Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/17/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich. Ich wünsche uns einen guten Morgen und gute Beratungen. Wir setzen heute die Haushaltsberatungen - Tages- ordnungspunkte 1 a und b - fort: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 ({0}) - Drucksache 16/9900 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 - Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Wir haben gestern für die heutige Aussprache eine Redezeit von insgesamt acht Stunden beschlossen. Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04. Das Wort erhält als Erster der Kollege Rainer Brüderle für die FDP-Fraktion. ({1})

Rainer Brüderle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003059, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sommerpause ist in jeder Hinsicht vorbei. Die Temperaturen sinken. Der Konjunkturhimmel hat sich mehr als bewölkt. Professor Walter von der Deutschen Bank spricht davon, eine Rezession sei nicht mehr vermeidbar. Ich gehe nicht ganz so weit. Aber der Abschwung hat die Wirtschaft erfasst. Selbst der Finanzminister hat das gestern eingeräumt. Es genügt daher nicht, im Ausland Bella Figura zu machen. Vielmehr muss in der Innenpolitik entschieden gehandelt werden. Dies geschieht nicht. Die drei Koalitionsparteien befassen sich mit sich selbst. Sie starren voller Angst auf ein Kanzlerphantom. Eigentlich regiert schon Oskar Lafontaine dieses Land. ({0}) Er gibt den politischen Takt vor. Die historische Schuld an dieser Entwicklung trägt diese wankelmütige Regierung, der eine Orientierung fehlt. ({1}) Deutschland ist immer gut gefahren, wenn nicht die Ränder, die Extreme die Politik bestimmt haben, sondern die Mitte. Wir stehen für eine Politik der Mitte in Deutschland. ({2}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben versprochen, Deutschland zu reformieren. Sie wollten es für den Welthandel öffnen, das Arbeitsrecht weiter reformieren, die Tarifautonomie zur Flexibilisierung nutzen, die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent senken und den Haushalt konsolidieren. Tatsächlich haben Sie bei jedem Haushalt die Ausgaben erhöht. Was ist geblieben? Sie können doch mit Reformieren nicht allen Ernstes Steuererhöhungen, Mindestlöhne und Zwangsgesundheitsfonds gemeint haben. Das ist keine Reform für Deutschland. ({3}) Ich kann dazu nur sagen: versprochen, gebrochen. Welche auch immer Ihre Lieblingskoalition für 2009 sein mag, mit der FDP kann es keine Fortsetzung dieser falschen Politik geben. ({4}) Herr Müntefering und Herr Steinmeier, Sie machen uns nette Avancen. Aber das ist für mich ein durchsichtiges Manöver zur Ablenkung von Ihrem Linkskurs. In Redetext Hessen wollen Sie mit Frau Ypsilanti Rot-Rot-Grün durchsetzen. Sie träumen von der „Ampel“. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Deutschland links fährt, wird es zum Geisterfahrer. Das kann nicht gut gehen. ({5}) Der weise ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, von Herrn Steinbrück gestern oft zitiert, hat in diesen Tagen wieder bemerkenswerte Vorschläge zur Reform der Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gemacht. Herr Steinmeier, mit einer Helmut-Schmidt-SPD können sich die Liberalen wahrscheinlich auf gemeinsame Ziele verständigen. Aber die heutige SPD ist nicht regierungsfähig. ({6}) Wir lassen uns auch nicht für taktische Spielchen in Anspruch nehmen. Sie wollen weiterregieren, obwohl Sie längst einen Dauerwahlkampf eingeleitet haben. Statt kraftvollen Regierens Dauerwahlkampf - das ist das Letzte, was Deutschland gebrauchen kann. Neuwahl wäre die sauberste Lösung, aber dazu geben Sie den Weg nicht frei. ({7}) Ich habe den Verdacht, Frau Merkel und Herr Steinmeier, dass Sie am liebsten Ihre Kuschelkoalition fortführen würden. ({8}) Die Auswirkungen der Finanzmärkte, die Rückkehr der Inflation, steigende Energiepreise - alles dies müsste die Regierung zum Handeln veranlassen. Wir marschieren auf eine Versorgungslücke im Energiesektor zu. Es gibt kein nationales Energiekonzept; nichts geschieht in diesem Sektor. Alle Kernkraftwerke zu schließen, neue und effiziente Kohlekraftwerke zu verhindern, beim Gas einseitig auf Russland zu setzen und zu meinen, mit ein paar Windrädern über die Runden zu kommen - das ist kein Energiekonzept für Deutschland. ({9}) Das Kerndilemma dieser Regierung ist, dass sie eine Reihe relativ guter Jahre, in denen Gewaltiges in der Wirtschaft geleistet wurde, in denen die Arbeitnehmer Neustrukturierungen möglich gemacht haben und in denen sich der Mittelstand neu aufgestellt hat, ungenutzt hat verstreichen lassen. Die gute Stimmung und die relativ gute wirtschaftliche Situation, die es gab, hätten Sie nutzen müssen, um Deutschland fit zu machen für das, was bevorsteht. Man weiß schon aus der Bibel, dass nach sieben fetten Jahren sieben magere Jahre kommen. Sie haben die Zeit verstreichen lassen. Das ist die Tragik der schwarz-roten Politik. ({10}) Statt für ein weltoffenes Deutschland einzutreten, schrecken Sie ausländische Investoren und hochqualifizierte Arbeitnehmer ab. Das Trauerspiel dieser Koalition hat seinen Höhepunkt erreicht. Die SPD irrt orientierungslos umher, und die Union hat inhaltliche Fragen nicht geklärt. Sie sind hin- und hergerissen zwischen Wettbewerb und Staatseingriff, zwischen Belastung der Bürger und deren Entlastung. Herr Kauder hat inzwischen gemerkt, dass der Aufschwung bei den Bürgern nicht angekommen ist. Die Früchte des Aufschwungs hat der Staat kassiert; das ist Ihre Politik. Bei den Bürgern ist nichts geblieben. ({11}) Der CSU steht vor der Bayernwahl das Wasser inzwischen bis zum Trachtenhut. ({12}) Erst macht sie von den größten Steuererhöhungen bis hin zu dem Quatsch mit der Kilometerpauschale alles mit, und jetzt bekämpft sie es. Politisch nennt man das scheinheilig. Ein Neurologe würde sagen, dass Sie schizophren sind. ({13}) Wenn Sie wollen, können Sie schnell handeln. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gibt Ihnen die Möglichkeit, sogar ohne das Parlament Steuern schnell zu senken. Sie können Steuerschecks, die in Amerika sehr wohl gewirkt haben, in Betracht ziehen. Aber Sie lassen es treiben. Sie starren auf Lafontaine und wollen weiter in Ihren Sesseln sitzen. Sie vergeuden die Zeit, und Deutschland leidet. Das ist eine traurige Situation. ({14})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau Dr. Merkel. ({0})

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen Tagen, während wir hier im Parlament unsere Haushaltsdebatte führen, verfolgen wir natürlich alle die Nachrichten vom amerikanischen Finanzmarkt. Es hat massive Stützungsmaßnahmen und Hilfsmaßnahmen der amerikanischen Regierung gegeben, gerade wieder in dieser Nacht in Bezug auf ein Versicherungsunternehmen. Es hat Übernahmen im Privatsektor gegeben und den Konkurs einer bedeutenden amerikanischen Investmentbank. Die Börsen und natürlich auch der DAX haben mit erheblichen Kursschwankungen und Kurskorrekturen reagiert. Wichtige internationale Banken haben einen Stützungsfonds aufgelegt. Die Bundesregierung verfolgt diese Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Wir stehen in engem Austausch mit den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft ebenso wie mit anderen Regierungen. Als ein Ergebnis haben Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und das Bundesministerium der Finanzen schon am Montag erklären können, dass sich im Fall des Kreditinstituts Lehman Brothers das Engagement deutscher Kreditinstitute glücklicherweise in einem überschaubaren Rahmen hält. Aber wir spüren alle, dass die Dynamik der Weltwirtschaft beeinflusst wird. Wir können froh sein, dass in den letzten Jahren neben dem amerikanischen Kraftzentrum andere Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika und im vereinten Europa erwachsen sind, sodass heute die internationale Konjunktur auf sehr viel breiteren Beinen steht, als das noch vor Jahrzehnten der Fall war. Deshalb sind die Auswirkungen auf die übrige Wirtschaft in Deutschland bislang moderat, und die Unternehmenskredite wurden in Deutschland im Gegensatz zur übrigen EU erneut deutlich ausgeweitet. Dennoch wird eine offene Volkswirtschaft wie die deutsche, die von der Globalisierung im Übrigen mehr als andere profitiert, nicht völlig unberührt bleiben können. Wir spüren das auch an den Prognosen, die uns jeden Tag erreichen. In einer solchen Situation werden die Rufe nach Konsequenzen natürlich wieder lauter. Ich will deshalb noch einmal auf die zwei grundsätzlichen Möglichkeiten hinweisen, die wir haben, um auf eine solche Situation zu reagieren. Die eine wäre, sich so weit wie möglich von internationalen Einflüssen abzuschotten; die andere ist: Wir begreifen die internationale Verflechtung als Wesenszug des 21. Jahrhunderts. Dann allerdings muss Politik einen klugen Ordnungsrahmen schaffen, der die Chancen nutzt und der die Risiken begrenzt. Das heißt: Politik muss gestalten. ({0}) Die Bundesregierung hat sich entschieden, und zwar von Beginn dieser Koalition an: Deutschland wird ein offenes Land bleiben, ein Land, das sich der Welt zuwendet, ein Land, das seine Chancen nutzt. Die Bundesregierung wird von diesem Kurs auch in der jetzigen Situation nicht ablassen; ich finde, aus überragenden Gründen. Deutschland lebt im Wesentlichen von Auslandsinvestitionen. Es sind etwa 600 Milliarden Euro, die von ausländischen Unternehmen in Deutschland jährlich investiert werden. Das ist doppelt so viel, wie der Bundeshaushalt ausmacht. Deutschland lebt davon, dass 700 Milliarden Euro von deutschen Firmen im Ausland investiert wurden. Das sichert uns Wohlstand, Forschung, Innovation und neue Produkte. Aber eines zeigt die Entwicklung natürlich: Wir brauchen dringend einen besseren Ordnungsrahmen, und wir - wenn ich das sage, meine ich vor allen Dingen auch den Bundesfinanzminister - fühlen uns in dem bestätigt, was wir sehr früh begonnen haben. Wir haben nämlich bereits während unserer G-8-Präsidentschaft eine Transparenzinitiative begonnen, die damals noch belächelt und von vielen gleich wieder als Regulierung abgetan wurde. Wir haben im September 2007 mit dem französischen Präsidenten eine gemeinsame Erklärung abgegeben, der sich dann Großbritannien, Italien und die Kommission angeschlossen haben. Im April hat es endlich ein sehr bemerkenswertes Forum für Finanzmarktstabilität gegeben, auf dem eine Reihe von Vorschlägen gemacht wurden, die auf den Vorschlägen des G-8-Gipfels aufbauten. Man kann glücklicherweise jetzt schon sagen, dass einiges in Gang gekommen ist. Es sind nicht nur Ideen, sondern es gibt Bewegung bei Bewertungsverfahren, bei der Kooperation mit Aufsichtsbehörden und bei einem verbesserten Verhaltenskodex vor allen Dingen der Ratingagenturen. Es gibt zum ersten Mal auch Selbstverpflichtungen, zum Beispiel von Hedgefonds. Ich erinnere auch daran, dass sich Staatsfonds von 26 Ländern zusammengeschlossen haben. Ich sage ausdrücklich: Es ist richtig, dass jetzt im Parlament die Veränderung des Außenwirtschaftsgesetzes beraten wird. Wir können nicht tatenlos zusehen. Politik muss gestalten. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, dass wir die Dinge nicht laufen lassen, sondern dass wir Politik gestalten. ({1}) Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Haushalt zur Beratung vor, der seinesgleichen sucht. ({2}) - Ich kann Ihre Freude gut verstehen; denn die Bundesregierung schafft mit diesem Haushalt die Voraussetzungen zum Erreichen eines Kernziels, das wir fest im Blick haben, nämlich im Jahre 2011 zum ersten Mal nicht mehr auf Pump zu leben und keine neuen Schulden mehr zu machen. ({3}) Ihr höhnisches Gelächter verdeckt doch bloß Ihr schlechtes Gewissen. ({4}) Denken Sie einmal daran, wie Sie 2005 aus der Regierung herausgegangen sind: Über 30 Milliarden Euro Neuverschuldung, das war die Bilanz der Grünen. Ich würde heute hier ganz still sein. ({5}) Die FDP sollte sich daran erinnern, dass 1998 auch nicht alles vom Allerbesten war. ({6}) Ich finde, wir können ein Stück selbstbewusster in diese Debatte gehen. ({7}) - Ich habe von 1998 gesprochen und damit auch die Union einbezogen. ({8}) Schauen Sie: Wir haben aus diesen Dingen gelernt. Wir haben heute Regierungsverantwortung, und wir machen es anders. Das ist der Punkt. ({9}) Ich möchte all denen, die daran mitwirken, meinen Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ganz besonders dem Bundesfinanzminister, ein herzliches Dankeschön sagen. ({10}) Genauso möchte ich den Koalitionsfraktionen quasi im Voraus im Hinblick auf die anstehenden Beratungen ein Dankeschön sagen, weil ich weiß, dass wir uns gemeinsam diesem Ziel verpflichtet fühlen. ({11}) Wir legen diesen Haushalt nicht vor, weil er ein Selbstzweck ist. Es ist nicht so, dass wir das Thema „ausgeglichener Haushalt“ sozusagen wie eine Monstranz vor uns hertragen, sondern wir tun dies deshalb, weil es darum geht, dass wir in den Zeiten der Globalisierung, die wir nun so sehr spüren, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, nicht auf Kosten der nächsten Generation zu leben, sondern jedem Einzelnen den Einstieg in Arbeit und den Aufstieg durch Arbeit zu ermöglichen, auch heute erfüllt werden kann. ({12}) Auf eine Formel gebracht, hieß dieses Versprechen der sozialen Marktwirtschaft zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland: Wohlstand für alle. Heute gehen wir in Zeiten internationaler Verflechtungen, die wir mit dem Wort „Globalisierung“ beschreiben, noch einen Schritt weiter. „Wohlstand für alle“ heißt heute: Bildung für alle. Dabei geht es wie bei den soliden Finanzen nicht einfach um ein sektorales Politikfeld, das als Selbstzweck daherkommt. Das wäre ein grobes Missverständnis. Nein, meine Damen und Herren, es geht um viel mehr: Es geht um die Zukunft der Menschen in unserem Land; denn Bildung für alle ist die entscheidende Voraussetzung für Einstieg in Arbeit und Aufstieg durch Arbeit, und zwar für jeden, der in diesem Land lebt, egal aus welchem Elternhaus er kommt. ({13}) Ich bin zutiefst überzeugt: Es ist gerade dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das die Menschen an die Kraft der sozialen Marktwirtschaft glauben lässt oder - wo sie es im Augenblick nicht tun - wieder glauben lässt. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das wir gemeinsam im Blick haben müssen, Bund, Länder, Kommunen. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das uns zu der Aufgabe führt, die Bildungsrepublik Deutschland zu gestalten. Einfach mehr Geld umzuverteilen, schafft nämlich Abhängigkeit vom Staat und zementiert die Menschen in ihrer Situation, die heute nicht das schaffen können, was sie wollen. Bildung für alle ermöglicht es dagegen allen, sich eigenen Wohlstand zu erarbeiten. Daraus folgt, in einem Satz gesagt: Die Bildungsrepublik ist der beste Sozialstaat. ({14}) Ich glaube, bei allem, was wir an Problemen haben, können wir sagen: Für dieses Ziel ist unser Land in den letzten drei Jahren stärker geworden. Wir haben 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze seit 2005. Das bedeutet die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992. ({15}) Wir haben 100 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge mehr als zu unserem Amtsbeginn. Die Eigenkapitalquote der Betriebe ist wieder angestiegen, und damit werden Betriebe auch wieder ein Stück robuster. Dazu haben viele beigetragen, aber die Politik der Großen Koalition eben auch. ({16}) Wir haben die Neuverschuldung schrittweise gesenkt. Erstmals seit Ende der 80er-Jahre ist der gesamtstaatliche Haushalt wieder ungefähr ausgeglichen. Wir haben die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten deutlich unter 40 Prozent gesenkt. Wir werden dabei bleiben: Wir haben Freiräume für Menschen und Betriebe geschaffen. Wenn wir uns einmal die Staatsquote anschauen, erkennen wir: Sie ist auf dem niedrigsten Stand seit 18 Jahren. Die Bundesregierung hat diesen Kurs nicht nur deshalb eingeschlagen, weil es die Vernunft gebietet, sondern auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass dies eine zutiefst moralische Aufgabe ist. Das ist die Basis dafür, dass Vertrauen zwischen den Generationen wachsen kann und dass wir nicht auf Kosten der zukünftigen Generationen leben. Trotz schwächer werdenden Wachstums werden wir auch im kommenden Jahr diesen Kurs fortsetzen; dazu sind wir entschlossen. Das heißt, es sind zwei Seiten einer Medaille, auf der einen Seite den Konsolidierungskurs fortzusetzen und auf der anderen Seite die Arbeitslosenversicherungsbeiträge weiter zu senken, Familien stärker zu entlasten, Entwicklungs- und Forschungsausgaben genauso zu erhöhen wie die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur oder die Investitionen in Kultur. Beides trägt dazu bei, dass wir für die Zukunft stärker gerüstet sind. ({17}) Wir sind überzeugt - ich glaube, in den letzten Jahren ist diese Überzeugung noch gewachsen -: Die Bedeutung von Politik nimmt in Zeiten der Globalisierung nicht etwa ab, sondern die Bedeutung von Politik nimmt zu und verlangt uns viel neues Denken ab. ({18}) Für mich ist das allerdings kein Bruch und kein Neustart, sondern es ist eine Weiterentwicklung; denn soziale Marktwirtschaft ist immer davon ausgegangen, dass Politik gestalten muss. Ich erinnere nur an die Kämpfe, die Ludwig Erhard hatte, als er das Kartellrecht durchsetzte gegen den erbitterten Widerstand des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Aber hinzugekommen ist eine internationale Dimension des Erfolgsmodells BundesreBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel publik Deutschland, der sozialen Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft hat immer gestaltend eingegriffen, aber jetzt geht es darum, dass wir die internationale Dimension ausarbeiten. Es geht um eine Grundfrage. Soziale Marktwirtschaft hat sich immer als ein Bündnis der Stärkeren mit den Schwächeren in der Gesellschaft verstanden. Wer versuchen will, die Schwächeren in der Gesellschaft zusammenzunehmen und gegen die Stärkeren in der Gesellschaft aufzuhetzen, ({19}) der wird in der internationalen Dimension der sozialen Marktwirtschaft scheitern. Es geht um das Bündnis der Stärkeren mit den Schwächeren. ({20}) Es geht also um ein glaubwürdiges Wohlstandsversprechen. Deshalb muss Deutschland den Weg zur Bildungsrepublik gehen. Was heißt das? Das heißt, dass wir uns die vielen guten Beispiele, die ich jetzt auf meiner Bildungsreise gesehen habe, einmal vor Augen führen sollten: Kindergärten - ({21}) - Es hat eigentlich sowieso keinen Sinn, aber ich will es noch einmal ganz ruhig versuchen: Wir leben in einer Welt, in der viele Menschen darum ringen, ihren Platz zu finden, um in Wohlstand zu leben. Wir sind in einem Land, in dem vieles sehr gut gelungen ist und in dem Millionen von Menschen jeden Tag ihren Beitrag dazu leisten. Dazu gehören die Erzieherinnen in den Kindergärten, ({22}) die eine gute Arbeit leisten, auch wenn vielleicht 70 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Dazu gehören die Lehrer. Dazu gehören die Forscher. ({23}) Dazu gehören die vielen Ehrenamtlichen. Ich möchte diesen Menschen meine Anerkennung geben. Deshalb besuche ich sie, und ich glaube, das ist richtig, meine Damen und Herren. ({24}) Es geht um ein umfassendes Selbstverständnis unseres Landes. Dafür müssen wir drei Leitlinien einhalten, die sich genau auch in der Politik der Bundesregierung widerspiegeln: Nachhaltigkeit und Langfristigkeit als Erstes, Eigenverantwortung und Ermutigung als Zweites, Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament als Drittes. Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Es geht nicht um Strohfeuer, sondern es geht um nachhaltigen Erfolg, nicht nur in der Bildungspolitik, sondern insgesamt. Deshalb wünsche ich mir zum Beispiel einen Erfolg bei der Haushaltskonsolidierung, nicht nur im Blick auf 2011. Es geht nämlich auch um eine Verpflichtung im Rahmen der Föderalismusreform II, nach der das ein Grundprinzip unseres zukünftigen Handelns wird. Es wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob wir die Kraft dazu aufbringen. Ich wünsche es mir, meine Damen und Herren. ({25}) Zu Nachhaltigkeit und Langfristigkeit gehören auch Investitionen in Familien. Das Elterngeld ist ebenso ein Erfolg wie die Vätermonate. Wir werden für 70 000 Familienhaushalte den Kinderzuschlag einführen, der Kinder und Eltern aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II entlässt. Wir werden die Betreuungsaufwendungen stärker steuerlich absetzbar machen; zum einen, um den Haushalt als Arbeitgeber zu entwickeln, zum anderen aber auch, um Betreuung zu Hause zu ermöglichen. Wir haben zwischen Bund und Ländern einen gemeinsamen Weg gefunden, die Betreuung der unter Dreijährigen auszubauen, und zwar nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ mit Blick auf die Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Ich glaube, das sind wichtige Schritte. Vor uns liegen bessere Leistungen für Familien auf der Grundlage des Existenzminimumberichts. Hierüber werden wir in der Koalition noch Diskussionen führen, das hat sich gestern angedeutet. Ich persönlich halte 10 Euro für jedes Kind nicht für eine schlechte Sache, aber darüber werden wir uns auseinandersetzen müssen. Ich glaube auch, dass ein Kind denselben Anspruch auf einen Freibetrag hat wie ein Erwachsener. Insofern müssen wir noch ein wenig darum ringen. ({26}) Niemand wird bestreiten, dass Familien im Zentrum der Politik der Großen Koalition stehen. Das ist eine richtige Schwerpunktsetzung. Nachhaltigkeit und Langfristigkeit bedeuten auch, in die Bildungspolitik an sich zu investieren. Aus den internationalen Vergleichen wissen wir, dass wir nicht überall Spitze sind. Ich bitte aber darum, diese Studien einmal genau zu lesen und nicht alles immer in Grund und Boden zu reden, sondern auch das Positive zu sehen. ({27}) Im Bereich der abgeschlossenen Berufsausbildung gibt es bei uns zum Beispiel hervorragende Leistungen. Auch in der Frage des Abiturs oder der Postgraduiertenförderung gibt es sehr gute Dinge, an die wir anknüpfen können. Wahr ist aber auch, dass andere aufholen. Deshalb sind wir gefragt. Deshalb ist es auch wichtig, dass Bund und Länder in diesem Jahr am 22. Oktober in Dresden einen Bildungsgipfel durchführen. Hierbei geht es ausdrücklich nicht um eine Kompetenzverschiebung. Vielmehr geht es bei diesem Bildungsgipfel um die Frage, wie wir in unserem Land Politik für die Menschen gestalten. Hier müssen wir den Blickwinkel der Menschen - der Eltern und der Kinder - einnehmen. Diejenigen, die mit Bildungspolitik konfrontiert werden, überlegen nicht ständig, ob der Bund, das Land oder die Kommune für sie verantwortlich ist. Sie wollen Politik aus einem Guss. ({28}) Deshalb müssen die verschiedenen politischen Ebenen in ihrer Verantwortlichkeit so zusammenarbeiten, dass für das einzelne Kind das Beste erreicht wird und dass Eltern ihre Kinder optimal fördern können. ({29}) In diesem Zusammenhang müssen die Schulabbrecherquoten gesenkt werden. Es müssen Schulabschlüsse ermöglicht werden, und Hochschulen müssen sich zum Beispiel auch für Meister und ähnliche Qualifizierungen öffnen. Wir müssen Ausbildungsbausteine so gestalten, dass sie sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Im Grunde geht es nicht um Strukturdebatten, sondern um die Frage des Erfolgs eines jeden Einzelnen mit seinen Fähigkeiten und Fertigkeiten. In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wie richtig die Entscheidung der Bundesregierung war, Integrationspolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen. Wenn Sie sich den Bildungsbericht für Deutschland anschauen, dann sehen Sie, dass der Anteil der jungen Menschen unter 25 mit Migrationshintergrund in den Regionen mit industrieller Struktur - im Ruhrgebiet, im Bereich der Rhein-Main-Schiene, in Stuttgart, in München und in der Region um Nürnberg - zwischen 40 und 50 Prozent liegt. Die Zukunft unseres Landes hängt davon ab, ob auch diese jungen Leute, und zwar jeder Einzelne von ihnen, eine Chance auf einen Aufstieg in unserem Land haben. Ansonsten werden nicht nur diese jungen Leute leiden, sondern unser ganzes Land. ({30}) Wir haben in Forschung und Entwicklung investiert und streben dort einen Anteil von 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt an. Gegenwärtig sind wir bei 2,8 Prozent angelangt, wir haben noch einen Weg vor uns. Das ist aber zu schaffen. Die Exzellenzinitiative hat sich bewährt. Wir haben die Freiräume der Unternehmen gestärkt. Wir haben die Wissenschaftsallianz, und wir haben viele neue Wege beschritten, bei denen Leistung ganz ausdrücklich prämiert wird. Das ist richtig. Natürlich hängt Nachhaltigkeit auch mit der Ressourcennutzung zusammen. Wir wissen, dass eines der drängendsten Probleme für die Menschen der Anstieg der Energiepreise und daraus folgend die Inflation ist. Wir stehen natürlich vor der Frage, was wir da tun sollen. Hier ist politische Gestaltung gefragt. Es ist sehr einfach, das Falsche zu tun, indem man sich auf den Standpunkt stellt, dass Energiepreise nicht nachhaltig steigen können. Genau das machen wir nicht. Der Bundesfinanzminister hat es gestern noch dargestellt. Wir eröffnen vielmehr Wege zum effizienteren Umgang mit Energie, um die Menschen in die Lage zu versetzen, weniger Energie zu verbrauchen und damit mit den steigenden Kosten klarzukommen. Ich glaube, die Förderung von Gebäudesanierung und viele andere Maßnahmen wie die Einführung von intelligenten Stromzählern über die Novellierung des KWK-Gesetzes bis hin zu unseren Klimapaketen, die ja hart umstritten sind, sind langfristig insgesamt die richtige nachhaltige Antwort auf die Energiepreisentwicklung in der Welt. ({31}) Wir werden jetzt auf der Ebene der Europäischen Union Verhandlungen über Europas Klimaschutzziele führen. Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen. ({32}) - Ich wiederhole es gerne noch einmal: Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen. ({33}) Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union werden wir die Kioto-Verpflichtungen einhalten. Andere werden das nicht tun. Vielleicht könnten wir einmal gemeinsam diese kritisieren und nicht immer nur uns selber schlechtmachen. ({34}) Deutschland ist aber auch das Land in Europa, das eines der breitesten industriellen Fundamente hat, und die wirtschaftliche Entwicklung Europas hängt auch von der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands ab. ({35}) Deshalb werden wir strittige Diskussionen darüber führen müssen - ich sage das hier ganz offen -, wie wir mit energieintensiven Branchen umgehen. Es ist für das Weltklima nichts gewonnen, wenn die Aluminium-, Stahl- oder Chemieindustrie bei uns verschwindet und mit schlechteren Standards außerhalb Europas ausgebaut wird. Das werden wir nicht zulassen. ({36}) - Ich hoffe, auch den Klimaschutzzielen stimmt die FDP zu. ({37}) Beides zusammenzubringen, macht nämlich gerade die Schwierigkeit des Themas aus, meine Damen und Herren. Das können nicht alle, das kann nur die Große Koalition. ({38}) - Viel Heiterkeit heute Morgen hier. Zu den Zukunftsinvestitionen zählen natürlich auch Entwicklungshilfe und Einsatz für gutes Regieren. Zu Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit gehört natürlich auch die Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Die Rentenfinanzen befinden sich in einer weit besseren Lage als vor Jahren. Wir haben zusätzlich die Eigenheimrente verabschiedet - ein wichtiges Projekt. Bis heute wurden 11 Millionen RiesterRenten abgeschlossen, aber angesichts von 27 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bleibt immer noch viel zu tun. Dennoch wurde in diesem Bereich ein gewaltiger Schritt nach vorn gemacht. Die Rente mit 67 war eine notwendige Maßnahme. Daran muss auch festgehalten werden, weil uns die demografische Entwicklung keine andere Möglichkeit lässt. Es zeigen sich nun die Erfolge, meine Damen und Herren: Die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen ist deutlich zurückgegangen - seit 2005 um circa ein Viertel. Das lässt sich sehen. Wir haben die Leistungen der Pflegeversicherung ausgeweitet. ({39}) - Wir haben für Demenzkranke die Pflegezeit eingeführt und sind weitere wichtige Schritte gegangen. - Wir haben außerdem in die Gesundheitsversorgung investiert. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Es wird in Zukunft mehr Wettbewerb und mehr Auswahlmöglichkeiten geben. Wir haben uns aber auch sehr bewusst entschieden, etwas für die Ärzte in Krankenhäusern, die niedergelassenen Ärzte und für das Pflegepersonal zu tun. Hier wird noch an den Feinheiten gearbeitet. Wer aber den Eindruck erweckt, hervorragende Gesundheitsversorgung sei sozusagen zum Nulltarif zu bekommen und Gehaltssteigerungen für die im medizinischen Bereich Beschäftigten seien möglich, ohne dass sich das in irgendeiner Weise in den Beiträgen niederschlägt, der trägt dazu bei, dass wir eines Tages nicht mehr genug Ärzte bei uns haben - diese sind dann in Norwegen oder sonst wo - und dass die Pflegekräfte ihre Arbeit nicht mehr schaffen. Deshalb sage ich: Es ist richtig, in ein gutes Gesundheitssystem zu investieren. Es ist vielleicht die komplizierteste Aufgabe eines modernen Industrielandes, das zugleich demografische Veränderungen zu bewältigen hat, für jeden eine gute Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Wir fühlen uns aus tiefer Überzeugung bezüglich der Menschlichkeit unseres Landes diesem Ziel verpflichtet. ({40}) Die Bildungsrepublik gründet auf dem Willen - das ist die Voraussetzung -, dass der, der immer es kann, das eigene Leben in die Hand nimmt. Er soll natürlich, wenn er scheitert, eine zweite Chance, vielleicht auch eine dritte und vierte bekommen; aber es muss die innere Bereitschaft geben. Deshalb sind Eigenverantwortung und Ermutigung das zweite wichtige Leitmotiv unserer Arbeit. Das muss sich in der Arbeitsmarktpolitik widerspiegeln; „Fordern und Fördern“ ist deshalb unsere Maxime. Die Arbeitsvermittlung ist modernisiert worden und wird weiter modernisiert werden. Wer sich einmal mit der Arbeit der Bundesagentur befasst hat, der weiß, dass da unglaublich viel passiert ist. Was die Betreuung aus einer Hand angeht, müssen wir noch Regelungen treffen, um das Bundesverfassungsgerichtsurteil über die Argen umzusetzen. Das Prinzip der Eigenverantwortung gilt auch in dem Sinne, dass Tarifautonomie Vorrang hat. Wir werden die Gesetze, das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz, beraten, aber immer in dem Geist, Tarifautonomie, wo möglich, zu stärken. ({41}) Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht, um die Mitarbeiterbeteiligung zu fördern. Das wird in der allgemeinen Diskussion oft unterschätzt. Aber schauen Sie sich einmal die Vermögenssituationen an: Angesichts dessen, wie sich auf der einen Seite Einkommen und Löhne und auf der anderen Seite Kapitalerträge entwickeln, kann ich nur sagen, dass es langfristig gesehen wichtig ist, dass wir jedem auch eine Beteiligung an den Kapitalerträgen ermöglichen. Ansonsten werden die Ungerechtigkeiten in unserem Land zunehmen. Hier sind wir einen wichtigen Schritt miteinander gegangen; ich glaube, das sollte man an dieser Stelle sagen. ({42}) Wenn wir uns die Dinge anschauen, dann sehen wir auch, dass Arbeitsmarkt- und Vermögenspolitik natürlich die Chancen in der Globalisierung verbessert haben. Gestern ist eine Studie des DIW veröffentlicht worden, die mit aktuellen Zahlen arbeitet und aus der hervorgeht, dass zwischen 2005 und 2006 - nur über diesen Zeitraum geht die Studie - über 1 Million Menschen aus dem Armutsrisiko herausgekommen ist. Das zeigt doch nichts anderes, als dass Reformen sich vielleicht nicht sofort, aber über eine bestimmte Zeitspanne gesehen lohnen. Das ist doch das Ziel aller Veränderungen: mehr Menschen eine Chance zu geben und weniger Menschen in ein Risiko hineinfallen zu lassen. ({43}) Wir brauchen als drittes Leitmotiv Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament, eine Offenheit der Gesellschaft, einen Ansporn für die, die viel leisten können, die Eliten unseres Landes, damit wir dann auch miteinander Solidarität üben können. Wir brauchen ein Deutschland, das sich nicht abschottet, sondern seiner Verantwortung in der Welt gerecht wird. Deshalb wollen wir auf der einen Seite offen sein, was wir zum Beispiel dadurch zeigen, dass wir die Zuwanderung für Hochqualifizierte in unser Land geöffnet haben. Angesichts von immer noch 3 Millionen Arbeitslosen sind die Diskussion und die Entscheidung darüber, wer zu uns kommen darf und wer nicht, gar nicht einfach. Das ist eine qualitativ ganz andere Debatte, als wir sie in den Asylfragen miteinander geführt haben. Wir haben immer auf kulturelle Toleranz gesetzt, um diese Offenheit voranzutrei18644 ben. Ein Zeichen dafür ist, dass unser Kulturhaushalt, der Haushalt des Staatsministers für Kultur, in den letzten Jahren um 7,8 Prozent gewachsen ist, genauso wie die auswärtige Kulturpolitik an Bedeutung gewonnen hat, zwei wichtige Bereiche, in denen wir unsere Offenheit zeigen. Wir sind auch stolz auf unsere Kultur, und wir wollen sie in der Welt bekannt machen. Das sind unsere Ansprüche. ({44}) Weil die Länder miteinander verflochten sind, ist es wichtig, in Bündnissen zu arbeiten. Ein solches Bündnis ist die Europäische Union. Da haben wir vieles vor uns, wenn wir daran denken, dass Irland mit Nein gestimmt hat; aber der Lissabon-Vertrag ist und bleibt die richtige Grundlage für die Politik in der Europäischen Union. ({45}) Wir haben in diesem Sommer erlebt, wie wichtig Europa ist und was Europa in dem Konflikt zwischen Georgien und Russland im Falle von Südossetien und Abchasien erreicht hat. Hier ist es gelungen - der Außenminister und ich waren natürlich sehr beschäftigt mit dieser Frage -, Europa zu einer einheitlichen Position zu bringen - das war nicht immer einfach angesichts der unterschiedlichen Interessenslagen - und es gleichzeitig handlungsfähig erscheinen zu lassen. Ohne die Europäische Union hätten wir heute weder einen Sechspunkteplan, mit dem wir arbeiten könnten, noch Fortschritte in dieser gesamten Frage. Deshalb kann ich nur sagen: Bei aller Mühe - wir wissen ja, wie schwer es schon in diesem Parlament ist, sich zu verständigen; wie soll es da zwischen 27 Staaten einfach sein - hat sich die Europäische Union in diesem Sommer in einer entscheidenden Frage als handlungsfähig erklärt, und zwar auf einer vernünftigen Basis. Mit keinem sind die Gesprächskontakte abgebrochen. Wir haben gesagt: Reden gerade in schwierigen Zeiten ist die richtige Antwort. Deshalb werden wir das auch am 2. Oktober bei den deutsch-russischen Konsultationen wieder unter Beweis stellen. ({46}) Wir haben im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terrorismus unsere Aufgaben zu leisten. Hier sind wir nach innen besser gerüstet; es finden gerade die Beratungen zum BKA-Gesetz statt. Ich bin optimistisch, dass wir sie erfolgreich abschließen. Wir haben eine besser ausgerichtete Bundespolizei. Wir müssen auch außen unsere Aufgaben erfüllen. Wir haben bittere Erfahrungen mit dem Tod von Soldaten machen müssen - gerade kürzlich mit dem Tod eines jungen Soldaten der Bundeswehr. Wir haben zivile Opfer, Verletzte. Deshalb möchte ich in dieser Stunde einen herzlichen Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten genauso wie an die Polizisten und die zivilen Aufbauhelfer richten. Sie haben die Solidarität dieses Parlaments; denn wir wissen um die Schwere, aber auch um die Notwendigkeit der Aufgabe. ({47}) Wir spüren alle, dass die Situation in Afghanistan nicht einfach ist, dass die Sicherheitslage auch im Norden komplizierter wird. Aber wir wissen auch um unseren Auftrag. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit dem Konzept der vernetzten Sicherheit die richtige Antwort gefunden hat, um das Engagement in Afghanistan fortzusetzen. Das heißt nicht, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit bereits in allen Fragen so funktioniert, wie wir uns das vorstellen können. Es ist ja so, dass Afghanistan nun einmal eine Regierung, ein Parlament hat. Wir haben die demokratischen Prozesse dort vorangebracht. Wir müssen schauen, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit auch von allen Akteuren - von denen, die aus dem Ausland helfen kommen, genauso wie von denen, die in Afghanistan Verantwortung tragen - umgesetzt wird. ({48}) Diese Aufgabe ist nicht beendet. Es hat aber keinen Sinn, bei jedem schrecklichen Vorgang sofort das Konzept infrage zu stellen. Deshalb sage ich hier: Das Konzept der vernetzten Sicherheit ist nach meiner festen Auffassung ohne jede Alternative. ({49}) Wir werden im Oktober über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes in den nächsten Monaten debattieren müssen, genauso wie wir das heute für UNIFIL tun. Deutschland wird jedenfalls seiner Verantwortung für den Kampf gegen den Terrorismus gerecht werden. Meine Damen und Herren, für mich ist diese Bundesrepublik als Bildungsrepublik ein Land, in dem die Politik verlässlich, langfristig und nachhaltig agiert; ein Land, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt, ihn ermutigt, seine Eigenverantwortung fordert, seine Anstrengungen belohnt in einer Gesellschaft, die durchlässig ist und unvoreingenommen jedem seine Chance gibt; ein Land, das offen ist, neugierig, der Welt zugewandt und dabei zugleich selbstbewusst auf dem Boden seiner eigenen Erfolge und Werte steht. Ich glaube, auf diesem Weg ist unser Land ein Stück vorangekommen. Jetzt kommt es darauf an, nicht stehen zu bleiben, sondern mit Geduld und Ausdauer diesen Weg fortzusetzen. Diese Bundesregierung hat wichtige Beiträge dazu geleistet. Sie wird auch in den kommenden Monaten weiter wichtige Beiträge leisten. Herzlichen Dank, meine Damen und Herren. ({50})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben fast allen in unserer Gesellschaft gedankt, nur die Linken haben Sie vergessen. Aber das macht nichts, wir kennen ja unseren Einfluss. Auf den ist von der FDP schon hingewiesen worden. ({0}) Lassen Sie mich mit einem außenpolitischen Thema beginnen: mit Georgien. Die Situation war ja so: Der Präsident von Georgien hat sich entschieden, kriegerisch in Südossetien einzufallen. Niemand in diesem Haus glaubt, dass er das ohne Genehmigung des amerikanischen Präsidenten gemacht hat. ({1}) Nun hört und liest man, ihm sei es wichtig gewesen, im Wahlkampf seinen eigenen Kandidaten voranzubringen. Wenn das stimmt, wenn jetzt schon Kriege wegen eines Wahlkampfes geführt werden, dann ist die Politik diesbezüglich vollständig verrottet. Das ist die Wahrheit. ({2}) Russland handelte zunächst noch völkerrechtsgemäß, als es Südossetien befreite. Es verletzte das Völkerrecht aber grob, als es Tiflis bombardierte und sich in Kerngeorgien festsetzte. Russland verletzte das Völkerrecht auch, als es die Unabhängigkeit, die territoriale Abspaltung von Südossetien und Abchasien anerkannte. ({3}) Es verletzte das Völkerrecht genauso wie die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, als sie Belgrad bombardierten, und genauso wie diese Länder, als diese die territoriale Abspaltung des Kosovo entgegen einem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen beschlossen haben. ({4}) Und nun passiert Folgendes: Vier Völkerrechtsverletzer stehen da und werfen dem fünften Völkerrechtsverletzer vor, dass er das Völkerrecht verletzt. Da kommt nicht viel bei heraus. Das ist die Wahrheit. ({5}) Lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen: Richard von Weizsäcker hat völlig recht, wenn er davor warnt, die NATO bis an die Grenzen Russlands zu treiben. Was sollen denn diese Provokationen? Man muss doch wissen, dass auch Russland ein Sicherheitsdenken hat. Die Provokationen fingen mit den Stationierungen in Polen und Tschechien an, und jetzt auch noch die Ausweitung der NATO. Lassen Sie das einfach bleiben. Wir sind doch froh, den Kalten Krieg los zu sein. Wir müssen ihn doch nicht unsererseits mit neu organisieren. ({6}) Ich erkenne durchaus an, dass Sie in Europa einen Beitrag zur Deeskalation geleistet haben, der dringend erforderlich war. Jetzt haben wir eine Finanzkrise in den USA. ({7}) Wir haben eine weltweite Finanzkrise. Ich kann nur sagen: Ich bin ziemlich entsetzt, was in diesem Zusammenhang alles passiert. Jetzt ist die nächste Großbank pleite, und alle tun so, als ob es Deutschland fast nichts anginge. Heute früh habe ich in den Nachrichten gehört, dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau kurz vor der Pleite der Bank noch einmal 300 Millionen überwiesen hat. Futsch sind sie! Tolle Experten, die da sitzen, kann ich dazu nur sagen. Folgendes ist passiert: Die größte amerikanische Versicherung stand kurz vor der Pleite. Die Notenbank gewährte einen Kredit von 85 Milliarden Dollar - das muss man sich einmal überlegen -, übernimmt dafür aber 80 Prozent des Eigentums. Was macht unsere Bundesregierung bei der Industriekreditbank? Sie übernimmt natürlich auch die Schulden dieser Privatbank in Höhe von 9,2 Milliarden Euro, aber ihr gehört hinterher kein Prozentpünktchen mehr. Ich weiß gar nicht, ob wir das Geld je wiederbekommen oder ob das einfach so verschenkt wurde. Der Bundesfinanzminister stellt sich hier hin und erklärt stolz, es gebe eine Neuverschuldung von nur 10 Milliarden Euro, und sagt ganz nebenbei: Wir haften hier mit 9,2 Milliarden Euro mit. Übrigens hat nicht nur die Industriekreditbank diesbezüglich Probleme - auch das muss ich sagen -, sondern auch die Sächsische Landesbank und, ja, Herr Huber, auch die Bayerische Landesbank. Herr Huber, Sie waren der verantwortliche Finanzminister. Der Schaden liegt bei 4,5 Milliarden Euro. Andere würden zurücktreten. Sie hingegen streben nach höheren Ämtern. Ich sage das nur mal so. ({8}) All das müssen die Bürgerinnen und Bürger bezahlen. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzkrise sagen: Der tiefe Konflikt zwischen Schröder und Lafontaine bezog sich auf genau diese Frage. Als Rot-Grün, SPD und Grüne die Wahlen gewannen, da hat Schröder noch erklärt, er wolle die Finanzmärkte regulieren. In Abspra18646 che mit Blair ist er aber völlig davon abgekommen und wollte plötzlich die liberalisierten, freien Finanzmärkte. ({9}) Lafontaine wollte den Finanzmarkt regulieren. Das war der Zwist. ({10}) Jetzt stellen Sie sich als SPD doch einmal hier hin und sagen: In dieser entscheidenden Frage hatte Lafontaine recht und Schröder unrecht. So einfach ist das nämlich. ({11}) Die Zeche bezahlen wir jetzt alle. ({12}) Heiner Geißler, zu früheren Zeiten Generalsekretär der CDU, hat jetzt geschrieben: Die Politiker, die Professoren, die Journalisten, die immer von der Freiheit der Finanzmärkte gesprochen haben, können leider nicht zur Verantwortung gezogen werden, obwohl sie eine Mitverantwortung für die gesamte Krise haben. ({13}) Wenn wir uns die Situation in Deutschland ansehen, erkennen wir, dass es Momente gibt, die Sie hier ausgelassen haben, Frau Bundeskanzlerin. In den letzten zehn Jahren bis 2006 - die Zahlen liegen vor - sind die Realeinkommen in Deutschland um 6 Prozent gesunken. Das trifft nicht nur die Menschen, sondern auch die kleinen und mittleren Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind. Denn wenn die Kaufkraft zurückgeht, werden bei ihnen weniger Waren gekauft und weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen. Das alles hat Folgen. In derselben Zeit - das ist spannend, weil Sie immer sagen, es sei ein internationaler Trend - sind die Reallöhne in Frankreich, den USA, Großbritannien und Schweden zwischen 10 und 29 Prozent gestiegen. In Deutschland sind sie um 6 Prozent gesunken. Auch unter Schröder und unter Merkel hat sich nichts daran geändert. Jetzt gibt es eine Studie, die das genauer analysiert. Auch das ist immer spannend. Das Ergebnis der Studie lautet: In den letzten zehn Jahren sind bei den Geringverdienern die Realeinkommen um 10 Prozent gesunken, bei Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten sind sie um 14 Prozent gesunken und beim obersten Viertel, bei den Bestverdienenden, sind sie um 4 Prozent gestiegen. Wenn man das alles miteinander verrechnet, kommt insgesamt ein Minus von 6 Prozent heraus. Aber man muss wissen, dass unten viel mehr verloren wurde und oben die Realeinkommen sogar gestiegen sind. Wenn man sich dann noch die Unternehmens- und Vermögenseinkommen ansieht, dann schlackern einem die Ohren. Denn sie sind um 42 Prozent, um 177 Milliarden Euro, gestiegen. Deshalb spüren die Leute genau, dass die Armut zunimmt, während der Reichtum in dieser Gesellschaft maßlos wird. Dagegen unternehmen Sie gar nichts. ({14}) Es gibt immer das folgende Argument - das hat mich auch beschäftigt -: Wir hatten zu hohe Löhne und mussten mit den Realeinkünften herunter, weil Deutschland im internationalen Vergleich nicht mithalten konnte. Jetzt haben wir uns das einmal angesehen. Die Deutsche Bank Research - Sie werden zugeben, dass dies keine linke Einrichtung ist - hat das Pro-Kopf-Einkommen in den alten 15 EU-Mitgliedsländern festgestellt. Wissen Sie, Herr Huber, auf welchem Platz wir liegen? Auf Platz zwölf. Ich bitte Sie! Spanien hat uns im letzten Jahr überholt; da waren wir noch auf Platz elf. Jetzt sind wir auf Platz zwölf. Hinter uns liegen nur noch Italien, Griechenland und Portugal; aber die geben sich Mühe. ({15}) Ich kann also nur sagen: Auf das Ergebnis, das Sie vorlegen, können Sie nicht stolz sein. ({16}) Ich möchte auch erwähnen, dass die 20 Millionen Rentnerinnen und Rentner seit Jahren nur Minusrunden erleben. Denn auch das kleine Plus ist immer eine Minusrunde, wenn Sie es mit der Mehrwertsteuererhöhung, mit der Inflationsrate und anderen Dingen verrechnen. Nun sagen Sie: Die Linken kritisieren immer alles und versprechen das Blaue vom Himmel. Das alles sind Populisten, die nichts einhalten können. ({17}) - Ich wusste es doch. ({18}) Verstehen Sie, diese billige Argumentation ist selbst bis zu mir schon vorgedrungen. Aber sie ist falsch. ({19}) Denn wir müssen einmal einen Vergleich der Steuerund Abgabenquoten wiederum in den 15 alten EU-Mitgliedsländern machen. Im Schnitt liegt die Steuer- und Abgabenquote in diesen 15 Ländern bei 40 Prozent. In Deutschland liegt sie bei 36 Prozent. Das sind 4 Prozent weniger. Hätten wir den Durchschnitt der alten EU-Mitgliedsländer, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme in Höhe von 100 Milliarden Euro. Damit ließe sich alles finanzieren, was die Linke hier im Bundestag vorgeschlagen hat. ({20}) Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie sind der Deutschen Bank entgegengekommen. Sie haben die Körperschaftsteuer von 45 auf 15 Prozent gesenkt. Sie sind den Spitzenverdienern entgegengekommen. Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53 auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet den Staat übrigens jährlich 11 Milliarden Euro, die einfach weg sind, weil Sie dieses Geschenk verteilt haben. Was müssten wir machen, um an den Durchschnitt heranzukommen? Man sollte nicht die Mehrwertsteuer erhöhen. Welchen Weg könnte man gehen? ({21}) Wir wollen wieder eine paritätische Beteiligung der Unternehmen an der Rentenversicherung. Die RiesterRente ist doch nichts anderes als eine Entlastung der Unternehmen. ({22}) Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Staat müssen das allein bezahlen. Die Allianz macht mit der Riester-Rente ein tolles Geschäft. Deshalb überweist sie jedes Jahr an die CSU, an die CDU, an die FDP, an die SPD und auch an die Grünen 60 001 Euro. Die einzige Partei, die nichts bekommt, sind wir. ({23}) Aber ich sage einmal: Ich bin relativ stolz darauf, dass es noch eine nicht allianzgesponserte Partei im Deutschen Bundestag gibt. ({24}) Wir schlagen Ihnen eine Börsenumsatzsteuer vor. Hätten wir eine Börsenumsatzsteuer von 1 Prozent, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme in Höhe von 70 Milliarden Euro. Das lässt sich doch machen; auch andere Länder haben Börsenumsatzsteuern. ({25}) - Ach, Quatsch. Wir sollten vor allen Dingen auch die Spekulationen ein bisschen reduzieren, die auf unserem Erdball maßlos geworden sind. Wir schlagen eine angemessene Vermögensteuer vor. Wir haben in Deutschland Milliardäre. Ich bitte Sie! So fleißig kann gar kein Einzelner sein, um sich eine Milliarde legal zu erwirtschaften. Wie dem auch sei: Alle Milliardäre sind doch Verfassungspatrioten und wissen, dass das Eigentum auch dem Allgemeinwohl dienen soll. Wir kommen ihnen solidarisch entgegen, nehmen ihnen einen Teil ihres Geldes weg und verteilen es im Interesse des Allgemeinwohls. Das ist doch nachvollziehbar. ({26}) Wir wollen, dass der Spitzensatz der Einkommensteuer für Einkommen über 80 000 Euro im Jahr 50 Prozent beträgt. Das ist doch nicht unangemessen! Sie behaupten, Sie hätten die Arbeitslosigkeit abgebaut. Die SPD behauptet sogar, das liege an der Agenda 2010. Das hat zwar nichts miteinander zu tun; aber Sie können ja erzählen, was Sie wollen. ({27}) Der Aufschwung, der von Ihnen gepriesen worden ist, kam bei 16 Prozent der Leute an. 84 Prozent der Leute haben von diesem Aufschwung nichts, aber auch gar nichts mitbekommen. Das Statistische Bundesamt - auch keine linke Einrichtung - hat eine wunderbare Analyse vorgelegt und darin Folgendes festgestellt: Die Zahl der Menschen in Teilzeitjobs, Leiharbeitsstellen, 400-Euro-Jobs und befristeten Arbeitsverhältnissen ist von 1997 bis 2007 um 2,6 Millionen gestiegen. Jetzt liegt diese Zahl bei 7,68 Millionen. In denselben zehn Jahren ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten um 1,53 Millionen gesunken. Sie haben also keinen Grund, stolz zu sein. ({28}) Abbau der Arbeitslosigkeit durch Verschiebung von Vollzeitbeschäftigung in prekäre Arbeitsverhältnisse das ist bei Ihrer Politik herausgekommen. Herr Huber, Frau Merkel und Herr Steinmeier, ich sage Ihnen: CSU, CDU und SPD haben keinen Grund, stolz zu sein auf 2,5 Millionen arme Kinder in Deutschland. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf 7,4 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf 6,6 Millionen Menschen, die in Minijobs für ein Einkommen von 400 Euro arbeiten. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf weitere 6,5 Millionen Menschen mit niedrigsten Einkommen. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf 800 000 Menschen, die in Leiharbeit beschäftigt sind, in einer modernen Form der Sklaverei. ({29}) Sie haben keinen Grund, stolz darauf zu sein, dass die Energiepreise um 14 Prozent gestiegen sind, dass bereits 800 000 Haushalten in Deutschland - ich wiederhole: 800 000 Haushalten! - der Strom abgestellt wurde und dass die Nahrungsmittel um 8 Prozent teurer geworden sind. ({30}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viel über Bildung geredet. Ich stimme Ihnen zu: Bildung ist ein zentrales Thema; denn Chancengleichheit kann nur über Bildung erreicht werden. Sie haben aber nicht erwähnt, dass unser Bildungsniveau im Vergleich in Europa mittlerweile unterdurchschnittlich ist. Es geht nicht um Besuche, sondern um Investitionen. Die brauchen wir im Bildungsbereich. ({31}) Frau von der Leyen, gelegentlich schätze ich, was Sie sagen. Aber Ihre Elterngeldregelung ist ein starkes Stück. Für die Hälfte der Bezieherinnen und Bezieher, und zwar für die ärmere Hälfte der Bevölkerung, haben Sie die Bezugsdauer des Elterngeldes um die Hälfte gekürzt und den Bestverdienenden eine Erhöhung des Elterngeldes zugebilligt. Eine so direkte Umverteilung von unten nach oben, wie Sie sie an dieser Stelle organisiert haben, habe ich in dieser Gesellschaft bisher selten erlebt. Das ist nicht hinnehmbar. ({32}) Wo blieb eigentlich der Protest der SPD? Warum haben Sie das zugelassen? Frau Bundeskanzlerin, nun komme ich auf Ostdeutschland zu sprechen. Nur ein Beispiel: Wir haben vor einem Jahr 17 Anträge gestellt, um Überführungslücken und -ungerechtigkeiten sowie Ungleichbehandlungen bei der Rente zu überwinden. ({33}) Ihr Kanzleramtsminister hat uns seinerzeit mitgeteilt, es gebe noch Beratungsbedarf. ({34}) Also haben wir gewartet. Im Mai hat er uns dann mitgeteilt, dass es immer noch Beratungsbedarf gibt. Wir haben wieder gewartet. Später haben wir das zwar in erster Lesung im Plenum behandelt, aber noch nicht in den Ausschüssen. Das Kanzleramt teilte uns nämlich mit, dass es immer noch Beratungsbedarf gibt. ({35}) - Herr Kauder, quatschen Sie doch nicht über etwas, von dem Sie keine Ahnung haben! Lesen Sie lieber erst einmal unsere 17 Anträge, bevor Sie sich leichtfertig dazu äußern. ({36}) Wir werden darauf drängen, dass dieses Thema jetzt auch in den Ausschüssen behandelt wird, damit unser Gesetzentwurf bald im Plenum des Bundestages in zweiter Lesung beraten werden kann. Seit 1990 sind diese Probleme bekannt. Noch länger kann Ihr Kanzleramt nicht beraten. Jetzt müssen Sie dazu endlich einmal Ja oder Nein sagen. ({37}) Bald findet die Bayernwahl statt. Deshalb ist heute auch Herr Huber zu uns gekommen; das ist völlig okay, und das ist Ihr gutes Recht. ({38}) Eines geht aber nicht, Herr Huber: Sie können nicht in Bayern immer so tun, als wären Sie in Berlin in der Opposition. Denn hier in Berlin sind Sie an der Regierung beteiligt; das müssen wir allen Bürgerinnen und Bürgern sagen. Die Mehrheit des Bundestages hat seit 2005 keinen Beschluss gefasst, der nicht auch Ihre Zustimmung gefunden hat, einschließlich der dramatischen und unverantwortlichen Kürzung der Pendlerpauschale. Das ist die Wahrheit. ({39}) Der Bundesfinanzhof, der seinen Sitz in München hat, hält die Kürzung der Pendlerpauschale für grundgesetzwidrig. Daraufhin haben wir gesagt: Lasst uns doch selbst Politik machen! Lasst uns diese Schwachsinnsregelung zurücknehmen! Wir müssen doch nicht warten, bis das Bundesverfassungsgericht wieder ersatzweise für den Bundestag Politik macht. - Dann haben wir eine namentliche Abstimmung durchgeführt. Herr Huber, ich muss es Ihnen sagen: Alle CSU-Abgeordneten haben im November 2007 dafür gestimmt, dass die Kürzung der Pendlerpauschale erhalten bleibt. Das ist die Wahrheit. ({40}) Nun haben wir festgestellt, dass Sie jetzt eine andere Auffassung vertreten. Deshalb haben wir es wieder in den Bundestag eingebracht. Am Donnerstag vor der Landtagswahl in Bayern können wir namentlich darüber abstimmen. Mal sehen, wie Ihre Abgeordneten dann entscheiden. Darauf dürfen wir gespannt sein. ({41}) Ich finde es toll, dass Sie plötzlich dafür sind, den Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuer von 6 800 Euro auf 8 000 Euro zu erhöhen, dass Sie dafür sind, den Steuerbauch bei der Einkommensteuer zu beseitigen. Damit haben Sie völlig recht. Wenn man oben bei den Bestverdienenden in der Steuer nachlässt, dann muss das einer bezahlen. Das sind bei uns die Durchschnittsverdiener. Deshalb haben wir diesen Steuerbauch, der nicht gerechtfertigt ist. Herr Huber, Sie müssen aber erwähnen, wer den Steuerbauch erfunden hat. Das war Theo Waigel unter Kanzler Kohl. Er war zudem Vorsitzender der CSU. Ich finde, darauf muss man doch wenigstens hinweisen. ({42}) Sie erwähnen auch nicht, dass wir im April 2008 im Bundestag eine Debatte über die Erhöhung des SteuerDr. Gregor Gysi freibetrags und über die Beseitigung des Steuerbauches geführt haben und die CSU dagegen polemisiert und dagegen gestimmt hat. Einen Monat später fällt Ihnen ein, dass Sie eine andere Auffassung vertreten. Diese Art des Wahlkampfes ist zu billig. Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur SPD sagen. Ich habe Ihre Personalentscheidung - zurück zu Schröder - mitbekommen. Hierzu möchte ich Ihnen drei Dinge sagen. Sie haben beschlossen, für einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn einzutreten. Sie haben ferner beschlossen, dass Sie für eine Bürgerversicherung sind. Irgendwann einmal haben Sie auch beschlossen, dass Sie die Vermögensteuer erheben wollen. Nun sagt Herr Müntefering, dass er unbedingt eine Koalition mit der FDP eingehen möchte. Das heißt, es gibt keinen Mindestlohn, es gibt keine Bürgerversicherung, und es gibt keine Vermögensteuer. Ich nehme an, diesbezüglich ist Verlass auf die FDP. ({43}) Wenn das so ist, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie wieder im Wahlkampf für einen gesetzlichen Mindestlohn eintreten und gleichzeitig sagen, dass Sie mit der FDP zusammengehen wollen, dann bereiten Sie den nächsten Betrug der Wählerinnen und Wähler vor. Das werden wir versuchen deutlich zu entlarven. ({44})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun Dr. Peter Struck für die SPDFraktion. ({0})

Dr. Peter Struck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002278, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Sie haben sich darüber beklagt, dass Sie keine Spende von der Allianz bekommen haben. Diese brauchen Sie auch nicht; denn Sie haben noch irgendwo altes SED-Vermögen versteckt. Das wissen wir doch ganz genau. ({0}) Sie sind offenbar der Meinung, die Koalition mache die Energiepreise und die Löhne. ({1}) - So haben Sie es gesagt. - Da liegen Sie falsch, Herr Kollege Gysi. Diese machen andere, aber nicht diese Koalition. ({2}) Sie müssen bei der Wahrheit bleiben, wenn Sie sich hierzu äußern. ({3}) Meine Damen und Herren, die Bilder und Berichte von der Wall Street haben die Finanzmärkte in den vergangenen Tagen sehr beunruhigt. In unseren und in anderen Medien sind wegen der allgemeinen Finanzkrise in Amerika Katastrophenszenarien entwickelt worden. In dieser allgemeinen Verunsicherung hat uns gestern Finanzminister Peer Steinbrück eine solide Einschätzung an die Hand gegeben, ({4}) keine Verharmlosung, sondern eine sehr seriöse Analyse. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. ({5}) Er hat uns in dem Wissen bestätigt, dass wir mit ihm einen Chef des Finanzressorts haben, der die Tiefen und Untiefen der weltweiten Finanzmärkte kennt ({6}) und bei seinen Kollegen in Europa und vor allen Dingen auch bei seinen Kollegen in der G-8-Gruppe höchste Anerkennung genießt. Das respektieren wir, und dafür danken wir ihm. ({7}) Die Große Koalition braucht ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Wir haben bei der Haushaltskonsolidierung, der Stabilisierung der Wirtschaft und der Schaffung neuer Arbeitsplätze mehr erreicht, als wir 2005 realistisch erwarten durften und als uns die Oppositionsfraktionen mit ihren düsteren Prophezeiungen vorausgesagt haben. Wir sind stolz auf das, was wir geleistet haben. Deutschland ist vorangekommen. Diese Koalition hat gute Arbeit geleistet. ({8}) Damit auch nicht der kleinste Zweifel aufkommt: Auch im letzten Jahr ihrer Regierungszeit wird sie weiter gut zusammenarbeiten und in ihren Anstrengungen nicht nachlassen. ({9}) - Ja, ich habe auch erwartet, dass Beifall kommt. Die Kolleginnen und Kollegen müssen noch darüber nachdenken. Wir alle haben es aber versäumt, für die gemeinsamen Erfolge auch offensiv zu werben. Wir haben unsere gute Arbeit unter Wert verkauft. Ich bin jedenfalls dafür, dass wir die Zeitspanne bis zum beginnenden Wahlkampf im nächsten Frühsommer dafür nutzen, unsere gemeinsamen Erfolge deutlich herauszustellen. Wir sollten damit in dieser Haushaltswoche beginnen und Finanzminister Peer Steinbrück für eine solide und vorausschauende Konsolidierungspolitik danken. Es stimmt, dass die Risiken eines Abwärtstrends der Weltwirtschaft näher gerückt sind und dass es keinen Anlass zu leichtfertigem Optimismus gibt. Genauso gilt aber, dass die Wachstumserwartungen in Deutschland dank einer einsichtigen Politik immer noch doppelt so hoch sind wie in Frankreich und England. Deutschland ist und bleibt die Konjunkturlokomotive in der Europäischen Union; darauf sind wir stolz. Ist das nichts? ({10}) Wenn wir über die Beschäftigungssituation in Deutschland reden, dann müssen wir wissen, dass allein im letzten Jahr über 600 000 Menschen eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden haben. Es besteht die Chance, dass die Zahl der Arbeitslosen im Herbst unter 3 Millionen sinkt. Erstmals seit Beginn der 90er-Jahre ist die Erreichung der Zielmarke Vollbeschäftigung keine Utopie mehr. Ist das nichts? ({11}) Sollen wir uns diese Erfolge kaputtreden lassen, nur weil wir uns über den weiteren Weg hin zu guter Arbeit nicht einig sind? Sollten wir nicht endlich dem Unsinn der Linkspartei lauter widersprechen, die neuen Arbeitsplätze ließen sich auf 1-Euro-Jobs reduzieren? Das ist wieder eine dieser Propagandalügen, mit denen die Linkspartei Unsicherheit schürt. ({12}) Die Wahrheit ist: Die Zahl der Arbeitslosen ist seit 2005 um fast 2 Millionen zurückgegangen, während die Zahl der 1-Euro-Jobber konstant bei 300 000 geblieben ist. Wir haben es geschafft, die Sozialversicherungsbeiträge seit 2006 radikal zu senken. Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sind von 6,5 Prozent im Jahre 2005 bis zum Jahresende 2008 mehr als halbiert worden. Ist das nichts? ({13}) Müssen wir diesen Erfolg durch eine Debatte darüber zerreden, ob wir sie jetzt nicht noch weiter senken können? Wir sollten die Warnungen der Bundesagentur für Arbeit und ihres Präsidenten nicht einfach in den Wind schlagen. Generell steht außer Frage, dass alle in dieser Koalition bemüht sind, die Lohnnebenkosten zu senken. Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass gerade die Normalverdiener weit mehr davon profitieren als von weiteren Steuersenkungen, die erst bei Empfängern höherer Gehälter zu Buche schlagen. Deshalb wollen wir die Lohnnebenkosten, auch den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken. ({14}) Diese Koalition hat sich viel vorgenommen, und sie hat viel erreicht - mehr als uns die professionellen Beobachter zugetraut haben -: Unternehmensteuerreform, Pflegereform, Teilprivatisierung der Bahn, Föderalismusreform, Haushaltskonsolidierung. Selbst mit der unter den Koalitionspartnern besonders umstrittenen Gesundheitsreform haben wir die Grundlage dafür geschaffen, dass auch in Zukunft für alle Menschen eine qualitativ hochwertige Versorgung garantiert ist. Ist das nichts? ({15}) Viele von uns sind im Ausland unterwegs und lernen dabei eines: Kein Land auf der Welt hat ein solches Gesundheitssystem wie die Bundesrepublik Deutschland. Dass wir darauf stolz sein können und dass wir das auch bezahlen müssen, steht außer Frage. ({16}) Bei jedem dieser Projekte hat es massive öffentliche Zweifel darüber gegeben, ob wir das schaffen und ob sich die Koalition zusammenraufen kann. Sie hat es geschafft; sie hat sich zusammengerauft. Ich will an dieser Stelle den vielen Experten und Fachleuten der beiden Fraktionen, die maßgeblich zum Gelingen dieser vielen Projekte beigetragen haben, danken. Das ist eine schwere, aber auch eine gute Arbeit gewesen. ({17}) Diese Koalition - darauf muss ich als Sozialdemokrat hinweisen - hat auf vielem aufbauen können, was die rot-grüne Vorgängerregierung angestoßen hat. ({18}) Als Beispiel nenne ich die Familien- und Bildungspolitik. Wir haben seinerzeit im Rahmen der Agenda 2010 für die Ganztagsbetreuung von Kindern 4 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, und zwar gegen den Widerstand mancher christdemokratischer Ministerpräsidenten. ({19}) Jetzt ist dieser Schritt von allen als richtig erkannt worden. Alle sind dankbar dafür, dass wir das gemacht haben. ({20}) 6 400 Schulen sind inzwischen als Ganztagsschulen eingerichtet. Das hat dazu geführt, dass sich diese Koalition darauf geeinigt hat, auch den Ausbau der Krippenplätze intensiv zu fördern, deren Zahl bis 2013 auf 750 000 erhöht werden soll. Zudem soll ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt werden. Damit sorgen wir für gleiche und damit bessere Bildungschancen von Kindern vor allen Dingen aus sozial benachteiligten Familien. ({21}) Bei dieser Aufgabe lassen wir die Kommunen nicht allein, sondern wir garantieren eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten der Kindertagesstätten. In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen, dass die Kommunen wissen, dass sie mit der Sozialdemokratie einen starken Partner in der Regierung haben. Wir haben ihnen versprochen, dass mit uns an der Gewerbesteuer nicht zu rütteln ist. Das Versprechen haben wir im Zuge der Unternehmensteuerreform eingehalten. ({22}) Das bedeutet für die Kommunen in Deutschland: Es ist wieder Geld da für den Ausbau der Straßen, für den Bau von Schulen und für öffentliche Aufgaben vor Ort. Das ist praktische und realistische Politik für die Menschen. Wir haben in der Bildungspolitik durch eine Erhöhung des BAföG von diesem Wintersemester an ein Zeichen gesetzt, dass das Studium kein Privileg für diejenigen sein darf, die es sich finanziell leisten können. Wir wollen, dass jeder nach seinen Fähigkeiten studieren kann, nicht nach dem Geldbeutel der Eltern. ({23}) Ich finde es übrigens gut, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie das Thema Bildung - Sie haben eben lange darüber gesprochen - zur Chefsache gemacht haben. Allerdings bin ich gespannt, ob Ihre Ministerpräsidenten all das, was Sie hier vorgetragen haben, so akzeptieren werden. Ich wünsche Ihnen Erfolg. Wir wollen dabei helfen. ({24}) BAföG-Erhöhung, Wiedereinführung des MeisterBAföG - wir machen keine leeren Versprechungen, sondern wir halten, was wir sagen. Das ist der Unterschied zur Linkspartei. Mit seriöser Politik hat sie nichts zu tun. ({25}) Selbst Teilen der Linkspartei geht das Gefasel von Gysi und Lafontaine allmählich gegen den Strich. „Luftschlösser“, mosert der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Matthias Höhn, Die Linke. „Zutiefst unseriös“, so warnen Finanzpolitiker der Linkspartei vor immer neuen Milliardenversprechungen. Zu Recht: Von September 2007 bis Juni 2008 hat die Linkspartei über 120 Anträge und Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht, die ungedeckte Mehrkosten von gut 100 Milliarden Euro mit sich bringen würden. ({26}) Rechnet man hoch, was die Linkspartei über die gesamte Legislaturperiode an Forderungen gestellt hat, so müssten jährlich 255 Milliarden Euro zusätzlich her. Dann muss man aber auch sagen, woher das Geld kommen soll, Herr Kollege Lafontaine, Sie größter Finanzpolitiker der Welt. ({27}) Das ist fast so viel, wie Peer Steinbrück für den Haushalt insgesamt braucht. Schulden, Steuer- und Abgabenerhöhungen, das ist das Gebräu, mit dem sich Herr Lafontaine aus dem Wirrwarr ungedeckter Versprechungen herausreden will. ({28}) - Ich rede erst einmal über den Herrn. - Ein kenntnisreicher Journalist hat am Montag in einem Nachrichtenmagazin die finanzpolitischen Ungereimtheiten, Verfälschungen und Lügen treffend beschrieben. Nur der Titel „Die ökonomischen Märchen des Oskar Lafontaine“ ist irreführend; denn im Märchen siegt am Ende immer das Gute. Aber mit Ihren ökonomischen Giftrezepturen wird es nur ein ganz böses Erwachen geben, Herr Kollege Lafontaine. Lassen Sie mich eine persönliche Anmerkung zu dem Umgang von Lafontaine mit der Wahrheit machen. Er hat vor kurzem über die Zwangsvereinigung von KPD und SPD gesagt, dass es sie nie gegeben habe und dass die SPD freiwillig mitgemacht habe. ({29}) Das ist eine geschichtliche Dreistigkeit und eine Beleidigung eines jeden Sozialdemokraten, der dafür ins Gefängnis musste. ({30}) - Sie sind ein Lügner, und Sie sollten sich schämen. Nicht einmal diesen Rest Anstand, diesen Rest Moral und diesen Rest Respekt vor den DDR-Opfern hat sich dieser Mann bewahren können. Sie halten Populismus für eine Primärtugend, Herr Kollege. ({31}) Gestatten Sie mir einige Worte zur Außenpolitik. Raus aus der NATO, raus aus dem Kosovo, raus aus Afghanistan - mit diesem Weg in die internationale Isolation kann man für Deutschland keine Politik machen. Unsere Partner und Freunde beobachten genau, was wir auf internationaler Ebene tun und lassen. In den nächsten Wochen werden wir vermutlich eine neue Entscheidung über die Verlängerung des ISAFMandats in Afghanistan treffen. Ich weiß - auch aus vielen Veranstaltungen -, dass dieser Einsatz in der Bevölkerung sehr umstritten ist. Ich weiß aber auch, dass es keine Alternative dazu gibt, wenn der Wiederaufbau des Landes vorangehen soll. Würde Deutschland sich zurückziehen, dann hätte das einen Dominoeffekt für die Präsenz anderer Länder. ({32}) Sicher reicht das nicht als Begründung für eine Verlängerung aus; denn schließlich müssen wir verantworten, ob wir unseren Soldaten den gefährlichen Einsatz weiter zumuten können. Wir sollten uns deshalb immer wieder in Erinnerung rufen, warum wir in Afghanistan sind. Vor wenigen Tagen, am 11. September, hatten wir Anlass dazu. Bei den Anschlägen in New York und Washington 2001 sind über 3 000 Menschen ums Leben gekommen. Diese Anschläge waren das Werk islamistischer Terroristen. Die Taliban in Afghanistan haben diesen Terrorismus geduldet und gefördert. Deshalb war es nicht nur im amerikanischen Interesse, dieses Regime zu beseitigen. Wir müssen heute verhindern, dass die Taliban weiter erstarken und in Afghanistan an die Macht zurückkehren. Wir dürfen nicht sehenden Auges zulassen, dass sich Afghanistan zu einem Exportland für Terrorismus zurückentwickelt. ({33}) Wir dürfen auch nicht ausblenden, wer hierzulande vor Gericht des Terrorismus beschuldigt wird und sein Handwerk in Afghanistan gelernt hat. Sind die beiden Täter, die in Bahnhöfen Kofferbomben deponiert haben, durch die Menschen getötet werden sollten, vergessen? Deshalb arbeiten wir mit 40 anderen Staaten der Welt zusammen an einer besseren Zukunft in und für Afghanistan. Denn nur dann, wenn das Land wieder auf die Beine kommt und die Menschen wieder eine Lebensperspektive haben, werden sie den Drohungen und haltlosen Versprechungen der Islamisten widerstehen können. Der zivile Aufbau muss dabei im Mittelpunkt stehen. Darüber gibt es keine Diskussion und keinen Zweifel. Aber ohne die Absicherung durch das Militär ist er nicht möglich. Das wird jeder von uns bestätigen, der selbst vor Ort war. Ohne das Militär geht es nicht. Wir führen keinen Krieg gegen das afghanische Volk. Wer das behauptet, redet blanken Unsinn. Aber es gibt erstarkende Kräfte in Afghanistan, die den Wiederaufbau verhindern wollen, weil sie ihn zu Recht als Gefahr für die eigene Daseinsberechtigung sehen. Denn wenn wir zusammen mit Präsident Karzai und der Regierung in Afghanistan erfolgreich sind, dann werden Terror und Islamismus bei der afghanischen Bevölkerung keinen Rückhalt mehr finden. Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass wir unser Engagement in Afghanistan in der ganzen Breite - zivil und militärisch - fortsetzen müssen. Auch müssen wir unseren Soldaten alle verfügbaren Mittel an die Hand geben, um diesen Auftrag optimal erfüllen zu können. ({34}) Das sollten wir übrigens auch bedenken, wenn wir in den nächsten Tagen und Wochen im Bundestag über den Einsatz von AWACS-Flugzeugen zu entscheiden haben sollten. In der Außenpolitik angekommen will ich an dieser Stelle dem klugen und besonnenen Vorgehen der Bundesregierung in der Kaukasus-Krise meinen Dank aussprechen. Ihre Äußerungen dazu, Herr Gysi, waren völlig wirr und für mich nicht erklärlich. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die erfolgreichen Bemühungen Ihres Außenministers optimal unterstützt. ({35}) Vielleicht können Sie dem einen oder anderen Kollegen in Ihrer Fraktion erklären, dass es an dieser Politik nichts zu mäkeln gibt. Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls froh, dass wir mit Frank-Walter Steinmeier einen Außenminister haben, der die Interessen Deutschlands mit Beharrlichkeit und Augenmaß vertritt. ({36}) Wir sind stolz darauf, dass dieser Außenminister in der Tradition des letzten sozialdemokratischen Außenministers Willy Brandt Deutschlands Ansehen als Volk der guten Nachbarn gestärkt hat. ({37}) Nach der Ernennung Frank-Walter Steinmeiers zum Kanzlerkandidaten der SPD - nun komme ich zu dem, was Sie hören wollen - gab es aus den Reihen unseres Koalitionspartners - zum Glück nur ein paar einzelne verwirrte und verirrte Stimmen. ({38}) Es hieß, der Außenminister müsse sich zu 100 Prozent auf das Auswärtige Amt konzentrieren. Seien Sie sicher, dass der Vizekanzler die Regierungsgeschäfte genauso wenig vernachlässigen wird wie die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland! ({39}) Für beide gilt, was für alle in der Koalition gelten sollte: Jetzt ist Arbeit angesagt. Wahlkampf ist später, nicht jetzt. Bis dahin gibt es noch viel zu tun. Wir haben uns in der letzten Woche intensiv damit befasst, wie wir uns wirkungsvoll gegen die zunehmende Zahl von Spekulationsgeschäften am Öl- und Gasmarkt wappnen können; auch die Kanzlerin hat davon gesprochen. Die augenblickliche Entwarnung beim Preis für ein Barrel Öl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der zunehmende Energiehunger Chinas und Indiens auf Dauer die Preise bestimmen und nach oben treiben wird. Man kann es drehen und wenden, wie man will, letztlich bleibt uns nur eine Option: Wir müssen unseren Energieverbrauch verringern. Das kostengünstige Öl ist das Öl, das wir erst gar nicht verbrauchen. Energieeinsparungen und höhere Energieeffizienz sind neben den erneuerbaren Energien ({40}) unsere besten heimischen Energiequellen. ({41}) Eine höhere Effizienz nutzt außerdem der Umwelt und dem Klimaschutz. Wir haben intensiv geprüft - das gilt auch für die Unionsfraktion -, ob wir den Bürgerinnen und Bürgern mit verbilligten Grund- und Sozialtarifen helfen können. Diesen Weg haben wir verworfen, weil er entweder durch bürokratischen Aufwand unattraktiv oder durch erhebliche Mitnahmeeffekte unbezahlbar würde. Wir werden in den nächsten Wochen unsere Arbeitsergebnisse vorlegen. Aber schon jetzt sind wir der Meinung, dass es mittelfristig am sinnvollsten ist, unsere Energieeffizienz zu erhöhen sowie die Mittel für das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm weiter aufzustocken und bis mindestens 2015 zu verstetigen. ({42}) Außerdem schlagen wir vor, in den nächsten Jahren Großraumsiedlungen in Berlin, Hamburg und anderen großen Städten Deutschlands in großem Stil energetisch zu sanieren. Kurzfristig können wir Geringverdienern Entlastung verschaffen, indem wir die beschlossene Wohngelderhöhung auf Beginn der kommenden Heizperiode vorziehen. Ich höre, dass die Koalitionsfraktion CDU/CSU diesem Vorschlag wohl folgen wird. ({43}) Ich weiß, dass sich die Union intensiv mit Fragen der Energieeinsparung befasst; das ist gut. Aber ich rate dringend dazu, das nicht mit dem im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ausstieg aus der Kernenergie zu vermischen und diesen nicht zu verwässern. Wir bleiben bei dem Ausstieg aus der Kernenergie. Er ist für uns nicht verhandelbar. ({44}) Die Kanzlerin hat die Föderalismusreform II angesprochen. Auch ich will einige Worte dazu sagen. Mit dem Eckpunktepapier, das ich zusammen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger im Juni erarbeitet habe, ist die Arbeit der Kommission in die Schlussphase gekommen. Ich möchte gemeinsam mit Herrn Oettinger, dass es eine Zielgerade wird. Es geht um eine komplizierte und sensible Neugestaltung der Finanzbeziehungen. Dafür gibt es keine günstigere Koalition als diese Große Koalition, mit der die FDP-Kolleginnen und Kollegen und sogar Fritz Kuhn von den Grünen in der Frage der Schuldenregelung durchaus bereit sind zusammenzuarbeiten. Wir brauchen für fast jeden Eckpunkt unserer Reform eine verfassungsändernde Mehrheit im Parlament; das muss jeder wissen. Also brauchen wir die Kollegen von der FDP, die in manchen Bundesländern mitzuentscheiden haben. Herr Oettinger und ich wollen so vorgehen, dass zuerst die einvernehmlichen Punkte behandelt werden und die Streitpunkte zugunsten eines Gesamtpaketes vorläufig zurückgestellt werden. Nur dann sehe ich überhaupt eine Realisierungschance für ein Paket, das eine enorme Verbesserungschance gegenüber dem jetzigen Zustand bedeuten würde. Das gilt zum Beispiel für die Schuldenregelung, die einerseits ambitioniert sein muss, andererseits aber auch Raum für Konjunkturpolitik und Wachstumsinvestitionen einräumen muss. Ich war und bin mir bewusst, dass es eine Herkulesaufgabe ist, die wir zu stemmen haben, und kann nur appellieren: Lassen Sie uns die Chance nutzen - im Wissen um die Schwierigkeiten, aber mit dem Willen zum gemeinsamen Erfolg für die Zukunftsfähigkeit unseres Bundesstaates! ({45}) Wir müssen für die uns nachfolgenden Generationen eine Regelung finden. Wir haben noch genug zu tun. Die Erbschaftsteuer sei als Beispiel genannt. Ich gehe davon aus, dass wir im Oktober den Knoten durchschlagen werden und ins parlamentarische Verfahren gehen können. Wir müssen im Blick haben, dass uns das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung der Pendlerpauschale auferlegt. Es war richtig, dass wir uns auf das Verfahren geeinigt haben, nicht vorschnell aktiv zu werden, auf die Gefahr hin, auf das Urteil reagieren zu müssen. ({46}) Da ich gerade beim Bundesverfassungsgericht bin, will ich noch auf ein Thema eingehen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich weiß, dass ich da keine Zustimmung bei der CDU/CSU-Fraktion finden werde. Ich will nicht verstehen, dass wir das gesammelte Material zur NPD nicht nutzen, um noch einmal ernsthaft und intensiv die Möglichkeit eines erneuten Verbotsverfahrens zu prüfen. Das kann ich nicht verstehen. ({47}) Einige Landesinnenminister haben gute Vorarbeit geleistet, vor allem auch der CDU-Innenminister aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus meiner Sicht dürfen wir nichts unversucht lassen, um diesen Neonazis politisch, aber auch rechtlich endgültig das Handwerk zu legen. ({48}) Sonst besteht die Gefahr, dass sie in einigen Landstrichen die Oberhand gewinnen und die Arbeit aller demokratischen Parteien erschweren oder sogar unmöglich machen. Ich will mich jedenfalls nicht damit abfinden, dass wir aus Steuermitteln eine Partei finanzieren, die die demokratische Grundordnung überwinden und zerstören will. Das kann nicht in unserem Interesse sein. ({49}) Auf unserem Arbeitsplan stehen noch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Darüber werden wir in Kürze auf der Fraktionsarbeitsebene zu beraten und zu entscheiden haben. Wir müssen diesen Weg gehen, weil branchenübergreifende Mindestlöhne mit unserem Koalitionspartner bekanntlich nicht zu machen sind. Das ändert allerdings nichts daran, dass wir Sozialdemokraten über diese Wahlperiode hinaus am Ziel eines flächendeckenden Mindestlohnes, wie es ihn in den meisten europäischen Ländern gibt, festhalten und dafür werben werden. ({50}) Wir sind darin bestärkt worden durch einen Gast in unserer letzten Fraktionssitzung, nämlich durch den ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen Vogel. Er hat sich beim Thema Mindestlohn nicht nur auf die eigene Autorität verlassen, sondern uns als gläubiger Katholik die Argumentationskraft dreier Päpste für den Mindestlohn als Gastgeschenk mitgebracht. Leo XIII., Johannes XXIII. und Benedikt XVI., der aktuelle Papst, haben fast gleichlautend gerechten Lohn gefordert. Einen gerechten Lohn beschreibt Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris als einen Lohn, der dem Arbeiter und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestattet. Lassen Sie uns doch den Päpsten folgen und überwinden Sie Ihre christlichen Bedenken dagegen. ({51}) Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich zwei christliche Parteien solch gewichtigen Befürwortern sozialer Politik noch anschließen werden. ({52}) Sie sehen, dass die Unterschiede zwischen den Volksparteien noch nicht aufgebraucht sind. Niemand muss im nächsten Sommer einen langweiligen Wahlkampf fürchten. Jenseits des Trennenden haben wir in den letzten drei Jahren viel Gemeinsames auf den Weg gebracht, getreu dem Versprechen, das wir den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Koalitionsvertrag gegeben haben. In dessen Präambel heißt es: In gemeinsamer Verantwortung wollen wir das Land voranbringen. Das haben wir getan, und das werden wir in der noch verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode weiterhin tun. Von da an gilt Kapitel 3, Buch der Prediger, als Wegweiser: Alles hat seine Zeit, Weinen und Lachen, Wehklagen und Feiern, sich Umarmen hat seine Zeit und sich aus der Umarmung lösen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({53})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Drei Jahre nach Beginn der Großen Koalition und jetzt bei der Lesung des Haushalts des Kanzleramts geht es nach meiner Überzeugung um eine Frage, nämlich ob Sie, Frau Merkel, als Chefin der Großen Koalition das Land in den entscheidenden Feldern, die die Menschen betreffen und berühren, nach vorne gebracht haben oder nicht. Darauf will ich mich konzentrieren; denn das ist es, was man bei der Beratung des Haushalts des Bundeskanzleramts eigentlich betrachten muss. Ich will mit der Frage anfangen, ob Sie den Haushalt im Sinne der Generationengerechtigkeit konsolidiert haben. Das war ein großer Anspruch. Ich erinnere mich an die Rede von Herrn Röttgen, mit der die Große Koalition legitimiert werden sollte. ({0}) Meine Antwort ist: Wer sich die Zahlen anschaut, inklusive die der mittelfristigen Finanzplanung bis 2011, der muss - trotz allem, was der Finanzminister gestern wortreich dargestellt hat - feststellen: Sie haben dieses Ziel der Konsolidierung bis zum Jahr 2011 nicht seriös erreicht, ({1}) und zwar aus folgendem Grund: Wer in den Jahren 2005 bis 2009 zusätzliche Steuern in Höhe von insgesamt 59 Milliarden Euro einnimmt und die Nettoneuverschuldung nur um 21 Milliarden Euro zurückfährt, der kann nicht sagen, dass er den Haushalt wirklich konsolidiert habe. ({2}) Obwohl Sie, Frau Merkel, in einer guten Konjunktur gestartet sind, obwohl Sie die Mehrwertsteuer massiv erhöht haben und obwohl Sie massive Privatisierungserlöse in diesen Jahren im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung haben, haben Sie es nicht geschafft, den Haushalt zu konsolidieren. Sie haben nichts für die schwierigen Zeiten angelegt. ({3}) Unser Vorwurf heißt: Herr Struck, Ihnen ist es nicht gelungen, die Maßnahmen umzusetzen, über die wir in der Föderalismuskommission diskutiert haben, nämlich die Verschuldung zu bremsen und in guten Jahren für die schlechten Jahre vorzusorgen. Sie alle wissen, dass bei einer Neuverschuldung von null für das Jahr 2011, die Sie in der mittelfristigen Finanzplanung etatisiert haben, eine Vielzahl von Haushaltsrisiken steckt, für die Sie nicht im Ansatz Vorsorge getroffen haben. ({4}) Ich nenne die globalen Minderausgaben im Arbeitsministerium, die Sie nur zulasten der kleinen Leute realisieren können, nämlich beim Arbeitslosengeld II, bei der Grundsicherung. Ich nenne die Pendlerpauschale mit den Risiken in Karlsruhe. Ich nenne das Kindergeld, von dessen Erhöhung Sie reden, die Sie aber nicht etatisiert haben. ({5}) Ich rede von den Konjunkturrisiken, die Sie nicht etatisiert haben; denn Sie gehen von einem Wachstum von 1,2 bzw. 1,5 Prozent über die Jahre aus. Ich nenne auch das Urteil aus Karlsruhe über die steuerliche Absetzbarkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Das heißt im Klartext: Trotz massiver Haushaltsrisiken und trotz eines möglichen Abschwungs der Konjunktur - man braucht gar nicht von Rezession zu reden setzen Sie für das Jahr 2011 eine Neuverschuldung von null an, obwohl alle wissen, dass Sie dieses Ziel nicht einhalten können. Frau Merkel, es tut mir leid: Wir können gern über Schwierigkeiten auf dem Weg reden, aber Sie können eines nicht machen: dass Sie sich erst einmal den Beifall als Konsolidierer abholen, hinterher aber das Konsolidierungsziel nicht erreichen. Das funktioniert bei einer wachen Öffentlichkeit nicht, egal wie Steinbrück hier an diesem Pult redet. ({6}) Ich finde, wir müssen anders über Einsparungen reden, und wir müssen darüber reden, welche steuerlichen Privilegien Sie eigentlich in den letzten Jahren nicht angetastet haben. Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt zahlreiche Ausnahmen bei der Ökosteuer in der Wirtschaft. Die Ökosteuer ist eine reine Verbraucherinnenund Verbrauchersteuer geworden. Sie sind nicht bereit, diese Ausnahmen anzugreifen, obwohl dem Staat dadurch jährlich Milliardenbeträge entgehen. Ein zweites Beispiel: die Steuerprivilegien bei der Nutzung von Dienstwagen. Bund und Länder geben dafür zusammen jährlich rund 6 Milliarden Euro aus. Darüber schweigt die Regierung trotz Klimaschutzanforderungen. Ich erläutere das einmal, weil ich weiß, dass viele über die Dimensionen nicht Bescheid wissen: Ein Porsche Cayenne Turbo - um einmal ein größeres Fahrzeug zu nehmen -, der pro Kilometer 358 Gramm CO2 ausstößt und dabei 15 Liter Treibstoff verbraucht, hat einen Ladenpreis von 110 000 Euro. Ein Großbetrieb mit einem entsprechenden Grenzsteuersatz, der dieses Auto einem seiner Mitarbeiter zur Verfügung stellt, kann ihn sechs Jahre lang abschreiben und hat dadurch einen Steuervorteil von jährlich maximal 5 500 Euro, das heißt insgesamt von etwas mehr als 33 000 Euro. Ein mittelständischer Betrieb, der einen höheren Grenzsteuersatz hat, hat in diesem Sechsjahreszeitraum einen Steuervorteil von 44 000 Euro. Da frage ich Sie alle zusammen: Was sind wir eigentlich für ein Staat, der es für zumutbar und akzeptabel hält, dass die Nutzung dieser Dreckschleudern, was den CO2-Ausstoß angeht, durch einen Steuervorteil von maximal 44 000 Euro begünstigt wird? Wo sind Sie denn da? ({7}) Dennoch sagte Herr Steinbrück gestern: Nennen Sie mir Sparvorschläge! Wir können eine ganze Reihe solcher Sparvorschläge nennen. Wir müssen natürlich über die Fragen reden: „Stimmt die steuerliche Basis, oder sind wir da zu großzügig? Subventionieren wir das Falsche?“ Frau Merkel, diese Sache müssen Sie sich anschauen, wenn Sie den Anspruch erheben, eine Große Koalition wirklich im Sinne von Haushaltskonsolidierung geführt zu haben. ({8}) Dann kommen die Bayern ins Spiel. Herr Huber, ich kann nur sagen - Sie wollen nachher in der dritten Runde reden -: Was Sie gegenwärtig steuerpolitisch vorschlagen - Ihr Entlastungspaket bei der Einkommensteuer, 23 Milliarden Euro; die Wiedereinführung der Enfernungspauschale; das, wogegen Sie jetzt kämpfen, haben Sie mit beschlossen, wovon Sie jetzt nichts wissen wollen -, ist nicht finanzierbar. Sie verweisen immer auf zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 60 Milliarden Euro. Aber Sie sehen doch, dass die von Ihnen mitgestaltete und mitgetragene Große Koalition trotz dieser Mehreinnahmen bei den Steuern aus diesem Jahr mit über 10 Milliarden neuen Schulden herausgehen wird. Das Geld, das Sie fordern, ist nicht vorhanden. Was Sie in Bayern veranstalten, ist ein Wahlkampftheater. Ich nenne die Forderungen, die Sie aufstellen, und die Art, wie Sie arbeiten, Panikpopulismus. Weil Sie Angst haben, dass Sie die absolute Mehrheit verlieren, verkünden Sie jeden Unsinn - und wissen genau, dass es nicht geht. ({9}) Übrigens, an dieser Stelle sind der Politikstil der Linkspartei und der der CSU in Bayern einander nah. Es ist Ihnen völlig egal, wie man die Dinge realisieren kann; dennoch stellen Sie erst einmal Forderungen, weil Sie denken, es komme irgendwie gut an. ({10}) Die CSU ist in einem komischen Zustand; Sie fordert in Bayern etwas ganz anderes, als sie hier in Berlin tut. Ich will dafür ein weiteres Beispiel nennen, und zwar aus dem Bereich der Gentechnik; ich denke an die Grüne Gentechnik in der Landwirtschaft. Auf der Ramsauer-Homepage - jetzt in Bayern - habe ich gelesen: „Wir lehnen den Einsatz der … Gentechnik in unserer Heimat ab.“ Tatsächlich hat ihn zunächst der CSUMinister Seehofer als Gesundheitsminister 1998 in Brüssel genehmigt, als er die genrechtliche Genehmigung im Rahmen der EU mit unterstützt hat. Die sortenrechtliche Genehmigung, die man bei der Aussaat braucht, hat er dann im Jahr 2005 als eine seiner ersten Amtshandlungen erteilt, nachdem Renate Künast dieses Verfahren gestoppt hatte. Da fragt sich doch die aufgeklärte Bevölkerung in Deutschland und in Bayern: Was gilt nun? Gentechnik in der Heimat lehnt man ab, und in Berlin pusht man sie mit Unterstützung der Kanzlerin. ({11}) Ich glaube, dass man so nicht vorgehen kann. Im Übrigen, Herr Steinbrück, Stichwort „Sparen in Deutschland, Gentechnik“: Im Rahmen der HightechStrategie werden - das ist ein kleinerer Beitrag 279 549 Euro dafür ausgegeben, dass gentechnisch veränderte, kälteresistente Weihnachtssterne erprobt werden. So etwas wird zur Förderung der Gentechnik über den Bundeshaushalt finanziert. Ich würde einmal sagen: Wenn Sie über Haushaltskonsolidierung reden, dann schauen Sie noch einmal nach, ob Sie solche Beiträge nicht einsammeln können! Es ist doch blanker Unsinn, sich als Sparkommissar hinzustellen und insgesamt einen solchen Mist zu machen. ({12}) Ich möchte Frau Merkel als Kanzlerin und Chefin der Großen Koalition zweitens fragen, ob eigentlich die sozialen Sicherungssysteme gerechter und zukunftsfähiger geworden sind. Auch das ist eine Frage, die die Große Koalition beantworten muss. Meine Antwort ist: In vielem sind die sozialen Sicherungssysteme nicht gerechter geworden. Wenn ich auf das Gesundheitssystem schaue, dann stelle ich fest, dass wir in Deutschland doch eine Zweiklassenmedizin haben. Zu denken ist an die Wartezeiten, an die Leistungskataloge für Kassenpatienten oder an die Überversorgung von Privatpatienten. Weil die Praxen über beide Systeme finanziert werden, laufen Privatpatienten ja auch immer Gefahr, dass bei ihnen zu viel gemacht wird, also auch etwas gemacht wird, was medizinisch gar nicht notwendig ist. Wenn ich mir all dies anschaue, dann kann ich aufgrund der Spaltung zwischen gesetzlicher und privater Versicherung nicht sagen: Unser Gesundheitssystem hat nicht den Charakter einer Zweiklassenmedizin. Es besteht ein unterschiedliches Angebot, je nachdem, um wen es sich handelt und wo er sich befindet. Daran hat die Große Koalition nichts verändert. ({13}) Sie haben sich um die Finanzierung gekümmert, aber in der Frage der Gerechtigkeit in der Krankenversicherung sind Sie als Große Koalition keinen Schritt weitergekommen. ({14}) Frau Merkel sagt, es sei kompliziert, aber es hat sie nicht interessiert, etwas zu verändern und mehr Gerechtigkeit in die gesetzliche Krankenversicherung zu bringen. Zur Frage der stabilisierten Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme: Unter die Grenze von 40 Prozent zu kommen, das erreichen Sie nicht. Herr Kauder, Frau Merkel, Sie haben dies nicht wirklich erreicht. Ich nenne Ihnen die Zahlen. Am 1. Juli 2008 betrug der Gesamtsatz für die sozialen Sicherungssysteme 40,3 Prozent. Am 1. Januar 2009 wird er, weil der Gesundheitsfonds natürlich viel kosten wird, über 40,7 Prozent betragen. Ich rechne übrigens die 0,9 Prozent, die die Arbeitnehmer in der Krankenversicherung allein bezahlen, dazu; da lasse ich Sie nicht heraus. Das ist der Satz, den man zugrunde legen muss, wenn man wissen will, wie hoch die Belastung insgesamt ist. Von daher rührt auch der ganze Streit über die Frage, ob Sie in der Arbeitslosenversicherung unter einen Satz von 3 Prozent gehen wollen. Sie müssen unter einen Satz von 3 Prozent kommen, wenn Sie das 40-Prozent-Versprechen einhalten wollen. Frau Merkel, gegenwärtig ist es nicht eingehalten. Ich sage Ihnen voraus: Auch in einem Jahr werden wir feststellen, dass Sie dieses Versprechen nicht halten können. ({15}) Ich möchte eine dritte Frage an die Chefin der Großen Koalition, Frau Merkel, stellen, nämlich: Haben Sie im Bereich der Energie- und Verkehrspolitik das gemacht, was aus Klimaschutzgründen notwendig, möglich und sinnvoll ist? Unsere Antwort heißt: Sie haben es nicht gemacht. Frau Merkel hat sich sehr mit diesem Thema beschäftigt, ist auch Eisberge gucken gegangen, aber das, was das Kabinett zur CO2-Vermeidung beschlossen hat, entspricht nicht dem, was man sich selbst als Ziel gesetzt hat. 40 Prozent CO2-Reduktion haben Sie vorgehabt. Wenn ich das zum Maßstab nehme, was Sie im Kabinett insgesamt beschlossen haben, können Sie nach vielen Untersuchungen, die jetzt vorliegen, maximal 30 Prozent Reduktion erreichen. Das hat einen systematischen Grund, und den will ich nennen. Immer dann, wenn es von der Sonntagspredigt ans Eingemachte geht, wenn es um die Umsetzung werktags geht, haben Sie dicke Lobbys im Nacken, denen Sie am Schluss nachgeben. Das führt dazu, dass Sie das, was Sie ursprünglich wollten, nicht umsetzen können. ({16}) Sie haben keinen Top-Runner-Ansatz zur Effizienzsteigerung bei Elektrogeräten. Der Neubau von Kohlekraftwerken, den Sie vorantreiben, führt nicht dazu, dass der CO2-Ausstoß reduziert wird, weil Sie die alten Kraftwerke nicht abschalten können; dazu haben Sie nämlich kein Rechtsinstrument. Sie haben die Kraft-WärmeKopplung nicht so ausgebaut wie nötig, weil Sie einen Deckel bei 750 Millionen Euro eingezogen haben. Beim Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und bei der Energieeinsparverordnung springen Sie deutlich zu kurz, weil Sie sich nicht trauen, die Altbauten konsequent in das Erneuerungsprogramm einzubeziehen, sondern eher bei den Neubauten ansetzen. Deswegen führen Sie eine Atomdebatte, die ich nur als Ablenkungsdebatte sehen kann. Nach der Sitzung des Vorstands der CDU/CSU-Fraktion in München ist es heraus: Sie wollen die Kraftwerke zehn Jahre länger laufen lassen. Auch alte Pannenreaktoren wie Biblis A, Neckarwestheim und Brunsbüttel sollen zusätzlich zehn Jahre laufen. Frau Merkel, ich kann nur hoffen, dass die Dübel in Ihrer Wohnung besser und fachgerechter monFritz Kuhn tiert sind als die in Biblis, wo man Tausende von Dübeln auswechseln musste. ({17}) Mit diesem Bild möchte ich deutlich machen: Wir reden nicht über Reaktoren ganz neuer Generation, sondern wir reden über alte Pannenreaktoren, die laufend stillgelegt sind, weil sie nicht dem technischen Stand entsprechen. Sie wollen 40 Milliarden Euro aus den Gewinnen der Energieerzeuger erlösen. Wenn man die Verantwortlichen kennt und ihre Kommentare jetzt, nachdem die Zahl von 40 Milliarden auf dem Tisch liegt, gehört hat, dann kann ich Ihnen nur vorhersagen, mit einem solchen Unsinn werden Sie bei denen scheitern. Der RWE-Sprecher kann zum Beispiel gar nicht nachvollziehen, wie Sie auf diese Zahl kommen. Die Begründungen waren auch gut. Noch vor einem halben Jahr haben Sie gesagt, dieses Geld sei für die regenerativen Energiequellen. Jetzt heißt es plötzlich, dieses Geld sei für die Senkung der Stromtarife. Warum haben wir denn in Bayern oder in Baden-Württemberg, wo es so viele Atomkraftwerke gibt, keine niedrigeren Stromtarife? Lassen Sie sich doch von der CDU nicht diesen Bären aufbinden! Herr Kauder, Sie sollten eigentlich vernünftiger sein als das, was von Ihnen in den Zeitungen steht. ({18}) Uns stört die Art und Weise, wie Sie mit der Entsorgungsfrage umgehen. Wir haben in Deutschland kein Endlager. Diejenigen Ihrer Politiker, die dort leben, wo die Atomkraftwerke stehen, in Bayern und BadenWürttemberg, sagen jetzt: „Gorleben!“ Herr Kauder, es scheint, als würden Sie aus Asse keine Konsequenzen ziehen. Dort ist visuell und praktisch sichtbar, dass ein Salzstock nicht für die sichere Einschließung von radioaktivem Müll geeignet ist, auf den wir Zehntausende von Jahren aufpassen müssen. Herr Kauder, wir finden es billig, wie bei uns in Baden-Württemberg - ich komme selber aus Baden-Württemberg - und in Bayern mit dieser Frage umgegangen wird: Was wir nicht wollen, sollen doch die Fischköpfe in Niedersachsen gefälligst nehmen. - Das, was Sie da praktizieren, ist Heuchelei. ({19}) Ich komme zum Thema Verkehrspolitik. Frau Merkel, 25 Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen entstehen durch den Verkehr. Sie aber haben so gut wie keine Verkehrspolitik, die darauf auch nur irgendeine Antwort gibt. Mit der Kfz-Steuerreform kommen Sie nicht weiter, obwohl viele Leute darauf warten. Sie würden ein sparsameres Auto kaufen, wenn sie wüssten, was da geschieht. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Auto mit einem Spritverbrauch von 4 Litern muss Kfz-steuerfrei sein. Das müssen Sie endlich machen, dann lösen Sie auch einen Anreiz zum Kauf einer besseren Verkehrstechnik aus. Das scheint Ihnen aber weitgehend egal zu sein. Themen wie Tempolimit oder Dienstwagenbesteuerung scheinen Sie zu ignorieren. Das ist eine gute Dauersubvention, die Sie gern beibehalten wollen. Zu den Flugbenzinprivilegien höre ich von der großartigen Großen Koalition nichts. Hier drücken Sie sich vor dem entscheidenden Umstand, dass wir in Deutschland das Verkehrsmittel subventionieren, das in Bezug auf den CO2Ausstoß am schlechtesten dasteht. ({20}) Schließlich frage ich nach der Bahn und der Ordnungspolitik. Frau Merkel, wie lange wollen Sie als Chefin der Großen Koalition eigentlich noch jemanden wie Herrn Mehdorn stützen, der gegenüber den eigenen Kundinnen und Kunden der Bahn nachweislich als Wiederholungstäter aufgetreten ist? Er „verkauft“ diese wegen des Börsengangs. So jemanden kann man nicht stützen, das ist absoluter Unsinn. ({21}) Ich frage mich auch, wann Herr Tiefensee endlich mit einer Verkehrspolitik beginnt, die wirklich unter dem Rubrum „Klimaschutz“ steht. Ich frage mich, wann er nicht mehr diesen Mist macht, den wir aus diesem Hause gewohnt sind. Frau Merkel, ich sage dies deswegen, weil ich finde, eine Kanzlerin darf diese Fragen nicht so auslassen. Sie muss sich zentral mit diesen Fragen auseinandersetzen. Die nächste Frage, die ich ansprechen möchte, ist die Bildungspolitik. Es ist schön, dass Sie jetzt eine Bildungsreise machen. Ich will mich ausdrücklich nicht darüber lustig machen, denn es ist richtig, sich um die Bildungsinstitutionen zu kümmern. Die Lage ist ganz klar: Deutschland ist als Bildungsland nicht an vorderer Stelle. Im OECD-Vergleich schneiden wir sehr kritisch ab. Wir geben sehr viel weniger Geld aus, als die Länder im Durchschnitt ausgeben. Wir geben erst recht sehr viel weniger Geld aus als die Topländer. Dabei will ich sagen, dass es nicht allein ums Geld geht. In der Frage der Bildung geht es immer auch um die Struktur von Bildung, also um die Qualität, die aus dem folgt, wie wir Bildung organisieren. ({22}) Wenn ich mir unser Land im internationalen Vergleich anschaue, dann stelle ich fest, wir haben zu wenig Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen, wir haben Qualitätsdefizite in der Kinderbetreuung, wir haben zu wenig sprachliche und soziale Integration. Sie haben das angesprochen. Ich glaube, man muss diese Anstrengungen in der Vorschule und in den ersten Klassen der Schule verstärken. Wir haben in unserem Schulsystem - da wären Sie auch als CDU-Vorsitzende einmal gefragt; Sie sind ja nicht nur Kanzlerin, sondern auch Vorsitzende dieser Volkspartei - eine zu frühe Selektion der Kinder nach der vierten Klasse mit negativen Auswirkungen auf das Lernklima ab der ersten Klasse. Der Leistungsdruck geht ja gleich nach der Einschulung der Kinder los. ({23}) Wir haben eine lausig schlechte Situation an den Hochschulen, sowohl was die Lehre als auch was die Forschung angeht. Keine deutsche Hochschule steht im internationalen Ranking an vorderer Stelle. Der Hochschulpakt funktioniert einfach nicht, Frau Schavan. Ich möchte nur einmal etwas zur Anzahl der Studienplätze sagen: Für 2007 war vereinbart, 13 000 neue Studienplätze zu schaffen. Tatsächlich geschaffen wurden 3 400. Sie müssen sich doch eingestehen, dass dies nicht so funktioniert, wie es geplant war, und sich darum kümmern. Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Das Ergebnis der Föderalismusreform I, dass der Bund auf wesentliche Punkte seiner ohnehin schwachen Kompetenzen im Bildungsbereich verzichtet hat, war ein großer Fehler. Dies war ein Fehler, den die Große Koalition gemacht hat und den Sie zusammen mit Herrn Müntefering zu verantworten haben. ({24}) Wir stellen jetzt die Forderung an Sie, dass der Bildungsgipfel, den Sie als Bund-Länder-Bildungsgipfel für Oktober angesetzt haben, zu einem Ergebnisgipfel werden muss. Er darf nicht zu einem Problemanalysegipfel werden; davon haben Sie ja schon viele durchgeführt. Wir wollen jetzt vielmehr konkrete Ergebnisse sehen, wie unser Bildungssystem verbessert werden soll, wer dabei welche Aufgabe erhält und wie die Finanzierung zwischen Bund und Ländern hier geregelt werden soll. Es wird also zu prüfen sein, ob es sich um einen Ergebnisgipfel gehandelt hat oder ob man nur schön darüber gesprochen hat, wie es eigentlich sein sollte. ({25}) Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt, den Sie in Ihrer Rede, Frau Merkel, völlig ausgelassen haben. Wir wissen, dass neben den Strukturreformen im Bildungssystem die Fragestellung, wie wir all das finanzieren wollen, zentral und wichtig ist. Laut OECDZahlen haben wir in der gesamten Bildungskette vom Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung und der Universität in Deutschland eine Unterdeckung bezüglich der eigentlich notwendigen Ausgaben in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro, je nachdem, was man alles dazunimmt. Sie müssen jetzt endlich einmal sagen, aus welchem der noch nicht konsolidierten Haushalte und mit welcher Methode Sie diese Lücke schließen wollen. Wir als Grüne haben vor diesem Hintergrund gesagt, wir hören damit auf, sonntags von mehr Bildung zu reden und bei Finanzierungsfragen verträumt zum Himmel über dem Reichstag oder sonst wohin zu schauen. Vielmehr schlagen wir vor, Mittel aus dem Soli, der ein Finanzvolumen von 50 Milliarden Euro umfasst und dessen Zweckbindung zur Verwendung in den neuen Ländern von 2010 bis 2019 nach und nach ausläuft, dazu zu verwenden, um die große Aufgabe zu stemmen, die Infrastruktur unseres Bildungssystems endlich zu stärken. Auf diese Weise könnten wir das, was wir machen wollen, endlich auch finanzieren. ({26}) Man muss sich einmal die Gefechtslage beim Soli vor Augen führen: Die FDP will ihn abschaffen, Herr Steinbrück braucht ihn im Haushalt; da ist er über die Jahre ein wesentliches Konsolidierungsinstrument seiner mittelfristigen Finanzplanung. Er kommt ohne die 10 Milliarden Euro jährlich, die bis 15 Milliarden Euro aufwachsen, bei seinen Konsolidierungsbemühungen gar nicht mehr aus. Ich stelle hier die Maxime auf: Wer unseren Vorschlag ablehnt, der soll einen Gegenvorschlag mit einem Finanzvolumen in dieser Höhe machen, damit Bildung finanziert werden kann. ({27}) Der Wettbewerb zwischen den Parteien geht nicht so, dass Sie immer nur Vorschläge ablehnen. Vielmehr müssen Sie auch eigene Vorschläge machen, wie Sie auf Bundes- und Länderebene dieses finanzieren wollen. Ich möchte einen Punkt in der Außenpolitik ansprechen, Frau Merkel, der mit Afghanistan zu tun hat. Sie haben hierzu ein bisschen was gesagt; Herr Struck hat etwas mehr gesagt. Wir haben den Eindruck, dass Sie dieses Thema ganz verschämt und versteckt anfassen. ({28}) Es gibt eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages Anfang Oktober, aber das Mandat liegt noch nicht vor. Sie reden wenig darüber, ganz nach dem Muster: Das sollen besser Herr Struck oder der Außenminister machen. Sie jedoch erklären der Bevölkerung nicht, was Sie in Afghanistan vorhaben und wie der Strategiewechsel funktionieren soll. Sie halten sich - im Vergleich zu anderen Themen, die Sie anpacken - merklich zurück. Wir haben eine ganze Reihe von Fragen. Wir verstehen, dass Sie im Sinne eines Strategiewechsels langsam etwas für den zivilen Aufbau tun. Aber ein großer Schwung kommt da nicht rein; dazu sind zum Beispiel die Bewegungen beim Polizeiaufbau viel zu langsam. Aber unsere Hauptfrage an Sie, die Sie nicht beantwortet haben, ist: Was macht eigentlich die Bundesrepublik Deutschland unter Ihrer Führung, wenn deutlich wird, dass die hohe Zahl der zivilen Opfer, die amerikanische Luftschläge gegen die Taliban sehr oft mit sich bringen, nicht kleiner wird, wenn es 70, 80 zivile Opfer gibt, Kinder, Frauen, die nichts mit diesen Taliban zu tun haben? So etwas kann einmal passieren; aber es passiert immer wieder. Aus Deutschland gibt es keine Antwort auf die Frage, wann wir diese Strategie beenden. So wird das Problem nicht gelöst, Herr Struck, und die Bevölkerung kann nicht einsehen, warum wir da zustimmen sollten. Sie dürfen also, Frau Merkel, nicht nur sagen, dass mehr für den zivilen Aufbau getan werden muss, sondern Sie müssen uns auch die Frage beantworten, wann die Doppelstrategie in Afghanistan - nämlich einerseits zivile Institutionen zu stärken, was wir unterstützen, andererseits aber viele zivile Opfer billigend in Kauf zu nehmen - aufhört. Das hätten Sie beantworten müssen als Kanzlerin, die in diesem Hause über dieses Thema debattieren will. ({29}) Wenn wir dann lesen - ich verweise auf eine Berichterstattung letzte Woche in der Neuen Zürcher Zeitung, die eine hohe Objektivität in diesen Fragen hat -, dass US-Präsident Bush beschlossen und den Befehl erteilt haben soll, dass künftig auch in Pakistan mit Bodentruppen angegriffen wird, ohne die pakistanische Regierung um Erlaubnis zu fragen, dann kann ich nur sagen: Ich will von einer Kanzlerin, die diesen Laden hier führt, wissen, wie sie dazu steht, ob sie glaubt, dass das stimmt, und was sie gegenüber der US-Administration getan hat, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie die Dinge laufen, und ob wir eigentlich mit Zustimmung zu ISAF und OEF diesen völkerrechtswidrigen Befehl, wenn er denn erteilt worden ist, unterstützen wollen oder nicht. Solche Fragen haben wir Abgeordneten, und zwar in allen Fraktionen, wenn wir über dieses Thema diskutieren. Ich verstehe Ihren Dank an die Angehörigen der Bundeswehr. Aber als einziges wesentliches Element in Ihrer Rede war das wirklich zu wenig. An dieser Stelle hätte ich mir mehr Führung, mehr Aufklärung, mehr Information gewünscht. ({30}) Ich komme zum Schluss.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wenn ich ein Resümee ziehe, finde ich, dass Sie, Frau Merkel, das Land in wesentlichen Fragen nicht ausreichend führen, dass Sie sich zurückhalten, dass Sie warten, wie die Streits ausgehen. Ich will am Rande hinzufügen: Manchmal habe ich bei Ihrem Regierungsstil den Eindruck, als hätten wir nicht einen Bundespräsidenten, sondern eher zwei. Für die Führung einer Kanzlerin ist das zu wenig. Vielen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Volker Kauder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit der Vorlage dieses Haushaltes für das Jahr 2009 verfolgt die Große Koalition konsequent das weiter, was sie sich zum Start vorgenommen hat: sanieren, reformieren, investieren. ({0}) Das Thema Sanieren ist für uns eine der ganz großen Herausforderungen. Herr Kuhn, ich hätte mir gewünscht, dass das Thema Sanieren uns nicht so in Anspruch genommen hätte. Dazu wäre aber Voraussetzung gewesen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit mehr Wert auf die Konsolidierung des Haushaltes gelegt hätten, als Sie es getan haben. ({1}) Sie haben sich darin erschöpft, Geld rauszuwerfen und Nachhaltigkeit einzufordern. Dieser Bundeshaushalt ist im Gegensatz zu Ihrer Politik eine klare Aussage an die junge Generation. Wir sorgen für nachhaltige Chancen der jungen Generation, indem wir jetzt nicht alles verpulvern, sondern durch einen konsolidierten Haushalt die Möglichkeit schaffen, dass die junge Generation in die Zukunft investieren kann. Wir handeln nicht wie Sie. Sie haben in Ihre Ideologie investiert, Geld hinausgeworfen und der jungen Generation Schulden hinterlassen, die wir jetzt wegräumen müssen. ({2}) Auf diesem Weg gehen wir weiter, weil es ganz entscheidend darauf ankommt, dass junge Menschen in diesem Land eine Perspektive sehen, dass sie spüren, dass man ihnen Angebote macht - Bildungspolitik ist hier das Thema -, dass sie aber auch spüren, dass man sich um sie kümmert. Es kann uns nicht einfach kaltlassen, dass ganze Jahrgänge junger Wissenschaftler, Mediziner unser Land verlassen, weil sie glauben, in anderen europäischen Ländern bessere Bedingungen zu haben. Dieser Haushalt schafft die Voraussetzung dafür, dass wir jungen Menschen sagen können: Bleibt in Deutschland, bleibt in eurer Heimat. Wir schaffen die Voraussetzung für eine gute Zukunft für euch in Wissenschaft, in Forschung und im Gesundheitswesen. ({3}) Mit dieser Großen Koalition hat sich schon einiges verändert. Es ist bereits mehrfach gesagt worden: Neben dem, was wir als knallharte Fakten sehen - dass wir nach einer Neuverschuldung von 30, 40, 50 Milliarden Euro jedes Jahr jetzt auf eine Neuverschuldung von etwas mehr als 10 Milliarden Euro kommen und dass wir im Haushalt 2010, der noch vor der Bundestagswahl im Jahr 2009 beraten wird, auf 6 Milliarden Euro kommen -, ist die klare Aussage und Botschaft: Wir werden es nach 40 Jahren zum ersten Mal schaffen, keine neuen Schulden zu machen, um unsere Aufgaben leisten zu können. Wir schaffen einen ausgeglichenen Haushalt. Wir sorgen dafür, dass keine neuen Schulden und keine neuen Zinslasten entstehen und es neue Chancen für die junge Generation gibt. ({4}) Dieser Weg war nicht einfach; er war anstrengend. Auch in beiden Koalitionsparteien, sehr geehrter Herr Kollege Struck, war es nicht einfach, weil natürlich in beiden Parteien ({5}) - in drei Parteien, auch in der CSU - befürchtet wurde, dass wir zu viel von dem, was uns wichtig ist, nicht umsetzen können. Aber was ist in den letzten drei Jahren wirklich wichtig gewesen? Was neben der Haushaltskonsolidierung wirklich wichtig war, wird uns heute in allen Tageszeitungen auf Seite eins bescheinigt. ({6}) Vom DIW wird bescheinigt: Die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist der einzige Weg, um soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. ({7}) Professor Zimmermann sagt heute in allen Zeitungen: Es mag ja sein, dass nicht bei jedem etwas angekommen ist von dem, was gemacht worden ist. Aber er sagt auch: Bei denjenigen 2 Millionen Menschen und deren Familien, die aus der Arbeitslosigkeit herausgekommen sind und neue Chancen in ihrem Leben haben, ist enorm viel angekommen. Bei ihnen ist der Aufschwung angekommen. ({8}) Deswegen gilt es, diesen Weg weiterzugehen. Mancher auch in unserem Land meint: Wenn wir über die Erfolge, die zweifelsohne da sind, reden, dann würden wir uns zurücklehnen. Überhaupt nicht! Die Erfolge, die wir erreicht haben, dienen vielmehr als Beweis dafür, dass es sich lohnt, sich anzustrengen, dass es sich lohnt, das, was man als richtig erkannt hat, konsequent weiterzuführen. Wir werden uns nicht ausruhen, sondern den Menschen Antworten auf die Fragen geben, die sie stellen. Es sind natürlich bewegte Zeiten, in denen die Menschen uns schreiben. E-Mail-Eingang heute Morgen: Herr Kauder, sagen Sie uns einmal: Sind unsere Spareinlagen noch sicher? Welcher Bank können wir noch vertrauen? ({9}) Die Antworten, die der Finanzminister und die Bundeskanzlerin gegeben haben, sind völlig richtig. Sie sagen: Wir müssen dafür sorgen, dass es entsprechende Richtlinien und Regeln gibt, damit das, was jetzt passiert ist, nicht noch einmal passieren kann. Daran müssen wir arbeiten. ({10}) Es ist richtig, wenn der Bundesfinanzminister erklärt: Es sind Dinge passiert, die natürlich nicht hätten passieren dürfen; aber es besteht überhaupt kein Grund, den Menschen einzureden, dass wir diese Situation nicht beherrschen können. Eines ist aber auch klar: All diejenigen, die uns noch vor wenigen Monaten gesagt haben, Kontrollen und Regeln in diesem Punkt seien falsch und würden die Marktwirtschaft stören, werden jetzt eines Besseren belehrt. Die Marktwirtschaft schlechthin, die USA, weiß sich jetzt nicht anders zu helfen als zu verstaatlichen und Milliarden zuzuschießen. Dazu sage ich: Lieber vorher eingreifen, vorher regeln, um den Markt in die richtige Richtung zu lenken. Das ist unsere Aufgabe. Dabei, Frau Bundeskanzlerin und Herr Bundesfinanzminister, unterstützen wir Sie nach Kräften. ({11}) In diesen Tagen werden wir in allen Interviews zum Thema Koalitionen befragt. Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Plenum und draußen an den Bildschirmen, wir wollen diese Diskussion nicht führen. Ich rate uns allen, sich an dieser Diskussion nicht zu beteiligen. Es geht doch jetzt nicht um uns. Wir machen keinen Wahlkampf. Wir müssen jetzt unsere Arbeit machen. ({12}) Deswegen rate ich allen, auch wenn sie vor Kameras gefragt werden, sich nicht auf diese Diskussion einzulassen, sondern deutlich zu machen, was in den nächsten Wochen und Monaten noch vor uns liegt, was wir machen müssen, um dieses Land voranzubringen. ({13}) Jetzt konkret: Diese Große Koalition hat ihre Rechtfertigung darin, dass sie Aufgaben anpackt und sie löst. Dabei geht es um Themen, die für unser Land, für viele Menschen, für uns alle von besonderer Bedeutung sind. ({14}) Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der Arbeitsplatzschaffer Nummer eins, derjenige, der die Ausbildungsplätze für unsere Kinder zur Verfügung stellt, ist der Mittelstand in Deutschland. ({15}) Das sind vor allem unsere Familienunternehmen, die am Standort bleiben und sich nicht wie jedes DAX-Unternehmen in der ganzen Welt tummeln. ({16}) Diese Familienunternehmen müssen entlastet und nicht, wie Herr Lafontaine meint, enteignet werden. Das ist absoluter Unsinn, was da erzählt wird! ({17}) Deswegen haben wir bei der Erbschaftsteuerreform - Herr Kollege Struck, Sie haben das angesprochen eine riesengroße Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vor ein Problem gestellt. Jetzt kommt es darauf an, dass wir es lösen. Ich sage schon jetzt ganz klar - da sind wir uns Gott sei Dank einig -, dass das, was als Gesetzentwurf vorliegt, in einigen entVolker Kauder scheidenden Punkten verändert und verbessert werden muss. Da sind wir uns einig. ({18}) In den nächsten Tagen werden wir uns zusammensetzen. Schon jetzt sage ich: Erstens. Familienunternehmen müssen auch nach einer Erbschaftsteuerreform in der Lage sein, ihr Familienunternehmen ertragreich im Interesse von uns allen fortzuführen. ({19}) Zweitens. Arbeitsplatzschaffende Maßnahmen dürfen nicht mit einer Erbschaftsteuer belegt werden. Deswegen bleibt es dabei, dass wir die Erbschaftsteuer abschmelzen. Drittens. Wir wollen, dass das Eigentum derjenigen, die in ihrem Leben etwas geleistet haben, die ihr Geld zusammengehalten haben, die es nicht hinausgeworfen haben, sondern ein kleines Eigentum für die Familie geschaffen haben, in die nächste Generation übertragen werden kann. ({20}) Ich bin sicher, dass wir nach intensiven Verhandlungen und Gesprächen zu guten Ergebnissen kommen können. In dieser Großen Koalition und auch in den Bundesländern, die wir dazu brauchen, weil es letztlich ihre Steuer ist und nicht eine des Bundes, die nur wir regeln müssen, ist die Bereitschaft dazu vorhanden. Wir haben in diesen Tagen natürlich auch mit dem einen Thema zu tun, das die Menschen in besonderer Weise beschäftigt. ({21}) - Genau das nicht. Sie haben von dem, was ich gesagt habe, überhaupt nichts verstanden. ({22}) Wir müssen arbeiten und nicht immer an die eigenen Möglichkeiten der Macht denken. Kapieren Sie das endlich einmal! ({23}) Die Menschen bewegt nicht die Frage, wann Sie in eine Regierung eintreten wollen, sondern die Tatsache, dass das Leben für sie immer teurer geworden ist. ({24}) Für diese Frage haben wir Verständnis. Aber die Antworten, die gegeben werden, sind vielfach die falschen. ({25}) Wir können auf die gestiegenen Energiepreise nicht mit hohen staatlichen Subventionen antworten. Denn das müssen die Menschen wieder bezahlen. Wir alle wissen doch, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Solange wir einen Haushalt haben, in dem wir noch immer 10 Milliarden neue Schulden machen, gibt es keine Möglichkeit für milliardenschwere Entlastungen. ({26}) Das wäre auch nicht richtig. Der Verbrauch der knapper werdenden Energie muss reduziert und nicht subventioniert werden. Deswegen werden wir all das tun, was getan werden kann, um den Menschen zu ermöglichen, den Verbrauch zu reduzieren. 2 Liter Spritverbrauch weniger bringen mehr als jede staatliche Maßnahme. ({27}) Deswegen sind energiesparende Autos die richtige Antwort. ({28}) Ich fordere die Automobilindustrie auf: Macht jetzt endlich ernst mit dem Elektromotor als Zusatzaggregat auf dem Weg zum Elektroantrieb auf deutschen Straßen. Das ist der richtige Weg. Aber wenn man das macht, Herr Kuhn, ist auch klar: Elektroautos fahren nicht durch Schieben, sondern durch Strom. Also brauchen wir dann Strom. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist völlig unverantwortlich - nicht das, was Sie gesagt haben -, sicher laufende Kernkraftwerke einfach vom Netz zu nehmen. Das ist Vernichtung von volkswirtschaftlichem Eigentum! ({29}) Die Zahlen, die wir genannt haben, sind Ihnen natürlich nicht recht; das ist mir völlig klar. Denn wir haben jetzt zum ersten Mal gesagt: Wir können den Menschen 40 Milliarden Euro zurückgeben. Da hat ein Sprecher von RWE etwas erklärt, was kurze Zeit später zurückgenommen wurde. Ich sage Ihnen: Die Zahl 40 Milliarden Euro ist realistisch. ({30}) Damit die 40 Milliarden Euro nicht verloren gehen, sollen sie in einen Fonds gezahlt und dann den Menschen zurückgeben werden. Das passt Ihnen nicht, weil Sie den Menschen die Unwahrheit sagen. Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit und nicht mit grüner Ideologie. ({31}) Das Problem bei der Energiefrage ist, dass Sie mehr Ideologie als Realität in den Vordergrund stellen. Wir wollen den Energiemix, weil wir den Menschen damit eine breit gefächerte Energieversorgung zur Verfügung stellen können. Wir haben darüber hinaus gesagt: Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das eine bessere Anrechenbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge bei der Steuer vorschreibt, umsetzen. Das wird zu einer Entlastung führen. Wir haben auch gesagt: Wir wollen eine deutliche Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung. Wir können uns eine Senkung um 0,5 Prozentpunkte vorstellen. Dies ist gerechnet. Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit hat erklärt, dass dies möglich ist. Im Übrigen will ich an dieser Stelle sagen: Ich bin dem Chef der Bundesagentur dankbar. Denn nicht nur wir und die Wirtschaft, sondern auch er hat durch die Reformierung seiner Agentur einen Beitrag dazu geleistet, dass die Senkung jetzt möglich geworden ist. ({32}) Ich sage: Die Bundesagentur ist keine Sparkasse. Das, was nicht unmittelbar für die Aufgaben und eine Schwankungsreserve gebraucht wird, wird an die Beitragszahler zurückgegeben. Daher ist nach unseren Rechnungen eine Beitragssenkung auf 2,8 Prozent möglich. ({33}) Dieses Entlastungspaket ist ein Angebot, den Menschen zu helfen. Die Große Koalition hat noch einige Zeit vor sich, um Arbeit für unser Land zu leisten. Diese Zeit wollen wir nutzen. Im nächsten Jahr wird der Wahlkampf beginnen. Wahlkampf gehört zur Demokratie. Wir sollten den Wahlkampf aber auf die unbedingt notwendige Dauer reduzieren. ({34}) - Wenn auch Sie Ihren Beitrag dazu leisten, wird uns das gelingen. - Bis dahin werden wir weiterarbeiten. Dass die Große Koalition einiges verändert hat, und zwar nicht nur im Hinblick auf die faktischen Chancen der Menschen, kann man an zwei Einlassungen des Kollegen Struck erkennen: Die Große Koalition hat zur Folge, dass der Kollege Struck, wenn ich mich richtig erinnere, zum ersten Mal aus der Heiligen Schrift zitiert hat. ({35}) Das ist gut! Weiter so, Herr Kollege Struck! Außerdem, Herr Kollege Struck, haben Sie recht: Unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel kann man gute Außenpolitik machen. Herzlichen Dank. ({36})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben am heutigen Vormittag vorgetragen, welche positiven Ergebnisse sie mit ihrer Arbeit bewirkt haben wollen; das ist ihr gutes Recht. Sie haben eine Leistungsbilanz vorgetragen. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland erfreulicherweise sinkt. Außerdem haben sie völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zahl der Beschäftigten in Deutschland erfreulicherweise steigt. ({0}) Das sind die Entwicklungen, die in den letzten drei Jahren stattgefunden haben. In diesen drei guten Jahren waren Sie allerdings damit beschäftigt, die Frage zu klären, ob der Aufschwung ein Merkel-Aufschwung oder ein Schröder-Aufschwung war. ({1}) Ich sage Ihnen: Der Aufschwung hat weder etwas mit Frau Merkel noch mit Herrn Schröder zu tun. ({2}) Er hat übrigens auch nichts mit Herrn Kauder oder mit mir zu tun, ({3}) sondern er hat etwas mit der Weltwirtschaft zu tun. Worüber Sie allerdings nicht gesprochen haben, ist die Verantwortung für den Abschwung, in dem wir uns jetzt befinden. Wenn der Aufschwung das Ergebnis Ihrer Arbeit war, wieso bekennen Sie sich dann nicht auch zu Ihrer Verantwortung für den Abschwung, den wir gerade erleben? ({4}) Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, wir, die Opposition, werfen Ihnen nicht vor, dass wir einen Abschwung erleben; wir wissen, dass Aufschwung und Abschwung viel mit der Weltkonjunktur zu tun haben. Was wir Ihnen aber vorwerfen, ist, dass Sie die guten Jahre nicht genutzt haben, um für schlechte Jahre vorzusorgen. ({5}) Sie haben Ihre Zeit in dieser Koalition verplempert. Bedauerlicherweise wird von dieser Regierung der Eindruck übrig bleiben: Es waren versäumte Jahre. Wenn Sie es nicht einmal schaffen, die Kornkammer in den berühmten fetten Jahren zu füllen, wie soll Ihnen das dann in den mageren Jahren gelingen? Wie wollen Sie denn bei schlechter Konjunktur einen Haushalt ohne Schulden zustande bringen, wenn Sie einen Haushalt ohne Schulden nicht einmal bei guter Konjunktur zustande gebracht haben? ({6}) Sie haben die Bürgerinnen und Bürger um die Früchte des Aufschwungs gebracht, und zwar mit der größten Steuer- und Abgabenerhöhung, die jemals eine Regierung im Deutschen Bundestag durchgesetzt hat. CDU, CSU und SPD sind verantwortlich dafür, dass das Leben der Bürgerinnen und Bürger in den letzten drei Jahren immer teurer, aber nicht besser geworden ist. Sie haben alles verteuert, aber nichts verbessert. Sie reden über die Preistreiber in der Wirtschaft. Aber die wahren Preistreiber haben Steuererhöhungen beschlossen und sitzen auf der Regierungsbank. ({7}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten, der ich in weiten Teilen zustimmen konnte; ich glaube, das gilt über die Grenzen der Koalitionsfraktionen hinweg sogar für einen großen Teil dieses Hauses. Natürlich ist es gut, dass Sie die Bildungspolitik in den Mittelpunkt Ihrer Politik rücken. Es muss aber doch einem Beobachter auffallen: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am meisten über das Thema gesprochen, zu dem Sie politisch am wenigsten zu sagen haben, nämlich über die Bildungspolitik. Da sind Sie natürlich mit unverbindlichen Reden schnell dabei. ({8}) In Wahrheit ist es doch nicht so, als würde Ihre Bildungsreise irgendeinen Kindergarten oder irgendeine Schule verbessern. Diese Bildungsreise findet statt für die Damen und Herren, die da oben in der ersten Reihe stehen, nämlich für die Fotografen. Sie wollen auch leben; das kann ich ja verstehen. Nur, mit Verlaub gesagt: Bildungspolitik hätte bedeutet, dass man bei der Föderalismusreform mit den entsprechenden Mehrheiten diese Zersplitterung nicht auch noch durchgesetzt hätte. ({9}) Wir haben eine Bundesregierung, die heute Morgen einen auf Rosamunde Pilcher gemacht hat. Heute Nachmittag geht beim Wahlkampf das Kettensägenmassaker weiter. Das ist ein außerordentlich bemerkenswerter Vorgang. Herr Kollege Kauder sagt: Wir machen keinen Wahlkampf. - Das ist vermutlich genau der Grund, weshalb CSU-Chef Huber gleich hier sprechen wird. ({10}) Das wird er uns an dieser Stelle noch erklären. Mit Verlaub gesagt: Was der CSU-Chef als bayerischer Finanzminister in der Debatte über den Bundeshaushalt zu suchen hat, das wird er uns zweifelsohne noch erklären. Ich weiß, dass ein CSU-Chef gern hier sprechen möchte. Er hat hier aber gar kein Rederecht. Rederecht hat die Bayerische Staatsregierung. Diese ist beim Bundeshaushalt aber wirklich nicht gefragt, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({11}) Der Zustand dieser Regierung ist bemerkenswert. Da wird alles fröhlich verkleistert. Das ist alles menschlich nachvollziehbar. Aber, Frau Bundeskanzlerin, wir wollen Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen, was Sie über Ihren Vizekanzler und die SPD alles gesagt haben. Wenn niemand mehr sagt, was vor vier Tagen gesprochen wurde, dann ist es die Aufgabe der fröhlichen, optimistischen und lebensbejahenden Opposition, dies einzubringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor vier Tagen auf dem Parteitag der CDU in Rheinland-Pfalz gesagt: Mit den Sozialdemokraten ist kein Staat zu machen. -

Dr. Angela Merkel (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001478

Wir haben es mit einem Koalitionspartner zu tun, der zunehmend unzuverlässig wird. Wenn mit den Sozialdemokraten kein Staat zu machen ist, dann verstehe ich nicht, wie ihr euch hier heute Vormittag küsst, herzt und schmust, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({0}) Herr Kollege Struck, ich bitte, das bildlich zu nehmen, damit das auch gleich klargestellt ist. Die Töne der Sozialdemokraten über ihren Regierungspartner Union sind kein bisschen anders. Der designierte SPD-Vorsitzende, auf den ich mich persönlich durchaus freue, weil ich glaube, dass sehr klar gesprochen wird, wenn er in Debatten eingreift, sagte zu der Union: Die Union stellt zwar die Kanzlerin, aber sie hat nicht die Meinungsführerschaft. Frau Merkel hat nicht die Führung. ({1}) - Der Generalsekretär der SPD klatscht pflichtbewusst. ({2}) Meine sehr geehrten Damen und Herren, gegen diese Koalition waren Kain und Abel eine friedliche Gesellschaft. Es ist abenteuerlich, was hier für ein Schauspiel veranstaltet wird. Die Bürger sind aber viel zu klug, um das durchgehen zu lassen. ({3}) Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Das können nicht alle, das kann nur die Große Koalition. - Das ist für mich, wie man so schön sagt, das Wort des Tages gewesen. Morgens machen Union und SPD in den Sitzungen einen auf Miteinander, und ab Mittag machen sie einen auf Gegeneinander. Das kann nur die Große Koalition. Deutschland hat aber mehr verdient als eine Halbtagsregierung, die uns ein Jahr lang in dieser Republik mit Dauerwahlkampf lähmt. ({4}) Die Opposition wirft Ihnen nicht vor, dass sich die Welt so oder so entwickelt. Es bestreitet niemand, dass die Regierung und die Koalition - auch in den Jahren zuvor - natürlich auch Positives bewirkt haben; es ist gar nicht möglich, dass man drei Jahre lang regiert und alles schlecht war. Das wird ausdrücklich anerkannt. Insbesondere bei der Außenpolitik haben wir immer wieder gesagt: Das erkennen wir an. Das große Problem ist aber, dass diese Koalition die riesengroße Mehrheit, die sie in diesem Hohen Hause und im Bundesrat hatte, nie genutzt hat, um das Land wirklich zu erneuern und auf schwächere Phasen vorzubereiten. In den letzten drei Jahren war die wirtschaftliche Weltlage für Sie als Koalition unglaublich gut, aber Sie haben all das versäumt, was Sie im Hinblick auf schlechtere Zeiten zu tun gehabt hätten. ({5}) - Herr Kollege Poß sagt: „Das ist doch schlichtweg falsch!“ ({6}) - Dass Sie das jetzt sagen, Herr Kauder, ist mir völlig klar. Das ist eine ganze tiefe Freundschaft zwischen Ihnen; das weiß ja auch jeder. ({7}) Man muss es an dieser Stelle doch einmal auf den Punkt bringen: In der Zeit der alten Kanzlerschaft, zu der ich in heftiger Opposition stand, haben wir wenigstens den Versuch erlebt, mit der Agenda 2010 ein paar strukturelle Reformen auch für magere Zeiten durchzusetzen. Sie haben diese Reformen nicht nur nicht fortentwickelt, Sie haben sie sogar noch rückabgewickelt. ({8}) Sie haben die strukturelle Lage in Deutschland mit Ihren Steuer- und Abgabenerhöhungsorgien verschlechtert und die Mittelschicht um die Früchte ihrer Leistung gebracht. ({9}) Das vergisst Ihnen die Mittelschicht auch nicht. Erst haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nichts vom Aufschwung abgegeben, jetzt lassen Sie sie mit dem Abschwung alleine. ({10}) Das ist in Wahrheit der Ausdruck des wachsenden Misstrauens bei Ihnen. Sie sagen, dass diese Bundesregierung bei der Erstellung des Bundeshaushalts Entscheidungen getroffen hat. Herr Bundesfinanzminister, ich habe Ihre Rede von gestern gehört und aufmerksam verfolgt. Damit wir uns nicht missverstehen: Es ist Ihres Amtes, dafür zu sorgen, dass Panik nicht um sich greift. Es ist Ihres Amtes, dafür zu sorgen, dass aus einer Krise keine Katastrophe wird. Es ist auch Ihres Amtes als Finanzminister, dass Sie dementsprechend zur Vernunft mahnen. Das ist überhaupt gar keine Frage. Was uns nicht gefällt und was wir nicht anerkennen, ist, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen so leichtfertig über das Versagen der privaten Wirtschaft reden - übrigens mit viel berechtigter Kritik -, dass Sie so leichtfertig über das Versagen der Manager privater Banken reden - übrigens auch mit viel berechtigter Kritik und dass Sie das Versagen bei Ihrer eigenen Staatsbank verschweigen, was in Ihrer eigenen Verantwortung liegt, wo Milliarden Euro verbrannt wurden, die jetzt fehlen, beispielsweise um Steuern senken zu können. ({11}) Wenn man am heutigen Tage liest, dass die Staatsbank KfW, die zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Prozent den Ländern gehört, dem Pleitier in Amerika sogar noch 300 Millionen Euro mit der fabelhaften Begründung rüberschiebt, das habe man bereits in der letzten Woche angewiesen und man habe gar nicht mehr gewusst, dass diese Anweisung in dieser Woche ausgeführt wird, dann muss man sagen: Bevor Sie über das Versagen in der privaten Wirtschaft reden - auch mit berechtigter Kritik -, sollten Sie sich an Ihre eigene Nase fassen. Der Staat hat versagt, die Regierung hat versagt, die Bankenaufsicht hat versagt. Dafür trägt der Finanzminister die politische Verantwortung. ({12}) In der Öffentlichkeit verbreiten Sie den Eindruck, das sei ein solider Haushalt, weil weniger Schulden gemacht werden. Das kann jeder auf den ersten Blick mit den Grundrechenarten widerlegen. Die jetzige Bundesregierung, die bei der Regierungsübernahme rund 30 Milliarden Euro an neuen Schulden vorgefunden hat, gleichzeitig aber durch ihre Steuererhöhungen 60 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Steuern in ihre Staatskasse einnimmt und immer noch - in diesem Jahr wieder - hohe Schulden macht, handelt nicht solide. Sie würden sparen, wenn Sie die Ausgaben senken würden. Sie nennen es sparen, wenn Sie sich etwas weniger heftig neu verschulden. Das ist eine babylonische Sprachverwirrung. Noch niemals hat eine Regierung den Bürgerinnen und Bürgern so viel abgenommen wie diese Regierung. Schlimmer ist aber: Noch niemals hat eine Regierung so viel ausgegeben wie diese Regierung. Wir haben kein Einnahmeproblem, wir haben ein Ausgabeproblem des Staates. Hier ist eine Kehrtwende der deutschen Politik fällig. Sie können nicht immer die Kuh schlachten wollen, die Sie für den Staat melken möchten. All die sozialen Wohltaten hängen davon ab, dass es noch Menschen gibt, die anpacken und das alles erwirtschaften - die Mittelschicht -, um eine Zukunft zu haben. Das genau verhindern Sie mit Ihrer Abkassiererei. ({13}) 19 Steuererhöhungen haben Sie beschlossen: Das war die insgesamt größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Die Mehrwertsteuererhöhung ist davon nur ein Teil. Die Kürzung der Pendlerpauschale ist in aller Munde. Weitere Stichworte sind die Streichung der Eigenheimzulage und der Sparerfreibetrag. ({14}) Ich erinnere noch einmal an das, was im Bereich der sozialen Sicherungssysteme beschlossen worden ist: Die Beiträge für die Kranken- und für die Pflegeversicherung werden erhöht. Wir erleben, dass die Rentenbeiträge steigen. Darüber hinaus sind Sie bei dem Versuch, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, so mutlos, dass das, was auf der einen Seite erhöht worden ist, auf der anderen Seite wenigstens wieder ausgeglichen werden könnte. Das ist leider die Realität. Sie haben die Steuern erhöht wie noch keine Regierung zuvor. ({15}) Trotzdem machen Sie Schulden. Das ist keine seriöse Politik. ({16}) Nun hat uns Herr Kollege Kauder gesagt: Das Beste kommt noch. Das habe ich mehr als Drohung denn als Versprechen empfunden. Wenn Sie bei der Erbschaftsteuer, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wirklich etwas Gutes im Sinne hätten, dann ist doch gar nicht erklärbar, warum Sie mit diesen angeblich so guten Nachrichten für unser Volk nicht schon vor der bayerischen Landtagswahl herauskommen. ({17}) Jeder weiß, dass Sie die Bürger nach der bayerischen Landtagswahl wieder hinter die Fichte führen wollen. ({18}) Das wird so ablaufen, dass Sie genau die Wahlkampfforderungen, die die CSU im Augenblick durch die Bierzelte trägt, nach der bayerischen Landtagswahl wieder beerdigen werden. Im bayerischen Wahlkampf gab es eine Diskussion, die mich fasziniert hat, Herr Kollege Huber. Es ist wirklich bemerkenswert: Seitdem Sie merken, dass Ihnen ein bestimmtes Körperteil auf Grundeis geht, seitdem Sie merken, wie eng es für die CSU wird, fangen Sie mit einem Kreuzzug gegen die Linken an. ({19}) - Es ist immer richtig, gegen die Linken zu sein, da haben Sie völlig recht. ({20}) Wenn das euer kleinster gemeinsamer Nenner ist: Bitte schön! Aber dann haben Sie, lieber Herr Kollege Huber, meine Damen und Herren von der CSU, angefangen, eine Attacke gegen die FDP zu reiten. ({21}) Das ist zu viel, das können wir nicht durchgehen lassen. ({22}) Wir haben tolle Nachrichten gehört, die mir persönlich sehr viel Freude bereitet haben: Herr Beckstein und Herr Huber bezeichnen die FDP als Sicherheitsrisiko. ({23}) Das sagt der Ministerpräsident, der soeben erklärt hat, man könne sich an einem Nachmittag nach zwei Litern Bier noch ans Steuer setzen. Nehmen wir das einmal als Realität; der Mann bewirbt sich schließlich gerade als Ministerpräsident. Herr Huber spricht hier gleich noch, und ich möchte gerne die Meinung der bayerischen Staatsregierung dazu hören. Nehmen wir einmal ein gestandenes Mannsbild: Herrn Huber. ({24}) Nehmen wir als Alter 62 Jahre und als Gewicht circa 72 Kilogramm an. ({25}) - Ich weiß, wie man mit geringem Aufwand Freude bereiten kann. ({26}) Nun möchte ich das einmal umrechnen. Wenn man also nachmittags um drei Uhr auf dem Oktoberfest anfängt, zwei Liter Bier zu trinken, und um 21 Uhr damit aufhört, dann hat man knapp 0,8 Promille im Blut. ({27}) Wenn wir als FDP ein Sicherheitsrisiko sein sollen, dann kann ich dazu nur eines sagen: Jemand, der die Leute betrunken hinters Steuer lassen will, ist ein Sicherheitsrisiko in diesem Land. ({28}) Nun haben wir von Ihnen, lieber Herr Kollege Struck, viel gehört. Ich höre Ihnen immer sehr gerne zu; das macht viel Freude. Was ich auch immer genieße, sind Ihre kleinen Sticheleien. Ich fand es herrlich, als Sie davon sprachen, dass Angela Merkel den Steigbügelhalter für Frank-Walter Steinmeier macht. Das hat große Begeisterung bei den Damen und Herren der Union ausgelöst. Sie haben sich hier sehr lange und ausführlich geäußert. Das müssen Sie auch, das gehört dazu. Schließlich machen wir hier keinen Wahlkampf, Herr Kollege Struck und Herr Kollege Kauder, um das an dieser Stelle noch einmal klarzustellen. ({29}) Nichts von Ihnen, Herr Kollege Kuhn? Das Bodenturnen war wirklich großartig. An dieser Stelle rechnet der Kollege Struck mit der Linkspartei ab. Ich bin zwar als Liberaler sowieso der größte Gegner der Idee der Unfreiheit durch Sozialismus und Kommunismus, aber eines habe ich nicht verstanden. Wenn Sie die Repräsentanten der Linkspartei sozusagen als gerade frisch der Hölle entsprungen darstellen, dann verstehe ich nicht, warum Sie in einem Bundesland nach dem anderen genau mit diesen Kommunisten zusammen regieren wollen. Insofern sollten Sie einen neuen Kurs finden, meine Damen und Herren Sozialdemokraten. ({30}) Ein Land nach dem anderen: Berlin, Hessen, Thüringen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen. SchleswigHolstein wird angekündigt. Ich habe eine traurige Nachricht für Sie: Dazu wird es nicht kommen. ({31}) Es ist aber ein Widerspruch in der Debatte. Ich rate dazu, dass wir uns weniger mit den politischen Persönlichkeiten auseinandersetzen. Ich habe meine Zweifel, ob Nazivergleiche ein geeigneter Diskussionsbeitrag sind. Aber wir sollten über etwas anderes debattieren. Worum es in der Debatte eigentlich gehen muss - meinetwegen auch gerne im Wahlkampf, aber erst recht hier -, ist nicht die Beschimpfung von einzelnen Repräsentanten einer Linksaußenpartei; vielmehr geht es darum, klarzumachen, dass wir bei aller Kritik, die wir an unserem System der sozialen Marktwirtschaft äußern, und bei allem, was wir besser machen wollen, gemeinsam erkannt haben, dass es immer noch das beste System ist, das es jemals auf deutschem Boden gegeben hat. Die soziale Marktwirtschaft hat ihre Fehler, aber sie ist zehnmal besser als eine bürokratische Staatswirtschaft und erst recht die Planwirtschaft. ({32}) Darüber muss die Debatte eigentlich geführt werden. Es ist auch Ihre Aufgabe, die geistige und politische Meinungsführerschaft auszuüben. Ich habe es wirklich bedauert, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Sie haben einen riesigen Etat für Öffentlichkeitsarbeit. Er umfasst Millionen über Millionen Euro und wird immer weiter aufgestockt. Sie beschließen, immer mehr Geld für Propaganda auszugeben. Wofür verwenden Sie dieses Geld? Warum nutzen Sie es nicht beispielsweise für Wertedebatten? Warum gehen Sie nicht mit dem Thema soziale Marktwirtschaft oder mit Informationen über die Zeit vor der deutschen Einheit in die Schulen? ({33}) Wie kann man von einem 18-, 19- oder 20-Jährigen erwarten, dass er das alles im Kopf hat? Diese geschichtlichen Lehren sind eine Bringschuld für uns, die wir das alles erlebt haben, aber keine Holschuld der Jüngeren. Dafür müssten Sie eine Offensive starten. ({34}) 60 Jahre Einführung der Deutschen Mark - welche Gelegenheit war das, in die Schulen und Hochschulen zu gehen. Auch das 60-jährige Jubiläum des Parlamentarischen Rates ist ein geeignetes Thema. An dem Festakt dazu, der kürzlich stattgefunden hat, haben nur einige tapfere Aufrechte teilgenommen. Wer das demokratische System der sozialen Marktwirtschaft in unserer Republik auch in den Herzen der Menschen verankern will, der muss wenigstens die großen Geburtstage und Anlässe in unserer Republik nutzen, um die Vorzüge dieses Systems gegenüber der Unfreiheit immer und immer wieder zu vermitteln. ({35}) Sie haben in der Außenpolitik, um die es heute auch noch gehen wird, zweifelsohne vieles richtig gemacht. Ich kritisiere erneut - aus Zeitgründen kann ich es aber nur streifen -, dass eigene Abrüstungsinitiativen Ihrerseits leider ausgeblieben sind. Ich halte übrigens den Satz, dass Außenpolitik kein Abenteuerspielplatz ist, den Sie, Herr Minister Steinmeier, von Hans-Dietrich Genscher übernommen haben, für völlig richtig. Wir unterstützen die Regierung Merkel/Steinmeier nachdrücklich darin, auf der Fortsetzung des Dialogs zu bestehen und den Gesprächsfaden nicht zu durchschneiden. Wer nicht miteinander redet, kommt viel zu schnell in die Gefahr, eines Tages aufeinander zu schießen. Deswegen ist es völlig richtig, dass Sie die Verpflichtung zum Dialog als Ihre große Verantwortung anerkennen. ({36}) Das wird Ihnen niemand nehmen, und das ist von uns auch nie kritisiert worden. Das steht für mich außer Frage, und es ist mir offen gestanden auch gleich, ob es mehr die Handschrift von Frau Merkel oder von Herrn Steinmeier trägt. Es ist einfach deutsche Staatsräson. Daran wird sich auch nichts ändern. Wir blicken auf drei Jahre zurück, in denen eine riesige Mehrheit und eine sehr starke Konjunktur alle Möglichkeiten geboten haben. Von anderen Regierungen bleiben das Wirtschaftswunder, die neue Ostpolitik und die deutsche Einheit übrig. Von dieser Regierung bleibt die Steueridentifikationsnummer übrig. Das ist KleinKlein. Aber das ist zu wenig für unser Land. Geistigpolitische Führung wäre gefragt. Dieses Land braucht wieder eine Richtung mit klaren Verhältnissen. Das Gewurstel muss ein Ende haben. Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit. ({37})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Thomas Oppermann das Wort. ({0})

Thomas Oppermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003820, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Westerwelle, ich räume ein, dass Ihre darstellerischen Fähigkeiten immer besser werden. Aber vielleicht hat das auch damit etwas zu tun, dass Sie nun schon längere Zeit keine Gelegenheit hatten, das, was Sie hier Jahr für Jahr vortragen, in die Tat umzusetzen. ({0}) Deshalb müssen wir daran erinnern, wie es war, als Sie die letzte Gelegenheit hatten. Das Jahr 1998 erscheint in Ihrer Betrachtung der Gegenwart als das absolute Krisenjahr in Deutschland. Als Sie 1998 die Regierung abgegeben haben, hatten wir eine höhere Nettokreditaufnahme, eine deutlich höhere Staatsquote, höhere Lohnzusatzkosten und eine höhere Arbeitslosigkeit. ({1}) - Die deutsche Einheit haben wir noch immer. Sie sagen, wir hätten heute fette Jahre, und alles sei so einfach. Können Sie sich vielleicht noch daran erinnern, wie hoch der Ölpreis im Jahr 1998 war? Ich habe eben nachgeschaut: 9,3 Dollar pro Barrel. Aus der damaligen wirtschaftlichen Situation hätten Sie mehr machen können. ({2}) Es gibt durchaus viele Gemeinsamkeiten mit Ihnen, zum Beispiel in der Außenpolitik. Aber Sie können auf den übrigen Feldern im Ernst nicht den Eindruck erwecken, als ob Sie den ganz großen Entwurf für Deutschland in der Schublade hätten. Das glauben Sie nicht einmal selber. Ich möchte dem Bundesfinanzminister und der Bundeskanzlerin dafür danken, dass sie den in einer Situation der politischen Verzweiflung geborenen Versuch der CSU abgelehnt haben, uns eine Steuerentlastung in Höhe von 28 Milliarden Euro einzureden. Ich finde, das wäre falsch gewesen; denn solange wir eine Nettokreditaufnahme haben, ist eine Steuersenkung eine Steuersenkung auf Pump. Wir wollen einen handlungsfähigen, nicht unterfinanzierten Staat und eine leistungsfähige Wirtschaft. Deshalb ist es gut, dass sich die CSU nicht durchgesetzt hat. ({3}) Im Übrigen, Herr Huber - ich meine das durchaus freundschaftlich; auch ich war einmal Landespolitiker -, hilft es in Landtagswahlkämpfen gar nichts, wenn man nur auf bundespolitische Themen wie die Pendlerpauschale, die Einkommensteuer oder den Blutalkoholgehalt setzt. Die Menschen merken natürlich, dass Sie ablenken wollen, und glauben, dass Sie Ihre politischen Hausaufgaben in Bayern nicht gemacht haben. ({4}) So war es auch in Hessen. Sie setzen zwar nicht auf dieselben Themen wie Roland Koch, machen aber die gleichen Fehler. Wir senken die Nettoneuverschuldung und gewinnen gleichzeitig Handlungsspielräume für Zukunftsinvestitionen. Der Etat für Bildung und Forschung wird um sagenhafte 730 Millionen Euro aufgestockt. Noch nie wurde in Deutschland in einem Staatshaushalt so viel Geld für Bildung und Forschung bereitgestellt. ({5}) Mit der Hightech-Strategie, dem Pakt für Forschung und Innovation und der Exzellenzinitiative mobilisieren wir neues Wissen und neue Kreativität. Damit gestalten wir die Zukunft. Die Forschung von heute ist die Innovation von morgen und die Grundlage für die Arbeitsplätze und den Wohlstand von übermorgen. Exzellente Forschung ist die Basis für Technologieführerschaft. Wie so etwas funktioniert, kann man am Beispiel des Jobwunders bei den erneuerbaren Energien sehr gut betrachten. Die politische Weichenstellung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kombination mit deutscher Ingenieurskunst hat einen dynamischen, weltweiten Wachstumsmarkt erschlossen, in dem bis heute 250 000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Bei Umsätzen von 25 Milliarden Euro wächst dieser Markt so schnell, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in den nächsten zehn Jahren verdoppeln kann. ({6}) Was unter Rot-Grün angeschoben und von vielen Koalitionsfreunden in der Union anfangs belächelt wurde, hat sich zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte entwickelt. Ich finde, die Grünen könnten etwas stolzer auf den Beitrag sein, den sie dazu geleistet haben. Aber man kann die damit verbundenen Chancen nur dann nutzen und realisieren, wenn es Fachkräfte gibt, die das Wissen anwenden und umsetzen können. Von Jahr zu Jahr fehlen in Deutschland mehr Techniker und Ingenieure. Allein im nächsten Jahrzehnt werden wir 1,5 Millionen Hochschulabsolventen, Meister und Techniker zusätzlich brauchen. Während im OECD-Durchschnitt 37 Prozent eines Jahrgangs die Hochschule mit einem Abschluss verlassen, sind es in Deutschland gerade einmal 21 Prozent. Herr Huber, wie sollen wir international Anschluss gewinnen und in Deutschland ebenfalls eine Akademikerquote von 40 Prozent erreichen, wenn Sie in Bayern nur 20 Prozent eines Jahrgangs zum Abitur führen? Sie haben diesbezüglich die rote Laterne in Deutschland. Das liegt doch nicht daran, dass die Menschen in Bayern weniger begabt sind. Es liegt an Ihrem Bildungssystem, das zu selektiv ist, die Wege nach oben zu eng macht, zu wenige Chancen einräumt und nicht ausreichend ermutigt. Damit müssen wir in Deutschland aufhören. ({7}) Deshalb ist es wichtig, dass der Bildungsgipfel, den die Bundeskanzlerin für Oktober einberufen hat, ein Erfolg wird. Denn wir brauchen nicht nur mehr Abiturienten, wir haben auch zu wenige gut ausgebildete Lehrer, zu viel Unterrichtsausfall, zu große Schulklassen, zu viele Schulabbrecher, zu wenige Studienplätze und zu wenige Studenten, insbesondere in den Natur- und Technikwissenschaften. Wir wollen, dass auf dem Bildungsgipfel konkrete, verbindliche Verabredungen getroffen werden. Dabei sollte kein unproduktiver Streit über Zuständigkeiten geführt werden. Aber es muss schon klargestellt werden, dass Bund, Länder und Kommunen ihre jeweiligen Zuständigkeiten kraftvoll ausschöpfen müssen. Wenn der Bund mit Milliardensummen Krippen- und Studienplätze mitfinanziert, dann dürfen wir auch erwarten, dass die in den Ländern aufgrund sinkender Schülerzahlen frei werdenden Mittel in den Schulen bleiben und nicht abgezogen werden. ({8}) Es darf am Ende nicht heißen, der Bildungsgipfel kreißte und gebar eine Maus. Der kürzeste Weg von der Schule in die Arbeitslosigkeit ist eine abgebrochene Schulausbildung. Ich bin dem Bundesarbeitsminister Olaf Scholz sehr dankbar, dass er diesen Zusammenhang deutlich in Erinnerung gerufen hat. Dass 500 000 Menschen ohne Schulabschluss arbeitslos sind, ist ein Zustand, mit dem sich niemand in diesem Lande abfinden kann. ({9}) Wir sind für den Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Schulabschlusses; dieser ist für uns unverzichtbar. In keinem anderen industrialisierten Land der Welt ist der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern so stark von ihrer sozialen Herkunft abhängig wie in Deutschland. Bei gleichen Kompetenzwerten haben die Kinder aus der sozialen Oberschicht eine fünfmal höhere Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als Kinder von un- und angelernten Arbeitern. Das setzt sich an der Hochschule fort. Von 100 Akademikerkindern landen 83 an der Hochschule, von 100 Kindern von Nichtakademikern sind es ganze 23. Die Bildung wird in Deutschland gleichsam vererbt. Das hat vor allem damit zu tun, dass wir unser Bildungssystem dort am schwächsten ausgestattet haben, wo am stärksten über die Chancen entschieden wird, nämlich in den ersten zehn, insbesondere in den ersten fünf Lebensjahren. Was in dieser Zeit bei der Entwicklung von Sprache, Intelligenz und Kreativität versäumt wird, lässt sich später nur sehr schwer aufarbeiten. Dazu hat der USÖkonom und Nobelpreisträger James Heckman gesagt, es sei die größte Ungerechtigkeit der praktizierenden Marktwirtschaften, dass Kinder aus armen, bildungsfernen Familien sich noch so anstrengen könnten, sie kämen nicht nach oben. ({10}) Wenn Kinder nichtakademischer Eltern von höherer Bildung ausgeschlossen werden, dann erschüttert das nicht nur, wie die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hat, den Glauben an die soziale Marktwirtschaft, sondern das ist am Ende auch eine Gefahr für die Demokratie. Ein demokratisches System wird auf Dauer nur dann akzeptiert, wenn jeder die Chance zum sozialen Aufstieg hat. So wie in einer Demokratie die Minderheit die Chance haben muss, zur Mehrheit zu werden, so muss der Einzelne, der unten ist, die Chance haben, nach oben zu kommen. ({11}) Unser Kollege Otto Schily hat hier einmal den denkwürdigen Satz gesagt: Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit. Das lässt sich leicht übertragen: Wer es unterlässt, sozialen Aufstieg zu ermöglichen, gefährdet die pluralistische Demokratie. ({12}) Als wir schon einmal eine Bildungskatastrophe hatten, nämlich in den 60er-Jahren, hat die sozialliberale Regierung die richtige Antwort gefunden, Herr Westerwelle. Es kam zur größten Bildungsexpansion, die Deutschland jemals gesehen hatte. Viele von denen, die heute hier sitzen, haben davon profitiert und verdanken dieser Bildungsexpansion ihren eigenen Aufstieg. Wir wollen, dass Deutschland wieder zu einem Land der Chancen wird. Wir wollen, dass sozialer Aufstieg durch Bildung und Anstrengung wieder so selbstverständlich und so machbar wird, wie es zu Zeiten von Willy Brandt und Walter Scheel der Fall war. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({13})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege Oskar Lafontaine. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will mich in der verbleibenden Zeit auf wenige Themen konzentrieren, nämlich auf das Thema Bildung und das Thema Haushalt. Der Vorredner hat gerade ausgeführt, wie sich die Situation im Bildungswesen entwickelt hat. Ich kann allen Ausführungen zustimmen. Es ist eine bedauerliche Entwicklung, wenn immer weniger junge Menschen die Chance haben, einen entsprechenden Bildungsabschluss zu erreichen, und wenn internationale Organisationen feststellen müssen, dass in Deutschland immer mehr Kinder aus ärmeren Schichten ausgegrenzt werden. Solange das der Fall ist, verehrter Herr Kollege Westerwelle, können wir als Linke nicht in das Loblied der sozialen Marktwirtschaft einstimmen. ({0}) Eine Wirtschaft, die Kinder bei der Bildung ausgrenzt, ist nach unserer Definition nicht sozial. Das will ich hier einmal anmerken. Es mag sein, dass Sie eine andere Definition haben. Nun hat die Bundeskanzlerin eben in ihrer Rede viel über Bereiche geredet, bei denen sie wenige Kompetenzen hat. Aber nehmen wir doch einmal das Thema ernst. Sie hat gesagt, dass sie neben der Verbesserung der Bildungssituation den Haushalt konsolidieren wolle. Jeder Praktiker in den Gemeinden und in den Ländern stellt sich die Frage, wie sie das denn machen will: Haushaltskonsolidierung auf der einen Seite und ein deutlich besseres Bildungsangebot auf der anderen Seite. Ich kann Ihnen so viel verraten: In den Ländern und in den Gemeinden wird so ohne Weiteres nicht verstanden, was damit eigentlich gemeint ist. Damit komme ich zu einer Kernausführung des Bundesfinanzministers, der in der ihm eigenen Klarheit eben deutlich gemacht hat, dass der Zug der Politik seit einigen Jahren in die völlig falsche Richtung fährt und dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands heute Auffassungen vertritt, die vor zehn Jahren noch von niemandem vertreten worden wären. ({1}) Der Bundesfinanzminister hat dargestellt, dass die Staatsquote gefallen ist. Das ist richtig; jeder kann das überprüfen. Die Staatsquote ist von 48 Prozent im Jahre 1999 auf 43,5 Prozent gesunken. Das kann man für richtig oder für falsch halten. Nur, es hat natürlich erhebliche Konsequenzen, auch für das Bildungssystem in Deutschland. Die Tatsache, dass wir im Vergleich zum Durchschnitt der anderen OECD-Staaten, bezogen auf das Sozialprodukt, 1 Prozent, also 25 Milliarden Euro, weniger für Bildung ausgeben, hat etwas mit diesem Credo zu tun, das Herr Steinbrück hier wieder vorgebetet hat. ({2}) Das heißt, wir haben hier von der fachlichen Seite her die merkwürdige Situation, dass die Kanzlerin sagt, wir müssen mehr für die Bildung tun, während ihr Finanzminister sagt: Aber ich werde eine Finanzpolitik durchsetzen, die das völlig unmöglich macht. Da müssen Sie irgendwann einmal wirklich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkommen. Mit dem ständigen Absenken der Staatsquote werden Sie in Deutschland niemals ein verbessertes Bildungssystem durchsetzen können. ({3}) Ich will Ihnen Zahlen nennen - ich zitiere die Bundesregierung und nicht uns -: Durch die Absenkung der Staatsquote von 48 Prozent auf 43,5 Prozent sind die jährlichen Ausgaben heute um 114 Milliarden Euro geringer. Das kann man für richtig oder auch für falsch halten. Nur, es hat Auswirkungen auf Rentnerinnen und Rentner. Es hat Auswirkungen auf Hartz-IV-Empfänger. Es hat Auswirkungen auf die Kinder, die in die Schulen gehen müssen. Letztendlich hat es auch auf diejenigen Auswirkungen, die Lohnempfänger usw. sind. Sie haben in den letzten Jahren die Entstaatlichung Deutschlands - so hat es Bofinger genannt - in dieser Größenordnung - Senkung der Staatsquote um 114 Milliarden Euro - durchgesetzt, und Sie erklären mit diesem Haushalt, dass Sie diese Entstaatlichung weiterführen wollen. Das heißt, letztendlich erklären Sie hier, dass Sie Sozialabbau und geringe Bildungsangebote im nächsten Jahr fortführen wollen. Das ist die Essenz Ihrer Haushaltspolitik. ({4}) Ich möchte Sie an Ihr Hamburger Grundsatzprogramm - ich lese so etwas - erinnern, meine Damen und Herren - liebe Genossinnen und Genossen, hätte ich beinahe gesagt. Darin steht der Satz - er steht in allen Programmen -: „Nur Reiche können sich einen armen Staat leisten.“ Wie bringen Sie das mit der Erklärung des Bundesfinanzministers, wir haben die Staatsquote von 48 Prozent auf 43,5 Prozent abgesenkt, und wir wollen in diesem Sinne weitermachen, in Einklang? Was gilt denn jetzt? Leider ist der geschätzte Herr Kollege Struck verschwunden; ich wollte ihm ein bisschen die Prozentrechnung erläutern. Ich möchte ihm sagen, dass es früher selbstverständlich war, uns an skandinavischen Ländern zu orientieren. Man kann die Politik der skandinavischen Länder für richtig oder für falsch halten. Dass die FDP sie als Rechtsaußenpartei für falsch hält, wissen wir seit vielen Jahren. Aber wir sagen: Was sie etwa an sozialen Leistungen bieten und was sie insbesondere ihren Kindern an Bildungschancen bieten, das ist beispielhaft, und wir hätten das auch gern für die Bundesrepublik Deutschland. ({5}) Nur wissen die Skandinavier natürlich, dass man das mit ständigen Steuersenkungen nicht erreichen kann. Was Sie hier erzählen, ist natürlich ein Märchen. Angesichts der sinkenden Staatsquote ist auch all das falsch, was Sie hier vorgerechnet haben. Es ist leider so: Bezogen auf das Sozialprodukt sinken die Staatsausgaben. Sie können sich doch nicht hierher stellen und so tun, als wäre immer nur abkassiert worden, als wären die Steuern immer nur erhöht worden. Nein, in Ihrem Sinne sind die Staatsausgaben gesunken. Zu Ihrer Regierungszeit - da hat Herr Oppermann recht - war die Staatsquote deutlich höher. Das sind Tatsachen, an denen man nicht vorbeigehen kann. Wenn die Skandinavier die Frage beantworten sollen, wie sie diese Projekte finanzieren wollen, dann sagen sie, dass sie für eine höhere Staatsquote oder für eine höhere Steuer- und Abgabenquote sind. Nun will ich Sie noch einmal mit der Prozentrechnung konfrontieren. Herr Struck - ein sehr liebenswerter Mensch; er ist jetzt leider nicht da - hat vorhin wieder gesagt: Oh Schreck, wenn man alles addiert, was man in irgendwelchen Papieren der Linken findet, dann sind das 255 Milliarden Euro - der Untergang des Abendlandes. Dann müssten Dänemark und Schweden längst in irgendeinem Ozean versunken sein. Wenn man die Steuer- und Abgabenquote Schwedens oder Dänemarks auf Deutschland übertragen würde, dann hätte man 375 Milliarden Euro pro Jahr Mehreinnahmen. Man mag das alles für falsch halten. Nur, wenn Sie über internationale Vorgänge und über die Angebote, die die Menschen woanders haben, diskutieren wollen, müssen Sie sich in den Statistiken auskennen und können nicht stolz darauf sein, dass Sie jetzt in völliger Umkehr der ehemaligen Politik der deutschen Sozialdemokratie das Sinken der Staatsquote zum Kernziel Ihrer Politik machen. Das ist doch absurd, was Sie hier machen. ({6}) Dennoch sagen Sie gleichzeitig: Hamburg gilt. Demnächst werden Sie sich herausreden, indem Sie sagen, dass Sie mit der sinkenden Konjunktur eigentlich nichts zu tun hätten, denn dafür seien die internationalen Finanzmärkte verantwortlich. Das ist natürlich ein großer Irrtum. Wir haben seit Jahren eine gespaltene Konjunktur. Wenn der Export läuft, läuft letztendlich, also im Saldo, auch unsere Wirtschaft. Aber wir haben im Binnenmarkt überhaupt nichts dafür getan, dass die Wirtschaft läuft. Wenn der Export jetzt abschmiert und Sie im Binnenmarkt nicht gegensteuern, dann werden Sie die Ergebnisse haben, die Sie immer hatten. Nun will ich Ihnen sagen, was das im Binnenmarkt heißt. Das heißt im Binnenmarkt: Wir haben sinkende Löhne, immer noch. Auch in den neuerlichen Expertisen der wirtschaftswissenschaftlichen Institute wird prognostiziert, dass das real so weitergeht. Wir haben sinkende Renten, immer noch, und das wird nach den Planungen, die bisher vorliegen, auch so weitergehen. Wir haben sinkende soziale Leistungen. Wir haben nur - das steht in jedem Jahreswirtschaftsbericht - einen Anstieg der Vermögenseinkommen und einen Anstieg der Gewinneinkommen. Solange das so ist, können wir niemals von sozialer Marktwirtschaft reden, ({7}) sondern müssen von einer Umverteilung von unten nach oben reden; das hat in den letzten Jahren permanent stattgefunden. Deshalb misstrauen so viele Menschen in Deutschland - ihre Zahl nimmt zu - nicht nur der sozialen Marktwirtschaft, sondern auch unserer staatlichen Ordnung. Sie glauben, es geht nicht mehr gerecht zu. Es ist ja fast zum Lachen: Wenn in der Wall Street jetzt mehr und mehr Banken verstaatlicht werden, was sagen Sie denn da? Wenn der letzte Ausweg des Finanzkapitalismus die Verstaatlichung ist, was sagen Sie denn da? Ich kann an eine bestimmte Adresse nur sagen: Wenn die Wall Street rot wird, dann wird Deutschland in den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht schwärzer oder gelber werden. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bayerische Staatsminister der Finanzen, Erwin Huber. ({0}) Erwin Huber, Staatsminister ({1}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, dass Redner aus vier Fraktionen schon meine bloße Anwesenheit zum Anlass genommen haben, in Wallung zu kommen. ({2}) Ich stelle fest: Solange das so ist, brauche ich mir um die Bedeutung meiner Partei keine Sorgen zu machen. ({3}) Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass ich hier das mir nach der Verfassung zustehende Rederecht ausübe. ({4}) Im Übrigen: Wenn Ihre Partei am nächsten Samstag in München zusammen mit Linken und mit der DKP gegen die Sicherheitspolitik in Bayern demonstriert, dann sollten Sie sich um Ihre eigene Partei Sorgen machen. Eigentlich gehören Sie nicht in die Nachbarschaft von Linken und DKP. ({5}) Wenn die Gewalttäter von Weihnachten in der Münchner U-Bahn, die wegen Mordversuchs zu acht und zwölf Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, von der FDPLandesvorsitzenden verharmlosend als „Münchner Kindl“ dargestellt werden, dann haben Sie ein eklatantes Defizit in all den Fragen der inneren Sicherheit. ({6}) Deutschland steht im Sommer 2008 deutlich besser da als im Sommer 2005. Wir haben wieder Wirtschaftswachstum. Wir haben fast 2 Millionen Arbeitsplätze mehr. Wir haben viele Arbeitsplätze für Jugendliche. Wir haben viele Lehrstellen. Wir haben gesicherte Sicherungssysteme in den Bereichen Rente, Gesundheit ({7}) und Arbeitslosigkeit. Das heißt, Deutschland ist in diesen drei Jahren deutlich nach vorn gekommen. ({8}) Das ist nicht einheitlich in allen Ländern Deutschlands. Ich kann für das Land reden, das die geringste Arbeitslosigkeit hat, das die geringste Jugendarbeitslosigkeit und damit die besten Chancen für die junge Generation hat. Der Redner vor mir vertritt eine Partei, die hier in Berlin in der Verantwortung ist. Berlin ist die Hauptstadt der Arbeitslosigkeit. Berlin ist die Hauptstadt von Hartz IV. Berlin ist die Hauptstadt von Kinderarmut. Große Sprüche machen, aber in der Praxis versagen, das ist linke Politik. ({9}) Sie verwenden, was Armut angeht, immer die Zahlen aus dem Armutsbericht, die Zahlen von 2004 und 2005. Staatsminister Erwin Huber ({10}) In den Jahren vorher waren wir nicht in der Regierungsverantwortung. Für die rot-grüne Armut in Deutschland lassen wir uns nicht verantwortlich machen. ({11}) Heute sind eine Million Menschen weniger von Armut bedroht als vor drei Jahren. Das ist auch ein gutes Ergebnis dieser Koalition und der Regierung Merkel. ({12}) Da Herr Struck schon die Bibel zitiert hat, muss auch ich sagen: An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen. ({13}) Berlin hat mit das größte Schuldenloch aller 16 Länder. Die Situation hat sich in Berlin mit der Regierungsbeteiligung von Links dramatisch verschlechtert. ({14}) Das ist das, was wir den Menschen auch vor der Landtagswahl in Bayern sagen: Links wählen heißt im Grunde mehr Steuern, mehr Schulden und weniger Zukunft. ({15}) Es ist richtig, dass dieser Bundeshaushalt unter dem Motto der Konsolidierung steht. Natürlich wäre es volkswirtschaftlich völlig falsch, die Konsolidierung innerhalb eines Jahres herbeizuführen, denn das würde dem wirtschaftlichen Kreislauf viel zu viel Geld entziehen. Man muss hier einen längeren, verlässlichen und stetigen Weg gehen. Diese Regierung hat 2005 eine hohe Erblast mit einem strukturellen Defizit im Bundeshaushalt von 60 Milliarden Euro übernommen. Das ist jetzt auf 10 Milliarden Euro zurückgeführt worden. Das ist der richtige Weg. ({16}) Der Kollege Kauder hat gesagt, dass damit die Chance besteht, nach 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt und möglicherweise auch Überschüsse zu erreichen. Das führt mich dazu, daran zu erinnern, dass vor 40 Jahren Franz Josef Strauß Bundesfinanzminister war. Er hat im Jahr 1969 einen Haushalt mit Überschuss übergeben. Dann ging der Marsch in den Schuldenstaat unter Regierungsbeteiligung der FDP los. ({17}) Deutschland hatte 20 Jahre lang eine solide Finanzpolitik. Der Dammbruch bei den Schulden begann seinerzeit in der sozialliberalen Koalition. ({18}) Wir haben 1998 in Bayern als erstes Land angekündigt, dass wir ausgeglichene Haushalte wollen. Wir haben das im Jahr 2006 erreicht. ({19}) Ich darf daran erinnern, mein Vorgänger, Herr Faltlhauser, und Herr Eichel haben zur gleichen Zeit angekündigt, dass 2006 die Marke für einen ausgeglichenen Haushalt sein soll. Herr Eichel ist nicht mehr im Amt, und er hat einen Haushalt mit dem größten Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik übergeben. Bayern hat 2006 den ausgeglichenen Haushalt erreicht. ({20}) Wir haben in den Jahren 2007 und 2008 500 Millionen Euro an Schulden zurückgezahlt. Ich werde dem Bayerischen Landtag in diesem Jahr einen Haushaltsentwurf 2009/2010 mit einer Neuverschuldung von ebenfalls Null und 200 Millionen Euro Schuldentilgung pro Jahr vorlegen. Wir werden dann fünf Jahre lang einen ausgeglichenen, schuldenfreien Haushalt haben. Das ist in ganz Deutschland vorbildlich. ({21}) Frau Bundeskanzlerin, deshalb stimmt, was Sie auf dem Parteitag der CSU in Nürnberg gesagt haben: Der Bund soll dorthin kommen, wo Bayern heute schon ist. ({22}) Das Kunststück besteht nicht darin, einfach nur zu sparen und zu kürzen. Das Kunststück besteht darin, zugleich zu investieren und für die Zukunft vorzusorgen. Wir haben gesagt: Wir konsolidieren, wir reformieren und wir investieren. ({23}) Wir werden allein in diesem Jahr - in einem Land - die Investitionen gegenüber dem Vorjahr um fast eine Milliarde Euro erhöhen. Wir werden diesen Weg fortsetzen. Deshalb ist es auch Aufgabe des Bundes, für das Wohl der Menschen in ganz Deutschland, aber auch für das Wohl und die Entwicklung der Menschen in allen Ländern, neben der Konsolidierung auch Innovationen zu betreiben. Ich begrüße es sehr, dass die Forschungsausgaben in diesem Bundeshaushalt ausgebaut werden und man zugleich die Entlastung der Bürger betreibt. Dieser Dreiklang „Konsolidierung - Innovation - Entlastung“ ist richtig für die Zukunft des Landes; denn nur so sind wir den Risiken der Globalisierung gewachsen. Es reicht nicht aus, zu sagen, Globalisierung ist unsere Chance und unser Schicksal. Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass Leute, die die Gefahren und Risiken der Globalisierung besonders zu tragen haben, von uns unterstützt und gefördert werden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos eine Politik betreibt, die vor diesem Hintergrund darauf abzielt, den Mittelstand zu entlasten und Bürokratie abzubauen. Damit Staatsminister Erwin Huber ({24}) wird die Position von kleinen und mittleren Unternehmen im Wettbewerb gefestigt. ({25}) Es war richtig, dass die Koalition zum 1. Januar 2008 die Unternehmensteuerreform in Kraft gesetzt hat. Herr Westerwelle, es entspricht nicht der ganzen Wahrheit, wenn Sie die dazu notwendige Gegenfinanzierung hier einfach nur als Steuererhöhung abtun. Es wäre ohne Gegenfinanzierung nämlich nie möglich gewesen, den durchschnittlichen Körperschaftsteuersatz auf unter 30 Prozent zu senken. Sie lassen sich gerne für Steuersenkungen loben, verschweigen dabei aber, dass diese Maßnahmen auch bestimmte Gegenfinanzierungen erforderten. Der Weg, den wir gegangen sind, war richtig, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen. ({26}) Ich begrüße es sehr - dafür bedanke ich mich auch bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion -, dass mit dem in München, also am richtigen Ort, geschnürten Entlastungspaket ein Weg eingeschlagen wurde, der diese Politik auch in Zukunft fortsetzt. Zum 1. Januar 2009 werden die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent reduziert. Dies entlastet Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Damit werden die Beitragszahler, die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, im Vergleich zum früheren Satz von 6,5 Prozent um 25 Milliarden Euro im Jahr entlastet. Das ist die richtige Politik, meine Damen und Herren. ({27}) Ich begrüße es auch, dass wir zum 1. Januar 2009 das Kindergeld erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben den Betrag von 10 Euro genannt. Das ist wichtig und war notwendig, da es lange Zeit nicht erhöht wurde. Der Forderung von Teilen der SPD, stattdessen doch lieber 25 000 Kindergärtnerinnen einzustellen, entgegne ich: Es kann nicht sein, Familieninteressen in dieser Form gegeneinander auszuspielen, meine Damen und Herren. ({28}) Für uns ist es gleichermaßen notwendig, Möglichkeiten zur Kinderbetreuung zu schaffen und Familien zu entlasten. Man kann nicht einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die jetzt unter den hohen Energiepreisen zu leiden hat, die ja nicht um 3, sondern um 10 bis 30 Prozent gestiegen sind, damit kommen, dass in ihrer Nachbarschaft ein Kindergarten gebaut wird. Diese Frau muss unmittelbar entlastet werden. Das ist wichtiger Bestandteil einer familienfreundlichen Politik. ({29}) Wir werden mit den Verbesserungen im Bereich des Wohngeldes die Bezieher von niedrigen Einkommen von den höheren Ausgaben aufgrund der steigenden Energiepreise zumindest teilweise entlasten. Das ist richtig. Wir können selbstverständlich nicht den Preisbildungsprozess beeinflussen. Hier ist der Staat im Grunde ohnmächtig. ({30}) - Dazu komme ich gleich. - Wir müssen vielmehr dafür sorgen, dass das Energieangebot nicht reduziert wird. Wer in einer Zeit von zurückgehenden Ressourcen und steigenden Preisen am Ausstieg aus der Kernenergie festhält, der verknappt das Angebot, treibt die Energiepreise in die Höhe und macht uns abhängig. ({31}) Das ist falsch. Dieser Beschluss muss korrigiert werden, meine Damen und Herren. ({32}) Wenn wir die Bezieher niedriger Einkommen entlasten wollen, sollten wir, so meine ich, die Pendler entlasten. Es sind nicht ein Siebtel der Arbeitnehmer, sondern rund ein Drittel, nämlich 11 Millionen, die von der Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale profitieren würden. Ich mache mich in Bezug auf das, was wir 2006 beschlossen haben, gar nicht aus dem Staub. ({33}) Das war notwendig, weil sonst eine Konsolidierung der Bundesfinanzen nicht möglich gewesen wäre. Da es aber heute eine verbesserte Situation gibt und da die Spritkosten stark gestiegen sind, sind wir der Meinung, dass die existenzsichernde Fahrt zum Arbeitsplatz steuermindernd geltend gemacht werden muss. ({34}) Ich habe für die CSU ein Steuerentlastungskonzept über 28 Milliarden Euro vorgelegt. ({35}) - Das nervt Sie; das freut mich. Da unterscheiden wir uns. Die Grünen wollen die Energiesteuern erhöhen und damit die Menschen belasten. ({36}) Die SPD-Linke will die Erbschaftsteuer verdreifachen und die Vermögensteuer neu einführen, und die Linke ist mit Steuerbelastungen von 100 Milliarden Euro und mehr sowieso jenseits aller wirtschaftlichen Vernunft; das würde den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes herbeiführen. ({37}) Wir haben gesagt, das Konzept ist notwendig für einen mittelfristigen Pfad. Das Konzept ist nicht eine Entlastung für ein Jahr, ({38}) sondern für 2009, 2010 und 2012. Denn wir wollen, dass die heimlichen Steuererhöhungen über die kalte Progression eingegrenzt werden. Es kann nicht sein, dass die Staatsminister Erwin Huber ({39}) Mittelschicht immer mehr belastet wird, weil sich inflationsbedingt beispielsweise ihr Bruttoeinkommen erhöht und damit der Grenzsteuersatz immer mehr steigt. ({40}) Wir müssen gerade in einer Situation, in der die konjunkturelle Lage schwieriger wird, die arbeitenden Menschen, die Leistungsträger, den Mittelstand, die Handwerker, die Arbeitnehmer, mittelfristig entlasten, damit von ihnen ein positiver Beitrag für die Konjunktur ausgeht. ({41}) Das ist - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen ein wichtiger Beitrag auch im Zusammenhang mit der Erbschaftsteuer. Wer jetzt eine so gewaltige Erhöhung der Erbschaftsteuer politisch in den Raum stellt wie die SPD, ({42}) der verschreckt den Mittelstand.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Staatsminister, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass das Licht vor Ihnen das Ende der Redezeit signalisiert? ({0}) Erwin Huber, Staatsminister ({1}): Ich trage noch zwei Gedanken vor: Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass im Mittelstand, der sein Leben lang arbeitet, spart und investiert, kein einziger Betrieb und kein einziger Arbeitsplatz durch die Erbschaftsteuer gefährdet wird. ({2}) Zweitens begrüße ich, Frau Bundeskanzlerin, die Bildungsrepublik Deutschland. Wir werden aus Bayern unseren Beitrag dazu leisten, dass jedes Kind eine gute Chance hat. Die Qualifikation der Menschen ist das Beste für die wirtschaftliche Zukunft. Deshalb gehen wir mit Mut und Kraft entschlossen in die Zukunft. Ich danke Ihnen. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gregor Gysi das Wort. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Huber, Sie hören, die Begeisterung ist nicht ganz so groß wie bei Ihnen; aber den Beifall nach Ihrer Rede fand ich unverdient. Lieber Kreuzritter Huber, bei Ihrem Kreuzzug gegen die Linke sind Sie, als Sie auf Berlin und bestimmte Zahlen verwiesen, in Ihre eigene Grube gefallen. Sie haben es verabsäumt, darauf hinzuweisen, dass wir nur deshalb in die Regierung gekommen sind, weil es vorher, verursacht von der CDU, die größte Bankenkrise in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. ({0}) Die Stadt war so etwas von pleite, dass es gar keinen anderen Weg mehr gab, als uns zu wählen und mit in die Regierung zu nehmen. Schritt für Schritt befreien wir die Stadt daraus. So wie die CDU in Berlin bewiesen hat, von Geld nichts zu verstehen, haben auch Sie in Bayern mit Ihrer Landesbank bewiesen, nichts von Geld zu verstehen. Das ist das ganze Problem. Danke schön. ({1}) Erwin Huber, Staatsminister ({2}): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich brauche nur auf ein Faktum hinzuweisen: Bei der letzten Wahl in Berlin hat die Linke gewaltig verloren. Das ist der richtige Weg. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege Kauder das Wort. ({0})

Volker Kauder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001074, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Gysi, Fakten des heutigen Tages haben mich nach dem, was Sie hier gesagt haben, herausgefordert, Sie im Deutschen Bundestag mit etwas zu konfrontieren, was eine Ungeheuerlichkeit ist. Wir haben dafür gesorgt, dass für Hunderttausende von Menschen das Wohngeld erhöht wird. Wir wollen, dass dieses Geld auch ankommt. Der Berliner Senat, in dem Ihre Partei mitregiert, sorgt dafür, dass noch 23 000 Menschen auf die Erhöhung des Wohngeldes in diesem Jahr warten. Kümmern Sie sich einmal darum! Es ist unsozial, Herr Gysi, was Sie da machen. ({0}) Dort, wo Ihre Partei wie hier in Berlin an einer Regierung beteiligt ist, bekommen die Menschen das Geld nicht, das ihnen zusteht, das wir beschlossen haben. Das ist unsozial. Dafür sind Sie verantwortlich. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat jetzt erst einmal wieder die Präsidentin, welche einen Fehler gemacht hat. Da Herr Kauder nicht direkt angegriffen und angesprochen wurde, ({0}) hätte ich an dieser Stelle keine Kurzintervention zulassen dürfen. Das ist richtig. ({1}) - Jetzt wird die Präsidentin diesen Fehler nicht fortsetzen. Deshalb werden jetzt keine weiteren Kurzinterventionen und Antworten mehr zugelassen. ({2}) Wir setzen jetzt mit der Rednerliste fort, auch wenn das der eine oder die andere bedauert. Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die SPD-Fraktion. ({3})

Ludwig Stiegler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002248, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der CSU-Vorsitzende hat hinter der Maske des bayerischen Finanzministers eine etwas angeberische Rede gehalten. ({0}) Ich erinnere: Der letzte CSU-Vorsitzende hat zu uns in der Maske des Ministerpräsidenten geredet und immer gesagt: Die Bayern sind die Besten, die Größten und die Schönsten. - Es hat ihm nichts geholfen. Huber und Beckstein haben ihn von hinten erdolcht. Wenn ich sehe, wie Herr Seehofer schweigend hier sitzt, dann weiß ich: Erwin Huber hat kein gutes Schicksal vor sich. ({1}) Da hilft alles nichts, da kann man ein noch so großes Maulheldentum hier betreiben. Als Bayer sollte man, gerade weil es uns momentan durchaus nicht schlecht geht, eher ein Stück Bescheidenheit haben. Wir hatten in der Geschichte unseres Landes Zeiten, da haben uns andere Länder geholfen, vor allem Nordrhein-Westfalen. Wehe dem, der dann, wenn ihm selber geholfen ist, auf die anderen mit Arroganz und Besserwisserei antwortet! ({2}) Das ist kein Stil. Dies wird sich rächen. Auch wir in Bayern befinden uns darüber hinaus nicht auf der Insel der Seligen. Ich möchte nicht wissen, was auf Finanzminister Huber angesichts der von ihm so vorzüglich verwalteten und so vorzüglich mit Kreditgarantien versehenen Landesbank zukommt. Ich möchte nicht wissen, was bei den Lehman Brothers alles gelaufen ist. Wer so tut, als würde bei uns Manna vom Himmel fallen oder als würde es wie bei Frau Holle Gold regnen - Kikeriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie! -, der tut dem Land keinen Gefallen. ({3}) Ich höre immer wieder: Wir sind schuldenfrei. Angeberei! In der Buchhaltung vielleicht schon, wenn ich aber durch die Städte und Gemeinden und über die Dörfer ziehe, höre ich, wie viele Städte und Gemeinden auf Zuschüsse warten, und zwar so lange, bis die Kosten für die Zwischenfinanzierung den Zuschusswert fast aufgefressen haben. Daher sage ich: Herr Huber, machen Sie sich erst schuldenfrei gegenüber Städten, Gemeinden, Vereinen und allen anderen Zuwendungsempfängern. Dann können Sie hierherkommen, den Aufschwung markieren und angeben. ({4}) Daheim heimlich Schulden zu haben, aber mit Arroganz andere zu belehren, das haut nicht hin. Wir hören vom Marsch in den Schuldenstaat. Die CSU hat schon immer gesagt: Nur wenn wir Schulden machen, sind es gute Schulden; wenn andere das machen, ist das der blanke Sozialismus. Der frühere bayerische Wirtschaftsminister August Lang hat mir einmal gesagt: Alles, was wir machen, ist soziale Marktwirtschaft. Was ihr macht, ist kruder Kommunismus. ({5}) Das ist das Weltbild der CSU. Sie können die Dinge eben doppelt sehen. Sie sehen sich in ihrer vollen Scheinheiligkeit. ({6}) Sie sehen den Splitter im Auge des anderen, aber nicht den Balken im eigenen Auge. Wer behauptet, nach zwei Maß Bier noch nüchtern zu sein, dem kann so etwas schon einmal passieren. ({7}) Wir werden den Kernenergiefetischismus in Bayern nicht mitmachen. ({8}) Wenn die Kernenergie wirklich so günstig wäre, müssten die Stromkosten in Bayern halb so hoch sein. Wenn die Kernenergie so vorteilhaft wäre, müsste das so sein. Ich sage Ihnen auch: Was ist das für eine Nachbarschaft, wenn der eine den Mist aus seinem eigenen Garten im Garten des anderen entsorgt? Wer seinen Mist nicht selbst entsorgen kann, kann nicht sagen: Die Niedersachsen sollen ihn nehmen; wir wollen ihn bei uns nicht haben. Das geht nicht. Das ist unanständig. ({9}) Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Jetzt, wo die Energieunternehmen die erneuerbaren Energien für sich entdecken und bereit sind, zu investieren, sollten wir die Chance nutzen, uns von fossilen Energien und der Kernenergie unabhängig zu machen und das Land zu entwickeln. Die erneuerbaren Energien sollen durch die Nutzung intelligenter Netze grundlastfähig werden. Michael Glos hat einen Förderbescheid vergeben. Wir sollten diese Chance nutzen, und zwar jetzt. Je früher, desto besser. Man sollte nicht warten und die veraltete Kernenergie finanzieren. ({10}) Es ist erstaunlich, wie „konsequent“ die CSU ist. Als die Tschechen in Temelin mit westlicher Technik ein Kernkraftwerk gebaut haben, da hat sie sich verhalten wie die Laus am Strick. Sie hat so getan, als ob ganz Niederbayern gefährdet wäre. Die Kraftwerke in Ohu sind aber ein Wunderwerk der Technik! So etwas kann man als schizophren bezeichnen, aber nicht als moderne Entwicklungspolitik. ({11}) Herr Huber kommt mit Steuervorschlägen und anderen Ideen. Er ist ein Abstauber. ({12}) - Ein Abstauber. Zu einer Sache, die von der Großen Koalition ohnehin aus gesetzlichen Gründen beschlossen werden muss, möchte er sagen: Ich habe das Tor geschossen! Ich habe das gefordert! Wir alle wissen: Der Existenzminimumsbericht kommt. Wir alle wissen, dass daraus Folgerungen zu ziehen sind. Wir als Koalition - im Übrigen auch die Kollegen von der CDU - sind diszipliniert genug, zu sagen: Wir warten auf den gemeinsamen Erfolg. Aber dieser Kerl kommt daher und sagt: Ich habe das Tor geschossen. - Wer sich in einer Mannschaft so benimmt, steigert seine Beliebtheit nicht. ({13}) Es werden immer Dinge versprochen, die nicht in Ordnung sind. Dabei weiß man: Die CSU rennt immer Pappkameraden ein. Nehmen wir den Gesundheitsfonds. Da erzählen Sie lange, die Welt gehe unter, wenn der Gesundheitsfonds kommt, obwohl alles verabredet ist. Am Ende müssen Sie dann klein beigeben; dann ist es vorbei. Sie wollen halt die Landtagswahlen überstehen. Sie wollen den Eindruck erwecken: Wir sind die Größten. Schon bei der Kommunalwahl war es so. Da wollten Sie die Krise bei der Landesbank nicht offenbar werden lassen. Es war saudumm, dass es dieses Versehen bei der Kommunikation gab. Jetzt werden Pappkameraden aufgebaut. Das ist Betrug an den bayerischen Wählerinnen und Wählern. Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen. ({14}) Wir sagen ihnen die Wahrheit, zum Beispiel dass wir mit der Erbschaftsteuer niemanden überfordern. Es stand sogar in den Wahlprogrammen beider Parteien, dass wir stunden wollen und dass wir denen, die Arbeitsplätze schaffen, im Gegensatz zu allen anderen den Übergang erleichtern wollen. Dazu, dass manche von denen glauben, sie müssten überhaupt keine Steuern zahlen und das sollten nur die Arbeiter, die Angestellten und die Beamten, hat uns das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht: Das geht nicht. Das soll auch nicht gehen, weil es nicht gerecht wäre. Kein Arbeitsplatz wird aufgrund der Erbschaftsteuerreform scheitern. ({15}) Darauf können sich die Menschen verlassen. Sie brauchen dazu keine schwarzen Zusagen. ({16}) Ähnlich verhält es sich mit den Pendlern. Da hat die CSU ja Pirouetten gedreht; eine Achterbahn am Oktoberfest ist ein Dreck dagegen. ({17}) Denn schon Theo Waigel hatte damit begonnen, die Pendlerpauschale abschaffen zu wollen. Das waren - Stichwort Professor Bareis - die berühmten Petersberger Beschlüsse. Dazu gab es schon einmal einen Gesetzentwurf. Dann hat man sie wieder eingeführt, dann wieder abgeschafft. Es war also ständig ein Zick und Zack und Zack und Zick. Immer vor den Wahlen hat man gesagt: Da hat man einen wunderbaren Lockvogel, den hält man hin, dann kriegt man einen Gelust, und nach den Wahlen hat man es wieder vergessen. Wer da auf die Zusagen baut, hat auf Sand gebaut. Ich baue da auf das Bundesverfassungsgericht, das eine steuergerechte Entscheidung treffen wird. Wer sich auf die CSU verlässt, ist verlassen, wie er bisher verlassen war. ({18}) Wir in der Großen Koalition sollten zum gemeinsamen Erfolg stehen. ({19}) Wer immer nur selber glänzen will, ist kein Mannschaftsspieler. Ich denke, gerade mit den Koalitionsfraktionen machen wir es richtig. Deshalb kann es nicht im Interesse unserer CSU-Kollegen sein, dass da so ein Angeber aus München kommt, Brotzeit daherredet ({20}) und so tut, als ob er die Welt einreißen könnte. ({21}) Wir haben schon erlebt, dass Edmund Stoiber so geredet hat. Alle Angeberei hat ihm nicht geholfen. Erwin Huber wird es auch nicht retten. Das nächste Mal werden wir einen anderen Angeber erleben. Aber wir sind Kummer gewohnt. ({22})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil aus der SPDFraktion. ({0})

Hubertus Heil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003142, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass wir eigentlich über den Kanzleretat und die Rede der Kanzlerin sprechen. ({0}) - Das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle. ({1}) Frau Merkel hat sehr viel über Bildung gesprochen. Als Sozialdemokrat freue ich mich natürlich, wenn sich Christdemokraten der sozialdemokratischen Programmatik verbal anpassen. Das ist eine gute Sache, sowohl in der Familien- als auch in der Bildungspolitik. ({2}) Ich sage aber sehr deutlich: Die Tatsache, dass der Bildungsgipfel in Dresden stattfindet, sollte uns an einen Schriftsteller erinnern, der in Dresden geboren wurde, später in Berlin gelebt und auch in München gewirkt hat; dort ist er auch gestorben. Die Rede ist von Erich Kästner. Er hat den schönen Satz geprägt: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ ({3}) Herr Huber, vor diesem Hintergrund möchte ich die Programmatik, die Frau Merkel in der Bildungspolitik propagiert, mit dem Versagen Ihrer Staatsregierung in der Praxis konfrontieren; das kann man durchaus tun. ({4}) Frau Merkel hat zu Recht davon gesprochen, dass wir die frühe und individuelle Förderung von Kindern in den Mittelpunkt rücken müssen. Als wir das in Bayern früher gefordert haben, haben Sie uns diffamiert und behauptet, wir wollten die Kinder verstaatlichen. ({5}) Eine frühe und individuelle Förderung von Kindern ist aber nur dann möglich, wenn es ein gutes Angebot an Krippenplätzen und Kindergärten gibt und wenn man, wie es in den sozialdemokratisch geführten Ländern nach und nach getan wurde, auch dafür sorgt, dass die Kindergärten beitragsfrei gestellt werden. Hier haben Sie vollständig versagt. ({6}) Ich gehe in der Bildungskette einen Schritt weiter. Frau Merkel hat davon gesprochen, dass alle Menschen im Leben eine Chance brauchen. In Bayern gibt es Landkreise, in denen 23 Prozent eines Jahrgangs keinen Schulabschluss haben. ({7}) Es gibt in Bayern Landkreise, in denen es nicht einmal das Angebot einer gymnasialen Oberstufe gibt. ({8}) Wenn wir wirklich wollen, dass nicht die soziale Herkunft bzw. der Geldbeutel der Eltern über die Bildungsund Lebenschancen der Kinder entscheidet, dann gilt es, in Bayern eine andere Politik zu machen; denn in der Bildungspolitik haben Sie komplett versagt. ({9}) Erreichen dann aber einige Schulabgänger in Bayern, wenn auch im Vergleich zu anderen Bundesländern viel zu wenige - die Abiturientenquote ist in Bayern am niedrigsten -, hohe oder sogar höchste Abschlüsse, ({10}) haben Sie für diesen Personenkreis zusätzliche Hürden errichtet. Denn Sie verlangen in Ihrem Bundesland Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester, und das, ohne zumindest ein Stipendienwesen aufgebaut zu haben; das wäre eigentlich das Mindeste, was Sie hätten tun müssen, wenn Sie schon diesen falschen Weg einschlagen. Ich nenne diese Fakten, weil sie ein frappierendes Licht darauf werfen, wie bei Ihnen Reden und Handeln auseinander klaffen. ({11}) Man kann nicht in Berlin mit schönen Worten über das Thema Bildung reden, aber dort, wo man Verantwortung trägt - die CSU also im Freistaat Bayern -, in dieser Form versagen. Herr Staatsminister, man kann auch das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Rede zum Thema Mindestlöhne gesagt hat, nicht befürworten, dass wir Mindestlöhne nämlich wie verabredet durchsetzen werden - uns hat das natürlich gefreut -, und Mindestlöhne in Bayern als sozialistischen Unsinn bezeichnen. ({12}) Ich habe einmal in der Bayerischen Landesverfassung geblättert. ({13}) In Art. 123 geht es um ein Thema, das uns sehr wohl bekannt ist - ich zitiere wörtlich -: Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zweck, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu staffeln. Das steht in der Landesverfassung, Herr Staatsminister, auf die Sie einen Eid geleistet haben ({14}) Ich bin wie Frau Merkel der Meinung: Wenn in Bayern etwas gut ist, dann kann man auch in Berlin daraus lernen. Daher möchte ich einen weiteren Artikel der Bayerischen Landesverfassung zitieren. ({15}) In Art. 169 Abs. 1 steht: Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie ermöglichen. Das ist großartig! ({16}) Herr Huber, ich will Ihnen nicht unterstellen, dass die CSU verfassungsfeindlich ist. ({17}) Allerdings muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich vom Geist der Bayerischen Verfassung, die nach dem Krieg von Christdemokraten, Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten zur Grundlage unserer wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Ordnung gemacht wurde, von der Geschichte und vom „S“ im Namen Ihrer Partei - sie heißt ja nach wie vor CSU - sehr stark distanziert. Das ist keine gute Idee. Das können wir momentan daran erkennen, dass Ihnen - hier hat Herr Westerwelle recht; das hat er schön formuliert - bestimmte Körperteile auf Grundeis gehen. Daher glauben Sie, Ihre Muskeln hier in Berlin spielen lassen zu müssen. ({18}) Die Wahrheit aber ist: Sie setzen sich mit dem, was Sie sagen, gar nicht durch. Das wäre auch nicht gut. Dass Sie Frau Merkel auf Ihrem CSU-Parteitag auf den Leim gegangen sind und das sogar noch gut finden, ist ein erstaunlicher Vorgang. Herr Staatsminister, ich muss Ihnen sagen: Mit Edmund Stoiber war es wenigstens lustig. ({19}) Wir erleben jetzt, dass Sie als die bajuwarische Ausgabe der Kaczynski-Brothers, nämlich Beckstein und Huber, ({20}) offensichtlich nicht mehr die Autorität haben, die früher Staatsparteien hatten. Das kennen andere Parteien auch. Im Herbst 1989 begannen die Leute, sich darüber lustig zu machen, was da so ist. Ich sage Ihnen: Dieser Freistaat Bayern gehört keiner Partei, auch nicht Ihrer Partei, er gehört auch nicht meiner Partei, er gehört den Menschen. ({21}) Diese werden darüber entscheiden, wie es in Bayern weitergeht. Die Zeit Ihrer absoluten Mehrheit wird in einigen Tagen vorbei sein. Das ist gut für Bayern. ({22}) - Herr Hinsken, Sie sind doch eigentlich ein Lieber. Beruhigen Sie sich wieder. Wir wollen und wir werden in dieser Verantwortung, in der wir stehen, in dieser Bundesregierung weiter arbeiten. Das ist nicht immer leicht bei einer Drei-Parteien-Konstellation, Herr Westerwelle. CDU, SPD und CSU sind nun einmal drei Parteien. Trotzdem sage ich, dass wir zu dem stehen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die nach der bayerischen Landtagswahl anzugehen sind, nämlich die Umsetzung von Mindestlöhnen, die Frage der Krankenhausfinanzierung, die Diskussion um die Umsetzung der Erbschaftsteuer usw. Was vereinbart worden ist, muss genauso gelten wie das, was das Verfassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat. Es gibt eine Fülle von Dingen zu tun. Auch in diesem Zusammenhang gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Wir dürfen uns nur nicht von der schwierigen Situation, in der die CSU am Tag nach der bayerischen Landtagswahl sein wird, aus dem Tritt bringen lassen, wenn jemand anders Verantwortung trägt. Das ist klar. Deshalb erkläre ich, dass wir zu dieser Koalition stehen. Ich sage das sehr deutlich, weil die Menschen von uns erwarten, dass dieses Land gut durch die möglicherweise anstehenden Krisen aufgrund des rauen Wetters geführt wird. Dass wir die Chance haben, die Schwierigkeiten zu bewältigen, hat Peer Steinbrück gestern deutlich gemacht. Wir haben uns nicht von der Industrie verabschiedet, wie es uns einige vor einigen Jahren geraten haben. Wir sind nicht dem Rat auf den Leim gegangen, eine reine Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungsgesellschaft zu werden. In den USA ist das anders gelaufen. In den 80er-Jahren waren 18 Prozent der Wirtschaft von Finanzdienstleistungen abhängig. Heute sind es 40 Prozent. Deutschland hat sich damals - viel verspottet - daran gemacht, seine industrielle Basis zu erhalten und zu modernisieren. Deshalb sind wir an diesem Punkt besser aufgestellt. Wenn wir weiter so an dieser ökonomischen Basis arbeiten, wenn wir begreifen, dass soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Dynamik keine Gegensätze sind, wie es einige erzählen wollen, sondern wechselseitige Bedingungen, wenn wir begreifen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Mensch in diesem Land gebraucht wird und deshalb die Ausgrenzung durch fehlende Bildungschancen nicht nur ungerecht ist, sondern auch ökonomisch ein Problem wird, wenn wir diesen Weg gehen, wenn wir sozialen Aufstieg und Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft ermöglichen, dann ist mir nicht bange um unsere Republik. Das gilt für Bayern, das gilt für Deutschland, und das gilt speziell für die Arbeit dieser Großen Koalition. Wir werden weiterarbeiten. Im nächsten Jahr steht ein Wahlkampf auf Bundesebene an. Dann geht es um die Frage, wie es in Deutschland nach der Bundestagswahl weitergeht. Dann sehen wir uns wieder. Herzlichen Dank. ({23})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die SPD-Fraktion.

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mir juckt es in den Fingern, an der Stelle weiterzumachen, an der mein Kollege Heil aufgehört hat. Ich möchte aber auch etwas hochhalten. Für die SPD ist Kultur Lebensmittel. Sie ist weder aus dem täglichen Leben noch aus dem Bundeshaushalt wegzudenken. Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Kultur in dieser Debatte zur Sprache kommt, weil sie nämlich im Kanzleramt verankert ist und dort eine prominente Rolle spielen muss. Davon ist bei den anderen Parteien heute leider nichts zu sehen. Das finde ich schade. Ich werde aber hier für alle die Fahne hochhalten. Zur Sache. Viel Verwirrung hat es in den vergangenen Tagen um die Künstlersozialversicherung gegeben. Baden-Württemberg hat im Bundesrat eine Initiative zur Abschaffung der Künstlersozialkasse eingebracht. Einige Länder haben sich irrtümlicherweise angeschlossen. Es kann sich nur um einen Irrtum handeln. Die von der sozialliberalen Koalition der 70er-Jahre eingeführte Künstlersozialversicherung ist eine der wichtigsten sozial- und vor allen Dingen kulturpolitischen Errungenschaften, um Kultur- und Medienschaffende abzusichern. Baden-Württemberg hat dabei leider vollstes Kulturunverständnis bewiesen. Die anderen Ministerpräsidenten müssen diesen Fehler jetzt schnellstens korrigieren. ({0}) Klar ist: Bürokratische Hemmnisse müssen abgebaut werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die im Beirat der Künstlersozialkasse vertretenen Verbände sind gerade dabei, gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Das nehmen wir ernst. Das und nicht die Holzhammermethode ist die richtige Art und Weise, hier positiv etwas zu bewegen und nicht alle zu verunsichern. Die Förderung von Kultur und Medien durch den Bund, der sich hier mit mehr als 1 Milliarde Euro im Inland beteiligt, ist sinnvoll. Hinzu kommen noch einmal 700 Millionen Euro im Rahmen der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik. Das ist auch wichtig. Man muss sich anschauen, wie das weitergeht. Hier wird ja immer wieder von der Kulturhoheit der Länder gesprochen. Man muss einfach sehen: Diese senken ihre Kulturausgaben ständig. Der Bund ist der Einzige, der sie erhöht: Gegenüber 2008 beträgt der Aufwuchs im Haushalt des Kulturstaatsministers 1,51 Prozent. Im Haushalt des Außenministers beträgt der Anstieg sogar 7,5 Prozent. Damit machen wir deutlich, welche Bedeutung wir der Kultur und den Medien im In- und Ausland beimessen. Ich wünsche mir sehr, dass sich die Ministerpräsidenten - insbesondere Peter Müller im Saarland, Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein und Christian Wulff in Niedersachsen - einmal fragen, ob die finanziellen Mittel für die Kultur in ihren Ländern noch ausreichen, wenn sie schon immer auf ihrer Kulturhoheit beharren und sagen, dass der Bund irgendetwas nicht machen soll. Dann aber bitte auch Butter bei die Fische und Geld in den Etat! ({1}) - Er ist da relativ gut aufgestellt. Das kann ich Ihnen gleich raussuchen. ({2}) Was tun wir im nächsten Jahr? Wir entwickeln das Konzept zur Gedenkstättenförderung weiter. Als SPD war uns dabei die Aufnahme der institutionellen Förderung in den alten Bundesländern besonders wichtig, damit zum Beispiel die Zahl der Führungen mit Schulklassen in den Gedenkstätten erhöht werden kann. So erhalten diese dann auch Planungssicherheit für ihre Arbeit. Wir wissen, wie wichtig gerade bei der historischpolitischen Bildung die Besichtigung authentischer Orte ist, da wir ansonsten weiter Studien lesen werden, in denen das mangelhafte Wissen vieler junger Menschen - übrigens auch und gerade hinsichtlich der SEDDiktatur - offenbart wird. Das haben wir im fortgeschriebenen Konzept zur Gedenkstättenförderung niedergelegt. Die Sanierung von Haus 1 in der Normannenstraße hier in Berlin, das in das Konzept eingebunden werden soll, haben wir noch nicht erreicht. Wir wissen noch nicht, wie viele Kosten dadurch entstehen werden. Ich würde mich freuen, wenn wir hierfür zumindest einen Leertitel einfügen könnten, wie er auch für das Deutsche Museum vorgesehen ist. Ein weiteres Projekt, mit dem wir uns jetzt auch auf der Zielgeraden befinden, ist die Vereinbarung, auch in Berlin ein sichtbares Zeichen zu setzen, um im Geiste der Versöhnung die Erinnerung bzw. das Gedenken an Flucht und Vertreibung wachzuhalten. Wir wollten das in öffentlicher Trägerschaft gestalten; das war wirklich der sozialdemokratische Wunsch. Das wird jetzt gerade vorangebracht. Wir wollen eine internationale Konferenz, damit wir die Grundlage der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ vom Haus der Geschichte weiterentwickeln können und somit eine Dauerausstellung im Deutschlandhaus erhalten; denn wir brauchen die Versöhnung mit den europäischen Nachbarn. Gerade deswegen wollen wir, dass auch internationale Experten dabei sind, damit diese Ausstellung wirklich der Versöhnung und nicht der Spaltung dient. ({3}) An dieser Stelle möchte ich den neuen Intendantinnen der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, meinen Glückwunsch übermitteln. Sie wollen zusätzliche Projekte anpacken und die Festspiele für weitere Menschen - vor allem auch für junge Menschen - erlebbar machen. Ich denke aber, es muss hier ganz deutlich sein, dass zusätzliche Mittel von außen und nicht aus dem Bundeshaushalt akquiriert werden müssen. Zum kulturellen Nachwuchs. Die kulturelle Bildung wurde in der Enquete-Kommission diskutiert, die einstimmige Forderungen dazu vorgelegt hat. Dies findet sich leider auch noch nicht im Haushalt wieder. Es geht zum Beispiel um die Erhöhung der Mittel für das freiwillige soziale Jahr in der Kultur und für den Fonds Soziokultur. Diese Dinge müssen wir jetzt auch noch umsetzen. Damit haben wir noch einiges zu tun. Ich hoffe, dass wir das gemeinsam hinbekommen. Wir haben aber auch ganz viel erreicht. Mit dem Filmförderfonds haben wir zum Beispiel den Anteil des deutschen Films im Kino deutlich steigern können. Das wollen wir weiterführen. In einem Zwischenschritt muss man jetzt aber prüfen, welche genauen Effekte mit diesem Instrument der Filmwirtschaftsförderung erzielt wurden, damit man dort auch noch einmal nachjustieren kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Griefahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Börnsen?

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Im Moment möchte ich gerne weitersprechen. Herr Kollege, das machen wir später. ({0}) - Bitte schön. ({1}) Das Problem ist, dass alle schon ganz ungeduldig auf den Außenminister warten. Nur deshalb wollte ich die Frage nicht zulassen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Jetzt hat der Kollege Börnsen das Wort zur Zwischenfrage.

Wolfgang Börnsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000227, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Kollegin, ich möchte mich zuerst bei meinem Kollegen Hans-Joachim Otto für die kollegiale Unterstützung bedanken. ({0}) Ich möchte mich aber auch bei Dir, Monika, für Dein Verständnis bedanken, doch eine Zwischenfrage zuzulassen. Es klang ein wenig an - deswegen möchte ich nachfragen -, dass einige mit dem Aufschwung in diesem Bereich in den letzten drei Jahren nicht zufrieden sind. Ist es nicht zutreffend, dass gerade der Kulturbereich mit einem Zuwachs von 7,6 Prozent in den letzten drei Jahren, also in jedem Jahr eine Zulage, die Unterstützung der Großen Koalition und ganz besonders der Kanzlerin erfahren hat und dass gerade die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht hat, welchen Stellenwert die Kulturpolitik bei der Großen Koalition hat?

Dr. Monika Griefahn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003136, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin sehr dankbar - das habe ich am Anfang gesagt -, dass wir hier einen Zuwachs zu verzeichnen haben. Die Kanzlerin war heute Morgen die Einzige, die zu diesem Themenkomplex etwas gesagt hat. Das finde ich richtig und das ist auch gut so. ({0}) Ich glaube, hier haben wir in der Großen Koalition gute Arbeit geleistet. Ich habe hervorgehoben, dass wir als Bund diesen Bereich hochhalten. Aber ihr müsst euren Ministerpräsidenten sagen, dass sie hier noch einmal nachbessern müssen; genau das ist der Punkt. ({1}) - In den drei Ländern, die ich aufgeführt habe, sind die Ausgaben für Kultur sehr niedrig. Ich komme zur Initiative Musik. Hier stellen wir seit zwei Jahren Mittel zur Verfügung. Inzwischen ist einiges in Gang gekommen. Für das nächste Jahr erwarte ich die in unserem Antrag geforderte Evaluation der Initiative, damit wir prüfen können, ob den Zielen des Bundestages mit den Förderrichtlinien entsprochen wird. Was noch fehlt, ist der Spielstättenprogrammpreis, der insbesondere an Jazzspielstätten vergeben werden soll. In dem Antrag haben wir hierzu noch weitere Wünsche formuliert. Ich erwarte da entsprechende Signale. Ich hoffe, dass wir auch bei diesem Punkt weiterkommen. Ich freue mich, dass wir im nächsten Etat auch die Medienforschung verankert haben. Hier muss man sicherlich sehen, was aus diesen Mitteln konkret finanziert wird. Ganz besonders freue ich mich - das habe ich am Anfang schon gesagt -, dass nach einer langen Durststrecke mit unserem Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier seit 2005 endlich das Interesse und die Wertschätzung von Kunst und Kultur wieder in die Außenpolitik der Bundesregierung eingekehrt sind. Wie gesagt, wir haben in diesem Haushaltstitel eine Steigerung von 7,5 Prozent zu verzeichnen. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Außenminister ganz herzlich für sein persönliches Engagement bedanken; denn er hat das Ganze wirklich vorangebracht. ({2}) Er hat im Ausland die Wertschätzung für diesen Bereich vorangetrieben, zum Beispiel die gemeinsame Neuaufstellung des Goethe-Instituts und die Stärkung der deutschen Schulen im Ausland. Das wollen wir im nächsten Jahr mit einem Jahr der Außenwissenschaft fortführen. Der Dialog mit anderen Kulturen funktioniert ganz entscheidend über die Brücken von Studium und Wissenschaft. Dieser Schwerpunkt rundet das Engagement in diesem Bereich ab. Ich denke, auf diesen großen Schritt können wir stolz sein. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen, weil wir gerade im Kulturausschuss ein gutes Team sind. Wir beschließen sehr viel einvernehmlich. Daher werden wir auch die letzten Hürden für die Lösung der anderen Probleme noch überwinden. Herzlichen Dank. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05. Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({0})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! In Deutschland und in Europa werden Frieden und Stabilität als etwas empfunden, was so selbstverständlich wie der Sonnenaufgang und das tägliche Brot ist. In vielen Teilen der Welt - das wissen Sie - ist das leider nicht der Fall. Die Neuvermessung der Welt, wie ich das nenne und wie Sie es alle erleben, geht leider mit neuen Unsicherheiten, Unruhe und vielen neuen, auch gewaltsam ausgetragenen Konflikten einher. Ja, es ist richtig: Allgemeingültige Rezepte, nach denen wir fragen und suchen, um Frieden und Stabilität zu gewährleisten oder schnellstmöglich wieder herzustellen, gibt es leider nicht. Deshalb muss sich kluge Außenpolitik aus meiner Sicht noch mehr als in der Vergangenheit darauf konzentrieren, vorausschauend Risiken zu minimieren und Chancen zu erkennen und zu ergreifen, wo immer die Verhinderung eines Konflikts möglich ist. ({0}) Was braucht man dazu? Vor allen Dingen braucht man richtige Analysen und - wo immer möglich - ein unabhängiges Urteil. Dabei bedarf es der Fähigkeit, bei der ganzen Flut von Informationen und - das haben wir gerade in der letzten Zeit wieder erlebt - Desinformationen die Übersicht zu behalten. In dieser immer unübersichtlicher werdenden Welt ist das in der Tat eine von Jahr zu Jahr immer anspruchsvollere Aufgabe. Das liegt daran, dass sozusagen die zynischen Gewissheiten des Kalten Krieges nicht mehr bestehen und die USA als einzig verbliebene Supermacht an Ansehen eingebüßt haben und aus den heute bereits genannten Gründen mitten in einer Finanzkrise stecken. Wie auch immer der nächste Präsident der USA heißen wird, er wird jedenfalls die Führungsrolle der USA neu definieren und - darin bin ich mir sicher - verloren gegangene Autorität zurückgewinnen müssen. Daneben gibt es neue Mächte. Wir reden von China und Indien. Wer ein bisschen in der Welt herumkommt, weiß, dass das verkürzt ist. Hinzu kommen Mexiko und Brasilien, langfristig vielleicht auch Südafrika und Vietnam. Alle diese neuen Mächte suchen nach einer neuen Rolle jenseits der alten Gewissheit in ständig neuen Interessenkonstellationen. Das macht gegenwärtig vieles so schwer voraussehbar. Hinzu kommt, dass wir uns in einer sehr dynamischen Wachstumsphase befinden - deren Vorteile haben wir heute Morgen beschrieben; deren Nachteile sehen wir derzeit kraft mangelnder Regelungen für die internationalen Finanz- und Kapitalmärkte -, die aber unzweifelhaft neben den Chancen auch Risiken vom Klimawandel bis hin zur Knappheit und Verteuerung von Energie und Rohstoffen mit sich bringt. Das führt uns in der Situation, in der wir jetzt - im September 2008 - miteinander diskutieren, zu der Feststellung: Eine neue und tragfähige Balance für Frieden und Stabilität in diesem Jahrhundert ist uns noch nicht gelungen. Daran müssen wir noch arbeiten. Ich sage das bewusst in einer Generaldebatte jenseits der Einzelthemen, über die wir noch diskutieren werden, etwa im Zusammenhang mit der Verlängerung des AfghanistanMandats. Ich sage also vorweg, dass es mein Anspruch an die deutsche Außenpolitik ist, dass wir uns nicht in der Unübersichtlichkeit des täglichen Klein-Kleins erschöpfen, sondern die langfristigen Linien und Herausforderungen in Erinnerung behalten. Ich wäre froh, wenn wir Gelegenheiten wie diese dazu nutzen würden. ({1}) Bei den Auseinandersetzungen im südlichen Kaukasus in diesen Tagen ist mir jedenfalls gewiss geworden, dass das, was an Herausforderungen in der Außenpolitik auf uns zukommt, auch die menschliche Vernunft langfristig auf die Probe stellen wird. Sie ist nicht immer in so reichem Maße vorhanden, wie ich mir das wünsche. Wenn wir mit Vernunft an die Außenpolitik herangehen, dann kann uns, glaube ich, etwas gelingen, was die neue Herausforderung mit sich bringt, nämlich neue Mächte zu integrieren. Wir brauchen eine Außenpolitik, die neue Formen der Zusammenarbeit erprobt, neue Formate entwickelt und neue Instrumente bereitstellt. Wir dürfen nicht verdrängen - das ist sozusagen meine Botschaft -, dass es neue Mächte auf der internationalen Bühne gibt. Selbst wenn wir manchmal verzweifelt um Lösungen ringen, dürfen wir nicht auf Lösungsmuster zurückgreifen, die seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr zur Verfügung stehen. Das wäre eine trügerische Scheinsicherheit. ({2}) Es hilft nichts - ich kenne den beschwerlichen Weg -, wir müssen das erreichen, was ich eine globale Verantwortungspartnerschaft nenne. Auf dieses Ziel müssen wir Schritt für Schritt hinarbeiten. ({3}) Ich komme zu den wichtigsten Linien, die ich im Augenblick erkenne und die die Politik in den nächsten Jahren prägen werden. Einige wenige Sätze zu Europa: Die Vertragsmisere, die Tatsache, dass uns die Ratifizierung des Lissabon-Vertrags - sie ist weiterhin notwendig nicht gelungen ist, darf uns nicht den Blick dafür verstellen, dass die Europäische Union von den Außengrenzen her betrachtet nach wie vor das leuchtende Beispiel für Versöhnung, Stabilität, Zivilität, sozialen Ausgleich und inneren Frieden ist. Richard Sennett hat das gestern in einem längeren Interview mit der Süddeutschen Zeitung aus der amerikanischen Perspektive geschildert. Wenn ich mir die jüngere Geschichte der Europäischen Union anschaue, dann stelle ich fest, dass uns in der Tat einiges nicht gelungen ist, an dem wir gearbeitet haben. Aber nachdem ich vor ein paar Tagen Boris Tadic getroffen und mir vor Augen geführt habe, wie wir über das Verhältnis der Europäischen Union zum westlichen Balkan und insbesondere zu Serbien diskutiert haben, und heute sehe, dass es mit einer ganz klugen und ausgewogenen Politik sowie sehr mutigen Demokraten auf der serbischen Seite gelungen ist, nicht nur Europa zum Kernpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen in Serbien zu machen, sondern auch den gegenüber Europa aufgeschlossenen Demokraten zum Wahlsieg zu verhelfen, und dass nun Stabilität in dem größten Land auf dem westlichen Balkan hergestellt wurde, dann finde ich, dass das eigentlich ein guter Weg ist. Dieser wäre ohne Europa nicht zustande gekommen. ({4}) Trotzdem bleibt die vielfach geäußerte Mahnung richtig: Am Ende wird die Stimme der Europäischen Union nur gehört werden, wenn es uns gelingt, mit einer Stimme zu sprechen. Daher ist in der Tat die Frage berechtigt: Sind wir schon so weit? Ist die Definition der gemeinsamen Interessen so weit fortgeschritten, dass sie uns wirklich zum gemeinsamen Handeln befähigt? Das ist nach wie vor eine berechtigte Frage, wie ich finde. Wir haben gerade im Kaukasus-Konflikt erlebt - alle, die an den Lösungen und Befriedungen beteiligt waren, haben das erfahren -, wie schwierig und anspruchsvoll das in einem Konflikt ist, in dem sozusagen über Nacht in wenigen Stunden Menschen zu Opfern wurden und ihr Hab und Gut verloren haben. Wenn wir ehrlich sind, haben viele von uns befürchtet, dass sich dieser Regionalkonflikt zu einem Flächenbrand zumindest im gesamten Kaukasus ausweitet. Ich will in aller Bescheidenheit und angesichts der Kritik an der europäischen Außenpolitik, die ich gut kenne, darauf hinweisen, dass dieser Konflikt und das Sterben von Menschen im südlichen Kaukasus beendet wurden, weil sich Europa der Sache angenommen hat, ({5}) natürlich nicht ohne Unterstützung anderer; das weiß ich sehr wohl. Aber man muss sich in Erinnerung rufen, dass es für den französischen Präsidenten als EU-Ratspräsident weiß Gott keine Selbstverständlichkeit war - aus meiner Sicht war es eher ein Risiko -, ohne jegliche Erfolgsgarantien nach Tiflis und Moskau zu fahren und zu versuchen, über Eckpunkte für einen Waffenstillstand zu verhandeln. Ich finde es angesichts dessen schäbig - das habe ich schon im Ausschuss gesagt -, in welcher Form an dem zwischen Herrn Sarkozy und Herrn Medwedew ausgehandelten Sechspunkteplan herumgemäkelt wird. Natürlich war er unvollständig; das sehen wir. Aber ist es nicht zynisch, zu argumentieren, die Europäer hätten noch ein bisschen weiterverhandeln können und vielleicht wären in drei bis vier Wochen die letzten Details bereinigt und geklärt gewesen, während die Menschen in dieser Zeit weiter gestorben wären? Ich jedenfalls bin froh darüber, dass jemand hingefahren ist, dass es ein Europäer war und dass der Sechspunkteplan zum Ausgangspunkt dafür wurde, dass wir heute die Lücken in dem Dokument - allerdings bei Schweigen der Waffen füllen können. ({6}) Ich will da nichts beschönigen. Die Stationen und Situationen, die wir in den letzten drei, vier Wochen durchlebt haben, haben wie in einem Brennglas gezeigt, dass die 27 europäischen Mitgliedstaaten immer noch 27 nationale, emotionale und sehr unterschiedliche Erzählungen von der Geschichte ihrer Völker haben. Da wirkt die Geschichte vergangener Jahrhunderte, insbesondere des letzten Jahrhunderts, die Erinnerung an Kriege, an Besatzung, an systemischen und ideologischen Zwang sowie an die Verhinderung von Eigenständigkeit und Selbstständigkeit. All das spielt eine Rolle beim Zusammenwirken in Europa, und das wird uns noch eine geraume Zeit lang, über Jahre und Jahrzehnte, begleiten. Es wird Teil der europäischen Außenpolitik sein, dies alles zu wissen und gleichwohl immer wieder eine gemeinsame europäische Außenpolitik neu zu konstruieren. Die zweite lange Linie betrifft das Verhältnis zu Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden unser wichtigster Verbündeter bleiben. Was wir schon in Bezug auf andere gesagt haben, gilt erst recht für die USA. Wir werden die USA für die Lösung aller im Augenblick erkennbaren wichtigen Probleme brauchen, auch für unsere gemeinsame Sicherheit. Weil das so ist, wünsche ich gerade mir eine besonders tragfähige, zukunftsfähige Beziehung zu den Vereinigten Staaten mit einer Agenda einer - wie ich das einmal genannt habe erneuerten transatlantischen Partnerschaft, in der Sicherheit nach wie vor ihre wichtige und zentrale Rolle haben wird, in der wir aber auch alle wichtigen und zentralen Zukunftsfragen vereinbaren werden, von einer Technologiepartnerschaft im Klimaschutz über Regeln auf den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten bis hin zu einer gemeinsamen Abrüstungspolitik. Ich trete dafür ein, dass wir diese neue transatlantische Agenda möglichst bald mit viel Leben erfüllen. ({7}) Die neuen Partner in der Weltordnung - China, Indien und viele andere - beanspruchen ihren Platz in der Weltgemeinschaft, und zwar einen Platz, der mindestens ihrem gewachsenen ökonomischen Gewicht entspricht. Wir brauchen viel außenpolitische Klugheit und Weitsicht, um die Ausbalancierung dieser neuen Gewichte gut hinzubekommen. Ich sage das nicht deshalb, weil ich die Aufgabe unterschätze, sondern weil ich voraussehe, dass wir Deutsche - die deutsche Außenpolitik - bei dieser Ausbalancierung gefragt sein werden, manchmal sogar jenseits unserer Leistungsmöglichkeiten. Wir kommen als Partner für diese neue Ausbalancierung offenbar auch deshalb in Betracht, weil wir erstens wirtschaftlich viel zu bieten haben, zweitens über Erfahrung in einer Friedensordnung, als die die Europäische Union begriffen wird, verfügen und drittens - das ist für viele Länder Afrikas wichtig - keinen Schatten einer eigenen deutlichen kolonialen Vergangenheit mit uns herumschleppen. Das lässt erwarten, dass wir bei der Ausbalancierung dieser neuen Gewichte mehr denn je gefragt sein werden. Ich habe den Satz von Karl Lamers in Erinnerung, der gesagt hat: Außenpolitik bedeutet, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. ({8}) Ich sage ähnlich: Um kluge Außenpolitik zu machen, muss man nicht die Perzeption des Gegenübers übernehmen, aber man muss sie jedenfalls kennen und in die eigene Positionierung mit einbauen. ({9}) Wer das beherzigt - davon bin ich ganz fest überzeugt -, der gibt nicht etwa irgendetwas auf, sondern der kann zu seinen Prinzipien und Positionen stehen, ohne anderen Völkern vom hohen Ross aus zu begegnen. Das führt mich zur letzten Schlüsselfrage, die ich hier kurz ansprechen will: Terrorismus. Der Terrorismus birgt hier, in einer offenen Gesellschaft, Risiken, die wir alle uns gegenseitig viele Male beschrieben haben. Ich will nicht auf Afghanistan im Einzelnen zu sprechen kommen, aber daran erinnern, dass der Terrorismus der Grund ist - der Jahrestag des 11. September liegt erst wenige Tage hinter uns -, warum deutsche Soldatinnen und Soldaten nach wie vor in Afghanistan sind. Meine Bitte ist einfach - ich sage das mit Blick auf die Bemerkungen von Fritz Kuhn von heute Morgen -, dass wir diese Debatte hier im Hohen Hause ehrlich miteinander führen. Ich gehe davon aus, dass in keiner der Fraktionen Mandate ein Selbstläufer sind. Jede Fraktion muss diese Frage sorgfältig diskutieren, aber mit den richtigen Argumenten. Wir entscheiden über den deutschen Beitrag, und deshalb bitte ich Sie erstens, nicht das entgegenzuhalten, was nach Ihrer Ansicht andere bei ihren Einsätzen möglicherweise anders oder falsch machen. Zweitens bitte ich, in der Debatte, die wir im Detail noch zu führen haben, nicht entgegenzuhalten, dass man deshalb den Mandaten keine Zustimmung geben kann, weil wir eine neue Strategie brauchen. Wir haben oft - auch hier an diesem Platz - über eine neue Strategie gesprochen. Ich will vorab nur sagen: Für diese neue Strategie mit einer deutlichen Betonung unseres Engagements für den zivilen Aufbau ist diese Bundesregierung gemeinsam eingetreten, auch in den NATO-Räten. Das kann ich für Franz Josef Jung wie für mich sagen. Wir haben diese Strategieänderung hinbekommen. ({10}) Sie ist ablesbar, Fritz Kuhn, nicht nur in unseren eigenen Haushalten. Wenn man sich bei all den Mitgliedsländern umschaut, die in Afghanistan engagiert sind, wird man feststellen, dass der Anteil der Mittel für den zivilen Wiederaufbau deutlich angestiegen ist. Deshalb sage ich: Lasst uns doch nicht einfach immer nur die alten Argumente und Vorwürfe wiederholen, sondern lasst uns davon ausgehen, dass gelernt ist, dass militärische Präsenz allein die Probleme in Afghanistan nicht beseitigen wird, sondern dass wir Engagement beim zivilen Wiederaufbau brauchen, und dieser findet statt. Wir brauchen allerdings, soweit ich das sehe, für die nächste Zeit weiterhin militärische Präsenz, um die Sicherheit und die Rahmenbedingungen zu garantieren. ({11}) Ich komme zur Abrüstung. Ich spreche sie deshalb an, ({12}) weil ich ahne, dass jemand gleich das Thema Indien aufrufen wird. ({13}) - Eben nicht, lieber Kollege Trittin. Ganz im Gegenteil. Sie wissen von mir, dass ich engagiert dafür eintrete, dass wir das Thema Abrüstung auf die internationale Tagesordnung zurückholen. Das ist uns gelungen, ({14}) nicht nur bei Kleinwaffen und bei Streumunition; auch im Bereich der atomaren Abrüstung haben Sie Vorschläge von mir für die Internationalisierung des Brennstoffkreislaufes gesehen, die jedenfalls bei der Internationalen Atomenergiebehörde und den beteiligten Staaten auf großes Interesse gestoßen sind. Ich habe damals bei der ersten Auseinandersetzung zu dem Nuklearhandel mit Indien, die wir hier in diesem Hause hatten, schon gesagt: Das, was wir üblicherweise zu der Frage der Bedeutung multilateraler Einbindung austauschen, gilt auch in diesem Fall. Mit anderen Worten - das habe ich damals gesagt, und daran halte ich mich -: Wenn die IAEO und wenn al-Baradei, mit dem wir auch bei verschiedenen anderen Konflikten eng zusammenarbeiten, es durch den Abschluss eines Safeguard-Abkommens zustande bringen, Indien näher an die Zusammenarbeit mit der internationalen Atomaufsicht heranzuführen, dann ist das auch für mich ein Argument, das ich in die Bewertung übernehme. Deshalb ist Indien nicht weiter entfernt oder wird nicht etwa belohnt für eine Missachtung des Atomsperrvertrags; vielmehr wird es mit geeigneten Mitteln näher an die Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde herangeholt. ({15}) Das gilt zwar nicht für 100 Prozent, aber für etwa zwei Drittel seiner Anlagen. Ich jedenfalls bin froh darüber, dass der Konsens auch unter denjenigen, die, Jürgen Trittin, noch kritischer als wir waren, in der Nuclear Suppliers Group am Ende gefunden worden ist. ({16}) Jetzt wird Monika Griefahn zum Abschluss wieder sagen: Nun haben wir über viele Themen gesprochen, aber nicht über die Kultur. Deshalb möchte ich einige abschließende Sätze dazu sagen. Ich habe in den vergangenen Haushaltsberatungen immer gesagt: Zu den Veränderungen in dieser Welt, die ich beschrieben habe, gehört auch, dass wir an uns selbst den Anspruch stellen müssen, uns mit unseren Argumenten, mit unserer Haltung besser verständlich zu machen. Dazu gehört die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich freue mich, dass wenigstens festgestellt wird, dass uns beim GoetheInstitut eine Wende gelungen ist, dass wir nicht mehr über die Schließung von Goethe-Instituten reden, sondern - dank Ihrer Hilfe - heute dabei sind, von einer konsolidierten Basis aus über eine Erweiterung unseres Engagements zu reden. Wir haben in den letzten Jahren viel bei deutschen Auslandsschulen getan. Wenn ich sage „viel getan“, heißt das nicht nur „staatliches Geld bereitstellen“, sondern auch, Kooperationen mit der Wirtschaft zu suchen, dort Überzeugungsarbeit zu leisten, sodass diejenigen, die ihre Abschlüsse auf deutschen Schulen machen, dann auch eine Perspektive haben für ein Praktikum, für ein Studium, für eine Lehre in Deutschland. Ich freue mich, dass das auf gutem Wege ist. Herzlichen Dank Ihnen allen. ({17})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sich nicht in der Unübersichtlichkeit des Klein-Klein verlieren, stattdessen die langen Linien sehen, dazu hat uns der Außenminister aufgefordert. Versuchen wir einmal, dem gerecht zu werden. Es ist in der Tat so - das beunruhigt mich gegenwärtig mit am meisten -: Ein altbekannter gefährlicher Virus wird in Europa und in der Welt wieder erkennbar, ein Virus, gegen den wir uns in Europa einigermaßen immunisiert zu haben glaubten: Es ist der Nationalismus, der seine hässliche Fratze überall in der Welt zeigt, leider auch wieder verstärkt in Europa. Ein einzigartiger politischer Prozess hatte uns in Europa zu der Anerkennung einer Reihe von elementaren Prinzipien friedlichen und kooperativen Zusammen18684 lebens gebracht. Es war ein Prozess, der mit der Doppelstrategie der NATO, wie sie im Harmel-Bericht zum Ausdruck gekommen war, auf das Engste verbunden war. Dieser Prozess hat immer auch Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung beinhaltet und nicht nur militärische Vorsorge. Er war eingebettet in das große Friedensprojekt der europäischen Integration. Er erzielte seinen katalytischen Durchbruch mit der Schlussakte von Helsinki. Für uns fand er seinen Höhepunkt im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der uns die deutsche Einheit brachte. Einen weiteren Höhepunkt fand er in der Charta von Paris, die in Vergessenheit geraten zu sein scheint. Voraussetzung für den Erfolg dieses Prozesses war die Überwindung des blanken Nationalismus in Europa, ({0}) dieser Geißel der Europäer nicht nur im vergangenen Jahrhundert. Wir schienen dem großen Ziel doch ein gutes Stück näher gekommen zu sein. Heute flammt dieser Nationalismus an vielen Stellen wieder auf. Er schürt regionale Konflikte, Gefahren für den Weltfrieden, und er entfaltet seine zerstörerische Wirkung innerhalb vieler Gesellschaften. Man denke nur daran, wie schwer es Minderheiten, Menschenrechtlern, Verfechtern von Presse- und Meinungsfreiheit, Advokaten von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Teilhabe gemacht wird, wenn mit den verführerischen Argumenten nationalistischer Überhöhung jeder in die vermeintlich patriotische Solidarität hineingepresst wird. Was wir in diesem Zusammenhang unlängst beim Besuch von Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen Ausschusses in Moskau von vielen aufrechten Demokraten und Menschenrechtlern gehört haben, beunruhigt. Ebenso beunruhigend ist das bedrückende Schweigen derer, die noch bis vor kurzem als aufrechte Oppositionelle gegen gravierende demokratische und rechtsstaatliche Fehlentwicklungen in Georgien auf die Straße gegangen sind. Grenzen in Europa nicht mehr anzutasten, sie zu überwinden, ihnen ihre Bedeutung zu nehmen, das war wesentliches Element der Charta von Paris. Heute werden neue Grenzen gezogen und wird ihre Überwindung unmöglich gemacht. Da ist etwas gewaltig schiefgelaufen. ({1}) Wir alle müssen uns die Frage stellen, ob wir denn alles richtig gemacht haben. Die Historiker werden eines Tages zu bewerten haben, ob die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit des Kosovo und die Entwicklung im Zusammenhang mit Südossetien und Abchasien - sagen wir einmal so - die ersten oder die letzten Sündenfälle gewesen sind. Ich weiß, man kann diese Fälle nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Die Unterschiede sind riesig. Es war im Kosovo auch aus unserer Sicht wohl allenfalls die am wenigsten schlechte Lösung. Selbst ihr wohnte wahrscheinlich eine gravierende Fehleinschätzung inne. Wichtigste Berater, die uns auf unserem Weg begleitet haben, haben immer wieder den Eindruck vermittelt, als würden die Russen am Ende schon beidrehen und einer Gesamtlösung zustimmen. Jedenfalls sind wir gut beraten, über die Bewältigung dieser konkreten Probleme, unter die man hoffentlich einmal einen Strich wird ziehen können, zu den Grundprinzipien von Paris zurückzukehren, und zwar nicht nur nach den Buchstaben, sondern auch nach dem Geist; denn der war es, der uns damals die große Entwicklung hin zur deutschen Einheit ermöglicht hat. Zu diesen Prinzipien, übrigens auch zu den Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in EU und NATO, gehören Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie die Fähigkeit und Bereitschaft zu friedlicher Konfliktlösung. Ich finde es in diesem Zusammenhang erstaunlich - um nicht zu sagen: befremdlich -, dass bei aller notwendigen Verurteilung rechtswidrigen Verhaltens Russlands in den Schlussfolgerungen des letzten Europäischen Rats erneut einseitig Russland kritisiert und ermahnt wird. ({2}) Auch ein klares Wort an die Adresse der georgischen Führung wäre angezeigt gewesen. Die Solidarität der NATO kann man nicht durch Zündeln erzwingen. ({3}) Eigentlich müsste sich die Bundeskanzlerin bestätigt fühlen, was ihre Haltung auf dem Bukarester NATOGipfel angeht. Ich glaube, es gibt überhaupt keine Veranlassung, an dieser Linie der Bundesregierung vom Frühjahr etwas zu verändern. ({4}) Jetzt höre ich das Schulterklopfen bezüglich der Rolle der Europäischen Union. Auch ich freue mich, dass die Europäische Union plötzlich zu gemeinsamem Handeln zusammengefunden hat. Ganz toll! Aber wo war denn die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in den Tagen Anfang August? Da war schlicht niemand erreichbar. Nach und nach lässt sich das Mosaik all dessen, was da schiefgelaufen war, zusammensetzen. Schön, dass wir dem französischen Staatspräsidenten gratulieren können. Zum Schluss hat er eine Vereinbarung mit Präsident Medwedew und anderen hinbekommen. Allerdings war das eine unbedingt erforderliche Aktion, um die Fehler der ersten Bemühungen schnellstens zu korrigieren; denn das war schlicht und ergreifend ein Flop. Man sollte es nicht schöner malen, als es ist. Im Übrigen gilt das auch für die Rolle der Vereinigten Staaten. Ich habe es irgendwie als bedrückend empfunden, wie hochanerkannte amerikanische Diplomaten wie Dan Fried bis zum letzten Moment versucht haben, das Schlimmste zu verhindern, während gleichzeitig Angehörige amerikanischer Dienststellen und mit Weisungen aus anderen Ämtern als dem State Department den georgischen Staatspräsidenten nach allem, was wir wissen, nicht gerade daran gehindert haben, diesen unverantwortlichen Unsinn anzurichten. Zu den Wahlen in Amerika hat der Minister einiges gesagt. Ich begrüße das sehr, weil ich in der Tat glaube, dass wir uns immer wieder klarmachen müssen, wie wichtig die deutsch-amerikanische und die europäischamerikanische Beziehung ist. Egal wer diese Wahlen gewinnt, wir werden es mit einem völlig neuen Partner zu tun haben. Leider dürfen wir ja nun einmal nicht mitwählen. Neben den großen Unterschieden, die ich weiß Gott sehe, gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Kandidaten, die uns gefallen können. Ich erinnere an die durchaus mutige Absage von John McCain an die Politik von Präsident Bush und Vizepräsident Cheney in Sachen Folterverbot. Ich erinnere an manches andere, was uns im Hinblick auf das Thema Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall unseren amerikanischen Freunden wieder näher bringen wird. Es gibt aber auch einige Themen, bei denen man sich wirklich fragt, wann wir die große Debatte über das, was in den nächsten Jahren strategisch zu entscheiden ist, mit den Vereinigten Staaten beginnen. Auch da kommt es auf die langen Linien an, zum Beispiel in der Frage der Raketenabwehr. Die gehört in die große Strategiedebatte hinein, die wir mit den Vereinigten Staaten und mit unseren anderen Partnern im Bündnis führen müssen. Von der Bundesregierung höre ich zu dem bemerkenswerten Beitrag von Sam Nunn, George Shultz, Henry Kissinger und anderen zur Frage der Zukunft der Nuklearwaffen keinen einzigen Beitrag. Darauf müssen wir eingehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche strategische Rolle ein System spielt, das den Eindruck von Unverwundbarkeit erweckt. Wie passen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten, der Tschechischen Republik und Polen da hinein? Dies nicht in den Gesamtkontext einzuordnen, finde ich fatal. Ich finde, hier muss man in der Tat sehen, dass die Gefahr, dass das Wettrüsten wieder beginnt, gegeben ist und dass wir alles dafür tun müssen, um das zu verhindern. ({5}) Ich habe den Bundesaußenminister immer unterstützt, wenn er gesagt hat, es gebe jetzt neue Abrüstungsinitiativen aus Deutschland. Das war überfällig, und ich begrüße diese Ankündigung sehr. Was ist das eigentlich noch wert, nachdem Indien bei der Nuclear Suppliers Group unter dem Vorsitz Deutschlands den Blankoscheck bekommen hat? Ich finde, das ist der Totalabsturz der Glaubwürdigkeit der deutschen Abrüstungspolitik. ({6}) Herr Minister, ich erinnere daran, was Sie 2006 auf dem Abrüstungskongress der SPD dazu gesagt haben. Sie haben die Aussagen al-Baradeis aufgegriffen und gesagt, wir brauchen die Übernahme von verbindlichen Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag durch Indien. Sie haben dann Ihre Kriterien genannt: erstens umfassender Teststoppvertrag und Beitritt Indiens zu diesem; zweitens Produktionsmoratorium für Spaltmaterial für Waffenzwecke; drittens Verpflichtungen zur Beschränkung und letztendlich zur Abrüstung seines Kernwaffenprogramms. Das sind die Kriterien, die Sie für Indien genannt haben. Das entspricht übrigens weitgehend dem, was im amerikanischen Senat dazu gesagt worden ist. Keines dieser Kriterien ist erfüllt. Trotzdem sind Sie stolz darauf, dieses Abkommen ermöglicht zu haben. Ich finde das sehr bedauerlich. ({7}) Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, nicht einfach abzuwarten, mit welchen Erwartungen die neue amerikanische Administration auf die Europäer und auch auf Deutschland zukommt. Wir müssen unsere Erwartungen an die neue amerikanische Administration formulieren und citissime dort auch kommunizieren, damit wir Einfluss nehmen können. Dabei geht es um mehr als die Frage des Verhältnisses zu Russland und zu China und um mehr als die Frage der Strategie unseres Bündnisses. Letztlich geht es um eine ganz große Wertefrage und damit wieder um große, lange Linien. Sind wir in der Lage, uns der Gemeinsamkeit der aufgeklärten rechtsstaatlichen Demokratien zu vergewissern? Können wir den Westen noch einmal neu begründen? Ich halte dies für dringend erforderlich und wünschenswert. Sind wir uns einig, dass die Grundlage unseres Handelns die Bekenntnisse nicht nur allgemein zur Aufklärung, sondern ganz konkret zur Toleranz, zur Rechtsstaatlichkeit, zur Priorisierung der Rolle und der Würde des einzelnen Menschen und auch der Respekt vor den Erkenntnissen der Naturwissenschaften ist? Hier sind in den letzten Jahren die großen Zweifel aufgekommen. Diese Gemeinsamkeit der aufgeklärten westlichen Demokratien müssen wir dringend wieder beleben. Wir werden den Westen noch brauchen. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Außenminister hat, auch mit Blick auf den Konflikt im südlichen Kaukasus, darauf hingewiesen, wie unübersichtlich die Welt geworden ist. Ohne den laufenden Prüfungen vorzugreifen, können wir heute feststellen: Es gibt eine georgische Mitverantwortung für die Eskalation dieses Konflikts; aber russische Behauptungen, das georgische Vorgehen sei vergleichbar mit den Anschlägen in New York und Washington am 11. September 2001, sind völlig absurd. Sie ändern vor allem nichts an der Tatsache, dass Russlands Vorgehen in Georgien und die Anerkennung von Südossetien und Abchasien eine grobe Verletzung des Völkerrechtes darstellen. Besonders beunruhigend ist, dass der Einsatz militärischer Mittel wieder zu einem Instrument russischer Nachbarschaftspolitik geworden ist und dass der Schutz russischer Bürger im Ausland als Legitimation für den Einsatz von Gewalt dient. Die Kaukasus-Krise stellt damit eine seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht mehr dagewesene Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in Europa durch Russland dar. Deshalb waren die Reaktionen von NATO, EU und G 7 notwendig und angemessen. Wir konnten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Russland hat durch sein Verhalten international erheblich an Glaubwürdigkeit, Ansehen und Vertrauen verloren. Zudem haben die Chancen auf mehr Pluralität und auf innere Modernisierung in Russland einen schweren Rückschlag erlitten. Das ist kontraproduktiv für Russlands eigene Interessen, es liegt aber vor allem auch nicht im europäischen Interesse. Russlands Modernisierung ist ein gemeinsames Anliegen. Europa braucht ein modernes, verlässliches, kooperativ handelndes Russland. Wir wollen mit einem Russland zusammenarbeiten, das seine Stärke im Sinne weltpolitischer Verantwortung einbringt. Stärke im 21. Jahrhundert stellen eben nicht Kanonen und Panzer dar, sondern sie liegt in dem Potenzial, zu internationaler Konfliktlösung beizutragen, in globaler Wettbewerbsfähigkeit, in gesellschaftlicher Attraktivität. Dazu gehören auch gleichberechtigte Beziehungen zu den Nachbarn, nicht aber eine hegemoniale Politik eingeschränkter Souveränität. Russlands Nachbarn wollen nicht wie Vasallen behandelt werden. ({0}) Ebenso braucht Russland den Westen, auch wenn manche in Moskau derzeit das Gegenteil behaupten. Russland hat sich selbst immer wieder gegen neue Trennlinien in Europa ausgesprochen. Es wird entscheidend von Russland abhängen, ob solche entstehen. Russland muss sich entscheiden, ob es Partner oder Widerpart Europas sein möchte. Aus unserer Sicht ist klar: Es gibt keine wünschenswerte Alternative zu starken Beziehungen, die auf Zusammenarbeit, Vertrauen, Dialog und Achtung des Völkerrechtes sowie den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen und der OSZE beruhen. ({1}) Um wieder dorthin zurückzukommen, müssen alle vorhandenen Foren der Zusammenarbeit so intensiv wie möglich genutzt werden. ({2}) In ihrem neuen außenpolitischen Konzept bekennt sich Russlands Führung zu einer offenen, verlässlichen und pragmatischen Außenpolitik, zu einer positiven Agenda für die internationalen Beziehungen, zu konsequenter Einhaltung der Regeln und Ziele der VN-Charta und zur Stärkung des Völkerrechts. Wir begrüßen diese Prinzipien als Grundlage für unsere Zusammenarbeit. Dazu muss sich die russische Außenpolitik jedoch von altem Nullsummendenken verabschieden. Es ist in den vergangenen Wochen wiederholt gefordert worden, als Reaktion auf das Vorgehen in Georgien Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen. Ich glaube, die internationalen Reaktionen haben bereits wichtige Antworten gegeben: erheblicher Kapitalabfluss aus Russland, aktuelle Schwierigkeiten, an westliche Investitionen und Kapital heranzukommen, und eine internationale Isolierung Russlands. Außer Nicaragua ist niemand dem russischen Beispiel der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens gefolgt. Diese Isolierung hat Russland kürzlich bei der Schanghai-Organisation besonders schmerzhaft erfahren. Das sind, glaube ich, Beispiele, die Moskau deutlich machen, wie sehr es die Zusammenarbeit und Partnerschaft mit dem Westen braucht. Deshalb stellt sich für uns die Frage: Was tun bzw. was nicht tun? Erstens ist es vor allem wichtig, dass NATO und EU geschlossen sind, zumal es zu weiteren Herausforderungen an unsere Geschlossenheit kommen wird. Deswegen müssen wir vor allem innerhalb der EU unsere Positionen zur Russlandpolitik noch besser abstimmen. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass Russland Absprachen nicht oder nicht vollständig einhält, etwa wenn es um den Rückzug auf die Positionen vor dem 7. August geht. Das gilt auch für die transatlantischen Beziehungen. Wir brauchen mit der neuen amerikanischen Regierung einen kontinuierlichen Dialog zu Russland. Wir müssen sie dazu ermutigen, die Russland-Politik als eine eigenständige außenpolitische Herausforderung anzunehmen. Zweitens sollten wir uns vor falschen Maßnahmen gegen Russland hüten, wie einem G-8-Ausschluss, der Blockade eines russischen WTO-Beitritts oder der Verschärfung des Visaregimes. Wir würden damit nur unserem eigenen Ziel schaden, durch Zusammenarbeit den Wandel in Russland zu erreichen. Gerade die Menschen in Russland, die sich heute unter erschwerten Bedingungen für mehr Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, müssen wir jetzt umso stärker unterstützen. ({3}) Drittens. Ziel muss bleiben, Russland in ein Netz gemeinsamer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit einzubinden. Das gilt für die EU-RusslandZusammenarbeit und ebenso für die NATO-RusslandBeziehungen. Die NATO ist kein Instrument zur Einkreisung Russlands, ({4}) sondern eine demokratische Organisation, um bestehende Sicherheitsherausforderungen in Europa zu bewältigen. ({5}) Das gilt auch für die NATO-Politik der offenen Tür. Auch die Ukraine und Georgien haben, wie jeder souveräne Staat in Europa, das Recht, unter Achtung des Völkerrechts und gutnachbarschaftlicher Beziehungen, der NATO beizutreten, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Wenn sie erfüllt sind, werden sie Mitglieder der NATO werden. ({6}) Es ist wichtig, dass Russland konsequenter als bisher auf den Iran einwirkt, um in unserem gemeinsamen Sicherheitsinteresse auf diplomatischem Wege eine Bedrohung durch iranische Nuklearwaffen und eine wachsende Proliferation im Nahen und Mittleren Osten zu verhindern. Zudem sollten wir uns um neue gemeinsame Mechanismen für multilaterales Peacekeeping im Südkaukasusraum bemühen. Das wird übrigens ein wichtiger Testfall sein, wieweit eine abgestimmte Nachbarschaftspolitik zwischen der EU und Russland möglich ist. Denn wachsende Berührungen im postsowjetischen Raum sind eine Realität. Die Gefahr von Bipolarität und Antagonismus in dieser Region gemeinsamer Nachbarschaft muss vermieden werden. Viertens. Über die Wiederaufbauhilfe für Georgien hinaus muss die Zusammenarbeit mit der SchwarzmeerRegion und den Kaukasus-Staaten erheblich intensiviert werden. Das gilt insbesondere für die Ukraine, auch wenn diese es durch überflüssige Machtspiele in der Koalition schwer macht. Ziel muss eine demokratische, rechtsstaatlich gefestigte und wirtschaftlich prosperierende Region sein, die als attraktives Zukunftsmodell Ausstrahlung auf ihre Nachbarschaft haben wird. ({7}) In den letzten Wochen haben die Reaktionen der Länder des Kaukasus und Zentralasiens gezeigt, dass der Wettbewerb dort mit Russland um die besseren politischen und wirtschaftlichen Lösungen für uns lohnenswert ist. Fünftens. Die Europäische Union muss jetzt endlich die vor mehr als einem Jahr beschlossene gemeinsame Energieaußenpolitik in die Praxis umsetzen. Wir brauchen eine Strategie dazu, wie wir unsere Energieversorgung sicherstellen wollen. Russland hat eine gesamteuropäische Energiestrategie; die EU hat sie nicht. Das können wir uns nicht länger leisten. ({8}) Wir brauchen eine europäische Energiesicherheitsunion, die bei Versorgungsproblemen eines Mitglieds solidarisch füreinander einsteht. Dazu ist es erforderlich, dass die Mitgliedstaaten vernetzt sind und gleiche Bevorratungsstandards einhalten. In der Energiezusammenarbeit mit Russland sollte noch viel stärker der Grundsatz der Reziprozität gelten. Das westliche Know-how kann dafür von uns als ein politisches Instrument genutzt werden. Zugleich muss die EU alles unternehmen, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu begrenzen. Nabucco ist eine echte Alternative. Deshalb muss dieses Projekt jetzt auch mit aller Entschiedenheit vorangetrieben werden. Ich sage aber auch: Wer als Vergeltungsmaßnahme gegen Moskau die Ostseepipeline infrage stellt, muss erst einmal schlüssig nachweisen, woher die EU stattdessen die Energieversorgung nehmen will, die durch diese Pipeline ermöglicht wird. Sechstens. Der Schlüssel zu Russlands Zukunft liegt in seiner inneren Entwicklung. Es geht nicht nur um eine wirtschaftlich-technische, sondern auch um die gesellschaftliche Modernisierung dieses riesigen Landes. Für jedes seiner immensen inneren Probleme - Demografie, wachsendes Wohlstandsgefälle, Gesundheit, aber auch wachsende Gewalt und Xenophobie - braucht Russland innere Kohärenz und eine starke, aktive, moderne Zivilgesellschaft, die nicht vom Staat gelenkt wird, sondern sich von unten entfalten kann. Deswegen sollte die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit zunehmend zum Kernbereich unserer Beziehungen zu Russland werden. ({9}) Siebtens. Nicht zuletzt sollten wir den Dialog über das Werteverständnis offensiv angehen, vor allem mit denjenigen Kräften in Russland, mit denen er besonders schwierig ist. Russland und die EU haben sich auf die universellen Werte des Europarates verpflichtet. Deswegen müssen wir in klarer, aber angemessener Form die Einhaltung dieser Werte immer wieder einfordern. In Wertefragen kann es keine Kompromisse geben. ({10}) Russland sei „aus der Kälte zurückkehrt“, hat Präsident Medwedew kürzlich in seiner Berliner Rede gesagt. Der Wandel begann erst vor rund 20 Jahren mit Glasnost und Perestroika. Der Zusammenbruch der Sowjetunion - das sollten wir unseren russischen Partnern immer wieder sagen - war für Russland keine Tragödie, sondern die historische Chance für einen Neubeginn auf dem Weg zu einem demokratischen und modernen Staat. Russland sollte diese Chance nicht verspielen, und wir sollten Russland in unserem eigenen Interesse dabei unterstützen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin Monika Knoche. ({0})

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Ich komme zuerst auf Georgien zu sprechen. Staatspräsident Saakaschwili hat den Krieg in Südossetien begonnen. Er hat unter dem Schutz der USA eine internationale Krise heraufbeschworen, in deren Zentrum heute bedenkliche neue antirussische Reflexe stehen. Es ist offenkundig, dass die NATO-Expansionsstrategie für die georgische Primäraggression ursächlich ist. Militärische Aufrüstung und jetzt Wiederaufrüstung durch den Westen sowie das Versprechen der Aufnahme in die NATO waren das zentrale Motiv für Saakaschwilis Angriff auf russische Friedenstruppen und gegen die eigene Bevölkerung. Diese Wahrheit sei hier noch einmal ausgesprochen, gerade weil verantwortungsblinde Politiker eine neue Ära des Kalten Krieges herbeireden wollen. Deutschland muss an gutnachbarschaftlicher Kooperation mit Russland arbeiten und darf den neokonservativen Kreisen, die auf Konflikt und Konfrontation mit Russland setzen, nicht nachgeben. ({0}) Das gilt für die Raketenabwehrbasis und für das Radarabwehrsystem in Osteuropa. ({1}) Dem Kriegsauslöser Georgien die NATO-Mitgliedschaft zu versprechen, den NATO-Rat damit zu befassen, Russland durch die Ausweitung der NATO auf die Ukraine weiter einzukreisen und der Umstand, dass die Ukraine kriegstauglicher gemacht wird, das kann nur als nachträgliche Belohnung für den kriegsauslösenden Überfall verstanden werden, um das einmal klar zu sagen. ({2}) Von Russland wird das als Brüskierung aufgefasst. Diese Auffassung kann man teilen oder auch nicht. Jedenfalls muss jeder verantwortlich handelnde Politiker und jede verantwortlich handelnde Politikerin das in die eigene Politik einbeziehen. Wer das nicht tut, will bewusst provozieren und mit dem Feuer spielen. Ich plädiere für hochverantwortungsvolle Politik gegenüber Russland. Deshalb sage ich: Weder die Ukraine noch Georgien dürfen in die NATO aufgenommen werden. Das würde den Frieden nicht sicherer machen. ({3}) Es liegt nicht im deutschen Interesse und dient nicht der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik, wenn Konfrontation und nicht Entspannungspolitik und Abrüstung die Ostpolitik kennzeichnen. Gerade wenn es um die Energiesicherheit geht - das macht den Kaukasus und die Transitwege des kaspischen Öls so bedeutsam -, können militärische Macht und militärisch gestützte Zugriffsbefugnisse der NATO nicht die friedenssichernden Antworten auf die Ressourcenfrage sein. Deutschland hat gut daran getan, im aktuellen Kaukasus-Konflikt gemeinsam mit Sarkozy einen Weg der Objektivierung zur Lösung der Krise zu beschreiten. Alle Fakten dieses Krieges müssen auf den Tisch. Dazu ist die OSZE befähigt. Sie muss aber auch gestärkt werden. Gerade weil sich die NATO immer mehr in europäische Fragen hineindrängt, muss Deutschlands Aufgabe darin bestehen, die UN und die OSZE zu stärken. Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit Russland, das ist die Alternative zur Einkreisung Russlands durch die NATOExpansion. ({4}) Es gilt, dem NATO-Weltordnungsanspruch eine Absage zu erteilen. Russland muss aber auch deutlich kritisiert werden. Nicht der militärische Gegenschlag in Südossetien war völkerrechtswidrig, ({5}) wohl aber die Bombardierung georgischer Städte und die Truppenpräsenz in Georgien. Völkerrechtswidrig ist und bleibt die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens. ({6}) Dass Moskau hierfür die ebenfalls völkerrechtswidrige Anerkennung des Kosovo durch über 40 Staaten der Welt, maßgeblich des Westens, als Referenz heranzieht, ist in der Tat unlauter. ({7}) Wahr ist aber auch: Hätten Deutschland, andere EU-Mitgliedsstaaten und die USA den Völkerrechtsbruch im Falle des Kosovo nicht begangen, gäbe es den Präzedenzfall nicht. Dann wäre ihre harte Position gegenüber Russland zumindest glaubwürdig. ({8}) Niemand, der für die Anerkennung des Kosovo das Schleifen des Völkerrechts in Kauf genommen hat, kann heute mit dem moralischen Zeigefinger auf Russland zeigen. Das Unverzeihliche daran ist, dass das Völkerrecht und die UN die wahren Verlierer sind. Dazu hat auch der Westen beigetragen. Die Linke hat als einzige Partei vor dem Präzedenzfall Kosovo gewarnt und auf die eingefrorenen Territorialkonflikte, zum Beispiel im postsowjetischen Raum, hingewiesen. Es schmerzt sehr, hier recht behalten zu haben, sind es doch Tausende Menschen, die aus Südossetien fliehen mussten, die dem Grauen des Krieges ausgesetzt waren, die ihr Zuhause, ihre Familien oder gar ihr Leben verloren haben. Alle politischen Anstrengungen müssen jetzt in einem münden: Zurück zum Völkerrecht um des friedlichen Zusammenlebens der Völker willen. Als Völkerrechtspartei sieht die Linke mit Sorge, ({9}) wie das Gewaltmonopol der UN immer häufiger umgangen wird. Die EU soll entsprechend dem Lissabon-Vertrag aufgerüstet werden, um ohne UN-Mandat weltweit Ressourcensicherung betreiben und exterritorial präventiv tätig werden zu können. ({10}) - Was regt Sie eigentlich auf? Ich habe hier in diesem Parlament ganz klar unsere Position zum Kosovo vorgetragen. Wir klagen vor dem Verfassungsgericht gegen die Präsenz deutscher Soldaten im Kosovo. Was haben Sie an der Position, die ich hier vertrete, auszusetzen? Ich kritisiere Russland für völkerrechtswidriges Handeln. Sie haben gar keine Grundlage für eine Argumentation gegen Russland, weil primär Sie und auch die FDP mit der Anerkennung Kroatiens unter Genscher begonnen haben, den Nationalismus in Europa wieder salonfähig zu machen. Bleiben wir doch bei den Fakten! ({11}) - Um ihn davon abzuhalten und ihn zu bitten, die UNTruppen ins Land zu lassen. Bitte, bleiben Sie bei der historischen Wahrheit! Es wird Ihnen nicht gelingen, die Linke hier zu diskreditieren. Wir haben eine stringente Position, und die vertreten wir in jeder Sache. Wir sind nicht des einen Freund und des anderen Feind. Wir haben eine sehr neutrale und objektive Haltung gegenüber Russland. ({12}) Ich komme zu einem anderen wichtigen Thema, das uns und die deutsche Bevölkerung sehr beschäftigt. Es ist das verhängnisvolle Wort - es wurde unter rot-grüner Regierung gesprochen - von der bedingungslosen Solidarität mit den USA, als es darum ging, Deutschland in einen Krieg nach Afghanistan zu schicken. Der Einsatz der OEF wird vom deutschen KSK unterstützt. Er war von Anfang an von keinem UN-Sicherheitsratsbeschluss gedeckt. Immer lauter wird gefordert, dass der ISAFEinsatz der NATO mit dem OEF-Einsatz zusammengelegt wird. Das bedeutet in der Tat nichts anderes als eine Ausweitung des Krieges. Dieser Krieg gegen den Terror bringt eines hervor: Terror und Tod. Nach sieben Jahren sehen wir an der täglich wachsenden Zahl der Anschläge, wie verheerend die Sicherheitslage ist und wie stark der Fundamentalismus wächst. Die NATO schließt Allianzen mit lokalen Kriegsherren. Drogenbarone haben ungebremste Macht und Einfluss und halten die Bauern unter ihrer Knute. Die Regierung ist korrupt, die Hilfsgelder versickern in dunklen Kanälen oder gehen gleich an die Geberländer zurück. ({13}) Es herrschen Hunger und eine Müttersterblichkeit unvorstellbaren Ausmaßes, Schulen stehen leer, Mädchen werden verkauft, Bin Laden ist nicht gefasst. Ich könnte die Aufzählung weiterführen. ({14}) Das ist die verheerende Bilanz von sieben Jahren Krieg in Afghanistan. Das ist nicht unser Krieg. Das ist der falsche Krieg. Krieg ist das falsche Mittel. Mit Krieg kann man Terror nicht bekämpfen. Deshalb sagen wir heute umso deutlicher: Deutsche Soldaten müssen heraus aus Afghanistan! ({15}) Wenn Sie jetzt weitere 1 000 Soldaten dort hinschicken wollen, ({16}) dann heißt das nicht anderes, als dass wir immer tiefer in einen Krieg der NATO verstrickt werden, wobei es auch um die NATO-Präsenz in Zentralasien geht. ({17}) Das soll hier niemand schönreden. Bei der Präsenz der NATO, die ja angeblich nicht scheitern darf, geht es gar nicht um Afghanistan, sondern um den Einfluss der NATO im erdölreichen Raum Zentralasien. Wir müssen uns damit befassen, dass sich Deutschland in eine NATO-Strategie begeben hat, sich von US-amerikanischen Interessen nicht emanzipiert und nicht den friedenssichernden Weg geht, sondern der Militarisierung das Wort redet. Diese Ausrichtung deutscher Außenpolitik im Rahmen der NATO und der transatlantischen Beziehungen lehnen wir ab. Wenn der nächste US-Präsident gewählt sein wird, werden wir sehen, dass er mehr Engagement in Afghanistan fordern wird. Dann will ich sehen, ob Sie noch das Rückgrat haben, das zu verweigern. ({18})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Knoche, wenn man etwas für sich in Anspruch nimmt, muss man immer aufpassen, dass man es anderen nicht abspricht. Wenn Sie sagen, die Linke sei die Völkerrechtspartei, ist das die gleiche arrogante Anmaßung, wie sie die CSU gerade pflegt, wenn sie in Bayern plakatiert: „Bayern wählen“. Es gibt Bayern, die wählen nicht CSU, ({0}) und es gibt in diesem Hohen Hause viele Mitglieder anderer Parteien, die sich nachdrücklich und ausdrücklich zum Völkerrecht bekennen. ({1}) Gelegentlich hat man sogar aus den Reihen der Regierungsparteien die Warnung gehört: Wenn der Kanzlerkandidat der SPD, der Außenminister, und die Kanzlerin in einen Wettkampf treten, dann kann dabei keine gemeinsame Außenpolitik herauskommen. - So habe jedenfalls ich Herrn von Klaeden verstanden. In einem Punkt muss man ihm widersprechen: Gelegentlich sind sich beide einig. Sie waren sich zum Beispiel einig, als es um den US-Indien-Atomdeal ging. Sie haben ein Pferd, das totgeritten war und schon über dem Zaun hing, vom Zaun heruntergenommen und durch das Ziel getragen. Alle Welt wartete auf das Ende der Bush-Administration. Aber was machte Deutschland in der Nuclear Suppliers Group? Deutschland, das derzeit den Vorsitz hat, hat nicht etwa ein Veto eingelegt, sondern die Länder, die dagegen waren, zum Beispiel Irland und Norwegen, massiv unter Druck gesetzt ({2}) und diesen Deal durchgewunken. ({3}) Die Behauptung, dies sei ein Mehr an Kontrolle bei der Rüstungsverbreitung, ist falsch. Lieber Frank-Walter Steinmeier, überlegen Sie einmal, was es bedeuten würde, wenn der Iran erklärte: Zwei Drittel unseres Nuklearbestandes lassen wir euch kontrollieren, aber das letzte Drittel dürft ihr euch nicht ansehen. ({4}) Das entspräche der Vereinbarung, die Sie mit Indien getroffen haben. Sie beliefern Indien nun mit Atommaterial und Uran. Das ist kein Gewinn, sondern ein Verlust an Rüstungskontrolle. Das ist ein Anschlag auf alle Bemühungen für mehr Rüstungskontrolle. Aus diesem Grunde kritisieren wir das. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Polenz?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Ruprecht Polenz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002751, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Trittin, ist Ihnen bekannt, dass der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, alBaradei, den USA-Indien-Deal im Hinblick auf die Stärkung des NVV als Fortschritt bewertet, und wie erklären Sie diesen Widerspruch zu Ihren Aussagen?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Polenz, das ist mir bekannt. Ich habe mit Herrn al-Baradei schon bei verschiedenen Gelegenheiten darüber diskutiert. Dass man einen Teil des indischen Nuklearprogramms kontrollieren kann, ist natürlich ein Fortschritt. ({0}) Dass Indien aber weiterhin die Gelegenheit hat, bestimmte Teile dieses Programms der Kontrolle zu entziehen, indem zivile zu militärischen Bestandteilen erklärt werden, wodurch die Kontrolle ins Leere läuft, bestreitet auch al-Baradei nicht. Die Alternative zu dem von Ihrer Regierung abgesegneten Deal liegt auf der Hand. Indien hatte bei der nuklearen Stromproduktion einen akuten Versorgungsengpass und war darauf angewiesen, mit Uran beliefert zu werden. Sie haben es versäumt, das auszunutzen. Deswegen ist und bleibt das, was Sie getan haben, im Hinblick auf das Abrüstungsregime ein Rückschritt. Hier hat die Große Koalition einen großen Fehler gemacht. ({1}) Gelegentlich kann man den Eindruck haben - hier gebe ich Herrn von Klaeden recht -, als gäbe es nicht eine deutsche Außenpolitik, sondern mehrere deutsche Außenpolitiken. Die eine ist für den Dalai-Lama, der andere für die chinesische Regierung zuständig. Was Syrien angeht, so streitet der Außenminister für eine Öffnung, und die CDU/CSU kritisiert ihn dafür. Ich würde Sie gerne fragen: Wie ist eigentlich die Position der Regierung zur Stationierung weiterer US-Raketen in Europa? Auch in dieser Frage hat die Regierung keine konsistente und einheitliche Position. Als wäre diese Dissonanz zwischen der Kanzlerin und dem Vizekanzler noch nicht genug, gibt es auch noch Streitigkeiten zwischen den Koalitionsparteien, teilweise sogar innerhalb der Koalitionsparteien. Ich erinnere mich noch gut daran, was los war, als es um das unselige, im Geiste Carl Schmitts geschriebene Strategiepapier der CDU/CSU zur Sicherheitspolitik ging. Der Staatsminister hat vernichtende Kritik an diesem Papier geübt. Fairerweise muss ich an dieser Stelle aber sagen, dass ihm der Kollege Polenz dafür wohl im Hintergrund und still Beifall zollte. Ein anderes Beispiel sind die unterschiedlichen Positionen von Herrn von Klaeden und Herrn Schockenhoff. Herr von Klaeden ist einer derjenigen, die McCains Vorschläge hinsichtlich einer Allianz der Demokraten und eines Ausschlusses Russlands im Zweifelsfall zumindest verständlich finden, während der Russlandversteher Schockenhoff hier und heute eine Rede gehalten hat, zu der ich sagen muss: Im Vergleich dazu waren die Bemerkungen des Kollegen Gysi geradezu russlandkritisch. ({2}) Ich glaube, diese konzeptionellen Widersprüche machen Sie als Große Koalition auch an einem anderen Punkt außerordentlich schlecht handlungsfähig, und zwar wenn es um elementare Interessen der Bundesrepublik Deutschland geht und diese Interessen gegebenenfalls im Konflikt mit anderen und insbesondere im Konflikt mit den Vereinigten Staaten diskutiert, durchgestanden und vertreten werden müssen. Dann nützt es nichts, nach Obelix’schem Vorbild das eine oder andere Wildschwein gemeinsam zu verspeisen. Es war doch keine Bagatelle, die zu dem Widerspruch zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich auf der einen und den USA auf der anderen Seite geführt hat. Vielmehr war es eine strategisch unterschiedliche Vorstellung darüber, wie man in einer multipolar gewordenen Welt künftig für Sicherheit sorgen soll, ob über ideologisch motivierte Kriege gegen den Terrorismus oder über den Aufbau multilateraler Strukturen und Systeme gegenseitiger Sicherheit. Das war der Konflikt, den wir um und mit dem Irakkrieg ausgetragen haben. Schauen wir uns einmal die Konflikte an, die in diesen Tagen bis vor unsere Haustür ausgetragen werden. Ich gebe dem Außenminister recht, dass es eine große Leistung der Europäischen Union gewesen ist, diesen Konflikt beendet zu haben. Wir sind vollkommen damit einverstanden, wie sie dabei agiert hat. Das eigentliche Problem begann aber nicht mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten; das eigentliche Problem dieses Konflikts begann vorher. ({3}) Wie konnte es eigentlich passieren, dass wir als Europäer zugelassen haben, dass direkt vor unserer Haustür - sozusagen im eigenen Patio - ein Kampf um Einflusssphären stattfindet, anstatt des Aufbaus einer Nachbarschaft und verlässlicher Strukturen gemeinsamer Sicherheit? ({4}) - Wenn Sie das Wort „Patio“ nicht verstehen, dann kann ich das auch auf Deutsch übersetzen, liebe Kollegen. Patio heißt Innenhof. ({5}) Das Problem bleibt aber doch: Wollen wir als Europäer tatsächlich zulassen, dass ein Streit über Einflusssphären zu unseren Lasten in der Form ausgetragen wird, wie es im Konflikt zwischen Russland und Georgien passiert ist? Welche Signale setzen wir daraufhin? Setzen wir das Signal, wie es de Hoop Scheffer dieser Tage getan hat, dass derjenige, der einen Krieg angefangen oder zumindest provoziert hat, anschließend dafür auch noch belohnt wird, oder verabschieden wir uns endlich von einer Politik der Einflusssphären und kommen zurück zu den gemeinsamen Grundüberlegungen des Hauses Europa und einer gegenseitigen Sicherheit? Das ist doch die Herausforderung. ({6}) Es gibt weitere Beispiele der Konfliktunfähigkeit. Eine Agenda des vorsätzlichen Regimesturzes im Iran und der Versuch, mit diesem Regime zu einer Vereinbarung zu kommen, gehen nicht zusammen. Man muss sich entscheiden und gegenüber solchen Hardlinern, die nicht eine Verhinderung des Atomprogramms, aber einen Regimewechsel betreiben wollen, Klartext reden. Ich glaube, über Afghanistan werden wir noch viele Debatten führen. Lieber Frank-Walter Steinmeier, wenn Sie für einen Strategiewechsel in Afghanistan eintreten, dann frage ich Sie, was denn gerade in Pakistan passiert. In Pakistan wird nicht die Strategie gewechselt; in Pakistan bauen die USA jene Strategie aus, die in Afghanistan spektakulär gescheitert ist. Das ist das Problem. Sie können doch nicht sagen: Kritisiert uns doch nicht dafür, was andere tun! - Die USA operieren dort nicht alleine. Es handelt sich, liebe Völkerrechtspartei, um einen durch die Vereinten Nationen mandatierten Einsatz der NATO. Ein NATO-Mitglied wiederholt in Pakistan alle Fehler, die es im Vietnamkrieg schon einmal gemacht hat, und Sie sagen: Das geht uns nichts an. Darüber müssen wir uns nicht auseinandersetzen. - Ich sage: Das geht uns sehr viel an, ({7}) weil davon abhängt, ob die Ziele, die der Sicherheitsrat dieser Koalition vorgeschrieben hat, zum Beispiel der Aufbau stabiler Verhältnisse in Afghanistan, tatsächlich umgesetzt werden. Deswegen kann und darf eine deutsche Regierung zu dem in Pakistan durch die USA praktizierten Völkerrechtsbruch nicht schweigen. Hier tauchen Sie regelmäßig ab. Das ist der große und grundlegende Fehler Ihrer Außenpolitik. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. ({0})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Trittin, neben nicht wenigen anderen hier im Raum habe auch ich den Eindruck, dass auch Sie schon im Wahlkampf sind und deswegen natürlich besonders auf das Gaspedal drücken. Das ist erlaubt, und es ist eine Freude, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen. Sie kennen Koalitionsverträge und die Abläufe in Koalitionen, und Sie wissen genau, dass sich diese Koalition, dieser Außenminister und diese Frau Bundeskanzlerin bei der Außenvertretung unserer nationalen und der internationalen Interessen nicht übertreffen lassen. ({0}) Wir haben das Abkommen zwischen Indien und den USA über die nuklearen Entwicklungen intensiv stu18692 diert. Auch wir haben natürlich Bedenken, aber ich sage Ihnen, dass ein Kompromiss, wonach 75 Prozent der Nukleartätigkeit der Kontrolle unterzogen werden, besser ist als das blanke Chaos ohne Kontrolle. ({1}) Wir haben erreicht, was möglich war. Dieses Thema muss aber weiterhin auf der Agenda stehen. International muss darum gerungen werden, dass der Atomteststoppvertrag wieder zu dem Maßstab gemacht wird, der er sein soll und muss, um international zu vertretbaren und gerechten Verhältnissen für diejenigen zu kommen, die ihn unterzeichnet haben. Wir müssen zudem auf diejenigen einwirken, die ihn noch nicht unterzeichnet haben, für die es aber höchste Zeit wird. ({2}) Im Übrigen ist es auch wichtig - das sage ich in Richtung des verehrten Koalitionspartners -, unsere Positionen im Inland, also bei uns, gemeinsam zu vertreten und keinen halben Außenminister, wie gestern das Handelsblatt titelte, zuzulassen. Herr Kollege zu Guttenberg, Sie sind ja gleich an der Reihe und können dazu auch einmal etwas sagen; denn ich bin immer dafür, am Ort der Auseinandersetzung Ross und Reiter zu nennen und sich nicht über diese in der Tat auch wichtigen Blätter einzulassen. Kehren Sie also zurück zu einer vernünftigen Gemeinsamkeit; die Sache verdient es, und der Außenminister allemal. ({3}) Herr Außenminister, ich gratuliere Ihnen im Übrigen zu den strategischen Linien. In der SPD-Fraktion, in Ihrer Fraktion, finden Sie personell und inhaltlich einen Resonanzboden. Ich gehe davon aus, dass die verantwortungsbewussten Fraktionen hier im Deutschen Bundestag - alle außer einer, versteht sich - bereit sind, sich mit Ihnen einzulassen und mit uns darüber zu diskutieren, wie das von den Kollegen Hoyer, Trittin und Schockenhoff gerade verantwortungsbewusst getan wurde. Ein Streit lohnt sich allemal, aber es muss ein Ergebnis herauskommen, das Deutschland nützt und durch das die inhaltlichen Werte und Interessen der Außenpolitik repräsentiert werden. ({4}) Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu, die gesagt haben, dass wir sehr betrübt sein müssen, dass es überhaupt zu der Georgienkrise gekommen ist. Obwohl die Hängepartie seit 1992 bestand, waren wir nicht in der Lage, Stabilität zu entwickeln, sodass die Ereignisse an diesem 8. August 2008 hätten vermieden werden können. Das muss uns ernsthaft beschäftigen. Bei allem Lob an die Europäische Union: Wir müssen zu einer internationalen Behandlung des Konflikts kommen. Die Konferenz, die für den 15. Oktober 2008 in Genf vorgesehen ist, muss so vorbereitet werden - möglicherweise müssen auch Nachfolgekonferenzen stattfinden -, dass über die Internationalisierung eine regionale Stabilität erreicht wird, die mit der Friedensfähigkeit der Beteiligten verbunden ist. Die Aufgaben der Europäischen Union, die Konfliktlinie nach einem Rückzug Russlands aus dem kerngeorgischen Gebiet und der Pufferzone zu überwachen sowie den wirtschaftlichen Aufbau Georgiens und eine umfassende, von mir gerade angesprochene Regionalpolitik mitzugestalten, gehören ganz oben auf die Agenda. Mich hat sehr beeindruckt, was in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom Dekan der Fakultät für Internationale Beziehungen, David Aprasidze, geschrieben worden ist. Für mich ist es wichtig, das hier zu zitieren. Er schreibt: Georgien muss als moderner, westlicher Staat überleben. Es geht jetzt nicht mehr um Saakaschwili und seine Regierung. Es geht auch nicht mehr um Konflikte mit Südossetien und Abchasien. Es geht um eine Frage, die für viele Nationen in der Welt von höchster Relevanz ist, vor allem für diejenigen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion: Welchen way of life wollen sie, und dürfen sie souverän darüber entscheiden? Dabei müssen wir Georgien helfen. Wir müssen auch der Ukraine dabei helfen. ({5}) - Kollege Grund, Sie wissen darüber wie Frau Kofler sehr gut Bescheid. - Aber die Ukraine muss sich auch selber helfen. Sie muss ihre inneren Spaltungen überwinden und aus Gründen der nationalen Bedeutung endlich zur konstruktiven Gemeinsamkeit in ihrem eigenen Land kommen. ({6}) Die SPD-Bundestagsfraktion - ich gehe davon aus, dass dies auch für andere gilt - wird Delegationen in diese, aber auch in andere Länder schicken, die in diese Konflikte eingewoben und davon betroffen sind. Wir wollen auch nach Schweden fahren. Ich hoffe nicht, dass Carl Bildt seine eigene Agenda über die politische stellt. Es ist schon interessant, zu sehen, dass sich dort gegen die Ostseepipeline Gegner formiert haben, die mit solchen Konflikten in Zusammenhang gebracht werden. Manchmal denke ich, das beste NATO-Mitglied für diejenigen, die dort ihre Interessen verfolgen, nämlich die Vereinigten Staaten von Amerika, ist das Nicht-NATOMitglied Schweden. Auch dies müssen wir aufzuarbeiten versuchen. Der Beitrag Deutschlands auf dieser internationalen Konferenz mit dem Außenminister und der Kanzlerin wird zeigen, dass wir stabil genug sind, die Sache in den Mittelpunkt zu stellen und den Wahlkampf hintanzustellen. Die Zeit bis zur Wahl wird eh immer kürzer. Juli, August und September geht es richtig los. Franz Müntefering ist gerade mitten unter uns. ({7}) Ich will in der verbleibenden Zeit darauf hinweisen - gleich wird mich Kollege Weisskirchen für die SPDFraktion bewährt ergänzen -, dass wir über das AfghaWalter Kolbow nistan-Mandat - darin stimme ich Kollegen Trittin zu noch sehr viel diskutieren müssen. Diese Arbeit müssen wir auf der Grundlage leisten, dass das, was wir bisher getan haben, richtig ist. Dieses Mandat muss natürlich aufgrund unserer Erfahrungen modifiziert werden. Wichtig ist, dass wir die Afghaninnen und Afghanen nicht alleinlassen können. All das, was auf afghanischer Seite von Autoritäten und Zuständigkeiten bei der Koordinierung, aber auch auf internationaler Ebene an Fehlern gemacht worden ist, muss aufgearbeitet werden. Wir müssen schauen, was andere bisher falsch gemacht haben, und ihnen in geeigneter Weise sagen, wie wir verhindern können, dass Menschen bei diesen schlimmen, aber manchmal notwendigen Auseinandersetzungen zu Schaden kommen. Wir werden die Debatten um Afghanistan inhaltlich zu führen haben, und zwar konstruktiv und mit dem Willen, in der internationalen Gemeinschaft unsere Rolle zu spielen und das Problem einer Lösung zuzuführen. Ich danke. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Jürgen Koppelin. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal finde ich es sehr erfreulich, dass es in der heutigen Diskussion zum Einzelplan 05 eine sehr große Übereinstimmung der Fraktionen der Sozialdemokraten, von Bündnis 90/Die Grünen, Union und auch der FDP in der Außenpolitik gibt. ({0}) Das halte ich nicht nur für die Arbeit des Bundesaußenministers, sondern auch für das Auswärtige Amt und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für wichtig. Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönliche Bemerkung. Ich habe bewusst die Linken nicht mit eingeschlossen, obwohl ich weiß, dass der eine oder andere sich gerne an dem Konsens beteiligen würde. Ich bin froh darüber, dass ich in meiner Fraktion immer die Möglichkeit gehabt habe, zu begründen, warum ich nicht für den Afghanistan-Einsatz bin. Wir tauschen die Argumente aus. Aber so, wie Sie argumentieren, Kollegin Knoche - das muss ich leider feststellen -, schämt man sich fast, so abgestimmt zu haben. Ich sage Ihnen ganz offen: So geht es nicht. Ich habe immer Respekt vor denjenigen gehabt, die zu einer anderen Entscheidung gekommen sind, weil ich davon überzeugt bin, dass es in der Frage des Afghanistan-Einsatzes kein Schwarz-Weiß gibt. Insofern fand ich Ihren Beitrag ausgesprochen peinlich. Ich weiß, dass andere dies besser könnten. Ihre Fraktion sollte sich überlegen, ob Sie bei solchen Themen noch einmal ans Rednerpult geschickt werden. ({1}) Unsere Botschaften und Generalkonsulate - wir haben weltweit 148 Botschaften, 53 Generalkonsulate und 15 Konsulate - arbeiten hervorragend. Trotzdem ist - das liegt zum Teil daran, was in der Vergangenheit in Ihrem Amt gelaufen ist, Herr Bundesaußenminister; ich will an dieser Stelle nur andeuten, dass dafür ein Staatssekretär zuständig war, der jetzt woanders Dienst tut bei den Botschaften Personal abgebaut worden, aus welchen Gründen auch immer. Ich könnte sie Ihnen nennen. Es kann nicht angehen, dass in unseren Botschaften und Konsulaten fast mehr Ortskräfte beschäftigt sind als deutsche Mitarbeiter. Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Wir alle loben Sie dafür, dass Sie sich sehr für die auswärtige Kulturund Bildungspolitik engagieren. Auch das wurde schon mehrfach angesprochen, zum Beispiel von der Kollegin Griefahn im Zusammenhang mit dem Etat des Bundeskanzleramts. Ihr Engagement ist zu begrüßen. Aber haben Sie auch die kleinen Botschaften vor Augen? Wer soll sich denn in diesen kleinen Botschaften, von denen es viele gibt, bei einer so knappen personellen Besetzung mit der auswärtigen Kulturpolitik befassen? Sie würden diese Aufgabe unglaublich gerne wahrnehmen, aber es fehlt an notwendigem Personal. Insofern wäre ich sehr dankbar, wenn Sie bei dem, was Sie erreichen wollen, auch das im Blick hätten. Sie sollten sich fragen, ob das, was Sie wollen, auch umgesetzt werden kann oder ob die Mitarbeiter das in ihrem Tagesablauf gar nicht schaffen können. ({2}) Ich nenne ein anderes Beispiel. Ich bitte Sie, Herr Bundesaußenminister, bei den kommenden Beratungen der Frage nachzugehen, ob das noch akzeptabel ist. Im Auswärtigen Amt gibt es 150 Stellen im einfachen Dienst, deren Besoldung beschämend ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn in Ihrem Haus überlegt würde, was in diesem Bereich geändert werden kann. Die Beschäftigten sind genauso engagiert wie alle anderen. In diesem Bereich muss dringend etwas geschehen. Das kann nicht so bleiben. Ich nenne noch einen anderen Bereich. Wir haben viele Botschaften aus den 50er- und 60er-Jahren, und wir haben viele Liegenschaften aus der ehemaligen DDR übernommen. Hierfür müssen unglaublich schnell enorme Mittel eingesetzt werden. Außerdem muss geklärt werden, wie wir uns in diesem Bereich engagieren sollen, ob weiter gemietet werden soll, ob die Häuser renovierungsbedürftig sind, ob sie gekauft werden sollen. Ich bitte Sie sehr herzlich, Herr Bundesaußenminister - vielleicht haben Sie trotz Ihres vollen Programms die Möglichkeit dazu -, ein ernsthaftes Gespräch mit Ihrer Bauabteilung zu führen. Vieles geht nicht an. Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. In einem asiatischen Land gibt es eine kleine Botschaft mit einem Feuerlöschteich, der aus Sicherheitsgründen dringend erweitert werden müsste. Was meinen Sie, wie viele Leute aus der Bauabteilung schon erschienen sind, um sich diesen kleinen Löschteich anzusehen? Es darf doch nicht wahr sein, dass so viele Leute damit beschäftigt sind. Man muss doch nur ein paar tausend Euro einsetzen, damit die Erweiterung finanziert werden kann. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Es gibt Bürokratie noch und noch, leider auch in Ihrem Hause. Das werfe ich Ihnen nicht vor, aber ich will Sie darauf hinweisen. Vielleicht können Sie einen Staatssekretär beauftragen, sich um diese Fragen zu kümmern. Für wichtig halte ich vor allem, dass wir uns mit der Besoldung unserer Mitarbeiter in den Botschaften befassen. Gerade dann, wenn sich die Konjunktur gut entwickelt, stehen wir in Konkurrenz zur Wirtschaft. Wir wollen schließlich nach wie vor gute Leute bekommen. Hier können Sie mit unserem Engagement rechnen. Wenn wir gute Leute haben wollen, dann müssen wir sie auch angemessen bezahlen. Die Berichterstatter zum Einzelplan 05 sind gerne bereit, in den Auswärtigen Ausschuss - Herr Kollege Polenz ist heute anwesend zu kommen. Ich bitte aber um eine gute Zusammenarbeit und darum, uns nicht zu lange warten zu lassen. Wir sind bereit, zusammen mit Ihnen und dem Auswärtigen Ausschuss alles für die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes herauszuholen, was geht. Nach wie vor bin ich der Auffassung, dass der Etat des Auswärtigen Amtes im Vergleich zum Gesamtetat viel zu klein ist. Seine großen Aufgaben spiegeln sich nicht im Etat wider. Herzlichen Dank. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Freiherr zu Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Trittin, es ist eine Freude, von Ihnen so liebevoll bemuttert zu werden. Sie befassen sich offenbar mehr mit einzelnen Halbsätzen und Äußerungen aus meiner Partei als mit dem außenpolitischen Wirrwarr in Ihrer eigenen Partei. Davon haben wir in Ihrer leider nur wenige Minuten dauernden Rede wenig gehört. Aber das wäre durchaus darstellbar gewesen. Vor dem Hintergrund des Hinterhofs kann man sagen: viel Patio, aber wenig Ratio in Ihren Äußerungen. ({0}) Ich komme zu einem weiteren Thema, mit dem wir uns dieser Tage befassen. Vielleicht sollte man Ihre hübsche Pferdemetapher, die Sie für den amerikanisch-indischen Nukleardeal benutzt haben, weiterdenken. Eine Partei, der eigentlich etwas am Tierschutzgedanken gelegen ist, sollte auch ein Interesse an der Wiederbelebung eines halb toten Gauls haben. Dieser Anspruch sollte und kann erhoben werden. Die Alternative wäre im Zweifelsfall - damit müsste man sich dann ernsthaft auseinandersetzen -, im Status quo zu verharren, trotz der Wünsche, die Sie geäußert haben und die nicht ganz falsch sind. Daran müssen wir weiter arbeiten. Herr Bundesaußenminister, diese Haushaltsdebatte gibt mir die seltene Gelegenheit, im Namen des ganzen Hauses den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt sowie ihren Familien für eine entbehrungsreiche und harte Arbeit von Herzen zu danken. ({1}) Ich beziehe in meinen Dank auch die Helfer im zivilen und im militärischen Bereich ein, die im Ausland eingesetzt sind und dort die Interessen unseres Landes vertreten und das Geltendmachen des Völkerrechts unterstützen. Auch sie verdienen unseren Dank. Im Hinblick auf das Auswärtige Amt - dort wird erstklassige Arbeit geleistet - sollten wir alle den Anspruch erheben, die Traditionslinie aufrechtzuerhalten, wonach die Geeignetsten und die Besten für diesen Bereich zu finden sind. Diese Tradition sollte fortgeführt werden. Wir sollten - das ist sowohl eine Aufgabe der Parlamentarier als auch der Bundesregierung - den Dienst weiterhin so attraktiv gestalten, dass man auch die Geeignetsten bekommt. Hierfür müssen natürlich Mittel bereitgestellt werden - ich greife hier auf das zurück, was Herr Koppelin gesagt hat -, und zwar nicht nur für den Dienst hier in Berlin, sondern auch für die Auslandsposten. Dieser Aufgabe haben wir uns alle zu stellen. Ich glaube, wir könnten hier noch etwas mehr Kraft investieren. Es darf nicht passieren, dass der Auswärtige Dienst keine Attraktivität mehr entfaltet. Ich glaube, er ist weiterhin attraktiv. Aber er bedarf der entsprechenden Ausstattung. ({2}) Ein weiterer auch in meinen Augen sehr wichtiger Aspekt, den Sie, Herr Bundesaußenminister, angesprochen haben und den auch die Bundeskanzlerin heute Morgen glücklicherweise dargestellt hat, ist die Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik. Das ist kein Orchideenthema, sondern ein Thema, das als gesellschaftlicher Brückenkopf weltweit unseren Interessen und der Durchsetzung gewisser kultureller Werte, die für uns immer eine Rolle spielen, dient. Hier ist der Abwärtstrend gestoppt worden. In den letzten beiden Jahren ist eine leichte Aufwärtsbewegung erkennbar. Aber auch hier darf noch mehr geschehen. Das sollten wir noch weiter unterfüttern. Diese Punkte und die Herausforderungen unserer Zeit, vor denen wir stehen, sowie die großen Linien, die heute angesprochen wurden, bedürfen weiterhin einer Außenpolitik - Herr Kolbow, nun komme ich zu dem von Ihnen angesprochenen Punkt; ich winde mich nicht heraus -, die eine engstmögliche Abstimmung zwischen den unterschiedlichen Planeten im Sonnensystem Bundesregierung gewährleistet; das ist richtig. Den einen oder anderen parlamentarischen Meteoriteneinschlag werden sie schon aushalten, aber eine enge Abstimmung ist weiterhin entscheidend. Ich habe relativ wenig Sorge, dass es allen Protagonisten in der ihnen eigenen sportlichen Eleganz auch in der derzeitigen Phase gelingt, den Spagat zwischen gelegentlich notwendigem innenpolitischen Gemurmel und außenpolitischer Verantwortung darzustellen. ({3}) Für das Gemurmel sorgen dann auch wir immer wieder zuverlässig. Aber das sollte einer gewissen Gelassenheit in dieser Frage nicht entgegenstehen. Die nächsten zwölf Monate erfordern unabgelenkte Aufmerksamkeit. Deswegen ist es aus unserer Sicht, sicherlich aber auch aus Ihrer, Herr Außenminister, so wichtig, dass die Konzentration im Wesentlichen auf dem außenpolitischen Geschehen bleibt. Keiner von uns hat ein Interesse an einer Ausweitung der Konfliktszenarien, die heute schon angesprochen wurden, sei es der Kaukasus, sei es der Nahe Osten, sei es Afghanistan, sei es - hoffentlich nicht wiederkehrend - auf dem Balkan, sei es in Teilen Afrikas oder sei es - das ist nicht nur eine Fußnote wert - in leider wieder vergessenen Teilen Asiens. Im Hinblick auf Asien haben wir uns in diesem Jahr mit einem Bereich beschäftigt, der im Grunde schon wieder gänzlich aus dem Blickwinkel verschwunden ist. Dafür brauchen wir weiterhin eine starke, vernehmbare Stimme im manchmal doch - das wird sich leider nie ganz verhindern lassen - polyphonen europäischen Konzert, gerade auch gegenüber dem einen oder anderen zu Hyperaktivität neigenden Nachbarn in Europa. Da wird unsere Stimme von hohem Gewicht sein. Das gilt gerade vor dem Hintergrund weiterhin schwelender kleinerer, aber manchmal auch größerer Friktionspotenziale, die von näheren und ferneren Partnern gerne für ihre Interessen in Anspruch genommen werden. Die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Europa sollte diesen Interessen keinen Vorschub leisten. Wenn wir als starke und vernehmbare Stimme gehört werden wollen, müssen wir in der Lage sein, zusammenzuführen. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand hervorgehoben werden, dass es dieser Bundesregierung gelungen ist, die Kontinuitätslinie wieder herzustellen, keine Exklusivpartnerschaften oder Ähnliches zu bilden und das Zusammenführen in Europa und darüber hinaus in den Mittelpunkt zu stellen. Das hat uns durchaus zur Stärke gereicht und ist Ausdruck der gelungenen Außenpolitik der letzten drei Jahre. Das unterscheidet diese auch von der Außenpolitik der Vorgängerregierung. ({4}) Wir werden weiterhin eine Außenpolitik brauchen, die das oft zitierte Wechselspiel zwischen Interessen und Werten in eine verantwortungsvolle und darstellbare Balance bringt. Herr Bundesaußenminister, Sie sprachen von der Ausbalancierung der neuen Kräfte im globalen Geschehen. Darin muss sich aber auch die Balance der beiden genannten Faktoren passgenau einfügen. Von daher ist es sicher richtig, dass in den vergangenen Jahren oftmals klar formulierte Interessen auch von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dargestellt wurden. Aber wir können durchaus auch stolz sein auf den von der Bundeskanzlerin umgesetzten Anspruch, eine werteorientierte Außenpolitik zu gestalten. Das steht uns als Land gut zu Gesicht und hat insgesamt zu einer kohärenten Außenpolitik geführt. ({5}) Ohne in historisches Pathos zu verfallen, glaube ich sagen zu können, dass sich die Außen- und Sicherheitspolitik der letzten drei Jahre durchaus sehen lassen kann. Es bleibt allerdings weiterhin erforderlich, die stets notwendige strategische Fortschreibung vorzunehmen. Dazu müssen auch die nächsten Monate bis zu den Bundestagswahlen genutzt werden. Das gilt angesichts der Asymmetrien, vor denen wir stehen, aber auch angesichts der einen oder anderen wiedergekehrten Symmetrie. Wir haben in den letzten Jahren immer nur über Asymmetrien gesprochen. Das eine oder andere taucht jetzt aber wieder symmetrisch am Horizont auf. Wir stehen weiterhin vor Bedrohungsszenarien, die mittlerweile fatalerweise schon eine klassische Trias darstellen: internationaler Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und scheiternde oder gescheiterte Staaten. Beim Stichwort Massenvernichtungswaffen sei noch ein Wort zur Abrüstung und Rüstungskontrolle gestattet. Wir sehen mit Freuden, dass dieses Thema eine Priorität in der Politik der Bundesregierung darstellt; über Indien wurde heute schon diskutiert. Gelegentlich ist es aber doch so, dass wir uns aus parlamentarischer Sicht etwas mehr Schubkräfte wünschen würden, gerade wenn es um die internationalen Prozesse und Verhandlungen geht. Mit Verlaub, Herr Bundesaußenminister, so stolz wir alle auf den Erfolg im Zusammenhang mit den Streubomben sind, wenn wir ganz ehrlich sind, dann müssen wir feststellen, dass das eine parlamentarische Initiative war und wir Parlamentarier die Bundesregierung letztlich zum Jagen getragen haben. Über das Ergebnis freuen wir uns, aber die Initiative kam aus dem Bundestag. Den Stolz in dieser Frage sollten wir uns nicht nehmen lassen. ({6}) Es erwächst eine Vielzahl neuer Herausforderungen. Viele sind genannt worden. Dazu gehören der Klimawandel und die Demografie, dazu zählt die Ressourcenversorgung. Wir sollten die Frage des Wassers nicht gänzlich ausklammern. Diese Frage befindet sich kaum auf unserem Schirm, wenn wir über Konfliktszenarien reden. Dazu gehören auch die Sicherheit unserer Kommunikationsnetze und andere Dinge. Insgesamt müssen wir die eine oder andere konzeptionelle Lücke schließen, die wir noch sehen. Wir haben bislang tatsächlich - da gebe ich den Vorrednern recht - keine grundsätzliche strategische Neubewertung Pakistans. Lateinamerika würde noch etwas mehr Aufmerksamkeit nach richtigen und wichtigen Reisen vertragen. Ähnliches gilt für den Iran. Hier sind wir in einer kreativen Stagnation, aber noch nicht furchtbar viel weiter. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Aufgaben über Aufgaben, die nicht in den Bereich der Innenpolitik fallen, aber die uns, die wir in der Außen18696 politik tätig sein dürfen, in den nächsten Monaten beschäftigen werden. Diese Felder erfordern unsere ganze Konzentration. Ich bin sicher, dass es uns allen gelingen wird, diese Konzentration aufzubringen, Ihnen, Herr Bundesaußenminister, mit der Ihnen eigenen Kraft ganz bestimmt. In diesem Sinne stehen wir nicht vor einem schlechten Jahr, sondern vor einem, das uns fordern wird. Herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist nun der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Beim Lesen des Haushaltsplanes dieses Jahres ging mir ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, und zwar das neue Motto der Koalitionsfraktionen: Ja, wir brechen, was wir versprechen. - Das können Sie gerne als Slogan nächstes Jahr im Wahlkampf verwenden. Es ist traurig, aber wahr. Am Ende der Wahlperiode muss festgestellt werden, dass die schwarz-rote Regierung nicht nur die Hoffnung der Bürger bitter enttäuscht hat, sondern noch nicht einmal ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden konnte. Sie können gerne einen Blick in den Koalitionsvertrag werfen. Dort steht schon in der Präambel: CDU, CSU und SPD treten dafür ein, dass Deutschland darauf dringt, Konflikte friedlich zu lösen. Weiter im Hauptteil heißt es: Gemeinsam ... setzen wir uns auch künftig für Frieden, Demokratie und Freiheit in der Welt ein. Weiterhin werden die Stärkung der Abrüstung und Rüstungskontrolle genannt. Auch heißt es - das wurde heute schon mehrmals angesprochen -: Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die dritte Säule der deutschen Außenpolitik. Das liest sich fast wie ein Flyer auf einer Linken-Demo. Im Gegensatz zu uns Linken hatten Sie in den letzten Jahren sowohl die Macht als auch das Geld, dies in Taten umzusetzen. Wenn man dagegen die Fakten betrachtet, ist die Bilanz ernüchternd. In den vier Jahren, seitdem SchwarzRot regiert, haben wir über 30 Milliarden Euro mehr an Ausgaben zu verzeichnen, die natürlich der Bürger über seine Steuern aufbringt. ({0}) - Entschuldigung, natürlich auch die Bürgerinnen! - Davon wurden rund 150 Millionen Euro innerhalb von vier Jahren in die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gesteckt. Das ist nicht einmal ein halbes Prozent dieser Mehrausgaben. Nicht einmal ein halbes Prozent dieser Mehrausgaben wurde in vier Jahren zur Verfügung gestellt, um die wichtige zivile dritte Säule - die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik - zu stärken. Für eine andere Säule Ihrer Außenpolitik, nämlich den Verteidigungsetat, mobilisierte man dagegen - völlig mühelos - innerhalb dieser vier Jahre über 7 Milliarden Euro. Auch das betrifft verantwortungsvolle Außenpolitik. Sie haben einen mit 24 Milliarden Euro ohnehin schon hohen Verteidigungsetat übernommen und diesen letztendlich um ein Drittel auf die Summe von 31 Milliarden Euro aufgepumpt. So regiert die Friedensmacht SPD, wie einmal plakatiert wurde, unter einer schwarzen Kanzlerin. Wenn aber China seinen Verteidigungsetat innerhalb von wenigen Jahren um einen solchen Anteil erhöhen würde, dann wäre das Geschrei hier in diesem Hohen Hause groß. Wir können uns an das Jahr 2006 erinnern. Damals ist das geschehen. Je mehr man ins Detail geht, desto bitterer wird es einfach. Der heute hier zur Beratung anstehende Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst magere 3 Milliarden Euro. Das ist gerade einmal 1 Prozent des Gesamtetats. Was die Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, ist, was sich dahinter noch alles versteckt. So zahlt der Außenminister allein aus diesem Etat zum Beispiel 500 Millionen Euro für UN-Militäreinsätze. Weitere 10 Millionen Euro werden für die sogenannte Ausstattungshilfe für andere Streitkräfte zur Verfügung gestellt. Unter dem neuen Titel „Afrika-Initiative im Rahmen der deutschen G8-Präsidentschaft“ - man könnte denken, dass sich dahinter etwas Gutes verbirgt - ist unter anderem die Finanzierung der African Standby Forces zu finden. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache. Man kann durchaus von einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik sprechen. ({1}) Von wirklich nachhaltiger und verantwortungsvoller Friedens- und Präventionspolitik ist keine Spur zu finden. ({2}) - Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, oder nicht? 0,5 Prozent gegenüber 20 Prozent im Verteidigungsetat. Mit diesen 33 Milliarden Euro hätte man wesentlich mehr erreichen können, wenn man nachhaltig investiert hätte, zum Beispiel in den Kampf gegen Aids, in die Überwindung des Hungers, in die Überwindung der Armut, in den Klimaschutz, in Demokratisierungsprojekte usw. usf. Hätte man diese Projekte ambitioniert in Angriff genommen, dann hätte man außenpolitisch höchstwahrscheinlich mehr Effekte erzielen können als das, was in Afghanistan derzeit zu verzeichnen ist. ({3}) Nichtsdestotrotz haben Sie ein Versprechen sicherlich gehalten. Im Koalitionsvertrag steht nämlich auch: „Wir werden mutig sparen ...“ Gespart haben Sie natürlich, aber, wie wir eben gesehen haben, an den falschen Stellen, an Stellen, an denen eh nichts mehr zu holen ist, und nicht an Stellen investiert, durch deren Unterstützung die Welt friedlicher und sicherer gemacht wird. Dort waren Sie sehr zögerlich. Beim Verteidigungsminister haben Sie dagegen kräftig draufgelegt. Damit haben Sie letztendlich nicht nur Ihre Wahlversprechen gebrochen, sondern auch Ihren eigenen Koalitionsvertrag. Ich bin sehr gespannt, wie Sie das nächstes Jahr Ihren Wählerinnen und Wählern erklären möchten. Der neue Slogan der Koalition „Wir brechen, was wir versprechen“ hat sehr wohl seine Berechtigung. Viele Menschen werden Ihnen allerdings nicht mehr Glauben schenken. Ich freue mich schon jetzt sehr auf die Haushaltsverhandlungen in der nächsten Legislaturperiode. Ich bin mir relativ sicher: Die Linke wird hier dann in doppelter Mannschaftsstärke vertreten sein. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Leutert, ich möchte noch etwas zu Ihrem Beitrag sagen. Wenn ich mich richtig erinnere, gehören die Beiträge an die Vereinten Nationen übrigens auch zum Einzelplan, den wir hier beraten. Diese Beiträge als „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“ zu bezeichnen, ist, finde ich, für eine Völkerrechtspartei schon ziemlich danebengegriffen. ({0}) Ich hätte noch ein paar andere Stellen - zivile Konfliktprävention und Ähnliches - nehmen können. Ich möchte mich in meinem Beitrag auf Afghanistan konzentrieren. Wenn es hier um die Grundlinien der deutschen Außenpolitik geht, dann ist das ein Thema, das wir nicht nur im Zusammenhang mit der Mandatsverlängerung diskutieren sollten. Die eher schlechten Nachrichten häufen sich in letzter Zeit. Im Zeitraum vom 6. bis zum 31. August kam es auch im deutschen Verantwortungsbereich, im Norden, zu Anschlägen. Es gab zwei IED-Anschläge und ein Selbstmordattentat auf Patrouillen der deutschen Soldaten, bei dem ein Soldat starb, sowie den schrecklichen Vorfall an einem Checkpoint, bei dem eine Frau und zwei Kinder ums Leben kamen. Das zeigt: Die Sicherheitslage in Afghanistan, auch im Norden des Landes, verschärft sich. Ich glaube, da gibt es nichts zu beschönigen. Liebe Frau Kollegin Knoche, ich finde es dennoch - auch gegenüber unseren Soldaten - absolut unangemessen, dass Sie diese Vorfälle sofort für Ihre immer gleiche Forderung nach einem Abzug aus Afghanistan instrumentalisieren ({1}) und damit diesen Tod junger Soldaten dazu benutzen, um in der Bevölkerung weiter Stimmung gegen diesen Einsatz zu machen. Ich finde es unerträglich, das ausgerechnet immer an dieser Stelle zu tun. Auch wenn es eine Verschärfung der Sicherheitslage gibt, ist es falsch und unverantwortlich, zu behaupten - auch das will ich hier sehr klar sagen -, deutsche Soldaten würden im Norden Krieg führen. Jeder, der sich aus vermeintlich noch so guten Gründen in der Art an dieser Debatte beteiligt - das sind nicht nur die Linken; es gibt auch andere in der Gesellschaft, die das tun -, trägt meiner Meinung nach nicht zur Aufklärung bei, sondern erweist der ganzen Sache einen Bärendienst. Das war jedenfalls ganz klar das Ergebnis einer Reise, die der Herr Kollege Nachtwei und ich im August unternommen haben. Die Bundeswehr führt im Norden nach wie vor keinen Krieg gegen Aufständische - aggressive Gegnerbekämpfung, Terroristenjagd, das findet im deutschen Verantwortungsbereich unter ISAF nicht statt -, sondern sie bemüht sich um Gewalteindämmung und leistet, übrigens immer häufiger, schlicht Sicherheitsunterstützung für die afghanische Armee, die ANA. Allerdings - das will ich an die Adresse der Bundesregierung sagen - geht die verschärfte Sicherheitslage mit einer extrem schlechten Stimmungslage in der Bevölkerung einher - das will ich von unserer Reise hier einmal zur Kenntnis geben; das muss man sehr ernst nehmen -, einer schlechten Stimmungslage gegenüber der Regierung Karzai und damit verbunden zunehmend auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Von anfänglicher Aufbaueuphorie ist also nichts mehr zu spüren. Der Vorwurf „massive Korruption“ ist in jedem Gespräch ein Thema, ebenso der Vorwurf „Kollaboration mit den Warlords“. Auch wird beklagt, dass kaum etwas von den Aufbaumitteln vor Ort ankommt. Deshalb sage ich an uns alle und aus der Sicht einer, die den Einsatz deutscher Soldaten im Grundsatz unterstützt und will, dass er erfolgreich wird, sehr klar: Wenn wir angesichts der Dynamik von sich verschärfender Sicherheitslage und sich verschlechternder Stimmungslage nicht endlich einen Kurswechsel einleiten, dann - das ist meine ganz große Befürchtung - wird dieser Afghanistan-Einsatz scheitern. ({2}) Deshalb ist es meiner Meinung nach - um es vorsichtig zu formulieren - nicht klug, dass die Antwort der Bundesregierung, etwa mit dem letzte Woche beschlossenen Afghanistan-Konzept, ein schlichtes „Weiter so“ ist. ({3}) Kerstin Müller ({4}) Meiner Meinung nach fährt man damit den Einsatz vor die Wand. Herr Außenminister, Sie haben auf der Geberkonferenz im Juni in Paris noch einmal klar gesagt, ein „Weiter so“ dürfe es in Afghanistan nicht geben. ({5}) - Doch. An den meisten Stellen gibt es das. Deshalb will ich erneut sagen, was unserer Meinung nach „Kurswechsel“ bedeutet. Gestern haben die UN noch einmal erklärt: Es gab noch nie so viele zivile Opfer wie im August, und ich erinnere an den Vorfall in Schindand, wo 90 Zivilisten, davon 60 Kinder durch Luftangriffe starben. Sie sagen, der Strategiewechsel habe stattgefunden. Ich kann Ihnen von unserer Reise nur berichten: Dieser Strategiewechsel hat am Boden nicht stattgefunden. ({6}) Ich finde es falsch, zu sagen: Wir dürfen anderen nicht vorhalten, was sie in ihrem Einsatzbereich vielleicht falsch oder anders machen. - Glauben Sie nicht, dass die Afghanen im Norden oder im Westen oder in Kabul nicht ganz genau beobachten, was im Süden und im Osten passiert? In jedem Gespräch bekommen Sie genannt, was wieder passiert ist, dass es zivile Opfer gegeben hat. Deshalb glaube ich, dass es ganz entscheidend ist, den Kurswechsel, der innerhalb der NATO vielleicht diskutiert wurde, aber im Süden und im Osten von einigen Partnern offensichtlich nicht umgesetzt wird, vorzunehmen. Diesen Kurswechsel müssen Sie von den anderen Partnern in der internationalen Gemeinschaft dringend einfordern. ({7}) Der zweite Punkt beim Kurswechsel ist, dass der zivile Aufbau endlich Priorität bekommen und ins Zentrum des Unterstützungsmandats von ISAF gestellt werden muss. Nur erwähnen möchte ich - wir werden es im Rahmen der Diskussion des Mandats noch ausführlicher darlegen -: Wenn wir zu einer sich selbst tragenden Sicherheit kommen wollen, dann muss der Aufbau von Armee und Polizei ins Zentrum. Armee, das ist eine relative Erfolgsgeschichte - das bekommt man überall zu hören -; die Polizei, das ist immer noch ein Desaster. Wir haben Interesse daran, dass die Polizei in Afghanistan aufgebaut wird. Die EUPOL-Mission ist immer noch nicht auf der richtigen Schiene. Wir sind massiv dafür, dass das bilaterale Polizeiprojekt, das gut, aber immer noch zu klein ist, ganz intensiv ausgebaut wird. Das ist entscheidend, wenn es in naher Zukuft um eine ExitStrategie gehen und wenn dieser Einsatz erfolgreich sein soll. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen für die SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kerstin Müller, ein Blick in den Haushaltsentwurf zeigt, dass ein Plus von 170 Millionen Euro bereitgestellt wird, um genau das zu untermauern und zu bestärken, was der Herr Außenminister hier sagt, nämlich dafür zu sorgen, dass der zivile Aufbau in Afghanistan gestärkt und unterstützt wird und weitere Projekte in Gang gesetzt werden. Das ist die Absicht, wenn wir sagen, wir müssen im Land selbst einen Strategiewechsel voranbringen. Das betrifft die Bereiche Polizei, Schulen, Wasserprojekte, Elektrizität und Verkehr. Es geht darum, die Infrastruktur zu stärken und zu unterstützen und dafür mehr Finanzmittel in die Hand zu nehmen. Genau das ist der Strategiewechsel, der sich jetzt zusätzlich im Haushaltsentwurf, den wir später verabschieden werden, abzeichnet. ({0}) Ich möchte noch einen Gedanken des Kollegen zu Guttenberg aus seiner Rede von vorhin zu werteorientierter Außenpolitik aufgreifen. Man kann dies rhetorisch immer wunderbar beschreiben. Es kommt aber immer darauf an, was das konkret bedeutet. Ich sage mit aller Klarheit: Wer zum Beispiel durch die Mittel des Bundeshaushalts, durch die Unterstützung des Außenministers und beispielsweise auch durch die Unterstützung der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion dafür gesorgt hat, dass Boris Tadic eine Chance hat, als Präsident gewählt zu werden, der ist dann auch derjenige, der versucht hat, die Demokratie und den europäischen Gedanken in Serbien zu unterstützen, zu verstärken und nachher auch zu einem politischen Sieg zu verhelfen. Ich darf zurückfragen: Wer hat Kostunica als Partner in der eigenen Parteifamilie? Liebe Kollegin Beck, Sie wissen es genauso gut, es geht immer darum, das konkret und präzise zu machen und sich dann richtig für die Kräfte der Demokratie und für die Kräfte zu entscheiden, die in die Europäische Union führen. Das kann man immer nur an konkreten Beispielen machen. In Serbien haben wir das sehr deutlich gemacht. Das ist werteorientierte Außenpolitik. ({1}) Lassen Sie mich noch einmal auf den Konflikt im südlichen Kaukasus zurückkommen. Wir alle haben einen Moment lang in den Abgrund geblickt, als wir sahen, was Anfang August dort stattgefunden hat. Ja, es ist so, Südossetien und Abchasien sind Teile eines ineinander verhakten Bündels von ungelösten, nationalistisch gegeneinander gerichteten und aufgeladenen Konflikten. In den 90er-Jahren wurde der Begriff „eingefrorene Konflikte“ erfunden. Welche Verharmlosung! Diese waren nicht eingefroren, sondern sie waren immer fast an der Oberfläche. Im Inneren gab es immer die Angst, dass sie explodieren könnten. Es ist der internationalen Staatengemeinschaft leider nicht gelungen - weder der Minsk-Gruppe der OSZE noch anderen -, das Bewusstsein dafür, dass dort etwas explodieren kann, so ernst zu nehmen, dass wir darauf eine andere Antwort gegeben hätten, als wir sie gegeben haben. Gert Weisskirchen ({2}) Das ist ein Versäumnis gewesen. Vielleicht sollten wir in der Außenpolitik zu den 90er-Jahren zurückkommen. Damals wurde immer versucht, Balance zu halten. Da, wo Länder das Recht haben, Mitglied der NATO zu werden, konnte immer ausgeglichen werden, denn es wurden Balancesysteme entwickelt, sodass Russland eine Chance hatte, sich politisch daran zu beteiligen. Ein Beispiel dafür ist der NATO-Russland-Rat. Ab einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung ist dies versäumt worden. Deswegen gibt es jetzt einen Widerspruch. Wir unterstützen und unterstreichen unsere Politik vollständig berechtigt mit Absichten. Das sind natürlich die Absichten, die ausdrücken, dass wir der festen Überzeugung sind, dass die NATO-Mitgliedschaft auch im Interesse Russlands ist. Aber es gibt umgekehrt auch eine Art Perzeption in Russland, dass sich diese Entwicklung gegen die Interessen Russlands richtet. Es ist leider so. Wir müssen nun einerseits diesen Widerspruch erkennen und außenpolitisch andererseits versuchen - Kollege Hoyer hat vorhin indirekt darauf hingewiesen, ohne dass er den Namen der entsprechenden Person genannt hat -, dass die andere Seite, also Saakaschwili, zu einer Politik zurückkehrt, die Hans-Dietrich Genscher folgendermaßen charakterisiert hat: Außenpolitik ist kein Abenteuerspielplatz. ({3}) Außenpolitik ist also kein Abenteuerspielplatz, bei der jeder einmal seine Muskeln zeigt. Wir alle müssen mithelfen, dass alle Beteiligten und alle Akteure auch die Interessen der anderen berücksichtigen und daraus richtige und vernünftige Schlüsse ziehen. Ich bin dankbar dafür, dass von der Bundeskanzlerin und vom Außenminister sich leidenschaftlich darum bemüht wurde, dafür zu sorgen, dass in dieser Krise alle zur Vernunft zurückkehren. Hier gibt es eine Gemeinsamkeit des Denkens und Handelns, die den Willen deutlich macht, dass die Europäer in solchen Krisensituationen vernünftig handeln, um zu versuchen, die gefährliche Gewaltspirale zu durchbrechen und in solchen Situationen dem Frieden eine Chance zu geben. Ich bin dankbar dafür, dass die Frau Bundeskanzlerin und der Außenminister in der entscheidenden Situation das Richtige getan haben. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, darf ich Ihren Redefluss unterbrechen? Mir liegt die Bitte nach einer Zwischenfrage der Kollegin Beck vor.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Weisskirchen, wir sind ja als Obleute zusammen unterwegs gewesen und haben versucht, diese Krisenregion zu bereisen. Sie haben eben davon gesprochen, dass Politik kein Abenteuerspielplatz sei. Ich frage Sie, ob Sie damit darauf abgestellt haben, dass die Saakaschwili-Regierung möglicherweise - wir wissen das ja bis heute nicht definitiv - eine Dummheit begangen hat, indem sie russische Truppen und die Stadt Zchinwali angegriffen hat. Ich habe bewusst „möglicherweise“ gesagt und möchte das auch noch einmal betonen. Teilen Sie auch meine Einsicht, dass wir bisher noch keine belastbaren Erkenntnisse darüber haben, was sich im Zeitraum zwischen dem 1. und 8. August abgespielt hat? Meines Wissens hat die OSZE bisher noch keine Informationen darüber nach außen gegeben. Teilen Sie vielleicht auch meine Überlegung, dass die von Medwedew aufgestellten fünf außenpolitischen Prinzipien, die beunruhigenderweise wieder das Recht auf Einflusssphären reklamieren, durchaus strategisch darauf angelegt gewesen sein könnten, aus dem Südkaukasus wieder einen Teil herauszubrechen und in die Einflusssphäre Russlands zurückzuholen? Teilen Sie auch meine Auffassung, dass das Austeilen von russischen Pässen in Abchasien und Südossetien völkerrechtswidrig war und von daher ein bedenklicher Schritt der russischen Außenpolitik gewesen ist?

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kollegin Beck, zunächst einmal glaube ich, dass es richtig wäre - wenn ich es richtig sehe, hat sich die Bundesregierung insbesondere im Europäischen Rat mit anderen darauf verständigt -, eine unabhängige internationale Untersuchung durchzuführen, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Ich teile diese Auffassung. Auch wir haben uns, als wir zusammen in Moskau und Kiew waren - Sie waren später auch noch in Tbilissi -, diese Auffassung zu eigen gemacht. Es ist also verfrüht, eine Entscheidung darüber zu treffen, wer an dem Konflikt schuld ist. ({0}) - Ja, ja. Hinzuzufügen wäre allerdings, dass aufgrund des Berichts der OSZE - ich denke, Sie können ihn sicherlich bekommen -, in dem chronologisch festgehalten ist, was geschehen ist, durchaus die Frage berechtigt ist, inwieweit Saakaschwili eine bestimmte Situation - Sie haben dieses Verhalten als „möglicherweise eine Dummheit“ beschrieben - ausgenutzt hat. Das mag so sein. Ich würde sagen, lasst uns das sorgfältig prüfen und dann zu einem Ergebnis kommen. Das Dritte, was ich sagen will: Sie fragten nach Medwedews fünf Prinzipien. Wenn Sie sich diese fünf Prinzipien genau anschauen, werden Sie feststellen, dass es einen inneren Widerspruch zwischen den ersten drei und den letzten beiden Prinzipien gibt. ({1}) Ich finde, dass es jetzt unserer Seite obliegt, im Gespräch mit Moskau präzise darüber zu debattieren. Nummer eins besagt: Internationales Recht hat immer Vorrang. Wie ist das mit dem fünften Prinzip in Übereinstimmung zu bringen, nach dem es, wenn Sie so wollen, so etwas Gert Weisskirchen ({2}) wie eine nachbarschaftsorientierte Einflusspolitik geben darf? Darüber müssen wir mit Moskau debattieren, damit uns klar wird: Was will Moskau eigentlich künftig? In Punkt drei der Prinzipien von Medwedew heißt es, Russland will eine konstruktive, nicht konfrontative Rolle im multipolaren System der Welt spielen. Das passt alles nicht zusammen und ist, denke ich, eine gute Gelegenheit, uns mit Moskau darüber zu unterhalten: Was wollt ihr? Welche Rolle wollt ihr künftig spielen, und welche Möglichkeiten haben wir als EU und Deutschland, zu beeinflussen, dass Moskau zurückkehrt zur politischen Rationalität, die wir alle in Europa brauchen? ({3}) Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn das gestattet ist, noch auf einen bestimmten Punkt hinweisen, der mir am Herzen liegt; denn der Konflikt im südlichen Kaukasus ist möglicherweise - jemand hat das vorhin angesprochen - nicht das Ende einer Konfliktsituation und bestimmter Prozesse, sondern der Anfang. Liebe Kollegin Beck, Sie wissen so gut wie ich: Manche von uns haben analytisch noch gar nicht verstanden, wo der innere Konflikt wirklich liegt. Er liegt darin begründet, dass das Stalin’sche System der Herrschaft mit Territorium, Nationalität, Grenzen und hierarchischer Rolle der Russen zusammenhängt. Das war ein teuflisches hierarchisches System, das er erfunden hat. ({4}) - Vorsicht, Frau Beck! Das sind alles „longues durées“, lange Linien der Geschichte, die jetzt wieder zum Vorschein kommen. ({5}) - Entschuldigung, das ist ein Begriff aus der französischen Geschichtswissenschaft; es sind die langen Linien, die der Außenminister hier vorhin beschrieben hat. ({6}) - Die langen Linien, Herr Kollege Kauder! Für Schlangenlinien sind andere zuständig, nicht der Außenminister. ({7}) Ein zentraler Punkt ist, dass das geschichtliche Erbe, wenn Sie so wollen, des Stalin’schen Missverständnisses von Ethnien, Territorien und Nationalität in Russland noch nicht aufgearbeitet ist. Es kommt darauf an, alles zu tun, dass nicht unter ganz bestimmten Bedingungen genau diese Gefahrenmomente wieder hervorkommen, hervorgezogen werden, und so in Russland ein neues falsches außenpolitisches Verständnis erzeugt wird. Wenn es uns gelingt, in den Debatten mit Russland deutlich zu machen, dass Russland eine Chance hat, sich selbst innerlich zu modernisieren, wenn es die Partnerschaft mit der Europäischen Union innerlich akzeptiert und diese Partnerschaft im eigenen Land durchsetzt, dann wird Russland für uns der Partner der Zukunft bleiben. Ich denke, das müsste die Hoffnung von uns allen sein. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort die Kollegin Erika Steinbach für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte über den Einzelplan 05 des Auswärtigen Amtes hat deutlich gemacht - ich fand, sie war auf einem sehr hohen Niveau; wir sind ja fast am Ende -, dass die Bundesregierung eine abgewogene Außenpolitik macht, dass Kanzlerin und Bundesaußenminister mit Maß und Mitte handeln und die Bundesregierung im europäischen Konzert diejenige Kraft ist, die versucht, überschießende Emotionen wieder einzufangen und unsere europäische Gesamtpolitik auf dem richtigen Wege zu halten. Zu den Aufgaben unserer Außenpolitik gehört auch, dass wir über Deutschlands Beitrag zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten weltweit sprechen und uns darin engagieren, eine wertegebundene Außenpolitik zu betreiben. Wir sollten über Deutschlands humanitären Beitrag für die Opfer von Notsituationen sprechen - seien es nun Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben, Epidemien, seien es die Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir wissen: Menschenrechte und humanitäre Nothilfe sind ein integraler Bestandteil unserer deutschen Außenpolitik. In Gesprächen mit unseren Bürgern vor Ort können wir feststellen, dass die humanitäre Nothilfe auf ein recht hohes Maß an Akzeptanz stößt. Etwas anders - das erlebe jedenfalls ich immer wieder - sieht es leider im Bereich der Förderung der Menschenrechte aus. Wir sollten uns erst einmal um unsere eigenen Probleme kümmern, so ein häufiger Kommentar dazu. Diese Sichtweise verkennt jedoch - das muss man deutlich machen -, dass die Missstände in anderen Ländern auch uns in Deutschland früher oder später einholen werden, wenn wir uns nicht frühzeitig darum kümmern und versuchen, das Übel an der Wurzel zu packen und die Not zu bekämpfen, um zu verhindern, dass wir am Ende davon überrollt werden - unabhängig davon, dass wir dies natürlich auch aufgrund unseres eigenen Werteverständnisses weltweit tun. Wenn wir uns den Globus anschauen, dann sehen wir unendlich viele Brennpunkte. Allein die letzten Wochen und Monate sowie die Debatte heute haben gezeigt, wo überall es knirscht und es Verwerfungen gibt. China war lange ein Thema für uns. Mit Ende der Olympischen Spiele ist es etwas aus dem Fokus geraten. Aber ungeachtet aller sportlichen Erfolge muss man konstatieren, dass die Menschenrechtssituation in China bei Gott kein Ruhmesblatt ist. Die in- und ausländischen Medien konnten nicht frei berichten. Eine spürbare Verbesserung der Freiheitsrechte, was der chinesischen Bevölkerung und den Initiatoren der Olympischen Spiele versprochen wurde, hat es am Ende nicht gegeben. Ein Land, das sich so wenig um den Schutz der Menschenrechte kümmert - das sollten wir als ein großes Wirtschaftsland wissen -, kümmert sich noch viel weniger um den Schutz der Patentrechte, was für unsere deutsche Wirtschaft wichtig ist. Schauen wir nach Afrika. Das Elend der verfolgten Menschen im Sudan und insbesondere in Darfur ist unaussprechlich. Ich erinnere an die Flüchtlingsbewegungen aus Afrika. In vielen Teilen Afrikas machen sich die Menschen tagtäglich auf den Weg und kommen an den europäischen Küsten an. Die Ausläufer erreichen auch uns hier im Lande. Ein anderes Spielfeld: Nicht nur im Irak, sondern auch im Südosten der Türkei, in einem Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will, gibt es neue Fälle von Verfolgungen und Rechtlosigkeit von Christen. So wird das Kloster Mor Gabriel, geistlicher Mittelpunkt der syrisch-orthodoxen Kirche, mit Strafprozessen überzogen und ist aktuell von Enteignung bedroht. Dazu muss man wissen: Es ist eines der ältesten Klöster. Es wurde 397 nach Christus gebaut. Diese Art des Umgangs mit Religionsfreiheit ist, wie ich meine, eine Schande für einen EU-Aspiranten, für ein Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will. Schauen wir nach Indien. Jüngst gab es dort Verfolgungen von Christen durch Hindus. Christen werden bei Gewaltaktionen zunehmend zur Zielscheibe. Kirchen, Schulen, Häuser werden angezündet; Priester und Nonnen auf offener Straße ausgezogen und nackt dem Pöbel vorgeworfen. All das ist etwas, was uns nicht kaltlassen kann und nicht kaltlassen darf. Der Erzbischof von NeuDelhi, Vincent Concessao, hat etwas sehr Richtiges gesagt: Fundamentalisten haben keinen Respekt vor den Menschenrechten. Ich sage: Nicht nur vor Christen haben sie keinen Respekt; sie haben auch vor der Würde des Menschen keinen Respekt. ({0}) Das, was wir in Georgien und im Kaukasus gesehen haben, das Elend des Krieges und die Not der Bevölkerung bei Flucht und Vertreibung, all das geschieht vor unserer Haustür, auf unserem Kontinent. Wir alle wissen, dass dieser Konflikt das Potenzial hat, weitere ethnische Konflikte nach sich zu ziehen. Herr Kollege Weisskirchen, ich glaube, dass die Formulierung „eingefrorene Konflikte“ den Sachverhalt richtig beschreibt. Die neuen Freiheiten lassen all das auftauen, was sich über Jahrzehnte angestaut hat. Dahinter stecken viele Befindlichkeiten, und zwar sowohl auf der russischen Seite - die Russen fühlen sich in ihrer Seele verletzt, sie fühlen sich entwertet und entmachtet; sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas von ihrer Würde genommen wurde - als auch bei den kaukasischen Völkern, die sagen, dass sie unterdrückt wurden. Jeder will sich entfalten. Angesichts dessen ist es gut, dass die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister versuchen, mäßigend einzuwirken und es nicht zu weiteren Eskalationen kommen zu lassen. Bei all dem Leid, das wir auf der Welt vorfinden, dürfen wir eines aber nicht verkennen: Es gibt Fortschritte, wenn sie auch nicht immer so groß sind, wie wir uns das wünschen. Die Verhaftung von Radovan Karadzic lässt hoffen, dass eines der dunkelsten Kapitel der jüngsten kerneuropäischen Geschichte demnächst aufgearbeitet wird. Die Familien der Opfer können endlich einen gewissen Trost finden und darauf hoffen, dass ihr Familienschicksal nicht untergeht. ({1}) In Usbekistan hat die Regierung Anfang des Jahres die Todesstrafe abgeschafft. Es gibt zwar noch immer viele Defizite in diesem Land, das ist aber ein erster Schritt. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass jahrelanger internationaler Druck Wirkung erzeugt hat. Indem man etwas lobt und hervorhebt, kann man manchmal mehr erreichen, als wenn man tadelt. Deswegen sollten wir uns, so glaube ich, hin und wieder dazu entschließen, solch positive Dinge beim Namen zu nennen. Ständig wird an uns die Frage gerichtet: Warum mischt sich Deutschland überhaupt ein? Diese Frage kennt jeder Politiker in diesem Saal aus der eigenen Familie oder der Nachbarschaft. Die Antwort ist ausnahmsweise, was in der Politik sehr selten ist, wirklich einfach: Die Menschenrechtsverletzungen auf dieser Welt machen nicht vor Deutschlands Haustür halt. In einer globalisierten Welt spüren wir alle früher oder später die Auswirkungen von Konflikten, sei es in Form von Armutsflüchtlingen, sei es durch Asylbewerber oder durch terroristische Anschläge. Deshalb ist es für uns alle zwingend erforderlich, Menschenrechte einzufordern und Demokratien zu stabilisieren. Das liegt im Interesse der Menschlichkeit und nicht zuletzt in unserem ureigenen Interesse. Ich danke Ihnen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der Kollegin Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser Debatte möchte ich noch einmal deutlich festhalten, dass wir uns bezüglich des Kaukasus-Konflikts darüber im Klaren sind, dass eines vollkommen unumstößlich ist, nämlich das Recht der Menschen auf Rückkehr in ihre Häuser. Es gibt keine Toleranz gegenüber nationalen Sezessionsbewegungen, die auf künstlich geschaffene, eth18702 Marieluise Beck ({0}) nisch homogene Staaten abzielen, die nur existieren können, weil vorher in massivem Maße Vertreibung stattgefunden hat. Wir müssen uns noch einmal klarmachen, dass das auch für Abchasien und Südossetien gilt. In Abchasien haben 1989 noch über 500 000 Menschen gelebt. 95 000 davon waren Abchasen. 400 000 waren Armenier, Russen, Griechen, Georgier, also andere Ethnien. In einem Gebiet wie dem Kaukasus mit hundert unterschiedlichen Ethnien besteht keine Chance, Staaten entstehen zu lassen, quasi zu basteln, die nicht multiethnisch sind. Das sollten wir hier noch einmal deutlich unterstreichen. Wir werden nicht vergessen, dass alle georgischen Dörfer in Südossetien zerstört und niedergebrannt wurden. Die Menschen können nicht dorthin zurückkehren. Bisher ist das Recht auf Rückkehr von der internationalen Gemeinschaft nicht verhandelt worden. Ich wünsche mir, dass wir hier sehr deutlich betonen: Die Rückkehr der Flüchtlinge nach Südossetien und Abchasien als auch in die sogenannte Pufferzone ist das Erste, was passieren muss. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Steinbach, wollen Sie erwidern? ({0}) - Das ist nicht der Fall. Dann hat das Wort der Kollege Dr. Stephan Eisel von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Stephan Eisel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003886, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum Schluss dieser Debatte noch zum Stichwort „Europapolitik“ kommen. Auf dem Stimmzettel des irischen Referendums vom 12. Juni 2008 - ich habe ihn einmal mitgebracht ({0}) findet sich weder das Wort „Europa“ noch das Wort „Lissabonner Vertrag“. Die gestellte Frage lautete: Sind Sie einverstanden mit dem Vorschlag, die Verfassung um den im unten genannten Gesetz genannten Zusatz zu erweitern? - Wer wollte, konnte im Wahllokal dieses 28. Verfassungsänderungsgesetz einsehen, ein 18-seitiges rechtstechnisches und unverständliches Dokument. So kann man Europa den Bürgern nicht nahebringen. Europas Zukunftsfragen darf man nicht verstecken, sondern man muss sie offen ansprechen, wenn man die Unterstützung der Bürger für die europäische Integration haben will. ({1}) Diese Fragen liegen auf der Hand: Warum soll es mit der europäischen Integration überhaupt weitergehen? Wie kann Europa demokratischer werden? Wo liegen die Grenzen der Erweiterung? Wo muss Europa sein Gewicht in der Weltpolitik stärker einbringen? Nie wieder Krieg, nie wieder Diktatur - das war ursprünglich das Ziel der Gründung der Europäischen Union, und es war erfolgreich. Krieg und Diktatur in ganz Europa auszulöschen, Demokratie und Frieden zu etablieren, das war das zweite große Ziel. Auch dies wurde verwirklicht. Reichen diese Erfolge nicht aus? Wozu brauchen wir überhaupt die weitere europäische Integration? Wir alle sind mit einem eurozentristischen Weltbild aufgewachsen, aber uns Europäern muss klarer werden, dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Nur etwa 7,5 Prozent der Weltbevölkerung leben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir können als Minderheit in der Weltgesellschaft unsere Werte, unsere politische Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand nur bewahren, wenn wir noch enger zusammenarbeiten. Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Verankerung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Kontinent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammenwachsenden Welt neue Legitimation für den Fortgang der europäischen Integration. Für diese Aufgabe braucht Europa mehr Handlungsfähigkeit und bessere demokratische Kontrolle. Dabei ist der Lissabonner Vertrag nicht das Problem, sondern unverzichtbarer Teil der Problemlösung. Deshalb brauchen wir diesen Vertrag. ({2}) Auch die EU-Erweiterungspolitik muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die sogenannten Kopenhagener Kriterien legen fest - ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten -: Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben; … Es ist nach meiner Meinung nicht richtig, Beitrittsverhandlungen mit Ländern aufzunehmen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Beitrittsverhandlungen sind kein pädagogischer Prozess, um die Voraussetzungen für den Beitritt zu erreichen, sondern verhandelt wird darüber, wie der Beitritt mit den Ländern organisiert wird, die diese Voraussetzungen erreicht haben. ({3}) Deswegen sehen wir heute, dass die aus meiner Sicht übereilte Aufnahme von Rumänien und Bulgarien uns hinterher Probleme macht. Herr Außenminister, ich stehe auch verfrühten Beitrittsofferten, zum Beispiel an Serbien, skeptisch gegenüber. Es gibt eine andere Unehrlichkeit in der Erweiterungspolitik, die angesprochen werden muss. Ich plädiere dafür, dass wir diese Frage enttabuisieren. Im EUVertrag heißt es: Jeder europäische Staat … kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Die geografische Komponente ist also ein Beitrittskriterium und muss endlich enttabuisiert werden. GeograDr. Stephan Eisel fisch nicht zu Europa zu gehören, ist keine Diskriminierung. Das gilt auch für die Türkei. Wer nicht auf dem europäischen Kontinent liegt, hat keinen Anspruch auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union, sehr wohl aber auf freundschaftliche Nachbarschaft und bei gleichem Wertefundament auch auf privilegierte Partnerschaft. ({4}) In diametralem Gegensatz zu dieser freundlichen Nachbarschaft steht die völkerrechtswidrige russische Militärintervention in Georgien. Man kann durchaus Kritik an der georgischen Regierung üben. Aber nichts an ihrem Verhalten rechtfertigt, dass russische Truppen in Georgien einmarschiert sind. ({5}) Es war wichtig, dass die EU darauf einheitlich reagiert hat. Wir sollten wirklich besorgt sein, welche Motivation hinter diesem Schritt der russischen Regierung stand. An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen, was Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation am 25. April 2005 gesagt hat - ich zitiere -: Der Zusammenbruch der Sowjetunion war geopolitisch die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Was ist das eigentlich für ein Geschichtsbild? In diesem Jahrhundert sind andere Katastrophen geschehen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion war gar keine Katastrophe, sondern eröffnete die Chance auf Freiheit und Demokratie, die Michail Gorbatschow und Boris Jelzin ergriffen haben. Ich bedaure sehr, dass die innere Entwicklung Russlands nun wieder hin zu mehr Autokratie geht. Wir Deutsche sollten die Sorgen der Nachbarn Russlands ernst nehmen und dürfen ihre Erfahrungen nicht geringachten. Wenn es darum geht, wie man innerhalb der Europäischen Union mit diesem Thema umgeht, ist wichtig, dass sich die Europäische Union einig ist. Allerdings muss man immer das Ziel im Blick haben, wofür diese Einigkeit besteht. Wir müssen das Gewicht der Europäischen Union für Demokratie und Achtung des Völkerrechts in der Welt einsetzen. Wenn wir uns nicht auch nach außen für die Werte, die bei uns im Innern gelten, einsetzen, dann relativieren wir ihre Bindungskraft auch in unseren Gesellschaften. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14. Als erster Redner hat der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung das Wort.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine angemessene Finanzausstattung der Bundeswehr ist Grundvoraussetzung für die Einsatzfähigkeit und die Leistungsfähigkeit unserer Armee und damit Grundvoraussetzung für die Gewährleistung von Sicherheit sowie von Frieden und Freiheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist es notwendig und richtig, dass wir der Bundeswehr mit diesem Haushalt die finanzielle Unterstützung geben, die sie braucht, um ihren Auftrag auch in Zukunft optimal erfüllen zu können. ({0}) Meine Damen und Herren, ich hatte während der Sommerpause die Gelegenheit, an 35 Standorten in Deutschland und auch in Afghanistan Truppenbesuche durchzuführen und mich davon zu überzeugen, wie gut ausgebildet, wie gut ausgerüstet und wie gut motiviert unsere Soldatinnen und Soldaten sind. Ich denke, es ist notwendig, dass wir die finanziellen Grundlagen schaffen, um diesen Zustand aufrechterhalten zu können. Da häufig darauf hingewiesen wird, dass die Mittel des Verteidigungshaushaltes wieder erhöht werden, möchte ich unterstreichen, dass auch die Aufgaben der Bundeswehr gestiegen sind. Ich möchte an Folgendes erinnern: Im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes hat Deutschland die Luftaufklärung für Gesamtafghanistan übernommen und ist für Tornadoeinsätze zuständig sowie für die schnelle Einsatztruppe im Norden des Landes, die Quick Reaction Force. Außerdem wollen wir unsere Ausbildungsanstrengungen erheblich verstärken. Wie Sie wissen, ist Deutschland auch auf dem Balkan mit dem größten Kontingent vertreten. Neu hinzugekommen sind das UNIFIL-Mandat vor der Küste des Libanon - darüber haben wir bereits gestern gesprochen, und darüber werden wir auch heute noch diskutieren -, UNMIS und UNAMID, die Einsätze im Sudan und in Darfur. Darüber hinaus leisten wir im Rahmen der Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika einen Beitrag. Vor uns liegt noch ein Mandat zur Pirateriebekämpfung, über das auf europäischer Ebene noch diskutiert wird. Man muss ehrlich miteinander umgehen und feststellen: Weitere Aufgaben im Interesse der Sicherheit unseres Landes erfordern auch weitere finanzielle Unterstützung. Nur dann können unsere Soldatinnen und Soldaten ihre Aufgaben optimal erfüllen. ({1}) Meine Damen und Herren, hierbei geht es auch darum, dass wir immer wieder aktualisieren, was die Frage des Schutzes im Bereich der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und Soldaten ausmacht. Wir haben derzeit 700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan. Zudem haben wir die Aufklärung verstärkt. Außerdem haben wir die technischen Mittel verstärkt. Wir haben Planungen, die beispielsweise einen zusätzlichen Schutz für die Feldlager einbeziehen. Ich halte es für notwendig und wichtig, dass, wenn wir Soldatinnen und Soldaten in unserem Auftrag, im Auftrag des Deutschen Bundestages, in riskante Auslandseinsätze entsenden, wir ihnen auch den optimalen Schutz mitgeben, um diesen Auftrag erfüllen zu können. Deshalb werden wir uns weiterhin finanziell engagieren, um diesen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten immer wieder zu optimieren. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der aktuellen Situation in Afghanistan machen. Es ist unbestritten, dass sich die Sicherheitslage verschärft hat. Auf der anderen Seite darf man aber nicht verkennen, welche zusätzlichen Aktivitäten die Bundesregierung im Hinblick auf den zivilen Wiederaufbau vorgenommen hat. Ursprünglich hatten wir 80 Millionen Euro vorgesehen. Mit der Pariser Konferenz sind es 140 Millionen Euro geworden. Im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Konzept haben wir zusätzliche 30 Millionen Euro unter dem Aspekt der Nahrungsmittelversorgung vorgesehen. Insgesamt sind also 170 Millionen Euro eingeplant. Ich halte es für notwendig und wichtig, dass wir insbesondere im Rahmen unserer regionalen Verantwortung diese zivilen Wiederaufbauprojekte weiter vorantreiben können. Im Norden Afghanistans haben wir über 800 Projekte umgesetzt. Energieversorgung, Wasserversorgung, Infrastruktur, Straßenbau, Schulen, Kindergärten und medizinische Versorgung, all das sind entscheidende Punkte, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Deshalb sage ich noch einmal: Wir brauchen keinen Strategiewechsel, sondern wir müssen unsere Strategie der vernetzten Sicherheit im gesamten Land Afghanistan umsetzen. Was wir beim NATO-Gipfel gemeinsam erreicht und vereinbart haben - in der NATO-Sprache heißt dies Comprehensive Approach, also umfassender Ansatz -, muss in Afghanistan umgesetzt werden. Außerdem muss die Ausbildung weiter vorangetrieben werden, damit Afghanistan selbst in der Lage ist, für seine Sicherheit zu sorgen. Dann werden wir aus meiner Sicht auf dem Weg, der kein einfacher ist, in Afghanistan letztlich erfolgreich sein. Auch dafür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. ({3}) Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen, weil in der Öffentlichkeit oft die Frage nach dem Sinn des Einsatzes gestellt wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich die Bedrohungslagen für unser Land erheblich verändert haben. Wir haben den Kalten Krieg zum Glück überwunden. Wir haben aber die neuen Bedrohungslagen durch den internationalen Terrorismus, durch Massenvernichtungswaffen, durch Krisensituationen und durch Staatsverfall. Meine Damen und Herren, die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington - wir haben ihrer vor wenigen Tagen gedacht - sind von afghanischem Boden ausgegangen. Afghanistan war das Ausbildungszentrum für den Terrorismus. Deshalb ist es wesentlich klüger, die Gefahr an der Quelle zu beseitigen, wo die Risiken entstehen, als wenn sie in viel größerer Dimension unser eigenes Land betreffen. Deshalb ist es im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger, wenn wir uns in Afghanistan engagieren, um derartige terroristische Entwicklungen auch für unser Land in Zukunft zurückzudrängen. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Aspekt vortragen. Ich denke, dass es wichtig und notwendig ist, dass wir trotz der Haushaltskonsolidierung im Rahmen dieses Etats 1,6 Milliarden Euro mehr bekommen. Damit haben wir die Chance, die Tarifvereinbarungen des Jahres 2008/2009 für unsere Soldatinnen und Soldaten umzusetzen. Ich denke, auch das ist ein wichtiger Punkt; denn die Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten ist in den unteren Gehaltsgruppen eingestuft. Ich kann nicht immer Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit verlangen, ihnen aber nicht die finanzielle Unterstützung zuteilwerden lassen, die notwendig ist, um entsprechende - auch materielle - Voraussetzungen zu erfüllen. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir diesen Tarifvertrag auch und gerade mit Unterstützung dieses Parlaments für unsere Soldatinnen und Soldaten umsetzen können. Ich füge ein Zweites hinzu: Ich finde, wir haben - das wird oft zu wenig registriert - die Integration zweier gegeneinander ausgebildeter Armeen in die eine Bundeswehr für die Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Art und Weise erreicht. Deshalb ist es gut, dass jetzt die Angleichung der Ost- an die Westbesoldung im Interesse der Soldatinnen und Soldaten möglich ist. Wir haben eine Armee der Einheit, und ab jetzt gibt es auch nur noch eine Besoldung. Ich denke, dies ist der richtige Weg - auch im Hinblick auf die Integration innerhalb der Bundeswehr. ({5}) Ich will ein Weiteres hinzufügen: Wir haben mit dem Kasernensanierungsprogramm West, wie ich finde, einen entscheidenden Schritt hin zur Verbesserung der Unterkunftssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten getan. In den beiden Jahren 2008 und 2009 werden wir immerhin rund 300 Millionen Euro investieren. Wir haben 900 Bauprojekte in Angriff genommen. Ich denke, dass auch dies ein wichtiger Punkt ist. Wir müssen auch die sozialen Rahmenbedingungen so gestalten, dass wir, wenn wir von den Soldatinnen und Soldaten Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit verlangen, ihnen auch eine adäquate Unterkunftsmöglichkeit zur Verfügung stellen können. Deshalb ist es notwendig, dieses Kasernensanierungsprogramm West weiterhin zu forcieren und umzusetzen. ({6}) Ich kann das fortführen: Ein ganz wichtiger Punkt war die Umsetzung des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes. Noch in dieser Legislaturperiode wird das Ehrenmal realisiert. Ich denke, dass es richtig und notwendig ist, dass denjenigen, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr Leben lassen mussten, ein würdiges und ehrendes Andenken gewahrt wird. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode das Ehrenmal errichten. Ich denke, auch damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um denjenigen, die im Einsatz für unsere Sicherheit ihr Leben gelassen haben, auch in Zukunft ein ehrendes und würdigendes Andenken bewahren zu können. ({7}) Mit Blick auf die Uhr möchte ich nur noch schlagwortartig sagen: Wir setzen das Programm Familie und Dienst um und beschäftigen uns weiterhin mit dem Thema Kinderbetreuung. Mittlerweile tun 15 000 Soldatinnen innerhalb der Bundeswehr ihren Dienst. Auch dieses Thema ist weiter voranzutreiben. Dies bedarf natürlich auch einer finanziellen Unterstützung. Die Ausstattung mit dem entsprechenden Ausrüstungsmaterial ist ein wichtiger Punkt - auch unter den Aspekten Erhaltung der wehrtechnischen Industrie und der Arbeitsplätze in Deutschland. Wir erhöhen die Investitionen weiter und versuchen, den Personalanteil weiter zu reduzieren. Wir liegen jetzt bei 39 Prozent, womit wir, so glaube ich, in die richtige Richtung gehen. Zusammengefasst denke ich, dass die Bundeswehr mit diesem Haushalt die finanzielle Grundlage erhält, die sie braucht, um ihren Beitrag für Sicherheit, Frieden und Freiheit im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin leisten zu können. Haben Sie recht herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Mit dem Haushalt, über dessen Entwurf wir heute debattieren, wird eine Legislaturperiode beendet, die von sehr großen und sehr schwierigen Herausforderungen an die Bundeswehr geprägt ist: Auf der einen Seite sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr zur größten Herausforderung geworden, und auf der anderen Seite stellt der marode Zustand der Infrastruktur hier zu Hause eine Dauerbelastung für den Haushalt dar, der der Minister aufgrund der vorgelegten Zahlen auch mit seiner Ankündigung, sich diesem Thema jetzt besonders zu widmen, leider nicht wirksam begegnen kann. Auch die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr wird zu einem politischen Dauerbrenner. Sehr geehrter Herr Minister, leider ist Ihre Bilanz der bisherigen Amtszeit eher nüchtern. Das vielgepriesene Weißbuch gerät in den Schubladen Ihres Hauses zunehmend in Vergessenheit. Beim Ehrenmal für unsere toten Soldatinnen und Soldaten wird die Tatsache ignoriert, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die Geisterdebatte über den potenziellen Abschuss entführter Passagierflugzeuge hat die Bundeswehrpiloten nachhaltig verunsichert. Das uneingeschränkte Fortschreiben der Beschaffung unnötiger Großprojekte beraubt die Bundeswehr all derjenigen finanziellen Spielräume, die sie zur Beschaffung der im Einsatz dringend benötigten Ausrüstung braucht. All das sind Ecksteine Ihrer Handlung als Minister. ({0}) Wenn sich heute über 40 Prozent der aktiven Berufssoldaten nicht mehr für den Soldatenberuf entscheiden würden, müssten in Ihrem Haus eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen. Doch diese Alarmsignale werden entweder schöngeredet oder ignoriert. Die tragischen Ereignisse der letzten Wochen haben leider, aber auch mit Recht die öffentliche Diskussion wieder darüber angeheizt, wie die tödlichen Gefahren für unsere Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auf ein Mindestmaß reduziert werden können. Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir aus Ihrem Hause immer wieder gehört, dass beispielsweise das Geländefahrzeug Wolf auch in der geschützten Variante nicht den Erfordernissen des Afghanistan-Einsatzes genügt und daher schnellstmöglich durch ein besseres und geeigneteres Fahrzeug ersetzt werden müsste. Es wurde damals in Aussicht gestellt, dass dies schon 2007 geschehen sollte. Doch was ist bis heute tatsächlich geschehen? Sie haben in Ihrem Hause einen Wettbewerb zur Auswahl eines geeigneten Fahrzeuges beenden müssen, weil die aufgestellten technischen Kriterien nicht erfüllt werden konnten. Der verzögerte Zulauf dieser wichtigen oder sogar wichtigsten Fahrzeugklasse im Einsatz wird jetzt mindestens bis in das Jahr 2010 auf sich warten lassen. Sie haben heute bereits versucht, die zusätzlichen 1,6 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt als Erfolg zu verkaufen. Leider werden Sie durch diesen Zugewinn nicht einen einzigen Euro zusätzlichen Spielraum für dringend notwendige neue Projekte erhalten. Allein die gestiegenen Personalausgaben in Höhe von rund 800 Millionen Euro, die zusätzlichen Ausgaben für die Fregatte 125, für SATCOM Bw, für die Flugbereitschaft der Bundesregierung, für den A400M und die Preisfortschreibungen bei anderen Vorhaben zehren diesen Spielraum auf, ohne dass dringend benötigte Projekte, wie beispielsweise Geräte zur Freund-Feind-Erkennung oder dringend benötigte zusätzliche Transporthubschrauber, darstellbar wären. Sie könnten dies ändern, wenn Sie endlich die Fehler der Vergangenheit korrigieren würden, statt sie weiter fortzuschreiben. Beispielsweise sollten Sie schleunigst aus dem Projekt MEADS aussteigen, bevor daraus ein neues Milliardengrab von zweifelhaftem Nutzen wird. Bis heute sind bereits 600 Millionen Euro Steuergelder ausgegeben worden, ohne dass dieses Projekt einen erkennbaren Fortschritt angenommen hätte. Viel schlim18706 mer: Es wird immer offensichtlicher, dass das Management dieses Projektes miserabel ist und die einkalkulierten finanziellen Spielräume bis heute bereits aufgezehrt worden sind. Sehr geehrter Herr Minister, Sie werden sich auch an Ihren bereits im Februar dieses Jahres geäußerten Ankündigungen messen lassen müssen, die dem Bund zustehenden Schadensersatzansprüche bei der verzögerten Auslieferung des A400M vollständig einzufordern. Das würde bei den vereinbarten Stückzahlen von 60 Stück rund 280 Millionen Euro ausmachen. Bisher haben Sie jedoch nur wie jedes Jahr für diesen Bereich Preissteigerungen in Höhe von 200 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Über 50 Prozent Ihres Investitionshaushaltes werden durch Fluggeräte belegt, deren Stückzahlen zu hoch sind, die nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen, die zu spät geliefert werden, die ständige Preisanpassungen erfordern und deren Kosten für die Ausbildung nicht annähernd gedeckt sind. ({1}) Es ist jetzt endlich an der Zeit, damit aufzuhören, die Parlamentarier und die Steuerzahler für dumm zu verkaufen. Verträge sind keine Einbahnstraße. Vor allem sind sie dazu da, von beiden Seiten eingehalten zu werden. Dies gilt auch für die Industrie. Herr Minister, ich bin gespannt, wie Sie auf das Schreiben von Herrn Gallois reagieren werden. Sie haben sich dazu in der Presse sehr dezidiert geäußert. Ich denke, wir alle werden Sie dabei unterstützen, diesen Weg einzuhalten, Kurs zu halten und die berechtigten Interessen des deutschen Steuerzahlers bei der Abwicklung und Erfüllung von Verträgen durchzusetzen. ({2}) Nutzen Sie wenigstens das letzte Jahr Ihrer Amtszeit für eine nachhaltige Korrektur Ihrer Haushaltspolitik zum Nutzen der Bundeswehr und vor allen Dingen auch zum Nutzen unserer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler! Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Kahrs von der SPD-Fraktion. ({0})

Johannes Kahrs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003157, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kameraden! ({0}) - Wer gedient hat, darf auch so reden. Der vorliegende Verteidigungshaushalt weist einen Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro auf. Damit setzen wir im Großen und Ganzen die von Peter Struck begonnene Linie fort. Ich glaube, das ist gut für die Bundeswehr, für die nötigen Investitionen, für die Infrastruktur und insbesondere für die Soldatinnen und Soldaten. Frau Hoff, wenn Sie sagen, dass der Minister den Wähler für dumm verkauft, bitte ich Sie, sich daran zu erinnern, dass der Eurofighter damals unter SchwarzGelb und damit unter Beteiligung der Liberalen bestellt worden ist. Gerade bei solchen langfristigen Verträgen wird man immer auch daran erinnert, was man einst selber mitbeschlossen hat. Man kann über vieles verhandeln, aber ich finde es etwas seltsam, das dann als „dumm verkaufen“ zu bezeichnen. ({1}) - Aber wenn man sie selber mitbeschlossen hat, dann kann man sie jetzt nicht bemängeln. Werden Sie nicht hektisch! Seien Sie einfach ruhig, und hören Sie zu! Dann können Sie etwas lernen. Des Weiteren haben Sie angesprochen, dass es an geschützten Fahrzeugen fehlt. Wir haben in den letzten Jahren sehr viele geschützte Fahrzeuge gekauft. Ich erinnere nur an die Dingos, die wir in regelmäßigen Abständen beschaffen. Beim Fuchs haben wir einige Nachbesserungen vorgenommen, damit auch dieses vorzügliche Fahrzeug entsprechend zum Einsatz kommen kann. Wir haben 25 Eagle bestellt. Weitere werden folgen. Ich glaube, im Großen und Ganzen ist das, was der Minister gesagt hat, richtig: Die Opposition kann immer kritisieren, aber sie muss auch ein bisschen bei der Wahrheit bleiben; sonst wird es langweilig. Wir haben im Zuge der Haushaltskonsolidierung mit diesem Haushalt einen anständigen Stand erreicht. Mit dem Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro können wir für die Soldaten vieles vorantreiben, was wichtig und notwendig ist. Man darf nicht vergessen, dass wir keine Bundeswehr haben, mit der wir sozusagen den Großen Vaterländischen Krieg erwarten; die Bundeswehr ist vielmehr zu einer Einsatzarmee geworden. Das macht viele Veränderungen nötig. Dies ist nicht immer ganz einfach. Im Bereich Material wurde schon viel getan. Rudolf Scharping, Peter Struck und Herr Jung setzen diese Kette fort. Das läuft nicht immer optimal. Da Verträge einzuhalten sind, sind auch Kompromisse nötig. Trotzdem glaube ich, dass wir für die Bundeswehr das bestmögliche Material zum Einsatz gebracht haben. Ein ausreichender Schutz ist nämlich das Wichtigste. Bei all der Begeisterung für das Gerät darf man aber nicht vergessen, dass dieses Gerät von Menschen bedient wird, um die man sich kümmern muss, damit der Dienst attraktiv bleibt. Der Wehrbeauftragte, der heute anwesend ist, hat das immer wieder angemahnt. Ich glaube, dass man das nicht zu gering schätzen darf. Unsere Soldaten im Einsatz sind oft genug auch Diplomaten, Polizisten, Aufbauhelfer und vieles mehr. Dafür muss man sie ausrüsten und motivieren. Man muss sie aber auch entsprechend bezahlen. Wir brauchen intelligente, körperlich belastbare Frauen und Männer, die es nicht an jeder Ecke gibt. Die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist bekannt. Der Bundeswehr-Verband hat ebenso wie der Reservistenverband, dessen Präsident anwesend ist, in verdienstvoller Weise darauf hingewiesen, dass wir Gefahr laufen, in Zukunft nicht mehr ausreichend attraktiv zu sein, um den notwendigen Nachwuchs zu gewinnen. Wir müssen zurzeit zusehen, wie teuer ausgebildete Spezialisten, Piloten und Ärzte die Bundeswehr verlassen, um in die Privatwirtschaft zu gehen. Das kann und darf uns nicht kaltlassen. Einige fordern Insellösungen für diese betroffenen Berufsgruppen. Das halte ich für falsch. Man darf nicht immer nur in bestimmten Bereichen nachbessern. Dadurch erhöhen sich die Ungerechtigkeiten im System. Man muss vielmehr zu einer Lösung kommen, von der alle profitieren. Wenn nur 500 oder 1 000 Personen von einer Insellösung profitieren, dann fühlt sich der Rest der Truppe nicht zu Unrecht ungerecht behandelt. Das wollen wir nicht. Das kann keine Lösung sein. Stattdessen müssen wir Strukturveränderungen erreichen. Das ist unter Rudolf Scharping geschehen, indem etwa die Besoldungsstufen A 1 und A 2 als Eingangsbesoldung abgeschafft wurden. Ich glaube, dass auch mit A 3, A 4 und A 5 niemand mehr ernsthaft begeistert werden kann, der sich in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes umsieht. Hier muss sich das Bundesinnenministerium bewegen und uns entgegenkommen. Dann muss man schauen, was man machen kann. Es kann nicht angehen, dass wir so weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine vernünftige Gehaltsstruktur. Otto Schily hat bei der Bundespolizei gezeigt, wie man das macht. Dort hat man nun eine vernünftige Gehaltsstruktur. Wenn wir sie für die Bundeswehr übernähmen, stünden die Soldaten sehr viel besser da. Das würde sicherlich mehr Geld kosten. Wenn man aber leistungsfähige und motivierte Soldaten haben will, muss man auch investieren, gerade in die Bezahlung. ({2}) Personalentwicklung und Personalführung sind eine weitere Stellschraube, mit der wir die Attraktivität erhöhen können. Jeder Soldat muss wissen, welche Chancen und Perspektiven er hat. Wenn die Kameraden mit ihren Personalbearbeitern sprechen, wollen sie meistens wissen, wie die nächsten drei Stationen ihrer Laufbahn aussehen, wo sie eingesetzt werden, ob sie am Standort ein Haus bauen und dort ihre Kinder einschulen können und ob sie Planungssicherheit haben. Das heißt, der Personalbereich der Bundeswehr muss ein Dienstleistungsapparat werden. Manchmal hat man das Gefühl, dass Personalbearbeiter immer nur auf ihre Stellenlisten schauen. Wichtig ist aber, dass die Menschen zufrieden und glücklich sind. Planungssicherheit ist ein hohes Gut. Auslandseinsätze verlangen den Soldaten und ihren Familien unendlich viel ab. Daher muss man wenigstens dort für Planungssicherheit kämpfen, wo sie möglich ist. Das kann man hier im Land machen. Wenn die personalbearbeitenden Dienststellen nicht nur sagen, dass der Soldat im Mittelpunkt - und damit jedem im Weg steht, ({3}) sondern das auch umsetzen und jedem helfen, dann kommen wir voran. Herr Minister, ich bitte Sie, dafür zu sorgen. Junge Wehrpflichtige müssen Zeitsoldaten werden wollen. Zeitsoldaten müssen sich weiterverpflichten wollen, müssen Berufssoldaten werden wollen. Aber dafür muss man ihnen etwas bieten und ihnen entgegenkommen. Man kann als Dienstherr nicht nur fordern und beanspruchen, sondern muss auch zeigen, dass einem das etwas wert ist. Wir, das Parlament, sollten dies unterstützen, weil es sich um eine Parlamentsarmee handelt. ({4}) Herr Minister, Sie haben dankenswerterweise darauf hingewiesen, dass wir etwas im Bereich der Unterbringung tun müssen. Das finde ich richtig. Es wird auch mehr Geld eingesetzt. Aber das Problem, das wir seit Jahren im Parlament ansprechen, ist: Im Ministerium bewegt sich das Ganze zu lahmarschig, um es noch freundlich zu sagen. Wenn Sie sich die Strukturen anschauen, dann stellen Sie fest: Das geht einfach nicht. Wir haben eine Superabteilung für Modernisierung. Sie produziert viel Papier, aber in der Sache ändert sich nichts. Selbst wenn neu gebaut wird, geschieht das nach uralten Bauvorschriften. Man hat dann eine Steckdose pro Stube. Aber heutzutage brauchen vier Soldaten, die dort wohnen, durchaus mehr. Unsere IT-Einrichtung ist nicht in der Lage, den Soldaten auf den Stuben, auf denen sie in der Woche wohnen müssen, einen Internetanschluss zu gewähren. Zum Teufel, welcher junge Mensch kommt denn ohne einen Internetanschluss aus? Das ist doch peinlich. Das muss man doch hinbekommen, wenn man Soldaten halten will. Wenn man junge Soldaten in Einödstandorte in Hessisch-Sibirien schickt, lieber Kollege Siebert, dann muss man den Soldaten auch etwas bieten. Herr Minister, wir haben uns den Standort in Schwarzenborn angeschaut. Uns wurde versprochen, dass etwas passiert. Nach vielen Telefonaten im Hause kann ich Ihnen sagen: Es passiert nichts. Der zuständige Oberst bei Ihnen in Schwarzenborn hat behauptet, alles sei eigentlich in Ordnung, und die Soldaten seien ganz glücklich, wenn sie in Holzbaracken wohnen dürften. Aber wir müssen uns deutlich vor Augen führen, unter welchen Umständen wir Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und Offiziere unterbringen. Eigentlich müsste man alle Holzbaracken abreißen und gleichzeitig mindestens fünf, sechs neue Unterkunftsgebäude errichten, und zwar so schnell, dass nicht erst Ihr Nachfolger oder dessen Nachfolger die Gebäude einweihen kann, sondern dass wir alle das noch erleben. Für die betroffenen Menschen ist das wichtig. Wir brauchen auf jeden Fall ein vernünftiges Heizkraftwerk und eine gute Infrastruktur. Das muss gemacht werden. Die Soldaten pendeln in der Regel. Aber es gibt keine Feldwebel- und Offizierwohnheime mehr. Dennoch gilt die Kasernenpflicht. Wir müssen uns anstrengen, mehr zu tun, damit die Soldaten zufrieden sind. Wir müssen die Bauvorschriften vereinfachen, damit schneller gebaut werden kann. ({5}) Ich habe viel zu schnell geredet. Man möge das entschuldigen. Ich danke allen, die zugehört haben. Herr Minister, ich hoffe, dass wir das alles gemeinsam in die Hand nehmen und machen. Geben Sie Ihrem Apparat ein bisschen Schwung! Für die Truppe im Einsatz ist das wichtig. Vielen Dank. Glück auf! ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der Fraktion Die Linke. ({0})

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem Punkt hat die Bundesregierung recht: Der Verteidigungshaushalt wird immer mehr zu einem Einsatzhaushalt. Aber lassen Sie uns von dem Schönsprech weggehen und Klartext reden. Denn Einsatz klingt ein wenig nach bürgerschaftlichem Engagement, aber hier geht es nicht zuletzt um die Herstellung von Kriegsführungsfähigkeiten, und diese sollen gegebenenfalls - Stichwort: Armee im Einsatz - auch eingesetzt werden. Wofür sonst wollen Sie in der Wittstocker Heide Bomben abwerfen lassen, wofür sonst stellen sie in Kalkar ein Hauptquartier für Luftkriegsoperationen auf, das weltweit verlegt werden kann, und wofür sonst lassen Sie in Manching den Eurofighter bauen? Man sollte weniger vom Einsatzhaushalt und noch weniger vom Verteidigungshaushalt reden, sondern vielmehr von einem Kriegsertüchtigungsetat. ({0}) Genau aus dem Grund lehnt Die Linke diesen Etat ab. Kriegsführungsfähigkeit ist teuer. Nach NATO-Kriterien geben wir jetzt 33,5 Milliarden Euro dafür aus. Es kann nicht oft genug gesagt werden: Wer hochrüstet, entzieht der Wirtschaft und der Gesellschaft Ressourcen, Finanzen und Arbeitskraft. Das sind 33,5 Milliarden Euro, die woanders sinnvoller eingesetzt werden können. ({1}) Wir müssen diese Ausgaben senken, statt sie immer weiter nach oben zu treiben. Frieden schaffen mit immer weniger Waffen - das hat einmal ein CDU-Bundeskanzler gesagt. ({2}) Aber Sie machen genau das Gegenteil. Die Große Koalition hat den Rüstungshaushalt seit 2006 um insgesamt 3,2 Milliarden Euro erhöht, und in den nächsten Jahren soll es weiter nach oben gehen. Allein dieser Haushaltsplan weist eine Steigerung von 1,6 Milliarden Euro auf. Der größte Teil davon fließt in die investiven Ausgaben. Das sind vor allem die militärischen Beschaffungen. 33,5 Milliarden Euro für die Rüstung sind keine gute Investition in die Zukunft, nicht zuletzt deshalb, weil mit der langfristigen Verpfändung der Steuergelder die Möglichkeiten künftiger Haushaltsgestaltung stark eingeengt werden. Die Verpflichtungsermächtigungen steigen in diesem Haushalt wieder um knapp 10 Milliarden Euro. Für die Zeit ab 2010 sind damit bereits 56 Milliarden Euro festgelegt, über die der künftige Bundestag gar nicht mehr entscheiden kann. Das ist einfach nicht hinnehmbar. ({3}) Ich hänge nicht der naiven Vorstellung an, man könne von einem Tag auf den anderen von einem Topf in den anderen verschieben. Aber es ist trotzdem hilfreich, sich einfach einmal klarzumachen, wo wir Prioritäten setzen oder wie Prioritäten anders gesetzt werden müssten. Wir fordern zum Beispiel, die Kinderbetreuung flächendeckend auszubauen; das fordern andere Fraktionen auch. Die geschätzten Kosten dafür betragen 9 Milliarden Euro. Allen Kindern in der Schule eine warme Mahlzeit zu ermöglichen, wird mit Kosten in Höhe von 4 Milliarden Euro veranschlagt. Die Kosten für die Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro werden auf 9 Milliarden Euro geschätzt. Diese drei Maßnahmen wären mit der Summe des Wehretats locker zu finanzieren. Und Sie hätten noch mehr als genug übrig, um die Summe für den zivilen Teil der Afghanistan-Hilfe zu verdreifachen. ({4}) - Ja, das wäre drin. Ich sage noch einmal, dass ich nicht der Vorstellung anhänge, man könne von einem Tag auf den anderen umschichten. Aber wir müssen doch endlich einmal anfangen, die Prioritäten neu zu setzen und von den hohen Rüstungsausgaben herunterzukommen. ({5}) Ich weiß, dass der Einwand kommen wird, dass Sicherheit ein teures Gut ist. Die Frage ist aber, ob der Preis stimmt. Worum geht es denn, wenn heute von Sicherheit die Rede ist? Drei Dinge werden genannt: Schutz vor militärischer Gewalt, Sicherung unserer Energieversorgung, Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor terroristischen Anschlägen. Der erste Punkt führt zu der Frage, ob wir in absehbarer Zeit militärisch bedroht sind. Nein, das sind wir nicht, und niemand hier wird das ernsthaft behaupten. Trotzdem wurden während des Krieges in der KaukasusRegion Versuche unternommen, eine solche Wahrnehmung zu erzeugen. Aber sehen wir die Sache nüchtern. Weder die Balten noch die Polen sind durch Russland militärisch bedroht. Russland hat heute weder die Fähigkeiten noch im Geringsten die Absicht, diese Länder anPaul Schäfer ({6}) zugreifen und zu besetzen. Das gilt für Deutschland erst recht. Richtig ist allerdings, dass die Russen sich dank Erdöl und Erdgas wieder als starke Macht sehen, und sie wollen den Zustand permanenter Demütigung nicht länger akzeptieren. Es geht jetzt mitnichten darum, sich die Interessen Moskaus zu eigen zu machen oder sich ihnen gar zu unterwerfen. Von uns steht niemand auf der Gazprom-Gehaltsliste. ({7}) Aber man muss schlicht zur Kenntnis nehmen, dass europäische Sicherheit nur mit Russland zu haben ist. In besseren Zeiten ist gerne von einer strategischen Partnerschaft mit Russland gesprochen worden. Mir würde eine ehrliche Partnerschaft schon genügen. Denn dann würde man darauf verzichten, neue Raketen in Polen zu stationieren, dann würde man darauf verzichten, rund um Russland Militärbasen der NATO aufzubauen, und dann würde man darauf verzichten, die NATO bis nach Zentralasien auszudehnen. Dann würde sich auch das Thema neue Angst vor Russland zumindest tendenziell erledigen. Grund zur Hochrüstung ist das jedenfalls nicht. ({8}) Zum Zweiten: Dass wir es mit wachsenden Ressourcenkonflikten zu tun haben, spricht sich herum. Der Kaukasus und Zentralasien sind dafür Beispiele. Es stimmt, wir haben eine wachsende Konkurrenz um die zur Neige gehenden fossilen Brennstoffe, und es gibt einen Wettlauf um den Zugang zu den sogenannten strategischen Rohstoffen. Dieser reicht von der Arktis über den Nahen Osten bis ins südliche Afrika. Aber allein die Vorstellung, man könne Erdölquellen, Pipelines und Schifffahrtsrouten mit militärischer Gewalt dauerhaft absichern, ist schlicht abwegig. Es geht um ökologisches Umsteuern in der Energiepolitik, um eine gerechtere internationale Wirtschaftspolitik. Es geht also um zivile Antworten auf das Ressourcenproblem, nicht um militärische. ({9}) Was drittens die Terrorgefahr und den notwendigen Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger anbetrifft, so ist bei anderen Gelegenheiten hier schon alles gesagt worden. Man kann dem Terror nicht mit militärischer Gewalt und Gegenterror begegnen. Das nährt ihn, statt ihn auszutrocknen. Der siebenjährige Krieg, der Global War on Terrorism, hat genau dies gezeigt. Dass Gewalteskalation die falsche Antwort ist, zeigt auch und gerade der Schauplatz Afghanistan. Nach sieben Jahren Krieg wird die Sicherheitslage immer prekärer. Selbst dem US-Generalstabschef sind jetzt Zweifel am Erfolg der Mission gekommen. Es ist, wie es ist: Die NATO kann diesen asymmetrischen Krieg ebenso wenig gewinnen wie die Taliban. Es wird eine wirklich neue Strategie gebraucht. Wir brauchen einen Waffenstillstand, der von den afghanischen Konfliktparteien selbst ausgehandelt werden muss. Da sollten Sie genauer auf die Meinung von circa 3 000 Stammesvertretern - inzwischen sind es sehr viel mehr - vor allem aus den Paschtunengebieten hören, die sich im Mai als afghanische Friedensdschirga konstituiert haben. Diese Friedensversammlung sagt klar: Der afghanische Dialog wird nur zu einem Erfolg geführt werden können, wenn klar ist, dass die auswärtigen Truppen möglichst rasch abziehen. Das ist der Punkt. ({10}) Die NATO hat nicht nur in Afghanistan gezeigt, dass sie das ungeeignete Instrument für eine gedeihliche Friedensentwicklung in der Welt ist. Diese Debatte werden wir im nächsten Jahr führen. Ich freue mich darauf, und dann wird man sehen, ob es sinnvoll ist, an einer Militärallianz festzuhalten, die zwei Drittel der Weltmilitärausgaben bestreitet und die doch, wie sich jetzt gezeigt hat, dem alten Freund-Feind-Denken verhaftet bleibt. Wir werden darüber streiten, ob man die NATO nicht durch kooperative Sicherheitsstrukturen überwinden muss. Das ist die Position der Linken. Zum Schluss: Wir fordern erstens, dass sich die Bundeswehr auf den Grundgesetzauftrag konzentrieren soll. Der Militärinterventionismus Out of Area muss beendet werden. Das bedeutet zweitens, dass dann die neuen U-Boote, Fregatten und Einsatzgruppenversorger oder auch Kampfhubschrauber nicht mehr gebraucht werden. Wir werden in diesem Sinne Einsparvorschläge im Umfang von circa 10 Prozent des Wehretats machen. Diese Einsparungen können für soziale, entwicklungspolitische Zwecke, für den sozialverträglichen Umbau der Streitkräfte und für die soziale Besserstellung gerade der Mannschaften und der Unteroffiziere verwendet werden. Drittens braucht die Bundesrepublik keine Hand an nuklearen Vernichtungswaffen. Deshalb kann die Tornadostaffel in Büchel außer Dienst gestellt werden. ({11}) Viertens ist die Aufhebung der Wehrpflicht überfällig. ({12}) Sie greift ohne äußere Not in das Leben junger Männer ein - in diesem Fall nur Männer. ({13}) Sie ist sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar. ({14}) Fünftens sind die deutschen Truppen aus Afghanistan abzuziehen, und zwar so schnell wie möglich. Es ist in diesem Zusammenhang gut, wenn an diesem Samstag viele Menschen in Berlin und Stuttgart für diese Forderung auf die Straße gehen und demonstrieren. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({15})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich müssten wir heute bei dieser Debatte sehr intensiv über die verschiedenen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Mandat und dessen Verlängerung stellen, diskutieren. Dass wir es heute nicht tun, ist ein Stück symptomatisch für die Politik, die wir vom Minister und der Bundesregierung in dieser Frage erleben. Wir diskutieren heute nicht über Afghanistan, weil Sie entschieden haben, dass das wichtigste Mandat und der wichtigste internationale Einsatz der Bundeswehr und die wichtigen Fragen, die sich stellen, nämlich ob der zivile Wiederaufbau im Zentrum steht und die militärische Strategie richtig gepolt ist oder nicht, weniger wichtig sind als die Bitte von zwei Landtagswahlkämpfern in Bayern, nämlich dem CSU-Vorsitzenden und dem Ministerpräsidenten. Aus diesem Grund haben Sie diese Debatte heute nicht geführt. Aus diesem Grund wollen Sie diese Debatte nächste Woche nicht führen. Sie wird vielmehr in einer Sondersitzung nach der Wahl in Bayern geführt. Ich glaube, allein dieser Vorgang macht deutlich, mit welcher komischen Haltung und mit welchen Tricksereien diese Bundesregierung und dieser Bundesverteidigungsminister in zentralen sicherheitspolitischen Fragen unterwegs sind. ({0}) Im Rahmen dieser Debatte reden wir über den letzten Haushalt dieses Verteidigungsministers. Insofern muss man die Bilanz dieser gesamten Amtszeit durchgehen. Der Haushalt der Bundeswehr ist seit 2005 um über 3 Milliarden Euro gestiegen. Allein dieses Jahr gibt es einen ordentlichen Schluck aus der Pulle mit 1,6 Milliarden Euro mehr. Die Ursprungsbegründung für diese Erhöhung war übrigens, man brauche 1 Milliarde Euro, um die Tarifsteigerungen einzuarbeiten. Interessanterweise fließen von diesem Aufwuchs jetzt nur knapp mehr als 500 Millionen Euro ins Personal. Aber auch das ist ein Stück weit symptomatisch für diesen Haushalt. Herr Minister, ich will nicht verhehlen, dass Sie in Ihrer Amtszeit auch Erfolge hatten. Zwei davon werden in die Geschichte sicherlich als die große Legacy Ihrer Amtszeit eingehen: Es ist Ihnen zweimal gelungen - beim Ehrenmal und bei der Frage des öffentlichen Gelöbnisses -, das Grünflächenamt Berlin-Mitte im Rechtsstreit zu besiegen. Herzlichen Glückwunsch! ({1}) Ich muss offen sagen: In anderen Bereichen suchen wir diesen Einsatz, diese Reformkraft und auch den Erfolg. Nach wie vor unbeantwortet sind die Fragen: Wie setzt sich eigentlich der Transformationsprozess der Bundeswehr fort? Was sind eigentlich die Konsequenzen daraus, dass die Bundeswehr mit heute 250 000 Soldatinnen und Soldaten an ihr Limit stößt, wenn 7 000 davon bei Einsätzen im Rahmen eines UN-Mandats international zur Stabilisierung beitragen? An dieser Baustelle arbeitet keiner. Da ist nicht Mittagspause, sondern Sendepause, und das schon Ihre gesamte Amtszeit über. In Wirklichkeit haben Sie in Sachen Wehrpflicht das Rad zurückgedreht. Sie haben mit einer ideologischen Begründung dafür gesorgt, dass 5 000 Wehrpflichtige mehr zur Bundeswehr eingezogen werden. Das klingt im ersten Moment nicht nach einer zentralen Fragestellung. Wenn man sich aber einmal anschaut, welche Ausgaben das mit sich bringt, wie viel Personal zur Ausbildung und Betreuung dieser 5 000 Zusätzlichen, die in der Kaserne hinterher von niemandem gebraucht werden und auch in der Stabilisierungsmission nicht einsetzbar sind, erforderlich ist, dann wird es interessant. Ich will darauf hinweisen, dass die OECD in einer Studie vor kurzem veröffentlicht hat, was die Wehrpflicht volkswirtschaftlich kostet. Nach Angaben der OECD mindert sie das Wachstum um 0,5 Prozent. Ich finde, das ist schon etwas, angesichts dessen man in der finanz- und wirtschaftspolitischen Diskussion, die wir gerade führen, einmal aufhorchen müsste. Reden wir noch einmal über die 5 000 Wehrpflichtigen, die zusätzlich zur Bundeswehr eingezogen werden. Sie haben vorhin die Situation von gering bezahlten Leistungsträgern in der Bundeswehr beklagt; auch der Kollege Kahrs hat dieses Argument zu Recht angeführt. Man sollte sich heute einmal die Standorte der Bundeswehr anschauen, an denen Ausbildungskompanien aus dem Boden gestampft wurden. Wenn man mit den Leuten dort spricht, erfährt man Interessantes. Die Kapazitäten verlagern sich zum Teil von Einheiten, die in Einsätze gehen, hin zur Ausbildung von neuen Wehrpflichtigen, die niemals ein Einsatzland sehen werden. Genau die Gruppe von schlechtbezahlten Leistungsträgern in der Bundeswehr, die keinen Rechtsanspruch auf Übernachtung in der Kaserne haben, muss die Kaserne verlassen, bevor die Wehrpflichtigen kommen. Sie zahlen dann ein paar Hundert Euro für eine Stube außerhalb der Kaserne. Sie wissen genau: Das sind die Leistungsträger, die gemeint sind, wenn Sie hier immer über Attraktivität reden. Aber ideologisch wichtiger ist Ihnen am Ende dann doch, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten. Ich glaube, das Kernproblem ist: An den richtigen Stellschrauben dreht diese Regierung einfach nie. ({2}) Das sehen wir auch in anderen Bereichen, etwa bei der zivilen Krisenprävention. Man stelle sich einmal die Frage: Wie kommt man eigentlich bei der Ressortabstimmung voran? Bei den Einsätzen der Bundeswehr ist das nicht das Problem. Wenn man sich anschaut, wie Soldatinnen und Soldaten, Vertreterinnen und Vertreter des Auswärtigen Amtes sowie des Entwicklungsministeriums - bei diesen beiden muss man sagen: wenn sie denn einmal im Einsatzland sind - und NGOs zusammenarbeiten, dann stellt man fest: Das funktioniert. Aber in dem Moment, wo es wieder auf die ministerielle Ebene geht, sind wir mitten im Kampf der Ministerien. Sie haben auch noch etwas dazu beigetragen, dass das nicht besser wird. Den Ansatz für strukturelle Krisenvorsorge, den Sie bisher im Einzelplan hatten und von dem Sie uns immer berichtet haben, die Resonanz sei gut, die Erfahrung damit sei in hohem Maße zu loben, setzen Sie auf null. Dieses wichtige Instrument für die Zusammenarbeit wird in Ihrem Haushalt einfach gestrichen. Auch da ist die Bilanz: Es geht rückwärts in der strukturellen Krisenvorsorge. Es geht rückwärts in der koordinierten Krisenprävention. - Auch das ist eine schlechte Bilanz Ihres Hauses, Herr Jung. ({3}) Die Rüstungspriorisierung hat die Kollegin Hoff zu Recht angesprochen. Was ist uns in den letzten Jahren von Ihnen alles an dicken Rüstungsprojekten auf den Tisch gelegt worden! Was den Eurofighter angeht, wollen Sie demnächst die dritte Tranche bestellen. Einen Gegner für diesen alten Flieger gibt es bis heute nicht. Ihre Argumentation in den letzten Jahren war auch klar: Wir reden hier über Industriepolitik und nicht über sicherheitspolitische Anforderungen. ({4}) Ähnlich ist es bei der Fregatte F 125, die wir zum Dreifachen des üblichen Preises gekauft haben, damit deutsche Werften bauen. Ich nenne weiter die Abwehrrakete PARS 3, und das zweite Los U-Boote. Am Ende ist Ihre Amtszeit davon geprägt, dass die Bundeswehr am Bedarf vorbei Industriepolitik betreibt - und das milliardenschwer auf dem Rücken der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. ({5}) Wenn wir uns anschauen, in welchen Bereichen genau diese Bugwelle an Investitionen Schaden hinterlässt, welche Projekte auf die lange Bank geschoben werden, dann erkennen wir: Das ist wieder genau dort, wo es vielleicht nicht spannend ist, weil es kleine Dinge sind, die man nicht in einer großen Eröffnung auf dem Rollfeld im Blitzlichtgewitter vorstellen kann. Das sind Dinge, die die Soldatinnen und Soldaten dort brauchen, wo wir sie brauchen, nämlich in den von den UN gebilligten Einsätzen für Stabilisierung. Es sind die Kleinigkeiten, die bei dieser Rüstungsbeschaffung am Ende immer hinten runterfallen, weil die Milliardenprojekte den Haushalt 2009 blockieren und weil Sie die Bugwelle weiterschieben auf 2010 und 2011. Das ist auch genau der Grund dafür, dass das zusätzliche Geld, das Sie in den letzten Jahren bekommen haben, keinerlei Entsprechung in dem hat, was die Bundeswehr für das leisten kann, für das wir sie wollen. Herr Minister, die Transformationspause hat uns ein paar Milliarden gekostet. Die darf man sich aber nicht länger leisten. Es ist wirklich an der Zeit, die nächste Stufe der Transformation der Bundeswehr in Angriff zu nehmen. Es ist wirklich an der Zeit, die Personenzahl zu reduzieren. Wir brauchen eine spezialisierte Bundeswehr mit 200 000 Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern, die für Stabilisierungsmissionen ausgerüstet und darauf konzentriert ist. Und bei der für die schwere Arbeit, die da geleistet wird, entsprechend bezahlt wird. Da haben wir keinen Platz für Wehrpflichtige. Die können in solch komplizierten Missionen keinen Beitrag leisten. Das ist der Weg, der dringend eingeschlagen werden muss. Auch diese große Chance hat die angeblich Große Koalition in den letzten Jahren nicht wahrgenommen. Ich fürchte, wir haben da wichtige Zeit verloren. Ich kann nur hoffen, dass die Koalition am Ende ihren sicherheitspolitischen Stillstand und die Verweigerung eines sicherheitspolitischen Diskurses beendet und wir in die Lage kommen, hier eine ehrliche Diskussion zu führen: Wofür brauchen wir die Bundeswehr? Wofür brauchen wir sie nicht? Was heißt das dann für die Frage, welche Bundeswehr wir eigentlich brauchen? Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Bernhard Kaster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003562, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, ist auch als ein Beispiel dafür zu nennen, dass es sehr wohl möglich und kein Widerspruch ist, wenn der Gesamthaushalt unter der Überschrift „Haushaltskonsolidierung“ steht. Haushaltskonsolidierung und gleichzeitige Investitionen in Bereichen, in denen sie unabdingbar notwendig sind, gehen zusammen. Dafür ist der Verteidigungsetat durchaus ein gutes Beispiel, denn die Verteidigungs- und Sicherheitspolitik unseres Landes in einer globalisierten Welt steht schon seit Jahren vor großen Herausforderungen. Ich nenne hier den internationalen Terrorismus und damit die Verschmelzung von innerer und äußerer Sicherheit, nach wie vor vorhandene Gefahren der Verbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen, das Nuklearprogramm des Iran, aber auch die neuen Herausforderungen, vor denen die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik der Europäischen Union steht. Die jüngste Kaukasuskrise hat uns dies noch einmal gezeigt. Diesen Herausforderungen können wir uns nicht allein stellen. Die Bundeswehr ist in die transatlantische Sicherheitsarchitektur der NATO eingebettet. Sie nimmt ihre Verantwortung innerhalb der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wahr und leistet ihren Dienst im Auftrag der Vereinten Nationen. Als Union, als CDU und CSU, stehen wir für diese transatlantische, europäische und globale Einbindung unserer Streitkräfte ein. ({0}) Wird der vorliegende Wehretat diesen Herausforderungen gerecht? Ich antworte mit einem klaren Ja. ({1}) Als Union sind wir uns unserer Verantwortung bewusst, innere und äußere Sicherheit als Grundvoraussetzung für eine freiheitliche Gesellschaft zu gewährleisten. Hier beziehe ich den Verteidigungsetat, aber auch den Innenetat mit ein. Der Verteidigungsetat steigt um 1,6 Milliarden Euro auf nun insgesamt 31,1 Milliarden Euro. Allein die Ausgaben für militärische Beschaffungen, Wehrforschung, militärische Anlagen etc. steigen um rund 700 Millionen Euro auf jetzt 10,2 Milliarden Euro. Die eingestellten Verpflichtungsermächtigungen, auch das ist wichtig, ermöglichen auch für die Folgejahre, dass die entsprechenden Beschaffungsmaßnahmen stetig fortentwickelt und in Auftrag gegeben werden können. Eine moderne Ausstattung und Ausrüstung sind ein absolutes Muss. Das Wichtigste aber sind unsere hoch motivierten Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiter. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten wirklich Großartiges. Ihr Ruf und ihr Ansehen sind weltweit beispielhaft. Deshalb sind wir verpflichtet, unseren Soldatinnen und Soldaten Dank zu sagen. ({2}) Wir sind verpflichtet, mit großer Verantwortung über das Ob und das Wie von Auslandseinsätzen zu entscheiden. Wir sind verpflichtet, sie bestmöglich auszustatten. Als Arbeitgeber sind wir auch verpflichtet, Perspektiven zu geben. Die Tarif- und Gehaltserhöhungen waren daher ebenso wichtig wie die Wehrsolderhöhung. Das war uns als Union wichtig. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir haben uns für die Wehrsolderhöhung und für die entsprechende Tariflohnerhöhung eingesetzt. ({3}) Die Personalkosten steigen um rund 800 Millionen Euro. Tausende zusätzliche Beförderungen sind im Rahmen der Stellenstruktur jetzt möglich. Es ist mehrfach schon angesprochen worden, dass die Unterbringung der Truppe durch die Fortführung des Sondersanierungsprogramms für lange vernachlässigte Kasernen erheblich verbessert wird. Die Kasernen müssen natürlich zeitgemäß verbessert werden, das ist richtig. Lassen Sie mich jetzt noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich für wichtig halte. Die notwendigen Antworten auf die Herausforderungen heutiger Sicherheitspolitik, konkret auf die gefährlichen Aufgaben, die unsere Bundeswehr in einer globalisierten Welt wahrnehmen muss, sind heute sehr viel schwieriger vermittelbar. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen aber wissen, dass Politik und Gesellschaft, dass die Bürger unseres Landes hinter ihnen stehen und ihren Einsatz schätzen. Das müssen wir deutlich machen. Deshalb begrüße ich es auch ausdrücklich, dass der Herr Minister die Truppe so ausgiebig besucht und vor Ort ist. Auch die Sommerreise mit dem Besuch von über 30 Standorten war ein wichtiger Beitrag, um zu zeigen, dass die Politik und die Gesellschaft hinter unseren Soldatinnen und Soldaten stehen. ({4}) Deswegen wird die Wehrpflicht jetzt und auch in Zukunft einen ganz entscheidenden Beitrag zur festen Einbindung der Bundeswehr in unsere Gesellschaft leisten. Wir, die Union, stehen fest zu dieser Wehrpflicht. ({5}) Die Bundeswehr ist heute fester Bestandteil transatlantischer und europäischer Kooperationen. Der Weg hin zu einer europäischen Armee ist noch weit. In diesem Zusammenhang will ich aber gern den Straßburger Vertrag, die Eurocorps und das Deutsch-Niederländische Korps nennen. Ich halte es für unverzichtbar, diesen Weg der sehr konkreten europäischen Zusammenarbeit weiter zu festigen und durch neue Initiativen zu vertiefen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die konkreten Haushaltsberatungen im Ausschuss beginnen jetzt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sich dabei ihrer Verantwortung für das hohe Gut der inneren und äußeren Sicherheit unseres Landes sehr bewusst. ({6}) Wir wissen, welch große und oft auch gefährliche Beiträge unsere Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheit und den Frieden in der Welt leisten. Hierfür bedanken wir uns. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat sollten wir heute oder in dieser Woche über Afghanistan debattieren. Der Kollege Bonde hat das völlig zu Recht angesprochen. Wieder einmal ist das verhindert worden. Jetzt könnte man natürlich einmal mehr die Haushaltsdebatte genau dazu nutzen. Aber genau das werde ich heute nicht tun. Wir haben nämlich in den vergangenen Jahren immer wieder die Haushaltsdebatten für Debatten über Einsätze der Bundeswehr genutzt, und dabei sind viel zu oft die Interessen der Soldatinnen und Soldaten, die hier in Deutschland ihren Dienst tun, zu kurz gekommen. Ich glaube, man sollte schon einmal eine Gesamtschau vornehmen. Diese wird bei mir deshalb heute auch im Mittelpunkt stehen. ({0}) Herr Minister, Sie haben einen Etat, der deutlich anwächst. Wir haben das jetzt schon mehrfach gehört. Wenn man sich aber einmal die Steigerung anschaut, dann war es zumindest in den letzten Jahren nominal so, während der Etat real eigentlich rückläufig war. Das hat mit vielen Dingen zu tun. Das hat damit zu tun, dass die Preise gestiegen sind, dass die Energiekosten drastisch gestiegen sind, dass die Mehrwertsteuer erhöht wurde, was natürlich auch bei der Bundeswehr massiv zu Buche schlägt. Es hat aber auch damit zu tun, dass immer mehr Militäreinsätze beschlossen worden sind, die jeweils aus dem Etat des Bundesministers der Verteidigung erst einmal erwirtschaftet werden müssen. Heute, Herr Minister, haben Sie en passant von einer EU-Mission zur Bekämpfung der Piraterie gesprochen. Wir als Deutscher Bundestag kennen das bisher nur aus den Zeitungen. Wir haben von Ihnen noch nicht eine einzige Unterrichtung darüber bekommen, was Sie da vorhaben und wie das im Etat untergebracht werden soll, um festzustellen, ob das Sinn macht, ob wir das brauchen und ob das nötig ist. Stattdessen gab es nur en passant einen Satz dazu. Das, Herr Minister, ist zu wenig. ({1}) Wenn man sich anschaut, wohin das Geld im Etat fließt, dann stellt man fest, dass falsche Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden. Die Kollegin Hoff hat das schon angesprochen. Sehr geehrter Herr Kollege Kahrs, an dieser Stelle möchte ich nur eine Bemerkung dazu machen: Beim Großprojekt A400M - das hat die Kollegin Hoff völlig zu Recht gesagt - muss man sich an Verträge halten. Ja, Herr Kahrs, aber nicht nur der Bund muss sich an Verträge halten, sondern bitte schön auch die Industrie! ({2}) Dem jetzt geäußerten Wunsch, auf Schadenersatzforderungen zu verzichten, können wir nicht zustimmen. Wir erwarten von Ihnen als Haushälter, dass Sie das ebenfalls unterstützen. ({3}) - Es ist wunderbar, wenn wir uns da einig sind. Dann haben wir das ja an dieser Stelle klargestellt, Herr Kahrs. ({4}) Tatsache ist, dass auch der Bedarf zur Materialerhaltung ständig steigt, und zwar insbesondere für Wartung und Reparatur alten Geräts. Das liegt daran, dass sich der Zulauf neuen Geräts verzögert, und zwar mit dramatisch steigender Tendenz. Oder um es anders zu sagen: Weil wir auf einen Ersatz für den Tornado warten, müssen derzeit für eine Flugstunde ungefähr 80 Wartungsstunden aufgewandt werden. Das kostet natürlich, und diese Kosten schlagen sich im Etat nieder. Die Folge all dieser Probleme ist, Herr Minister, dass Sie im Etat nicht genügend Geld für Beschaffung dessen haben, was dringend nötig ist: beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge, Lufttransportkapazitäten - dieser Mangel wird insbesondere bei Einsätzen offenbar -, aber eben auch Material für die Ausbildung im Inland. All das fehlt. Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, man müsse den Soldatinnen und Soldaten einen optimalen Schutz geben. Ja, wir stimmen Ihnen zu. Ich sage Ihnen an dieser Stelle aber auch: Sie sollten es nicht nur wollen, sie können es auch machen. Und das erwarten wir von Ihnen. ({5}) Ich möchte einige Bemerkungen zum Thema Attraktivität der Bundeswehr machen. Diese Frage hat heute in der Debatte zu Recht eine wesentliche Rolle gespielt. Die Realität ist, dass viele hochqualifizierte Soldatinnen und Soldaten kündigen, zumindest innerlich, weil der Soldatenberuf nicht mehr in dem Maße attraktiv ist, wie er es früher war: Sie müssen oft zu Einsätzen. Sie verdienen weniger als ihre zivilen Kolleginnen und Kollegen. Sie fühlen sich oft vom Dienstherrn und teilweise auch von der Politik im Stich gelassen, setzen aber Leben und Gesundheit ein. Ich bin der Auffassung, dass das - nicht nur für den Unterausschuss „Innere Führung“ im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, sondern insgesamt für den Bundestag und insbesondere für Sie, Herr Minister - Grund genug sein muss, über Attraktivitätssteigerung in den Streitkräften nachzudenken und den Soldatinnen und Soldaten, die hier ihren Dienst verrichten, nicht nur die Dinge schönzureden, sondern ihnen die nötige Unterstützung und die Möglichkeit zu geben, sich in diesen Streitkräften wieder wohlzufühlen. Dazu gehört das Programm „Sanierung Kasernen West“. Es reicht nicht aus; das wissen Sie ganz genau. Auch das Trennungsübernachtungsgeld gehört dazu, Herr Minister. Wir haben immer noch die Situation, dass die Soldatinnen und Soldaten für vier Monate in den Einsatz geschickt werden, aber nur für drei Monate Trennungsübernachtungsgeld bekommen. Das bedeutet, dass oft genug die Wohnung am Dienstsitz wegen eines Monats gekündigt werden muss. Vor einem Jahr haben Sie Besserung versprochen. Wir erwarten, dass jetzt endlich etwas passiert und dass die Probleme, die die Soldatinnen und Soldaten ganz konkret haben, behoben werden. Dazu gehört auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie haben das hier angekündigt, Herr Minister. Auch dazu kann man nur sagen: Im Haushalt sind die entsprechenden Mittel nicht vorgesehen. Bitte auch in Sachen Kinderbetreuung nicht nur ankündigen, Herr Minister, sondern handeln! Darüber hinaus sollten Sie endlich akzeptieren, dass die Wehrpflicht nicht die Struktur für die Zukunft der Bundeswehr ist. ({6}) Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden. Wir haben weder Wehr- noch Dienstgerechtigkeit. Gerade einmal 17 Prozent der jungen Männer leisten überhaupt Wehrdienst. Circa 60 Prozent aller tauglichen jungen Männer leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Vor diesem Hintergrund ist dieses System nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das, Herr Minister, ist also Ihre Bilanz: immer mehr Einsätze, steigende Unzufriedenheit in der Truppe, immer stärkerer Verfall der Infrastruktur in Deutschland und ein stures Festhalten an veralteten Strukturen. Wir schließen den Haushalt heute nicht ab. Sie können bis zur Endabstimmung im Deutschen Bundestag noch neue Schwerpunkte setzen. Sie haben noch eine Chance

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Homburger, bitte!

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

- letzter Satz, Herr Präsident -, Herr Minister, die Sie nutzen können, nämlich das nächste Jahr. Vielen Dank. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der SPD-Fraktion. ({0})

Rainer Arnold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003029, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Seit knapp zehn Jahren ist die Bundeswehr in einem schwierigen Umgestaltungsprozess. In dieser Zeit haben 200 000 Soldaten ihren Dienst im Einsatz für Stabilität und Frieden geleistet. Dieser Auftrag bestimmt bei der Bundeswehr das Denken, die Konzepte, die Ausbildung, die Organisation und die Ausrüstung. Der diesjährige Haushalt mit einer Erhöhung von 1,6 Milliarden Euro trägt dem Rechnung, auch wenn es richtig ist, dass ein großer Teil des Geldes für zusätzliche personelle Maßnahmen und Gehaltserhöhungen notwendig ist. Dennoch: Die Mittel reichen aus, damit die Bundeswehr sowohl die Transformation weiterführen als auch ihren internationalen Verpflichtungen gerecht werden kann. Gelegentlich ist es schon so, dass die Wirtschaft zum Helfer wird, damit das Geld reicht. Das freut uns nicht, sondern das ist ein Ärgernis. Jahr für Jahr fließen für wichtige große Vorhaben Mittel, die die Soldaten dringend bräuchten, nicht ab, weil die Wirtschaft ihre Vereinbarungen nicht einhält. Dies macht uns sehr ernsthafte Sorgen, und das muss man auch ganz deutlich ansprechen. Ich glaube, wir sollten uns alle in diesem Haus einig sein, dass Vertragstreue keine Einbahnstraße ist. Aber falsch ist, Frau Kollegin Homburger, dass das Geld für den Schutz der Soldaten fehlt. Jeder Soldat und jeder Bürger in Deutschland muss wissen: All das, was die Bundeswehr an Anforderungen zur Sicherheit und zum Schutz der Soldaten gestellt hat und was auch beschaffbar war, weil es auf den Märkten verfügbar war, ist nie am Deutschen Bundestag gescheitert. Diese Zusage gilt auch für die Zukunft. ({0}) Dennoch: Einfach die Augen zumachen und die Transformation immer nur weiterführen, wird in der Tat nicht ausreichen. Es ist Zeit, zu reflektieren, wo nachjustiert werden muss. Das gilt für Material, das vor 15 Jahren bestellt wurde und das wir heute möglicherweise nicht mehr in dem Umfang brauchen. Es gilt für die innere Organisation der Bundeswehr. Das gilt für internationale Organisationen, wenn ich an die NATOResponse-Force denke. Das gilt im Übrigen auch für die Wehrpflicht, die im Grundsatz die richtige Ansage ist, die aber in einer veränderten Sicherheitswelt und einer veränderten Arbeits- und Ausbildungswelt für junge Menschen selbstverständlich so weiterentwickelt werden muss, dass sie in Zukunft überhaupt tragen kann und akzeptiert wird. Dazu haben die Sozialdemokraten Vorschläge gemacht. ({1}) Bei all diesen technischen Debatten ist eines entscheidend: Die Bundeswehr wird in erster Linie von den Menschen, die bei ihr Dienst tun, geprägt. Es gibt Soldaten, die zehnmal in einem Auslandseinsatz waren. Das verändert Menschen, das verändert deren familiäre Situation, deren Einbettung in das lokale soziale Gefüge. Darüber sollten wir uns an erster Stelle Gedanken machen. Das Materielle ist zweifellos wichtig. Aber klar ist: Den Beruf eines Soldaten wird niemand nur mit Blick auf die Gehaltsstruktur des öffentlichen Dienstes wählen. Die Menschen, die wir kennenlernen, haben vielmehr immer noch andere Beweggründe, sich dieser Verantwortung zu stellen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Attraktivität der Bundeswehr im Auge haben. Noch gehören der Bundeswehr Jahr für Jahr 460 000 Personen an. In zehn Jahren werden es nur noch 350 000 sein. Wir haben eine veränderte Arbeitsmarktsituation - auch wegen der Reformen, die Sozialdemokraten vorangebracht haben. Die Bundeswehr steht in einem härteren Wettbewerb um kluge und qualifizierte Köpfe. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Weichen neu gestellt werden. Ich bedauere es sehr, dass die Verbände, die die Soldaten vertreten, sich unserer Idee einer S-Besoldung nicht nähern konnten. Ich bin ziemlich sicher, dass das allgemeine Beamtenrecht nicht mehr zu einer Armee im Einsatz passt. Die Große Koalition könnte eine Chance bieten, in dieser Sache weiterzukommen. Wir werden darüber nachdenken müssen. Der Minister hat den Vorschlag gemacht - wir begrüßen ihn -, dass es für Soldaten auf Zeit ähnliche Mechanismen gibt, eine zusätzliche Altersversorgung zu bekommen, wie für Menschen im zivilen Berufsleben. Kollege Kahrs hat deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die Infrastruktur voranzubringen. Ich glaube, es ist gut, dass es das Sonderprogramm „Sanierung Kasernen West“ gibt. Wir müssen allerdings schauen, dass es auch gut umgesetzt wird. Sechs-Mann-Stuben entsprechen nicht mehr dem Standard, den junge Menschen heute von ihrem Arbeitsplatz erwarten. Natürlich gehört auch die Bereithaltung von Pendlerwohnungen dazu. Nach diesem engagierten Vortrag des Kollegen Kahrs als Haushälter sage ich sehr gelassen: Wenn alle Haushälter dies so sähen wie du, Johannes, dann müssten wir das miteinander hinbekommen und bewerkstelligen können. Ich glaube, das ist ein Angebot. Wir sollten in den nächsten Wochen versuchen, das eine oder andere in Form von Anträgen in die Diskussion zu bringen. Zu dieser Überprüfung der Transformation gehört natürlich auch, dass die Frage der Einsätze stets zu überprüfen ist. Nun haben die Linken heute in dieser und in der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes ein Bild abgegeben, das deutlich macht: Sie wollen Deutschland in die außen- und sicherheitspolitische Isolation führen. ({2}) Herr Kollege Schäfer, Sie reden davon, dass die NATO zu einem kooperativen Sicherheitsinstrument weiterentwickelt werden muss. Was anderes ist denn die NATO sowohl von ihren Verträgen als auch vom Urteil des Verfassungsgerichtes her? Das Bundesverfassungsgericht hat genau diesen Punkt herausgegriffen und bestätigt, dass die NATO ein kooperatives Sicherheitsinstrument ist. ({3}) - Nein, Sie wollen die NATO abschaffen. Sie wollen am Ende auch die Bundeswehr abschaffen. Um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind mit dieser Position in der Berliner Politik nicht einmal ein Partner für ernsthafte Gespräche in der Sicherheits- und Außenpolitik. ({4}) Zur Debatte darüber, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden, die hier auch eine Rolle gespielt hat: Die Kollegin Knoche hat es innerhalb weniger Sekunden geschafft, den Begriff „Krieg“ circa 10- bis 15-mal zu verwenden. Auch der Chef des BundeswehrVerbandes hat darüber reflektiert. Ich glaube, dass es bei den Menschen in der Bundeswehr wichtigere Sorgen gibt, dass die Menschen, die durch die Einsätze Leid erfahren und Angehörige verlieren, keine Debatte über Krieg und Frieden benötigen. ({5}) - Passen Sie einmal auf. - Wir müssen in der Wortwahl präzise bleiben. Da ist doch ganz klar: Weder nach unserer Verfassung noch nach dem internationalen Völkerrecht befinden wir uns im Krieg. Man kann darüber reden, wie wir mit dem Wort „Krieg“ im Alltagssprachgebrauch umgehen. Da ist es schon gut, dass wir Deutsche nicht den Weg der Angloamerikaner gehen, die ganz schnell Krieg gegen alles Mögliche führen, sondern dass der Begriff „Krieg“ in unserem Sprachalltag immer mit den Bildern und den Erinnerungen, was Krieg in Deutschland und in der Welt wirklich bedeutet hat, verwoben bleiben wird. Das unterscheidet uns von anderen Ländern, und so soll das auch bleiben. Ich fürchte, wer ständig von Krieg redet und einer Gesellschaft einredet, sie befinde sich im Krieg, der wird am Ende die Gesellschaft, die Politik und auch die Streitkräfte durch seine Rhetorik verändern. Das wäre falsch. Das wollen wir nicht. ({6}) Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten kämpfen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns von Aufständischen aufgezwungen. Damit das ganz klar ist: Das ist ein Kampf gegen Aufständische. Das ist die richtige Begrifflichkeit. Das ist kein Krieg. Die Bundeswehr ist aber auch kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Die Dinge sind nicht wirklich kompliziert. Wir debattieren hier immer wieder über Afghanistan und die sogenannte Exit-Strategie. Natürlich gibt es für Afghanistan immer wieder neue Konzepte und Strategien: von den Petersberger Beschlüssen über den in London beschlossenen Afghanistan-Compact über die ParisKonferenz bis zur NATO-Tagung in Bukarest. Ich glaube nicht, dass wir eine völlig neue Strategie suchen müssen. Wir müssen es vielmehr schaffen, das als richtig Erkanntes zu unterfüttern und in Afghanistan mit aller Konsequenz umzusetzen. ({7}) Das gilt für den zivilen wie den militärischen Bereich und für den Aufbau der Polizei gleichermaßen. Das ist in Afghanistan angesagt. Das ist das Entscheidende. Ich glaube, dass wir die Position, die Deutschland bezüglich des Kampfes gegen den Drogenanbau bisher vertreten hat, überdenken müssen. Wenn im Norden, wo die Deutschen Verantwortung tragen, die Afghanen in erster Linie selbst gegen den Drogenanbau vorgehen, und die Deutschen nur logistisch unterstützen, dann ist das ein guter Weg. Wenn wir aber erkennen, dass die Drogenwirtschaft im Süden und Osten des Landes nicht nur die Terroristen von morgen nährt, sondern diese sich auch zunehmend im afghanischen Staatsapparat breitmachen, und die Polizei im Süden und Osten gleichzeitig noch nicht in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen, dann muss in der NATO in der Tat eine ernsthafte Debatte darüber geführt werden dürfen, ob die ISAF nicht doch - zusammen mit den Afghanen - mehr Verantwortung für diesen Bereich erhalten sollte. Eine letzte Bemerkung dazu: Aufgrund der vielen zivilen Opfer, die es in Afghanistan gegeben hat - übrigens wurden 800 Soldaten von Terroristen umgebracht -, werden wir nie einfach zur Tagesordnung übergehen können. Afghanistan muss ständig auf der Tagesordnung der NATO stehen. Ich weiß, dass unser Außen- und unser Verteidigungsminister dafür sorgen. Die NATO muss alles Menschenmögliche tun, um zivile Opfer zu vermeiden. Heute wurde den Soldaten häufig gedankt. Das ist sehr wichtig. Ich glaube aber, dass es in einer Parlamentsarmee auch um etwas anderes geht, nämlich um wirkliches Vertrauen, um Vertrauen in zwei Richtungen. Bei meinen vielen Gesprächen mit Soldaten in internationalen Einsätzen habe ich den Eindruck gewon18716 nen, dass wir Parlamentarier täglich neu um das Vertrauen der Soldaten werben müssen. Sie müssen sehen, dass wir bei den Entscheidungen über Einsätze mit uns ringen, dass sich jeder von uns diese Entscheidung nicht einfach macht. Wir müssen die Soldaten besuchen und uns ihre Sorgen anhören. All dies geschieht. Andererseits haben wir aber auch allen Grund, den Menschen, die bei der Bundeswehr Dienst tun, zu vertrauen. Mit 255 000 Soldaten ist das eine große Organisation. Da wird es immer einzelne Fehler geben. Für diese Fehler gibt es eine große demokratische Errungenschaft: Soldaten können sich im Zweifelsfall unter das Regime des deutschen Rechtsstaates stellen. Es ist etwas Neues, es ist Teil der jüngeren deutschen Geschichte, dass Soldaten, die für Deutschland in der Welt unterwegs sind, das Ansehen der Bundesrepublik in der Welt mehren. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Einzelplan 14 des Haushaltsentwurfs 2009 legen wir ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr ab. Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden können, wird doch die notwendige finanzielle Ausstattung der Bundeswehr gesichert. Das ist bei den Personalausgaben der Fall. Das betrifft die Übernahme des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst - das ist schon erwähnt worden -, die Wehrsolderhöhung und die Angleichung der Besoldung zwischen Ost und West. Es ist aber auch bei Betrieb und Investitionen der Fall. Ich darf Ihnen, Frau Homburger, mitgeben, dass Ihr Vorwurf, es würde nicht ausreichend lange Trennungsgeld gezahlt, aufgenommen wurde und sich das Problem auf dem Weg zu einer guten Lösung befindet. ({0}) Der Bundesverteidigungsminister hat auf den Weg gebracht, dass über die gesamte Einsatzdauer Trennungsgeld gezahlt wird. Der Haushaltsentwurf ist insgesamt ein Beitrag dazu, die begonnene Modernisierung und Transformation der Streitkräfte fortzusetzen. Das ist von besonderer Bedeutung für unsere Auslandseinsätze. Unterschätzen wir jenseits mancher Vorwürfe in diesem Hause nicht, dass es eine breite öffentliche Unterstützung dafür gibt, dass unsere Soldaten im Einsatz bestmöglich ausgerüstet und ausgestattet werden. Dem trägt dieser Haushaltsentwurf Rechnung. Am Beispiel Afghanistans lässt sich besonders herausstellen, welche Bedeutung bestmögliche Ausrüstung und Ausstattung unserer Soldaten haben. Dazu, dass uns hier Grüne und FDP vorwerfen, wir wollten aus wahltaktischen Gründen nicht über Afghanistan diskutieren, kann ich nur sagen: Wenn Sie in der Sache einen Beitrag dazu leisten wollten, dann hatten Sie die Gelegenheit dazu. ({1}) Ich will die Gelegenheit nutzen und ausführlich Stellung dazu nehmen. Die Lage in Afghanistan ist sicherlich schwieriger geworden. Sie ist in weiten Teilen des Landes instabil. Ich meine, dass es jetzt notwendig ist, dass wir unsere Erfolge, die wir etwa im Bildungswesen oder im Gesundheitssektor durchaus erreicht haben, nicht gefährden. Deshalb müssen alle Bemühungen darauf gerichtet sein, für unser Engagement in Afghanistan das Vertrauen der dortigen Bevölkerung zu erhalten und zu vertiefen. Wir haben eine sehr klare Zielvorstellung für unser Afghanistanengagement, die im ISAF-Mandat des letzten Jahres deutlich formuliert ist - ich zitiere -: Es geht darum, „die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen, Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten.“ Es geht darum, die Verantwortung in afghanische Hände übergeben zu können und die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Dazu gehört, dass wir auch die afghanische Regierung stärker in die Pflicht nehmen. Wir dürfen sie als Empfänger umfangreicher Hilfen nicht aus der Verantwortung entlassen, aus eigener Kraft Drogenanbau, Kriminalität und Korruption zu bekämpfen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Wir erinnern uns: Die Bundeswehr ist auf Einladung der afghanischen Regierung dort im Land. Deswegen muss diese Regierung das Ihre zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau des eigenen Landes beitragen. Deutschland leistet als drittgrößter Truppensteller einen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans, der im Übrigen von der dortigen Bevölkerung hoch geschätzt wird. Aber wir wissen: Afghanistan ist mit militärischen Mitteln allein nicht zu stabilisieren. Eine einseitige Betonung der militärischen Komponente würde Widerstände in der Bevölkerung provozieren und den Taliban möglicherweise in die Hände spielen. Deswegen vertreten wir übereinstimmend einen vernetzten Ansatz. Ich glaube, dass es wichtig ist, mit der anstehenden Mandatsverlängerung dafür Sorge zu tragen, dass der Umfang der zivilen Hilfe nun annähernd in Einklang mit dem militärischen Beitrag gebracht wird. Ich halte es auch für notwendig, dass wir nicht nur in Afghanistan, sondern bei allen Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine schlüssige Gesamtkonzeption vorlegen. Ich denke, dass das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, das vor wenigen Tagen vorgestellt worden ist, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Mir fällt auf, dass, wenn ich es richtig sehe, erstmals alle beteiligten Ressorts als Autoren des Afghanistan-Konzepts benannt werden und dass für jede Aufgabe, die wir dort übernehThomas Silberhorn men wollen, Ziele formuliert worden sind. Das ist keineswegs eine Marginalie, sondern konzeptionell und qualitativ ein Fortschritt, bei dem wir aber nicht stehenbleiben dürfen. Ich halte es für notwendig, dass wir bei der Formulierung des Afghanistanmandats und aller weiteren Mandate genauso vorgehen, nämlich bei der Erarbeitung dieser Mandate alle Ressorts einbeziehen. Es ist keineswegs nur eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes. Das Innenministerium und das BMZ müssen genauso in die Erarbeitung der Mandate einbezogen werden. Die zivile Komponente muss ebenso wie die militärische in dem Mandat, das uns im Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt wird, Berücksichtigung finden. Ein Weiteres: Ich meine, dass sich jedes einzelne Ressort auf messbare Zielvorgaben verständigen sollte, die wir dann auch mit Haushaltsmitteln unterlegen können und die wir uns im nächsten Jahr, wenn die Mandatsverlängerung nochmals ansteht, wieder vorlegen können, um überprüfen zu können, ob die Ziele, die sich die Bundesregierung selbst gesetzt hat, tatsächlich erreicht worden sind. Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema. Ich finde, dass wir unseren zivil-militärisch vernetzten Ansatz auch in der öffentlichen Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr zum Tragen bringen müssen. Dazu gehört, dass wir nicht allein über die Anzahl der Soldaten streiten, sondern den ganzheitlichen Ansatz unseres Einsatzes in Afghanistan und an anderen Orten der Welt auch in der Kommunikation über unser militärisches und ziviles Engagement deutlich machen sollten. Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den zivilen Wiederaufbauhelfern ausdrücklich für ihren Einsatz danken. Sie genießen für ihren Dienst international höchste Reputation. Ich denke, für ihre gefährliche Aufgabe verdienen sie auch den geschlossenen Rückhalt unserer Bevölkerung und des Deutschen Bundestages. ({2}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, in wenigen Sätzen einige Ausführungen zum komplexen Thema Georgien zu machen. Ich halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei nicht um einen neuen Ost-West-Konflikt handelt. Gerade die Reaktion der Shanghai-Gruppe zeigt, dass wir es mit einem internationalen Konflikt zu tun haben. Die internationale Gemeinschaft muss ungeachtet der jeweiligen Verantwortlichkeiten der Beteiligten ihren Anspruch deutlich machen, dass ihre Rechtsgrundlagen geachtet und durchgesetzt werden. Es ist begrüßenswert, dass die Europäische Union nach der Eskalation in Georgien die Initiative ergriffen hat: mit dem Sechspunkteplan der französischen Ratspräsidentschaft, der Einsetzung einer zivilen Beobachtermission und der Ernennung eines Georgienbeauftragten, aber auch mit der Forderung nach einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission. Das geschlossene Auftreten der Europäischen Union stärkt ihre Rolle im Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Das sind die Aufgaben, für die wir die Europäische Union brauchen, nicht für eine Nabelschau, die immer neue Vorschriften zur Folge hat. Nach diesem Exkurs möchte ich auf den Haushalt zurückkommen. Im Entwurf des Haushalts 2009 werden die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir leisten einen Beitrag zur Stärkung der Bundeswehr und zum Schutz unserer Sicherheitsinteressen. Damit bleiben wir handlungsfähig. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Haushaltsdebatte im Parlament ist dazu da, die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition und manchmal auch die Unterschiede zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung deutlich zu machen. ({0}) Unverändert gilt nämlich das Struck’sche Gesetz, dass keine Vorlage den Bundestag so verlässt, wie sie von der Regierung eingebracht wurde. Manchmal war allerdings auch die Regierung klüger, wenn sie aus dem Bundestag herauskam. Vorweg: Dieser Verteidigungsetat weist einen tüchtigen Zuwachs aus. Das ist notwendig, aber nicht selbstverständlich. Mein Dank gilt den verantwortlichen Ministern Jung und Steinbrück. Sie haben gemeinsam eine vernünftige Linie gefunden. ({1}) In der Bundeswehr hört man die Klage, dass das Geld dennoch nicht ausreicht, insbesondere nicht für alle nur denkbaren Beschaffungsprogramme. Das ist wahr, aber unvermeidlich und war nie anders. Das zwingt uns dazu, Prioritäten zu setzen. Dafür bilden die heutige sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse und die tatsächlich stattfindenden Einsätze den Maßstab, nicht irgendeine Stückzahlkalkulation von 1997. Wenn das Geld nicht für alles reicht, gibt es drei Möglichkeiten, damit umzugehen: erstens, mehr Geld zu besorgen; zweitens, die Strukturen der Realität anzupassen und dabei auch europäisch zu denken; drittens, zu fragen, wo immer noch Mittel verschwendet werden, von der Materialerhaltung über die Infrastruktur bis hin zu Sinnlosbeschaffungen. Das sind die Möglichkeiten, die man hat. Ich empfehle, die zweite und die dritte Möglichkeit nicht zu vernachlässigen. Jetzt möchte ich etwas zum Thema Verschwendung sagen. Die Beschaffung von Zusatzausrüstung für vier vorhandene Airbusse der Luftwaffe, die zur militärischen Luftbetankung eingesetzt werden sollen, kostet uns 210 Millionen Euro. Diese Zusatzausrüstung sollte ab 2003 zur Verfügung stehen. Bis heute ist sie aber nicht über das Versuchsstadium hinaus. In vier oder fünf Jahren müsste allerdings der A400M, der ebenfalls über die Fähigkeit der Luftbetankung verfügt, bereitstehen. Da fragt man sich: Brauchen wir diese Übergangslösung jetzt noch? Müssen wir dieses Geld wirklich zahlen? Anderes Beispiel: P-3C ORION, der Seefernaufklärer der Marine. International fliegen 500 Maschinen dieses Typs. Sie werden weltweit in drei Servicezentren gewartet. Deutschland baut nun ein eigenes viertes Wartungszentrum auf, exklusiv für unsere acht Flugzeuge. Die erste Instandsetzung dauert 14 Monate. Zudem wird es richtig teuer. Für solche Sonderwege haben wir eigentlich kein Geld übrig. Ein dritter Fall: Die Marine wollte ursprünglich auf ein einziges Hubschraubermuster umrüsten, den sagenumwobenen MH-90. Alle diese Hubschrauber sollten auf einem Fliegerhorst stationiert werden, weil das effektiv ist. Gegenwärtig gibt es zwei Hubschraubertypen und zwei Stützpunkte. Weil nun aber immer noch kein Prototyp des MH-90 existiert, werden trotzdem schon einmal alle 43 Hubschrauber - SEA LYNX und SEA KING plus acht ORION - auf einem Platz zusammengefasst. Man baut dann eben fürs Erste Provisorien - man kann auch sagen: Investitionsruinen - und schaut, was die Zukunft bringt. Hauptsache teuer umziehen, war ja lange geplant. Herr Minister, ich meine, das sollten Sie sich noch einmal anschauen. Das gilt auch für das Eurofighter-Programm als solches. Wir Sozialdemokraten meinen, dass die Hälfte der dritten Tranche für Deutschland ausreichend wäre. Wir hätten dann 146 hochmoderne, zweirollenfähige Kampfflugzeuge in vier statt in fünf Geschwadern. Über den Rest der dritten Tranche müsste eine Einigung mit den Partnernationen sowie den Herstellern möglich sein. Das Zauberwort heißt Anrechnung des Exports. Wenn das für Großbritannien und Italien gehen sollte, warum dann nicht für alle, also auch für uns? Weil die alten Preise nicht mehr auskömmlich sind, werden wir neue Verträge beschließen müssen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kampeter?

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Kampeter.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Danke schön, Herr Kollege. - Ich entnehme einer Agenturmeldung, dass Sie die Halbierung der Beschaffung und den möglichen Weiterverkauf der Hälfte der dritten Tranche bereits dem Handelsblatt mitgeteilt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob Sie dem Hohen Hause erläutern können, welche Regelungen für die Nichtabnahme in diesem Vertrag enthalten sind, ob es gegebenenfalls Sanktionen gibt und ob Sie allen Ernstes der Auffassung sind, dass Sie für den Fall des Nichtweiterverkaufs, statt Flugzeuge zu bezahlen, Konventionalstrafe zahlen wollen.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Kampeter, vielen Dank für die Frage, die es uns ermöglicht, das Thema noch etwas zu vertiefen. ({0}) - Genau. ({1}) Ich habe Vertrauen in Regierungen, auch in die britische Regierung, die auf dem Rechtsstandpunkt steht, sie könne 72 Eurofighter aus der von ihr bestellten Gesamtmasse an ein drittes Land weiterverkaufen. Auf diesem Standpunkt steht die britische Regierung. Ich bin gespannt, ob es Sonderlösungen geben wird, um den anderen Partnernationen - auch die Italiener haben ähnliche Vorstellungen - Reduzierungen zu ermöglichen, die wir aus unserer Sicht als Deutsche auch wahrnehmen sollten. Wir wollen gleiches Recht für alle. Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Wir denken, wir kommen heute in unserer Bundeswehr mit weniger Eurofightern aus, aber natürlich mit Eurofightern, den besten momentan verfügbaren Flugzeugen. Es wird also verhandelt werden müssen. Gleiches Recht für alle heißt, unsere Regierung mit der britischen und der italienischen Regierung gemeinsam.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Nun haben sich noch einmal Herr Kampeter und zusätzlich der Herr Kollege Stinner zu einer Zwischenfrage gemeldet. Ich darf Herrn Bartels fragen, ob er auch diese zulässt.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wenn Sie die Reihenfolge geregelt bekommen, dann ja.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Jetzt ist Herr Stinner an der Reihe.

Dr. Rainer Stinner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003640, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bartels, in der von Herrn Kollegen Kampeter angesprochenen Agenturmeldung wird für den Fall, dass die Halbierung nicht eintritt, gesagt, anDr. Rainer Stinner sonsten - Zitat von Ihnen im morgigen Handelsblatt gebe es von der SPD-Bundestagsfraktion keine Zustimmung, Flugzeuge der dritten Tranche abzunehmen. Dem entnehme ich, dass es sich nicht um Ihre persönliche Meinung, sondern um eine in der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgestimmte Meinung handelt. Ich frage Sie, ob das der Fall ist. Herzlichen Dank.

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stinner, die Verträge hat die durch CDU/CSU und FDP gebildete Regierung im Jahr 1997 abgeschlossen. Wir wollen, dass noch einmal über die Gesamtzahl der Flugzeuge und darüber verhandelt wird, was mit der dritten Tranche geschieht. Eine Exportanrechnung auf die Abnahmeverpflichtung der Länder ist eine Möglichkeit. Andere Länder wollen das. Ich denke, wir können es auch wollen. Die Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion hat bereits im Frühjahr auf einer Klausurtagung ein Papier beschlossen, das damals auch veröffentlicht wurde, in dem wir genau diese Position vertreten. Da ich das heute hier in der Debatte so sage, können Sie davon ausgehen, dass wir das in den Ausschüssen entsprechend verhandeln.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Lassen Sie auch noch die zweite Zwischenfrage des Kollegen Kampeter zu?

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Kampeter, bitte schön.

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Bartels, Sie haben meine Frage durch Ihre Sachverhaltsdarlegung charmanterweise nicht beantwortet. Sie lautete: Können Sie dem Hohen Hause einmal darlegen, welche Konventionalstrafe bei Nichtabnahme von Flugzeugen, die Sie laut Pressemeldungen nach Indien oder in die Schweiz weiterverkaufen wollen - also für den Fall, dass Ihnen dies nicht gelingt, zumal es ja noch keine gemeinsame Koalitionsauffassung dazu gibt -, vorgesehen ist? Vor diesem Hintergrund würde ich gerne hören, welche Zahl sich bei Halbierung der Tranche ergibt. Wie soll die Dislozierung aussehen?

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir kennen ja die daran beteiligte Industrie. Ich empfehle, dass wir einmal darüber reden, ob wir beim A400M von der Industrie Konventionalstrafen fordern wollen. Mit der gleichen Industrie reden wir auch darüber, wie das Eurofighter-Programm in Zukunft gestaltet sein soll. Es gibt vertragliche Klauseln, durch die es uns schwer gemacht wird. „Schwer“ bedeutet aber nicht „unmöglich“. Wir müssen jetzt über keine Zahl abstimmen. Ich glaube, wir können eine Lösung finden, die für alle Beteiligten - die Industrie und die vier Nationen - besser ist, als wenn wir das Programm einfach nur durchlaufen lassen würden. Es gibt auch Bedürfnisse der flugzeugbauenden Industrie in Europa, neue Programme auch wieder aus unserem Haushalt und den Haushalten der Partnernationen finanziert zu bekommen. Genauso gibt es das Interesse anderer Länder an Lösungen, die ich auch für uns vorschlage und mir vorstellen kann. Das wird also eine Verhandlungssache sein. Sie haben aber recht: Darüber ist noch keine Einigkeit hergestellt. Wir werden aber darüber reden können. Deshalb sage ich, dass die Beratung über den Haushalt eine gute Gelegenheit dazu bietet. ({0}) Abschließend noch ein paar Sätze zur Wehrpflicht, über die wir an der einen oder anderen Stelle auch schon etwas gehört haben. Wir Sozialdemokraten erkennen an, dass der Verteidigungsminister absolut problembewusst ist. Die Wehrgerechtigkeit ist ein Problem, wenn fast die Hälfte eines Jahrgangs aus gesundheitlichen Gründen ausgemustert wird. Wir glauben aber, dass es keine Dauerlösung sein kann, dann einfach ein paar Tausend Wehrpflichtige außerhalb der Struktur zusätzlich einzuziehen. Die notwendigen Mittel dafür sollten wir lieber in die Verbesserung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr investieren. Hier müssen wir in Zukunft mehr tun. Darüber besteht in diesem Hause große Einigkeit. ({1}) Um die Wehrpflicht, die wir gemeinsam wollen, Herr Minister, auf Dauer verfassungsfest zu sichern, brauchen wir ein neues Wehrpflichtmodell. Die SPD hat Vorschläge dafür gemacht. Lassen Sie uns auf dieser Grundlage einen neuen Konsens finden. Vielen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Ich unterbreche an dieser Stelle die Haushaltsberatungen und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf: - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({1}) auf Grundlage der Resolutionen 1701 ({2}) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms und 1832 ({3}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 27. August 2008 - Drucksachen 16/10207, 16/10240 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Niels Annen Wolfgang Gehrcke - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10241 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Lothar Mark Dr. Gesine Lötzsch Omid Nouripour Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen. Ich mache darauf aufmerksam, dass bei dem darauffolgenden Tagesordnungspunkt über zwei weitere Beschlussempfehlungen ebenfalls namentlich abzustimmen ist, sodass wir heute insgesamt drei namentliche Abstimmungen durchführen werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich von der SPDFraktion das Wort. ({5})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Anwesenheit deutscher Soldaten vor der libanesischen Küste ist nicht selbstverständlich. Angesichts der deutschen Vergangenheit bleibt die Stationierung deutscher Soldaten an Israels Grenzen ein Wagnis. Deshalb lehnten einige Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion vor zwei Jahren den Einsatz deutscher Soldaten ab. Wenige Abgeordnete werden dies heute wieder tun. Ich respektiere deren Entscheidung. Gleichwohl komme ich bei der Gewichtung der Argumente zu einem anderen Ergebnis. Wir wissen, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte nur politisch befriedet können werden. Vorher müssen aber die Waffen schweigen. Nach meinem Verständnis ist die Absicherung der Waffenruhe der Kernauftrag von UNIFIL. Die Mission im Libanon bleibt gefährlich. Rund 50 Soldaten der internationalen Schutztruppe kamen in den vergangenen zwei Jahren ums Leben oder wurden verletzt. Im Südlibanon sterben weiterhin Menschen durch Minen und Streubomben. Das ist das schreckliche Erbe eines Krieges, den unverantwortliche Männer provoziert und geführt haben. Die politische Bilanz von UNIFIL ist gemischt: Der Waffenschmuggel wurde nicht unterbunden, und die Lage an der Blauen Linie bleibt angespannt. Israel hält Gebiete im Libanon weiterhin besetzt und überfliegt libanesisches Hoheitsgebiet. Das Grenzmanagement steckt noch in den Anfängen. Dennoch gibt es Erfolge: Es konnte vor allem ein Wiederaufflammen der Kämpfe verhindert werden, Flüchtlinge kehrten zurück, Kriegsschäden wurden beseitigt und Minen geräumt. Die Menschen müssen nicht stündlich um ihr Leben fürchten. Die Kinder gehen wieder zur Schule. Der mühsame Alltag gewinnt neue Konturen. Die Libanesen hoffen auf eine bessere Zukunft. Das hat UNIFIL nicht allein geschafft. Doch ohne die Friedensmission wären diese Fortschritte kaum möglich gewesen. ({0}) Erst vor wenigen Wochen konnte der Libanon eine gefährliche innenpolitische Krise bewältigen. Zahlreiche blutige Anschläge, die Unfähigkeit gewaltbereiter libanesischer Politiker zum Kompromiss und der Einfluss externer Akteure brachten das Land an den Abgrund eines neuen Bürgerkrieges. Heute hat der Libanon eine begrenzte Stabilität erreicht. Obwohl die Lage angespannt bleibt, sind die Wahl eines Staatspräsidenten und die Bildung einer Allparteienregierung wichtige positive Signale. Die größten Herausforderungen aber bleiben eine handlungsfähige und verantwortungsvolle Regierung in Beirut, der Wille zur Verständigung und die Demilitarisierung des Alltags sowie gewaltbereiter Gruppen. Ich setze große Hoffnungen in den nationalen Dialog und die bevorstehenden Parlamentswahlen. In diesem Zusammenhang möchte ich mit Erlaubnis des Präsidenten einige Kolleginnen und Kollegen aus dem Libanon ganz herzlich begrüßen, die auf Einladung der Bundesregierung im Rahmen des Gästeprogramms unsere heutige Debatte auf der Zuschauertribüne verfolgen. ({1}) Ich freue mich, dass sie gerade zum Thema Wahlrechtsreform bei uns sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Hoffnungen äußern und den Libanon unterstützen. Eine wichtige Voraussetzung für das Aufweichen der Blockaden im Nahen Osten war ein Umdenken in den USA. Nach Jahren der Gleichgültigkeit engagiert sich die Regierung in Washington wieder mit diplomatischen Mitteln und Initiativen. Auch die Verantwortlichen in Washington mussten akzeptieren, dass es ohne Syrien keine Fortschritte geben kann. Die Einladung einer syrischen Delegation nach Annapolis war daher folgerichtig und notwendig. Es war der deutsche Außenminister, der seine amerikanische Kollegin von dieser Geste überzeugen konnte, und es war Frank-Walter Steinmeier, der in Syrien für eine konstruktive Mitarbeit geworben hat. ({2}) Das waren kluge, starke und ausgewogene Botschaften. Sie waren nicht ohne Risiko. Doch eine Außenpolitik, die nur auf schöne Bilder setzt, schafft keine Veränderungen. ({3}) Wenn man sich in der Politik an Kriterien wie Zuneigung/Abneigung oder gut/böse ausrichtet, verleitet dies zu Fehlurteilen, gerade im Nahen Osten. ({4}) In Zeiten neuer Spannungen brauchen wir eine Politik, die zur Entspannung beiträgt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass Frank-Walter Steinmeier von Anfang an die Unterstützung der gesamten Bundesregierung gehabt hätte. ({5}) Vor wenigen Wochen haben Syrien und der Libanon die Absicht geäußert, diplomatische Beziehungen zueinander aufzunehmen; das ist eine gute Nachricht. Mehr noch: Syrien und Israel verhandeln unter Vermittlung der Türkei über Frieden. Hätte die Waffenruhe im Länderdreieck nicht gehalten, wären solche Fortschritte unwahrscheinlich gewesen. UNIFIL hat hier politische Lösungen mit ermöglicht. Bei uns haben einige die Mission allein mit Sicherheitsinteressen Israels begründet. Diese Aussage ist aus meiner Sicht missverständlich und engt den Handlungsspielraum der Politik ein. Zweifellos fördert die Waffenruhe auch die Sicherheit Israels. Aber das Mandat ist ebenso ein Instrument, um die Integrität und die Souveränität des Libanon zu stärken. Ohne UNIFIL hätte Israel die Seeblockade nicht beendet. Erst die internationale Mission hat der libanesischen Innenpolitik neue Spielräume eröffnet. Im Übrigen wird Israel erst dann Sicherheit finden, wenn es mit seinen Nachbarn in Frieden lebt. Dafür braucht es politischen Willen und Mut sowie die Fähigkeit zum Kompromiss auf allen Seiten. UNIFIL ist im Kern eine klassische Blauhelmmission. Das Mandat unterstreicht die Verantwortung der Vereinten Nationen als Hüter der internationalen Sicherheit. Deshalb war ich vor zwei Jahren enttäuscht, als die FDP nahezu geschlossen das Mandat ablehnte. Es waren damals ganz offensichtlich innenpolitische Gründe, die ihr Nein motivierten. Ihr Spielraum, ihr Verhalten heute zu ändern, ist deshalb begrenzt. Das ist bedauerlich; denn UNIFIL hätte eine breite Mehrheit im deutschen Parlament verdient. ({6}) Auch die Linke hätte UNIFIL zum Beginn eines außenpolitischen Lernprozesses machen können. Andere Linksparteien hatten dem Mandat von Beginn an zugestimmt. Im Gegensatz zu Ihnen wissen diese Parteien, dass UN-Friedenstruppen dann sinnvoll sind, wenn sie das Töten stoppen und den Rahmen für Stabilität bilden. Die Linke wird an dieser grundsätzlichen Frage nicht vorbeikommen. Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich nicht im Antimilitarismus. Begrenzte militärische Beiträge können den Aufbau ziviler Strukturen und Mentalitäten erleichtern. Das kann aber nur erkennen, wer verantwortlich handeln will. Doch die Linke ist die Gefangene eines Mannes, der Verantwortung scheut. ({7}) Die Bundeswehrangehörigen, die im Rahmen von UNIFIL ihre Arbeit tun, tragen Verantwortung. Wir können ihnen die Last nicht abnehmen. Wir können aber dazu beitragen, dass die Mission breite Akzeptanz findet. Wenn es dann noch gelingt, zu helfen, den Libanon zu stabilisieren und Frieden im Nahen Osten zu fördern, dann haben wir die Chancen der UNIFIL-Mission genutzt. Deshalb ist die Verlängerung des Mandats um weitere 15 Monate gerechtfertigt. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Vielen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von der FDP-Fraktion. ({0})

Birgit Homburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000952, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir heute über die UNIFIL-Mission sprechen, dann möchte ich zu Beginn für die FDP-Bundestagsfraktion klarstellen, dass wir UNIFIL damals sehr wohl als einen Beitrag zum Waffenstillstand gesehen haben. Wir als FDP haben nicht UNIFIL an sich infrage gestellt; wir haben vielmehr infrage gestellt, ob die maritime Komponente tatsächlich der richtige deutsche Beitrag ist. Das sind die Fragen, die wir stellen. Wir haben gefordert, den Schwerpunkt auf die zivile Unterstützung zu legen. In der Debatte gestern ist deutlich gemacht worden, dass man erreichen will, den Libanon in die Lage zu versetzen, selbst die Seeseite zu sichern. Dafür hat man Unterstützung gewährt. Auch das unterstützen wir als FDP-Bundestagsfraktion, aber wir halten diese Bemühungen bei weitem nicht für ausreichend. Der Bundesverteidigungsminister hat gestern gesagt, dass die Mission erfolgreich war. Ich denke, man muss zwischen dem, was die Soldatinnen und Soldaten tun, und der politischen Bewertung unterscheiden. Die Soldatinnen und Soldaten leisten eine exzellente Arbeit. Sie verdienen Respekt und Anerkennung für die Art ihres Auftretens und für die Erfüllung der Aufgaben. Wir sagen von unserer Seite ein herzliches Dankeschön für diese Arbeit. ({0}) Aber die Wirksamkeit der Mission ist begrenzt, solange es keinen Fortschritt bei der Sicherung der landseitigen Grenzen gibt. Die Hisbollah weist immer wieder darauf hin, dass sie jetzt mehr Waffen hat als vor dem Krieg. Man kann einwenden, dass man auf das, was die Hisbollah sagt, nichts geben muss. Aber in einem UNBericht aus dem letzten Jahr, der nach wie vor Gültigkeit hat, wird eindeutig festgestellt, dass es an der landseitigen Sicherung der Grenzen mangelt und damit dem Waffenschmuggel Tür und Tor geöffnet sind. Hier bedürfte es einer zentralen Unterstützung, um landseitig eine Sicherung aufzubauen. Aber das ist bislang nicht der Fall. Fazit ist, dass die Landseite für den Waffenschmuggel offen wie ein Scheunentor ist und dass der Einsatz auf der Seeseite aus diesem Grund eher wie ein Placebo wirkt. ({1}) Die entscheidende Frage ist, ob die Resolution 1701 erfüllt ist. Das ist bislang bei weitem nicht der Fall. Noch immer führen die Israelis Überflüge über dem Libanon durch. Diese hätten längst eingestellt werden müssen. Ich erwarte, dass die internationale Gemeinschaft dafür deutliche Worte findet. Zudem gibt es keinen Fortschritt bei der Entwaffnung der Hisbollah; das habe ich bereits angesprochen. Auch das ist Bestandteil der Resolution 1701. Es gibt den nationalen Dialog, der gestern eine Rolle gespielt hat. Seit langer Zeit geht es wieder um die Entwaffnung der Hisbollah. Aber ich möchte Sie auf die Regierungserklärung der neuen Regierung im Libanon vom August dieses Jahres aufmerksam machen. In dieser wurde „das Recht des Libanon, seiner Regierung, des Volkes und des Widerstandes zum Gebrauch aller möglichen Mittel, um vom Libanon beanspruchtes Gebiet wiederzuerlangen“, festgelegt. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Hisbollah aus dieser Regierungserklärung das Recht ableitet, ihre Waffen behalten zu dürfen. Das liegt nicht im Interesse der internationalen Gemeinschaft und entspricht nicht der UN-Resolution. ({2}) Das alles zeigt, wie zerbrechlich die Situation ist. Ich komme zum - aus Sicht meiner Fraktion - zentralen Punkt. Die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten darf immer nur das letzte Mittel sein. Wer allerdings Soldatinnen und Soldaten entsendet, hat die Pflicht, in besonderem Maß politisch initiativ zu werden. Aber wir erkennen nicht, dass die Bundesregierung die Initiative ergreift. Fehlanzeige! Wie sieht die politische Situation im Libanon aus? Im Libanon wurde nach einer langen Hängepartie ein Präsident gewählt. Es gibt eine neue Regierung, in der die Hisbollah gestärkt ist und die Opposition eine Sperrminorität hat. Die politische Lage ist weiter fragil. Das zeigen auch die Anschläge in den letzten Wochen. Es gibt einen Hoffnungsschimmer im Verhältnis zu Syrien. Aber nach wie vor ist die Rolle des Iran - auch mit Blick auf Waffenlieferungen an die Hisbollah - völlig ungeklärt. In der Region gibt es in Israel eine Regierung mit Problemen, eine schwache Palästinenserführung und seit Beginn der UNIFIL-Mission eine Trennung in Gaza und Westjordanland, also eine größere Zerrissenheit. International gesehen befinden sich die USA im Wahlkampf. Vom Nahostquartett haben wir schon lange nichts mehr gehört. ({3}) Deswegen gibt es ein Vakuum. Aber dieses Vakuum kann nicht mit Soldatinnen und Soldaten ausgefüllt werden. Es bedarf eines massiven politischen Engagements. Eine nachhaltige Lösung des Nahostkonflikts kann nur ein tragfähiger, umfassender politischer Prozess gewährleisten. Wir fordern daher eine umfassende regionale Friedensinitiative nach dem Vorbild der KSZE, nämlich eine KSZNO. Wir haben dazu immer wieder Anträge eingebracht. Wir sind nach wie vor der Meinung, dass das richtig wäre. Ich fasse zusammen: Solange die Wirksamkeit des Mandats nicht gewährleistet ist und solange der politische Begleitprozess völlig unbefriedigend ist, so lange sieht sich die FDP-Bundestagsfraktion nicht in der Lage, der Verlängerung des Mandats zuzustimmen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Was die Lage im Libanon sowie die Wirksamkeit und den - wenn auch beschränkten - Erfolg der UNIFIL-Mission angeht, beziehe ich mich auf das, was der Kollege Mützenich beschrieben hat. Ich glaube, er hat die Situation einfühlsam und zutreffend dargestellt. Versetzen wir uns in die Zeit von vor zwei Jahren zurück, als wir das erste Mal über das Mandat abgestimmt haben. Wir haben damals angesichts der Schwierigkeiten nicht angenommen - das gilt jedenfalls für die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion sowie des Koalitionspartners im Auswärtigen Ausschuss -, dass das Mandat so erfolgreich sein wird, wie es heute ist. Das kann man bei allen Schwierigkeiten, die hier geschildert worden sind, feststellen. Welches sind die wesentlichen Einwände gewesen, Frau Kollegin Homburger? Es sind nicht diejenigen gewesen, die Sie eben neu vorgetragen haben. Der wesentliche Einwand der FDP vor zwei Jahren ging auf einen verquasten Neutralitätsbegriff und die Sorge zurück, dass Deutschland durch die Entsendung der Marine Partei im Nahostkonflikt werden könnte. Das hat sich eindeutig als falsch erwiesen. Sowohl die israelische Regierung als auch die libanesische Regierung begrüßen das Mandat und unser Engagement und halten es für richtig, dass wir uns nicht nur mit der Bundesmarine auf der Seeseite engagieren, sondern dass wir auch die langsamen Fortschritte bei der Grenzsicherung mit Bundespolizei und anderen unterstützen. Ich fände es gut, wenn die FDP angesichts dieser Entwicklung in der Lage wäre, zu sagen: Die Entwicklung hat sich anders dargestellt, als wir befürchtet haben, und ({0}) deswegen sind wir bereit, zuzustimmen. Ihr Generalsekretär, Frau Homburger, hat Ihrer Fraktion schon vor einem Jahr empfohlen, dem Mandat zuzustimmen, weil diese Entwicklung vor einem Jahr schon abzusehen war. Wenn man einmal die Zustimmung bzw. Ablehnung vonseiten der FDP in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr betrachtet, muss man bedauerlicherweise feststellen, dass Sie gerade die erfolgreichsten Einsätze - nämlich die in Mazedonien, im Kongo und im Rahmen von UNIFIL - ablehnen. Wenn man sich Ihre Zustimmung bzw. Nichtzustimmung zu den Afghanistan-Einsätzen vor Augen führt, erkennt man, dass diese nicht einer klaren Linie folgt, sondern eher der eines Riesenslaloms gleicht. Das ist keine verantwortungsvolle außenpolitische Position. ({1}) Das zweite Argument, das immer zu hören gewesen ist, war das der angeblichen Militarisierung unserer Außenpolitik. Dieses wird mit besonderer Vorliebe von der Linken vorgetragen. Wie man allerdings von einer Militarisierung der Außenpolitik sprechen kann, wenn wir helfen, Waffenschmuggel in den Libanon auf der Seeseite zu unterbinden ({2}) und die Landesgrenze zu sichern, wird auf lange Zeit das Geheimnis der Linkspartei bleiben. Der dritte Einwand ist vor zwei Jahren immer wieder gewesen, dass es keinen politischen Prozess gibt, in den der Einsatz eingebettet ist. Auch wir haben vor zwei Jahren gesagt, dass ein Waffenstillstand - wie der Kollege Mützenich zutreffend ausgeführt hat - Voraussetzung dafür ist, dass dieser politische Prozess beginnen kann. Dieser ist in der UN-Resolution 1701 entsprechend beschrieben. Wir können heute feststellen, dass dieser politische Prozess trotz aller Schwierigkeiten begonnen hat und dass der UNIFIL-Einsatz eine nicht hinwegzudenkende Voraussetzung für diesen politischen Prozess ist. Es gibt im Libanon wieder einen Präsidenten. Es gibt Kontakte zwischen Israel und Syrien sowie zwischen dem Libanon und Syrien. Wir haben die AnnapolisKonferenz, die, wenn Sie die Dinge etwas mehr im Zusammenhang beurteilen würden, Frau Homburger, Ihrem Vorschlag einer Konferenz für den Nahen Osten nach dem Vorbild der KSZE relativ nahe kommt. Wir haben es mit einem schwierigen Prozess zu tun. Deswegen kann ich verstehen, dass der eine oder andere sagt, es ginge ihm nicht schnell genug. Aber gerade in dieser schwierigen Situation brauchen wir Geduld. Das Abkommen von Doha vom 21. Mai dieses Jahres ist ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Prozess. Es ist gelungen, im Libanon eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Der bisherige Kommandant der libanesischen Armee, Michel Suleiman, ist zum Präsidenten gewählt worden. Für die im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen soll ein Wahlgesetz verabschiedet werden. In den innenpolitischen Auseinandersetzungen soll auf Gewalt verzichtet werden, und die Milizen sollen entwaffnet werden. Diese Punkte sind noch nicht alle durchgesetzt, aber sie sind beschlossen, und die wesentlichen innenpolitischen Kräfte im Libanon haben sich auf dieses Abkommen geeinigt und auf diese Prinzipien verständigt. Das ist angesichts der Lage in diesem Land ein deutlicher Fortschritt. ({3}) Man kann nun sagen, die Hisbollah habe sich durch die Verzögerung dieses Prozesses mit ihrer Blockadepolitik durchgesetzt. Ich glaube, dass das nicht ganz richtig ist, sondern dass die Minderheit durch diesen Kompromiss, durch dieses Abkommen, durch diesen Prozess in die Pflicht genommen worden ist und dass das im Libanon geltende Konsensprinzip nicht länger von der Hisbollah gegen das nationale Interesse des Libanon instrumentalisiert werden kann. Wir müssen die Politik der syrischen Regierung weiter kritisch begleiten und Syrien ermutigen, eine konstruktive Rolle in diesem Prozess zu spielen. Es ist richtig, dass es ohne eine konstruktive Rolle Syriens nicht wird gehen können. Deswegen ist es ein gutes Signal, dass Syrien jetzt nach langer Zeit seine Bereitschaft erklärt hat, mit dem Libanon diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Unsere Syrien-Politik ist von zwei wesentlichen Prinzipien geprägt: Zum einen muss das Maß der Kooperation mit Syrien davon abhängen, wie sehr Syrien selber zu einem konstruktiven Beitrag in der Region, insbesondere in Bezug auf seine Beziehungen zum Libanon, bereit ist, und zum anderen: Wenn wir als Europäer Erfolg haben wollen, dann müssen wir bereit sein, Syrien gegenüber mit einer Stimme zu sprechen. ({4}) Es gibt einige Aspekte, die bei allem Positiven genannt werden müssen. Wir erwarten von Syrien die Freilassung der unzähligen libanesischen Gefangenen aus syrischen Gefängnissen, die Aufklärung über das Schicksal der Verschwundenen, die Bereitschaft Syriens, sich aus den inneren Angelegenheiten des Libanon herauszuhalten und die Souveränität des Libanon anzuerkennen. Wie groß das internationale Interesse am Frieden im Libanon ist und wie groß die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft ist, sich an UNIFIL zu beteiligen, zeigt die beeindruckende Liste von 26 teilnehmenden Nationen. Wenn die Linke glaubt, der Bundesregierung, den sie tragenden Fraktionen und in diesem Fall auch den Grünen die Militarisierung der Außenpolitik unterstellen zu müssen, dann kann sie die Frage bei ihren Besuchen in China, in Kroatien, in Mazedonien, in Guatemala, in Malaysia, in Irland, in Indien, in Polen oder in Korea stellen, ob auch diese Nationen tatsächlich an einer Militarisierung ihrer Außenpolitik interessiert sind und sich deswegen an UNIFIL beteiligen. UNIFIL ist eine wichtige Mission, gerade weil der beschriebene Prozess fragil ist, gerade weil dieser Prozess unsere Unterstützung verdient, nicht nur für die Menschen dort - für sie zu allererst -, aber auch deshalb, weil er in unserem Interesse ist; denn die Region liegt - deswegen heißt sie Naher Osten - direkt vor unseren Grenzen. Erneute Kriegshandlungen bedrohen die Sicherheit auch Europas. Deswegen gibt es viele gute Gründe, dieser Mission zuzustimmen. Ich darf noch einmal an die FDP appellieren, es sich zu überlegen und mit Ja zu votieren. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Schönen Dank, Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich will noch einmal die Argumente der Linken zusammenfassen. Ich halte erstens fest: Aus unserer Sicht ging und geht der UNIFIL-Einsatz in Ordnung. Er war notwendig, und ohne diesen Einsatz hätte es den Waffenstillstand wahrscheinlich nicht gegeben. Er war Voraussetzung, um überhaupt miteinander verhandeln zu können. Diese Meinung teile ich völlig. Die Waffen müssen schweigen, damit über Frieden gesprochen werden kann. Das ist die Grundlage dazu. Waffenstillstand heißt aber noch nicht Frieden. Bis dahin ist noch ein gewaltiger Weg zurückzulegen. Selbstverständlich ist die völkerrechtliche Basis für den UNIFIL-Einsatz gegeben. Jetzt gibt es aber bei Ihnen, so meine ich, einen Denkfehler. Nicht jeder Einsatz der Vereinten Nationen, der völkerrechtlich in Ordnung geht, ist auch politisch geboten und politisch sinnvoll. Ein Beschluss der Vereinten Nationen ersetzt nicht das Nachdenken darüber, was man politisch will. Dann muss man die Frage stellen, ob es unter diesen Bedingungen gut ist, dass sich Deutschland militärisch an einem solchen Einsatz beteiligt. Letzteres haben wir verneint. ({0}) Dafür hatten wir sehr gute Gründe, und ich will Ihnen zumindest drei noch einmal vortragen. Kollege von Klaeden und ich kennen uns jetzt so lange, dass er glaubt, immer zu wissen, was ich sagen werde. Das werde ich aber nicht. Du hast dich getäuscht. Ich habe ganz andere Gründe, die ich anführen möchte. Wir haben uns überlegt, dass es gerade für diesen Einsatz im Nahen Osten notwendig wäre, Staaten zu gewinnen, die für beide Konfliktparteien erkennbar neutral sind. Dieses Neutralitätsargument hat gestern heftigen Widerspruch gefunden. Ich will es noch einmal erklären - ich habe gedacht, es erklärt sich von selber -: Deutschland hat immer formuliert, dass es ein besonderes Verhältnis zu Israel hat. Das Verständnis für dieses besondere Verhältnis wird nicht von allen Akteuren in der Region geteilt. Kollege Annen hat mir gestern selbst die Hisbollah vorgehalten, die glaubt, dass Deutschland neutral ist. Hisbollah als Kronzeuge für Deutschland, glauben Sie wirklich, dass das ein überzeugendes Argument ist? Einen überzeugenden Beleg dafür hat die Frau Bundeskanzlerin geliefert. Sie hat in ihrer Begründungsrede gesagt - ich zitiere sie -: Ich sage ganz deutlich: Ja, wir sind nicht neutral und wir wollen auch gar nicht neutral sein. Das stimmt, was sie hier festgestellt hat. Ich glaube, dass man als nicht neutrale Kraft im Nahen Osten nicht mit Militär agieren sollte. ({1}) Unser zweites Argument - ich bitte Sie, auch darüber ein bisschen mehr nachzudenken -: Ich glaube, dass der Einsatz der Bundeswehr im Libanon auch ein Türöffner für künftige Forderungen an Deutschland sein kann, auch bei weiteren Militäreinsätzen im Nahen Osten präsent zu sein. Es kann doch jeder wissen, was sich dort zusammenbraut. Ich sage sehr salopp, aber sehr klar: Aus meiner Sicht hat Deutschland, hat die Bundeswehr im Nahen Osten, an den Grenzen Israels nichts zu suchen. ({2}) Das ist eine sehr wichtige Position. Drittes und letztes Argument. Wir wissen, dass der eigentliche Hintergrund des Libanon-Konflikts ein anderer ist, nämlich der Konflikt Israel/Palästina, der gelöst werden muss. Schon dieser Ausgangspunkt gebietet ein sehr vorsichtiges Agieren. Viele sagen: Der AnnapolisProzess wird scheitern. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, dass er eine Chance hat - was ich glaube und was ich befördern möchte. Dann muss aber auch die Richtigkeit folgender Behauptung geklärt werden - ich habe eine entsprechende Frage an den Herrn Außenminister gerichtet; er beantwortet sie in diesem Parlament nie -: Solange der Iran mit Militäraktionen, mit Krieg bedroht wird, werden wir keine Stabilität in der Region haben. Ich möchte, dass die deutsche Bundesregierung verbindlich sagt: Deutschland will, dass die militärische Option vom Tisch kommt, damit Frieden einkehrt. ({3}) Ein letzter Gedanke - Kollege Mützenich, das, was Sie gesagt haben, hat mich natürlich gereizt und provoziert -: Ich teile Ihre Auffassung, dass sich ein konstruktiver Pazifismus nicht im Antimilitarismus erschöpft. Ich sage Ihnen aber: Ohne Antimilitarismus bekommen Sie überhaupt keinen Pazifismus, schon gar keinen konstruktiven. ({4}) Vielleicht sollten Sie über diesen Aspekt auch einmal selber nachdenken. Danke sehr. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! UNIFIL war notwendig, um den Krieg zwischen Libanon und Israel zu beenden. Der Einsatz der deutschen Bundeswehr auf der Seeseite war die Voraussetzung dafür, dass die Seeblockade gegen Libanon aufgehoben wird. Die Erfolge von UNIFIL sind hier unübersehbar. Die Sicherheit Israels ist größer geworden. Selbst der politische Prozess, der zäh ist, ist ein Stück vorangekommen; viele Vorredner haben darauf hingewiesen. Deswegen glaube ich: UNIFIL und die deutsche Beteiligung daran sind richtig. Sie sind notwendig. Sie sollten fortgesetzt werden. ({0}) Aus dem Argument, dass etwas notwendig ist, aber nicht hinreichend, kann man nicht die Schlussfolgerung ziehen, liebe Frau Homburger, Nein zu sagen. ({1}) Auch ich kritisiere, was die Vereinten Nationen zu Recht feststellen, dass das Grenzmodell zur Sicherung der Landgrenze nicht so vorangekommen ist, wie es übrigens die deutsche Bundesregierung zugesagt und versprochen hat. Nur, was ist das für eine Logik, zu sagen: „Weil man die Landgrenze noch nicht geschlossen hat, öffnen wir die halt die Seegrenze wieder“? Das leuchtet mir in keiner Weise ein. ({2}) Ich habe mir die Mühe gemacht, mir noch einmal die Argumente anzuschauen, die Sie zu Anfang genannt haben. Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender hat zu Recht gesagt - wie alle hier im Hause, glaube ich -: Wir sind gegenüber Israel nicht neutral. - Dann hat er erklärt: Wir müssen aufpassen, ob es zu einer Konfrontation kommen kann, weil wir nicht neutral sind. - Das war Ihr tragendes Argument dafür, Nein zu sagen. ({3}) Er hat dann die Frage gestellt: Kann man eine Konfrontation ausschließen? Dazu sage ich Ihnen: Wir haben jetzt zwei Jahre UNIFIL. Es gibt eine Entwicklung vor Ort, die all die Befürchtungen, die Sie hier geäußert haben, nicht bestätigt, sondern weitgehend widerlegt hat. Da frage ich mich schon, wie es um die außenpolitische Lernfähigkeit der FDP und ihres Fraktionsvorsitzenden bestellt ist. ({4}) Wann nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass Ihre Befürchtungen nicht eingetreten sind? Wann folgen Sie Ihrem geschätzten Generalsekretär - an dieser Stelle klüger - und erklären: „Wir sagen nunmehr Ja. Wir korrigieren unsere Einschätzung. Gott sei Dank - so können Sie ja sagen - sind unsere Befürchtungen nicht eingetreten“? Letzte Bemerkung. Selbstverständlich ist die Situation im Libanon und dort vor Ort nach wie vor nicht zufriedenstellend.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Trittin, ich muss Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen?

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gern.

Dr. h. c. Dirk Niebel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003198, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich stimme Ihnen natürlich ausdrücklich darin zu, dass ich ein kluger Generalsekretär bin, und bitte darum, das im Protokoll hinreichend zu unterstreichen. Ich möchte Sie allerdings fragen, ob Sie bereit sind, das zur Kenntnis zu nehmen: In einer Diskussion im Vorfeld der letzten Mandatsverlängerung habe ich auf Folgendes hingewiesen: Wenn wir die Entscheidung treffen, müssen wir bei einer Verlängerung immer berücksichtigen, dass die Situation dann eine andere ist als bei einer Erstmandatierung. Bei einer Erstmandatierung geht es darum, hinzugehen. Wenn man da sagt „Wir sollten es lassen“ und dieser Meinung weiter folgen möchte, nämlich dass man gegen das Mandat ist, ist das bei einer Mandatsverlängerung konsequenterweise mit dem Weggehen verbunden. Dieser Punkt - darauf wollte ich im Vorfeld der damaligen Entscheidung hinweisen - führte bei dem überwiegenden Teil der Mitglieder meiner Fraktion zu einer Ablehnung dieses Mandats - genau wie heute völlig zu Recht. ({0})

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Herr Kollege Niebel, Sie sind klug, aber in erster Linie Generalsekretär. ({0}) Das ist nicht immer ein einfaches Amt, wie wir bei Herrn Pofalla oder Herrn Hintze - auch Herr Heil erfährt das gerade - immer wieder erlebt haben. Die wesentliche Funktion eines Generalsekretärs ist, bei Kurskorrekturen im Zweifelsfall dafür zu sorgen, dass es nicht so auffällt, dass man eine Kurskorrektur macht. ({1}) Das ist auch undankbar. Ich gebe Ihnen jetzt einen Tipp. Mit der Begründung „Das ist jetzt die Realität; das hat sich so entwickelt“ hätten Sie als FDP Ihre Position ändern können und müssen. ({2}) Ich gebe Ihnen einen weiteren Tipp. Sollten Sie jemals - sagen wir mal: in 10 oder 15 Jahren - wieder in die Situation kommen, nicht auf den Oppositionsbänken zu sitzen, spätestens dann - das garantiere ich Ihnen nehmen Sie diese Kurskorrektur vor. ({3}) Letzte Bemerkung, und zwar zur Kontinuität der heutigen Debatte. Lieber Wolfgang Gehrcke, wenn man sich dazu bekennt, wie ihr gesagt habt, Partei des Völkerrechts sein zu wollen, dann muss man sich klarmachen, was da im Libanon passiert. Eine der herausstechendsten Leistungen, die UNIFIL an Land erbracht hat, war neben der Sicherung der Grenze die Beseitigung der Kriegsschäden, also das Abräumen der Streubombenreste und der Minen. Wer hat das gemacht? Das waren unter anderem Blauhelme aus Spanien und aus China. Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Wer sich zum Völkerrecht bekennt, wer sich zum Primat der Vereinten Nationen bekennt, der darf solche praktische Friedensarbeit - um nichts anderes geht es - nicht in eine Reihe stellen mit Interventionen im Rahmen von Kriegseinsätzen. Das ist nicht zulässig. ({4}) Wer sich zu den Vereinten Nationen bekennt, der muss sich auch zu solcher praktischer Friedensarbeit bekennen und kann in diesem Fall zu UNIFIL und zur deutschen Beteiligung nur Ja sagen. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Monika Knoche.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Angesichts des vollen Hauses mache ich die Kurzintervention auch ganz kurz. Herr Abgeordneter Trittin, Sie hatten gestern und heute die Möglichkeit, dem Redner unserer Fraktion Wolfgang Gehrcke zuzuhören. Er hat ausdrücklich gesagt, dass die Fraktion Die Linke diesen UNIFIL-Einsatz für richtig und notwendig hält. Er hat heute noch einmal ausführlich begründet, warum wir die deutsche Beteiligung an dieser seeseitigen Mission aus historischen und aus aktuellen Gründen ablehnen. Uns daraus einen Strick drehen zu wollen, ist so oberflächlich und so platt populistisch, dass das wirklich nicht greift. Wir sollten uns über Völkerrechtsfragen unterhalten, und zwar dort, wo es am Platz ist. Das werden wir in der Frage des OEF-Einsatzes in Afghanistan tun. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kollegin Knoche, was den Populismus angeht, lasse ich mich von Ihnen gern übertreffen. ({0}) Ich habe sehr genau gehört, was Wolfgang Gehrcke gesagt hat. Sie werden sich aber dieser Frage stellen müssen - wir werden gleich noch einen Tagesordnungspunkt haben, bei dem Sie sich dieser Frage erneut werden stellen müssen -: Was ist das eigentlich für eine Haltung für eines der reichsten Länder der Erde? Wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf: Ihr Kollege hat vorhin kritisiert, dass die Bundesrepublik Deutschland solche Friedenseinsätze wie UNIFIL durch einen Beitrag in Höhe von 500 Millionen Euro an die Vereinten Nationen finanziert. Das hat er hier deutlich und scharf kritisiert und als Militarisierung der Außenpolitik bezeichnet. ({1}) Davon einmal abgesehen, frage ich Sie: Was ist das für eine Haltung, wenn ein wohlsituiertes Land sagt: „Wir finden das okay, dass solche Einsätze stattfinden, wir beteiligen uns aber nicht daran?“ Die Argumente dafür sind schlicht Vorwände. Es ist eine Tatsache, dass keine der Konfliktparteien dort die Anwesenheit von Deutschland kritisiert; die Israelis nicht und die Hisbollah nicht. Die Frage der Neutralität ist eine andere als die, die wir uns stellen. Die Frage der Neutralität wird nicht von einem selbst, sie wird immer von den Konfliktparteien beantwortet. ({2}) Wenn man in einer solchen Situation sagt: „Wir sind nicht dabei, wir überlassen diese Einsätze den Chinesen, den Bangladeschis und anderen“, dann stellt man sich nicht der internationalen Verantwortung. Man stiehlt sich aus dieser internationalen Verantwortung und den damit verbundenen Anforderungen, deren Erfüllung eine große Welt von einem Land wie Deutschland erwartet. Das ist der Kern. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck- sache 16/10240 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon. Zu dieser Abstimmung liegt uns eine persönliche Erklä- rung des Kollegen Winfried Hermann vor.1) Der Aus- schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10207 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kol- legen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Vielleicht ist es möglich, dass die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze einnehmen. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10246. Wer stimmt für diesen Entschlie- ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko- alition bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und FDP abgelehnt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({1}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und weiterer Mandats- 1) Anlage 2 verlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/10106, 16/10242 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Marina Schuster Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({3}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10243 - Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Lothar Mark Dr. Gesine Lötzsch Omid Nouripour b) - Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({5}) zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({6}) auf Grundlage der Resolution 1590 ({7}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksachen 16/10104, 16/10244 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Marina Schuster Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({8}) - Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/10245 Berichterstattung: Abgeordnete Norbert Barthle Lothar Mark Dr. Gesine Lötzsch Omid Nouripour Zu den Anträgen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Ich weise darauf hin, dass wir später über beide Beschlussempfehlungen namentlich abstimmen werden, also zwei namentliche Abstimmungen unmittelbar hintereinander durchführen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich der Kollegin Bruni Irber das Wort gebe, möchte ich jetzt alle Kollegen und Kolleginnen bitten, ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange Sie Ihre Plätze nicht einnehmen, können wir die Aussprache nicht fortsetzen, und umso mehr verschiebt sich auch die namentliche Abstimmung nach hinten. ({10}) Ich gebe das Wort der Kollegin Bruni Irber, SPDFraktion. ({11})

Brunhilde Irber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun zu einem ernsteren Thema. Nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg herrscht im Süden des Sudan heute ein fragiler Waffenstillstand. Menschen, deren gesamtes Leben durch Krieg und Anarchie geprägt war, lernen wieder, in Frieden miteinander zu leben. Auch wenn dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist, zeigen sich doch einige hoffnungsvolle Entwicklungen. Dank der logistischen Unterstützung durch UNMIS konnte im Mai 2008 die lang geplante Volkszählung erfolgreich durchgeführt werden. Das sudanesische Parlament hat im Juli 2008 ein grundlegendes Wahlgesetz verabschiedet. Damit sind die beiden wichtigsten Vorbedingungen für die landesweiten Wahlen im kommenden Jahr erfüllt. Wir sind heute an einem Punkt, von dem wir im letzten Jahr noch nicht wussten, ob wir ihn jemals erreichen würden. Trotz der jüngsten Kämpfe um die Ölstadt Abyei besteht heute die Chance, dass die Menschen im Sudan im nächsten Jahr erstmals demokratisch über ihre Zukunft abstimmen können. Auch der Aufbau der südsudanesischen Verwaltung und die Reform des Sicherheitssektors gehen voran. Tausende von Flüchtlingen sind in den Südsudan zurückgekehrt. Entsprechend groß ist der Bedarf an Unterstützung für den Aufbau der Wasser- und Energieversorgung, von Schulen und Krankenhäusern sowie für den Aufbau staatlicher Strukturen. Es gilt, in diesen Bereichen möglichst rasch für die Bevölkerung greifbare Fortschritte zu erzielen, um eine Friedensdividende sichtbar zu machen. ({0}) Das ist wichtig, um einen Rückfall in den Bürgerkrieg zu verhindern. UNMIS hat sich dabei in den vergangenen Jahren als verlässliche Kraft und als Stabilitätsanker erwiesen. ({1}) Mit ihrer Beteiligung an UNMIS zeigt die Bundesregierung, dass sie bereit ist, aktiv am Friedensprozess mitzuarbeiten. In Verbindung mit den großzügigen finanziellen Beiträgen für den Nord-Süd-Friedensprozess ist Deutschland zu einem der wichtigsten Unterstützer für eine politische Lösung im Sudan geworden. ({2}) Ich freue mich, wenn wir diese Vorreiterrolle auch weiterhin ausüben können, und bitte dafür um Unterstützung. ({3}) Im Gegensatz zum Südsudan gibt es über die Krisenprovinz Darfur nach wie vor nichts Erfreuliches zu berichten. Auch wenn ich die Hoffnung hege, dass sich die positive Entwicklung im Südsudan mittelfristig stabilisierend auf die Bürgerkriegsregion Darfur auswirkt, so bleibt die aktuelle Situation leider weiterhin katastrophal. Ich möchte daher hier und heute die Gelegenheit nutzen, um für eine weitere Beteiligung deutscher Soldaten in der Friedensmission UNAMID zu werben. Das ist mir besonders wichtig, weil im Zusammenhang mit dem verzögerten Aufwuchs der Mission auch immer wieder Kritik an der geringen Präsenz deutscher Soldaten geübt wird. Die Kritik ist verständlich; doch sie beruht auf einem Missverständnis, das ich ausräumen möchte. Laut Bundestagsmandat können bis zu 250 Soldaten in Darfur stationiert werden. Zu ihren Aufgaben gehört der Lufttransport von UNAMID-Einsatzkräften; das heißt, sie sind für das Einfliegen von Truppen und Material anderer Staaten zuständig. Für diese Aufgabe hat die Bundeswehr erhebliche logistische und technische Kapazitäten bereitgestellt. Da das Einfliegen von Truppen anderer Staaten aber bislang unterblieb, sind die von Deutschland bereitgestellten Kapazitäten nicht in Anspruch genommen worden. Ein weiteres Problem besteht in der andauernden Behinderung unserer Einsatzkräfte durch die Regierung Baschir. Infolge der ständigen Verschleppung der Visabearbeitung, der Nichterteilung notwendiger Start- und Landeberechtigungen sowie der Blockade der Nachschubwege bleibt unser Beitrag weit hinter unseren Kapazitäten zurück. In Anbetracht dieser Tatsachen halte ich den Vorwurf mangelhaften Engagements für ungerechtfertigt. ({4}) Dass die Bundesregierung gewillt ist, aktiv zur Stabilisierung der Provinz Darfur beizutragen, zeigt sich an der Entsendung von Polizeikräften in die Region. Seit Anfang des Jahres bereiten deutsche Polizeitrainer, alle mit Afrika-Erfahrung, ihre Kollegen aus Ghana, Senegal, Bangladesch und Sambia auf ihren Einsatz vor. Darüber hinaus unterstützt das Auswärtige Amt die Ausbildung afrikanischer Polizisten im Kofi-Annan-PeacekeepingTraining-Center in Ghana. Eine weitere finanzielle Unterstützung für UNAMID-Polizeikontingente ist geplant. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist bewusst, dass diese beiden Missionen im Sudan keine idealen Instrumente zur Überwindung der dortigen Krise sind. Trotzdem möchte ich eines zu bedenken geben: Zur Flankierung aller politischen Lösungsversuche sind die beiden Missionen ohne Alternative. ({5}) Ohne eine politische Lösung, ohne die Unterstützung des Comprehensive Peace Agreement wird es keinen dauerhaften Frieden in der Region geben. Im Namen der Menschen in Darfur und im Südsudan bitte ich Sie daher um Zustimmung zu den beiden Mandaten für die weitere Beteiligung deutscher Soldaten. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 4 und gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon bekannt, Drucksachen 16/10207 und 16/10240: abgegebene Stimmen 507. Mit Ja haben gestimmt 451, mit Nein haben gestimmt 101, Enthaltungen 9. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 567; davon ja: 451 nein: 107 enthalten: 9 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({8}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({25}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({26}) Doris Barnett Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({27}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({28}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Günter Gloser Angelika Graf ({29}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({30}) Nina Hauer Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({31}) Frank Hofmann ({32}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({33}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({34}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({35}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Marko Mühlstein Gesine Multhaupt Franz Müntefering Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({36}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({37}) Michael Roth ({38}) Marlene Rupprecht ({39}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({40}) Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({41}) Silvia Schmidt ({42}) Renate Schmidt ({43}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({44}) Carsten Schneider ({45}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({46}) Swen Schulz ({47}) Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({48}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Gudrun Kopp Markus Löning BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({49}) Volker Beck ({50}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Priska Hinz ({51}) Ulrike Höfken Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Markus Kurth Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({52}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Brigitte Pothmer Claudia Roth ({53}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein SPD Gregor Amann Klaus Barthel Renate Gradistanac Dr. Reinhold Hemker Petra Hinz ({54}) Ernst Kranz Dirk Manzewski Detlef Müller ({55}) Rüdiger Veit Waltraud Wolff ({56}) FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({57}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Joachim Günther ({58}) Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({59}) Detlef Parr Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({60}) DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Dr. Barbara Höll Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({61}) Volker Schneider ({62}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Monika Lazar Dr. Harald Terpe fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer SPD Dr. Peter Danckert Gabriele Hiller-Ohm Sönke Rix Ortwin Runde Ewald Schurer FDP BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Winfried Hermann Hans-Christian Ströbele ({63}) Ich gebe das Wort der Kollegin Marina Schuster, FDP-Fraktion. ({64})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nach wie vor einige kritische Punkte bei den Mandaten für den Sudan. Ich habe gestern ohne Umschweife und auch in großer Deutlichkeit auf diese Punkte hingewiesen. Denn es ist mir besonders wichtig, dass wir nicht blauäugig sind, was die politische Entwicklung dort betrifft, und dass wir uns klar sind, was auf uns zukommen wird. Bei aller Kritik, die ich vorgetragen habe, sehe ich aber auch, dass es keine Alternative zu den Einsätzen gibt. Beide Mandate - gerade das UNAMID-Mandat sind vom Charakter her vorwiegend humanitär. Es ist sehr wichtig, den kriegsgebeutelten Flüchtlingen einen Minimalschutz zu bieten. Leider ist dieser Schutz nicht so, wie er sein sollte, und leider ist er auch sehr löchrig. Eines dürfen wir nicht verkennen: Der Einsatz wird in schwierigen Zeiten stattfinden. Ich warne davor, zu glauben, man hätte das Gröbste schon hinter sich. Wenn wir uns zum Beispiel den Nord-Süd-Friedensvertrag anschauen, dann kann man zwar sehen, dass einige Entwicklungen stattgefunden haben. Es gibt aber große Befürchtungen; diese hat auch der Herr Außenminister gestern im Ausschuss geäußert. Denn je näher das Referendum heranrückt, desto gefährlicher wird die Situation werden. Viele Fragen sind noch nicht geklärt, zum Beispiel Fragen der Grenzziehungen und die Frage, wie der Ölreichtum aufgeteilt werden soll. Es ist nach wie vor ein Pulverfass. Wenn die Lage vor Ort gefährlicher wird, dann wird auch für die Soldaten, die bei UNMIS und UNAMID ihren Dienst tun, die Situation gefährlicher. Deswegen ist es unsere oberste Pflicht, dem entgegenzuwirken, bei der Umsetzung der Wahlgesetze und der Schaffung organisatorischer Voraussetzungen mitzuhelfen, aber auch internationale Wahlbeobachter vorzubereiten. ({0}) Hier ist die Bundesregierung gefragt. Hier ist sie gefordert, diesen Prozess in Gang zu bringen und zu unterstützen. Denn eines ist klar: Sicherheit für die Bevölkerung muss Hand in Hand mit politischen Initiativen gehen. Was den Aufbau von UNAMID betrifft - meine Vorrednerin hat es angesprochen -: Er ist wahrlich kein Ruhmesblatt für die internationale Gemeinschaft; er ist ein Armutszeugnis. ({1}) Viele fragen sich auch, warum es denn so lange dauert, die erforderliche Zahl von 26 000 Soldaten und Polizisten zusammenzubekommen. Ein Grund dafür sind - Kollegin Irber hat dies schon angesprochen - die Behinderungen der sudanesischen Regierung. Der andere Grund ist, dass die einzelnen Länder nicht bereit sind, Kontingente zu stellen. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen. Beides können wir nicht länger hinnehmen. Auch hier sind Initiativen der Bundesregierung gefragt. Noch viel wichtiger ist, dass wir aktiv werden, um den politischen Prozess, den es noch nicht gibt, in Gang zu setzen. Wo ist denn der Darfur-Darfur-Dialog? Das Darfur Peace Agreement ist nicht tragfähig. Es stand von Anfang an auf schwachen Füßen angesichts der Tatsache, dass nur eine Rebellengruppe unterzeichnet hat. Nach einer weiteren Zersplitterung haben wir es jetzt mit 20 bis 30 Rebellengruppen zu tun. Es ist zu fragen: Mit welchen Gruppen muss verhandelt werden? Sind die Gruppen überhaupt bereit, Vereinbarungen einzuhalten, und in der Lage, diese Vereinbarungen durchzusetzen? Für eine politische Lösung, die von der Bevölkerung, der Regierung und den vielen Rebellengruppen akzeptiert wird, läuft uns die Zeit davon. Umso wichtiger ist es, dass die Bundesregierung tätig wird. Wir haben heute im Ausschuss erfahren, dass die Bundesregierung Gespräche führt, auch auf China einwirkt. Das sind aber bei weitem nicht die einzigen Gesprächspartner. In der jetzigen Situation ist es besonders wichtig, die Nachbarländer und die anderen Staaten in der Region einzubeziehen. Die unterschiedlichen Interessen müssen berücksichtigt werden. Die Bundesregierung hat die Pflicht, in der internationalen Gemeinschaft auf eine Lösung zu drängen und neue Initiativen anzumahnen. Als Parlamentarier haben wir das Recht, genau zu erfahren, wie und wo deutsches Personal eingesetzt wird. Aus einem Brief war zu erfahren, dass acht Offiziere für UNAMID eingesetzt werden sollen. Nach meinem Kenntnisstand ist derzeit kein einziger vor Ort. Wenn wir dem vorgelegten Antrag trotz der Kritikpunkte zustimmen, dann müssen wir im Sinne unserer Soldaten allerdings klipp und klar erfahren, welche weiteren Pläne die Bundesregierung hat, wie der Zeitplan aussieht und welche eigenen Initiativen sie einbringen will. Diesbezüglich sind einige Fragen offen. Der Herr Außenminister hat richtigerweise gesagt: Deutschland ist im Sudan kein „Major Player“. Das darf aber keine Ausrede dafür sein, dass wir nicht alle Hebel in Bewegung setzen. Sonst wird die Situation noch schlimmer. Der gesamte Sudan würde uns auf die Füße fallen, und wir würden einen Flächenbrand noch größeren Ausmaßes erleben. Das müssen wir verhindern. Wir müssen die Bundesregierung in die Verantwortung und in die Pflicht nehmen. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Ihnen das berichtigte Ergebnis der namentlichen Abstimmung mitteilen - das war vorhin für mich nicht gut lesbar -: abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 451, mit Nein haben gestimmt 107, Enthaltungen 9. Die Be- schlussempfehlung ist damit angenommen.1) Jetzt gebe ich das Wort der Kollegin Anke Eymer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anke Eymer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000509, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Wir führen eine Debatte über die Verlängerung der deut- schen Beteiligung an zwei internationalen Missionen im Sudan, UNMIS und UNAMID. Der Sudan, Afrikas größter Flächenstaat, ist Schau- platz einer der größten humanitären Katastrophen. Wa- rum ist der Sudan für uns ein so wichtiges Land? Zu der großen humanitären Herausforderung kommt hinzu, dass der Sudan ein Land mit großen Energieressourcen ist. Der Sudan ist darüber hinaus eine Schnittstelle zwi- schen dem arabisch-muslimischen Einflussgebiet und dem schwarzafrikanischen Teil des Kontinents. Der Su- dan ist aber auch ein Land, das seit Jahrzehnten unter Bürgerkriegen und deren Folgen leidet. Der Sudan wird von einer offensichtlich skrupellosen Regierung immer tiefer in eine Zerreißprobe geführt. Nachbarstaaten wie der Tschad oder die Zentralafrikanische Republik dro- hen, in diesen Sog der Gewalt hineingerissen zu werden. Die Frage, wie der Konflikt gelöst und Frieden erreicht werden kann, betrifft die gesamte Region. Vor allem geht es aber darum, dass viele Menschen unter der katastrophalen humanitären Situation, unter der schlechten Versorgung und unter ständig stattfinden- den Gewaltverbrechen leiden. Zu einem wesentlichen Teil hat dies die Regierung unter Präsident al-Baschir zu verantworten. Er meint, sich aus der Verantwortung ge- 1) Abstimmungsliste siehe Seite 18729 Anke Eymer ({0}) genüber den Vereinten Nationen und der Gemeinschaft der afrikanischen Länder herauslavieren zu können. Das Handeln der internationalen Gemeinschaft ist alternativlos. Unsere Beteiligung an UNMIS und UNAMID ist wichtiger Teil der deutschen Gesamtanstrengungen für Frieden im Sudan. ({1}) Am 22. April 2005 hat der Deutsche Bundestag der deutschen Beteiligung an UNMIS zugestimmt und das Mandat seitdem regelmäßig verlängert. Unsere heutige Zustimmung zum Regierungsantrag ermöglicht den Einsatz bis zum 15. August nächsten Jahres. An dem internationalen Einsatz sind knapp 20 000 Soldaten und mehr als 3 500 Polizisten beteiligt. Diese Mission unterstützt die Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi. Die Bedrohung im Südsudan ist immer noch erheblich, wie die Übergriffe im März dieses Jahres gezeigt haben. Eine Bewährungsprobe für die Bereitschaft der Konfliktparteien zu einer friedlichen Lösung sind die Festlegung des Grenzverlaufs und die Parlamentswahlen im kommenden Jahr. Am Ende des Friedensprozesses wird in einem Referendum über die mögliche Unabhängigkeit des Südsudan entschieden. Auf diesem Weg ist UNMIS ein unverzichtbarer Faktor für Stabilität. Unsere deutschen Kräfte haben unter schwierigen Bedingungen bisher sehr gute Arbeit geleistet. An dieser Stelle sage ich ihnen unseren herzlichen Dank. ({2}) Zu den Kernaufgaben gehört der Beitrag zur Entwaffnung und Demobilisierung. Dazu kommen ein Programm zur Wiedereingliederung der ehemaligen Kombattanten sowie das Räumen von Minen und der Aufbau einer zivilen Polizei. Obwohl es sich hier um zwei unterschiedliche Missionen handelt, stehen UNMIS und UNAMID inhaltlich in einem engen Zusammenhang. Ein erfolgreicher Friedensprozess im Nord-Süd-Konflikt wird auch Einfluss auf die Krise in Darfur haben. Am 15. November des vergangenen Jahres haben wir hier im Hause mit großer Mehrheit beschlossen, dass sich Deutschland mit bis zu 250 bewaffneten Einsatzkräften an der Hybridmission der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union, UNAMID, beteiligt. Diesen Rahmen haben wir bisher noch nicht ausgeschöpft. Die Entwicklung von UNAMID gestaltet sich schwieriger, als wir es gewünscht und erwartet haben. Wichtig ist: UNAMID hat ein afrikanisches Gesicht. Die Masse der truppenstellenden Nationen sind afrikanische Länder. Dieses große Engagement Afrikas ist ein wichtiges Element für die Akzeptanz der Mission vor Ort. Der von uns heute zu fassende Beschluss verlängert das Mandat, wie schon gesagt, bis zum 15. August 2009. Der deutsche Einsatz hat Anteil an strategisch wichtigen Bereichen der Mission. Es geht um strategischen Lufttransport, um unsere Beteiligung an der Arbeit der Stäbe und Hauptquartiere, um die Wahrnehmung von Verbindungs- und Beratungsfunktionen und um wichtige technische Hilfe bei der Ausrüstung und bei der Ausbildung. Damit unterstützen wir andere truppenstellende Nationen, die diese Kapazitäten nicht haben, und leisten gleichzeitig einen unverzichtbaren Beitrag. ({3}) Die Vereinten Nationen berichten, dass mehr als 4,5 Millionen Menschen auf Hilfe von außen angewiesen sind. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich auf über 2,5 Millionen Menschen. Fortdauernde schwere Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen und räuberische Überfälle behindern zunehmend die Arbeit der Hilfsorganisationen. Die Lage in der Krisenregion Darfur ist so kritisch geworden, dass Hilfsorganisationen ihre Arbeit teilweise einstellen müssen und dass UNPersonal abgezogen werden muss. Neben Lebensmitteln und Wasser werden vor allem Schutzmaßnahmen sowie weitere umfassende Betreuung dringend benötigt. Das Darfur-Friedensabkommen von 2006 ist nicht mehr das Papier wert, auf dem es steht. Eine politische Lösung im Darfur-Konflikt - anders als im Nord-SüdKonflikt - ist nicht in Sicht. Dennoch müssen die politischen Gespräche dringend fortgesetzt werden, um zu einer neuen tragfähigen Friedensvereinbarung zu kommen. Den beiden vorliegenden Regierungsanträgen nicht zu folgen und die deutschen Einsätze nicht zu verlängern, wäre unverantwortlich. Es gibt zu diesen beiden Missionen keine sinnvolle Alternative. Dass militärische Missionen allein nicht genügen, um einen verlässlichen Frieden zu erzielen, ist klar. Bei unserer Bereitschaft, Verantwortung in der Welt zu übernehmen, werden wir aber auch in Zukunft nicht ausschließen können, dass militärische Komponenten dazugehören. Daher bitte ich Sie um Unterstützung der beiden Regierungsanträge. Sie tragen dazu bei, dass einer der großen Krisenregionen Afrikas eine Zukunftsperspektive gegeben wird. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin-Kenan Aydin, Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Krieg in Darfur ist mit der Sommeroffensive der Regierung in eine neue, verschärfte Runde gegangen. Luftangriffe, Kämpfe und gezielte Gewalt aller bewaffneten Gruppen gegen die Zivilbevölkerung haben eine neue humanitäre Katastrophe heraufbeschworen. Die Gründe für die neue Eskalation sind vielfältig. Die Regionalisierung des Konflikts, die fortschreitende Zersplitterung der Konfliktparteien und die mangelnde Gesprächsbereitschaft der Akteure sind die wichtigsten internen Gründe. Externen Friedensbemühungen fehlten tragfähige Konzepte, politischer Wille und Geschlossenheit. Vor diesem Hindergrund ist die schlecht ausgestattete Hybridmission von AU und UNO, UNAMID, fast zwangläufig zwischen die Fronten geraten. Auch im Süden eskalierten im Mai Gefechte zwischen der Regierungsarmee und der SPLM, die sich an der umstrittenen Grenzziehung in der ölreichen Abyei-Region entzündeten. Die vorerst entschärfte Krise hat uns die Instabilität des im Jahre 2005 initiierten Friedensprozesses zwischen Nord und Süd klar vor Augen geführt. Die Lage im Sudan ist der Bundesregierung bekannt. Doch die heute zur Abstimmung vorliegenden Anträge zu UNAMID und UNMIS zeigen, dass sie falsche Schlussfolgerungen gezogen hat. Die Linke wird keinem der Anträge zustimmen; denn beide stehen für ein militärisches „Weiter so“. Die veränderten politischen Bedingungen wurden nicht ausreichend reflektiert. In Bezug auf UNMIS vermissen wir ein angepasstes Konzept zur Unterstützung des Friedensprozesses, der in seine entscheidende und kritische Phase tritt. Unsere Ablehnung des UNAMID-Antrags ist grundlegender. Hier fehlt jeder Hinweis darauf, wie sich die Mission in eine politische Konfliktbearbeitungsstrategie einfügen soll. Damit ist die entscheidende Voraussetzung nicht erfüllt. Denn durch Militäreinsätze, auch durch solche mit UNO-Mandat, werden Konflikte nicht gelöst. ({0}) UNAMID trägt nicht zur Lösung des Darfur-Konflikts bei. Daran wird auch eine Aufstockung der Mission nichts ändern. Denn ihre entscheidenden Probleme sind die fehlende politische Grundlage und die mangelnde Akzeptanz durch die Konfliktparteien. ({1}) Das Darfur-Friedensabkommen von 2006, das von wichtigen Rebellengruppen nie unterzeichnet wurde, ist politisch tot, und die seither eingeleiteten Vermittlungsprozesse sind gescheitert. Die Blockadeversuche des Baschir-Regimes und die zunehmenden Angriffe von Rebellengruppen und Milizen belegen, dass UNAMID vor Ort als Kriegspartei wahrgenommen wird. Daher ist eine Fortsetzung des Einsatzes aus unserer Sicht kontraproduktiv. ({2}) Der Linken und der Friedensbewegung wird wegen der Ablehnung von Kriegseinsätzen oft Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Ich sage Ihnen aber: Verantwortung zu übernehmen heißt, die nötigen Konsequenzen aus dem gescheiterten militärischen Engagement zu ziehen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon unterstrich in seinem letzten Missionsbericht, dass UNAMID kein Ersatz für einen politischen Prozess sein darf. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Initiative zu ergreifen und den politischen Prozess wiederzubeleben. Zu unseren Forderungen gehören Waffenstillstands- und Friedensgespräche auf der nationalen, der regionalen und der lokalen Konfliktebene, in denen auch zivilgesellschaftliche Kräfte Gehör finden; hier gibt es bereits Bewegung. Unerlässlich sind eine verbesserte Verzahnung und Koordination der Initiativen durch permanent tätige Vermittler der AU und der UNO sowie die stärkere Einbeziehung der Arabischen Liga. Vermittlung erfordert glaubwürdigen politischen Druck auf Rebellenführer, Regierungsmitglieder und Militärs. In diesem Zusammenhang plädiere ich in Übereinstimmung mit Kräften der sudanesischen Opposition für ein vorläufiges Aussetzen weiterer Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofes gegen al-Baschir. ({3}) Dies ist nach Art. 16 der Römischen Statuten zulässig und politisch geboten, wenn sich al-Baschir in Richtung Friedensprozess bewegt. Parallel zu den Friedensgesprächen muss unter Beteiligung lokaler Kräfte ein Entwicklungsplan für den gesamten Sudan erarbeitet werden, um die sozioökonomischen Konfliktursachen zu überwinden. Meine Damen und Herren, Betätigungsfelder für ein aktives und wirksames friedenspolitisches Engagement im Sudan gibt es genug. Die Beteiligung an UNAMID gehört nicht dazu. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Aydin, da Sie, obwohl Sie zu den Enthaltern Ihrer Fraktion gehören, doch wieder die gesamte Antikriegsrhetorik bemüßigt haben, kann ich es Ihnen nicht ersparen, zu Beginn kurz aus einem Brief zu zitieren, den Ihr Kollege, Herr Schäfer, nach einer Reise in den Sudan an Sie alle geschrieben hat, und zwar zu den UNMIS- und UNAMID-Mandaten. Dort heißt es: Die UNMIS-Mission hat dort erheblich zur Stabilisierung des Friedensprozesses … beigetragen. Ihre Präsenz wird wohl auch in den nächsten Jahren notwendig sein, da die Sicherheitslage nach wie vor sehr labil ist. Es heißt: Eine Verlängerung des UNMIS-Mandats erscheint … unproblematisch. Kerstin Müller ({0}) ({1}) Er begründet in diesem Brief übrigens - auch das will ich nicht verheimlichen - seine Enthaltung damit, „eine kategorische Ablehnung von UNMIS ist gerade unter friedens- und abrüstungspolitischen Vorzeichen nicht zu begründen und nicht zu verantworten.“ Meine Damen und Herren, dem können wir nur aus vollem Herzen zustimmen. ({2}) Ich denke, diese Rhetorik ist hier völlig fehl am Platze. Wir müssen uns mit der Lage im Sudan auseinandersetzen. Meine Fraktion wird den Anträgen der Bundesregierung zustimmen. Wir halten die Mandate für einen notwendigen, aber in keinem Fall für einen hinreichenden Beitrag - das sage ich auch sehr deutlich -, um das Leiden der Menschen in Darfur endlich zu beenden. UNAMID kann die Menschen vor allen Dingen in Darfur immer noch nicht schützen, weil die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung ihre Zusagen nicht einhalten und der Aufbau zu schleppend vorangeht. An dieser Stelle muss ich leider auch etwas zu dem deutschen Beitrag sagen, der sich in der Theorie - wir stellen für UNAMID 250 Soldaten und Lufttransporte gut anhört, in der Praxis aber leider nicht viel mehr als ein symbolischer Beitrag ist. In dem Brief vom August, den der Außenminister und der Verteidigungsminister an die Fraktionsvorsitzenden geschrieben haben, wird uns berichtet, dass ein deutscher Soldat als Transportplaner seinen Dienst im UNAMID-Headquarter in al-Faschir tut. Es wird ausgeführt: Damit wird Deutschland unter den europäischen Nationen zu den größten Truppenstellern gehören. Das ist leider nicht zum Lachen. Ich finde, das ist - um mit den Worten von Kofi Annan aus einem Interview der vergangenen Woche zu sprechen - angesichts von Völkermord und der verheerenden Situation in Darfur beschämend. ({3}) Es kann doch nicht sein, dass in einer solchen Situation weder die Europäer noch die Mitglieder des Sicherheitsrates noch andere Mitglieder der UNO, die alle diese Mission beschlossen haben, in der Lage sind, den Aufwuchs dieser Mission zu gewährleisten. Sie sind noch nicht einmal in der Lage, zwölf dringend benötigte Hubschrauber zur Verfügung zu stellen. Das darf nicht sein. Wir fordern, dass das endlich passiert. ({4}) Kofi Annan hat der internationalen Gemeinschaft mangelnden politischen Willen vorgeworfen. Wir brauchen endlich Gespräche mit den Partnern, wie die Stationierung von UNAMID vorangehen kann. Wir brauchen aber auch endlich - da gebe ich Frau Kollegin Schuster recht - den Dreiklang aus Friedensmission, Waffenstillstand und Friedensgesprächen. Uns ist völlig klar, dass eine Friedensmission allein keinen Frieden schaffen wird. Das behauptet übrigens niemand und hat auch niemand behauptet. Wir fordern aber - und das ist wichtig -, dass dieser Friedensprozess endlich wieder aufgenommen wird; denn das DPA, das Friedensabkommen für Darfur, wird allgemein als gescheitert betrachtet. Deshalb brauchen wir ganz dringend einen neuen Anlauf. Ich glaube - Fachleute sagen das auch -, dass es im Moment aus verschiedenen Gründen ein Window of Opportunity gibt, unter anderem übrigens auch aufgrund des Haftbefehls gegen al-Baschir. Dies ist meines Erachtens ein richtiger und konsequenter Schritt. ({5}) Ich sehe auch die Schwierigkeit; ich weiß, dass dies zu mehr Spannungen im Land und im Verhältnis zum Sudan geführt hat. Von den Befürchtungen ist aber nicht viel wahr geworden. Es ist sogar eine neue Dynamik entstanden, durch die der Verhandlungsdruck auf die Konfliktparteien erhöht werden kann. Ich meine, dass die internationale Gemeinschaft dieses Window of Opportunity endlich nutzen muss. Wir fordern, dass sich die Bundesregierung innerhalb der UNO und auch im Rahmen des in Lissabon beschlossenen EU-Afrika-Dialogs für eine neue SudanFriedensinitiative einsetzt und sich vielleicht einmal überlegt, einen Sudan-Beauftragten einzusetzen, wie es andere Länder schon lange getan haben. Es geht hier um Völkermord, um die schwerste humanitäre Krise weltweit. Die Menschen werden seit 2005 alleingelassen. Wir brauchen mehr Engagement. Wir dürfen das nicht zulassen; wir müssen diesen Völkermord beenden. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Paul Schäfer das Wort.

Paul Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003833, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Müller, vielen Dank, dass Sie meine Position hier zitiert haben. Man ist ja immer froh, wenn die eigene Position bekannt gemacht wird. Lassen Sie uns einmal zwischen UNAMID und UNMIS unterscheiden. Zu UNAMID. Ich bin der festen Überzeugung, dass es nicht sinnvoll ist, in einer Situation, in der es keinen vereinbarten Friedensschluss gibt, Truppen in das Land zu schicken, die nicht klar wissen, was ihr Auftrag ist. Bei unserem Besuch im Sudan vor drei, vier Wochen wurde uns in Khartoum von einer Reihe von Gesprächspartnern bestätigt, dass man sich nicht in solche Situation begeben sollte. Paul Schäfer ({0}) Zu UNMIS. Sie haben recht, dass es diesbezüglich einen Diskussionsprozess innerhalb der Linken gibt. Mir wäre es sehr lieb, wenn auch in anderen Fraktionen über diese Frage, bei der es um den Einsatz militärischer Mittel geht, so intensiv diskutiert würde und man sich mit der Entscheidung sehr schwer tun würde. Es wäre ja auch einmal interessant, wenn die Positionen von Herrn Gauweiler und Herrn Wimmer in der Union ausführlich erörtert und hier zur Sprache gebracht würden. ({1}) Sie haben meine Position, die sich auch in meinem Abstimmungsverhalten niederschlagen wird, korrekt wiedergegeben. Ich sage Ihnen aber: Mir ist es lieber, wenn sich eine Fraktion in dieser Frage verdammt schwer tut und sagt, dass sie selbst bei so kleinen Punkten aufpassen muss, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten und dann zu denjenigen zu gehören, die zu Militärinterventionen immer wieder Ja sagen. Dass wir an dieser Stelle erst einmal ein striktes und sehr fundamentales Nein sagen, ist mir verdammt sympathisch. Das wollte ich an dieser Stelle einmal gesagt haben. Danke. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schäfer, damit Sie mich nicht missverstehen: Ich finde diese Debatte absolut notwendig. Ich denke, dass ich für alle hier sagen kann, dass wir es uns bei den Mandatserteilungen und -verlängerungen nicht leicht machen. ({0}) Es ist und bleibt eine Gewissensentscheidung. Jeder und jede überlegt und wägt ab, was die richtige Entscheidung ist, die man persönlich verantworten kann. Noch einmal zu UNMIS und UNAMID. Da es hier um eine Entscheidung im Einzelfall geht, verstehe ich eines ganz am Ende Ihres wirklich sehr gut durchargumentierten Briefes nicht. Hinsichtlich UNMIS schreiben Sie dort, dass Ihnen aus fachpolitischer Sicht völlig klar ist, dass man eigentlich zu einer Zustimmung kommen müsste. Gleichzeitig schreiben Sie - ich zitiere Sie noch einmal -: Wir - die Linke müssen … eine Form finden, wie wir unserer grundsätzlichen Funktion als Antikriegspartei gerecht werden können … Herr Schäfer, wenn es eine Einzelfallentscheidung ist, dann erwarte ich, dass Sie im Einzelfall, wenn es wirklich sachgerecht erscheint, auch zu einem Ja kommen ({1}) - das ist nämlich der kritische Punkt -, und das sollten Sie dann auch hier und in der Öffentlichkeit vertreten und nicht wieder aus innenpolitischen populistischen Gründen Nein sagen, weil man das am Fernseher besser verkaufen kann und Lafontaine diese Parole ausgerufen hat. Das ist dann eben nicht mehr die individuelle Gewissensentscheidung, von der Sie gesprochen haben. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe der Kollegin Ursula Mogg von der SPDFraktion das Wort.

Ursula Mogg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser zuletzt doch noch recht spannenden Debatte möchte ich einige Punkte zusammenfassen. Ich fange mit den letztgenannten Aspekten an. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich nehme in vielen Debatten zur Kenntnis, dass es möglich ist, mit Ihnen über schwierige Fragen im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik und über den Einsatz militärischer Kräfte zu diskutieren. Ich hatte gerade, als es um UNMIS und UNAMID ging, den Eindruck, dass dies möglich ist. Es geht nicht nur darum, die gigantische humanitäre Katastrophe im Sudan zu erkennen und zu analysieren, sondern auch darum, die geeigneten Mittel zu finden, um dieses Problem zu lösen; das wurde heute bereits angesprochen. ({0}) Ich möchte aus einem Papier zitieren, das den Deutschen Bundestag vor circa zehn Jahren beschäftigt hat. Darin heißt es: Unruhe und Not werden weiterhin große Teile der Erde erschüttern. … Massenmigration als Folge von Unterentwicklung, Überbevölkerung und Hunger oder als Folge von Krieg im Kampf um Grenzen, Ackerland oder Wasser; die pandemische Ausbreitung von Krankheiten; Umweltzerstörung und Klimawandel. Einige Vertreter der Wissenschaft sprechen davon, dass wir im Sudan den ersten Klimakrieg erleben. Das hat auch die Weizsäcker-Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ in ihrem Papier formuliert. Man kann annehmen, dass der Blick bereits damals auf den Sudan gerichtet wurde. Vor diesem Hintergrund fordere ich sowohl Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, als auch alle anderen auf, mehr als bisher zu tun, um den richtigen Weg zu finden. Worüber entscheiden wir heute? Wir entscheiden über den Einsatz von 75 Soldaten im Rahmen von UNMIS und von bis zu 250 Soldaten im Rahmen von UNAMID. Es besteht eine Diskrepanz zwischen den festgelegten Obergrenzen und den tatsächlich eingesetzten Soldaten; das haben wir in der heutigen Debatte bereits gehört. Das hat nichts mit dem Willen der Bundesrepublik Deutschland zu tun, sondern damit, dass wir nicht in dem Maße gefordert werden, wie es im Mandat vorgesehen ist. Dies hat auch etwas mit den Behinderungen durch die sudanesische Regierung zu tun. An dieser Stelle müssen wir noch entschiedener arbeiten. Ich denke, dass es sehr wichtig ist, den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die im Sudan im Einsatz sind, an dieser Stelle für ihre Arbeit und ihren Einsatz ein ganz herzliches Dankeschön zu sagen. Im August letzten Jahres hatte ich die Gelegenheit, mich vor Ort über die Arbeit und die Einsatzbedingungen zu informieren. Dort wird in der Tat eine schwierige und herausfordernde Arbeit geleistet, um die Grenzziehung zwischen dem Nordund dem Südsudan sowie den Status dieser ölreichen Region zu klären. Es geht unter anderem um Bodenschätze. Die Situation muss geklärt werden, damit wir unsere politischen Analysen verbessern und in unserem Handwerk besser werden können. Es geht auch um die Bekämpfung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Das hat der Internationale Gerichtshof festgestellt, als er den Haftbefehl gegen die sudanesischen Staatspräsidenten erlassen hat. Auch daran wird deutlich, worüber wir sprechen. Wenn man Mandate beschließt, die im Kern in der Breite unseres Parlamentes nicht umstritten sind - sie sind nur ein kleiner symbolischer Beitrag, aber im Kern alternativlos -, dann sollte man meinen, dass das für eine große Mehrheit eine gute Nachricht ist. Für die Menschen im Sudan, die von einer gigantischen humanitären Katastrophe bedroht sind, ist es aber nach wie vor keine gute Nachricht. An diese Menschen sollten wir in dieser Stunde, in der wir im Deutschen Bundestag über die Mandate entscheiden, in besonderer Weise denken. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/10242 zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10106 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich weise die Kolleginnen und Kollegen darauf hin, dass unmittelbar nach dieser Abstimmung noch eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall. Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10247. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der Fraktion der FDP abgelehnt. Wir fahren mit einer weiteren namentlichen Abstimmung fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/10244 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10104 anzunehmen. Es ist wiederum namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/10248. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP abgelehnt. Wir setzen die Haushaltsberatungen Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b, fort und kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23. Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. ({0})

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt unseres Ministeriums für das Jahr 2009 verzeichnet einen Zuwachs von über 12 Prozent. Mit 5,7 Milliarden Euro haben wir einen Höchststand der Finanzierung in unserem Ministerium erreicht. In den zehn Jahren, die ich für das BMZ zu verantworten habe, haben wir die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit fast verdoppelt. ({0}) Das ist ein großer Fortschritt für die Menschen. Damit erreichen wir, dass Menschen von Armut und Hunger befreit werden. Wir haben aber nicht nur die Quantität gesteigert. Wir haben auch die Qualität verbessert und sind auf dem Weg zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels vorangekommen. Wir sind - um das alpinistisch auszudrücken noch nicht auf dem Gipfel, aber auf dem Hochlager davor. Wir haben in der Debatte heute und auch gestern mehrfach besprochen, dass ein krasses Missverhältnis zwischen dem Verbrennen von Milliardenbeträgen in der US-Finanzkrise und der Situation von Armen in der Welt klafft. ({1}) Niemals mehr werden die Verantwortlichen für Spekulationsmärkte, Kurzfristökonomie und, wie es der indische Finanzminister ausgedrückt hat, Infectious Greed den Entwicklungsländern einreden können, sie sollten auf die Segnungen der Liberalisierung der Finanzmärkte und deren Produkte setzen. Wir müssen und werden alles dafür tun, die Entwicklungsländer bei der Stärkung ihrer Finanzinstitutionen zu unterstützen, sie vor den schädlichen Auswirkungen dieser Finanzkrise zu schützen und verpflichtende Transparenzregeln und Offenlegungspflichten international zu verankern. Das sind wir diesen Ländern schuldig. Das sind wir im Übrigen auch uns und den Menschen in unserem Land schuldig. ({2}) Wir stehen eine Woche vor der Konferenz zur Bewertung der Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen in New York. Wir haben in unserem Weißbuch, das wir Ihnen vorgelegt haben, eine Darstellung der Perspektiven der deutschen Entwicklungspolitik geleistet. Ich will deshalb nur drei dieser Millenniumsentwicklungsziele besonders ansprechen. Zunächst will ich auf die Bekämpfung von HIV/ Aids eingehen. Ich bin froh, dass die diesbezüglichen Anstrengungen Wirkung zeigen. Von 2001 bis 2007 ist die Zahl der HIV-Infizierten, die lebensverlängernde Medikamente erhalten, von 200 000 auf 3 Millionen gestiegen. Durch den globalen Fonds zur Bekämpfung von Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids erhielten 40 Millionen Menschen Hilfe, und täglich werden 3 000 Menschen vor dem Tod gerettet. Darum sind die Bekämpfung von HIV/Aids und die Stärkung der Gesundheitssysteme, zu der uns auch der Deutsche Bundestag in einer gemeinsamen Initiative aufgefordert hatte, Schwerpunkt unserer Politik. Ein zweiter Kernbereich wichtiger globaler Entwicklungserfolge ist Bildung. Darum ist es gut, dass die Schulbesuchsquote im Primarbereich in SubsaharaAfrika von 1999 bis 2005 um 36 Prozent gestiegen ist. Darum ist es gut, dass durch die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer 29 Millionen Kinder zusätzlich in die Schule gehen können. Darum fördern wir auch die Grundbildung - das ist heute in der außenpolitischen Debatte angesprochen worden -, und zwar gerade bezogen auf Afghanistan, zum Beispiel durch Fortbildung für 130 000 Lehrerinnen und Lehrer und 10 000 Führungskräfte. Damit wird auch in diesem Bereich ein Schwerpunkt im Interesse der Menschen gesetzt. ({3}) Trotz solcher Erfolge gibt es - wie man sie nennt vergessene oder auch vernachlässigte Millenniumsentwicklungsziele, was wir nicht verschweigen und nicht schönreden dürfen. Nirgends ist der schreiende Gegensatz zwischen Arm und Reich so empörend wie bei der Situation von werdenden Müttern. Tag für Tag sterben 1 600 Frauen durch Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt, rund 600 000 Frauen im Jahr 99 von 100 in Entwicklungsländern, davon der größte Teil im südlichen Afrika. Was mich besonders bedrückt: Die Zahl nimmt zu, nicht ab. Die Gefahr für ein Mädchen, bei Schwangerschaft und Geburt zu sterben, liegt in den Industrieländern bei 1 : 7 300, im südlichen Afrika bei 1 : 26. Diese Frauen erleiden einen leicht vermeidbaren Tod. Die Ansatzpunkte, ihr Leben zu retten, sind bekannt, und wir engagieren uns: Frauen stärken, Verhütungsmittel verfügbar machen und den Frauen medizinische Betreuung gerade bei Schwangerschaft und Geburt zur Verfügung stellen. ({4}) Wir helfen auch dabei, Krankenversicherungssysteme und soziale Netze aufzubauen, damit Frauen die Chance haben, bei der Geburt betreut zu werden. Unser Haushalt bildet einen Beitrag zu einer gerechteren, friedlicheren und nur so nachhaltigen Weltentwicklung. Wir erfüllen die Zusagen von Gleneagles und haben den Beitrag für Afrika um über 44 Prozent in diesem Haushalt gesteigert. 85 Prozent der Steigerung der Verpflichtungsermächtigungen kommen SubsaharaAfrika zugute. Wir haben die Zusagen von Heiligendamm gerade im Bereich Gesundheit eingehalten. Erstmals hat der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose einen eigenen Titel mit 200 Millionen Euro in unserem Haushalt. Wir fördern - das habe ich eben angesprochen - den zivilen Wiederaufbau Afghanistans mit weiteren 30 Millionen Euro, die wir insbesondere für die Bekämpfung von Hunger und von Mangelernährung in diesem Land zur Verfügung stellen. Das heißt, allein unser Ministerium stockt die Mittel damit auf insgesamt 100 Millionen Euro auf. Die Bundesregierung erbringt einen Betrag von insgesamt 170 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau. Das ist eine große Anstrengung. Ich bedanke mich für die Unterstützung gerade auch der Haushälter in diesem Bereich. ({5}) Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem wir Steigerungen haben, betrifft die Auswirkungen des Klimawandels. Hier spielen wir eine Führungsrolle und verzeichnen einen Zuwachs von fast 25 Prozent. Wir haben für einen besonderen Fonds, der schon jetzt den Entwicklungsländern Zugang zu Finanzierungsmaßnahmen für erneuerbare Energien und Anpassungsmaßnahmen bei der Weltbank geben soll, Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 300 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen. Ganz wichtig - ich weiß, da spreche ich auch in Ihrem Sinne - sind die ländliche Entwicklung und die Ernährungssicherung. Für Nothilfe haben wir eine Steigerung um 40 Prozent. Wir haben übrigens den Verhandlungsrahmen für die Wiederauffüllung des Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung, der eine hervorragende Arbeit leistet, um 75 Prozent gesteigert, auch um einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung in Afrika zu schaffen. Ich hatte angekündigt, dass wir unsere Zusammenarbeit mit China im Herbst dieses Jahres überprüfen würden und die Zusammenarbeit und das Portfolio neu positionieren wollten. Wir halten unsere Kooperation mit den sogenannten Ankerländern - China ist eines davon - für wichtig. Sie sind für die regionale und globale Entwicklung von besonderer Bedeutung. In unserer Kooperation wollen wir künftig chinesische Reformprozesse, insbesondere in den Bereichen Recht, Gesellschaft und Klimaschutz, im Rahmen einer strategischen Partnerschaft der Bundesregierung gemeinsam mit allen Ressorts, die in diesem Bereich tätig sein können, voranbringen helfen. Im Rahmen einer solchen Dialogpartnerschaft werden wir sehr stark auf Beratung und den Ausbau von Wirtschaftspartnerschaften setzen. Wir wollen zugunsten dieses Dialogprozesses die klassische finanzielle Zusammenarbeit beenden. Die Bundesregierung wird in China verstärkt PPP-Maßnahmen fördern und unterstützen. ({6}) Bekanntlich ist die Explosion der Nahrungsmittelpreise - ich habe es eben angesprochen - für die Armen besonders dramatisch. Es darf nicht sein, dass angeblich saubere Abgase auf der einen Seite der Welt weniger Essen auf der anderen Seite bedeuten. Je nach Szenario wird bis 2020 zum Beispiel bei Mais mit Preissteigerungen von bis zu 72 Prozent gerechnet. Wir sagen: Agrartreibstoffe sind nur dann verantwortbar, wenn sie die kleinbäuerliche Produktion nicht behindern und den ländlichen Raum nicht abhängen. ({7}) Das ist unsere ganz klare Position, die wir gemeinsam vertreten. Auch wenn die Ölpreise mittlerweile ein Stück zurückgegangen sind, trifft die Ölpreisentwicklung die armen Länder besonders hart. Allein die ärmsten Entwicklungsländer haben im Jahr 2008 einen zusätzlichen Betrag von 50 Milliarden US-Dollar für Importe von Öl leisten müssen. Das ist mehr, als sie offiziell im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Deshalb sage ich: Niemand kann wollen, dass wirtschaftliche Entwicklungen an unbezahlbaren Energierechnungen scheitern und Menschen zu Hungerrevolten getrieben werden. Ich habe daher einen Vorschlag gemacht, den wir in allen anstehenden Konferenzen verfolgen werden. Wir rufen die ölexportierenden Länder auf, einen Teil der durch die Preisexplosion erzielten Überschüsse wieder in die ländliche Entwicklung zu investieren, etwa in Form von Krediten. Wir haben dazu ein Konzept entwickelt. In dieses Konzept wollen wir die Staatsfonds einbeziehen, die ein entsprechendes Interesse daran haben und mit unseren Partnern zusammenarbeiten. Das ist vernünftig, macht Sinn und führt dazu, dass die ärmsten Entwicklungsländer auch in die ländliche Entwicklung investieren können. ({8}) Dieser Haushalt soll auch in dieser Phase der finanziellen Bewegungen und Entwicklungen in den USA - wir alle beobachten sie - ein Signal geben. Ende November/Anfang Dezember dieses Jahres wird die Konferenz „Financing for Development“ stattfinden, auf der die gesamte Breite der Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam bewertet wird. Ich habe den Eindruck, dass die Menschen in den Entwicklungsländern ungeduldig werden. Ich möchte Ihnen dieses Gefühl von Ungeduld, das ich auf der Konferenz von Accra bei vielen von ihnen habe feststellen können, noch einmal deutlich machen. Wir müssen unsere Zusagen einhalten. Wir als Bundesregierung werden sie einhalten: die Steigerung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit entsprechend unserem Stufenplan, die Nutzung von innovativen Finanzinstrumenten, die Auktionierung von CO2-Verschmutzungszertifikaten für Klimaschutz und internationale Klimamaßnahmen. Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der öffentlichen Diskussion bisher viel zu wenig beachtet worden ist: Allein durch Steuervermeidung und Steuerflucht entgehen den Entwicklungsländern Jahr für Jahr 500 Milliarden US-Dollar. Übrigens entgehen auch den Industrieländern Jahr für Jahr 500 Milliarden US-Dollar durch Steuerflucht und Steuervermeidung. Mit dafür zu sorgen, dass wir auf der großen Konferenz Ende dieses Jahres einen Global Compact zur Bekämpfung von Steuerflucht verankern, dass sich alle diesem Thema stellen, ist eine sinnvolle Investition in die Bekämpfung von Armut, in die Schaffung von Arbeitsplätzen, in den Kampf gegen den Klimawandel und in die Erhaltung unserer Umwelt, in Bildung und in Gesundheit. Lassen Sie uns all diese Mittel mobilisieren! Mein Eindruck ist - das kann man in Lateinamerika teilweise feststellen -: Wenn wir nicht schnell handeln und wenn die Menschen nicht sehen, dass wir unsere Zusagen auch einhalten, dann wird die Gefahr bestehen, dass Populisten der verschiedensten Kategorien oder auch extremistische Gruppen um sich greifen. Wir wollen mit dafür sorgen, dass wir in einer Welt leben, die von weniger Gewalt und mehr Frieden geprägt ist. Wir haben die Chance, dazu einen Beitrag zu leisten. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich komme zu den Tagesordnungspunkten 5 a und 5 b zurück und gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur bekannt, Drucksachen 16/10106 und 16/10242: abgegebene Stimmen 546. Mit Ja haben gestimmt 511, mit Nein haben gestimmt 23, Enthaltungen 12. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 565; davon ja: 510 nein: 43 enthalten: 12 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert ({1}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Axel E. Fischer ({5}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({6}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({7}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({8}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({9}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({10}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({11}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({12}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({13}) Stefan Müller ({14}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({15}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({16}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({17}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({18}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({19}) Andreas Schmidt ({20}) Ingo Schmitt ({21}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({22}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({23}) Gerald Weiß ({24}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({25}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({26}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({27}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({28}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({29}) Nina Hauer Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({30}) Frank Hofmann ({31}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({32}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({33}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({34}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Marko Mühlstein Detlef Müller ({35}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({36}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({37}) Michael Roth ({38}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({39}) Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({40}) Silvia Schmidt ({41}) Renate Schmidt ({42}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({43}) Carsten Schneider ({44}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({45}) Swen Schulz ({46}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Rolf Stöckel Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({47}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({48}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({49}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({50}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({51}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({52}) Volker Beck ({53}) Cornelia Behm Birgitt Bender Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({54}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({55}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({56}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Willy Wimmer ({57}) SPD Gregor Amann Petra Hinz ({58}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({59}) Volker Schneider ({60}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Gert Winkelmeier Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer Norbert Schindler FDP Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({61}) Dr. Heinrich L. Kolb DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Roland Claus Dr. Barbara Höll Bodo Ramelow Dr. Petra Sitte Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, Drucksachen 16/10104 und 16/10244, lautet: abgegebene Stimmen 545. Mit Ja haben gestimmt 504, mit Nein haben gestimmt 33, Enthaltungen 18. Die Beschlussempfehlung ist damit ebenfalls angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 556; davon ja: 504 nein: 34 enthalten: 18 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({62}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Dr. Maria Böhmer Jochen Borchert ({63}) Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Thomas Dörflinger Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Anke Eymer ({64}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({65}) Dirk Fischer ({66}) Axel E. Fischer ({67}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({68}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Jürgen Gehb Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Olav Gutting Holger Haibach Uschi Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Hubert Hüppe Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({69}) Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Siegfried Kauder ({70}) Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({71}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({72}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Eduard Lintner Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({73}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Friedrich Merz Laurenz Meyer ({74}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({75}) Stefan Müller ({76}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({77}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Daniela Raab Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({78}) Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({79}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({80}) Hermann-Josef Scharf Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({81}) Andreas Schmidt ({82}) Ingo Schmitt ({83}) Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({84}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({85}) Gerald Weiß ({86}) Ingo Wellenreuther Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({87}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Ernst Bahr ({88}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Klaus Uwe Benneter Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({89}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({90}) Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Dr. h. c. Gernot Erler Petra Ernstberger Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Sigmar Gabriel Iris Gleicke Günter Gloser Renate Gradistanac Angelika Graf ({91}) Dieter Grasedieck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Alfred Hartenbach Michael Hartmann ({92}) Nina Hauer Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Iris Hoffmann ({93}) Frank Hofmann ({94}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({95}) Josip Juratovic Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Nicolette Kressl Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Dr. Hans-Ulrich Krüger Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({96}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({97}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Marko Mühlstein Detlef Müller ({98}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Thomas Oppermann Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({99}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({100}) Michael Roth ({101}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({102}) Anton Schaaf Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({103}) Silvia Schmidt ({104}) Renate Schmidt ({105}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({106}) Carsten Schneider ({107}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({108}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Rolf Stöckel Christoph Strässer Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Petra Weis Gunter Weißgerber ({109}) Dr. Rainer Wend Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Dr. Dieter Wiefelspütz Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({110}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Daniel Bahr ({111}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Miriam Gruß Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Michael Kauch Gudrun Kopp Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Burkhardt Müller-Sönksen Hans-Joachim Otto ({112}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Dr. Konrad Schily Dr. Hermann Otto Solms Dr. Max Stadler Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({113}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({114}) Volker Beck ({115}) Cornelia Behm Birgitt Bender Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Hans Josef Fell Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({116}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Jerzy Montag Kerstin Müller ({117}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({118}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Nein SPD Gregor Amann Petra Hinz ({119}) DIE LINKE Karin Binder Dr. Lothar Bisky Heidrun Bluhm Eva Bulling-Schröter Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Katja Kipping Jan Korte Ulla Lötzer Dorothée Menzner Kersten Naumann Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Volker Schneider ({120}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionsloser Abgeordneter Henry Nitzsche Enthalten CDU/CSU Dr. Wolf Bauer FDP Dr. Edmund Peter Geisen Joachim Günther ({121}) Dr. Heinrich L. Kolb DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Roland Claus Dr. Barbara Höll Katrin Kunert Petra Pau Bodo Ramelow Paul Schäfer ({122}) Dr. Petra Sitte Frank Spieth Alexander Ulrich fraktionsloser Abgeordneter Gert Winkelmeier Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin, FDP-Fraktion. ({123})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, ich muss eingestehen: Ich habe schon oft Ihre Reden zum Haushalt gehört. Ich habe Sie heute kaum wiedererkannt, aber im Positiven. Ich komme gleich darauf zurück. Ich muss jetzt aufpassen, dass ich Sie in meiner kurzen Redezeit nicht zu viel lobe. Ich möchte mit einem wirklich ernsthaften Lob beginnen. Ich fand es sehr engagiert und sehr mutig, dass Sie sich - das sollte hier nicht vergessen werden - als einziges Kabinettsmitglied mit dem Dalai-Lama getroffen haben, während andere sich in die Büsche geschlagen haben. Alle Achtung, dafür haben Sie unseren Respekt. Herzlichen Dank, dass Sie das gemacht haben! ({0}) Ich finde es positiv, dass Sie unsere Kritik aufgegriffen haben, was die Entwicklungshilfe an China angeht, auch wenn das - das darf man dann ruhig sagen - sehr lange gedauert hat. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Darüber können wir vernünftig reden. Sie haben sich bewegt. Bei den letzten Debatten hat sich das noch ganz anders angehört. Da wurde das aus der Koalition noch verteidigt. Sie haben sich bewegt, und das ist in Ordnung. Respekt auch dafür: Sie haben für Ihren Etat engagiert gekämpft. Sie haben mehr Mittel bekommen. Nur - da beginnt dann vielleicht doch meine Kritik, Frau Ministerin -: Mit Geld allein ist es bei der Entwicklungshilfe nicht getan. Ich will das an einem Beispiel deutlich machen, weil ich da selber engagiert bin. Es geht um das Thema Demokratisierung. Ich denke da an Kambodscha oder an Birma, das ja schon wieder aus dem Blickfeld verschwunden ist. Da waren wir plötzlich engagiert. Was geschieht dort weiter? Ich bin fest davon überzeugt, dass wir - das gilt gerade für Birma - mit Menschen sprechen müssen, die vielleicht nach diesem Regime kommen. Gibt es solche Menschen dort? Haben wir die Kontakte? Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Stiftungen dabei eine wichtige Arbeit leisten müssen. Wir müssen an solche Menschen herankommen, die eines Tages das Regime ablösen können. Es hat keinen Zweck, zu sagen: „Ich löse das Regime ab“, wenn ich dann nicht die entsprechenden Menschen dafür habe. ({1}) Sie haben zu Recht hohe Preissteigerungen bei Lebensmitteln thematisiert. Ich kann das, was Sie dazu gesagt haben, nur unterstützen. Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der mir wichtig ist: Entschuldungsprogramme. Grundsätzlich bin auch ich dafür. Das erste Land, das wir entschuldet haben, war, wenn ich mich richtig erinnere, Bolivien. Die Kommunen dort - nicht alle, wie ich zugebe, aber viele - haben so viel Geld, dass sie es gar nicht ausgeben können. Das liegt allerdings auch an der Zentralregierung. Dort gibt es Erdöl und große Energiereserven. Die werden an andere Länder Südamerikas und darüber hinaus verkauft. Wir haben also ein Land entschuldet, das selber sehr viel Geld hat. Das ist nun geschehen. Man sollte eben nicht einfach sagen: „Ich halte die Fahne der Entschuldung hoch“, nur weil von allen möglichen Leuten, etwa von Kirchenvertretern, Druck vorhanden ist: Ihr müsst entschulden. - Land für Land, Fall für Fall muss entschieden werden. Ganz souverän müssen wir sagen: Das geht, und das geht nicht. Demokratiebewegungen und auch manches andere müssen vorhanden sein, bevor wir sagen: Wir entschulden euch. ({2}) Das trifft auch auf die Budgethilfe zu, Frau Ministerin. Sie wollen die Budgethilfe steigern. Meine Zustimmung bekommen Sie dafür nicht. ({3}) In den Ländern, die wir so unterstützen, kann ich wenig an Demokratie entdecken. Ich kann wenig von dem entdecken, was unsere Werte sind. Wir pumpen Geld direkt in einen Haushalt hinein und haben noch nicht einmal die Kontrolle. ({4}) Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Es ist nicht von mir. Es gab ein sehr interessantes Interview im NDR Info. Es bezog sich auf Kamerun. Auf die Frage: „Was halten Sie von der Budgethilfe in Richtung Kamerun?“, sagte ein Kirchenvertreter: Dem Schwerpunktland der bilateralen Kooperation wurden für das zurückliegende Jahr 34 Millionen Euro zugesagt. Dieser jährliche Zuschuss soll bis 2010 verdoppelt werden. Beobachter im Lande beurteilen das sehr kritisch, weil das Geld nicht an bestimmte Projekte gebunden ist, sondern direkt in den kameruanischen Staatshaushalt fließt. Zyniker fragen, warum die deutschen Steuermillionen nicht gleich in die Schweiz überwiesen werden. Schließlich verbringt Präsident Biya einen Großteil des Jahres in einem Genfer Hotel statt in einem seiner pompösen Paläste in Kamerun. Nach Kamerun überweisen wir direkt Budgethilfe. Ich bitte, solche Zahlungen wirklich zu überlegen. Sie haben jetzt mehr Geld bekommen. Nennen Sie bitte auch konkrete Programme! Ich stelle nicht fest, dass Sie für all das Geld, das Sie mehr bekommen haben, konkrete Programme haben. Darüber werden wir bei den Haushaltsberatungen weiter sprechen müssen. Vielleicht finde ich doch die Zustimmung der Sozialdemokraten, wenn ich einen Wunsch äußern darf, denn dies ist ein Thema, das wir freien Demokraten bei allen Haushaltsberatungen der letzten Jahre angesprochen haben. Ich meine den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst. Ich bin sehr für diese Dienste, denn wir haben schon zu unserer Koalitionszeit so etwas Positives eingerichtet. Wie können Sie es zulassen, dass all diese Menschen, die für vielleicht ein Jahr hinausgehen, keine Altersversorgung und Ähnliches haben? Sie haben dafür gesorgt, dass für jede Putzfrau eine Altersversorgung gemacht werden muss. Für diese jungen Menschen, die sich draußen engagieren, tun Sie es nicht. Überprüfen Sie das noch einmal! Wir haben auch andere soziale Dienste für junge Menschen. In anderen Ministerien machen wir so etwas. Das ist mein Wunsch. Sie können davon ausgehen, dass wir bei den Haushaltsberatungen mit großem Engagement und hoffentlich in gemeinsamer Sache etwas für Ihr Haus tun. Wir werden uns jedenfalls bemühen. Herzlichen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, zunächst möchte ich mich uneingeschränkt dem Lob anschließen, das der Herr Kollege Koppelin für Sie zu formulieren wusste, denn ich halte es in der Tat für ein sehr wichtiges Zeichen, dass beide Parteien der Großen Koalition in Bezug auf die Menschenrechtssituation in China ein klares Zeichen gesetzt haben. Ich finde es auch gut, wie Sie auf die öffentliche Diskussion zu dem Thema Schwellenländer in unserer Entwicklungspolitik reagiert haben. Hierzu sage ich noch einmal: Mein Kompliment! Ich glaube, wir haben etwas Wichtiges zu konstatieren, wenn wir über den Entwicklungshilfehaushalt reden. Bei der Veränderung der internationalen Landschaft, bei der Veränderung des Charakters der internationalen Herausforderungen, der Konflikte und der Art, wie sie ausgetragen werden, zeigt sich immer deutlicher, dass die Entwicklungszusammenarbeit nach und nach zu einem unserer wichtigsten vertrauensbildenden Instrumente in der Außenpolitik wird. Demzufolge müssen wir ganz besonders sorgsam damit umgehen. Es ist meines Erachtens ein außerordentlich wichtiges Signal, dass der Haushalt des BMZ zusammen mit dem der Bildungspolitik von allen unseren Bereichen die höchste Steigerungsrate ausweist. Ich denke, das ist ein richtiges Zeichen. Ich denke allerdings auch, dass damit eine große Verantwortung verbunden ist. ({0}) Ernährungssicherung, globale Sozialstandards, weltweiter Klimaschutz, Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere auch im landwirtschaftlichen Bereich, Unterstützung auf dem Weg zu Good Governance, Stabilisierung von Gesundheitssystemen, Implementierung von Antikorruptionsmechanismen und vieles andere mehr sind Aufgaben der Zeit. Wir können unsere Motivation eigentlich nicht mehr allein aus vielen allgemeinen Solidaritätspflichten ableiten. Es ist zunehmend eine Überlebensfrage unserer gesamten Gesellschaft, ob uns das gelingt oder nicht. Daraus zieht der Entwicklungshilfeetat meines Erachtens den richtigen Schluss. Er räumt der Entwicklungskooperation künftig einen noch höheren Stellenwert als im Vorjahr ein. Die Mittelausstattung ist nämlich gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Meine Damen und Herren, damit die Harmonie hier nicht allzu sehr überhandnimmt, lassen Sie mich sagen: Das war nicht immer so. In der Zeit von Rot-Grün, also von 1998 bis 2005, ist der Haushaltsansatz für das Entwicklungshilfeministerium, für das BMZ, um 130 Millionen Euro gesunken. Auch daran sollten wir uns einmal erinnern. Das kann man allerdings nicht Ihnen, Frau Ministerin, anlasten. Sie haben damals mit demselben Engagement wie heute für Ihren Haushalt gefochten. Was sich geändert hat, ist die Besetzung des Bundeskanzleramtes. ({1}) Wir können nun feststellen, dass Ihnen mit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitstreiterin erwachsen ist, die sich ganz enorm für die Entwicklungszusammenarbeit als wesentliches Element der Politik einsetzt. ({2}) Ich denke, das gibt uns auch perspektivisch eine ganz besondere Sicherheit. Es zeigt sich nämlich, dass Frau Merkel die Verpflichtung zur Entwicklungszusammenarbeit nicht als Lippenbekenntnis betrachtet. Ich kann mir vorstellen, dass aus ihrer eigenen Biografie heraus, aus der Kenntnis der Lage, wie wir sie 1990 gehabt haben, dass man Hilfe von außen braucht, ihre ganz besondere Verantwortung für diesen Politikbereich erwächst, und das ist gut so. ({3}) Die Bundesregierung hat also in nur vier Jahren die Ansätze für den BMZ-Haushalt um 1,85 Milliarden Euro gesteigert. Dazu kommen natürlich auch noch erhebliche Steigerungen bei auf die ODA-Quote anrechenbaren Positionen in den anderen Ressorts. Das muss auch einmal gesagt werden. So kann die Bundesregierung im Jahre 2009 fast 2,5 Milliarden Euro mehr für Entwicklungshilfe ausgeben als noch 2005. Wir sind damit inzwischen das Land mit den zweithöchsten Entwicklungsausgaben weltweit. Das halte ich für eine Tatsache, auf die wir in diesem Hause stolz sein können. ({4}) Allein im letzten Jahr haben wir gut 12,2 Milliarden USDollar in die Entwicklungszusammenarbeit gegeben. Nur die USA haben sich mit 21,7 Milliarden US-Dollar noch mehr engagiert. Meine Damen und Herren, wichtig ist allerdings nicht allein, dass wir mehr Geld bereitstellen. Viel wichtiger ist, wofür wir die bereitgestellten Mittel einsetzen, ob wir sie effizient einsetzen und ob sie wirklich bei den Menschen, für die sie gedacht sind, ankommen. Da sind natürlich solche Nachrichten, wie sie der Kollege Koppelin vorhin vorgetragen hat, keineswegs vertrauensfördernd. Die Politik muss deshalb danach trachten, dass solche Fehler unterbleiben. Wo wir solche feststellen, müssen wir dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht mehr geschehen. Wenn wir das nicht tun, wird die Entwicklungspolitik in eine Legitimationskrise kommen, die sich in erster Linie nachteilig auf unsere Empfänger, also die armen Länder in der Welt, auswirkt. Deshalb muss es möglich sein, kritisch über die Dinge zu reden, die uns einer Kritik wert erscheinen. Das BMZ gibt für das sogenannte Instrument der programmorientierten Gemeinschaftsfinanzierung mittlerweile mehr als 560 Millionen Euro pro Jahr aus. So wird zum Beispiel direkt in die Staatshaushalte von Uganda, Tansania, Ruanda, Benin, Mosambik, Liberia und Äthiopien eingezahlt. Auch Peru, Guatemala und Vietnam werden bedacht. Ich will überhaupt nicht abstreiten, dass es durchaus vorzeigbare Fälle gibt, bei denen diese Finanzierung Positives für die Empfängerländer bewirkt hat. Aber mit Afghanistan erhält zum Beispiel ein Land Budgethilfe, das im Bertelsmann Transformation Index zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung auf Platz 119 von insgesamt 125 untersuchten Staaten liegt. Liberia und Äthiopien sind kaum besser eingestuft. Es ist deshalb aus meiner Sicht sehr bedenklich, dass wir in Haushalte von Ländern einzahlen, in denen es offensichtlich keine ausreichende Kontrolle über die Staatsfinanzen gibt. Wir werden hier sehr intensiv darüber diskutieren müssen, welche Konsequenzen, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten, aus den ersten Erfahrungen mit diesem umstrittenen Instrument zu ziehen sind. Richtig ist zunächst einmal, dass sich das Parlament jetzt jede einzelne geplante Budgethilfe vom BMZ zur Prüfung vorlegen lässt. Das halte ich auch für gut. Bei der Frage, wie wir das Geld am besten einsetzen, müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die bilaterale Zusammenarbeit weiter stärken können; denn das ist ein sehr erfolgreiches Instrument der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn vom Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit auch andere Interessen, die wir in der deutschen Politik haben, etwa im Umweltschutz, abhängen, müssen wir unsere Mittel für Vorhaben einsetzen, auf deren Ausgestaltung wir später Einfluss nehmen können. Bei multilateralen Institutionen ist das eher selten der Fall. Das gilt umso mehr, als kaum noch eine Weltkonferenz ins Land gehen kann, ohne dass am Ende ein neuer Fonds gegründet wird. ({5}) Zum Teil ist die Abgrenzung zwischen Aktion und Aktionismus da nicht immer ganz einfach. Die Folge ist: Die multilaterale Institutionenlandschaft wird immer unübersichtlicher und handlungsunfähiger. Allein für den globalen Klima- und Umweltschutz gibt es schon heute gut zwei Handvoll multilaterale Fonds, und ein Ende des Aufwuchses ist nicht absehbar. Unsere Hauptaufgabe scheint mir daher zu sein, die heutige Entwicklungsarchitektur zu reformieren. Die multilateralen Institutionen müssen endlich schlagkräftiger werden. Ein erster Schritt dazu ist, die Zuständigkeiten eindeutig zuzuordnen und sie auf wenige Stellen zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund werden wir, glaube ich, in Zukunft sorgfältig prüfen müssen, ob und in welchem Umfang wir uns an immer neuen multilateralen Fonds beteiligen sollen und an welcher Stelle wir künftig mehr auf bilaterale Kooperation setzen wollen. Eine wichtige Eigenschaft des EZ-Haushaltes ist auch, dass er flexibel sein muss. Er muss auf neue Entwicklungen reagieren können. Er muss vor allen Dingen in der Lage sein, auch andere Kräfte in eine Koordination zu bringen, wenn ein koordiniertes Vorgehen in Bezug auf ein Weltproblem notwendig ist. Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich machen, der Lage in Simbabwe. Wir beobachten das Problem seit vielen Jahren. In jüngster Zeit haben wir dort einen Fortschritt beobachten können: Es gibt jetzt eine Machtteilung zwischen Regierung und Opposition. Ich halte es für notwendig und wichtig, dass wir an dieser Stelle prüfen können, inwieweit wir diese Situation nutzen können, um den Demokratisierungsprozess dort zu stabilisieren und diesem Land zu einer wirklichen Perspektive zu verhelfen. Das muss unsere haushaltspolitische Grundkonstruktion hergeben. Ich halte es für notwendig, dass wir die Lage dort so einschätzen, wie sie ist, ganz bestimmt ohne allzu viel Optimismus. Es ist sicher so, dass Herr Mugabe sich offenbar gedacht hat, dass er am besten handelt, indem er seinem Rivalen einige unlösbare Aufgaben aufgibt, um ihn dann öffentlich bloßstellen zu können. Aber gerade diesen Misserfolg sollte der demokratische MDC nicht haben. Wenn wir dazu beitragen können, ihn abzuwenden, dann sollten wir das tun. ({6}) Wenn unsere entwicklungspolitischen Instrumente so sind, dass sie es eher schwierig machen, in solchen Situationen zu reagieren, dann sollten wir sie überprüfen. Budgethilfe beispielsweise nützt in einem solchen Fall überhaupt nichts. ({7}) Stattdessen müssen wir die Lage im Land analysieren. Wir müssen insbesondere den Rat der politischen Kräfte, die wir unterstützen wollen, aus dem Land selbst einholen, zur Kenntnis nehmen und ihn zur Grundlage unserer Überlegungen machen. Das ist nicht allein eine Frage des Geldes; vielmehr ist es eine Frage der Einstellung, der Flexibilität und der Fantasie. Ich denke, Frau Ministerin, es wird uns in den nächsten Wochen und Monaten glükken, dieses Problem lösen zu helfen. Ansonsten hoffe ich, dass unser Haushalt auch in anderen Fragen eine gute Grundlage für die Arbeit im Rest der Legislaturperiode eröffnet. Ich will Sie bei allen unseren Vorhaben, insbesondere bei der institutionellen Reform, so weit, wie uns das möglich ist, unterstützen. ({8}) Ich hoffe, wir kommen zu einem vernünftigen Ende. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hüseyin-Kenan Aydin, Fraktion Die Linke. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Etat des Entwicklungshilfeministeriums für das Jahr 2009. Er soll um 12 Prozent steigen. Das haben wir mit Freude zur Kenntnis genommen. Herr Vaatz, die viel gelobte Frau Merkel hat in Heiligendamm die Verpflichtung, die ODA-Quote bis zum Jahr 2010 auf 0,51 Prozent und bis zum Jahr 2015 auf 0,7 Prozent zu erhöhen, feierlich bekräftigt. Aufgrund der in den letzten beiden Jahren und derzeit geltenden 0,37 Prozent - dies gilt im Jahre 2009 ebenfalls - wird allerdings im Jahr 2010 festgestellt werden, dass diese Bundesregierung einen Wortbruch begangen hat, weil die vorgesehenen 0,51 Prozent mit der jetzt geplanten Steigerung des Etats nicht zu erreichen sein werden. Dementsprechend empfehle ich Ihnen, mehr Anstrengungen zu unternehmen, damit die zugesagten Quoten erreicht werden, um glaubwürdig gegenüber den Entwicklungsländern zu sein. ({0}) Zudem ist es so - das habe ich von diesem Pult aus schon mehrfach kritisiert -, dass auf die ODA-Quote die Schuldenerlasse, Studienplatzkosten für Studierende und sogar die Kosten für die Abschiebung unerwünschter Asylbewerber angerechnet werden. Ich halte das für einen Skandal. Dies sollte die Bundesregierung dringend korrigieren. Zumindest die Kosten für abgeschobene Asylbewerber sollten nicht in die ODA-Quote eingerechnet werden. ({1}) Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich daran messen lassen, ob sie tatsächlich eine Armutsverminderung erreicht. Die bisherigen Mittel und Instrumente bewirken leider das Gegenteil. Das hat uns die Hungerkatastrophe in diesem Jahr ganz deutlich gezeigt. Zu Beginn dieses Jahres haben sich die Preise für lebensnotwendige Grundnahrungsmittel wie Reis und Getreide in nur drei Monaten verdoppelt, verdreifacht und vervierfacht. Was waren die Folgen? Ein direkter Anstieg der Zahl der Hungernden auf mehr als 900 Millionen Menschen, Hungerrevolten, Fluchtwellen und Angst vor einer ungewissen Zukunft. Es ist mittlerweile unbestritten, dass es mehr als genug Nahrung für alle auf der Welt gibt. Laut der UN-Ernährungsorganisation FAO reicht die vorhandene Nahrungsmittelproduktion für die Ernährung von 12 Milliarden Menschen aus, wenn man 2 700 Kilokalorien pro Tag zugrunde legt. Das sind fast doppelt so viele Menschen, wie derzeit auf dieser Welt überhaupt leben. Warum waren alle von dieser Krise so überrascht? Es gab Ernteausfälle und leere Getreidespeicher; davor haben viele Wissenschaftler schon längst gewarnt. Auch die steigenden Energiepreise haben einiges dazu beigetragen. Die strukturellen Ursachen der Ernährungskrise waren jedoch schon lange bekannt. Sie sind auf politische Fehleinschätzungen und eine verfehlte Agrar- und Handelspolitik zurückzuführen. Die Liberalisierungspolitik und die Marktöffnung für Agrarprodukte haben dafür gesorgt, dass lokale Märkte im Süden zerstört wurden. Die Exportsubventionen haben zu Dumpingpreisen von EU-Produkten geführt. Staaten wie Haiti, Burkina Faso, Ägypten oder auch Mexiko sind nun von Nahrungsmittelimporten abhängig. Ein Beispiel: Der Milchkonzern Campina hat in den letzten fünf Jahren allein in Deutschland Agrarbeihilfen in Höhe von 12,7 Millionen Euro geschenkt bekommen. Zugleich wurden seit den 80er-Jahren in Westafrika unter dem Druck von WTO, IWF und Weltbank, aber auch der Regierungen der reichen Länder die Zölle auf Milchprodukte fast völlig auf null gesetzt. Folge: 2005 kostete in Burkina Faso 1 Liter Milch auf Basis subventionierten europäischen Milchpulvers 30 Cent, die Frischmilch der heimischen Viehhirten 45 Cent. Jetzt raten Sie einmal, was passiert: Pulvermilch erobert die Märkte; die Produktion von Frischmilch und damit die heimische Marktentwicklung werden mit diesen Politiken ganz klar zerstört. Das führt nicht zu einer besseren Entwicklung und trägt auch nicht zur Ernährungssouveränität dieser Länder bei. Ein anderes Beispiel: Haiti hat den Import von Reis zwischen 1992 und 2003 um mehr als 150 Prozent gesteigert. 95 Prozent der Importe kommen aus den USA. Auch das ist subventionierter Reis. Seit Mitte der 80erJahre ist dadurch die Nahrungsmittelproduktion in Haiti pro Kopf um ein Drittel geschrumpft. Das sind die Ursachen des Hungers. Ein weiterer Faktor, der sträflich vernachlässigt wurde, ist der Agrarsektor. Frau Ministerin, es hat mich sehr gefreut, dass Sie darauf eingegangen sind. Im Ausschuss haben wir des Öfteren darüber debattiert. Die Förderung der Landwirtschaft im globalen Süden wurde während der letzten 20 Jahre komplett vernachlässigt. Das ist umso erstaunlicher, als der Kampf gegen Hunger und Armut das erste und wichtigste der sogenannten Millenniumsziele ist. Doch zwischen dem seither wiederholt bekräftigten Anspruch und der Wirklichkeit klafft eine große Lücke. Der Anteil der Landwirtschaftsförderung an der Entwicklungshilfe der Industrieländer ist von 17 Prozent im Jahre 1980 auf 3,7 Prozent im Jahr 2007 gesunken. Das sind die Tatsachen. Die Agrartreibstoffe haben die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe getrieben. Das ist unbestritten. Deutschland hat mit seiner Quotenpolitik massiv dazu beigetragen, die Anbauflächen für Palmöl, Mais und Soja auszudehnen. Das ist keine kohärente Entwicklungspolitik. Ich möchte auf ein weiteres Gebiet der Zusammenarbeit verweisen, das die Regierung in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt hat: die Sicherstellung einer obligatorischen, gebührenfreien und qualitativ guten Grundschulbildung. Frau Ministerin, es freut mich, dass Sie gerade auch auf diesen Punkt eingegangen sind. Die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen, ist in den letzten Jahren zwar gestiegen, sie sagt aber nichts über die Qualität der Schulbildung aus. Die Tatsache, dass nur 20 bis 30 Prozent dieser Kinder einen Schulabschluss erwerben, hat mit der Ausstattung mit Lehrmaterialien und Lehrkräften zu tun. Es bedarf größerer Anstrengungen. Hierzu haben wir einen Antrag in den Bundestag eingebracht, über den wir in den nächsten Wochen beraten. Er wird, wie ich hoffe, dank Ihrer Zustimmung beschlossen, damit wir vorankommen. Es gäbe viel zum entwicklungspolitischen Haushalt zu sagen, den wir in den nächsten Wochen im Ausschuss beraten werden, ich will aber nur noch einen weiteren Punkt kurz ansprechen: Entwicklungspolitik soll Prävention sein. Wenn Entwicklungspolitik Prävention sein und einen längerfristigen, nachhaltigen Frieden sicherstellen soll, dann muss manchen Projekten von Entwicklungspolitikern eine Absage erteilt werden. Vor allem der CDU/CSU-Fraktion rufe ich zu: Mit dem Bau des IlisuStaudamms in der Türkei, ({2}) der mit Hermesbürgschaften der Bundesregierung sichergestellt wird, verstößt man nicht nur gegen soziale Standards und gegen die Menschenrechte der Menschen am Tigris; der Staudamm in der Türkei wird auch dazu führen, dass das Wasser für die Iraki und die Syrer im Jahr 2020 oder 2030 möglicherweise so knapp sein wird, dass aufgrund dessen ein Flächenkrieg in der Region entsteht. Dafür werden Sie mit zur Verantwortung gezogen. Das tue ich hiermit. Ich hoffe, das macht Sie nachdenklich. Ich hoffe, dass die CDU/CSU bei ihrem Wirtschaftsminister interveniert, damit die Hermesbürgschaft endlich entzogen wird. ({3}) Dieses Projekt in der Türkei, das Menschenrechte verletzt, Sozialstandards ad absurdum führt und die Ursache eines möglichen Krieges darstellt, muss endlich beendet werden. ({4}) ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, da der Kollege seine Redezeit bereits weit überschritten hat. ({0})

Hüseyin Kenan Aydin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003733, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen im Ausschuss noch detaillierter über die Entwicklungszusammenarbeit miteinander sprechen. Ich hoffe, dass die Bundesregierung mit neuen nachhaltigen und kohärenten Konzepten endlich viel mehr tut, um die Entwicklung in den armen Ländern so zu stabilisieren, dass Armut vermieden wird und Fluchtursachen ganz bekämpft werden. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Müsste ich meinen Kommentar zum vorgelegten Haushaltsentwurf in einem Slogan zusammenfassen, dann würde ich sagen: Gut, aber nicht gut genug. Wir erkennen an und begrüßen ausdrücklich, dass die entwicklungsrelevanten Mittel um 800 Millionen Euro steigen werden. Doch es gilt: Versprochen ist versprochen, und Versprechen muss man halten. ({0}) - Ja, natürlich. Das ist klar. Das, was die Bundesregierung auf vielen Konferenzen versprochen hat, zum Schluss die Kanzlerin sehr medienwirksam in Heiligendamm, würde bedeuten, die Mittel Jahr um Jahr um 1 Milliarde Euro zu steigern. ({1}) Wir nehmen Sie da beim Wort und werden im Haushaltsverfahren Anträge einbringen, die die Kluft zwischen dem Versprochenen und dem tatsächlich Eingehaltenen zumindest etwas kleiner machen. Denn wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird die Lücke immer größer. Die Europäische Kommission hat genau ausgerechnet, dass bereits in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro fehlen. Wenn keine Kurskorrektur erfolgt, dann wird die Lücke im nächsten Jahr bereits 3 Milliarden Euro betragen. Der Regierung geht die Puste aus, und sie wird ihre Versprechen nicht erfüllen können, da sie nicht dafür sorgt, eine solide Finanzierung für die zugesagten Steigerungen auf die Beine zu stellen. ({2}) Wir haben uns immer für einen Dreiklang ausgesprochen, um die ODA-Mittel steigern zu können: höhere Haushaltsmittel, weitere Entschuldung und - das ist jetzt ganz besonders wichtig - neue innovative Finanzierungsinstrumente. Sich dabei ausschließlich auf den Emissionshandel zu stützen, wie das die Bundesregierung tut, wird nicht ausreichen. Es rächt sich, dass die Koalition es nicht geschafft hat, sich auf die Einführung einer Flugticketabgabe zu einigen. Auch das Projekt Devisenumsatzsteuer hat sie wahrscheinlich ad acta gelegt. Eine Flugticketabgabe, wie sie die Franzosen bereits praktizieren, würde allein 300 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Wenn man eine Devisenumsatzsteuer einführen würde - ich weiß, das geht nur im Einklang mit vielen anderen Playern -, brächte ein Satz von nur 0,005 Prozent Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe. ({3}) Wir haben diese Vorschläge auf den Tisch gelegt. Wenn die Regierung unsere Vorschläge ablehnt - das kann sie tun -, muss sie aber Alternativen vorlegen ({4}) und deutlich machen, mit welchen Instrumenten und welchen Finanzierungsmöglichkeiten sie diese Erhöhungen erreichen will. Oder seien Sie bitte ehrlich und sagen Sie: Wir können uns nicht auf andere Finanzierungsinstrumente einigen, wir können uns die zusätzlichen Milliarden nicht aus den Rippen schneiden. Dann lässt sich aber das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 nicht erreichen. Wir stehen vor zwei riesengroßen globalen Herausforderungen, die wir nur stemmen können, wenn wir erstens deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, wenn wir zweitens die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend verbessern und wenn wir drittens endlich damit aufhören, Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit durch krasse Fehlentscheidungen auf anderen Politikfeldern, wie im Handels- und Agrarbereich, wieder zunichtezumachen. Wir haben da von den Kollegen einige Beispiele gehört. Ich nenne nur die Wiedereinführung von Agrarexportsubventionen für Schweinefleisch. Das ist völlig kontraproduktiv zu dem, was wir in der Entwicklungspolitik machen. ({5}) Diese Inkohärenz muss beseitigt werden. Die beiden Megaherausforderungen sind der Klimawandel und die Erreichung der Millenniumsziele. Durch die sich dramatisch zuspitzende Welternährungskrise aufgrund der stark ansteigenden Preise sind wir gerade beim wichtigsten Millenniumsziel - der Halbierung der Zahl der Hungernden - weit weg von der Erfolgsspur. Entwicklungspolitik kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie Armutsbekämpfung und globalen Umwelt- und Klimaschutz konsequent zusammenbringt und nicht gegeneinander ausspielt. Lassen Sie mich zum Klimawandel nur so viel sagen: Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen, wie etwa große Programme zum Schutz der tropischen Regenwälder, können nicht allein aus den Etats der Entwicklungshilfeministerien finanziert werden. Es kann höchstens ein Anfang sein, dass man Pilotprojekte auf den Weg bringt. Sonst fehlt das Geld für die Verfolgung der anderen wichtigen Millenniumsziele: für die Aids-Bekämpfung, die Hungerbekämpfung, die Bildung und die Gesundheit. Das Klima zu retten und die Erderwärmung zu begrenzen, ist eine große globale Gemeinschaftsaufgabe. Dafür brauchen wir dringend neue Finanzierungsmechanismen. Das geht nicht allein aus den Kassen der Entwicklungspolitik. Was die klassischen Millenniumsziele betrifft - das wurde bereits erwähnt -, sind wir gerade bei der Hungerbekämpfung von der Erfolgsspur noch sehr weit entfernt. Die Hunger Task Force, die sich auf Initiative von Ban Ki-moon neu gebildet hat, geht davon aus, dass wir vielleicht schon im nächsten Jahr die 1-Milliarde-Grenze erreichen, was die Zahl der Menschen angeht, die chronisch bedrohlich unterernährt sind. Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle uns darüber im Klaren sind, was das bedeutet; das gilt auch für die breite Öffentlichkeit. Um nur einige Konsequenzen zu nennen: Neben den vielen schrecklichen Einzelschicksalen hungernder und verhungernder Menschen wird es zu Wanderbewegungen und zu einem verstärkten Druck auf die Wälder kommen, die im Hinblick auf die biologische Vielfalt und das Klima eigentlich geschützt werden müssten. Es werden Aufstände stattfinden, und die Hungerfrage wird sich zu einer Sicherheitsfrage entwickeln. Auf dem Welternährungsgipfel im Rom wurde endlich die entscheidende Rolle der Kleinbauern herausgestellt und betont, dass gerade sie auf nachhaltige Art und Weise gefördert werden müssen, um für lokale und regionale Märkte Nahrungsmittel zur Verfügung stellen zu können. Wir haben das seit langer Zeit gefordert, schon zu Zeiten von Rot-Grün, ({6}) haben uns gegenüber unserem Koalitionspartner aber leider nicht immer durchsetzen können. Schon damals ist die ländliche Entwicklung leider vernachlässigt worden. ({7}) Zur Bekämpfung des Hungers sind viele Maßnahmen notwendig. Dazu gehört die schnellstmögliche Abschaffung der Agrarexportsubventionen. Was diese Maßnahme betrifft, werden wir Entwicklungspolitiker einer Meinung sein. Davon müssen wir eher die Agrarlobby überzeugen. Weitere wichtige Punkte sind die Eindämmung der Spekulation mit Lebensmitteln, die Einführung von verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien für die gesamte Agrarpalette - nicht nur für die Agrotreibstoffe, sondern auch für die Futtermittelproduktion, für Kaffee, Baumwolle usw. -, damit es nicht zu einer Flächenkonkurrenz kommt und das Recht auf Nahrung nicht ausgehöhlt wird. Für uns Entwicklungspolitiker spielt insbesondere in den Haushaltsberatungen auch Folgendes eine Rolle: Wir brauchen mehr Geld und bessere Konzepte für die ländliche Entwicklung. In diesem Bereich sind zwar große Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings ausgehend von einem sehr geringen Niveau. Bisher sind gerade einmal etwas mehr als 3 Prozent der bilateralen EZ in den ländlichen Bereich geflossen. Jetzt sollen es 5 Prozent werden. Die Hunger Task Force der Vereinten Nationen fordert ein Zehn-zu-zehn-Abkommen, das wir mit Nachdruck unterstützen. Sie möchte, dass 10 Prozent der nationalen Entwicklungsetats in den Agrarsektor fließen. Allerdings sollten auch die afrikanischen Staaten ihre Zusage, die sie auf einer Konferenz in Maputo gegeben haben, einhalten und 10 Prozent ihrer nationalen Haushaltsmittel in die Förderung des Agrarsektors stecken. ({8}) Zusammenfassend ist zu sagen: Wir fordern mehr Mittel und tragfähige Konzepte für Ernährungssicherung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Außerdem fordern wir mehr Mittel für den zivilen Aufbau in Afghanistan; in den nächsten Wochen werden wir über dieses Thema noch viele Debatten führen. Wir fordern pro Jahr mindestens 200 Millionen Euro, um die große Diskrepanz zwischen zivilen und militärischen Anstrengungen ein wenig auszugleichen. Außerdem fordern wir mehr Geld für den Erhalt der tropischen Regenwälder und für Maßnahmen, die den Klimawandel aufhalten und die biologische Vielfalt schützen. Um die Millenniumsziele zu erreichen und die Qualität sowie die Quantität der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, sind große Anstrengungen notwendig. Was die Qualität angeht, warten wir noch immer auf die versprochene institutionelle Reform. Leider mussten und müssen wir mit ansehen, dass sie im Koalitionsstreit steckengeblieben ist. Wir halten es für dringend notwendig, GTZ und KfW zu einer schlagkräftigen bundeseigenen Entwicklungsagentur zusammenzuführen. Wir hoffen, dass sich die Koalition auf den letzten Metern doch noch einigt und sich zu einem entsprechenden Projekt durchringt. Wie ich sehe, läuft mir die Zeit davon. Allerdings möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass zur Qualität der Entwicklungszusammenarbeit auch gehört, dass dieses Haus zur Kenntnis nimmt, über was auf den großen Konferenzen, zum Beispiel auf der Konferenz in Accra, diskutiert wird. Denn die Diskussion über die Qualität klafft international und national weit auseinander. ({9}) In Accra - wir sind mit einer Delegation dort gewesen haben alle Player - Nichtregierungsorganisationen, Vertreter der Entwicklungsländer und Vertreter anderer Gebernationen - darauf hingewiesen, dass gerade die Mittel für die Instrumente, die Sie sehr kritisch beurteilt haben, zum Beispiel die programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung und die Budgethilfe, gesteigert werden müssten, natürlich nicht unkonditioniert. ({10}) In diese Richtung geht die internationale Diskussion. Hier aber streiten besonders viele - nicht alle, aber viele von Union und FDP - eher für eine Nationalisierung der Entwicklungspolitik, ganz stark für das bilaterale Element, an das wieder die deutsche Flagge geheftet werden kann. Zudem gibt es eine große Diskussion über die Lieferentbindung, also darüber, Entwicklungspolitik und Außenwirtschaftsförderung nicht miteinander zu verzahnen. Bei Union und FDP zeigt sich immer wieder das Bestreben, diese beiden Bereiche, die beide ihre Berechtigung haben, aber sauber getrennt werden sollten, miteinander zu verzahnen. Die Entwicklungsaufgaben, die MDGs, sind so wichtig, so lebensnotwendig, dass jeder Euro so effizient wie möglich genutzt werden muss. Andere Ziele wie die Sicherung von Arbeitsplätzen in Deutschland sind auch wichtig und erstrebenswert. Das sollte aber bitte nicht aus den Kassen des Entwicklungsministeriums bezahlt werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Hoppe, ich muss Sie jetzt wirklich an Ihre Zeit erinnern.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Quantität und Qualität der Entwicklungszusammenarbeit müssen verbessert werden. Vor allen Dingen muss endlich eine kohärente Politik angestrebt werden, bei der alle Politikbereiche an einem Strang ziehen. Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin Dr. Bärbel Kofler. ({0})

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn den sehr erfreulichen vorliegenden Haushalt loben. Ich denke, es ist sehr wichtig, noch einmal deutlich festzustellen, dass der Haushalt im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozent aufwächst. Das ist eine positive Entwicklung, und das ist von allen Rednern in diesem Haus begrüßt worden. Mittlerweile sind wir bei einer Summe von knapp 5,8 Milliarden Euro für die Entwicklungszusammenarbeit - für Entwicklungszusammenarbeit, Herr Kollege Vaatz, nicht für Entwicklungshilfe. ({0}) Es ist auch erfreulich, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur in unserem eigenen Ressort, im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sondern auch in anderen Ressorts Fuß fasst und greifen kann. Ich halte es für wichtig, dass andere Ressorts in die Entwicklungszusammenarbeit ein18752 bezogen werden. Das hat etwas mit Politikkohärenz und mit einem vernünftigen Mitteleinsatz in den verschiedenen Ressorts zu tun. Es bedarf allerdings einer ordentlichen Abstimmung der Ressorts untereinander und der Erkenntnis, dass Entwicklungspolitik eine Querschnittsaufgabe ist, die in allen Politikbereichen von enormer Bedeutung ist. Lassen Sie mich zu einem Punkt Stellung nehmen, der sehr kritisch angemerkt worden ist. Das Thema der Budgethilfe geistert seit Wochen, Monaten und Jahren durch unsere Debatten. Es ist erstaunlich, mit welcher Hartnäckigkeit man manchmal an lieb gewordenen Vorurteilen festhält, auch wenn man es besser wissen könnte. ({1}) Ich beziehe mich auf eine Anfrage, die Herr Kollege Koppelin gestellt hat. In dieser fragt er die Bundesregierung zur Budgethilfe mit Kamerun, ob es richtig sei, die von Ihnen zitierten 34 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 als Budgethilfe auszugeben. Die Bundesregierung antwortet mit Nein; dies treffe nicht zu. Die Bundesregierung erläutert detailliert, dass die gesamte Zusammenarbeit mit Kamerun 34 Millionen Euro ausmache, 22 Millionen Euro finanzielle Zusammenarbeit, 12 Millionen Euro TZ. Im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit sei dies eine Frage der sektoralen Budgethilfe; man muss hier sehr sauber trennen. Für die Forstpolitik wird geprüft, ob man das in diesem Bereich so umsetzen kann. Ich finde es unlauter, wenn mit Beispielen gegen das Instrument der finanziellen Zusammenarbeit argumentiert wird, obwohl man ganz andere Zahlen, ganz andere Informationen und ganz andere Antworten vorliegen hat. ({2}) Das Gleiche gilt für die Frage, ob wir eine Budgethilfe für Afghanistan leisten. Auch das tun wir nicht. Das möchte ich bei dieser Gelegenheit nur einmal feststellen. Vielleicht ist es notwendig, noch einmal einige Takte zum Thema der Budgethilfe generell zu sagen. ({3}) Niemand behauptet, dass Budgethilfe das allein selig machende Mittel der Entwicklungszusammenarbeit ist. Das Ganze ist aber in einem internationalen Kontext mit Partnern abgestimmt worden. Herr Kollege Hoppe hat die Diskussion auf internationaler Ebene geschildert. Die Budgethilfe ist ein vernünftiges Instrumentarium zur Zusammenarbeit mit Ländern, die man auswählt und bei denen man genau prüft, ob mit ihnen eine solche Form der Zusammenarbeit möglich ist. ({4}) - Herr Kollege Addicks, ich habe gerade erläutert, was wir hinsichtlich Kamerun tun. Es wäre schön, wenn Sie irgendwann auch einmal zuhören würden. ({5}) - Stellen Sie eine Frage, oder lassen Sie mich weiterreden. ({6}) Unsere bilaterale Durchführungsorganisation sagt, dass dort ein ganz anderer und wesentlich entspannterer Umgang mit dem Thema Budgethilfe herrscht, als Sie ihn hier geschildert haben. Warum ist das so? Das ist so, weil die meisten Maßnahmen, die wir durchführen, ordentlich begleitet werden. In Kamerun gibt es zum Beispiel einen Mitarbeiter der GTZ, der die Regierung im Bereich der Forstpolitik berät ({7}) - die Kollegin Koczy und ich haben ihn kennengelernt und mit ihm und dem Forstminister gesprochen - und für eine ordentliche begleitende Technical Assistance sorgt, wie das bei solchen Projekten, bei Projekten der allgemeinen und sektoralen Budgethilfe und bei sogenannten PGF-Programmen, im Allgemeinen auch üblich ist. Was ist das Wesentliche an der Budgethilfe? Ich finde, man sollte den Dialog auf Augenhöhe suchen. Was machen wir denn in der Entwicklungspolitik? Bestimmen wir, wie die Entwicklung in anderen Ländern auszusehen hat, weil wir alleine das Wissen haben und dort Projekte auflegen? Haben wir so unsere Entwicklungspolitik zu gestalten? Nein, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben ein Instrumentarium, mit dem man auch gemeinsam mit den Partnern notwendige Strukturveränderungen angehen und besprechen sowie Strukturpolitik betreiben kann. Ich glaube, auch das ist ein wichtiges Kennzeichen moderner Entwicklungspolitik, die im Übrigen vor zehn Jahren durch Rot-Grün eingeleitet worden ist. ({8}) Natürlich wird die Budgethilfe kontrolliert. Selbstverständlich ist es auch möglich, die Budgethilfe für Länder zu beenden, wenn entsprechende Voraussetzungen nicht gegeben sind: ({9}) siehe Nicaragua. Das ist eines der Beispiele. Ich denke, wenn wir über den Entwicklungshaushalt diskutieren, dann ist es ganz entscheidend, auch darüber zu diskutieren, wie wir die Mittel verwenden wollen, wie die Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren generell gestaltet und strukturiert werden soll und welche Defizite man noch sieht. In Accra wurde aufgezeigt, dass die Koordination aller Beteiligten sicher verbessert werden kann: im Sinne von mehr Wirksamkeit und mehr Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit. Ich glaube aber auch, dass es an der Zeit ist, von rückwärtsgewandten Ideen und Diskussionen, die in den Medien manchmal herumgeistern, in denen zum Beispiel von einer Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der bilateralen EZ und einer Übertragung dieser Befugnis auf die deutschen Botschaften gesprochen wird, Abstand zu nehmen, weil das einer Entwicklungspolitik, die sich als Strukturpolitik im Zusammenwirken mit den Partnerländern versteht, einfach nicht gerecht wird und weil man mit solchen Ideen nicht auf der Höhe der Zeit ist. ({10}) Wir brauchen ein Mehr an Dialog auf Regierungsebene, auf Parlamentsebene und zwischen den zivilgesellschaftlichen Institutionen der Länder und ein Mehr an Transparenz. Auch dafür kann mit der viel gescholtenen Budgethilfe durchaus der eine oder andere Anreiz gegeben werden. Wir brauchen beim Aufbau der Strukturen eine Unterstützung unserer Partnerländer. In den Zeitungen war ein sehr schönes Zitat des Staatspräsidenten von Ghana darüber zu lesen, wie er die Entwicklungszusammenarbeit sieht. Dort stand: Entwicklungszusammenarbeit muss die Kapazitäten von Regierungen und Verwaltungen stärken und in den Empfängerländern ökonomische Muskeln aufbauen lassen. Ich finde, das ist eine sehr richtige Aussage. Damit wird ausgesagt, dass nicht nur Veränderungen bei Projekten, die im Einzelnen sehr sinnvoll sein können - das möchte ich nicht bestreiten -, sondern auch der Strukturen angegangen werden müssen, der Strukturen, die dazu führen, dass Menschen in Armut leben, die in den Ländern selbst nicht nachhaltig bekämpft werden kann. Hierfür müssen wir geeignete Instrumentarien und geeignete Mittel finden. ({11}) - Um auf den Zwischenruf einzugehen: Die Wirtschafterländer kann man nur stärken, indem die Gesamtstruktur der einzelnen Länder in einem vernünftigen Maße gestärkt wird. Dazu müssen zuvor Verwaltungen gestärkt und ein Rechtssystem aufgebaut werden, die vernünftig funktionieren. Das kann man am Beispiel Ghana erkennen, wenn man sich das dortige Justizwesen anschaut und sich die Diskussionen über die Boden- und Landrechtsreform sowie darüber anhört, welche begleitenden Beiträge man hier wirklich leisten kann, damit die Streitfragen in diesem Land zum Wohle der Bürger beantwortet werden können und - das ist nichts Ehrenrühriges; dagegen hat ja niemand etwas - damit in diesen Ländern später auch investiert werden kann. Im Rahmen der Debatte um den Strukturaufbau sollte man den Blick auch auf Ruanda richten. Die Kollegen, die an der Reise teilgenommen haben und vielleicht mit einigen neuen Erkenntnissen nach Hause gekommen sind, können bestätigen, dass Ruanda ein Land ist, das sehr viel dafür tut, seine eigenen Strukturen zu verändern, um die Armut aus eigener Kraft und nachhaltig bekämpfen zu können. Das Land braucht auf dem Weg dorthin Unterstützung und Hilfe. Dazu gehören die Vermittlung von Know-how, Beratung und finanzielle sowie humanitäre Unterstützung. ({12}) Was passiert dort? Durch den Besuch des Landes konnten wir es beobachten: Durch das Know-how und die Mittel, die wir Ruanda bereitstellen, werden Steuerbehörden, Rechnungshöfe und eine dezentrale Verwaltung aufgebaut. Außerdem werden Parlamente gestärkt und eingerichtet. Dies ist ein ganz elementares Zeichen dafür, dass es eine Regierung mit der Armutsbekämpfung ernst meint. Außerdem wird das notwendige Personal in den entsprechenden Bereichen bereitgestellt. Dies ist gar nicht so einfach, da qualifiziertes Personal benötigt wird. Das wurde uns vom Rechnungshof berichtet: Man braucht qualifizierte Mitarbeiter, die so gut bezahlt sind, dass sie beim Rechnungshof bleiben und nicht von anderen Firmen abgeworben werden. Diese Mitarbeiter werden gebraucht, damit die eben genannten Institutionen aufgebaut werden können. Das muss allerdings finanziert werden. Diese Institutionen sind die Basis dafür, dass Länder ihre eigenen Einnahmen steigern können. In Ruanda - das möchte ich nebenbei einmal erwähnen - hat man in den letzten zehn Jahren eine Versechsfachung der Steuereinnahmen verzeichnet, weil die Basis für Steuereinnahmen mittlerweile eine andere ist. Außerdem stellt sich folgende Frage - da geht es um nachhaltige Armutsbekämpfung -: Wie geben diese Länder die Mittel aus? Es muss überprüft werden, ob in einem Land vernünftige Ansätze gewählt werden, zum Beispiel die sogenannte Community-based Insurance. Es muss untersucht werden, ob soziale Versicherungssysteme auf das ganze Land ausgedehnt werden, sodass die 95 Prozent der im informellen Sektor beschäftigten Menschen in Ruanda etwas davon haben. Für die Menschen wäre das eine Absicherung. Außerdem würde dadurch der soziale Frieden im Land aufgebaut und stabilisiert. Ich bin sehr stolz, dass es der SPD-Fraktion, aber auch insgesamt den Koalitionsfraktionen im letzten Jahr gelungen ist, die sozialen Sicherungssysteme durch einen gemeinsamen Antrag voranzubringen. Ich bin stolz darauf, dass er vom Ministerium im Haushalt aufgegriffen worden ist. Man kann an vielen Ländern in Ansätzen sehen, wie man an dieser Stelle zu einer positiven Weiterentwicklung kommt. Man kann es an vielen Beispielen sehen: Entwicklungspolitik ist wesentlich mehr als nur Nothilfe; dies sollte man an dieser Stelle deutlich machen. Der Haushaltsplan ist aus meiner Sicht sehr positiv zu bewerten. Zu vielen Punkten wird es spannende und längere Diskussionen geben. Ich finde es sehr schön, dass der Zivile Friedensdienst deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommt. Ich weiß, dass durch diesen Beitrag nicht alle Konflikte in den Konfliktregionen gelöst werden können. Ich war vor kurzem im Ostkongo. Mir ist sehr wohl bewusst, dass dadurch die Probleme bezüglich der Verteilung von Ressourcen, der Verteilung von Armut und Reichtum, der Rechtlosigkeit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Rebellenbewegungen nicht gelöst werden können. Aber es gilt auch Folgendes zu beachten, was uns von einem Wissenschaftler eines Instituts in Goma gesagt wurde: Der Krieg hat die Psyche der Menschen nachhaltig verändert und geschädigt. Bevor wir mit irgendwelchen Arbeiten beginnen können, müssen wir den Menschen, die nicht mehr dieselben sind wie vor dem Krieg, helfen, damit sie wieder unter menschlichen Bedingungen, einschließlich einer gesunden Psyche, einer gesunden Seele, leben können. Gerade in diesem Bereich leistet der Zivile Friedensdienst, auch in so schwierigen Regionen wie dem Ostkongo, eine sehr gute Arbeit. Ich bin sehr froh, dass der Etat in diesem Bereich deutlich aufgestockt wurde. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Kofler, auch Sie muss ich an Ihre Redezeit erinnern.

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme zum Schluss und kann leider nicht mehr über Afghanistan, über „weltwärts“ und über die Bildung diskutieren. Das können wir nächste Woche machen. Herr Kollege Aydin, wir haben einen besseren Antrag vorgelegt als Sie. Damit befassen wir uns nächste Woche. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, in der Entwicklungspolitik endlich etwas anderes zu sehen als ein punktuelles Helfen in einzelnen Situationen. Wir müssen uns vielmehr darauf konzentrieren, Entwicklungspolitik mit Strukturpolitik zu verbinden, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, über einen intelligenten Instrumentenmix nachzudenken

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Kofler!

Dr. Bärbel Kofler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003710, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- und bei allen unseren Kollegen um Verständnis für diese Änderungen in der Entwicklungspolitik zu werben. Herzlichen Dank. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, Ihnen zu einem einschneidenden Ergebnis im Laufe eines Lebens zu gratulieren. Auch heute will ich Ihnen eine Gratulation zukommen lassen. Sie sind seit nunmehr fast zehn Jahren im Amt und damit die dienstälteste Ministerin. Das nehme ich zum Anlass, Ihnen zu gratulieren. Ich glaube, an dieser Stelle ist es auch an der Zeit, festzustellen, dass Sie auch eine der durchsetzungskräftigsten Persönlichkeiten in der vorangegangenen wie auch in dieser Regierung sind. Das wollen wir Ihnen gerne konzedieren, verbunden mit einem speziellen Kompliment und einem besonderen Hinweis an Herrn Diller. Das Problem dabei ist allerdings, dass Ihr Modell so erfolgreich war, dass nicht nur Sie ein Neben-Auswärtiges-Amt aufgebaut haben, sondern inzwischen auch Herr Gabriel und einige andere damit beginnen. Damit wird die Lage immer unübersichtlicher, und es kommt zu Reibungsverlusten. ({0}) Wenn wir uns dem vorliegenden Haushalt und dem Einzelplan Ihres Ministeriums zuwenden, dann müssen wir mit Respekt feststellen, dass es einen stattlichen Aufwuchs gibt, im Übrigen auch mit Zustimmung der FDP. Vielleicht können Sie, Herr Diller, Herrn Minister Steinbrück mitteilen, dass er sich irrt, wenn er glaubt, dass wir als FDP etwas dagegen hätten. Auch wir fordern, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken. Der Aufwuchs ist tatsächlich begründet. Er ist aber in der Sache, was die Instrumente angeht, in vielen Bereichen unausgewogen. Vom Instrument der Budgethilfe war bereits die Rede. Wir lehnen die Budgethilfe als Instrument nicht ab, aber wir verlangen, dass bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, wie auch der Kollege Vaatz eben festgestellt hat. Zuerst müssen ordentliche Strukturen entstehen. Erst muss das Fass einen Boden haben, bevor man Geld hineintun kann. Das gilt auch für öffentliche Mittel aus Deutschland. Das ist die richtige Reihenfolge. ({1}) Deshalb lehnen wir auch entsprechende Quoten ab. Man kann beispielsweise nicht davon ausgehen, dass grundsätzlich 66 Prozent der finanziellen Hilfe als Budgethilfe zu gewähren sind - das ist eine der Zahlen, die im Raum stehen -, weil das auf irgendeiner Konferenz beschlossen worden ist. Ich weiß aber, dass in 66 Prozent der Fälle die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Es ist doch Unfug, eine solche Quote festzusetzen. Man muss jeweils im Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind und ob die Budgethilfe nötig ist. Darum geht es uns. Deshalb müssen wir an dieser Stelle sagen, dass wir falsch liegen, wenn wir davon ausgehen, dass wir eine Quote - egal welche - erreichen müssen. Das gilt im Übrigen auch für die Quotenversessenheit der EU, die wir für genauso verfehlt halten. ({2}) Wenn wir Sie also dafür loben, dass Sie einen Haushalt aufgestellt und durchgesetzt haben, der einen stattlichen Umfang hat, dann müssen wir aber auch hinzufügen, dass es in diesem Haus leider immer noch eine falsche Schwerpunktsetzung gibt. Wir wissen das, und wir haben mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass Sie derzeit dabei sind, das Ankerländerkonzept und auch die finanzielle Hilfe für China unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen. China ist ein griffiges Beispiel, über das wir immer wieder reden müssen, insbesondere wenn es um die Relation zu anderen Bereichen geht. Wenn wir bei der ODA-Quote die Hilfeleistungen an China zusammenrechnen - die neuesten Zahlen liegen noch nicht vor; aber die letzte gemeldete Zahl betrug etwa 200 Millionen Euro -, dann müssen wir feststellen: Gemessen daran ist das, was wir für ein strategisch so wichtiges Land wie Afghanistan ausgeben - das haben wir heute mehrfach gehört -, einfach zu wenig. Wir erkennen zwar an, dass ein Aufwuchs bei den Mitteln für Afghanistan stattfindet. Das reicht aber überhaupt nicht aus, insbesondere nicht im Vergleich zu anderen Ländern. Wir bitten Sie daher, eine Überprüfung vorzunehmen. Wir sind sicherlich sehr froh, dass einiges in dieser Richtung passiert ist. Aber die 30 Millionen Euro Nahrungsmittelhilfe beispielsweise sind auf dieses Jahr begrenzt. Sollen die Menschen also nicht dieses Jahr, sondern erst nächstes Jahr verhungern? Das kann nicht richtig sein. Das spricht doch für einen dauerhaften Aufwuchs. Wie ist es beispielsweise um das Verhältnis von militärischen und anderen Sicherungsmaßnahmen zur konkreten Aufbauhilfe bestellt? Wir sichern in Afghanistan militärisch, um aufbauen zu können. Also kann es nicht sein, dass wir nur minimal aufbauen, während wir gleichzeitig mit enormem Aufwand sichern. Um schnellstmöglich wieder abziehen zu können, müssen wir den Aufbau voranbringen; das ist doch das Ziel. Sie halten uns immer entgegen, das Land sei gar nicht aufnahmefähig. Ich war vor einigen Wochen mit dem Außenminister dort. Wir haben ganz gezielt - ich bin dem Außenminister dankbar, dass er sich dieser Sache mit solchem Nachdruck gewidmet hat - nach Projekten geschaut, die man zusätzlich und unmittelbar in Angriff nehmen könnte. Wir mussten nicht lange suchen, um welche zu finden: Stromtransportstrecken, Staudämme, Straßen, landwirtschaftliche Unterstützung, Kleinhandel und Kleingewerbe, Mikrofinanzierung und vieles andere mehr. All das sind Bereiche, in denen wir zusätzliche Hilfe leisten können. ({3}) Frau Präsidentin, ich sehe mit tiefem Bedauern, dass meine Redezeit zu Ende geht. Wenn Sie gestatten und dulden, erlaube ich mir noch eine Schlussbemerkung. Ich freue mich, dass das Ministerium zu einer Veränderung der Betrachtungsweise gekommen ist. Ich muss allerdings der Kollegin, die nicht fertig wurde, obwohl sie mehr Zeit hatte, sagen: Auch hier müssen wir einiges vernachlässigen, zum Beispiel die Frage nach den innovativen Finanzierungsinstrumenten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Königshaus!

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin schon am Ende. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es wäre ein gutes Ende, Herr Königshaus.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was, bitte schön, ist eine Institutionenreform? Diese und viele andere Fragen wollen wir Ihnen gerne stellen. Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie uns mit zusätzlichen Auskünften! Sie haben die Chance zu einem Politikwechsel, weil Sie einen entsprechenden Aufwuchs zu verzeichnen haben. Nutzen Sie sie! Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Königshaus, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Zahlen, die Sie im Zusammenhang mit China genannt haben, überhaupt nichts mit meinem Etat zu tun haben. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind unter anderem Zahlen, die die Bundesländer als Studienplatzkosten für in Deutschland studierende Chinesen, als Official Development Assistance, gemeldet haben. Das war schon immer so. Das habe nicht erst ich eingeführt; vielmehr haben das Regierungen verankert, an denen auch Sie als FDP beteiligt waren. Die von Ihnen genannten Zahlen kann man nicht auf andere Ressorts übertragen. Die Mittel sind jedenfalls nicht in meinem Haushalt ressortiert. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und versuchen Sie nicht dauernd, solche Zahlen in die Welt zu setzen, die nur dazu dienen, die Entwicklungspolitik zu diffamieren. Das hat mit uns überhaupt nichts zu tun. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Königshaus, Sie dürfen erwidern. Aber eine Kurzintervention ist auf drei Minuten beschränkt.

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bin mir dessen bewusst. Ich bin überrascht, Frau Ministerin, weil die ODAQuote von verschiedenen Seiten bereits angesprochen wurde. Wenn es ein entscheidendes Momentum ist, ob wir die ODA-Quote erreichen - wie lauten die Prozentzahlen? -, dann können Sie jetzt nicht sagen, die ODAQuote, die die Bundesregierung selbst bei der OECD an18756 gemeldet hat, sei eigentlich zu vernachlässigen. Nein, Sie ist es nicht. Es handelt sich um die Zusammenfassung staatlicher Mittel. ({0}) Niemand, auch ich nicht, hat behauptet, dass die Mittel aus dem Haushalt des BMZ kommen. Ich habe nur die staatlichen Leistungen Deutschlands für China denen für Afghanistan gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung ist korrekt, und deshalb verstehe ich überhaupt nicht, warum Sie sich darüber aufregen. Niemand hindert insbesondere die Bundesländer daran, ihrerseits für afghanische Studenten unterstützend entsprechende Kapazitäten zur Verfügung zu stellen. Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir zu wenig für Afghanistan tun, aus welchen Gründen auch immer. ({1}) Sie sind diesbezüglich nicht nur durchsetzungsfähig, sondern manchmal fast an der Grenze zum Starrsinn. Wir könnten mehr für Afghanistan tun. Ich verstehe nach wie vor nicht, warum Sie sich dieser Forderung, die wir heute und bei jeder Diskussion über Afghanistan von verschiedenster Seite hören, verschließen. Es gibt Projekte. Wir könnten mehr tun, und wir könnten eine andere Schwerpunktsetzung wählen. Danke schön. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch als letzter Redner möchte ich noch einmal betonen, dass die Bundesregierung mit dem Haushaltsansatz 2009 erneut die Bedeutung der Entwicklungspolitik als Instrument für eine friedliche und nachhaltige Entwicklung in unserer Welt unterstreicht, und zwar sowohl als Beitrag unseres Landes zur Linderung von Not und Elend in anderen Ländern und Kontinenten als auch als Beitrag für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger in unserem eigenen Land, in Deutschland. Der Haushalt geht mit seinen Hauptaugenmerken auf die besonderen internationalen Herausforderungen ein: die Stabilisierung und Transformation fragiler Staaten, Ernährungssicherheit, bessere Gesundheit, Klimawandel und das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Zum vierten Mal in Folge steigt der Haushalt unter Bundeskanzlerin Angela Merkel weit überproportional an. Mittlerweile haben wir ein Wachstum des Haushalts um die Hälfte des Betrags von 2005 erreicht. Dazu kommen noch Mittel im Rahmen der ODA-Quote, zum Beispiel aus dem Auswärtigen Amt und dem BMU. Wir unterstützen auch die deutliche Aufstockung der Hilfe für Afrika, die in den neuen Haushaltsansätzen strukturell vorhanden ist. Afrika hat besondere Schwierigkeiten, und Afrika hat eine besondere Nähe zu uns. Wir unterstützen außerdem nachdrücklich den Aufwuchs bei der ländlichen Entwicklung und bei der Bildung und Ausbildung. Das sind zwei Bereiche, die wir als Union schon in den Koalitionsverhandlungen ganz massiv gegenüber der SPD angemahnt haben. Jetzt ist es den Koalitionären auch durch eine gemeinsame Anstrengung im AwZ gelungen, diese beiden wichtigen Themen anzuschieben. Natürlich unterstütze ich außerdem mit großem Nachdruck den Aufwuchs beim internationalen Klimaschutz und Tropenwaldschutz. Jetzt möchte ich auf das eingehen, was Herr Hoppe gesagt hat. Herr Hoppe, Sie haben nicht nur heute davon gesprochen, dass man Versprechen halten muss. Sie haben auch in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung gesagt, die Kanzlerin müsse aufpassen, dass sie sich nicht lächerlich mache. Das finde ich nicht sehr lustig. Wenn man sich anschaut, was zwischen 1998 und 2005 geschehen ist, als die Grünen die Regierungsarbeit wesentlich mitbestimmen wollten, dann sieht man genau das, was der Kollege Arnold Vaatz schon angesprochen hat: Unter Ihrer Mitverantwortung ist der Haushalt in diesem Bereich um 146 Millionen Euro gesunken. Unter Ihrer Mitverantwortung sind vor allem die Bereiche Klimaschutz und Umwelt und Ressourcenschutz massiv eingebrochen. Ich habe mir die Zahlen heraussuchen lassen. 1998 lagen wir bei 425 Millionen Euro und im Jahr 2005 bei 193 Millionen Euro. Jetzt sind wir wieder bei fast 500 Millionen Euro. Das bedeutet zweierlei: Die Entwicklungspolitik kann in der Tat glücklich sein - ich bin sicher, die Ministerin Wieczorek-Zeul auch -, dass wir Angela Merkel statt Gerhard Schröder als Bundeskanzler haben. ({0}) Der Umwelt- und Klimaschutz kann glücklich sein, dass jetzt die Union in Mitverantwortung ist und nicht mehr die Grünen. ({1}) Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Natürlich weiß auch ich, dass es ein gewisses Risiko ist, wenn wir sagen, wir wollten das Versprechen, die ODA-Quote zu erfüllen, einhalten. Ich sage Ihnen auch: Ich stehe dazu, und ich trage sicher die Mitverantwortung, wenn wir scheitern sollten. Aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir es wenigstens versucht, im Gegensatz zu Ihnen haben wir wenigstens gekämpft, und zwar mit großem Erfolg. Sie sind damals nicht einmal aus den Startlöchern herausgekommen. ({2}) - Herr Hoppe, ich verstehe nicht die Diskussion über die innovativen Instrumente. Ich denke, es kann auch Ihnen nicht entgangen sein, dass wir - auch die Umweltpolitiker der Union waren daran maßgeblich beteiligt - ein innovatives Finanzierungsinstrument haben, nämlich den Emissionshandel. Es gibt kein besseres Instrument, Umweltpolitik mit Entwicklungspolitik zu verbinden, als den Emissionshandel. Es kann auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass die Einnahmen aus diesem Emissionshandel Jahr für Jahr steigen. ({3}) Da haben Sie ein innovatives Instrument. Deswegen sind Ihre Anmahnungen überflüssig. ({4}) Ich möchte auch bestätigen, dass wir weiter für das Wachstum der EZ kämpfen werden. Genauso wichtig ist aber, das wir uns ständig fragen, ob die Qualität und die Effizienz stimmen. ({5}) In diesem Zusammenhang ist die Doha-Runde ein wichtiger Punkt. So viel wie mit einer erfolgreichen Doha-Runde - erfolgreich auch für die Entwicklungsländer - kann man mit Entwicklungshilfe gar nicht direkt erreichen. Hier kommt es auch darauf an, dass wir unsere Hilfe für eine bessere Handelspolitik, für einen besseren Süd-Süd-Handel und vieles andere mehr in diesem Haushalt umsetzen. Ich denke an die Ergebnisse der Konferenz von Accra - oder auch an die Nichtergebnisse -, und ich denke daran, dass wir eine weitere, vielleicht noch wichtigere Konferenz in wenigen Wochen, auch in Doha, vor uns haben. Diese betrifft die Harmonisierung und Koordinierung und die Effizienz im internationalen Bereich. Es ist ein Gebot der Stunde, dass in der internationalen Politik endlich mehr Ordnung in das wachsende Chaos von staatlichen, internationalen, halbstaatlichen und privaten Geberstrukturen kommt. Es ist kontraproduktiv, dass manche Länder inzwischen von einer Unzahl von verschiedenen Helfermissionen völlig überfahren werden. Diese Ordnung hineinzubringen, ist noch viel wichtiger als die Frage, wie viel Geld es mehr im Haushalt gibt. Auch bei der Budgethilfe muss sich jeder fragen, ob diese für die Politik, die wir betreiben, ein Gewinn ist oder nicht. An dieser Frage kann man sich locker entlanghangeln, wenn man sauber diskutiert. Man muss darüber diskutieren, was der Rechnungshof gesagt hat, welche positiven und welche negativen Beispiele es gibt, und dann können wir Kriterien aufstellen. Ich glaube, das ist eine ganz saubere Methode. Was ich aber nicht will, ist erstens, dass Budgethilfe dann zum Katalysator wird, wenn man Abflussprobleme hat - das ist geradezu irrsinnig -, ({6}) und zweitens, dass man sagt: Das ist inzwischen gängige Praxis im Ausland. Das ist für mich auch kein Argument; ({7}) denn gerade die Praxis in Europa ist für mich eher abschreckend als ein gutes Beispiel. Worauf es ankommt, ist, dass wir eine bessere Arbeitsteilung finden. Es ist dringend notwendig, dass wir unsere Kräfte auf das Wesentliche konzentrieren. Wir haben einen Einstieg in die Diskussion über eine Konzentration auf Länder gefunden. In Zeiten des Terrorismus und auch angesichts der Vorgänge in Georgien sage ich ganz ehrlich, dass für uns ein wichtiges Kriterium neben Fragen der Bedürftigkeit, neben Fragen der Signifikanz die Bedeutung der Partnerländer für die eigene Sicherheit ist, zum Beispiel gegenüber den Mittelmeerländern, zum Beispiel gegenüber den Nachbarstaaten Russlands. Dabei ist Afghanistan natürlich eine wichtige Baustelle; das wurde schon gesagt. Auch ich stehe dazu, dass man in den Haushalt dafür mehr Geld einstellt. Jetzt wird gefordert, sofort Summen von 200 Millionen Euro und mehr zur Verfügung zu stellen. Angesichts dessen möchte ich schon sagen, dass gerade Afghanistan ein Beispiel dafür ist, dass man genau abwägen muss, ob man einem Land mit mehr Geld wirklich etwas Gutes tut oder ob es nicht besser wäre, darauf zu achten, dass das vorhandene Geld besser eingesetzt wird. Es gibt Geber, zum Beispiel die Vereinigten Staaten, die ein Vielfaches mehr als wir nach Afghanistan pumpen. Ich kann nicht sehen, dass damit mehr Effizienz erzielt wird, als wenn man den Geldzufluss an der Ausprägung der Absorptionsfähigkeit eines Landes ausrichtet. ({8}) Das Gleiche gilt für Pakistan. Pakistan wird von manchen als ein noch größeres Risiko als Afghanistan eingeschätzt. Auch hier müssen wir uns gut überlegen, was wir zusätzlich machen. Für mich gibt es einen ganz klaren Zusammenhang zwischen der Stärke der Taliban in den Nordwestprovinzen und der hohen Arbeitslosigkeit, die dort seit vielen Jahren herrscht und die immer größer wird. Auch das ist für uns Entwicklungspolitiker ein Hinweis auf das, was man in Pakistan zusätzlich tun könnte. Ich möchte im Rahmen dieser Haushaltsdebatte noch auf etwas zu sprechen kommen, was uns gerade im Hinblick auf Afghanistan, Pakistan, aber auch Afrika sehr am Herzen liegt: Es kommt entscheidend darauf an, entwicklungsfeindliche politische und gesellschaftliche Strukturen zu überwinden ({9}) und unsererseits Impulse zu setzen, dass dies aus der Mitte der jeweiligen Gesellschaften selbst geschieht. Dazu brauchen wir Instrumente, auch im vorpolitischen Raum, die besser sein müssen als die bisherigen. Solche Instrumente sind zum Beispiel unsere Stiftungen, die an solchen Nahtstellen ganz entscheidend arbeiten. Da können wir noch viel mehr tun. Wir können in mehr Ländern arbeiten und auch konzentrierter zu Werke gehen. Ich denke an die Kirchen, die völlig recht haben, wenn sie sagen: Uns geht es nicht um die jeweiligen Länder, son18758 dern um die Individuen in den jeweiligen Ländern selbst und auch um Partnerschaften in der Wirtschaft. Für meine Fraktion sage ich: Ich habe keine Berührungsängste, auch mit der deutschen Wirtschaft viel mehr zu arbeiten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens. Wir können in der Öffentlichkeit sagen, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit auch Arbeitsplätze im Inland sichert. Das ist so. Zweitens. Ich glaube, wir könnten Synergien herstellen, indem wir zusammen mit der Wirtschaft viel mehr - zum Beispiel PPP-Projekte, aber auch anderes - auf die Beine stellen. Wir können es uns nicht leisten, diese Synergien einfach außen vor zu lassen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Ruck!

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich schaue, dass ich zum Schluss komme. Wir werden in den Beratungsverfahren, die wir jetzt vor uns haben, auf die Punkte, die ich genannt habe, noch eingehen. Ich bin sicher, wir werden uns auch mit unseren Kollegen von der SPD wieder gütlich einigen. ({0}) Wir werden natürlich an einer besseren Verknüpfung der einzelnen Instrumente festhalten. Wir werden natürlich auch einen Dauerbrenner diskutieren: bilateral, wo möglich, und multilateral, wo sinnvoll und notwendig. Darüber können wir abendfüllend diskutieren. Wir werden das tun. Darauf freue ich mich schon jetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Ruck, ich wollte heute eigentlich nicht mehr abendfüllend diskutieren.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt wünsche ich allen einen schönen Abend. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Danke.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wünsche Ihnen, Frau Präsidentin, ausdrücklich einen schönen Abend. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. September 2008, 9 Uhr, ein. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, unseren Gästen auf der Tribüne und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern noch einen schönen Abend. Die Sitzung ist geschlossen.