam sowie die Errichtung nationaler Kompetenzzentren gegen Demenz in Bonn und gegen Diabetes in München. Ich werde die Leopoldina beauftragen, uns bis zum Frühjahr ein nationales, integriertes Energieforschungskonzept vorzulegen. Wir brauchen eine nationale Strategie der Energieforschung, und zwar ressort- und institutionsübergreifend. Mit der Bündelung der Kräfte können wir unseren Beitrag zur internationalen Forschungsagenda leisten. Kleine und mittlere Unternehmen sprechen wir mit „KMU-innovativ“ an. Den vom Haushaltsausschuss bis 2009 geforderten Anstieg in Höhe von 25 Prozent bei der Projektförderung werden wir voraussichtlich schon zum Ende dieses Jahres erreichen. Die Hightech-Strategie für Deutschland ist international anerkannt. Sie macht Wissenschaft und Wirtschaft zu natürlichen Partnern im Prozess der Innovation. Die ersten Innovationsallianzen sind geschlossen. Weitere werden folgen. Ich bin davon überzeugt: Darin steckt auch ein wichtiges wirtschaftspolitisches Potenzial. Die Wirkung der Forschungsprämie stellt sich bislang nicht wie gewünscht ein. Wir müssen über die Weiterentwicklung von Anreizsystemen sprechen. Das hat auch mit der Ausgestaltung der Forschungsprämie im Kontext von Auflagen der EU zu tun. Unsere Aufgabe wird sein, darüber nachzudenken, wie das Anreizsystem besser gestaltet werden kann. ({5}) Im internationalen Wettbewerb werden unsere Unternehmen in dem Maße erfolgreich sein können, in dem sie innovativ sind. Dazu kann der Staat seinen Beitrag leisten, und das tun wir. Dazu muss aber auch der Beitrag der Länder und der Unternehmen deutlich verbessert werden. Ansonsten ist das 3-Prozent-Ziel nicht zu erreichen. ({6}) Bildung und Wissenschaft gehören in die Mitte der Politik und in die Mitte der Gesellschaft. Nur dann, wenn wir heute die Weichen richtig stellen, wird der Aufstieg durch Bildung gelingen und das Wissenschaftssystem internationalen Ansprüchen genügen. Es gehört zu den Leistungen der Großen Koalition, in einem überwältigenden Konsens wichtige Weichen gestellt zu haben. Dafür danke ich den Kolleginnen und Kollegen in den Fraktionen und in der Bundesregierung; denn vieles von dem, was wir tun, geht nur, weil wir es gemeinsam tun. Vielen Dank. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die FDP-Fraktion hat das Wort die Kollegin Ulrike Flach. ({0})

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Etat des Bundesforschungsministeriums hat in den letzten Jahren - genauso wie in diesem Jahr - erhebliche Steigerungen erfahren. ({0}) Das sind seit 2005 immerhin 33 Prozent mehr. Frau Schavan, ich sage Ihnen für die FDP: Das ist eine beachtliche Leistung. ({1}) Ich will an dieser Stelle aber auch etwas anderes deutlich sagen: Wir begrüßen zwar diese Entwicklung und begleiten sie natürlich haushalterisch. Aber wir sind mehr als skeptisch, ob Sie - das klang schon in Ihrer Rede an - das 3-Prozent-Ziel mit den bisher erkennbaren Anstrengungen erreichen werden. Der Finanzminister hat uns erklärt, er gehe davon aus, dass das BIP 2009 um ungefähr 1 bis 1,2 Prozent steige. Das hieße im Klartext, dass allein Sie als Bund milliardenschwere zusätzliche Investitionen leisten müssten. Von den Ländern und der Wirtschaft will ich an dieser Stelle gar nicht reden. Sie als Große Koalition haben die Schlacht um das 3-Prozent-Ziel bereits verloren. ({2}) Vor diesem Hintergrund ist die Unverfänglichkeit des Haushaltsentwurfes übrigens kein Wunder. Es ist zwar ein Haushalt der höheren Ansätze, aber leider auch ein Haushalt vieler guter Vorsätze. Frau Ministerin, die großen Fragen Ihres Bereiches bleiben unbeantwortet. Ich als Parlamentarierin finde es mehr als unbefriedigend, dass Sie die Klärung dieser Fragen auf einen außerparlamentarischen Gipfel verschieben. Die „Gipfelei“ der Großen Koalition führt dazu, dass wir an einer Stelle, wo es nötig wäre, keine Entscheidung mithilfe des Königsrechts des Parlaments, des Haushaltsrechts, treffen können. ({3}) - Ja, das ist der Gipfel, Herr Tauss. Sie reden zum Beispiel davon, dass der Hochschulpakt 2020 fortgeführt werden muss. Das ist richtig. Aber es ist an keiner Stelle zu erkennen, in welchem Ausmaße Bund und Länder sich engagieren werden. Im kommenden Jahrzehnt rechnen wir mit ungefähr 270 000 zusätzlichen Studenten. Soll jedem ein Studienplatz zur Verfügung gestellt werden, ist mit Kosten von rund 6 Milliarden Euro - das sind 3 Milliarden Euro für den Bund - zu rechnen. Da haben Sie noch keinen einzigen Cent für die Lehre ausgegeben. Dieser Haushalt ver18820 bleibt im Ungefähren und gibt die großen Probleme, die auf uns zukommen, überhaupt nicht wieder. ({4}) Das Gleiche gilt für die Exzellenzinitiative. Natürlich ist der gute Wille da. Aber Sie beantworten überhaupt nicht die Frage, die überall im Lande diskutiert wird. Ich meine den Wunsch der Länder, zum alten Gießkannenprinzip zurückzukehren. Dazu erwarte ich von Ihnen ein klares Wort. Exzellenzförderung darf nach nur einer Periode nicht in die alte Unsitte zurückverfallen, dass jedem Landesminister, der die Hand hebt, nachgegeben wird, wie wir es vor ein paar Monaten mit einem zusätzlichen Programm von Ihnen schon erlebt haben. Ich erwarte auch, dass man den Fachhochschulen eine Chance gibt. Es gibt dafür einen Haushaltsposten, der bis zum heutigen Tage gerade einmal zu 33 Prozent abgeflossen ist. Wir wollen eine Exzellenzinitiative für die Fachhochschulen. ({5}) Das ist etwas, womit wir den Fachhochschulen helfen können. Genau das erwarten wir von Ihnen. Ein weiterer Punkt, der sich in diesem Haushalt nicht widerspiegelt, ist der Pakt für Forschung zwischen Bund, Ländern und den Forschungsorganisationen. Außerdem habe ich erwartet, dass Sie heute etwas zur Nullrunde für die Forscher sagen. Es gibt, wie bei jedem Bürger in diesem Land, wachsende Energiekosten, Preissteigerungen und eine Inflation von über 3 Prozent. Das heißt für die Forscher, dass sie trotz einer Etatsteigerung von 3 Prozent in diesem Jahr nichts auf dem Tisch haben. ({6}) Ich erwarte, dass die Bundesregierung darauf eine Antwort gibt und nicht nur auf die GWK verweist, die sagt, dass vielleicht irgendwann einmal 5 Prozent mehr ausgeben werden sollen; das ist keine Aussage. Das mag vielleicht auf einer „Gipfelei“ zu irgendwelchen Ergebnissen führen. Es spiegelt sich aber nicht in dem Etat wider, den wir heute besprechen. Frau Schavan, ich finde es schon witzig, wie Sie in den letzten Wochen in die Rolle Ihrer Vorgängerin geschlüpft sind, zur Bildungsministerin der Nation werden ({7}) und plötzlich das Ganztagsschulprogramm, das wir übrigens schon immer gut gefunden haben, als etwas Tolles betrachten. ({8}) Ich erinnere mich aber noch daran, dass die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU aus dem Ausschuss ausgezogen sind, weil sie das Ganztagsschulprogramm nicht wollten. Das ist eine erstaunliche Entwicklung. ({9}) Vielleicht bewirkt die Koalition doch etwas. Sehr übel nehme ich Ihnen, Frau Schavan, dass Sie es bisher nicht geschafft haben, den Eifer von Herrn Scholz in Grenzen zu halten. 170 Millionen Euro wird die Beitragszahler in diesem Lande der Spaß mit dem angeblichen Recht auf einen Hauptschulabschluss kosten. Sie als christdemokratische Bildungsministerin haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass so etwas nicht umgesetzt wird. Unsere Bürger werden bereits genug belastet. Dafür dürfen sie nicht zusätzlich belastet werden. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Christel Humme das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Der Einzelplan 30 ist Ausdruck eines Gesamtkonzeptes, das wir finanzpolitisch verfolgen, nämlich einen Haushalt für die nachfolgenden Generationen aufzustellen. Auf der einen Seite wollen wir für die nachfolgenden Generationen konsolidieren - der Gesamthaushalt wächst um 1,8 Prozent -, auf der anderen Seite möchten wir den nachfolgenden Generationen Zukunftschancen bieten. Von daher freuen wir uns, dass der Einzelplan 30 um 7,8 Prozent wächst auf 10 Milliarden Euro. Das ist in der Tat ein Rekordhaushalt. ({0}) Bildung und Forschung sind für die Teilhabe und Aufstiegschancen, für mehr Innovation - Frau Flach, das ist richtig -, aber auch für mehr soziale Gerechtigkeit zwei der wichtigsten Politikfelder überhaupt. Dafür ist jeder Euro, den wir hier investieren, genau richtig investiert. Es ist gut investiertes Geld, wenn die Forschungsausgaben, Frau Flach, um 450 Millionen Euro steigen. Ich finde Ihre Kritik an dieser Stelle vollkommen verfehlt; denn der Bund hat in dieser Legislaturperiode 7 Milliarden Euro zusätzlich für Forschung ausgegeben. ({1}) - Man kann immer sagen, das reicht nicht. Aber wenn sich die Länder und die Wirtschaft so wie der Bund engagieren würden, dann kämen wir dem 3-Prozent-Ziel schon wesentlich näher. ({2}) Es ist gut investiertes Geld, wenn wir den Aufstieg durch Bildung organisieren und die Weiterbildung stärken. Wir haben - das haben wir gerade gehört - das Programm für die Aufstiegsstipendien verabschiedet, die Bildungsprämie eingeführt, und wir werden das MeisterBAföG reformieren. Dabei wollen wir stärker die Eltern fördern, die finanzielle Ausstattung verbessern und vor allen Dingen Menschen mit Migrationshintergrund einbeziehen. Wichtig ist uns, dass wir Zukunftsfragen beChristel Humme antworten, indem wir Altenpflegerinnen und Altenpfleger sowie Erzieherinnen und Erzieher in die Aufstiegsförderung einbeziehen und dadurch besser fördern. ({3}) Ich danke dem Finanzminister, dass er auch dafür bereits jetzt das Geld zur Verfügung gestellt hat. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wir Abgeordnete sind regelmäßig in unseren Wahlkreisen unterwegs. Wir sind quasi täglich auf Bildungsreise. ({4}) - Ja, schon seit ganz vielen Jahren, das ist richtig. - Wir sind in Unternehmen, Schulen, Kindergärten, Universitäten und Fußgängerzonen unterwegs. Bei diesen vielen Gesprächen stelle ich immer wieder fest: Das Thema Bildung berührt die Menschen ganz unmittelbar und brennt ihnen auf den Nägeln. Dabei interessiert es die Menschen nicht, welche Ebene im föderalen Staatswesen für welche Frage zuständig ist. Die Menschen verstehen die Zuständigkeitsdebatte überhaupt nicht. Sie wollen Lösungen. Frau Flach, Sie haben gerade ein gutes Beispiel dafür gebracht. Sie nutzen es aus, dass die Menschen das System nicht verstehen und den Schuldigen an der falschen Stelle suchen. ({5}) Die Menschen sehen, dass Kinder aus den oberen sozialen Schichten vier- bis fünfmal häufiger zum Gymnasium gehen. Sie sehen, dass 40 Prozent der Migranten keinen Berufsabschluss haben. Sie sehen, dass die Hälfte der Hauptschüler nach einem Jahr noch immer keinen Ausbildungsplatz hat. Sie sehen weiterhin, dass Kinder aus Akademikerfamilien zu 83 Prozent und Kinder aus Nichtakademikerfamilien zu 23 Prozent studieren. Diese Liste der fehlenden Chancen könnte ich noch erweitern. ({6}) Uns geht es darum, die Chancen zu verbessern und die Ungleichheiten zu beseitigen. Ich stelle dabei mit großer Zufriedenheit fest, dass sich das Bewusstsein vieler Verantwortlicher an dieser Stelle geändert hat. Erstes Beispiel: Ich erinnere an die kontroverse Debatte von vor einem Jahr über die frühkindliche Bildung. Heute stellt keiner mehr infrage, dass wir mehr Kitaplätze für die frühe Bildung brauchen. Das ist die Überzeugungsarbeit der SPD. ({7}) Das Gleiche - zweites Beispiel - gilt für die Schulpolitik. Ich weiß - daran erinnere ich mich noch ganz deutlich -, dass die Durchsetzung des Ganztagsschulprogramms unter Rot-Grün mit einer Mittelausstattung von 4 Milliarden Euro - darauf sind wir sehr stolz - ein regelrechter Kampf war. ({8}) Ich freue mich, dass auch Sie, Frau Ministerin, öffentlich darüber nachdenken - so konnte man es lesen -, dieses Ganztagsschulprogramm auch 2010 weiterzuführen. Ich glaube, richtige Konzepte setzen sich in der Tat durch. ({9}) Das dritte Beispiel ist der Hochschulpakt II. Was gab es für Debatten! Darf der Bund dafür sorgen, dass die Zahl der Studienplätze steigt? Ja, er darf. Heute gibt es darüber einen Konsens, und die Debatte von vor zwei Jahren ist vergessen. ({10}) Alles in allem denke ich: Wenn, was hier vor zwei Tagen auch zum Ausdruck kam, das Bewusstsein einer Gesamtverantwortung für Bildung schon vor drei Jahren vorhanden gewesen wäre, vor allen Dingen auf Unionsseite, dann, so glaube ich, hätte die Föderalismusreform I etwas anders ausgesehen. ({11}) Darum, Frau Schavan, teile ich Ihre Auffassung, dass der Bildungsgipfel Zeichen setzen muss. Ich denke, es ist richtig, dass föderale Zuständigkeit sicherlich nicht ein Vorwand für Untätigkeit sein kann. Vielmehr müssen Bund und Länder gemeinsame Ziele formulieren. Es muss konkrete Vereinbarungen mit den Ländern für mehr Investitionen in Bildung, für mehr Ganztagsschulen, für mehr Studienplätze und größere Anstrengungen für mehr Durchlässigkeit, was ich ganz wichtig finde, geben. Der Hochschulzugang sollte bundesweit gleich organisiert sein, auch der ohne Abitur. Letztlich gehört dazu auch die zweite Chance. ({12}) Frau Flach, da teile ich Ihre Auffassung überhaupt nicht. ({13}) - Nein, das ist schon die richtige Stelle, hören Sie nur zu. Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Woher wissen Sie, was ich sagen will? ({14}) Ich teile Ihre Auffassung gar nicht, dass das Nachholen des Hauptschulabschlusses nicht der richtige Weg ist. Ich glaube, wir dürfen keinen jungen Menschen alleine lassen oder zurücklassen. Jeder muss die Chance auf eine Grundausbildung und einen Grundabschluss haben. Dafür sorgen wir auch bundesweit. Ich hoffe, dass die Union ihre Blockadehaltung in dieser Frage aufgibt und wir einen Schritt weiterkommen. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin Humme, möchten Sie eine Zwischenfrage von Frau Flach zulassen?

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich hätte jetzt meinen letzten Satz gesagt. - Bitte schön, Frau Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke schön, Frau Kollegin. - Ich wollte Sie fragen, ob Ihnen klar ist, dass wir als FDP natürlich nicht dagegen sind, dass Menschen einen Hauptschulabschluss nachholen, ({0}) sondern dass wir dezidiert dagegen sind, dass der Beitragszahler über die Arbeitslosenversicherung zusätzlich belastet wird, weil wir nicht glauben und uns das in Diskussionen im Haushaltsausschuss auch von der BA bestätigt wurde, dass die Bundesagentur die richtige Organisation ist, um den Menschen zu helfen, denen wir alle helfen wollen.

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Flach, welche Antwort geben Sie denn aus Bundessicht den Jugendlichen? Sie wissen, dass Jahr für Jahr 80 000 junge Menschen in den Ländern keinen Hauptschulabschluss erreichen. ({0}) Wo landen die denn? Die landen in Weiterbildungsmaßnahmen und Eingliederungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit. Warum sollte die Bundesagentur für Arbeit nicht die Grundausbildung vermitteln, damit die jungen Menschen eine Chance in der Zukunft haben? Die Antwort auf diese Frage bleiben Sie mir schuldig. Wir sind der Meinung, wir müssen an dieser Stelle unbedingt handeln, um zukünftige Kosten für die BA zu vermeiden. ({1}) Mein Schlusssatz bleibt aus. Ich sage für die Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen: Für uns bleibt Aufstieg durch Bildung ein zentrales Leitmotiv. Wir haben da die Verantwortung für eine 145-jährige Tradition. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht jetzt Dr. Petra Sitte für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Humme, es ist genau richtig: Tatsächlich wird in den Wahlkreisen sehr viel über Bildung geredet, und die Leute sind extrem unzufrieden mit dem Bildungssystem in diesem Land. Tatsächlich haben viele Angst, dass ihre Kinder nicht die bestmögliche Bildung erhalten. Genau das bestätigen Studien der OECD und die PISA-Studien. Die letzte Studie der OECD ist ganz neu, die PISAStudie schon einige Jahre alt. Das heißt, wir reden hier über eine Entwicklung mit einer längeren Vorgeschichte. Aus diesen Studien wie aus vielen Gesprächen geht ganz klar hervor, dass eben keine Chancengleichheit für Kinder in diesem Land besteht, dass soziale Auslese in Schule und Hochschule stattfindet und bis in den Beruf hineinreicht. Das ist ein unhaltbarer Zustand. ({0}) Deshalb sind natürlich die Erwartungen an die Politik enorm. Was Sie jedoch in Ihrer Regierungszeit gegen genau diese Missstände unternommen haben, entspricht nicht den Erwartungen und Erfordernissen. Wir reden hier nicht über Hochglanzprogramme. Da hilft auch die Bildungstour der Bundeskanzlerin nicht. Das ist doch alles nur Stückwerk. Ich weiß schon, dass jetzt wieder einige im Geiste an der Startlinie stehen und sagen: Bildung ist doch Sache der Länder und nicht des Bundes. Darauf entgegne ich Ihnen: Erstens: Warum geht denn die Bundeskanzlerin höchstpersönlich in Kindertagesstätten und Schulen? Dagegen ist nichts zu sagen. Da kann sie nur lernen. Fraglich ist nur, welche Einrichtungen sie besucht. Das ist sehr interessant. Schauen Sie es sich einmal an. Wir haben dazu eine Kleine Anfrage gestellt. Zweitens. Genau dieses Problem, die kleinstaatliche Bildungswursterei, ist doch die Ursache für diese Entwicklung. ({1}) Für die Linke besteht Bildungspolitik in gesamtstaatlicher Verantwortung. Diese Politik muss endlich aus einem Guss gemacht werden. Es muss egal sein, ob man auf Rügen oder in Bayern wohnt. ({2}) Wer wirklich Bildung für alle will, wer moderne Bildung will, der muss an dieser Stelle eben auch einen Politikwechsel vertreten. Kinderbetreuung, Bildung und Forschung müssen endlich in Gänze ausreichend finanziert und qualifiziert werden. Ihre Initiativen sind eigentlich - Sie geben es auch selber zu - nichts als halbherzige Kompromisse, die Sie mit den Ländern schließen müssen, weil Sie sich die wesentlichen Entscheidungskompetenzen in der Föderalismusreform haben aus der Hand schlagen lassen. ({3}) Dem hat die FDP übrigens zugestimmt. Deshalb hat sich die Linke bei der Fortsetzung der Föderalismusreform für einen nationalen Bildungspakt ausgesprochen. ({4}) - Das wäre ja ganz neu. Okay, ich schlage nach. Verhaken wir uns jetzt nicht an diesem Punkt. ({5}) Es geht hier nicht - das ist allerdings festzustellen um Hoheitsrechte von Bildungsministern, sondern um Bildungsrechte von Kindern und Jugendlichen. ({6}) Frau Humme, Sie haben ein Beispiel gebracht, das ich jetzt wirklich als selektive Wahrnehmung bezeichnen will. Das Gezerre um die Verbesserung der Tagesbetreuung ist bezeichnend. So kommen aktuell auf 100 Kinder im Westen 3,4 Krippenplätze; im Osten sind es 34,8. Dazu sagte eine zuständige CDU-Ministerin: Das muss sich ändern; wir brauchen mehr Platzangebote im Westen. - Das sagen viele im Land. Sehr gut, das soll man machen. Aber was passiert? Diese CDU-Ministerin scheitert fast an den eigenen Parteifreunden, und der sozialdemokratische Finanzminister boykottiert diese Entwicklung über weite Strecken. ({7}) Das ist absurdes Theater. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. ({8}) Wir sagen: Betreuung und Bildung müssen den ganzen Tag angeboten werden. Sie müssen als Rechtsanspruch der Kinder ausgestaltet werden - unabhängig von deren sozialer Situation -, und sie müssen schrittweise gebührenfrei werden. Dieser Anspruch darf nicht, wie es beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt passiert, eingeschränkt werden, nur weil die Eltern arbeitslos sind. Wer Chancengleichheit für Kinder will, muss auch das Schulwesen modernisieren, ganz klar. Gemeinschaftsschulen als Schule für alle sind jetzt wieder in aller Munde. Wir unterstützen das ebenso. Diese Schule soll bis zum mittleren Abschluss führen. ({9}) Lernen und Lehren sollen so gestaltet werden, dass individuelle Förderung den jeweiligen Begabungen der Kinder entspricht. Warum soll in diesem Land nicht möglich sein, was in anderen Ländern längst praktiziert wird? ({10}) Ebenso dramatisch ist die Situation auf dem Ausbildungsmarkt; Sie haben es schon angedeutet. 400 000 Jugendliche hängen in einer Warteschleife. Das heißt, sie beginnen ihr Leben auf einem Abstellgleis. Man muss sich einmal vorstellen, was das für ein Lebensgefühl ist. Deshalb brauchen wir an dieser Stelle einen scharfen Schnitt. Das Recht auf Bildung muss schlicht und ergreifend erweitert werden. Deswegen unterstützen wir die Petition, die ein Grundrecht auf Ausbildung zum Ziel hat. Das ist im Übrigen eine bayerische Maßnahme. Entsprechendes steht in der bayerischen Verfassung. Ich sage einmal: An dieser Stelle können wir durchaus etwas von Bayern lernen. Machen Sie auch gleich den zweiten Schritt: Erheben Sie eine Ausbildungsplatzumlage! Dann können Sie sich auch die finanzielle Basis dafür sichern. ({11}) Zum Hochschulpakt, der ursprünglich zusätzliche Studienplätze bringen sollte, bleibt nur zu sagen: Die Zahl der Studierenden eines Jahrgangs in der Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor weit unter europäischem Durchschnitt. Dieser liegt bei knapp 50 Prozent. In Deutschland sind es etwas über 30 Prozent. Wer vor diesem Hintergrund immer noch über die Erhebung von Studiengebühren spricht, dem kann ich nur sagen: Ihnen hilft wahrscheinlich nicht einmal mehr Bildung. ({12}) Dennoch muss man ganz klar feststellen: Die Situation für Lehrende und Forschende an diesen Einrichtungen ist zum Teil unhaltbar. Unlängst habe ich mich richtig darüber aufgeregt. Da stand ein Interview mit dem Prorektor der Uni Leipzig in der Zeitung. Er hat darin gesagt: Es mangelt gar nicht an jungen Wissenschaftlern, nur sind die Stellen immer befristet. Deshalb ist sozusagen ein permanenter Wechsel der jungen Nachwuchswissenschaftler zu konstatieren. - Er sagte weiter, das sei schon ein soziales Problem. Es ist üblich geworden, an Hochschulen auf halben Stellen 40 Stunden in der Woche zu arbeiten. Es ist üblich geworden, dass, wie an der Uni Leipzig, Nachwuchswissenschaftler, also Personen mit erfolgreich abgeschlossenem Hochschulstudium, auf einer Hilfsassistenten- bzw. Hilfskraftstelle arbeiten, die eigentlich für Studenten sein soll - und das für 660 Euro im Monat. Das ist unhaltbar. ({13}) Die gleichen Rektoren und Prorektoren sagen: „Wir wollen Spielräume für Verhandlungen mit Spitzenwissenschaftlern im Ausland; wir wollen die besten Köpfe nach Deutschland ziehen“ - als ob wir in Deutschland keine hätten! - und wollen dafür das Tarifrecht preisgeben. ({14}) - Ach Gott, Herr Tauss, „Nationalistin“! Bleiben Sie doch mal auf dem Teppich! ({15}) Die besten Köpfe will man also anziehen, indem man das Tarifrecht bricht. Das heißt, die sozialen und beruflichen Perspektiven von Nachwuchswissenschaftlern, die sich an der eigenen Universität oder Hochschule entwickelt haben, werden preisgegeben. Was kommt dabei heraus? Am Ende wandern genau die ab, und Sie versu18824 chen ein paar Jahre später, diese mit Spitzengehältern wieder zurückzuholen. Das ist doch abstrus. ({16}) Wir sagen: Wer Leistungskriterien erfüllt, muss an den Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland auch klare Perspektiven bekommen. Soziale und familiäre Planungen des wissenschaftlichen Nachwuchses, insbesondere von Frauen, müssen verlässlich werden. Ich sage Ihnen: Die Milliarden für die wunderschönen Hochglanzprogramme, über die Sie vorhin gesprochen haben, drohen zu verpuffen, wenn die Fachkräfte fehlen. In Ostdeutschland ist das heute schon Alltag. In diesem Land leben immer mehr qualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Freiberufler und Selbstständige von Peanuts - ich benutze diesen Begriff bewusst -, insbesondere im kreativen Bereich. Gemeint sind Informatik und Kommunikation, beispielsweise die Computerspielbranche und dergleichen. In Hamburg arbeiten 21 Prozent aus dieser Branche zu einem Jahresgehalt von unter 10 000 Euro. Das heißt: Lange Arbeitszeiten, hoher Stress, mangelnde Aufstiegschancen, fehlende Absicherung für Zeiten der Krankheit und der Rente sowie unsichere Jobs sind für diese Bereiche typisch geworden - auch unter den Bedingungen der schönen Programme, von denen Sie gesprochen haben. Das Neue an dieser Entwicklung ist - darauf muss man aufmerksam machen -: Bildung schützt in diesem Land gar nicht mehr vor Armut. Ist das nicht ein Argument mehr dafür, dass man in diesem Land flächendeckend Mindestlöhne gesetzlich einführen sollte? ({17}) Das Fazit der Linken will ich in folgenden Forderungen an den Bildungsgipfel der Bundesregierung ausdrücken: Erstens. Bildung muss eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern werden. ({18}) Wir brauchen einen nationalen Bildungspakt. ({19})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Sie müssen zum Ende kommen, bitte.

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin sofort fertig. Zweitens. Bildung muss gebührenfrei werden - von der Kindertagesstätte bis zur Weiterbildung. ({0}) Drittens. Das gegliederte Schulsystem ist abzuschaffen - als erster entscheidender Schritt hin zu Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen in diesem Land. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat Krista Sager das Wort.

Krista Sager (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003622, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Merkel hat gestern gesagt: Die Bildungsrepublik ist der beste Sozialstaat. - Wenn das stimmt, dann muss ich sagen: Es ist um beides in Deutschland aber nicht sonderlich gut bestellt. Fachkräftemangel und Bildungsarmut sind bei uns längst zwei Seiten der gleichen Medaille. Tatsache ist: Die Merkel’sche Bildungsrepublik ist weder auf den demografischen Wandel noch auf den globalen Wettbewerb sonderlich gut vorbereitet. ({0}) 8 Prozent eines Jahrgangs verlassen die Schule ohne Abschluss. Von den 15-Jährigen sind 20 Prozent funktionale Analphabeten. Von den Hauptschulabgängern haben über die Hälfte ein Jahr nach Schulende noch immer keinen Ausbildungsplatz. Das Merkel’sche „glaubwürdige Wohlstandsversprechen“, das Versprechen „Aufstieg durch Bildung“, gilt für diese jungen Menschen in diesem Lande nicht. Das wollen wir einmal festhalten. Bei der Startchancengerechtigkeit ist Deutschland ein Entwicklungsland. Das darf nicht so bleiben. ({1}) Auch der letzte OECD-Bericht stellt Deutschland kein gutes Zeugnis aus. Wir geben immer noch mit 5,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes 1 Prozent weniger für Bildung aus als der OECD-Durchschnitt; ich rede dabei noch gar nicht von den Ländern, die bei den Bildungsausgaben an der Spitze stehen. Wir müssten jedes Jahr 23 Milliarden Euro mehr in die Hand nehmen, um überhaupt zum Durchschnitt aufzuschließen. Der Anteil der Studienanfänger an einem Jahrgang ist bei uns seit 2003 sogar zurückgegangen. Dagegen erhöhen die anderen schneller und auf höherem Niveau ihre Absolventenzahlen. Das heißt, die Bildungsrepublik hinkt im internationalen Vergleich hinterher. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern auch um notwendige Strukturreformen. Leider muss man feststellen: Die Bundesbildungsministerin hinkt auch dabei mental hinterher. ({2}) Was erwarten die Leute denn vom Bildungsgipfel am 22. Oktober? Ich sage: Die Menschen erwarten Ergebnisse. Schauveranstaltungen oder Symbolveranstaltungen zur Bildung in diesem Land hat es genug gegeben. ({3}) Die Menschen wollen ein Signal, dass endlich etwas passiert. Sie wollen ein Signal, dass dieses Land alle Kinder braucht. Sie wollen ein Signal, dass es deswegen auch gerechte Startchancen für alle Kinder geben wird. Etikettieren und Aussortieren von 10-jährigen Kindern muss der Vergangenheit angehören. ({4}) Eine Schulform, die keinen Einstieg in eine Berufsausbildung eröffnet, eine Schulform wie die Hauptschule, hat in diesem Land keine Zukunft mehr. ({5}) Der Rechtsanspruch auf ganztägige Kinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr stellt einen Einstieg dar. Wir brauchen aber auch eine Qualitätsoffensive. Sonst wird nämlich aus dem Fördern nichts werden. ({6}) Zu diesen zentralen Fragen, Frau Schavan, habe ich von Ihnen nie klare Worte gehört. Hier sind Sie immer mit den Traditionalisten unter den Landespolitikern marschiert. Diese sind es aber auch, die jetzt schon wieder den Bildungsgipfel zernörgeln. Frau Schavan, ich kann nicht erkennen, welche Ergebnisse Sie selbst beim Bildungsgipfel erzielen wollen, außer dass Sie all das noch einmal beschwören wollen, was sowieso schon stattfindet. Frau Merkel hat gestern gesagt, den Menschen ist es egal, wer in Bund, Ländern und Kommunen wofür zuständig ist. Sie wollen eine Bildungspolitik aus einem Guss. Guten Morgen, Frau Merkel! Das ist aber eine ziemlich späte Erkenntnis. ({7}) Die erste Großtat dieser Koalition war es doch, die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern im Bildungsbereich möglichst weitgehend zu zerschlagen. Sie haben die entsprechenden Instrumente in der Verfassung nicht verbessert, sondern Sie haben sie weitgehend kaputtgemacht. ({8}) Bildungsministerin Schavan ging dabei mit ihrer badenwürttembergischen Landesbrille voran bzw. dem Stoiber hinterher und hat immer gegen den goldenen Zügel gewettert. ({9}) Das heißt, Sie haben sich von Anfang an bei den Hauptproblemen in unserem Bildungssystem zur Lame Duck gemacht. Selbst die kleine Verfassungslücke, die die Möglichkeit zu einem Ganztagsschulprogramm eröffnet hätte, musste auf Ihre Initiative hin noch zugemauert werden. Was erleben wir jetzt? CSU-Politiker weihen in Bayern Schulkantinen festlich ein, die mit Bundesgeld finanziert worden sind, und eine Bundesministerin erzählt in Zeitungen, dass das Ganztagsschulprogramm fortgesetzt werden soll. Bis 2020 sollen Ganztagsschulen der Normalfall werden. Da reibt man sich doch die Augen. Nun möchte ich aber auch einmal Antworten von Ihnen hören: Erstens: Woher soll das Geld dafür kommen? Der flächendeckende Ausbau, den wir sehr begrüßen, würde bis 2020 58 Milliarden Euro kosten. Zweitens: Wie wollen Sie das an der Verfassung vorbei auf den Weg bringen? Sie sind da allerdings äußerst kreativ: Sondervermögen für Kinderbetreuung, ({10}) Umleitung von Geldern der Versicherten der Bundesanstalt in die Schulen, Bildungsstiftung usw. Wir haben zwei ganz konkrete Vorschläge: Erstens. Wandeln Sie den Solidaritätszuschlag in einen BildungsSoli um. ({11}) Bis 2019 werden aus dem Soli 55 Milliarden Euro frei. Sorgen Sie dafür, dass diese Gelder nicht irgendwo im Gesamthaushalt versickern, sondern zum großen Teil in die Bildung fließen. ({12}) Sorgen Sie dafür, dass Ausgaben für eine öffentliche Friedhofsmauer im Vergleich zu Investitionen für Lehrer und Erzieher für unsere Kinder und Enkelkinder in Zukunft nicht mehr privilegiert werden. ({13}) Bildungsausgaben dürfen nicht mehr zweitrangig sein. ({14}) Fordern Sie das nicht nur in Festtagsreden, sondern bringen Sie das endlich in die Föderalismuskommission II ein. ({15}) Sie sind so stolz auf Ihre große Mehrheit. Solange Sie noch miteinander zwangsverheiratet sind, nutzen Sie diese große Mehrheit bitte, um eine entsprechende Korrektur in der Verfassung vorzunehmen, die notwendig ist. Da haben Sie wirklich einen Fehler gemacht. ({16}) Werfen wir jetzt einen Blick auf die Bereiche, in denen Sie echte Verantwortung tragen und sich nicht hinter den Ländern verstecken können. Wir haben immer noch 300 000 Altbewerber ohne Ausbildungsplatz. 500 000 junge Leute sind im Übergangssystem. Die Strukturreform in der beruflichen Bildung ist überfällig. Die Gewerkschaften und die Arbeitgeber machen Ihnen das Leben nicht leicht. Frau Schavan, Sie sind hier aber einfach zu zaghaft. Wir haben ein Konzept vorgelegt. Wir können es nicht von der Konjunktur abhängig machen, ob junge Leute einen Ausbildungsplatz bekommen. Deswegen brauchen wir auch überbetriebliche Ausbildungszentren bei Beibehaltung des dualen Prinzips und mit der gemeinsamen Verantwortung von Kammern und Berufsschulen für diese Ausbildungsplätze. ({17}) Wir brauchen auch die Zertifizierung und Anerkennung von Ausbildungsmodulen. Wer - wie Frau Merkel Durchlässigkeit fordert, der kann nicht zugucken, wie junge Leute ihre Lebenszeit vertrödeln und immer wieder in der Sackgasse dieser Übergangssysteme landen, ohne dass dabei etwas für sie herauskommt. ({18}) Nun zur Weiterbildung. Frau Schavan, das Bildungssparen, das Sie initiiert haben, ist bestenfalls symbolische Politik. Dort brauchen wir einen großen Wurf, um international überhaupt den Anschluss zu finden. Das Meister-BAföG zu öffnen, ist okay; das wollen wir auch. Wir brauchen aber ein echtes Erwachsenenbildungsförderungsgesetz. Wir müssen gerade die Gruppen erreichen, die nicht selbst in ihre Weiterbildung investieren, aber schulische oder berufliche Abschlüsse dringend nachholen müssen. ({19}) Eine Zwischenbilanz zum Hochschulpakt: Er funktioniert nicht. Statt 13 000 Plätzen haben wir jetzt 3 400 Plätze. Es ist auch klar, warum er nicht funktioniert: Er ist unterfinanziert. Zusätzliche Plätze gibt es nur auf der Basis einer realistischen Kostenrechnung und eines fairen Interessenausgleichs zwischen den Ländern. Beides ist dringend erforderlich. Zum Schluss habe ich noch eine dringende Bitte an Sie. Hören Sie endlich auf, gutes Geld aus dem Forschungsbereich in atomaren Altlasten zu versenken. ({20}) Die Altlasten werden wir nicht mehr los. Sie aber wollen immer wieder neue Lasten in der Zukunft produzieren. ({21}) Das ist doch verrückt. Wir haben auch bei den hochkompetenten Mitarbeitern der Helmholtz-Gemeinschaft gesehen: Menschen machen Fehler. Die Atomtechnologie verträgt leider keine Fehler. Also ist sie offensichtlich nicht für Menschen - auch nicht für hochkompetente Menschen - gemacht. Hören Sie auf, Frau Schavan, diese Technologie immer weiter zu befördern. ({22})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege KlausPeter Willsch. ({0})

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Sager, Ihre Philippika vorhin war maßlos. Sie hatte nichts mit dem Einzelplan zu tun, über den wir hier reden. ({0}) Sie führen alte Grundsatzdebatten über Einheitsschulen und Gesamtschulen und satteln gleich noch die Kernenergie oben drauf. Das hat mit dem, über das wir hier reden, nichts zu tun. ({1}) Dagegen war das, was Frau Flach vorgetragen hat, wohltuend sachlich. Ich rate uns, unser Land an diesem Punkt nicht schlechtzureden. Vielmehr sollten wir uns darüber freuen, dass wir auf dem Weg, mehr Geld für Bildung und Forschung zu haben, Stück für Stück vorwärts kommen und dem 3-Prozent-Ziel jedes Jahr etwas näher kommen. Freuen Sie sich einfach einmal still darüber und mäßigen Sie sich ein wenig im Ton. Ich fand das wirklich kaum erträglich. ({2}) Zu Ihrem letzten Punkt, zu den Forschungsaktivitäten im Bereich der kerntechnischen Anlagen. Hier können Sie einen Teilerfolg verbuchen. Herr Gabriel wird sich um die Asse kümmern. Wenn wir diesen Bereich nicht abgegeben hätten, dann lägen wir in diesem Jahr erstmals bei über 10 Milliarden Euro. Wir sind im Bereich des Entwurfs des Einzelplans 30 jetzt noch bei ungefähr 10 Milliarden Euro. Das ist eine Rekordzahl, angesichts derer man einfach einmal innehalten und feststellen sollte, dass wir auf dem richtigen Wege sind. ({3}) Wir haben seit 2005 im Bereich des Einzelplanes 30, also im Haushalt der Bundesministerin für Bildung und Forschung, einen Aufwuchs von 2,5 Milliarden Euro zu verzeichnen. Gegenüber dem vergangenen Jahr wollen wir den Gesamtansatz noch einmal um 650 Millionen Euro steigern. Die Koalition steht für Haushaltskonsolidierung; das hat die Debatte in dieser Woche deutlich gemacht. Aber wir verlieren die Zukunftsinvestitionen nicht aus dem Blick, sondern investieren in diesen Bereich und haben hervorragende Erfolge zu verzeichnen. Ein Flaggschiff ist und bleibt die Hightech-Strategie. Wenn Sie einmal zu den Universitäten und Forschungseinrichtungen gehen, können Sie dort die Aufbruchstimmung in unserem Lande im Bereich Forschung mit Händen greifen. ({4}) Wir fördern Forschung und Entwicklung, weil das die Grundlagen für zukünftiges Wirtschaftswachstum und zukünftigen Wohlstand sind. Davon hat sich auch das Finanzministerium leiten lassen, indem es den weiteren Weg zur Erreichung des 3-Prozent-Ziels - 2,8 Prozent sind geschafft - mit entsprechenden Veranschlagungen im Haushaltsplan für das kommende Jahr unterstützt. Allein in der Titelgruppe 40 „Stärkung des Lernens im Lebenslauf“ - Frau Sager, Sie sollten sich die Ansätze wirklich einmal anschauen - sind im Regierungsentwurf 137 Millionen Euro vorgesehen. Die Modernisierung und Stärkung der beruflichen Bildung soll mit über 97 Millionen Euro unterstützt werden. Ich habe in meinem Wahlkreis eine Volkshochschule, die an der Initiative „Lernende Regionen - Förderung von Netzwerken“ beteiligt ist. Das ist eine vorzügliche Arbeit, die dort gemacht wird. Dort wird berufsbegleitend lebenslang gelernt, um Qualifikationen zu erhalten und neue zu erwerben. Wir wissen doch, dass das, was früher einmal galt - wenn man einmal einen Beruf erlernt hat, reicht das für das ganze Leben -, angesichts der Vervielfältigung des Wissens in dieser Welt, der Beschleunigung der Verfahren und der Prozesse heute nicht mehr gilt. Da leisten wir eine verdienstvolle Arbeit, die vom BMBF hervorragend unterstützt wird. ({5}) Die Ausgaben für BAföG steigen laut unseren Beschlüssen nach den vorangegangenen Diskussionen um rund 136 Millionen Euro auf über 1,4 Milliarden Euro. ({6}) Die Begabtenförderungswerke erhalten eine bessere finanzielle Ausstattung; das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir brauchen die Förderung in der Breite, aber auch die Förderung in der Spitze. Denn wenn die Supertalente an der Spitze gut gefördert werden, finden wir dort den Nachwuchs für die akademische Welt. ({7}) - Ich habe doch gerade gesagt - das ist ja ein gemeinsames Werk von uns, Frau Kollegin -, dass es wichtig ist, nicht nur in der Breite, sondern auch in der Spitze zu fördern. Das ist hier angesagt. ({8}) Die Bildungspolitik ist in den Mittelpunkt der Diskussionen in unserem Land geraten. Die Kanzlerin hat dem Thema durch ihre Bildungsreise bundesweit in den Medien eine besondere Aufmerksamkeit verschafft. Wir werden auf dem Bildungsgipfel sehen, zu welchen Ergebnissen wir kommen. Zu all den föderalismusskeptischen Äußerungen, die überwiegend vonseiten der Opposition hier getätigt worden sind, möchte ich, als leidenschaftlicher Anhänger eines Wettbewerbsföderalismus, doch einmal ein paar Anmerkungen machen. ({9}) Wir haben mit unserem föderalen System hervorragende Erfahrungen gesammelt. Es folgt dem Grundgedanken, dass die kleinere Einheit das erledigen soll, was sie erledigen kann. Dass Frau Sitte mit dem System Wettbewerb Probleme hat, ist völlig logisch, weil sie aus einer Partei kommt, die für ein System verantwortlich war, das eine Mauer errichtet hat, damit die Leute nicht weglaufen. ({10}) Aber den Skeptizismus von demokratischen Vertretern dieses Hauses kann ich nicht nachvollziehen; denn das System funktioniert in der Wirklichkeit. Ich will Ihnen zwei praktische Beispiele nennen. Zum einen wird darüber geklagt, dass heute zu viele Schüler das Schulsystem ohne Hauptschulabschluss verlassen. Wenn wir uns einmal die Aufteilung der Schüler anschauen, dann stellen wir fest, dass sehr viele Migrantenkinder dabei sind; Sie haben es selber gesagt. Diese Kinder haben in der Schule gesessen, ohne Deutsch zu können. Daraus haben wir damals, 1999/2000, in Hessen auf Landesebene den Schluss gezogen, dass kein Kind in die Schule kommt, bevor es nicht Deutsch kann. Da haben Sie uns geifernd beschimpft, das sei eine Zwangsgermanisierung. Was soll denn ein Kind in der Schule, wenn es kein Deutsch kann und den Lehrer nicht versteht? ({11}) Wir haben hier ein Pilotprojekt durchgeführt und uns dafür heftig beschimpfen lassen müssen. Heute gehört es zum bundesweiten Stand - auch das wird beim Bildungsgipfel herauskommen -, dass es Vorlaufkurse zum Erlernen der deutschen Sprache geben muss, wenn Kinder kein Deutsch können, wenn sie in die Schule kommen. Ein weiteres Beispiel: die Hauptschule. Hören Sie doch mit dem Ruf nach der Gemeinschaftsschule und der Einheitsschule und dem Vorwurf des Selektierens der Schüler mit zehn Jahren auf! Wir haben in Deutschland eine hervorragende Ausbildung. Wir haben hervorragende Gymnasien; wir haben hervorragende Realschulen. Wir müssen versuchen, die Hauptschulen noch besser, noch marktadäquater zu gestalten. ({12}) Wir haben in Hessen - auch das empfehle ich zur Nachahmung - das Modell SchuB, „Schule und Betrieb“. Die jungen Leute in der siebten und achten Klasse sind zwei, drei Tage in einem Betrieb, um zu sehen, dass das, was sie in der Schule lernen, mit der konkreten Wirklichkeit und der Möglichkeit der Einkommenserzielung etwas zu tun hat. Die bekommen wieder Spaß an der Schule; das sage ich Ihnen. Von einem Wettbewerbsföderalismus erhoffe ich mir, dass ein gutes Beispiel nachgeahmt wird, dass man schaut: „Was machen die einen, und was machen die anderen?“ und sagt: Wir machen es so, wie es die Besten machen. ({13}) Wenn wir 1998 eine einheitliche Bundesverantwortung für die Bildungspolitik gehabt hätten, hätten wir heute von Flensburg bis zum Bodensee Gesamtschulen und eine Zwangsförderstufe. Ich bin in Hessen während des Schulkampfes Anfang der 70er-Jahre groß geworden. Ich erinnere an von Friedeburg usw. Ich weiß, was das heißt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Dass wir das unseren Kindern ersparen konnten, ist ein große Verdienst unserer Struktur der Grundzuständigkeit der Länder für Bildungsfragen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie hätten zum Ende kommen müssen.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich sehe, dass es blinkt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es blinkt aber nicht nur, damit es blinkt.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich entschuldige mich bei meinem Mitarbeiter, der mir unheimlich viel Kluges, was ich alles noch hätte vortragen können, zusammengetragen hat. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir grüßen ihn alle herzlich.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es ist immer wieder so, dass bei Themen, die nicht unbedingt voraussehbar waren, irgendwann die Leidenschaft mit mir durchgeht. Ich möchte abschließend betonen, dass wir über diesen Einzelplan natürlich in allen Einzelheiten beraten werden. Es wird sicher im Haushaltsausschuss Veränderungen geben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, ich denke, Ihr Mitarbeiter hat Verständnis dafür, dass die Redezeit begrenzt ist.

Klaus Peter Willsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003264, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Für das, was bisher vorgelegt worden ist, bedanken wir uns ganz herzlich. Ich schließe damit. Entschuldigen Sie, Frau Präsidentin. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Cornelia Pieper hat das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gerne sage ich etwas dazu, Herr Tauss. Sie wissen, dass dieses Thema nicht nur mich, sondern die ganze FDP beschäftigt. Aber bevor ich das tue, will ich meiner Kollegin von den Grünen, Krista Sager, zur Seite springen. Ich finde, sie hatte durchaus recht, als sie gesagt hat: Wir müssen den Bildungshaushalt, unsere Bildungslandschaft im internationalen Vergleich sehen. - Schauen wir uns einmal an, wo Deutschland heute im internationalen Vergleich steht: Trotz aller anerkennenswerten Steigerung der Mittel im Bildungs- und Forschungshaushalt - vorwiegend sind ja die Forschungsausgaben erhöht worden; darauf muss man einmal hinweisen - stehen wir im internationalen Vergleich, was die Bildungsausgaben anbelangt, nicht an der Spitze. ({0}) Vielmehr sind die Bildungsausgaben in Deutschland sogar rückläufig und liegen unter dem OECD-Durchschnitt. Wir investieren inzwischen weniger in Bildung als Polen, Ungarn oder Portugal; das muss man einfach einmal zur Kenntnis nehmen. ({1}) Wir sind ein Land der Innovationen. Wir sind ein Land der Spitzentechnologien und Hochtechnologien. Weil wir diese Spitze weltweit halten wollen, müssen wir mehr zulegen und mehr investieren. Deswegen kann man heute keine kleinen Brötchen mehr backen, sondern muss richtig groß an die Sache herangehen. ({2}) Das habe ich bei Ihnen vermisst. Ich will es noch einmal deutlich machen: Der Haushalt des Bildungs- und Forschungsministeriums umfasst rund 10 Milliarden Euro. Das macht ungefähr 3 Prozent des Gesamthaushalts aus. Der Arbeitsminister hat einen Haushalt von 123 Milliarden Euro. Das macht fast die Hälfte des Budgets des Bundeshaushalts aus. Daran kann man erkennen, wo die Prioritäten im Haushalt gesetzt werden. Wir Liberale meinen, man könnte noch sehr viel mehr in Bildung investieren. Wir sollten nicht mehr die Vergangenheit subventionieren. Wir müssen in die Zukunft investieren. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Sie alle wissen, dass Wissenschaftler die Bildungspolitik zu Recht als präventive Sozialpolitik bezeichnen. Wir hätten wahrscheinlich gar nicht so hohe Sozialausgaben, würden wir jedem jungen Menschen eine Chance und, wenn nötig, eine zweite Chance auf einen ordentlichen Schul- und Berufsabschluss geben. Darum geht es. ({3}) Für uns steht der Mensch, das Kind im Mittelpunkt jeglicher Bildungspolitik. Das will ich ausdrücklich sagen. Da sich die Regierung wegen ihres Engagements im Bereich frühkindliche Bildung so sehr lobt, will ich daran erinnern, dass wir Krippen, Kindergartenplätze und Schulhorte schon vor 18 Jahren hätten besser fördern können. ({4}) Die FDP hat dafür gesorgt, dass mit dem Schwangerenund Familienhilfegesetz bundesweit ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr eingeführt wurde. Wir hätten noch viel weiter gehen können, aber Sie sind nicht mitgegangen. Auf diesem Gebiet sind die neuen Bundesländer Vorbild. Auch das muss an dieser Stelle einmal gesagt werden. ({5}) Dort gibt es seit 18 Jahren ein dichtes Netz an vorschulischen Kinderbetreuungseinrichtungen mit einem Bildungsplan, mit gut ausgebildeten Erzieherinnen und Erziehern. In diesem Fall kann man wirklich einmal vom Osten lernen. ({6}) Die Kanzlerin spricht von einer Bildungsrepublik Deutschland. Dabei sind wir von einer Bildungsrepublik Deutschland weit entfernt. Ich will die Zahlen, die zu den Altbewerbern, Schulabbrechern etc. genannt wurden, nicht wiederholen. Jedes Schicksal tut einem persönlich leid. Was wir in Deutschland brauchen, ist eine Bildungsrevolution. ({7}) In Sachen Bildungspolitik sind wir doch in jeder Hinsicht staatsbürokratisch. Die FDP fordert mehr Freiheit und Eigenverantwortung für Schulen. Wir wollen ein klares Bekenntnis zu mehr Freiheit und ein Wissenschaftsfreiheitsgesetz für die Hochschulen. Davor hat sich die Bundesregierung gedrückt, weil sie von der SPD gebremst wurde. ({8}) Jetzt noch zur Föderalismusreform: Ich habe mich ebenso wie einige andere Kollegen gewundert, aber ich finde es gut, dass Frau Ministerin Schavan in der liberalen Ideenwerkstatt gefischt hat und gesagt hat, man müsse sich eigentlich auch um pädagogische Konzepte für die Ganztagsschulen kümmern. Wir haben schon vor zwei Legislaturperioden vorgeschlagen, im Rahmen der BundLänder-Bildungsplanung Modellschulen vorzusehen. Frau Ministerin, Sie haben mit der Föderalismusreform I die Bund-Länder-Bildungsplanung abgeschafft. Die gibt es nicht mehr. Der Bund hat gar keine Möglichkeit mehr, für gute, innovative pädagogische Konzepte zu sorgen. Das war unserer Ansicht nach falsch. An dieser Stelle will ich für eine nationale Bildungsstrategie plädieren. Das ist es, was dieses Land braucht. ({9}) Wir brauchen ein Gesamtkonzept: von der frühkindlichen Bildung bis zum lebenslangen Lernen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin!

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss meiner Rede. - Wir brauchen nicht nur mehr Investitionen, sondern auch, wie ich noch einmal betonen möchte, viel mehr Entscheidungsfreiheit für die Lehrerinnen und Lehrer sowie für die Erzieherinnen und Erzieher, die in den Einrichtungen arbeiten.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben unsere größte Anerkennung verdient. Ich bin es leid, dass man ihnen immer die Schuld in die Schuhe schiebt. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Klaus Hagemann spricht jetzt für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau Pieper, dass Sie die Bildungsrevolution ausrufen wollen, finde ich ganz toll. ({0}) Da Sie erzählt haben, was man in den 90er-Jahren alles hätte machen können, frage ich Sie: Warum haben Sie es nicht gemacht? Sie waren doch in der Bundesregierung vertreten. ({1}) Frau Flach, natürlich kann man immer noch mehr machen. Ich bin auch dafür, noch mehr hineinzupacken. Aber als Sie, nicht Sie persönlich, sondern die FDP, das letzte Mal Regierungsverantwortung getragen haben, in der Zeit des Zukunftsministers Rüttgers, sind die Mittel für Bildung und Forschung nach unten gefahren worden. Daran wollte ich nur noch einmal erinnern. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie die Zwischenfrage der Kollegin Pieper zulassen?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, natürlich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Cornelia Pieper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003208, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das macht die Debatte auch lebendiger. Vielen Dank, Frau Präsidentin. ({0}) Was Herr Hagemann sicher nicht weiß: Ich war 1990 zwar noch nicht im Bundestag, aber die FDP im Landtag von Sachsen-Anhalt, dem ich damals angehören durfte, hat dafür gesorgt, dass es von Anfang an ein Kindertagesstättengesetz gegeben hat mit einem Rechtsanspruch für Kinder von 0 bis damals 12, heute bis 14 Jahre. Das heißt, man hat ganz bewusst - im Übrigen über alle Fraktionsgrenzen hinweg - dafür gesorgt, dass die Kinderbetreuungseinrichtungen erhalten bleiben. Können Sie sich noch daran erinnern, dass eine Kollegin von mir, Uta Würfel, dafür gesorgt hat, dass im Schwangerenund Familienhilfegesetz des Bundes Mitte der 90erJahre auch der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz bundesweit verankert worden ist? ({1})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich wusste nicht, dass Sie das schon damals im Landtag beantragt haben. Die Idee ist gut. ({0}) Sie wird ja jetzt auch von uns umgesetzt, Frau Pieper. Wir haben diesen Rechtsanspruch vorgesehen. Wir sind ein bisschen spät dran - das gebe ich zu -; aber wir reden schon lange darüber. Sie haben es aber als FDP, als Sie im Bund in der Regierungsverantwortung waren, nicht durchgesetzt. ({1}) Daran wollte ich erinnern. Ich leite zum nächsten Thema über. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Große Koalition hält ihre Zusage, mehr für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu tun. Wir werden, wenn ich das Ganztagsschulprogramm dazurechne, im nächsten Jahr fast 11 Milliarden Euro für Bildung und Forschung zur Verfügung stellen. Das haben die beiden Koalitionsfraktionen so beschlossen. Das ist ein Plus von 7,8 Prozent. ({2}) Ganztagsschulprogramm ist das Stichwort. Das Programm ist sehr erfolgreich. Es wurde damals unter Rot-Grün von Frau Bulmahn angestoßen und gegen die CDU/CSU durchgesetzt; das ist richtig. Frau Flach, Sie hatten darauf hingewiesen, dass die Unionskollegen damals ausgezogen sind. Das bestätigt Herbert Wehners Aussage: Wer auszieht, muss auch wieder einziehen. ({3}) Wir haben jetzt das Ganztagsschulprogramm. ({4}) Wichtig ist, dass die Mittel, die zur Verfügung stehen, auch abgerufen werden. Ich bitte Sie, Frau Ministerin Schavan, Ihre Kollegen in den Ländern beim Bildungsgipfel darauf hinzuweisen, die Mittel auch abzurufen und einzusetzen. Das Land Nordrhein-Westfalen beispielsweise liegt hier mit einer Abrufungsquote von 70 Prozent ziemlich weit hinten. ({5}) Es wurden Entscheidungen getroffen. Das Ganztagsschulprogramm habe ich schon angesprochen. Ich möchte noch die Exzellenzinitiative erwähnen, die sich deutlich positiv ausgewirkt hat und neuen Geist in die Universitäten und Forschungseinrichtungen getragen hat. Man hört es allenthalben - Kollege Willsch hat darauf hingewiesen -; auch ich stelle das immer wieder fest. Deswegen sollten wir darüber nachdenken, eine Exzellenzinitiative II auf den Weg zu bringen. Dabei muss natürlich auch die Lehre berücksichtigt werden. ({6}) Wir müssen auch beraten, wie wir den Pakt für Forschung und Innovation, der damals geschlossen wurde, nach 2010 bzw. 2011 fortführen. ({7}) Dies ist notwendig, weil zum Beispiel - ich glaube, das ist von Ihnen, Frau Flach, schon gesagt worden - die Preise für Energie gestiegen sind. Es handelt sich um ein Nullsummenspiel; das wissen wir. Deswegen muss entsprechend reagiert werden. Wir konnten auch - das ist im Haushaltsplan berücksichtigt - das BAföG, die Studentenförderung, deutlich erhöhen, nämlich um 136 Millionen Euro zusätzlich. Wir liegen damit deutlich über der Milliardengrenze. Wichtig ist auch, dass jetzt mehr Studierende aus Nichtakademikerkreisen gewonnen werden können. ({8}) Die Presse hat berichtet, dass die Unis zum Teil „geschlossene Gesellschaften für Akademikerkinder“ seien. Das reicht nicht aus. ({9}) Deswegen ist dies der Weg, den wir konsequent weitergehen müssen. Wir brauchen alle Talente. Es darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen, ob jemand studiert. Das gilt genauso für das Meister-BAföG. Auch hier haben wir massiv draufgepackt. Wir wollen die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen und entsprechende Gelder zur Verfügung stellen. Die finanziellen Voraussetzungen werden mit dem Haushalt 2009 geschaffen. Ich möchte auch noch das Stipendiensystem ansprechen. 1 Prozent eines Jahrgangs sollen bei der Hochbegabtenförderung berücksichtigt werden, und zwar in allen Schichten der Bevölkerung. Hierfür sind die Mittel entsprechend erhöht worden. Ich habe in dieser Woche ein Gespräch mit Vertretern der Friedrich-Ebert-Stiftung geführt, die eines der Förderwerke unterhält. In diesem Gespräch habe ich erfahren, dass 60 Prozent der Stipendiaten der Friedrich-Ebert-Stiftung einen Migrationshintergrund haben oder aus sozial schwachen Verhältnissen kommen. Ich finde es gut, dass der Prozentsatz so hoch ist, und hoffe, dass das bei anderen Fördereinrichtungen ähnlich ist. Meine Damen und Herren, gestern hat die Kanzlerin gesagt, dass die Bürger kein Verständnis für Kompetenzstreitereien haben; dieser Satz wurde heute bereits zitiert. Dem kann ich mich nur anschließen. Es geht darum, Probleme zu lösen. Wir müssen mit dem Hochschulpakt 2020 voranschreiten. Die notwendigen Schritte haben wir bereits eingeleitet. Jetzt müssen sie umgesetzt werden. Es sollen 91 000 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Das, was Frau Sager vorhin vorgetragen hat, ist leider richtig: Bisher wurden erst 3 400 neue Studienplätze geschaffen. Die Länder Baden-Württemberg und Hessen sind noch im Rückstand; dort wurde die Zahl der Studienplätze sogar abgebaut. ({10}) - Ja, für Nordrhein-Westfalen gilt das auch. Dort ist der zuständige Minister übrigens von der FDP. ({11}) - Herr Meinhardt, wenn Sie sich die entsprechenden Statistiken ansehen, werden Sie feststellen, dass dem so ist. ({12}) Es ist notwendig, zu fordern und zu fördern. Das Fördern übernimmt der Bund. Allerdings fordert er von den Ländern, dass sie sich an die Vereinbarungen halten. Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen wurde zerschlagen. Jetzt herrscht Chaos. Man weiß nicht, wie man die Verteilung der Studienplätze bewerkstelligen soll. Frau Ministerin, auch dieses Thema sollte auf dem Bildungsgipfel angesprochen werden; denn für gute Forschung braucht man gut ausgebildete Forscher. Jetzt wird wieder nach Mitteln des Bundes gerufen. ({13}) Das sind Dinge, die im Bildungsbereich getan werden müssen. Die Grundlagenforschung von heute ist die Basis für die Produkte und die Arbeitsplätze von morgen. ({14}) Das ist ein platter Satz, hinter dem allerdings viel Richtiges steht. Schon vor vielen Jahren haben wir uns auf das 3-Prozent-Ziel der Lissabon-Strategie verpflichtet. Jedes Jahr müssen 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschung und Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden. Das ist eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern und der Wirtschaft. Der Bund hat seine Hausaufgaben gemacht und schreitet voran. Er muss einen Anteil von 0,5 Prozent aufbringen, und das tut er auch. Aber wie ist die Situation in den Ländern? Wie der Statistik zu entnehmen ist, hat der Bund bisher einen Anteil von 0,43 Prozent aufgebracht, und die Länder haben bis jetzt einen Anteil von 0,34 Prozent aufgebracht. In den Ländern besteht also Handlungsbedarf. Wenn man eine Zwischenbilanz zieht, kommt man zu dem Ergebnis: Der Bund macht seine Hausaufgaben. Als einziger der drei Akteure erhöht er seine Forschungsausgaben, ({15}) und zwar im Verhältnis zum Wirtschaftswachstum in überproportionalem Maße; ({16}) das möchte ich in Erinnerung rufen. Frau Ministerin, ich bitte Sie, auch dieses Thema im Rahmen des Bildungsgipfels zu behandeln. Wir müssen alle Maßnahmen, die Hightech-Strategie usw., einer Gesamtevaluation unterziehen und prüfen, wohin die Mittel fließen und welche Hebelwirkung sie haben. Das sind die Aufgaben, die jetzt angepackt werden müssen. Zum Schluss noch folgende Bemerkung. Es wird immer wieder behauptet, dass Baden-Württemberg 4,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellt. ({17}) Herr Meinhardt, wenn man sich anschaut, wie viel von diesen Mitteln tatsächlich Geld des Landes ist und wie viel Prozent des BIP dieser Betrag entspricht, ({18}) kommt man zu dem Ergebnis, dass Baden-Württemberg 2007 nur 0,32 Prozent des landeseigenen BIP für Forschung und Entwicklung zur Verfügung stellt. ({19}) Alles andere, Herr Meinhardt, sind Bundesmittel, die über die großen Forschungseinrichtungen, beispielsweise die Helmholtz-Gemeinschaft, nach BadenWürttemberg fließen. ({20}) Baden-Württemberg und Bayern müssen ihre Hausaufgaben noch machen und dafür sorgen, dass sie das landeseigene 0,5-Prozent-Ziel, wie die anderen Bundesländer auch, einhalten und sich nicht nur mit den „Federn“ des Bundes schmücken.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- Ja, das ist wie in Des Kaisers neue Kleider.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss. Es wurde ein guter Haushaltsentwurf vorgelegt. Wir werden ihn im Rahmen der Haushaltsberatungen allerdings noch ein wenig verbessern. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Ilse Aigner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich wollte ich mich schwerpunktmäßig auf die Forschung konzentrieren. Eine Aussage hat mich aber doch sehr gestört, nämlich die Aussage von Frau Sager. Sie hat gesagt, bei uns würden Kinder etikettiert und aussortiert. ({0}) Das kann man nur sagen, wenn man Menschen kategorisiert und der Mensch erst dann beginnt, wenn er Abitur hat. ({1}) Ich finde das ziemlich bitter. Ich sage Ihnen das deshalb, weil vor kurzem eine Abschlussfeier einer Hauptschule stattgefunden hat, bei der eine Absolventin, die die Festansprache für die Schüler gehalten hat, uns Mandatsträgern und anderen Anwesenden entgegengeworfen hat: Stellen Sie sich einmal vor, was in einem jungen Menschen vorgeht, dem tagtäglich gesagt wird, dass die Hauptschule eigentlich gar nichts wert ist! Was meinen Sie, was in einem solchen Menschen vorgeht? ({2}) - Lieber Kollege Tauss, entscheidend ist natürlich, dass diese jungen Menschen Ausbildungsplätze bekommen. Alle Schüler dieser Klasse haben einen Ausbildungsplatz bekommen. Entscheidend ist also auch, wie es in der Wirtschaft läuft. Sehr geehrte Frau Sager, die Altbewerber gibt es aufgrund der sehr schlechten wirtschaftlichen Lage, in der wir uns befanden. Jetzt haben wir Gott sei Dank die Chance, das langsam aufzuarbeiten. Ich glaube, das ist das Wichtigste. Wir sollten uns darüber freuen, wenn es wieder mehr Ausbildungsplätze gibt, ({3}) wenn die jungen Menschen unabhängig davon, von welcher Schule sie kommen, einen Ausbildungsplatz bekommen. Ich sage noch etwas zum OECD-Bericht, der ebenfalls angesprochen wurde. Ich muss mich jedes Mal über diesen Bericht fürchterlich aufregen. Wie kann man Systeme miteinander vergleichen, die schlicht und ergreifend nicht miteinander zu vergleichen sind? Wie kann ich ein System in einem Land, in dem es keinerlei berufliche Ausbildungschancen gibt, in dem es eine rein akademische Ausbildung oder gar keine Ausbildung gibt, mit einem System in einem Land vergleichen, in dem es eine Alternative gibt, und zwar eine sehr gute und hochqualitative Alternative? Wir waren vor kurzem in China und durften dort mit Vertretern deutscher Firmen sprechen. Interessant war, dass sie gesagt haben: Wir haben hier sehr viele Ingenieure. Wissen Sie, was uns fehlt? Es fehlen die guten Facharbeiter, die das, was sich Ingenieure ausdenken, umsetzen können. Wir brauchen nicht nur Mundwerker, sondern auch Handwerker. ({4}) Ich glaube, dass wir gemeinsame Ziele formulieren könnten und sollten, auch gemeinsam mit den Ländern. Es ist schon viel geschehen. Ich finde, wir sollten auch einmal positiv darüber reden. Mein lieber Kollege hat gesagt, der Hochschulpakt sei dank der SPD entstanden. Verhandelt hat diesen Hochschulpakt eine Person - sie sitzt da drüben -, nämlich Frau Ministerin Schavan. ({5}) Sie hat es gemeinsam mit den Ländern zustande gebracht, dass man sich auf etwas einigt. So ungefähr könnte nach meinen Vorstellungen der Bildungsgipfel ablaufen. Die Arbeitsgruppe Bildung und Forschung hat mehrere Ziele formuliert, die wir in der Fraktion einbringen werden. Wir sind sehr wohl der Meinung, dass im Bereich der Bildung mehr passieren sollte. Wir sollten wie beim 3-Prozent-Ziel gemeinsam mit den Ländern ein Ziel vereinbaren, damit wir wieder auf den Stand von 1995 kommen, nämlich 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Bildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung auszugeben. ({6}) Das werden wir noch durchsetzen müssen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Ziel. Umso mehr sollten wir positiv darüber reden, was wir in den vergangenen Jahren gemacht haben. Die Zahlen sind schon genannt worden. Die Mittel des Haushalts für Bildung und Forschung betragen mehr als 10 Milliarden Euro. Vom vergangenen Haushalt zu diesem Haushalt haben wir eine Steigerung von 730 Millionen Euro zu verzeichnen. Das ist eine traumhafte Summe. Ich bedanke mich bei der FDP, die die Leistung unserer Ministerin ausdrücklich gelobt hat. Aber die Zahlen allein sind es nicht. Wichtig ist auch die Mischung - und für was das Geld eingesetzt wird. Es kann nicht nach der Rasenmähermethode vorgegangen werden; denn es gibt die unterschiedlichsten Fördermöglichkeiten und -notwendigkeiten. Diese reichen von der Grundlagenforschung bis zur angewandten Forschung, von der Programmforschung bis hin zur Förderung von kleinen und mittelständischen Unternehmen. Ich freue mich, dass wir beim letzten Haushalt gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom Haushaltsausschuss einen weiteren Schnellzug für kleine und mittelständische Unternehmen eingeführt haben. Die Mittel im Rahmen von KMU-innovativ steigen exorbitant, weil das angenommen wird. Das ist eine Anlaufstelle, an die sich Mittelständler wenden und bei der sie abrufen, an was sie forschen können. Das ist ein wichtiger Bereich. Wir haben noch etwas erreicht, auf das ich hinweisen möchte, da das ein wenig untergeht. Die Zahl der Dankesbriefe hält sich in der Regel in Grenzen, wenn man etwas durchgesetzt hat. ({7}) Wir haben durchgesetzt, dass bei der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zusätzlich eine Gemeinkostenfinanzierung erfolgt. Das hat es bisher noch nicht gegeben, ist aber im internationalen Wettbewerb absolut unverzichtbar. ({8}) - Frau Flach, steigern kann man immer alles; das ist keine Frage. ({9}) Es wäre doch auch einmal schön, wenn wir uns gemeinsam über Erreichtes freuen würden. Ich glaube, heute ist ein guter Tag dafür. Bei meinem nächsten Punkt geht es um die Hebelwirkung. Die Innovationsallianzen sind schon angesprochen worden. Ich weiß sehr wohl, dass nicht der Staat allein alles erbringen kann. Auch die Wirtschaft muss etwas tun. Sehr geehrter Herr Hagemann, lieber Klaus, es ist mir eigentlich egal, wer das Geld zur Verfügung stellt. Wenn die 3 Prozent gemäß der Lissabon-Strategie erreicht werden, dann sollten wir uns gemeinsam darüber freuen. Einige Länder erreichen wesentlich weniger. Es ist doch toll, wenn die Wirtschaft voll einsteigt. Sind Mittel für Forschung und Entwicklung aus der Wirtschaft verpönt? Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen. ({10}) - Schauen Sie einmal auf die Länder, in denen das gut läuft. Dort steigt die Wirtschaft viel stärker ein. Es ist doch wunderbar, wenn die Wirtschaft für Forschung ist und ihren Anteil erbringt. ({11}) Ein wesentlicher Hebel sind die Innovationsallianzen. Ich finde, das ist ein Paradebeispiel. Auf einen eingesetzten Euro kommen zusätzliche fünf Euro von der Wirtschaft. Besser kann es eigentlich nicht laufen. Die Idee kam von unserer Ministerin. Dies geschieht mittlerweile in fünf verschiedenen Bereichen. Ich nenne nur die organische Photovoltaik und die Lithium-Ionen-Batterie. Diese Batterie stellt einen Schlüsselpunkt im Bereich der Energie dar. Wenn wir künftig überlegen, ob wir für den Antrieb von Autos Strom nutzen, dann ist zum einen entscheidend, wie die Batterie aufgeladen wird, zum anderen ist aber auch entscheidend, wie wir den Strom speichern können. Deswegen ist diese Forschung ein wesentlicher Punkt. ({12}) Ich komme zum Abschluss. Einige kennen sich in der Bibel aus, besonders die Präsidentin, Lukas 19, das Gleichnis von den Talenten. - Oh, der Vorsitz hat gewechselt. ({13}) Aber Sie kennen sich auch aus.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich kenne die Stelle auch.

Ilse Aigner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003028, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Entschuldigung, Herr Präsident, aber den Bereich hinter meinem Rücken hatte ich nicht im Blick. Ich bin mir sicher, dass Sie die Stelle auch kennen. - Es geht in dem Gleichnis von den Talenten jedenfalls darum, dass Talente nicht vergraben werden dürfen, sondern gewinnbringend eingesetzt werden müssen. Ich glaube, mit diesem Haushalt haben wir das erreicht. Ein herzliches Dankeschön an die Ministerin und an das ganze Haus. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich nehme an, es gibt in diesem Hause eine ganze Reihe sehr bibelfester Leute. Das Wort hat nun Kollege Jörg Tauss, SPD-Fraktion. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Liebe Frau Flach, Ihr Lob war berechtigt. ({0}) Dennoch erinnern wir uns - das sei erlaubt - ein paar Jahre zurück. Ich bin jetzt 14 Jahre im Bundestag. Seit zehn Jahren, seit 1998, macht es Spaß. Erinnern wir uns einmal an 1998. Das war das Jahr, in dem Ihre Regierungszeit endete. Kohl war weg, und Deutschland war ein Sanierungsfall. CDU, CSU und FDP hatten den Bildungsetat als Steinbruch benutzt und Jahr für Jahr weiter zurückgefahren. Fast wie in dem Lied Hell aus dem dunklen Vergangenen aus der Arbeiterbewegung kam dann Gerhard Schröder, und Edelgard Bulmahn wurde Ministerin. Lafontaine war damals übrigens noch in der SPD und bei Sinnen. Mit ihm konnten wir damals einen ganz guten Etat aufstellen. Das hat aber nicht lange angehalten. ({1}) - Das alles können wir miteinander diskutieren. Reden wir einmal über Zahlen. Von 1998 bis 2005 wurde der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, über den wir heute debattieren, um 38 Prozent erhöht. ({2}) Von 2005 bis 2009 haben wir eine Steigerung um 30 Prozent erreicht, obwohl wir zum Teil wichtige Dinge aus diesem Bereich ausgelagert haben. Ich nenne als Beispiel nur die Raumfahrt, die viel Geld kostet. Gemeinsam mit den anderen Ressorts haben wir die FuEAusgaben seit 1998 um 35 Prozent erhöht. Das sind Zahlen, auf die wir stolz sind ({3}) und die das Gegenteil der Kürzungspolitik waren, die wir hatten. Das gehört einfach zu den Fakten. Unser neuer lieber Koalitionspartner hat dazugelernt. Das ist in diesem Punkt auch okay. Aus diesem Grund war auch die schwarz-rote Regierung an dieser Stelle erfolgreich. Es ist doch kein Gemäkel an der Ministerin, Frau Kollegin Aigner, wenn ich sage, dass der Hochschulpakt auch der SPD zu verdanken ist. Bei der Föderalismusreform können wir über vieles diskutieren. Aber erst mit der massiven Drohung der SPD-Bundestagsfraktion, die gesamte Föderalismusreform zum Scheitern zu bringen, wenn mit der Aufnahme des Kooperationsverbots ins Grundgesetz im Hochschulbereich derselbe Unfug gemacht würde wie bei den Schulen, haben wir dies verhindert. Das war die Basis, aufgrund derer Frau Ministerin Schavan mit den Ländern überhaupt über einen Hochschulpakt verhandeln konnte. Wir sind stolz darauf, dass wir das miteinander erreicht haben. ({4}) - Ich habe bewusst gesagt: miteinander. Auch das 6-Milliarden-Euro-Programm und das 3-Prozent-Ziel sind angesprochen worden. Ich stimme dem Kollegen Hagemann aber ausdrücklich darin zu - auch dies ist nichts, was es beim Bund zu kritisieren gibt -, dass wir als einzige der drei Parteien, die am Hochschulpakt beteiligt sind, unsere Hausaufgaben bereits gemacht haben, und zwar mit einem Plus von 9 Prozent. Die Wirtschaft hat das noch nicht geschafft. Gestern hat ein Parlamentarischer Abend auf Einladung von BDA, BDI, DIHK und wie die Arbeitgeberverbände alle heißen, stattgefunden. Bei ein paar Häppchen gab es Gelegenheit, mit einigen Herren darüber zu sprechen, worum es geht. Wir erwarten, dass die deutsche Wirtschaft ihren Anteil dazu leistet, dass Deutschland Exportnation Nummer eins bleibt, das heißt, dass sie ihre Zusagen für den Pakt für Forschung und Innovation einhält. Von den Bundesländern verlangen wir dies natürlich auch. ({5}) Einige haben sich über die Erwähnung des Landes Baden-Württemberg aufgeregt. Entschuldigung, aber die Zahlen lügen nicht. Baden-Württemberg hat trotz Hochschulpakt minus 1 900 Studienplätze, Nordrhein-Westfalen minus 3 300 Studienplätze und Hessen minus 1 600 Studienplätze zu verzeichnen. Dort ändert sich das gerade. Weil wir den Unfug der Studiengebühren abgeschafft haben, werden wieder mehr Studierende an die Universitäten kommen. ({6}) Es gibt aber auch andere Zahlen. Im großen und stolzen Land Rheinland-Pfalz gibt es ein Plus von 1 300 StuJörg Tauss dienplätzen. Das ist eine Erfolgszahl, die uns vorliegt. Darüber kann und muss man diskutieren. Wir müssen auch über einige Instrumente diskutieren. Das ist heute bereits angesprochen worden. Wir waren beispielsweise nicht zufrieden damit, wie es mit der Forschungsprämie gelaufen ist. Wir haben sie als Angebot an die Universitäten und vor allem an die Fachhochschulen gedacht; sie ist aber in dieser Form auch vom Mittelstand nicht genutzt worden. Wir haben heute Mittag - Herr Rachel war dabei - im Kreis der Koalition über die Evaluierungsforschung gesprochen und uns mit der Frage beschäftigt, wie die Lücke zwischen der Grundlagenforschung und dem Übergang zu den Produkten in Deutschland geschlossen werden kann. An dieser Stelle gibt es noch Defizite. Wir sind dabei in der Koalition auf einem guten Weg. Dass das bitter notwendig ist, zeigt die Auskunft der Max-Planck-Gesellschaft, dass 80 Prozent ihrer Patente - 80 Prozent, das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen - ins Ausland verkauft werden. Die deutsche Industrie interessiert sich nicht dafür. Auch das ist eine Blamage für die Exportnation Nummer eins. ({7}) Die Belehrungen von Herrn Dr. Hundt und anderen weise ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit zurück. Wir haben im vorliegenden Etat noch an den unterschiedlichsten Stellen Schwerpunkte zu setzen. Wir haben mit einigen Kolleginnen und Kollegen die Arktis besucht. Wir haben zwar keine Eisbären gesehen, aber den Klimawandel vor Ort ein Stück weit zur Kenntnis nehmen können. In der Polarforschung wollen wir mehr machen. Wir wollen uns auch damit befassen - ich halte das für richtig, Herr Kollege Hagemann -, wie wir bei der Nachfolge von Polarschiffen wie dem „Polarstern“ verfahren, die wir dringend brauchen, um in diesem Bereich auch weiterhin erfolgreich an der Spitze zu stehen. ({8}) Gestatten Sie mir in der verbleibenden Zeit noch einen Satz zum Bildungsgipfel. Frau Merkel ist nicht da. Ich erinnere mich noch gut daran - es war ein netter Disput um Milliarden -, wie Frau Merkel in diesem Hause einst ausrief: Wenn der Tauss etwas für Bildung und Schulen machen will, soll er in den Landtag gehen. Dieses harte Schicksal ist uns beiden erspart geblieben. Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn Frau Merkel ihre Bildungsreise vor der Föderalismusreform I gemacht hätte. Aber das alles hilft nun nichts mehr. ({9}) Frau Sager, über eines müssen wir uns im Klaren sein: Hier ging es nicht um SPD gegen Grüne oder SPD gegen die Union. Vielmehr gab es eine knallharte Initiative der Bundesländer gegen den Bund, angeführt von Herrn Koch. Wir haben Federn gelassen, und zwar zulasten des deutschen Bildungssystems; das ist bitter. ({10}) Aber Herr Kretschmann, der Fraktionsvorsitzender der Grünen im baden-württembergischen Landtag ist und gerade mit Herrn Teufel auf Kreuzfahrt war - so weit sind wir in unserer Koalition noch nicht gegangen -, ist an Extremföderalismus noch nicht einmal von Herrn Meinhardt von der FDP zu übertreffen; das will was heißen. Wir wollen, dass auf dem kommenden Bildungsgipfel klare Erwartungen realisiert werden. Wir wollen eine klare Aussage, wie sich die Bildungsausgaben entwickeln. Wir wollen keine Larifariaussagen à la BadenWürttemberg, wo man sich nicht an Vereinbarungen hält, sondern eine konkrete Zusage, dass mehr für Bildung getan wird. Wir wollen, dass die demografische Dividende eingefahren wird. Wir wollen bis 2013 die Kitavorhaben absichern, und zwar unter Beteiligung der Länder und der Kommunen. Es geht nicht länger an, liebe Parlamentarische Staatssekretärin Kressl, dass wir, der Bund, das Geld geben und dieses dann an den klebrigen Fingern der Landesfinanzminister hängen bleibt und nicht bei den Kommunen zur Realisierung dessen, wofür es gedacht ist, ankommt. Dieses Spiel darf es nicht geben. Dazu brauchen wir klare Aussagen auf dem Bildungsgipfel. ({11}) Das betrifft auch den Hochschulpakt und die Exzellenzinitiative. Wir brauchen viel Geld, keine Frage. Aber es ist gut investiertes Geld; denn es dient der Zukunftssicherung. Wenn alle Beteiligten, Länder wie Wirtschaft, ihren Anteil so leisten, wie es der Bund getan hat, werden wir in Deutschland bildungs- und forschungspolitisch vorankommen und Überschriften wie „Die besten Köpfe verlassen das Land“, wie sie vor 1998 üblich waren, hinter uns lassen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. Das Wort hat Bundesminister Wolfgang Tiefensee. ({0})

Wolfgang Tiefensee (Minister:in)

Politiker ID: 11004176

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Haushalt ist in Zahlen gegossene Politik. Das, was in vielen Einzelpositionen steht, muss die Gesamtstrategie eines Hauses, der Bundesregierung und des Bundestages abbilden. Wir debattieren nun über den Einzelplan 12. Ich möchte die großen Linien deutlich machen, die uns geleitet haben, die einzelnen Positionen so aufzustellen, wie Sie sie im Einzelplan 12 finden. Die große Linie ist: Wir wollen den Haushalt konsolidieren und dennoch unseren Beitrag dazu leisten, dass es ein Wirtschaftswachstum gibt, dass Innovation stattfindet, dass die soziale Frage in unserem Land beantwortet wird und dass gleichzeitig etwas für das Klima getan wird. Das ist eine Herkulesaufgabe im Hinblick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen. Der Einzelplan 12 belegt, dass man diese Strategie umsetzen kann. ({0}) In den letzten Tagen haben wir wieder einige Umgehungsstraßen und Autobahnen einweihen können. Wie Sie wissen, haben wir im Baugewerbe mit jeder eingesetzten Milliarde Euro 25 000 Arbeitsplätze erhalten bzw. schaffen können. Wir haben auch in den neuen Bundesländern Akzente gesetzt. Das Wirtschaftswachstum ist stabil. Die Wachstumsraten liegen oberhalb von 2,2 Prozent. Die Arbeitslosigkeit ist seit 2005 von rund 18 Prozent auf circa 12 Prozent deutlich gesunken. 500 000 Menschen mehr sind mittlerweile wieder in Arbeit. Das ist das Ergebnis einer klugen Politik der letzten Jahre, die wir auch im Jahr 2009 und in den darauffolgenden Jahren fortsetzen wollen. ({1}) Das erste Ziel ist, etwas für Mobilität, für bezahlbares Fahren zu tun. Der Einzelplan 12 ist mit Investitionen in Höhe von 14 Milliarden Euro der größte Investitionshaushalt. Das interessiert die Bürgerinnen und Bürger aber nicht so sehr. Sie wollen wissen: Wird der Verkehr komfortabler, wird er leiser? Stimmen die Taktfrequenzen bei der Bahn und im ÖPNV? Kann man in seiner Stadt in Ruhe Fahrrad fahren? Kann man sich das Autofahren überhaupt noch leisten? Mit dem Masterplan Güterverkehr und Logistik - wir haben ihn breit diskutiert und den Ausschüssen zugeleitet - legen wir als Bundesregierung eine Strategie vor, mit der wir auf diese Fragen eine Antwort geben. Im Verkehrshaushalt für das Jahr 2009 sehen wir rund 1 Milliarde Euro mehr vor, durchstoßen also endlich die magische Grenze von 10 Milliarden Euro. Dieses Geld wenden wir zum Beispiel auf, um Umgehungsstraßen zu bauen, um den Lärm an der Schiene - das ist etwas, das die Menschen nervt zu beseitigen, und um mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene zu bringen. Das ist der Grund, warum wir gerade hier einen Akzent setzen. Ich muss diese 1 Milliarde Euro unter den Vorbehalt stellen, dass es uns gelingt, die Länder zu überzeugen, mit uns gemeinsam die Maut für die schweren Lkw anzuheben und damit gleichzeitig eine größere Spreizung der Mauthöhe zugunsten der Umwelt vorzunehmen. Ich appelliere an meine Kollegen von der CSU, sehr verehrter Herr Dr. Friedrich: Im Kabinett haben wir das gemeinsam beschlossen. Aus Bayern erbitte ich ebenfalls einen nachhaltigen Rückenwind dafür. Wenn wir diese 1 Milliarde Euro nicht bekommen, wenn die Länder im Bundesrat nicht zustimmen, dann wird das im Jahre 2009 und darüber hinaus spürbar sein. Bis 2012 werden über 3 Milliarden Euro fehlen, die wir dringend brauchen, um voranzukommen, um beispielsweise kleine Bahnhöfe zu sanieren und Bauprojekte zeitiger fertig zu stellen als ursprünglich geplant. Deshalb erbitte ich Unterstützung für diese Erhöhung der Maut und damit für den Haushalt. ({2}) Im Bausektor setzen wir die gleichen Akzente. Wir wollen das ehrgeizige CO2-Gebäudesanierungsprogramm fortsetzen und mit 1 Milliarde Euro pro Jahr fortschreiben, damit jeder einzelne Bürger, der Mieter und die Mieterin, im Portemonnaie spürt, dass die Nebenkosten sinken, damit das Baugewerbe merkt, dass neue Arbeitsplätze entstehen, und damit der CO2-Ausstoß nachhaltig gesenkt wird. Aus diesem Grund haben wir das Programm bereits in 2008 um 500 Millionen Euro aufgestockt. Wir wissen, dass mit der 1 Milliarde Euro pro Jahr rund 11 Milliarden Euro an Investitionen in Gang gesetzt werden. Mittlerweile sind bereits 730 000 Wohnungen energetisch saniert und energiesparend gebaut worden. Ich möchte dieses Programm gemeinsam mit den Städten und Gemeinden in einem Investitionspakt gerne fortführen. Ich appelliere an die Länder und Städte, diesen Investitionspakt weiter fortzuschreiben, um etwas für die Umwelt und das Portemonnaie der Bürgerinnen und Bürger zu tun. ({3}) Darüber hinaus haben wir den ehrgeizigen Vorschlag gemacht, die Großsiedlungen umzurüsten. Auch das wird sich im Portemonnaie der Mieterinnen und Mieter widerspiegeln. Zum Beispiel im Märkischen Viertel hier in Berlin werden die Kosten für das Heizen der Wohnung deutlich sinken. Das ist eine gute Nachricht. Darüber hinaus darf ich an die Wohngelderhöhung erinnern. Die Wohngelderhöhung macht es möglich, dass insbesondere Rentner und Familien, die wenig Geld in der Tasche haben, mehr Förderung erhalten. Statt bisher durchschnittlich 90 Euro pro Monat, wollen wir mit der Wohngelderhöhung, die wir gemeinsam mit den Ländern vereinbart haben, jedem Wohngeldempfänger 140 Euro geben. Das ist soziale Politik, und das ermöglicht bezahlbares Wohnen. Das ist unser Ziel. ({4}) Darüber hinaus gilt es, Akzente zu setzen, wenn es um Innovationen und neue Technologien geht. Deutschland muss die Technologieführerschaft auf dem Felde der Mobilität, aber auch auf dem Felde der Gebäudesanierung, der energetischen Sanierung von Gebäuden zurückgewinnen. Wir brauchen diesen Exportartikel, wollen wir die deutsche Wirtschaft voranbringen. Auch hier setzen wir deutlich Akzente. Wir wollen in der Bauforschung mehr Geld aufwenden, um mit einem Siegel für nachhaltiges Bauen, das wir im Juni dieses Jahres vorgestellt haben, Deutschland, Europa und der Welt vorzuführen, nach welchen Kriterien in Deutschland ökologisch gebaut und umgerüstet wird. Wir wollen der Welt vorführen, wie wir mit neuen Technologien bei Antriebssystemen und Kraftstoffen Akzente setzen, damit Bürgerinnen und Bürger umweltfreundlicher fahren können und Autofahren bezahlbar bleibt. Wir unterstützen die Industrie, indem wir die Forschungsprogramme für die Wasserstoff- und BrennstoffBundesminister Wolfgang Tiefensee zellentechnologie sowie die Elektromobilität weiter auf hohem Niveau fortführen. Das ist einzigartig. Diese langfristige Strategie wird sich auszahlen. ({5}) Ich habe eingangs gefragt: Wie kommt das beim Bürger an? Wie kann der Bürger konkret unsere Politik nachvollziehen? Lassen Sie mich zum Abschluss zwei Programme herausgreifen, die mir ganz besonders am Herzen liegen: Das ist das Programm Soziale Stadt bzw. das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz. In diesen Programmen läuft alles zusammen, was die Strategie der Bundesregierung ausmacht. Wir wollen gemeinsam mit den Ländern, den Städten und Gemeinden, die natürlich lokal die Verantwortung haben, diese Programme einsetzen, damit das städtebauliche Erbe erhalten bleibt. Auf der einen Seite wird die Identifikation mit unseren Städten gestärkt und auf der anderen Seite ein Beitrag geleistet, damit Stadtteile nicht auseinanderdriften und sich die Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher sozialer Stellung in den Städten, Gemeinden und im ländlichen Raum wohlfühlen. Die Mittel für diese Programme werden erneut aufgestockt. Wir erweitern das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz auf die alten Bundesländer. Wir stocken auch das Programm Stadtumbau West auf, um die Konversion von Industrie- und Militärbrachen in Gang zu setzen und fortzuführen. Das ist kluge Sozialpolitik, sowohl auf dem Felde der Mobilität als auch auf dem Felde des Bauens und des Wohnens. Das kommt allen zugute: Nord, Süd, West und - das darf der Beauftragte für die neuen Länder sagen - auch und ganz besonders dem Osten. Ich empfehle die Annahme dieses Haushaltes. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat ein Porträt von Ihnen mit dem Titel überschrieben: „Der Ankündigungsminister“. Sie hatten ein Aufbauprogramm für arme Regionen in Westdeutschland angekündigt und es wieder zurückgenommen. ({0}) Sie haben mindestens 8 Milliarden Euro an Einnahmen aus der Bahnprivatisierung angekündigt. Realistisch ist, wenn überhaupt, die Hälfte. Ihrem Ruf als Ankündigungsminister sind Sie eben in Ihrer Rede wieder gerecht geworden, als Sie nämlich große Investitionen angekündigt haben. Sie haben von 1 Milliarde Euro gesprochen, die Sie zusätzlich ausgeben wollen. Sie haben dabei aber verschwiegen, woher dieses Geld kommt. Der Ehrlichkeit halber sollte man das sagen. Sie wollen nämlich die Maut erhöhen. Statt auf der Ausgabenseite zu sparen, wollen Sie sich das Geld von den Spediteuren holen, die durch hohe Benzinpreise ohnehin schon gebeutelt sind. ({1}) Die erwarteten Einnahmen haben Sie im Haushalt schon eingeplant. Aber Sie haben nicht damit gerechnet, dass Ihnen die Länderminister vielleicht einen Strich durch die Rechnung machen und Ihre Pläne dadurch massiv infrage gestellt werden. Aus gutem Grund: Die Folgen einer Mauterhöhung wären fatal. Rund 30 000 Arbeitsplätze wären in der Logistikbranche gefährdet. Haben Sie sich das eigentlich einmal überlegt? Wir von der FDP jedenfalls wollen ganz sicher keine Mauterhöhung. Bevor Sie hier Ihr nächstes Projekt ankündigen, sollten Sie einmal über den Tellerrand schauen und die Auswirkungen Ihrer Vorhaben bedenken. Dabei reichen die von Ihnen angekündigten zusätzlichen Gelder bei weitem nicht aus, um die grundsätzlichen Probleme zu lösen. Die Verkehrswege sind seit Jahren unterfinanziert. Dies gilt insbesondere für die Straße. Das schafft Dauerstaus mit Milliardenverlusten für unsere Volkswirtschaft. ({2}) Unsere Autobahnen sind überlastet, weil der Ausbau nicht mit dem wachsenden Verkehr Schritt hält. Bis zum Jahre 2025 werden der Pkw-Verkehr um 16 Prozent und der Lkw-Verkehr um 80 Prozent steigen. ({3}) Genau entgegengesetzt entwickeln sich die Investitionen. Im kommenden Jahr wollen Sie 5,2 Milliarden Euro in den Ausbau der Straßen stecken, im Jahr 2012 seltsamerweise nur noch 4,8 Milliarden Euro. Also, wer will denn hier kürzen? Dabei sind jährlich mindestens 7 Milliarden Euro notwendig. Dazu kommt, dass die Baukosten natürlich drastisch gestiegen sind. Tatsächlich kann für das gleiche Geld nur noch 75 Prozent dessen gebaut werden, was vor zehn Jahren damit gebaut wurde. Der eigentliche Skandal aber ist, dass gleichzeitig die Einnahmen des Bundes aus Steuern und Abgaben auf den Straßenverkehr drastisch angestiegen sind. Auch das sollten Sie ehrlicherweise sagen. 1998 betrug die Steuerbelastung des Kraftfahrzeugverkehrs 37 Milliarden Euro, heute sind es 50 Milliarden Euro, also 40 Prozent mehr. Sie belasten die Autofahrer immer mehr, geben aber immer weniger in den Straßenbau zurück. ({4}) Die größte Sünde bei alledem ist aber die Verwendung der Lkw-Maut. Die Mauteinnahmen waren ursprünglich als zusätzliche Mittel für die Verkehrsinfrastruktur geplant. Daran haben Sie sich überhaupt nicht gehalten. Die Mauteinnahmen verschwinden zum großen Teil einfach im Haushalt. ({5}) - Natürlich. - Sie dienen schlicht als Ersatz für steuerfinanzierte Investitionsmittel. Das ist Mautbetrug. Das werfe ich Ihnen heute nicht zum ersten Mal vor und ganz sicher nicht zum letzten Mal. Insgesamt wollen Sie - die Einnahmen aus der Mauterhöhung vorausgesetzt - im Jahr 2009 10,2 Milliarden Euro in Schienen, Straßen und Wasserstraßen investieren. Das ist in der Tat 1 Milliarde Euro mehr als im letzten Jahr. Doch schon im Jahr 2010 sollen die Verkehrsinvestitionen sinken und im Jahr 2012 nur noch 9,8 Milliarden Euro betragen. Wer redet denn hier von einer Erhöhung? Herr Tiefensee hat das anscheinend nicht vor. ({6}) Das ist dauerhaft jedenfalls zu wenig Geld für eine leistungsfähige Infrastruktur in Deutschland. ({7}) Am Verkehrshaushalt zeigt sich das generelle Problem dieser Regierung in der Haushaltspolitik. Die Ausgaben steigen, die Investitionen sinken. Die Investitionsquote wird von jetzt 9 Prozent auf 8,4 Prozent im Jahr 2012 sinken. Zum Vergleich: Mitte der 90er-Jahre lag sie bei 14 Prozent. Das ist wahrlich kein gutes Zeichen für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Hans-Peter Friedrich, CDU/CSUFraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003124, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die Bereitstellung von Verkehrsinfrastruktur gehört zum Kernhandeln des Staates, und sie ist Grundlage der Export- und Industrienation Deutschland. Deswegen, lieber Herr Minister Tiefensee, bin ich sehr froh und dankbar, dass es uns gelungen ist, diesen Etat um 1 Milliarde Euro aufzustocken, um unserer Aufgabe gerecht zu werden. Ich sage aber auch für meine Fraktion: Das kann nur ein erster Schritt sein. Weitere Schritte müssen unmittelbar folgen. ({0}) Denn die Prognosen gehen von einem gigantischen Verkehrswachstum in Deutschland in den nächsten Jahren aus. Wir haben bereits heute erhebliche Schäden durch Staus auf unseren Autobahnen, ökologische wie ökonomische Schäden. Mit jedem Stau wird die Umwelt belastet, ohne dass der Wohlstand im Land gemehrt wird. Deswegen ist es eine wichtige Aufgabe, dass wir den Stau bekämpfen. ({1}) Wir haben glücklicherweise im Masterplan, den Sie, Herr Minister, vorgelegt haben, nicht die Zielsetzung, Mobilität und Verkehr zu verdrängen, zu verteuern oder zu verlagern, sondern wir haben die Zielrichtung, Mobilität und Güterkraftverkehr zu preisgünstigen Bedingungen und umweltverträglich zu ermöglichen. Das ist die große Herausforderung für die deutsche Verkehrspolitik. Die Nutzerfinanzierung ist vor drei Jahren eingeführt worden - mit der richtigen Idee, zusätzlich zur Steuerfinanzierung aus dem Bundeshaushalt über eine Maut denjenigen an den Straßenkosten stärker zu beteiligen, der die Straßen auch stärker nutzt. Derjenige, der viel fährt, soll auch viel zum Straßenbau beitragen. Ich denke, das ist ein richtiger Ansatz. Aber wir müssen jetzt auch dafür sorgen, dass diese Mauteinnahmen des Güterkraftverkehrs auch in den Straßenbau fließen. Wir müssen außerdem dafür sorgen, dass die Jahr für Jahr entstehenden Mehreinnahmen nicht dazu führen, dass gleichzeitig der steuerfinanzierte Anteil Stück für Stück zurückgefahren wird. Das ist eine Aufgabe, bei der wir als Verkehrspolitiker zusammen mit unseren Kollegen aus dem Haushaltsausschuss in den nächsten Jahren kämpfen müssen, damit sich dies in der Zukunft ändert. Herr Minister, Sie haben die Mauterhöhung angesprochen. Sie hat mehrere Komponenten. Erste Komponente. Die rot-grüne Vorgängerregierung hat dem Fuhrgewerbe eine 600-Millionen-Euro-Harmonisierung versprochen, die sie aber nie vorgenommen hat. Wir haben jetzt durchgesetzt, dass diese 600-Millionen-Euro-Harmonisierung kommt, gegenfinanziert über eine Mauterhöhung. Das geschieht im Konsens mit allen Beteiligten, auch mit dem Fuhrgewerbe. Zweitens. Auch die Idee der Bundesregierung, eine sogenannte Mautspreizung einzuführen, also demjenigen, der mit sauberen Lkws fährt, weniger Maut abzuverlangen als demjenigen, der mit einem alten Stinker über die Autobahn fährt, ist im Grunde ein richtiger Ansatz. Es ist auch ein richtiger Ansatz, zu sagen: Wenn die Kosten für den Wegebau, den Straßenbau steigen, dann müssen diese Kosten auch zu einer entsprechenden Erhöhung der Maut führen. Nur, Herr Minister, die Frage ist natürlich, in welchen Schritten und zu welchem Zeitpunkt wir eine solche Erhöhung vornehmen. Ist es denn richtig, diese Erhöhung in dieser Form und in diesem Umfang in einer Phase vorzunehmen, in der die Dieselpreise explodiert sind, in der mittelständische Fuhrunternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen? ({2}) Dr. Hans-Peter Friedrich ({3}) Ist es denn vernünftig, den Fuhrunternehmen Investitionsmittel zu entziehen, wodurch ihnen die Möglichkeit genommen wird, sauberere Lkws zu kaufen? ({4}) Nachdem Sie, Herr Minister, so freundlich an mich appelliert haben, appelliere ich deswegen an Sie: Drohen Sie den Bundesländern bitte nicht, dass sie keine Straßen bekommen, wenn sie Ihrer Mauterhöhung nicht zustimmen, sondern setzen Sie sich mit den hervorragenden Verkehrsministern der Länder zusammen, mit Emilia Müller, mit Alois Rhiel, mit Oliver Wittke - das sind hervorragende Gesprächspartner -, und suchen Sie eine mittelstandsverträgliche Lösung! Übernehmen Sie Verantwortung für 3 000 mittelständische Fuhrunternehmen und die Arbeitsplätze in diesen Betrieben. ({5}) Die Nutzerfinanzierung muss aber nicht nur auf der Straße stattfinden, sondern auch im Schienenbereich. Die Trassenerlöse der DB müssen künftig eins zu eins in die Schiene fließen. Noch mehr - das allein reicht nicht aus -: Die Bahn steht vor einer Teilprivatisierung. 25 Prozent der Betriebsgesellschaften werden an die Börse gebracht. Jahr für Jahr werden die Kapitalgeber Dividende verlangen. Sie werden diese Dividende bekommen; aber die dreifache Dividende bekommt das Bundesunternehmen DB AG. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass die dreifache Dividende, die die DB AG erhält, eins zu eins in den Schienenverkehr und in den Ausbau der Schienenstrecken in Deutschland fließt. Wir haben genügend Aufgaben - Sie haben vorhin schon einige angesprochen -: Lärmschutz, aber auch den Ausbau der Güterverkehrsstrecken. Herr Minister, ich lese, dass Sie mit der Bahn eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung treffen, also einen Vertrag abschließen wollen, durch den geregelt wird, dass der Bahn jährlich 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Im Gegenzug soll die Bahn die Schienenstrecken in Ordnung halten. Das ist ein guter Ansatz. Aber ich habe auch gelesen, dass der Bahn gestattet werden soll, pro Jahr bis zu 2 Prozent der Strecken in Deutschland stillzulegen, ohne dass sich diese Summe von 2,5 Milliarden Euro reduziert. ({6}) Ich sage Ihnen: Das ist nicht akzeptabel. Wir können einer weiteren Reduzierung des Schienennetzes in Deutschland nicht zustimmen. Das Schienennetz in Deutschland muss sogar noch erweitert werden; sonst sind alle unsere Versprechungen zur Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene Makulatur. ({7}) Lassen Sie mich etwas zum Baubereich sagen. Diese Große Koalition hat im Baubereich wichtige Impulse gegeben. Ich erinnere an die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen. Ich erinnere an das neue Eigenheimrentengesetz, mit dem die Anschaffung von Immobilien in die Förderung von Altersvorsorge einbezogen wird. Ich erinnere an das große CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das nicht nur einen Impuls für das Bauhandwerk gegeben hat, sondern auch dem Klimaschutz in besonderer Weise gedient hat. Aber auch das reicht noch nicht aus. Wir werden weitere Schritte prüfen müssen. Die Bayerische Staatsregierung hat bereits im Juni im Bundesrat einige Vorschläge eingebracht, denen sich meine Fraktion anschließt. Beispielsweise wird vorgeschlagen, zu prüfen, ob nicht für den Mietwohnungsbau befristet die Abschreibungssätze verdoppelt werden können. Eduard Oswald, der Finanzausschussvorsitzende, hat in diesen Tagen einen konkreten Vorschlag gemacht: für acht Jahre statt 2 Prozent 4 Prozent Abschreibung. Das wäre ein Wort! Wir müssen die energetische Bausanierung steuerlich fördern. Ich halte es für notwendig, dass derjenige, der ein Bestandsgebäude in einen Neubauzustand versetzt, steuerlich gefördert wird. Das alles sind zusätzliche Impulse für den Baubereich, die wir geben müssen. Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt insgesamt auf einem guten und richtigen Weg sind. Ich wünsche den Haushältern in den nächsten Wochen gute Beratungen und vor allem die Erkenntnis, dass Verkehrsinfrastruktur in der Zukunft das entscheidende Kriterium für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Land ist und dass wir in dieser Frage eine hohe Verantwortung haben. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Roland Claus für die Fraktion Die Linke. ({0})

Roland Claus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003065, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle zunächst für mich fest: Prima Klima in der Großen Koalition ({0}) sieht anders aus als das, was wir gerade erlebt haben. Herr Verkehrsminister, Sie sind auch der Verkehrssicherheitsminister; deshalb eine aktuelle Vorbemerkung, gewissermaßen wegen Gefahr im Verzug. Ich muss Sie auffordern: Stoppen Sie Herrn Beckstein, der mit seinem Aufruf „Zwei Maß Bier am Steuer“ zur Verkehrsunsicherheit beiträgt. ({1}) Das können Sie ihm nicht durchgehen lassen. Dazu braucht es die in Ihrer Partei beliebte klare Kante. ({2}) Wir reden hier über den Infrastrukturhaushalt des Bundes, den größten Investitionsetat, wobei die Größe eines Etats noch nichts über das Führungsniveau eines Ministeriums sagt. Selbstverständlich hat die Linke ein positives Verhältnis zu zukunftsfähigen Investitionen. Ich kann das auch hinreichend belegen. Die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister und viele weitere haben das Gebäudesanierungsprogramm hervorgehoben. Es ist just die Fraktion Die Linke gewesen, die schon in den Jahren 2006 und 2007 Anträge des Inhalts gestellt hat, die Mittel dafür, weil es ein sinnvolles Programm ist, zu verstärken. Wir haben Sie gewissermaßen zum Jagen getragen. ({3}) Das geht auch in Ordnung so. ({4}) Das werden wir, wo nötig, auch weiter tun. ({5}) Ich will natürlich ein Wort zur Bahn sagen, die fast ein Drittel der Investitionen bekommen wird, zu den Investitionen also, die dann an die DB AG oder deren teilprivatisierte Töchter gehen. Wir verhandeln gerade, und zwar nicht stressfrei - das haben wir gemerkt -, die sogenannte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Damit haben wir es in dieser Woche und in den nächsten Wochen womöglich zum letzten Mal in der Hand, eine Fehlentwicklung, wie wir finden, zu korrigieren und die Entscheidung zu treffen, ob wir wirklich eine Börsenbahn oder eine Bürgerbahn wollen. Die Turbulenzen am internationalen Finanzmarkt, die Warnungen, die wir alle in dieser Woche aufgenommen haben, müssten wirklich reichen, dass wir die Signale hören. Wir müssten doch in der Lage sein, daraus Lehren zu ziehen und die Entscheidung bei der Bahn zu korrigieren. ({6}) Herr Minister Tiefensee, Sie sind wie die halbe Ministerriege Mitglied des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Reicht es denn noch immer nicht? ({7}) Was werden wir hier noch alles als Folge der Krise an den internationalen Finanzmärkten erleben? Kann man nicht einmal aus Fehlern lernen? Ich erinnere mich gut daran, welche Häme ich erntete, als ich im vergangenen Jahr die Probleme von Börsengang und Teilprivatisierung vor dem Hintergrund der damals schon bekannten Turbulenzen bei der IKB angesprochen habe. Sie tun so, als seien die internationalen Finanzmärkte, auf denen sich ja die DB-Teilprivatisierung vollziehen soll, ein Streichelzoo. Dem ist nicht so. Jetzt haben wir die letzte Chance, diesen Fehler zu korrigieren. ({8}) Dann haben wir uns ja alle, und zwar fraktionsübergreifend, über die geplante Einführung eines „Bedienzuschlages“ aufgeregt. Dieser Begriff hätte ja gute Chancen gehabt, zum Unwort des Jahres zu werden. Dann ist dieses Vorhaben sozusagen wieder aus der Welt geschafft worden. Was ich ziemlich zynisch und empörend finde, ist die Tatsache, die sich hinter dem Nebel vollziehen wird, nämlich eine Preiserhöhung um durchschnittlich 4 Prozent bei der Bahn ab 14. Dezember. Diese wird trotz allem stattfinden. Das nennen wir schlichtweg einen Skandal. ({9}) Wir müssen da auch nach Ihrer Rolle fragen, Herr Minister. Sie haben den Bahnchef kritisiert. Mutig, mutig! Erwartet wird von Ihnen aber, dass Sie die Besitzer und Kunden der Bahn vor solchem Unfug schützen, und nicht, dass Sie nur drohend den Zeigefinger erheben; denn nach Ihren eigenen Worten - ich hoffe, dass das kein Versprecher war - ist die Bahn noch immer Volkseigentum. Wir müssen Sie auch daran erinnern, dass seit drei Jahren ein Schiedsverfahren bezüglich der entgangenen Mauteinnahmen läuft. Sie halten uns weiter hin mit dem Versprechen, dass man das in Ruhe durchführen müsse; es ist nämlich erneut nichts in diesen Etat eingestellt. Ich will ein letztes Wort zu Ihrer Rolle als Ostbeauftragter sagen. Außer der Formel „Alles wird gut“ haben Sie dazu hier ja nichts gesagt. ({10}) Auch ich weiß natürlich, dass es inzwischen im Osten Wachstumsregionen gibt. Ich weiß, dass es auch strukturschwache Gebiete im Westen gibt. Wir haben das alles in unseren Anträgen berücksichtigt. Aber solange es noch so ist, dass unter den 50 leistungsschwächsten Landkreisen der Bundesrepublik 49 ostdeutsche sind, haben wir ein Ost-West-Problem. Solange es noch so ist, dass der Umsatz der 100 größten ostdeutschen Unternehmen zusammen nicht einmal die Hälfte des Umsatzes von Daimler erreichen, haben wir ein Ost-West-Problem. Wir empfinden es auch als empörend, dass die Transformationserfahrungen der Ostdeutschen, die in den letzten 18 Jahren gesammelt wurden, nicht wirklich abgerufen und eingesetzt werden. Sie haben heute erneut eine Chance vertan, Herr Minister, das zur Sprache zu bringen. Wir werden Ihren Etat beraten - Verkehre zu Wasser, zu Lande und in der Luft und vieles mehr. Wir werden ihn sicherlich um einige Millionen Euro korrigieren. Wir wissen ja noch nicht, welche Milliardenbeträge staatseiRoland Claus gene Banken vielleicht demnächst wieder verzocken. Deshalb sage ich: So kann es nicht weitergehen, und es ist gut, dass es für Veränderungen und Alternativen eine Adresse gibt, nämlich die Linke. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Winfried Hermann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003147, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister hat soeben gesagt, dass der Haushalt in Zahlen gegossene politische Strategie sei. Das sollte er ja auch sein. Deswegen will ich mich heute wirklich auf das Zahlenmaterial und vor allen Dingen auf die Frage der Infrastruktur konzentrieren, die, wie wir alle wissen, sehr bedeutend für diesen Haushalt ist. Sie umfasst zwar nicht das gesamte Gebiet des Verkehrs, stellt aber ein zentrales Problem dar. Sie haben sich damit gebrüstet - das kann man übrigens auch in Ihren Ergänzungen zum Haushalt nachlesen -, dass für diesen Haushalt besonders viele Investitionsmittel locker gemacht wurden. Sie haben auch zu Recht darauf verwiesen, dass die Ansätze angehoben wurden. In einem Punkt will ich Sie ausdrücklich unterstützen und auch loben: Es ist richtig, die Erhöhung der Investitionen an die Zustimmung des Bundesrates zur Mauterhöhung zu knüpfen. Es darf nämlich nicht zugelassen werden, dass eine große Koalition der Scheinheiligen, angeführt von der CSU und gefolgt von der FDP, ({0}) einerseits behauptet, dass es eine Sauerei sei, dass die Maut erhöht werde, andererseits aber ständig darüber klagt, dass zu wenig Mittel für Schiene, Straße usw. zur Verfügung gestellt werden. Das passt nicht zusammen. Das dürfen wir nicht durchgehen lassen. ({1}) Die CSU muss sich einmal entscheiden, ob sie wirklich etwas für die Infrastruktur tun will oder ob sie populistisch einmal für das eine und ein anderes Mal für das andere eintreten will. ({2}) Sie sagen, Sie haben das deutlich erhöht. Wenn man sich die Zahlen anguckt, dann ist das - genau betrachtet nicht so viel. Die Investitionen sind auch nicht so hoch. Ich halte es für bedenklich, wenn man bei der Betrachtung des Schienenverkehrsbereichs sieht, dass die Investitionsmittel auf 3,9 Milliarden Euro gestiegen sind, wenn aber im gleichen Zeitraum die Mittel für die Rentner der Bahn auf 5,8 Milliarden Euro gestiegen sind. Ich will denen nicht die Rente neiden, aber es zeigt, wie schräg der Etat bei uns inzwischen ist. Wir geben für die Vergangenheit - also für die, die gearbeitet haben - inzwischen mehr aus als für Zukunftsinvestitionen. Das ist ein Problem. Ich glaube, das muss man zur Kenntnis nehmen. ({3}) Sie erklären stolz, es seien dieses Jahr schon 10 Milliarden Euro. Wenn man aber zurückblickt, dann sieht man, dass wir in den Jahren 2001 bis 2003 allein im Schienenbereich deutlich höhere Investitionen als heute gehabt haben. Selbst die CDU/CSU-FDP-Regierung hat in den 90er-Jahren zum Teil höhere Etats gehabt als wir heute für das Jahr 2009. Sie sagen, das sei ein Zukunftsinvestitionsprogramm. Ich kann nur sagen, das ist ziemlich übertrieben, und zwar vor allem dann, wenn man bedenkt, dass sich die Preise in all den Jahren deutlich nach oben entwickelt haben. Hierzu werde ich später noch mehr sagen. Man muss noch in Betracht ziehen, dass zu den relativ geringen Mitteln hinzukommt, dass wir alte Projektentscheidungen haben, die unheimlich viel Geld kosten. Wir haben es gestern im Unterausschuss Infrastruktur gehört. Allein das Projekt Deutsche Einheit NürnbergErfurt in Richtung Berlin ist mit 10 Milliarden Euro angesetzt. Es wird ab 2011 mehr als 60 Prozent aller Investitionsmittel schlucken. Dazu kann ich nur sagen, damit kann man die Zukunft im Netz nicht gewinnen, und das ist das große Problem. ({4}) Wir plädieren sehr dafür, dass die Schiene weiterentwickelt wird. Wir sind natürlich dafür, Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Vorhin wurde gesagt, die Verlagerung stehe nicht an. Natürlich steht im Masterplan Güterverkehr und Logistik eindeutig, dass wir eine Verlagerung des Verkehrs in Richtung Schiene wollen. Wenn ich das aber will, dann muss sich das auch in Zahlen niederschlagen. Ich kann doch nicht einfach auf dem Niveau vergangener Jahre weitermachen. Wir haben festgestellt, dass wir keine wirkliche Verlagerung erreicht haben, obwohl wir in den letzten 10 bis 15 Jahren ordentlich investiert haben. Wenn wir das wirklich wollen, dann muss hier deutlich mehr geschehen. Betrachten wir die Preisentwicklung noch einmal genauer. Das Ministerium hat in der letzten Woche eine Darstellung herausgebracht, die zeigt, wie sich die Baupreise beispielsweise im Tunnelbau und im Hochbau entwickelt haben. Man muss sagen, dass es hier Preissteigerungen zwischen 50 und 100 Prozent gab. Bei genauer Betrachtung sind Ihre 10 Milliarden Euro in den nächsten Jahren also eher die Hälfte wert. Es gibt faktisch nicht mehr Geld für Infrastrukturinvestitionen, sondern weniger. So kann man die Zukunft nicht gewinnen. So kann man nicht verlagern. So wird man den Schienenverkehr nicht ausbauen. ({5}) Aus Zeitgründen verzichte ich darauf, den Straßenbau genauer zu beleuchten. Die Struktur ist aber gleich. Er ist im Bereich der Sanierung und des Erhalts unterfinanziert. Der Ausbau ist uns sicherlich nicht so wichtig, aber das Geld reicht hinten und vorn nicht. Jetzt kommt die Frage: Wie wollt ihr das anders machen? Wie wollt ihr das finanzieren? Wir sagen ganz offen und klar: Wenn wir eine bessere, eine wirklich gut funktionierende Infrastruktur für alle Verkehrsträger haben wollen, dann müssen wir den Leuten sagen, dass dafür mehr Geld ausgegeben werden muss. Wenn wir das sagen, dann müssen wir auch sagen, wie wir das finanzieren wollen. Deshalb sind wir erstens der Meinung, dass die Erhöhung der Maut richtig ist. Aus unserer Sicht hätte sie höher sein können. Zweitens muss es dazu kommen, dass endlich auch die kleinen Lkws bezahlen. Das ist dann keine Erhöhung, sondern eine Ausweitung. Vor allem aber müssen wir drittens auch für die autobahnähnlichen Bundesfernstraßen Maut erheben. Auch das bringt Einnahmen. Viertens müssen wir endlich die kontraproduktiven Subventionen beseitigen. Wir müssen also die Kerosinsteuer einführen und die Mehrwertsteuerbefreiung für den Flugverkehr abschaffen. Das sind nur zwei Baustellen, bei denen wir klar sagen, hier kann man Mittel generieren, mit denen man die Infrastruktur insgesamt nach vorn bringen kann. ({6}) Ich muss zum Schluss kommen. Eine Politik, die sagt, wir wollen Verkehr verlagern und die Infrastruktur zukunftsfähig ausbauen, sieht anders aus. Bei genauer Betrachtung sind Ihre Zahlen ziemlich geschönt. Eigentlich muss man sagen, dass wir in einer tiefen Finanzkrise der Infrastruktur stecken. Darüber sollten wir reden. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Klaas Hübner für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaas Hübner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003559, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Opposition hat circa 15 Minuten lang in diesem Hause geredet, dabei aber nicht immer etwas Sinnvolles gesagt. ({0}) Frau Kollegin Winterstein, Sie haben eben eine solide Finanzierung unserer Haushalte angemahnt; das tut die FDP immer. Meistens fordern Sie in dem Zusammenhang auch Ausgabensenkungen. Gleichzeitig beklagen Sie, dass es zu wenig Ausgaben im Infrastrukturbereich gebe. Wir wollen dort die Ausgaben erhöhen, aber wir wollen sie auch solide finanzieren. Da machen Sie sich einen schlanken Fuß. Es wäre kein Skandal, wenn die Maut erhöht würde; vielmehr wäre es ein Skandal, wenn wir durch eine Nichterhöhung der Maut nicht 3 Milliarden Euro zusätzlich in den Straßenverkehr stecken könnten, Frau Kollegin Winterstein. ({1}) Herr Kollege Claus, Sie haben wieder einmal angemahnt, dass wir aus dem Schiedsgerichtsverfahren zur Maut keine Einstellung in den Etat vorgenommen haben. Zu den letzten beiden Etats haben Sie den gleichen Antrag eingebracht. Sie haben gesehen, dass es jeweils zu keinem Ergebnis gekommen ist. Hätten Sie die Möglichkeit gehabt, dieses Geld in den Etat einzustellen, hätte es Ihnen also im Haushalt gefehlt. Sie hätten noch mehr Schulden machen müssen, weil Sie den Haushalt eben nicht solide finanziert haben. Sie sind die Schuldenmacherpartei. Von der Linkspartei werden immer unseriöse und nichtfinanzierbare Forderungen aufgestellt. ({2}) Trotzdem ist in den letzten 15 Minuten auch etwas Sinnvolles passiert. Wissen Sie, dass dank unserer Politik in 15 Minuten über 34 Tonnen CO2 weniger aus den Schornsteinen der Wohnhäuser in Deutschland in die Atmosphäre geblasen werden? In 15 Minuten sparen die Nutznießer unserer CO2-Gebäudesanierungspolitik 140 000 Kilowattstunden. Wir handeln für das Klima und für die Menschen. Die Nachfrage der Menschen an der Stelle gibt uns recht. ({3}) Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist ein voller Erfolg. Bereits im August dieses Jahres waren so viele Anträge eingegangen, dass die veranschlagten Haushaltsmittel aufgebraucht waren. Wir haben deshalb 500 Millionen Euro nachgeschossen. Herr Minister, dieses Geld ist hervorragend angelegt. ({4}) Mit jeder Sanierungsmaßnahme werden Mieter und Eigentümer von Energiekosten entlastet. Mit jeder Sanierungsmaßnahme wird die Atmosphäre, wird die Umwelt ein Stück mehr geschont. Deshalb wollen wir Sozialdemokraten das CO2-Gebäudesanierungsprogramm im kommenden Jahr um zusätzliche 270 Millionen Euro aufstocken und die Finanzierung in der Laufzeit bis mindestens 2015 garantieren; denn Mieter und Eigentümer brauchen nach unserer Auffassung echte Planungssicherheit an dieser Stelle. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm entlastet aber nicht nur Geldbeutel und Umwelt. Dieses Programm schafft und sichert Arbeitsplätze, vor allem im Bauhandwerk und in der Bauindustrie. Es ist daher ein gutes Beispiel für eine intelligente Verzahnung von Ökonomie und Ökologie, und das ist auch ein Markenzeichen Ihres Hauses, Herr Minister. ({5}) Zwar ist die Aufstockung des CO2-Gebäudesanierungsprogrammes ein wichtiger Beitrag; aber es müssen weitere folgen. Herr Minister, Sie haben einige genannt, zum Beispiel die Sanierung von Großwohnsiedlungen, in denen immerhin 5 Millionen Menschen leben. Das unterstützen wir voll und ganz. Sie haben auch etwas zum Wohngeld gesagt, das wir ja schon novelliert haben. Ich will ergänzen, dass wir uns wünschen, dass die Erhöhung auf den 1. Oktober vorgezogen und somit schon früher wirksam wird. ({6}) Wir wollen das mit dem Koalitionspartner und den Ländern besprechen. Aber ich glaube, das wäre ein sinnvoller und effektiver Beitrag, zumal wir auch die Heizkostenkomponente eingeführt haben, um den steigenden Energie- und Heizkosten wirkungsvoll entgegenzutreten. Deshalb werden wir dafür kämpfen, Herr Minister, hoffentlich mit Ihnen an unserer Seite. ({7}) Intensiv haben wir in diesem Zusammenhang auch weitere Möglichkeiten diskutiert, Energietarife zu beeinflussen. Wir sind - das will ich hier ehrlich sagen - zu dem Ergebnis gekommen, dass dies nur unter Inkaufnahme erheblicher Ungerechtigkeiten im Einzelfall möglich wäre. Am meisten profitieren würden von den sogenannten verbrauchsorientierten Stromtarifen doch die Haushalte, die mit Gas heizen und kochen und Strom nur für Waschmaschine, Stereoanlage und Licht brauchen. Wer aber zum Beispiel im Geschosswohnungsbau der 70er-Jahre wohnt und Energie nur aus der Steckdose bezieht, wer also mit Strom auch kochen, heizen und Wasser erwärmen muss, wäre dann der Gekniffene; er müsste die höheren Tarife bezahlen. Das sind meistens nicht die sozial starken, sondern die sozial schwachen Gruppen. Darum wäre ein solcher verbrauchsorientierter Tarif nicht sozial gerecht. Deshalb lehnen wir als Sozialdemokraten ihn ab. Kommen wir zum mobilen Bereich. Es gibt ein Grundrecht auf Mobilität; keine Frage. Es gibt aber kein Grundrecht auf Automobilität bei konstanten Kosten; so ehrlich müssen wir sein. Wir könnten dieses Grundrecht nicht einlösen; das ist nicht finanzierbar. Wer das fordert, müsste auch sagen, wo die Milliarden dann herkommen sollen, um die Preissteigerungen zum Beispiel dieses Sommers zu finanzieren. Wir müssen umgekehrt darauf setzen, dass wir effizienter werden, auch im automobilen Bereich. Deswegen wollen wir Sozialdemokraten Anreize für den Kauf effizienterer Autos schaffen. Wir werden entsprechende Vorschläge machen. Insofern glaube ich, dass wir auf das richtige Pferd setzen, wenn wir sagen, dass Effizienz wichtig ist. Wir werden die Weltmarktpreise nicht aus nationaler Sicht beeinflussen können. Wir können nur versuchen, Energie effizienter zu verbrauchen, weniger zu verbrauchen und so zu einer Preisminderung beizutragen. Das ist der richtige Weg für uns. ({8}) Es ist außerdem wichtig, das Angebot an alternativen Verkehrsmitteln weiter auszubauen. Ein gutes öffentliches Nah- und Fernverkehrsnetz sowie gute Radwege sind uns deshalb wichtig. Hier werden wir auch in den kommenden Jahren gezielt investieren. Aber klar ist auch: Güter müssen nicht nur auf der Straße transportiert werden. Wir wollen mit unserem Programm noch gezielter und noch stärker das Schienennetz, die Anlagen für den kombinierten Verkehr und die Hafenhinterlandverbindungen ausbauen und damit die Voraussetzung schaffen, mehr Güter auf der Bahn zu transportieren. Wir wollen, dass Deutschland der Logistikstandort Nummer eins bleibt. Wir haben dort einen wachsenden Arbeitsmarkt. Wir Sozialdemokraten werden dafür kämpfen, dass das möglich ist. ({9}) Sehr geehrter Herr Kollege Friedrich, Sie haben kurz ein paar Anmerkungen zur Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung gemacht. Sie wissen, dass wir dazu getagt haben. Sie hatten leider keine Zeit, daran teilzunehmen. Bevor Sie in der nächsten Zeit Ihre Informationen nur aus der Zeitung beziehen, biete ich Ihnen an, darüber ein Gespräch zu führen. Ich bin dazu jederzeit bereit. Ich glaube, wir können das Ganze bilateral richtigstellen. Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zum Aufbau Ost sagen, für den der Herr Minister auch zuständig ist. Hier möchte ich ausnahmsweise - das haben wir in letzter Zeit nicht oft getan - den Spiegel zitieren. Der Spiegel titelt in seiner jüngsten Ausgabe: „Vorteil Ost“. Er übertreibt natürlich etwas - das ist beim Spiegel nicht ganz unüblich -, indem er von Reindustrialisierung spricht. Aber mit den Händen zu greifen sind die Erfolge, die im Hinblick auf die Entwicklung der gewerblichen Wirtschaft und die dort entstandenen Arbeitsplätze erzielt worden sind. Die in den vergangenen Jahren von Konsequenz geprägte Förderpolitik der Bundesregierung trägt offenbar allen Unkenrufen zum Trotz doch Früchte. Ich möchte an dieser Stelle allen beteiligten Ressorts für diese konsequente Politik ausdrücklich danken. ({10}) Angesichts der unbestreitbaren Erfolge auf wirtschaftlichem Gebiet sollte verstärkt eine andere Dimension ins Blickfeld rücken: Das ist die Vollendung der Einheit im sozialen Bereich. Im nächsten Jahr werden wir in vielfältiger Weise des 20. Jahrestages der friedlichen Revolution gedenken. Im Einigungsprozess ist vieles richtig gemacht worden, manches aber auch falsch. Ich will darüber gar nicht rechten; aber es ist schon merkwürdig, dass eine damalige Regierungspartei West in einem offiziellen Papier versucht, sich das Verdienst ganz allein zuzuschreiben, als wären die Ostdeutschen nur Objekt gewesen und als hätte es eine frei gewählte Volkskammer nie gegeben. Nein, die Bürgerinnen und Bürger im Osten können stolz darauf sein, mit dieser friedlichen Revolution die Einheit Deutschlands eingeleitet zu haben. ({11}) Mit den damals geweckten Erwartungen - dem selbsttragenden Aufschwung und den blühenden Land18844 schaften - haben wir es noch heute zu tun. 20 Jahre danach müssen wir den Bürgern in Ostdeutschland eine klare Ansage machen, eine klare Perspektive geben, wie es weitergehen soll. Ich sehe dafür drei Kernbereiche: Das erste Thema ist: Die gewerbliche Wirtschaft brummt. Es hapert noch ein wenig bei der Dienstleistung, beim Handel. Das ist auch verständlich; denn das Lohnniveau im Osten ist deutlich niedriger. Darum ist es gerade für uns Sozialdemokraten so wichtig, im Osten einen flächendeckenden Mindestlohn einzuführen, damit der Konsum im Osten wieder eine selbsttragende Kraft erreichen kann. ({12}) Natürlich müssen wir uns auch um die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit - das ist das zweite Thema kümmern, die im Osten besonders stark ausgeprägt ist. Wir müssen den Menschen wieder das Gefühl geben, dass sie aus eigener Anstrengung in der Lage sind, an der Gesellschaft teilzuhaben, es durch eigene Fähigkeiten schaffen, am Wohlstand teilzuhaben. Wir dürfen sie nicht einfach nur alimentieren, wie das manche von der Linkspartei wollen. Nein, wir wollen die Menschen individuell befähigen, dass sie aus eigener Kraft ihren eigenen Anteil am Wohlstand sichern können. Das ist der richtige Weg - nicht eine Alimentation, wie sie teilweise von der Linken gefordert wird. ({13}) Ich will ein drittes Thema nicht aussparen: Das ist das Thema Rente. Ich glaube, dass wir auf Sicht in ganz Deutschland ein einheitliches System für die Berechnung der Rente brauchen. ({14}) Das ist keine einfache Aufgabe; das ist eine sehr komplizierte Materie. Aber ich glaube, es ist an der Zeit und ist den Schweiß der Kundigen wert, eine solide finanzierte, für alle verständliche und in ganz Deutschland akzeptierte Lösung zu suchen. Vielen Dank. ({15})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Jan Mücke für die FDP-Fraktion. ({0})

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorausschicken möchte ich, dass Kollege Friedrich vorhin eine klassische Oppositionsrede gehalten hat. ({0}) Dies hat mich sehr verwundert. Ich habe dies am Beifall Ihrer Kollegen in der Koalition gesehen; er ist doch sehr zurückhaltend ausgefallen. Was ich besonders bemerkenswert finde, ist Ihre Argumentation zur Entlastung des deutschen Transportgewerbes beim Thema Maut. ({1}) Diese Entlastung - über 600 Millionen Euro - sollte seit 2005 gewährt werden. Sie haben es als Bundesregierung bis heute nicht geschafft, diese Entlastung auf den Weg zu bringen. Nun sagen Sie: In diesem Jahr schaffen wir das, aber wir müssen im Gegenzug leider die Maut erhöhen. Das ist eine Entlastung nach CSU-Manier. Dafür wird die FDP niemals die Hand reichen. ({2}) Noch ein Wort zum Thema Maut, zum Anteil der Maut an den Gesamtinvestitionen. Wir haben uns das einmal angesehen: Der Anteil der Maut an den Gesamtinvestitionen ist in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das heißt, aus dem Bundeshaushalt sind für Investitionen in die Straßeninfrastruktur immer weniger Mittel zur Verfügung gestellt worden. Der Anteil der aus dem Haushalt finanzierten Infrastruktur sinkt immer weiter. Unter Rot-Grün lag er noch bei 9,3 Milliarden Euro. Zwischen 2005 und 2008, also in der Regierungszeit von CDU/CSU und SPD, bei 7,05 Milliarden Euro. Nach Ihrer Planung wird er im Jahr 2009 auf 6,4 Milliarden Euro sinken. Den Anteil der tatsächlich aus dem Haushalt finanzierten Investitionen fahren Sie immer weiter zurück. Bei der Einführung der Maut ist aber genau das Gegenteil versprochen worden. ({3}) Es wurde immer gesagt: Die Maut wird eingeführt, um zusätzliche Investitionsmittel für die Straße zu generieren. Das Gegenteil ist eingetreten: In dem Maße, in dem Sie über die Maut zusätzlich Geld einnehmen, haben Sie die Haushaltsmittel im Gegenzug heruntergefahren. Gegen dieses schleichende Zurückfahren der Investitionsmittel müssen wir ankämpfen. Hier ist gesagt worden: Die Opposition meckert nur, dabei sollte sie eigentlich einmal Gegenvorschläge machen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, das Ganze ist eine Frage der Prioritätensetzung im Haushalt. Wofür soll das Geld ausgegeben werden? Solange wir für die IKB noch 10 Milliarden Euro übrig haben und für alle möglichen anderen Notfälle auch, aber nicht in das investieren, was für dieses Land wirklich wichtig ist, nämlich in Bildung und Infrastruktur, so lange werden Sie diese Probleme nicht auf die Reihe bekommen. Das ist eine Folge Ihrer falschen Prioritätensetzung. ({4}) Im Bereich der Straßeninfrastruktur wird noch eine große Herausforderung auf uns zukommen. Vielleicht haben Sie heute in der Leipziger Volkszeitung gelesen: Betonkrebs zerfrisst die Autobahnen. Experten rechnen mit Belastungen in Milliardenhöhe durch schlecht verarbeiteten Beton. Im Übrigen ist das nicht nur bei Straßen, sondern auch bei Bahnschwellen ein großes Problem. Das werden wir im nächsten Jahr sehen, wenn die Bahnverbindung zwischen Berlin und Hamburg teilweise gesperrt werden muss, weil über 200 000 Betonschwellen ausgetauscht werden müssen. Diese Belastungen sind in Ihrem Haushalt nicht abgebildet. Das führt uns zu einem weiteren Problem, das ich mir etwas genauer angeschaut habe, weil ich mich dafür besonders interessiere: Das ist der Luftverkehr. Ich will das hier einmal zum Thema machen, weil es in der Haushaltsdebatte relativ selten eine Rolle spielt. Ich habe mir den Stellenplan des Luftfahrt-Bundesamtes angeschaut. Sie wissen, dass dem Luftfahrt-Bundesamt in den letzten Jahren immer mehr Aufgaben übertragen wurden, unter anderem die Umsetzung der Fluggastverordnung der Europäischen Union. Mittlerweile gibt es über 6 000 Beschwerden von Fluggästen, die besagen, dass sie von ihrer Airline nicht korrekt behandelt wurden. Die meisten dieser Beschwerden sind berechtigt. Das Luftfahrt-Bundesamt hat die Aufgabe, diese Beschwerden zu prüfen. Allerdings hat es seit Jahren nicht das dafür erforderliche Personal. Der Personalbestand des Luftfahrt-Bundesamtes ist kontinuierlich zurückgefahren worden. Für 2009 wurde beantragt, über 80 neue Stellen in den Haushalt, der uns als Entwurf vorliegt, einzustellen. Herr Minister, im Haushaltsplan für 2009 vorgesehene neue Stellen: drei. Auf diese Art und Weise können wir das Problem nie und nimmer in den Griff bekommen. Wir haben schon einmal darüber debattiert, dass eine neue Aufsichtsbehörde für die Flugsicherung beim Luftfahrt-Bundesamt als Voraussetzung für eine Kapitalprivatisierung der Flugsicherung eingerichtet werden muss. Auch das würde neue Stellen erforderlich machen. Wenn Sie das wollen, müssen Sie auch dafür sorgen, dass das Luftfahrt-Bundesamt die Stellen, die dafür notwendig sind, zur Verfügung gestellt bekommt. ({5}) Ich möchte in diesem Zusammenhang ein weiteres Thema ansprechen, das gerade ganz aktuell einige große Rolle spielt - auch da ist die Bundesregierung gefragt -: die Rechte von Passagieren, die in einem Flugzeug sitzen, das technisch nicht in Ordnung ist. Nach dem Spanair-Unglück haben wir gesehen, dass Passagiere zum Weiterflug gezwungen wurden, obwohl sie ausdrücklich gesagt hatten, dass sie aussteigen wollen. Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Wir müssen uns eine Regelung einfallen lassen. Wenn ein Start aus technischen Gründen abgebrochen wurde, müssen die Passagiere ein gesetzlich verbrieftes Recht haben, aus der Maschine auszusteigen und eine alternative Maschine in Anspruch zu nehmen. ({6}) Letzter Punkt: das Thema Bahn. Das, was wir hier hinsichtlich des geplanten Bedienzuschlages und der Erhöhung der Fahrpreise erlebt haben, muss man, glaube ich, differenziert betrachten, Herr Claus. Ich bin der Meinung, dass auch die Bahn das Recht hat, ihre Fahrpreise anzuheben, wenn sie steigende Kosten hat, beispielsweise durch Tarifabschlüsse oder steigende Energiepreise. Das ist absolut konzediert. Das macht jedes andere Unternehmen auch. Dafür würde ich die Bahn also nicht kritisieren. Bei der Frage des Bedienzuschlages - da hat der Bahnvorstand ja nun endlich ein Einsehen gezeigt - ist sie aber sehr wohl zu kritisieren. Ein Bedienzuschlag sollte offensichtlich dazu führen, dass immer weniger Menschen ein Reisezentrum in Anspruch nehmen. ({7}) Das ist gerade für die älteren Menschen in unserem Lande ein großes Problem. Denn nicht jeder ältere Mensch kann einen Computer bedienen oder möchte sich an einem Automaten sein Ticket kaufen. Deshalb war dieser Vorschlag des Bahnvorstandes keineswegs in Ordnung. Wir als FDP haben uns dagegen eingesetzt. ({8}) - Der Minister auch. Es hat aber eine Weile gedauert, bis er sich dagegen eingesetzt hat. Dass er es endlich getan hat, rechnen wir der Politik der FDP zu. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Norbert Königshofen für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Königshofen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002703, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Mücke, Sie haben zu Beginn Ihrer Rede, die in vielen Teilen beachtlich war, geglaubt, feststellen zu müssen, dass unser Kollege Dr. Friedrich eine Oppositionsrede gehalten hat. ({0}) Ich will Ihnen der Ordnung halber sagen, dass wir in der Großen Koalition natürlich das Gemeinsame herausstellen, uns aber auch nicht scheuen, das anzusprechen, worüber wir noch zu reden haben. Genau so ein Punkt ist die LuFV - auf die komme ich gleich noch zu sprechen -, über die wir intensiv gesprochen haben und noch intensiv sprechen werden. Sie können davon ausgehen, dass die CDU/CSU die sozialdemokratischen Minister genauso unterstützt wie die eigenen. ({1}) - Das ist keine Drohung, sondern ein Versprechen. Sie werden sehen, dass wir das Versprechen halten werden. ({2}) In der Haushaltsdebatte ist es richtig und wichtig, auch die Privatisierungserlöse anzusprechen; denn sie stellen einen großen Brocken dar. Ich darf daran erinnern: Für dieses Jahr haben wir 10,7 Milliarden Euro veranschlagt, für das nächste Jahr 4,3 Milliarden Euro, 6,5 Milliarden Euro für 2010 und 4,6 Milliarden Euro für 2011. Das zeigt, dass dies ein wichtiges Gebiet ist. Der Verkehrshaushalt ist dabei in starkem Maße betroffen. Zwei Punkte möchte ich heute ansprechen: erstens die DFS, die Deutsche Flugsicherung, und zweitens die Deutsche Bahn. Das Vorhaben, die DFS zu privatisieren, ist ja eine Zeit lang vor sich hin gedümpelt. Niemand wollte das Ganze mehr angehen; es war durch das Veto des Bundespräsidenten gescheitert. Es war schon der Eindruck entstanden, das Thema sei ad acta gelegt, obwohl wir im Koalitionsvertrag eine eindeutige Vereinbarung dazu haben. Deswegen freue ich mich, dass es seit dieser Woche eine neue Entwicklung gibt. Die Spitzen der Koalition haben vereinbart, das Thema anzufassen, die notwendigen Strukturanpassungen durchzuführen und wenn notwendig eine Grundgesetzänderung zu machen. ({3}) - Noch in dieser Periode, so hoffen wir, Kollege Hermann. Sie wissen, Grundgesetzänderungen sind in einer Großen Koalition immer leichter als in einer kleinen. Man weiß ja nicht, was nach 2009 kommt. Ich glaube jedoch, dass es in dieser Frage keinen großen Dissens zwischen den meisten der hier vertretenen Fraktionen gibt. Wir sind uns einig - das steht außer Frage -, dass die Deutsche Flugsicherung im Hinblick auf die Schaffung eines einheitlichen europäischen Luftraums handlungsfähig gemacht werden muss. Wir brauchen über Zentraleuropa, also über Deutschland, Belgien, Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz, einen einheitlichen Luftraum, und zwar unter Beteiligung der DFS. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen. ({4}) In den grenznahen Bereichen gibt es Zustände, die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren sind; auch deswegen brauchen wir eine Veränderung. Die Rechtsexperten sagen, um auf der sicheren Seite zu sein, sei eine Grundgesetzänderung notwendig. Wir werden das sorgfältig überprüfen. Für die CDU/CSU kann ich allerdings feststellen, dass wir bereit sind, diesen Schritt zu gehen, wenn er denn notwendig wird. Ich hoffe, dass wir in dieser Frage über die Koalitionsgrenzen hinweg zusammenarbeiten werden, wie wir es auch getan haben, als es zum ersten Mal um die Deutsche Flugsicherung ging. Das damalige Gesetz fand die Zustimmung aller Fraktionen, mit Ausnahme der Linken. ({5}) - Ja. Deswegen konnten sie auch nicht zustimmen. ({6}) Nun zur Deutschen Bahn. Wir haben die Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn beschlossen. Das war eine heftige und lange Auseinandersetzung. Ich glaube, die Regelung, die wir getroffen haben, ist vertretbar. Die Infrastruktur verbleibt beim Bund. Das war vor allem der Wunsch der Union, aber auch der Wunsch großer Teile anderer Fraktionen. Daher denke ich, dass dieses Haus mit der gefundenen Regelung zufrieden sein kann. Der Betrieb der DB AG wird zu 24,9 Prozent veräußert. Wir wünschen uns natürlich einen möglichst hohen Erlös. Nach der Prognose von Bundesminister Tiefensee können wir mit einem Erlös von 5 bis 8 Milliarden Euro rechnen; diese Schätzung, die auf den Vorhersagen der großen Banken basiert, haben Sie einmal im Deutschlandfunk geäußert. ({7}) Ich hoffe, dass die Banken und damit auch der Minister recht behalten. Wenn man daran denkt, was mit Morgan Stanley geschehen ist, kann man allerdings Angst bekommen. Denn Morgan Stanley hat im letzten halben Jahr 60 Prozent seines Börsenwertes verloren. ({8}) Nichtsdestotrotz hoffen wir, dass wir einen dicken Batzen einnehmen werden, damit wir das tun können, was wir vorhaben: den Haushalt entlasten, der Bahn für ihre Aktivitäten Geld geben und - das ist besonders wichtig - zusätzliche Mittel in das Schienennetz pumpen. Nun geht es um die LuFV, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Ein erster Entwurf liegt bereits vor. Wir sind auf einem guten Weg. Zu begrüßen ist die kurze Laufzeit von nur fünf Jahren. Denn lange Festlegungen sind angesichts solch riesiger Beträge - es geht immerhin um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr ({9}) natürlich nicht unproblematisch. Wir würden uns allerdings vor Beginn der Laufzeit ein Probejahr wünschen; darüber müssen wir noch reden. Natürlich stellt sich auch die Frage der Kapazitätskontrolle. Wir wollen Wettbewerb. Dafür brauchen wir Kapazitäten; auch darüber muss noch diskutiert werden. Vor allen Dingen muss die Frage beantwortet werden, was mit den Gewinnen, die bei den Infrastrukturunternehmen anfallen, geschieht. Wir möchten, dass diese Gewinne, die eigentlich ersparte Subventionen darstellen, bei den Infrastrukturunternehmen verbleiben. Es ist weiterhin Wachsamkeit gefordert. Denn wir wissen: Verhandlungen mit der Bahn sind immer ein sehr schwieriges Unterfangen. Herr Mehdorn macht uns das Leben nie leicht. Die Diskussion über die Einführung eines Bedienzuschlages ist ein aktuelles Beispiel. Herr Kollege Claus, Sie sagten, dass die Bahn Volkseigentum sei. Das ist richtig. Sie ist aber kein Volkseigener Betrieb. ({10}) Deswegen wird das nicht so ablaufen, wie Sie befürchten. ({11}) Wir müssen wissen, dass die Bahn AG als Aktiengesellschaft natürlich ihre Prioritäten hat und ihre Ziele verfolgt, die vom Aktiengesetz vorgegeben werden. Der Deutsche Bundestag aber muss das Gemeinwohl im Auge behalten. Dazu fordere ich uns alle auf. Ich hoffe, dass wir uns gemeinsam darum bemühen. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Heidrun Bluhm von der Fraktion Die Linke. ({0})

Heidrun Bluhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003740, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Königshofen, gleich eine Antwort auf Ihre Bemerkung: Wäre die Bahn ein Volkseigener Betrieb, dann wäre Herr Mehdorn Genosse. Gott bewahre uns davor! ({0}) Nach Ansicht des amerikanischen Bestsellerautors Eric Weiner - nicht zu verwechseln mit Erich Weinert wird das persönliche Glück maßgeblich durch den Ort und die Qualität des Wohnens bestimmt. Seine folgerichtige Empfehlung lautet also: Wer unglücklich ist, sollte umziehen. Jetzt kommen wir zu dem Dilemma in diesem Zusammenhang; denn nicht jeder Unglückliche kann diese Alternative nutzen. Nicht wenige sind froh, überhaupt eine Wohnung zu haben. Nicht einmal diese können sie aus eigenen Mitteln bezahlen; sie brauchen staatliche Unterstützung. Heute, am 18. September, wenige Tage vor Herbstbeginn, ist eigentlich schon Winter, und das im doppelten Sinne. Dies gilt sowohl für die Temperaturen als auch für die soziale Kälte, die in Deutschland zunimmt. ({1}) Zu den Temperaturen. Die Explosion der Heizkosten in bisher nicht gekanntem Maße wird weiter zunehmen. Alleine für dieses Jahr sind weitere Preissteigerungen von 20 Prozent angekündigt. Herr Minister, dann wird genau das eintreten, was Sie eigentlich ausschließen. Der bei den Heizkosten eingesparte Euro durch die Sanierung des Märkischen Viertels wird alleine durch die Preissteigerung an anderer Stelle wieder aufgefressen. Besonders die Menschen, die schon heute in Schwierigkeiten sind, werden sich das Ganze immer weniger leisten können. Dann hilft es nicht, sich warm anzuziehen. Schon heute müssen nach Angaben des Deutschen Mieterbundes einkommensschwache Haushalte 50 Prozent ihres Einkommens und mehr für eine warme Wohnung aufbringen. Im Durchschnitt wird der Bundesbürger damit zwischen 25 Prozent und 30 Prozent belastet. Einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger geben mehr als die Hälfte ihres Einkommens für eine warme Wohnung aus. Diese Situation betrifft bundesweit mehr als 600 000 Menschen. Die Wohngeldempfänger im Osten sind doppelt so stark betroffen wie die Wohngeldempfänger im Westen. Das Verhältnis beträgt 3 : 1,5. Auch die Stichworte „Effizienz“ und „Energiesparen“ greifen an dieser Stelle zu kurz; denn die Menschen, von denen wir reden, leben in einer Wohnung von einfacher Bauart. Deshalb ist es sehr schwierig, dort weitere Energiesparmaßnahmen durchzusetzen, weil sie da, wo sie bisher eingespart haben, nicht noch weiter einsparen können; denn ein Kühlschrank muss laufen, und eine Waschmaschine muss laufen. Das sind Dinge, die wir Bürgerinnen und Bürgern mit niedrigem Einkommen sicherlich nicht auch noch versagen wollen. In diesem Zusammenhang ist auch von der KfW zu reden. Die Kredite für die CO2-Gebäudesanierung sind aus unserer Sicht zu befürworten. Herr Claus hat bereits darauf hingewiesen, dass wir in den vergangenen Jahren Aufstockungen gefordert haben, die Sie jetzt realisieren wollen. Allerdings haben sich im Verlauf der Förderperiode bei den Linken einige Fragen ergeben, die ich hier noch einmal stellen möchte. Die erste Frage betrifft die Förderstruktur. Die Fördermittel geben wir im Wesentlichen - bis auf Ausnahmen und Anreize - als Darlehen aus. Es wäre besser - so sagen die Linken -, diese in Zuschüsse umzuwandeln. Das wäre besser für die Mieter, weil die Miete nicht durch die Kreditkosten belastet werden müsste, für die Städte, weil die Sanierungsanreize größer wären, und vor allem für die Vermieter - egal, ob kommunal oder privat -, für die ein Zuschuss wie eine Eigenkapitalhilfe wirken würde und dann Anreize gegeben wären, die aus unserer Sicht effektiver sind als das, was wir jetzt haben. Hinzu kommt, dass die Zinsen für KfW-Kredite enorm gestiegen sind. Zu Beginn des Programms sind wir mit einer Verzinsung von 1 Prozent gestartet. Jetzt sind wir fast bei banküblichen Zinsen. Für jemanden, der noch investieren kann, ist es viel einfacher, wenn er direkt zu seiner Hausbank geht und keinen Antrag bei der KfW stellt; vor allem muss er sich nicht kontrollieren lassen. Das heißt, unsere Ziele für einen effektiven Klimaschutz werden dadurch infrage gestellt. ({2}) - Eben, stellen Sie doch eine Zwischenfrage. Herzlichen Dank, Frau Kollegin! ({3}) Für uns ist eine weitere wesentliche Frage wichtig. Diese kann ich aufgrund der Zeit jetzt leider nicht mehr behandeln. ({4}) Aber ich möchte doch noch einmal zum Ausdruck bringen, dass wir aufgrund der Baupreisentwicklung in Deutschland ohnehin alternative Modelle finden müssen, durch die wir in die Lage versetzt werden, unsere Klimaziele und die sozialen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Danke. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Petra Weis für die SPD-Fraktion. ({0})

Petra Weis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003657, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn ein Haushaltsplanentwurf ein Beitrag einer Bundesregierung und - das sage ich in Klammern dazu - natürlich auch der sie tragenden Fraktionen zur Problemlösung sein soll, mit dem gleichzeitig realisierbare Zukunftskonzepte aufgezeigt werden sollen, dann wird dieser Auftrag durch den vorliegenden Entwurf des Einzelplans 12 in ganz außerordentlichem Maße erfüllt. Deswegen will ich gleich mit einem Lob an den Minister und sein Team starten. Wenn wir auf den bau- und stadtentwicklungspolitischen Teil des Haushalts blicken - ich kann mich aufgrund der Kürze der Zeit nur diesem Aspekt widmen -, dann können wir unzweifelhaft erkennen, dass Minister Wolfgang Tiefensee mit diesem Entwurf Lösungen für die vier großen Herausforderungen anbietet, vor denen sich die Städte augenblicklich gestellt sehen: der demografische und wirtschaftsstrukturelle Wandel, die Sicherung des sozialen Zusammenhalts in den Städten und in den städtischen Quartieren, die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und nicht zuletzt die Bewältigung des Klimawandels. ({0}) Darauf reagieren wir mit einer nachhaltigen, weil integrierten und verlässlichen Stadtentwicklungspolitik, wobei der Bund die Koordinations- und Netzwerkfunktion übernehmen sollte und die Städte bei der Entwicklung eigener maßgeschneiderter Programme und Aktivitäten unterstützen muss. Auch deswegen haben wir die Initiative von Wolfgang Tiefensee im Hinblick auf den Startschuss für die Nationale Stadtentwicklungspolitik im letzten Jahr ausdrücklich begrüßt. Ich glaube, dass es die bislang bundesweit positive Resonanz rechtfertigt, dass wir diese Initiative im Haushalt 2009 mit einer Ausstattung von 8,5 Millionen Euro begünstigen. ({1}) Von mindestens ebenso großer Bedeutung ist die Fortsetzung und Weiterentwicklung des Programms „Soziale Stadt“ - Minister Tiefensee hatte schon vorhin darauf hingewiesen -: zum Ersten auf finanziell hohem Niveau und zum Zweiten auf der Basis einer neuen Schwerpunktsetzung mit Blick auf die Bereiche Integration, Bildung, Qualifizierung und lokale Ökonomie - auch durch die Ergänzung durch das ESF-Programm BIWAQ; das betone ich ausdrücklich. Damit werden immerhin weitere 104 Millionen Euro des Europäischen Sozialfonds in das Programm „Soziale Stadt“ gelenkt. Dadurch kann der innovative, ressortübergreifende und damit vorbildliche Ansatz des Programms noch besser umgesetzt werden. Das Programm „Soziale Stadt“ ist nach fast zehn Jahren schon jetzt ein Riesenerfolg. ({2}) Den Herausforderungen des demografischen und des wirtschaftsstrukturellen Wandels sind wir in den letzten Jahren mit den beiden Programmen „Stadtumbau Ost“ und „Stadtumbau West“ erfolgreich begegnet. Meine Fraktion begrüßt es ausdrücklich, dass das Programm „Stadtumbau West“ um 18 Millionen Euro aufgestockt wurde. An dieser Stelle will ich aber ehrlich gesagt nicht verhehlen, dass wir uns wünschen, im Zuge dieser Haushaltsberatungen dort noch ein Schippchen draufzulegen. Dies wünschen wir uns nicht nur, weil durch den Abschlussbericht des EXWOST-Forschungsfelds „Stadtumbau West“ deutlich gemacht wird, welch positives Fazit wir nach den bislang erreichten Ergebnissen ziehen müssen; denn durch die beschriebenen Impulsprojekte wird eindrucksvoll beschrieben, dass wir innerhalb von nicht einmal fünf Jahren auch in Westdeutschland erhebliche Fortschritte bei der Bewältigung von Schrumpfung und Leerstand erzielt haben. Ein stärkerer Aufwuchs der Mittel für das Programm „Stadtumbau West“ ist unseres Erachtens auch deswegen angezeigt, weil aufgrund der Problemlagen in manchen Regionen Westdeutschlands - viele sagen vielleicht sogar: in vielen - inzwischen unverzügliches Handeln erforderlich ist, was die Städte auch bei noch so großer Anstrengung und, wie ich meine, noch so gutem Willen nicht alleine leisten können. Abschließend möchte ich das Thema Klimawandel nur kurz streifen, weil der Minister und auch der Kollege Hübner schon ausführlich Stellung dazu bezogen haben. Wir müssen in der Tat die Frage beantworten, was wir zu einer klimagerechten Stadt beitragen können, die zugleich immer auch eine sozial gerechte Stadt sein muss. Deswegen sind Klimaschutz und Energieeffizienz in den Städten von einer ganz besonderen Bedeutung. Wir wissen, dass die Energieeffizienz von bestehenden Gebäuden, aber auch von ganzen Stadtstrukturen unzureichend ist. Wir haben hier einen hohen NachholPetra Weis bedarf. Deswegen ist der Slogan der energieeffizienten und klimagerechten Stadtentwicklungspolitik sicherlich modern. Wir haben - das haben meine Vorredner bereits angesprochen - in diesem Haushalt Vorkehrungen getroffen, um auf diesem Weg auch im nächsten Jahr weitere Erfolge zu erzielen. Wir begrüßen ausdrücklich die Fortsetzung des Investitionspakts zur energetischen Sanierung der städtischen Infrastruktur. Wir sollten aber in den kommenden Wochen vielleicht noch darüber sprechen, ob die vorgesehenen 100 Millionen Euro der zu lösenden Aufgabe wirklich gerecht werden. Es geht immerhin um Kommunen in Haushaltsnotlagen. Wer weiß, wo ich herkomme, der weiß, dass ich weiß, wovon ich rede. Ich glaube, dass deren Unterstützung auf diesem Zukunftsfeld der Stadtentwicklung eine Aufgabe ist, die wir sehr konsequent fortsetzen sollten. Dafür brauchen wir eine entsprechende Mittelausstattung. ({3}) Angemessen und notwendig ist zweifelsohne die bessere Ausstattung des CO2-Gebäudesanierungsprogramms. Dazu ist aber in der Tat von meinen Vorrednern und meinen Vorrednerinnen fast alles gesagt worden. Deswegen will ich mich auf einige Sätze beschränken. Neben den wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Aspekten will ich gern wiederholen, was man meines Erachtens gar nicht oft genug wiederholen kann: Energieeffizienz und Energiesparen sind zwei Bausteine, auf die es in den kommenden Jahren ganz besonders ankommt. Es geht um Klimaschutz und um das buchstäbliche Schonen des Geldbeutels gerade auch für die Bevölkerungsgruppen, von denen wir wissen, dass sie den galoppierenden Energiepreisen scheinbar ohnmächtig gegenüberstehen. Sie zu unterstützen, ist unser aller gemeinsamer Wille. ({4}) Dagegen hilft auch die Erhöhung des Wohngelds unter Einbeziehung der Heizkosten. Aber darauf haben Minister Tiefensee und Klaas Hübner schon ausführlich hingewiesen. Deswegen kann ich es bei diesen wenigen Sätzen belassen. Eine klimagerechte Stadt ist auch immer Teil einer sozial gerechten Stadt. Ich glaube, wenn wir uns diesem Kredo verpflichtet fühlen und in den kommenden Wochen bei den Beratungen Wert darauf legen, dass der Einzelplan 12 diesem Anspruch jederzeit gerecht werden kann, dann haben wir nicht nur ein gutes Werk getan, sondern hoffentlich auch eine qualitativ hochwertige Debatte hinter uns. Ich danke Ihnen herzlich für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Peter Hettlich für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Peter Hettlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003554, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich möchte gerne an das Ende der Rede von Winfried Hermann anknüpfen, als er auf das Papier der Bundesregierung eingegangen ist, dass die Kostensteigerungen vor allen Dingen bei Infrastrukturprojekten und auch bei anderen Projekten - zum Teil bei besonders ambitionierten Vorhaben wie Tunnelbauten - bis zu 100 Prozent betragen können. Vonseiten der Koalition wurde dann gefragt, wo die konstruktiven Vorschläge dazu bleiben. Ich hätte schon einige. Die Kostensteigerung einfach damit zu beantworten, dass der Etat verdoppelt wird, weil alles 100 Prozent teurer wird, wäre falsch. Wir müssen vielmehr nach den Ursachen der Kostensteigerungen fragen. Wenn Sie ins Detail gehen - das will ich Ihnen heute ersparen -, dann werden Sie schnell merken, dass es in dem Papier eine ganze Menge an Handlungsansätzen gibt, die wir als Parlament aufgreifen müssen. Es reicht nicht aus, den Einzelplan 12 zu verabschieden und zu sagen: Aus und vorbei. Es interessiert uns nicht, wie die Projekte später laufen. - Wir werden von den Bürgern angesprochen, wenn in der Presse darüber berichtet wird, dass ein Autobahnprojekt teurer geworden ist als geplant. Wir setzen uns als Fachausschuss dann aber nicht mit den Haushältern zusammen, um zu fragen, warum es teurer geworden ist. An dieser Stelle müssen wir eine bessere Kostenkontrolle sowohl von der Exekutive als auch von uns selbst einfordern. Das ist unsere Pflicht. ({0}) Das ist ein Vorschlag. Ich hätte noch eine ganze Menge anderer Vorschläge, die ich vielleicht im Ausschuss erläutern kann. Ich könnte mir vorstellen, einen Unterausschuss zu diesem Thema zu gründen, damit wir uns nicht nur im Vorhinein, sondern auch im Nachhinein mit solchen Projekten beschäftigen. Für mich als Baupolitiker ist die energetische Gebäudesanierung ein sehr wichtiges Thema. Kollegin Bluhm ist ebenso wie andere Kollegen bereits darauf eingegangen. Die energetische Gebäudesanierung ist in der Tat alternativlos, und wir freuen uns, dass dieser Bereich finanziell entsprechend gut ausgestattet wird. Aber das entbindet uns nicht von der Pflicht, darauf zu achten, ob die Gelder sinnvoll ausgegeben werden. Ohne in den Ruch des Netzbeschmutzers kommen zu wollen, meine ich, dass nicht alles so toll ist, wie es hier dargestellt wird. Beispielsweise sollten wir jedes Jahr 1 Million Tonnen CO2 kumulativ einsparen. Bis jetzt haben wir 2,2 Millionen Tonnen in zweidreiviertel Jahren geschafft. Wir werden also dieses Ziel verfehlen. Auf meine Kleine Anfrage zur Qualität dieser Maßnahmen hat die Bundesregierung geantwortet, dazu sei ihr nichts bekannt. Interessanterweise hat aber der Verband Privater Bauherren eine Studie veröffentlicht, die übrigens auch Stephan Kohler von der dena in einer öffentlichen Veranstaltung schon vorgestellt hat. Daraus will ich drei Zahlen nennen, bei denen uns angst und bange werden kann. Die Studie besagt: In den untersuchten Nachweisen zur EnEV sind die Berechnungen falsch. Es geht übrigens um einen Umfang von 8 000 Stichproben. Auf 59 Prozent der untersuchten Stichproben traf das zu. Das Haus entspricht überhaupt nicht den Anforderungen der EnEV. 40 Prozent aller Stichproben hatten dieses Ergebnis. 53 Prozent der - zum Beispiel durch die KfW - geförderten Bauten entsprachen offensichtlich nicht den Förderbedingungen. Das ist keine Petitesse. Ich fordere die Bundesregierung auf, aktiv zu werden. Es geht nicht darum, mehr Geld ins System zu stecken, sondern darum, dass möglichst viel von dem Geld bei den Menschen ankommt und dass möglichst viel für den Klimaschutz getan wird. ({1}) Es geht auch um die Ehrlichkeit gegenüber den Bauherrinnen und Bauherren, die sich darauf verlassen, dass sie ein KfW-40-Haus bekommen und nicht später anhand der Abrechnungen feststellen müssen, dass es sich um ein KfW-60-Haus handelt. Hier müssen wir eine ganze Menge tun. Manchmal muss man nur seinen Kopf anstrengen. Dann geht es auch mit weniger Geld. Zum Stadtumbau möchte ich kurz Folgendes sagen: Keine Frage, der Stadtumbau Ost ist ganz wichtig. Ich freue mich aber, dass auch das Budget für den Stadtumbau West deutlich aufgestockt wurde. Das wird von unserer Seite, insbesondere von den ostdeutschen Politikern, unterstützt. Aber passen Sie auf, dass Sie sich nicht mit fremden Federn schmücken! Der Stadtumbau Ost ist Bestandteil des Korbs II des Solidarpaktes. Das heißt, alle Mittel, die in den Stadtumbau Ost fließen - das gilt auch für die Altschuldenhilfe -, kommen aus dem Korb II. Wir müssen uns fragen, wo wir die Prioritäten setzen. Daher sind die Altschuldenhilfe und die Verlängerung der Geltungsdauer der entsprechenden Regelungen sehr dezidiert zu betrachten. Das trifft übrigens auf die Verlängerung der Geltungsdauer der Investitionszulage genauso zu. Was weg ist, ist weg. Deswegen brauchen wir intelligente Lösungen. Es bringt also nichts, wenn man sich wie Herr Claus hier hinstellt und behauptet: Wir tun etwas für den Osten. Wir müssen mit dem vorhandenen Instrumentenkasten möglichst gut arbeiten. Damit ist uns allen gedient, vor allem den Menschen, für die wir uns im Bundestag engagieren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich dem Kollegen Dirk Fischer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Dirk Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000549, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mobilität ist für unsere moderne, dynamische Volkswirtschaft eine Grundvoraussetzung. Dafür brauchen wir eine entsprechende Verkehrsinfrastruktur. Wir wissen, dass wir mit weiteren erheblichen Herausforderungen zu rechnen haben. Neuere Prognosen sagen bis 2025 ein Plus von 16 Prozent im Personenverkehr, ein Plus von 65 Prozent im Güterverkehr auf der Schiene und ein Plus von 84 Prozent im Straßengüterfernverkehr voraus. Das sind gewaltige Steigerungsraten. Auf diese Herausforderungen müssen wir Antworten geben. Der Haushaltsentwurf dokumentiert, dass sich die Große Koalition bemüht, dem Rechnung zu tragen und Antworten zu geben. Ich denke, dass wir im Entwurf des Einzelplans 12 mit einer Steigerung der Investitionen für Schiene, Straße und Wasserstraße einschließlich des kombinierten Ladungsverkehrs um rund 1 Milliarde Euro im Vergleich zum geltenden Finanzplan eine deutliche und überzeugende Antwort gefunden haben. Insgesamt stehen rund 10,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Dies ist ein historischer Höchststand. Auch in der Finanzplanung wurden die jährlichen Ansätze um hohe dreistellige Millionenbeträge gesteigert. Zusammen mit den Mitteln für das GVFG, das Satellitennavigationssystem Galileo und weiteren Positionen erreichen die Investitionen im Verkehrsbereich ein Volumen von über 12 Milliarden Euro. Wie der Minister bereits ausgeführt hat, ist das der größte Investitionshaushalt des Bundes. Wir haben den Turn-around zugunsten der Investitionen in diesem Haushalt erreicht. Der Investitionshaushalt liegt mit rund 54,3 Prozent deutlich über den konsumtiven Ausgaben. Wenn ich das mit der rot-grünen Finanzplanung von 2005 vergleiche, dann stelle ich fest: Statt 3,1 Milliarden Euro investieren wir 3,9 Milliarden Euro in die Bundesschienenwege. Bei der Straße sind es 5,2 Milliarden Euro statt 4 Milliarden Euro. Bei den Bundeswasserstraßen investieren wir 900 Millionen Euro statt 561 Millionen Euro. Das ist eine deutliche Verbesserung. Natürlich kommt ein Großteil dieser Mittel aus den gestiegenen Mauteinnahmen. Durch diese haushaltspolitischen Maßnahmen wird aber das oberste Ziel, den Haushalt zu konsolidieren, nicht gefährdet. Wir freuen uns jedenfalls, dass die zusätzlichen Mittel in Höhe von insgesamt 1,08 Milliarden Euro eins zu eins in die Verkehrsinfrastruktur fließen. ({0}) So erfreulich dies alles ist, müssen wir dennoch über neue Wege in der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung nachdenken. Wir brauchen eine echte und glaubwürdige Nutzerfinanzierung bei der Straße über das Instrumentarium der Lkw-Maut. Wenn wir den Nutzern sagen, dass sie zahlen müssen, um mehr und bessere Infrastruktur zu bekommen, dann muss dieses Wort auch eingelöst werden. Ansonsten fühlt sich der Nutzer getäuscht. Wir alle haben kein Interesse daran, dass der Gedanke der Nutzerfinanzierung diskreditiert wird, indem solche Zusagen nicht eingelöst werden, was in der Vergangenheit leider geschehen ist. ({1}) Dirk Fischer ({2}) Es wäre sehr überzeugend, wenn die Mautmittel unmittelbar der Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft, der sogenannten VIFG, zufließen würden. Das würde die Akzeptanz der Maut deutlich erhöhen, weil damit ein zielgerichteter Mitteleinsatz bei der Straße und zusätzliche Handlungsspielräume für die VIFG ermöglicht würden. Die VIFG könnte in Abstimmung mit den Bundesländern spezielle Straßeninfrastrukturprogramme, zum Beispiel ein Brückensanierungsprogramm oder ein Programm zum Ausbau der Parkplatzanlagen an Autobahnen, aus diesen Mitteln finanzieren; denn wir brauchen bei der Infrastrukturfinanzierung und der Bestandspflege insgesamt mehr Planungssicherheit. Aus diesem Grund sollten wir darüber nachdenken, ob wir nicht das Instrument, das wir jetzt bei der Schiene schaffen, nämlich eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, in Zukunft auch für die Straße schaffen sollten. Wir sollten eine Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und der VIFG treffen, damit die Straßeninvestitionen des Bundes über einen mittelfristigen Zeitraum auf einem hohen Niveau gesichert werden können. Damit könnten wir den Ländern über verstetigte Mittel für das Bestandsnetz die Chance geben, den Substanzerhalt zu finanzieren, was mehr Planungssicherheit bedeutet. Damit wäre das ausgeschlossen, was in der Vergangenheit geschehen ist, dass nämlich Mittel aus Erhaltungstiteln in Neubaumaßnahmen umgeschichtet werden. Damit fahren wir auf Verschleiß; das ist riskant. Durch eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung könnte das ausgeschlossen werden. Auch beim Neu- und Ausbau brauchen wir eine stetige Finanzplanung, um eine durchgängige, mehrjährige Finanzierung gewährleisten zu können. Außerdem müssen wir über zusätzliche Finanzierungslösungen außerhalb des Bundeshaushaltes unter temporärer Einbindung von Fremdkapital nachdenken. Eine begrenzte Kreditermächtigung für die VIFG bei Zustimmung des Bundesfinanz- und des Bundesverkehrsministeriums, die wir als Verkehrspolitiker befürworten, wäre akzeptabel, um gewisse Unwuchten beim Zu- und Abfluss der Mittel ausgleichen zu können, damit Baustellen kontinuierlich optimal abgewickelt werden können. Damit ließe sich ein kraftvoller Impuls für mehr private Investitionen in die Verkehrswege organisieren. Ich will noch den anderen Bereich unseres Ministeriums, Wohnungswesen und Städtebau, kurz ansprechen. Auch da gibt es erhöhte Investitionen. Es stehen insgesamt Mittel in Höhe von 1,9 Milliarden Euro zur Verfügung. Besonders hervorheben möchte ich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm. Aus einer kleinen rotgrünen Pflanze ist unter der Pflege der Großen Koalition ein großer Baum mit reifen Früchten geworden. ({3}) Darüber sollten wir uns alle um der Sache willen freuen. ({4}) Dieses Programm wurde für die Jahre 2006 bis 2009 um jeweils 1 Milliarde Euro aufgestockt. Allein 2007 konnten damit Baumaßnahmen an circa 200 000 Wohnungen gefördert werden. Damit wird auch ein gewaltiges Volumen handwerklicher Beschäftigung ermöglicht. Darüber freuen wir uns natürlich sehr. Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm ist das ausbaufähige Erfolgsprojekt der Großen Koalition. Es soll aufgestockt und bis 2011 verstetigt werden. Aber es muss auch attraktiv und planbar für den Einzelnen sein. Kurzfristig und wiederholt steigende Zinssätze sind das nicht. Meine Fraktion schlägt ergänzend die Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für den energieeffizienten Wohnungsbau vor. Dieser Rechtsanspruch im Rahmen der ohnehin abzugebenden Steuererklärung würde für den Einzelnen hohe Planungssicherheit ohne bürokratischen Zusatzaufwand bedeuten. So würde man die Investitionsanreize für jene stärken, für die Kredite oder Zulagen wenig attraktiv oder bürokratisch zu aufwendig sind. Davon könnten alle Hauseigentümer profitieren. Das Klima würde es danken, die Konjunktur ohnehin. Der Bund stellt den Ländern auch 2009 allein 518 Millionen Euro als Kompensationszahlung für die Übernahme der sozialen Wohnraumförderung zur Verfügung. Es wäre wirklich schön, wenn dieses Geld vollständig für diesen Zweck ausgegeben würde; ({5}) denn Haushaltssanierung der Länder zulasten der Schwachen auf dem Wohnungsmarkt war nun wahrlich nicht das Ziel der Föderalismusreform I. Den Schwachen am Wohnungsmarkt wird zudem durch die Novelle zum Wohngeldrecht geholfen. Der Minister hat es dargestellt; ich möchte das nicht wiederholen. Wir haben die Mittel deutlich erhöht. Als sachgerechte Antwort auf die steigenden Energiekosten haben wir eine Heizkostenkomponente eingeführt. Wenn es gelänge, das Inkrafttreten der Novelle auf den 1. Oktober dieses Jahres vorzuziehen, würden wir uns darüber sehr freuen. ({6}) Ich möchte zum Schluss kommen. Die Finanzhilfen des Bundes für die Städtebauförderung sind erheblich gestiegen. Die neuen Programme sind bereits angesprochen worden; wir wollen sie gerne ausbauen und hoffen, dass hier im Rahmen der Haushaltsberatungen noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Städtebauförderung ist nämlich stets gut angelegtes Geld. Die Anstoßwirkung der Finanzhilfen des Bundes, der Länder und der Gemeinden führt dazu, dass die Investitionswirkung durch finanzielle Mittel der Bauherren verfünffacht wird. Sie sehen: Die Große Koalition stellt sich neuen Herausforderungen und gibt, wie ich denke, überzeugende haushaltspolitische Antworten. ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzelplan 15. Das Wort hat Bundesministerin Ulla Schmidt. ({0})

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Einzelplan 15 steigt im kommenden Jahr politisch gewollt um 53 Prozent. Der Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung erhöht sich um 1,5 Milliarden Euro auf 4 Milliarden Euro und wird in den kommenden Jahren Schritt für Schritt auf 14 Milliarden Euro angehoben. So entlasten wir die Krankenkassen und damit auch die Beitragszahler von Aufwendungen, die entstehen, wenn zum Beispiel die Familien Leistungen in Anspruch nehmen. Wir halten an der solidarischen Krankenversicherung fest. Sie ist das solide Fundament eines gut funktionierenden, modernen und leistungsfähigen Gesundheitswesens. Lassen Sie mich angesichts der aktuellen Finanzkrise auf eines hinweisen: Es ist gut, dass wir dabei geblieben sind, dass Menschen für Menschen stehen, dass wir es bei der Umlagefinanzierung belassen haben und nicht denen gefolgt sind, die teilweise die gesamte Krankenversicherung auf Kapitaldeckung umstellen wollten. ({0}) Ich glaube, angesichts der Nachrichten, die uns derzeit Tag für Tag erreichen, ist das für die Menschen sehr beruhigend. Kapitaldeckung als Ergänzung ja, aber niemals ausschließlich. Menschen haben auf dieser Welt schon sehr negative Erfahrungen mit Kapitaldeckung gesammelt. Deshalb hält die Koalition daran fest, dass die Grundfesten über die Umlagefinanzierung solidarisch getragen werden. Mit 73 Millionen Euro für operative Mittel hat der Einzelplan 15 eine solide Grundlage, um wichtige gesundheitspolitische Maßnahmen durchzuführen. Besonders hervorheben möchte ich, dass wir rund 4 Millionen Euro mehr, und damit fast 40 Millionen Euro, zur Verfügung haben, um Prävention und Aufklärung zu stärken. Dazu gehört beispielsweise die Unterstützung von Projekten zu gesunder Ernährung und mehr Bewegung. Dazu gehört der Kampf gegen HIV und Aids, für den mehr Geld zur Verfügung steht. Dazu gehört die Finanzierung von Projekten in diesem Sektor in Osteuropa, zum Beispiel die Finanzierung von elf Projekten in der Ukraine zur Aidsprävention. Dazu gehört auch eine Kampagne zur Steigerung der Bereitschaft, Organe und Plasma zu spenden, damit mehr Menschen eine Chance erhalten, zu überleben. ({1}) Wir werden älter, und mit der Zunahme der Zahl der hochbetagten Menschen steigt auch die Anzahl derer, die demenziell erkrankt und in ihrer Alltagskompetenz eingeschränkt sind. Die Koalition und die Bundesregierung wollen wissen: Welche Angebote brauchen demenziell erkrankte Menschen? Was müssen wir tun, um ihre Selbstständigkeit zu erhalten? Wie kann ihre Würde bewahrt werden? Deshalb bin ich sehr froh, dass wir die Versorgungsforschung stärken und die Mittel für das Leuchtturmprojekt Demenz, das sich speziell mit diesen Fragen beschäftigt, im kommenden Jahr 8,5 Millionen Euro betragen werden. Wir brauchen dieses Wissen über die Älteren auch zur Unterstützung der Familien. ({2}) Wir wollen uns aber auch um die Jüngsten kümmern. Wir wollen, dass Kinder gleich gute Chancen auf eine bestmögliche Gesundheit und damit auf den besten Start ins Leben haben. Deshalb fördern wir Maßnahmen im Rahmen der Strategie der Bundesregierung zur Verbesserung der Kindergesundheit durch mehr Früherkennungsuntersuchungen, mehr aufsuchende Hilfen, speziell für sozial benachteiligte Familien, und durch ein besseres Gesundheitsmonitoring. ({3}) Die Zielsetzung der Gesundheitspolitik der Bundesregierung hat sehr viel mit dem Paradigmenwechsel zu tun, der in den letzten Jahren stattgefunden hat: von der Fürsorge zur Teilhabe hin zur Selbstbestimmung. Deshalb ist das Ziel „so lange wie möglich, so selbstständig wie möglich, so schmerzfrei wie möglich und mit so viel Würde wie möglich“ für alle Bürgerinnen und Bürger eines der Ziele in der Gesundheitspolitik, von dem wir uns auch leiten lassen, wenn wir Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen ausweiten. Wir haben das mit der Gesundheitsreform ganz gezielt gemacht. Ich nenne den Rechtsanspruch auf Rehabilitation unabhängig davon, wie alt jemand ist, den Rechtsanspruch auf Impfschutz, Vater-/Mutter-Kind-Kuren, die Stärkung der häuslichen Krankenpflege und der häuslichen Versorgung oder auch den Aufbau der Palliativversorgung für schwerstkranke Menschen, damit auch Menschen, die schwer krank sind und die ihre letzten Stunden oder Tage vor sich haben, zu Hause sterben können, wenn sie dies wünschen, und trotzdem eine gute Versorgung haben. Wir sind uns dabei bewusst, dass die Erbringung und die Ausweitung dieser Leistungen davon abhängen, dass Tag für Tag Menschen da sind, die anderen Menschen helfen, die für andere da sind und diese Leistungen erbringen. Ich bin der Auffassung, ihnen gebührt nicht immer nur unser Dank, sondern wir haben die Pflicht, für gute Rahmenbedingungen zu sorgen, damit diejenigen, die diese Arbeit machen, gute Arbeitsbedingungen vorfinden und auch anständig honoriert werden; denn das ist die Voraussetzung dafür, dass wir auch morgen und übermorgen wieder junge Menschen finden, die diesen Beruf ergreifen und auch in diesem Beruf bleiben. ({4}) Deshalb wird es auch im kommenden Jahr eine Ausweitung von Leistungen in diesem Bereich geben. ({5}) Das hat viel mit der vereinbarten Honorarreform zu tun. Das ist nicht nur eine Frage von mehr Geld; vielmehr geht es vor allem darum, dass wir den Weg für ein überschaubares, kalkulierbares und verlässliches Vergütungssystem öffnen wollen. Wir wollen Spielräume eröffnen und Anreize setzen, damit Menschen in unterversorgte Regionen gehen, damit die Möglichkeit besteht, Hausbesuche und die Arbeit in Pflegeeinrichtungen und vieles mehr adäquat zu honorieren und dort mehr Geld auszugeben, wo es gebraucht wird. ({6}) Dazu gehört, dass die Qualität verbessert wird. Ich erwarte von den Krankenkassen - ich hoffe, dass ich da in Ihrem Namen sprechen kann -, dass bei den vertraglichen Vereinbarungen dafür gesorgt wird, dass - wenn die Bürgerinnen und Bürger über ihre Beiträge höhere Honorare finanzieren - in den Praxen mit einem unterschiedlichen Service für privat und für gesetzlich Versicherte endlich Schluss ist. Ich wiederhole: Es muss eine bessere Qualität angeboten werden. ({7}) Wir haben die Krankenhäuser lange Jahre konsolidiert. Aber auch hier brauchen wir eine verlässliche Neuregelung. Wir sind als Koalition der Auffassung, dass wir einen Teil der tariflich bedingten Mehrausgaben aus Mitteln der GKV finanzieren sollten. Wir wissen auch, dass allein mehr Geld nicht ausreicht; vielmehr geht es darum, einen Weg zu finden, der eine zukunftsfähige Finanzierung der Krankenhäuser unter Einbeziehung der Investitionsmittel ermöglicht; denn nur dann kann ein Krankenhaus reagieren, wirtschaftlich arbeiten und die hohe Qualität in der Patientenversorgung gewährleisten. Wir wollen auf Dauer nicht zulassen, dass zulasten der Beschäftigten Gelder, die über die Krankenkassen für die Versorgung von Patienten gezahlt werden, nur deswegen für Investitionen genutzt werden, weil die Länder ihre Verantwortung hier nicht übernehmen. ({8}) Wir werden bei einer dualen Finanzierung bleiben. Das Pflegepersonal muss von uns dringend unterstützt werden. Die Menschen, die diese Arbeit leisten, sind an ihre Grenzen gestoßen. Deshalb machen wir den Vorschlag, dass in den nächsten drei Jahren 21 000 neue Pflegekräfte eingestellt werden. Wir wollen innerhalb dieser Zeit dafür sorgen, dass deren Finanzierung dauerhaft sichergestellt ist, insbesondere was die pflegeintensiven Bereiche angeht. ({9}) Wer diese Dinge will, wer weiß, dass wir in die Arzneimittelversorgung und in andere Bereiche aufgrund der - Gott sei Dank höheren - Überlebensfähigkeit von vielen, die schwer erkrankt sind, aber auch aufgrund einer älter werdenden Gesellschaft mehr investieren müssen, der muss auch dafür sorgen, dass die Beitragsgelder fair und gerecht aufgebracht werden. Ich frage einmal all diejenigen, die jetzt dagegen eintreten, dass wir über den Gesundheitsfonds einen einheitlichen Beitragssatz auf den Weg bringen: Wie soll das denn weitergehen, wenn wir schon heute für gleiche Leistungen - Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte - einen Unterschied zwischen 11,3 Prozent und 16,5 Prozent haben? Es hat viel damit zu tun, dass in der einen Krankenkasse viele ältere und kranke Menschen sind, auch pflegebedürftige, während in der anderen viele gesunde sind. Wenn wir dies ohne eine neue Finanzierung auf den Weg brächten, dann würden diejenigen Krankenkassen, die es schon heute schwer haben, weil sie mehr als ein Drittel aller älteren Menschen zu versorgen haben, noch höhere Beiträge erheben müssen und in noch größere Schwierigkeiten kommen. Deshalb ist es gerecht, was wir machen. Alle zahlen den gleichen Anteil von ihrem Einkommen für die Finanzierung der Leistungen. Wir werden das Geld über den Fonds so verteilen, dass dahin, wo kranke Menschen sind, mehr Geld fließt als dorthin, wo gesunde Menschen sind. Dann haben wir auch die Basis für eine fairere und gerechtere Finanzierung im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung. Danke schön. ({10})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDPFraktion. ({0})

Dr. Claudia Winterstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003661, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin Schmidt, der Countdown läuft: Der Gesundheitsfonds steht kurz vor seiner Einführung leider, muss ich sagen. Während Sie das als Erfolg feiern, will ich hier heute noch einmal vor diesem sozialpolitischen Experiment warnen. Schon vor zwei Jahren haben wir an dieser Stelle über den Gesundheitsfonds debattiert. Schon vor zwei Jahren haben praktisch alle Gruppen und Verbände aus dem Gesundheitswesen den Fonds abgelehnt. Aber auch die Experten konnten Sie nicht überzeugen. Ihr Gesundheitsfonds gleicht einem - das sage ich insbesondere als Haushälterin - finanziellen Blindflug, Frau Ministerin. ({0}) Über den Fonds sollen mehr Steuergelder in das Gesundheitssystem fließen. 4 Milliarden Euro sollen es im nächsten Jahr sein, im Jahr darauf dann 5,5 Milliarden Euro, bis der Zuschuss auf 14 Milliarden Euro jährlich angewachsen ist. Allein bis dahin werden insgesamt 75 Milliarden Euro in den Fonds fließen. Das ist eine verdammt schwere Hypothek für alle zukünftigen Haushalte. Vielleicht sollten Sie auch einmal daran denken. Über die Erstausstattung des Fonds bei seinem Start im Januar haben Sie sich offenbar überhaupt noch keine Gedanken gemacht. Aber es geht auch nur um 13 Milliarden Euro; das ist ja nicht so dramatisch, Frau Ministerin. ({1}) Sie haben versprochen: Durch die verstärkte Steuerfinanzierung sollen die Beiträge der Versicherten stabil gehalten werden. Aber genau das passiert nicht. Die Beiträge steigen und steigen - trotz mehr Steuergeld. ({2}) Schon jetzt liegt der Durchschnittsbeitragssatz mit 14,9 Prozent auf Rekordhoch, und viele Experten gehen davon aus, dass der Beitragssatz mit dem Fonds demnächst auf 16 Prozent steigen wird. ({3}) Damit müssen die meisten Versicherten im nächsten Jahr deutlich mehr zahlen. Diese Versicherten müssen sich von Ihnen eigentlich betrogen fühlen; denn Sie selbst haben in der Vergangenheit immer wieder zum Wechsel in die günstigeren Krankenkassen aufgerufen. Wer Ihrem Ruf gefolgt ist, der wird jetzt bestraft. ({4}) Zur Situation der Krankenkassen. Sie versetzen die Kassen in eine doppelte Unsicherheit. Die Kassen wissen erst im Dezember, wie hoch die Zuweisungen aus dem neuen Fonds überhaupt sein werden. Erst dann wird klar sein, ob sie von ihren Versicherten noch einen Zuschlag erheben müssen. Manche Kassen, denen es heute ganz gut geht, können im nächsten Jahr schon in der Insolvenz stecken. Dabei müssen die Kassen sowieso schon genug neue Belastungen schultern: Ärztehonorare, Klinikfinanzierung, Arzneimittelpreise, Gesundheitskarte. Es sind Milliardensummen, die die Krankenversicherungen stemmen müssen. Dazu kommen die Bürokratiekosten aus dem Gesundheitsfonds. Außerdem sorgen Sie bei den Kassen für eine geradezu absurde Wettbewerbssituation. Es wird in Zukunft einen Wettbewerb um Kranke geben, allerdings nur um jene Patienten, für die die Kassen Zuweisungen aus dem Fonds erhalten, weil sie unter einer von 80 bestimmten Krankheiten leiden. Damit profitieren die Kassen von kranken Versicherten, und das senkt, denke ich, den Anreiz, Präventionsmaßnahmen anzubieten. Damit sind wir beim Thema Prävention; das ist ja auch Ihnen ein wichtiges Anliegen. Für Ihre Präventionskampagne planen Sie 2,5 Millionen Euro ein, für den Aktionsplan „Gesundheitliche Prävention durch ausreichende Bewegung und ausgewogene Ernährung“ noch einmal 5 Millionen Euro, dazu weitere Millionenbeträge für die Öffentlichkeitsarbeit. Frau Ministerin, alle diese Kampagnen sind Aktionismus auf Kosten des Steuerzahlers, vor allem um davon abzulenken, dass Sie die wirklichen Probleme wie die Schaffung einer soliden Gesundheitsfinanzierung nicht in den Griff bekommen. Sie haben eben von „leistungsfähig“ gesprochen. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was hier wirklich leistungsfähig sein soll. Eigentlich wird uns immer wieder nur das Gegenteil gezeigt. Wir brauchen einen grundlegenden Systemwechsel zum privaten Krankenversicherungsschutz mit sozialer Absicherung für alle. ({5}) Dieser Sozialausgleich soll aus Steuergeldern finanziert werden, was in dem Fall auch sinnvoll ist. Es macht aber überhaupt keinen Sinn, weiter Geld in das bestehende, marode System hineinzupumpen. Eine Geldspritze wirkt da eher wie Gift. Dadurch werden die Mängel nur noch weiter verstetigt, und der Druck, eine grundlegende Reform durchzuführen, sinkt. Wir lehnen den Gesundheitsfonds ab. Der Fonds löst nicht die Probleme unseres Gesundheitssystems, sondern schafft im Endeffekt neue. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Zöller für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Wolfgang Zöller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002603, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Grüß Gott, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann hier Kritik anbringen, aber eines ist unbestritten: Die Koalition hat in den vergangenen drei Jahren in der Gesundheitspolitik wohl den größten Aufgabenkatalog erledigt, der je in einer Legislaturperiode erledigt wurde. ({0}) Die Gesundheitsreform ist zudem mit erheblichen Verbesserungen für Patienten und Versicherte verbunden. ({1}) Ich kann das kurz aufzählen - ich mache es nur stichpunktartig -: Es gibt keine neuen oder höheren Zuzahlungen. Es gibt sogar mehr Leistungen, wie zum Beispiel für Schmerztherapien und Palliativmedizin. Niemand bleibt ohne Versicherungsschutz. Es gibt mehr Wahlrechte bei den Versorgungsformen und zum Beispiel mehr Wahlmöglichkeiten bei der Frage, welche RehaEinrichtung man besuchen möchte. Wir haben auch eine Reform bei der ärztlichen Vergütung zustande gebracht, die eine deutliche Verbesserung der Honorare vorsieht. Neben diesen unbestreitbaren Verbesserungen bei der Krankenversicherung haben wir erstmals seit zwölf Jahren die Leistungen der Pflegeversicherung ausgeweitet und verbessert. Ich nenne das Stichwort Demenzkranke. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben auch auf Berichte über Missstände in Heimen reagiert. Wir haben die Qualitätssicherungsprüfungen geändert. Die Heime werden nicht wie früher alle fünf Jahre, sondern jetzt jährlich geprüft, und die Prüfungen können - das halte ich für wichtig - auch unangemeldet durchgeführt werden. Endlich wird auch mehr Wert auf den Zustand der Pflegebedürftigen gelegt und weniger auf die Dokumentations- und Aktenlage. ({2}) Die Transparenz wird auch durch die Veröffentlichung der Prüfergebnisse verbessert. Wir haben noch weitere sogenannte heiße Eisen angepackt. Lange Jahre kontrovers diskutierte Themen wurden mit dem Gewebegesetz und mit dem Gendiagnostikgesetz aufgegriffen und, wie ich meine, vernünftig gelöst. ({3}) Auch das Krankenhausfinanzierungsrahmengesetz wird die Planungssicherheit wesentlich verbessern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei all diesen Reformen bereitet mir allerdings eine Tendenz große Sorge. Es geht darum, dass die Umsetzung gesetzlicher Regelungen nicht zulasten mittelständischer Unternehmer und Leistungserbringer gehen darf. ({4}) Diese sind nämlich das Rückgrat der wohnortnahen, flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Versorgung. ({5}) Ich will in diesem Zusammenhang ganz konkrete Beispiele ansprechen. ({6}) Zunächst zur Ausschreibung von Hilfsmitteln: Es darf doch nicht sein, dass Krankenkassen bei der Ausschreibung eines Rollstuhls vorgeben, Unterlagen in einem Umfang von 297 Seiten beizubringen. Der Umfang des von den Anbietern abgeforderten Kataloges an Belegen ist nahezu grotesk. Geforderte Unterlagen sind - in fünffacher Ausfertigung! -: polizeiliches Führungszeugnis, Versicherungsbestätigung, Bescheinigung über gezahlte Versicherungsbeiträge für Sozial- und Haftpflichtversicherung, Auszug aus dem Berufs- und Handelsregister, Mitteilung der IK-Nummer, Auszug aus dem Gewerbezentralregister, Unbedenklichkeitsbescheinigung der Finanzämter, Unbedenklichkeitsbescheinigung der Sozialversicherungsträger, Nachweis über Gewerbeanmeldung, Kopie des Meisterbriefes - notariell beglaubigt -, ({7}) Handwerkskarte, Nachweis über Qualitätsmanagement nach DIN-ISO ({8}) - wenn Sie beim Zuhören keinen Fehler machen, werden Sie gleich die Lösung hören -, Kopien der Ausbildungszertifikate aller Mitarbeiter, Kopie des Mietvertrages des Geschäftes usw. ({9}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, welcher kleine mittelständische Betrieb hat die Zeit und das Personal dafür, um das überhaupt durchzuführen? ({10}) Ich sage Ihnen: Bei solchen Vorgaben braucht man sich nicht darüber zu wundern, dass die Verwaltungskosten steigen. Zu dem jetzt hier von Ihnen erhobenen Vorwurf, die Regierung trage dafür die Verantwortung, kann ich nur sagen: Ich hätte Ihnen ein bisschen mehr Sachkenntnis zugetraut. Sie wissen genau, dass für die Ausschreibung die Selbstverwaltungsorgane zuständig sind. ({11}) Wir haben doch nicht die entsprechenden Vorschriften gemacht. Wir machen aber Verbesserungsvorschläge. ({12}) So schlagen wir vor, eine Rechtsgrundlage zu schaffen, die dies wesentlich vereinfacht. Außerdem sollen die Hilfsmittelerbringer schon von Anfang an in die Entscheidungen eingebunden werden. Wir werden zum Beispiel die Übergangsregelung verlängern. So werden während dieser Frist für alle Leistungserbringer, die am 31. März 2007 über eine Zulassung verfügten, die gesetzlichen Eignungsanforderungen als erfüllt angesehen. Wir werden auch dafür sorgen, dass zum Beispiel Krankenkassen und Leistungserbringer endlich gemeinsame Empfehlungen erarbeiten, für welche Hilfsmittel Ausschreibungen überhaupt notwendig und sinnvoll sind. Nicht immer sind Ausschreibungen sinnvoll. ({13}) Ähnliches gilt für den Bereich der Arzneimittel. Wir werden dafür sorgen, dass bei Rabattverträgen geklärt wird, dass das Vergaberecht als Rechtsgrundlage gilt. Ich appelliere an die Krankenkassen, Ihre Ausschreibungsunterlagen sorgfältig vorzubereiten und auch die Vorgaben für Ausschreibungsfristen zumutbar zu gestalten. Ansonsten überfordern wir besonders mittelständische Unternehmen, die mangels personeller Kapazität nicht in der Lage sind, die Anforderungen in so kurzen Zeitabständen zu erfüllen. ({14}) Wir werden dafür sorgen, dass die Entscheidungswege bei Kosten-Nutzen-Bewertungen von Arzneimitteln noch transparenter werden und dass die betroffenen Hersteller besser mit eingebunden werden. Lassen Sie mich an dieser Stelle einige Worte zum Thema Versandhandel mit Arzneimitteln sagen. Wir setzen auf die seit vielen Jahrzehnten bewährte Qualität und Sicherstellung der Versorgung durch mittelständische Apotheken. Deshalb setzen wir uns auch dafür ein, dass eine flächendeckende Versorgung nicht durch einen den Wettbewerb verzerrenden Versandhandel gefährdet wird. ({15}) Pick-up-Stationen und Arzneimittelautomaten widersprechen den hohen qualitativen Anforderungen, die wir an die Abgabe von Arzneimitteln stellen. ({16}) Die Aufhebung des Fremdbesitzverbotes, die zu Apothekenketten führen würde, lehnen wir ebenfalls ab, da dann kein fairer Wettbewerb stattfinden könnte. Die Apothekenketten könnten auch die Arzneimittelversorgung in der Fläche gefährden, weil gewinnorientierte Ketten sich natürlich mehr auf Ballungsgebiete konzentrieren würden, da diese attraktiver sind als die ländliche Versorgung. Ähnliches gilt auch für die zunehmende Übernahme des Betriebes medizinischer Versorgungszentren durch Kapitalgesellschaften. Die Praxis des freiberuflich niedergelassenen Arztes ist für uns ein Grundbaustein unseres Gesundheitssystems. Sie ist ein Garant für die qualitativ hochwertige und flächendeckende ambulante ärztliche Versorgung. Medizinische Versorgungszentren können den freiberuflich tätigen Haus- und Facharzt nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, nämlich das Wahrnehmen von Verantwortung. Das gilt besonders für Akteure in unserem Gesundheitswesen. Deshalb sei mir eine Bemerkung an die Adresse der Krankenkassen erlaubt: Große Kassen haben in den letzten Wochen reihenweise wichtige Versorgungs- und Strukturverträge gekündigt. Betroffen ist zum Beispiel die Sozialpsychiatrievereinbarung zur Versorgung Zehntausender Kinder und Jugendlicher. Diese Vertragskündigungen erfolgten, ohne den betroffenen Kinder- und Jugendpsychiatern und ihren nichtärztlichen Fachmitarbeitern, vor allem aber auch ohne den betroffenen Patientenkindern sowie deren Eltern irgendeine Perspektive aufzuzeigen. Die Begründung dieser Vertragskündigungen bestand lediglich in dem schlichten Verweis auf eine angeblich völlig unwägbare Finanzsituation zu Beginn des kommenden Jahres. ({17}) - Auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. ({18}) Die gleichen Kassen, die dies behaupten, sehen sich aber sehr wohl in der Lage, auf den Euro genau zu beziffern, wo ihnen durch bestimmte Detailregelungen Benachteiligungen drohen. Wenn ich das auf den Euro genau berechnen kann, dann kann ich zumindest auch wissen, was mir finanziell zur Verfügung steht. ({19}) Ich appelliere ausdrücklich an die Verantwortlichen der Kassen und an die Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, in allererster Linie ihren Versorgungsauftrag zum Wohle der Patienten ernst zu nehmen und zu erfüllen. Vielen Dank. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Frank Spieth. ({0})

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn man die Rede meines Vorredners, Herrn Zöller, gehört hat, kann man sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass jemand aus der Opposition gesprochen hat und nicht ein an der Regierungsverantwortung maßgeblich Beteiligter. ({0}) Wir werden nächste Woche im Zusammenhang mit dem Antrag der FDP zum Gesundheitsfonds Gelegenheit haben, den einen oder anderen Punkt zu vertiefen. Es hat mich schon an manchen Stellen überrascht, was Herr Zöller eben zum Thema Apotheken und Versandhandel gesagt hat; denn das ist eine 180-Grad-Wende der CDU/ CSU in dieser Frage. Aber wir werden dazu noch kommen. ({1}) Meine Damen und Herren, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist seit dem 1. April 2007 in Kraft. Zentrale Elemente der damit verbundenen Reformen greifen aber erst im kommenden Jahr. So wird 2009 - es ist schon angedeutet worden - das Jahr, in dem die wesentlichen Folgen für uns alle über den Gesundheitsfonds spürbar werden. Mit dem Gesundheitsfonds werden die zukünftigen Kostensteigerungen einseitig den Versicherten aufgelastet, und die Arbeitgeber werden nicht mehr daran beteiFrank Spieth ligt. Diese Politik ist nicht neu. Ein Beispiel: Bis zum 30. Juni 2005 hatte jede Krankenkasse einen Beitragssatz, den Versicherte und Arbeitgeber halbe-halbe zahlten. Zum Juli 2005 führten SPD und Grüne einen Zusatzbeitrag für Versicherte zur Finanzierung von Zahnersatz und Krankengeld in Höhe von 0,9 Prozent ein. Dies kostet die Versicherten bisher jährlich 9 Milliarden Euro. Jeder Rentner und jeder Arbeitnehmer zahlt deshalb jährlich im Durchschnitt 180 Euro zusätzlich zum Krankenversicherungsbeitrag. Auf dem Rücken der Versicherten werden die Arbeitgeber um läppische 4,5 Milliarden Euro entlastet. Dieser falsche Weg der Lohnnebenkostensenkung wird mit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz konsequent fortgesetzt. Mit dem Gesundheitsfonds zum 1. Januar 2009 legt zum ersten Mal die Regierung einen einheitlichen Beitragssatz fest. Dennoch bleibt es bei diesem Sonderbeitrag von 0,9 Prozent für Versicherte. Was in der Öffentlichkeit bisher aber weitgehend übersehen wurde: Die Regierung wird erst dann gezwungen, den - paritätisch von Arbeitgebern und Versicherten zu zahlenden - Beitrag wieder zu verändern, wenn die Ausgaben nur noch zu 95 Prozent durch Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds gedeckt werden. Im Ergebnis werden erst 2013 auch die Arbeitgeber wieder mit Beitragserhöhungen rechnen müssen. Da die Kosten im Gesundheitswesen auch zukünftig stärker steigen werden als die Löhne und Renten, wird es schon sehr bald bei allen Krankenkassen ein erhebliches Finanzierungsproblem geben. Wer finanziert dann die fehlenden Milliarden? Ganz einfach: Die Ausgabensteigerungen werden alleine von Rentnern und Arbeitnehmern ohne Beteiligung der Arbeitgeber bezahlt. Bis zu 1 Prozent des Einkommens, also bis zu einem Fehlbetrag von 10 Milliarden Euro jährlich, wird dann zusätzlich von den Versicherten verlangt. Pro Kopf kostet uns das dann durchschnittlich 200 Euro im Jahr. Herzlichen Glückwunsch, kann ich da nur sagen! ({2}) Sie werden jetzt natürlich dagegenhalten, dass Versicherte bei den Sonderbeiträgen ein Sonderkündigungsrecht haben. Wenn aber alle Kassen diese Beitragserhöhungen durchführen müssen, ist dieses Kündigungsrecht blanker Unsinn. In Ihrem Koalitionsvertrag, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD, ist die Rede von einer „solidarischen und bedarfsgerechten Finanzierung“ der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies wird nach meiner Auffassung mit dem Gesundheitsfonds nicht realisiert. Mit Verlaub: Sie versuchen die Menschen für dumm zu verkaufen. Das wird Ihnen nicht gelingen. ({3}) In der Gesundheit gibt es aber weit mehr Problembaustellen. In der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum und in einkommensschwachen Regionen entstehen immer mehr weiße Flecken. Ihr neuester Lösungsansatz: 2,7 Milliarden Euro mehr für die Ärzte. Das kann man ja machen. Wer mehr Geld mit der Gießkanne verteilt, wird das ärztliche Vergütungsniveau insgesamt erhöhen. Aber er wird das unzureichende ärztliche Angebot in denjenigen Gegenden, die offensichtlich für Ärzte unattraktiv sind, damit nicht verbessern. ({4}) Spitzenverdiener in der Ärzteschaft werden genauso bedient wie der arme Hausarzt auf dem Land. Ich befürchte, dass dieses Geld - abgesehen von einer etwas höheren Vergütung der Ärzte im Osten - im Wesentlichen zu einem Mitnahmeeffekt führt, aber keine Strukturverbesserungen schafft und den Patienten keine Vorteile bringt. ({5}) Die Patienten warten zukünftig wahrscheinlich genauso lange auf einen Termin wie bisher und erfahren nach wie vor eine schlechtere Behandlung als Privatkrankenversicherte. Ich kann mich hier nur der Gesundheitsministerin anschließen: Dies ist ein Skandal. ({6}) Jeden Beitragszahler kostet diese Erhöhung jährlich 50 Euro zusätzlich - ohne Zusatznutzen. Nutzen wird dies offenkundig nur der Koalition. Hier wird Wahlkampf auf dem Rücken der Beitragszahler gemacht. ({7}) - Stellen Sie eine Frage! Dann antworte ich Ihnen gerne. Eine weitere offene Baustelle sind die Entwicklung der Arzneimittelkosten und die Rabattverträge. Ihr Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz hat zunächst zu einer Dämpfung der Preisentwicklung geführt; aber es war nur ein kurzer Effekt. Wir stehen jetzt erneut vor einer Kostenexplosion. Aktuelle Prognosen benennen Kostensteigerungen von bis zu 8 Prozent im kommenden Jahr. Wir haben die absurde Situation, dass im Arzneimittelbereich trotz Rabattverträgen und Festbeträgen die Preise munter weitergaloppieren. Das System der Rabattverträge und die Festbetragsregelungen sind für die Patienten überhaupt nicht mehr durchschaubar. In den Apotheken gibt es immer öfter Konflikte, weil bisher zuzahlungsfreie Medikamente auf einmal wieder zuzahlungspflichtig sind. Neue Rabattverträge werden abgeschlossen, wodurch Arzneien nicht mehr 30 Prozent unter der Festbetragsgrenze abgegeben werden und auf einmal nicht mehr zuzahlungsfrei bereitgestellt werden. Das damit entstehende Durcheinander durchschauen nur noch sehr wenige Fachleute. Es gibt nur eine wirklich sinnvolle Alternative: die Einführung der Positivliste. ({8}) Mit dieser Positivliste könnten wir außerdem den himmelschreienden Unfug beenden, dass der Arzt am Ende des Quartals kaum noch Medikamente verschreiben kann, weil sein Budget ausgeschöpft ist. Die bisherigen Arzneimittelbudgets hatten den Sinn der Kostenbegrenzung. Dies würde sich durch die Positivliste zukünftig erübrigen. Ein weiteres Beispiel für Rabattverträge: Eine Kasse schreibt als Leistung die Bereitstellung von Inkontinenzwindeln aus. Ein Leistungserbringer gewinnt diese Ausschreibung. Folglich ist nur noch dieser zulasten dieser Kasse lieferberechtigt, Herr Zöller. Diese Windel führt er dann aus China ein; sie entspricht den qualitativen Mindestanforderungen. Die gewohnte Windel wird zwar weiter angeboten, muss aber mit erheblichen Zuzahlungen gekauft werden. Auch der benachbarte Sanitätsfachhandel führt die gewohnte Windel. Da dieser Fachhandel aber keinen Vertrag mit der Krankenkasse hat, kann der Patient die dort vielleicht insgesamt preiswertere Windel nicht kaufen, da die Kasse nicht mitzahlt. Schlecht für den Patienten, gut für den neuen Monopolisten, der diesen Rabattvertrag abgeschlossen hat. ({9}) Die minderwertige Windel wird zuzahlungsfrei abgegeben. Bei der höherwertigen Windel wird zugelangt. Auf diese Weise wird kein Wettbewerb zwischen Sanitätshäusern, sondern ein Mittelstandsvernichtungsprogramm organisiert - da haben Sie recht, Herr Zöller -, und das auf dem Rücken und zum Leidwesen der Kranken. Noch ein Wort zur Krankenhausfinanzierung. Die Linke hat einen Antrag zur Beendigung der akuten Finanznöte der Krankenhäuser gestellt. Ich fand es interessant, dass bei der Beratung unseres Antrages im März die Koalitionsfraktionen in diesem Haus mit dem allseits bekannten Vorwurf, wir würden wieder einen Wünschdir-was-Katalog vorlegen, unsere Forderungen abgelehnt haben. Lachen Sie nicht zu früh! Jetzt machen Sie mit dem Krankenhausfinanzierungsrahmengesetz fast eins zu eins das, was wir in unserem Antrag gefordert haben. ({10}) Sie wollen die Erhöhung der Tarife der Beschäftigten außerhalb der bisherigen Deckelung finanzieren. Sie wollen zusätzliche Pflegekräfte einstellen. Sie wollen einen Krankenhauswarenkorb für die Festlegung der Budgetsteigerung einführen. Dies alles sind Forderungen, die wir gestellt haben. Dies war kein Wünsch-dir-wasKatalog, sondern sind Ihre konkreten Vorschläge. So viel zum Thema Sozialismus. Der ist bei Ihnen offenkundig gut zu Hause.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Spieth, beim Punkt Sozialismus müssen Sie jetzt zum Ende kommen.

Frank Spieth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003849, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende. ({0}) Was wir allerdings ablehnen, ist die Tatsache, dass Sie das Problem des Investitionsstaus nicht gelöst haben. Darüber werden wir weiter diskutieren müssen. Ich sage: Der Fonds, der jetzt kommt, ist unsozial, ungerecht und nicht mit den Linken zu machen. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für Bündnis 90/Die Grünen hat Birgitt Bender jetzt das Wort.

Birgitt Bender (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003502, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist interessant, dass wir in einer zehnminütigen Rede des Vertreters der CSU nicht einmal das Wort Gesundheitsfonds gehört haben. ({0}) Sie überlassen die Verteidigung dieser verkorksten Reform komplett der Bundesgesundheitsministerin. Von der hören wir seit dem letzten Jahr gebetsmühlenartig, diese Reform sei toll, weil sie nicht mit zusätzlichen Belastungen für die Versicherten verbunden sei. Dazu kann ich nur sagen: Das erweist sich spätestens jetzt als Falschaussage. Es ist doch so: Wir werden im kommenden Jahr einen noch nie dagewesenen Beitragssatzsprung erleben. Abhängig davon, ob und wie sich die Bundesregierung mit den Ländern bei der Krankenhausfinanzierung einigt, wird der Beitragssatz auf ein Allzeithoch von 15,5 oder gar 16 Prozent klettern. Damit werden die Versicherten und ihre Arbeitgeber - Herr Zöller, auch das ist ein Mittelstandsproblem - jeweils mit 3 bis 5 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Das hat die Bundesregierung aufgrund ihrer Reformversäumnisse zu verantworten. ({1}) Was haben Sie denn getan? Zur Finanzreform der Krankenversicherung haben Sie überhaupt nichts beigetragen. Die Krankenkassen werden weiterhin fast ausschließlich über lohnbezogene Beiträge finanziert. Es ist immer die Rede von einem steigenden Steuerzuschuss. Wie sieht es damit denn wirklich aus? Auch im nächsten Jahr wird der Steuerzuschuss noch unterhalb des Betrages liegen, den wir im Jahr 2006 schon einmal erreicht hatten. Weiterhin ist es so, dass ausgerechnet die leistungsfähigsten und gesündesten Versicherten am Solidarausgleich nicht beteiligt werden. Das hat zur Folge, dass die Ausgabensteigerungen bei den Arzneimitteln, die Steigerungen bei den Arzthonoraren und auch die möglichen Finanzhilfen für die Krankenhäuser auf den Beitragssatz durchschlagen, und das mit voller Wucht. Die Verantwortung dafür liegt bei Ihnen, meine Damen und Herren von der Großen Koalition. ({2}) Aber auch der Gesundheitsfonds mit seinem Einheitsbeitrag trägt zu den steigenden Belastungen bei. Diese Belastungen werden regional gewiss unterschiedlich verteilt sein. So werden zum Beispiel die Versicherten und Arbeitgeber in Sachsen und Thüringen, die bisher vergleichsweise niedrige Beiträge zahlen, Beitragssatzsteigerungen von bis zu 2 Prozentpunkten hinnehmen müssen. Das entspricht, um das in Zahlen auszudrücken, einer Steigerung der Lohnnebenkosten in diesen Ländern um - vorsichtig geschätzt - 300 bis 400 Millionen Euro. Anders gesagt: Eine völlig irrationale Gesundheitspolitik reißt das wieder ein, was mit Wirtschaftsund Arbeitsmarktförderung mühsam aufgebaut wurde. Ich könnte das auch drastischer ausdrücken, das wäre dann aber unparlamentarisch. Die Beitragssatzsteigerung im nächsten Jahr ist ein erster, aber beileibe nicht letzter Griff in die Taschen der Versicherten. Im darauffolgenden Jahr geht es doch erst richtig los. Ab 2010 soll der Gesundheitsfonds nur noch 95 Prozent der Ausgaben der Krankenkassen finanzieren. ({3}) Die restlichen 5 Prozent müssen die Kassen dann über Zusatzbeiträge bei ihren Versicherten eintreiben. Das bedeutet, dass der Versichertenanteil um weitere 3,5 bis 4 Milliarden Euro angehoben wird. ({4}) In der Summe sind wir dann bei Zusatzbelastungen von wenigstens 7 bis 9 Milliarden Euro, und das bei einer Reform, von der die Ministerin behauptet hat, sie bringe keine zusätzlichen Belastungen. Das ist doch ein schlechter Witz. ({5}) Die Versicherten und Patienten werden nicht nur spüren, dass der Gesundheitsfonds zulasten ihres Geldbeutels geht, nein, sie werden auch Folgen bei der Versorgung spüren. Jede Kasse weiß, dass sie, wenn sie einen Zusatzbeitrag erhebt, raus aus dem Wettbewerb ist. Also wird sie alles tun, um das zu vermeiden. ({6}) - Herr Zöller, die Auswirkung wird Schwachsinn sein. Die Folge wird ein massives Sparregime sein. Das heißt, freiwillige Leistungen werden abgebaut, genehmigungspflichtige Therapien nicht genehmigt und Investitionen in neue Versorgungsformen stark gedrosselt. Es wird eine Dominanz des Preises gegenüber dem Qualitätswettbewerb geben. Die seit dem Jahr 2000 entstandenen Spielräume für Vertragsgeschehen, die auch Sie von der Union inzwischen wollen, werden dadurch konterkariert. Es wird so sein, dass Gesundheitsfonds und Zusatzbeitrag wie ein Betondeckel über dem Gesundheitswesen liegen. Da wird sich nichts mehr bewegen. ({7}) Soll heißen, Ihre Reform führt zu einer Rekordbelastung der Versicherten und zu einem Abbau der Versorgungsqualität. Deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Im nächsten Jahr werden sich die Gesundheitsministerin und Sie alle noch wünschen, Sie hätten das Wort Gesundheitsfonds nie gehört und nur schlecht geträumt. Ich sage Ihnen: Das Erwachen wird böse sein. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Carola Reimann hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Man wundert sich. Das Wort Haushalt ist in Ihrer Rede, glaube ich, gar nicht gefallen, Frau Bender. Dabei führen wir doch eine Haushaltsdebatte. ({0}) Der vorliegende Einzelplan 15 für das Jahr 2009 sieht mehr Mittel für Gesundheit vor. Das ist erfreulich, insbesondere weil der Ausgleich für die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben, die von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden, um 1,5 Milliarden Euro steigt. Dieser Ausgleich ist uns deshalb so wichtig, weil er für eine gerechtere Verteilung der Kosten sorgt. Wir müssen davon wegkommen, dass Leistungen, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert, allein von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenversicherung getragen werden. ({1}) Die insgesamt 4 Milliarden Euro, die ab 2009 in den Gesundheitsfonds fließen, sind ein guter Anfang, gleichen die Gesamtausgaben aber nicht aus. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass ab 2010 weitere jährliche Steigerungen vorgesehen sind. Das entlastet die gesetzliche Krankenversicherung und letztlich den Beitragszahler und die Beitragszahlerin. Es freut mich, dass im Einzelplan ein weiterer Schwerpunkt auf Forschungsvorhaben, Modellprogramme und Maßnahmen der gesundheitlichen Aufklärung gelegt wird. Die Notwendigkeit gesundheitlicher Aufklärung in allen Bevölkerungsschichten und Landesteilen ist für Fachpolitiker immer unumstritten gewesen. Die Äußerungen bayerischer Spitzenpolitiker zur Fahrtüchtigkeit nach Alkoholkonsum müssen auch dem Letzten gezeigt haben, dass mehr Aufklärung dringend erforderlich ist. ({2}) Zurück zum Einzelplan. Wir haben dort für die Bekämpfung des Drogen- und Suchtmittelmissbrauchs gut 9 Millionen Euro und für den Kampf gegen Aids fast 17 Millionen Euro vorgesehen. Die Ministerin hat auf viele bilaterale Projekte in Osteuropa hingewiesen. Bei der Prävention haben wir eine Steigerung um 3 Millionen auf fast 40 Millionen Euro. Das ist gut so. Denn, Frau Kollegin Winterstein, Prävention ist kein Aktionismus. So eine Aussage zeugt von einer atemberaubenden Unkenntnis. Prävention ist der Schlüssel zur Verbesserung der Lebensqualität, zu einem gesunden Aufwachsen unserer Kinder, zu gesundem Altern und natürlich auch zur Entlastung unserer gesetzlichen Krankenkasse. ({3}) Da wir gerade beim Thema Prävention sind: Mehr Mittel im Haushalt sind richtig und wichtig. Noch wichtiger wäre allerdings, dass wir endlich das Präventionsgesetz auf den Weg bringen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, Sie wissen: Wir wollen dieses Präventionsgesetz - gern auch noch mit Ihnen gemeinsam in dieser Legislaturperiode. ({5}) Auch wenn die Finanzen der GKV nicht Teil des Haushalts sind, möchte ich dieses Thema nicht ganz außer Acht lassen. Die Finanzentwicklung der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten Jahren - das muss einmal gesagt werden - ist positiv. Die Kassen haben in den vergangenen vier Jahren Überschüsse erwirtschaftet und konnten so ihre Entschuldung erfolgreich voranbringen. Während die gesetzlichen Krankenversicherungen insgesamt Ende 2003 Nettoschulden in Höhe von 6 Milliarden Euro aufwiesen, hat sich dieser Wert Ende 2007 in ein Nettovermögen von 3,5 Milliarden Euro verwandelt. ({6}) Zum Ende dieses Jahres rechnen wir mit einem ausgeglichenen Finanzergebnis. ({7}) In diesem und auch im kommenden Jahr werden Mehrausgaben auf die gesetzliche Krankenversicherung zukommen. Dafür ist nicht wie oft und viel behauptet der Gesundheitsfonds verantwortlich, sondern ({8}) die sattsam bekannten Entwicklungen im Bereich des medizinischen Fortschritts und der Demografie. Dazu gehören auch die steigenden Arzneimittelausgaben. Kollege Spieth, es lohnt sich, ein bisschen genauer hinzusehen. Durch Festbeträge und Rabattverträge wurde die Arzneimittelversorgung in einigen Bereichen preisgünstiger und effizienter. Bei den neuen innovativen bzw. angeblich neuen Arzneimitteln ist die Ausgabensteigerung zurzeit allerdings ungebrochen. Hier setzen wir auf die Kosten-Nutzen-Bewertung, die wir im Rahmen der Gesundheitsreform eingeführt haben. Wenn sie zügig durchgeführt wird, wird sich an dieser Stelle, wie ich glaube, noch einiges tun. Außerdem wird es zu Mehrausgaben kommen, weil wir gezielte Verbesserungen der Versorgung umsetzen werden. ({9}) Das betrifft den Krankenhausbereich sowie die ambulante ärztliche Versorgung. Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass die wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser schwieriger geworden ist. Die Ursachen dafür sind vielfältig. An erster Stelle und aktuell im Vordergrund stehen die gestiegenen Personal- und Sachkosten. Ein anderer Grund sind die Investitionsrückstände, verantwortet und verursacht von den Ländern, die ihren Verpflichtungen auf diesem Gebiet nicht in ausreichendem Umfang nachgekommen sind. ({10}) Die Folge ist, dass die Krankenhäuser gezwungen sind, notwendige Investitionen teilweise aus den Geldern für die Patientenversorgung zu finanzieren. Dadurch verschärft sich auch die Lage der Beschäftigten, insbesondere der Beschäftigten im Pflegebereich; es hat übrigens schon ein Abbau von Pflegepersonal stattgefunden. Die Ministerin hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem das Ziel verfolgt wird, genau diese Missstände zu beheben. Die Refinanzierung von Tariferhöhungen, ein Förderprogramm zur Verbesserung der Pflegesituation in den Krankenhäusern und der Wegfall des GKV-Rechnungsabschlags sind angesichts der Herausforderungen, vor denen wir im Krankenhausbereich stehen, die richtigen Maßnahmen. Aber auch an dieser Stelle sage ich: Das allein reicht nicht aus. Die Länder sind für die Investitionen in den Krankenhäusern verantwortlich. Auch hier muss sich etwas tun. ({11}) Vor diesem Hintergrund hat die Ministerin absolut recht, wenn sie gemeinsam mit den Ländern im Hinblick auf die Krankenhausinvestitionen eine verbindliche Lösung anstrebt. Es hilft nämlich nicht, wenn mit dem Geld, das zusätzlich in die Versorgung fließen soll, letztDr. Carola Reimann lich wieder die mangelnde Investitionsbereitschaft der Länder aufgefangen werden muss. Das kann nicht in unserem Interesse und nicht im Interesse der Patienten und der Beschäftigten sein. Der zweite Punkt, den ich genannt habe, betrifft die Verbesserungen bei der Ärztevergütung. Nun schaffen wir das, was die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte immer gefordert haben: ein kalkulierbares, gerechteres und transparentes Honorarsystem. Das zwischen Ärzten und Kassen ausgehandelte Ergebnis bedeutet für die niedergelassene Ärzteschaft eine kräftige Erhöhung der Honorare. Unser Ziel und unser Wunsch ist, dass sich die bessere und gerechtere Vergütung auch positiv auf die Versorgung der Patientinnen und Patienten in den Arztpraxen auswirkt; auch darauf hat die Ministerin hingewiesen. Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir sind uns in diesem Hause einig, dass diese Verbesserungen unverzichtbar sind, sowohl im Interesse der Versicherten, die auch weiterhin die bestmögliche Versorgung erhalten sollen, als auch im Interesse der vielen Beschäftigten im Gesundheitswesen, die gute Bedingungen brauchen, um ihre Arbeit gut erledigen zu können. Es wäre verantwortungslos, ausgerechnet an dieser Stelle zu sparen. Jeder weiß: Zusätzliche Ausgaben haben natürlich Auswirkungen auf den Beitragssatz. Nur in den Traumwelten der Opposition scheinen Leistungsverbesserungen mit Beitragssatzsenkungen einherzugehen. ({12}) Wir allerdings machen eine Politik für die Realität. ({13}) Natürlich müssen wir die Belastungen der Beitragszahler im Auge behalten. Die SPD hat schon bei der letzten Gesundheitsreform auf eine umfangreichere Steuerfinanzierung gedrängt, um die Beitragszahler zu entlasten. Leider stieß dies bei unserem Koalitionspartner auf Ablehnung. Für uns jedenfalls steht das Thema „Entlastung der Beitragszahler“ nach wie vor auf der Tagesordnung. ({14}) Bereits im Mai dieses Jahres haben wir ein Konzept zur Senkung der Sozialabgaben vorgelegt. Natürlich streben wir auch weiterhin die Bürgerversicherung an, die sich, wenn es zu einer Einbeziehung weiterer Einkommensarten käme, entlastend auf die Höhe des Beitragssatzes auswirken würde. ({15}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben ein funktionierendes Gesundheitssystem mit einer hochwertigen Versorgung und weit über 4 Millionen Beschäftigten, die Tag für Tag engagiert arbeiten. Um dies zu erhalten und zukunftssicher zu machen, müssen wir zusätzliche Mittel bereitstellen. Denn nur so können wir auch in Zukunft den Zugang aller Bürger unabhängig vom Geldbeutel zu einem modernen, leistungsfähigen Gesundheitssystem gewährleisten. Das ist und bleibt für uns Sozialdemokraten der Anspruch. Danke. ({16}) - Dann klatscht auch! ({17})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Daniel Bahr für die FDPFraktion. ({0})

Daniel Bahr (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat die Bundeskanzlerin ihre Rede hier im Deutschen Bundestag gehalten. Ich habe erwartet, dass sie zu den großen Projekten der schwarz-roten Koalition im letzten Jahr ihrer Amtszeit noch einiges sagt. ({0}) Sie hat in der Tat einiges zur Gesundheitspolitik gesagt. Sie hat aber - deshalb muss ich Sie ergänzen, Frau Kollegin Bender - nicht ein Mal das Wort Gesundheitsfonds in den Mund genommen. Ich finde, das ist bemerkenswert und zeigt, dass das Herzstück der großen Gesundheitsreform, welches eines der Glanzstücke der Leistungsfähigkeit dieser schwarz-roten Bundesregierung sein sollte, infrage steht und man sich die Frage stellt, ob sich die Große Koalition für diese gigantische Umverteilungsbehörde nicht mittlerweile schämt. ({1}) Frau Schmidt hat gesagt, durch den Steuerzuschuss in Höhe von 4 Milliarden Euro würden die Beitragszahler entlastet. In der Koalitionsvereinbarung hat sich die Große Koalition im Zusammenhang mit der Gesundheitsreform zwei Ziele gesetzt, dass nämlich erstens die Beitragssätze zur gesetzlichen Krankenversicherung stabil gehalten werden oder sinken sollen und dass zweitens der Steuerzuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung, den es schon vorher gab, auf Null sinken soll. Dazu muss ich sagen, dass Sie an den selbst gesetzten Zielen gescheitert sind. ({2}) Sie haben einen neuen Zuschuss eingeführt. Wenn man sich das über die gesamte Legislaturperiode anschaut, ist dieser aber geringer als das, was Sie zu Beginn der Legislaturperiode vorgefunden haben. De facto entziehen Sie den gesetzlichen Krankenversicherungen fast 4 Milliarden Euro. Sie tun jetzt so, als ob Ihre große Leistung in dem neuen Steuerzuschuss bestehe, um die Daniel Bahr ({3}) Beitragszahler zu entlasten. Dazu muss ich sagen, dass Ihr Hin und Her bei dem Steuerzuschuss für die gesetzliche Krankenversicherung mit dafür verantwortlich ist, dass die Beitragssätze für die Krankenversicherten auf Rekordniveau gestiegen sind. Meine Damen und Herren, Verlässlichkeit sieht anders aus. ({4}) Obwohl Sie mittlerweile wieder einen Steuerzuschuss von 4 Milliarden Euro in das gesetzliche Krankenversicherungssystem schießen, steigen die Krankenkassenbeiträge aktuell und im nächsten Jahr weiter. ({5}) Schuld daran ist Ihre Politik. Sie haben die Mehrwertsteuer erhöht. Sie haben ein Arzneimittelspargesetz verabschiedet, durch das angeblich die Arzneimittelausgaben sinken sollten. Stattdessen steigen sie um etwa 6 Prozent. ({6}) Die Krankenhausausgaben steigen schon in diesem Jahr, und die ärztliche Vergütung steigt auch. Zudem steigen die Ausgaben für Hilfsmittel und Heilmittel. Sie wollten dazu beitragen, dass die Kosten nicht weiter steigen. Das haben Sie aber nicht geschafft. Im Gegenteil, die Kostenentwicklung geht weiter nach oben. ({7}) Frau Kollegin Reimann, dafür ist die demografische Entwicklung noch nicht verantwortlich. Diese kommt erst auf uns zu. Die Kanzlerin hat in der gestrigen Debatte gesagt - das haben wir als FDP immer schon gesagt -, dass die Kosten angesichts einer alternden Bevölkerung natürlich steigen werden und man die Versicherten darauf vorbereiten muss, dass demnächst, wenn wir mehr Ältere bei weniger jungen Beitragszahlern haben werden, Gesundheit nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Das stellt niemand infrage. Die Frage ist aber, ob Sie etwas gegen die steigenden Kosten einer alternden Gesellschaft unternehmen. Im Gegenteil, Sie häufen doch weiter Lasten für die kommenden Generationen an. ({8}) Die private Krankenversicherung, die immerhin für die steigenden Kosten einer alternden Bevölkerung Rückstellungen bildet, wird durch Ihre Politik schleichend ausgetrocknet. Immer weniger Menschen werden die Möglichkeit haben, durch den Aufbau eigener Altersrückstellungen Vorsorge für die aufgrund einer alternden Bevölkerung steigenden Kosten zu betreiben. Liebe Frau Schmidt, das ist der Vorteil der Kapitaldeckung, die wir dringend auch für die Krankenversicherung brauchen, weil die alternde Bevölkerung eine Last ist, die auf der Krankenversicherung lastet. Die umlagefinanzierte gesetzliche Krankenversicherung wird diese Probleme nicht lösen. ({9}) Ihre Politik wird dazu führen, dass es für den Beitragszahler immer teurer, aber nicht besser wird. Die Beitragszahler werden von Ihnen zur Kasse gebeten, damit Sie die Umsetzung einer verkorksten Gesundheitsreform noch angehen können. Sie erkaufen sich die Ruhe bei Ärzten und Krankenhäusern derzeit mit Versprechungen, dass es mehr Geld gebe, nur damit Sie still und leise eine verfehlte Gesundheitsreform auf den Weg bringen können, die die Versorgungsqualität in Deutschland verschlechtern wird, weil sie in Wahrheit den Weg für ein staatliches und zentralistisches Gesundheitswesen ebnet. ({10}) Das alles ist in den drei Jahren eines Wirtschaftsaufschwungs geschehen. Wir erlebten Beitragssatzsteigerungen bei Renten-, Pflege- und Krankenversicherungen trotz Wirtschaftsaufschwung. Was steht uns aber bevor, wenn die wirtschaftliche Entwicklung in eine schwierigere Phase kommt? ({11}) Dann haben wir zwar eine kurzfristige Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags erlebt, danach aber werden die Arbeitslosenversicherungsbeiträge wieder deutlich steigen, und mitnichten werden Renten-, Pflegeoder Krankenkassenbeiträge sinken. Das heißt, durch Ihre Politik wird die Gesamtbelastung durch die Lohnzusatzkosten immer weiter steigen. Nur weil Sie in der schwarz-roten Koalition nicht den Mut zu wirklichen Strukturreformen haben, werden die Lasten für die kommenden Generationen und Beitragszahler weiter wachsen. ({12}) Sie tun jetzt so, als wenn Sie der Kämpfer für die Krankenhäuser und Ärzte seien, Frau Schmidt. Sie haben doch dazu beigetragen, dass die Finanzentwicklung bei den Krankenhäusern so ist, wie sie ist. Sie haben doch durch einen Sanierungssparbeitrag, durch die Mehrwertsteuererhöhung und viele andere Maßnahmen die Krankenhäuser erst in diese finanziell schwierige Lage gebracht, in der sie sich jetzt befinden. Jetzt wollen Sie für das Versprechen, mehr Geld bereitzustellen, wieder gefeiert werden. Das ist völlig unehrlich. Ein kurzer Punkt noch. Herr Kollege Zöller, Medizinische Versorgungszentren und der Versandhandel sind von Ihnen angesprochen worden. Wer hat das denn seinerzeit beschlossen? SPD, Grüne und CDU/CSU haben die Medizinischen Versorgungszentren und den Versandhandel beschlossen. ({13}) Daniel Bahr ({14}) Lieber Herr Kollege Zöller, Sie beklagen jetzt die Probleme, die Sie durch Ihre Beschlussfassung selbst verursacht haben. Sie sollten unseren Anträgen - zum Beispiel hinsichtlich der Ausfransung des Versandhandels - zustimmen; denn die FDP-Fraktion hat im Deutschen Bundestag einen Antrag vorgelegt, mit dem dieses Problem angegangen wird. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Norbert Barthle spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Ministerin! Auch wenn wir jetzt intensiv über den Etat für 2009 reden, will ich noch einmal kurz im Jahr 2008 verharren und daran erinnern, dass der Reichskanzler Otto von Bismarck vor 125 Jahren das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter auf den Weg gebracht hat. Das war die Grundlage unserer heutigen gesetzlichen Krankenversicherung. Nach 125 Jahren ist das inzwischen ein Erfolgsmodell, das nicht nur in unserer nahen Nachbarschaft, sondern auch in der ganzen Welt als solches anerkannt wird. Ich glaube, wir sollten wieder einmal daran erinnern und uns darüber freuen. ({0}) Dieses Erfolgsmodell ist auch ein Verdienst dieses Hauses, dieses Parlaments - natürlich mit Ausnahme der Linken -, der Ministerin und dieser Großen Koalition. In den kommenden Wochen werden wir intensiv daran arbeiten, dass dieses Erfolgsmodell auch in Zukunft ein solches ist. Ich bin davon überzeugt. Lassen Sie mich zum Haushalt kommen. Frau Ministerin hat bereits darauf hingewiesen: Auf den ersten Blick ist das Plus von 53 Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr exorbitant groß. Das widerspricht eigentlich der Haushaltskonsolidierungslinie, auf die wir uns in dieser Großen Koalition geeinigt haben. Auf den zweiten Blick erkennt man aber, dass das an diesem Zuschuss an die GKV liegt, der Jahr für Jahr um 1,5 Milliarden Euro steigt und auch weiterhin steigen wird, Frau Bender. Darauf kann man sich verlassen. Das bedeutet Kontinuität. ({1}) Deshalb muss man an dieser Stelle auch einmal darauf hinweisen, welch großartige sozialpolitische Leistung es ist, mit diesen 4 Milliarden Euro die gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der GKV zu bewältigen. ({2}) In diesem Zusammenhang gab es den Vorschlag aus den Reihen unseres Koalitionspartners, diesen Zuschuss durch Rückgriff auf die Überschüsse bei der Bundesagentur für Arbeit schon im kommenden Jahr noch einmal um 2,5 Milliarden Euro zu erhöhen. Der Kollege Carsten Schneider hat das vorgeschlagen. Ich will Ihnen an dieser Stelle gerne sagen, dass wir von der Union von diesem Vorschlag nicht begeistert sind. Wir sind im Gegenteil der Auffassung: Wenn es Spielräume bei der Bundesagentur für Arbeit gibt - und die gibt es -, dann wollen wir diese nutzen, um das Geld den Menschen zukommen zu lassen, die das zu bezahlen haben, indem wir den Arbeitslosenversicherungsbeitrag möglichst bis auf 2,8 Prozent senken. ({3}) Das ist der bessere Weg. Lassen wir das Geld bei den Bürgerinnen und Bürgern, und nehmen wir es ihnen nicht zuerst aus der Tasche, um es ihnen dann über Umwege wieder zurückzugeben. Das ist nicht unser Rezept. Noch einmal zurück zum Haushalt. Wenn man die 4 Milliarden Euro abzieht, dann verbleiben rund 450 Millionen Euro mehr für das Ministerium. Das bedeutet ein Plus von 12,5 Prozent, womit wir auch über dem vereinbarten durchschnittlichen Zuwachs liegen. Deshalb auch dazu ein paar Worte. Dieser außergewöhnliche Aufwuchs hängt in erster Linie mit Baumaßnahmen zusammen, die einen Einmalcharakter haben - in der mittelfristigen Finanzplanung erscheinen diese erhöhten Beträge schon nicht mehr -, nämlich beim Robert-Koch-Institut und beim PaulEhrlich-Institut. Herr Kollege Schurer, wir Haushälter haben uns im vergangenen Jahr einen Eindruck von den Baulichkeiten verschafft und können Ihnen versichern, dass das gut angelegtes Geld ist. ({4}) Ein weiterer Aufwuchs ist für den Bereich Demenz zu verzeichnen; Frau Ministerin hat darauf hingewiesen. Als Haushälter sagen wir klipp und klar: Auch dazu stehen wir. Wenn das ein Leuchtturmprojekt sein soll, dann muss dieses Leuchtturmprojekt Demenz mit 8,5 Millionen Euro auch leuchten können. Deshalb sind wir froh, dort mehr Mittel zur Verfügung stellen zu können. ({5}) Im Bereich der Prävention beträgt das Plus knapp 4 Millionen Euro. Auch dort steht wesentlich mehr als im vergangenen Jahr zur Verfügung. Das ist auch wichtig. Die wichtigsten Stichworte sind: Ernährung und Bewegung, Blut- und Organspenden, Drogen- und Suchtmittelmissbrauch. Dazu will ich gleich etwas sagen: Es gab in dieser Woche eine Anhörung des Drogen- und Suchtrates zum Nationalen Aktionsplan Alkohol. Diese ergab, dass hinsichtlich der Bekämpfung des Missbrauchs, den es selbstverständlich gibt - insbesondere auch bei Jugendlichen -, ein dringender Handlungsbedarf besteht. Wir sind bereit, etwas dafür zu tun, und unterstützen die Drogenbeauftragte Ihres Hauses. Aber wir warnen davor, bei diesen Maßnahmen über das Ziel hinauszuschießen. Ein Verbot von Werbung und Sponsoring bei Sportveranstaltungen, wie es der Drogen- und Suchtrat vorgeschlagen hat, schadet unserer Vereinskultur. Wenn man Schaden und Nutzen gegeneinander abwiegt, stellt man fest, dass der Schaden überwiegt. Das geht so nicht. ({6}) Im Übrigen warne ich davor, im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol ständig von einer legalen Droge zu sprechen. Ich denke, wir sollten eine distanzierte Position einnehmen. Wein und Bier sind ein Teil unserer Kultur. In diesen Zeiten gehört sogar auch hin und wieder eine Maß Bier zur Kultur. ({7}) Deshalb darf es keine allgemeine Diffamierung geben. Das entspricht nicht der Lebenswirklichkeit in unserem Lande. ({8}) Was das zweite Präventionsprojekt, das Modellprojekt zur Heroinsubstitution anbetrifft, ({9}) muss ich Ihrer Pressestelle ein etwas zweifelhaftes Kompliment machen, Frau Ministerin. Es ist ihr nämlich gelungen, der Union die Verantwortung für das Auslaufen der Zuschüsse zuzuschieben. Im Juli dieses Jahres konnte man in der Frankfurter Rundschau lesen - ich zitiere -: Im Frühjahr beschloss die Koalition auf Druck der CDU, die Bundeszuschüsse für eine kontrollierte Heroinabgabe in sieben Städten zu stoppen. In diesem Zusammenhang muss ich etwas richtigstellen: ({10}) Wir von der Union sind gegen Diamorphin als Regelleistung der GKV. Das ist richtig. Übersetzt heißt das, wir wollen nicht, dass es Heroin auf Krankenschein gibt, auf Dauer, unbegrenzt und ohne entsprechende Ausstiegsszenarien. ({11}) Wir haben aber nichts gegen eine Fortsetzung oder eine Neuauflage - in welcher Form auch immer - solcher Modellversuche, auch unter Kostenbeteiligung des Bundes. Das ist keine Frage. Denn die Hilfe für Abhängige steht im Vordergrund. ({12}) Lassen Sie mich auf das Thema gesetzliche Krankenversicherung zurückkommen. Dieses Erfolgsmodell wird von 87 Prozent der Menschen in unserem Lande genutzt, die in der GKV versichert sind. In der GKV werden erhebliche Mittel in Höhe von rund 150 Milliarden Euro pro Jahr ausgegeben. Das sind - man rechne und staune; so wird es fassbar - 17 Millionen Euro pro Stunde oder 120 Millionen Euro seit Beginn unserer Debatte heute früh, die die Krankenkassen an die Versicherten überweisen. Daraus wird ersichtlich, welch einen hohen wirtschaftlichen Faktor das Gesundheitswesen darstellt. Lassen Sie mich auch im Hinblick auf den Gesundheitsfonds auf einen weiteren Punkt eingehen. In den vergangenen vier Jahren haben die Krankenkassen Überschüsse erzielt. Auch im Jahr 2008 werden die GKVen vermutlich mit einer schwarzen Null abschließen. Bis Ende 2007 konnte sogar ein Nettovermögen von rund 3,5 Milliarden Euro aufgebaut werden. ({13}) Die GKVen sind also nicht schlecht aufgestellt. Deshalb muss der Hinweis erlaubt sein, dass nicht der Fonds ein Kostentreiber ist - sofern es einen gibt -, sondern das System an sich, nämlich die Krankenhäuser und die steigenden Kosten für Pflegepersonal und Ärzte. Das muss in der Öffentlichkeit immer wieder betont werden. Ich vertraue darauf, dass wir in den anstehenden Haushaltsberatungen konstruktiv zusammenarbeiten und die Beschlüsse fassen werden, die für die Menschen im Land wichtig sind. In diesem Sinne bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit. ({14})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Es spricht jetzt der Kollege Dr. Harald Terpe für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bezweifle, dass wir die aktuelle Debatte um die finanzielle Situation der Krankenhäuser und den Protest des Krankenhauspersonals vom September als übertriebene Dramatisierung abtun dürfen, wie es die Krankenkassen zum Teil tun. ({0}) Einer großen Anzahl von Krankenhäusern geht es wirtschaftlich gut. Allerdings gibt es auch eine wachsende Zahl von Krankenhäusern, die rote Zahlen schreiben. 2007 betraf das fast ein Drittel der großen Krankenhäuser. Man kann das nicht einfach damit abtun, dass diese Häuser ineffizient wirtschaften. Überhaupt stellt sich die Frage, ob die Betonung wirtschaftlicher Faktoren unseren Blickwinkel zum Nachteil der Patientennähe, Versorgungsqualität und Personalmotivation nicht zu sehr verengt. In den vergangenen Jahren fehlte eine vorausschauende Krankenhauspolitik. Die Ministerin sprach von Konsolidierung. Das zögerliche Agieren des BMG und der Koalition - nur auf Druck von Außen - zeigt doch, wie sehr der Anspruch verloren geht, die Entwicklung des Krankenhaussektors am Gemeinwohl orientiert zu gestalten. Dabei wurde in Kauf genommen, dass gerade kommunale und freigemeinnützige Krankenhäuser in Schwierigkeiten geraten, während Krankenhäuser in privater Trägerschaft durch Dividenden im zweistelligen Prozentbereich dem solidarisch finanzierten Gesundheitswesen permanent Geld entziehen. Dieser Prozess geht allzu oft zulasten der Patienten und des Personals. Denken Sie nur an die Situation in der Pflege: 50 000 gestrichene Stellen seit 1995! Ihr angekündigtes Sofortprogramm für etwa 20 000 neue Stellen ist diesbezüglich nur ein Eingeständnis einer Fehlentwicklung. Ich bitte, mich nicht falsch zu verstehen: Eine Verbesserung in der Pflege mit mehr Zuwendung und seelischer Betreuung ist vonnöten. ({1}) Aber in einer Haushaltsdebatte ist schon die Frage erlaubt, ob Risiken für die Konsolidierung oder zusätzliche Belastungen wieder nur für die Lohn- und Gehaltsempfänger entstehen. Wie sahen Ihre bisherigen Lösungen aus? Ich nenne das Stichwort „Sanierungsbeitrag“ - er wurde Anfang 2007 von der Koalition beschlossen - und das Stichwort „Finanzierung der Arbeitszeitmodelle“. Sicherlich sind dadurch die wirtschaftlichen Probleme manches Krankenhauses nur verschärft worden, oder den wirklich bedürftigen Krankenhäusern hat das zu wenig genutzt. Die beiden Referentenentwürfe aus dem Sommer zeigen zumindest ein gewachsenes Problembewusstsein, machen aber leider auch sichtbar, dass die Koalition in Bund und Ländern ganz offensichtlich nicht mehr in der Lage ist, eine grundlegende Reform der Krankenhausfinanzierung auf den Weg zu bringen. ({2}) Mit Investitionspauschalen sollten die Krankenhäuser die Möglichkeit erhalten, selbst über die Verwendung der Mittel zu entscheiden, Bürokratieabbau eingeschlossen. Dieser und der Vorschlag, sich auf verbindliche Investitionsquoten festzulegen, wurden - warum auch immer wieder fallen gelassen. Von all den Ankündigungen der Ministerin ist nicht viel übrig. Sie wurden von den Ländern blockiert oder von der Kanzlerin eingesammelt. Sie schlagen vor, die Bindung der Krankenhauspreise an die Grundlohnrate zu beenden. Allerdings ist dies nur die halbe Miete, wenn sie nicht gleichzeitig die Frage beantworten, woher das zusätzliche Geld kommen soll. Auf die Überflüssigkeit des Gesundheitsfonds hat bereits meine Kollegin hingewiesen. Summa summarum: Bringen Sie vernünftige, praxistaugliche Lösungen für den Krankenhaussektor auf den Weg! Bezüglich der Neuordnung der Krankenhausinvestitionen haben wir mit unserem Antrag einen Lösungsvorschlag vorgelegt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Ewald Schurer das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Ewald Schurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003234, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zwei, drei Sätze zu den Ausführungen der geschätzten Opposition sagen. Es gibt zum 1. Januar 2009 - das ist das entscheidende politische Datum - eine neue Konstellation, einen Fonds mit gewissen Kriterien und einer gewissen Konstitution. Es ist das gute Recht der Opposition, Worst-case-Szenarien zu skizzieren, alles schlechtzureden und so zu tun, als ob danach nichts mehr Bestand hätte. Aber auch die Opposition hat die Chance, sich mental auf eine neue Gegebenheit einzustellen. ({0}) Sie sollte nicht nur klagen, sondern versuchen, sich mit den neuen Gegebenheiten zu arrangieren und sie gedanklich weiterzuentwickeln. ({1}) Herr Bahr, Sie als der gesundheitspolitische Experte der FDP haben behauptet, dass die demografischen Entwicklungsprozesse erst noch kämen. Haben Sie denn vergessen, dass sich die demografische Struktur dieser Gesellschaft bereits seit einer Generation - das besagen alle wissenschaftlichen Gutachten - nachhaltig verändert? Wir alle, auch Sie, sind mitten drin. Das ist eine Tatsache, die selbst ein FDP-Spezialist nicht ganz negieren kann. Dass es Verschärfungsprozesse geben wird, sei Ihnen zugestanden. ({2}) Mit den 4 Milliarden Euro - bis zum Jahr 2016 sind das 75 Milliarden Euro -, die in diesen Fonds hineingehen, werden gesellschaftlich notwendige Dinge in der Krankenversicherung finanziert. Es tut dann ein bisschen weh, wenn die geschätzte Kollegin Winterstein einfach dazu übergeht, zu behaupten, alle Präventionsteile seien umsonst und würden nichts bedeuten. Verehrte Frau Kollegin Winterstein, für mich ist Prävention die höchste Form von Vorsorge, die man den Menschen angedeihen kann. Alle Bereiche, die im Haushalt 2009 betitelt sind, sind wichtig. Inhaltlich möchte ich nicht weiter darauf eingehen; das hat die Frau Ministerin bereits ausgeführt. Dieser Haushalt ist in seinen wesentlichen Bestandteilen so wie immer proportioniert. Wir haben 73 Millionen Euro für das Haus selbst. 39,7 Millionen Euro sind für Präventionsmaßnahmen vorgesehen, für sogenannte gesundheitspolitisch relevante Maßnahmen; das ist für mich der wichtigste Teil. Weil Haushaltsdebatten auch immer der Versuch sein sollen, inhaltlich in gesellschaftliche Entwicklungsprozesse einzusteigen, möchte ich einen Punkt hervorheben, der mich als Vater und als jemand, der 20 Jahre lang Jugendarbeit gemacht hat, sehr bewegt: Der Haushalt ist mit 16,3 Millionen Euro für Maßnahmen gegen den Drogen- und Suchtmittelmissbrauch ausgestattet. Das ist ein sehr wichtiger Bereich mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung. Wir haben eine dramatische Entwicklung beim Alkoholmissbrauch durch junge Menschen. Wir wissen aus Studien, dass 9,5 Millionen Menschen in Deutschland in einer riskanten Art und Weise Alkohol genießen und sich in einer Übergangszone befinden, in der die Selbstkontrolle kaum noch oder nicht mehr vorhanden ist. Nach diesen Studien sind in Deutschland bereits 1,5 Millionen Menschen alkoholkrank. Im Jahr 2007 sind fast 20 000 junge Menschen, zum Teil Kinder im Alter von 12, 13 Jahren - in Hamburg, München, Berlin oder anderswo -, mit einer erhöhten Alkoholvergiftung mit Gefahr für Leib und Leben in Kliniken eingeliefert worden. Aus diesem Grund ist das für mich ein Themenfeld im Bereich Prävention, bei dem die Politik nicht zur Tagesordnung übergehen kann. ({3}) Die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen müssen zusammen mit den Gesundheitsinstitutionen neue Wege gehen, um die jungen Menschen zu erreichen. Mit dem bekannten und wirkungslosen pädagogischen Zeigefinger erreicht man niemanden mehr. Es müssen neue Wege begangen werden. Erst gestern habe ich in der Berliner Morgenpost gelesen, dass die Jugendlichen im Wesentlichen zwei Gründe angeben, weshalb sie übermäßig trinken. Der erste ist das Gruppenverhalten. Wenn alle sich zudröhnen, so die Jugendlichen, kann man nicht außen vor bleiben. Der zweite Grund sind Events, bei denen man angeblich einfach mitmachen muss. Diese Entwicklung erschüttert mich nachhaltig. Wir werden die Präventionsmaßnahmen von Bund, Ländern und allen anderen Institutionen in Zukunft noch deutlich ausbauen müssen, weil diesbezüglich Gefahr im Verzuge ist, der man - ich sage es noch einmal - nicht allein mit dem pädagogischen Zeigefinger begegnen kann. Man muss neue Wege gehen, um die jungen Menschen dort zu erreichen, wo sie sind, um den Dialog auf gleicher Augenhöhe zu suchen, und zwar ohne altbiedere Schulweisheiten zu predigen, die nicht zünden. Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Punkt aus dem gesundheitspolitischen Teil ansprechen, der mich sehr bewegt. Wir begleiten die Pflegereform 2008 im Haushalt mit insgesamt 11 Millionen Euro. Das Leuchtturmprojekt Demenz wurde bereits angesprochen. Wir befinden uns in einer gesellschaftlichen Entwicklung mit einer stark steigenden Zahl demenzkranker Menschen. Das ist auch wieder ein Widerspruch zu dem, was Sie als Spezialist hier fachlich unrichtig dargestellt haben. 8,5 Millionen Euro werden allein für das Demenzprojekt ausgegeben. Auch diesbezüglich wollen wir in den nächsten Jahren noch mehr tun. Ganz zum Schluss sei mir noch eine Bemerkung zur Krankenhausfinanzierung erlaubt. Als Gesundheitshaushälter der Sozialdemokratischen Partei unterstütze ich die Ministerin Ulla Schmidt leidenschaftlich in ihrem Bemühen, dafür zu sorgen, dass künftig auch die Länder wieder ihrer Verantwortung für eine duale Krankenhausfinanzierung gerecht werden und mehr investieren. Das gilt vor allem für diejenigen, die es sich leisten könnten, aber auch für diejenigen, die nicht so gut dastehen. Bislang war es eine gute Sache, dass die Länder bei den Krankenhäusern den investiven Teil übernehmen. In Deutschland gibt es 2 100 Krankenhäuser und Kliniken. Die Mittel für die Unterhaltung werden jetzt über die Fallpauschalen generiert. Meine Damen und Herren, es ist nicht seriös, wenn man die Fallpauschalen - über alle Parteigrenzen hinweg - dauerhaft missbraucht, indem man diese Gelder, die für die Durchführung von Leistungen am Patienten oder an der Patientin gedacht sind, in den investiven Bereich abzweigt. Das kann man auf Dauer nicht hinnehmen. Deswegen appelliere ich nachhaltig an das Verantwortungsbewusstsein aller Länder in Deutschland, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die ökonomischen Möglichkeiten zu nutzen und zu einer dualen Finanzierung zurückzukehren. ({4}) Ich hoffe, dass es der Ministerin mit ihren guten Bemühungen gelingt, diese Monistik abzuwenden und eine nachhaltige, duale Finanzierung der deutschen Krankenhauslandschaft zu erreichen, und zwar im Interesse der Menschen, der Patientinnen und Patienten. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Jens Spahn spricht jetzt für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Jens Spahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003638, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist mir ein Anliegen, zu Beginn mit einer Mär aufzuräumen, die die Opposition und viele andere gern verbreiten: Immer wieder muss die Einführung des Fonds zum 1. Januar als Grund für das Steigen der Beiträge herhalten. Das ist aber nicht richtig. Eines ist klar: Wer die gute medizinische Versorgung im Land auf dem heutigen Niveau erhalten und im Rahmen des Notwendigen auch medizinischem Fortschritt zugänglich machen will, der muss den Menschen am Ende ehrlich sagen, dass Gesundheit und damit die Krankenversicherung in Deutschland so oder so teurer werden. ({0}) Herr Kollege Bahr, bei aller persönlichen Wertschätzung muss ich schon sagen: Ich komme bei Ihren Argumentationsmustern nicht mehr so ganz mit. Man kann nicht draußen auf den Veranstaltungen, zum Beispiel auf Ärztetagen, den Ärzten, den Krankenhäusern, Apothekern und den anderen Leistungserbringern sagen, sie müssten mehr Geld für ihre Leistungen bekommen, und später hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages stehen und die Beitragsentwicklung kritisieren. ({1}) Wenn Sie die Beitragsentwicklung kritisieren, dann müssen Sie den Ärzten und Krankenhäusern ehrlich sagen, dass Sie gegen eine Erhöhung der Honorare sind. ({2}) Hinzu kommt: Sie kritisieren die Spargesetze, die wir für die Bereiche verabschiedet haben, in denen es nämlich möglich ist, zu sparen, ohne dass es zulasten der Versorgungsqualität geht, etwa durch die Einführung von Festbeträgen für Arzneimittel. Diesen Dreisatz der FDP kann ich nicht nachvollziehen. ({3}) Zum Kollegen Spieth. Als Sie mit Ihrer Rede begannen, dachte ich: endlich einer, der den Fonds verstanden hat! ({4}) Als dann aber der zweite Teil der Rede kam, hatte ich wieder Zweifel. Natürlich wird es einen Wettbewerb zwischen den Kassen geben, also auch Unterschiede, wie es sie heute gibt. Dieser Wettbewerb wird - das wird gern vergessen - über den Zusatzbeitrag stattfinden, der unterschiedlich hoch sein wird. ({5}) Ich sage Ihnen voraus: So wie es heute Kassen gibt, die einen Beitragssatz von 12,5 Prozentpunkten, 13,1 Prozentpunkten oder 15 Prozentpunkten und mehr erheben, so wird es in Zukunft Kassen geben, die einen Zusatzbeitrag in Höhe von 8 Euro oder 10 Euro pro Monat erheben; es wird aber auch Kassen geben, die in der Lage sein werden, ihren Versicherten 5 Euro, 8 Euro oder 10 Euro pro Monat zurückzuzahlen. ({6}) Die Preissignalwirkung ist dann wesentlich größer, weil jeder wissen wird, wie viel mehr er zahlt. Es wird also ein Wettbewerb stattfinden. Ihre Aussage zur Frage der ärztlichen Vergütung und der Verteilungswirkung halte ich für unredlich. Sie wissen mindestens so gut wie wir, dass gerade die Ärzte im Osten Deutschlands von der Honorarerhöhung profitieren werden, ({7}) dass die Zuwächse bei den Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich dort wesentlich höher als im Westen sein werden. Das geschieht zu Recht; denn der Dienst, den sie in zum Teil sehr dünn besiedelten Gebieten tun, ist nicht einfach. Sie haben das gerade anders dargestellt. ({8}) Zur Aussage der Kollegin Winterstein, dass alle den Gesundheitsfonds ablehnten: Das war schon damals, als die Anhörungen und die Diskussionen darüber stattfanden, nicht richtig; heute ist es noch viel weniger richtig. ({9}) Denn alle, die sich in den letzten zwei Jahren mit dem beschäftigt haben, was wir mit der letzten Gesundheitsreform eingeführt haben - es zeigt Schritt für Schritt Wirkung -, die also unsere Beschlüsse in die Praxis umsetzen, sagen zum Teil mit glänzenden Augen, sie seien dankbar für die zusätzlichen Möglichkeiten, die wir geschaffen haben. ({10}) Das sind Krankenkassenvorstände, die mit großem Engagement in ihrem Hause die Möglichkeiten zu mehr Wettbewerb, die wir ihnen gegeben haben, etwa für Verträge mit den Leistungserbringern und für eine Ausdifferenzierung im Angebot, tatsächlich nutzen wollen; das sind die Ärzte und Ärzteverbände, die die Aufhebung der Monopolstellung der kassenärztlichen Vereinigungen nutzen, um Verträge über zusätzliche Vergütungen für höhere Qualität zu schließen, und das sind die Versicherten, die die Möglichkeit haben, zusätzliche Tarife zu wählen und deswegen wesentlich mehr Wahlmöglichkeiten haben. Es ist aber auch klar - da sind wir ganz ehrlich, und darüber werden wir morgen im Ausschuss weiter diskutieren -, dass es an der einen oder anderen Stelle Nachbesserungsbedarf gibt, weil sich Dinge entwickelt haben, die wir nicht wollten. Das betrifft das Vergaberecht oder etwa Ausschreibungen bei Hilfsmitteln. Ich will gerne noch einen Gedanken des Kollegen Zöller aufgreifen, nämlich die Frage der Versorgungsverträge, die durch die Krankenkassen gekündigt werden. Das gilt für den genannten Bereich, das gilt für den Bereich HIV/Aids und für andere Versorgungsverträge. Es kann nicht sein - das dürfen wir nicht zulassen -, dass die Krankenkassen, die in Zukunft über den Risikostrukturausgleich noch viel mehr Geld als bisher für Menschen mit entsprechenden Erkrankungen bekommen, dieses Geld nicht in die Versorgungsstrukturen stecken. ({11}) Wir müssen das in Zukunft klar regeln. Was die Kassen auch besser verstehen müssen - einige haben es schon verstanden -, ist, dass ein gut versorgter chronisch Kranker auf Dauer - wenn auch vielleicht nicht schon im ersten Jahr - wesentlich günstiger ist, weil keine Nebenerkrankungen nach 5, 10 oder 20 Jahren auftreten. ({12}) In diesem Zusammenhang ist es wichtig, von der Fixierung auf den Beitragssatz der Kasse in dem einen Jahr wegzukommen. Es muss vielmehr ein Controlling geben, das es möglich macht, auch mittel- und langfristig betriebswirtschaftlich zu denken. Abschließend - ich weiß, Frau Präsidentin, Sie haben heute das allerletzte Wort - nehme ich mir das letzte Wort als letzter Redner des Tages heraus und sage im Sinne des baldigen neuen alten Parteivorsitzenden der SPD: Haushalt gut, Gesundheitsfonds gut, Koalition guter Stimmung. ({13})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nun sind amtierende Präsidentinnen bzw. Präsidenten zur Neutralität verpflichtet. Deswegen sage ich an dieser Stelle, dass keine weiteren Wortmeldungen zu dem Einzelplan vorliegen. Wir können aber noch nicht nach Hause gehen, weil wir zwei zusätzliche Punkte behandeln müssen. Interfraktionell ist verabredet, die heutige Tagesordnung um die Beratung zweier Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung zu Anträgen auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erweitern und jetzt sofort als Zusatzpunkte 2 und 3 aufzurufen. - Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({0}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 16/10271 Berichterstatter: Abgeordneter Thomas Strobl ({1}) Wir kommen sofort zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10271, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({2}) Antrag auf Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens - Drucksache 16/10272 Berichterstatter: Abgeordneter Thomas Strobl ({3}) Wir kommen auch hier sofort zur Abstimmung. In seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/10272 empfiehlt der Ausschuss ebenfalls, die Genehmigung zur Durchführung eines Strafverfahrens zu erteilen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Die Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig angenommen. Damit sind wir nun am Schluss der heutigen Tagesordnung. ({4}) Genießen Sie die gewonnenen Einsichten den restlichen Abend - auch gerne in Ihrem Büro. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 19. September 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.