Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich. Ich wünsche uns einen guten Morgen und gute
Beratungen.
Wir setzen heute die Haushaltsberatungen - Tages-
ordnungspunkte 1 a und b - fort:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({0})
- Drucksache 16/9900 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Wir haben gestern für die heutige Aussprache eine
Redezeit von insgesamt acht Stunden beschlossen. Wir
beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramtes, Einzelplan 04.
Das Wort erhält als Erster der Kollege Rainer
Brüderle für die FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sommerpause ist in jeder Hinsicht vorbei. Die Temperaturen
sinken. Der Konjunkturhimmel hat sich mehr als bewölkt. Professor Walter von der Deutschen Bank spricht
davon, eine Rezession sei nicht mehr vermeidbar. Ich
gehe nicht ganz so weit. Aber der Abschwung hat die
Wirtschaft erfasst. Selbst der Finanzminister hat das gestern eingeräumt. Es genügt daher nicht, im Ausland
Bella Figura zu machen. Vielmehr muss in der Innenpolitik entschieden gehandelt werden. Dies geschieht
nicht. Die drei Koalitionsparteien befassen sich mit sich
selbst. Sie starren voller Angst auf ein Kanzlerphantom.
Eigentlich regiert schon Oskar Lafontaine dieses Land.
({0})
Er gibt den politischen Takt vor. Die historische Schuld
an dieser Entwicklung trägt diese wankelmütige Regierung, der eine Orientierung fehlt.
({1})
Deutschland ist immer gut gefahren, wenn nicht die
Ränder, die Extreme die Politik bestimmt haben, sondern die Mitte. Wir stehen für eine Politik der Mitte in
Deutschland.
({2})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben versprochen,
Deutschland zu reformieren. Sie wollten es für den Welthandel öffnen, das Arbeitsrecht weiter reformieren, die
Tarifautonomie zur Flexibilisierung nutzen, die Lohnnebenkosten dauerhaft unter 40 Prozent senken und den
Haushalt konsolidieren. Tatsächlich haben Sie bei jedem
Haushalt die Ausgaben erhöht. Was ist geblieben? Sie
können doch mit Reformieren nicht allen Ernstes Steuererhöhungen, Mindestlöhne und Zwangsgesundheitsfonds gemeint haben. Das ist keine Reform für
Deutschland.
({3})
Ich kann dazu nur sagen: versprochen, gebrochen. Welche auch immer Ihre Lieblingskoalition für 2009 sein
mag, mit der FDP kann es keine Fortsetzung dieser falschen Politik geben.
({4})
Herr Müntefering und Herr Steinmeier, Sie machen
uns nette Avancen. Aber das ist für mich ein durchsichtiges Manöver zur Ablenkung von Ihrem Linkskurs. In
Redetext
Hessen wollen Sie mit Frau Ypsilanti Rot-Rot-Grün
durchsetzen. Sie träumen von der „Ampel“. Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn Deutschland links fährt, wird es
zum Geisterfahrer. Das kann nicht gut gehen.
({5})
Der weise ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt,
von Herrn Steinbrück gestern oft zitiert, hat in diesen Tagen wieder bemerkenswerte Vorschläge zur Reform der
Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik gemacht. Herr
Steinmeier, mit einer Helmut-Schmidt-SPD können sich
die Liberalen wahrscheinlich auf gemeinsame Ziele verständigen. Aber die heutige SPD ist nicht regierungsfähig.
({6})
Wir lassen uns auch nicht für taktische Spielchen in
Anspruch nehmen. Sie wollen weiterregieren, obwohl
Sie längst einen Dauerwahlkampf eingeleitet haben.
Statt kraftvollen Regierens Dauerwahlkampf - das ist
das Letzte, was Deutschland gebrauchen kann. Neuwahl
wäre die sauberste Lösung, aber dazu geben Sie den Weg
nicht frei.
({7})
Ich habe den Verdacht, Frau Merkel und Herr
Steinmeier, dass Sie am liebsten Ihre Kuschelkoalition
fortführen würden.
({8})
Die Auswirkungen der Finanzmärkte, die Rückkehr der
Inflation, steigende Energiepreise - alles dies müsste die
Regierung zum Handeln veranlassen. Wir marschieren
auf eine Versorgungslücke im Energiesektor zu. Es gibt
kein nationales Energiekonzept; nichts geschieht in diesem Sektor. Alle Kernkraftwerke zu schließen, neue und
effiziente Kohlekraftwerke zu verhindern, beim Gas einseitig auf Russland zu setzen und zu meinen, mit ein
paar Windrädern über die Runden zu kommen - das ist
kein Energiekonzept für Deutschland.
({9})
Das Kerndilemma dieser Regierung ist, dass sie eine
Reihe relativ guter Jahre, in denen Gewaltiges in der
Wirtschaft geleistet wurde, in denen die Arbeitnehmer
Neustrukturierungen möglich gemacht haben und in denen sich der Mittelstand neu aufgestellt hat, ungenutzt
hat verstreichen lassen. Die gute Stimmung und die relativ gute wirtschaftliche Situation, die es gab, hätten Sie
nutzen müssen, um Deutschland fit zu machen für das,
was bevorsteht. Man weiß schon aus der Bibel, dass
nach sieben fetten Jahren sieben magere Jahre kommen.
Sie haben die Zeit verstreichen lassen. Das ist die Tragik
der schwarz-roten Politik.
({10})
Statt für ein weltoffenes Deutschland einzutreten,
schrecken Sie ausländische Investoren und hochqualifizierte Arbeitnehmer ab. Das Trauerspiel dieser Koalition
hat seinen Höhepunkt erreicht. Die SPD irrt orientierungslos umher, und die Union hat inhaltliche Fragen
nicht geklärt. Sie sind hin- und hergerissen zwischen
Wettbewerb und Staatseingriff, zwischen Belastung der
Bürger und deren Entlastung. Herr Kauder hat inzwischen gemerkt, dass der Aufschwung bei den Bürgern
nicht angekommen ist. Die Früchte des Aufschwungs
hat der Staat kassiert; das ist Ihre Politik. Bei den Bürgern ist nichts geblieben.
({11})
Der CSU steht vor der Bayernwahl das Wasser inzwischen bis zum Trachtenhut.
({12})
Erst macht sie von den größten Steuererhöhungen bis hin
zu dem Quatsch mit der Kilometerpauschale alles mit,
und jetzt bekämpft sie es. Politisch nennt man das
scheinheilig. Ein Neurologe würde sagen, dass Sie schizophren sind.
({13})
Wenn Sie wollen, können Sie schnell handeln. Das
Stabilitäts- und Wachstumsgesetz gibt Ihnen die Möglichkeit, sogar ohne das Parlament Steuern schnell zu
senken. Sie können Steuerschecks, die in Amerika sehr
wohl gewirkt haben, in Betracht ziehen. Aber Sie lassen
es treiben. Sie starren auf Lafontaine und wollen weiter
in Ihren Sesseln sitzen. Sie vergeuden die Zeit, und
Deutschland leidet. Das ist eine traurige Situation.
({14})
Das Wort hat nun die Bundeskanzlerin Frau
Dr. Merkel.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesen
Tagen, während wir hier im Parlament unsere Haushaltsdebatte führen, verfolgen wir natürlich alle die Nachrichten vom amerikanischen Finanzmarkt. Es hat
massive Stützungsmaßnahmen und Hilfsmaßnahmen der
amerikanischen Regierung gegeben, gerade wieder in
dieser Nacht in Bezug auf ein Versicherungsunternehmen. Es hat Übernahmen im Privatsektor gegeben und
den Konkurs einer bedeutenden amerikanischen Investmentbank. Die Börsen und natürlich auch der DAX haben mit erheblichen Kursschwankungen und Kurskorrekturen reagiert. Wichtige internationale Banken haben
einen Stützungsfonds aufgelegt.
Die Bundesregierung verfolgt diese Entwicklung mit
großer Aufmerksamkeit. Wir stehen in engem Austausch
mit den Spitzen der deutschen Kreditwirtschaft ebenso
wie mit anderen Regierungen. Als ein Ergebnis haben
Bundesbank, Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und das Bundesministerium der Finanzen schon
am Montag erklären können, dass sich im Fall des Kreditinstituts Lehman Brothers das Engagement deutscher
Kreditinstitute glücklicherweise in einem überschaubaren Rahmen hält.
Aber wir spüren alle, dass die Dynamik der Weltwirtschaft beeinflusst wird. Wir können froh sein, dass in
den letzten Jahren neben dem amerikanischen Kraftzentrum andere Kraftzentren in Asien, in Lateinamerika und
im vereinten Europa erwachsen sind, sodass heute die
internationale Konjunktur auf sehr viel breiteren Beinen
steht, als das noch vor Jahrzehnten der Fall war. Deshalb
sind die Auswirkungen auf die übrige Wirtschaft in
Deutschland bislang moderat, und die Unternehmenskredite wurden in Deutschland im Gegensatz zur übrigen
EU erneut deutlich ausgeweitet.
Dennoch wird eine offene Volkswirtschaft wie die
deutsche, die von der Globalisierung im Übrigen mehr
als andere profitiert, nicht völlig unberührt bleiben können. Wir spüren das auch an den Prognosen, die uns jeden Tag erreichen. In einer solchen Situation werden die
Rufe nach Konsequenzen natürlich wieder lauter. Ich
will deshalb noch einmal auf die zwei grundsätzlichen
Möglichkeiten hinweisen, die wir haben, um auf eine
solche Situation zu reagieren. Die eine wäre, sich so weit
wie möglich von internationalen Einflüssen abzuschotten; die andere ist: Wir begreifen die internationale Verflechtung als Wesenszug des 21. Jahrhunderts. Dann allerdings muss Politik einen klugen Ordnungsrahmen
schaffen, der die Chancen nutzt und der die Risiken begrenzt. Das heißt: Politik muss gestalten.
({0})
Die Bundesregierung hat sich entschieden, und zwar
von Beginn dieser Koalition an: Deutschland wird ein
offenes Land bleiben, ein Land, das sich der Welt zuwendet, ein Land, das seine Chancen nutzt. Die Bundesregierung wird von diesem Kurs auch in der jetzigen Situation nicht ablassen; ich finde, aus überragenden
Gründen. Deutschland lebt im Wesentlichen von Auslandsinvestitionen. Es sind etwa 600 Milliarden Euro,
die von ausländischen Unternehmen in Deutschland
jährlich investiert werden. Das ist doppelt so viel, wie
der Bundeshaushalt ausmacht. Deutschland lebt davon,
dass 700 Milliarden Euro von deutschen Firmen im Ausland investiert wurden. Das sichert uns Wohlstand, Forschung, Innovation und neue Produkte.
Aber eines zeigt die Entwicklung natürlich: Wir brauchen dringend einen besseren Ordnungsrahmen, und
wir - wenn ich das sage, meine ich vor allen Dingen
auch den Bundesfinanzminister - fühlen uns in dem bestätigt, was wir sehr früh begonnen haben. Wir haben
nämlich bereits während unserer G-8-Präsidentschaft
eine Transparenzinitiative begonnen, die damals noch
belächelt und von vielen gleich wieder als Regulierung
abgetan wurde. Wir haben im September 2007 mit dem
französischen Präsidenten eine gemeinsame Erklärung
abgegeben, der sich dann Großbritannien, Italien und die
Kommission angeschlossen haben. Im April hat es endlich ein sehr bemerkenswertes Forum für Finanzmarktstabilität gegeben, auf dem eine Reihe von Vorschlägen
gemacht wurden, die auf den Vorschlägen des G-8-Gipfels aufbauten. Man kann glücklicherweise jetzt schon
sagen, dass einiges in Gang gekommen ist. Es sind nicht
nur Ideen, sondern es gibt Bewegung bei Bewertungsverfahren, bei der Kooperation mit Aufsichtsbehörden
und bei einem verbesserten Verhaltenskodex vor allen
Dingen der Ratingagenturen. Es gibt zum ersten Mal
auch Selbstverpflichtungen, zum Beispiel von Hedgefonds. Ich erinnere auch daran, dass sich Staatsfonds von
26 Ländern zusammengeschlossen haben. Ich sage ausdrücklich: Es ist richtig, dass jetzt im Parlament die Veränderung des Außenwirtschaftsgesetzes beraten wird.
Wir können nicht tatenlos zusehen. Politik muss gestalten. Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch
darauf, dass wir die Dinge nicht laufen lassen, sondern
dass wir Politik gestalten.
({1})
Die Bundesregierung legt Ihnen heute einen Haushalt
zur Beratung vor, der seinesgleichen sucht.
({2})
- Ich kann Ihre Freude gut verstehen; denn die Bundesregierung schafft mit diesem Haushalt die Voraussetzungen zum Erreichen eines Kernziels, das wir fest im Blick
haben, nämlich im Jahre 2011 zum ersten Mal nicht
mehr auf Pump zu leben und keine neuen Schulden mehr
zu machen.
({3})
Ihr höhnisches Gelächter verdeckt doch bloß Ihr
schlechtes Gewissen.
({4})
Denken Sie einmal daran, wie Sie 2005 aus der Regierung herausgegangen sind: Über 30 Milliarden Euro
Neuverschuldung, das war die Bilanz der Grünen. Ich
würde heute hier ganz still sein.
({5})
Die FDP sollte sich daran erinnern, dass 1998 auch nicht
alles vom Allerbesten war.
({6})
Ich finde, wir können ein Stück selbstbewusster in
diese Debatte gehen.
({7})
- Ich habe von 1998 gesprochen und damit auch die
Union einbezogen.
({8})
Schauen Sie: Wir haben aus diesen Dingen gelernt. Wir
haben heute Regierungsverantwortung, und wir machen
es anders. Das ist der Punkt.
({9})
Ich möchte all denen, die daran mitwirken, meinen
Kolleginnen und Kollegen im Kabinett und ganz besonders dem Bundesfinanzminister, ein herzliches Dankeschön sagen.
({10})
Genauso möchte ich den Koalitionsfraktionen quasi im
Voraus im Hinblick auf die anstehenden Beratungen ein
Dankeschön sagen, weil ich weiß, dass wir uns gemeinsam diesem Ziel verpflichtet fühlen.
({11})
Wir legen diesen Haushalt nicht vor, weil er ein
Selbstzweck ist. Es ist nicht so, dass wir das Thema
„ausgeglichener Haushalt“ sozusagen wie eine Monstranz vor uns hertragen, sondern wir tun dies deshalb,
weil es darum geht, dass wir in den Zeiten der Globalisierung, die wir nun so sehr spüren, die Voraussetzungen
dafür schaffen, dass das zentrale Versprechen der sozialen Marktwirtschaft, nicht auf Kosten der nächsten
Generation zu leben, sondern jedem Einzelnen den Einstieg in Arbeit und den Aufstieg durch Arbeit zu ermöglichen, auch heute erfüllt werden kann.
({12})
Auf eine Formel gebracht, hieß dieses Versprechen
der sozialen Marktwirtschaft zu Beginn der Bundesrepublik Deutschland: Wohlstand für alle. Heute gehen wir in
Zeiten internationaler Verflechtungen, die wir mit dem
Wort „Globalisierung“ beschreiben, noch einen Schritt
weiter. „Wohlstand für alle“ heißt heute: Bildung für
alle. Dabei geht es wie bei den soliden Finanzen nicht
einfach um ein sektorales Politikfeld, das als Selbstzweck daherkommt. Das wäre ein grobes Missverständnis. Nein, meine Damen und Herren, es geht um viel
mehr: Es geht um die Zukunft der Menschen in unserem
Land; denn Bildung für alle ist die entscheidende Voraussetzung für Einstieg in Arbeit und Aufstieg durch
Arbeit, und zwar für jeden, der in diesem Land lebt, egal
aus welchem Elternhaus er kommt.
({13})
Ich bin zutiefst überzeugt: Es ist gerade dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das die Menschen an die
Kraft der sozialen Marktwirtschaft glauben lässt oder
- wo sie es im Augenblick nicht tun - wieder glauben
lässt. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen, das
wir gemeinsam im Blick haben müssen, Bund, Länder,
Kommunen. Es ist dieses zentrale Aufstiegsversprechen,
das uns zu der Aufgabe führt, die Bildungsrepublik
Deutschland zu gestalten. Einfach mehr Geld umzuverteilen, schafft nämlich Abhängigkeit vom Staat und zementiert die Menschen in ihrer Situation, die heute nicht
das schaffen können, was sie wollen. Bildung für alle ermöglicht es dagegen allen, sich eigenen Wohlstand zu
erarbeiten. Daraus folgt, in einem Satz gesagt: Die Bildungsrepublik ist der beste Sozialstaat.
({14})
Ich glaube, bei allem, was wir an Problemen haben,
können wir sagen: Für dieses Ziel ist unser Land in den
letzten drei Jahren stärker geworden. Wir haben
1,6 Millionen neue Arbeitsplätze seit 2005. Das bedeutet
die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1992.
({15})
Wir haben 100 000 abgeschlossene Ausbildungsverträge
mehr als zu unserem Amtsbeginn. Die Eigenkapitalquote der Betriebe ist wieder angestiegen, und damit
werden Betriebe auch wieder ein Stück robuster. Dazu
haben viele beigetragen, aber die Politik der Großen Koalition eben auch.
({16})
Wir haben die Neuverschuldung schrittweise gesenkt.
Erstmals seit Ende der 80er-Jahre ist der gesamtstaatliche Haushalt wieder ungefähr ausgeglichen. Wir haben
die paritätisch finanzierten Lohnzusatzkosten deutlich
unter 40 Prozent gesenkt. Wir werden dabei bleiben: Wir
haben Freiräume für Menschen und Betriebe geschaffen.
Wenn wir uns einmal die Staatsquote anschauen, erkennen wir: Sie ist auf dem niedrigsten Stand seit 18 Jahren.
Die Bundesregierung hat diesen Kurs nicht nur deshalb eingeschlagen, weil es die Vernunft gebietet, sondern auch deshalb, weil ich der Meinung bin, dass dies
eine zutiefst moralische Aufgabe ist. Das ist die Basis
dafür, dass Vertrauen zwischen den Generationen wachsen kann und dass wir nicht auf Kosten der zukünftigen
Generationen leben. Trotz schwächer werdenden Wachstums werden wir auch im kommenden Jahr diesen Kurs
fortsetzen; dazu sind wir entschlossen.
Das heißt, es sind zwei Seiten einer Medaille, auf der
einen Seite den Konsolidierungskurs fortzusetzen und
auf der anderen Seite die Arbeitslosenversicherungsbeiträge weiter zu senken, Familien stärker zu entlasten,
Entwicklungs- und Forschungsausgaben genauso zu erhöhen wie die Mittel für die Verkehrsinfrastruktur oder
die Investitionen in Kultur. Beides trägt dazu bei, dass
wir für die Zukunft stärker gerüstet sind.
({17})
Wir sind überzeugt - ich glaube, in den letzten Jahren
ist diese Überzeugung noch gewachsen -: Die Bedeutung von Politik nimmt in Zeiten der Globalisierung
nicht etwa ab, sondern die Bedeutung von Politik nimmt
zu und verlangt uns viel neues Denken ab.
({18})
Für mich ist das allerdings kein Bruch und kein Neustart,
sondern es ist eine Weiterentwicklung; denn soziale
Marktwirtschaft ist immer davon ausgegangen, dass Politik gestalten muss. Ich erinnere nur an die Kämpfe, die
Ludwig Erhard hatte, als er das Kartellrecht durchsetzte gegen den erbitterten Widerstand des Bundesverbandes
der Deutschen Industrie. Aber hinzugekommen ist eine
internationale Dimension des Erfolgsmodells BundesreBundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
publik Deutschland, der sozialen Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft hat immer gestaltend eingegriffen,
aber jetzt geht es darum, dass wir die internationale
Dimension ausarbeiten.
Es geht um eine Grundfrage. Soziale Marktwirtschaft
hat sich immer als ein Bündnis der Stärkeren mit den
Schwächeren in der Gesellschaft verstanden. Wer versuchen will, die Schwächeren in der Gesellschaft zusammenzunehmen und gegen die Stärkeren in der Gesellschaft aufzuhetzen,
({19})
der wird in der internationalen Dimension der sozialen
Marktwirtschaft scheitern. Es geht um das Bündnis der
Stärkeren mit den Schwächeren.
({20})
Es geht also um ein glaubwürdiges Wohlstandsversprechen. Deshalb muss Deutschland den Weg zur Bildungsrepublik gehen. Was heißt das? Das heißt, dass
wir uns die vielen guten Beispiele, die ich jetzt auf meiner Bildungsreise gesehen habe, einmal vor Augen führen sollten: Kindergärten - ({21})
- Es hat eigentlich sowieso keinen Sinn, aber ich will es
noch einmal ganz ruhig versuchen: Wir leben in einer
Welt, in der viele Menschen darum ringen, ihren Platz zu
finden, um in Wohlstand zu leben. Wir sind in einem
Land, in dem vieles sehr gut gelungen ist und in dem
Millionen von Menschen jeden Tag ihren Beitrag dazu
leisten. Dazu gehören die Erzieherinnen in den Kindergärten,
({22})
die eine gute Arbeit leisten, auch wenn vielleicht
70 Prozent der Kinder einen Migrationshintergrund haben. Dazu gehören die Lehrer. Dazu gehören die Forscher.
({23})
Dazu gehören die vielen Ehrenamtlichen. Ich möchte
diesen Menschen meine Anerkennung geben. Deshalb
besuche ich sie, und ich glaube, das ist richtig, meine
Damen und Herren.
({24})
Es geht um ein umfassendes Selbstverständnis unseres Landes. Dafür müssen wir drei Leitlinien einhalten,
die sich genau auch in der Politik der Bundesregierung
widerspiegeln: Nachhaltigkeit und Langfristigkeit als
Erstes, Eigenverantwortung und Ermutigung als Zweites, Durchlässigkeit und ein festes Wertefundament als
Drittes.
Nachhaltigkeit und Langfristigkeit. Es geht nicht
um Strohfeuer, sondern es geht um nachhaltigen Erfolg,
nicht nur in der Bildungspolitik, sondern insgesamt.
Deshalb wünsche ich mir zum Beispiel einen Erfolg bei
der Haushaltskonsolidierung, nicht nur im Blick auf
2011. Es geht nämlich auch um eine Verpflichtung im
Rahmen der Föderalismusreform II, nach der das ein
Grundprinzip unseres zukünftigen Handelns wird. Es
wird sich in den nächsten Wochen zeigen, ob wir die
Kraft dazu aufbringen. Ich wünsche es mir, meine Damen und Herren.
({25})
Zu Nachhaltigkeit und Langfristigkeit gehören auch
Investitionen in Familien. Das Elterngeld ist ebenso ein
Erfolg wie die Vätermonate. Wir werden für 70 000 Familienhaushalte den Kinderzuschlag einführen, der Kinder und Eltern aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II
entlässt. Wir werden die Betreuungsaufwendungen stärker steuerlich absetzbar machen; zum einen, um den
Haushalt als Arbeitgeber zu entwickeln, zum anderen
aber auch, um Betreuung zu Hause zu ermöglichen. Wir
haben zwischen Bund und Ländern einen gemeinsamen
Weg gefunden, die Betreuung der unter Dreijährigen
auszubauen, und zwar nicht nur quantitativ, sondern
auch qualitativ mit Blick auf die Weiterbildung von Erzieherinnen und Erziehern. Ich glaube, das sind wichtige
Schritte.
Vor uns liegen bessere Leistungen für Familien auf
der Grundlage des Existenzminimumberichts. Hierüber
werden wir in der Koalition noch Diskussionen führen,
das hat sich gestern angedeutet. Ich persönlich halte
10 Euro für jedes Kind nicht für eine schlechte Sache,
aber darüber werden wir uns auseinandersetzen müssen.
Ich glaube auch, dass ein Kind denselben Anspruch auf
einen Freibetrag hat wie ein Erwachsener. Insofern müssen wir noch ein wenig darum ringen.
({26})
Niemand wird bestreiten, dass Familien im Zentrum
der Politik der Großen Koalition stehen. Das ist eine
richtige Schwerpunktsetzung. Nachhaltigkeit und Langfristigkeit bedeuten auch, in die Bildungspolitik an sich
zu investieren. Aus den internationalen Vergleichen wissen wir, dass wir nicht überall Spitze sind. Ich bitte aber
darum, diese Studien einmal genau zu lesen und nicht alles immer in Grund und Boden zu reden, sondern auch
das Positive zu sehen.
({27})
Im Bereich der abgeschlossenen Berufsausbildung gibt
es bei uns zum Beispiel hervorragende Leistungen. Auch
in der Frage des Abiturs oder der Postgraduiertenförderung gibt es sehr gute Dinge, an die wir anknüpfen können. Wahr ist aber auch, dass andere aufholen. Deshalb
sind wir gefragt. Deshalb ist es auch wichtig, dass Bund
und Länder in diesem Jahr am 22. Oktober in Dresden
einen Bildungsgipfel durchführen. Hierbei geht es ausdrücklich nicht um eine Kompetenzverschiebung. Vielmehr geht es bei diesem Bildungsgipfel um die Frage,
wie wir in unserem Land Politik für die Menschen gestalten. Hier müssen wir den Blickwinkel der Menschen
- der Eltern und der Kinder - einnehmen. Diejenigen,
die mit Bildungspolitik konfrontiert werden, überlegen
nicht ständig, ob der Bund, das Land oder die Kommune
für sie verantwortlich ist. Sie wollen Politik aus einem
Guss.
({28})
Deshalb müssen die verschiedenen politischen Ebenen
in ihrer Verantwortlichkeit so zusammenarbeiten, dass
für das einzelne Kind das Beste erreicht wird und dass
Eltern ihre Kinder optimal fördern können.
({29})
In diesem Zusammenhang müssen die Schulabbrecherquoten gesenkt werden. Es müssen Schulabschlüsse ermöglicht werden, und Hochschulen müssen sich zum
Beispiel auch für Meister und ähnliche Qualifizierungen
öffnen. Wir müssen Ausbildungsbausteine so gestalten,
dass sie sich zu einem Ganzen zusammenfügen. Im
Grunde geht es nicht um Strukturdebatten, sondern um
die Frage des Erfolgs eines jeden Einzelnen mit seinen
Fähigkeiten und Fertigkeiten.
In diesem Zusammenhang wird auch deutlich, wie
richtig die Entscheidung der Bundesregierung war, Integrationspolitik zu einer Querschnittsaufgabe zu machen. Wenn Sie sich den Bildungsbericht für Deutschland anschauen, dann sehen Sie, dass der Anteil der
jungen Menschen unter 25 mit Migrationshintergrund in
den Regionen mit industrieller Struktur - im Ruhrgebiet,
im Bereich der Rhein-Main-Schiene, in Stuttgart, in
München und in der Region um Nürnberg - zwischen 40
und 50 Prozent liegt. Die Zukunft unseres Landes hängt
davon ab, ob auch diese jungen Leute, und zwar jeder
Einzelne von ihnen, eine Chance auf einen Aufstieg in
unserem Land haben. Ansonsten werden nicht nur diese
jungen Leute leiden, sondern unser ganzes Land.
({30})
Wir haben in Forschung und Entwicklung investiert
und streben dort einen Anteil von 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt an. Gegenwärtig sind wir bei 2,8 Prozent
angelangt, wir haben noch einen Weg vor uns. Das ist
aber zu schaffen. Die Exzellenzinitiative hat sich bewährt. Wir haben die Freiräume der Unternehmen gestärkt. Wir haben die Wissenschaftsallianz, und wir haben viele neue Wege beschritten, bei denen Leistung
ganz ausdrücklich prämiert wird. Das ist richtig.
Natürlich hängt Nachhaltigkeit auch mit der Ressourcennutzung zusammen. Wir wissen, dass eines der drängendsten Probleme für die Menschen der Anstieg der
Energiepreise und daraus folgend die Inflation ist. Wir
stehen natürlich vor der Frage, was wir da tun sollen.
Hier ist politische Gestaltung gefragt. Es ist sehr einfach,
das Falsche zu tun, indem man sich auf den Standpunkt
stellt, dass Energiepreise nicht nachhaltig steigen können. Genau das machen wir nicht. Der Bundesfinanzminister hat es gestern noch dargestellt. Wir eröffnen vielmehr Wege zum effizienteren Umgang mit Energie, um
die Menschen in die Lage zu versetzen, weniger Energie
zu verbrauchen und damit mit den steigenden Kosten
klarzukommen. Ich glaube, die Förderung von Gebäudesanierung und viele andere Maßnahmen wie die Einführung von intelligenten Stromzählern über die Novellierung des KWK-Gesetzes bis hin zu unseren
Klimapaketen, die ja hart umstritten sind, sind langfristig
insgesamt die richtige nachhaltige Antwort auf die Energiepreisentwicklung in der Welt.
({31})
Wir werden jetzt auf der Ebene der Europäischen
Union Verhandlungen über Europas Klimaschutzziele
führen. Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen.
({32})
- Ich wiederhole es gerne noch einmal: Die Bundesregierung steht ausdrücklich zu diesen Zielen.
({33})
Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union werden wir die Kioto-Verpflichtungen einhalten. Andere werden das nicht tun. Vielleicht
könnten wir einmal gemeinsam diese kritisieren und
nicht immer nur uns selber schlechtmachen.
({34})
Deutschland ist aber auch das Land in Europa, das eines der breitesten industriellen Fundamente hat, und die
wirtschaftliche Entwicklung Europas hängt auch von der
wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands ab.
({35})
Deshalb werden wir strittige Diskussionen darüber führen müssen - ich sage das hier ganz offen -, wie wir mit
energieintensiven Branchen umgehen. Es ist für das
Weltklima nichts gewonnen, wenn die Aluminium-,
Stahl- oder Chemieindustrie bei uns verschwindet und
mit schlechteren Standards außerhalb Europas ausgebaut
wird. Das werden wir nicht zulassen.
({36})
- Ich hoffe, auch den Klimaschutzzielen stimmt die FDP
zu.
({37})
Beides zusammenzubringen, macht nämlich gerade die
Schwierigkeit des Themas aus, meine Damen und Herren. Das können nicht alle, das kann nur die Große
Koalition.
({38})
- Viel Heiterkeit heute Morgen hier.
Zu den Zukunftsinvestitionen zählen natürlich auch
Entwicklungshilfe und Einsatz für gutes Regieren.
Zu Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit gehört natürlich auch die Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme. Die Rentenfinanzen befinden sich in einer weit besseren Lage als vor Jahren. Wir haben
zusätzlich die Eigenheimrente verabschiedet - ein wichtiges Projekt. Bis heute wurden 11 Millionen RiesterRenten abgeschlossen, aber angesichts von 27 Millionen
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bleibt immer
noch viel zu tun. Dennoch wurde in diesem Bereich ein
gewaltiger Schritt nach vorn gemacht. Die Rente mit 67
war eine notwendige Maßnahme. Daran muss auch festgehalten werden, weil uns die demografische Entwicklung keine andere Möglichkeit lässt.
Es zeigen sich nun die Erfolge, meine Damen und
Herren: Die Arbeitslosigkeit bei den über 55-Jährigen ist
deutlich zurückgegangen - seit 2005 um circa ein Viertel. Das lässt sich sehen. Wir haben die Leistungen der
Pflegeversicherung ausgeweitet.
({39})
- Wir haben für Demenzkranke die Pflegezeit eingeführt
und sind weitere wichtige Schritte gegangen. - Wir haben außerdem in die Gesundheitsversorgung investiert.
Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Es wird in
Zukunft mehr Wettbewerb und mehr Auswahlmöglichkeiten geben. Wir haben uns aber auch sehr bewusst entschieden, etwas für die Ärzte in Krankenhäusern, die
niedergelassenen Ärzte und für das Pflegepersonal zu
tun. Hier wird noch an den Feinheiten gearbeitet.
Wer aber den Eindruck erweckt, hervorragende Gesundheitsversorgung sei sozusagen zum Nulltarif zu bekommen und Gehaltssteigerungen für die im medizinischen Bereich Beschäftigten seien möglich, ohne dass
sich das in irgendeiner Weise in den Beiträgen niederschlägt, der trägt dazu bei, dass wir eines Tages nicht
mehr genug Ärzte bei uns haben - diese sind dann in
Norwegen oder sonst wo - und dass die Pflegekräfte ihre
Arbeit nicht mehr schaffen. Deshalb sage ich: Es ist richtig, in ein gutes Gesundheitssystem zu investieren. Es ist
vielleicht die komplizierteste Aufgabe eines modernen
Industrielandes, das zugleich demografische Veränderungen zu bewältigen hat, für jeden eine gute Gesundheitsversorgung bereitzustellen. Wir fühlen uns aus tiefer Überzeugung bezüglich der Menschlichkeit unseres
Landes diesem Ziel verpflichtet.
({40})
Die Bildungsrepublik gründet auf dem Willen - das
ist die Voraussetzung -, dass der, der immer es kann, das
eigene Leben in die Hand nimmt. Er soll natürlich, wenn
er scheitert, eine zweite Chance, vielleicht auch eine
dritte und vierte bekommen; aber es muss die innere Bereitschaft geben. Deshalb sind Eigenverantwortung
und Ermutigung das zweite wichtige Leitmotiv unserer
Arbeit. Das muss sich in der Arbeitsmarktpolitik widerspiegeln; „Fordern und Fördern“ ist deshalb unsere Maxime. Die Arbeitsvermittlung ist modernisiert worden
und wird weiter modernisiert werden. Wer sich einmal
mit der Arbeit der Bundesagentur befasst hat, der weiß,
dass da unglaublich viel passiert ist. Was die Betreuung
aus einer Hand angeht, müssen wir noch Regelungen
treffen, um das Bundesverfassungsgerichtsurteil über die
Argen umzusetzen.
Das Prinzip der Eigenverantwortung gilt auch in dem
Sinne, dass Tarifautonomie Vorrang hat. Wir werden die
Gesetze, das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz, beraten, aber immer in dem Geist, Tarifautonomie, wo möglich, zu stärken.
({41})
Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht, um die
Mitarbeiterbeteiligung zu fördern. Das wird in der allgemeinen Diskussion oft unterschätzt. Aber schauen Sie
sich einmal die Vermögenssituationen an: Angesichts
dessen, wie sich auf der einen Seite Einkommen und
Löhne und auf der anderen Seite Kapitalerträge entwickeln, kann ich nur sagen, dass es langfristig gesehen
wichtig ist, dass wir jedem auch eine Beteiligung an den
Kapitalerträgen ermöglichen. Ansonsten werden die Ungerechtigkeiten in unserem Land zunehmen. Hier sind
wir einen wichtigen Schritt miteinander gegangen; ich
glaube, das sollte man an dieser Stelle sagen.
({42})
Wenn wir uns die Dinge anschauen, dann sehen wir
auch, dass Arbeitsmarkt- und Vermögenspolitik natürlich die Chancen in der Globalisierung verbessert haben.
Gestern ist eine Studie des DIW veröffentlicht worden,
die mit aktuellen Zahlen arbeitet und aus der hervorgeht,
dass zwischen 2005 und 2006 - nur über diesen Zeitraum geht die Studie - über 1 Million Menschen aus
dem Armutsrisiko herausgekommen ist. Das zeigt doch
nichts anderes, als dass Reformen sich vielleicht nicht
sofort, aber über eine bestimmte Zeitspanne gesehen
lohnen. Das ist doch das Ziel aller Veränderungen: mehr
Menschen eine Chance zu geben und weniger Menschen
in ein Risiko hineinfallen zu lassen.
({43})
Wir brauchen als drittes Leitmotiv Durchlässigkeit
und ein festes Wertefundament, eine Offenheit der Gesellschaft, einen Ansporn für die, die viel leisten können,
die Eliten unseres Landes, damit wir dann auch miteinander Solidarität üben können. Wir brauchen ein
Deutschland, das sich nicht abschottet, sondern seiner
Verantwortung in der Welt gerecht wird. Deshalb wollen
wir auf der einen Seite offen sein, was wir zum Beispiel
dadurch zeigen, dass wir die Zuwanderung für Hochqualifizierte in unser Land geöffnet haben. Angesichts von
immer noch 3 Millionen Arbeitslosen sind die Diskussion und die Entscheidung darüber, wer zu uns kommen
darf und wer nicht, gar nicht einfach. Das ist eine qualitativ ganz andere Debatte, als wir sie in den Asylfragen
miteinander geführt haben. Wir haben immer auf kulturelle Toleranz gesetzt, um diese Offenheit voranzutrei18644
ben. Ein Zeichen dafür ist, dass unser Kulturhaushalt,
der Haushalt des Staatsministers für Kultur, in den letzten Jahren um 7,8 Prozent gewachsen ist, genauso wie
die auswärtige Kulturpolitik an Bedeutung gewonnen
hat, zwei wichtige Bereiche, in denen wir unsere Offenheit zeigen. Wir sind auch stolz auf unsere Kultur, und
wir wollen sie in der Welt bekannt machen. Das sind unsere Ansprüche.
({44})
Weil die Länder miteinander verflochten sind, ist es
wichtig, in Bündnissen zu arbeiten. Ein solches Bündnis
ist die Europäische Union. Da haben wir vieles vor uns,
wenn wir daran denken, dass Irland mit Nein gestimmt
hat; aber der Lissabon-Vertrag ist und bleibt die richtige
Grundlage für die Politik in der Europäischen Union.
({45})
Wir haben in diesem Sommer erlebt, wie wichtig
Europa ist und was Europa in dem Konflikt zwischen
Georgien und Russland im Falle von Südossetien und
Abchasien erreicht hat. Hier ist es gelungen - der Außenminister und ich waren natürlich sehr beschäftigt mit
dieser Frage -, Europa zu einer einheitlichen Position zu
bringen - das war nicht immer einfach angesichts der
unterschiedlichen Interessenslagen - und es gleichzeitig
handlungsfähig erscheinen zu lassen. Ohne die Europäische Union hätten wir heute weder einen Sechspunkteplan, mit dem wir arbeiten könnten, noch Fortschritte in
dieser gesamten Frage.
Deshalb kann ich nur sagen: Bei aller Mühe - wir
wissen ja, wie schwer es schon in diesem Parlament ist,
sich zu verständigen; wie soll es da zwischen 27 Staaten
einfach sein - hat sich die Europäische Union in diesem
Sommer in einer entscheidenden Frage als handlungsfähig erklärt, und zwar auf einer vernünftigen Basis. Mit
keinem sind die Gesprächskontakte abgebrochen. Wir
haben gesagt: Reden gerade in schwierigen Zeiten ist die
richtige Antwort. Deshalb werden wir das auch am
2. Oktober bei den deutsch-russischen Konsultationen
wieder unter Beweis stellen.
({46})
Wir haben im Zusammenhang mit dem Kampf gegen
den Terrorismus unsere Aufgaben zu leisten. Hier sind
wir nach innen besser gerüstet; es finden gerade die Beratungen zum BKA-Gesetz statt. Ich bin optimistisch,
dass wir sie erfolgreich abschließen. Wir haben eine besser ausgerichtete Bundespolizei.
Wir müssen auch außen unsere Aufgaben erfüllen.
Wir haben bittere Erfahrungen mit dem Tod von Soldaten machen müssen - gerade kürzlich mit dem Tod eines
jungen Soldaten der Bundeswehr. Wir haben zivile Opfer, Verletzte. Deshalb möchte ich in dieser Stunde einen
herzlichen Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten genauso wie an die Polizisten und die zivilen Aufbauhelfer
richten. Sie haben die Solidarität dieses Parlaments;
denn wir wissen um die Schwere, aber auch um die Notwendigkeit der Aufgabe.
({47})
Wir spüren alle, dass die Situation in Afghanistan
nicht einfach ist, dass die Sicherheitslage auch im Norden komplizierter wird. Aber wir wissen auch um unseren Auftrag. Ich glaube, dass die Bundesregierung mit
dem Konzept der vernetzten Sicherheit die richtige Antwort gefunden hat, um das Engagement in Afghanistan
fortzusetzen. Das heißt nicht, dass dieses Konzept der
vernetzten Sicherheit bereits in allen Fragen so funktioniert, wie wir uns das vorstellen können. Es ist ja so,
dass Afghanistan nun einmal eine Regierung, ein Parlament hat. Wir haben die demokratischen Prozesse dort
vorangebracht. Wir müssen schauen, dass dieses Konzept der vernetzten Sicherheit auch von allen Akteuren
- von denen, die aus dem Ausland helfen kommen, genauso wie von denen, die in Afghanistan Verantwortung
tragen - umgesetzt wird.
({48})
Diese Aufgabe ist nicht beendet. Es hat aber keinen
Sinn, bei jedem schrecklichen Vorgang sofort das Konzept infrage zu stellen. Deshalb sage ich hier: Das Konzept der vernetzten Sicherheit ist nach meiner festen
Auffassung ohne jede Alternative.
({49})
Wir werden im Oktober über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes in den nächsten Monaten debattieren müssen, genauso wie wir das heute für UNIFIL tun.
Deutschland wird jedenfalls seiner Verantwortung für
den Kampf gegen den Terrorismus gerecht werden.
Meine Damen und Herren, für mich ist diese Bundesrepublik als Bildungsrepublik ein Land, in dem die Politik verlässlich, langfristig und nachhaltig agiert; ein
Land, das den Menschen in den Mittelpunkt rückt, ihn
ermutigt, seine Eigenverantwortung fordert, seine Anstrengungen belohnt in einer Gesellschaft, die durchlässig ist und unvoreingenommen jedem seine Chance gibt;
ein Land, das offen ist, neugierig, der Welt zugewandt
und dabei zugleich selbstbewusst auf dem Boden seiner
eigenen Erfolge und Werte steht.
Ich glaube, auf diesem Weg ist unser Land ein Stück
vorangekommen. Jetzt kommt es darauf an, nicht stehen
zu bleiben, sondern mit Geduld und Ausdauer diesen
Weg fortzusetzen. Diese Bundesregierung hat wichtige
Beiträge dazu geleistet. Sie wird auch in den kommenden Monaten weiter wichtige Beiträge leisten.
Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.
({50})
Nächster Redner ist Dr. Gregor Gysi für die Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Bundeskanzlerin, Sie haben fast allen in
unserer Gesellschaft gedankt, nur die Linken haben Sie
vergessen. Aber das macht nichts, wir kennen ja unseren
Einfluss. Auf den ist von der FDP schon hingewiesen
worden.
({0})
Lassen Sie mich mit einem außenpolitischen Thema
beginnen: mit Georgien. Die Situation war ja so: Der
Präsident von Georgien hat sich entschieden, kriegerisch
in Südossetien einzufallen. Niemand in diesem Haus
glaubt, dass er das ohne Genehmigung des amerikanischen Präsidenten gemacht hat.
({1})
Nun hört und liest man, ihm sei es wichtig gewesen, im
Wahlkampf seinen eigenen Kandidaten voranzubringen.
Wenn das stimmt, wenn jetzt schon Kriege wegen eines
Wahlkampfes geführt werden, dann ist die Politik diesbezüglich vollständig verrottet. Das ist die Wahrheit.
({2})
Russland handelte zunächst noch völkerrechtsgemäß,
als es Südossetien befreite. Es verletzte das Völkerrecht
aber grob, als es Tiflis bombardierte und sich in Kerngeorgien festsetzte. Russland verletzte das Völkerrecht
auch, als es die Unabhängigkeit, die territoriale Abspaltung von Südossetien und Abchasien anerkannte.
({3})
Es verletzte das Völkerrecht genauso wie die USA,
Großbritannien, Frankreich und Deutschland, als sie
Belgrad bombardierten, und genauso wie diese Länder,
als diese die territoriale Abspaltung des Kosovo entgegen einem Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen beschlossen haben.
({4})
Und nun passiert Folgendes: Vier Völkerrechtsverletzer
stehen da und werfen dem fünften Völkerrechtsverletzer
vor, dass er das Völkerrecht verletzt. Da kommt nicht
viel bei heraus. Das ist die Wahrheit.
({5})
Lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen: Richard
von Weizsäcker hat völlig recht, wenn er davor warnt,
die NATO bis an die Grenzen Russlands zu treiben. Was
sollen denn diese Provokationen? Man muss doch wissen, dass auch Russland ein Sicherheitsdenken hat. Die
Provokationen fingen mit den Stationierungen in Polen
und Tschechien an, und jetzt auch noch die Ausweitung
der NATO. Lassen Sie das einfach bleiben. Wir sind
doch froh, den Kalten Krieg los zu sein. Wir müssen ihn
doch nicht unsererseits mit neu organisieren.
({6})
Ich erkenne durchaus an, dass Sie in Europa einen Beitrag zur Deeskalation geleistet haben, der dringend erforderlich war.
Jetzt haben wir eine Finanzkrise in den USA.
({7})
Wir haben eine weltweite Finanzkrise. Ich kann nur sagen: Ich bin ziemlich entsetzt, was in diesem Zusammenhang alles passiert. Jetzt ist die nächste Großbank
pleite, und alle tun so, als ob es Deutschland fast nichts
anginge. Heute früh habe ich in den Nachrichten gehört,
dass die Kreditanstalt für Wiederaufbau kurz vor der
Pleite der Bank noch einmal 300 Millionen überwiesen
hat. Futsch sind sie! Tolle Experten, die da sitzen, kann
ich dazu nur sagen.
Folgendes ist passiert: Die größte amerikanische Versicherung stand kurz vor der Pleite. Die Notenbank gewährte einen Kredit von 85 Milliarden Dollar - das muss
man sich einmal überlegen -, übernimmt dafür aber
80 Prozent des Eigentums. Was macht unsere Bundesregierung bei der Industriekreditbank? Sie übernimmt natürlich auch die Schulden dieser Privatbank in Höhe von
9,2 Milliarden Euro, aber ihr gehört hinterher kein Prozentpünktchen mehr. Ich weiß gar nicht, ob wir das Geld
je wiederbekommen oder ob das einfach so verschenkt
wurde. Der Bundesfinanzminister stellt sich hier hin und
erklärt stolz, es gebe eine Neuverschuldung von nur
10 Milliarden Euro, und sagt ganz nebenbei: Wir haften
hier mit 9,2 Milliarden Euro mit.
Übrigens hat nicht nur die Industriekreditbank diesbezüglich Probleme - auch das muss ich sagen -, sondern
auch die Sächsische Landesbank und, ja, Herr Huber,
auch die Bayerische Landesbank. Herr Huber, Sie waren
der verantwortliche Finanzminister. Der Schaden liegt
bei 4,5 Milliarden Euro. Andere würden zurücktreten.
Sie hingegen streben nach höheren Ämtern. Ich sage das
nur mal so.
({8})
All das müssen die Bürgerinnen und Bürger bezahlen.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Finanzkrise sagen:
Der tiefe Konflikt zwischen Schröder und Lafontaine bezog sich auf genau diese Frage. Als Rot-Grün, SPD und
Grüne die Wahlen gewannen, da hat Schröder noch erklärt, er wolle die Finanzmärkte regulieren. In Abspra18646
che mit Blair ist er aber völlig davon abgekommen und
wollte plötzlich die liberalisierten, freien Finanzmärkte.
({9})
Lafontaine wollte den Finanzmarkt regulieren. Das war
der Zwist.
({10})
Jetzt stellen Sie sich als SPD doch einmal hier hin und
sagen: In dieser entscheidenden Frage hatte Lafontaine
recht und Schröder unrecht. So einfach ist das nämlich.
({11})
Die Zeche bezahlen wir jetzt alle.
({12})
Heiner Geißler, zu früheren Zeiten Generalsekretär
der CDU, hat jetzt geschrieben: Die Politiker, die Professoren, die Journalisten, die immer von der Freiheit der
Finanzmärkte gesprochen haben, können leider nicht zur
Verantwortung gezogen werden, obwohl sie eine Mitverantwortung für die gesamte Krise haben.
({13})
Wenn wir uns die Situation in Deutschland ansehen,
erkennen wir, dass es Momente gibt, die Sie hier ausgelassen haben, Frau Bundeskanzlerin. In den letzten zehn
Jahren bis 2006 - die Zahlen liegen vor - sind die Realeinkommen in Deutschland um 6 Prozent gesunken.
Das trifft nicht nur die Menschen, sondern auch die kleinen und mittleren Unternehmen, die auf den Binnenmarkt angewiesen sind. Denn wenn die Kaufkraft zurückgeht, werden bei ihnen weniger Waren gekauft und
weniger Dienstleistungen in Anspruch genommen. Das
alles hat Folgen.
In derselben Zeit - das ist spannend, weil Sie immer
sagen, es sei ein internationaler Trend - sind die Reallöhne in Frankreich, den USA, Großbritannien und
Schweden zwischen 10 und 29 Prozent gestiegen. In
Deutschland sind sie um 6 Prozent gesunken. Auch unter
Schröder und unter Merkel hat sich nichts daran geändert. Jetzt gibt es eine Studie, die das genauer analysiert.
Auch das ist immer spannend. Das Ergebnis der Studie
lautet: In den letzten zehn Jahren sind bei den Geringverdienern die Realeinkommen um 10 Prozent gesunken,
bei Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten sind sie um
14 Prozent gesunken und beim obersten Viertel, bei den
Bestverdienenden, sind sie um 4 Prozent gestiegen.
Wenn man das alles miteinander verrechnet, kommt insgesamt ein Minus von 6 Prozent heraus. Aber man muss
wissen, dass unten viel mehr verloren wurde und oben
die Realeinkommen sogar gestiegen sind.
Wenn man sich dann noch die Unternehmens- und
Vermögenseinkommen ansieht, dann schlackern einem
die Ohren. Denn sie sind um 42 Prozent, um
177 Milliarden Euro, gestiegen. Deshalb spüren die
Leute genau, dass die Armut zunimmt, während der
Reichtum in dieser Gesellschaft maßlos wird. Dagegen
unternehmen Sie gar nichts.
({14})
Es gibt immer das folgende Argument - das hat mich
auch beschäftigt -: Wir hatten zu hohe Löhne und mussten mit den Realeinkünften herunter, weil Deutschland
im internationalen Vergleich nicht mithalten konnte.
Jetzt haben wir uns das einmal angesehen. Die Deutsche
Bank Research - Sie werden zugeben, dass dies keine
linke Einrichtung ist - hat das Pro-Kopf-Einkommen in
den alten 15 EU-Mitgliedsländern festgestellt. Wissen
Sie, Herr Huber, auf welchem Platz wir liegen? Auf
Platz zwölf. Ich bitte Sie! Spanien hat uns im letzten Jahr
überholt; da waren wir noch auf Platz elf. Jetzt sind wir
auf Platz zwölf. Hinter uns liegen nur noch Italien, Griechenland und Portugal; aber die geben sich Mühe.
({15})
Ich kann also nur sagen: Auf das Ergebnis, das Sie vorlegen, können Sie nicht stolz sein.
({16})
Ich möchte auch erwähnen, dass die 20 Millionen
Rentnerinnen und Rentner seit Jahren nur Minusrunden
erleben. Denn auch das kleine Plus ist immer eine Minusrunde, wenn Sie es mit der Mehrwertsteuererhöhung,
mit der Inflationsrate und anderen Dingen verrechnen.
Nun sagen Sie: Die Linken kritisieren immer alles
und versprechen das Blaue vom Himmel. Das alles sind
Populisten, die nichts einhalten können.
({17})
- Ich wusste es doch.
({18})
Verstehen Sie, diese billige Argumentation ist selbst
bis zu mir schon vorgedrungen. Aber sie ist falsch.
({19})
Denn wir müssen einmal einen Vergleich der Steuerund Abgabenquoten wiederum in den 15 alten EU-Mitgliedsländern machen. Im Schnitt liegt die Steuer- und
Abgabenquote in diesen 15 Ländern bei 40 Prozent. In
Deutschland liegt sie bei 36 Prozent. Das sind 4 Prozent
weniger. Hätten wir den Durchschnitt der alten EU-Mitgliedsländer, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme in
Höhe von 100 Milliarden Euro. Damit ließe sich alles finanzieren, was die Linke hier im Bundestag vorgeschlagen hat.
({20})
Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie sind der
Deutschen Bank entgegengekommen. Sie haben die
Körperschaftsteuer von 45 auf 15 Prozent gesenkt. Sie
sind den Spitzenverdienern entgegengekommen. Sie haben den Spitzensteuersatz der Einkommensteuer von 53
auf 42 Prozent gesenkt. Das kostet den Staat übrigens
jährlich 11 Milliarden Euro, die einfach weg sind, weil
Sie dieses Geschenk verteilt haben. Was müssten wir
machen, um an den Durchschnitt heranzukommen? Man
sollte nicht die Mehrwertsteuer erhöhen. Welchen Weg
könnte man gehen?
({21})
Wir wollen wieder eine paritätische Beteiligung der Unternehmen an der Rentenversicherung. Die RiesterRente ist doch nichts anderes als eine Entlastung der Unternehmen.
({22})
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Staat
müssen das allein bezahlen.
Die Allianz macht mit der Riester-Rente ein tolles
Geschäft. Deshalb überweist sie jedes Jahr an die CSU,
an die CDU, an die FDP, an die SPD und auch an die
Grünen 60 001 Euro. Die einzige Partei, die nichts bekommt, sind wir.
({23})
Aber ich sage einmal: Ich bin relativ stolz darauf, dass es
noch eine nicht allianzgesponserte Partei im Deutschen
Bundestag gibt.
({24})
Wir schlagen Ihnen eine Börsenumsatzsteuer vor.
Hätten wir eine Börsenumsatzsteuer von 1 Prozent, hätten wir jährlich eine Mehreinnahme in Höhe von
70 Milliarden Euro. Das lässt sich doch machen; auch
andere Länder haben Börsenumsatzsteuern.
({25})
- Ach, Quatsch. Wir sollten vor allen Dingen auch die
Spekulationen ein bisschen reduzieren, die auf unserem
Erdball maßlos geworden sind.
Wir schlagen eine angemessene Vermögensteuer vor.
Wir haben in Deutschland Milliardäre. Ich bitte Sie! So
fleißig kann gar kein Einzelner sein, um sich eine Milliarde legal zu erwirtschaften. Wie dem auch sei: Alle
Milliardäre sind doch Verfassungspatrioten und wissen,
dass das Eigentum auch dem Allgemeinwohl dienen
soll. Wir kommen ihnen solidarisch entgegen, nehmen
ihnen einen Teil ihres Geldes weg und verteilen es im Interesse des Allgemeinwohls. Das ist doch nachvollziehbar.
({26})
Wir wollen, dass der Spitzensatz der Einkommensteuer
für Einkommen über 80 000 Euro im Jahr 50 Prozent beträgt. Das ist doch nicht unangemessen!
Sie behaupten, Sie hätten die Arbeitslosigkeit abgebaut. Die SPD behauptet sogar, das liege an der
Agenda 2010. Das hat zwar nichts miteinander zu tun;
aber Sie können ja erzählen, was Sie wollen.
({27})
Der Aufschwung, der von Ihnen gepriesen worden ist,
kam bei 16 Prozent der Leute an. 84 Prozent der Leute
haben von diesem Aufschwung nichts, aber auch gar
nichts mitbekommen.
Das Statistische Bundesamt - auch keine linke Einrichtung - hat eine wunderbare Analyse vorgelegt und
darin Folgendes festgestellt: Die Zahl der Menschen in
Teilzeitjobs, Leiharbeitsstellen, 400-Euro-Jobs und befristeten Arbeitsverhältnissen ist von 1997 bis 2007 um
2,6 Millionen gestiegen. Jetzt liegt diese Zahl bei
7,68 Millionen. In denselben zehn Jahren ist die Zahl der
sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten um
1,53 Millionen gesunken. Sie haben also keinen Grund,
stolz zu sein.
({28})
Abbau der Arbeitslosigkeit durch Verschiebung von
Vollzeitbeschäftigung in prekäre Arbeitsverhältnisse das ist bei Ihrer Politik herausgekommen.
Herr Huber, Frau Merkel und Herr Steinmeier, ich
sage Ihnen: CSU, CDU und SPD haben keinen Grund,
stolz zu sein auf 2,5 Millionen arme Kinder in Deutschland. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf
7,4 Millionen Menschen, die von Hartz IV leben. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf 6,6 Millionen Menschen, die in Minijobs für ein Einkommen von 400 Euro
arbeiten. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf weitere 6,5 Millionen Menschen mit niedrigsten Einkommen. Sie haben keinen Grund, stolz zu sein auf
800 000 Menschen, die in Leiharbeit beschäftigt sind, in
einer modernen Form der Sklaverei.
({29})
Sie haben keinen Grund, stolz darauf zu sein, dass die
Energiepreise um 14 Prozent gestiegen sind, dass bereits
800 000 Haushalten in Deutschland - ich wiederhole:
800 000 Haushalten! - der Strom abgestellt wurde und
dass die Nahrungsmittel um 8 Prozent teurer geworden
sind.
({30})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben viel über Bildung
geredet. Ich stimme Ihnen zu: Bildung ist ein zentrales
Thema; denn Chancengleichheit kann nur über Bildung
erreicht werden. Sie haben aber nicht erwähnt, dass unser Bildungsniveau im Vergleich in Europa mittlerweile
unterdurchschnittlich ist. Es geht nicht um Besuche, sondern um Investitionen. Die brauchen wir im Bildungsbereich.
({31})
Frau von der Leyen, gelegentlich schätze ich, was Sie
sagen. Aber Ihre Elterngeldregelung ist ein starkes
Stück. Für die Hälfte der Bezieherinnen und Bezieher,
und zwar für die ärmere Hälfte der Bevölkerung, haben
Sie die Bezugsdauer des Elterngeldes um die Hälfte gekürzt und den Bestverdienenden eine Erhöhung des Elterngeldes zugebilligt. Eine so direkte Umverteilung von
unten nach oben, wie Sie sie an dieser Stelle organisiert
haben, habe ich in dieser Gesellschaft bisher selten erlebt. Das ist nicht hinnehmbar.
({32})
Wo blieb eigentlich der Protest der SPD? Warum haben
Sie das zugelassen?
Frau Bundeskanzlerin, nun komme ich auf Ostdeutschland zu sprechen. Nur ein Beispiel: Wir haben
vor einem Jahr 17 Anträge gestellt, um Überführungslücken und -ungerechtigkeiten sowie Ungleichbehandlungen bei der Rente zu überwinden.
({33})
Ihr Kanzleramtsminister hat uns seinerzeit mitgeteilt, es
gebe noch Beratungsbedarf.
({34})
Also haben wir gewartet. Im Mai hat er uns dann mitgeteilt, dass es immer noch Beratungsbedarf gibt. Wir haben wieder gewartet. Später haben wir das zwar in erster
Lesung im Plenum behandelt, aber noch nicht in den
Ausschüssen. Das Kanzleramt teilte uns nämlich mit,
dass es immer noch Beratungsbedarf gibt.
({35})
- Herr Kauder, quatschen Sie doch nicht über etwas, von
dem Sie keine Ahnung haben! Lesen Sie lieber erst einmal unsere 17 Anträge, bevor Sie sich leichtfertig dazu
äußern.
({36})
Wir werden darauf drängen, dass dieses Thema jetzt
auch in den Ausschüssen behandelt wird, damit unser
Gesetzentwurf bald im Plenum des Bundestages in zweiter Lesung beraten werden kann. Seit 1990 sind diese
Probleme bekannt. Noch länger kann Ihr Kanzleramt
nicht beraten. Jetzt müssen Sie dazu endlich einmal Ja
oder Nein sagen.
({37})
Bald findet die Bayernwahl statt. Deshalb ist heute
auch Herr Huber zu uns gekommen; das ist völlig okay,
und das ist Ihr gutes Recht.
({38})
Eines geht aber nicht, Herr Huber: Sie können nicht in
Bayern immer so tun, als wären Sie in Berlin in der
Opposition. Denn hier in Berlin sind Sie an der Regierung beteiligt; das müssen wir allen Bürgerinnen und
Bürgern sagen. Die Mehrheit des Bundestages hat seit
2005 keinen Beschluss gefasst, der nicht auch Ihre Zustimmung gefunden hat, einschließlich der dramatischen
und unverantwortlichen Kürzung der Pendlerpauschale.
Das ist die Wahrheit.
({39})
Der Bundesfinanzhof, der seinen Sitz in München
hat, hält die Kürzung der Pendlerpauschale für grundgesetzwidrig.
Daraufhin haben wir gesagt: Lasst uns doch selbst
Politik machen! Lasst uns diese Schwachsinnsregelung
zurücknehmen! Wir müssen doch nicht warten, bis das
Bundesverfassungsgericht wieder ersatzweise für den
Bundestag Politik macht. - Dann haben wir eine namentliche Abstimmung durchgeführt. Herr Huber, ich
muss es Ihnen sagen: Alle CSU-Abgeordneten haben im
November 2007 dafür gestimmt, dass die Kürzung der
Pendlerpauschale erhalten bleibt. Das ist die Wahrheit.
({40})
Nun haben wir festgestellt, dass Sie jetzt eine andere
Auffassung vertreten. Deshalb haben wir es wieder in
den Bundestag eingebracht. Am Donnerstag vor der
Landtagswahl in Bayern können wir namentlich darüber
abstimmen. Mal sehen, wie Ihre Abgeordneten dann entscheiden. Darauf dürfen wir gespannt sein.
({41})
Ich finde es toll, dass Sie plötzlich dafür sind, den
Steuerfreibetrag bei der Einkommensteuer von
6 800 Euro auf 8 000 Euro zu erhöhen, dass Sie dafür
sind, den Steuerbauch bei der Einkommensteuer zu
beseitigen. Damit haben Sie völlig recht. Wenn man
oben bei den Bestverdienenden in der Steuer nachlässt,
dann muss das einer bezahlen. Das sind bei uns die
Durchschnittsverdiener. Deshalb haben wir diesen Steuerbauch, der nicht gerechtfertigt ist. Herr Huber, Sie
müssen aber erwähnen, wer den Steuerbauch erfunden
hat. Das war Theo Waigel unter Kanzler Kohl. Er war
zudem Vorsitzender der CSU. Ich finde, darauf muss
man doch wenigstens hinweisen.
({42})
Sie erwähnen auch nicht, dass wir im April 2008 im
Bundestag eine Debatte über die Erhöhung des SteuerDr. Gregor Gysi
freibetrags und über die Beseitigung des Steuerbauches
geführt haben und die CSU dagegen polemisiert und dagegen gestimmt hat. Einen Monat später fällt Ihnen ein,
dass Sie eine andere Auffassung vertreten. Diese Art des
Wahlkampfes ist zu billig.
Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur SPD sagen. Ich habe Ihre Personalentscheidung - zurück zu
Schröder - mitbekommen. Hierzu möchte ich Ihnen drei
Dinge sagen. Sie haben beschlossen, für einen gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn einzutreten. Sie
haben ferner beschlossen, dass Sie für eine Bürgerversicherung sind. Irgendwann einmal haben Sie auch beschlossen, dass Sie die Vermögensteuer erheben wollen. Nun sagt Herr Müntefering, dass er unbedingt eine
Koalition mit der FDP eingehen möchte. Das heißt, es
gibt keinen Mindestlohn, es gibt keine Bürgerversicherung, und es gibt keine Vermögensteuer. Ich nehme an,
diesbezüglich ist Verlass auf die FDP.
({43})
Wenn das so ist, dann sage ich Ihnen: Wenn Sie wieder
im Wahlkampf für einen gesetzlichen Mindestlohn eintreten und gleichzeitig sagen, dass Sie mit der FDP zusammengehen wollen, dann bereiten Sie den nächsten
Betrug der Wählerinnen und Wähler vor. Das werden
wir versuchen deutlich zu entlarven.
({44})
Das Wort erhält nun Dr. Peter Struck für die SPDFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Herr Kollege Gysi, Sie haben sich
darüber beklagt, dass Sie keine Spende von der Allianz
bekommen haben. Diese brauchen Sie auch nicht; denn
Sie haben noch irgendwo altes SED-Vermögen versteckt. Das wissen wir doch ganz genau.
({0})
Sie sind offenbar der Meinung, die Koalition mache
die Energiepreise und die Löhne.
({1})
- So haben Sie es gesagt. - Da liegen Sie falsch, Herr
Kollege Gysi. Diese machen andere, aber nicht diese
Koalition.
({2})
Sie müssen bei der Wahrheit bleiben, wenn Sie sich
hierzu äußern.
({3})
Meine Damen und Herren, die Bilder und Berichte
von der Wall Street haben die Finanzmärkte in den vergangenen Tagen sehr beunruhigt. In unseren und in anderen Medien sind wegen der allgemeinen Finanzkrise
in Amerika Katastrophenszenarien entwickelt worden.
In dieser allgemeinen Verunsicherung hat uns gestern Finanzminister Peer Steinbrück eine solide Einschätzung
an die Hand gegeben,
({4})
keine Verharmlosung, sondern eine sehr seriöse Analyse.
Ich bin ihm sehr dankbar dafür.
({5})
Er hat uns in dem Wissen bestätigt, dass wir mit ihm einen Chef des Finanzressorts haben, der die Tiefen und
Untiefen der weltweiten Finanzmärkte kennt
({6})
und bei seinen Kollegen in Europa und vor allen Dingen
auch bei seinen Kollegen in der G-8-Gruppe höchste Anerkennung genießt. Das respektieren wir, und dafür danken wir ihm.
({7})
Die Große Koalition braucht ihr Licht nicht unter den
Scheffel zu stellen. Wir haben bei der Haushaltskonsolidierung, der Stabilisierung der Wirtschaft und der
Schaffung neuer Arbeitsplätze mehr erreicht, als wir
2005 realistisch erwarten durften und als uns die Oppositionsfraktionen mit ihren düsteren Prophezeiungen vorausgesagt haben. Wir sind stolz auf das, was wir geleistet haben. Deutschland ist vorangekommen. Diese
Koalition hat gute Arbeit geleistet.
({8})
Damit auch nicht der kleinste Zweifel aufkommt: Auch
im letzten Jahr ihrer Regierungszeit wird sie weiter gut
zusammenarbeiten und in ihren Anstrengungen nicht
nachlassen.
({9})
- Ja, ich habe auch erwartet, dass Beifall kommt. Die
Kolleginnen und Kollegen müssen noch darüber nachdenken.
Wir alle haben es aber versäumt, für die gemeinsamen
Erfolge auch offensiv zu werben. Wir haben unsere gute
Arbeit unter Wert verkauft. Ich bin jedenfalls dafür, dass
wir die Zeitspanne bis zum beginnenden Wahlkampf im
nächsten Frühsommer dafür nutzen, unsere gemeinsamen Erfolge deutlich herauszustellen.
Wir sollten damit in dieser Haushaltswoche beginnen
und Finanzminister Peer Steinbrück für eine solide und
vorausschauende Konsolidierungspolitik danken. Es
stimmt, dass die Risiken eines Abwärtstrends der Weltwirtschaft näher gerückt sind und dass es keinen Anlass
zu leichtfertigem Optimismus gibt. Genauso gilt aber,
dass die Wachstumserwartungen in Deutschland dank einer einsichtigen Politik immer noch doppelt so hoch sind
wie in Frankreich und England. Deutschland ist und
bleibt die Konjunkturlokomotive in der Europäischen
Union; darauf sind wir stolz. Ist das nichts?
({10})
Wenn wir über die Beschäftigungssituation in
Deutschland reden, dann müssen wir wissen, dass allein
im letzten Jahr über 600 000 Menschen eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden haben. Es besteht die Chance, dass die Zahl der Arbeitslosen im Herbst unter 3 Millionen sinkt. Erstmals seit
Beginn der 90er-Jahre ist die Erreichung der Zielmarke
Vollbeschäftigung keine Utopie mehr. Ist das nichts?
({11})
Sollen wir uns diese Erfolge kaputtreden lassen, nur weil
wir uns über den weiteren Weg hin zu guter Arbeit nicht
einig sind? Sollten wir nicht endlich dem Unsinn der
Linkspartei lauter widersprechen, die neuen Arbeitsplätze ließen sich auf 1-Euro-Jobs reduzieren? Das ist
wieder eine dieser Propagandalügen, mit denen die
Linkspartei Unsicherheit schürt.
({12})
Die Wahrheit ist: Die Zahl der Arbeitslosen ist seit 2005
um fast 2 Millionen zurückgegangen, während die Zahl
der 1-Euro-Jobber konstant bei 300 000 geblieben ist.
Wir haben es geschafft, die Sozialversicherungsbeiträge seit 2006 radikal zu senken. Die Beiträge zur
Arbeitslosenversicherung sind von 6,5 Prozent im
Jahre 2005 bis zum Jahresende 2008 mehr als halbiert
worden. Ist das nichts?
({13})
Müssen wir diesen Erfolg durch eine Debatte darüber
zerreden, ob wir sie jetzt nicht noch weiter senken können?
Wir sollten die Warnungen der Bundesagentur für Arbeit und ihres Präsidenten nicht einfach in den Wind
schlagen. Generell steht außer Frage, dass alle in dieser
Koalition bemüht sind, die Lohnnebenkosten zu senken.
Für uns Sozialdemokraten ist klar, dass gerade die Normalverdiener weit mehr davon profitieren als von weiteren Steuersenkungen, die erst bei Empfängern höherer
Gehälter zu Buche schlagen. Deshalb wollen wir die
Lohnnebenkosten, auch den Arbeitslosenversicherungsbeitrag senken.
({14})
Diese Koalition hat sich viel vorgenommen, und sie
hat viel erreicht - mehr als uns die professionellen Beobachter zugetraut haben -: Unternehmensteuerreform,
Pflegereform, Teilprivatisierung der Bahn, Föderalismusreform, Haushaltskonsolidierung. Selbst mit der unter den Koalitionspartnern besonders umstrittenen
Gesundheitsreform haben wir die Grundlage dafür geschaffen, dass auch in Zukunft für alle Menschen eine
qualitativ hochwertige Versorgung garantiert ist. Ist das
nichts?
({15})
Viele von uns sind im Ausland unterwegs und lernen dabei eines: Kein Land auf der Welt hat ein solches Gesundheitssystem wie die Bundesrepublik Deutschland.
Dass wir darauf stolz sein können und dass wir das auch
bezahlen müssen, steht außer Frage.
({16})
Bei jedem dieser Projekte hat es massive öffentliche
Zweifel darüber gegeben, ob wir das schaffen und ob
sich die Koalition zusammenraufen kann. Sie hat es geschafft; sie hat sich zusammengerauft. Ich will an dieser
Stelle den vielen Experten und Fachleuten der beiden
Fraktionen, die maßgeblich zum Gelingen dieser vielen
Projekte beigetragen haben, danken. Das ist eine
schwere, aber auch eine gute Arbeit gewesen.
({17})
Diese Koalition - darauf muss ich als Sozialdemokrat
hinweisen - hat auf vielem aufbauen können, was die
rot-grüne Vorgängerregierung angestoßen hat.
({18})
Als Beispiel nenne ich die Familien- und Bildungspolitik. Wir haben seinerzeit im Rahmen der Agenda 2010
für die Ganztagsbetreuung von Kindern 4 Milliarden
Euro zur Verfügung gestellt, und zwar gegen den Widerstand mancher christdemokratischer Ministerpräsidenten.
({19})
Jetzt ist dieser Schritt von allen als richtig erkannt worden. Alle sind dankbar dafür, dass wir das gemacht haben.
({20})
6 400 Schulen sind inzwischen als Ganztagsschulen eingerichtet. Das hat dazu geführt, dass sich diese Koalition
darauf geeinigt hat, auch den Ausbau der Krippenplätze
intensiv zu fördern, deren Zahl bis 2013 auf 750 000 erhöht werden soll. Zudem soll ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz eingeführt werden. Damit sorgen wir
für gleiche und damit bessere Bildungschancen von Kindern vor allen Dingen aus sozial benachteiligten Familien.
({21})
Bei dieser Aufgabe lassen wir die Kommunen nicht allein, sondern wir garantieren eine dauerhafte Beteiligung
des Bundes an den Betriebskosten der Kindertagesstätten.
In diesem Zusammenhang will ich darauf hinweisen,
dass die Kommunen wissen, dass sie mit der Sozialdemokratie einen starken Partner in der Regierung haben.
Wir haben ihnen versprochen, dass mit uns an der Gewerbesteuer nicht zu rütteln ist. Das Versprechen haben
wir im Zuge der Unternehmensteuerreform eingehalten.
({22})
Das bedeutet für die Kommunen in Deutschland: Es ist
wieder Geld da für den Ausbau der Straßen, für den Bau
von Schulen und für öffentliche Aufgaben vor Ort. Das
ist praktische und realistische Politik für die Menschen.
Wir haben in der Bildungspolitik durch eine Erhöhung des BAföG von diesem Wintersemester an ein Zeichen gesetzt, dass das Studium kein Privileg für diejenigen sein darf, die es sich finanziell leisten können. Wir
wollen, dass jeder nach seinen Fähigkeiten studieren
kann, nicht nach dem Geldbeutel der Eltern.
({23})
Ich finde es übrigens gut, Frau Bundeskanzlerin, dass
Sie das Thema Bildung - Sie haben eben lange darüber
gesprochen - zur Chefsache gemacht haben. Allerdings
bin ich gespannt, ob Ihre Ministerpräsidenten all das,
was Sie hier vorgetragen haben, so akzeptieren werden.
Ich wünsche Ihnen Erfolg. Wir wollen dabei helfen.
({24})
BAföG-Erhöhung, Wiedereinführung des MeisterBAföG - wir machen keine leeren Versprechungen, sondern wir halten, was wir sagen. Das ist der Unterschied
zur Linkspartei. Mit seriöser Politik hat sie nichts zu tun.
({25})
Selbst Teilen der Linkspartei geht das Gefasel von Gysi
und Lafontaine allmählich gegen den Strich. „Luftschlösser“, mosert der sachsen-anhaltinische Landesvorsitzende Matthias Höhn, Die Linke. „Zutiefst unseriös“,
so warnen Finanzpolitiker der Linkspartei vor immer
neuen Milliardenversprechungen. Zu Recht: Von September 2007 bis Juni 2008 hat die Linkspartei über
120 Anträge und Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht, die ungedeckte Mehrkosten von gut
100 Milliarden Euro mit sich bringen würden.
({26})
Rechnet man hoch, was die Linkspartei über die gesamte
Legislaturperiode an Forderungen gestellt hat, so müssten jährlich 255 Milliarden Euro zusätzlich her. Dann
muss man aber auch sagen, woher das Geld kommen
soll, Herr Kollege Lafontaine, Sie größter Finanzpolitiker der Welt.
({27})
Das ist fast so viel, wie Peer Steinbrück für den Haushalt
insgesamt braucht.
Schulden, Steuer- und Abgabenerhöhungen, das ist
das Gebräu, mit dem sich Herr Lafontaine aus dem Wirrwarr ungedeckter Versprechungen herausreden will.
({28})
- Ich rede erst einmal über den Herrn. - Ein kenntnisreicher Journalist hat am Montag in einem Nachrichtenmagazin die finanzpolitischen Ungereimtheiten, Verfälschungen und Lügen treffend beschrieben. Nur der Titel
„Die ökonomischen Märchen des Oskar Lafontaine“ ist
irreführend; denn im Märchen siegt am Ende immer das
Gute. Aber mit Ihren ökonomischen Giftrezepturen wird
es nur ein ganz böses Erwachen geben, Herr Kollege
Lafontaine.
Lassen Sie mich eine persönliche Anmerkung zu dem
Umgang von Lafontaine mit der Wahrheit machen. Er
hat vor kurzem über die Zwangsvereinigung von KPD
und SPD gesagt, dass es sie nie gegeben habe und dass
die SPD freiwillig mitgemacht habe.
({29})
Das ist eine geschichtliche Dreistigkeit und eine Beleidigung eines jeden Sozialdemokraten, der dafür ins Gefängnis musste.
({30})
- Sie sind ein Lügner, und Sie sollten sich schämen.
Nicht einmal diesen Rest Anstand, diesen Rest Moral
und diesen Rest Respekt vor den DDR-Opfern hat sich
dieser Mann bewahren können. Sie halten Populismus
für eine Primärtugend, Herr Kollege.
({31})
Gestatten Sie mir einige Worte zur Außenpolitik.
Raus aus der NATO, raus aus dem Kosovo, raus aus
Afghanistan - mit diesem Weg in die internationale Isolation kann man für Deutschland keine Politik machen.
Unsere Partner und Freunde beobachten genau, was wir
auf internationaler Ebene tun und lassen.
In den nächsten Wochen werden wir vermutlich eine
neue Entscheidung über die Verlängerung des ISAFMandats in Afghanistan treffen. Ich weiß - auch aus
vielen Veranstaltungen -, dass dieser Einsatz in der Bevölkerung sehr umstritten ist. Ich weiß aber auch, dass es
keine Alternative dazu gibt, wenn der Wiederaufbau des
Landes vorangehen soll. Würde Deutschland sich zurückziehen, dann hätte das einen Dominoeffekt für die
Präsenz anderer Länder.
({32})
Sicher reicht das nicht als Begründung für eine Verlängerung aus; denn schließlich müssen wir verantworten, ob wir unseren Soldaten den gefährlichen Einsatz
weiter zumuten können. Wir sollten uns deshalb immer
wieder in Erinnerung rufen, warum wir in Afghanistan
sind. Vor wenigen Tagen, am 11. September, hatten wir
Anlass dazu. Bei den Anschlägen in New York und Washington 2001 sind über 3 000 Menschen ums Leben gekommen. Diese Anschläge waren das Werk islamistischer Terroristen. Die Taliban in Afghanistan haben
diesen Terrorismus geduldet und gefördert. Deshalb war
es nicht nur im amerikanischen Interesse, dieses Regime
zu beseitigen.
Wir müssen heute verhindern, dass die Taliban weiter
erstarken und in Afghanistan an die Macht zurückkehren. Wir dürfen nicht sehenden Auges zulassen, dass
sich Afghanistan zu einem Exportland für Terrorismus
zurückentwickelt.
({33})
Wir dürfen auch nicht ausblenden, wer hierzulande vor
Gericht des Terrorismus beschuldigt wird und sein
Handwerk in Afghanistan gelernt hat. Sind die beiden
Täter, die in Bahnhöfen Kofferbomben deponiert haben,
durch die Menschen getötet werden sollten, vergessen?
Deshalb arbeiten wir mit 40 anderen Staaten der Welt
zusammen an einer besseren Zukunft in und für Afghanistan. Denn nur dann, wenn das Land wieder auf die
Beine kommt und die Menschen wieder eine Lebensperspektive haben, werden sie den Drohungen und haltlosen
Versprechungen der Islamisten widerstehen können. Der
zivile Aufbau muss dabei im Mittelpunkt stehen. Darüber gibt es keine Diskussion und keinen Zweifel. Aber
ohne die Absicherung durch das Militär ist er nicht möglich. Das wird jeder von uns bestätigen, der selbst vor
Ort war. Ohne das Militär geht es nicht.
Wir führen keinen Krieg gegen das afghanische Volk.
Wer das behauptet, redet blanken Unsinn. Aber es gibt
erstarkende Kräfte in Afghanistan, die den Wiederaufbau verhindern wollen, weil sie ihn zu Recht als Gefahr
für die eigene Daseinsberechtigung sehen. Denn wenn
wir zusammen mit Präsident Karzai und der Regierung
in Afghanistan erfolgreich sind, dann werden Terror und
Islamismus bei der afghanischen Bevölkerung keinen
Rückhalt mehr finden.
Ich bin deshalb der festen Überzeugung, dass wir unser Engagement in Afghanistan in der ganzen Breite
- zivil und militärisch - fortsetzen müssen. Auch müssen wir unseren Soldaten alle verfügbaren Mittel an die
Hand geben, um diesen Auftrag optimal erfüllen zu können.
({34})
Das sollten wir übrigens auch bedenken, wenn wir in
den nächsten Tagen und Wochen im Bundestag über den
Einsatz von AWACS-Flugzeugen zu entscheiden haben
sollten.
In der Außenpolitik angekommen will ich an dieser
Stelle dem klugen und besonnenen Vorgehen der Bundesregierung in der Kaukasus-Krise meinen Dank aussprechen. Ihre Äußerungen dazu, Herr Gysi, waren völlig wirr und für mich nicht erklärlich. Frau
Bundeskanzlerin, Sie haben die erfolgreichen Bemühungen Ihres Außenministers optimal unterstützt.
({35})
Vielleicht können Sie dem einen oder anderen Kollegen
in Ihrer Fraktion erklären, dass es an dieser Politik nichts
zu mäkeln gibt.
Wir Sozialdemokraten sind jedenfalls froh, dass wir
mit Frank-Walter Steinmeier einen Außenminister haben, der die Interessen Deutschlands mit Beharrlichkeit
und Augenmaß vertritt.
({36})
Wir sind stolz darauf, dass dieser Außenminister in der
Tradition des letzten sozialdemokratischen Außenministers Willy Brandt Deutschlands Ansehen als Volk der guten Nachbarn gestärkt hat.
({37})
Nach der Ernennung Frank-Walter Steinmeiers zum
Kanzlerkandidaten der SPD - nun komme ich zu dem,
was Sie hören wollen - gab es aus den Reihen unseres
Koalitionspartners - zum Glück nur ein paar einzelne verwirrte und verirrte Stimmen.
({38})
Es hieß, der Außenminister müsse sich zu 100 Prozent
auf das Auswärtige Amt konzentrieren. Seien Sie sicher,
dass der Vizekanzler die Regierungsgeschäfte genauso
wenig vernachlässigen wird wie die Bundeskanzlerin der
Bundesrepublik Deutschland!
({39})
Für beide gilt, was für alle in der Koalition gelten sollte:
Jetzt ist Arbeit angesagt. Wahlkampf ist später, nicht
jetzt. Bis dahin gibt es noch viel zu tun.
Wir haben uns in der letzten Woche intensiv damit befasst, wie wir uns wirkungsvoll gegen die zunehmende
Zahl von Spekulationsgeschäften am Öl- und Gasmarkt wappnen können; auch die Kanzlerin hat davon
gesprochen. Die augenblickliche Entwarnung beim Preis
für ein Barrel Öl darf nicht darüber hinwegtäuschen,
dass der zunehmende Energiehunger Chinas und Indiens
auf Dauer die Preise bestimmen und nach oben treiben
wird. Man kann es drehen und wenden, wie man will,
letztlich bleibt uns nur eine Option: Wir müssen unseren
Energieverbrauch verringern. Das kostengünstige Öl ist
das Öl, das wir erst gar nicht verbrauchen. Energieeinsparungen und höhere Energieeffizienz sind neben den
erneuerbaren Energien
({40})
unsere besten heimischen Energiequellen.
({41})
Eine höhere Effizienz nutzt außerdem der Umwelt und
dem Klimaschutz.
Wir haben intensiv geprüft - das gilt auch für die
Unionsfraktion -, ob wir den Bürgerinnen und Bürgern
mit verbilligten Grund- und Sozialtarifen helfen können.
Diesen Weg haben wir verworfen, weil er entweder
durch bürokratischen Aufwand unattraktiv oder durch
erhebliche Mitnahmeeffekte unbezahlbar würde. Wir
werden in den nächsten Wochen unsere Arbeitsergebnisse vorlegen. Aber schon jetzt sind wir der Meinung,
dass es mittelfristig am sinnvollsten ist, unsere Energieeffizienz zu erhöhen sowie die Mittel für das erfolgreiche CO2-Gebäudesanierungsprogramm weiter aufzustocken und bis mindestens 2015 zu verstetigen.
({42})
Außerdem schlagen wir vor, in den nächsten Jahren
Großraumsiedlungen in Berlin, Hamburg und anderen
großen Städten Deutschlands in großem Stil energetisch
zu sanieren. Kurzfristig können wir Geringverdienern
Entlastung verschaffen, indem wir die beschlossene
Wohngelderhöhung auf Beginn der kommenden Heizperiode vorziehen. Ich höre, dass die Koalitionsfraktion
CDU/CSU diesem Vorschlag wohl folgen wird.
({43})
Ich weiß, dass sich die Union intensiv mit Fragen der
Energieeinsparung befasst; das ist gut. Aber ich rate
dringend dazu, das nicht mit dem im Koalitionsvertrag
festgeschriebenen Ausstieg aus der Kernenergie zu vermischen und diesen nicht zu verwässern. Wir bleiben bei
dem Ausstieg aus der Kernenergie. Er ist für uns nicht
verhandelbar.
({44})
Die Kanzlerin hat die Föderalismusreform II angesprochen. Auch ich will einige Worte dazu sagen. Mit
dem Eckpunktepapier, das ich zusammen mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther
Oettinger im Juni erarbeitet habe, ist die Arbeit der
Kommission in die Schlussphase gekommen. Ich
möchte gemeinsam mit Herrn Oettinger, dass es eine
Zielgerade wird. Es geht um eine komplizierte und sensible Neugestaltung der Finanzbeziehungen. Dafür gibt
es keine günstigere Koalition als diese Große Koalition,
mit der die FDP-Kolleginnen und Kollegen und sogar
Fritz Kuhn von den Grünen in der Frage der Schuldenregelung durchaus bereit sind zusammenzuarbeiten. Wir
brauchen für fast jeden Eckpunkt unserer Reform eine
verfassungsändernde Mehrheit im Parlament; das muss
jeder wissen. Also brauchen wir die Kollegen von der
FDP, die in manchen Bundesländern mitzuentscheiden
haben.
Herr Oettinger und ich wollen so vorgehen, dass zuerst die einvernehmlichen Punkte behandelt werden und
die Streitpunkte zugunsten eines Gesamtpaketes vorläufig zurückgestellt werden. Nur dann sehe ich überhaupt
eine Realisierungschance für ein Paket, das eine enorme
Verbesserungschance gegenüber dem jetzigen Zustand
bedeuten würde. Das gilt zum Beispiel für die Schuldenregelung, die einerseits ambitioniert sein muss, andererseits aber auch Raum für Konjunkturpolitik und Wachstumsinvestitionen einräumen muss. Ich war und bin mir
bewusst, dass es eine Herkulesaufgabe ist, die wir zu
stemmen haben, und kann nur appellieren: Lassen Sie
uns die Chance nutzen - im Wissen um die Schwierigkeiten, aber mit dem Willen zum gemeinsamen Erfolg
für die Zukunftsfähigkeit unseres Bundesstaates!
({45})
Wir müssen für die uns nachfolgenden Generationen
eine Regelung finden.
Wir haben noch genug zu tun. Die Erbschaftsteuer
sei als Beispiel genannt. Ich gehe davon aus, dass wir im
Oktober den Knoten durchschlagen werden und ins parlamentarische Verfahren gehen können.
Wir müssen im Blick haben, dass uns das Bundesverfassungsgericht eine Neuregelung der Pendlerpauschale auferlegt. Es war richtig, dass wir uns auf das
Verfahren geeinigt haben, nicht vorschnell aktiv zu werden, auf die Gefahr hin, auf das Urteil reagieren zu müssen.
({46})
Da ich gerade beim Bundesverfassungsgericht bin,
will ich noch auf ein Thema eingehen, das mir persönlich sehr am Herzen liegt. Ich weiß, dass ich da keine
Zustimmung bei der CDU/CSU-Fraktion finden werde.
Ich will nicht verstehen, dass wir das gesammelte Material zur NPD nicht nutzen, um noch einmal ernsthaft und
intensiv die Möglichkeit eines erneuten Verbotsverfahrens zu prüfen. Das kann ich nicht verstehen.
({47})
Einige Landesinnenminister haben gute Vorarbeit geleistet, vor allem auch der CDU-Innenminister aus Mecklenburg-Vorpommern. Aus meiner Sicht dürfen wir
nichts unversucht lassen, um diesen Neonazis politisch,
aber auch rechtlich endgültig das Handwerk zu legen.
({48})
Sonst besteht die Gefahr, dass sie in einigen Landstrichen die Oberhand gewinnen und die Arbeit aller demokratischen Parteien erschweren oder sogar unmöglich
machen. Ich will mich jedenfalls nicht damit abfinden,
dass wir aus Steuermitteln eine Partei finanzieren, die
die demokratische Grundordnung überwinden und zerstören will. Das kann nicht in unserem Interesse sein.
({49})
Auf unserem Arbeitsplan stehen noch das Arbeitnehmer-Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz. Darüber werden wir in Kürze auf der Fraktionsarbeitsebene zu beraten und zu entscheiden haben.
Wir müssen diesen Weg gehen, weil branchenübergreifende Mindestlöhne mit unserem Koalitionspartner bekanntlich nicht zu machen sind. Das ändert allerdings
nichts daran, dass wir Sozialdemokraten über diese
Wahlperiode hinaus am Ziel eines flächendeckenden
Mindestlohnes, wie es ihn in den meisten europäischen
Ländern gibt, festhalten und dafür werben werden.
({50})
Wir sind darin bestärkt worden durch einen Gast in
unserer letzten Fraktionssitzung, nämlich durch den ehemaligen Partei- und Fraktionsvorsitzenden Hans-Jochen
Vogel. Er hat sich beim Thema Mindestlohn nicht nur
auf die eigene Autorität verlassen, sondern uns als gläubiger Katholik die Argumentationskraft dreier Päpste für
den Mindestlohn als Gastgeschenk mitgebracht.
Leo XIII., Johannes XXIII. und Benedikt XVI., der aktuelle Papst, haben fast gleichlautend gerechten Lohn gefordert. Einen gerechten Lohn beschreibt Johannes
XXIII. in seiner Enzyklika Pacem in terris als einen
Lohn, der dem Arbeiter und seiner Familie eine menschenwürdige Lebenshaltung gestattet. Lassen Sie uns
doch den Päpsten folgen und überwinden Sie Ihre christlichen Bedenken dagegen.
({51})
Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich zwei christliche Parteien solch gewichtigen Befürwortern sozialer
Politik noch anschließen werden.
({52})
Sie sehen, dass die Unterschiede zwischen den Volksparteien noch nicht aufgebraucht sind. Niemand muss im
nächsten Sommer einen langweiligen Wahlkampf fürchten. Jenseits des Trennenden haben wir in den letzten
drei Jahren viel Gemeinsames auf den Weg gebracht, getreu dem Versprechen, das wir den Bürgerinnen und
Bürgern in unserem Koalitionsvertrag gegeben haben. In
dessen Präambel heißt es:
In gemeinsamer Verantwortung wollen wir das
Land voranbringen.
Das haben wir getan, und das werden wir in der noch
verbleibenden Zeit dieser Legislaturperiode weiterhin
tun.
Von da an gilt Kapitel 3, Buch der Prediger, als Wegweiser: Alles hat seine Zeit, Weinen und Lachen, Wehklagen und Feiern, sich Umarmen hat seine Zeit und sich
aus der Umarmung lösen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({53})
Fritz Kuhn ist der nächste Redner für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Drei Jahre nach Beginn der Großen Koalition und jetzt
bei der Lesung des Haushalts des Kanzleramts geht es
nach meiner Überzeugung um eine Frage, nämlich ob
Sie, Frau Merkel, als Chefin der Großen Koalition das
Land in den entscheidenden Feldern, die die Menschen
betreffen und berühren, nach vorne gebracht haben oder
nicht. Darauf will ich mich konzentrieren; denn das ist
es, was man bei der Beratung des Haushalts des Bundeskanzleramts eigentlich betrachten muss.
Ich will mit der Frage anfangen, ob Sie den Haushalt
im Sinne der Generationengerechtigkeit konsolidiert
haben. Das war ein großer Anspruch. Ich erinnere mich
an die Rede von Herrn Röttgen, mit der die Große Koalition legitimiert werden sollte.
({0})
Meine Antwort ist: Wer sich die Zahlen anschaut, inklusive die der mittelfristigen Finanzplanung bis 2011,
der muss - trotz allem, was der Finanzminister gestern
wortreich dargestellt hat - feststellen: Sie haben dieses
Ziel der Konsolidierung bis zum Jahr 2011 nicht seriös
erreicht,
({1})
und zwar aus folgendem Grund: Wer in den Jahren 2005
bis 2009 zusätzliche Steuern in Höhe von insgesamt
59 Milliarden Euro einnimmt und die Nettoneuverschuldung nur um 21 Milliarden Euro zurückfährt, der kann
nicht sagen, dass er den Haushalt wirklich konsolidiert
habe.
({2})
Obwohl Sie, Frau Merkel, in einer guten Konjunktur gestartet sind, obwohl Sie die Mehrwertsteuer massiv
erhöht haben und obwohl Sie massive Privatisierungserlöse in diesen Jahren im Haushalt und in der mittelfristigen Finanzplanung haben, haben Sie es nicht geschafft,
den Haushalt zu konsolidieren. Sie haben nichts für die
schwierigen Zeiten angelegt.
({3})
Unser Vorwurf heißt: Herr Struck, Ihnen ist es nicht
gelungen, die Maßnahmen umzusetzen, über die wir in
der Föderalismuskommission diskutiert haben, nämlich die Verschuldung zu bremsen und in guten Jahren
für die schlechten Jahre vorzusorgen. Sie alle wissen,
dass bei einer Neuverschuldung von null für das
Jahr 2011, die Sie in der mittelfristigen Finanzplanung
etatisiert haben, eine Vielzahl von Haushaltsrisiken
steckt, für die Sie nicht im Ansatz Vorsorge getroffen haben.
({4})
Ich nenne die globalen Minderausgaben im Arbeitsministerium, die Sie nur zulasten der kleinen Leute realisieren können, nämlich beim Arbeitslosengeld II, bei der
Grundsicherung. Ich nenne die Pendlerpauschale mit
den Risiken in Karlsruhe. Ich nenne das Kindergeld, von
dessen Erhöhung Sie reden, die Sie aber nicht etatisiert
haben.
({5})
Ich rede von den Konjunkturrisiken, die Sie nicht etatisiert haben; denn Sie gehen von einem Wachstum von
1,2 bzw. 1,5 Prozent über die Jahre aus. Ich nenne auch
das Urteil aus Karlsruhe über die steuerliche Absetzbarkeit von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung.
Das heißt im Klartext: Trotz massiver Haushaltsrisiken und trotz eines möglichen Abschwungs der Konjunktur - man braucht gar nicht von Rezession zu reden setzen Sie für das Jahr 2011 eine Neuverschuldung von
null an, obwohl alle wissen, dass Sie dieses Ziel nicht
einhalten können. Frau Merkel, es tut mir leid: Wir können gern über Schwierigkeiten auf dem Weg reden, aber
Sie können eines nicht machen: dass Sie sich erst einmal
den Beifall als Konsolidierer abholen, hinterher aber das
Konsolidierungsziel nicht erreichen. Das funktioniert bei
einer wachen Öffentlichkeit nicht, egal wie Steinbrück
hier an diesem Pult redet.
({6})
Ich finde, wir müssen anders über Einsparungen reden, und wir müssen darüber reden, welche steuerlichen
Privilegien Sie eigentlich in den letzten Jahren nicht angetastet haben. Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt
zahlreiche Ausnahmen bei der Ökosteuer in der Wirtschaft. Die Ökosteuer ist eine reine Verbraucherinnenund Verbrauchersteuer geworden. Sie sind nicht bereit,
diese Ausnahmen anzugreifen, obwohl dem Staat dadurch jährlich Milliardenbeträge entgehen.
Ein zweites Beispiel: die Steuerprivilegien bei der
Nutzung von Dienstwagen. Bund und Länder geben dafür zusammen jährlich rund 6 Milliarden Euro aus. Darüber schweigt die Regierung trotz Klimaschutzanforderungen. Ich erläutere das einmal, weil ich weiß, dass
viele über die Dimensionen nicht Bescheid wissen: Ein
Porsche Cayenne Turbo - um einmal ein größeres Fahrzeug zu nehmen -, der pro Kilometer 358 Gramm CO2
ausstößt und dabei 15 Liter Treibstoff verbraucht, hat einen Ladenpreis von 110 000 Euro. Ein Großbetrieb mit
einem entsprechenden Grenzsteuersatz, der dieses Auto
einem seiner Mitarbeiter zur Verfügung stellt, kann ihn
sechs Jahre lang abschreiben und hat dadurch einen
Steuervorteil von jährlich maximal 5 500 Euro, das heißt
insgesamt von etwas mehr als 33 000 Euro. Ein mittelständischer Betrieb, der einen höheren Grenzsteuersatz
hat, hat in diesem Sechsjahreszeitraum einen Steuervorteil von 44 000 Euro. Da frage ich Sie alle zusammen:
Was sind wir eigentlich für ein Staat, der es für zumutbar
und akzeptabel hält, dass die Nutzung dieser Dreckschleudern, was den CO2-Ausstoß angeht, durch einen
Steuervorteil von maximal 44 000 Euro begünstigt wird?
Wo sind Sie denn da?
({7})
Dennoch sagte Herr Steinbrück gestern: Nennen Sie
mir Sparvorschläge! Wir können eine ganze Reihe solcher Sparvorschläge nennen. Wir müssen natürlich über
die Fragen reden: „Stimmt die steuerliche Basis, oder
sind wir da zu großzügig? Subventionieren wir das Falsche?“ Frau Merkel, diese Sache müssen Sie sich anschauen, wenn Sie den Anspruch erheben, eine Große
Koalition wirklich im Sinne von Haushaltskonsolidierung geführt zu haben.
({8})
Dann kommen die Bayern ins Spiel. Herr Huber, ich
kann nur sagen - Sie wollen nachher in der dritten
Runde reden -: Was Sie gegenwärtig steuerpolitisch vorschlagen - Ihr Entlastungspaket bei der Einkommensteuer, 23 Milliarden Euro; die Wiedereinführung der
Enfernungspauschale; das, wogegen Sie jetzt kämpfen,
haben Sie mit beschlossen, wovon Sie jetzt nichts wissen
wollen -, ist nicht finanzierbar. Sie verweisen immer auf
zusätzliche Steuereinnahmen in Höhe von 60 Milliarden
Euro. Aber Sie sehen doch, dass die von Ihnen mitgestaltete und mitgetragene Große Koalition trotz dieser
Mehreinnahmen bei den Steuern aus diesem Jahr mit
über 10 Milliarden neuen Schulden herausgehen wird.
Das Geld, das Sie fordern, ist nicht vorhanden. Was Sie
in Bayern veranstalten, ist ein Wahlkampftheater. Ich
nenne die Forderungen, die Sie aufstellen, und die Art,
wie Sie arbeiten, Panikpopulismus. Weil Sie Angst haben, dass Sie die absolute Mehrheit verlieren, verkünden
Sie jeden Unsinn - und wissen genau, dass es nicht geht.
({9})
Übrigens, an dieser Stelle sind der Politikstil der
Linkspartei und der der CSU in Bayern einander nah. Es
ist Ihnen völlig egal, wie man die Dinge realisieren
kann; dennoch stellen Sie erst einmal Forderungen, weil
Sie denken, es komme irgendwie gut an.
({10})
Die CSU ist in einem komischen Zustand; Sie fordert
in Bayern etwas ganz anderes, als sie hier in Berlin tut.
Ich will dafür ein weiteres Beispiel nennen, und zwar
aus dem Bereich der Gentechnik; ich denke an die
Grüne Gentechnik in der Landwirtschaft. Auf der
Ramsauer-Homepage - jetzt in Bayern - habe ich gelesen: „Wir lehnen den Einsatz der … Gentechnik in unserer Heimat ab.“ Tatsächlich hat ihn zunächst der CSUMinister Seehofer als Gesundheitsminister 1998 in Brüssel genehmigt, als er die genrechtliche Genehmigung im
Rahmen der EU mit unterstützt hat. Die sortenrechtliche
Genehmigung, die man bei der Aussaat braucht, hat er
dann im Jahr 2005 als eine seiner ersten Amtshandlungen erteilt, nachdem Renate Künast dieses Verfahren gestoppt hatte. Da fragt sich doch die aufgeklärte Bevölkerung in Deutschland und in Bayern: Was gilt nun?
Gentechnik in der Heimat lehnt man ab, und in Berlin
pusht man sie mit Unterstützung der Kanzlerin.
({11})
Ich glaube, dass man so nicht vorgehen kann.
Im Übrigen, Herr Steinbrück, Stichwort „Sparen in
Deutschland, Gentechnik“: Im Rahmen der HightechStrategie werden - das ist ein kleinerer Beitrag 279 549 Euro dafür ausgegeben, dass gentechnisch veränderte, kälteresistente Weihnachtssterne erprobt werden. So etwas wird zur Förderung der Gentechnik über
den Bundeshaushalt finanziert. Ich würde einmal sagen:
Wenn Sie über Haushaltskonsolidierung reden, dann
schauen Sie noch einmal nach, ob Sie solche Beiträge
nicht einsammeln können! Es ist doch blanker Unsinn,
sich als Sparkommissar hinzustellen und insgesamt einen solchen Mist zu machen.
({12})
Ich möchte Frau Merkel als Kanzlerin und Chefin der
Großen Koalition zweitens fragen, ob eigentlich die
sozialen Sicherungssysteme gerechter und zukunftsfähiger geworden sind. Auch das ist eine Frage, die die
Große Koalition beantworten muss.
Meine Antwort ist: In vielem sind die sozialen Sicherungssysteme nicht gerechter geworden. Wenn ich auf
das Gesundheitssystem schaue, dann stelle ich fest,
dass wir in Deutschland doch eine Zweiklassenmedizin
haben. Zu denken ist an die Wartezeiten, an die Leistungskataloge für Kassenpatienten oder an die Überversorgung von Privatpatienten. Weil die Praxen über beide
Systeme finanziert werden, laufen Privatpatienten ja
auch immer Gefahr, dass bei ihnen zu viel gemacht wird,
also auch etwas gemacht wird, was medizinisch gar
nicht notwendig ist. Wenn ich mir all dies anschaue,
dann kann ich aufgrund der Spaltung zwischen gesetzlicher und privater Versicherung nicht sagen: Unser Gesundheitssystem hat nicht den Charakter einer Zweiklassenmedizin. Es besteht ein unterschiedliches Angebot, je
nachdem, um wen es sich handelt und wo er sich befindet. Daran hat die Große Koalition nichts verändert.
({13})
Sie haben sich um die Finanzierung gekümmert, aber in
der Frage der Gerechtigkeit in der Krankenversicherung
sind Sie als Große Koalition keinen Schritt weitergekommen.
({14})
Frau Merkel sagt, es sei kompliziert, aber es hat sie nicht
interessiert, etwas zu verändern und mehr Gerechtigkeit
in die gesetzliche Krankenversicherung zu bringen.
Zur Frage der stabilisierten Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme: Unter die Grenze von 40 Prozent
zu kommen, das erreichen Sie nicht. Herr Kauder, Frau
Merkel, Sie haben dies nicht wirklich erreicht. Ich nenne
Ihnen die Zahlen. Am 1. Juli 2008 betrug der Gesamtsatz für die sozialen Sicherungssysteme 40,3 Prozent.
Am 1. Januar 2009 wird er, weil der Gesundheitsfonds
natürlich viel kosten wird, über 40,7 Prozent betragen.
Ich rechne übrigens die 0,9 Prozent, die die Arbeitnehmer in der Krankenversicherung allein bezahlen, dazu;
da lasse ich Sie nicht heraus. Das ist der Satz, den man
zugrunde legen muss, wenn man wissen will, wie hoch
die Belastung insgesamt ist.
Von daher rührt auch der ganze Streit über die Frage,
ob Sie in der Arbeitslosenversicherung unter einen Satz
von 3 Prozent gehen wollen. Sie müssen unter einen Satz
von 3 Prozent kommen, wenn Sie das 40-Prozent-Versprechen einhalten wollen. Frau Merkel, gegenwärtig ist
es nicht eingehalten. Ich sage Ihnen voraus: Auch in einem Jahr werden wir feststellen, dass Sie dieses Versprechen nicht halten können.
({15})
Ich möchte eine dritte Frage an die Chefin der Großen
Koalition, Frau Merkel, stellen, nämlich: Haben Sie im
Bereich der Energie- und Verkehrspolitik das gemacht, was aus Klimaschutzgründen notwendig, möglich und sinnvoll ist?
Unsere Antwort heißt: Sie haben es nicht gemacht.
Frau Merkel hat sich sehr mit diesem Thema beschäftigt,
ist auch Eisberge gucken gegangen, aber das, was das
Kabinett zur CO2-Vermeidung beschlossen hat, entspricht nicht dem, was man sich selbst als Ziel gesetzt
hat. 40 Prozent CO2-Reduktion haben Sie vorgehabt.
Wenn ich das zum Maßstab nehme, was Sie im Kabinett
insgesamt beschlossen haben, können Sie nach vielen
Untersuchungen, die jetzt vorliegen, maximal 30 Prozent
Reduktion erreichen.
Das hat einen systematischen Grund, und den will ich
nennen. Immer dann, wenn es von der Sonntagspredigt
ans Eingemachte geht, wenn es um die Umsetzung
werktags geht, haben Sie dicke Lobbys im Nacken, denen Sie am Schluss nachgeben. Das führt dazu, dass Sie
das, was Sie ursprünglich wollten, nicht umsetzen können.
({16})
Sie haben keinen Top-Runner-Ansatz zur Effizienzsteigerung bei Elektrogeräten. Der Neubau von Kohlekraftwerken, den Sie vorantreiben, führt nicht dazu, dass
der CO2-Ausstoß reduziert wird, weil Sie die alten Kraftwerke nicht abschalten können; dazu haben Sie nämlich
kein Rechtsinstrument. Sie haben die Kraft-WärmeKopplung nicht so ausgebaut wie nötig, weil Sie einen
Deckel bei 750 Millionen Euro eingezogen haben. Beim
Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz und bei der Energieeinsparverordnung springen Sie deutlich zu kurz,
weil Sie sich nicht trauen, die Altbauten konsequent in
das Erneuerungsprogramm einzubeziehen, sondern eher
bei den Neubauten ansetzen.
Deswegen führen Sie eine Atomdebatte, die ich nur
als Ablenkungsdebatte sehen kann. Nach der Sitzung des
Vorstands der CDU/CSU-Fraktion in München ist es
heraus: Sie wollen die Kraftwerke zehn Jahre länger laufen lassen. Auch alte Pannenreaktoren wie Biblis A,
Neckarwestheim und Brunsbüttel sollen zusätzlich zehn
Jahre laufen. Frau Merkel, ich kann nur hoffen, dass die
Dübel in Ihrer Wohnung besser und fachgerechter monFritz Kuhn
tiert sind als die in Biblis, wo man Tausende von Dübeln
auswechseln musste.
({17})
Mit diesem Bild möchte ich deutlich machen: Wir reden
nicht über Reaktoren ganz neuer Generation, sondern
wir reden über alte Pannenreaktoren, die laufend stillgelegt sind, weil sie nicht dem technischen Stand entsprechen.
Sie wollen 40 Milliarden Euro aus den Gewinnen der
Energieerzeuger erlösen. Wenn man die Verantwortlichen kennt und ihre Kommentare jetzt, nachdem die
Zahl von 40 Milliarden auf dem Tisch liegt, gehört hat,
dann kann ich Ihnen nur vorhersagen, mit einem solchen
Unsinn werden Sie bei denen scheitern. Der RWE-Sprecher kann zum Beispiel gar nicht nachvollziehen, wie
Sie auf diese Zahl kommen. Die Begründungen waren
auch gut. Noch vor einem halben Jahr haben Sie gesagt,
dieses Geld sei für die regenerativen Energiequellen.
Jetzt heißt es plötzlich, dieses Geld sei für die Senkung
der Stromtarife. Warum haben wir denn in Bayern oder
in Baden-Württemberg, wo es so viele Atomkraftwerke
gibt, keine niedrigeren Stromtarife? Lassen Sie sich
doch von der CDU nicht diesen Bären aufbinden! Herr
Kauder, Sie sollten eigentlich vernünftiger sein als das,
was von Ihnen in den Zeitungen steht.
({18})
Uns stört die Art und Weise, wie Sie mit der Entsorgungsfrage umgehen. Wir haben in Deutschland kein
Endlager. Diejenigen Ihrer Politiker, die dort leben, wo
die Atomkraftwerke stehen, in Bayern und BadenWürttemberg, sagen jetzt: „Gorleben!“ Herr Kauder, es
scheint, als würden Sie aus Asse keine Konsequenzen
ziehen. Dort ist visuell und praktisch sichtbar, dass ein
Salzstock nicht für die sichere Einschließung von radioaktivem Müll geeignet ist, auf den wir Zehntausende von
Jahren aufpassen müssen. Herr Kauder, wir finden es
billig, wie bei uns in Baden-Württemberg - ich komme
selber aus Baden-Württemberg - und in Bayern mit dieser Frage umgegangen wird: Was wir nicht wollen, sollen doch die Fischköpfe in Niedersachsen gefälligst nehmen. - Das, was Sie da praktizieren, ist Heuchelei.
({19})
Ich komme zum Thema Verkehrspolitik. Frau
Merkel, 25 Prozent der weltweiten CO2-Emmissionen
entstehen durch den Verkehr. Sie aber haben so gut wie
keine Verkehrspolitik, die darauf auch nur irgendeine
Antwort gibt. Mit der Kfz-Steuerreform kommen Sie
nicht weiter, obwohl viele Leute darauf warten. Sie würden ein sparsameres Auto kaufen, wenn sie wüssten, was
da geschieht. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Auto mit
einem Spritverbrauch von 4 Litern muss Kfz-steuerfrei
sein. Das müssen Sie endlich machen, dann lösen Sie
auch einen Anreiz zum Kauf einer besseren Verkehrstechnik aus. Das scheint Ihnen aber weitgehend egal zu
sein. Themen wie Tempolimit oder Dienstwagenbesteuerung scheinen Sie zu ignorieren. Das ist eine gute Dauersubvention, die Sie gern beibehalten wollen. Zu den
Flugbenzinprivilegien höre ich von der großartigen Großen Koalition nichts. Hier drücken Sie sich vor dem entscheidenden Umstand, dass wir in Deutschland das Verkehrsmittel subventionieren, das in Bezug auf den CO2Ausstoß am schlechtesten dasteht.
({20})
Schließlich frage ich nach der Bahn und der Ordnungspolitik. Frau Merkel, wie lange wollen Sie als Chefin der Großen Koalition eigentlich noch jemanden wie
Herrn Mehdorn stützen, der gegenüber den eigenen
Kundinnen und Kunden der Bahn nachweislich als Wiederholungstäter aufgetreten ist? Er „verkauft“ diese wegen des Börsengangs. So jemanden kann man nicht stützen, das ist absoluter Unsinn.
({21})
Ich frage mich auch, wann Herr Tiefensee endlich mit einer Verkehrspolitik beginnt, die wirklich unter dem
Rubrum „Klimaschutz“ steht. Ich frage mich, wann er
nicht mehr diesen Mist macht, den wir aus diesem Hause
gewohnt sind. Frau Merkel, ich sage dies deswegen, weil
ich finde, eine Kanzlerin darf diese Fragen nicht so auslassen. Sie muss sich zentral mit diesen Fragen auseinandersetzen.
Die nächste Frage, die ich ansprechen möchte, ist die
Bildungspolitik. Es ist schön, dass Sie jetzt eine Bildungsreise machen. Ich will mich ausdrücklich nicht
darüber lustig machen, denn es ist richtig, sich um die
Bildungsinstitutionen zu kümmern. Die Lage ist ganz
klar: Deutschland ist als Bildungsland nicht an vorderer
Stelle. Im OECD-Vergleich schneiden wir sehr kritisch
ab. Wir geben sehr viel weniger Geld aus, als die Länder
im Durchschnitt ausgeben. Wir geben erst recht sehr viel
weniger Geld aus als die Topländer. Dabei will ich sagen, dass es nicht allein ums Geld geht. In der Frage der
Bildung geht es immer auch um die Struktur von Bildung, also um die Qualität, die aus dem folgt, wie wir
Bildung organisieren.
({22})
Wenn ich mir unser Land im internationalen Vergleich anschaue, dann stelle ich fest, wir haben zu wenig
Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen, wir haben
Qualitätsdefizite in der Kinderbetreuung, wir haben zu
wenig sprachliche und soziale Integration. Sie haben das
angesprochen. Ich glaube, man muss diese Anstrengungen in der Vorschule und in den ersten Klassen der
Schule verstärken. Wir haben in unserem Schulsystem
- da wären Sie auch als CDU-Vorsitzende einmal gefragt; Sie sind ja nicht nur Kanzlerin, sondern auch Vorsitzende dieser Volkspartei - eine zu frühe Selektion der
Kinder nach der vierten Klasse mit negativen Auswirkungen auf das Lernklima ab der ersten Klasse. Der
Leistungsdruck geht ja gleich nach der Einschulung der
Kinder los.
({23})
Wir haben eine lausig schlechte Situation an den
Hochschulen, sowohl was die Lehre als auch was die
Forschung angeht. Keine deutsche Hochschule steht im
internationalen Ranking an vorderer Stelle. Der Hochschulpakt funktioniert einfach nicht, Frau Schavan. Ich
möchte nur einmal etwas zur Anzahl der Studienplätze
sagen: Für 2007 war vereinbart, 13 000 neue Studienplätze zu schaffen. Tatsächlich geschaffen wurden 3 400.
Sie müssen sich doch eingestehen, dass dies nicht so
funktioniert, wie es geplant war, und sich darum kümmern.
Frau Merkel, ich kann es Ihnen nicht ersparen: Das
Ergebnis der Föderalismusreform I, dass der Bund auf
wesentliche Punkte seiner ohnehin schwachen Kompetenzen im Bildungsbereich verzichtet hat, war ein großer
Fehler. Dies war ein Fehler, den die Große Koalition gemacht hat und den Sie zusammen mit Herrn Müntefering
zu verantworten haben.
({24})
Wir stellen jetzt die Forderung an Sie, dass der Bildungsgipfel, den Sie als Bund-Länder-Bildungsgipfel
für Oktober angesetzt haben, zu einem Ergebnisgipfel
werden muss. Er darf nicht zu einem Problemanalysegipfel werden; davon haben Sie ja schon viele durchgeführt. Wir wollen jetzt vielmehr konkrete Ergebnisse sehen, wie unser Bildungssystem verbessert werden soll,
wer dabei welche Aufgabe erhält und wie die Finanzierung zwischen Bund und Ländern hier geregelt werden
soll. Es wird also zu prüfen sein, ob es sich um einen Ergebnisgipfel gehandelt hat oder ob man nur schön darüber gesprochen hat, wie es eigentlich sein sollte.
({25})
Damit komme ich zu einem wichtigen Punkt, den Sie
in Ihrer Rede, Frau Merkel, völlig ausgelassen haben.
Wir wissen, dass neben den Strukturreformen im Bildungssystem die Fragestellung, wie wir all das finanzieren wollen, zentral und wichtig ist. Laut OECDZahlen haben wir in der gesamten Bildungskette vom
Kindergarten bis zur beruflichen Weiterbildung und der
Universität in Deutschland eine Unterdeckung bezüglich
der eigentlich notwendigen Ausgaben in Höhe von
30 bis 40 Milliarden Euro, je nachdem, was man alles
dazunimmt. Sie müssen jetzt endlich einmal sagen, aus
welchem der noch nicht konsolidierten Haushalte und
mit welcher Methode Sie diese Lücke schließen wollen.
Wir als Grüne haben vor diesem Hintergrund gesagt, wir
hören damit auf, sonntags von mehr Bildung zu reden
und bei Finanzierungsfragen verträumt zum Himmel
über dem Reichstag oder sonst wohin zu schauen. Vielmehr schlagen wir vor, Mittel aus dem Soli, der ein Finanzvolumen von 50 Milliarden Euro umfasst und dessen Zweckbindung zur Verwendung in den neuen
Ländern von 2010 bis 2019 nach und nach ausläuft, dazu
zu verwenden, um die große Aufgabe zu stemmen, die
Infrastruktur unseres Bildungssystems endlich zu stärken. Auf diese Weise könnten wir das, was wir machen
wollen, endlich auch finanzieren.
({26})
Man muss sich einmal die Gefechtslage beim Soli vor
Augen führen: Die FDP will ihn abschaffen, Herr
Steinbrück braucht ihn im Haushalt; da ist er über die
Jahre ein wesentliches Konsolidierungsinstrument seiner
mittelfristigen Finanzplanung. Er kommt ohne die 10 Milliarden Euro jährlich, die bis 15 Milliarden Euro aufwachsen, bei seinen Konsolidierungsbemühungen gar
nicht mehr aus.
Ich stelle hier die Maxime auf: Wer unseren Vorschlag ablehnt, der soll einen Gegenvorschlag mit einem
Finanzvolumen in dieser Höhe machen, damit Bildung
finanziert werden kann.
({27})
Der Wettbewerb zwischen den Parteien geht nicht so,
dass Sie immer nur Vorschläge ablehnen. Vielmehr müssen Sie auch eigene Vorschläge machen, wie Sie auf
Bundes- und Länderebene dieses finanzieren wollen.
Ich möchte einen Punkt in der Außenpolitik ansprechen, Frau Merkel, der mit Afghanistan zu tun hat. Sie
haben hierzu ein bisschen was gesagt; Herr Struck hat etwas mehr gesagt. Wir haben den Eindruck, dass Sie dieses Thema ganz verschämt und versteckt anfassen.
({28})
Es gibt eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages
Anfang Oktober, aber das Mandat liegt noch nicht vor.
Sie reden wenig darüber, ganz nach dem Muster: Das
sollen besser Herr Struck oder der Außenminister machen. Sie jedoch erklären der Bevölkerung nicht, was Sie
in Afghanistan vorhaben und wie der Strategiewechsel
funktionieren soll. Sie halten sich - im Vergleich zu anderen Themen, die Sie anpacken - merklich zurück.
Wir haben eine ganze Reihe von Fragen. Wir verstehen, dass Sie im Sinne eines Strategiewechsels langsam
etwas für den zivilen Aufbau tun. Aber ein großer
Schwung kommt da nicht rein; dazu sind zum Beispiel
die Bewegungen beim Polizeiaufbau viel zu langsam.
Aber unsere Hauptfrage an Sie, die Sie nicht beantwortet
haben, ist: Was macht eigentlich die Bundesrepublik
Deutschland unter Ihrer Führung, wenn deutlich wird,
dass die hohe Zahl der zivilen Opfer, die amerikanische
Luftschläge gegen die Taliban sehr oft mit sich bringen,
nicht kleiner wird, wenn es 70, 80 zivile Opfer gibt, Kinder, Frauen, die nichts mit diesen Taliban zu tun haben?
So etwas kann einmal passieren; aber es passiert immer
wieder. Aus Deutschland gibt es keine Antwort auf die
Frage, wann wir diese Strategie beenden. So wird das
Problem nicht gelöst, Herr Struck, und die Bevölkerung
kann nicht einsehen, warum wir da zustimmen sollten.
Sie dürfen also, Frau Merkel, nicht nur sagen, dass
mehr für den zivilen Aufbau getan werden muss, sondern Sie müssen uns auch die Frage beantworten, wann
die Doppelstrategie in Afghanistan - nämlich einerseits
zivile Institutionen zu stärken, was wir unterstützen, andererseits aber viele zivile Opfer billigend in Kauf zu
nehmen - aufhört. Das hätten Sie beantworten müssen
als Kanzlerin, die in diesem Hause über dieses Thema
debattieren will.
({29})
Wenn wir dann lesen - ich verweise auf eine Berichterstattung letzte Woche in der Neuen Zürcher Zeitung,
die eine hohe Objektivität in diesen Fragen hat -, dass
US-Präsident Bush beschlossen und den Befehl erteilt
haben soll, dass künftig auch in Pakistan mit Bodentruppen angegriffen wird, ohne die pakistanische Regierung um Erlaubnis zu fragen, dann kann ich nur sagen:
Ich will von einer Kanzlerin, die diesen Laden hier führt,
wissen, wie sie dazu steht, ob sie glaubt, dass das
stimmt, und was sie gegenüber der US-Administration
getan hat, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie die
Dinge laufen, und ob wir eigentlich mit Zustimmung zu
ISAF und OEF diesen völkerrechtswidrigen Befehl,
wenn er denn erteilt worden ist, unterstützen wollen oder
nicht.
Solche Fragen haben wir Abgeordneten, und zwar in
allen Fraktionen, wenn wir über dieses Thema diskutieren. Ich verstehe Ihren Dank an die Angehörigen der
Bundeswehr. Aber als einziges wesentliches Element in
Ihrer Rede war das wirklich zu wenig. An dieser Stelle
hätte ich mir mehr Führung, mehr Aufklärung, mehr Information gewünscht.
({30})
Ich komme zum Schluss.
Herr Kollege, Sie denken bitte an die Redezeit.
Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Wenn ich
ein Resümee ziehe, finde ich, dass Sie, Frau Merkel, das
Land in wesentlichen Fragen nicht ausreichend führen,
dass Sie sich zurückhalten, dass Sie warten, wie die
Streits ausgehen. Ich will am Rande hinzufügen: Manchmal habe ich bei Ihrem Regierungsstil den Eindruck, als
hätten wir nicht einen Bundespräsidenten, sondern eher
zwei. Für die Führung einer Kanzlerin ist das zu wenig.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Volker Kauder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit der Vorlage dieses Haushaltes für das Jahr
2009 verfolgt die Große Koalition konsequent das weiter, was sie sich zum Start vorgenommen hat: sanieren,
reformieren, investieren.
({0})
Das Thema Sanieren ist für uns eine der ganz großen
Herausforderungen. Herr Kuhn, ich hätte mir gewünscht, dass das Thema Sanieren uns nicht so in Anspruch genommen hätte. Dazu wäre aber Voraussetzung
gewesen, dass Sie in Ihrer Regierungszeit mehr Wert auf
die Konsolidierung des Haushaltes gelegt hätten, als Sie
es getan haben.
({1})
Sie haben sich darin erschöpft, Geld rauszuwerfen und
Nachhaltigkeit einzufordern. Dieser Bundeshaushalt ist
im Gegensatz zu Ihrer Politik eine klare Aussage an die
junge Generation. Wir sorgen für nachhaltige Chancen
der jungen Generation, indem wir jetzt nicht alles verpulvern, sondern durch einen konsolidierten Haushalt
die Möglichkeit schaffen, dass die junge Generation in
die Zukunft investieren kann. Wir handeln nicht wie Sie.
Sie haben in Ihre Ideologie investiert, Geld hinausgeworfen und der jungen Generation Schulden hinterlassen, die wir jetzt wegräumen müssen.
({2})
Auf diesem Weg gehen wir weiter, weil es ganz entscheidend darauf ankommt, dass junge Menschen in diesem Land eine Perspektive sehen, dass sie spüren, dass
man ihnen Angebote macht - Bildungspolitik ist hier das
Thema -, dass sie aber auch spüren, dass man sich um
sie kümmert. Es kann uns nicht einfach kaltlassen, dass
ganze Jahrgänge junger Wissenschaftler, Mediziner unser Land verlassen, weil sie glauben, in anderen europäischen Ländern bessere Bedingungen zu haben. Dieser
Haushalt schafft die Voraussetzung dafür, dass wir jungen Menschen sagen können: Bleibt in Deutschland,
bleibt in eurer Heimat. Wir schaffen die Voraussetzung
für eine gute Zukunft für euch in Wissenschaft, in Forschung und im Gesundheitswesen.
({3})
Mit dieser Großen Koalition hat sich schon einiges
verändert. Es ist bereits mehrfach gesagt worden: Neben
dem, was wir als knallharte Fakten sehen - dass wir nach
einer Neuverschuldung von 30, 40, 50 Milliarden Euro
jedes Jahr jetzt auf eine Neuverschuldung von etwas
mehr als 10 Milliarden Euro kommen und dass wir im
Haushalt 2010, der noch vor der Bundestagswahl im Jahr
2009 beraten wird, auf 6 Milliarden Euro kommen -, ist
die klare Aussage und Botschaft: Wir werden es nach
40 Jahren zum ersten Mal schaffen, keine neuen Schulden zu machen, um unsere Aufgaben leisten zu können.
Wir schaffen einen ausgeglichenen Haushalt. Wir sorgen
dafür, dass keine neuen Schulden und keine neuen Zinslasten entstehen und es neue Chancen für die junge Generation gibt.
({4})
Dieser Weg war nicht einfach; er war anstrengend.
Auch in beiden Koalitionsparteien, sehr geehrter Herr
Kollege Struck, war es nicht einfach, weil natürlich in
beiden Parteien
({5})
- in drei Parteien, auch in der CSU - befürchtet wurde,
dass wir zu viel von dem, was uns wichtig ist, nicht umsetzen können.
Aber was ist in den letzten drei Jahren wirklich wichtig gewesen? Was neben der Haushaltskonsolidierung
wirklich wichtig war, wird uns heute in allen Tageszeitungen auf Seite eins bescheinigt.
({6})
Vom DIW wird bescheinigt: Die erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist der einzige Weg, um soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen.
({7})
Professor Zimmermann sagt heute in allen Zeitungen: Es
mag ja sein, dass nicht bei jedem etwas angekommen ist
von dem, was gemacht worden ist. Aber er sagt auch:
Bei denjenigen 2 Millionen Menschen und deren Familien, die aus der Arbeitslosigkeit herausgekommen sind
und neue Chancen in ihrem Leben haben, ist enorm viel
angekommen. Bei ihnen ist der Aufschwung angekommen.
({8})
Deswegen gilt es, diesen Weg weiterzugehen.
Mancher auch in unserem Land meint: Wenn wir über
die Erfolge, die zweifelsohne da sind, reden, dann würden wir uns zurücklehnen. Überhaupt nicht! Die Erfolge,
die wir erreicht haben, dienen vielmehr als Beweis dafür,
dass es sich lohnt, sich anzustrengen, dass es sich lohnt,
das, was man als richtig erkannt hat, konsequent weiterzuführen. Wir werden uns nicht ausruhen, sondern den
Menschen Antworten auf die Fragen geben, die sie stellen.
Es sind natürlich bewegte Zeiten, in denen die Menschen uns schreiben. E-Mail-Eingang heute Morgen:
Herr Kauder, sagen Sie uns einmal: Sind unsere Spareinlagen noch sicher? Welcher Bank können wir noch vertrauen?
({9})
Die Antworten, die der Finanzminister und die Bundeskanzlerin gegeben haben, sind völlig richtig. Sie sagen:
Wir müssen dafür sorgen, dass es entsprechende Richtlinien und Regeln gibt, damit das, was jetzt passiert ist,
nicht noch einmal passieren kann. Daran müssen wir arbeiten.
({10})
Es ist richtig, wenn der Bundesfinanzminister erklärt: Es
sind Dinge passiert, die natürlich nicht hätten passieren
dürfen; aber es besteht überhaupt kein Grund, den Menschen einzureden, dass wir diese Situation nicht beherrschen können.
Eines ist aber auch klar: All diejenigen, die uns noch
vor wenigen Monaten gesagt haben, Kontrollen und Regeln in diesem Punkt seien falsch und würden die Marktwirtschaft stören, werden jetzt eines Besseren belehrt.
Die Marktwirtschaft schlechthin, die USA, weiß sich
jetzt nicht anders zu helfen als zu verstaatlichen und Milliarden zuzuschießen. Dazu sage ich: Lieber vorher eingreifen, vorher regeln, um den Markt in die richtige
Richtung zu lenken. Das ist unsere Aufgabe. Dabei, Frau
Bundeskanzlerin und Herr Bundesfinanzminister, unterstützen wir Sie nach Kräften.
({11})
In diesen Tagen werden wir in allen Interviews zum
Thema Koalitionen befragt. Meine sehr verehrten Damen und Herren hier im Plenum und draußen an den
Bildschirmen, wir wollen diese Diskussion nicht führen.
Ich rate uns allen, sich an dieser Diskussion nicht zu beteiligen. Es geht doch jetzt nicht um uns. Wir machen
keinen Wahlkampf. Wir müssen jetzt unsere Arbeit machen.
({12})
Deswegen rate ich allen, auch wenn sie vor Kameras
gefragt werden, sich nicht auf diese Diskussion einzulassen, sondern deutlich zu machen, was in den nächsten
Wochen und Monaten noch vor uns liegt, was wir machen müssen, um dieses Land voranzubringen.
({13})
Jetzt konkret: Diese Große Koalition hat ihre Rechtfertigung darin, dass sie Aufgaben anpackt und sie löst. Dabei geht es um Themen, die für unser Land, für viele
Menschen, für uns alle von besonderer Bedeutung sind.
({14})
Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, der Arbeitsplatzschaffer Nummer eins, derjenige, der die Ausbildungsplätze für unsere Kinder zur Verfügung stellt, ist
der Mittelstand in Deutschland.
({15})
Das sind vor allem unsere Familienunternehmen, die am
Standort bleiben und sich nicht wie jedes DAX-Unternehmen in der ganzen Welt tummeln.
({16})
Diese Familienunternehmen müssen entlastet und nicht,
wie Herr Lafontaine meint, enteignet werden. Das ist absoluter Unsinn, was da erzählt wird!
({17})
Deswegen haben wir bei der Erbschaftsteuerreform
- Herr Kollege Struck, Sie haben das angesprochen eine riesengroße Verantwortung. Das Bundesverfassungsgericht hat uns vor ein Problem gestellt. Jetzt
kommt es darauf an, dass wir es lösen. Ich sage schon
jetzt ganz klar - da sind wir uns Gott sei Dank einig -,
dass das, was als Gesetzentwurf vorliegt, in einigen entVolker Kauder
scheidenden Punkten verändert und verbessert werden
muss. Da sind wir uns einig.
({18})
In den nächsten Tagen werden wir uns zusammensetzen. Schon jetzt sage ich:
Erstens. Familienunternehmen müssen auch nach einer Erbschaftsteuerreform in der Lage sein, ihr Familienunternehmen ertragreich im Interesse von uns allen
fortzuführen.
({19})
Zweitens. Arbeitsplatzschaffende Maßnahmen dürfen nicht mit einer Erbschaftsteuer belegt werden. Deswegen bleibt es dabei, dass wir die Erbschaftsteuer abschmelzen.
Drittens. Wir wollen, dass das Eigentum derjenigen,
die in ihrem Leben etwas geleistet haben, die ihr Geld
zusammengehalten haben, die es nicht hinausgeworfen
haben, sondern ein kleines Eigentum für die Familie geschaffen haben, in die nächste Generation übertragen
werden kann.
({20})
Ich bin sicher, dass wir nach intensiven Verhandlungen und Gesprächen zu guten Ergebnissen kommen können. In dieser Großen Koalition und auch in den Bundesländern, die wir dazu brauchen, weil es letztlich ihre
Steuer ist und nicht eine des Bundes, die nur wir regeln
müssen, ist die Bereitschaft dazu vorhanden.
Wir haben in diesen Tagen natürlich auch mit dem einen Thema zu tun, das die Menschen in besonderer
Weise beschäftigt.
({21})
- Genau das nicht. Sie haben von dem, was ich gesagt
habe, überhaupt nichts verstanden.
({22})
Wir müssen arbeiten und nicht immer an die eigenen
Möglichkeiten der Macht denken. Kapieren Sie das endlich einmal!
({23})
Die Menschen bewegt nicht die Frage, wann Sie in
eine Regierung eintreten wollen, sondern die Tatsache,
dass das Leben für sie immer teurer geworden ist.
({24})
Für diese Frage haben wir Verständnis. Aber die Antworten, die gegeben werden, sind vielfach die falschen.
({25})
Wir können auf die gestiegenen Energiepreise nicht
mit hohen staatlichen Subventionen antworten. Denn das
müssen die Menschen wieder bezahlen. Wir alle wissen
doch, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Solange wir einen Haushalt haben, in dem wir
noch immer 10 Milliarden neue Schulden machen, gibt
es keine Möglichkeit für milliardenschwere Entlastungen.
({26})
Das wäre auch nicht richtig. Der Verbrauch der knapper
werdenden Energie muss reduziert und nicht subventioniert werden. Deswegen werden wir all das tun, was getan werden kann, um den Menschen zu ermöglichen, den
Verbrauch zu reduzieren. 2 Liter Spritverbrauch weniger
bringen mehr als jede staatliche Maßnahme.
({27})
Deswegen sind energiesparende Autos die richtige
Antwort.
({28})
Ich fordere die Automobilindustrie auf: Macht jetzt endlich ernst mit dem Elektromotor als Zusatzaggregat auf
dem Weg zum Elektroantrieb auf deutschen Straßen. Das
ist der richtige Weg. Aber wenn man das macht, Herr
Kuhn, ist auch klar: Elektroautos fahren nicht durch
Schieben, sondern durch Strom. Also brauchen wir dann
Strom. Deswegen kann ich nur sagen: Es ist völlig unverantwortlich - nicht das, was Sie gesagt haben -, sicher laufende Kernkraftwerke einfach vom Netz zu nehmen. Das ist Vernichtung von volkswirtschaftlichem
Eigentum!
({29})
Die Zahlen, die wir genannt haben, sind Ihnen natürlich nicht recht; das ist mir völlig klar. Denn wir haben
jetzt zum ersten Mal gesagt: Wir können den Menschen
40 Milliarden Euro zurückgeben. Da hat ein Sprecher
von RWE etwas erklärt, was kurze Zeit später zurückgenommen wurde. Ich sage Ihnen: Die Zahl 40 Milliarden
Euro ist realistisch.
({30})
Damit die 40 Milliarden Euro nicht verloren gehen, sollen sie in einen Fonds gezahlt und dann den Menschen
zurückgeben werden. Das passt Ihnen nicht, weil Sie den
Menschen die Unwahrheit sagen. Politik beginnt mit
dem Betrachten der Wirklichkeit und nicht mit grüner
Ideologie.
({31})
Das Problem bei der Energiefrage ist, dass Sie mehr
Ideologie als Realität in den Vordergrund stellen. Wir
wollen den Energiemix, weil wir den Menschen damit
eine breit gefächerte Energieversorgung zur Verfügung
stellen können.
Wir haben darüber hinaus gesagt: Wir werden das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das eine bessere
Anrechenbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge bei
der Steuer vorschreibt, umsetzen. Das wird zu einer Entlastung führen.
Wir haben auch gesagt: Wir wollen eine deutliche
Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Wir können uns eine Senkung um 0,5 Prozentpunkte
vorstellen. Dies ist gerechnet. Der Vorstandsvorsitzende
der Bundesagentur für Arbeit hat erklärt, dass dies möglich ist. Im Übrigen will ich an dieser Stelle sagen: Ich
bin dem Chef der Bundesagentur dankbar. Denn nicht
nur wir und die Wirtschaft, sondern auch er hat durch die
Reformierung seiner Agentur einen Beitrag dazu geleistet, dass die Senkung jetzt möglich geworden ist.
({32})
Ich sage: Die Bundesagentur ist keine Sparkasse. Das,
was nicht unmittelbar für die Aufgaben und eine
Schwankungsreserve gebraucht wird, wird an die Beitragszahler zurückgegeben. Daher ist nach unseren
Rechnungen eine Beitragssenkung auf 2,8 Prozent möglich.
({33})
Dieses Entlastungspaket ist ein Angebot, den Menschen
zu helfen.
Die Große Koalition hat noch einige Zeit vor sich, um
Arbeit für unser Land zu leisten. Diese Zeit wollen wir
nutzen. Im nächsten Jahr wird der Wahlkampf beginnen.
Wahlkampf gehört zur Demokratie. Wir sollten den
Wahlkampf aber auf die unbedingt notwendige Dauer reduzieren.
({34})
- Wenn auch Sie Ihren Beitrag dazu leisten, wird uns das
gelingen. - Bis dahin werden wir weiterarbeiten.
Dass die Große Koalition einiges verändert hat, und
zwar nicht nur im Hinblick auf die faktischen Chancen
der Menschen, kann man an zwei Einlassungen des Kollegen Struck erkennen:
Die Große Koalition hat zur Folge, dass der Kollege
Struck, wenn ich mich richtig erinnere, zum ersten Mal
aus der Heiligen Schrift zitiert hat.
({35})
Das ist gut! Weiter so, Herr Kollege Struck!
Außerdem, Herr Kollege Struck, haben Sie recht: Unter der Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel
kann man gute Außenpolitik machen.
Herzlichen Dank.
({36})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Guido Westerwelle
für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen haben am heutigen Vormittag vorgetragen, welche positiven Ergebnisse
sie mit ihrer Arbeit bewirkt haben wollen; das ist ihr gutes Recht. Sie haben eine Leistungsbilanz vorgetragen.
Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland erfreulicherweise sinkt.
Außerdem haben sie völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Zahl der Beschäftigten in Deutschland erfreulicherweise steigt.
({0})
Das sind die Entwicklungen, die in den letzten drei
Jahren stattgefunden haben. In diesen drei guten Jahren
waren Sie allerdings damit beschäftigt, die Frage zu klären, ob der Aufschwung ein Merkel-Aufschwung oder
ein Schröder-Aufschwung war.
({1})
Ich sage Ihnen: Der Aufschwung hat weder etwas mit
Frau Merkel noch mit Herrn Schröder zu tun.
({2})
Er hat übrigens auch nichts mit Herrn Kauder oder mit
mir zu tun,
({3})
sondern er hat etwas mit der Weltwirtschaft zu tun.
Worüber Sie allerdings nicht gesprochen haben, ist
die Verantwortung für den Abschwung, in dem wir uns
jetzt befinden. Wenn der Aufschwung das Ergebnis Ihrer
Arbeit war, wieso bekennen Sie sich dann nicht auch zu
Ihrer Verantwortung für den Abschwung, den wir gerade
erleben?
({4})
Frau Bundeskanzlerin, meine Damen und Herren von
der Bundesregierung, wir, die Opposition, werfen Ihnen
nicht vor, dass wir einen Abschwung erleben; wir wissen, dass Aufschwung und Abschwung viel mit der
Weltkonjunktur zu tun haben. Was wir Ihnen aber vorwerfen, ist, dass Sie die guten Jahre nicht genutzt haben,
um für schlechte Jahre vorzusorgen.
({5})
Sie haben Ihre Zeit in dieser Koalition verplempert. Bedauerlicherweise wird von dieser Regierung der Eindruck übrig bleiben: Es waren versäumte Jahre.
Wenn Sie es nicht einmal schaffen, die Kornkammer
in den berühmten fetten Jahren zu füllen, wie soll Ihnen
das dann in den mageren Jahren gelingen? Wie wollen
Sie denn bei schlechter Konjunktur einen Haushalt ohne
Schulden zustande bringen, wenn Sie einen Haushalt
ohne Schulden nicht einmal bei guter Konjunktur zustande gebracht haben?
({6})
Sie haben die Bürgerinnen und Bürger um die Früchte
des Aufschwungs gebracht, und zwar mit der größten
Steuer- und Abgabenerhöhung, die jemals eine Regierung im Deutschen Bundestag durchgesetzt hat. CDU,
CSU und SPD sind verantwortlich dafür, dass das Leben
der Bürgerinnen und Bürger in den letzten drei Jahren
immer teurer, aber nicht besser geworden ist. Sie haben
alles verteuert, aber nichts verbessert. Sie reden über die
Preistreiber in der Wirtschaft. Aber die wahren Preistreiber haben Steuererhöhungen beschlossen und sitzen auf
der Regierungsbank.
({7})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben eine Rede gehalten,
der ich in weiten Teilen zustimmen konnte; ich glaube,
das gilt über die Grenzen der Koalitionsfraktionen hinweg sogar für einen großen Teil dieses Hauses. Natürlich
ist es gut, dass Sie die Bildungspolitik in den Mittelpunkt Ihrer Politik rücken. Es muss aber doch einem Beobachter auffallen: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben am
meisten über das Thema gesprochen, zu dem Sie politisch am wenigsten zu sagen haben, nämlich über die
Bildungspolitik. Da sind Sie natürlich mit unverbindlichen Reden schnell dabei.
({8})
In Wahrheit ist es doch nicht so, als würde Ihre Bildungsreise irgendeinen Kindergarten oder irgendeine
Schule verbessern. Diese Bildungsreise findet statt für
die Damen und Herren, die da oben in der ersten Reihe
stehen, nämlich für die Fotografen. Sie wollen auch leben; das kann ich ja verstehen. Nur, mit Verlaub gesagt:
Bildungspolitik hätte bedeutet, dass man bei der Föderalismusreform mit den entsprechenden Mehrheiten diese
Zersplitterung nicht auch noch durchgesetzt hätte.
({9})
Wir haben eine Bundesregierung, die heute Morgen
einen auf Rosamunde Pilcher gemacht hat. Heute Nachmittag geht beim Wahlkampf das Kettensägenmassaker
weiter. Das ist ein außerordentlich bemerkenswerter Vorgang. Herr Kollege Kauder sagt: Wir machen keinen
Wahlkampf. - Das ist vermutlich genau der Grund, weshalb CSU-Chef Huber gleich hier sprechen wird.
({10})
Das wird er uns an dieser Stelle noch erklären. Mit
Verlaub gesagt: Was der CSU-Chef als bayerischer Finanzminister in der Debatte über den Bundeshaushalt zu
suchen hat, das wird er uns zweifelsohne noch erklären.
Ich weiß, dass ein CSU-Chef gern hier sprechen möchte.
Er hat hier aber gar kein Rederecht. Rederecht hat die
Bayerische Staatsregierung. Diese ist beim Bundeshaushalt aber wirklich nicht gefragt, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({11})
Der Zustand dieser Regierung ist bemerkenswert. Da
wird alles fröhlich verkleistert. Das ist alles menschlich
nachvollziehbar. Aber, Frau Bundeskanzlerin, wir wollen Ihnen nicht ersparen, darauf hinzuweisen, was Sie
über Ihren Vizekanzler und die SPD alles gesagt haben.
Wenn niemand mehr sagt, was vor vier Tagen gesprochen wurde, dann ist es die Aufgabe der fröhlichen, optimistischen und lebensbejahenden Opposition, dies einzubringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor vier
Tagen auf dem Parteitag der CDU in Rheinland-Pfalz
gesagt: Mit den Sozialdemokraten ist kein Staat zu machen. -
Wir haben es
mit einem Koalitionspartner zu tun, der zunehmend unzuverlässig wird.
Wenn mit den Sozialdemokraten kein Staat zu machen ist, dann verstehe ich nicht, wie ihr euch hier heute
Vormittag küsst, herzt und schmust, meine sehr geehrten
Damen und Herren.
({0})
Herr Kollege Struck, ich bitte, das bildlich zu nehmen,
damit das auch gleich klargestellt ist.
Die Töne der Sozialdemokraten über ihren Regierungspartner Union sind kein bisschen anders. Der designierte SPD-Vorsitzende, auf den ich mich persönlich
durchaus freue, weil ich glaube, dass sehr klar gesprochen wird, wenn er in Debatten eingreift, sagte zu der
Union: Die Union stellt zwar die Kanzlerin, aber sie hat
nicht die Meinungsführerschaft. Frau Merkel hat nicht
die Führung.
({1})
- Der Generalsekretär der SPD klatscht pflichtbewusst.
({2})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, gegen diese
Koalition waren Kain und Abel eine friedliche Gesellschaft. Es ist abenteuerlich, was hier für ein Schauspiel
veranstaltet wird. Die Bürger sind aber viel zu klug, um
das durchgehen zu lassen.
({3})
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt: Das können
nicht alle, das kann nur die Große Koalition. - Das ist
für mich, wie man so schön sagt, das Wort des Tages gewesen. Morgens machen Union und SPD in den Sitzungen einen auf Miteinander, und ab Mittag machen sie
einen auf Gegeneinander. Das kann nur die Große Koalition.
Deutschland hat aber mehr verdient als eine Halbtagsregierung, die uns ein Jahr lang in dieser Republik mit
Dauerwahlkampf lähmt.
({4})
Die Opposition wirft Ihnen nicht vor, dass sich die
Welt so oder so entwickelt. Es bestreitet niemand, dass
die Regierung und die Koalition - auch in den Jahren zuvor - natürlich auch Positives bewirkt haben; es ist gar
nicht möglich, dass man drei Jahre lang regiert und alles
schlecht war. Das wird ausdrücklich anerkannt. Insbesondere bei der Außenpolitik haben wir immer wieder
gesagt: Das erkennen wir an. Das große Problem ist
aber, dass diese Koalition die riesengroße Mehrheit, die
sie in diesem Hohen Hause und im Bundesrat hatte, nie
genutzt hat, um das Land wirklich zu erneuern und auf
schwächere Phasen vorzubereiten.
In den letzten drei Jahren war die wirtschaftliche
Weltlage für Sie als Koalition unglaublich gut, aber Sie
haben all das versäumt, was Sie im Hinblick auf schlechtere Zeiten zu tun gehabt hätten.
({5})
- Herr Kollege Poß sagt: „Das ist doch schlichtweg
falsch!“
({6})
- Dass Sie das jetzt sagen, Herr Kauder, ist mir völlig
klar. Das ist eine ganze tiefe Freundschaft zwischen Ihnen; das weiß ja auch jeder.
({7})
Man muss es an dieser Stelle doch einmal auf den
Punkt bringen: In der Zeit der alten Kanzlerschaft, zu der
ich in heftiger Opposition stand, haben wir wenigstens
den Versuch erlebt, mit der Agenda 2010 ein paar strukturelle Reformen auch für magere Zeiten durchzusetzen. Sie haben diese Reformen nicht nur nicht fortentwickelt, Sie haben sie sogar noch rückabgewickelt.
({8})
Sie haben die strukturelle Lage in Deutschland mit Ihren
Steuer- und Abgabenerhöhungsorgien verschlechtert und
die Mittelschicht um die Früchte ihrer Leistung gebracht.
({9})
Das vergisst Ihnen die Mittelschicht auch nicht.
Erst haben Sie den Bürgerinnen und Bürgern nichts
vom Aufschwung abgegeben, jetzt lassen Sie sie mit
dem Abschwung alleine.
({10})
Das ist in Wahrheit der Ausdruck des wachsenden Misstrauens bei Ihnen.
Sie sagen, dass diese Bundesregierung bei der Erstellung des Bundeshaushalts Entscheidungen getroffen hat.
Herr Bundesfinanzminister, ich habe Ihre Rede von gestern gehört und aufmerksam verfolgt. Damit wir uns
nicht missverstehen: Es ist Ihres Amtes, dafür zu sorgen,
dass Panik nicht um sich greift. Es ist Ihres Amtes, dafür
zu sorgen, dass aus einer Krise keine Katastrophe wird.
Es ist auch Ihres Amtes als Finanzminister, dass Sie
dementsprechend zur Vernunft mahnen. Das ist überhaupt gar keine Frage.
Was uns nicht gefällt und was wir nicht anerkennen,
ist, dass Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen so
leichtfertig über das Versagen der privaten Wirtschaft reden - übrigens mit viel berechtigter Kritik -, dass Sie so
leichtfertig über das Versagen der Manager privater Banken reden - übrigens auch mit viel berechtigter Kritik und dass Sie das Versagen bei Ihrer eigenen Staatsbank
verschweigen, was in Ihrer eigenen Verantwortung liegt,
wo Milliarden Euro verbrannt wurden, die jetzt fehlen,
beispielsweise um Steuern senken zu können.
({11})
Wenn man am heutigen Tage liest, dass die Staatsbank KfW, die zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Prozent den Ländern gehört, dem Pleitier in Amerika sogar
noch 300 Millionen Euro mit der fabelhaften Begründung rüberschiebt, das habe man bereits in der letzten
Woche angewiesen und man habe gar nicht mehr gewusst, dass diese Anweisung in dieser Woche ausgeführt
wird, dann muss man sagen: Bevor Sie über das Versagen in der privaten Wirtschaft reden - auch mit berechtigter Kritik -, sollten Sie sich an Ihre eigene Nase fassen. Der Staat hat versagt, die Regierung hat versagt, die
Bankenaufsicht hat versagt. Dafür trägt der Finanzminister die politische Verantwortung.
({12})
In der Öffentlichkeit verbreiten Sie den Eindruck, das
sei ein solider Haushalt, weil weniger Schulden gemacht
werden. Das kann jeder auf den ersten Blick mit den
Grundrechenarten widerlegen. Die jetzige Bundesregierung, die bei der Regierungsübernahme rund 30 Milliarden Euro an neuen Schulden vorgefunden hat, gleichzeitig aber durch ihre Steuererhöhungen 60 Milliarden Euro
jährlich an zusätzlichen Steuern in ihre Staatskasse einnimmt und immer noch - in diesem Jahr wieder - hohe
Schulden macht, handelt nicht solide. Sie würden sparen, wenn Sie die Ausgaben senken würden. Sie nennen
es sparen, wenn Sie sich etwas weniger heftig neu verschulden. Das ist eine babylonische Sprachverwirrung.
Noch niemals hat eine Regierung den Bürgerinnen
und Bürgern so viel abgenommen wie diese Regierung.
Schlimmer ist aber: Noch niemals hat eine Regierung so
viel ausgegeben wie diese Regierung. Wir haben kein
Einnahmeproblem, wir haben ein Ausgabeproblem des
Staates. Hier ist eine Kehrtwende der deutschen Politik
fällig. Sie können nicht immer die Kuh schlachten wollen, die Sie für den Staat melken möchten. All die sozialen Wohltaten hängen davon ab, dass es noch Menschen
gibt, die anpacken und das alles erwirtschaften - die
Mittelschicht -, um eine Zukunft zu haben. Das genau
verhindern Sie mit Ihrer Abkassiererei.
({13})
19 Steuererhöhungen haben Sie beschlossen: Das
war die insgesamt größte Steuererhöhung in der Geschichte der Republik. Die Mehrwertsteuererhöhung ist
davon nur ein Teil. Die Kürzung der Pendlerpauschale
ist in aller Munde. Weitere Stichworte sind die Streichung der Eigenheimzulage und der Sparerfreibetrag.
({14})
Ich erinnere noch einmal an das, was im Bereich der sozialen Sicherungssysteme beschlossen worden ist: Die
Beiträge für die Kranken- und für die Pflegeversicherung werden erhöht. Wir erleben, dass die Rentenbeiträge steigen. Darüber hinaus sind Sie bei dem Versuch,
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu senken, so
mutlos, dass das, was auf der einen Seite erhöht worden
ist, auf der anderen Seite wenigstens wieder ausgeglichen werden könnte.
Das ist leider die Realität. Sie haben die Steuern erhöht wie noch keine Regierung zuvor.
({15})
Trotzdem machen Sie Schulden. Das ist keine seriöse
Politik.
({16})
Nun hat uns Herr Kollege Kauder gesagt: Das Beste
kommt noch. Das habe ich mehr als Drohung denn als
Versprechen empfunden. Wenn Sie bei der Erbschaftsteuer, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien, wirklich etwas Gutes im Sinne hätten, dann ist
doch gar nicht erklärbar, warum Sie mit diesen angeblich
so guten Nachrichten für unser Volk nicht schon vor der
bayerischen Landtagswahl herauskommen.
({17})
Jeder weiß, dass Sie die Bürger nach der bayerischen
Landtagswahl wieder hinter die Fichte führen wollen.
({18})
Das wird so ablaufen, dass Sie genau die Wahlkampfforderungen, die die CSU im Augenblick durch die Bierzelte trägt, nach der bayerischen Landtagswahl wieder
beerdigen werden.
Im bayerischen Wahlkampf gab es eine Diskussion,
die mich fasziniert hat, Herr Kollege Huber. Es ist wirklich bemerkenswert: Seitdem Sie merken, dass Ihnen ein
bestimmtes Körperteil auf Grundeis geht, seitdem Sie
merken, wie eng es für die CSU wird, fangen Sie mit einem Kreuzzug gegen die Linken an.
({19})
- Es ist immer richtig, gegen die Linken zu sein, da haben Sie völlig recht.
({20})
Wenn das euer kleinster gemeinsamer Nenner ist: Bitte
schön!
Aber dann haben Sie, lieber Herr Kollege Huber,
meine Damen und Herren von der CSU, angefangen,
eine Attacke gegen die FDP zu reiten.
({21})
Das ist zu viel, das können wir nicht durchgehen lassen.
({22})
Wir haben tolle Nachrichten gehört, die mir persönlich sehr viel Freude bereitet haben: Herr Beckstein und
Herr Huber bezeichnen die FDP als Sicherheitsrisiko.
({23})
Das sagt der Ministerpräsident, der soeben erklärt hat,
man könne sich an einem Nachmittag nach zwei Litern
Bier noch ans Steuer setzen. Nehmen wir das einmal als
Realität; der Mann bewirbt sich schließlich gerade als
Ministerpräsident. Herr Huber spricht hier gleich noch,
und ich möchte gerne die Meinung der bayerischen
Staatsregierung dazu hören. Nehmen wir einmal ein gestandenes Mannsbild: Herrn Huber.
({24})
Nehmen wir als Alter 62 Jahre und als Gewicht circa
72 Kilogramm an.
({25})
- Ich weiß, wie man mit geringem Aufwand Freude bereiten kann. ({26})
Nun möchte ich das einmal umrechnen. Wenn man also
nachmittags um drei Uhr auf dem Oktoberfest anfängt,
zwei Liter Bier zu trinken, und um 21 Uhr damit aufhört,
dann hat man knapp 0,8 Promille im Blut.
({27})
Wenn wir als FDP ein Sicherheitsrisiko sein sollen, dann
kann ich dazu nur eines sagen: Jemand, der die Leute betrunken hinters Steuer lassen will, ist ein Sicherheitsrisiko in diesem Land.
({28})
Nun haben wir von Ihnen, lieber Herr Kollege Struck,
viel gehört. Ich höre Ihnen immer sehr gerne zu; das
macht viel Freude. Was ich auch immer genieße, sind
Ihre kleinen Sticheleien. Ich fand es herrlich, als Sie davon sprachen, dass Angela Merkel den Steigbügelhalter
für Frank-Walter Steinmeier macht. Das hat große Begeisterung bei den Damen und Herren der Union ausgelöst. Sie haben sich hier sehr lange und ausführlich geäußert. Das müssen Sie auch, das gehört dazu. Schließlich
machen wir hier keinen Wahlkampf, Herr Kollege
Struck und Herr Kollege Kauder, um das an dieser Stelle
noch einmal klarzustellen.
({29})
Nichts von Ihnen, Herr Kollege Kuhn? Das Bodenturnen war wirklich großartig.
An dieser Stelle rechnet der Kollege Struck mit der
Linkspartei ab. Ich bin zwar als Liberaler sowieso der
größte Gegner der Idee der Unfreiheit durch Sozialismus
und Kommunismus, aber eines habe ich nicht verstanden. Wenn Sie die Repräsentanten der Linkspartei sozusagen als gerade frisch der Hölle entsprungen darstellen,
dann verstehe ich nicht, warum Sie in einem Bundesland
nach dem anderen genau mit diesen Kommunisten zusammen regieren wollen. Insofern sollten Sie einen
neuen Kurs finden, meine Damen und Herren Sozialdemokraten.
({30})
Ein Land nach dem anderen: Berlin, Hessen, Thüringen, das Saarland und Nordrhein-Westfalen. SchleswigHolstein wird angekündigt. Ich habe eine traurige Nachricht für Sie: Dazu wird es nicht kommen.
({31})
Es ist aber ein Widerspruch in der Debatte.
Ich rate dazu, dass wir uns weniger mit den politischen Persönlichkeiten auseinandersetzen. Ich habe
meine Zweifel, ob Nazivergleiche ein geeigneter Diskussionsbeitrag sind. Aber wir sollten über etwas anderes
debattieren. Worum es in der Debatte eigentlich gehen
muss - meinetwegen auch gerne im Wahlkampf, aber
erst recht hier -, ist nicht die Beschimpfung von einzelnen Repräsentanten einer Linksaußenpartei; vielmehr
geht es darum, klarzumachen, dass wir bei aller Kritik,
die wir an unserem System der sozialen Marktwirtschaft
äußern, und bei allem, was wir besser machen wollen,
gemeinsam erkannt haben, dass es immer noch das beste
System ist, das es jemals auf deutschem Boden gegeben
hat. Die soziale Marktwirtschaft hat ihre Fehler, aber
sie ist zehnmal besser als eine bürokratische Staatswirtschaft und erst recht die Planwirtschaft.
({32})
Darüber muss die Debatte eigentlich geführt werden.
Es ist auch Ihre Aufgabe, die geistige und politische
Meinungsführerschaft auszuüben. Ich habe es wirklich
bedauert, meine Damen und Herren von der Bundesregierung. Sie haben einen riesigen Etat für Öffentlichkeitsarbeit. Er umfasst Millionen über Millionen Euro
und wird immer weiter aufgestockt. Sie beschließen, immer mehr Geld für Propaganda auszugeben. Wofür verwenden Sie dieses Geld? Warum nutzen Sie es nicht beispielsweise für Wertedebatten? Warum gehen Sie nicht
mit dem Thema soziale Marktwirtschaft oder mit Informationen über die Zeit vor der deutschen Einheit in die
Schulen?
({33})
Wie kann man von einem 18-, 19- oder 20-Jährigen
erwarten, dass er das alles im Kopf hat? Diese geschichtlichen Lehren sind eine Bringschuld für uns, die wir das
alles erlebt haben, aber keine Holschuld der Jüngeren.
Dafür müssten Sie eine Offensive starten.
({34})
60 Jahre Einführung der Deutschen Mark - welche Gelegenheit war das, in die Schulen und Hochschulen zu
gehen. Auch das 60-jährige Jubiläum des Parlamentarischen Rates ist ein geeignetes Thema. An dem Festakt
dazu, der kürzlich stattgefunden hat, haben nur einige
tapfere Aufrechte teilgenommen.
Wer das demokratische System der sozialen Marktwirtschaft in unserer Republik auch in den Herzen der
Menschen verankern will, der muss wenigstens die großen Geburtstage und Anlässe in unserer Republik nutzen, um die Vorzüge dieses Systems gegenüber der Unfreiheit immer und immer wieder zu vermitteln.
({35})
Sie haben in der Außenpolitik, um die es heute auch
noch gehen wird, zweifelsohne vieles richtig gemacht.
Ich kritisiere erneut - aus Zeitgründen kann ich es aber
nur streifen -, dass eigene Abrüstungsinitiativen Ihrerseits leider ausgeblieben sind. Ich halte übrigens den
Satz, dass Außenpolitik kein Abenteuerspielplatz ist, den
Sie, Herr Minister Steinmeier, von Hans-Dietrich
Genscher übernommen haben, für völlig richtig.
Wir unterstützen die Regierung Merkel/Steinmeier
nachdrücklich darin, auf der Fortsetzung des Dialogs zu
bestehen und den Gesprächsfaden nicht zu durchschneiden. Wer nicht miteinander redet, kommt viel zu schnell
in die Gefahr, eines Tages aufeinander zu schießen. Deswegen ist es völlig richtig, dass Sie die Verpflichtung
zum Dialog als Ihre große Verantwortung anerkennen.
({36})
Das wird Ihnen niemand nehmen, und das ist von uns
auch nie kritisiert worden. Das steht für mich außer
Frage, und es ist mir offen gestanden auch gleich, ob es
mehr die Handschrift von Frau Merkel oder von Herrn
Steinmeier trägt. Es ist einfach deutsche Staatsräson. Daran wird sich auch nichts ändern.
Wir blicken auf drei Jahre zurück, in denen eine riesige Mehrheit und eine sehr starke Konjunktur alle Möglichkeiten geboten haben. Von anderen Regierungen
bleiben das Wirtschaftswunder, die neue Ostpolitik und
die deutsche Einheit übrig. Von dieser Regierung bleibt
die Steueridentifikationsnummer übrig. Das ist KleinKlein. Aber das ist zu wenig für unser Land. Geistigpolitische Führung wäre gefragt. Dieses Land braucht
wieder eine Richtung mit klaren Verhältnissen. Das Gewurstel muss ein Ende haben.
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
({37})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Thomas
Oppermann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber
Herr Westerwelle, ich räume ein, dass Ihre darstellerischen Fähigkeiten immer besser werden. Aber vielleicht
hat das auch damit etwas zu tun, dass Sie nun schon längere Zeit keine Gelegenheit hatten, das, was Sie hier Jahr
für Jahr vortragen, in die Tat umzusetzen.
({0})
Deshalb müssen wir daran erinnern, wie es war, als Sie
die letzte Gelegenheit hatten. Das Jahr 1998 erscheint in
Ihrer Betrachtung der Gegenwart als das absolute Krisenjahr in Deutschland. Als Sie 1998 die Regierung abgegeben haben, hatten wir eine höhere Nettokreditaufnahme, eine deutlich höhere Staatsquote, höhere
Lohnzusatzkosten und eine höhere Arbeitslosigkeit.
({1})
- Die deutsche Einheit haben wir noch immer.
Sie sagen, wir hätten heute fette Jahre, und alles sei so
einfach. Können Sie sich vielleicht noch daran erinnern,
wie hoch der Ölpreis im Jahr 1998 war? Ich habe eben
nachgeschaut: 9,3 Dollar pro Barrel. Aus der damaligen
wirtschaftlichen Situation hätten Sie mehr machen können.
({2})
Es gibt durchaus viele Gemeinsamkeiten mit Ihnen,
zum Beispiel in der Außenpolitik. Aber Sie können auf
den übrigen Feldern im Ernst nicht den Eindruck erwecken, als ob Sie den ganz großen Entwurf für Deutschland in der Schublade hätten. Das glauben Sie nicht einmal selber.
Ich möchte dem Bundesfinanzminister und der Bundeskanzlerin dafür danken, dass sie den in einer Situation der politischen Verzweiflung geborenen Versuch der
CSU abgelehnt haben, uns eine Steuerentlastung in
Höhe von 28 Milliarden Euro einzureden. Ich finde, das
wäre falsch gewesen; denn solange wir eine Nettokreditaufnahme haben, ist eine Steuersenkung eine Steuersenkung auf Pump. Wir wollen einen handlungsfähigen,
nicht unterfinanzierten Staat und eine leistungsfähige
Wirtschaft. Deshalb ist es gut, dass sich die CSU nicht
durchgesetzt hat.
({3})
Im Übrigen, Herr Huber - ich meine das durchaus
freundschaftlich; auch ich war einmal Landespolitiker -,
hilft es in Landtagswahlkämpfen gar nichts, wenn man
nur auf bundespolitische Themen wie die Pendlerpauschale, die Einkommensteuer oder den Blutalkoholgehalt setzt. Die Menschen merken natürlich, dass Sie ablenken wollen, und glauben, dass Sie Ihre politischen
Hausaufgaben in Bayern nicht gemacht haben.
({4})
So war es auch in Hessen. Sie setzen zwar nicht auf dieselben Themen wie Roland Koch, machen aber die gleichen Fehler.
Wir senken die Nettoneuverschuldung und gewinnen
gleichzeitig Handlungsspielräume für Zukunftsinvestitionen. Der Etat für Bildung und Forschung wird um
sagenhafte 730 Millionen Euro aufgestockt. Noch nie
wurde in Deutschland in einem Staatshaushalt so viel
Geld für Bildung und Forschung bereitgestellt.
({5})
Mit der Hightech-Strategie, dem Pakt für Forschung
und Innovation und der Exzellenzinitiative mobilisieren
wir neues Wissen und neue Kreativität. Damit gestalten
wir die Zukunft. Die Forschung von heute ist die Innovation von morgen und die Grundlage für die Arbeitsplätze
und den Wohlstand von übermorgen. Exzellente Forschung ist die Basis für Technologieführerschaft.
Wie so etwas funktioniert, kann man am Beispiel des
Jobwunders bei den erneuerbaren Energien sehr gut
betrachten. Die politische Weichenstellung durch das
Erneuerbare-Energien-Gesetz in Kombination mit deutscher Ingenieurskunst hat einen dynamischen, weltweiten Wachstumsmarkt erschlossen, in dem bis heute
250 000 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Bei Umsätzen von 25 Milliarden Euro wächst dieser Markt so
schnell, dass sich die Zahl der Arbeitsplätze in den
nächsten zehn Jahren verdoppeln kann.
({6})
Was unter Rot-Grün angeschoben und von vielen Koalitionsfreunden in der Union anfangs belächelt wurde, hat
sich zu einer unglaublichen Erfolgsgeschichte entwickelt. Ich finde, die Grünen könnten etwas stolzer auf
den Beitrag sein, den sie dazu geleistet haben.
Aber man kann die damit verbundenen Chancen nur
dann nutzen und realisieren, wenn es Fachkräfte gibt, die
das Wissen anwenden und umsetzen können. Von Jahr
zu Jahr fehlen in Deutschland mehr Techniker und Ingenieure. Allein im nächsten Jahrzehnt werden wir
1,5 Millionen Hochschulabsolventen, Meister und Techniker zusätzlich brauchen. Während im OECD-Durchschnitt 37 Prozent eines Jahrgangs die Hochschule mit
einem Abschluss verlassen, sind es in Deutschland gerade einmal 21 Prozent. Herr Huber, wie sollen wir international Anschluss gewinnen und in Deutschland ebenfalls eine Akademikerquote von 40 Prozent erreichen,
wenn Sie in Bayern nur 20 Prozent eines Jahrgangs zum
Abitur führen? Sie haben diesbezüglich die rote Laterne
in Deutschland. Das liegt doch nicht daran, dass die
Menschen in Bayern weniger begabt sind. Es liegt an Ihrem Bildungssystem, das zu selektiv ist, die Wege nach
oben zu eng macht, zu wenige Chancen einräumt und
nicht ausreichend ermutigt. Damit müssen wir in
Deutschland aufhören.
({7})
Deshalb ist es wichtig, dass der Bildungsgipfel, den
die Bundeskanzlerin für Oktober einberufen hat, ein Erfolg wird. Denn wir brauchen nicht nur mehr Abiturienten, wir haben auch zu wenige gut ausgebildete Lehrer,
zu viel Unterrichtsausfall, zu große Schulklassen, zu
viele Schulabbrecher, zu wenige Studienplätze und zu
wenige Studenten, insbesondere in den Natur- und Technikwissenschaften.
Wir wollen, dass auf dem Bildungsgipfel konkrete,
verbindliche Verabredungen getroffen werden. Dabei
sollte kein unproduktiver Streit über Zuständigkeiten geführt werden. Aber es muss schon klargestellt werden,
dass Bund, Länder und Kommunen ihre jeweiligen Zuständigkeiten kraftvoll ausschöpfen müssen. Wenn der
Bund mit Milliardensummen Krippen- und Studienplätze mitfinanziert, dann dürfen wir auch erwarten, dass
die in den Ländern aufgrund sinkender Schülerzahlen
frei werdenden Mittel in den Schulen bleiben und nicht
abgezogen werden.
({8})
Es darf am Ende nicht heißen, der Bildungsgipfel kreißte
und gebar eine Maus.
Der kürzeste Weg von der Schule in die Arbeitslosigkeit ist eine abgebrochene Schulausbildung. Ich bin dem
Bundesarbeitsminister Olaf Scholz sehr dankbar, dass er
diesen Zusammenhang deutlich in Erinnerung gerufen
hat. Dass 500 000 Menschen ohne Schulabschluss arbeitslos sind, ist ein Zustand, mit dem sich niemand in
diesem Lande abfinden kann.
({9})
Wir sind für den Rechtsanspruch auf das Nachholen eines Schulabschlusses; dieser ist für uns unverzichtbar.
In keinem anderen industrialisierten Land der Welt ist
der Bildungserfolg von Schülerinnen und Schülern so
stark von ihrer sozialen Herkunft abhängig wie in
Deutschland. Bei gleichen Kompetenzwerten haben die
Kinder aus der sozialen Oberschicht eine fünfmal höhere
Chance, eine Gymnasialempfehlung zu bekommen, als
Kinder von un- und angelernten Arbeitern.
Das setzt sich an der Hochschule fort. Von 100 Akademikerkindern landen 83 an der Hochschule, von
100 Kindern von Nichtakademikern sind es ganze 23.
Die Bildung wird in Deutschland gleichsam vererbt. Das
hat vor allem damit zu tun, dass wir unser Bildungssystem dort am schwächsten ausgestattet haben, wo am
stärksten über die Chancen entschieden wird, nämlich in
den ersten zehn, insbesondere in den ersten fünf Lebensjahren. Was in dieser Zeit bei der Entwicklung von Sprache, Intelligenz und Kreativität versäumt wird, lässt sich
später nur sehr schwer aufarbeiten. Dazu hat der USÖkonom und Nobelpreisträger James Heckman gesagt,
es sei die größte Ungerechtigkeit der praktizierenden
Marktwirtschaften, dass Kinder aus armen, bildungsfernen Familien sich noch so anstrengen könnten, sie kämen nicht nach oben.
({10})
Wenn Kinder nichtakademischer Eltern von höherer
Bildung ausgeschlossen werden, dann erschüttert das
nicht nur, wie die Bundeskanzlerin zu Recht gesagt hat,
den Glauben an die soziale Marktwirtschaft, sondern das
ist am Ende auch eine Gefahr für die Demokratie. Ein
demokratisches System wird auf Dauer nur dann akzeptiert, wenn jeder die Chance zum sozialen Aufstieg hat.
So wie in einer Demokratie die Minderheit die Chance
haben muss, zur Mehrheit zu werden, so muss der Einzelne, der unten ist, die Chance haben, nach oben zu
kommen.
({11})
Unser Kollege Otto Schily hat hier einmal den denkwürdigen Satz gesagt: Wer Musikschulen schließt,
gefährdet die innere Sicherheit. Das lässt sich leicht
übertragen: Wer es unterlässt, sozialen Aufstieg zu ermöglichen, gefährdet die pluralistische Demokratie.
({12})
Als wir schon einmal eine Bildungskatastrophe hatten, nämlich in den 60er-Jahren, hat die sozialliberale
Regierung die richtige Antwort gefunden, Herr
Westerwelle. Es kam zur größten Bildungsexpansion,
die Deutschland jemals gesehen hatte. Viele von denen,
die heute hier sitzen, haben davon profitiert und verdanken dieser Bildungsexpansion ihren eigenen Aufstieg.
Wir wollen, dass Deutschland wieder zu einem Land der
Chancen wird. Wir wollen, dass sozialer Aufstieg durch
Bildung und Anstrengung wieder so selbstverständlich
und so machbar wird, wie es zu Zeiten von Willy Brandt
und Walter Scheel der Fall war.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({13})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun der Kollege
Oskar Lafontaine.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich will mich in der verbleibenden Zeit auf wenige Themen konzentrieren, nämlich auf das Thema Bildung und das Thema Haushalt.
Der Vorredner hat gerade ausgeführt, wie sich die Situation im Bildungswesen entwickelt hat. Ich kann allen
Ausführungen zustimmen. Es ist eine bedauerliche Entwicklung, wenn immer weniger junge Menschen die
Chance haben, einen entsprechenden Bildungsabschluss
zu erreichen, und wenn internationale Organisationen
feststellen müssen, dass in Deutschland immer mehr
Kinder aus ärmeren Schichten ausgegrenzt werden.
Solange das der Fall ist, verehrter Herr Kollege
Westerwelle, können wir als Linke nicht in das Loblied
der sozialen Marktwirtschaft einstimmen.
({0})
Eine Wirtschaft, die Kinder bei der Bildung ausgrenzt,
ist nach unserer Definition nicht sozial. Das will ich hier
einmal anmerken. Es mag sein, dass Sie eine andere Definition haben.
Nun hat die Bundeskanzlerin eben in ihrer Rede viel
über Bereiche geredet, bei denen sie wenige Kompetenzen hat. Aber nehmen wir doch einmal das Thema ernst.
Sie hat gesagt, dass sie neben der Verbesserung der Bildungssituation den Haushalt konsolidieren wolle. Jeder
Praktiker in den Gemeinden und in den Ländern stellt
sich die Frage, wie sie das denn machen will: Haushaltskonsolidierung auf der einen Seite und ein deutlich
besseres Bildungsangebot auf der anderen Seite. Ich
kann Ihnen so viel verraten: In den Ländern und in den
Gemeinden wird so ohne Weiteres nicht verstanden, was
damit eigentlich gemeint ist.
Damit komme ich zu einer Kernausführung des Bundesfinanzministers, der in der ihm eigenen Klarheit eben
deutlich gemacht hat, dass der Zug der Politik seit einigen Jahren in die völlig falsche Richtung fährt und dass
die Sozialdemokratische Partei Deutschlands heute Auffassungen vertritt, die vor zehn Jahren noch von niemandem vertreten worden wären.
({1})
Der Bundesfinanzminister hat dargestellt, dass die
Staatsquote gefallen ist. Das ist richtig; jeder kann das
überprüfen. Die Staatsquote ist von 48 Prozent im
Jahre 1999 auf 43,5 Prozent gesunken. Das kann man für
richtig oder für falsch halten. Nur, es hat natürlich erhebliche Konsequenzen, auch für das Bildungssystem in
Deutschland. Die Tatsache, dass wir im Vergleich zum
Durchschnitt der anderen OECD-Staaten, bezogen auf
das Sozialprodukt, 1 Prozent, also 25 Milliarden Euro,
weniger für Bildung ausgeben, hat etwas mit diesem
Credo zu tun, das Herr Steinbrück hier wieder vorgebetet
hat.
({2})
Das heißt, wir haben hier von der fachlichen Seite her
die merkwürdige Situation, dass die Kanzlerin sagt, wir
müssen mehr für die Bildung tun, während ihr Finanzminister sagt: Aber ich werde eine Finanzpolitik durchsetzen, die das völlig unmöglich macht. Da müssen Sie
irgendwann einmal wirklich wieder auf den Boden der
Tatsachen zurückkommen. Mit dem ständigen Absenken
der Staatsquote werden Sie in Deutschland niemals ein
verbessertes Bildungssystem durchsetzen können.
({3})
Ich will Ihnen Zahlen nennen - ich zitiere die Bundesregierung und nicht uns -: Durch die Absenkung der
Staatsquote von 48 Prozent auf 43,5 Prozent sind die
jährlichen Ausgaben heute um 114 Milliarden Euro geringer. Das kann man für richtig oder auch für falsch halten. Nur, es hat Auswirkungen auf Rentnerinnen und
Rentner. Es hat Auswirkungen auf Hartz-IV-Empfänger.
Es hat Auswirkungen auf die Kinder, die in die Schulen
gehen müssen. Letztendlich hat es auch auf diejenigen
Auswirkungen, die Lohnempfänger usw. sind.
Sie haben in den letzten Jahren die Entstaatlichung
Deutschlands - so hat es Bofinger genannt - in dieser
Größenordnung - Senkung der Staatsquote um 114 Milliarden Euro - durchgesetzt, und Sie erklären mit diesem
Haushalt, dass Sie diese Entstaatlichung weiterführen
wollen. Das heißt, letztendlich erklären Sie hier, dass Sie
Sozialabbau und geringe Bildungsangebote im nächsten
Jahr fortführen wollen. Das ist die Essenz Ihrer Haushaltspolitik.
({4})
Ich möchte Sie an Ihr Hamburger Grundsatzprogramm - ich lese so etwas - erinnern, meine Damen und
Herren - liebe Genossinnen und Genossen, hätte ich beinahe gesagt. Darin steht der Satz - er steht in allen Programmen -: „Nur Reiche können sich einen armen Staat
leisten.“ Wie bringen Sie das mit der Erklärung des Bundesfinanzministers, wir haben die Staatsquote von 48 Prozent auf 43,5 Prozent abgesenkt, und wir wollen in diesem Sinne weitermachen, in Einklang? Was gilt denn
jetzt?
Leider ist der geschätzte Herr Kollege Struck verschwunden; ich wollte ihm ein bisschen die Prozentrechnung erläutern. Ich möchte ihm sagen, dass es früher
selbstverständlich war, uns an skandinavischen Ländern zu orientieren. Man kann die Politik der skandinavischen Länder für richtig oder für falsch halten. Dass
die FDP sie als Rechtsaußenpartei für falsch hält, wissen
wir seit vielen Jahren. Aber wir sagen: Was sie etwa an
sozialen Leistungen bieten und was sie insbesondere ihren Kindern an Bildungschancen bieten, das ist beispielhaft, und wir hätten das auch gern für die Bundesrepublik Deutschland.
({5})
Nur wissen die Skandinavier natürlich, dass man das
mit ständigen Steuersenkungen nicht erreichen kann.
Was Sie hier erzählen, ist natürlich ein Märchen. Angesichts der sinkenden Staatsquote ist auch all das falsch,
was Sie hier vorgerechnet haben. Es ist leider so: Bezogen auf das Sozialprodukt sinken die Staatsausgaben.
Sie können sich doch nicht hierher stellen und so tun, als
wäre immer nur abkassiert worden, als wären die Steuern immer nur erhöht worden. Nein, in Ihrem Sinne sind
die Staatsausgaben gesunken. Zu Ihrer Regierungszeit
- da hat Herr Oppermann recht - war die Staatsquote
deutlich höher. Das sind Tatsachen, an denen man nicht
vorbeigehen kann.
Wenn die Skandinavier die Frage beantworten sollen,
wie sie diese Projekte finanzieren wollen, dann sagen
sie, dass sie für eine höhere Staatsquote oder für eine höhere Steuer- und Abgabenquote sind.
Nun will ich Sie noch einmal mit der Prozentrechnung konfrontieren. Herr Struck - ein sehr liebenswerter
Mensch; er ist jetzt leider nicht da - hat vorhin wieder
gesagt: Oh Schreck, wenn man alles addiert, was man in
irgendwelchen Papieren der Linken findet, dann sind das
255 Milliarden Euro - der Untergang des Abendlandes.
Dann müssten Dänemark und Schweden längst in irgendeinem Ozean versunken sein.
Wenn man die Steuer- und Abgabenquote Schwedens
oder Dänemarks auf Deutschland übertragen würde,
dann hätte man 375 Milliarden Euro pro Jahr Mehreinnahmen. Man mag das alles für falsch halten. Nur, wenn
Sie über internationale Vorgänge und über die Angebote,
die die Menschen woanders haben, diskutieren wollen,
müssen Sie sich in den Statistiken auskennen und können nicht stolz darauf sein, dass Sie jetzt in völliger Umkehr der ehemaligen Politik der deutschen Sozialdemokratie das Sinken der Staatsquote zum Kernziel Ihrer
Politik machen. Das ist doch absurd, was Sie hier machen.
({6})
Dennoch sagen Sie gleichzeitig: Hamburg gilt.
Demnächst werden Sie sich herausreden, indem Sie
sagen, dass Sie mit der sinkenden Konjunktur eigentlich
nichts zu tun hätten, denn dafür seien die internationalen
Finanzmärkte verantwortlich. Das ist natürlich ein großer Irrtum. Wir haben seit Jahren eine gespaltene Konjunktur. Wenn der Export läuft, läuft letztendlich, also
im Saldo, auch unsere Wirtschaft. Aber wir haben im
Binnenmarkt überhaupt nichts dafür getan, dass die
Wirtschaft läuft. Wenn der Export jetzt abschmiert und
Sie im Binnenmarkt nicht gegensteuern, dann werden
Sie die Ergebnisse haben, die Sie immer hatten.
Nun will ich Ihnen sagen, was das im Binnenmarkt
heißt. Das heißt im Binnenmarkt: Wir haben sinkende
Löhne, immer noch. Auch in den neuerlichen Expertisen
der wirtschaftswissenschaftlichen Institute wird prognostiziert, dass das real so weitergeht. Wir haben sinkende Renten, immer noch, und das wird nach den Planungen, die bisher vorliegen, auch so weitergehen. Wir
haben sinkende soziale Leistungen. Wir haben nur - das
steht in jedem Jahreswirtschaftsbericht - einen Anstieg
der Vermögenseinkommen und einen Anstieg der Gewinneinkommen. Solange das so ist, können wir niemals
von sozialer Marktwirtschaft reden,
({7})
sondern müssen von einer Umverteilung von unten nach
oben reden; das hat in den letzten Jahren permanent
stattgefunden. Deshalb misstrauen so viele Menschen in
Deutschland - ihre Zahl nimmt zu - nicht nur der sozialen Marktwirtschaft, sondern auch unserer staatlichen
Ordnung. Sie glauben, es geht nicht mehr gerecht zu.
Es ist ja fast zum Lachen: Wenn in der Wall Street
jetzt mehr und mehr Banken verstaatlicht werden, was
sagen Sie denn da? Wenn der letzte Ausweg des Finanzkapitalismus die Verstaatlichung ist, was sagen Sie denn
da? Ich kann an eine bestimmte Adresse nur sagen:
Wenn die Wall Street rot wird, dann wird Deutschland in
den nächsten Jahren mit Sicherheit nicht schwärzer oder
gelber werden.
({8})
Das Wort hat der Bayerische Staatsminister der Finanzen, Erwin Huber.
({0})
Erwin Huber, Staatsminister ({1}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
stelle fest, dass Redner aus vier Fraktionen schon meine
bloße Anwesenheit zum Anlass genommen haben, in
Wallung zu kommen.
({2})
Ich stelle fest: Solange das so ist, brauche ich mir um die
Bedeutung meiner Partei keine Sorgen zu machen.
({3})
Herr Abgeordneter Westerwelle, Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass ich hier das mir nach der
Verfassung zustehende Rederecht ausübe.
({4})
Im Übrigen: Wenn Ihre Partei am nächsten Samstag in
München zusammen mit Linken und mit der DKP gegen
die Sicherheitspolitik in Bayern demonstriert, dann
sollten Sie sich um Ihre eigene Partei Sorgen machen.
Eigentlich gehören Sie nicht in die Nachbarschaft von
Linken und DKP.
({5})
Wenn die Gewalttäter von Weihnachten in der Münchner U-Bahn, die wegen Mordversuchs zu acht und zwölf
Jahren Gefängnis verurteilt worden sind, von der FDPLandesvorsitzenden verharmlosend als „Münchner
Kindl“ dargestellt werden, dann haben Sie ein eklatantes
Defizit in all den Fragen der inneren Sicherheit.
({6})
Deutschland steht im Sommer 2008 deutlich besser
da als im Sommer 2005. Wir haben wieder Wirtschaftswachstum. Wir haben fast 2 Millionen Arbeitsplätze
mehr. Wir haben viele Arbeitsplätze für Jugendliche.
Wir haben viele Lehrstellen. Wir haben gesicherte Sicherungssysteme in den Bereichen Rente, Gesundheit
({7})
und Arbeitslosigkeit. Das heißt, Deutschland ist in diesen drei Jahren deutlich nach vorn gekommen.
({8})
Das ist nicht einheitlich in allen Ländern Deutschlands. Ich kann für das Land reden, das die geringste Arbeitslosigkeit hat, das die geringste Jugendarbeitslosigkeit und damit die besten Chancen für die junge
Generation hat. Der Redner vor mir vertritt eine Partei,
die hier in Berlin in der Verantwortung ist. Berlin ist die
Hauptstadt der Arbeitslosigkeit. Berlin ist die Hauptstadt
von Hartz IV. Berlin ist die Hauptstadt von Kinderarmut.
Große Sprüche machen, aber in der Praxis versagen, das
ist linke Politik.
({9})
Sie verwenden, was Armut angeht, immer die Zahlen
aus dem Armutsbericht, die Zahlen von 2004 und 2005.
Staatsminister Erwin Huber ({10})
In den Jahren vorher waren wir nicht in der Regierungsverantwortung. Für die rot-grüne Armut in Deutschland
lassen wir uns nicht verantwortlich machen.
({11})
Heute sind eine Million Menschen weniger von Armut bedroht als vor drei Jahren. Das ist auch ein gutes
Ergebnis dieser Koalition und der Regierung Merkel.
({12})
Da Herr Struck schon die Bibel zitiert hat, muss auch ich
sagen: An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen.
({13})
Berlin hat mit das größte Schuldenloch aller 16 Länder.
Die Situation hat sich in Berlin mit der Regierungsbeteiligung von Links dramatisch verschlechtert.
({14})
Das ist das, was wir den Menschen auch vor der Landtagswahl in Bayern sagen: Links wählen heißt im
Grunde mehr Steuern, mehr Schulden und weniger Zukunft.
({15})
Es ist richtig, dass dieser Bundeshaushalt unter dem
Motto der Konsolidierung steht. Natürlich wäre es
volkswirtschaftlich völlig falsch, die Konsolidierung innerhalb eines Jahres herbeizuführen, denn das würde
dem wirtschaftlichen Kreislauf viel zu viel Geld entziehen. Man muss hier einen längeren, verlässlichen und
stetigen Weg gehen. Diese Regierung hat 2005 eine hohe
Erblast mit einem strukturellen Defizit im Bundeshaushalt von 60 Milliarden Euro übernommen. Das ist jetzt
auf 10 Milliarden Euro zurückgeführt worden. Das ist
der richtige Weg.
({16})
Der Kollege Kauder hat gesagt, dass damit die Chance
besteht, nach 40 Jahren einen ausgeglichenen Haushalt
und möglicherweise auch Überschüsse zu erreichen. Das
führt mich dazu, daran zu erinnern, dass vor 40 Jahren
Franz Josef Strauß Bundesfinanzminister war. Er hat im
Jahr 1969 einen Haushalt mit Überschuss übergeben.
Dann ging der Marsch in den Schuldenstaat unter Regierungsbeteiligung der FDP los.
({17})
Deutschland hatte 20 Jahre lang eine solide Finanzpolitik. Der Dammbruch bei den Schulden begann seinerzeit
in der sozialliberalen Koalition.
({18})
Wir haben 1998 in Bayern als erstes Land angekündigt,
dass wir ausgeglichene Haushalte wollen. Wir haben
das im Jahr 2006 erreicht.
({19})
Ich darf daran erinnern, mein Vorgänger, Herr Faltlhauser,
und Herr Eichel haben zur gleichen Zeit angekündigt,
dass 2006 die Marke für einen ausgeglichenen Haushalt
sein soll. Herr Eichel ist nicht mehr im Amt, und er hat
einen Haushalt mit dem größten Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik übergeben. Bayern hat
2006 den ausgeglichenen Haushalt erreicht.
({20})
Wir haben in den Jahren 2007 und 2008 500 Millionen
Euro an Schulden zurückgezahlt. Ich werde dem Bayerischen Landtag in diesem Jahr einen Haushaltsentwurf
2009/2010 mit einer Neuverschuldung von ebenfalls
Null und 200 Millionen Euro Schuldentilgung pro Jahr
vorlegen. Wir werden dann fünf Jahre lang einen ausgeglichenen, schuldenfreien Haushalt haben. Das ist in
ganz Deutschland vorbildlich.
({21})
Frau Bundeskanzlerin, deshalb stimmt, was Sie auf dem
Parteitag der CSU in Nürnberg gesagt haben: Der Bund
soll dorthin kommen, wo Bayern heute schon ist.
({22})
Das Kunststück besteht nicht darin, einfach nur zu sparen und zu kürzen. Das Kunststück besteht darin, zugleich zu investieren und für die Zukunft vorzusorgen.
Wir haben gesagt: Wir konsolidieren, wir reformieren
und wir investieren.
({23})
Wir werden allein in diesem Jahr - in einem Land - die
Investitionen gegenüber dem Vorjahr um fast eine Milliarde Euro erhöhen. Wir werden diesen Weg fortsetzen.
Deshalb ist es auch Aufgabe des Bundes, für das Wohl
der Menschen in ganz Deutschland, aber auch für das
Wohl und die Entwicklung der Menschen in allen Ländern, neben der Konsolidierung auch Innovationen zu
betreiben.
Ich begrüße es sehr, dass die Forschungsausgaben in
diesem Bundeshaushalt ausgebaut werden und man zugleich die Entlastung der Bürger betreibt. Dieser Dreiklang „Konsolidierung - Innovation - Entlastung“ ist
richtig für die Zukunft des Landes; denn nur so sind wir
den Risiken der Globalisierung gewachsen. Es reicht
nicht aus, zu sagen, Globalisierung ist unsere Chance
und unser Schicksal. Wir müssen vielmehr dafür sorgen,
dass Leute, die die Gefahren und Risiken der Globalisierung besonders zu tragen haben, von uns unterstützt und
gefördert werden. Deshalb ist es richtig, dass der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos eine Politik betreibt,
die vor diesem Hintergrund darauf abzielt, den Mittelstand zu entlasten und Bürokratie abzubauen. Damit
Staatsminister Erwin Huber ({24})
wird die Position von kleinen und mittleren Unternehmen im Wettbewerb gefestigt.
({25})
Es war richtig, dass die Koalition zum 1. Januar 2008
die Unternehmensteuerreform in Kraft gesetzt hat.
Herr Westerwelle, es entspricht nicht der ganzen Wahrheit, wenn Sie die dazu notwendige Gegenfinanzierung
hier einfach nur als Steuererhöhung abtun. Es wäre ohne
Gegenfinanzierung nämlich nie möglich gewesen, den
durchschnittlichen Körperschaftsteuersatz auf unter
30 Prozent zu senken. Sie lassen sich gerne für Steuersenkungen loben, verschweigen dabei aber, dass diese
Maßnahmen auch bestimmte Gegenfinanzierungen erforderten. Der Weg, den wir gegangen sind, war richtig,
um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu erhöhen.
({26})
Ich begrüße es sehr - dafür bedanke ich mich auch bei
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion -, dass mit dem in
München, also am richtigen Ort, geschnürten Entlastungspaket ein Weg eingeschlagen wurde, der diese Politik auch in Zukunft fortsetzt. Zum 1. Januar 2009 werden
die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf 2,8 Prozent reduziert. Dies entlastet Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Damit werden die Beitragszahler, die Arbeitgeber
und die Arbeitnehmer, im Vergleich zum früheren Satz
von 6,5 Prozent um 25 Milliarden Euro im Jahr entlastet.
Das ist die richtige Politik, meine Damen und Herren.
({27})
Ich begrüße es auch, dass wir zum 1. Januar 2009 das
Kindergeld erhöhen. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben
den Betrag von 10 Euro genannt. Das ist wichtig und
war notwendig, da es lange Zeit nicht erhöht wurde. Der
Forderung von Teilen der SPD, stattdessen doch lieber
25 000 Kindergärtnerinnen einzustellen, entgegne ich:
Es kann nicht sein, Familieninteressen in dieser Form
gegeneinander auszuspielen, meine Damen und Herren.
({28})
Für uns ist es gleichermaßen notwendig, Möglichkeiten
zur Kinderbetreuung zu schaffen und Familien zu entlasten. Man kann nicht einer alleinerziehenden Mutter mit
zwei Kindern, die jetzt unter den hohen Energiepreisen
zu leiden hat, die ja nicht um 3, sondern um 10 bis
30 Prozent gestiegen sind, damit kommen, dass in ihrer
Nachbarschaft ein Kindergarten gebaut wird. Diese Frau
muss unmittelbar entlastet werden. Das ist wichtiger Bestandteil einer familienfreundlichen Politik.
({29})
Wir werden mit den Verbesserungen im Bereich des
Wohngeldes die Bezieher von niedrigen Einkommen
von den höheren Ausgaben aufgrund der steigenden
Energiepreise zumindest teilweise entlasten. Das ist richtig. Wir können selbstverständlich nicht den Preisbildungsprozess beeinflussen. Hier ist der Staat im Grunde
ohnmächtig.
({30})
- Dazu komme ich gleich. - Wir müssen vielmehr dafür
sorgen, dass das Energieangebot nicht reduziert wird.
Wer in einer Zeit von zurückgehenden Ressourcen und
steigenden Preisen am Ausstieg aus der Kernenergie
festhält, der verknappt das Angebot, treibt die Energiepreise in die Höhe und macht uns abhängig.
({31})
Das ist falsch. Dieser Beschluss muss korrigiert werden,
meine Damen und Herren.
({32})
Wenn wir die Bezieher niedriger Einkommen entlasten wollen, sollten wir, so meine ich, die Pendler entlasten. Es sind nicht ein Siebtel der Arbeitnehmer, sondern
rund ein Drittel, nämlich 11 Millionen, die von der Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale profitieren
würden. Ich mache mich in Bezug auf das, was wir 2006
beschlossen haben, gar nicht aus dem Staub.
({33})
Das war notwendig, weil sonst eine Konsolidierung der
Bundesfinanzen nicht möglich gewesen wäre. Da es aber
heute eine verbesserte Situation gibt und da die Spritkosten stark gestiegen sind, sind wir der Meinung, dass die
existenzsichernde Fahrt zum Arbeitsplatz steuermindernd geltend gemacht werden muss.
({34})
Ich habe für die CSU ein Steuerentlastungskonzept
über 28 Milliarden Euro vorgelegt.
({35})
- Das nervt Sie; das freut mich. Da unterscheiden wir
uns. Die Grünen wollen die Energiesteuern erhöhen und
damit die Menschen belasten.
({36})
Die SPD-Linke will die Erbschaftsteuer verdreifachen
und die Vermögensteuer neu einführen, und die Linke ist
mit Steuerbelastungen von 100 Milliarden Euro und
mehr sowieso jenseits aller wirtschaftlichen Vernunft;
das würde den wirtschaftlichen Zusammenbruch des
Landes herbeiführen.
({37})
Wir haben gesagt, das Konzept ist notwendig für einen mittelfristigen Pfad. Das Konzept ist nicht eine Entlastung für ein Jahr,
({38})
sondern für 2009, 2010 und 2012. Denn wir wollen, dass
die heimlichen Steuererhöhungen über die kalte Progression eingegrenzt werden. Es kann nicht sein, dass die
Staatsminister Erwin Huber ({39})
Mittelschicht immer mehr belastet wird, weil sich inflationsbedingt beispielsweise ihr Bruttoeinkommen erhöht
und damit der Grenzsteuersatz immer mehr steigt.
({40})
Wir müssen gerade in einer Situation, in der die konjunkturelle Lage schwieriger wird, die arbeitenden Menschen, die Leistungsträger, den Mittelstand, die Handwerker, die Arbeitnehmer, mittelfristig entlasten, damit
von ihnen ein positiver Beitrag für die Konjunktur ausgeht.
({41})
Das ist - das möchte ich ausdrücklich unterstreichen ein wichtiger Beitrag auch im Zusammenhang mit der
Erbschaftsteuer. Wer jetzt eine so gewaltige Erhöhung
der Erbschaftsteuer politisch in den Raum stellt wie die
SPD,
({42})
der verschreckt den Mittelstand.
Herr Staatsminister, darf ich Sie darauf aufmerksam
machen, dass das Licht vor Ihnen das Ende der Redezeit
signalisiert?
({0})
Erwin Huber, Staatsminister ({1}):
Ich trage noch zwei Gedanken vor: Erstens. Wir müssen dafür sorgen, dass im Mittelstand, der sein Leben
lang arbeitet, spart und investiert, kein einziger Betrieb
und kein einziger Arbeitsplatz durch die Erbschaftsteuer
gefährdet wird.
({2})
Zweitens begrüße ich, Frau Bundeskanzlerin, die Bildungsrepublik Deutschland. Wir werden aus Bayern unseren Beitrag dazu leisten, dass jedes Kind eine gute
Chance hat. Die Qualifikation der Menschen ist das
Beste für die wirtschaftliche Zukunft. Deshalb gehen wir
mit Mut und Kraft entschlossen in die Zukunft.
Ich danke Ihnen.
({3})
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Gregor
Gysi das Wort.
({0})
Herr Huber, Sie hören, die Begeisterung ist nicht ganz
so groß wie bei Ihnen; aber den Beifall nach Ihrer Rede
fand ich unverdient.
Lieber Kreuzritter Huber, bei Ihrem Kreuzzug gegen
die Linke sind Sie, als Sie auf Berlin und bestimmte
Zahlen verwiesen, in Ihre eigene Grube gefallen. Sie haben es verabsäumt, darauf hinzuweisen, dass wir nur
deshalb in die Regierung gekommen sind, weil es vorher, verursacht von der CDU, die größte Bankenkrise in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat.
({0})
Die Stadt war so etwas von pleite, dass es gar keinen anderen Weg mehr gab, als uns zu wählen und mit in die
Regierung zu nehmen. Schritt für Schritt befreien wir die
Stadt daraus.
So wie die CDU in Berlin bewiesen hat, von Geld
nichts zu verstehen, haben auch Sie in Bayern mit Ihrer
Landesbank bewiesen, nichts von Geld zu verstehen.
Das ist das ganze Problem.
Danke schön.
({1})
Erwin Huber, Staatsminister ({2}):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
brauche nur auf ein Faktum hinzuweisen: Bei der letzten
Wahl in Berlin hat die Linke gewaltig verloren. Das ist
der richtige Weg.
({3})
Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege
Kauder das Wort.
({0})
Herr Kollege Gysi, Fakten des heutigen Tages haben
mich nach dem, was Sie hier gesagt haben, herausgefordert, Sie im Deutschen Bundestag mit etwas zu konfrontieren, was eine Ungeheuerlichkeit ist. Wir haben dafür
gesorgt, dass für Hunderttausende von Menschen das
Wohngeld erhöht wird. Wir wollen, dass dieses Geld
auch ankommt. Der Berliner Senat, in dem Ihre Partei
mitregiert, sorgt dafür, dass noch 23 000 Menschen auf
die Erhöhung des Wohngeldes in diesem Jahr warten.
Kümmern Sie sich einmal darum! Es ist unsozial, Herr
Gysi, was Sie da machen.
({0})
Dort, wo Ihre Partei wie hier in Berlin an einer Regierung beteiligt ist, bekommen die Menschen das Geld
nicht, das ihnen zusteht, das wir beschlossen haben. Das
ist unsozial. Dafür sind Sie verantwortlich.
({1})
Das Wort hat jetzt erst einmal wieder die Präsidentin,
welche einen Fehler gemacht hat. Da Herr Kauder nicht
direkt angegriffen und angesprochen wurde,
({0})
hätte ich an dieser Stelle keine Kurzintervention zulassen dürfen. Das ist richtig.
({1})
- Jetzt wird die Präsidentin diesen Fehler nicht fortsetzen. Deshalb werden jetzt keine weiteren Kurzinterventionen und Antworten mehr zugelassen.
({2})
Wir setzen jetzt mit der Rednerliste fort, auch wenn das
der eine oder die andere bedauert.
Das Wort hat der Kollege Ludwig Stiegler für die
SPD-Fraktion.
({3})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
CSU-Vorsitzende hat hinter der Maske des bayerischen
Finanzministers eine etwas angeberische Rede gehalten.
({0})
Ich erinnere: Der letzte CSU-Vorsitzende hat zu uns in
der Maske des Ministerpräsidenten geredet und immer
gesagt: Die Bayern sind die Besten, die Größten und die
Schönsten. - Es hat ihm nichts geholfen. Huber und
Beckstein haben ihn von hinten erdolcht. Wenn ich sehe,
wie Herr Seehofer schweigend hier sitzt, dann weiß ich:
Erwin Huber hat kein gutes Schicksal vor sich.
({1})
Da hilft alles nichts, da kann man ein noch so großes
Maulheldentum hier betreiben.
Als Bayer sollte man, gerade weil es uns momentan
durchaus nicht schlecht geht, eher ein Stück Bescheidenheit haben. Wir hatten in der Geschichte unseres Landes
Zeiten, da haben uns andere Länder geholfen, vor allem
Nordrhein-Westfalen. Wehe dem, der dann, wenn ihm
selber geholfen ist, auf die anderen mit Arroganz und
Besserwisserei antwortet!
({2})
Das ist kein Stil. Dies wird sich rächen.
Auch wir in Bayern befinden uns darüber hinaus nicht
auf der Insel der Seligen. Ich möchte nicht wissen, was
auf Finanzminister Huber angesichts der von ihm so vorzüglich verwalteten und so vorzüglich mit Kreditgarantien versehenen Landesbank zukommt. Ich möchte nicht
wissen, was bei den Lehman Brothers alles gelaufen ist.
Wer so tut, als würde bei uns Manna vom Himmel fallen
oder als würde es wie bei Frau Holle Gold regnen - Kikeriki! Unsere goldene Jungfrau ist wieder hie! -, der tut
dem Land keinen Gefallen.
({3})
Ich höre immer wieder: Wir sind schuldenfrei. Angeberei! In der Buchhaltung vielleicht schon, wenn
ich aber durch die Städte und Gemeinden und über die
Dörfer ziehe, höre ich, wie viele Städte und Gemeinden
auf Zuschüsse warten, und zwar so lange, bis die Kosten
für die Zwischenfinanzierung den Zuschusswert fast aufgefressen haben. Daher sage ich: Herr Huber, machen
Sie sich erst schuldenfrei gegenüber Städten, Gemeinden, Vereinen und allen anderen Zuwendungsempfängern. Dann können Sie hierherkommen, den Aufschwung markieren und angeben.
({4})
Daheim heimlich Schulden zu haben, aber mit Arroganz
andere zu belehren, das haut nicht hin.
Wir hören vom Marsch in den Schuldenstaat. Die
CSU hat schon immer gesagt: Nur wenn wir Schulden
machen, sind es gute Schulden; wenn andere das machen, ist das der blanke Sozialismus. Der frühere bayerische Wirtschaftsminister August Lang hat mir einmal
gesagt: Alles, was wir machen, ist soziale Marktwirtschaft. Was ihr macht, ist kruder Kommunismus.
({5})
Das ist das Weltbild der CSU. Sie können die Dinge
eben doppelt sehen. Sie sehen sich in ihrer vollen
Scheinheiligkeit.
({6})
Sie sehen den Splitter im Auge des anderen, aber nicht
den Balken im eigenen Auge. Wer behauptet, nach zwei
Maß Bier noch nüchtern zu sein, dem kann so etwas
schon einmal passieren.
({7})
Wir werden den Kernenergiefetischismus in Bayern
nicht mitmachen.
({8})
Wenn die Kernenergie wirklich so günstig wäre, müssten die Stromkosten in Bayern halb so hoch sein. Wenn
die Kernenergie so vorteilhaft wäre, müsste das so sein.
Ich sage Ihnen auch: Was ist das für eine Nachbarschaft,
wenn der eine den Mist aus seinem eigenen Garten im
Garten des anderen entsorgt? Wer seinen Mist nicht
selbst entsorgen kann, kann nicht sagen: Die Niedersachsen sollen ihn nehmen; wir wollen ihn bei uns nicht
haben. Das geht nicht. Das ist unanständig.
({9})
Ein weiterer Aspekt kommt hinzu: Jetzt, wo die Energieunternehmen die erneuerbaren Energien für sich entdecken und bereit sind, zu investieren, sollten wir die
Chance nutzen, uns von fossilen Energien und der Kernenergie unabhängig zu machen und das Land zu entwickeln. Die erneuerbaren Energien sollen durch die Nutzung intelligenter Netze grundlastfähig werden. Michael
Glos hat einen Förderbescheid vergeben. Wir sollten
diese Chance nutzen, und zwar jetzt. Je früher, desto besser. Man sollte nicht warten und die veraltete Kernenergie finanzieren.
({10})
Es ist erstaunlich, wie „konsequent“ die CSU ist. Als
die Tschechen in Temelin mit westlicher Technik ein
Kernkraftwerk gebaut haben, da hat sie sich verhalten
wie die Laus am Strick. Sie hat so getan, als ob ganz
Niederbayern gefährdet wäre. Die Kraftwerke in Ohu
sind aber ein Wunderwerk der Technik! So etwas kann
man als schizophren bezeichnen, aber nicht als moderne
Entwicklungspolitik.
({11})
Herr Huber kommt mit Steuervorschlägen und anderen Ideen. Er ist ein Abstauber.
({12})
- Ein Abstauber. Zu einer Sache, die von der Großen
Koalition ohnehin aus gesetzlichen Gründen beschlossen
werden muss, möchte er sagen: Ich habe das Tor geschossen! Ich habe das gefordert!
Wir alle wissen: Der Existenzminimumsbericht
kommt. Wir alle wissen, dass daraus Folgerungen zu ziehen sind. Wir als Koalition - im Übrigen auch die Kollegen von der CDU - sind diszipliniert genug, zu sagen:
Wir warten auf den gemeinsamen Erfolg. Aber dieser
Kerl kommt daher und sagt: Ich habe das Tor geschossen. - Wer sich in einer Mannschaft so benimmt, steigert
seine Beliebtheit nicht.
({13})
Es werden immer Dinge versprochen, die nicht in Ordnung sind. Dabei weiß man: Die CSU rennt immer Pappkameraden ein.
Nehmen wir den Gesundheitsfonds. Da erzählen Sie
lange, die Welt gehe unter, wenn der Gesundheitsfonds
kommt, obwohl alles verabredet ist. Am Ende müssen
Sie dann klein beigeben; dann ist es vorbei. Sie wollen
halt die Landtagswahlen überstehen. Sie wollen den Eindruck erwecken: Wir sind die Größten. Schon bei der
Kommunalwahl war es so. Da wollten Sie die Krise bei
der Landesbank nicht offenbar werden lassen. Es war
saudumm, dass es dieses Versehen bei der Kommunikation gab. Jetzt werden Pappkameraden aufgebaut. Das ist
Betrug an den bayerischen Wählerinnen und Wählern.
Wir müssen ihnen die Wahrheit sagen.
({14})
Wir sagen ihnen die Wahrheit, zum Beispiel dass wir
mit der Erbschaftsteuer niemanden überfordern. Es
stand sogar in den Wahlprogrammen beider Parteien,
dass wir stunden wollen und dass wir denen, die Arbeitsplätze schaffen, im Gegensatz zu allen anderen den
Übergang erleichtern wollen. Dazu, dass manche von
denen glauben, sie müssten überhaupt keine Steuern
zahlen und das sollten nur die Arbeiter, die Angestellten
und die Beamten, hat uns das Bundesverfassungsgericht
deutlich gemacht: Das geht nicht. Das soll auch nicht gehen, weil es nicht gerecht wäre. Kein Arbeitsplatz wird
aufgrund der Erbschaftsteuerreform scheitern.
({15})
Darauf können sich die Menschen verlassen. Sie brauchen dazu keine schwarzen Zusagen.
({16})
Ähnlich verhält es sich mit den Pendlern. Da hat die
CSU ja Pirouetten gedreht; eine Achterbahn am Oktoberfest ist ein Dreck dagegen.
({17})
Denn schon Theo Waigel hatte damit begonnen, die
Pendlerpauschale abschaffen zu wollen. Das waren
- Stichwort Professor Bareis - die berühmten Petersberger Beschlüsse. Dazu gab es schon einmal einen Gesetzentwurf. Dann hat man sie wieder eingeführt, dann wieder abgeschafft. Es war also ständig ein Zick und Zack
und Zack und Zick. Immer vor den Wahlen hat man gesagt: Da hat man einen wunderbaren Lockvogel, den hält
man hin, dann kriegt man einen Gelust, und nach den
Wahlen hat man es wieder vergessen. Wer da auf die Zusagen baut, hat auf Sand gebaut. Ich baue da auf das
Bundesverfassungsgericht, das eine steuergerechte Entscheidung treffen wird. Wer sich auf die CSU verlässt,
ist verlassen, wie er bisher verlassen war.
({18})
Wir in der Großen Koalition sollten zum gemeinsamen Erfolg stehen.
({19})
Wer immer nur selber glänzen will, ist kein Mannschaftsspieler. Ich denke, gerade mit den Koalitionsfraktionen machen wir es richtig. Deshalb kann es nicht im
Interesse unserer CSU-Kollegen sein, dass da so ein Angeber aus München kommt, Brotzeit daherredet
({20})
und so tut, als ob er die Welt einreißen könnte.
({21})
Wir haben schon erlebt, dass Edmund Stoiber so geredet
hat. Alle Angeberei hat ihm nicht geholfen. Erwin Huber
wird es auch nicht retten. Das nächste Mal werden wir
einen anderen Angeber erleben. Aber wir sind Kummer
gewohnt.
({22})
Das Wort hat der Kollege Hubertus Heil aus der SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass wir eigentlich über den Kanzleretat und die Rede der Kanzlerin sprechen.
({0})
- Das gilt auch für Sie, Herr Westerwelle.
({1})
Frau Merkel hat sehr viel über Bildung gesprochen.
Als Sozialdemokrat freue ich mich natürlich, wenn sich
Christdemokraten der sozialdemokratischen Programmatik verbal anpassen. Das ist eine gute Sache, sowohl
in der Familien- als auch in der Bildungspolitik.
({2})
Ich sage aber sehr deutlich: Die Tatsache, dass der
Bildungsgipfel in Dresden stattfindet, sollte uns an einen
Schriftsteller erinnern, der in Dresden geboren wurde,
später in Berlin gelebt und auch in München gewirkt hat;
dort ist er auch gestorben. Die Rede ist von Erich
Kästner. Er hat den schönen Satz geprägt: „Es gibt nichts
Gutes, außer man tut es.“
({3})
Herr Huber, vor diesem Hintergrund möchte ich die
Programmatik, die Frau Merkel in der Bildungspolitik
propagiert, mit dem Versagen Ihrer Staatsregierung in
der Praxis konfrontieren; das kann man durchaus tun.
({4})
Frau Merkel hat zu Recht davon gesprochen, dass wir
die frühe und individuelle Förderung von Kindern in
den Mittelpunkt rücken müssen. Als wir das in Bayern
früher gefordert haben, haben Sie uns diffamiert und behauptet, wir wollten die Kinder verstaatlichen.
({5})
Eine frühe und individuelle Förderung von Kindern ist
aber nur dann möglich, wenn es ein gutes Angebot an
Krippenplätzen und Kindergärten gibt und wenn man,
wie es in den sozialdemokratisch geführten Ländern
nach und nach getan wurde, auch dafür sorgt, dass die
Kindergärten beitragsfrei gestellt werden. Hier haben Sie
vollständig versagt.
({6})
Ich gehe in der Bildungskette einen Schritt weiter.
Frau Merkel hat davon gesprochen, dass alle Menschen
im Leben eine Chance brauchen. In Bayern gibt es
Landkreise, in denen 23 Prozent eines Jahrgangs keinen
Schulabschluss haben.
({7})
Es gibt in Bayern Landkreise, in denen es nicht einmal
das Angebot einer gymnasialen Oberstufe gibt.
({8})
Wenn wir wirklich wollen, dass nicht die soziale Herkunft bzw. der Geldbeutel der Eltern über die Bildungsund Lebenschancen der Kinder entscheidet, dann gilt es,
in Bayern eine andere Politik zu machen; denn in der
Bildungspolitik haben Sie komplett versagt.
({9})
Erreichen dann aber einige Schulabgänger in Bayern,
wenn auch im Vergleich zu anderen Bundesländern viel
zu wenige - die Abiturientenquote ist in Bayern am
niedrigsten -, hohe oder sogar höchste Abschlüsse,
({10})
haben Sie für diesen Personenkreis zusätzliche Hürden
errichtet. Denn Sie verlangen in Ihrem Bundesland Studiengebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester, und
das, ohne zumindest ein Stipendienwesen aufgebaut zu
haben; das wäre eigentlich das Mindeste, was Sie hätten
tun müssen, wenn Sie schon diesen falschen Weg einschlagen.
Ich nenne diese Fakten, weil sie ein frappierendes
Licht darauf werfen, wie bei Ihnen Reden und Handeln
auseinander klaffen.
({11})
Man kann nicht in Berlin mit schönen Worten über das
Thema Bildung reden, aber dort, wo man Verantwortung
trägt - die CSU also im Freistaat Bayern -, in dieser
Form versagen.
Herr Staatsminister, man kann auch das, was die Bundeskanzlerin in ihrer Rede zum Thema Mindestlöhne
gesagt hat, nicht befürworten, dass wir Mindestlöhne
nämlich wie verabredet durchsetzen werden - uns hat
das natürlich gefreut -, und Mindestlöhne in Bayern als
sozialistischen Unsinn bezeichnen.
({12})
Ich habe einmal in der Bayerischen Landesverfassung
geblättert.
({13})
In Art. 123 geht es um ein Thema, das uns sehr wohl bekannt ist - ich zitiere wörtlich -:
Die Erbschaftsteuer dient auch dem Zweck, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen
Einzelner zu verhindern. Sie ist nach dem Verwandtschaftsverhältnis zu staffeln.
Das steht in der Landesverfassung, Herr Staatsminister,
auf die Sie einen Eid geleistet haben
({14})
Ich bin wie Frau Merkel der Meinung: Wenn in Bayern etwas gut ist, dann kann man auch in Berlin daraus
lernen. Daher möchte ich einen weiteren Artikel der
Bayerischen Landesverfassung zitieren.
({15})
In Art. 169 Abs. 1 steht:
Für jeden Berufszweig können Mindestlöhne festgesetzt werden, die dem Arbeitnehmer eine den jeweiligen kulturellen Verhältnissen entsprechende
Mindestlebenshaltung für sich und seine Familie ermöglichen.
Das ist großartig!
({16})
Herr Huber, ich will Ihnen nicht unterstellen, dass die
CSU verfassungsfeindlich ist.
({17})
Allerdings muss ich Ihnen sagen: Sie haben sich vom
Geist der Bayerischen Verfassung, die nach dem Krieg
von Christdemokraten, Christlich-Sozialen und Sozialdemokraten zur Grundlage unserer wirtschaftlichen, demokratischen und sozialen Ordnung gemacht wurde,
von der Geschichte und vom „S“ im Namen Ihrer Partei
- sie heißt ja nach wie vor CSU - sehr stark distanziert.
Das ist keine gute Idee. Das können wir momentan daran
erkennen, dass Ihnen - hier hat Herr Westerwelle recht;
das hat er schön formuliert - bestimmte Körperteile auf
Grundeis gehen. Daher glauben Sie, Ihre Muskeln hier in
Berlin spielen lassen zu müssen.
({18})
Die Wahrheit aber ist: Sie setzen sich mit dem, was
Sie sagen, gar nicht durch. Das wäre auch nicht gut.
Dass Sie Frau Merkel auf Ihrem CSU-Parteitag auf den
Leim gegangen sind und das sogar noch gut finden, ist
ein erstaunlicher Vorgang. Herr Staatsminister, ich muss
Ihnen sagen: Mit Edmund Stoiber war es wenigstens lustig.
({19})
Wir erleben jetzt, dass Sie als die bajuwarische Ausgabe
der Kaczynski-Brothers, nämlich Beckstein und Huber,
({20})
offensichtlich nicht mehr die Autorität haben, die früher
Staatsparteien hatten. Das kennen andere Parteien auch.
Im Herbst 1989 begannen die Leute, sich darüber lustig
zu machen, was da so ist.
Ich sage Ihnen: Dieser Freistaat Bayern gehört keiner
Partei, auch nicht Ihrer Partei, er gehört auch nicht meiner Partei, er gehört den Menschen.
({21})
Diese werden darüber entscheiden, wie es in Bayern
weitergeht. Die Zeit Ihrer absoluten Mehrheit wird in einigen Tagen vorbei sein. Das ist gut für Bayern.
({22})
- Herr Hinsken, Sie sind doch eigentlich ein Lieber. Beruhigen Sie sich wieder.
Wir wollen und wir werden in dieser Verantwortung,
in der wir stehen, in dieser Bundesregierung weiter arbeiten. Das ist nicht immer leicht bei einer Drei-Parteien-Konstellation, Herr Westerwelle. CDU, SPD und
CSU sind nun einmal drei Parteien. Trotzdem sage ich,
dass wir zu dem stehen, was wir im Koalitionsvertrag
vereinbart haben. Es gibt eine Fülle von Aufgaben, die
nach der bayerischen Landtagswahl anzugehen sind,
nämlich die Umsetzung von Mindestlöhnen, die Frage
der Krankenhausfinanzierung, die Diskussion um die
Umsetzung der Erbschaftsteuer usw. Was vereinbart
worden ist, muss genauso gelten wie das, was das Verfassungsgericht uns ins Stammbuch geschrieben hat.
Es gibt eine Fülle von Dingen zu tun. Auch in diesem
Zusammenhang gilt: Es gibt nichts Gutes, außer man tut
es. Wir dürfen uns nur nicht von der schwierigen Situation, in der die CSU am Tag nach der bayerischen Landtagswahl sein wird, aus dem Tritt bringen lassen, wenn
jemand anders Verantwortung trägt. Das ist klar. Deshalb
erkläre ich, dass wir zu dieser Koalition stehen.
Ich sage das sehr deutlich, weil die Menschen von uns
erwarten, dass dieses Land gut durch die möglicherweise
anstehenden Krisen aufgrund des rauen Wetters geführt
wird. Dass wir die Chance haben, die Schwierigkeiten zu
bewältigen, hat Peer Steinbrück gestern deutlich gemacht.
Wir haben uns nicht von der Industrie verabschiedet,
wie es uns einige vor einigen Jahren geraten haben. Wir
sind nicht dem Rat auf den Leim gegangen, eine reine
Dienstleistungs- und Finanzdienstleistungsgesellschaft
zu werden.
In den USA ist das anders gelaufen. In den 80er-Jahren waren 18 Prozent der Wirtschaft von Finanzdienstleistungen abhängig. Heute sind es 40 Prozent. Deutschland hat sich damals - viel verspottet - daran gemacht,
seine industrielle Basis zu erhalten und zu modernisieren. Deshalb sind wir an diesem Punkt besser aufgestellt.
Wenn wir weiter so an dieser ökonomischen Basis arbeiten, wenn wir begreifen, dass soziale Gerechtigkeit
und wirtschaftliche Dynamik keine Gegensätze sind,
wie es einige erzählen wollen, sondern wechselseitige
Bedingungen, wenn wir begreifen, dass jedes Kind, jeder Jugendliche und jeder Mensch in diesem Land gebraucht wird und deshalb die Ausgrenzung durch fehlende Bildungschancen nicht nur ungerecht ist, sondern
auch ökonomisch ein Problem wird, wenn wir diesen
Weg gehen, wenn wir sozialen Aufstieg und Gerechtigkeit in dieser Gesellschaft ermöglichen, dann ist mir
nicht bange um unsere Republik.
Das gilt für Bayern, das gilt für Deutschland, und das
gilt speziell für die Arbeit dieser Großen Koalition. Wir
werden weiterarbeiten. Im nächsten Jahr steht ein Wahlkampf auf Bundesebene an. Dann geht es um die Frage,
wie es in Deutschland nach der Bundestagswahl weitergeht. Dann sehen wir uns wieder.
Herzlichen Dank.
({23})
Das Wort hat die Kollegin Monika Griefahn für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Mir juckt es in den Fingern, an der Stelle
weiterzumachen, an der mein Kollege Heil aufgehört
hat. Ich möchte aber auch etwas hochhalten. Für die SPD
ist Kultur Lebensmittel. Sie ist weder aus dem täglichen
Leben noch aus dem Bundeshaushalt wegzudenken.
Deshalb ist es selbstverständlich, dass die Kultur in dieser Debatte zur Sprache kommt, weil sie nämlich im
Kanzleramt verankert ist und dort eine prominente Rolle
spielen muss. Davon ist bei den anderen Parteien heute
leider nichts zu sehen. Das finde ich schade. Ich werde
aber hier für alle die Fahne hochhalten.
Zur Sache. Viel Verwirrung hat es in den vergangenen
Tagen um die Künstlersozialversicherung gegeben.
Baden-Württemberg hat im Bundesrat eine Initiative zur
Abschaffung der Künstlersozialkasse eingebracht. Einige Länder haben sich irrtümlicherweise angeschlossen. Es kann sich nur um einen Irrtum handeln.
Die von der sozialliberalen Koalition der 70er-Jahre
eingeführte Künstlersozialversicherung ist eine der
wichtigsten sozial- und vor allen Dingen kulturpolitischen Errungenschaften, um Kultur- und Medienschaffende abzusichern. Baden-Württemberg hat dabei leider
vollstes Kulturunverständnis bewiesen. Die anderen Ministerpräsidenten müssen diesen Fehler jetzt schnellstens
korrigieren.
({0})
Klar ist: Bürokratische Hemmnisse müssen abgebaut
werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
und die im Beirat der Künstlersozialkasse vertretenen
Verbände sind gerade dabei, gemeinsame Lösungen zu
erarbeiten. Das nehmen wir ernst. Das und nicht die
Holzhammermethode ist die richtige Art und Weise, hier
positiv etwas zu bewegen und nicht alle zu verunsichern.
Die Förderung von Kultur und Medien durch den
Bund, der sich hier mit mehr als 1 Milliarde Euro im Inland beteiligt, ist sinnvoll. Hinzu kommen noch einmal
700 Millionen Euro im Rahmen der auswärtigen Kulturund Bildungspolitik. Das ist auch wichtig. Man muss
sich anschauen, wie das weitergeht. Hier wird ja immer
wieder von der Kulturhoheit der Länder gesprochen.
Man muss einfach sehen: Diese senken ihre Kulturausgaben ständig. Der Bund ist der Einzige, der sie erhöht:
Gegenüber 2008 beträgt der Aufwuchs im Haushalt des
Kulturstaatsministers 1,51 Prozent. Im Haushalt des
Außenministers beträgt der Anstieg sogar 7,5 Prozent.
Damit machen wir deutlich, welche Bedeutung wir der
Kultur und den Medien im In- und Ausland beimessen.
Ich wünsche mir sehr, dass sich die Ministerpräsidenten - insbesondere Peter Müller im Saarland, Peter
Harry Carstensen in Schleswig-Holstein und Christian
Wulff in Niedersachsen - einmal fragen, ob die finanziellen Mittel für die Kultur in ihren Ländern noch ausreichen, wenn sie schon immer auf ihrer Kulturhoheit
beharren und sagen, dass der Bund irgendetwas nicht
machen soll. Dann aber bitte auch Butter bei die Fische
und Geld in den Etat!
({1})
- Er ist da relativ gut aufgestellt. Das kann ich Ihnen
gleich raussuchen.
({2})
Was tun wir im nächsten Jahr? Wir entwickeln das
Konzept zur Gedenkstättenförderung weiter. Als SPD
war uns dabei die Aufnahme der institutionellen Förderung in den alten Bundesländern besonders wichtig, damit zum Beispiel die Zahl der Führungen mit Schulklassen in den Gedenkstätten erhöht werden kann. So
erhalten diese dann auch Planungssicherheit für ihre Arbeit.
Wir wissen, wie wichtig gerade bei der historischpolitischen Bildung die Besichtigung authentischer
Orte ist, da wir ansonsten weiter Studien lesen werden,
in denen das mangelhafte Wissen vieler junger Menschen - übrigens auch und gerade hinsichtlich der SEDDiktatur - offenbart wird. Das haben wir im fortgeschriebenen Konzept zur Gedenkstättenförderung niedergelegt. Die Sanierung von Haus 1 in der Normannenstraße hier in Berlin, das in das Konzept eingebunden
werden soll, haben wir noch nicht erreicht. Wir wissen
noch nicht, wie viele Kosten dadurch entstehen werden.
Ich würde mich freuen, wenn wir hierfür zumindest einen Leertitel einfügen könnten, wie er auch für das
Deutsche Museum vorgesehen ist.
Ein weiteres Projekt, mit dem wir uns jetzt auch auf
der Zielgeraden befinden, ist die Vereinbarung, auch in
Berlin ein sichtbares Zeichen zu setzen, um im Geiste
der Versöhnung die Erinnerung bzw. das Gedenken an
Flucht und Vertreibung wachzuhalten. Wir wollten das
in öffentlicher Trägerschaft gestalten; das war wirklich
der sozialdemokratische Wunsch. Das wird jetzt gerade
vorangebracht.
Wir wollen eine internationale Konferenz, damit wir
die Grundlage der Ausstellung „Flucht, Vertreibung, Integration“ vom Haus der Geschichte weiterentwickeln
können und somit eine Dauerausstellung im Deutschlandhaus erhalten; denn wir brauchen die Versöhnung
mit den europäischen Nachbarn. Gerade deswegen wollen wir, dass auch internationale Experten dabei sind, damit diese Ausstellung wirklich der Versöhnung und nicht
der Spaltung dient.
({3})
An dieser Stelle möchte ich den neuen Intendantinnen
der Bayreuther Festspiele, Katharina Wagner und Eva
Wagner-Pasquier, meinen Glückwunsch übermitteln. Sie
wollen zusätzliche Projekte anpacken und die Festspiele
für weitere Menschen - vor allem auch für junge Menschen - erlebbar machen. Ich denke aber, es muss hier
ganz deutlich sein, dass zusätzliche Mittel von außen
und nicht aus dem Bundeshaushalt akquiriert werden
müssen.
Zum kulturellen Nachwuchs. Die kulturelle Bildung
wurde in der Enquete-Kommission diskutiert, die einstimmige Forderungen dazu vorgelegt hat. Dies findet
sich leider auch noch nicht im Haushalt wieder. Es geht
zum Beispiel um die Erhöhung der Mittel für das freiwillige soziale Jahr in der Kultur und für den Fonds Soziokultur. Diese Dinge müssen wir jetzt auch noch umsetzen. Damit haben wir noch einiges zu tun. Ich hoffe,
dass wir das gemeinsam hinbekommen.
Wir haben aber auch ganz viel erreicht. Mit dem
Filmförderfonds haben wir zum Beispiel den Anteil des
deutschen Films im Kino deutlich steigern können. Das
wollen wir weiterführen. In einem Zwischenschritt muss
man jetzt aber prüfen, welche genauen Effekte mit diesem Instrument der Filmwirtschaftsförderung erzielt
wurden, damit man dort auch noch einmal nachjustieren
kann.
Kollegin Griefahn, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Börnsen?
Im Moment möchte ich gerne weitersprechen. Herr
Kollege, das machen wir später.
({0})
- Bitte schön.
({1})
Das Problem ist, dass alle schon ganz ungeduldig auf
den Außenminister warten. Nur deshalb wollte ich die
Frage nicht zulassen.
Jetzt hat der Kollege Börnsen das Wort zur Zwischenfrage.
Verehrte Kollegin, ich möchte mich zuerst bei meinem Kollegen Hans-Joachim Otto für die kollegiale Unterstützung bedanken.
({0})
Ich möchte mich aber auch bei Dir, Monika, für Dein
Verständnis bedanken, doch eine Zwischenfrage zuzulassen.
Es klang ein wenig an - deswegen möchte ich nachfragen -, dass einige mit dem Aufschwung in diesem
Bereich in den letzten drei Jahren nicht zufrieden sind.
Ist es nicht zutreffend, dass gerade der Kulturbereich mit
einem Zuwachs von 7,6 Prozent in den letzten drei Jahren, also in jedem Jahr eine Zulage, die Unterstützung
der Großen Koalition und ganz besonders der Kanzlerin
erfahren hat und dass gerade die Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung deutlich gemacht hat, welchen Stellenwert die Kulturpolitik bei der Großen Koalition hat?
Ich bin sehr dankbar - das habe ich am Anfang gesagt -,
dass wir hier einen Zuwachs zu verzeichnen haben. Die
Kanzlerin war heute Morgen die Einzige, die zu diesem
Themenkomplex etwas gesagt hat. Das finde ich richtig
und das ist auch gut so.
({0})
Ich glaube, hier haben wir in der Großen Koalition gute
Arbeit geleistet. Ich habe hervorgehoben, dass wir als
Bund diesen Bereich hochhalten. Aber ihr müsst euren
Ministerpräsidenten sagen, dass sie hier noch einmal
nachbessern müssen; genau das ist der Punkt.
({1})
- In den drei Ländern, die ich aufgeführt habe, sind die
Ausgaben für Kultur sehr niedrig.
Ich komme zur Initiative Musik. Hier stellen wir seit
zwei Jahren Mittel zur Verfügung. Inzwischen ist einiges
in Gang gekommen. Für das nächste Jahr erwarte ich die
in unserem Antrag geforderte Evaluation der Initiative,
damit wir prüfen können, ob den Zielen des Bundestages
mit den Förderrichtlinien entsprochen wird. Was noch
fehlt, ist der Spielstättenprogrammpreis, der insbesondere an Jazzspielstätten vergeben werden soll. In dem
Antrag haben wir hierzu noch weitere Wünsche formuliert. Ich erwarte da entsprechende Signale. Ich hoffe,
dass wir auch bei diesem Punkt weiterkommen. Ich
freue mich, dass wir im nächsten Etat auch die Medienforschung verankert haben. Hier muss man sicherlich sehen, was aus diesen Mitteln konkret finanziert wird.
Ganz besonders freue ich mich - das habe ich am Anfang schon gesagt -, dass nach einer langen Durststrecke
mit unserem Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier seit 2005 endlich das Interesse und die Wertschätzung von Kunst und Kultur wieder in die Außenpolitik der Bundesregierung eingekehrt sind. Wie gesagt, wir haben in diesem Haushaltstitel eine Steigerung
von 7,5 Prozent zu verzeichnen. Ich möchte mich an dieser Stelle beim Außenminister ganz herzlich für sein persönliches Engagement bedanken; denn er hat das Ganze
wirklich vorangebracht.
({2})
Er hat im Ausland die Wertschätzung für diesen Bereich
vorangetrieben, zum Beispiel die gemeinsame Neuaufstellung des Goethe-Instituts und die Stärkung der deutschen Schulen im Ausland. Das wollen wir im nächsten
Jahr mit einem Jahr der Außenwissenschaft fortführen.
Der Dialog mit anderen Kulturen funktioniert ganz entscheidend über die Brücken von Studium und Wissenschaft. Dieser Schwerpunkt rundet das Engagement in
diesem Bereich ab.
Ich denke, auf diesen großen Schritt können wir stolz
sein. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit mit
den Kolleginnen und Kollegen, weil wir gerade im Kulturausschuss ein gutes Team sind. Wir beschließen sehr
viel einvernehmlich. Daher werden wir auch die letzten
Hürden für die Lösung der anderen Probleme noch überwinden.
Herzlichen Dank.
({3})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes, Einzelplan 05.
Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen,
Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! In Deutschland und in Europa
werden Frieden und Stabilität als etwas empfunden,
was so selbstverständlich wie der Sonnenaufgang und
das tägliche Brot ist. In vielen Teilen der Welt - das wissen Sie - ist das leider nicht der Fall. Die Neuvermessung der Welt, wie ich das nenne und wie Sie es alle erleben, geht leider mit neuen Unsicherheiten, Unruhe und
vielen neuen, auch gewaltsam ausgetragenen Konflikten
einher.
Ja, es ist richtig: Allgemeingültige Rezepte, nach denen wir fragen und suchen, um Frieden und Stabilität zu
gewährleisten oder schnellstmöglich wieder herzustellen, gibt es leider nicht. Deshalb muss sich kluge Außenpolitik aus meiner Sicht noch mehr als in der Vergangenheit darauf konzentrieren, vorausschauend Risiken zu
minimieren und Chancen zu erkennen und zu ergreifen,
wo immer die Verhinderung eines Konflikts möglich ist.
({0})
Was braucht man dazu? Vor allen Dingen braucht
man richtige Analysen und - wo immer möglich - ein
unabhängiges Urteil. Dabei bedarf es der Fähigkeit, bei
der ganzen Flut von Informationen und - das haben wir
gerade in der letzten Zeit wieder erlebt - Desinformationen die Übersicht zu behalten. In dieser immer unübersichtlicher werdenden Welt ist das in der Tat eine
von Jahr zu Jahr immer anspruchsvollere Aufgabe. Das
liegt daran, dass sozusagen die zynischen Gewissheiten
des Kalten Krieges nicht mehr bestehen und die USA als
einzig verbliebene Supermacht an Ansehen eingebüßt
haben und aus den heute bereits genannten Gründen mitten in einer Finanzkrise stecken. Wie auch immer der
nächste Präsident der USA heißen wird, er wird jedenfalls die Führungsrolle der USA neu definieren und
- darin bin ich mir sicher - verloren gegangene Autorität
zurückgewinnen müssen.
Daneben gibt es neue Mächte. Wir reden von China
und Indien. Wer ein bisschen in der Welt herumkommt,
weiß, dass das verkürzt ist. Hinzu kommen Mexiko und
Brasilien, langfristig vielleicht auch Südafrika und Vietnam. Alle diese neuen Mächte suchen nach einer neuen
Rolle jenseits der alten Gewissheit in ständig neuen Interessenkonstellationen. Das macht gegenwärtig vieles so
schwer voraussehbar.
Hinzu kommt, dass wir uns in einer sehr dynamischen
Wachstumsphase befinden - deren Vorteile haben wir
heute Morgen beschrieben; deren Nachteile sehen wir
derzeit kraft mangelnder Regelungen für die internationalen Finanz- und Kapitalmärkte -, die aber unzweifelhaft neben den Chancen auch Risiken vom Klimawandel
bis hin zur Knappheit und Verteuerung von Energie und
Rohstoffen mit sich bringt.
Das führt uns in der Situation, in der wir jetzt - im
September 2008 - miteinander diskutieren, zu der Feststellung: Eine neue und tragfähige Balance für Frieden
und Stabilität in diesem Jahrhundert ist uns noch nicht
gelungen. Daran müssen wir noch arbeiten. Ich sage das
bewusst in einer Generaldebatte jenseits der Einzelthemen, über die wir noch diskutieren werden, etwa im Zusammenhang mit der Verlängerung des AfghanistanMandats. Ich sage also vorweg, dass es mein Anspruch
an die deutsche Außenpolitik ist, dass wir uns nicht in
der Unübersichtlichkeit des täglichen Klein-Kleins erschöpfen, sondern die langfristigen Linien und Herausforderungen in Erinnerung behalten. Ich wäre froh, wenn
wir Gelegenheiten wie diese dazu nutzen würden.
({1})
Bei den Auseinandersetzungen im südlichen Kaukasus in diesen Tagen ist mir jedenfalls gewiss geworden,
dass das, was an Herausforderungen in der Außenpolitik
auf uns zukommt, auch die menschliche Vernunft langfristig auf die Probe stellen wird. Sie ist nicht immer in
so reichem Maße vorhanden, wie ich mir das wünsche.
Wenn wir mit Vernunft an die Außenpolitik herangehen, dann kann uns, glaube ich, etwas gelingen, was die
neue Herausforderung mit sich bringt, nämlich neue
Mächte zu integrieren. Wir brauchen eine Außenpolitik,
die neue Formen der Zusammenarbeit erprobt, neue Formate entwickelt und neue Instrumente bereitstellt. Wir
dürfen nicht verdrängen - das ist sozusagen meine Botschaft -, dass es neue Mächte auf der internationalen
Bühne gibt. Selbst wenn wir manchmal verzweifelt um
Lösungen ringen, dürfen wir nicht auf Lösungsmuster
zurückgreifen, die seit Ende des Kalten Krieges nicht
mehr zur Verfügung stehen. Das wäre eine trügerische
Scheinsicherheit.
({2})
Es hilft nichts - ich kenne den beschwerlichen Weg -,
wir müssen das erreichen, was ich eine globale Verantwortungspartnerschaft nenne. Auf dieses Ziel müssen
wir Schritt für Schritt hinarbeiten.
({3})
Ich komme zu den wichtigsten Linien, die ich im Augenblick erkenne und die die Politik in den nächsten Jahren prägen werden. Einige wenige Sätze zu Europa: Die
Vertragsmisere, die Tatsache, dass uns die Ratifizierung
des Lissabon-Vertrags - sie ist weiterhin notwendig nicht gelungen ist, darf uns nicht den Blick dafür verstellen, dass die Europäische Union von den Außengrenzen
her betrachtet nach wie vor das leuchtende Beispiel für
Versöhnung, Stabilität, Zivilität, sozialen Ausgleich und
inneren Frieden ist. Richard Sennett hat das gestern in
einem längeren Interview mit der Süddeutschen Zeitung
aus der amerikanischen Perspektive geschildert.
Wenn ich mir die jüngere Geschichte der Europäischen Union anschaue, dann stelle ich fest, dass uns in
der Tat einiges nicht gelungen ist, an dem wir gearbeitet
haben. Aber nachdem ich vor ein paar Tagen Boris Tadic
getroffen und mir vor Augen geführt habe, wie wir über
das Verhältnis der Europäischen Union zum westlichen Balkan und insbesondere zu Serbien diskutiert
haben, und heute sehe, dass es mit einer ganz klugen und
ausgewogenen Politik sowie sehr mutigen Demokraten
auf der serbischen Seite gelungen ist, nicht nur Europa
zum Kernpunkt der innenpolitischen Auseinandersetzungen in Serbien zu machen, sondern auch den gegenüber Europa aufgeschlossenen Demokraten zum Wahlsieg zu verhelfen, und dass nun Stabilität in dem größten
Land auf dem westlichen Balkan hergestellt wurde, dann
finde ich, dass das eigentlich ein guter Weg ist. Dieser
wäre ohne Europa nicht zustande gekommen.
({4})
Trotzdem bleibt die vielfach geäußerte Mahnung richtig: Am Ende wird die Stimme der Europäischen Union
nur gehört werden, wenn es uns gelingt, mit einer
Stimme zu sprechen. Daher ist in der Tat die Frage berechtigt: Sind wir schon so weit? Ist die Definition der
gemeinsamen Interessen so weit fortgeschritten, dass sie
uns wirklich zum gemeinsamen Handeln befähigt? Das
ist nach wie vor eine berechtigte Frage, wie ich finde.
Wir haben gerade im Kaukasus-Konflikt erlebt - alle,
die an den Lösungen und Befriedungen beteiligt waren,
haben das erfahren -, wie schwierig und anspruchsvoll
das in einem Konflikt ist, in dem sozusagen über Nacht
in wenigen Stunden Menschen zu Opfern wurden und
ihr Hab und Gut verloren haben. Wenn wir ehrlich sind,
haben viele von uns befürchtet, dass sich dieser Regionalkonflikt zu einem Flächenbrand zumindest im gesamten Kaukasus ausweitet. Ich will in aller Bescheidenheit
und angesichts der Kritik an der europäischen Außenpolitik, die ich gut kenne, darauf hinweisen, dass dieser
Konflikt und das Sterben von Menschen im südlichen
Kaukasus beendet wurden, weil sich Europa der Sache
angenommen hat,
({5})
natürlich nicht ohne Unterstützung anderer; das weiß ich
sehr wohl. Aber man muss sich in Erinnerung rufen, dass
es für den französischen Präsidenten als EU-Ratspräsident weiß Gott keine Selbstverständlichkeit war - aus
meiner Sicht war es eher ein Risiko -, ohne jegliche Erfolgsgarantien nach Tiflis und Moskau zu fahren und zu
versuchen, über Eckpunkte für einen Waffenstillstand zu
verhandeln. Ich finde es angesichts dessen schäbig - das
habe ich schon im Ausschuss gesagt -, in welcher Form
an dem zwischen Herrn Sarkozy und Herrn Medwedew
ausgehandelten Sechspunkteplan herumgemäkelt wird.
Natürlich war er unvollständig; das sehen wir. Aber ist
es nicht zynisch, zu argumentieren, die Europäer hätten
noch ein bisschen weiterverhandeln können und vielleicht wären in drei bis vier Wochen die letzten Details
bereinigt und geklärt gewesen, während die Menschen in
dieser Zeit weiter gestorben wären? Ich jedenfalls bin
froh darüber, dass jemand hingefahren ist, dass es ein
Europäer war und dass der Sechspunkteplan zum Ausgangspunkt dafür wurde, dass wir heute die Lücken in
dem Dokument - allerdings bei Schweigen der Waffen füllen können.
({6})
Ich will da nichts beschönigen. Die Stationen und Situationen, die wir in den letzten drei, vier Wochen durchlebt haben, haben wie in einem Brennglas gezeigt, dass
die 27 europäischen Mitgliedstaaten immer noch 27 nationale, emotionale und sehr unterschiedliche Erzählungen von der Geschichte ihrer Völker haben. Da wirkt die
Geschichte vergangener Jahrhunderte, insbesondere des
letzten Jahrhunderts, die Erinnerung an Kriege, an Besatzung, an systemischen und ideologischen Zwang sowie an die Verhinderung von Eigenständigkeit und
Selbstständigkeit. All das spielt eine Rolle beim Zusammenwirken in Europa, und das wird uns noch eine geraume Zeit lang, über Jahre und Jahrzehnte, begleiten.
Es wird Teil der europäischen Außenpolitik sein, dies alles zu wissen und gleichwohl immer wieder eine
gemeinsame europäische Außenpolitik neu zu konstruieren.
Die zweite lange Linie betrifft das Verhältnis zu
Amerika. Die Vereinigten Staaten von Amerika werden
unser wichtigster Verbündeter bleiben. Was wir schon in
Bezug auf andere gesagt haben, gilt erst recht für die
USA. Wir werden die USA für die Lösung aller im Augenblick erkennbaren wichtigen Probleme brauchen,
auch für unsere gemeinsame Sicherheit. Weil das so ist,
wünsche ich gerade mir eine besonders tragfähige, zukunftsfähige Beziehung zu den Vereinigten Staaten mit
einer Agenda einer - wie ich das einmal genannt habe erneuerten transatlantischen Partnerschaft, in der Sicherheit nach wie vor ihre wichtige und zentrale Rolle haben
wird, in der wir aber auch alle wichtigen und zentralen
Zukunftsfragen vereinbaren werden, von einer Technologiepartnerschaft im Klimaschutz über Regeln auf den
internationalen Finanz- und Kapitalmärkten bis hin zu
einer gemeinsamen Abrüstungspolitik. Ich trete dafür
ein, dass wir diese neue transatlantische Agenda möglichst bald mit viel Leben erfüllen.
({7})
Die neuen Partner in der Weltordnung - China, Indien und viele andere - beanspruchen ihren Platz in der
Weltgemeinschaft, und zwar einen Platz, der mindestens
ihrem gewachsenen ökonomischen Gewicht entspricht.
Wir brauchen viel außenpolitische Klugheit und Weitsicht, um die Ausbalancierung dieser neuen Gewichte
gut hinzubekommen. Ich sage das nicht deshalb, weil ich
die Aufgabe unterschätze, sondern weil ich voraussehe,
dass wir Deutsche - die deutsche Außenpolitik - bei dieser Ausbalancierung gefragt sein werden, manchmal sogar jenseits unserer Leistungsmöglichkeiten.
Wir kommen als Partner für diese neue Ausbalancierung offenbar auch deshalb in Betracht, weil wir erstens
wirtschaftlich viel zu bieten haben, zweitens über Erfahrung in einer Friedensordnung, als die die Europäische
Union begriffen wird, verfügen und drittens - das ist für
viele Länder Afrikas wichtig - keinen Schatten einer eigenen deutlichen kolonialen Vergangenheit mit uns herumschleppen. Das lässt erwarten, dass wir bei der Ausbalancierung dieser neuen Gewichte mehr denn je
gefragt sein werden.
Ich habe den Satz von Karl Lamers in Erinnerung, der
gesagt hat: Außenpolitik bedeutet, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. ({8})
Ich sage ähnlich: Um kluge Außenpolitik zu machen,
muss man nicht die Perzeption des Gegenübers übernehmen, aber man muss sie jedenfalls kennen und in die eigene Positionierung mit einbauen.
({9})
Wer das beherzigt - davon bin ich ganz fest überzeugt -,
der gibt nicht etwa irgendetwas auf, sondern der kann zu
seinen Prinzipien und Positionen stehen, ohne anderen
Völkern vom hohen Ross aus zu begegnen.
Das führt mich zur letzten Schlüsselfrage, die ich hier
kurz ansprechen will: Terrorismus. Der Terrorismus
birgt hier, in einer offenen Gesellschaft, Risiken, die wir
alle uns gegenseitig viele Male beschrieben haben. Ich
will nicht auf Afghanistan im Einzelnen zu sprechen
kommen, aber daran erinnern, dass der Terrorismus der
Grund ist - der Jahrestag des 11. September liegt erst
wenige Tage hinter uns -, warum deutsche Soldatinnen
und Soldaten nach wie vor in Afghanistan sind. Meine
Bitte ist einfach - ich sage das mit Blick auf die Bemerkungen von Fritz Kuhn von heute Morgen -, dass wir
diese Debatte hier im Hohen Hause ehrlich miteinander
führen. Ich gehe davon aus, dass in keiner der Fraktionen
Mandate ein Selbstläufer sind. Jede Fraktion muss diese
Frage sorgfältig diskutieren, aber mit den richtigen Argumenten. Wir entscheiden über den deutschen Beitrag,
und deshalb bitte ich Sie erstens, nicht das entgegenzuhalten, was nach Ihrer Ansicht andere bei ihren Einsätzen möglicherweise anders oder falsch machen. Zweitens bitte ich, in der Debatte, die wir im Detail noch zu
führen haben, nicht entgegenzuhalten, dass man deshalb
den Mandaten keine Zustimmung geben kann, weil wir
eine neue Strategie brauchen. Wir haben oft - auch hier
an diesem Platz - über eine neue Strategie gesprochen.
Ich will vorab nur sagen: Für diese neue Strategie mit einer deutlichen Betonung unseres Engagements für den
zivilen Aufbau ist diese Bundesregierung gemeinsam
eingetreten, auch in den NATO-Räten. Das kann ich für
Franz Josef Jung wie für mich sagen. Wir haben diese
Strategieänderung hinbekommen.
({10})
Sie ist ablesbar, Fritz Kuhn, nicht nur in unseren eigenen
Haushalten. Wenn man sich bei all den Mitgliedsländern
umschaut, die in Afghanistan engagiert sind, wird man
feststellen, dass der Anteil der Mittel für den zivilen
Wiederaufbau deutlich angestiegen ist. Deshalb sage ich:
Lasst uns doch nicht einfach immer nur die alten Argumente und Vorwürfe wiederholen, sondern lasst uns davon ausgehen, dass gelernt ist, dass militärische Präsenz
allein die Probleme in Afghanistan nicht beseitigen wird,
sondern dass wir Engagement beim zivilen Wiederaufbau brauchen, und dieser findet statt. Wir brauchen allerdings, soweit ich das sehe, für die nächste Zeit weiterhin
militärische Präsenz, um die Sicherheit und die Rahmenbedingungen zu garantieren.
({11})
Ich komme zur Abrüstung. Ich spreche sie deshalb
an,
({12})
weil ich ahne, dass jemand gleich das Thema Indien aufrufen wird.
({13})
- Eben nicht, lieber Kollege Trittin. Ganz im Gegenteil. Sie wissen von mir, dass ich engagiert dafür eintrete,
dass wir das Thema Abrüstung auf die internationale Tagesordnung zurückholen. Das ist uns gelungen,
({14})
nicht nur bei Kleinwaffen und bei Streumunition; auch
im Bereich der atomaren Abrüstung haben Sie Vorschläge von mir für die Internationalisierung des Brennstoffkreislaufes gesehen, die jedenfalls bei der Internationalen Atomenergiebehörde und den beteiligten
Staaten auf großes Interesse gestoßen sind. Ich habe damals bei der ersten Auseinandersetzung zu dem Nuklearhandel mit Indien, die wir hier in diesem Hause hatten,
schon gesagt: Das, was wir üblicherweise zu der Frage
der Bedeutung multilateraler Einbindung austauschen,
gilt auch in diesem Fall.
Mit anderen Worten - das habe ich damals gesagt,
und daran halte ich mich -: Wenn die IAEO und wenn
al-Baradei, mit dem wir auch bei verschiedenen anderen
Konflikten eng zusammenarbeiten, es durch den Abschluss eines Safeguard-Abkommens zustande bringen,
Indien näher an die Zusammenarbeit mit der internationalen Atomaufsicht heranzuführen, dann ist das auch für
mich ein Argument, das ich in die Bewertung übernehme. Deshalb ist Indien nicht weiter entfernt oder
wird nicht etwa belohnt für eine Missachtung des Atomsperrvertrags; vielmehr wird es mit geeigneten Mitteln
näher an die Kontrolle durch die Internationale Atomenergiebehörde herangeholt.
({15})
Das gilt zwar nicht für 100 Prozent, aber für etwa zwei
Drittel seiner Anlagen. Ich jedenfalls bin froh darüber,
dass der Konsens auch unter denjenigen, die, Jürgen
Trittin, noch kritischer als wir waren, in der Nuclear
Suppliers Group am Ende gefunden worden ist.
({16})
Jetzt wird Monika Griefahn zum Abschluss wieder
sagen: Nun haben wir über viele Themen gesprochen,
aber nicht über die Kultur. Deshalb möchte ich einige
abschließende Sätze dazu sagen. Ich habe in den vergangenen Haushaltsberatungen immer gesagt: Zu den Veränderungen in dieser Welt, die ich beschrieben habe, gehört auch, dass wir an uns selbst den Anspruch stellen
müssen, uns mit unseren Argumenten, mit unserer Haltung besser verständlich zu machen. Dazu gehört die
auswärtige Kultur- und Bildungspolitik. Ich freue mich,
dass wenigstens festgestellt wird, dass uns beim GoetheInstitut eine Wende gelungen ist, dass wir nicht mehr
über die Schließung von Goethe-Instituten reden, sondern - dank Ihrer Hilfe - heute dabei sind, von einer
konsolidierten Basis aus über eine Erweiterung unseres
Engagements zu reden.
Wir haben in den letzten Jahren viel bei deutschen
Auslandsschulen getan. Wenn ich sage „viel getan“,
heißt das nicht nur „staatliches Geld bereitstellen“, sondern auch, Kooperationen mit der Wirtschaft zu suchen,
dort Überzeugungsarbeit zu leisten, sodass diejenigen,
die ihre Abschlüsse auf deutschen Schulen machen,
dann auch eine Perspektive haben für ein Praktikum, für
ein Studium, für eine Lehre in Deutschland. Ich freue
mich, dass das auf gutem Wege ist.
Herzlichen Dank Ihnen allen.
({17})
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Werner Hoyer für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sich nicht in der Unübersichtlichkeit des Klein-Klein
verlieren, stattdessen die langen Linien sehen, dazu hat
uns der Außenminister aufgefordert. Versuchen wir einmal, dem gerecht zu werden. Es ist in der Tat so - das
beunruhigt mich gegenwärtig mit am meisten -: Ein altbekannter gefährlicher Virus wird in Europa und in der
Welt wieder erkennbar, ein Virus, gegen den wir uns in
Europa einigermaßen immunisiert zu haben glaubten: Es
ist der Nationalismus, der seine hässliche Fratze überall
in der Welt zeigt, leider auch wieder verstärkt in Europa.
Ein einzigartiger politischer Prozess hatte uns in
Europa zu der Anerkennung einer Reihe von elementaren Prinzipien friedlichen und kooperativen Zusammen18684
lebens gebracht. Es war ein Prozess, der mit der Doppelstrategie der NATO, wie sie im Harmel-Bericht zum
Ausdruck gekommen war, auf das Engste verbunden
war. Dieser Prozess hat immer auch Abrüstung, Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung beinhaltet und
nicht nur militärische Vorsorge. Er war eingebettet in das
große Friedensprojekt der europäischen Integration. Er
erzielte seinen katalytischen Durchbruch mit der
Schlussakte von Helsinki. Für uns fand er seinen Höhepunkt im Zwei-plus-Vier-Vertrag, der uns die deutsche
Einheit brachte. Einen weiteren Höhepunkt fand er in
der Charta von Paris, die in Vergessenheit geraten zu
sein scheint.
Voraussetzung für den Erfolg dieses Prozesses war
die Überwindung des blanken Nationalismus in Europa,
({0})
dieser Geißel der Europäer nicht nur im vergangenen
Jahrhundert. Wir schienen dem großen Ziel doch ein gutes Stück näher gekommen zu sein.
Heute flammt dieser Nationalismus an vielen Stellen
wieder auf. Er schürt regionale Konflikte, Gefahren für
den Weltfrieden, und er entfaltet seine zerstörerische
Wirkung innerhalb vieler Gesellschaften. Man denke nur
daran, wie schwer es Minderheiten, Menschenrechtlern,
Verfechtern von Presse- und Meinungsfreiheit, Advokaten von Rechtsstaatlichkeit und demokratischer Teilhabe
gemacht wird, wenn mit den verführerischen Argumenten nationalistischer Überhöhung jeder in die vermeintlich patriotische Solidarität hineingepresst wird.
Was wir in diesem Zusammenhang unlängst beim Besuch von Kolleginnen und Kollegen des Auswärtigen
Ausschusses in Moskau von vielen aufrechten Demokraten und Menschenrechtlern gehört haben, beunruhigt.
Ebenso beunruhigend ist das bedrückende Schweigen
derer, die noch bis vor kurzem als aufrechte Oppositionelle gegen gravierende demokratische und rechtsstaatliche Fehlentwicklungen in Georgien auf die Straße gegangen sind.
Grenzen in Europa nicht mehr anzutasten, sie zu überwinden, ihnen ihre Bedeutung zu nehmen, das war wesentliches Element der Charta von Paris. Heute werden
neue Grenzen gezogen und wird ihre Überwindung unmöglich gemacht. Da ist etwas gewaltig schiefgelaufen.
({1})
Wir alle müssen uns die Frage stellen, ob wir denn alles richtig gemacht haben. Die Historiker werden eines
Tages zu bewerten haben, ob die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit des Kosovo und
die Entwicklung im Zusammenhang mit Südossetien
und Abchasien - sagen wir einmal so - die ersten oder
die letzten Sündenfälle gewesen sind. Ich weiß, man
kann diese Fälle nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Die Unterschiede sind riesig. Es war im Kosovo
auch aus unserer Sicht wohl allenfalls die am wenigsten
schlechte Lösung. Selbst ihr wohnte wahrscheinlich eine
gravierende Fehleinschätzung inne. Wichtigste Berater,
die uns auf unserem Weg begleitet haben, haben immer
wieder den Eindruck vermittelt, als würden die Russen
am Ende schon beidrehen und einer Gesamtlösung zustimmen.
Jedenfalls sind wir gut beraten, über die Bewältigung
dieser konkreten Probleme, unter die man hoffentlich
einmal einen Strich wird ziehen können, zu den Grundprinzipien von Paris zurückzukehren, und zwar nicht
nur nach den Buchstaben, sondern auch nach dem Geist;
denn der war es, der uns damals die große Entwicklung
hin zur deutschen Einheit ermöglicht hat. Zu diesen
Prinzipien, übrigens auch zu den Voraussetzungen für
die Mitgliedschaft in EU und NATO, gehören Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sowie die Fähigkeit und
Bereitschaft zu friedlicher Konfliktlösung.
Ich finde es in diesem Zusammenhang erstaunlich
- um nicht zu sagen: befremdlich -, dass bei aller notwendigen Verurteilung rechtswidrigen Verhaltens Russlands in den Schlussfolgerungen des letzten Europäischen Rats erneut einseitig Russland kritisiert und
ermahnt wird.
({2})
Auch ein klares Wort an die Adresse der georgischen
Führung wäre angezeigt gewesen. Die Solidarität der
NATO kann man nicht durch Zündeln erzwingen.
({3})
Eigentlich müsste sich die Bundeskanzlerin bestätigt
fühlen, was ihre Haltung auf dem Bukarester NATOGipfel angeht. Ich glaube, es gibt überhaupt keine Veranlassung, an dieser Linie der Bundesregierung vom Frühjahr etwas zu verändern.
({4})
Jetzt höre ich das Schulterklopfen bezüglich der Rolle
der Europäischen Union. Auch ich freue mich, dass die
Europäische Union plötzlich zu gemeinsamem Handeln
zusammengefunden hat. Ganz toll! Aber wo war denn
die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union in den
Tagen Anfang August? Da war schlicht niemand erreichbar. Nach und nach lässt sich das Mosaik all dessen, was
da schiefgelaufen war, zusammensetzen. Schön, dass wir
dem französischen Staatspräsidenten gratulieren können.
Zum Schluss hat er eine Vereinbarung mit Präsident
Medwedew und anderen hinbekommen. Allerdings war
das eine unbedingt erforderliche Aktion, um die Fehler
der ersten Bemühungen schnellstens zu korrigieren;
denn das war schlicht und ergreifend ein Flop. Man
sollte es nicht schöner malen, als es ist.
Im Übrigen gilt das auch für die Rolle der Vereinigten Staaten. Ich habe es irgendwie als bedrückend empfunden, wie hochanerkannte amerikanische Diplomaten
wie Dan Fried bis zum letzten Moment versucht haben,
das Schlimmste zu verhindern, während gleichzeitig Angehörige amerikanischer Dienststellen und mit Weisungen aus anderen Ämtern als dem State Department den
georgischen Staatspräsidenten nach allem, was wir wissen, nicht gerade daran gehindert haben, diesen unverantwortlichen Unsinn anzurichten.
Zu den Wahlen in Amerika hat der Minister einiges
gesagt. Ich begrüße das sehr, weil ich in der Tat glaube,
dass wir uns immer wieder klarmachen müssen, wie
wichtig die deutsch-amerikanische und die europäischamerikanische Beziehung ist. Egal wer diese Wahlen gewinnt, wir werden es mit einem völlig neuen Partner zu
tun haben. Leider dürfen wir ja nun einmal nicht mitwählen. Neben den großen Unterschieden, die ich weiß
Gott sehe, gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Kandidaten, die uns gefallen
können. Ich erinnere an die durchaus mutige Absage von
John McCain an die Politik von Präsident Bush und Vizepräsident Cheney in Sachen Folterverbot. Ich erinnere
an manches andere, was uns im Hinblick auf das Thema
Rechtsstaatlichkeit in jedem Fall unseren amerikanischen Freunden wieder näher bringen wird.
Es gibt aber auch einige Themen, bei denen man sich
wirklich fragt, wann wir die große Debatte über das, was
in den nächsten Jahren strategisch zu entscheiden ist, mit
den Vereinigten Staaten beginnen. Auch da kommt es
auf die langen Linien an, zum Beispiel in der Frage der
Raketenabwehr. Die gehört in die große Strategiedebatte hinein, die wir mit den Vereinigten Staaten und mit
unseren anderen Partnern im Bündnis führen müssen.
Von der Bundesregierung höre ich zu dem bemerkenswerten Beitrag von Sam Nunn, George Shultz, Henry
Kissinger und anderen zur Frage der Zukunft der
Nuklearwaffen keinen einzigen Beitrag. Darauf müssen
wir eingehen. In diesem Zusammenhang stellt sich die
Frage, welche strategische Rolle ein System spielt, das
den Eindruck von Unverwundbarkeit erweckt. Wie passen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten,
der Tschechischen Republik und Polen da hinein? Dies
nicht in den Gesamtkontext einzuordnen, finde ich fatal.
Ich finde, hier muss man in der Tat sehen, dass die Gefahr, dass das Wettrüsten wieder beginnt, gegeben ist
und dass wir alles dafür tun müssen, um das zu verhindern.
({5})
Ich habe den Bundesaußenminister immer unterstützt,
wenn er gesagt hat, es gebe jetzt neue Abrüstungsinitiativen aus Deutschland. Das war überfällig, und ich begrüße diese Ankündigung sehr. Was ist das eigentlich
noch wert, nachdem Indien bei der Nuclear Suppliers
Group unter dem Vorsitz Deutschlands den Blankoscheck bekommen hat? Ich finde, das ist der Totalabsturz der Glaubwürdigkeit der deutschen Abrüstungspolitik.
({6})
Herr Minister, ich erinnere daran, was Sie 2006 auf
dem Abrüstungskongress der SPD dazu gesagt haben.
Sie haben die Aussagen al-Baradeis aufgegriffen und gesagt, wir brauchen die Übernahme von verbindlichen
Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag durch
Indien. Sie haben dann Ihre Kriterien genannt: erstens
umfassender Teststoppvertrag und Beitritt Indiens zu
diesem; zweitens Produktionsmoratorium für Spaltmaterial für Waffenzwecke; drittens Verpflichtungen zur Beschränkung und letztendlich zur Abrüstung seines Kernwaffenprogramms. Das sind die Kriterien, die Sie für
Indien genannt haben. Das entspricht übrigens weitgehend dem, was im amerikanischen Senat dazu gesagt
worden ist. Keines dieser Kriterien ist erfüllt. Trotzdem
sind Sie stolz darauf, dieses Abkommen ermöglicht zu
haben. Ich finde das sehr bedauerlich.
({7})
Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, nicht
einfach abzuwarten, mit welchen Erwartungen die neue
amerikanische Administration auf die Europäer und
auch auf Deutschland zukommt. Wir müssen unsere Erwartungen an die neue amerikanische Administration
formulieren und citissime dort auch kommunizieren, damit wir Einfluss nehmen können. Dabei geht es um mehr
als die Frage des Verhältnisses zu Russland und zu China
und um mehr als die Frage der Strategie unseres Bündnisses. Letztlich geht es um eine ganz große Wertefrage
und damit wieder um große, lange Linien. Sind wir in
der Lage, uns der Gemeinsamkeit der aufgeklärten
rechtsstaatlichen Demokratien zu vergewissern? Können
wir den Westen noch einmal neu begründen? Ich halte
dies für dringend erforderlich und wünschenswert. Sind
wir uns einig, dass die Grundlage unseres Handelns die
Bekenntnisse nicht nur allgemein zur Aufklärung, sondern ganz konkret zur Toleranz, zur Rechtsstaatlichkeit,
zur Priorisierung der Rolle und der Würde des einzelnen
Menschen und auch der Respekt vor den Erkenntnissen
der Naturwissenschaften ist? Hier sind in den letzten
Jahren die großen Zweifel aufgekommen. Diese Gemeinsamkeit der aufgeklärten westlichen Demokratien
müssen wir dringend wieder beleben. Wir werden den
Westen noch brauchen.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der
Außenminister hat, auch mit Blick auf den Konflikt im
südlichen Kaukasus, darauf hingewiesen, wie unübersichtlich die Welt geworden ist. Ohne den laufenden Prüfungen vorzugreifen, können wir heute feststellen: Es
gibt eine georgische Mitverantwortung für die Eskalation dieses Konflikts; aber russische Behauptungen, das
georgische Vorgehen sei vergleichbar mit den Anschlägen in New York und Washington am 11. September
2001, sind völlig absurd. Sie ändern vor allem nichts an
der Tatsache, dass Russlands Vorgehen in Georgien und
die Anerkennung von Südossetien und Abchasien eine
grobe Verletzung des Völkerrechtes darstellen. Besonders beunruhigend ist, dass der Einsatz militärischer
Mittel wieder zu einem Instrument russischer Nachbarschaftspolitik geworden ist und dass der Schutz russischer Bürger im Ausland als Legitimation für den Einsatz von Gewalt dient. Die Kaukasus-Krise stellt damit
eine seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht mehr
dagewesene Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in
Europa durch Russland dar. Deshalb waren die Reaktionen von NATO, EU und G 7 notwendig und angemessen. Wir konnten nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
Russland hat durch sein Verhalten international erheblich an Glaubwürdigkeit, Ansehen und Vertrauen
verloren. Zudem haben die Chancen auf mehr Pluralität
und auf innere Modernisierung in Russland einen schweren Rückschlag erlitten. Das ist kontraproduktiv für
Russlands eigene Interessen, es liegt aber vor allem auch
nicht im europäischen Interesse. Russlands Modernisierung ist ein gemeinsames Anliegen. Europa braucht ein
modernes, verlässliches, kooperativ handelndes Russland. Wir wollen mit einem Russland zusammenarbeiten, das seine Stärke im Sinne weltpolitischer Verantwortung einbringt. Stärke im 21. Jahrhundert stellen
eben nicht Kanonen und Panzer dar, sondern sie liegt in
dem Potenzial, zu internationaler Konfliktlösung beizutragen, in globaler Wettbewerbsfähigkeit, in gesellschaftlicher Attraktivität. Dazu gehören auch gleichberechtigte Beziehungen zu den Nachbarn, nicht aber eine
hegemoniale Politik eingeschränkter Souveränität. Russlands Nachbarn wollen nicht wie Vasallen behandelt
werden.
({0})
Ebenso braucht Russland den Westen, auch wenn manche in Moskau derzeit das Gegenteil behaupten.
Russland hat sich selbst immer wieder gegen neue
Trennlinien in Europa ausgesprochen. Es wird entscheidend von Russland abhängen, ob solche entstehen. Russland muss sich entscheiden, ob es Partner oder Widerpart
Europas sein möchte. Aus unserer Sicht ist klar: Es gibt
keine wünschenswerte Alternative zu starken Beziehungen, die auf Zusammenarbeit, Vertrauen, Dialog und
Achtung des Völkerrechtes sowie den Grundsätzen der
Charta der Vereinten Nationen und der OSZE beruhen.
({1})
Um wieder dorthin zurückzukommen, müssen alle vorhandenen Foren der Zusammenarbeit so intensiv wie
möglich genutzt werden.
({2})
In ihrem neuen außenpolitischen Konzept bekennt
sich Russlands Führung zu einer offenen, verlässlichen
und pragmatischen Außenpolitik, zu einer positiven
Agenda für die internationalen Beziehungen, zu konsequenter Einhaltung der Regeln und Ziele der VN-Charta
und zur Stärkung des Völkerrechts. Wir begrüßen diese
Prinzipien als Grundlage für unsere Zusammenarbeit.
Dazu muss sich die russische Außenpolitik jedoch von
altem Nullsummendenken verabschieden.
Es ist in den vergangenen Wochen wiederholt gefordert worden, als Reaktion auf das Vorgehen in Georgien
Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen. Ich glaube,
die internationalen Reaktionen haben bereits wichtige
Antworten gegeben: erheblicher Kapitalabfluss aus
Russland, aktuelle Schwierigkeiten, an westliche Investitionen und Kapital heranzukommen, und eine internationale Isolierung Russlands. Außer Nicaragua ist niemand
dem russischen Beispiel der Anerkennung Abchasiens
und Südossetiens gefolgt. Diese Isolierung hat Russland
kürzlich bei der Schanghai-Organisation besonders
schmerzhaft erfahren. Das sind, glaube ich, Beispiele,
die Moskau deutlich machen, wie sehr es die Zusammenarbeit und Partnerschaft mit dem Westen braucht.
Deshalb stellt sich für uns die Frage: Was tun bzw. was
nicht tun?
Erstens ist es vor allem wichtig, dass NATO und EU
geschlossen sind, zumal es zu weiteren Herausforderungen an unsere Geschlossenheit kommen wird. Deswegen
müssen wir vor allem innerhalb der EU unsere Positionen zur Russlandpolitik noch besser abstimmen. Dies
gilt insbesondere für den Fall, dass Russland Absprachen nicht oder nicht vollständig einhält, etwa wenn es
um den Rückzug auf die Positionen vor dem 7. August
geht. Das gilt auch für die transatlantischen Beziehungen. Wir brauchen mit der neuen amerikanischen Regierung einen kontinuierlichen Dialog zu Russland. Wir
müssen sie dazu ermutigen, die Russland-Politik als eine
eigenständige außenpolitische Herausforderung anzunehmen.
Zweitens sollten wir uns vor falschen Maßnahmen
gegen Russland hüten, wie einem G-8-Ausschluss, der
Blockade eines russischen WTO-Beitritts oder der Verschärfung des Visaregimes. Wir würden damit nur unserem eigenen Ziel schaden, durch Zusammenarbeit den
Wandel in Russland zu erreichen. Gerade die Menschen
in Russland, die sich heute unter erschwerten Bedingungen für mehr Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, müssen wir jetzt umso stärker unterstützen.
({3})
Drittens. Ziel muss bleiben, Russland in ein Netz
gemeinsamer Sicherheit und wirtschaftlicher Zusammenarbeit einzubinden. Das gilt für die EU-RusslandZusammenarbeit und ebenso für die NATO-RusslandBeziehungen. Die NATO ist kein Instrument zur Einkreisung Russlands,
({4})
sondern eine demokratische Organisation, um bestehende Sicherheitsherausforderungen in Europa zu bewältigen.
({5})
Das gilt auch für die NATO-Politik der offenen Tür.
Auch die Ukraine und Georgien haben, wie jeder souveräne Staat in Europa, das Recht, unter Achtung des
Völkerrechts und gutnachbarschaftlicher Beziehungen,
der NATO beizutreten, wenn die Voraussetzungen dafür
erfüllt sind. Wenn sie erfüllt sind, werden sie Mitglieder
der NATO werden.
({6})
Es ist wichtig, dass Russland konsequenter als bisher
auf den Iran einwirkt, um in unserem gemeinsamen Sicherheitsinteresse auf diplomatischem Wege eine Bedrohung durch iranische Nuklearwaffen und eine wachsende Proliferation im Nahen und Mittleren Osten zu
verhindern.
Zudem sollten wir uns um neue gemeinsame Mechanismen für multilaterales Peacekeeping im Südkaukasusraum bemühen. Das wird übrigens ein wichtiger
Testfall sein, wieweit eine abgestimmte Nachbarschaftspolitik zwischen der EU und Russland möglich ist. Denn
wachsende Berührungen im postsowjetischen Raum sind
eine Realität. Die Gefahr von Bipolarität und Antagonismus in dieser Region gemeinsamer Nachbarschaft muss
vermieden werden.
Viertens. Über die Wiederaufbauhilfe für Georgien
hinaus muss die Zusammenarbeit mit der SchwarzmeerRegion und den Kaukasus-Staaten erheblich intensiviert
werden. Das gilt insbesondere für die Ukraine, auch
wenn diese es durch überflüssige Machtspiele in der
Koalition schwer macht. Ziel muss eine demokratische,
rechtsstaatlich gefestigte und wirtschaftlich prosperierende Region sein, die als attraktives Zukunftsmodell
Ausstrahlung auf ihre Nachbarschaft haben wird.
({7})
In den letzten Wochen haben die Reaktionen der Länder
des Kaukasus und Zentralasiens gezeigt, dass der Wettbewerb dort mit Russland um die besseren politischen
und wirtschaftlichen Lösungen für uns lohnenswert ist.
Fünftens. Die Europäische Union muss jetzt endlich
die vor mehr als einem Jahr beschlossene gemeinsame
Energieaußenpolitik in die Praxis umsetzen. Wir brauchen eine Strategie dazu, wie wir unsere Energieversorgung sicherstellen wollen. Russland hat eine gesamteuropäische Energiestrategie; die EU hat sie nicht. Das
können wir uns nicht länger leisten.
({8})
Wir brauchen eine europäische Energiesicherheitsunion,
die bei Versorgungsproblemen eines Mitglieds solidarisch füreinander einsteht. Dazu ist es erforderlich, dass
die Mitgliedstaaten vernetzt sind und gleiche Bevorratungsstandards einhalten.
In der Energiezusammenarbeit mit Russland sollte
noch viel stärker der Grundsatz der Reziprozität gelten.
Das westliche Know-how kann dafür von uns als ein
politisches Instrument genutzt werden. Zugleich muss
die EU alles unternehmen, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu begrenzen. Nabucco ist eine echte
Alternative. Deshalb muss dieses Projekt jetzt auch mit
aller Entschiedenheit vorangetrieben werden. Ich sage
aber auch: Wer als Vergeltungsmaßnahme gegen Moskau die Ostseepipeline infrage stellt, muss erst einmal
schlüssig nachweisen, woher die EU stattdessen die
Energieversorgung nehmen will, die durch diese Pipeline ermöglicht wird.
Sechstens. Der Schlüssel zu Russlands Zukunft liegt
in seiner inneren Entwicklung. Es geht nicht nur um eine
wirtschaftlich-technische, sondern auch um die gesellschaftliche Modernisierung dieses riesigen Landes. Für
jedes seiner immensen inneren Probleme - Demografie,
wachsendes Wohlstandsgefälle, Gesundheit, aber auch
wachsende Gewalt und Xenophobie - braucht Russland
innere Kohärenz und eine starke, aktive, moderne Zivilgesellschaft, die nicht vom Staat gelenkt wird, sondern
sich von unten entfalten kann. Deswegen sollte die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit zunehmend zum
Kernbereich unserer Beziehungen zu Russland werden.
({9})
Siebtens. Nicht zuletzt sollten wir den Dialog über
das Werteverständnis offensiv angehen, vor allem mit
denjenigen Kräften in Russland, mit denen er besonders
schwierig ist. Russland und die EU haben sich auf die
universellen Werte des Europarates verpflichtet. Deswegen müssen wir in klarer, aber angemessener Form die
Einhaltung dieser Werte immer wieder einfordern. In
Wertefragen kann es keine Kompromisse geben.
({10})
Russland sei „aus der Kälte zurückkehrt“, hat Präsident Medwedew kürzlich in seiner Berliner Rede gesagt.
Der Wandel begann erst vor rund 20 Jahren mit Glasnost
und Perestroika. Der Zusammenbruch der Sowjetunion
- das sollten wir unseren russischen Partnern immer
wieder sagen - war für Russland keine Tragödie, sondern die historische Chance für einen Neubeginn auf
dem Weg zu einem demokratischen und modernen Staat.
Russland sollte diese Chance nicht verspielen, und wir
sollten Russland in unserem eigenen Interesse dabei unterstützen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin
Monika Knoche.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Ich komme zuerst auf Georgien zu sprechen.
Staatspräsident Saakaschwili hat den Krieg in Südossetien begonnen. Er hat unter dem Schutz der USA eine internationale Krise heraufbeschworen, in deren Zentrum
heute bedenkliche neue antirussische Reflexe stehen.
Es ist offenkundig, dass die NATO-Expansionsstrategie für die georgische Primäraggression ursächlich ist.
Militärische Aufrüstung und jetzt Wiederaufrüstung
durch den Westen sowie das Versprechen der Aufnahme
in die NATO waren das zentrale Motiv für Saakaschwilis
Angriff auf russische Friedenstruppen und gegen die eigene Bevölkerung. Diese Wahrheit sei hier noch einmal
ausgesprochen, gerade weil verantwortungsblinde Politiker eine neue Ära des Kalten Krieges herbeireden
wollen. Deutschland muss an gutnachbarschaftlicher
Kooperation mit Russland arbeiten und darf den neokonservativen Kreisen, die auf Konflikt und Konfrontation
mit Russland setzen, nicht nachgeben.
({0})
Das gilt für die Raketenabwehrbasis und für das Radarabwehrsystem in Osteuropa.
({1})
Dem Kriegsauslöser Georgien die NATO-Mitgliedschaft
zu versprechen, den NATO-Rat damit zu befassen, Russland durch die Ausweitung der NATO auf die Ukraine
weiter einzukreisen und der Umstand, dass die Ukraine
kriegstauglicher gemacht wird, das kann nur als nachträgliche Belohnung für den kriegsauslösenden Überfall
verstanden werden, um das einmal klar zu sagen.
({2})
Von Russland wird das als Brüskierung aufgefasst.
Diese Auffassung kann man teilen oder auch nicht. Jedenfalls muss jeder verantwortlich handelnde Politiker
und jede verantwortlich handelnde Politikerin das in die
eigene Politik einbeziehen. Wer das nicht tut, will bewusst provozieren und mit dem Feuer spielen. Ich plädiere für hochverantwortungsvolle Politik gegenüber
Russland. Deshalb sage ich: Weder die Ukraine noch
Georgien dürfen in die NATO aufgenommen werden.
Das würde den Frieden nicht sicherer machen.
({3})
Es liegt nicht im deutschen Interesse und dient nicht
der europäischen Friedens- und Sicherheitspolitik, wenn
Konfrontation und nicht Entspannungspolitik und Abrüstung die Ostpolitik kennzeichnen. Gerade wenn es
um die Energiesicherheit geht - das macht den Kaukasus
und die Transitwege des kaspischen Öls so bedeutsam -,
können militärische Macht und militärisch gestützte Zugriffsbefugnisse der NATO nicht die friedenssichernden
Antworten auf die Ressourcenfrage sein.
Deutschland hat gut daran getan, im aktuellen Kaukasus-Konflikt gemeinsam mit Sarkozy einen Weg der Objektivierung zur Lösung der Krise zu beschreiten. Alle
Fakten dieses Krieges müssen auf den Tisch. Dazu ist
die OSZE befähigt. Sie muss aber auch gestärkt werden.
Gerade weil sich die NATO immer mehr in europäische
Fragen hineindrängt, muss Deutschlands Aufgabe darin
bestehen, die UN und die OSZE zu stärken. Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa mit Russland, das ist die
Alternative zur Einkreisung Russlands durch die NATOExpansion.
({4})
Es gilt, dem NATO-Weltordnungsanspruch eine Absage
zu erteilen.
Russland muss aber auch deutlich kritisiert werden.
Nicht der militärische Gegenschlag in Südossetien war
völkerrechtswidrig,
({5})
wohl aber die Bombardierung georgischer Städte und die
Truppenpräsenz in Georgien. Völkerrechtswidrig ist und
bleibt die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens.
({6})
Dass Moskau hierfür die ebenfalls völkerrechtswidrige
Anerkennung des Kosovo durch über 40 Staaten der
Welt, maßgeblich des Westens, als Referenz heranzieht,
ist in der Tat unlauter.
({7})
Wahr ist aber auch: Hätten Deutschland, andere EU-Mitgliedsstaaten und die USA den Völkerrechtsbruch im
Falle des Kosovo nicht begangen, gäbe es den Präzedenzfall nicht. Dann wäre ihre harte Position gegenüber
Russland zumindest glaubwürdig.
({8})
Niemand, der für die Anerkennung des Kosovo das
Schleifen des Völkerrechts in Kauf genommen hat, kann
heute mit dem moralischen Zeigefinger auf Russland
zeigen. Das Unverzeihliche daran ist, dass das Völkerrecht und die UN die wahren Verlierer sind. Dazu hat
auch der Westen beigetragen. Die Linke hat als einzige
Partei vor dem Präzedenzfall Kosovo gewarnt und auf
die eingefrorenen Territorialkonflikte, zum Beispiel im
postsowjetischen Raum, hingewiesen. Es schmerzt sehr,
hier recht behalten zu haben, sind es doch Tausende
Menschen, die aus Südossetien fliehen mussten, die dem
Grauen des Krieges ausgesetzt waren, die ihr Zuhause,
ihre Familien oder gar ihr Leben verloren haben.
Alle politischen Anstrengungen müssen jetzt in einem
münden: Zurück zum Völkerrecht um des friedlichen
Zusammenlebens der Völker willen.
Als Völkerrechtspartei sieht die Linke mit Sorge,
({9})
wie das Gewaltmonopol der UN immer häufiger umgangen wird. Die EU soll entsprechend dem Lissabon-Vertrag aufgerüstet werden, um ohne UN-Mandat weltweit
Ressourcensicherung betreiben und exterritorial präventiv tätig werden zu können.
({10})
- Was regt Sie eigentlich auf? Ich habe hier in diesem
Parlament ganz klar unsere Position zum Kosovo vorgetragen. Wir klagen vor dem Verfassungsgericht gegen
die Präsenz deutscher Soldaten im Kosovo. Was haben
Sie an der Position, die ich hier vertrete, auszusetzen?
Ich kritisiere Russland für völkerrechtswidriges Handeln. Sie haben gar keine Grundlage für eine Argumentation gegen Russland, weil primär Sie und auch die
FDP mit der Anerkennung Kroatiens unter Genscher begonnen haben, den Nationalismus in Europa wieder salonfähig zu machen. Bleiben wir doch bei den Fakten!
({11})
- Um ihn davon abzuhalten und ihn zu bitten, die UNTruppen ins Land zu lassen. Bitte, bleiben Sie bei der
historischen Wahrheit!
Es wird Ihnen nicht gelingen, die Linke hier zu diskreditieren. Wir haben eine stringente Position, und die
vertreten wir in jeder Sache. Wir sind nicht des einen
Freund und des anderen Feind. Wir haben eine sehr neutrale und objektive Haltung gegenüber Russland.
({12})
Ich komme zu einem anderen wichtigen Thema, das
uns und die deutsche Bevölkerung sehr beschäftigt. Es
ist das verhängnisvolle Wort - es wurde unter rot-grüner
Regierung gesprochen - von der bedingungslosen Solidarität mit den USA, als es darum ging, Deutschland in
einen Krieg nach Afghanistan zu schicken. Der Einsatz
der OEF wird vom deutschen KSK unterstützt. Er war
von Anfang an von keinem UN-Sicherheitsratsbeschluss
gedeckt. Immer lauter wird gefordert, dass der ISAFEinsatz der NATO mit dem OEF-Einsatz zusammengelegt wird. Das bedeutet in der Tat nichts anderes als eine
Ausweitung des Krieges.
Dieser Krieg gegen den Terror bringt eines hervor:
Terror und Tod. Nach sieben Jahren sehen wir an der täglich wachsenden Zahl der Anschläge, wie verheerend die
Sicherheitslage ist und wie stark der Fundamentalismus
wächst. Die NATO schließt Allianzen mit lokalen
Kriegsherren. Drogenbarone haben ungebremste Macht
und Einfluss und halten die Bauern unter ihrer Knute.
Die Regierung ist korrupt, die Hilfsgelder versickern in
dunklen Kanälen oder gehen gleich an die Geberländer
zurück.
({13})
Es herrschen Hunger und eine Müttersterblichkeit unvorstellbaren Ausmaßes, Schulen stehen leer, Mädchen
werden verkauft, Bin Laden ist nicht gefasst. Ich könnte
die Aufzählung weiterführen.
({14})
Das ist die verheerende Bilanz von sieben Jahren Krieg
in Afghanistan. Das ist nicht unser Krieg. Das ist der falsche Krieg. Krieg ist das falsche Mittel. Mit Krieg kann
man Terror nicht bekämpfen. Deshalb sagen wir heute
umso deutlicher: Deutsche Soldaten müssen heraus aus
Afghanistan!
({15})
Wenn Sie jetzt weitere 1 000 Soldaten dort hinschicken wollen,
({16})
dann heißt das nicht anderes, als dass wir immer tiefer in
einen Krieg der NATO verstrickt werden, wobei es auch
um die NATO-Präsenz in Zentralasien geht.
({17})
Das soll hier niemand schönreden. Bei der Präsenz der
NATO, die ja angeblich nicht scheitern darf, geht es gar
nicht um Afghanistan, sondern um den Einfluss der
NATO im erdölreichen Raum Zentralasien. Wir müssen
uns damit befassen, dass sich Deutschland in eine
NATO-Strategie begeben hat, sich von US-amerikanischen Interessen nicht emanzipiert und nicht den friedenssichernden Weg geht, sondern der Militarisierung
das Wort redet. Diese Ausrichtung deutscher Außenpolitik im Rahmen der NATO und der transatlantischen Beziehungen lehnen wir ab. Wenn der nächste US-Präsident gewählt sein wird, werden wir sehen, dass er mehr
Engagement in Afghanistan fordern wird. Dann will ich
sehen, ob Sie noch das Rückgrat haben, das zu verweigern.
({18})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Knoche, wenn man etwas für sich in Anspruch
nimmt, muss man immer aufpassen, dass man es anderen
nicht abspricht. Wenn Sie sagen, die Linke sei die Völkerrechtspartei, ist das die gleiche arrogante Anmaßung,
wie sie die CSU gerade pflegt, wenn sie in Bayern plakatiert: „Bayern wählen“. Es gibt Bayern, die wählen nicht
CSU,
({0})
und es gibt in diesem Hohen Hause viele Mitglieder anderer Parteien, die sich nachdrücklich und ausdrücklich
zum Völkerrecht bekennen.
({1})
Gelegentlich hat man sogar aus den Reihen der Regierungsparteien die Warnung gehört: Wenn der Kanzlerkandidat der SPD, der Außenminister, und die Kanzlerin in einen Wettkampf treten, dann kann dabei keine
gemeinsame Außenpolitik herauskommen. - So habe jedenfalls ich Herrn von Klaeden verstanden. In einem
Punkt muss man ihm widersprechen: Gelegentlich sind
sich beide einig. Sie waren sich zum Beispiel einig, als
es um den US-Indien-Atomdeal ging. Sie haben ein
Pferd, das totgeritten war und schon über dem Zaun
hing, vom Zaun heruntergenommen und durch das Ziel
getragen. Alle Welt wartete auf das Ende der Bush-Administration. Aber was machte Deutschland in der
Nuclear Suppliers Group? Deutschland, das derzeit den
Vorsitz hat, hat nicht etwa ein Veto eingelegt, sondern
die Länder, die dagegen waren, zum Beispiel Irland und
Norwegen, massiv unter Druck gesetzt
({2})
und diesen Deal durchgewunken.
({3})
Die Behauptung, dies sei ein Mehr an Kontrolle bei
der Rüstungsverbreitung, ist falsch. Lieber Frank-Walter
Steinmeier, überlegen Sie einmal, was es bedeuten
würde, wenn der Iran erklärte: Zwei Drittel unseres
Nuklearbestandes lassen wir euch kontrollieren, aber das
letzte Drittel dürft ihr euch nicht ansehen.
({4})
Das entspräche der Vereinbarung, die Sie mit Indien getroffen haben. Sie beliefern Indien nun mit Atommaterial und Uran. Das ist kein Gewinn, sondern ein Verlust
an Rüstungskontrolle. Das ist ein Anschlag auf alle Bemühungen für mehr Rüstungskontrolle. Aus diesem
Grunde kritisieren wir das.
({5})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Polenz?
Bitte.
Herr Trittin, ist Ihnen bekannt, dass der Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation, alBaradei, den USA-Indien-Deal im Hinblick auf die Stärkung des NVV als Fortschritt bewertet, und wie erklären
Sie diesen Widerspruch zu Ihren Aussagen?
Lieber Kollege Polenz, das ist mir bekannt. Ich habe
mit Herrn al-Baradei schon bei verschiedenen Gelegenheiten darüber diskutiert. Dass man einen Teil des indischen Nuklearprogramms kontrollieren kann, ist natürlich ein Fortschritt.
({0})
Dass Indien aber weiterhin die Gelegenheit hat, bestimmte Teile dieses Programms der Kontrolle zu entziehen, indem zivile zu militärischen Bestandteilen erklärt
werden, wodurch die Kontrolle ins Leere läuft, bestreitet
auch al-Baradei nicht.
Die Alternative zu dem von Ihrer Regierung abgesegneten Deal liegt auf der Hand. Indien hatte bei der nuklearen Stromproduktion einen akuten Versorgungsengpass
und war darauf angewiesen, mit Uran beliefert zu werden. Sie haben es versäumt, das auszunutzen. Deswegen
ist und bleibt das, was Sie getan haben, im Hinblick auf
das Abrüstungsregime ein Rückschritt. Hier hat die
Große Koalition einen großen Fehler gemacht.
({1})
Gelegentlich kann man den Eindruck haben - hier
gebe ich Herrn von Klaeden recht -, als gäbe es nicht
eine deutsche Außenpolitik, sondern mehrere deutsche
Außenpolitiken. Die eine ist für den Dalai-Lama, der andere für die chinesische Regierung zuständig. Was Syrien angeht, so streitet der Außenminister für eine Öffnung, und die CDU/CSU kritisiert ihn dafür. Ich würde
Sie gerne fragen: Wie ist eigentlich die Position der
Regierung zur Stationierung weiterer US-Raketen in Europa? Auch in dieser Frage hat die Regierung keine konsistente und einheitliche Position.
Als wäre diese Dissonanz zwischen der Kanzlerin
und dem Vizekanzler noch nicht genug, gibt es auch
noch Streitigkeiten zwischen den Koalitionsparteien,
teilweise sogar innerhalb der Koalitionsparteien. Ich erinnere mich noch gut daran, was los war, als es um das
unselige, im Geiste Carl Schmitts geschriebene Strategiepapier der CDU/CSU zur Sicherheitspolitik ging. Der
Staatsminister hat vernichtende Kritik an diesem Papier
geübt. Fairerweise muss ich an dieser Stelle aber sagen,
dass ihm der Kollege Polenz dafür wohl im Hintergrund
und still Beifall zollte.
Ein anderes Beispiel sind die unterschiedlichen Positionen von Herrn von Klaeden und Herrn Schockenhoff.
Herr von Klaeden ist einer derjenigen, die McCains Vorschläge hinsichtlich einer Allianz der Demokraten und
eines Ausschlusses Russlands im Zweifelsfall zumindest
verständlich finden, während der Russlandversteher
Schockenhoff hier und heute eine Rede gehalten hat, zu
der ich sagen muss: Im Vergleich dazu waren die Bemerkungen des Kollegen Gysi geradezu russlandkritisch.
({2})
Ich glaube, diese konzeptionellen Widersprüche machen Sie als Große Koalition auch an einem anderen
Punkt außerordentlich schlecht handlungsfähig, und zwar
wenn es um elementare Interessen der Bundesrepublik
Deutschland geht und diese Interessen gegebenenfalls
im Konflikt mit anderen und insbesondere im Konflikt
mit den Vereinigten Staaten diskutiert, durchgestanden
und vertreten werden müssen. Dann nützt es nichts, nach
Obelix’schem Vorbild das eine oder andere Wildschwein
gemeinsam zu verspeisen. Es war doch keine Bagatelle,
die zu dem Widerspruch zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und Frankreich auf der einen und den USA
auf der anderen Seite geführt hat. Vielmehr war es eine
strategisch unterschiedliche Vorstellung darüber, wie
man in einer multipolar gewordenen Welt künftig für Sicherheit sorgen soll, ob über ideologisch motivierte
Kriege gegen den Terrorismus oder über den Aufbau
multilateraler Strukturen und Systeme gegenseitiger Sicherheit. Das war der Konflikt, den wir um und mit dem
Irakkrieg ausgetragen haben.
Schauen wir uns einmal die Konflikte an, die in diesen Tagen bis vor unsere Haustür ausgetragen werden.
Ich gebe dem Außenminister recht, dass es eine große
Leistung der Europäischen Union gewesen ist, diesen
Konflikt beendet zu haben. Wir sind vollkommen damit
einverstanden, wie sie dabei agiert hat. Das eigentliche
Problem begann aber nicht mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten; das eigentliche Problem dieses Konflikts begann vorher.
({3})
Wie konnte es eigentlich passieren, dass wir als Europäer zugelassen haben, dass direkt vor unserer Haustür
- sozusagen im eigenen Patio - ein Kampf um Einflusssphären stattfindet, anstatt des Aufbaus einer Nachbarschaft und verlässlicher Strukturen gemeinsamer Sicherheit?
({4})
- Wenn Sie das Wort „Patio“ nicht verstehen, dann kann
ich das auch auf Deutsch übersetzen, liebe Kollegen.
Patio heißt Innenhof.
({5})
Das Problem bleibt aber doch: Wollen wir als Europäer tatsächlich zulassen, dass ein Streit über Einflusssphären zu unseren Lasten in der Form ausgetragen
wird, wie es im Konflikt zwischen Russland und
Georgien passiert ist? Welche Signale setzen wir daraufhin? Setzen wir das Signal, wie es de Hoop Scheffer dieser Tage getan hat, dass derjenige, der einen Krieg angefangen oder zumindest provoziert hat, anschließend
dafür auch noch belohnt wird, oder verabschieden wir
uns endlich von einer Politik der Einflusssphären und
kommen zurück zu den gemeinsamen Grundüberlegungen des Hauses Europa und einer gegenseitigen Sicherheit? Das ist doch die Herausforderung.
({6})
Es gibt weitere Beispiele der Konfliktunfähigkeit.
Eine Agenda des vorsätzlichen Regimesturzes im Iran
und der Versuch, mit diesem Regime zu einer Vereinbarung zu kommen, gehen nicht zusammen. Man muss
sich entscheiden und gegenüber solchen Hardlinern, die
nicht eine Verhinderung des Atomprogramms, aber einen Regimewechsel betreiben wollen, Klartext reden.
Ich glaube, über Afghanistan werden wir noch viele
Debatten führen. Lieber Frank-Walter Steinmeier, wenn
Sie für einen Strategiewechsel in Afghanistan eintreten,
dann frage ich Sie, was denn gerade in Pakistan passiert. In Pakistan wird nicht die Strategie gewechselt; in
Pakistan bauen die USA jene Strategie aus, die in Afghanistan spektakulär gescheitert ist. Das ist das Problem.
Sie können doch nicht sagen: Kritisiert uns doch nicht
dafür, was andere tun! - Die USA operieren dort nicht
alleine. Es handelt sich, liebe Völkerrechtspartei, um einen durch die Vereinten Nationen mandatierten Einsatz
der NATO. Ein NATO-Mitglied wiederholt in Pakistan
alle Fehler, die es im Vietnamkrieg schon einmal gemacht hat, und Sie sagen: Das geht uns nichts an. Darüber müssen wir uns nicht auseinandersetzen. - Ich
sage: Das geht uns sehr viel an,
({7})
weil davon abhängt, ob die Ziele, die der Sicherheitsrat
dieser Koalition vorgeschrieben hat, zum Beispiel der
Aufbau stabiler Verhältnisse in Afghanistan, tatsächlich
umgesetzt werden. Deswegen kann und darf eine deutsche Regierung zu dem in Pakistan durch die USA praktizierten Völkerrechtsbruch nicht schweigen. Hier
tauchen Sie regelmäßig ab. Das ist der große und grundlegende Fehler Ihrer Außenpolitik.
({8})
Nächster Redner ist nun der Kollege Walter Kolbow
für die SPD-Fraktion.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!
Lieber Herr Kollege Trittin, neben nicht wenigen anderen hier im Raum habe auch ich den Eindruck, dass auch
Sie schon im Wahlkampf sind und deswegen natürlich
besonders auf das Gaspedal drücken. Das ist erlaubt, und
es ist eine Freude, sich mit Ihnen auseinanderzusetzen.
Sie kennen Koalitionsverträge und die Abläufe in Koalitionen, und Sie wissen genau, dass sich diese Koalition,
dieser Außenminister und diese Frau Bundeskanzlerin
bei der Außenvertretung unserer nationalen und der internationalen Interessen nicht übertreffen lassen.
({0})
Wir haben das Abkommen zwischen Indien und den
USA über die nuklearen Entwicklungen intensiv stu18692
diert. Auch wir haben natürlich Bedenken, aber ich sage
Ihnen, dass ein Kompromiss, wonach 75 Prozent der
Nukleartätigkeit der Kontrolle unterzogen werden, besser ist als das blanke Chaos ohne Kontrolle.
({1})
Wir haben erreicht, was möglich war. Dieses Thema
muss aber weiterhin auf der Agenda stehen. International muss darum gerungen werden, dass der Atomteststoppvertrag wieder zu dem Maßstab gemacht wird, der
er sein soll und muss, um international zu vertretbaren
und gerechten Verhältnissen für diejenigen zu kommen,
die ihn unterzeichnet haben. Wir müssen zudem auf diejenigen einwirken, die ihn noch nicht unterzeichnet haben, für die es aber höchste Zeit wird.
({2})
Im Übrigen ist es auch wichtig - das sage ich in Richtung des verehrten Koalitionspartners -, unsere Positionen im Inland, also bei uns, gemeinsam zu vertreten und
keinen halben Außenminister, wie gestern das Handelsblatt titelte, zuzulassen. Herr Kollege zu Guttenberg, Sie
sind ja gleich an der Reihe und können dazu auch einmal
etwas sagen; denn ich bin immer dafür, am Ort der Auseinandersetzung Ross und Reiter zu nennen und sich
nicht über diese in der Tat auch wichtigen Blätter einzulassen. Kehren Sie also zurück zu einer vernünftigen Gemeinsamkeit; die Sache verdient es, und der Außenminister allemal.
({3})
Herr Außenminister, ich gratuliere Ihnen im Übrigen
zu den strategischen Linien. In der SPD-Fraktion, in Ihrer Fraktion, finden Sie personell und inhaltlich einen
Resonanzboden. Ich gehe davon aus, dass die verantwortungsbewussten Fraktionen hier im Deutschen Bundestag
- alle außer einer, versteht sich - bereit sind, sich mit Ihnen einzulassen und mit uns darüber zu diskutieren, wie
das von den Kollegen Hoyer, Trittin und Schockenhoff
gerade verantwortungsbewusst getan wurde. Ein Streit
lohnt sich allemal, aber es muss ein Ergebnis herauskommen, das Deutschland nützt und durch das die inhaltlichen Werte und Interessen der Außenpolitik repräsentiert werden.
({4})
Ich stimme den Rednerinnen und Rednern zu, die gesagt haben, dass wir sehr betrübt sein müssen, dass es
überhaupt zu der Georgienkrise gekommen ist. Obwohl
die Hängepartie seit 1992 bestand, waren wir nicht in der
Lage, Stabilität zu entwickeln, sodass die Ereignisse an
diesem 8. August 2008 hätten vermieden werden können. Das muss uns ernsthaft beschäftigen. Bei allem Lob
an die Europäische Union: Wir müssen zu einer internationalen Behandlung des Konflikts kommen. Die Konferenz, die für den 15. Oktober 2008 in Genf vorgesehen
ist, muss so vorbereitet werden - möglicherweise müssen auch Nachfolgekonferenzen stattfinden -, dass über
die Internationalisierung eine regionale Stabilität erreicht wird, die mit der Friedensfähigkeit der Beteiligten
verbunden ist. Die Aufgaben der Europäischen Union,
die Konfliktlinie nach einem Rückzug Russlands aus
dem kerngeorgischen Gebiet und der Pufferzone zu
überwachen sowie den wirtschaftlichen Aufbau Georgiens und eine umfassende, von mir gerade angesprochene Regionalpolitik mitzugestalten, gehören ganz
oben auf die Agenda.
Mich hat sehr beeindruckt, was in der heutigen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom Dekan der Fakultät
für Internationale Beziehungen, David Aprasidze, geschrieben worden ist. Für mich ist es wichtig, das hier zu
zitieren. Er schreibt:
Georgien muss als moderner, westlicher Staat überleben. Es geht jetzt nicht mehr um Saakaschwili
und seine Regierung. Es geht auch nicht mehr um
Konflikte mit Südossetien und Abchasien. Es geht
um eine Frage, die für viele Nationen in der Welt
von höchster Relevanz ist, vor allem für diejenigen
auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion: Welchen
way of life wollen sie, und dürfen sie souverän darüber entscheiden?
Dabei müssen wir Georgien helfen.
Wir müssen auch der Ukraine dabei helfen.
({5})
- Kollege Grund, Sie wissen darüber wie Frau Kofler
sehr gut Bescheid. - Aber die Ukraine muss sich auch
selber helfen. Sie muss ihre inneren Spaltungen überwinden und aus Gründen der nationalen Bedeutung endlich zur konstruktiven Gemeinsamkeit in ihrem eigenen
Land kommen.
({6})
Die SPD-Bundestagsfraktion - ich gehe davon aus,
dass dies auch für andere gilt - wird Delegationen in
diese, aber auch in andere Länder schicken, die in diese
Konflikte eingewoben und davon betroffen sind. Wir
wollen auch nach Schweden fahren. Ich hoffe nicht,
dass Carl Bildt seine eigene Agenda über die politische
stellt. Es ist schon interessant, zu sehen, dass sich dort
gegen die Ostseepipeline Gegner formiert haben, die mit
solchen Konflikten in Zusammenhang gebracht werden.
Manchmal denke ich, das beste NATO-Mitglied für diejenigen, die dort ihre Interessen verfolgen, nämlich die
Vereinigten Staaten von Amerika, ist das Nicht-NATOMitglied Schweden. Auch dies müssen wir aufzuarbeiten versuchen.
Der Beitrag Deutschlands auf dieser internationalen
Konferenz mit dem Außenminister und der Kanzlerin
wird zeigen, dass wir stabil genug sind, die Sache in den
Mittelpunkt zu stellen und den Wahlkampf hintanzustellen. Die Zeit bis zur Wahl wird eh immer kürzer. Juli,
August und September geht es richtig los. Franz
Müntefering ist gerade mitten unter uns.
({7})
Ich will in der verbleibenden Zeit darauf hinweisen
- gleich wird mich Kollege Weisskirchen für die SPDFraktion bewährt ergänzen -, dass wir über das AfghaWalter Kolbow
nistan-Mandat - darin stimme ich Kollegen Trittin zu noch sehr viel diskutieren müssen. Diese Arbeit müssen
wir auf der Grundlage leisten, dass das, was wir bisher
getan haben, richtig ist. Dieses Mandat muss natürlich
aufgrund unserer Erfahrungen modifiziert werden.
Wichtig ist, dass wir die Afghaninnen und Afghanen
nicht alleinlassen können. All das, was auf afghanischer
Seite von Autoritäten und Zuständigkeiten bei der Koordinierung, aber auch auf internationaler Ebene an Fehlern gemacht worden ist, muss aufgearbeitet werden.
Wir müssen schauen, was andere bisher falsch gemacht
haben, und ihnen in geeigneter Weise sagen, wie wir verhindern können, dass Menschen bei diesen schlimmen,
aber manchmal notwendigen Auseinandersetzungen zu
Schaden kommen. Wir werden die Debatten um Afghanistan inhaltlich zu führen haben, und zwar konstruktiv
und mit dem Willen, in der internationalen Gemeinschaft
unsere Rolle zu spielen und das Problem einer Lösung
zuzuführen.
Ich danke.
({8})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Jürgen
Koppelin.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal finde ich es sehr erfreulich, dass es in
der heutigen Diskussion zum Einzelplan 05 eine sehr
große Übereinstimmung der Fraktionen der Sozialdemokraten, von Bündnis 90/Die Grünen, Union und auch der
FDP in der Außenpolitik gibt.
({0})
Das halte ich nicht nur für die Arbeit des Bundesaußenministers, sondern auch für das Auswärtige Amt und
seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für wichtig.
Erlauben Sie mir an dieser Stelle eine ganz persönliche Bemerkung. Ich habe bewusst die Linken nicht mit
eingeschlossen, obwohl ich weiß, dass der eine oder andere sich gerne an dem Konsens beteiligen würde. Ich
bin froh darüber, dass ich in meiner Fraktion immer die
Möglichkeit gehabt habe, zu begründen, warum ich nicht
für den Afghanistan-Einsatz bin. Wir tauschen die Argumente aus. Aber so, wie Sie argumentieren, Kollegin
Knoche - das muss ich leider feststellen -, schämt man
sich fast, so abgestimmt zu haben. Ich sage Ihnen ganz
offen: So geht es nicht. Ich habe immer Respekt vor denjenigen gehabt, die zu einer anderen Entscheidung gekommen sind, weil ich davon überzeugt bin, dass es in
der Frage des Afghanistan-Einsatzes kein Schwarz-Weiß
gibt. Insofern fand ich Ihren Beitrag ausgesprochen
peinlich. Ich weiß, dass andere dies besser könnten. Ihre
Fraktion sollte sich überlegen, ob Sie bei solchen Themen noch einmal ans Rednerpult geschickt werden.
({1})
Unsere Botschaften und Generalkonsulate - wir haben weltweit 148 Botschaften, 53 Generalkonsulate und
15 Konsulate - arbeiten hervorragend. Trotzdem ist
- das liegt zum Teil daran, was in der Vergangenheit in
Ihrem Amt gelaufen ist, Herr Bundesaußenminister; ich
will an dieser Stelle nur andeuten, dass dafür ein Staatssekretär zuständig war, der jetzt woanders Dienst tut bei den Botschaften Personal abgebaut worden, aus
welchen Gründen auch immer. Ich könnte sie Ihnen nennen. Es kann nicht angehen, dass in unseren Botschaften
und Konsulaten fast mehr Ortskräfte beschäftigt sind als
deutsche Mitarbeiter.
Ich will ein weiteres Beispiel nennen. Wir alle loben
Sie dafür, dass Sie sich sehr für die auswärtige Kulturund Bildungspolitik engagieren. Auch das wurde schon
mehrfach angesprochen, zum Beispiel von der Kollegin
Griefahn im Zusammenhang mit dem Etat des Bundeskanzleramts. Ihr Engagement ist zu begrüßen. Aber haben Sie auch die kleinen Botschaften vor Augen? Wer
soll sich denn in diesen kleinen Botschaften, von denen
es viele gibt, bei einer so knappen personellen Besetzung
mit der auswärtigen Kulturpolitik befassen? Sie würden
diese Aufgabe unglaublich gerne wahrnehmen, aber es
fehlt an notwendigem Personal. Insofern wäre ich sehr
dankbar, wenn Sie bei dem, was Sie erreichen wollen,
auch das im Blick hätten. Sie sollten sich fragen, ob das,
was Sie wollen, auch umgesetzt werden kann oder ob die
Mitarbeiter das in ihrem Tagesablauf gar nicht schaffen
können.
({2})
Ich nenne ein anderes Beispiel. Ich bitte Sie, Herr
Bundesaußenminister, bei den kommenden Beratungen
der Frage nachzugehen, ob das noch akzeptabel ist. Im
Auswärtigen Amt gibt es 150 Stellen im einfachen
Dienst, deren Besoldung beschämend ist. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn in Ihrem Haus überlegt würde,
was in diesem Bereich geändert werden kann. Die Beschäftigten sind genauso engagiert wie alle anderen. In
diesem Bereich muss dringend etwas geschehen. Das
kann nicht so bleiben.
Ich nenne noch einen anderen Bereich. Wir haben
viele Botschaften aus den 50er- und 60er-Jahren, und wir
haben viele Liegenschaften aus der ehemaligen DDR
übernommen. Hierfür müssen unglaublich schnell
enorme Mittel eingesetzt werden. Außerdem muss geklärt werden, wie wir uns in diesem Bereich engagieren
sollen, ob weiter gemietet werden soll, ob die Häuser renovierungsbedürftig sind, ob sie gekauft werden sollen.
Ich bitte Sie sehr herzlich, Herr Bundesaußenminister
- vielleicht haben Sie trotz Ihres vollen Programms die
Möglichkeit dazu -, ein ernsthaftes Gespräch mit Ihrer
Bauabteilung zu führen. Vieles geht nicht an. Ich will
das an einem Beispiel verdeutlichen. In einem asiatischen Land gibt es eine kleine Botschaft mit einem Feuerlöschteich, der aus Sicherheitsgründen dringend erweitert werden müsste. Was meinen Sie, wie viele Leute aus
der Bauabteilung schon erschienen sind, um sich diesen
kleinen Löschteich anzusehen? Es darf doch nicht wahr
sein, dass so viele Leute damit beschäftigt sind. Man
muss doch nur ein paar tausend Euro einsetzen, damit
die Erweiterung finanziert werden kann.
Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Es gibt Bürokratie noch und noch, leider auch in Ihrem Hause. Das
werfe ich Ihnen nicht vor, aber ich will Sie darauf hinweisen. Vielleicht können Sie einen Staatssekretär beauftragen, sich um diese Fragen zu kümmern.
Für wichtig halte ich vor allem, dass wir uns mit der
Besoldung unserer Mitarbeiter in den Botschaften befassen. Gerade dann, wenn sich die Konjunktur gut entwickelt, stehen wir in Konkurrenz zur Wirtschaft. Wir wollen schließlich nach wie vor gute Leute bekommen.
Hier können Sie mit unserem Engagement rechnen.
Wenn wir gute Leute haben wollen, dann müssen wir sie
auch angemessen bezahlen. Die Berichterstatter zum
Einzelplan 05 sind gerne bereit, in den Auswärtigen
Ausschuss - Herr Kollege Polenz ist heute anwesend zu kommen. Ich bitte aber um eine gute Zusammenarbeit
und darum, uns nicht zu lange warten zu lassen.
Wir sind bereit, zusammen mit Ihnen und dem Auswärtigen Ausschuss alles für die Angehörigen des Auswärtigen Dienstes herauszuholen, was geht. Nach wie
vor bin ich der Auffassung, dass der Etat des Auswärtigen Amtes im Vergleich zum Gesamtetat viel zu klein ist.
Seine großen Aufgaben spiegeln sich nicht im Etat wider.
Herzlichen Dank.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Freiherr zu
Guttenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Trittin, es ist eine Freude, von Ihnen so liebevoll bemuttert zu werden. Sie befassen sich offenbar
mehr mit einzelnen Halbsätzen und Äußerungen aus
meiner Partei als mit dem außenpolitischen Wirrwarr in
Ihrer eigenen Partei. Davon haben wir in Ihrer leider nur
wenige Minuten dauernden Rede wenig gehört. Aber das
wäre durchaus darstellbar gewesen. Vor dem Hintergrund des Hinterhofs kann man sagen: viel Patio, aber
wenig Ratio in Ihren Äußerungen.
({0})
Ich komme zu einem weiteren Thema, mit dem wir
uns dieser Tage befassen. Vielleicht sollte man Ihre hübsche Pferdemetapher, die Sie für den amerikanisch-indischen Nukleardeal benutzt haben, weiterdenken. Eine
Partei, der eigentlich etwas am Tierschutzgedanken gelegen ist, sollte auch ein Interesse an der Wiederbelebung
eines halb toten Gauls haben. Dieser Anspruch sollte
und kann erhoben werden. Die Alternative wäre im
Zweifelsfall - damit müsste man sich dann ernsthaft auseinandersetzen -, im Status quo zu verharren, trotz der
Wünsche, die Sie geäußert haben und die nicht ganz
falsch sind. Daran müssen wir weiter arbeiten.
Herr Bundesaußenminister, diese Haushaltsdebatte
gibt mir die seltene Gelegenheit, im Namen des ganzen
Hauses den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Auswärtigen Amt sowie ihren Familien für eine entbehrungsreiche und harte Arbeit von Herzen zu danken.
({1})
Ich beziehe in meinen Dank auch die Helfer im zivilen
und im militärischen Bereich ein, die im Ausland eingesetzt sind und dort die Interessen unseres Landes vertreten und das Geltendmachen des Völkerrechts unterstützen. Auch sie verdienen unseren Dank.
Im Hinblick auf das Auswärtige Amt - dort wird erstklassige Arbeit geleistet - sollten wir alle den Anspruch
erheben, die Traditionslinie aufrechtzuerhalten, wonach
die Geeignetsten und die Besten für diesen Bereich zu
finden sind. Diese Tradition sollte fortgeführt werden.
Wir sollten - das ist sowohl eine Aufgabe der Parlamentarier als auch der Bundesregierung - den Dienst weiterhin so attraktiv gestalten, dass man auch die
Geeignetsten bekommt. Hierfür müssen natürlich Mittel
bereitgestellt werden - ich greife hier auf das zurück,
was Herr Koppelin gesagt hat -, und zwar nicht nur für
den Dienst hier in Berlin, sondern auch für die Auslandsposten. Dieser Aufgabe haben wir uns alle zu stellen. Ich
glaube, wir könnten hier noch etwas mehr Kraft investieren. Es darf nicht passieren, dass der Auswärtige Dienst
keine Attraktivität mehr entfaltet. Ich glaube, er ist weiterhin attraktiv. Aber er bedarf der entsprechenden Ausstattung.
({2})
Ein weiterer auch in meinen Augen sehr wichtiger
Aspekt, den Sie, Herr Bundesaußenminister, angesprochen haben und den auch die Bundeskanzlerin heute
Morgen glücklicherweise dargestellt hat, ist die Stärkung
der auswärtigen Kulturpolitik. Das ist kein Orchideenthema, sondern ein Thema, das als gesellschaftlicher Brückenkopf weltweit unseren Interessen und der
Durchsetzung gewisser kultureller Werte, die für uns immer eine Rolle spielen, dient. Hier ist der Abwärtstrend
gestoppt worden. In den letzten beiden Jahren ist eine
leichte Aufwärtsbewegung erkennbar. Aber auch hier
darf noch mehr geschehen. Das sollten wir noch weiter
unterfüttern.
Diese Punkte und die Herausforderungen unserer
Zeit, vor denen wir stehen, sowie die großen Linien, die
heute angesprochen wurden, bedürfen weiterhin einer
Außenpolitik - Herr Kolbow, nun komme ich zu dem
von Ihnen angesprochenen Punkt; ich winde mich nicht
heraus -, die eine engstmögliche Abstimmung zwischen
den unterschiedlichen Planeten im Sonnensystem Bundesregierung gewährleistet; das ist richtig. Den einen
oder anderen parlamentarischen Meteoriteneinschlag
werden sie schon aushalten, aber eine enge Abstimmung
ist weiterhin entscheidend. Ich habe relativ wenig Sorge,
dass es allen Protagonisten in der ihnen eigenen sportlichen Eleganz auch in der derzeitigen Phase gelingt, den
Spagat zwischen gelegentlich notwendigem innenpolitischen Gemurmel und außenpolitischer Verantwortung
darzustellen.
({3})
Für das Gemurmel sorgen dann auch wir immer wieder
zuverlässig. Aber das sollte einer gewissen Gelassenheit
in dieser Frage nicht entgegenstehen.
Die nächsten zwölf Monate erfordern unabgelenkte
Aufmerksamkeit. Deswegen ist es aus unserer Sicht, sicherlich aber auch aus Ihrer, Herr Außenminister, so
wichtig, dass die Konzentration im Wesentlichen auf
dem außenpolitischen Geschehen bleibt. Keiner von uns
hat ein Interesse an einer Ausweitung der Konfliktszenarien, die heute schon angesprochen wurden, sei es der
Kaukasus, sei es der Nahe Osten, sei es Afghanistan, sei
es - hoffentlich nicht wiederkehrend - auf dem Balkan,
sei es in Teilen Afrikas oder sei es - das ist nicht nur eine
Fußnote wert - in leider wieder vergessenen Teilen
Asiens. Im Hinblick auf Asien haben wir uns in diesem
Jahr mit einem Bereich beschäftigt, der im Grunde schon
wieder gänzlich aus dem Blickwinkel verschwunden ist.
Dafür brauchen wir weiterhin eine starke, vernehmbare Stimme im manchmal doch - das wird sich leider
nie ganz verhindern lassen - polyphonen europäischen
Konzert, gerade auch gegenüber dem einen oder anderen
zu Hyperaktivität neigenden Nachbarn in Europa. Da
wird unsere Stimme von hohem Gewicht sein. Das gilt
gerade vor dem Hintergrund weiterhin schwelender kleinerer, aber manchmal auch größerer Friktionspotenziale,
die von näheren und ferneren Partnern gerne für ihre Interessen in Anspruch genommen werden. Die Bundesrepublik Deutschland, aber auch Europa sollte diesen Interessen keinen Vorschub leisten.
Wenn wir als starke und vernehmbare Stimme gehört
werden wollen, müssen wir in der Lage sein, zusammenzuführen. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand
hervorgehoben werden, dass es dieser Bundesregierung
gelungen ist, die Kontinuitätslinie wieder herzustellen,
keine Exklusivpartnerschaften oder Ähnliches zu bilden
und das Zusammenführen in Europa und darüber hinaus
in den Mittelpunkt zu stellen. Das hat uns durchaus zur
Stärke gereicht und ist Ausdruck der gelungenen Außenpolitik der letzten drei Jahre. Das unterscheidet diese
auch von der Außenpolitik der Vorgängerregierung.
({4})
Wir werden weiterhin eine Außenpolitik brauchen,
die das oft zitierte Wechselspiel zwischen Interessen
und Werten in eine verantwortungsvolle und darstellbare Balance bringt. Herr Bundesaußenminister, Sie
sprachen von der Ausbalancierung der neuen Kräfte im
globalen Geschehen. Darin muss sich aber auch die Balance der beiden genannten Faktoren passgenau einfügen. Von daher ist es sicher richtig, dass in den vergangenen Jahren oftmals klar formulierte Interessen auch
von Ihnen, Herr Bundesaußenminister, dargestellt wurden. Aber wir können durchaus auch stolz sein auf den
von der Bundeskanzlerin umgesetzten Anspruch, eine
werteorientierte Außenpolitik zu gestalten. Das steht uns
als Land gut zu Gesicht und hat insgesamt zu einer kohärenten Außenpolitik geführt.
({5})
Ohne in historisches Pathos zu verfallen, glaube ich
sagen zu können, dass sich die Außen- und Sicherheitspolitik der letzten drei Jahre durchaus sehen lassen kann.
Es bleibt allerdings weiterhin erforderlich, die stets notwendige strategische Fortschreibung vorzunehmen.
Dazu müssen auch die nächsten Monate bis zu den Bundestagswahlen genutzt werden. Das gilt angesichts der
Asymmetrien, vor denen wir stehen, aber auch angesichts der einen oder anderen wiedergekehrten Symmetrie. Wir haben in den letzten Jahren immer nur über
Asymmetrien gesprochen. Das eine oder andere taucht
jetzt aber wieder symmetrisch am Horizont auf. Wir stehen weiterhin vor Bedrohungsszenarien, die mittlerweile
fatalerweise schon eine klassische Trias darstellen: internationaler Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und
scheiternde oder gescheiterte Staaten.
Beim Stichwort Massenvernichtungswaffen sei noch
ein Wort zur Abrüstung und Rüstungskontrolle gestattet. Wir sehen mit Freuden, dass dieses Thema eine Priorität in der Politik der Bundesregierung darstellt; über Indien wurde heute schon diskutiert.
Gelegentlich ist es aber doch so, dass wir uns aus parlamentarischer Sicht etwas mehr Schubkräfte wünschen
würden, gerade wenn es um die internationalen Prozesse
und Verhandlungen geht. Mit Verlaub, Herr Bundesaußenminister, so stolz wir alle auf den Erfolg im Zusammenhang mit den Streubomben sind, wenn wir ganz
ehrlich sind, dann müssen wir feststellen, dass das eine
parlamentarische Initiative war und wir Parlamentarier
die Bundesregierung letztlich zum Jagen getragen haben. Über das Ergebnis freuen wir uns, aber die Initiative
kam aus dem Bundestag. Den Stolz in dieser Frage sollten wir uns nicht nehmen lassen.
({6})
Es erwächst eine Vielzahl neuer Herausforderungen. Viele sind genannt worden. Dazu gehören der Klimawandel und die Demografie, dazu zählt die Ressourcenversorgung. Wir sollten die Frage des Wassers nicht
gänzlich ausklammern. Diese Frage befindet sich kaum
auf unserem Schirm, wenn wir über Konfliktszenarien
reden. Dazu gehören auch die Sicherheit unserer Kommunikationsnetze und andere Dinge. Insgesamt müssen
wir die eine oder andere konzeptionelle Lücke schließen,
die wir noch sehen. Wir haben bislang tatsächlich - da
gebe ich den Vorrednern recht - keine grundsätzliche
strategische Neubewertung Pakistans. Lateinamerika
würde noch etwas mehr Aufmerksamkeit nach richtigen
und wichtigen Reisen vertragen. Ähnliches gilt für den
Iran. Hier sind wir in einer kreativen Stagnation, aber
noch nicht furchtbar viel weiter.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Aufgaben über Aufgaben, die nicht in den Bereich der
Innenpolitik fallen, aber die uns, die wir in der Außen18696
politik tätig sein dürfen, in den nächsten Monaten beschäftigen werden. Diese Felder erfordern unsere ganze
Konzentration. Ich bin sicher, dass es uns allen gelingen
wird, diese Konzentration aufzubringen, Ihnen, Herr
Bundesaußenminister, mit der Ihnen eigenen Kraft ganz
bestimmt. In diesem Sinne stehen wir nicht vor einem
schlechten Jahr, sondern vor einem, das uns fordern
wird.
Herzlichen Dank.
({7})
Nächster Redner ist nun der Kollege Michael Leutert
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Beim Lesen des Haushaltsplanes dieses Jahres ging mir
ein Gedanke nicht mehr aus dem Kopf, und zwar das
neue Motto der Koalitionsfraktionen: Ja, wir brechen,
was wir versprechen. - Das können Sie gerne als Slogan
nächstes Jahr im Wahlkampf verwenden. Es ist traurig,
aber wahr. Am Ende der Wahlperiode muss festgestellt
werden, dass die schwarz-rote Regierung nicht nur die
Hoffnung der Bürger bitter enttäuscht hat, sondern noch
nicht einmal ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden
konnte. Sie können gerne einen Blick in den Koalitionsvertrag werfen. Dort steht schon in der Präambel:
CDU, CSU und SPD treten dafür ein, dass Deutschland darauf dringt, Konflikte friedlich zu lösen.
Weiter im Hauptteil heißt es:
Gemeinsam ... setzen wir uns auch künftig für Frieden, Demokratie und Freiheit in der Welt ein.
Weiterhin werden die Stärkung der Abrüstung und Rüstungskontrolle genannt. Auch heißt es - das wurde heute
schon mehrmals angesprochen -:
Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die
dritte Säule der deutschen Außenpolitik.
Das liest sich fast wie ein Flyer auf einer Linken-Demo.
Im Gegensatz zu uns Linken hatten Sie in den letzten
Jahren sowohl die Macht als auch das Geld, dies in Taten
umzusetzen.
Wenn man dagegen die Fakten betrachtet, ist die Bilanz ernüchternd. In den vier Jahren, seitdem SchwarzRot regiert, haben wir über 30 Milliarden Euro mehr an
Ausgaben zu verzeichnen, die natürlich der Bürger über
seine Steuern aufbringt.
({0})
- Entschuldigung, natürlich auch die Bürgerinnen! - Davon wurden rund 150 Millionen Euro innerhalb von vier
Jahren in die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gesteckt. Das ist nicht einmal ein halbes Prozent dieser
Mehrausgaben. Nicht einmal ein halbes Prozent dieser
Mehrausgaben wurde in vier Jahren zur Verfügung gestellt, um die wichtige zivile dritte Säule - die auswärtige Kultur- und Bildungspolitik - zu stärken.
Für eine andere Säule Ihrer Außenpolitik, nämlich
den Verteidigungsetat, mobilisierte man dagegen - völlig mühelos - innerhalb dieser vier Jahre über 7 Milliarden Euro. Auch das betrifft verantwortungsvolle Außenpolitik. Sie haben einen mit 24 Milliarden Euro ohnehin
schon hohen Verteidigungsetat übernommen und diesen
letztendlich um ein Drittel auf die Summe von 31 Milliarden Euro aufgepumpt. So regiert die Friedensmacht
SPD, wie einmal plakatiert wurde, unter einer schwarzen
Kanzlerin. Wenn aber China seinen Verteidigungsetat innerhalb von wenigen Jahren um einen solchen Anteil erhöhen würde, dann wäre das Geschrei hier in diesem
Hohen Hause groß. Wir können uns an das Jahr 2006 erinnern. Damals ist das geschehen.
Je mehr man ins Detail geht, desto bitterer wird es
einfach. Der heute hier zur Beratung anstehende Haushalt des Auswärtigen Amtes umfasst magere 3 Milliarden Euro. Das ist gerade einmal 1 Prozent des Gesamtetats. Was die Bürgerinnen und Bürger nicht wissen, ist,
was sich dahinter noch alles versteckt. So zahlt der Außenminister allein aus diesem Etat zum Beispiel 500 Millionen Euro für UN-Militäreinsätze. Weitere 10 Millionen Euro werden für die sogenannte Ausstattungshilfe
für andere Streitkräfte zur Verfügung gestellt. Unter dem
neuen Titel „Afrika-Initiative im Rahmen der deutschen
G8-Präsidentschaft“ - man könnte denken, dass sich dahinter etwas Gutes verbirgt - ist unter anderem die Finanzierung der African Standby Forces zu finden. Diese
Zahlen sprechen eine klare Sprache. Man kann durchaus
von einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik
sprechen.
({1})
Von wirklich nachhaltiger und verantwortungsvoller
Friedens- und Präventionspolitik ist keine Spur zu finden.
({2})
- Die Zahlen sprechen eine klare Sprache, oder nicht?
0,5 Prozent gegenüber 20 Prozent im Verteidigungsetat. Mit diesen 33 Milliarden Euro hätte man wesentlich
mehr erreichen können, wenn man nachhaltig investiert
hätte, zum Beispiel in den Kampf gegen Aids, in die
Überwindung des Hungers, in die Überwindung der Armut, in den Klimaschutz, in Demokratisierungsprojekte
usw. usf. Hätte man diese Projekte ambitioniert in Angriff genommen, dann hätte man außenpolitisch höchstwahrscheinlich mehr Effekte erzielen können als das,
was in Afghanistan derzeit zu verzeichnen ist.
({3})
Nichtsdestotrotz haben Sie ein Versprechen sicherlich
gehalten. Im Koalitionsvertrag steht nämlich auch: „Wir
werden mutig sparen ...“ Gespart haben Sie natürlich,
aber, wie wir eben gesehen haben, an den falschen Stellen, an Stellen, an denen eh nichts mehr zu holen ist, und
nicht an Stellen investiert, durch deren Unterstützung die
Welt friedlicher und sicherer gemacht wird. Dort waren
Sie sehr zögerlich. Beim Verteidigungsminister haben
Sie dagegen kräftig draufgelegt. Damit haben Sie letztendlich nicht nur Ihre Wahlversprechen gebrochen, sondern auch Ihren eigenen Koalitionsvertrag. Ich bin sehr
gespannt, wie Sie das nächstes Jahr Ihren Wählerinnen
und Wählern erklären möchten. Der neue Slogan der
Koalition „Wir brechen, was wir versprechen“ hat sehr
wohl seine Berechtigung. Viele Menschen werden Ihnen
allerdings nicht mehr Glauben schenken. Ich freue mich
schon jetzt sehr auf die Haushaltsverhandlungen in der
nächsten Legislaturperiode. Ich bin mir relativ sicher:
Die Linke wird hier dann in doppelter Mannschaftsstärke vertreten sein.
Vielen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Müller für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Leutert, ich möchte noch etwas zu
Ihrem Beitrag sagen. Wenn ich mich richtig erinnere, gehören die Beiträge an die Vereinten Nationen übrigens
auch zum Einzelplan, den wir hier beraten. Diese Beiträge als „Militarisierung der deutschen Außenpolitik“
zu bezeichnen, ist, finde ich, für eine Völkerrechtspartei
schon ziemlich danebengegriffen.
({0})
Ich hätte noch ein paar andere Stellen - zivile Konfliktprävention und Ähnliches - nehmen können.
Ich möchte mich in meinem Beitrag auf Afghanistan
konzentrieren. Wenn es hier um die Grundlinien der
deutschen Außenpolitik geht, dann ist das ein Thema,
das wir nicht nur im Zusammenhang mit der Mandatsverlängerung diskutieren sollten. Die eher schlechten
Nachrichten häufen sich in letzter Zeit. Im Zeitraum
vom 6. bis zum 31. August kam es auch im deutschen
Verantwortungsbereich, im Norden, zu Anschlägen. Es
gab zwei IED-Anschläge und ein Selbstmordattentat auf
Patrouillen der deutschen Soldaten, bei dem ein Soldat
starb, sowie den schrecklichen Vorfall an einem Checkpoint, bei dem eine Frau und zwei Kinder ums Leben kamen.
Das zeigt: Die Sicherheitslage in Afghanistan, auch
im Norden des Landes, verschärft sich. Ich glaube, da
gibt es nichts zu beschönigen. Liebe Frau Kollegin
Knoche, ich finde es dennoch - auch gegenüber unseren
Soldaten - absolut unangemessen, dass Sie diese Vorfälle sofort für Ihre immer gleiche Forderung nach einem
Abzug aus Afghanistan instrumentalisieren
({1})
und damit diesen Tod junger Soldaten dazu benutzen,
um in der Bevölkerung weiter Stimmung gegen diesen
Einsatz zu machen. Ich finde es unerträglich, das ausgerechnet immer an dieser Stelle zu tun.
Auch wenn es eine Verschärfung der Sicherheitslage
gibt, ist es falsch und unverantwortlich, zu behaupten
- auch das will ich hier sehr klar sagen -, deutsche Soldaten würden im Norden Krieg führen. Jeder, der sich
aus vermeintlich noch so guten Gründen in der Art an
dieser Debatte beteiligt - das sind nicht nur die Linken;
es gibt auch andere in der Gesellschaft, die das tun -,
trägt meiner Meinung nach nicht zur Aufklärung bei,
sondern erweist der ganzen Sache einen Bärendienst.
Das war jedenfalls ganz klar das Ergebnis einer Reise,
die der Herr Kollege Nachtwei und ich im August unternommen haben.
Die Bundeswehr führt im Norden nach wie vor keinen Krieg gegen Aufständische - aggressive Gegnerbekämpfung, Terroristenjagd, das findet im deutschen Verantwortungsbereich unter ISAF nicht statt -, sondern sie
bemüht sich um Gewalteindämmung und leistet, übrigens immer häufiger, schlicht Sicherheitsunterstützung
für die afghanische Armee, die ANA.
Allerdings - das will ich an die Adresse der Bundesregierung sagen - geht die verschärfte Sicherheitslage
mit einer extrem schlechten Stimmungslage in der Bevölkerung einher - das will ich von unserer Reise hier
einmal zur Kenntnis geben; das muss man sehr ernst
nehmen -, einer schlechten Stimmungslage gegenüber
der Regierung Karzai und damit verbunden zunehmend
auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft. Von
anfänglicher Aufbaueuphorie ist also nichts mehr zu
spüren. Der Vorwurf „massive Korruption“ ist in jedem
Gespräch ein Thema, ebenso der Vorwurf „Kollaboration mit den Warlords“. Auch wird beklagt, dass kaum
etwas von den Aufbaumitteln vor Ort ankommt.
Deshalb sage ich an uns alle und aus der Sicht einer,
die den Einsatz deutscher Soldaten im Grundsatz unterstützt und will, dass er erfolgreich wird, sehr klar: Wenn
wir angesichts der Dynamik von sich verschärfender Sicherheitslage und sich verschlechternder Stimmungslage
nicht endlich einen Kurswechsel einleiten, dann - das ist
meine ganz große Befürchtung - wird dieser Afghanistan-Einsatz scheitern.
({2})
Deshalb ist es meiner Meinung nach - um es vorsichtig zu formulieren - nicht klug, dass die Antwort der
Bundesregierung, etwa mit dem letzte Woche beschlossenen Afghanistan-Konzept, ein schlichtes „Weiter so“
ist.
({3})
Kerstin Müller ({4})
Meiner Meinung nach fährt man damit den Einsatz vor
die Wand.
Herr Außenminister, Sie haben auf der Geberkonferenz im Juni in Paris noch einmal klar gesagt, ein „Weiter so“ dürfe es in Afghanistan nicht geben.
({5})
- Doch. An den meisten Stellen gibt es das. Deshalb will
ich erneut sagen, was unserer Meinung nach „Kurswechsel“ bedeutet.
Gestern haben die UN noch einmal erklärt: Es gab
noch nie so viele zivile Opfer wie im August, und ich erinnere an den Vorfall in Schindand, wo 90 Zivilisten, davon 60 Kinder durch Luftangriffe starben. Sie sagen, der
Strategiewechsel habe stattgefunden. Ich kann Ihnen
von unserer Reise nur berichten: Dieser Strategiewechsel hat am Boden nicht stattgefunden.
({6})
Ich finde es falsch, zu sagen: Wir dürfen anderen
nicht vorhalten, was sie in ihrem Einsatzbereich vielleicht falsch oder anders machen. - Glauben Sie nicht,
dass die Afghanen im Norden oder im Westen oder in
Kabul nicht ganz genau beobachten, was im Süden und
im Osten passiert? In jedem Gespräch bekommen Sie
genannt, was wieder passiert ist, dass es zivile Opfer gegeben hat. Deshalb glaube ich, dass es ganz entscheidend ist, den Kurswechsel, der innerhalb der NATO vielleicht diskutiert wurde, aber im Süden und im Osten von
einigen Partnern offensichtlich nicht umgesetzt wird,
vorzunehmen. Diesen Kurswechsel müssen Sie von den
anderen Partnern in der internationalen Gemeinschaft
dringend einfordern.
({7})
Der zweite Punkt beim Kurswechsel ist, dass der zivile Aufbau endlich Priorität bekommen und ins Zentrum des Unterstützungsmandats von ISAF gestellt werden muss. Nur erwähnen möchte ich - wir werden es im
Rahmen der Diskussion des Mandats noch ausführlicher
darlegen -: Wenn wir zu einer sich selbst tragenden Sicherheit kommen wollen, dann muss der Aufbau von Armee und Polizei ins Zentrum. Armee, das ist eine relative Erfolgsgeschichte - das bekommt man überall zu
hören -; die Polizei, das ist immer noch ein Desaster.
Wir haben Interesse daran, dass die Polizei in Afghanistan aufgebaut wird. Die EUPOL-Mission ist immer noch
nicht auf der richtigen Schiene. Wir sind massiv dafür,
dass das bilaterale Polizeiprojekt, das gut, aber immer
noch zu klein ist, ganz intensiv ausgebaut wird. Das ist
entscheidend, wenn es in naher Zukuft um eine ExitStrategie gehen und wenn dieser Einsatz erfolgreich sein
soll.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kerstin Müller, ein Blick in den Haushaltsentwurf
zeigt, dass ein Plus von 170 Millionen Euro bereitgestellt wird, um genau das zu untermauern und zu bestärken, was der Herr Außenminister hier sagt, nämlich dafür zu sorgen, dass der zivile Aufbau in Afghanistan
gestärkt und unterstützt wird und weitere Projekte in
Gang gesetzt werden. Das ist die Absicht, wenn wir sagen, wir müssen im Land selbst einen Strategiewechsel
voranbringen. Das betrifft die Bereiche Polizei, Schulen,
Wasserprojekte, Elektrizität und Verkehr. Es geht darum,
die Infrastruktur zu stärken und zu unterstützen und dafür mehr Finanzmittel in die Hand zu nehmen. Genau
das ist der Strategiewechsel, der sich jetzt zusätzlich im
Haushaltsentwurf, den wir später verabschieden werden,
abzeichnet.
({0})
Ich möchte noch einen Gedanken des Kollegen
zu Guttenberg aus seiner Rede von vorhin zu werteorientierter Außenpolitik aufgreifen. Man kann dies
rhetorisch immer wunderbar beschreiben. Es kommt
aber immer darauf an, was das konkret bedeutet. Ich
sage mit aller Klarheit: Wer zum Beispiel durch die Mittel des Bundeshaushalts, durch die Unterstützung des
Außenministers und beispielsweise auch durch die Unterstützung der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion
dafür gesorgt hat, dass Boris Tadic eine Chance hat, als
Präsident gewählt zu werden, der ist dann auch derjenige, der versucht hat, die Demokratie und den europäischen Gedanken in Serbien zu unterstützen, zu verstärken und nachher auch zu einem politischen Sieg zu
verhelfen. Ich darf zurückfragen: Wer hat Kostunica als
Partner in der eigenen Parteifamilie?
Liebe Kollegin Beck, Sie wissen es genauso gut, es
geht immer darum, das konkret und präzise zu machen
und sich dann richtig für die Kräfte der Demokratie und
für die Kräfte zu entscheiden, die in die Europäische
Union führen. Das kann man immer nur an konkreten
Beispielen machen. In Serbien haben wir das sehr deutlich gemacht. Das ist werteorientierte Außenpolitik.
({1})
Lassen Sie mich noch einmal auf den Konflikt im
südlichen Kaukasus zurückkommen. Wir alle haben einen Moment lang in den Abgrund geblickt, als wir sahen, was Anfang August dort stattgefunden hat. Ja, es ist
so, Südossetien und Abchasien sind Teile eines ineinander verhakten Bündels von ungelösten, nationalistisch
gegeneinander gerichteten und aufgeladenen Konflikten.
In den 90er-Jahren wurde der Begriff „eingefrorene
Konflikte“ erfunden. Welche Verharmlosung! Diese waren nicht eingefroren, sondern sie waren immer fast an
der Oberfläche. Im Inneren gab es immer die Angst, dass
sie explodieren könnten. Es ist der internationalen Staatengemeinschaft leider nicht gelungen - weder der
Minsk-Gruppe der OSZE noch anderen -, das Bewusstsein dafür, dass dort etwas explodieren kann, so ernst zu
nehmen, dass wir darauf eine andere Antwort gegeben
hätten, als wir sie gegeben haben.
Gert Weisskirchen ({2})
Das ist ein Versäumnis gewesen. Vielleicht sollten wir
in der Außenpolitik zu den 90er-Jahren zurückkommen.
Damals wurde immer versucht, Balance zu halten. Da,
wo Länder das Recht haben, Mitglied der NATO zu werden, konnte immer ausgeglichen werden, denn es wurden Balancesysteme entwickelt, sodass Russland eine
Chance hatte, sich politisch daran zu beteiligen. Ein Beispiel dafür ist der NATO-Russland-Rat. Ab einem bestimmten Zeitpunkt der Entwicklung ist dies versäumt
worden. Deswegen gibt es jetzt einen Widerspruch. Wir
unterstützen und unterstreichen unsere Politik vollständig berechtigt mit Absichten. Das sind natürlich die Absichten, die ausdrücken, dass wir der festen Überzeugung sind, dass die NATO-Mitgliedschaft auch im
Interesse Russlands ist. Aber es gibt umgekehrt auch
eine Art Perzeption in Russland, dass sich diese Entwicklung gegen die Interessen Russlands richtet. Es ist
leider so. Wir müssen nun einerseits diesen Widerspruch
erkennen und außenpolitisch andererseits versuchen
- Kollege Hoyer hat vorhin indirekt darauf hingewiesen,
ohne dass er den Namen der entsprechenden Person genannt hat -, dass die andere Seite, also Saakaschwili, zu
einer Politik zurückkehrt, die Hans-Dietrich Genscher
folgendermaßen charakterisiert hat: Außenpolitik ist
kein Abenteuerspielplatz.
({3})
Außenpolitik ist also kein Abenteuerspielplatz, bei
der jeder einmal seine Muskeln zeigt. Wir alle müssen
mithelfen, dass alle Beteiligten und alle Akteure auch
die Interessen der anderen berücksichtigen und daraus
richtige und vernünftige Schlüsse ziehen. Ich bin dankbar dafür, dass von der Bundeskanzlerin und vom Außenminister sich leidenschaftlich darum bemüht wurde,
dafür zu sorgen, dass in dieser Krise alle zur Vernunft
zurückkehren. Hier gibt es eine Gemeinsamkeit des
Denkens und Handelns, die den Willen deutlich macht,
dass die Europäer in solchen Krisensituationen vernünftig handeln, um zu versuchen, die gefährliche Gewaltspirale zu durchbrechen und in solchen Situationen dem
Frieden eine Chance zu geben. Ich bin dankbar dafür,
dass die Frau Bundeskanzlerin und der Außenminister in
der entscheidenden Situation das Richtige getan haben.
({4})
Herr Kollege, darf ich Ihren Redefluss unterbrechen?
Mir liegt die Bitte nach einer Zwischenfrage der Kollegin Beck vor.
Gerne.
Lieber Kollege Weisskirchen, wir sind ja als Obleute
zusammen unterwegs gewesen und haben versucht,
diese Krisenregion zu bereisen. Sie haben eben davon
gesprochen, dass Politik kein Abenteuerspielplatz sei.
Ich frage Sie, ob Sie damit darauf abgestellt haben, dass
die Saakaschwili-Regierung möglicherweise - wir wissen das ja bis heute nicht definitiv - eine Dummheit begangen hat, indem sie russische Truppen und die Stadt
Zchinwali angegriffen hat. Ich habe bewusst „möglicherweise“ gesagt und möchte das auch noch einmal betonen.
Teilen Sie auch meine Einsicht, dass wir bisher noch
keine belastbaren Erkenntnisse darüber haben, was sich
im Zeitraum zwischen dem 1. und 8. August abgespielt
hat? Meines Wissens hat die OSZE bisher noch keine Informationen darüber nach außen gegeben.
Teilen Sie vielleicht auch meine Überlegung, dass die
von Medwedew aufgestellten fünf außenpolitischen
Prinzipien, die beunruhigenderweise wieder das Recht
auf Einflusssphären reklamieren, durchaus strategisch
darauf angelegt gewesen sein könnten, aus dem Südkaukasus wieder einen Teil herauszubrechen und in die Einflusssphäre Russlands zurückzuholen?
Teilen Sie auch meine Auffassung, dass das Austeilen
von russischen Pässen in Abchasien und Südossetien
völkerrechtswidrig war und von daher ein bedenklicher
Schritt der russischen Außenpolitik gewesen ist?
Liebe Kollegin Beck, zunächst einmal glaube ich,
dass es richtig wäre - wenn ich es richtig sehe, hat sich
die Bundesregierung insbesondere im Europäischen Rat
mit anderen darauf verständigt -, eine unabhängige
internationale Untersuchung durchzuführen, um herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Ich teile diese
Auffassung. Auch wir haben uns, als wir zusammen in
Moskau und Kiew waren - Sie waren später auch noch
in Tbilissi -, diese Auffassung zu eigen gemacht. Es ist
also verfrüht, eine Entscheidung darüber zu treffen, wer
an dem Konflikt schuld ist.
({0})
- Ja, ja.
Hinzuzufügen wäre allerdings, dass aufgrund des Berichts der OSZE - ich denke, Sie können ihn sicherlich
bekommen -, in dem chronologisch festgehalten ist, was
geschehen ist, durchaus die Frage berechtigt ist, inwieweit Saakaschwili eine bestimmte Situation - Sie haben
dieses Verhalten als „möglicherweise eine Dummheit“
beschrieben - ausgenutzt hat. Das mag so sein. Ich
würde sagen, lasst uns das sorgfältig prüfen und dann zu
einem Ergebnis kommen.
Das Dritte, was ich sagen will: Sie fragten nach
Medwedews fünf Prinzipien. Wenn Sie sich diese fünf
Prinzipien genau anschauen, werden Sie feststellen, dass
es einen inneren Widerspruch zwischen den ersten drei
und den letzten beiden Prinzipien gibt.
({1})
Ich finde, dass es jetzt unserer Seite obliegt, im Gespräch
mit Moskau präzise darüber zu debattieren. Nummer
eins besagt: Internationales Recht hat immer Vorrang.
Wie ist das mit dem fünften Prinzip in Übereinstimmung
zu bringen, nach dem es, wenn Sie so wollen, so etwas
Gert Weisskirchen ({2})
wie eine nachbarschaftsorientierte Einflusspolitik geben
darf? Darüber müssen wir mit Moskau debattieren, damit uns klar wird: Was will Moskau eigentlich künftig?
In Punkt drei der Prinzipien von Medwedew heißt es,
Russland will eine konstruktive, nicht konfrontative
Rolle im multipolaren System der Welt spielen. Das
passt alles nicht zusammen und ist, denke ich, eine gute
Gelegenheit, uns mit Moskau darüber zu unterhalten:
Was wollt ihr? Welche Rolle wollt ihr künftig spielen,
und welche Möglichkeiten haben wir als EU und
Deutschland, zu beeinflussen, dass Moskau zurückkehrt
zur politischen Rationalität, die wir alle in Europa brauchen?
({3})
Ich möchte, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn
das gestattet ist, noch auf einen bestimmten Punkt hinweisen, der mir am Herzen liegt; denn der Konflikt im
südlichen Kaukasus ist möglicherweise - jemand hat das
vorhin angesprochen - nicht das Ende einer Konfliktsituation und bestimmter Prozesse, sondern der Anfang.
Liebe Kollegin Beck, Sie wissen so gut wie ich: Manche von uns haben analytisch noch gar nicht verstanden,
wo der innere Konflikt wirklich liegt. Er liegt darin begründet, dass das Stalin’sche System der Herrschaft mit
Territorium, Nationalität, Grenzen und hierarchischer
Rolle der Russen zusammenhängt. Das war ein teuflisches hierarchisches System, das er erfunden hat.
({4})
- Vorsicht, Frau Beck! Das sind alles „longues durées“,
lange Linien der Geschichte, die jetzt wieder zum Vorschein kommen.
({5})
- Entschuldigung, das ist ein Begriff aus der französischen Geschichtswissenschaft; es sind die langen Linien,
die der Außenminister hier vorhin beschrieben hat.
({6})
- Die langen Linien, Herr Kollege Kauder! Für Schlangenlinien sind andere zuständig, nicht der Außenminister.
({7})
Ein zentraler Punkt ist, dass das geschichtliche Erbe,
wenn Sie so wollen, des Stalin’schen Missverständnisses
von Ethnien, Territorien und Nationalität in Russland
noch nicht aufgearbeitet ist. Es kommt darauf an, alles
zu tun, dass nicht unter ganz bestimmten Bedingungen
genau diese Gefahrenmomente wieder hervorkommen,
hervorgezogen werden, und so in Russland ein neues falsches außenpolitisches Verständnis erzeugt wird. Wenn
es uns gelingt, in den Debatten mit Russland deutlich zu
machen, dass Russland eine Chance hat, sich selbst innerlich zu modernisieren, wenn es die Partnerschaft mit
der Europäischen Union innerlich akzeptiert und diese
Partnerschaft im eigenen Land durchsetzt, dann wird
Russland für uns der Partner der Zukunft bleiben. Ich
denke, das müsste die Hoffnung von uns allen sein.
({8})
Nun hat das Wort die Kollegin Erika Steinbach für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Debatte über den Einzelplan 05 des Auswärtigen
Amtes hat deutlich gemacht - ich fand, sie war auf einem sehr hohen Niveau; wir sind ja fast am Ende -, dass
die Bundesregierung eine abgewogene Außenpolitik
macht, dass Kanzlerin und Bundesaußenminister mit
Maß und Mitte handeln und die Bundesregierung im
europäischen Konzert diejenige Kraft ist, die versucht,
überschießende Emotionen wieder einzufangen und unsere europäische Gesamtpolitik auf dem richtigen Wege
zu halten.
Zu den Aufgaben unserer Außenpolitik gehört auch,
dass wir über Deutschlands Beitrag zur Förderung von
Demokratie und Menschenrechten weltweit sprechen
und uns darin engagieren, eine wertegebundene Außenpolitik zu betreiben. Wir sollten über Deutschlands
humanitären Beitrag für die Opfer von Notsituationen
sprechen - seien es nun Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben, Epidemien, seien es die Folgen von kriegerischen Auseinandersetzungen. Wir wissen: Menschenrechte und humanitäre Nothilfe sind ein
integraler Bestandteil unserer deutschen Außenpolitik.
In Gesprächen mit unseren Bürgern vor Ort können
wir feststellen, dass die humanitäre Nothilfe auf ein
recht hohes Maß an Akzeptanz stößt. Etwas anders - das
erlebe jedenfalls ich immer wieder - sieht es leider im
Bereich der Förderung der Menschenrechte aus. Wir
sollten uns erst einmal um unsere eigenen Probleme
kümmern, so ein häufiger Kommentar dazu. Diese Sichtweise verkennt jedoch - das muss man deutlich machen -,
dass die Missstände in anderen Ländern auch uns in
Deutschland früher oder später einholen werden, wenn
wir uns nicht frühzeitig darum kümmern und versuchen,
das Übel an der Wurzel zu packen und die Not zu bekämpfen, um zu verhindern, dass wir am Ende davon
überrollt werden - unabhängig davon, dass wir dies natürlich auch aufgrund unseres eigenen Werteverständnisses weltweit tun.
Wenn wir uns den Globus anschauen, dann sehen wir
unendlich viele Brennpunkte. Allein die letzten Wochen
und Monate sowie die Debatte heute haben gezeigt, wo
überall es knirscht und es Verwerfungen gibt.
China war lange ein Thema für uns. Mit Ende der
Olympischen Spiele ist es etwas aus dem Fokus geraten.
Aber ungeachtet aller sportlichen Erfolge muss man
konstatieren, dass die Menschenrechtssituation in China
bei Gott kein Ruhmesblatt ist. Die in- und ausländischen
Medien konnten nicht frei berichten. Eine spürbare Verbesserung der Freiheitsrechte, was der chinesischen Bevölkerung und den Initiatoren der Olympischen Spiele
versprochen wurde, hat es am Ende nicht gegeben. Ein
Land, das sich so wenig um den Schutz der Menschenrechte kümmert - das sollten wir als ein großes Wirtschaftsland wissen -, kümmert sich noch viel weniger
um den Schutz der Patentrechte, was für unsere deutsche
Wirtschaft wichtig ist.
Schauen wir nach Afrika. Das Elend der verfolgten
Menschen im Sudan und insbesondere in Darfur ist unaussprechlich. Ich erinnere an die Flüchtlingsbewegungen aus Afrika. In vielen Teilen Afrikas machen sich die
Menschen tagtäglich auf den Weg und kommen an den
europäischen Küsten an. Die Ausläufer erreichen auch
uns hier im Lande.
Ein anderes Spielfeld: Nicht nur im Irak, sondern
auch im Südosten der Türkei, in einem Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will, gibt es neue
Fälle von Verfolgungen und Rechtlosigkeit von Christen. So wird das Kloster Mor Gabriel, geistlicher Mittelpunkt der syrisch-orthodoxen Kirche, mit Strafprozessen
überzogen und ist aktuell von Enteignung bedroht. Dazu
muss man wissen: Es ist eines der ältesten Klöster. Es
wurde 397 nach Christus gebaut. Diese Art des Umgangs mit Religionsfreiheit ist, wie ich meine, eine
Schande für einen EU-Aspiranten, für ein Land, das Mitglied der Europäischen Union werden will.
Schauen wir nach Indien. Jüngst gab es dort Verfolgungen von Christen durch Hindus. Christen werden bei
Gewaltaktionen zunehmend zur Zielscheibe. Kirchen,
Schulen, Häuser werden angezündet; Priester und Nonnen auf offener Straße ausgezogen und nackt dem Pöbel
vorgeworfen. All das ist etwas, was uns nicht kaltlassen
kann und nicht kaltlassen darf. Der Erzbischof von NeuDelhi, Vincent Concessao, hat etwas sehr Richtiges gesagt: Fundamentalisten haben keinen Respekt vor den
Menschenrechten. Ich sage: Nicht nur vor Christen haben sie keinen Respekt; sie haben auch vor der Würde
des Menschen keinen Respekt.
({0})
Das, was wir in Georgien und im Kaukasus gesehen
haben, das Elend des Krieges und die Not der Bevölkerung bei Flucht und Vertreibung, all das geschieht vor
unserer Haustür, auf unserem Kontinent. Wir alle wissen, dass dieser Konflikt das Potenzial hat, weitere ethnische Konflikte nach sich zu ziehen.
Herr Kollege Weisskirchen, ich glaube, dass die Formulierung „eingefrorene Konflikte“ den Sachverhalt
richtig beschreibt. Die neuen Freiheiten lassen all das
auftauen, was sich über Jahrzehnte angestaut hat. Dahinter stecken viele Befindlichkeiten, und zwar sowohl auf
der russischen Seite - die Russen fühlen sich in ihrer
Seele verletzt, sie fühlen sich entwertet und entmachtet;
sie haben das Gefühl, dass ihnen etwas von ihrer Würde
genommen wurde - als auch bei den kaukasischen Völkern, die sagen, dass sie unterdrückt wurden. Jeder will
sich entfalten. Angesichts dessen ist es gut, dass die
Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister versuchen, mäßigend einzuwirken und es nicht zu weiteren
Eskalationen kommen zu lassen.
Bei all dem Leid, das wir auf der Welt vorfinden, dürfen wir eines aber nicht verkennen: Es gibt Fortschritte,
wenn sie auch nicht immer so groß sind, wie wir uns das
wünschen. Die Verhaftung von Radovan Karadzic
lässt hoffen, dass eines der dunkelsten Kapitel der jüngsten kerneuropäischen Geschichte demnächst aufgearbeitet wird. Die Familien der Opfer können endlich einen
gewissen Trost finden und darauf hoffen, dass ihr Familienschicksal nicht untergeht.
({1})
In Usbekistan hat die Regierung Anfang des Jahres
die Todesstrafe abgeschafft. Es gibt zwar noch immer
viele Defizite in diesem Land, das ist aber ein erster
Schritt. Auch dies ist ein Zeichen dafür, dass jahrelanger
internationaler Druck Wirkung erzeugt hat.
Indem man etwas lobt und hervorhebt, kann man
manchmal mehr erreichen, als wenn man tadelt. Deswegen sollten wir uns, so glaube ich, hin und wieder dazu
entschließen, solch positive Dinge beim Namen zu nennen.
Ständig wird an uns die Frage gerichtet: Warum
mischt sich Deutschland überhaupt ein? Diese Frage
kennt jeder Politiker in diesem Saal aus der eigenen Familie oder der Nachbarschaft. Die Antwort ist ausnahmsweise, was in der Politik sehr selten ist, wirklich
einfach: Die Menschenrechtsverletzungen auf dieser
Welt machen nicht vor Deutschlands Haustür halt. In einer globalisierten Welt spüren wir alle früher oder später
die Auswirkungen von Konflikten, sei es in Form von
Armutsflüchtlingen, sei es durch Asylbewerber oder
durch terroristische Anschläge. Deshalb ist es für uns
alle zwingend erforderlich, Menschenrechte einzufordern und Demokratien zu stabilisieren. Das liegt im Interesse der Menschlichkeit und nicht zuletzt in unserem
ureigenen Interesse.
Ich danke Ihnen.
({2})
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort der
Kollegin Marieluise Beck von Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Ende dieser
Debatte möchte ich noch einmal deutlich festhalten, dass
wir uns bezüglich des Kaukasus-Konflikts darüber im
Klaren sind, dass eines vollkommen unumstößlich ist,
nämlich das Recht der Menschen auf Rückkehr in ihre
Häuser. Es gibt keine Toleranz gegenüber nationalen Sezessionsbewegungen, die auf künstlich geschaffene, eth18702
Marieluise Beck ({0})
nisch homogene Staaten abzielen, die nur existieren können, weil vorher in massivem Maße Vertreibung
stattgefunden hat. Wir müssen uns noch einmal klarmachen, dass das auch für Abchasien und Südossetien gilt.
In Abchasien haben 1989 noch über 500 000 Menschen gelebt. 95 000 davon waren Abchasen. 400 000 waren Armenier, Russen, Griechen, Georgier, also andere
Ethnien. In einem Gebiet wie dem Kaukasus mit hundert
unterschiedlichen Ethnien besteht keine Chance, Staaten
entstehen zu lassen, quasi zu basteln, die nicht multiethnisch sind. Das sollten wir hier noch einmal deutlich
unterstreichen.
Wir werden nicht vergessen, dass alle georgischen
Dörfer in Südossetien zerstört und niedergebrannt wurden. Die Menschen können nicht dorthin zurückkehren.
Bisher ist das Recht auf Rückkehr von der internationalen Gemeinschaft nicht verhandelt worden.
Ich wünsche mir, dass wir hier sehr deutlich betonen:
Die Rückkehr der Flüchtlinge nach Südossetien und
Abchasien als auch in die sogenannte Pufferzone ist das
Erste, was passieren muss.
({1})
Frau Kollegin Steinbach, wollen Sie erwidern?
({0})
- Das ist nicht der Fall.
Dann hat das Wort der Kollege Dr. Stephan Eisel von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zum
Schluss dieser Debatte noch zum Stichwort „Europapolitik“ kommen. Auf dem Stimmzettel des irischen Referendums vom 12. Juni 2008 - ich habe ihn einmal mitgebracht ({0})
findet sich weder das Wort „Europa“ noch das Wort
„Lissabonner Vertrag“. Die gestellte Frage lautete: Sind
Sie einverstanden mit dem Vorschlag, die Verfassung um
den im unten genannten Gesetz genannten Zusatz zu erweitern? - Wer wollte, konnte im Wahllokal dieses
28. Verfassungsänderungsgesetz einsehen, ein 18-seitiges rechtstechnisches und unverständliches Dokument.
So kann man Europa den Bürgern nicht nahebringen.
Europas Zukunftsfragen darf man nicht verstecken, sondern man muss sie offen ansprechen, wenn man die Unterstützung der Bürger für die europäische Integration
haben will.
({1})
Diese Fragen liegen auf der Hand: Warum soll es mit
der europäischen Integration überhaupt weitergehen?
Wie kann Europa demokratischer werden? Wo liegen die
Grenzen der Erweiterung? Wo muss Europa sein Gewicht in der Weltpolitik stärker einbringen? Nie wieder
Krieg, nie wieder Diktatur - das war ursprünglich das
Ziel der Gründung der Europäischen Union, und es war
erfolgreich. Krieg und Diktatur in ganz Europa auszulöschen, Demokratie und Frieden zu etablieren, das war
das zweite große Ziel. Auch dies wurde verwirklicht.
Reichen diese Erfolge nicht aus? Wozu brauchen wir
überhaupt die weitere europäische Integration?
Wir alle sind mit einem eurozentristischen Weltbild
aufgewachsen, aber uns Europäern muss klarer werden,
dass wir nur ein kleiner Teil dieser Welt sind. Nur etwa
7,5 Prozent der Weltbevölkerung leben in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Wir können als Minderheit in der Weltgesellschaft unsere Werte, unsere politische Kultur, unsere Lebensweise und unseren Wohlstand
nur bewahren, wenn wir noch enger zusammenarbeiten.
Nach der Selbstfindung der Europäer durch die Verankerung von Frieden und Freiheit auf dem eigenen Kontinent ist die Selbstbehauptung Europas in der zusammenwachsenden Welt neue Legitimation für den Fortgang
der europäischen Integration. Für diese Aufgabe braucht
Europa mehr Handlungsfähigkeit und bessere demokratische Kontrolle. Dabei ist der Lissabonner Vertrag nicht
das Problem, sondern unverzichtbarer Teil der Problemlösung. Deshalb brauchen wir diesen Vertrag.
({2})
Auch die EU-Erweiterungspolitik muss vom Kopf
auf die Füße gestellt werden. Die sogenannten Kopenhagener Kriterien legen fest - ich zitiere mit Erlaubnis des
Präsidenten -:
Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der
Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als
Garantie für demokratische und rechtsstaatliche
Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten
verwirklicht haben; …
Es ist nach meiner Meinung nicht richtig, Beitrittsverhandlungen mit Ländern aufzunehmen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen. Beitrittsverhandlungen sind
kein pädagogischer Prozess, um die Voraussetzungen für
den Beitritt zu erreichen, sondern verhandelt wird darüber, wie der Beitritt mit den Ländern organisiert wird,
die diese Voraussetzungen erreicht haben.
({3})
Deswegen sehen wir heute, dass die aus meiner Sicht
übereilte Aufnahme von Rumänien und Bulgarien uns
hinterher Probleme macht. Herr Außenminister, ich
stehe auch verfrühten Beitrittsofferten, zum Beispiel an
Serbien, skeptisch gegenüber.
Es gibt eine andere Unehrlichkeit in der Erweiterungspolitik, die angesprochen werden muss. Ich plädiere dafür, dass wir diese Frage enttabuisieren. Im EUVertrag heißt es:
Jeder europäische Staat … kann beantragen, Mitglied der Union zu werden.
Die geografische Komponente ist also ein Beitrittskriterium und muss endlich enttabuisiert werden. GeograDr. Stephan Eisel
fisch nicht zu Europa zu gehören, ist keine Diskriminierung. Das gilt auch für die Türkei. Wer nicht auf dem
europäischen Kontinent liegt, hat keinen Anspruch auf
Mitgliedschaft in der Europäischen Union, sehr wohl
aber auf freundschaftliche Nachbarschaft und bei gleichem Wertefundament auch auf privilegierte Partnerschaft.
({4})
In diametralem Gegensatz zu dieser freundlichen
Nachbarschaft steht die völkerrechtswidrige russische
Militärintervention in Georgien. Man kann durchaus
Kritik an der georgischen Regierung üben. Aber nichts
an ihrem Verhalten rechtfertigt, dass russische Truppen
in Georgien einmarschiert sind.
({5})
Es war wichtig, dass die EU darauf einheitlich reagiert hat. Wir sollten wirklich besorgt sein, welche Motivation hinter diesem Schritt der russischen Regierung
stand. An dieser Stelle möchte ich in Erinnerung rufen,
was Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation
am 25. April 2005 gesagt hat - ich zitiere -:
Der Zusammenbruch der Sowjetunion war geopolitisch die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Was ist das eigentlich für ein Geschichtsbild? In diesem
Jahrhundert sind andere Katastrophen geschehen. Der
Zusammenbruch der Sowjetunion war gar keine Katastrophe, sondern eröffnete die Chance auf Freiheit und
Demokratie, die Michail Gorbatschow und Boris Jelzin
ergriffen haben. Ich bedaure sehr, dass die innere Entwicklung Russlands nun wieder hin zu mehr Autokratie
geht.
Wir Deutsche sollten die Sorgen der Nachbarn Russlands ernst nehmen und dürfen ihre Erfahrungen nicht
geringachten. Wenn es darum geht, wie man innerhalb
der Europäischen Union mit diesem Thema umgeht, ist
wichtig, dass sich die Europäische Union einig ist. Allerdings muss man immer das Ziel im Blick haben, wofür
diese Einigkeit besteht. Wir müssen das Gewicht der
Europäischen Union für Demokratie und Achtung des
Völkerrechts in der Welt einsetzen. Wenn wir uns nicht
auch nach außen für die Werte, die bei uns im Innern
gelten, einsetzen, dann relativieren wir ihre Bindungskraft auch in unseren Gesellschaften.
({6})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung, Einzelplan 14.
Als erster Redner hat der Bundesminister Dr. Franz
Josef Jung das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Eine angemessene Finanzausstattung der Bundeswehr ist Grundvoraussetzung für die Einsatzfähigkeit
und die Leistungsfähigkeit unserer Armee und damit
Grundvoraussetzung für die Gewährleistung von Sicherheit sowie von Frieden und Freiheit der Bürgerinnen und
Bürger in der Bundesrepublik Deutschland. Deshalb ist
es notwendig und richtig, dass wir der Bundeswehr mit
diesem Haushalt die finanzielle Unterstützung geben,
die sie braucht, um ihren Auftrag auch in Zukunft optimal erfüllen zu können.
({0})
Meine Damen und Herren, ich hatte während der
Sommerpause die Gelegenheit, an 35 Standorten in
Deutschland und auch in Afghanistan Truppenbesuche
durchzuführen und mich davon zu überzeugen, wie gut
ausgebildet, wie gut ausgerüstet und wie gut motiviert
unsere Soldatinnen und Soldaten sind. Ich denke, es ist
notwendig, dass wir die finanziellen Grundlagen schaffen, um diesen Zustand aufrechterhalten zu können.
Da häufig darauf hingewiesen wird, dass die Mittel
des Verteidigungshaushaltes wieder erhöht werden,
möchte ich unterstreichen, dass auch die Aufgaben der
Bundeswehr gestiegen sind. Ich möchte an Folgendes erinnern: Im Rahmen des Afghanistan-Einsatzes hat
Deutschland die Luftaufklärung für Gesamtafghanistan
übernommen und ist für Tornadoeinsätze zuständig sowie für die schnelle Einsatztruppe im Norden des Landes, die Quick Reaction Force. Außerdem wollen wir
unsere Ausbildungsanstrengungen erheblich verstärken.
Wie Sie wissen, ist Deutschland auch auf dem Balkan
mit dem größten Kontingent vertreten. Neu hinzugekommen sind das UNIFIL-Mandat vor der Küste des Libanon - darüber haben wir bereits gestern gesprochen,
und darüber werden wir auch heute noch diskutieren -,
UNMIS und UNAMID, die Einsätze im Sudan und in
Darfur. Darüber hinaus leisten wir im Rahmen der Operation Enduring Freedom am Horn von Afrika einen Beitrag. Vor uns liegt noch ein Mandat zur Pirateriebekämpfung, über das auf europäischer Ebene noch diskutiert
wird.
Man muss ehrlich miteinander umgehen und feststellen: Weitere Aufgaben im Interesse der Sicherheit unseres Landes erfordern auch weitere finanzielle Unterstützung. Nur dann können unsere Soldatinnen und Soldaten
ihre Aufgaben optimal erfüllen.
({1})
Meine Damen und Herren, hierbei geht es auch darum, dass wir immer wieder aktualisieren, was die Frage
des Schutzes im Bereich der Ausrüstung für unsere Soldatinnen und Soldaten ausmacht. Wir haben derzeit
700 geschützte Fahrzeuge in Afghanistan. Zudem haben
wir die Aufklärung verstärkt. Außerdem haben wir die
technischen Mittel verstärkt. Wir haben Planungen, die
beispielsweise einen zusätzlichen Schutz für die Feldlager einbeziehen.
Ich halte es für notwendig und wichtig, dass, wenn
wir Soldatinnen und Soldaten in unserem Auftrag, im
Auftrag des Deutschen Bundestages, in riskante Auslandseinsätze entsenden, wir ihnen auch den optimalen
Schutz mitgeben, um diesen Auftrag erfüllen zu können.
Deshalb werden wir uns weiterhin finanziell engagieren,
um diesen Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten
immer wieder zu optimieren.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine
Bemerkung zu der aktuellen Situation in Afghanistan
machen. Es ist unbestritten, dass sich die Sicherheitslage
verschärft hat. Auf der anderen Seite darf man aber nicht
verkennen, welche zusätzlichen Aktivitäten die Bundesregierung im Hinblick auf den zivilen Wiederaufbau
vorgenommen hat. Ursprünglich hatten wir 80 Millionen
Euro vorgesehen. Mit der Pariser Konferenz sind es
140 Millionen Euro geworden. Im Zusammenhang mit
dem Afghanistan-Konzept haben wir zusätzliche 30 Millionen Euro unter dem Aspekt der Nahrungsmittelversorgung vorgesehen. Insgesamt sind also 170 Millionen
Euro eingeplant.
Ich halte es für notwendig und wichtig, dass wir insbesondere im Rahmen unserer regionalen Verantwortung
diese zivilen Wiederaufbauprojekte weiter vorantreiben
können. Im Norden Afghanistans haben wir über
800 Projekte umgesetzt. Energieversorgung, Wasserversorgung, Infrastruktur, Straßenbau, Schulen, Kindergärten und medizinische Versorgung, all das sind entscheidende Punkte, um das Vertrauen der Bevölkerung zu
gewinnen.
Deshalb sage ich noch einmal: Wir brauchen keinen
Strategiewechsel, sondern wir müssen unsere Strategie
der vernetzten Sicherheit im gesamten Land Afghanistan
umsetzen. Was wir beim NATO-Gipfel gemeinsam erreicht und vereinbart haben - in der NATO-Sprache
heißt dies Comprehensive Approach, also umfassender
Ansatz -, muss in Afghanistan umgesetzt werden. Außerdem muss die Ausbildung weiter vorangetrieben werden, damit Afghanistan selbst in der Lage ist, für seine
Sicherheit zu sorgen. Dann werden wir aus meiner Sicht
auf dem Weg, der kein einfacher ist, in Afghanistan
letztlich erfolgreich sein. Auch dafür bitte ich Sie um
Ihre Unterstützung.
({3})
Meine Damen und Herren, auch das will ich sagen,
weil in der Öffentlichkeit oft die Frage nach dem Sinn
des Einsatzes gestellt wird. Wir dürfen nicht vergessen,
dass sich die Bedrohungslagen für unser Land erheblich
verändert haben. Wir haben den Kalten Krieg zum Glück
überwunden. Wir haben aber die neuen Bedrohungslagen durch den internationalen Terrorismus, durch Massenvernichtungswaffen, durch Krisensituationen und
durch Staatsverfall.
Meine Damen und Herren, die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington - wir haben
ihrer vor wenigen Tagen gedacht - sind von afghanischem Boden ausgegangen. Afghanistan war das Ausbildungszentrum für den Terrorismus. Deshalb ist es wesentlich klüger, die Gefahr an der Quelle zu beseitigen,
wo die Risiken entstehen, als wenn sie in viel größerer
Dimension unser eigenes Land betreffen. Deshalb ist es
im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und
Bürger, wenn wir uns in Afghanistan engagieren, um
derartige terroristische Entwicklungen auch für unser
Land in Zukunft zurückzudrängen.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen weiteren Aspekt vortragen. Ich denke, dass es wichtig und
notwendig ist, dass wir trotz der Haushaltskonsolidierung im Rahmen dieses Etats 1,6 Milliarden Euro mehr
bekommen. Damit haben wir die Chance, die Tarifvereinbarungen des Jahres 2008/2009 für unsere Soldatinnen und Soldaten umzusetzen. Ich denke, auch das ist
ein wichtiger Punkt; denn die Mehrheit unserer Soldatinnen und Soldaten ist in den unteren Gehaltsgruppen eingestuft. Ich kann nicht immer Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit verlangen, ihnen aber nicht die finanzielle
Unterstützung zuteilwerden lassen, die notwendig ist,
um entsprechende - auch materielle - Voraussetzungen
zu erfüllen. Deshalb bin ich dankbar dafür, dass wir diesen Tarifvertrag auch und gerade mit Unterstützung dieses Parlaments für unsere Soldatinnen und Soldaten umsetzen können.
Ich füge ein Zweites hinzu: Ich finde, wir haben - das
wird oft zu wenig registriert - die Integration zweier gegeneinander ausgebildeter Armeen in die eine Bundeswehr für die Bundesrepublik Deutschland in hervorragender Art und Weise erreicht. Deshalb ist es gut, dass
jetzt die Angleichung der Ost- an die Westbesoldung
im Interesse der Soldatinnen und Soldaten möglich ist.
Wir haben eine Armee der Einheit, und ab jetzt gibt es
auch nur noch eine Besoldung. Ich denke, dies ist der
richtige Weg - auch im Hinblick auf die Integration innerhalb der Bundeswehr.
({5})
Ich will ein Weiteres hinzufügen: Wir haben mit dem
Kasernensanierungsprogramm West, wie ich finde,
einen entscheidenden Schritt hin zur Verbesserung der
Unterkunftssituation für unsere Soldatinnen und Soldaten getan. In den beiden Jahren 2008 und 2009 werden
wir immerhin rund 300 Millionen Euro investieren. Wir
haben 900 Bauprojekte in Angriff genommen. Ich
denke, dass auch dies ein wichtiger Punkt ist. Wir müssen auch die sozialen Rahmenbedingungen so gestalten,
dass wir, wenn wir von den Soldatinnen und Soldaten
Einsatzfähigkeit und Leistungsfähigkeit verlangen, ihnen auch eine adäquate Unterkunftsmöglichkeit zur Verfügung stellen können. Deshalb ist es notwendig, dieses
Kasernensanierungsprogramm West weiterhin zu forcieren und umzusetzen.
({6})
Ich kann das fortführen: Ein ganz wichtiger Punkt
war die Umsetzung des Einsatz-Weiterverwendungsgesetzes.
Noch in dieser Legislaturperiode wird das Ehrenmal
realisiert. Ich denke, dass es richtig und notwendig ist,
dass denjenigen, die im Einsatz für die Bundeswehr ihr
Leben lassen mussten, ein würdiges und ehrendes Andenken gewahrt wird. Deshalb werden wir in dieser Legislaturperiode das Ehrenmal errichten. Ich denke, auch
damit leisten wir einen wichtigen Beitrag, um denjenigen, die im Einsatz für unsere Sicherheit ihr Leben gelassen haben, auch in Zukunft ein ehrendes und würdigendes Andenken bewahren zu können.
({7})
Mit Blick auf die Uhr möchte ich nur noch schlagwortartig sagen: Wir setzen das Programm Familie und
Dienst um und beschäftigen uns weiterhin mit dem
Thema Kinderbetreuung. Mittlerweile tun 15 000 Soldatinnen innerhalb der Bundeswehr ihren Dienst. Auch
dieses Thema ist weiter voranzutreiben. Dies bedarf natürlich auch einer finanziellen Unterstützung.
Die Ausstattung mit dem entsprechenden Ausrüstungsmaterial ist ein wichtiger Punkt - auch unter den
Aspekten Erhaltung der wehrtechnischen Industrie und
der Arbeitsplätze in Deutschland. Wir erhöhen die Investitionen weiter und versuchen, den Personalanteil weiter
zu reduzieren. Wir liegen jetzt bei 39 Prozent, womit
wir, so glaube ich, in die richtige Richtung gehen.
Zusammengefasst denke ich, dass die Bundeswehr
mit diesem Haushalt die finanzielle Grundlage erhält,
die sie braucht, um ihren Beitrag für Sicherheit, Frieden
und Freiheit im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin
leisten zu können.
Haben Sie recht herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Elke Hoff von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Mit dem Haushalt, über dessen Entwurf wir heute debattieren, wird eine Legislaturperiode beendet, die von sehr
großen und sehr schwierigen Herausforderungen an
die Bundeswehr geprägt ist: Auf der einen Seite sind die
Auslandseinsätze der Bundeswehr zur größten Herausforderung geworden, und auf der anderen Seite stellt der
marode Zustand der Infrastruktur hier zu Hause eine
Dauerbelastung für den Haushalt dar, der der Minister
aufgrund der vorgelegten Zahlen auch mit seiner Ankündigung, sich diesem Thema jetzt besonders zu widmen,
leider nicht wirksam begegnen kann. Auch die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr wird zu einem politischen Dauerbrenner.
Sehr geehrter Herr Minister, leider ist Ihre Bilanz der
bisherigen Amtszeit eher nüchtern. Das vielgepriesene
Weißbuch gerät in den Schubladen Ihres Hauses zunehmend in Vergessenheit. Beim Ehrenmal für unsere toten
Soldatinnen und Soldaten wird die Tatsache ignoriert,
dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist. Die
Geisterdebatte über den potenziellen Abschuss entführter Passagierflugzeuge hat die Bundeswehrpiloten nachhaltig verunsichert. Das uneingeschränkte Fortschreiben
der Beschaffung unnötiger Großprojekte beraubt die
Bundeswehr all derjenigen finanziellen Spielräume, die
sie zur Beschaffung der im Einsatz dringend benötigten
Ausrüstung braucht. All das sind Ecksteine Ihrer Handlung als Minister.
({0})
Wenn sich heute über 40 Prozent der aktiven Berufssoldaten nicht mehr für den Soldatenberuf entscheiden
würden, müssten in Ihrem Haus eigentlich sämtliche
Alarmglocken schrillen. Doch diese Alarmsignale werden entweder schöngeredet oder ignoriert. Die tragischen Ereignisse der letzten Wochen haben leider, aber
auch mit Recht die öffentliche Diskussion wieder darüber angeheizt, wie die tödlichen Gefahren für unsere
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz auf ein Mindestmaß reduziert werden können.
Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir aus
Ihrem Hause immer wieder gehört, dass beispielsweise
das Geländefahrzeug Wolf auch in der geschützten Variante nicht den Erfordernissen des Afghanistan-Einsatzes genügt und daher schnellstmöglich durch ein besseres und geeigneteres Fahrzeug ersetzt werden müsste. Es
wurde damals in Aussicht gestellt, dass dies schon 2007
geschehen sollte. Doch was ist bis heute tatsächlich geschehen? Sie haben in Ihrem Hause einen Wettbewerb
zur Auswahl eines geeigneten Fahrzeuges beenden müssen, weil die aufgestellten technischen Kriterien nicht erfüllt werden konnten. Der verzögerte Zulauf dieser
wichtigen oder sogar wichtigsten Fahrzeugklasse im
Einsatz wird jetzt mindestens bis in das Jahr 2010 auf
sich warten lassen.
Sie haben heute bereits versucht, die zusätzlichen
1,6 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt als Erfolg
zu verkaufen. Leider werden Sie durch diesen Zugewinn
nicht einen einzigen Euro zusätzlichen Spielraum für
dringend notwendige neue Projekte erhalten. Allein die
gestiegenen Personalausgaben in Höhe von rund
800 Millionen Euro, die zusätzlichen Ausgaben für die
Fregatte 125, für SATCOM Bw, für die Flugbereitschaft
der Bundesregierung, für den A400M und die Preisfortschreibungen bei anderen Vorhaben zehren diesen Spielraum auf, ohne dass dringend benötigte Projekte, wie
beispielsweise Geräte zur Freund-Feind-Erkennung oder
dringend benötigte zusätzliche Transporthubschrauber,
darstellbar wären.
Sie könnten dies ändern, wenn Sie endlich die Fehler
der Vergangenheit korrigieren würden, statt sie weiter
fortzuschreiben. Beispielsweise sollten Sie schleunigst
aus dem Projekt MEADS aussteigen, bevor daraus ein
neues Milliardengrab von zweifelhaftem Nutzen wird.
Bis heute sind bereits 600 Millionen Euro Steuergelder
ausgegeben worden, ohne dass dieses Projekt einen erkennbaren Fortschritt angenommen hätte. Viel schlim18706
mer: Es wird immer offensichtlicher, dass das Management dieses Projektes miserabel ist und die
einkalkulierten finanziellen Spielräume bis heute bereits
aufgezehrt worden sind.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie werden sich auch an
Ihren bereits im Februar dieses Jahres geäußerten Ankündigungen messen lassen müssen, die dem Bund zustehenden Schadensersatzansprüche bei der verzögerten
Auslieferung des A400M vollständig einzufordern. Das
würde bei den vereinbarten Stückzahlen von 60 Stück
rund 280 Millionen Euro ausmachen. Bisher haben Sie
jedoch nur wie jedes Jahr für diesen Bereich Preissteigerungen in Höhe von 200 Millionen Euro in den Haushalt
eingestellt.
Über 50 Prozent Ihres Investitionshaushaltes werden
durch Fluggeräte belegt, deren Stückzahlen zu hoch
sind, die nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen, die zu spät geliefert werden, die ständige Preisanpassungen erfordern und deren Kosten für die Ausbildung nicht annähernd gedeckt sind.
({1})
Es ist jetzt endlich an der Zeit, damit aufzuhören, die
Parlamentarier und die Steuerzahler für dumm zu verkaufen. Verträge sind keine Einbahnstraße. Vor allem
sind sie dazu da, von beiden Seiten eingehalten zu werden. Dies gilt auch für die Industrie. Herr Minister, ich
bin gespannt, wie Sie auf das Schreiben von Herrn
Gallois reagieren werden. Sie haben sich dazu in der
Presse sehr dezidiert geäußert. Ich denke, wir alle werden Sie dabei unterstützen, diesen Weg einzuhalten,
Kurs zu halten und die berechtigten Interessen des deutschen Steuerzahlers bei der Abwicklung und Erfüllung
von Verträgen durchzusetzen.
({2})
Nutzen Sie wenigstens das letzte Jahr Ihrer Amtszeit
für eine nachhaltige Korrektur Ihrer Haushaltspolitik
zum Nutzen der Bundeswehr und vor allen Dingen auch
zum Nutzen unserer Steuerzahlerinnen und Steuerzahler!
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat jetzt der Kollege Johannes Kahrs von
der SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Kameraden!
({0})
- Wer gedient hat, darf auch so reden.
Der vorliegende Verteidigungshaushalt weist einen
Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro auf. Damit setzen
wir im Großen und Ganzen die von Peter Struck begonnene Linie fort. Ich glaube, das ist gut für die Bundeswehr, für die nötigen Investitionen, für die Infrastruktur
und insbesondere für die Soldatinnen und Soldaten.
Frau Hoff, wenn Sie sagen, dass der Minister den
Wähler für dumm verkauft, bitte ich Sie, sich daran zu
erinnern, dass der Eurofighter damals unter SchwarzGelb und damit unter Beteiligung der Liberalen bestellt
worden ist. Gerade bei solchen langfristigen Verträgen
wird man immer auch daran erinnert, was man einst selber mitbeschlossen hat. Man kann über vieles verhandeln, aber ich finde es etwas seltsam, das dann als
„dumm verkaufen“ zu bezeichnen.
({1})
- Aber wenn man sie selber mitbeschlossen hat, dann
kann man sie jetzt nicht bemängeln. Werden Sie nicht
hektisch! Seien Sie einfach ruhig, und hören Sie zu!
Dann können Sie etwas lernen.
Des Weiteren haben Sie angesprochen, dass es an geschützten Fahrzeugen fehlt. Wir haben in den letzten
Jahren sehr viele geschützte Fahrzeuge gekauft. Ich erinnere nur an die Dingos, die wir in regelmäßigen Abständen beschaffen. Beim Fuchs haben wir einige Nachbesserungen vorgenommen, damit auch dieses vorzügliche
Fahrzeug entsprechend zum Einsatz kommen kann. Wir
haben 25 Eagle bestellt. Weitere werden folgen.
Ich glaube, im Großen und Ganzen ist das, was der
Minister gesagt hat, richtig: Die Opposition kann immer
kritisieren, aber sie muss auch ein bisschen bei der
Wahrheit bleiben; sonst wird es langweilig.
Wir haben im Zuge der Haushaltskonsolidierung mit
diesem Haushalt einen anständigen Stand erreicht. Mit
dem Aufwuchs von 1,53 Milliarden Euro können wir für
die Soldaten vieles vorantreiben, was wichtig und notwendig ist. Man darf nicht vergessen, dass wir keine
Bundeswehr haben, mit der wir sozusagen den Großen
Vaterländischen Krieg erwarten; die Bundeswehr ist
vielmehr zu einer Einsatzarmee geworden. Das macht
viele Veränderungen nötig. Dies ist nicht immer ganz
einfach. Im Bereich Material wurde schon viel getan.
Rudolf Scharping, Peter Struck und Herr Jung setzen
diese Kette fort. Das läuft nicht immer optimal. Da Verträge einzuhalten sind, sind auch Kompromisse nötig.
Trotzdem glaube ich, dass wir für die Bundeswehr das
bestmögliche Material zum Einsatz gebracht haben. Ein
ausreichender Schutz ist nämlich das Wichtigste.
Bei all der Begeisterung für das Gerät darf man aber
nicht vergessen, dass dieses Gerät von Menschen bedient wird, um die man sich kümmern muss, damit der
Dienst attraktiv bleibt. Der Wehrbeauftragte, der heute
anwesend ist, hat das immer wieder angemahnt. Ich
glaube, dass man das nicht zu gering schätzen darf. Unsere Soldaten im Einsatz sind oft genug auch Diplomaten, Polizisten, Aufbauhelfer und vieles mehr. Dafür
muss man sie ausrüsten und motivieren. Man muss sie
aber auch entsprechend bezahlen.
Wir brauchen intelligente, körperlich belastbare
Frauen und Männer, die es nicht an jeder Ecke gibt. Die
Situation auf dem Arbeitsmarkt ist bekannt.
Der Bundeswehr-Verband hat ebenso wie der Reservistenverband, dessen Präsident anwesend ist, in verdienstvoller Weise darauf hingewiesen, dass wir Gefahr
laufen, in Zukunft nicht mehr ausreichend attraktiv zu
sein, um den notwendigen Nachwuchs zu gewinnen. Wir
müssen zurzeit zusehen, wie teuer ausgebildete Spezialisten, Piloten und Ärzte die Bundeswehr verlassen, um
in die Privatwirtschaft zu gehen. Das kann und darf uns
nicht kaltlassen.
Einige fordern Insellösungen für diese betroffenen
Berufsgruppen. Das halte ich für falsch. Man darf nicht
immer nur in bestimmten Bereichen nachbessern. Dadurch erhöhen sich die Ungerechtigkeiten im System.
Man muss vielmehr zu einer Lösung kommen, von der
alle profitieren. Wenn nur 500 oder 1 000 Personen von
einer Insellösung profitieren, dann fühlt sich der Rest der
Truppe nicht zu Unrecht ungerecht behandelt. Das wollen wir nicht. Das kann keine Lösung sein. Stattdessen
müssen wir Strukturveränderungen erreichen. Das ist unter Rudolf Scharping geschehen, indem etwa die Besoldungsstufen A 1 und A 2 als Eingangsbesoldung abgeschafft wurden. Ich glaube, dass auch mit A 3, A 4 und
A 5 niemand mehr ernsthaft begeistert werden kann, der
sich in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes umsieht.
Hier muss sich das Bundesinnenministerium bewegen
und uns entgegenkommen. Dann muss man schauen,
was man machen kann. Es kann nicht angehen, dass wir
so weitermachen wie bisher. Wir brauchen eine vernünftige Gehaltsstruktur. Otto Schily hat bei der Bundespolizei gezeigt, wie man das macht. Dort hat man nun eine
vernünftige Gehaltsstruktur. Wenn wir sie für die Bundeswehr übernähmen, stünden die Soldaten sehr viel
besser da. Das würde sicherlich mehr Geld kosten. Wenn
man aber leistungsfähige und motivierte Soldaten haben
will, muss man auch investieren, gerade in die Bezahlung.
({2})
Personalentwicklung und Personalführung sind eine
weitere Stellschraube, mit der wir die Attraktivität erhöhen können. Jeder Soldat muss wissen, welche Chancen
und Perspektiven er hat. Wenn die Kameraden mit ihren
Personalbearbeitern sprechen, wollen sie meistens wissen, wie die nächsten drei Stationen ihrer Laufbahn aussehen, wo sie eingesetzt werden, ob sie am Standort ein
Haus bauen und dort ihre Kinder einschulen können und
ob sie Planungssicherheit haben. Das heißt, der Personalbereich der Bundeswehr muss ein Dienstleistungsapparat werden. Manchmal hat man das Gefühl, dass Personalbearbeiter immer nur auf ihre Stellenlisten schauen.
Wichtig ist aber, dass die Menschen zufrieden und
glücklich sind. Planungssicherheit ist ein hohes Gut.
Auslandseinsätze verlangen den Soldaten und ihren Familien unendlich viel ab. Daher muss man wenigstens
dort für Planungssicherheit kämpfen, wo sie möglich ist.
Das kann man hier im Land machen. Wenn die personalbearbeitenden Dienststellen nicht nur sagen, dass der
Soldat im Mittelpunkt - und damit jedem im Weg steht,
({3})
sondern das auch umsetzen und jedem helfen, dann
kommen wir voran. Herr Minister, ich bitte Sie, dafür zu
sorgen.
Junge Wehrpflichtige müssen Zeitsoldaten werden
wollen. Zeitsoldaten müssen sich weiterverpflichten
wollen, müssen Berufssoldaten werden wollen. Aber dafür muss man ihnen etwas bieten und ihnen entgegenkommen. Man kann als Dienstherr nicht nur fordern und
beanspruchen, sondern muss auch zeigen, dass einem
das etwas wert ist. Wir, das Parlament, sollten dies unterstützen, weil es sich um eine Parlamentsarmee handelt.
({4})
Herr Minister, Sie haben dankenswerterweise darauf
hingewiesen, dass wir etwas im Bereich der Unterbringung tun müssen. Das finde ich richtig. Es wird auch
mehr Geld eingesetzt. Aber das Problem, das wir seit
Jahren im Parlament ansprechen, ist: Im Ministerium bewegt sich das Ganze zu lahmarschig, um es noch freundlich zu sagen. Wenn Sie sich die Strukturen anschauen,
dann stellen Sie fest: Das geht einfach nicht. Wir haben
eine Superabteilung für Modernisierung. Sie produziert
viel Papier, aber in der Sache ändert sich nichts. Selbst
wenn neu gebaut wird, geschieht das nach uralten Bauvorschriften. Man hat dann eine Steckdose pro Stube.
Aber heutzutage brauchen vier Soldaten, die dort wohnen, durchaus mehr. Unsere IT-Einrichtung ist nicht in
der Lage, den Soldaten auf den Stuben, auf denen sie in
der Woche wohnen müssen, einen Internetanschluss zu
gewähren. Zum Teufel, welcher junge Mensch kommt
denn ohne einen Internetanschluss aus? Das ist doch
peinlich. Das muss man doch hinbekommen, wenn man
Soldaten halten will. Wenn man junge Soldaten in Einödstandorte in Hessisch-Sibirien schickt, lieber Kollege
Siebert, dann muss man den Soldaten auch etwas bieten.
Herr Minister, wir haben uns den Standort in Schwarzenborn angeschaut. Uns wurde versprochen, dass etwas
passiert. Nach vielen Telefonaten im Hause kann ich Ihnen sagen: Es passiert nichts. Der zuständige Oberst bei
Ihnen in Schwarzenborn hat behauptet, alles sei eigentlich in Ordnung, und die Soldaten seien ganz glücklich,
wenn sie in Holzbaracken wohnen dürften. Aber wir
müssen uns deutlich vor Augen führen, unter welchen
Umständen wir Wehrpflichtige, Zeitsoldaten und Offiziere unterbringen. Eigentlich müsste man alle Holzbaracken abreißen und gleichzeitig mindestens fünf, sechs
neue Unterkunftsgebäude errichten, und zwar so schnell,
dass nicht erst Ihr Nachfolger oder dessen Nachfolger
die Gebäude einweihen kann, sondern dass wir alle das
noch erleben. Für die betroffenen Menschen ist das
wichtig. Wir brauchen auf jeden Fall ein vernünftiges
Heizkraftwerk und eine gute Infrastruktur. Das muss gemacht werden. Die Soldaten pendeln in der Regel. Aber
es gibt keine Feldwebel- und Offizierwohnheime mehr.
Dennoch gilt die Kasernenpflicht. Wir müssen uns anstrengen, mehr zu tun, damit die Soldaten zufrieden sind.
Wir müssen die Bauvorschriften vereinfachen, damit
schneller gebaut werden kann.
({5})
Ich habe viel zu schnell geredet. Man möge das entschuldigen. Ich danke allen, die zugehört haben. Herr
Minister, ich hoffe, dass wir das alles gemeinsam in die
Hand nehmen und machen. Geben Sie Ihrem Apparat
ein bisschen Schwung! Für die Truppe im Einsatz ist das
wichtig.
Vielen Dank. Glück auf!
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Paul Schäfer von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einem
Punkt hat die Bundesregierung recht: Der Verteidigungshaushalt wird immer mehr zu einem Einsatzhaushalt.
Aber lassen Sie uns von dem Schönsprech weggehen
und Klartext reden. Denn Einsatz klingt ein wenig nach
bürgerschaftlichem Engagement, aber hier geht es nicht
zuletzt um die Herstellung von Kriegsführungsfähigkeiten, und diese sollen gegebenenfalls - Stichwort: Armee
im Einsatz - auch eingesetzt werden.
Wofür sonst wollen Sie in der Wittstocker Heide
Bomben abwerfen lassen, wofür sonst stellen sie in
Kalkar ein Hauptquartier für Luftkriegsoperationen auf,
das weltweit verlegt werden kann, und wofür sonst lassen Sie in Manching den Eurofighter bauen? Man sollte
weniger vom Einsatzhaushalt und noch weniger vom
Verteidigungshaushalt reden, sondern vielmehr von einem Kriegsertüchtigungsetat.
({0})
Genau aus dem Grund lehnt Die Linke diesen Etat ab.
Kriegsführungsfähigkeit ist teuer. Nach NATO-Kriterien geben wir jetzt 33,5 Milliarden Euro dafür aus. Es
kann nicht oft genug gesagt werden: Wer hochrüstet, entzieht der Wirtschaft und der Gesellschaft Ressourcen,
Finanzen und Arbeitskraft. Das sind 33,5 Milliarden
Euro, die woanders sinnvoller eingesetzt werden können.
({1})
Wir müssen diese Ausgaben senken, statt sie immer weiter nach oben zu treiben.
Frieden schaffen mit immer weniger Waffen - das hat
einmal ein CDU-Bundeskanzler gesagt.
({2})
Aber Sie machen genau das Gegenteil. Die Große Koalition hat den Rüstungshaushalt seit 2006 um insgesamt
3,2 Milliarden Euro erhöht, und in den nächsten Jahren
soll es weiter nach oben gehen. Allein dieser Haushaltsplan weist eine Steigerung von 1,6 Milliarden Euro auf.
Der größte Teil davon fließt in die investiven Ausgaben.
Das sind vor allem die militärischen Beschaffungen.
33,5 Milliarden Euro für die Rüstung sind keine gute
Investition in die Zukunft, nicht zuletzt deshalb, weil mit
der langfristigen Verpfändung der Steuergelder die Möglichkeiten künftiger Haushaltsgestaltung stark eingeengt
werden. Die Verpflichtungsermächtigungen steigen in
diesem Haushalt wieder um knapp 10 Milliarden Euro.
Für die Zeit ab 2010 sind damit bereits 56 Milliarden
Euro festgelegt, über die der künftige Bundestag gar
nicht mehr entscheiden kann. Das ist einfach nicht hinnehmbar.
({3})
Ich hänge nicht der naiven Vorstellung an, man könne
von einem Tag auf den anderen von einem Topf in den
anderen verschieben. Aber es ist trotzdem hilfreich, sich
einfach einmal klarzumachen, wo wir Prioritäten setzen
oder wie Prioritäten anders gesetzt werden müssten. Wir
fordern zum Beispiel, die Kinderbetreuung flächendeckend auszubauen; das fordern andere Fraktionen auch.
Die geschätzten Kosten dafür betragen 9 Milliarden
Euro. Allen Kindern in der Schule eine warme Mahlzeit
zu ermöglichen, wird mit Kosten in Höhe von 4 Milliarden Euro veranschlagt. Die Kosten für die Anhebung des
Hartz-IV-Regelsatzes auf 435 Euro werden auf 9 Milliarden Euro geschätzt. Diese drei Maßnahmen wären
mit der Summe des Wehretats locker zu finanzieren. Und
Sie hätten noch mehr als genug übrig, um die Summe für
den zivilen Teil der Afghanistan-Hilfe zu verdreifachen.
({4})
- Ja, das wäre drin.
Ich sage noch einmal, dass ich nicht der Vorstellung
anhänge, man könne von einem Tag auf den anderen
umschichten. Aber wir müssen doch endlich einmal anfangen, die Prioritäten neu zu setzen und von den hohen
Rüstungsausgaben herunterzukommen.
({5})
Ich weiß, dass der Einwand kommen wird, dass Sicherheit ein teures Gut ist. Die Frage ist aber, ob der
Preis stimmt. Worum geht es denn, wenn heute von Sicherheit die Rede ist? Drei Dinge werden genannt:
Schutz vor militärischer Gewalt, Sicherung unserer
Energieversorgung, Schutz der Bürgerinnen und Bürger
vor terroristischen Anschlägen.
Der erste Punkt führt zu der Frage, ob wir in absehbarer Zeit militärisch bedroht sind. Nein, das sind wir
nicht, und niemand hier wird das ernsthaft behaupten.
Trotzdem wurden während des Krieges in der KaukasusRegion Versuche unternommen, eine solche Wahrnehmung zu erzeugen. Aber sehen wir die Sache nüchtern.
Weder die Balten noch die Polen sind durch Russland
militärisch bedroht. Russland hat heute weder die Fähigkeiten noch im Geringsten die Absicht, diese Länder anPaul Schäfer ({6})
zugreifen und zu besetzen. Das gilt für Deutschland erst
recht.
Richtig ist allerdings, dass die Russen sich dank Erdöl
und Erdgas wieder als starke Macht sehen, und sie wollen den Zustand permanenter Demütigung nicht länger
akzeptieren. Es geht jetzt mitnichten darum, sich die Interessen Moskaus zu eigen zu machen oder sich ihnen
gar zu unterwerfen. Von uns steht niemand auf der
Gazprom-Gehaltsliste.
({7})
Aber man muss schlicht zur Kenntnis nehmen, dass europäische Sicherheit nur mit Russland zu haben ist. In
besseren Zeiten ist gerne von einer strategischen Partnerschaft mit Russland gesprochen worden. Mir würde eine
ehrliche Partnerschaft schon genügen. Denn dann würde
man darauf verzichten, neue Raketen in Polen zu stationieren, dann würde man darauf verzichten, rund um
Russland Militärbasen der NATO aufzubauen, und dann
würde man darauf verzichten, die NATO bis nach Zentralasien auszudehnen. Dann würde sich auch das Thema
neue Angst vor Russland zumindest tendenziell erledigen. Grund zur Hochrüstung ist das jedenfalls nicht.
({8})
Zum Zweiten: Dass wir es mit wachsenden Ressourcenkonflikten zu tun haben, spricht sich herum. Der
Kaukasus und Zentralasien sind dafür Beispiele. Es
stimmt, wir haben eine wachsende Konkurrenz um die
zur Neige gehenden fossilen Brennstoffe, und es gibt einen Wettlauf um den Zugang zu den sogenannten strategischen Rohstoffen. Dieser reicht von der Arktis über
den Nahen Osten bis ins südliche Afrika. Aber allein die
Vorstellung, man könne Erdölquellen, Pipelines und
Schifffahrtsrouten mit militärischer Gewalt dauerhaft
absichern, ist schlicht abwegig. Es geht um ökologisches
Umsteuern in der Energiepolitik, um eine gerechtere internationale Wirtschaftspolitik. Es geht also um zivile
Antworten auf das Ressourcenproblem, nicht um militärische.
({9})
Was drittens die Terrorgefahr und den notwendigen
Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger anbetrifft, so ist
bei anderen Gelegenheiten hier schon alles gesagt worden. Man kann dem Terror nicht mit militärischer Gewalt und Gegenterror begegnen. Das nährt ihn, statt ihn
auszutrocknen. Der siebenjährige Krieg, der Global War
on Terrorism, hat genau dies gezeigt. Dass Gewalteskalation die falsche Antwort ist, zeigt auch und gerade der
Schauplatz Afghanistan. Nach sieben Jahren Krieg wird
die Sicherheitslage immer prekärer. Selbst dem US-Generalstabschef sind jetzt Zweifel am Erfolg der Mission
gekommen. Es ist, wie es ist: Die NATO kann diesen
asymmetrischen Krieg ebenso wenig gewinnen wie die
Taliban.
Es wird eine wirklich neue Strategie gebraucht. Wir
brauchen einen Waffenstillstand, der von den afghanischen Konfliktparteien selbst ausgehandelt werden
muss. Da sollten Sie genauer auf die Meinung von circa
3 000 Stammesvertretern - inzwischen sind es sehr viel
mehr - vor allem aus den Paschtunengebieten hören, die
sich im Mai als afghanische Friedensdschirga konstituiert haben. Diese Friedensversammlung sagt klar: Der
afghanische Dialog wird nur zu einem Erfolg geführt
werden können, wenn klar ist, dass die auswärtigen
Truppen möglichst rasch abziehen. Das ist der Punkt.
({10})
Die NATO hat nicht nur in Afghanistan gezeigt, dass
sie das ungeeignete Instrument für eine gedeihliche Friedensentwicklung in der Welt ist. Diese Debatte werden
wir im nächsten Jahr führen. Ich freue mich darauf, und
dann wird man sehen, ob es sinnvoll ist, an einer Militärallianz festzuhalten, die zwei Drittel der Weltmilitärausgaben bestreitet und die doch, wie sich jetzt gezeigt hat,
dem alten Freund-Feind-Denken verhaftet bleibt. Wir
werden darüber streiten, ob man die NATO nicht durch
kooperative Sicherheitsstrukturen überwinden muss.
Das ist die Position der Linken.
Zum Schluss: Wir fordern erstens, dass sich die Bundeswehr auf den Grundgesetzauftrag konzentrieren soll.
Der Militärinterventionismus Out of Area muss beendet
werden.
Das bedeutet zweitens, dass dann die neuen U-Boote,
Fregatten und Einsatzgruppenversorger oder auch
Kampfhubschrauber nicht mehr gebraucht werden. Wir
werden in diesem Sinne Einsparvorschläge im Umfang
von circa 10 Prozent des Wehretats machen. Diese Einsparungen können für soziale, entwicklungspolitische
Zwecke, für den sozialverträglichen Umbau der Streitkräfte und für die soziale Besserstellung gerade der
Mannschaften und der Unteroffiziere verwendet werden.
Drittens braucht die Bundesrepublik keine Hand an
nuklearen Vernichtungswaffen. Deshalb kann die Tornadostaffel in Büchel außer Dienst gestellt werden.
({11})
Viertens ist die Aufhebung der Wehrpflicht überfällig.
({12})
Sie greift ohne äußere Not in das Leben junger Männer
ein - in diesem Fall nur Männer.
({13})
Sie ist sicherheitspolitisch nicht mehr begründbar.
({14})
Fünftens sind die deutschen Truppen aus Afghanistan
abzuziehen, und zwar so schnell wie möglich. Es ist in
diesem Zusammenhang gut, wenn an diesem Samstag
viele Menschen in Berlin und Stuttgart für diese Forderung auf die Straße gehen und demonstrieren.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({15})
Das Wort hat der Kollege Alexander Bonde von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich müssten wir heute bei dieser Debatte sehr intensiv über die verschiedenen Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Mandat und dessen
Verlängerung stellen, diskutieren. Dass wir es heute
nicht tun, ist ein Stück symptomatisch für die Politik, die
wir vom Minister und der Bundesregierung in dieser
Frage erleben. Wir diskutieren heute nicht über Afghanistan, weil Sie entschieden haben, dass das wichtigste
Mandat und der wichtigste internationale Einsatz der
Bundeswehr und die wichtigen Fragen, die sich stellen,
nämlich ob der zivile Wiederaufbau im Zentrum steht
und die militärische Strategie richtig gepolt ist oder
nicht, weniger wichtig sind als die Bitte von zwei Landtagswahlkämpfern in Bayern, nämlich dem CSU-Vorsitzenden und dem Ministerpräsidenten.
Aus diesem Grund haben Sie diese Debatte heute
nicht geführt. Aus diesem Grund wollen Sie diese Debatte nächste Woche nicht führen. Sie wird vielmehr in
einer Sondersitzung nach der Wahl in Bayern geführt.
Ich glaube, allein dieser Vorgang macht deutlich, mit
welcher komischen Haltung und mit welchen Tricksereien diese Bundesregierung und dieser Bundesverteidigungsminister in zentralen sicherheitspolitischen Fragen
unterwegs sind.
({0})
Im Rahmen dieser Debatte reden wir über den letzten
Haushalt dieses Verteidigungsministers. Insofern muss
man die Bilanz dieser gesamten Amtszeit durchgehen.
Der Haushalt der Bundeswehr ist seit 2005 um über
3 Milliarden Euro gestiegen. Allein dieses Jahr gibt es
einen ordentlichen Schluck aus der Pulle mit 1,6 Milliarden Euro mehr. Die Ursprungsbegründung für diese Erhöhung war übrigens, man brauche 1 Milliarde Euro, um
die Tarifsteigerungen einzuarbeiten. Interessanterweise
fließen von diesem Aufwuchs jetzt nur knapp mehr als
500 Millionen Euro ins Personal. Aber auch das ist ein
Stück weit symptomatisch für diesen Haushalt.
Herr Minister, ich will nicht verhehlen, dass Sie in Ihrer Amtszeit auch Erfolge hatten. Zwei davon werden in
die Geschichte sicherlich als die große Legacy Ihrer
Amtszeit eingehen: Es ist Ihnen zweimal gelungen
- beim Ehrenmal und bei der Frage des öffentlichen Gelöbnisses -, das Grünflächenamt Berlin-Mitte im
Rechtsstreit zu besiegen. Herzlichen Glückwunsch!
({1})
Ich muss offen sagen: In anderen Bereichen suchen wir
diesen Einsatz, diese Reformkraft und auch den Erfolg.
Nach wie vor unbeantwortet sind die Fragen: Wie
setzt sich eigentlich der Transformationsprozess der
Bundeswehr fort? Was sind eigentlich die Konsequenzen
daraus, dass die Bundeswehr mit heute 250 000 Soldatinnen und Soldaten an ihr Limit stößt, wenn 7 000 davon bei
Einsätzen im Rahmen eines UN-Mandats international
zur Stabilisierung beitragen? An dieser Baustelle arbeitet
keiner. Da ist nicht Mittagspause, sondern Sendepause,
und das schon Ihre gesamte Amtszeit über.
In Wirklichkeit haben Sie in Sachen Wehrpflicht das
Rad zurückgedreht. Sie haben mit einer ideologischen
Begründung dafür gesorgt, dass 5 000 Wehrpflichtige
mehr zur Bundeswehr eingezogen werden. Das klingt im
ersten Moment nicht nach einer zentralen Fragestellung.
Wenn man sich aber einmal anschaut, welche Ausgaben
das mit sich bringt, wie viel Personal zur Ausbildung
und Betreuung dieser 5 000 Zusätzlichen, die in der Kaserne hinterher von niemandem gebraucht werden und
auch in der Stabilisierungsmission nicht einsetzbar sind,
erforderlich ist, dann wird es interessant. Ich will darauf
hinweisen, dass die OECD in einer Studie vor kurzem
veröffentlicht hat, was die Wehrpflicht volkswirtschaftlich kostet. Nach Angaben der OECD mindert sie das
Wachstum um 0,5 Prozent. Ich finde, das ist schon etwas, angesichts dessen man in der finanz- und wirtschaftspolitischen Diskussion, die wir gerade führen,
einmal aufhorchen müsste.
Reden wir noch einmal über die 5 000 Wehrpflichtigen, die zusätzlich zur Bundeswehr eingezogen werden.
Sie haben vorhin die Situation von gering bezahlten
Leistungsträgern in der Bundeswehr beklagt; auch der
Kollege Kahrs hat dieses Argument zu Recht angeführt.
Man sollte sich heute einmal die Standorte der Bundeswehr anschauen, an denen Ausbildungskompanien aus
dem Boden gestampft wurden. Wenn man mit den Leuten
dort spricht, erfährt man Interessantes. Die Kapazitäten
verlagern sich zum Teil von Einheiten, die in Einsätze gehen, hin zur Ausbildung von neuen Wehrpflichtigen, die
niemals ein Einsatzland sehen werden.
Genau die Gruppe von schlechtbezahlten Leistungsträgern in der Bundeswehr, die keinen Rechtsanspruch
auf Übernachtung in der Kaserne haben, muss die Kaserne verlassen, bevor die Wehrpflichtigen kommen. Sie
zahlen dann ein paar Hundert Euro für eine Stube außerhalb der Kaserne. Sie wissen genau: Das sind die Leistungsträger, die gemeint sind, wenn Sie hier immer über
Attraktivität reden. Aber ideologisch wichtiger ist Ihnen
am Ende dann doch, die Wehrpflicht aufrechtzuerhalten.
Ich glaube, das Kernproblem ist: An den richtigen Stellschrauben dreht diese Regierung einfach nie.
({2})
Das sehen wir auch in anderen Bereichen, etwa bei
der zivilen Krisenprävention. Man stelle sich einmal
die Frage: Wie kommt man eigentlich bei der Ressortabstimmung voran? Bei den Einsätzen der Bundeswehr ist
das nicht das Problem. Wenn man sich anschaut, wie
Soldatinnen und Soldaten, Vertreterinnen und Vertreter
des Auswärtigen Amtes sowie des Entwicklungsministeriums - bei diesen beiden muss man sagen: wenn sie
denn einmal im Einsatzland sind - und NGOs zusammenarbeiten, dann stellt man fest: Das funktioniert. Aber
in dem Moment, wo es wieder auf die ministerielle
Ebene geht, sind wir mitten im Kampf der Ministerien.
Sie haben auch noch etwas dazu beigetragen, dass das
nicht besser wird. Den Ansatz für strukturelle Krisenvorsorge, den Sie bisher im Einzelplan hatten und von
dem Sie uns immer berichtet haben, die Resonanz sei
gut, die Erfahrung damit sei in hohem Maße zu loben,
setzen Sie auf null. Dieses wichtige Instrument für die
Zusammenarbeit wird in Ihrem Haushalt einfach gestrichen. Auch da ist die Bilanz: Es geht rückwärts in der
strukturellen Krisenvorsorge. Es geht rückwärts in der
koordinierten Krisenprävention. - Auch das ist eine
schlechte Bilanz Ihres Hauses, Herr Jung.
({3})
Die Rüstungspriorisierung hat die Kollegin Hoff zu
Recht angesprochen. Was ist uns in den letzten Jahren
von Ihnen alles an dicken Rüstungsprojekten auf den
Tisch gelegt worden! Was den Eurofighter angeht, wollen Sie demnächst die dritte Tranche bestellen. Einen
Gegner für diesen alten Flieger gibt es bis heute nicht.
Ihre Argumentation in den letzten Jahren war auch klar:
Wir reden hier über Industriepolitik und nicht über sicherheitspolitische Anforderungen.
({4})
Ähnlich ist es bei der Fregatte F 125, die wir zum
Dreifachen des üblichen Preises gekauft haben, damit
deutsche Werften bauen. Ich nenne weiter die Abwehrrakete PARS 3, und das zweite Los U-Boote. Am Ende ist
Ihre Amtszeit davon geprägt, dass die Bundeswehr am
Bedarf vorbei Industriepolitik betreibt - und das milliardenschwer auf dem Rücken der Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler.
({5})
Wenn wir uns anschauen, in welchen Bereichen genau diese Bugwelle an Investitionen Schaden hinterlässt,
welche Projekte auf die lange Bank geschoben werden,
dann erkennen wir: Das ist wieder genau dort, wo es
vielleicht nicht spannend ist, weil es kleine Dinge sind,
die man nicht in einer großen Eröffnung auf dem Rollfeld im Blitzlichtgewitter vorstellen kann. Das sind
Dinge, die die Soldatinnen und Soldaten dort brauchen,
wo wir sie brauchen, nämlich in den von den UN gebilligten Einsätzen für Stabilisierung. Es sind die Kleinigkeiten, die bei dieser Rüstungsbeschaffung am Ende immer hinten runterfallen, weil die Milliardenprojekte den
Haushalt 2009 blockieren und weil Sie die Bugwelle
weiterschieben auf 2010 und 2011. Das ist auch genau
der Grund dafür, dass das zusätzliche Geld, das Sie in
den letzten Jahren bekommen haben, keinerlei Entsprechung in dem hat, was die Bundeswehr für das leisten
kann, für das wir sie wollen.
Herr Minister, die Transformationspause hat uns ein
paar Milliarden gekostet. Die darf man sich aber nicht
länger leisten. Es ist wirklich an der Zeit, die nächste
Stufe der Transformation der Bundeswehr in Angriff zu
nehmen. Es ist wirklich an der Zeit, die Personenzahl zu
reduzieren. Wir brauchen eine spezialisierte Bundeswehr
mit 200 000 Leistungsträgerinnen und Leistungsträgern,
die für Stabilisierungsmissionen ausgerüstet und darauf
konzentriert ist. Und bei der für die schwere Arbeit, die
da geleistet wird, entsprechend bezahlt wird. Da haben
wir keinen Platz für Wehrpflichtige. Die können in solch
komplizierten Missionen keinen Beitrag leisten. Das ist
der Weg, der dringend eingeschlagen werden muss.
Auch diese große Chance hat die angeblich Große Koalition in den letzten Jahren nicht wahrgenommen. Ich
fürchte, wir haben da wichtige Zeit verloren. Ich kann
nur hoffen, dass die Koalition am Ende ihren sicherheitspolitischen Stillstand und die Verweigerung eines sicherheitspolitischen Diskurses beendet und wir in die Lage
kommen, hier eine ehrliche Diskussion zu führen: Wofür
brauchen wir die Bundeswehr? Wofür brauchen wir sie
nicht? Was heißt das dann für die Frage, welche Bundeswehr wir eigentlich brauchen?
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Bernhard Kaster von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich mit einer Vorbemerkung beginnen. Der
Einzelplan 14, der Verteidigungshaushalt, ist auch als
ein Beispiel dafür zu nennen, dass es sehr wohl möglich
und kein Widerspruch ist, wenn der Gesamthaushalt unter der Überschrift „Haushaltskonsolidierung“ steht.
Haushaltskonsolidierung und gleichzeitige Investitionen
in Bereichen, in denen sie unabdingbar notwendig sind,
gehen zusammen. Dafür ist der Verteidigungsetat durchaus ein gutes Beispiel, denn die Verteidigungs- und
Sicherheitspolitik unseres Landes in einer globalisierten
Welt steht schon seit Jahren vor großen Herausforderungen. Ich nenne hier den internationalen Terrorismus
und damit die Verschmelzung von innerer und äußerer
Sicherheit, nach wie vor vorhandene Gefahren der Verbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen,
das Nuklearprogramm des Iran, aber auch die neuen Herausforderungen, vor denen die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik der Europäischen Union steht.
Die jüngste Kaukasuskrise hat uns dies noch einmal gezeigt.
Diesen Herausforderungen können wir uns nicht allein stellen. Die Bundeswehr ist in die transatlantische
Sicherheitsarchitektur der NATO eingebettet. Sie nimmt
ihre Verantwortung innerhalb der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wahr und leistet ihren
Dienst im Auftrag der Vereinten Nationen. Als Union,
als CDU und CSU, stehen wir für diese transatlantische,
europäische und globale Einbindung unserer Streitkräfte
ein.
({0})
Wird der vorliegende Wehretat diesen Herausforderungen gerecht? Ich antworte mit einem klaren Ja.
({1})
Als Union sind wir uns unserer Verantwortung bewusst,
innere und äußere Sicherheit als Grundvoraussetzung für
eine freiheitliche Gesellschaft zu gewährleisten. Hier beziehe ich den Verteidigungsetat, aber auch den Innenetat
mit ein. Der Verteidigungsetat steigt um 1,6 Milliarden
Euro auf nun insgesamt 31,1 Milliarden Euro. Allein die
Ausgaben für militärische Beschaffungen, Wehrforschung, militärische Anlagen etc. steigen um rund
700 Millionen Euro auf jetzt 10,2 Milliarden Euro. Die
eingestellten Verpflichtungsermächtigungen, auch das
ist wichtig, ermöglichen auch für die Folgejahre, dass
die entsprechenden Beschaffungsmaßnahmen stetig fortentwickelt und in Auftrag gegeben werden können.
Eine moderne Ausstattung und Ausrüstung sind ein
absolutes Muss. Das Wichtigste aber sind unsere hoch
motivierten Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen
Mitarbeiter. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten
wirklich Großartiges. Ihr Ruf und ihr Ansehen sind weltweit beispielhaft. Deshalb sind wir verpflichtet, unseren
Soldatinnen und Soldaten Dank zu sagen.
({2})
Wir sind verpflichtet, mit großer Verantwortung über das
Ob und das Wie von Auslandseinsätzen zu entscheiden.
Wir sind verpflichtet, sie bestmöglich auszustatten. Als
Arbeitgeber sind wir auch verpflichtet, Perspektiven zu
geben. Die Tarif- und Gehaltserhöhungen waren daher
ebenso wichtig wie die Wehrsolderhöhung. Das war uns
als Union wichtig. Dafür haben wir uns eingesetzt. Wir
haben uns für die Wehrsolderhöhung und für die entsprechende Tariflohnerhöhung eingesetzt.
({3})
Die Personalkosten steigen um rund 800 Millionen
Euro. Tausende zusätzliche Beförderungen sind im Rahmen der Stellenstruktur jetzt möglich. Es ist mehrfach
schon angesprochen worden, dass die Unterbringung der
Truppe durch die Fortführung des Sondersanierungsprogramms für lange vernachlässigte Kasernen erheblich
verbessert wird. Die Kasernen müssen natürlich zeitgemäß verbessert werden, das ist richtig.
Lassen Sie mich jetzt noch auf einen Punkt zu sprechen kommen, den ich für wichtig halte. Die notwendigen Antworten auf die Herausforderungen heutiger Sicherheitspolitik, konkret auf die gefährlichen Aufgaben,
die unsere Bundeswehr in einer globalisierten Welt
wahrnehmen muss, sind heute sehr viel schwieriger vermittelbar. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen aber
wissen, dass Politik und Gesellschaft, dass die Bürger
unseres Landes hinter ihnen stehen und ihren Einsatz
schätzen. Das müssen wir deutlich machen. Deshalb begrüße ich es auch ausdrücklich, dass der Herr Minister
die Truppe so ausgiebig besucht und vor Ort ist. Auch
die Sommerreise mit dem Besuch von über
30 Standorten war ein wichtiger Beitrag, um zu zeigen,
dass die Politik und die Gesellschaft hinter unseren Soldatinnen und Soldaten stehen.
({4})
Deswegen wird die Wehrpflicht jetzt und auch in Zukunft einen ganz entscheidenden Beitrag zur festen Einbindung der Bundeswehr in unsere Gesellschaft leisten.
Wir, die Union, stehen fest zu dieser Wehrpflicht.
({5})
Die Bundeswehr ist heute fester Bestandteil transatlantischer und europäischer Kooperationen. Der Weg hin
zu einer europäischen Armee ist noch weit. In diesem
Zusammenhang will ich aber gern den Straßburger Vertrag, die Eurocorps und das Deutsch-Niederländische
Korps nennen. Ich halte es für unverzichtbar, diesen Weg
der sehr konkreten europäischen Zusammenarbeit weiter
zu festigen und durch neue Initiativen zu vertiefen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die konkreten
Haushaltsberatungen im Ausschuss beginnen jetzt. Die
CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist sich dabei ihrer Verantwortung für das hohe Gut der inneren und äußeren Sicherheit unseres Landes sehr bewusst.
({6})
Wir wissen, welch große und oft auch gefährliche Beiträge unsere Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheit
und den Frieden in der Welt leisten. Hierfür bedanken
wir uns.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
der Tat sollten wir heute oder in dieser Woche über
Afghanistan debattieren. Der Kollege Bonde hat das völlig zu Recht angesprochen. Wieder einmal ist das verhindert worden. Jetzt könnte man natürlich einmal mehr die
Haushaltsdebatte genau dazu nutzen. Aber genau das
werde ich heute nicht tun. Wir haben nämlich in den vergangenen Jahren immer wieder die Haushaltsdebatten
für Debatten über Einsätze der Bundeswehr genutzt, und
dabei sind viel zu oft die Interessen der Soldatinnen und
Soldaten, die hier in Deutschland ihren Dienst tun, zu
kurz gekommen. Ich glaube, man sollte schon einmal
eine Gesamtschau vornehmen. Diese wird bei mir deshalb heute auch im Mittelpunkt stehen.
({0})
Herr Minister, Sie haben einen Etat, der deutlich anwächst. Wir haben das jetzt schon mehrfach gehört.
Wenn man sich aber einmal die Steigerung anschaut,
dann war es zumindest in den letzten Jahren nominal so,
während der Etat real eigentlich rückläufig war. Das hat
mit vielen Dingen zu tun. Das hat damit zu tun, dass die
Preise gestiegen sind, dass die Energiekosten drastisch
gestiegen sind, dass die Mehrwertsteuer erhöht wurde,
was natürlich auch bei der Bundeswehr massiv zu Buche
schlägt. Es hat aber auch damit zu tun, dass immer mehr
Militäreinsätze beschlossen worden sind, die jeweils aus
dem Etat des Bundesministers der Verteidigung erst einmal erwirtschaftet werden müssen.
Heute, Herr Minister, haben Sie en passant von einer
EU-Mission zur Bekämpfung der Piraterie gesprochen. Wir als Deutscher Bundestag kennen das bisher
nur aus den Zeitungen. Wir haben von Ihnen noch nicht
eine einzige Unterrichtung darüber bekommen, was Sie
da vorhaben und wie das im Etat untergebracht werden
soll, um festzustellen, ob das Sinn macht, ob wir das
brauchen und ob das nötig ist. Stattdessen gab es nur en
passant einen Satz dazu. Das, Herr Minister, ist zu wenig.
({1})
Wenn man sich anschaut, wohin das Geld im Etat
fließt, dann stellt man fest, dass falsche Schwerpunktsetzungen vorgenommen werden. Die Kollegin Hoff hat
das schon angesprochen.
Sehr geehrter Herr Kollege Kahrs, an dieser Stelle
möchte ich nur eine Bemerkung dazu machen: Beim
Großprojekt A400M - das hat die Kollegin Hoff völlig
zu Recht gesagt - muss man sich an Verträge halten. Ja,
Herr Kahrs, aber nicht nur der Bund muss sich an Verträge halten, sondern bitte schön auch die Industrie!
({2})
Dem jetzt geäußerten Wunsch, auf Schadenersatzforderungen zu verzichten, können wir nicht zustimmen. Wir
erwarten von Ihnen als Haushälter, dass Sie das ebenfalls
unterstützen.
({3})
- Es ist wunderbar, wenn wir uns da einig sind. Dann haben wir das ja an dieser Stelle klargestellt, Herr Kahrs.
({4})
Tatsache ist, dass auch der Bedarf zur Materialerhaltung ständig steigt, und zwar insbesondere für Wartung und Reparatur alten Geräts. Das liegt daran, dass
sich der Zulauf neuen Geräts verzögert, und zwar mit
dramatisch steigender Tendenz. Oder um es anders zu
sagen: Weil wir auf einen Ersatz für den Tornado warten,
müssen derzeit für eine Flugstunde ungefähr 80 Wartungsstunden aufgewandt werden. Das kostet natürlich,
und diese Kosten schlagen sich im Etat nieder. Die Folge
all dieser Probleme ist, Herr Minister, dass Sie im Etat
nicht genügend Geld für Beschaffung dessen haben, was
dringend nötig ist: beispielsweise gepanzerte Fahrzeuge,
Lufttransportkapazitäten - dieser Mangel wird insbesondere bei Einsätzen offenbar -, aber eben auch Material
für die Ausbildung im Inland. All das fehlt.
Herr Minister, Sie haben davon gesprochen, man
müsse den Soldatinnen und Soldaten einen optimalen
Schutz geben. Ja, wir stimmen Ihnen zu. Ich sage Ihnen
an dieser Stelle aber auch: Sie sollten es nicht nur wollen, sie können es auch machen. Und das erwarten wir
von Ihnen.
({5})
Ich möchte einige Bemerkungen zum Thema Attraktivität der Bundeswehr machen. Diese Frage hat heute
in der Debatte zu Recht eine wesentliche Rolle gespielt.
Die Realität ist, dass viele hochqualifizierte Soldatinnen
und Soldaten kündigen, zumindest innerlich, weil der
Soldatenberuf nicht mehr in dem Maße attraktiv ist, wie
er es früher war: Sie müssen oft zu Einsätzen. Sie verdienen weniger als ihre zivilen Kolleginnen und Kollegen.
Sie fühlen sich oft vom Dienstherrn und teilweise auch
von der Politik im Stich gelassen, setzen aber Leben und
Gesundheit ein. Ich bin der Auffassung, dass das - nicht
nur für den Unterausschuss „Innere Führung“ im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages, sondern
insgesamt für den Bundestag und insbesondere für Sie,
Herr Minister - Grund genug sein muss, über Attraktivitätssteigerung in den Streitkräften nachzudenken und
den Soldatinnen und Soldaten, die hier ihren Dienst verrichten, nicht nur die Dinge schönzureden, sondern ihnen die nötige Unterstützung und die Möglichkeit zu geben, sich in diesen Streitkräften wieder wohlzufühlen.
Dazu gehört das Programm „Sanierung Kasernen
West“. Es reicht nicht aus; das wissen Sie ganz genau.
Auch das Trennungsübernachtungsgeld gehört dazu,
Herr Minister. Wir haben immer noch die Situation, dass
die Soldatinnen und Soldaten für vier Monate in den
Einsatz geschickt werden, aber nur für drei Monate
Trennungsübernachtungsgeld bekommen. Das bedeutet,
dass oft genug die Wohnung am Dienstsitz wegen eines
Monats gekündigt werden muss. Vor einem Jahr haben
Sie Besserung versprochen. Wir erwarten, dass jetzt endlich etwas passiert und dass die Probleme, die die Soldatinnen und Soldaten ganz konkret haben, behoben werden.
Dazu gehört auch die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf. Sie haben das hier angekündigt, Herr Minister.
Auch dazu kann man nur sagen: Im Haushalt sind die
entsprechenden Mittel nicht vorgesehen. Bitte auch in
Sachen Kinderbetreuung nicht nur ankündigen, Herr
Minister, sondern handeln!
Darüber hinaus sollten Sie endlich akzeptieren, dass
die Wehrpflicht nicht die Struktur für die Zukunft der
Bundeswehr ist.
({6})
Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz geworden.
Wir haben weder Wehr- noch Dienstgerechtigkeit. Gerade einmal 17 Prozent der jungen Männer leisten überhaupt Wehrdienst. Circa 60 Prozent aller tauglichen jungen Männer leisten weder Wehr- noch Zivildienst. Vor
diesem Hintergrund ist dieses System nicht mehr aufrechtzuerhalten.
Das, Herr Minister, ist also Ihre Bilanz: immer mehr
Einsätze, steigende Unzufriedenheit in der Truppe, immer stärkerer Verfall der Infrastruktur in Deutschland
und ein stures Festhalten an veralteten Strukturen. Wir
schließen den Haushalt heute nicht ab. Sie können bis
zur Endabstimmung im Deutschen Bundestag noch neue
Schwerpunkte setzen. Sie haben noch eine Chance
Frau Kollegin Homburger, bitte!
- letzter Satz, Herr Präsident -, Herr Minister, die Sie
nutzen können, nämlich das nächste Jahr.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rainer Arnold von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Seit knapp zehn Jahren ist die Bundeswehr in einem
schwierigen Umgestaltungsprozess. In dieser Zeit haben
200 000 Soldaten ihren Dienst im Einsatz für Stabilität
und Frieden geleistet. Dieser Auftrag bestimmt bei der
Bundeswehr das Denken, die Konzepte, die Ausbildung,
die Organisation und die Ausrüstung. Der diesjährige
Haushalt mit einer Erhöhung von 1,6 Milliarden Euro
trägt dem Rechnung, auch wenn es richtig ist, dass ein
großer Teil des Geldes für zusätzliche personelle Maßnahmen und Gehaltserhöhungen notwendig ist. Dennoch: Die Mittel reichen aus, damit die Bundeswehr sowohl die Transformation weiterführen als auch ihren
internationalen Verpflichtungen gerecht werden kann.
Gelegentlich ist es schon so, dass die Wirtschaft zum
Helfer wird, damit das Geld reicht. Das freut uns nicht,
sondern das ist ein Ärgernis. Jahr für Jahr fließen für
wichtige große Vorhaben Mittel, die die Soldaten dringend bräuchten, nicht ab, weil die Wirtschaft ihre Vereinbarungen nicht einhält. Dies macht uns sehr ernsthafte Sorgen, und das muss man auch ganz deutlich
ansprechen. Ich glaube, wir sollten uns alle in diesem
Haus einig sein, dass Vertragstreue keine Einbahnstraße
ist. Aber falsch ist, Frau Kollegin Homburger, dass das
Geld für den Schutz der Soldaten fehlt. Jeder Soldat
und jeder Bürger in Deutschland muss wissen: All das,
was die Bundeswehr an Anforderungen zur Sicherheit
und zum Schutz der Soldaten gestellt hat und was auch
beschaffbar war, weil es auf den Märkten verfügbar war,
ist nie am Deutschen Bundestag gescheitert. Diese Zusage gilt auch für die Zukunft.
({0})
Dennoch: Einfach die Augen zumachen und die
Transformation immer nur weiterführen, wird in der Tat
nicht ausreichen. Es ist Zeit, zu reflektieren, wo nachjustiert werden muss. Das gilt für Material, das vor
15 Jahren bestellt wurde und das wir heute möglicherweise nicht mehr in dem Umfang brauchen. Es gilt für
die innere Organisation der Bundeswehr. Das gilt für internationale Organisationen, wenn ich an die NATOResponse-Force denke. Das gilt im Übrigen auch für die
Wehrpflicht, die im Grundsatz die richtige Ansage ist,
die aber in einer veränderten Sicherheitswelt und einer
veränderten Arbeits- und Ausbildungswelt für junge
Menschen selbstverständlich so weiterentwickelt werden
muss, dass sie in Zukunft überhaupt tragen kann und akzeptiert wird. Dazu haben die Sozialdemokraten Vorschläge gemacht.
({1})
Bei all diesen technischen Debatten ist eines entscheidend: Die Bundeswehr wird in erster Linie von den
Menschen, die bei ihr Dienst tun, geprägt. Es gibt Soldaten, die zehnmal in einem Auslandseinsatz waren. Das
verändert Menschen, das verändert deren familiäre
Situation, deren Einbettung in das lokale soziale Gefüge.
Darüber sollten wir uns an erster Stelle Gedanken machen.
Das Materielle ist zweifellos wichtig. Aber klar ist:
Den Beruf eines Soldaten wird niemand nur mit Blick
auf die Gehaltsstruktur des öffentlichen Dienstes wählen. Die Menschen, die wir kennenlernen, haben vielmehr immer noch andere Beweggründe, sich dieser Verantwortung zu stellen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir
die Attraktivität der Bundeswehr im Auge haben.
Noch gehören der Bundeswehr Jahr für Jahr
460 000 Personen an. In zehn Jahren werden es nur noch
350 000 sein. Wir haben eine veränderte Arbeitsmarktsituation - auch wegen der Reformen, die Sozialdemokraten vorangebracht haben. Die Bundeswehr steht in einem härteren Wettbewerb um kluge und qualifizierte
Köpfe. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Weichen neu
gestellt werden. Ich bedauere es sehr, dass die Verbände,
die die Soldaten vertreten, sich unserer Idee einer S-Besoldung nicht nähern konnten. Ich bin ziemlich sicher,
dass das allgemeine Beamtenrecht nicht mehr zu einer
Armee im Einsatz passt. Die Große Koalition könnte
eine Chance bieten, in dieser Sache weiterzukommen.
Wir werden darüber nachdenken müssen. Der Minister
hat den Vorschlag gemacht - wir begrüßen ihn -, dass es
für Soldaten auf Zeit ähnliche Mechanismen gibt, eine
zusätzliche Altersversorgung zu bekommen, wie für
Menschen im zivilen Berufsleben.
Kollege Kahrs hat deutlich gemacht, wie wichtig es
ist, die Infrastruktur voranzubringen. Ich glaube, es ist
gut, dass es das Sonderprogramm „Sanierung Kasernen
West“ gibt. Wir müssen allerdings schauen, dass es auch
gut umgesetzt wird. Sechs-Mann-Stuben entsprechen
nicht mehr dem Standard, den junge Menschen heute
von ihrem Arbeitsplatz erwarten. Natürlich gehört auch
die Bereithaltung von Pendlerwohnungen dazu.
Nach diesem engagierten Vortrag des Kollegen Kahrs
als Haushälter sage ich sehr gelassen: Wenn alle Haushälter dies so sähen wie du, Johannes, dann müssten wir
das miteinander hinbekommen und bewerkstelligen können. Ich glaube, das ist ein Angebot. Wir sollten in den
nächsten Wochen versuchen, das eine oder andere in
Form von Anträgen in die Diskussion zu bringen.
Zu dieser Überprüfung der Transformation gehört
natürlich auch, dass die Frage der Einsätze stets zu überprüfen ist. Nun haben die Linken heute in dieser und in
der Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes ein
Bild abgegeben, das deutlich macht: Sie wollen
Deutschland in die außen- und sicherheitspolitische Isolation führen.
({2})
Herr Kollege Schäfer, Sie reden davon, dass die NATO
zu einem kooperativen Sicherheitsinstrument weiterentwickelt werden muss. Was anderes ist denn die NATO
sowohl von ihren Verträgen als auch vom Urteil des Verfassungsgerichtes her? Das Bundesverfassungsgericht
hat genau diesen Punkt herausgegriffen und bestätigt,
dass die NATO ein kooperatives Sicherheitsinstrument
ist.
({3})
- Nein, Sie wollen die NATO abschaffen. Sie wollen am
Ende auch die Bundeswehr abschaffen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Sie sind mit dieser
Position in der Berliner Politik nicht einmal ein Partner
für ernsthafte Gespräche in der Sicherheits- und Außenpolitik.
({4})
Zur Debatte darüber, ob wir uns in Afghanistan in einem Krieg befinden, die hier auch eine Rolle gespielt
hat: Die Kollegin Knoche hat es innerhalb weniger
Sekunden geschafft, den Begriff „Krieg“ circa 10- bis
15-mal zu verwenden. Auch der Chef des BundeswehrVerbandes hat darüber reflektiert. Ich glaube, dass es bei
den Menschen in der Bundeswehr wichtigere Sorgen
gibt, dass die Menschen, die durch die Einsätze Leid erfahren und Angehörige verlieren, keine Debatte über
Krieg und Frieden benötigen.
({5})
- Passen Sie einmal auf. - Wir müssen in der Wortwahl
präzise bleiben. Da ist doch ganz klar: Weder nach unserer Verfassung noch nach dem internationalen Völkerrecht befinden wir uns im Krieg.
Man kann darüber reden, wie wir mit dem Wort
„Krieg“ im Alltagssprachgebrauch umgehen. Da ist es
schon gut, dass wir Deutsche nicht den Weg der Angloamerikaner gehen, die ganz schnell Krieg gegen alles
Mögliche führen, sondern dass der Begriff „Krieg“ in
unserem Sprachalltag immer mit den Bildern und den
Erinnerungen, was Krieg in Deutschland und in der Welt
wirklich bedeutet hat, verwoben bleiben wird. Das unterscheidet uns von anderen Ländern, und so soll das auch
bleiben. Ich fürchte, wer ständig von Krieg redet und einer Gesellschaft einredet, sie befinde sich im Krieg, der
wird am Ende die Gesellschaft, die Politik und auch die
Streitkräfte durch seine Rhetorik verändern. Das wäre
falsch. Das wollen wir nicht.
({6})
Bei unserem Einsatz in Afghanistan können wir uns
natürlich nicht aussuchen, ob deutsche Soldaten kämpfen oder Aufbauhilfe leisten. Das wird uns von Aufständischen aufgezwungen. Damit das ganz klar ist: Das ist
ein Kampf gegen Aufständische. Das ist die richtige Begrifflichkeit. Das ist kein Krieg. Die Bundeswehr ist aber
auch kein bewaffnetes Technisches Hilfswerk. Die
Dinge sind nicht wirklich kompliziert.
Wir debattieren hier immer wieder über Afghanistan
und die sogenannte Exit-Strategie. Natürlich gibt es für
Afghanistan immer wieder neue Konzepte und Strategien: von den Petersberger Beschlüssen über den in London beschlossenen Afghanistan-Compact über die ParisKonferenz bis zur NATO-Tagung in Bukarest. Ich
glaube nicht, dass wir eine völlig neue Strategie suchen
müssen. Wir müssen es vielmehr schaffen, das als richtig
Erkanntes zu unterfüttern und in Afghanistan mit aller
Konsequenz umzusetzen.
({7})
Das gilt für den zivilen wie den militärischen Bereich
und für den Aufbau der Polizei gleichermaßen. Das ist in
Afghanistan angesagt. Das ist das Entscheidende.
Ich glaube, dass wir die Position, die Deutschland bezüglich des Kampfes gegen den Drogenanbau bisher
vertreten hat, überdenken müssen. Wenn im Norden, wo
die Deutschen Verantwortung tragen, die Afghanen in
erster Linie selbst gegen den Drogenanbau vorgehen,
und die Deutschen nur logistisch unterstützen, dann ist
das ein guter Weg. Wenn wir aber erkennen, dass die
Drogenwirtschaft im Süden und Osten des Landes nicht
nur die Terroristen von morgen nährt, sondern diese sich
auch zunehmend im afghanischen Staatsapparat breitmachen, und die Polizei im Süden und Osten gleichzeitig
noch nicht in der Lage ist, für Sicherheit zu sorgen, dann
muss in der NATO in der Tat eine ernsthafte Debatte darüber geführt werden dürfen, ob die ISAF nicht doch
- zusammen mit den Afghanen - mehr Verantwortung
für diesen Bereich erhalten sollte.
Eine letzte Bemerkung dazu: Aufgrund der vielen zivilen Opfer, die es in Afghanistan gegeben hat - übrigens wurden 800 Soldaten von Terroristen umgebracht -,
werden wir nie einfach zur Tagesordnung übergehen
können. Afghanistan muss ständig auf der Tagesordnung
der NATO stehen. Ich weiß, dass unser Außen- und unser Verteidigungsminister dafür sorgen. Die NATO muss
alles Menschenmögliche tun, um zivile Opfer zu vermeiden.
Heute wurde den Soldaten häufig gedankt. Das ist
sehr wichtig. Ich glaube aber, dass es in einer Parlamentsarmee auch um etwas anderes geht, nämlich um
wirkliches Vertrauen, um Vertrauen in zwei Richtungen. Bei meinen vielen Gesprächen mit Soldaten in
internationalen Einsätzen habe ich den Eindruck gewon18716
nen, dass wir Parlamentarier täglich neu um das Vertrauen der Soldaten werben müssen. Sie müssen sehen,
dass wir bei den Entscheidungen über Einsätze mit uns
ringen, dass sich jeder von uns diese Entscheidung nicht
einfach macht. Wir müssen die Soldaten besuchen und
uns ihre Sorgen anhören. All dies geschieht.
Andererseits haben wir aber auch allen Grund, den
Menschen, die bei der Bundeswehr Dienst tun, zu vertrauen. Mit 255 000 Soldaten ist das eine große Organisation. Da wird es immer einzelne Fehler geben. Für
diese Fehler gibt es eine große demokratische Errungenschaft: Soldaten können sich im Zweifelsfall unter das
Regime des deutschen Rechtsstaates stellen.
Es ist etwas Neues, es ist Teil der jüngeren deutschen
Geschichte, dass Soldaten, die für Deutschland in der
Welt unterwegs sind, das Ansehen der Bundesrepublik in
der Welt mehren.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Im Einzelplan 14 des Haushaltsentwurfs 2009
legen wir ein klares Bekenntnis zur Bundeswehr ab.
Auch wenn nicht alle Wünsche erfüllt werden können,
wird doch die notwendige finanzielle Ausstattung der
Bundeswehr gesichert. Das ist bei den Personalausgaben
der Fall. Das betrifft die Übernahme des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst - das ist schon erwähnt worden -, die Wehrsolderhöhung und die Angleichung der
Besoldung zwischen Ost und West. Es ist aber auch bei
Betrieb und Investitionen der Fall. Ich darf Ihnen, Frau
Homburger, mitgeben, dass Ihr Vorwurf, es würde nicht
ausreichend lange Trennungsgeld gezahlt, aufgenommen
wurde und sich das Problem auf dem Weg zu einer guten
Lösung befindet.
({0})
Der Bundesverteidigungsminister hat auf den Weg gebracht, dass über die gesamte Einsatzdauer Trennungsgeld gezahlt wird.
Der Haushaltsentwurf ist insgesamt ein Beitrag dazu,
die begonnene Modernisierung und Transformation
der Streitkräfte fortzusetzen. Das ist von besonderer
Bedeutung für unsere Auslandseinsätze. Unterschätzen
wir jenseits mancher Vorwürfe in diesem Hause nicht,
dass es eine breite öffentliche Unterstützung dafür gibt,
dass unsere Soldaten im Einsatz bestmöglich ausgerüstet
und ausgestattet werden. Dem trägt dieser Haushaltsentwurf Rechnung.
Am Beispiel Afghanistans lässt sich besonders herausstellen, welche Bedeutung bestmögliche Ausrüstung
und Ausstattung unserer Soldaten haben. Dazu, dass uns
hier Grüne und FDP vorwerfen, wir wollten aus wahltaktischen Gründen nicht über Afghanistan diskutieren,
kann ich nur sagen: Wenn Sie in der Sache einen Beitrag
dazu leisten wollten, dann hatten Sie die Gelegenheit
dazu.
({1})
Ich will die Gelegenheit nutzen und ausführlich Stellung
dazu nehmen. Die Lage in Afghanistan ist sicherlich
schwieriger geworden. Sie ist in weiten Teilen des Landes instabil. Ich meine, dass es jetzt notwendig ist, dass
wir unsere Erfolge, die wir etwa im Bildungswesen oder
im Gesundheitssektor durchaus erreicht haben, nicht gefährden. Deshalb müssen alle Bemühungen darauf gerichtet sein, für unser Engagement in Afghanistan das
Vertrauen der dortigen Bevölkerung zu erhalten und zu
vertiefen.
Wir haben eine sehr klare Zielvorstellung für unser
Afghanistanengagement, die im ISAF-Mandat des letzten Jahres deutlich formuliert ist - ich zitiere -: Es geht
darum, „die afghanischen Sicherheitskräfte zu befähigen, Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten.“ Es
geht darum, die Verantwortung in afghanische Hände
übergeben zu können und die Voraussetzungen dafür zu
schaffen.
Dazu gehört, dass wir auch die afghanische Regierung stärker in die Pflicht nehmen. Wir dürfen sie als
Empfänger umfangreicher Hilfen nicht aus der Verantwortung entlassen, aus eigener Kraft Drogenanbau, Kriminalität und Korruption zu bekämpfen und demokratische und rechtsstaatliche Strukturen aufzubauen. Wir
erinnern uns: Die Bundeswehr ist auf Einladung der afghanischen Regierung dort im Land. Deswegen muss
diese Regierung das Ihre zur Stabilisierung und zum
Wiederaufbau des eigenen Landes beitragen.
Deutschland leistet als drittgrößter Truppensteller einen substanziellen Beitrag zur Stabilisierung Afghanistans, der im Übrigen von der dortigen Bevölkerung hoch
geschätzt wird. Aber wir wissen: Afghanistan ist mit
militärischen Mitteln allein nicht zu stabilisieren. Eine
einseitige Betonung der militärischen Komponente
würde Widerstände in der Bevölkerung provozieren und
den Taliban möglicherweise in die Hände spielen. Deswegen vertreten wir übereinstimmend einen vernetzten
Ansatz. Ich glaube, dass es wichtig ist, mit der anstehenden Mandatsverlängerung dafür Sorge zu tragen, dass
der Umfang der zivilen Hilfe nun annähernd in Einklang
mit dem militärischen Beitrag gebracht wird.
Ich halte es auch für notwendig, dass wir nicht nur in
Afghanistan, sondern bei allen Auslandseinsätzen der
Bundeswehr eine schlüssige Gesamtkonzeption vorlegen. Ich denke, dass das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung, das vor wenigen Tagen vorgestellt worden
ist, ein Schritt in die richtige Richtung ist. Mir fällt auf,
dass, wenn ich es richtig sehe, erstmals alle beteiligten
Ressorts als Autoren des Afghanistan-Konzepts benannt
werden und dass für jede Aufgabe, die wir dort übernehThomas Silberhorn
men wollen, Ziele formuliert worden sind. Das ist keineswegs eine Marginalie, sondern konzeptionell und
qualitativ ein Fortschritt, bei dem wir aber nicht stehenbleiben dürfen.
Ich halte es für notwendig, dass wir bei der Formulierung des Afghanistanmandats und aller weiteren Mandate genauso vorgehen, nämlich bei der Erarbeitung dieser Mandate alle Ressorts einbeziehen. Es ist keineswegs
nur eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums
und des Auswärtigen Amtes. Das Innenministerium und
das BMZ müssen genauso in die Erarbeitung der Mandate einbezogen werden. Die zivile Komponente muss
ebenso wie die militärische in dem Mandat, das uns im
Bundestag zur Beschlussfassung vorgelegt wird, Berücksichtigung finden.
Ein Weiteres: Ich meine, dass sich jedes einzelne Ressort auf messbare Zielvorgaben verständigen sollte, die
wir dann auch mit Haushaltsmitteln unterlegen können
und die wir uns im nächsten Jahr, wenn die Mandatsverlängerung nochmals ansteht, wieder vorlegen können,
um überprüfen zu können, ob die Ziele, die sich die Bundesregierung selbst gesetzt hat, tatsächlich erreicht worden sind.
Eine letzte Bemerkung zu diesem Thema. Ich finde,
dass wir unseren zivil-militärisch vernetzten Ansatz
auch in der öffentlichen Debatte über die Auslandseinsätze der Bundeswehr zum Tragen bringen müssen.
Dazu gehört, dass wir nicht allein über die Anzahl der
Soldaten streiten, sondern den ganzheitlichen Ansatz unseres Einsatzes in Afghanistan und an anderen Orten der
Welt auch in der Kommunikation über unser militärisches und ziviles Engagement deutlich machen sollten.
Ich möchte allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch
den zivilen Wiederaufbauhelfern ausdrücklich für ihren
Einsatz danken. Sie genießen für ihren Dienst international höchste Reputation. Ich denke, für ihre gefährliche
Aufgabe verdienen sie auch den geschlossenen Rückhalt
unserer Bevölkerung und des Deutschen Bundestages.
({2})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich diese Gelegenheit nutzen, in wenigen Sätzen einige Ausführungen zum komplexen Thema Georgien zu machen. Ich
halte es für wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich
hierbei nicht um einen neuen Ost-West-Konflikt handelt.
Gerade die Reaktion der Shanghai-Gruppe zeigt, dass
wir es mit einem internationalen Konflikt zu tun haben.
Die internationale Gemeinschaft muss ungeachtet der jeweiligen Verantwortlichkeiten der Beteiligten ihren Anspruch deutlich machen, dass ihre Rechtsgrundlagen geachtet und durchgesetzt werden.
Es ist begrüßenswert, dass die Europäische Union
nach der Eskalation in Georgien die Initiative ergriffen
hat: mit dem Sechspunkteplan der französischen Ratspräsidentschaft, der Einsetzung einer zivilen Beobachtermission und der Ernennung eines Georgienbeauftragten, aber
auch mit der Forderung nach einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission. Das geschlossene
Auftreten der Europäischen Union stärkt ihre Rolle im
Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Das
sind die Aufgaben, für die wir die Europäische Union
brauchen, nicht für eine Nabelschau, die immer neue
Vorschriften zur Folge hat.
Nach diesem Exkurs möchte ich auf den Haushalt zurückkommen. Im Entwurf des Haushalts 2009 werden
die richtigen Prioritäten gesetzt. Wir leisten einen Beitrag zur Stärkung der Bundeswehr und zum Schutz unserer Sicherheitsinteressen. Damit bleiben wir handlungsfähig.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Als letzter Redner zu diesem Einzelplan hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels von der SPD-Fraktion das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Haushaltsdebatte im Parlament ist dazu da, die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition und
manchmal auch die Unterschiede zwischen Parlamentsmehrheit und Regierung deutlich zu machen.
({0})
Unverändert gilt nämlich das Struck’sche Gesetz, dass
keine Vorlage den Bundestag so verlässt, wie sie von der
Regierung eingebracht wurde. Manchmal war allerdings
auch die Regierung klüger, wenn sie aus dem Bundestag
herauskam.
Vorweg: Dieser Verteidigungsetat weist einen tüchtigen Zuwachs aus. Das ist notwendig, aber nicht selbstverständlich. Mein Dank gilt den verantwortlichen
Ministern Jung und Steinbrück. Sie haben gemeinsam
eine vernünftige Linie gefunden.
({1})
In der Bundeswehr hört man die Klage, dass das Geld
dennoch nicht ausreicht, insbesondere nicht für alle nur
denkbaren Beschaffungsprogramme. Das ist wahr, aber
unvermeidlich und war nie anders. Das zwingt uns dazu,
Prioritäten zu setzen. Dafür bilden die heutige sicherheitspolitische Bedrohungsanalyse und die tatsächlich
stattfindenden Einsätze den Maßstab, nicht irgendeine
Stückzahlkalkulation von 1997.
Wenn das Geld nicht für alles reicht, gibt es drei Möglichkeiten, damit umzugehen: erstens, mehr Geld zu besorgen; zweitens, die Strukturen der Realität anzupassen
und dabei auch europäisch zu denken; drittens, zu fragen, wo immer noch Mittel verschwendet werden, von
der Materialerhaltung über die Infrastruktur bis hin zu
Sinnlosbeschaffungen. Das sind die Möglichkeiten, die
man hat. Ich empfehle, die zweite und die dritte Möglichkeit nicht zu vernachlässigen.
Jetzt möchte ich etwas zum Thema Verschwendung
sagen. Die Beschaffung von Zusatzausrüstung für vier
vorhandene Airbusse der Luftwaffe, die zur militärischen Luftbetankung eingesetzt werden sollen, kostet
uns 210 Millionen Euro. Diese Zusatzausrüstung sollte
ab 2003 zur Verfügung stehen. Bis heute ist sie aber
nicht über das Versuchsstadium hinaus. In vier oder fünf
Jahren müsste allerdings der A400M, der ebenfalls über
die Fähigkeit der Luftbetankung verfügt, bereitstehen.
Da fragt man sich: Brauchen wir diese Übergangslösung
jetzt noch? Müssen wir dieses Geld wirklich zahlen?
Anderes Beispiel: P-3C ORION, der Seefernaufklärer
der Marine. International fliegen 500 Maschinen dieses
Typs. Sie werden weltweit in drei Servicezentren gewartet. Deutschland baut nun ein eigenes viertes Wartungszentrum auf, exklusiv für unsere acht Flugzeuge. Die
erste Instandsetzung dauert 14 Monate. Zudem wird es
richtig teuer. Für solche Sonderwege haben wir eigentlich kein Geld übrig.
Ein dritter Fall: Die Marine wollte ursprünglich auf
ein einziges Hubschraubermuster umrüsten, den sagenumwobenen MH-90. Alle diese Hubschrauber sollten
auf einem Fliegerhorst stationiert werden, weil das effektiv ist.
Gegenwärtig gibt es zwei Hubschraubertypen und
zwei Stützpunkte. Weil nun aber immer noch kein Prototyp des MH-90 existiert, werden trotzdem schon einmal
alle 43 Hubschrauber - SEA LYNX und SEA KING
plus acht ORION - auf einem Platz zusammengefasst.
Man baut dann eben fürs Erste Provisorien - man kann
auch sagen: Investitionsruinen - und schaut, was die Zukunft bringt. Hauptsache teuer umziehen, war ja lange
geplant. Herr Minister, ich meine, das sollten Sie sich
noch einmal anschauen.
Das gilt auch für das Eurofighter-Programm als solches. Wir Sozialdemokraten meinen, dass die Hälfte der
dritten Tranche für Deutschland ausreichend wäre. Wir
hätten dann 146 hochmoderne, zweirollenfähige Kampfflugzeuge in vier statt in fünf Geschwadern. Über den
Rest der dritten Tranche müsste eine Einigung mit den
Partnernationen sowie den Herstellern möglich sein. Das
Zauberwort heißt Anrechnung des Exports. Wenn das für
Großbritannien und Italien gehen sollte, warum dann
nicht für alle, also auch für uns?
Weil die alten Preise nicht mehr auskömmlich sind,
werden wir neue Verträge beschließen müssen.
Herr Kollege Bartels, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kampeter?
Gern.
Bitte schön, Herr Kampeter.
Danke schön, Herr Kollege. - Ich entnehme einer
Agenturmeldung, dass Sie die Halbierung der Beschaffung und den möglichen Weiterverkauf der Hälfte der
dritten Tranche bereits dem Handelsblatt mitgeteilt haben. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, ob Sie dem
Hohen Hause erläutern können, welche Regelungen für
die Nichtabnahme in diesem Vertrag enthalten sind, ob
es gegebenenfalls Sanktionen gibt und ob Sie allen Ernstes der Auffassung sind, dass Sie für den Fall des Nichtweiterverkaufs, statt Flugzeuge zu bezahlen, Konventionalstrafe zahlen wollen.
Lieber Herr Kollege Kampeter, vielen Dank für die
Frage, die es uns ermöglicht, das Thema noch etwas zu
vertiefen.
({0})
- Genau.
({1})
Ich habe Vertrauen in Regierungen, auch in die britische Regierung, die auf dem Rechtsstandpunkt steht, sie
könne 72 Eurofighter aus der von ihr bestellten Gesamtmasse an ein drittes Land weiterverkaufen. Auf diesem
Standpunkt steht die britische Regierung.
Ich bin gespannt, ob es Sonderlösungen geben wird,
um den anderen Partnernationen - auch die Italiener haben ähnliche Vorstellungen - Reduzierungen zu ermöglichen, die wir aus unserer Sicht als Deutsche auch wahrnehmen sollten. Wir wollen gleiches Recht für alle.
Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Wir denken, wir kommen heute in unserer Bundeswehr mit weniger Eurofightern aus, aber natürlich mit
Eurofightern, den besten momentan verfügbaren Flugzeugen.
Es wird also verhandelt werden müssen. Gleiches
Recht für alle heißt, unsere Regierung mit der britischen
und der italienischen Regierung gemeinsam.
Nun haben sich noch einmal Herr Kampeter und zusätzlich der Herr Kollege Stinner zu einer Zwischenfrage
gemeldet. Ich darf Herrn Bartels fragen, ob er auch diese
zulässt.
Wenn Sie die Reihenfolge geregelt bekommen, dann
ja.
Jetzt ist Herr Stinner an der Reihe.
Herr Kollege Bartels, in der von Herrn Kollegen
Kampeter angesprochenen Agenturmeldung wird für
den Fall, dass die Halbierung nicht eintritt, gesagt, anDr. Rainer Stinner
sonsten - Zitat von Ihnen im morgigen Handelsblatt gebe es von der SPD-Bundestagsfraktion keine Zustimmung, Flugzeuge der dritten Tranche abzunehmen.
Dem entnehme ich, dass es sich nicht um Ihre persönliche Meinung, sondern um eine in der Bundestagsfraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands abgestimmte Meinung handelt. Ich frage Sie, ob das der
Fall ist.
Herzlichen Dank.
Herr Kollege Stinner, die Verträge hat die durch
CDU/CSU und FDP gebildete Regierung im Jahr 1997
abgeschlossen. Wir wollen, dass noch einmal über die
Gesamtzahl der Flugzeuge und darüber verhandelt wird,
was mit der dritten Tranche geschieht. Eine Exportanrechnung auf die Abnahmeverpflichtung der Länder
ist eine Möglichkeit. Andere Länder wollen das. Ich
denke, wir können es auch wollen.
Die Arbeitsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion hat
bereits im Frühjahr auf einer Klausurtagung ein Papier
beschlossen, das damals auch veröffentlicht wurde, in
dem wir genau diese Position vertreten. Da ich das heute
hier in der Debatte so sage, können Sie davon ausgehen,
dass wir das in den Ausschüssen entsprechend verhandeln.
Lassen Sie auch noch die zweite Zwischenfrage des
Kollegen Kampeter zu?
Gerne.
Herr Kollege Kampeter, bitte schön.
Herr Kollege Bartels, Sie haben meine Frage durch
Ihre Sachverhaltsdarlegung charmanterweise nicht beantwortet. Sie lautete: Können Sie dem Hohen Hause
einmal darlegen, welche Konventionalstrafe bei Nichtabnahme von Flugzeugen, die Sie laut Pressemeldungen
nach Indien oder in die Schweiz weiterverkaufen wollen
- also für den Fall, dass Ihnen dies nicht gelingt, zumal
es ja noch keine gemeinsame Koalitionsauffassung dazu
gibt -, vorgesehen ist?
Vor diesem Hintergrund würde ich gerne hören, welche Zahl sich bei Halbierung der Tranche ergibt. Wie
soll die Dislozierung aussehen?
Wir kennen ja die daran beteiligte Industrie. Ich empfehle, dass wir einmal darüber reden, ob wir beim
A400M von der Industrie Konventionalstrafen fordern
wollen. Mit der gleichen Industrie reden wir auch darüber, wie das Eurofighter-Programm in Zukunft gestaltet sein soll.
Es gibt vertragliche Klauseln, durch die es uns schwer
gemacht wird. „Schwer“ bedeutet aber nicht „unmöglich“. Wir müssen jetzt über keine Zahl abstimmen. Ich
glaube, wir können eine Lösung finden, die für alle Beteiligten - die Industrie und die vier Nationen - besser
ist, als wenn wir das Programm einfach nur durchlaufen
lassen würden.
Es gibt auch Bedürfnisse der flugzeugbauenden Industrie in Europa, neue Programme auch wieder aus unserem Haushalt und den Haushalten der Partnernationen
finanziert zu bekommen. Genauso gibt es das Interesse
anderer Länder an Lösungen, die ich auch für uns vorschlage und mir vorstellen kann. Das wird also eine Verhandlungssache sein.
Sie haben aber recht: Darüber ist noch keine Einigkeit
hergestellt. Wir werden aber darüber reden können. Deshalb sage ich, dass die Beratung über den Haushalt eine
gute Gelegenheit dazu bietet.
({0})
Abschließend noch ein paar Sätze zur Wehrpflicht,
über die wir an der einen oder anderen Stelle auch schon
etwas gehört haben. Wir Sozialdemokraten erkennen an,
dass der Verteidigungsminister absolut problembewusst
ist. Die Wehrgerechtigkeit ist ein Problem, wenn fast die
Hälfte eines Jahrgangs aus gesundheitlichen Gründen
ausgemustert wird. Wir glauben aber, dass es keine Dauerlösung sein kann, dann einfach ein paar Tausend Wehrpflichtige außerhalb der Struktur zusätzlich einzuziehen.
Die notwendigen Mittel dafür sollten wir lieber in die
Verbesserung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr investieren. Hier müssen wir in Zukunft mehr
tun. Darüber besteht in diesem Hause große Einigkeit.
({1})
Um die Wehrpflicht, die wir gemeinsam wollen, Herr
Minister, auf Dauer verfassungsfest zu sichern, brauchen
wir ein neues Wehrpflichtmodell. Die SPD hat Vorschläge dafür gemacht. Lassen Sie uns auf dieser Grundlage einen neuen Konsens finden.
Vielen Dank.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Ich unterbreche an dieser Stelle die Haushaltsberatungen und rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
- Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der United Nations
Interim Force in Lebanon ({1}) auf
Grundlage der Resolutionen 1701 ({2})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
und 1832 ({3}) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 11. August 2006
bzw. 27. August 2008
- Drucksachen 16/10207, 16/10240 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Niels Annen
Wolfgang Gehrcke
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10241 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Lothar Mark
Dr. Gesine Lötzsch
Omid Nouripour
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfehlung werden wir später namentlich abstimmen.
Ich mache darauf aufmerksam, dass bei dem darauffolgenden Tagesordnungspunkt über zwei weitere Beschlussempfehlungen ebenfalls namentlich abzustimmen
ist, sodass wir heute insgesamt drei namentliche Abstimmungen durchführen werden.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Dr. Rolf Mützenich von der SPDFraktion das Wort.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Anwesenheit deutscher Soldaten vor der libanesischen
Küste ist nicht selbstverständlich. Angesichts der deutschen Vergangenheit bleibt die Stationierung deutscher
Soldaten an Israels Grenzen ein Wagnis. Deshalb lehnten
einige Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion vor
zwei Jahren den Einsatz deutscher Soldaten ab. Wenige
Abgeordnete werden dies heute wieder tun. Ich respektiere deren Entscheidung. Gleichwohl komme ich bei der
Gewichtung der Argumente zu einem anderen Ergebnis.
Wir wissen, dass gewaltsam ausgetragene Konflikte
nur politisch befriedet können werden. Vorher müssen
aber die Waffen schweigen. Nach meinem Verständnis
ist die Absicherung der Waffenruhe der Kernauftrag von
UNIFIL.
Die Mission im Libanon bleibt gefährlich. Rund
50 Soldaten der internationalen Schutztruppe kamen in
den vergangenen zwei Jahren ums Leben oder wurden
verletzt. Im Südlibanon sterben weiterhin Menschen
durch Minen und Streubomben. Das ist das schreckliche
Erbe eines Krieges, den unverantwortliche Männer provoziert und geführt haben.
Die politische Bilanz von UNIFIL ist gemischt: Der
Waffenschmuggel wurde nicht unterbunden, und die
Lage an der Blauen Linie bleibt angespannt. Israel hält
Gebiete im Libanon weiterhin besetzt und überfliegt libanesisches Hoheitsgebiet. Das Grenzmanagement steckt
noch in den Anfängen.
Dennoch gibt es Erfolge: Es konnte vor allem ein
Wiederaufflammen der Kämpfe verhindert werden,
Flüchtlinge kehrten zurück, Kriegsschäden wurden beseitigt und Minen geräumt. Die Menschen müssen nicht
stündlich um ihr Leben fürchten. Die Kinder gehen wieder zur Schule. Der mühsame Alltag gewinnt neue Konturen. Die Libanesen hoffen auf eine bessere Zukunft.
Das hat UNIFIL nicht allein geschafft. Doch ohne die
Friedensmission wären diese Fortschritte kaum möglich
gewesen.
({0})
Erst vor wenigen Wochen konnte der Libanon eine
gefährliche innenpolitische Krise bewältigen. Zahlreiche
blutige Anschläge, die Unfähigkeit gewaltbereiter libanesischer Politiker zum Kompromiss und der Einfluss
externer Akteure brachten das Land an den Abgrund eines neuen Bürgerkrieges.
Heute hat der Libanon eine begrenzte Stabilität erreicht. Obwohl die Lage angespannt bleibt, sind die
Wahl eines Staatspräsidenten und die Bildung einer Allparteienregierung wichtige positive Signale. Die größten
Herausforderungen aber bleiben eine handlungsfähige
und verantwortungsvolle Regierung in Beirut, der Wille
zur Verständigung und die Demilitarisierung des Alltags
sowie gewaltbereiter Gruppen. Ich setze große Hoffnungen in den nationalen Dialog und die bevorstehenden
Parlamentswahlen.
In diesem Zusammenhang möchte ich mit Erlaubnis
des Präsidenten einige Kolleginnen und Kollegen aus
dem Libanon ganz herzlich begrüßen, die auf Einladung
der Bundesregierung im Rahmen des Gästeprogramms
unsere heutige Debatte auf der Zuschauertribüne verfolgen.
({1})
Ich freue mich, dass sie gerade zum Thema Wahlrechtsreform bei uns sind. Es ist wichtig, dass wir unsere Hoffnungen äußern und den Libanon unterstützen.
Eine wichtige Voraussetzung für das Aufweichen der
Blockaden im Nahen Osten war ein Umdenken in den
USA. Nach Jahren der Gleichgültigkeit engagiert sich
die Regierung in Washington wieder mit diplomatischen
Mitteln und Initiativen. Auch die Verantwortlichen in
Washington mussten akzeptieren, dass es ohne Syrien
keine Fortschritte geben kann. Die Einladung einer syrischen Delegation nach Annapolis war daher folgerichtig
und notwendig.
Es war der deutsche Außenminister, der seine amerikanische Kollegin von dieser Geste überzeugen konnte,
und es war Frank-Walter Steinmeier, der in Syrien für
eine konstruktive Mitarbeit geworben hat.
({2})
Das waren kluge, starke und ausgewogene Botschaften. Sie waren nicht ohne Risiko. Doch eine Außenpolitik, die nur auf schöne Bilder setzt, schafft keine Veränderungen.
({3})
Wenn man sich in der Politik an Kriterien wie Zuneigung/Abneigung oder gut/böse ausrichtet, verleitet dies
zu Fehlurteilen, gerade im Nahen Osten.
({4})
In Zeiten neuer Spannungen brauchen wir eine Politik,
die zur Entspannung beiträgt. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass Frank-Walter Steinmeier von Anfang an
die Unterstützung der gesamten Bundesregierung gehabt
hätte.
({5})
Vor wenigen Wochen haben Syrien und der Libanon
die Absicht geäußert, diplomatische Beziehungen zueinander aufzunehmen; das ist eine gute Nachricht.
Mehr noch: Syrien und Israel verhandeln unter Vermittlung der Türkei über Frieden. Hätte die Waffenruhe im
Länderdreieck nicht gehalten, wären solche Fortschritte
unwahrscheinlich gewesen. UNIFIL hat hier politische
Lösungen mit ermöglicht.
Bei uns haben einige die Mission allein mit Sicherheitsinteressen Israels begründet. Diese Aussage ist aus
meiner Sicht missverständlich und engt den Handlungsspielraum der Politik ein. Zweifellos fördert die Waffenruhe auch die Sicherheit Israels. Aber das Mandat ist
ebenso ein Instrument, um die Integrität und die Souveränität des Libanon zu stärken. Ohne UNIFIL hätte Israel die Seeblockade nicht beendet. Erst die internationale Mission hat der libanesischen Innenpolitik neue
Spielräume eröffnet.
Im Übrigen wird Israel erst dann Sicherheit finden,
wenn es mit seinen Nachbarn in Frieden lebt. Dafür
braucht es politischen Willen und Mut sowie die Fähigkeit zum Kompromiss auf allen Seiten.
UNIFIL ist im Kern eine klassische Blauhelmmission. Das Mandat unterstreicht die Verantwortung der
Vereinten Nationen als Hüter der internationalen Sicherheit. Deshalb war ich vor zwei Jahren enttäuscht, als die
FDP nahezu geschlossen das Mandat ablehnte. Es waren
damals ganz offensichtlich innenpolitische Gründe, die
ihr Nein motivierten. Ihr Spielraum, ihr Verhalten heute
zu ändern, ist deshalb begrenzt. Das ist bedauerlich;
denn UNIFIL hätte eine breite Mehrheit im deutschen
Parlament verdient.
({6})
Auch die Linke hätte UNIFIL zum Beginn eines außenpolitischen Lernprozesses machen können. Andere
Linksparteien hatten dem Mandat von Beginn an zugestimmt. Im Gegensatz zu Ihnen wissen diese Parteien,
dass UN-Friedenstruppen dann sinnvoll sind, wenn sie
das Töten stoppen und den Rahmen für Stabilität bilden.
Die Linke wird an dieser grundsätzlichen Frage nicht
vorbeikommen. Konstruktiver Pazifismus erschöpft sich
nicht im Antimilitarismus. Begrenzte militärische Beiträge können den Aufbau ziviler Strukturen und Mentalitäten erleichtern. Das kann aber nur erkennen, wer
verantwortlich handeln will. Doch die Linke ist die Gefangene eines Mannes, der Verantwortung scheut.
({7})
Die Bundeswehrangehörigen, die im Rahmen von
UNIFIL ihre Arbeit tun, tragen Verantwortung. Wir können ihnen die Last nicht abnehmen. Wir können aber
dazu beitragen, dass die Mission breite Akzeptanz findet. Wenn es dann noch gelingt, zu helfen, den Libanon
zu stabilisieren und Frieden im Nahen Osten zu fördern,
dann haben wir die Chancen der UNIFIL-Mission genutzt. Deshalb ist die Verlängerung des Mandats um
weitere 15 Monate gerechtfertigt. Ich bitte um Ihre Zustimmung.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit Homburger von
der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir heute über die UNIFIL-Mission sprechen,
dann möchte ich zu Beginn für die FDP-Bundestagsfraktion klarstellen, dass wir UNIFIL damals sehr wohl als
einen Beitrag zum Waffenstillstand gesehen haben. Wir
als FDP haben nicht UNIFIL an sich infrage gestellt; wir
haben vielmehr infrage gestellt, ob die maritime Komponente tatsächlich der richtige deutsche Beitrag ist.
Das sind die Fragen, die wir stellen. Wir haben gefordert, den Schwerpunkt auf die zivile Unterstützung zu
legen. In der Debatte gestern ist deutlich gemacht worden, dass man erreichen will, den Libanon in die Lage zu
versetzen, selbst die Seeseite zu sichern. Dafür hat man
Unterstützung gewährt. Auch das unterstützen wir als
FDP-Bundestagsfraktion, aber wir halten diese Bemühungen bei weitem nicht für ausreichend.
Der Bundesverteidigungsminister hat gestern gesagt,
dass die Mission erfolgreich war. Ich denke, man muss
zwischen dem, was die Soldatinnen und Soldaten tun,
und der politischen Bewertung unterscheiden. Die Soldatinnen und Soldaten leisten eine exzellente Arbeit. Sie
verdienen Respekt und Anerkennung für die Art ihres
Auftretens und für die Erfüllung der Aufgaben. Wir sagen von unserer Seite ein herzliches Dankeschön für
diese Arbeit.
({0})
Aber die Wirksamkeit der Mission ist begrenzt, solange es keinen Fortschritt bei der Sicherung der landseitigen Grenzen gibt. Die Hisbollah weist immer wieder
darauf hin, dass sie jetzt mehr Waffen hat als vor dem
Krieg. Man kann einwenden, dass man auf das, was die
Hisbollah sagt, nichts geben muss. Aber in einem UNBericht aus dem letzten Jahr, der nach wie vor Gültigkeit
hat, wird eindeutig festgestellt, dass es an der landseitigen Sicherung der Grenzen mangelt und damit dem
Waffenschmuggel Tür und Tor geöffnet sind. Hier bedürfte es einer zentralen Unterstützung, um landseitig
eine Sicherung aufzubauen. Aber das ist bislang nicht
der Fall. Fazit ist, dass die Landseite für den Waffenschmuggel offen wie ein Scheunentor ist und dass der
Einsatz auf der Seeseite aus diesem Grund eher wie ein
Placebo wirkt.
({1})
Die entscheidende Frage ist, ob die Resolution 1701
erfüllt ist. Das ist bislang bei weitem nicht der Fall.
Noch immer führen die Israelis Überflüge über dem Libanon durch. Diese hätten längst eingestellt werden
müssen. Ich erwarte, dass die internationale Gemeinschaft dafür deutliche Worte findet. Zudem gibt es keinen Fortschritt bei der Entwaffnung der Hisbollah; das
habe ich bereits angesprochen. Auch das ist Bestandteil
der Resolution 1701. Es gibt den nationalen Dialog, der
gestern eine Rolle gespielt hat. Seit langer Zeit geht es
wieder um die Entwaffnung der Hisbollah. Aber ich
möchte Sie auf die Regierungserklärung der neuen Regierung im Libanon vom August dieses Jahres aufmerksam machen. In dieser wurde „das Recht des Libanon,
seiner Regierung, des Volkes und des Widerstandes zum
Gebrauch aller möglichen Mittel, um vom Libanon beanspruchtes Gebiet wiederzuerlangen“, festgelegt. Das
bedeutet nichts anderes, als dass die Hisbollah aus dieser
Regierungserklärung das Recht ableitet, ihre Waffen behalten zu dürfen. Das liegt nicht im Interesse der internationalen Gemeinschaft und entspricht nicht der UN-Resolution.
({2})
Das alles zeigt, wie zerbrechlich die Situation ist.
Ich komme zum - aus Sicht meiner Fraktion - zentralen Punkt. Die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten darf immer nur das letzte Mittel sein. Wer allerdings Soldatinnen und Soldaten entsendet, hat die
Pflicht, in besonderem Maß politisch initiativ zu werden.
Aber wir erkennen nicht, dass die Bundesregierung die
Initiative ergreift. Fehlanzeige! Wie sieht die politische
Situation im Libanon aus? Im Libanon wurde nach einer
langen Hängepartie ein Präsident gewählt. Es gibt eine
neue Regierung, in der die Hisbollah gestärkt ist und die
Opposition eine Sperrminorität hat. Die politische Lage
ist weiter fragil. Das zeigen auch die Anschläge in den
letzten Wochen. Es gibt einen Hoffnungsschimmer im
Verhältnis zu Syrien. Aber nach wie vor ist die Rolle des
Iran - auch mit Blick auf Waffenlieferungen an die Hisbollah - völlig ungeklärt.
In der Region gibt es in Israel eine Regierung mit Problemen, eine schwache Palästinenserführung und seit
Beginn der UNIFIL-Mission eine Trennung in Gaza und
Westjordanland, also eine größere Zerrissenheit. International gesehen befinden sich die USA im Wahlkampf.
Vom Nahostquartett haben wir schon lange nichts mehr
gehört.
({3})
Deswegen gibt es ein Vakuum. Aber dieses Vakuum
kann nicht mit Soldatinnen und Soldaten ausgefüllt werden. Es bedarf eines massiven politischen Engagements.
Eine nachhaltige Lösung des Nahostkonflikts kann nur
ein tragfähiger, umfassender politischer Prozess gewährleisten. Wir fordern daher eine umfassende regionale
Friedensinitiative nach dem Vorbild der KSZE, nämlich eine KSZNO. Wir haben dazu immer wieder Anträge eingebracht. Wir sind nach wie vor der Meinung,
dass das richtig wäre.
Ich fasse zusammen: Solange die Wirksamkeit des
Mandats nicht gewährleistet ist und solange der politische Begleitprozess völlig unbefriedigend ist, so lange
sieht sich die FDP-Bundestagsfraktion nicht in der Lage,
der Verlängerung des Mandats zuzustimmen.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Eckart von Klaeden,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Was die Lage im Libanon sowie die Wirksamkeit
und den - wenn auch beschränkten - Erfolg der
UNIFIL-Mission angeht, beziehe ich mich auf das, was
der Kollege Mützenich beschrieben hat. Ich glaube, er
hat die Situation einfühlsam und zutreffend dargestellt.
Versetzen wir uns in die Zeit von vor zwei Jahren zurück, als wir das erste Mal über das Mandat abgestimmt
haben. Wir haben damals angesichts der Schwierigkeiten
nicht angenommen - das gilt jedenfalls für die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion sowie des Koalitionspartners im Auswärtigen Ausschuss -, dass das Mandat
so erfolgreich sein wird, wie es heute ist. Das kann man
bei allen Schwierigkeiten, die hier geschildert worden
sind, feststellen.
Welches sind die wesentlichen Einwände gewesen,
Frau Kollegin Homburger? Es sind nicht diejenigen gewesen, die Sie eben neu vorgetragen haben. Der wesentliche Einwand der FDP vor zwei Jahren ging auf einen
verquasten Neutralitätsbegriff und die Sorge zurück,
dass Deutschland durch die Entsendung der Marine Partei im Nahostkonflikt werden könnte. Das hat sich eindeutig als falsch erwiesen. Sowohl die israelische Regierung als auch die libanesische Regierung begrüßen das
Mandat und unser Engagement und halten es für richtig,
dass wir uns nicht nur mit der Bundesmarine auf der
Seeseite engagieren, sondern dass wir auch die langsamen Fortschritte bei der Grenzsicherung mit Bundespolizei und anderen unterstützen. Ich fände es gut, wenn
die FDP angesichts dieser Entwicklung in der Lage
wäre, zu sagen: Die Entwicklung hat sich anders dargestellt, als wir befürchtet haben, und
({0})
deswegen sind wir bereit, zuzustimmen.
Ihr Generalsekretär, Frau Homburger, hat Ihrer Fraktion schon vor einem Jahr empfohlen, dem Mandat zuzustimmen, weil diese Entwicklung vor einem Jahr schon
abzusehen war. Wenn man einmal die Zustimmung bzw.
Ablehnung vonseiten der FDP in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr betrachtet, muss man bedauerlicherweise feststellen, dass Sie gerade die erfolgreichsten Einsätze - nämlich die in Mazedonien, im Kongo
und im Rahmen von UNIFIL - ablehnen. Wenn man
sich Ihre Zustimmung bzw. Nichtzustimmung zu den
Afghanistan-Einsätzen vor Augen führt, erkennt man,
dass diese nicht einer klaren Linie folgt, sondern eher
der eines Riesenslaloms gleicht. Das ist keine verantwortungsvolle außenpolitische Position.
({1})
Das zweite Argument, das immer zu hören gewesen
ist, war das der angeblichen Militarisierung unserer
Außenpolitik. Dieses wird mit besonderer Vorliebe von
der Linken vorgetragen. Wie man allerdings von einer
Militarisierung der Außenpolitik sprechen kann, wenn
wir helfen, Waffenschmuggel in den Libanon auf der
Seeseite zu unterbinden
({2})
und die Landesgrenze zu sichern, wird auf lange Zeit das
Geheimnis der Linkspartei bleiben.
Der dritte Einwand ist vor zwei Jahren immer wieder
gewesen, dass es keinen politischen Prozess gibt, in den
der Einsatz eingebettet ist. Auch wir haben vor zwei Jahren gesagt, dass ein Waffenstillstand - wie der Kollege
Mützenich zutreffend ausgeführt hat - Voraussetzung
dafür ist, dass dieser politische Prozess beginnen kann.
Dieser ist in der UN-Resolution 1701 entsprechend beschrieben. Wir können heute feststellen, dass dieser politische Prozess trotz aller Schwierigkeiten begonnen hat
und dass der UNIFIL-Einsatz eine nicht hinwegzudenkende Voraussetzung für diesen politischen Prozess ist.
Es gibt im Libanon wieder einen Präsidenten. Es gibt
Kontakte zwischen Israel und Syrien sowie zwischen
dem Libanon und Syrien. Wir haben die AnnapolisKonferenz, die, wenn Sie die Dinge etwas mehr im Zusammenhang beurteilen würden, Frau Homburger, Ihrem
Vorschlag einer Konferenz für den Nahen Osten nach
dem Vorbild der KSZE relativ nahe kommt. Wir haben
es mit einem schwierigen Prozess zu tun. Deswegen
kann ich verstehen, dass der eine oder andere sagt, es
ginge ihm nicht schnell genug. Aber gerade in dieser
schwierigen Situation brauchen wir Geduld.
Das Abkommen von Doha vom 21. Mai dieses Jahres ist ein weiterer wichtiger Schritt in diesem Prozess.
Es ist gelungen, im Libanon eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden. Der bisherige Kommandant der
libanesischen Armee, Michel Suleiman, ist zum Präsidenten gewählt worden. Für die im nächsten Jahr anstehenden Parlamentswahlen soll ein Wahlgesetz verabschiedet werden. In den innenpolitischen
Auseinandersetzungen soll auf Gewalt verzichtet werden, und die Milizen sollen entwaffnet werden. Diese
Punkte sind noch nicht alle durchgesetzt, aber sie sind
beschlossen, und die wesentlichen innenpolitischen
Kräfte im Libanon haben sich auf dieses Abkommen geeinigt und auf diese Prinzipien verständigt. Das ist angesichts der Lage in diesem Land ein deutlicher Fortschritt.
({3})
Man kann nun sagen, die Hisbollah habe sich durch
die Verzögerung dieses Prozesses mit ihrer Blockadepolitik durchgesetzt. Ich glaube, dass das nicht ganz
richtig ist, sondern dass die Minderheit durch diesen
Kompromiss, durch dieses Abkommen, durch diesen
Prozess in die Pflicht genommen worden ist und dass
das im Libanon geltende Konsensprinzip nicht länger
von der Hisbollah gegen das nationale Interesse des
Libanon instrumentalisiert werden kann.
Wir müssen die Politik der syrischen Regierung weiter kritisch begleiten und Syrien ermutigen, eine konstruktive Rolle in diesem Prozess zu spielen. Es ist richtig, dass es ohne eine konstruktive Rolle Syriens nicht
wird gehen können. Deswegen ist es ein gutes Signal,
dass Syrien jetzt nach langer Zeit seine Bereitschaft erklärt hat, mit dem Libanon diplomatische Beziehungen
aufzunehmen. Unsere Syrien-Politik ist von zwei wesentlichen Prinzipien geprägt: Zum einen muss das Maß
der Kooperation mit Syrien davon abhängen, wie sehr
Syrien selber zu einem konstruktiven Beitrag in der Region, insbesondere in Bezug auf seine Beziehungen zum
Libanon, bereit ist, und zum anderen: Wenn wir als Europäer Erfolg haben wollen, dann müssen wir bereit sein,
Syrien gegenüber mit einer Stimme zu sprechen.
({4})
Es gibt einige Aspekte, die bei allem Positiven genannt
werden müssen. Wir erwarten von Syrien die Freilassung der unzähligen libanesischen Gefangenen aus syrischen Gefängnissen, die Aufklärung über das Schicksal
der Verschwundenen, die Bereitschaft Syriens, sich aus
den inneren Angelegenheiten des Libanon herauszuhalten und die Souveränität des Libanon anzuerkennen.
Wie groß das internationale Interesse am Frieden im
Libanon ist und wie groß die Bereitschaft der internationalen Gemeinschaft ist, sich an UNIFIL zu beteiligen,
zeigt die beeindruckende Liste von 26 teilnehmenden
Nationen. Wenn die Linke glaubt, der Bundesregierung,
den sie tragenden Fraktionen und in diesem Fall auch
den Grünen die Militarisierung der Außenpolitik unterstellen zu müssen, dann kann sie die Frage bei ihren Besuchen in China, in Kroatien, in Mazedonien, in Guatemala, in Malaysia, in Irland, in Indien, in Polen oder in
Korea stellen, ob auch diese Nationen tatsächlich an einer Militarisierung ihrer Außenpolitik interessiert sind
und sich deswegen an UNIFIL beteiligen. UNIFIL ist
eine wichtige Mission, gerade weil der beschriebene
Prozess fragil ist, gerade weil dieser Prozess unsere Unterstützung verdient, nicht nur für die Menschen dort
- für sie zu allererst -, aber auch deshalb, weil er in unserem Interesse ist; denn die Region liegt - deswegen
heißt sie Naher Osten - direkt vor unseren Grenzen. Erneute Kriegshandlungen bedrohen die Sicherheit auch
Europas. Deswegen gibt es viele gute Gründe, dieser
Mission zuzustimmen. Ich darf noch einmal an die FDP
appellieren, es sich zu überlegen und mit Ja zu votieren.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke,
Fraktion Die Linke.
({0})
Schönen Dank, Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
und Kollegen! Ich will noch einmal die Argumente der
Linken zusammenfassen. Ich halte erstens fest: Aus unserer Sicht ging und geht der UNIFIL-Einsatz in Ordnung. Er war notwendig, und ohne diesen Einsatz hätte
es den Waffenstillstand wahrscheinlich nicht gegeben.
Er war Voraussetzung, um überhaupt miteinander verhandeln zu können. Diese Meinung teile ich völlig. Die
Waffen müssen schweigen, damit über Frieden gesprochen werden kann. Das ist die Grundlage dazu. Waffenstillstand heißt aber noch nicht Frieden. Bis dahin ist
noch ein gewaltiger Weg zurückzulegen. Selbstverständlich ist die völkerrechtliche Basis für den UNIFIL-Einsatz gegeben.
Jetzt gibt es aber bei Ihnen, so meine ich, einen Denkfehler. Nicht jeder Einsatz der Vereinten Nationen, der
völkerrechtlich in Ordnung geht, ist auch politisch geboten und politisch sinnvoll. Ein Beschluss der Vereinten
Nationen ersetzt nicht das Nachdenken darüber, was
man politisch will. Dann muss man die Frage stellen, ob
es unter diesen Bedingungen gut ist, dass sich Deutschland militärisch an einem solchen Einsatz beteiligt. Letzteres haben wir verneint.
({0})
Dafür hatten wir sehr gute Gründe, und ich will Ihnen
zumindest drei noch einmal vortragen. Kollege von
Klaeden und ich kennen uns jetzt so lange, dass er
glaubt, immer zu wissen, was ich sagen werde. Das
werde ich aber nicht. Du hast dich getäuscht. Ich habe
ganz andere Gründe, die ich anführen möchte.
Wir haben uns überlegt, dass es gerade für diesen Einsatz im Nahen Osten notwendig wäre, Staaten zu gewinnen, die für beide Konfliktparteien erkennbar neutral
sind. Dieses Neutralitätsargument hat gestern heftigen
Widerspruch gefunden. Ich will es noch einmal erklären
- ich habe gedacht, es erklärt sich von selber -: Deutschland hat immer formuliert, dass es ein besonderes Verhältnis zu Israel hat. Das Verständnis für dieses besondere Verhältnis wird nicht von allen Akteuren in der
Region geteilt. Kollege Annen hat mir gestern selbst die
Hisbollah vorgehalten, die glaubt, dass Deutschland neutral ist. Hisbollah als Kronzeuge für Deutschland, glauben Sie wirklich, dass das ein überzeugendes Argument
ist?
Einen überzeugenden Beleg dafür hat die Frau Bundeskanzlerin geliefert. Sie hat in ihrer Begründungsrede
gesagt - ich zitiere sie -:
Ich sage ganz deutlich: Ja, wir sind nicht neutral
und wir wollen auch gar nicht neutral sein.
Das stimmt, was sie hier festgestellt hat. Ich glaube, dass
man als nicht neutrale Kraft im Nahen Osten nicht mit
Militär agieren sollte.
({1})
Unser zweites Argument - ich bitte Sie, auch darüber
ein bisschen mehr nachzudenken -: Ich glaube, dass der
Einsatz der Bundeswehr im Libanon auch ein Türöffner
für künftige Forderungen an Deutschland sein kann,
auch bei weiteren Militäreinsätzen im Nahen Osten
präsent zu sein. Es kann doch jeder wissen, was sich dort
zusammenbraut. Ich sage sehr salopp, aber sehr klar:
Aus meiner Sicht hat Deutschland, hat die Bundeswehr
im Nahen Osten, an den Grenzen Israels nichts zu suchen.
({2})
Das ist eine sehr wichtige Position.
Drittes und letztes Argument. Wir wissen, dass der eigentliche Hintergrund des Libanon-Konflikts ein anderer
ist, nämlich der Konflikt Israel/Palästina, der gelöst
werden muss. Schon dieser Ausgangspunkt gebietet ein
sehr vorsichtiges Agieren. Viele sagen: Der AnnapolisProzess wird scheitern. Es gibt aber auch Stimmen, die
sagen, dass er eine Chance hat - was ich glaube und was
ich befördern möchte. Dann muss aber auch die Richtigkeit folgender Behauptung geklärt werden - ich habe
eine entsprechende Frage an den Herrn Außenminister
gerichtet; er beantwortet sie in diesem Parlament nie -:
Solange der Iran mit Militäraktionen, mit Krieg bedroht
wird, werden wir keine Stabilität in der Region haben.
Ich möchte, dass die deutsche Bundesregierung verbindlich sagt: Deutschland will, dass die militärische Option
vom Tisch kommt, damit Frieden einkehrt.
({3})
Ein letzter Gedanke - Kollege Mützenich, das, was
Sie gesagt haben, hat mich natürlich gereizt und provoziert -: Ich teile Ihre Auffassung, dass sich ein konstruktiver Pazifismus nicht im Antimilitarismus erschöpft. Ich
sage Ihnen aber: Ohne Antimilitarismus bekommen Sie
überhaupt keinen Pazifismus, schon gar keinen konstruktiven.
({4})
Vielleicht sollten Sie über diesen Aspekt auch einmal
selber nachdenken.
Danke sehr.
({5})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! UNIFIL
war notwendig, um den Krieg zwischen Libanon und
Israel zu beenden. Der Einsatz der deutschen Bundeswehr auf der Seeseite war die Voraussetzung dafür, dass
die Seeblockade gegen Libanon aufgehoben wird. Die
Erfolge von UNIFIL sind hier unübersehbar. Die Sicherheit Israels ist größer geworden. Selbst der politische
Prozess, der zäh ist, ist ein Stück vorangekommen; viele
Vorredner haben darauf hingewiesen. Deswegen glaube
ich: UNIFIL und die deutsche Beteiligung daran sind
richtig. Sie sind notwendig. Sie sollten fortgesetzt werden.
({0})
Aus dem Argument, dass etwas notwendig ist, aber
nicht hinreichend, kann man nicht die Schlussfolgerung
ziehen, liebe Frau Homburger, Nein zu sagen.
({1})
Auch ich kritisiere, was die Vereinten Nationen zu Recht
feststellen, dass das Grenzmodell zur Sicherung der
Landgrenze nicht so vorangekommen ist, wie es übrigens die deutsche Bundesregierung zugesagt und versprochen hat. Nur, was ist das für eine Logik, zu sagen:
„Weil man die Landgrenze noch nicht geschlossen hat,
öffnen wir die halt die Seegrenze wieder“? Das leuchtet
mir in keiner Weise ein.
({2})
Ich habe mir die Mühe gemacht, mir noch einmal die
Argumente anzuschauen, die Sie zu Anfang genannt haben. Ihr Fraktions- und Parteivorsitzender hat zu Recht
gesagt - wie alle hier im Hause, glaube ich -: Wir sind
gegenüber Israel nicht neutral. - Dann hat er erklärt: Wir
müssen aufpassen, ob es zu einer Konfrontation kommen kann, weil wir nicht neutral sind. - Das war Ihr tragendes Argument dafür, Nein zu sagen.
({3})
Er hat dann die Frage gestellt: Kann man eine Konfrontation ausschließen?
Dazu sage ich Ihnen: Wir haben jetzt zwei Jahre
UNIFIL. Es gibt eine Entwicklung vor Ort, die all die
Befürchtungen, die Sie hier geäußert haben, nicht bestätigt, sondern weitgehend widerlegt hat. Da frage ich
mich schon, wie es um die außenpolitische Lernfähigkeit
der FDP und ihres Fraktionsvorsitzenden bestellt ist.
({4})
Wann nehmen Sie endlich zur Kenntnis, dass Ihre Befürchtungen nicht eingetreten sind? Wann folgen Sie
Ihrem geschätzten Generalsekretär - an dieser Stelle klüger - und erklären: „Wir sagen nunmehr Ja. Wir korrigieren unsere Einschätzung. Gott sei Dank - so können Sie
ja sagen - sind unsere Befürchtungen nicht eingetreten“?
Letzte Bemerkung. Selbstverständlich ist die Situation im Libanon und dort vor Ort nach wie vor nicht zufriedenstellend.
Herr Kollege Trittin, ich muss Sie fragen, ob Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Niebel zulassen?
Gern.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich
stimme Ihnen natürlich ausdrücklich darin zu, dass ich
ein kluger Generalsekretär bin, und bitte darum, das im
Protokoll hinreichend zu unterstreichen.
Ich möchte Sie allerdings fragen, ob Sie bereit sind,
das zur Kenntnis zu nehmen: In einer Diskussion im
Vorfeld der letzten Mandatsverlängerung habe ich auf
Folgendes hingewiesen: Wenn wir die Entscheidung
treffen, müssen wir bei einer Verlängerung immer berücksichtigen, dass die Situation dann eine andere ist als
bei einer Erstmandatierung. Bei einer Erstmandatierung
geht es darum, hinzugehen. Wenn man da sagt „Wir sollten es lassen“ und dieser Meinung weiter folgen möchte,
nämlich dass man gegen das Mandat ist, ist das bei einer
Mandatsverlängerung konsequenterweise mit dem Weggehen verbunden.
Dieser Punkt - darauf wollte ich im Vorfeld der damaligen Entscheidung hinweisen - führte bei dem überwiegenden Teil der Mitglieder meiner Fraktion zu einer
Ablehnung dieses Mandats - genau wie heute völlig zu
Recht.
({0})
Lieber Herr Kollege Niebel, Sie sind klug, aber in erster Linie Generalsekretär.
({0})
Das ist nicht immer ein einfaches Amt, wie wir bei
Herrn Pofalla oder Herrn Hintze - auch Herr Heil erfährt
das gerade - immer wieder erlebt haben. Die wesentliche Funktion eines Generalsekretärs ist, bei Kurskorrekturen im Zweifelsfall dafür zu sorgen, dass es nicht so
auffällt, dass man eine Kurskorrektur macht.
({1})
Das ist auch undankbar.
Ich gebe Ihnen jetzt einen Tipp. Mit der Begründung
„Das ist jetzt die Realität; das hat sich so entwickelt“
hätten Sie als FDP Ihre Position ändern können und
müssen.
({2})
Ich gebe Ihnen einen weiteren Tipp. Sollten Sie jemals - sagen wir mal: in 10 oder 15 Jahren - wieder in
die Situation kommen, nicht auf den Oppositionsbänken
zu sitzen, spätestens dann - das garantiere ich Ihnen nehmen Sie diese Kurskorrektur vor.
({3})
Letzte Bemerkung, und zwar zur Kontinuität der heutigen Debatte. Lieber Wolfgang Gehrcke, wenn man sich
dazu bekennt, wie ihr gesagt habt, Partei des Völkerrechts sein zu wollen, dann muss man sich klarmachen,
was da im Libanon passiert. Eine der herausstechendsten
Leistungen, die UNIFIL an Land erbracht hat, war neben
der Sicherung der Grenze die Beseitigung der Kriegsschäden, also das Abräumen der Streubombenreste und
der Minen. Wer hat das gemacht? Das waren unter anderem Blauhelme aus Spanien und aus China.
Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit: Wer
sich zum Völkerrecht bekennt, wer sich zum Primat der
Vereinten Nationen bekennt, der darf solche praktische
Friedensarbeit - um nichts anderes geht es - nicht in
eine Reihe stellen mit Interventionen im Rahmen von
Kriegseinsätzen. Das ist nicht zulässig.
({4})
Wer sich zu den Vereinten Nationen bekennt, der muss
sich auch zu solcher praktischer Friedensarbeit bekennen
und kann in diesem Fall zu UNIFIL und zur deutschen
Beteiligung nur Ja sagen.
({5})
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention der Kollegin Monika Knoche.
Angesichts des vollen Hauses mache ich die Kurzintervention auch ganz kurz. Herr Abgeordneter Trittin,
Sie hatten gestern und heute die Möglichkeit, dem Redner unserer Fraktion Wolfgang Gehrcke zuzuhören. Er
hat ausdrücklich gesagt, dass die Fraktion Die Linke diesen UNIFIL-Einsatz für richtig und notwendig hält. Er
hat heute noch einmal ausführlich begründet, warum wir
die deutsche Beteiligung an dieser seeseitigen Mission
aus historischen und aus aktuellen Gründen ablehnen.
Uns daraus einen Strick drehen zu wollen, ist so oberflächlich und so platt populistisch, dass das wirklich
nicht greift. Wir sollten uns über Völkerrechtsfragen unterhalten, und zwar dort, wo es am Platz ist. Das werden
wir in der Frage des OEF-Einsatzes in Afghanistan tun.
({0})
Herr Kollege Trittin.
Liebe Kollegin Knoche, was den Populismus angeht,
lasse ich mich von Ihnen gern übertreffen.
({0})
Ich habe sehr genau gehört, was Wolfgang Gehrcke
gesagt hat. Sie werden sich aber dieser Frage stellen
müssen - wir werden gleich noch einen Tagesordnungspunkt haben, bei dem Sie sich dieser Frage erneut werden stellen müssen -: Was ist das eigentlich für eine Haltung für eines der reichsten Länder der Erde? Wenn ich
mir die Bemerkung erlauben darf: Ihr Kollege hat vorhin
kritisiert, dass die Bundesrepublik Deutschland solche
Friedenseinsätze wie UNIFIL durch einen Beitrag in
Höhe von 500 Millionen Euro an die Vereinten Nationen
finanziert. Das hat er hier deutlich und scharf kritisiert
und als Militarisierung der Außenpolitik bezeichnet.
({1})
Davon einmal abgesehen, frage ich Sie: Was ist das für
eine Haltung, wenn ein wohlsituiertes Land sagt: „Wir
finden das okay, dass solche Einsätze stattfinden, wir beteiligen uns aber nicht daran?“ Die Argumente dafür
sind schlicht Vorwände. Es ist eine Tatsache, dass keine
der Konfliktparteien dort die Anwesenheit von Deutschland kritisiert; die Israelis nicht und die Hisbollah nicht.
Die Frage der Neutralität ist eine andere als die, die wir
uns stellen. Die Frage der Neutralität wird nicht von einem selbst, sie wird immer von den Konfliktparteien beantwortet.
({2})
Wenn man in einer solchen Situation sagt: „Wir sind
nicht dabei, wir überlassen diese Einsätze den Chinesen,
den Bangladeschis und anderen“, dann stellt man sich
nicht der internationalen Verantwortung. Man stiehlt
sich aus dieser internationalen Verantwortung und den
damit verbundenen Anforderungen, deren Erfüllung eine
große Welt von einem Land wie Deutschland erwartet.
Das ist der Kern.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 16/10240 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
kräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon.
Zu dieser Abstimmung liegt uns eine persönliche Erklä-
rung des Kollegen Winfried Hermann vor.1) Der Aus-
schuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10207
anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt.
Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kol-
legen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten,
die sie verwenden, ihren Namen tragen.
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Plätze
an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Ich eröffne die
Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.
Vielleicht ist es möglich, dass die Kolleginnen und
Kollegen ihre Plätze einnehmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/10246. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Ko-
alition bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen
und bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und FDP
abgelehnt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf:
a) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({0}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({1}) auf
Grundlage der Resolution 1769 ({2}) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 31. Juli 2007 und weiterer Mandats-
1) Anlage 2
verlängerungen durch den Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/10106, 16/10242 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({3})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10243 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Lothar Mark
Dr. Gesine Lötzsch
Omid Nouripour
b) - Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Auswärtigen Ausschusses
({5}) zu dem Antrag der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher
Streitkräfte an der Friedensmission der
Vereinten Nationen im Sudan ({6}) auf
Grundlage der Resolution 1590 ({7}) des
Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen
- Drucksachen 16/10104, 16/10244 Berichterstattung:
Abgeordnete Eckart von Klaeden
Marina Schuster
Dr. Norman Paech
Kerstin Müller ({8})
- Bericht des Haushaltsausschusses ({9}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/10245 Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
Lothar Mark
Dr. Gesine Lötzsch
Omid Nouripour
Zu den Anträgen liegt je ein Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich weise darauf hin, dass wir später über beide Beschlussempfehlungen namentlich abstimmen werden,
also zwei namentliche Abstimmungen unmittelbar hintereinander durchführen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ich eröffne die Aussprache.
Bevor ich der Kollegin Bruni Irber das Wort gebe,
möchte ich jetzt alle Kollegen und Kolleginnen bitten,
ihre Gespräche außerhalb des Saales fortzusetzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange Sie Ihre
Plätze nicht einnehmen, können wir die Aussprache
nicht fortsetzen, und umso mehr verschiebt sich auch die
namentliche Abstimmung nach hinten.
({10})
Ich gebe das Wort der Kollegin Bruni Irber, SPDFraktion.
({11})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nun zu einem ernsteren Thema. Nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg herrscht im Süden des Sudan
heute ein fragiler Waffenstillstand. Menschen, deren gesamtes Leben durch Krieg und Anarchie geprägt war,
lernen wieder, in Frieden miteinander zu leben. Auch
wenn dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist,
zeigen sich doch einige hoffnungsvolle Entwicklungen.
Dank der logistischen Unterstützung durch UNMIS
konnte im Mai 2008 die lang geplante Volkszählung erfolgreich durchgeführt werden. Das sudanesische Parlament hat im Juli 2008 ein grundlegendes Wahlgesetz
verabschiedet. Damit sind die beiden wichtigsten Vorbedingungen für die landesweiten Wahlen im kommenden
Jahr erfüllt.
Wir sind heute an einem Punkt, von dem wir im letzten Jahr noch nicht wussten, ob wir ihn jemals erreichen
würden. Trotz der jüngsten Kämpfe um die Ölstadt
Abyei besteht heute die Chance, dass die Menschen im
Sudan im nächsten Jahr erstmals demokratisch über ihre
Zukunft abstimmen können. Auch der Aufbau der
südsudanesischen Verwaltung und die Reform des Sicherheitssektors gehen voran. Tausende von Flüchtlingen sind in den Südsudan zurückgekehrt. Entsprechend
groß ist der Bedarf an Unterstützung für den Aufbau der
Wasser- und Energieversorgung, von Schulen und Krankenhäusern sowie für den Aufbau staatlicher Strukturen.
Es gilt, in diesen Bereichen möglichst rasch für die Bevölkerung greifbare Fortschritte zu erzielen, um eine
Friedensdividende sichtbar zu machen.
({0})
Das ist wichtig, um einen Rückfall in den Bürgerkrieg zu
verhindern.
UNMIS hat sich dabei in den vergangenen Jahren als
verlässliche Kraft und als Stabilitätsanker erwiesen.
({1})
Mit ihrer Beteiligung an UNMIS zeigt die Bundesregierung, dass sie bereit ist, aktiv am Friedensprozess mitzuarbeiten. In Verbindung mit den großzügigen finanziellen Beiträgen für den Nord-Süd-Friedensprozess ist
Deutschland zu einem der wichtigsten Unterstützer für
eine politische Lösung im Sudan geworden.
({2})
Ich freue mich, wenn wir diese Vorreiterrolle auch weiterhin ausüben können, und bitte dafür um Unterstützung.
({3})
Im Gegensatz zum Südsudan gibt es über die Krisenprovinz Darfur nach wie vor nichts Erfreuliches zu berichten. Auch wenn ich die Hoffnung hege, dass sich die
positive Entwicklung im Südsudan mittelfristig stabilisierend auf die Bürgerkriegsregion Darfur auswirkt, so
bleibt die aktuelle Situation leider weiterhin katastrophal. Ich möchte daher hier und heute die Gelegenheit
nutzen, um für eine weitere Beteiligung deutscher Soldaten in der Friedensmission UNAMID zu werben. Das ist
mir besonders wichtig, weil im Zusammenhang mit dem
verzögerten Aufwuchs der Mission auch immer wieder
Kritik an der geringen Präsenz deutscher Soldaten geübt
wird. Die Kritik ist verständlich; doch sie beruht auf einem Missverständnis, das ich ausräumen möchte. Laut
Bundestagsmandat können bis zu 250 Soldaten in Darfur
stationiert werden. Zu ihren Aufgaben gehört der Lufttransport von UNAMID-Einsatzkräften; das heißt, sie
sind für das Einfliegen von Truppen und Material anderer Staaten zuständig. Für diese Aufgabe hat die Bundeswehr erhebliche logistische und technische Kapazitäten
bereitgestellt. Da das Einfliegen von Truppen anderer
Staaten aber bislang unterblieb, sind die von Deutschland bereitgestellten Kapazitäten nicht in Anspruch genommen worden.
Ein weiteres Problem besteht in der andauernden Behinderung unserer Einsatzkräfte durch die Regierung
Baschir. Infolge der ständigen Verschleppung der Visabearbeitung, der Nichterteilung notwendiger Start- und
Landeberechtigungen sowie der Blockade der Nachschubwege bleibt unser Beitrag weit hinter unseren Kapazitäten zurück.
In Anbetracht dieser Tatsachen halte ich den Vorwurf
mangelhaften Engagements für ungerechtfertigt.
({4})
Dass die Bundesregierung gewillt ist, aktiv zur Stabilisierung der Provinz Darfur beizutragen, zeigt sich an der
Entsendung von Polizeikräften in die Region. Seit Anfang des Jahres bereiten deutsche Polizeitrainer, alle mit
Afrika-Erfahrung, ihre Kollegen aus Ghana, Senegal,
Bangladesch und Sambia auf ihren Einsatz vor. Darüber
hinaus unterstützt das Auswärtige Amt die Ausbildung
afrikanischer Polizisten im Kofi-Annan-PeacekeepingTraining-Center in Ghana. Eine weitere finanzielle Unterstützung für UNAMID-Polizeikontingente ist geplant.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir ist bewusst,
dass diese beiden Missionen im Sudan keine idealen Instrumente zur Überwindung der dortigen Krise sind.
Trotzdem möchte ich eines zu bedenken geben: Zur
Flankierung aller politischen Lösungsversuche sind die
beiden Missionen ohne Alternative.
({5})
Ohne eine politische Lösung, ohne die Unterstützung
des Comprehensive Peace Agreement wird es keinen
dauerhaften Frieden in der Region geben.
Im Namen der Menschen in Darfur und im Südsudan
bitte ich Sie daher um Zustimmung zu den beiden Mandaten für die weitere Beteiligung deutscher Soldaten.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich komme zurück zu Tagesordnungspunkt 4 und
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon
bekannt, Drucksachen 16/10207 und 16/10240: abgegebene Stimmen 507. Mit Ja haben gestimmt 451, mit Nein
haben gestimmt 101, Enthaltungen 9. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 567;
davon
ja: 451
nein: 107
enthalten: 9
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({25})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({26})
Doris Barnett
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({27})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({28})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Angelika Graf ({29})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({30})
Nina Hauer
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({31})
Frank Hofmann ({32})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({33})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({34})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({35})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({36})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({37})
Michael Roth ({38})
Marlene Rupprecht
({39})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({40})
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({41})
Silvia Schmidt ({42})
Renate Schmidt ({43})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({44})
Carsten Schneider ({45})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({46})
Swen Schulz ({47})
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({48})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Gudrun Kopp
Markus Löning
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({49})
Volker Beck ({50})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Priska Hinz ({51})
Ulrike Höfken
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Markus Kurth
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({52})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({53})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
SPD
Gregor Amann
Klaus Barthel
Renate Gradistanac
Dr. Reinhold Hemker
Petra Hinz ({54})
Ernst Kranz
Dirk Manzewski
Detlef Müller ({55})
Rüdiger Veit
Waltraud Wolff
({56})
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({57})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Joachim Günther ({58})
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({59})
Detlef Parr
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({60})
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Dr. Barbara Höll
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({61})
Volker Schneider
({62})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Monika Lazar
Dr. Harald Terpe
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
SPD
Dr. Peter Danckert
Gabriele Hiller-Ohm
Sönke Rix
Ortwin Runde
Ewald Schurer
FDP
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Winfried Hermann
Hans-Christian Ströbele
({63})
Ich gebe das Wort der Kollegin Marina Schuster,
FDP-Fraktion.
({64})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt nach wie vor einige kritische Punkte bei den
Mandaten für den Sudan. Ich habe gestern ohne Umschweife und auch in großer Deutlichkeit auf diese
Punkte hingewiesen. Denn es ist mir besonders wichtig,
dass wir nicht blauäugig sind, was die politische Entwicklung dort betrifft, und dass wir uns klar sind, was
auf uns zukommen wird.
Bei aller Kritik, die ich vorgetragen habe, sehe ich
aber auch, dass es keine Alternative zu den Einsätzen
gibt. Beide Mandate - gerade das UNAMID-Mandat sind vom Charakter her vorwiegend humanitär. Es ist
sehr wichtig, den kriegsgebeutelten Flüchtlingen einen
Minimalschutz zu bieten. Leider ist dieser Schutz nicht
so, wie er sein sollte, und leider ist er auch sehr löchrig.
Eines dürfen wir nicht verkennen: Der Einsatz wird in
schwierigen Zeiten stattfinden. Ich warne davor, zu glauben, man hätte das Gröbste schon hinter sich. Wenn wir
uns zum Beispiel den Nord-Süd-Friedensvertrag anschauen, dann kann man zwar sehen, dass einige Entwicklungen stattgefunden haben. Es gibt aber große Befürchtungen; diese hat auch der Herr Außenminister
gestern im Ausschuss geäußert. Denn je näher das Referendum heranrückt, desto gefährlicher wird die Situation
werden. Viele Fragen sind noch nicht geklärt, zum Beispiel Fragen der Grenzziehungen und die Frage, wie der
Ölreichtum aufgeteilt werden soll. Es ist nach wie vor
ein Pulverfass. Wenn die Lage vor Ort gefährlicher wird,
dann wird auch für die Soldaten, die bei UNMIS und
UNAMID ihren Dienst tun, die Situation gefährlicher.
Deswegen ist es unsere oberste Pflicht, dem entgegenzuwirken, bei der Umsetzung der Wahlgesetze und
der Schaffung organisatorischer Voraussetzungen mitzuhelfen, aber auch internationale Wahlbeobachter vorzubereiten.
({0})
Hier ist die Bundesregierung gefragt. Hier ist sie gefordert, diesen Prozess in Gang zu bringen und zu unterstützen. Denn eines ist klar: Sicherheit für die Bevölkerung
muss Hand in Hand mit politischen Initiativen gehen.
Was den Aufbau von UNAMID betrifft - meine Vorrednerin hat es angesprochen -: Er ist wahrlich kein
Ruhmesblatt für die internationale Gemeinschaft; er ist
ein Armutszeugnis.
({1})
Viele fragen sich auch, warum es denn so lange dauert,
die erforderliche Zahl von 26 000 Soldaten und Polizisten zusammenzubekommen. Ein Grund dafür sind
- Kollegin Irber hat dies schon angesprochen - die Behinderungen der sudanesischen Regierung. Der andere
Grund ist, dass die einzelnen Länder nicht bereit sind,
Kontingente zu stellen. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen. Beides können wir nicht
länger hinnehmen. Auch hier sind Initiativen der Bundesregierung gefragt.
Noch viel wichtiger ist, dass wir aktiv werden, um
den politischen Prozess, den es noch nicht gibt, in Gang
zu setzen. Wo ist denn der Darfur-Darfur-Dialog? Das
Darfur Peace Agreement ist nicht tragfähig. Es stand von
Anfang an auf schwachen Füßen angesichts der Tatsache, dass nur eine Rebellengruppe unterzeichnet hat.
Nach einer weiteren Zersplitterung haben wir es jetzt mit
20 bis 30 Rebellengruppen zu tun. Es ist zu fragen: Mit
welchen Gruppen muss verhandelt werden? Sind die
Gruppen überhaupt bereit, Vereinbarungen einzuhalten,
und in der Lage, diese Vereinbarungen durchzusetzen?
Für eine politische Lösung, die von der Bevölkerung, der
Regierung und den vielen Rebellengruppen akzeptiert
wird, läuft uns die Zeit davon. Umso wichtiger ist es,
dass die Bundesregierung tätig wird.
Wir haben heute im Ausschuss erfahren, dass die
Bundesregierung Gespräche führt, auch auf China einwirkt. Das sind aber bei weitem nicht die einzigen Gesprächspartner. In der jetzigen Situation ist es besonders
wichtig, die Nachbarländer und die anderen Staaten in
der Region einzubeziehen. Die unterschiedlichen Interessen müssen berücksichtigt werden. Die Bundesregierung hat die Pflicht, in der internationalen Gemeinschaft
auf eine Lösung zu drängen und neue Initiativen anzumahnen.
Als Parlamentarier haben wir das Recht, genau zu erfahren, wie und wo deutsches Personal eingesetzt wird.
Aus einem Brief war zu erfahren, dass acht Offiziere für
UNAMID eingesetzt werden sollen. Nach meinem
Kenntnisstand ist derzeit kein einziger vor Ort. Wenn wir
dem vorgelegten Antrag trotz der Kritikpunkte zustimmen, dann müssen wir im Sinne unserer Soldaten allerdings klipp und klar erfahren, welche weiteren Pläne die
Bundesregierung hat, wie der Zeitplan aussieht und welche eigenen Initiativen sie einbringen will. Diesbezüglich sind einige Fragen offen.
Der Herr Außenminister hat richtigerweise gesagt:
Deutschland ist im Sudan kein „Major Player“. Das darf
aber keine Ausrede dafür sein, dass wir nicht alle Hebel
in Bewegung setzen. Sonst wird die Situation noch
schlimmer. Der gesamte Sudan würde uns auf die Füße
fallen, und wir würden einen Flächenbrand noch größeren Ausmaßes erleben. Das müssen wir verhindern. Wir
müssen die Bundesregierung in die Verantwortung und
in die Pflicht nehmen.
({2})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss Ihnen das
berichtigte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
mitteilen - das war vorhin für mich nicht gut lesbar -:
abgegebene Stimmen 567. Mit Ja haben gestimmt 451,
mit Nein haben gestimmt 107, Enthaltungen 9. Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen.1)
Jetzt gebe ich das Wort der Kollegin Anke Eymer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Wir führen eine Debatte über die Verlängerung der deut-
schen Beteiligung an zwei internationalen Missionen im
Sudan, UNMIS und UNAMID.
Der Sudan, Afrikas größter Flächenstaat, ist Schau-
platz einer der größten humanitären Katastrophen. Wa-
rum ist der Sudan für uns ein so wichtiges Land? Zu der
großen humanitären Herausforderung kommt hinzu,
dass der Sudan ein Land mit großen Energieressourcen
ist. Der Sudan ist darüber hinaus eine Schnittstelle zwi-
schen dem arabisch-muslimischen Einflussgebiet und
dem schwarzafrikanischen Teil des Kontinents. Der Su-
dan ist aber auch ein Land, das seit Jahrzehnten unter
Bürgerkriegen und deren Folgen leidet. Der Sudan wird
von einer offensichtlich skrupellosen Regierung immer
tiefer in eine Zerreißprobe geführt. Nachbarstaaten wie
der Tschad oder die Zentralafrikanische Republik dro-
hen, in diesen Sog der Gewalt hineingerissen zu werden.
Die Frage, wie der Konflikt gelöst und Frieden erreicht
werden kann, betrifft die gesamte Region.
Vor allem geht es aber darum, dass viele Menschen
unter der katastrophalen humanitären Situation, unter
der schlechten Versorgung und unter ständig stattfinden-
den Gewaltverbrechen leiden. Zu einem wesentlichen
Teil hat dies die Regierung unter Präsident al-Baschir zu
verantworten. Er meint, sich aus der Verantwortung ge-
1) Abstimmungsliste siehe Seite 18729
Anke Eymer ({0})
genüber den Vereinten Nationen und der Gemeinschaft
der afrikanischen Länder herauslavieren zu können.
Das Handeln der internationalen Gemeinschaft ist
alternativlos. Unsere Beteiligung an UNMIS und
UNAMID ist wichtiger Teil der deutschen Gesamtanstrengungen für Frieden im Sudan.
({1})
Am 22. April 2005 hat der Deutsche Bundestag der deutschen Beteiligung an UNMIS zugestimmt und das Mandat seitdem regelmäßig verlängert. Unsere heutige Zustimmung zum Regierungsantrag ermöglicht den Einsatz
bis zum 15. August nächsten Jahres. An dem internationalen Einsatz sind knapp 20 000 Soldaten und mehr als
3 500 Polizisten beteiligt.
Diese Mission unterstützt die Umsetzung des Friedensvertrages von Nairobi. Die Bedrohung im Südsudan
ist immer noch erheblich, wie die Übergriffe im März
dieses Jahres gezeigt haben. Eine Bewährungsprobe für
die Bereitschaft der Konfliktparteien zu einer friedlichen
Lösung sind die Festlegung des Grenzverlaufs und die
Parlamentswahlen im kommenden Jahr. Am Ende des
Friedensprozesses wird in einem Referendum über die
mögliche Unabhängigkeit des Südsudan entschieden.
Auf diesem Weg ist UNMIS ein unverzichtbarer Faktor
für Stabilität. Unsere deutschen Kräfte haben unter
schwierigen Bedingungen bisher sehr gute Arbeit geleistet. An dieser Stelle sage ich ihnen unseren herzlichen
Dank.
({2})
Zu den Kernaufgaben gehört der Beitrag zur Entwaffnung und Demobilisierung. Dazu kommen ein Programm zur Wiedereingliederung der ehemaligen Kombattanten sowie das Räumen von Minen und der Aufbau
einer zivilen Polizei. Obwohl es sich hier um zwei unterschiedliche Missionen handelt, stehen UNMIS und
UNAMID inhaltlich in einem engen Zusammenhang.
Ein erfolgreicher Friedensprozess im Nord-Süd-Konflikt
wird auch Einfluss auf die Krise in Darfur haben.
Am 15. November des vergangenen Jahres haben wir
hier im Hause mit großer Mehrheit beschlossen, dass
sich Deutschland mit bis zu 250 bewaffneten Einsatzkräften an der Hybridmission der Vereinten Nationen
und der Afrikanischen Union, UNAMID, beteiligt. Diesen Rahmen haben wir bisher noch nicht ausgeschöpft.
Die Entwicklung von UNAMID gestaltet sich schwieriger, als wir es gewünscht und erwartet haben. Wichtig
ist: UNAMID hat ein afrikanisches Gesicht. Die Masse
der truppenstellenden Nationen sind afrikanische Länder. Dieses große Engagement Afrikas ist ein wichtiges
Element für die Akzeptanz der Mission vor Ort.
Der von uns heute zu fassende Beschluss verlängert
das Mandat, wie schon gesagt, bis zum 15. August 2009.
Der deutsche Einsatz hat Anteil an strategisch wichtigen
Bereichen der Mission. Es geht um strategischen Lufttransport, um unsere Beteiligung an der Arbeit der Stäbe
und Hauptquartiere, um die Wahrnehmung von Verbindungs- und Beratungsfunktionen und um wichtige technische Hilfe bei der Ausrüstung und bei der Ausbildung.
Damit unterstützen wir andere truppenstellende Nationen, die diese Kapazitäten nicht haben, und leisten
gleichzeitig einen unverzichtbaren Beitrag.
({3})
Die Vereinten Nationen berichten, dass mehr als
4,5 Millionen Menschen auf Hilfe von außen angewiesen sind. Die Zahl der Vertriebenen beläuft sich auf über
2,5 Millionen Menschen. Fortdauernde schwere Kämpfe
zwischen Regierungstruppen und Rebellen und räuberische Überfälle behindern zunehmend die Arbeit der
Hilfsorganisationen. Die Lage in der Krisenregion Darfur ist so kritisch geworden, dass Hilfsorganisationen
ihre Arbeit teilweise einstellen müssen und dass UNPersonal abgezogen werden muss. Neben Lebensmitteln
und Wasser werden vor allem Schutzmaßnahmen sowie
weitere umfassende Betreuung dringend benötigt.
Das Darfur-Friedensabkommen von 2006 ist nicht
mehr das Papier wert, auf dem es steht. Eine politische
Lösung im Darfur-Konflikt - anders als im Nord-SüdKonflikt - ist nicht in Sicht. Dennoch müssen die politischen Gespräche dringend fortgesetzt werden, um zu einer neuen tragfähigen Friedensvereinbarung zu kommen.
Den beiden vorliegenden Regierungsanträgen nicht
zu folgen und die deutschen Einsätze nicht zu verlängern, wäre unverantwortlich. Es gibt zu diesen beiden
Missionen keine sinnvolle Alternative. Dass militärische
Missionen allein nicht genügen, um einen verlässlichen
Frieden zu erzielen, ist klar. Bei unserer Bereitschaft,
Verantwortung in der Welt zu übernehmen, werden wir
aber auch in Zukunft nicht ausschließen können, dass
militärische Komponenten dazugehören. Daher bitte ich
Sie um Unterstützung der beiden Regierungsanträge. Sie
tragen dazu bei, dass einer der großen Krisenregionen
Afrikas eine Zukunftsperspektive gegeben wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Hüseyin-Kenan
Aydin, Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Der Krieg in Darfur ist mit der Sommeroffensive
der Regierung in eine neue, verschärfte Runde gegangen. Luftangriffe, Kämpfe und gezielte Gewalt aller bewaffneten Gruppen gegen die Zivilbevölkerung haben
eine neue humanitäre Katastrophe heraufbeschworen.
Die Gründe für die neue Eskalation sind vielfältig.
Die Regionalisierung des Konflikts, die fortschreitende
Zersplitterung der Konfliktparteien und die mangelnde
Gesprächsbereitschaft der Akteure sind die wichtigsten
internen Gründe. Externen Friedensbemühungen fehlten
tragfähige Konzepte, politischer Wille und Geschlossenheit.
Vor diesem Hindergrund ist die schlecht ausgestattete
Hybridmission von AU und UNO, UNAMID, fast
zwangläufig zwischen die Fronten geraten. Auch im Süden eskalierten im Mai Gefechte zwischen der Regierungsarmee und der SPLM, die sich an der umstrittenen
Grenzziehung in der ölreichen Abyei-Region entzündeten. Die vorerst entschärfte Krise hat uns die Instabilität
des im Jahre 2005 initiierten Friedensprozesses zwischen Nord und Süd klar vor Augen geführt.
Die Lage im Sudan ist der Bundesregierung bekannt.
Doch die heute zur Abstimmung vorliegenden Anträge
zu UNAMID und UNMIS zeigen, dass sie falsche
Schlussfolgerungen gezogen hat. Die Linke wird keinem
der Anträge zustimmen; denn beide stehen für ein militärisches „Weiter so“. Die veränderten politischen Bedingungen wurden nicht ausreichend reflektiert.
In Bezug auf UNMIS vermissen wir ein angepasstes
Konzept zur Unterstützung des Friedensprozesses, der in
seine entscheidende und kritische Phase tritt. Unsere Ablehnung des UNAMID-Antrags ist grundlegender. Hier
fehlt jeder Hinweis darauf, wie sich die Mission in eine
politische Konfliktbearbeitungsstrategie einfügen soll.
Damit ist die entscheidende Voraussetzung nicht erfüllt.
Denn durch Militäreinsätze, auch durch solche mit
UNO-Mandat, werden Konflikte nicht gelöst.
({0})
UNAMID trägt nicht zur Lösung des Darfur-Konflikts bei. Daran wird auch eine Aufstockung der Mission nichts ändern. Denn ihre entscheidenden Probleme
sind die fehlende politische Grundlage und die mangelnde Akzeptanz durch die Konfliktparteien.
({1})
Das Darfur-Friedensabkommen von 2006, das von wichtigen Rebellengruppen nie unterzeichnet wurde, ist politisch tot, und die seither eingeleiteten Vermittlungsprozesse sind gescheitert.
Die Blockadeversuche des Baschir-Regimes und die
zunehmenden Angriffe von Rebellengruppen und Milizen belegen, dass UNAMID vor Ort als Kriegspartei
wahrgenommen wird. Daher ist eine Fortsetzung des
Einsatzes aus unserer Sicht kontraproduktiv.
({2})
Der Linken und der Friedensbewegung wird wegen
der Ablehnung von Kriegseinsätzen oft Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Ich sage Ihnen aber: Verantwortung zu übernehmen heißt, die nötigen Konsequenzen
aus dem gescheiterten militärischen Engagement zu ziehen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon unterstrich in
seinem letzten Missionsbericht, dass UNAMID kein Ersatz für einen politischen Prozess sein darf.
Wir fordern die Bundesregierung auf, die Initiative zu
ergreifen und den politischen Prozess wiederzubeleben.
Zu unseren Forderungen gehören Waffenstillstands- und
Friedensgespräche auf der nationalen, der regionalen
und der lokalen Konfliktebene, in denen auch zivilgesellschaftliche Kräfte Gehör finden; hier gibt es bereits
Bewegung.
Unerlässlich sind eine verbesserte Verzahnung und
Koordination der Initiativen durch permanent tätige Vermittler der AU und der UNO sowie die stärkere Einbeziehung der Arabischen Liga.
Vermittlung erfordert glaubwürdigen politischen
Druck auf Rebellenführer, Regierungsmitglieder und
Militärs. In diesem Zusammenhang plädiere ich in Übereinstimmung mit Kräften der sudanesischen Opposition
für ein vorläufiges Aussetzen weiterer Ermittlungen des
Internationalen Strafgerichtshofes gegen al-Baschir.
({3})
Dies ist nach Art. 16 der Römischen Statuten zulässig
und politisch geboten, wenn sich al-Baschir in Richtung
Friedensprozess bewegt.
Parallel zu den Friedensgesprächen muss unter Beteiligung lokaler Kräfte ein Entwicklungsplan für den gesamten Sudan erarbeitet werden, um die sozioökonomischen Konfliktursachen zu überwinden.
Meine Damen und Herren, Betätigungsfelder für ein
aktives und wirksames friedenspolitisches Engagement
im Sudan gibt es genug. Die Beteiligung an UNAMID
gehört nicht dazu.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Ich gebe das Wort der Kollegin Kerstin Müller, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Aydin, da Sie, obwohl Sie zu den Enthaltern Ihrer Fraktion gehören, doch wieder die gesamte Antikriegsrhetorik bemüßigt haben, kann ich es Ihnen nicht ersparen, zu
Beginn kurz aus einem Brief zu zitieren, den Ihr Kollege, Herr Schäfer, nach einer Reise in den Sudan an Sie
alle geschrieben hat, und zwar zu den UNMIS- und
UNAMID-Mandaten. Dort heißt es:
Die UNMIS-Mission hat dort erheblich zur Stabilisierung des Friedensprozesses … beigetragen. Ihre
Präsenz wird wohl auch in den nächsten Jahren notwendig sein, da die Sicherheitslage nach wie vor
sehr labil ist.
Es heißt:
Eine Verlängerung des UNMIS-Mandats erscheint …
unproblematisch.
Kerstin Müller ({0})
({1})
Er begründet in diesem Brief übrigens - auch das will
ich nicht verheimlichen - seine Enthaltung damit, „eine
kategorische Ablehnung von UNMIS ist gerade unter
friedens- und abrüstungspolitischen Vorzeichen nicht zu
begründen und nicht zu verantworten.“ Meine Damen
und Herren, dem können wir nur aus vollem Herzen zustimmen.
({2})
Ich denke, diese Rhetorik ist hier völlig fehl am
Platze. Wir müssen uns mit der Lage im Sudan auseinandersetzen. Meine Fraktion wird den Anträgen der Bundesregierung zustimmen. Wir halten die Mandate für
einen notwendigen, aber in keinem Fall für einen hinreichenden Beitrag - das sage ich auch sehr deutlich -, um
das Leiden der Menschen in Darfur endlich zu beenden.
UNAMID kann die Menschen vor allen Dingen in
Darfur immer noch nicht schützen, weil die internationale Gemeinschaft und die Bundesregierung ihre Zusagen nicht einhalten und der Aufbau zu schleppend vorangeht.
An dieser Stelle muss ich leider auch etwas zu dem
deutschen Beitrag sagen, der sich in der Theorie - wir
stellen für UNAMID 250 Soldaten und Lufttransporte gut anhört, in der Praxis aber leider nicht viel mehr als
ein symbolischer Beitrag ist. In dem Brief vom August,
den der Außenminister und der Verteidigungsminister an
die Fraktionsvorsitzenden geschrieben haben, wird uns
berichtet, dass ein deutscher Soldat als Transportplaner
seinen Dienst im UNAMID-Headquarter in al-Faschir
tut. Es wird ausgeführt:
Damit wird Deutschland unter den europäischen
Nationen zu den größten Truppenstellern gehören.
Das ist leider nicht zum Lachen. Ich finde, das ist - um
mit den Worten von Kofi Annan aus einem Interview der
vergangenen Woche zu sprechen - angesichts von Völkermord und der verheerenden Situation in Darfur beschämend.
({3})
Es kann doch nicht sein, dass in einer solchen Situation weder die Europäer noch die Mitglieder des Sicherheitsrates noch andere Mitglieder der UNO, die alle
diese Mission beschlossen haben, in der Lage sind, den
Aufwuchs dieser Mission zu gewährleisten. Sie sind
noch nicht einmal in der Lage, zwölf dringend benötigte
Hubschrauber zur Verfügung zu stellen. Das darf nicht
sein. Wir fordern, dass das endlich passiert.
({4})
Kofi Annan hat der internationalen Gemeinschaft
mangelnden politischen Willen vorgeworfen. Wir brauchen endlich Gespräche mit den Partnern, wie die Stationierung von UNAMID vorangehen kann. Wir brauchen
aber auch endlich - da gebe ich Frau Kollegin Schuster
recht - den Dreiklang aus Friedensmission, Waffenstillstand und Friedensgesprächen. Uns ist völlig klar, dass
eine Friedensmission allein keinen Frieden schaffen
wird. Das behauptet übrigens niemand und hat auch niemand behauptet. Wir fordern aber - und das ist wichtig -,
dass dieser Friedensprozess endlich wieder aufgenommen wird; denn das DPA, das Friedensabkommen für
Darfur, wird allgemein als gescheitert betrachtet. Deshalb brauchen wir ganz dringend einen neuen Anlauf.
Ich glaube - Fachleute sagen das auch -, dass es im
Moment aus verschiedenen Gründen ein Window of Opportunity gibt, unter anderem übrigens auch aufgrund
des Haftbefehls gegen al-Baschir. Dies ist meines Erachtens ein richtiger und konsequenter Schritt.
({5})
Ich sehe auch die Schwierigkeit; ich weiß, dass dies zu
mehr Spannungen im Land und im Verhältnis zum Sudan geführt hat. Von den Befürchtungen ist aber nicht
viel wahr geworden. Es ist sogar eine neue Dynamik entstanden, durch die der Verhandlungsdruck auf die Konfliktparteien erhöht werden kann. Ich meine, dass die
internationale Gemeinschaft dieses Window of Opportunity endlich nutzen muss.
Wir fordern, dass sich die Bundesregierung innerhalb
der UNO und auch im Rahmen des in Lissabon beschlossenen EU-Afrika-Dialogs für eine neue SudanFriedensinitiative einsetzt und sich vielleicht einmal
überlegt, einen Sudan-Beauftragten einzusetzen, wie es
andere Länder schon lange getan haben. Es geht hier um
Völkermord, um die schwerste humanitäre Krise weltweit. Die Menschen werden seit 2005 alleingelassen.
Wir brauchen mehr Engagement. Wir dürfen das nicht
zulassen; wir müssen diesen Völkermord beenden.
({6})
Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
Paul Schäfer das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Müller, vielen
Dank, dass Sie meine Position hier zitiert haben. Man ist
ja immer froh, wenn die eigene Position bekannt gemacht wird.
Lassen Sie uns einmal zwischen UNAMID und
UNMIS unterscheiden. Zu UNAMID. Ich bin der festen
Überzeugung, dass es nicht sinnvoll ist, in einer Situation, in der es keinen vereinbarten Friedensschluss gibt,
Truppen in das Land zu schicken, die nicht klar wissen,
was ihr Auftrag ist. Bei unserem Besuch im Sudan vor
drei, vier Wochen wurde uns in Khartoum von einer
Reihe von Gesprächspartnern bestätigt, dass man sich
nicht in solche Situation begeben sollte.
Paul Schäfer ({0})
Zu UNMIS. Sie haben recht, dass es diesbezüglich einen Diskussionsprozess innerhalb der Linken gibt. Mir
wäre es sehr lieb, wenn auch in anderen Fraktionen über
diese Frage, bei der es um den Einsatz militärischer Mittel geht, so intensiv diskutiert würde und man sich mit
der Entscheidung sehr schwer tun würde. Es wäre ja
auch einmal interessant, wenn die Positionen von Herrn
Gauweiler und Herrn Wimmer in der Union ausführlich
erörtert und hier zur Sprache gebracht würden.
({1})
Sie haben meine Position, die sich auch in meinem
Abstimmungsverhalten niederschlagen wird, korrekt
wiedergegeben. Ich sage Ihnen aber: Mir ist es lieber,
wenn sich eine Fraktion in dieser Frage verdammt
schwer tut und sagt, dass sie selbst bei so kleinen Punkten aufpassen muss, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten und dann zu denjenigen zu gehören, die zu Militärinterventionen immer wieder Ja sagen. Dass wir an
dieser Stelle erst einmal ein striktes und sehr fundamentales Nein sagen, ist mir verdammt sympathisch. Das
wollte ich an dieser Stelle einmal gesagt haben.
Danke.
({2})
Frau Müller.
Herr Kollege Schäfer, damit Sie mich nicht missverstehen: Ich finde diese Debatte absolut notwendig. Ich
denke, dass ich für alle hier sagen kann, dass wir es uns
bei den Mandatserteilungen und -verlängerungen nicht
leicht machen.
({0})
Es ist und bleibt eine Gewissensentscheidung. Jeder und
jede überlegt und wägt ab, was die richtige Entscheidung
ist, die man persönlich verantworten kann.
Noch einmal zu UNMIS und UNAMID. Da es hier
um eine Entscheidung im Einzelfall geht, verstehe ich
eines ganz am Ende Ihres wirklich sehr gut durchargumentierten Briefes nicht. Hinsichtlich UNMIS schreiben
Sie dort, dass Ihnen aus fachpolitischer Sicht völlig klar
ist, dass man eigentlich zu einer Zustimmung kommen
müsste. Gleichzeitig schreiben Sie - ich zitiere Sie noch
einmal -:
Wir
- die Linke müssen … eine Form finden, wie wir unserer
grundsätzlichen Funktion als Antikriegspartei gerecht werden können …
Herr Schäfer, wenn es eine Einzelfallentscheidung ist,
dann erwarte ich, dass Sie im Einzelfall, wenn es wirklich sachgerecht erscheint, auch zu einem Ja kommen
({1})
- das ist nämlich der kritische Punkt -, und das sollten
Sie dann auch hier und in der Öffentlichkeit vertreten
und nicht wieder aus innenpolitischen populistischen
Gründen Nein sagen, weil man das am Fernseher besser
verkaufen kann und Lafontaine diese Parole ausgerufen
hat. Das ist dann eben nicht mehr die individuelle Gewissensentscheidung, von der Sie gesprochen haben.
({2})
Ich gebe der Kollegin Ursula Mogg von der SPDFraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Am Ende dieser zuletzt doch noch recht spannenden Debatte möchte ich einige Punkte zusammenfassen. Ich
fange mit den letztgenannten Aspekten an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, ich
nehme in vielen Debatten zur Kenntnis, dass es möglich
ist, mit Ihnen über schwierige Fragen im Bereich der
Außen- und Sicherheitspolitik und über den Einsatz militärischer Kräfte zu diskutieren. Ich hatte gerade, als es
um UNMIS und UNAMID ging, den Eindruck, dass dies
möglich ist. Es geht nicht nur darum, die gigantische humanitäre Katastrophe im Sudan zu erkennen und zu analysieren, sondern auch darum, die geeigneten Mittel zu
finden, um dieses Problem zu lösen; das wurde heute bereits angesprochen.
({0})
Ich möchte aus einem Papier zitieren, das den Deutschen Bundestag vor circa zehn Jahren beschäftigt hat.
Darin heißt es:
Unruhe und Not werden weiterhin große Teile der
Erde erschüttern. … Massenmigration als Folge
von Unterentwicklung, Überbevölkerung und Hunger oder als Folge von Krieg im Kampf um Grenzen, Ackerland oder Wasser; die pandemische Ausbreitung von Krankheiten; Umweltzerstörung und
Klimawandel.
Einige Vertreter der Wissenschaft sprechen davon, dass
wir im Sudan den ersten Klimakrieg erleben. Das hat
auch die Weizsäcker-Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“ in ihrem Papier formuliert. Man kann annehmen, dass der Blick bereits damals auf den Sudan gerichtet wurde. Vor diesem
Hintergrund fordere ich sowohl Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Linken, als auch alle anderen auf,
mehr als bisher zu tun, um den richtigen Weg zu finden.
Worüber entscheiden wir heute? Wir entscheiden über
den Einsatz von 75 Soldaten im Rahmen von UNMIS
und von bis zu 250 Soldaten im Rahmen von UNAMID.
Es besteht eine Diskrepanz zwischen den festgelegten
Obergrenzen und den tatsächlich eingesetzten Soldaten;
das haben wir in der heutigen Debatte bereits gehört.
Das hat nichts mit dem Willen der Bundesrepublik
Deutschland zu tun, sondern damit, dass wir nicht in
dem Maße gefordert werden, wie es im Mandat vorgesehen ist. Dies hat auch etwas mit den Behinderungen
durch die sudanesische Regierung zu tun. An dieser
Stelle müssen wir noch entschiedener arbeiten.
Ich denke, dass es sehr wichtig ist, den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die im Sudan im Einsatz sind, an
dieser Stelle für ihre Arbeit und ihren Einsatz ein ganz
herzliches Dankeschön zu sagen. Im August letzten Jahres hatte ich die Gelegenheit, mich vor Ort über die Arbeit und die Einsatzbedingungen zu informieren. Dort
wird in der Tat eine schwierige und herausfordernde Arbeit geleistet, um die Grenzziehung zwischen dem Nordund dem Südsudan sowie den Status dieser ölreichen Region zu klären.
Es geht unter anderem um Bodenschätze. Die Situation muss geklärt werden, damit wir unsere politischen
Analysen verbessern und in unserem Handwerk besser
werden können. Es geht auch um die Bekämpfung von
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen. Das hat der Internationale Gerichtshof festgestellt, als er den Haftbefehl gegen die sudanesischen Staatspräsidenten erlassen hat. Auch daran wird
deutlich, worüber wir sprechen.
Wenn man Mandate beschließt, die im Kern in der
Breite unseres Parlamentes nicht umstritten sind - sie
sind nur ein kleiner symbolischer Beitrag, aber im Kern
alternativlos -, dann sollte man meinen, dass das für eine
große Mehrheit eine gute Nachricht ist. Für die Menschen im Sudan, die von einer gigantischen humanitären
Katastrophe bedroht sind, ist es aber nach wie vor keine
gute Nachricht. An diese Menschen sollten wir in dieser
Stunde, in der wir im Deutschen Bundestag über die
Mandate entscheiden, in besonderer Weise denken.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/10242 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur.
Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 16/10106 anzunehmen. Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Ich weise die Kolleginnen und
Kollegen darauf hin, dass unmittelbar nach dieser Abstimmung noch eine namentliche Abstimmung stattfindet. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Das ist der Fall.
Ich eröffne die erste namentliche Abstimmung zu diesem Tagesordnungspunkt.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/10247. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der
Fraktion der FDP abgelehnt.
Wir fahren mit einer weiteren namentlichen Abstimmung fort. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 16/10244 zu dem Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im
Sudan. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 16/10104 anzunehmen. Es ist wiederum namentliche Abstimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen
später bekannt gegeben.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/10248. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktionen Die Linke, SPD und CDU/CSU bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Enthaltung der FDP abgelehnt.
Wir setzen die Haushaltsberatungen Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b, fort und kommen nun zum
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Einzelplan 23.
Das Wort hat die Bundesministerin Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Haushalt unseres Ministeriums für das Jahr 2009
verzeichnet einen Zuwachs von über 12 Prozent. Mit
5,7 Milliarden Euro haben wir einen Höchststand der Finanzierung in unserem Ministerium erreicht. In den zehn
Jahren, die ich für das BMZ zu verantworten habe, haben wir die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit fast
verdoppelt.
({0})
Das ist ein großer Fortschritt für die Menschen. Damit
erreichen wir, dass Menschen von Armut und Hunger
befreit werden.
Wir haben aber nicht nur die Quantität gesteigert. Wir
haben auch die Qualität verbessert und sind auf dem
Weg zur Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels vorangekommen. Wir sind - um das alpinistisch auszudrücken noch nicht auf dem Gipfel, aber auf dem Hochlager davor.
Wir haben in der Debatte heute und auch gestern
mehrfach besprochen, dass ein krasses Missverhältnis
zwischen dem Verbrennen von Milliardenbeträgen in der
US-Finanzkrise und der Situation von Armen in der Welt
klafft.
({1})
Niemals mehr werden die Verantwortlichen für Spekulationsmärkte, Kurzfristökonomie und, wie es der indische
Finanzminister ausgedrückt hat, Infectious Greed den
Entwicklungsländern einreden können, sie sollten auf
die Segnungen der Liberalisierung der Finanzmärkte
und deren Produkte setzen. Wir müssen und werden alles
dafür tun, die Entwicklungsländer bei der Stärkung ihrer
Finanzinstitutionen zu unterstützen, sie vor den schädlichen Auswirkungen dieser Finanzkrise zu schützen und
verpflichtende Transparenzregeln und Offenlegungspflichten international zu verankern. Das sind wir diesen
Ländern schuldig. Das sind wir im Übrigen auch uns und
den Menschen in unserem Land schuldig.
({2})
Wir stehen eine Woche vor der Konferenz zur Bewertung der Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten
Nationen in New York. Wir haben in unserem Weißbuch,
das wir Ihnen vorgelegt haben, eine Darstellung der Perspektiven der deutschen Entwicklungspolitik geleistet.
Ich will deshalb nur drei dieser Millenniumsentwicklungsziele besonders ansprechen.
Zunächst will ich auf die Bekämpfung von HIV/
Aids eingehen. Ich bin froh, dass die diesbezüglichen
Anstrengungen Wirkung zeigen. Von 2001 bis 2007 ist
die Zahl der HIV-Infizierten, die lebensverlängernde
Medikamente erhalten, von 200 000 auf 3 Millionen gestiegen. Durch den globalen Fonds zur Bekämpfung von
Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids erhielten 40 Millionen Menschen Hilfe, und täglich werden 3 000 Menschen
vor dem Tod gerettet. Darum sind die Bekämpfung von
HIV/Aids und die Stärkung der Gesundheitssysteme, zu
der uns auch der Deutsche Bundestag in einer gemeinsamen Initiative aufgefordert hatte, Schwerpunkt unserer
Politik.
Ein zweiter Kernbereich wichtiger globaler Entwicklungserfolge ist Bildung. Darum ist es gut, dass die
Schulbesuchsquote im Primarbereich in SubsaharaAfrika von 1999 bis 2005 um 36 Prozent gestiegen ist.
Darum ist es gut, dass durch die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer 29 Millionen Kinder zusätzlich
in die Schule gehen können. Darum fördern wir auch die
Grundbildung - das ist heute in der außenpolitischen Debatte angesprochen worden -, und zwar gerade bezogen
auf Afghanistan, zum Beispiel durch Fortbildung für
130 000 Lehrerinnen und Lehrer und 10 000 Führungskräfte. Damit wird auch in diesem Bereich ein Schwerpunkt im Interesse der Menschen gesetzt.
({3})
Trotz solcher Erfolge gibt es - wie man sie nennt vergessene oder auch vernachlässigte Millenniumsentwicklungsziele, was wir nicht verschweigen und nicht
schönreden dürfen. Nirgends ist der schreiende Gegensatz zwischen Arm und Reich so empörend wie bei der
Situation von werdenden Müttern. Tag für Tag sterben
1 600 Frauen durch Komplikationen in der Schwangerschaft oder bei der Geburt, rund 600 000 Frauen im Jahr 99 von 100 in Entwicklungsländern, davon der größte
Teil im südlichen Afrika. Was mich besonders bedrückt:
Die Zahl nimmt zu, nicht ab. Die Gefahr für ein Mädchen, bei Schwangerschaft und Geburt zu sterben, liegt
in den Industrieländern bei 1 : 7 300, im südlichen
Afrika bei 1 : 26. Diese Frauen erleiden einen leicht vermeidbaren Tod. Die Ansatzpunkte, ihr Leben zu retten,
sind bekannt, und wir engagieren uns: Frauen stärken,
Verhütungsmittel verfügbar machen und den Frauen medizinische Betreuung gerade bei Schwangerschaft und
Geburt zur Verfügung stellen.
({4})
Wir helfen auch dabei, Krankenversicherungssysteme
und soziale Netze aufzubauen, damit Frauen die Chance
haben, bei der Geburt betreut zu werden.
Unser Haushalt bildet einen Beitrag zu einer gerechteren, friedlicheren und nur so nachhaltigen Weltentwicklung. Wir erfüllen die Zusagen von Gleneagles
und haben den Beitrag für Afrika um über 44 Prozent in
diesem Haushalt gesteigert. 85 Prozent der Steigerung
der Verpflichtungsermächtigungen kommen SubsaharaAfrika zugute. Wir haben die Zusagen von Heiligendamm gerade im Bereich Gesundheit eingehalten. Erstmals hat der globale Fonds zur Bekämpfung von Aids,
Malaria und Tuberkulose einen eigenen Titel mit
200 Millionen Euro in unserem Haushalt. Wir fördern
- das habe ich eben angesprochen - den zivilen Wiederaufbau Afghanistans mit weiteren 30 Millionen Euro,
die wir insbesondere für die Bekämpfung von Hunger
und von Mangelernährung in diesem Land zur Verfügung stellen. Das heißt, allein unser Ministerium stockt
die Mittel damit auf insgesamt 100 Millionen Euro auf.
Die Bundesregierung erbringt einen Betrag von insgesamt 170 Millionen Euro für den zivilen Wiederaufbau.
Das ist eine große Anstrengung. Ich bedanke mich für
die Unterstützung gerade auch der Haushälter in diesem
Bereich.
({5})
Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem wir Steigerungen haben, betrifft die Auswirkungen des Klimawandels. Hier spielen wir eine Führungsrolle und verzeichnen einen Zuwachs von fast 25 Prozent. Wir haben für
einen besonderen Fonds, der schon jetzt den Entwicklungsländern Zugang zu Finanzierungsmaßnahmen für
erneuerbare Energien und Anpassungsmaßnahmen bei
der Weltbank geben soll, Verpflichtungsermächtigungen
in Höhe von 300 Millionen Euro im Haushalt vorgesehen. Ganz wichtig - ich weiß, da spreche ich auch in
Ihrem Sinne - sind die ländliche Entwicklung und die
Ernährungssicherung. Für Nothilfe haben wir eine Steigerung um 40 Prozent. Wir haben übrigens den Verhandlungsrahmen für die Wiederauffüllung des Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung, der eine
hervorragende Arbeit leistet, um 75 Prozent gesteigert,
auch um einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von
Hunger und Unterernährung in Afrika zu schaffen.
Ich hatte angekündigt, dass wir unsere Zusammenarbeit mit China im Herbst dieses Jahres überprüfen
würden und die Zusammenarbeit und das Portfolio neu
positionieren wollten. Wir halten unsere Kooperation
mit den sogenannten Ankerländern - China ist eines davon - für wichtig. Sie sind für die regionale und globale
Entwicklung von besonderer Bedeutung. In unserer Kooperation wollen wir künftig chinesische Reformprozesse, insbesondere in den Bereichen Recht, Gesellschaft und Klimaschutz, im Rahmen einer strategischen
Partnerschaft der Bundesregierung gemeinsam mit allen
Ressorts, die in diesem Bereich tätig sein können, voranbringen helfen. Im Rahmen einer solchen Dialogpartnerschaft werden wir sehr stark auf Beratung und den
Ausbau von Wirtschaftspartnerschaften setzen. Wir wollen zugunsten dieses Dialogprozesses die klassische finanzielle Zusammenarbeit beenden. Die Bundesregierung wird in China verstärkt PPP-Maßnahmen fördern
und unterstützen.
({6})
Bekanntlich ist die Explosion der Nahrungsmittelpreise - ich habe es eben angesprochen - für die Armen
besonders dramatisch. Es darf nicht sein, dass angeblich
saubere Abgase auf der einen Seite der Welt weniger
Essen auf der anderen Seite bedeuten. Je nach Szenario
wird bis 2020 zum Beispiel bei Mais mit Preissteigerungen von bis zu 72 Prozent gerechnet. Wir sagen: Agrartreibstoffe sind nur dann verantwortbar, wenn sie die
kleinbäuerliche Produktion nicht behindern und den
ländlichen Raum nicht abhängen.
({7})
Das ist unsere ganz klare Position, die wir gemeinsam
vertreten.
Auch wenn die Ölpreise mittlerweile ein Stück zurückgegangen sind, trifft die Ölpreisentwicklung die armen Länder besonders hart. Allein die ärmsten Entwicklungsländer haben im Jahr 2008 einen zusätzlichen
Betrag von 50 Milliarden US-Dollar für Importe von Öl
leisten müssen. Das ist mehr, als sie offiziell im Rahmen
der Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Deshalb
sage ich: Niemand kann wollen, dass wirtschaftliche
Entwicklungen an unbezahlbaren Energierechnungen
scheitern und Menschen zu Hungerrevolten getrieben
werden.
Ich habe daher einen Vorschlag gemacht, den wir in
allen anstehenden Konferenzen verfolgen werden. Wir
rufen die ölexportierenden Länder auf, einen Teil der
durch die Preisexplosion erzielten Überschüsse wieder
in die ländliche Entwicklung zu investieren, etwa in
Form von Krediten. Wir haben dazu ein Konzept entwickelt. In dieses Konzept wollen wir die Staatsfonds einbeziehen, die ein entsprechendes Interesse daran haben
und mit unseren Partnern zusammenarbeiten. Das ist
vernünftig, macht Sinn und führt dazu, dass die ärmsten
Entwicklungsländer auch in die ländliche Entwicklung
investieren können.
({8})
Dieser Haushalt soll auch in dieser Phase der finanziellen Bewegungen und Entwicklungen in den USA
- wir alle beobachten sie - ein Signal geben. Ende November/Anfang Dezember dieses Jahres wird die Konferenz „Financing for Development“ stattfinden, auf der
die gesamte Breite der Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit gemeinsam bewertet wird. Ich habe den
Eindruck, dass die Menschen in den Entwicklungsländern ungeduldig werden.
Ich möchte Ihnen dieses Gefühl von Ungeduld, das
ich auf der Konferenz von Accra bei vielen von ihnen
habe feststellen können, noch einmal deutlich machen.
Wir müssen unsere Zusagen einhalten. Wir als Bundesregierung werden sie einhalten: die Steigerung der Mittel
für Entwicklungszusammenarbeit entsprechend unserem
Stufenplan, die Nutzung von innovativen Finanzinstrumenten, die Auktionierung von CO2-Verschmutzungszertifikaten für Klimaschutz und internationale Klimamaßnahmen.
Ich möchte einen Punkt aufgreifen, der in der öffentlichen Diskussion bisher viel zu wenig beachtet worden
ist: Allein durch Steuervermeidung und Steuerflucht
entgehen den Entwicklungsländern Jahr für Jahr
500 Milliarden US-Dollar. Übrigens entgehen auch den
Industrieländern Jahr für Jahr 500 Milliarden US-Dollar
durch Steuerflucht und Steuervermeidung. Mit dafür zu
sorgen, dass wir auf der großen Konferenz Ende dieses
Jahres einen Global Compact zur Bekämpfung von Steuerflucht verankern, dass sich alle diesem Thema stellen,
ist eine sinnvolle Investition in die Bekämpfung von Armut, in die Schaffung von Arbeitsplätzen, in den Kampf
gegen den Klimawandel und in die Erhaltung unserer
Umwelt, in Bildung und in Gesundheit. Lassen Sie uns
all diese Mittel mobilisieren!
Mein Eindruck ist - das kann man in Lateinamerika
teilweise feststellen -: Wenn wir nicht schnell handeln
und wenn die Menschen nicht sehen, dass wir unsere Zusagen auch einhalten, dann wird die Gefahr bestehen,
dass Populisten der verschiedensten Kategorien oder
auch extremistische Gruppen um sich greifen. Wir wollen mit dafür sorgen, dass wir in einer Welt leben, die
von weniger Gewalt und mehr Frieden geprägt ist. Wir
haben die Chance, dazu einen Beitrag zu leisten.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({9})
Ich komme zu den Tagesordnungspunkten 5 a und 5 b
zurück und gebe zunächst das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in
Darfur bekannt, Drucksachen 16/10106 und 16/10242:
abgegebene Stimmen 546. Mit Ja haben gestimmt 511,
mit Nein haben gestimmt 23, Enthaltungen 12. Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 565;
davon
ja: 510
nein: 43
enthalten: 12
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({1})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Axel E. Fischer ({5})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({6})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({7})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Siegfried Kauder ({8})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({9})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({10})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({11})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({12})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({13})
Stefan Müller ({14})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({15})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({16})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({17})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({18})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({19})
Andreas Schmidt ({20})
Ingo Schmitt ({21})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({22})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({23})
Gerald Weiß ({24})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({25})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({26})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({27})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({28})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({29})
Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({30})
Frank Hofmann ({31})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({32})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({33})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({34})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({35})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({36})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({37})
Michael Roth ({38})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({39})
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({40})
Silvia Schmidt ({41})
Renate Schmidt ({42})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({43})
Carsten Schneider ({44})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({45})
Swen Schulz ({46})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({47})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({48})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({49})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({50})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({51})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({52})
Volker Beck ({53})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({54})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({55})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({56})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Willy Wimmer ({57})
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({58})
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({59})
Volker Schneider
({60})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslose
Abgeordnete
Henry Nitzsche
Gert Winkelmeier
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
Norbert Schindler
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({61})
Dr. Heinrich L. Kolb
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Roland Claus
Dr. Barbara Höll
Bodo Ramelow
Dr. Petra Sitte
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
zu dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung der
Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission
der Vereinten Nationen im Sudan, Drucksachen 16/10104
und 16/10244, lautet: abgegebene Stimmen 545. Mit Ja
haben gestimmt 504, mit Nein haben gestimmt 33, Enthaltungen 18. Die Beschlussempfehlung ist damit ebenfalls angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 556;
davon
ja: 504
nein: 34
enthalten: 18
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({62})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Dr. Maria Böhmer
Jochen Borchert
({63})
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Anke Eymer ({64})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({65})
Dirk Fischer ({66})
Axel E. Fischer ({67})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({68})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Jürgen Gehb
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Olav Gutting
Holger Haibach
Uschi Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({69})
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Siegfried Kauder ({70})
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({71})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Thomas Kossendey
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({72})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Eduard Lintner
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({73})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({74})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({75})
Stefan Müller ({76})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({77})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Daniela Raab
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({78})
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({79})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({80})
Hermann-Josef Scharf
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({81})
Andreas Schmidt ({82})
Ingo Schmitt ({83})
Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({84})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({85})
Gerald Weiß ({86})
Ingo Wellenreuther
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({87})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Ernst Bahr ({88})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Klaus Uwe Benneter
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({89})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({90})
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Sigmar Gabriel
Iris Gleicke
Günter Gloser
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({91})
Dieter Grasedieck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Alfred Hartenbach
Michael Hartmann
({92})
Nina Hauer
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({93})
Frank Hofmann ({94})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({95})
Josip Juratovic
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({96})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({97})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({98})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Thomas Oppermann
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({99})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({100})
Michael Roth ({101})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({102})
Anton Schaaf
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({103})
Silvia Schmidt ({104})
Renate Schmidt ({105})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({106})
Carsten Schneider ({107})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({108})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Rolf Stöckel
Christoph Strässer
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Petra Weis
Gunter Weißgerber
({109})
Dr. Rainer Wend
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Dr. Dieter Wiefelspütz
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({110})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Daniel Bahr ({111})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt
Miriam Gruß
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Michael Kauch
Gudrun Kopp
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Burkhardt Müller-Sönksen
Hans-Joachim Otto
({112})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Dr. Konrad Schily
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Max Stadler
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({113})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({114})
Volker Beck ({115})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({116})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Jerzy Montag
Kerstin Müller ({117})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({118})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Nein
SPD
Gregor Amann
Petra Hinz ({119})
DIE LINKE
Karin Binder
Dr. Lothar Bisky
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Katja Kipping
Jan Korte
Ulla Lötzer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Volker Schneider
({120})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionsloser
Abgeordneter
Henry Nitzsche
Enthalten
CDU/CSU
Dr. Wolf Bauer
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Joachim Günther ({121})
Dr. Heinrich L. Kolb
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Roland Claus
Dr. Barbara Höll
Katrin Kunert
Petra Pau
Bodo Ramelow
Paul Schäfer ({122})
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Alexander Ulrich
fraktionsloser
Abgeordneter
Gert Winkelmeier
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin,
FDP-Fraktion.
({123})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, ich muss eingestehen:
Ich habe schon oft Ihre Reden zum Haushalt gehört. Ich
habe Sie heute kaum wiedererkannt, aber im Positiven.
Ich komme gleich darauf zurück. Ich muss jetzt aufpassen, dass ich Sie in meiner kurzen Redezeit nicht zu viel
lobe.
Ich möchte mit einem wirklich ernsthaften Lob beginnen. Ich fand es sehr engagiert und sehr mutig, dass
Sie sich - das sollte hier nicht vergessen werden - als
einziges Kabinettsmitglied mit dem Dalai-Lama getroffen haben, während andere sich in die Büsche geschlagen haben. Alle Achtung, dafür haben Sie unseren Respekt. Herzlichen Dank, dass Sie das gemacht haben!
({0})
Ich finde es positiv, dass Sie unsere Kritik aufgegriffen haben, was die Entwicklungshilfe an China angeht,
auch wenn das - das darf man dann ruhig sagen - sehr
lange gedauert hat. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Darüber können wir vernünftig reden. Sie haben sich bewegt. Bei den letzten Debatten hat sich das noch ganz
anders angehört. Da wurde das aus der Koalition noch
verteidigt. Sie haben sich bewegt, und das ist in Ordnung.
Respekt auch dafür: Sie haben für Ihren Etat engagiert gekämpft. Sie haben mehr Mittel bekommen. Nur
- da beginnt dann vielleicht doch meine Kritik, Frau
Ministerin -: Mit Geld allein ist es bei der Entwicklungshilfe nicht getan. Ich will das an einem Beispiel
deutlich machen, weil ich da selber engagiert bin.
Es geht um das Thema Demokratisierung. Ich denke
da an Kambodscha oder an Birma, das ja schon wieder
aus dem Blickfeld verschwunden ist. Da waren wir
plötzlich engagiert. Was geschieht dort weiter? Ich bin
fest davon überzeugt, dass wir - das gilt gerade für
Birma - mit Menschen sprechen müssen, die vielleicht
nach diesem Regime kommen. Gibt es solche Menschen
dort? Haben wir die Kontakte? Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Stiftungen dabei eine wichtige Arbeit
leisten müssen. Wir müssen an solche Menschen herankommen, die eines Tages das Regime ablösen können.
Es hat keinen Zweck, zu sagen: „Ich löse das Regime
ab“, wenn ich dann nicht die entsprechenden Menschen
dafür habe.
({1})
Sie haben zu Recht hohe Preissteigerungen bei Lebensmitteln thematisiert. Ich kann das, was Sie dazu gesagt haben, nur unterstützen.
Ich will einen anderen Punkt ansprechen, der mir
wichtig ist: Entschuldungsprogramme. Grundsätzlich
bin auch ich dafür. Das erste Land, das wir entschuldet
haben, war, wenn ich mich richtig erinnere, Bolivien.
Die Kommunen dort - nicht alle, wie ich zugebe, aber
viele - haben so viel Geld, dass sie es gar nicht ausgeben
können. Das liegt allerdings auch an der Zentralregierung. Dort gibt es Erdöl und große Energiereserven. Die
werden an andere Länder Südamerikas und darüber hinaus verkauft. Wir haben also ein Land entschuldet, das
selber sehr viel Geld hat. Das ist nun geschehen. Man
sollte eben nicht einfach sagen: „Ich halte die Fahne der
Entschuldung hoch“, nur weil von allen möglichen Leuten, etwa von Kirchenvertretern, Druck vorhanden ist:
Ihr müsst entschulden. - Land für Land, Fall für Fall
muss entschieden werden. Ganz souverän müssen wir
sagen: Das geht, und das geht nicht. Demokratiebewegungen und auch manches andere müssen vorhanden
sein, bevor wir sagen: Wir entschulden euch.
({2})
Das trifft auch auf die Budgethilfe zu, Frau Ministerin. Sie wollen die Budgethilfe steigern. Meine Zustimmung bekommen Sie dafür nicht.
({3})
In den Ländern, die wir so unterstützen, kann ich wenig
an Demokratie entdecken. Ich kann wenig von dem entdecken, was unsere Werte sind. Wir pumpen Geld direkt
in einen Haushalt hinein und haben noch nicht einmal
die Kontrolle.
({4})
Ich will das an einem Beispiel deutlich machen. Es ist
nicht von mir. Es gab ein sehr interessantes Interview im
NDR Info. Es bezog sich auf Kamerun. Auf die Frage:
„Was halten Sie von der Budgethilfe in Richtung Kamerun?“, sagte ein Kirchenvertreter:
Dem Schwerpunktland der bilateralen Kooperation
wurden für das zurückliegende Jahr 34 Millionen
Euro zugesagt. Dieser jährliche Zuschuss soll bis
2010 verdoppelt werden. Beobachter im Lande beurteilen das sehr kritisch, weil das Geld nicht an bestimmte Projekte gebunden ist, sondern direkt in
den kameruanischen Staatshaushalt fließt. Zyniker
fragen, warum die deutschen Steuermillionen nicht
gleich in die Schweiz überwiesen werden. Schließlich verbringt Präsident Biya einen Großteil des
Jahres in einem Genfer Hotel statt in einem seiner
pompösen Paläste in Kamerun.
Nach Kamerun überweisen wir direkt Budgethilfe.
Ich bitte, solche Zahlungen wirklich zu überlegen.
Sie haben jetzt mehr Geld bekommen. Nennen Sie
bitte auch konkrete Programme! Ich stelle nicht fest,
dass Sie für all das Geld, das Sie mehr bekommen haben, konkrete Programme haben. Darüber werden wir
bei den Haushaltsberatungen weiter sprechen müssen.
Vielleicht finde ich doch die Zustimmung der Sozialdemokraten, wenn ich einen Wunsch äußern darf, denn
dies ist ein Thema, das wir freien Demokraten bei allen
Haushaltsberatungen der letzten Jahre angesprochen haben. Ich meine den entwicklungspolitischen Freiwilligendienst. Ich bin sehr für diese Dienste, denn wir haben schon zu unserer Koalitionszeit so etwas Positives
eingerichtet. Wie können Sie es zulassen, dass all diese
Menschen, die für vielleicht ein Jahr hinausgehen, keine
Altersversorgung und Ähnliches haben? Sie haben dafür
gesorgt, dass für jede Putzfrau eine Altersversorgung gemacht werden muss. Für diese jungen Menschen, die
sich draußen engagieren, tun Sie es nicht. Überprüfen
Sie das noch einmal! Wir haben auch andere soziale
Dienste für junge Menschen. In anderen Ministerien machen wir so etwas. Das ist mein Wunsch. Sie können davon ausgehen, dass wir bei den Haushaltsberatungen mit
großem Engagement und hoffentlich in gemeinsamer
Sache etwas für Ihr Haus tun. Wir werden uns jedenfalls
bemühen.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, zunächst
möchte ich mich uneingeschränkt dem Lob anschließen,
das der Herr Kollege Koppelin für Sie zu formulieren
wusste, denn ich halte es in der Tat für ein sehr wichtiges
Zeichen, dass beide Parteien der Großen Koalition in
Bezug auf die Menschenrechtssituation in China ein klares Zeichen gesetzt haben. Ich finde es auch gut, wie Sie
auf die öffentliche Diskussion zu dem Thema Schwellenländer in unserer Entwicklungspolitik reagiert haben.
Hierzu sage ich noch einmal: Mein Kompliment!
Ich glaube, wir haben etwas Wichtiges zu konstatieren, wenn wir über den Entwicklungshilfehaushalt reden. Bei der Veränderung der internationalen Landschaft, bei der Veränderung des Charakters der
internationalen Herausforderungen, der Konflikte und
der Art, wie sie ausgetragen werden, zeigt sich immer
deutlicher, dass die Entwicklungszusammenarbeit nach
und nach zu einem unserer wichtigsten vertrauensbildenden Instrumente in der Außenpolitik wird. Demzufolge müssen wir ganz besonders sorgsam damit umgehen. Es ist meines Erachtens ein außerordentlich
wichtiges Signal, dass der Haushalt des BMZ zusammen
mit dem der Bildungspolitik von allen unseren Bereichen die höchste Steigerungsrate ausweist. Ich denke,
das ist ein richtiges Zeichen. Ich denke allerdings auch,
dass damit eine große Verantwortung verbunden ist.
({0})
Ernährungssicherung, globale Sozialstandards, weltweiter Klimaschutz, Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere
auch im landwirtschaftlichen Bereich, Unterstützung auf
dem Weg zu Good Governance, Stabilisierung von Gesundheitssystemen, Implementierung von Antikorruptionsmechanismen und vieles andere mehr sind Aufgaben der Zeit. Wir können unsere Motivation eigentlich
nicht mehr allein aus vielen allgemeinen Solidaritätspflichten ableiten. Es ist zunehmend eine Überlebensfrage unserer gesamten Gesellschaft, ob uns das gelingt
oder nicht. Daraus zieht der Entwicklungshilfeetat meines Erachtens den richtigen Schluss. Er räumt der Entwicklungskooperation künftig einen noch höheren Stellenwert als im Vorjahr ein. Die Mittelausstattung ist
nämlich gegenüber dem Vorjahr gestiegen.
Meine Damen und Herren, damit die Harmonie hier
nicht allzu sehr überhandnimmt, lassen Sie mich sagen:
Das war nicht immer so. In der Zeit von Rot-Grün, also
von 1998 bis 2005, ist der Haushaltsansatz für das Entwicklungshilfeministerium, für das BMZ, um 130 Millionen Euro gesunken. Auch daran sollten wir uns einmal erinnern. Das kann man allerdings nicht Ihnen, Frau
Ministerin, anlasten. Sie haben damals mit demselben
Engagement wie heute für Ihren Haushalt gefochten.
Was sich geändert hat, ist die Besetzung des Bundeskanzleramtes.
({1})
Wir können nun feststellen, dass Ihnen mit unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mitstreiterin erwachsen ist, die sich ganz enorm für die Entwicklungszusammenarbeit als wesentliches Element der Politik einsetzt.
({2})
Ich denke, das gibt uns auch perspektivisch eine ganz
besondere Sicherheit. Es zeigt sich nämlich, dass Frau
Merkel die Verpflichtung zur Entwicklungszusammenarbeit nicht als Lippenbekenntnis betrachtet. Ich kann mir
vorstellen, dass aus ihrer eigenen Biografie heraus, aus
der Kenntnis der Lage, wie wir sie 1990 gehabt haben,
dass man Hilfe von außen braucht, ihre ganz besondere
Verantwortung für diesen Politikbereich erwächst, und
das ist gut so.
({3})
Die Bundesregierung hat also in nur vier Jahren die
Ansätze für den BMZ-Haushalt um 1,85 Milliarden Euro
gesteigert. Dazu kommen natürlich auch noch erhebliche
Steigerungen bei auf die ODA-Quote anrechenbaren
Positionen in den anderen Ressorts. Das muss auch einmal gesagt werden. So kann die Bundesregierung im
Jahre 2009 fast 2,5 Milliarden Euro mehr für Entwicklungshilfe ausgeben als noch 2005. Wir sind damit inzwischen das Land mit den zweithöchsten Entwicklungsausgaben weltweit. Das halte ich für eine Tatsache,
auf die wir in diesem Hause stolz sein können.
({4})
Allein im letzten Jahr haben wir gut 12,2 Milliarden USDollar in die Entwicklungszusammenarbeit gegeben.
Nur die USA haben sich mit 21,7 Milliarden US-Dollar
noch mehr engagiert.
Meine Damen und Herren, wichtig ist allerdings nicht
allein, dass wir mehr Geld bereitstellen. Viel wichtiger
ist, wofür wir die bereitgestellten Mittel einsetzen, ob
wir sie effizient einsetzen und ob sie wirklich bei den
Menschen, für die sie gedacht sind, ankommen. Da sind
natürlich solche Nachrichten, wie sie der Kollege
Koppelin vorhin vorgetragen hat, keineswegs vertrauensfördernd. Die Politik muss deshalb danach trachten,
dass solche Fehler unterbleiben. Wo wir solche feststellen, müssen wir dafür sorgen, dass sie in Zukunft nicht
mehr geschehen. Wenn wir das nicht tun, wird die Entwicklungspolitik in eine Legitimationskrise kommen,
die sich in erster Linie nachteilig auf unsere Empfänger,
also die armen Länder in der Welt, auswirkt. Deshalb
muss es möglich sein, kritisch über die Dinge zu reden,
die uns einer Kritik wert erscheinen.
Das BMZ gibt für das sogenannte Instrument der programmorientierten Gemeinschaftsfinanzierung mittlerweile mehr als 560 Millionen Euro pro Jahr aus. So
wird zum Beispiel direkt in die Staatshaushalte von
Uganda, Tansania, Ruanda, Benin, Mosambik, Liberia
und Äthiopien eingezahlt. Auch Peru, Guatemala und
Vietnam werden bedacht. Ich will überhaupt nicht abstreiten, dass es durchaus vorzeigbare Fälle gibt, bei denen diese Finanzierung Positives für die Empfängerländer bewirkt hat. Aber mit Afghanistan erhält zum
Beispiel ein Land Budgethilfe, das im Bertelsmann
Transformation Index zur wirtschaftlichen und politischen Entwicklung auf Platz 119 von insgesamt 125 untersuchten Staaten liegt. Liberia und Äthiopien sind
kaum besser eingestuft. Es ist deshalb aus meiner Sicht
sehr bedenklich, dass wir in Haushalte von Ländern einzahlen, in denen es offensichtlich keine ausreichende
Kontrolle über die Staatsfinanzen gibt. Wir werden hier
sehr intensiv darüber diskutieren müssen, welche Konsequenzen, ohne dabei das Kind mit dem Bade auszuschütten, aus den ersten Erfahrungen mit diesem umstrittenen
Instrument zu ziehen sind. Richtig ist zunächst einmal,
dass sich das Parlament jetzt jede einzelne geplante Budgethilfe vom BMZ zur Prüfung vorlegen lässt. Das halte
ich auch für gut.
Bei der Frage, wie wir das Geld am besten einsetzen,
müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die bilaterale Zusammenarbeit weiter stärken können; denn das
ist ein sehr erfolgreiches Instrument der Entwicklungszusammenarbeit. Wenn vom Erfolg der Entwicklungszusammenarbeit auch andere Interessen, die wir in der
deutschen Politik haben, etwa im Umweltschutz, abhängen, müssen wir unsere Mittel für Vorhaben einsetzen,
auf deren Ausgestaltung wir später Einfluss nehmen
können. Bei multilateralen Institutionen ist das eher selten der Fall.
Das gilt umso mehr, als kaum noch eine Weltkonferenz ins Land gehen kann, ohne dass am Ende ein neuer
Fonds gegründet wird.
({5})
Zum Teil ist die Abgrenzung zwischen Aktion und Aktionismus da nicht immer ganz einfach. Die Folge ist:
Die multilaterale Institutionenlandschaft wird immer unübersichtlicher und handlungsunfähiger. Allein für den
globalen Klima- und Umweltschutz gibt es schon heute
gut zwei Handvoll multilaterale Fonds, und ein Ende des
Aufwuchses ist nicht absehbar. Unsere Hauptaufgabe
scheint mir daher zu sein, die heutige Entwicklungsarchitektur zu reformieren. Die multilateralen Institutionen
müssen endlich schlagkräftiger werden. Ein erster
Schritt dazu ist, die Zuständigkeiten eindeutig zuzuordnen und sie auf wenige Stellen zu konzentrieren. Vor diesem Hintergrund werden wir, glaube ich, in Zukunft
sorgfältig prüfen müssen, ob und in welchem Umfang
wir uns an immer neuen multilateralen Fonds beteiligen
sollen und an welcher Stelle wir künftig mehr auf bilaterale Kooperation setzen wollen.
Eine wichtige Eigenschaft des EZ-Haushaltes ist
auch, dass er flexibel sein muss. Er muss auf neue Entwicklungen reagieren können. Er muss vor allen Dingen
in der Lage sein, auch andere Kräfte in eine Koordination zu bringen, wenn ein koordiniertes Vorgehen in Bezug auf ein Weltproblem notwendig ist.
Ich will das an einem einzigen Beispiel deutlich machen, der Lage in Simbabwe. Wir beobachten das Problem seit vielen Jahren. In jüngster Zeit haben wir dort
einen Fortschritt beobachten können: Es gibt jetzt eine
Machtteilung zwischen Regierung und Opposition. Ich
halte es für notwendig und wichtig, dass wir an dieser
Stelle prüfen können, inwieweit wir diese Situation nutzen können, um den Demokratisierungsprozess dort zu
stabilisieren und diesem Land zu einer wirklichen Perspektive zu verhelfen. Das muss unsere haushaltspolitische Grundkonstruktion hergeben. Ich halte es für notwendig, dass wir die Lage dort so einschätzen, wie sie
ist, ganz bestimmt ohne allzu viel Optimismus. Es ist sicher so, dass Herr Mugabe sich offenbar gedacht hat,
dass er am besten handelt, indem er seinem Rivalen einige unlösbare Aufgaben aufgibt, um ihn dann öffentlich
bloßstellen zu können. Aber gerade diesen Misserfolg
sollte der demokratische MDC nicht haben. Wenn wir
dazu beitragen können, ihn abzuwenden, dann sollten
wir das tun.
({6})
Wenn unsere entwicklungspolitischen Instrumente so
sind, dass sie es eher schwierig machen, in solchen Situationen zu reagieren, dann sollten wir sie überprüfen.
Budgethilfe beispielsweise nützt in einem solchen Fall
überhaupt nichts.
({7})
Stattdessen müssen wir die Lage im Land analysieren.
Wir müssen insbesondere den Rat der politischen Kräfte,
die wir unterstützen wollen, aus dem Land selbst einholen, zur Kenntnis nehmen und ihn zur Grundlage unserer
Überlegungen machen. Das ist nicht allein eine Frage
des Geldes; vielmehr ist es eine Frage der Einstellung,
der Flexibilität und der Fantasie.
Ich denke, Frau Ministerin, es wird uns in den nächsten Wochen und Monaten glükken, dieses Problem lösen
zu helfen. Ansonsten hoffe ich, dass unser Haushalt auch
in anderen Fragen eine gute Grundlage für die Arbeit im
Rest der Legislaturperiode eröffnet. Ich will Sie bei allen
unseren Vorhaben, insbesondere bei der institutionellen
Reform, so weit, wie uns das möglich ist, unterstützen.
({8})
Ich hoffe, wir kommen zu einem vernünftigen Ende.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Hüseyin-Kenan Aydin,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute über den Etat des Entwicklungshilfeministeriums für das Jahr 2009. Er soll um
12 Prozent steigen. Das haben wir mit Freude zur Kenntnis genommen.
Herr Vaatz, die viel gelobte Frau Merkel hat in Heiligendamm die Verpflichtung, die ODA-Quote bis zum
Jahr 2010 auf 0,51 Prozent und bis zum Jahr 2015 auf
0,7 Prozent zu erhöhen, feierlich bekräftigt. Aufgrund
der in den letzten beiden Jahren und derzeit geltenden
0,37 Prozent - dies gilt im Jahre 2009 ebenfalls - wird
allerdings im Jahr 2010 festgestellt werden, dass diese
Bundesregierung einen Wortbruch begangen hat, weil
die vorgesehenen 0,51 Prozent mit der jetzt geplanten
Steigerung des Etats nicht zu erreichen sein werden.
Dementsprechend empfehle ich Ihnen, mehr Anstrengungen zu unternehmen, damit die zugesagten Quoten
erreicht werden, um glaubwürdig gegenüber den Entwicklungsländern zu sein.
({0})
Zudem ist es so - das habe ich von diesem Pult aus
schon mehrfach kritisiert -, dass auf die ODA-Quote die
Schuldenerlasse, Studienplatzkosten für Studierende und
sogar die Kosten für die Abschiebung unerwünschter
Asylbewerber angerechnet werden. Ich halte das für einen Skandal. Dies sollte die Bundesregierung dringend
korrigieren. Zumindest die Kosten für abgeschobene
Asylbewerber sollten nicht in die ODA-Quote eingerechnet werden.
({1})
Die Entwicklungszusammenarbeit muss sich daran
messen lassen, ob sie tatsächlich eine Armutsverminderung erreicht. Die bisherigen Mittel und Instrumente bewirken leider das Gegenteil. Das hat uns die Hungerkatastrophe in diesem Jahr ganz deutlich gezeigt. Zu
Beginn dieses Jahres haben sich die Preise für lebensnotwendige Grundnahrungsmittel wie Reis und Getreide in
nur drei Monaten verdoppelt, verdreifacht und vervierfacht.
Was waren die Folgen? Ein direkter Anstieg der Zahl
der Hungernden auf mehr als 900 Millionen Menschen,
Hungerrevolten, Fluchtwellen und Angst vor einer ungewissen Zukunft. Es ist mittlerweile unbestritten, dass es
mehr als genug Nahrung für alle auf der Welt gibt. Laut
der UN-Ernährungsorganisation FAO reicht die vorhandene Nahrungsmittelproduktion für die Ernährung von
12 Milliarden Menschen aus, wenn man 2 700 Kilokalorien pro Tag zugrunde legt. Das sind fast doppelt so viele
Menschen, wie derzeit auf dieser Welt überhaupt leben.
Warum waren alle von dieser Krise so überrascht? Es
gab Ernteausfälle und leere Getreidespeicher; davor haben viele Wissenschaftler schon längst gewarnt. Auch
die steigenden Energiepreise haben einiges dazu beigetragen. Die strukturellen Ursachen der Ernährungskrise
waren jedoch schon lange bekannt. Sie sind auf politische Fehleinschätzungen und eine verfehlte Agrar- und
Handelspolitik zurückzuführen. Die Liberalisierungspolitik und die Marktöffnung für Agrarprodukte haben
dafür gesorgt, dass lokale Märkte im Süden zerstört wurden. Die Exportsubventionen haben zu Dumpingpreisen
von EU-Produkten geführt.
Staaten wie Haiti, Burkina Faso, Ägypten oder auch
Mexiko sind nun von Nahrungsmittelimporten abhängig.
Ein Beispiel: Der Milchkonzern Campina hat in den letzten fünf Jahren allein in Deutschland Agrarbeihilfen in
Höhe von 12,7 Millionen Euro geschenkt bekommen.
Zugleich wurden seit den 80er-Jahren in Westafrika unter dem Druck von WTO, IWF und Weltbank, aber auch
der Regierungen der reichen Länder die Zölle auf Milchprodukte fast völlig auf null gesetzt. Folge: 2005
kostete in Burkina Faso 1 Liter Milch auf Basis subventionierten europäischen Milchpulvers 30 Cent, die
Frischmilch der heimischen Viehhirten 45 Cent. Jetzt raten Sie einmal, was passiert: Pulvermilch erobert die
Märkte; die Produktion von Frischmilch und damit die
heimische Marktentwicklung werden mit diesen Politiken ganz klar zerstört. Das führt nicht zu einer besseren
Entwicklung und trägt auch nicht zur Ernährungssouveränität dieser Länder bei.
Ein anderes Beispiel: Haiti hat den Import von Reis
zwischen 1992 und 2003 um mehr als 150 Prozent gesteigert. 95 Prozent der Importe kommen aus den USA.
Auch das ist subventionierter Reis. Seit Mitte der 80erJahre ist dadurch die Nahrungsmittelproduktion in Haiti
pro Kopf um ein Drittel geschrumpft. Das sind die Ursachen des Hungers.
Ein weiterer Faktor, der sträflich vernachlässigt
wurde, ist der Agrarsektor. Frau Ministerin, es hat mich
sehr gefreut, dass Sie darauf eingegangen sind. Im Ausschuss haben wir des Öfteren darüber debattiert. Die
Förderung der Landwirtschaft im globalen Süden wurde
während der letzten 20 Jahre komplett vernachlässigt.
Das ist umso erstaunlicher, als der Kampf gegen Hunger
und Armut das erste und wichtigste der sogenannten
Millenniumsziele ist. Doch zwischen dem seither wiederholt bekräftigten Anspruch und der Wirklichkeit
klafft eine große Lücke. Der Anteil der Landwirtschaftsförderung an der Entwicklungshilfe der Industrieländer
ist von 17 Prozent im Jahre 1980 auf 3,7 Prozent im
Jahr 2007 gesunken. Das sind die Tatsachen. Die Agrartreibstoffe haben die Preise für Nahrungsmittel in die
Höhe getrieben. Das ist unbestritten. Deutschland hat
mit seiner Quotenpolitik massiv dazu beigetragen, die
Anbauflächen für Palmöl, Mais und Soja auszudehnen.
Das ist keine kohärente Entwicklungspolitik.
Ich möchte auf ein weiteres Gebiet der Zusammenarbeit verweisen, das die Regierung in den letzten Jahren
sträflich vernachlässigt hat: die Sicherstellung einer
obligatorischen, gebührenfreien und qualitativ guten
Grundschulbildung. Frau Ministerin, es freut mich,
dass Sie gerade auch auf diesen Punkt eingegangen sind.
Die Zahl der Kinder, die zur Schule gehen, ist in den
letzten Jahren zwar gestiegen, sie sagt aber nichts über
die Qualität der Schulbildung aus. Die Tatsache, dass nur
20 bis 30 Prozent dieser Kinder einen Schulabschluss erwerben, hat mit der Ausstattung mit Lehrmaterialien und
Lehrkräften zu tun. Es bedarf größerer Anstrengungen.
Hierzu haben wir einen Antrag in den Bundestag eingebracht, über den wir in den nächsten Wochen beraten. Er
wird, wie ich hoffe, dank Ihrer Zustimmung beschlossen, damit wir vorankommen.
Es gäbe viel zum entwicklungspolitischen Haushalt
zu sagen, den wir in den nächsten Wochen im Ausschuss
beraten werden, ich will aber nur noch einen weiteren
Punkt kurz ansprechen: Entwicklungspolitik soll Prävention sein. Wenn Entwicklungspolitik Prävention sein und
einen längerfristigen, nachhaltigen Frieden sicherstellen
soll, dann muss manchen Projekten von Entwicklungspolitikern eine Absage erteilt werden. Vor allem der
CDU/CSU-Fraktion rufe ich zu: Mit dem Bau des IlisuStaudamms in der Türkei,
({2})
der mit Hermesbürgschaften der Bundesregierung sichergestellt wird, verstößt man nicht nur gegen soziale
Standards und gegen die Menschenrechte der Menschen
am Tigris; der Staudamm in der Türkei wird auch dazu
führen, dass das Wasser für die Iraki und die Syrer im
Jahr 2020 oder 2030 möglicherweise so knapp sein wird,
dass aufgrund dessen ein Flächenkrieg in der Region
entsteht. Dafür werden Sie mit zur Verantwortung gezogen. Das tue ich hiermit. Ich hoffe, das macht Sie nachdenklich. Ich hoffe, dass die CDU/CSU bei ihrem Wirtschaftsminister interveniert, damit die Hermesbürgschaft
endlich entzogen wird.
({3})
Dieses Projekt in der Türkei, das Menschenrechte verletzt, Sozialstandards ad absurdum führt und die Ursache
eines möglichen Krieges darstellt, muss endlich beendet
werden.
({4})
({5})
Ich kann keine Zwischenfrage mehr zulassen, da der
Kollege seine Redezeit bereits weit überschritten hat.
({0})
Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen im
Ausschuss noch detaillierter über die Entwicklungszusammenarbeit miteinander sprechen. Ich hoffe, dass die
Bundesregierung mit neuen nachhaltigen und kohärenten Konzepten endlich viel mehr tut, um die Entwicklung in den armen Ländern so zu stabilisieren, dass Armut vermieden wird und Fluchtursachen ganz bekämpft
werden.
Danke schön.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Thilo Hoppe, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Müsste ich meinen Kommentar zum vorgelegten Haushaltsentwurf in einem Slogan zusammenfassen, dann
würde ich sagen: Gut, aber nicht gut genug. Wir erkennen an und begrüßen ausdrücklich, dass die entwicklungsrelevanten Mittel um 800 Millionen Euro steigen
werden. Doch es gilt: Versprochen ist versprochen, und
Versprechen muss man halten.
({0})
- Ja, natürlich. Das ist klar.
Das, was die Bundesregierung auf vielen Konferenzen versprochen hat, zum Schluss die Kanzlerin sehr
medienwirksam in Heiligendamm, würde bedeuten, die
Mittel Jahr um Jahr um 1 Milliarde Euro zu steigern.
({1})
Wir nehmen Sie da beim Wort und werden im Haushaltsverfahren Anträge einbringen, die die Kluft zwischen dem Versprochenen und dem tatsächlich Eingehaltenen zumindest etwas kleiner machen. Denn wenn wir
so weitermachen wie bisher, dann wird die Lücke immer
größer. Die Europäische Kommission hat genau ausgerechnet, dass bereits in diesem Jahr 1,6 Milliarden Euro
fehlen. Wenn keine Kurskorrektur erfolgt, dann wird die
Lücke im nächsten Jahr bereits 3 Milliarden Euro betragen. Der Regierung geht die Puste aus, und sie wird ihre
Versprechen nicht erfüllen können, da sie nicht dafür
sorgt, eine solide Finanzierung für die zugesagten Steigerungen auf die Beine zu stellen.
({2})
Wir haben uns immer für einen Dreiklang ausgesprochen, um die ODA-Mittel steigern zu können: höhere
Haushaltsmittel, weitere Entschuldung und - das ist jetzt
ganz besonders wichtig - neue innovative Finanzierungsinstrumente. Sich dabei ausschließlich auf den
Emissionshandel zu stützen, wie das die Bundesregierung tut, wird nicht ausreichen. Es rächt sich, dass die
Koalition es nicht geschafft hat, sich auf die Einführung
einer Flugticketabgabe zu einigen. Auch das Projekt Devisenumsatzsteuer hat sie wahrscheinlich ad acta gelegt.
Eine Flugticketabgabe, wie sie die Franzosen bereits
praktizieren, würde allein 300 Millionen Euro pro Jahr
einbringen. Wenn man eine Devisenumsatzsteuer einführen würde - ich weiß, das geht nur im Einklang mit
vielen anderen Playern -, brächte ein Satz von nur
0,005 Prozent Mehreinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe.
({3})
Wir haben diese Vorschläge auf den Tisch gelegt.
Wenn die Regierung unsere Vorschläge ablehnt - das
kann sie tun -, muss sie aber Alternativen vorlegen
({4})
und deutlich machen, mit welchen Instrumenten und
welchen Finanzierungsmöglichkeiten sie diese Erhöhungen erreichen will. Oder seien Sie bitte ehrlich und sagen
Sie: Wir können uns nicht auf andere Finanzierungsinstrumente einigen, wir können uns die zusätzlichen
Milliarden nicht aus den Rippen schneiden. Dann lässt
sich aber das 0,7-Prozent-Ziel bis 2015 nicht erreichen.
Wir stehen vor zwei riesengroßen globalen Herausforderungen, die wir nur stemmen können, wenn wir
erstens deutlich mehr Geld in die Hand nehmen, wenn
wir zweitens die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit entscheidend verbessern und wenn wir drittens
endlich damit aufhören, Erfolge der Entwicklungszusammenarbeit durch krasse Fehlentscheidungen auf anderen Politikfeldern, wie im Handels- und Agrarbereich,
wieder zunichtezumachen. Wir haben da von den Kollegen einige Beispiele gehört. Ich nenne nur die Wiedereinführung von Agrarexportsubventionen für Schweinefleisch. Das ist völlig kontraproduktiv zu dem, was wir
in der Entwicklungspolitik machen.
({5})
Diese Inkohärenz muss beseitigt werden.
Die beiden Megaherausforderungen sind der Klimawandel und die Erreichung der Millenniumsziele. Durch
die sich dramatisch zuspitzende Welternährungskrise
aufgrund der stark ansteigenden Preise sind wir gerade
beim wichtigsten Millenniumsziel - der Halbierung der
Zahl der Hungernden - weit weg von der Erfolgsspur.
Entwicklungspolitik kann nur dann erfolgreich sein,
wenn sie Armutsbekämpfung und globalen Umwelt- und
Klimaschutz konsequent zusammenbringt und nicht gegeneinander ausspielt.
Lassen Sie mich zum Klimawandel nur so viel sagen:
Maßnahmen, die den Klimawandel eindämmen sollen,
wie etwa große Programme zum Schutz der tropischen
Regenwälder, können nicht allein aus den Etats der Entwicklungshilfeministerien finanziert werden. Es kann
höchstens ein Anfang sein, dass man Pilotprojekte auf
den Weg bringt.
Sonst fehlt das Geld für die Verfolgung der anderen
wichtigen Millenniumsziele: für die Aids-Bekämpfung,
die Hungerbekämpfung, die Bildung und die Gesundheit. Das Klima zu retten und die Erderwärmung zu begrenzen, ist eine große globale Gemeinschaftsaufgabe.
Dafür brauchen wir dringend neue Finanzierungsmechanismen. Das geht nicht allein aus den Kassen der Entwicklungspolitik.
Was die klassischen Millenniumsziele betrifft - das
wurde bereits erwähnt -, sind wir gerade bei der Hungerbekämpfung von der Erfolgsspur noch sehr weit entfernt. Die Hunger Task Force, die sich auf Initiative von
Ban Ki-moon neu gebildet hat, geht davon aus, dass wir
vielleicht schon im nächsten Jahr die 1-Milliarde-Grenze
erreichen, was die Zahl der Menschen angeht, die chronisch bedrohlich unterernährt sind.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir alle uns darüber im
Klaren sind, was das bedeutet; das gilt auch für die breite
Öffentlichkeit. Um nur einige Konsequenzen zu nennen:
Neben den vielen schrecklichen Einzelschicksalen hungernder und verhungernder Menschen wird es zu Wanderbewegungen und zu einem verstärkten Druck auf die
Wälder kommen, die im Hinblick auf die biologische
Vielfalt und das Klima eigentlich geschützt werden
müssten. Es werden Aufstände stattfinden, und die Hungerfrage wird sich zu einer Sicherheitsfrage entwickeln.
Auf dem Welternährungsgipfel im Rom wurde endlich die entscheidende Rolle der Kleinbauern herausgestellt und betont, dass gerade sie auf nachhaltige Art und
Weise gefördert werden müssen, um für lokale und regionale Märkte Nahrungsmittel zur Verfügung stellen zu
können. Wir haben das seit langer Zeit gefordert, schon
zu Zeiten von Rot-Grün,
({6})
haben uns gegenüber unserem Koalitionspartner aber
leider nicht immer durchsetzen können. Schon damals
ist die ländliche Entwicklung leider vernachlässigt worden.
({7})
Zur Bekämpfung des Hungers sind viele Maßnahmen
notwendig. Dazu gehört die schnellstmögliche Abschaffung der Agrarexportsubventionen. Was diese Maßnahme betrifft, werden wir Entwicklungspolitiker einer
Meinung sein. Davon müssen wir eher die Agrarlobby
überzeugen.
Weitere wichtige Punkte sind die Eindämmung der
Spekulation mit Lebensmitteln, die Einführung von verbindlichen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitskriterien für die gesamte Agrarpalette - nicht nur für die
Agrotreibstoffe, sondern auch für die Futtermittelproduktion, für Kaffee, Baumwolle usw. -, damit es nicht zu
einer Flächenkonkurrenz kommt und das Recht auf Nahrung nicht ausgehöhlt wird.
Für uns Entwicklungspolitiker spielt insbesondere in
den Haushaltsberatungen auch Folgendes eine Rolle:
Wir brauchen mehr Geld und bessere Konzepte für die
ländliche Entwicklung. In diesem Bereich sind zwar
große Steigerungsraten zu verzeichnen, allerdings ausgehend von einem sehr geringen Niveau. Bisher sind gerade einmal etwas mehr als 3 Prozent der bilateralen EZ
in den ländlichen Bereich geflossen. Jetzt sollen es
5 Prozent werden.
Die Hunger Task Force der Vereinten Nationen fordert ein Zehn-zu-zehn-Abkommen, das wir mit Nachdruck unterstützen. Sie möchte, dass 10 Prozent der nationalen Entwicklungsetats in den Agrarsektor fließen.
Allerdings sollten auch die afrikanischen Staaten ihre
Zusage, die sie auf einer Konferenz in Maputo gegeben
haben, einhalten und 10 Prozent ihrer nationalen Haushaltsmittel in die Förderung des Agrarsektors stecken.
({8})
Zusammenfassend ist zu sagen: Wir fordern mehr
Mittel und tragfähige Konzepte für Ernährungssicherung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung. Außerdem fordern wir mehr Mittel für den zivilen Aufbau in
Afghanistan; in den nächsten Wochen werden wir über
dieses Thema noch viele Debatten führen. Wir fordern
pro Jahr mindestens 200 Millionen Euro, um die große
Diskrepanz zwischen zivilen und militärischen Anstrengungen ein wenig auszugleichen. Außerdem fordern wir
mehr Geld für den Erhalt der tropischen Regenwälder
und für Maßnahmen, die den Klimawandel aufhalten
und die biologische Vielfalt schützen.
Um die Millenniumsziele zu erreichen und die Qualität sowie die Quantität der Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern, sind große Anstrengungen notwendig. Was die Qualität angeht, warten wir noch immer auf
die versprochene institutionelle Reform. Leider mussten
und müssen wir mit ansehen, dass sie im Koalitionsstreit
steckengeblieben ist. Wir halten es für dringend notwendig, GTZ und KfW zu einer schlagkräftigen bundeseigenen Entwicklungsagentur zusammenzuführen. Wir hoffen, dass sich die Koalition auf den letzten Metern doch
noch einigt und sich zu einem entsprechenden Projekt
durchringt.
Wie ich sehe, läuft mir die Zeit davon. Allerdings
möchte ich noch kurz darauf hinweisen, dass zur Qualität der Entwicklungszusammenarbeit auch gehört, dass
dieses Haus zur Kenntnis nimmt, über was auf den großen Konferenzen, zum Beispiel auf der Konferenz in
Accra, diskutiert wird. Denn die Diskussion über die
Qualität klafft international und national weit auseinander.
({9})
In Accra - wir sind mit einer Delegation dort gewesen haben alle Player - Nichtregierungsorganisationen, Vertreter der Entwicklungsländer und Vertreter anderer Gebernationen - darauf hingewiesen, dass gerade die Mittel
für die Instrumente, die Sie sehr kritisch beurteilt haben,
zum Beispiel die programmorientierte Gemeinschaftsfinanzierung und die Budgethilfe, gesteigert werden
müssten, natürlich nicht unkonditioniert.
({10})
In diese Richtung geht die internationale Diskussion.
Hier aber streiten besonders viele - nicht alle, aber viele
von Union und FDP - eher für eine Nationalisierung der
Entwicklungspolitik, ganz stark für das bilaterale Element, an das wieder die deutsche Flagge geheftet werden
kann.
Zudem gibt es eine große Diskussion über die Lieferentbindung, also darüber, Entwicklungspolitik und
Außenwirtschaftsförderung nicht miteinander zu verzahnen. Bei Union und FDP zeigt sich immer wieder das
Bestreben, diese beiden Bereiche, die beide ihre Berechtigung haben, aber sauber getrennt werden sollten, miteinander zu verzahnen. Die Entwicklungsaufgaben, die
MDGs, sind so wichtig, so lebensnotwendig, dass jeder
Euro so effizient wie möglich genutzt werden muss. Andere Ziele wie die Sicherung von Arbeitsplätzen in
Deutschland sind auch wichtig und erstrebenswert. Das
sollte aber bitte nicht aus den Kassen des Entwicklungsministeriums bezahlt werden.
Herr Kollege Hoppe, ich muss Sie jetzt wirklich an
Ihre Zeit erinnern.
Quantität und Qualität der Entwicklungszusammenarbeit müssen verbessert werden. Vor allen Dingen muss
endlich eine kohärente Politik angestrebt werden, bei der
alle Politikbereiche an einem Strang ziehen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht nun Frau Kollegin
Dr. Bärbel Kofler.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte zu Beginn den sehr erfreulichen
vorliegenden Haushalt loben. Ich denke, es ist sehr wichtig, noch einmal deutlich festzustellen, dass der Haushalt
im Vergleich zum Vorjahr um 12,4 Prozent aufwächst.
Das ist eine positive Entwicklung, und das ist von allen
Rednern in diesem Haus begrüßt worden. Mittlerweile
sind wir bei einer Summe von knapp 5,8 Milliarden Euro
für die Entwicklungszusammenarbeit - für Entwicklungszusammenarbeit, Herr Kollege Vaatz, nicht für Entwicklungshilfe.
({0})
Es ist auch erfreulich, dass die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur in unserem eigenen Ressort, im
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, sondern auch in anderen Ressorts Fuß
fasst und greifen kann. Ich halte es für wichtig, dass andere Ressorts in die Entwicklungszusammenarbeit ein18752
bezogen werden. Das hat etwas mit Politikkohärenz und
mit einem vernünftigen Mitteleinsatz in den verschiedenen Ressorts zu tun. Es bedarf allerdings einer ordentlichen Abstimmung der Ressorts untereinander und der
Erkenntnis, dass Entwicklungspolitik eine Querschnittsaufgabe ist, die in allen Politikbereichen von enormer
Bedeutung ist.
Lassen Sie mich zu einem Punkt Stellung nehmen,
der sehr kritisch angemerkt worden ist. Das Thema der
Budgethilfe geistert seit Wochen, Monaten und Jahren
durch unsere Debatten. Es ist erstaunlich, mit welcher
Hartnäckigkeit man manchmal an lieb gewordenen Vorurteilen festhält, auch wenn man es besser wissen
könnte.
({1})
Ich beziehe mich auf eine Anfrage, die Herr Kollege
Koppelin gestellt hat. In dieser fragt er die Bundesregierung zur Budgethilfe mit Kamerun, ob es richtig sei, die
von Ihnen zitierten 34 Millionen Euro bis zum Jahr 2010
als Budgethilfe auszugeben. Die Bundesregierung antwortet mit Nein; dies treffe nicht zu. Die Bundesregierung erläutert detailliert, dass die gesamte Zusammenarbeit mit Kamerun 34 Millionen Euro ausmache,
22 Millionen Euro finanzielle Zusammenarbeit, 12 Millionen Euro TZ. Im Rahmen der finanziellen Zusammenarbeit sei dies eine Frage der sektoralen Budgethilfe;
man muss hier sehr sauber trennen. Für die Forstpolitik
wird geprüft, ob man das in diesem Bereich so umsetzen
kann.
Ich finde es unlauter, wenn mit Beispielen gegen das
Instrument der finanziellen Zusammenarbeit argumentiert wird, obwohl man ganz andere Zahlen, ganz andere
Informationen und ganz andere Antworten vorliegen hat.
({2})
Das Gleiche gilt für die Frage, ob wir eine Budgethilfe für Afghanistan leisten. Auch das tun wir nicht. Das
möchte ich bei dieser Gelegenheit nur einmal feststellen.
Vielleicht ist es notwendig, noch einmal einige Takte
zum Thema der Budgethilfe generell zu sagen.
({3})
Niemand behauptet, dass Budgethilfe das allein selig
machende Mittel der Entwicklungszusammenarbeit ist.
Das Ganze ist aber in einem internationalen Kontext mit
Partnern abgestimmt worden. Herr Kollege Hoppe hat
die Diskussion auf internationaler Ebene geschildert.
Die Budgethilfe ist ein vernünftiges Instrumentarium zur
Zusammenarbeit mit Ländern, die man auswählt und bei
denen man genau prüft, ob mit ihnen eine solche Form
der Zusammenarbeit möglich ist.
({4})
- Herr Kollege Addicks, ich habe gerade erläutert, was
wir hinsichtlich Kamerun tun. Es wäre schön, wenn Sie
irgendwann auch einmal zuhören würden.
({5})
- Stellen Sie eine Frage, oder lassen Sie mich weiterreden.
({6})
Unsere bilaterale Durchführungsorganisation sagt,
dass dort ein ganz anderer und wesentlich entspannterer
Umgang mit dem Thema Budgethilfe herrscht, als Sie
ihn hier geschildert haben. Warum ist das so? Das ist so,
weil die meisten Maßnahmen, die wir durchführen, ordentlich begleitet werden. In Kamerun gibt es zum Beispiel einen Mitarbeiter der GTZ, der die Regierung im
Bereich der Forstpolitik berät
({7})
- die Kollegin Koczy und ich haben ihn kennengelernt
und mit ihm und dem Forstminister gesprochen - und
für eine ordentliche begleitende Technical Assistance
sorgt, wie das bei solchen Projekten, bei Projekten der
allgemeinen und sektoralen Budgethilfe und bei sogenannten PGF-Programmen, im Allgemeinen auch üblich
ist.
Was ist das Wesentliche an der Budgethilfe? Ich
finde, man sollte den Dialog auf Augenhöhe suchen.
Was machen wir denn in der Entwicklungspolitik? Bestimmen wir, wie die Entwicklung in anderen Ländern
auszusehen hat, weil wir alleine das Wissen haben und
dort Projekte auflegen? Haben wir so unsere Entwicklungspolitik zu gestalten? Nein, das Gegenteil ist der
Fall. Wir haben ein Instrumentarium, mit dem man auch
gemeinsam mit den Partnern notwendige Strukturveränderungen angehen und besprechen sowie Strukturpolitik
betreiben kann. Ich glaube, auch das ist ein wichtiges
Kennzeichen moderner Entwicklungspolitik, die im
Übrigen vor zehn Jahren durch Rot-Grün eingeleitet
worden ist.
({8})
Natürlich wird die Budgethilfe kontrolliert. Selbstverständlich ist es auch möglich, die Budgethilfe für Länder
zu beenden, wenn entsprechende Voraussetzungen nicht
gegeben sind:
({9})
siehe Nicaragua. Das ist eines der Beispiele.
Ich denke, wenn wir über den Entwicklungshaushalt
diskutieren, dann ist es ganz entscheidend, auch darüber
zu diskutieren, wie wir die Mittel verwenden wollen, wie
die Entwicklungspolitik in den nächsten Jahren generell
gestaltet und strukturiert werden soll und welche Defizite man noch sieht. In Accra wurde aufgezeigt, dass die
Koordination aller Beteiligten sicher verbessert werden
kann: im Sinne von mehr Wirksamkeit und mehr Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit.
Ich glaube aber auch, dass es an der Zeit ist, von rückwärtsgewandten Ideen und Diskussionen, die in den Medien manchmal herumgeistern, in denen zum Beispiel
von einer Entscheidungsbefugnis hinsichtlich der bilateralen EZ und einer Übertragung dieser Befugnis auf die
deutschen Botschaften gesprochen wird, Abstand zu
nehmen, weil das einer Entwicklungspolitik, die sich als
Strukturpolitik im Zusammenwirken mit den Partnerländern versteht, einfach nicht gerecht wird und weil man
mit solchen Ideen nicht auf der Höhe der Zeit ist.
({10})
Wir brauchen ein Mehr an Dialog auf Regierungsebene, auf Parlamentsebene und zwischen den zivilgesellschaftlichen Institutionen der Länder und ein Mehr
an Transparenz. Auch dafür kann mit der viel gescholtenen Budgethilfe durchaus der eine oder andere Anreiz
gegeben werden. Wir brauchen beim Aufbau der Strukturen eine Unterstützung unserer Partnerländer.
In den Zeitungen war ein sehr schönes Zitat des
Staatspräsidenten von Ghana darüber zu lesen, wie er die
Entwicklungszusammenarbeit sieht. Dort stand: Entwicklungszusammenarbeit muss die Kapazitäten von
Regierungen und Verwaltungen stärken und in den Empfängerländern ökonomische Muskeln aufbauen lassen. Ich finde, das ist eine sehr richtige Aussage. Damit wird
ausgesagt, dass nicht nur Veränderungen bei Projekten,
die im Einzelnen sehr sinnvoll sein können - das möchte
ich nicht bestreiten -, sondern auch der Strukturen angegangen werden müssen, der Strukturen, die dazu führen,
dass Menschen in Armut leben, die in den Ländern
selbst nicht nachhaltig bekämpft werden kann. Hierfür
müssen wir geeignete Instrumentarien und geeignete
Mittel finden.
({11})
- Um auf den Zwischenruf einzugehen: Die Wirtschafterländer kann man nur stärken, indem die Gesamtstruktur der einzelnen Länder in einem vernünftigen Maße
gestärkt wird. Dazu müssen zuvor Verwaltungen gestärkt und ein Rechtssystem aufgebaut werden, die vernünftig funktionieren.
Das kann man am Beispiel Ghana erkennen, wenn
man sich das dortige Justizwesen anschaut und sich die
Diskussionen über die Boden- und Landrechtsreform sowie darüber anhört, welche begleitenden Beiträge man
hier wirklich leisten kann, damit die Streitfragen in diesem Land zum Wohle der Bürger beantwortet werden
können und - das ist nichts Ehrenrühriges; dagegen hat
ja niemand etwas - damit in diesen Ländern später auch
investiert werden kann.
Im Rahmen der Debatte um den Strukturaufbau
sollte man den Blick auch auf Ruanda richten. Die Kollegen, die an der Reise teilgenommen haben und vielleicht mit einigen neuen Erkenntnissen nach Hause gekommen sind, können bestätigen, dass Ruanda ein Land
ist, das sehr viel dafür tut, seine eigenen Strukturen zu
verändern, um die Armut aus eigener Kraft und nachhaltig bekämpfen zu können. Das Land braucht auf dem
Weg dorthin Unterstützung und Hilfe. Dazu gehören die
Vermittlung von Know-how, Beratung und finanzielle
sowie humanitäre Unterstützung.
({12})
Was passiert dort? Durch den Besuch des Landes
konnten wir es beobachten: Durch das Know-how und
die Mittel, die wir Ruanda bereitstellen, werden Steuerbehörden, Rechnungshöfe und eine dezentrale Verwaltung aufgebaut. Außerdem werden Parlamente gestärkt
und eingerichtet. Dies ist ein ganz elementares Zeichen
dafür, dass es eine Regierung mit der Armutsbekämpfung ernst meint.
Außerdem wird das notwendige Personal in den entsprechenden Bereichen bereitgestellt. Dies ist gar nicht
so einfach, da qualifiziertes Personal benötigt wird. Das
wurde uns vom Rechnungshof berichtet: Man braucht
qualifizierte Mitarbeiter, die so gut bezahlt sind, dass sie
beim Rechnungshof bleiben und nicht von anderen Firmen abgeworben werden. Diese Mitarbeiter werden gebraucht, damit die eben genannten Institutionen aufgebaut werden können. Das muss allerdings finanziert
werden.
Diese Institutionen sind die Basis dafür, dass Länder
ihre eigenen Einnahmen steigern können. In Ruanda
- das möchte ich nebenbei einmal erwähnen - hat man
in den letzten zehn Jahren eine Versechsfachung der
Steuereinnahmen verzeichnet, weil die Basis für Steuereinnahmen mittlerweile eine andere ist.
Außerdem stellt sich folgende Frage - da geht es um
nachhaltige Armutsbekämpfung -: Wie geben diese
Länder die Mittel aus? Es muss überprüft werden, ob in
einem Land vernünftige Ansätze gewählt werden, zum
Beispiel die sogenannte Community-based Insurance. Es
muss untersucht werden, ob soziale Versicherungssysteme auf das ganze Land ausgedehnt werden, sodass die
95 Prozent der im informellen Sektor beschäftigten
Menschen in Ruanda etwas davon haben. Für die Menschen wäre das eine Absicherung. Außerdem würde dadurch der soziale Frieden im Land aufgebaut und stabilisiert.
Ich bin sehr stolz, dass es der SPD-Fraktion, aber
auch insgesamt den Koalitionsfraktionen im letzten Jahr
gelungen ist, die sozialen Sicherungssysteme durch einen gemeinsamen Antrag voranzubringen. Ich bin stolz
darauf, dass er vom Ministerium im Haushalt aufgegriffen worden ist. Man kann an vielen Ländern in Ansätzen
sehen, wie man an dieser Stelle zu einer positiven Weiterentwicklung kommt.
Man kann es an vielen Beispielen sehen: Entwicklungspolitik ist wesentlich mehr als nur Nothilfe; dies
sollte man an dieser Stelle deutlich machen.
Der Haushaltsplan ist aus meiner Sicht sehr positiv zu
bewerten. Zu vielen Punkten wird es spannende und längere Diskussionen geben. Ich finde es sehr schön, dass
der Zivile Friedensdienst deutlich mehr Mittel zur Verfügung gestellt bekommt. Ich weiß, dass durch diesen
Beitrag nicht alle Konflikte in den Konfliktregionen gelöst werden können. Ich war vor kurzem im Ostkongo.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass dadurch die Probleme
bezüglich der Verteilung von Ressourcen, der Verteilung
von Armut und Reichtum, der Rechtlosigkeit und
Rechtsstaatlichkeit sowie der Rebellenbewegungen nicht
gelöst werden können.
Aber es gilt auch Folgendes zu beachten, was uns von
einem Wissenschaftler eines Instituts in Goma gesagt
wurde: Der Krieg hat die Psyche der Menschen nachhaltig verändert und geschädigt. Bevor wir mit irgendwelchen Arbeiten beginnen können, müssen wir den Menschen, die nicht mehr dieselben sind wie vor dem Krieg,
helfen, damit sie wieder unter menschlichen Bedingungen, einschließlich einer gesunden Psyche, einer gesunden Seele, leben können.
Gerade in diesem Bereich leistet der Zivile Friedensdienst, auch in so schwierigen Regionen wie dem Ostkongo, eine sehr gute Arbeit. Ich bin sehr froh, dass der
Etat in diesem Bereich deutlich aufgestockt wurde.
({13})
Frau Kollegin Kofler, auch Sie muss ich an Ihre Redezeit erinnern.
Ich komme zum Schluss und kann leider nicht mehr
über Afghanistan, über „weltwärts“ und über die Bildung diskutieren. Das können wir nächste Woche machen.
Herr Kollege Aydin, wir haben einen besseren Antrag
vorgelegt als Sie. Damit befassen wir uns nächste Woche.
Ich glaube, dass es sinnvoll ist, in der Entwicklungspolitik endlich etwas anderes zu sehen als ein punktuelles Helfen in einzelnen Situationen. Wir müssen uns
vielmehr darauf konzentrieren, Entwicklungspolitik mit
Strukturpolitik zu verbinden, die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung zu stellen, über einen intelligenten Instrumentenmix nachzudenken
Frau Kollegin Kofler!
- und bei allen unseren Kollegen um Verständnis für
diese Änderungen in der Entwicklungspolitik zu werben.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Ministerin, vor kurzem hatte ich die Gelegenheit, Ihnen
zu einem einschneidenden Ergebnis im Laufe eines Lebens zu gratulieren. Auch heute will ich Ihnen eine Gratulation zukommen lassen. Sie sind seit nunmehr fast
zehn Jahren im Amt und damit die dienstälteste Ministerin. Das nehme ich zum Anlass, Ihnen zu gratulieren.
Ich glaube, an dieser Stelle ist es auch an der Zeit,
festzustellen, dass Sie auch eine der durchsetzungskräftigsten Persönlichkeiten in der vorangegangenen wie
auch in dieser Regierung sind. Das wollen wir Ihnen
gerne konzedieren, verbunden mit einem speziellen
Kompliment und einem besonderen Hinweis an Herrn
Diller. Das Problem dabei ist allerdings, dass Ihr Modell
so erfolgreich war, dass nicht nur Sie ein Neben-Auswärtiges-Amt aufgebaut haben, sondern inzwischen
auch Herr Gabriel und einige andere damit beginnen.
Damit wird die Lage immer unübersichtlicher, und es
kommt zu Reibungsverlusten.
({0})
Wenn wir uns dem vorliegenden Haushalt und dem
Einzelplan Ihres Ministeriums zuwenden, dann müssen
wir mit Respekt feststellen, dass es einen stattlichen
Aufwuchs gibt, im Übrigen auch mit Zustimmung der
FDP. Vielleicht können Sie, Herr Diller, Herrn Minister
Steinbrück mitteilen, dass er sich irrt, wenn er glaubt,
dass wir als FDP etwas dagegen hätten. Auch wir fordern, die Bemühungen in diesem Bereich zu verstärken.
Der Aufwuchs ist tatsächlich begründet. Er ist aber in
der Sache, was die Instrumente angeht, in vielen Bereichen unausgewogen. Vom Instrument der Budgethilfe
war bereits die Rede. Wir lehnen die Budgethilfe als Instrument nicht ab, aber wir verlangen, dass bestimmte
Voraussetzungen erfüllt sind, wie auch der Kollege
Vaatz eben festgestellt hat. Zuerst müssen ordentliche
Strukturen entstehen. Erst muss das Fass einen Boden
haben, bevor man Geld hineintun kann. Das gilt auch für
öffentliche Mittel aus Deutschland. Das ist die richtige
Reihenfolge.
({1})
Deshalb lehnen wir auch entsprechende Quoten ab.
Man kann beispielsweise nicht davon ausgehen, dass
grundsätzlich 66 Prozent der finanziellen Hilfe als Budgethilfe zu gewähren sind - das ist eine der Zahlen, die
im Raum stehen -, weil das auf irgendeiner Konferenz
beschlossen worden ist. Ich weiß aber, dass in
66 Prozent der Fälle die Voraussetzungen nicht erfüllt
sind. Es ist doch Unfug, eine solche Quote festzusetzen.
Man muss jeweils im Einzelfall prüfen, ob die Voraussetzungen gegeben sind und ob die Budgethilfe nötig ist.
Darum geht es uns.
Deshalb müssen wir an dieser Stelle sagen, dass wir
falsch liegen, wenn wir davon ausgehen, dass wir eine
Quote - egal welche - erreichen müssen. Das gilt im
Übrigen auch für die Quotenversessenheit der EU, die
wir für genauso verfehlt halten.
({2})
Wenn wir Sie also dafür loben, dass Sie einen Haushalt aufgestellt und durchgesetzt haben, der einen stattlichen Umfang hat, dann müssen wir aber auch hinzufügen, dass es in diesem Haus leider immer noch eine
falsche Schwerpunktsetzung gibt. Wir wissen das, und
wir haben mit großer Freude zur Kenntnis genommen,
dass Sie derzeit dabei sind, das Ankerländerkonzept und
auch die finanzielle Hilfe für China unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen.
China ist ein griffiges Beispiel, über das wir immer
wieder reden müssen, insbesondere wenn es um die Relation zu anderen Bereichen geht. Wenn wir bei der
ODA-Quote die Hilfeleistungen an China zusammenrechnen - die neuesten Zahlen liegen noch nicht vor;
aber die letzte gemeldete Zahl betrug etwa 200 Millionen Euro -, dann müssen wir feststellen: Gemessen daran ist das, was wir für ein strategisch so wichtiges Land
wie Afghanistan ausgeben - das haben wir heute mehrfach gehört -, einfach zu wenig. Wir erkennen zwar an,
dass ein Aufwuchs bei den Mitteln für Afghanistan stattfindet. Das reicht aber überhaupt nicht aus, insbesondere
nicht im Vergleich zu anderen Ländern. Wir bitten Sie
daher, eine Überprüfung vorzunehmen.
Wir sind sicherlich sehr froh, dass einiges in dieser
Richtung passiert ist. Aber die 30 Millionen Euro Nahrungsmittelhilfe beispielsweise sind auf dieses Jahr
begrenzt. Sollen die Menschen also nicht dieses Jahr,
sondern erst nächstes Jahr verhungern? Das kann nicht
richtig sein. Das spricht doch für einen dauerhaften Aufwuchs. Wie ist es beispielsweise um das Verhältnis von
militärischen und anderen Sicherungsmaßnahmen zur
konkreten Aufbauhilfe bestellt? Wir sichern in Afghanistan militärisch, um aufbauen zu können. Also kann es
nicht sein, dass wir nur minimal aufbauen, während wir
gleichzeitig mit enormem Aufwand sichern. Um
schnellstmöglich wieder abziehen zu können, müssen
wir den Aufbau voranbringen; das ist doch das Ziel.
Sie halten uns immer entgegen, das Land sei gar nicht
aufnahmefähig. Ich war vor einigen Wochen mit dem
Außenminister dort. Wir haben ganz gezielt - ich bin
dem Außenminister dankbar, dass er sich dieser Sache
mit solchem Nachdruck gewidmet hat - nach Projekten
geschaut, die man zusätzlich und unmittelbar in Angriff
nehmen könnte. Wir mussten nicht lange suchen, um
welche zu finden: Stromtransportstrecken, Staudämme,
Straßen, landwirtschaftliche Unterstützung, Kleinhandel
und Kleingewerbe, Mikrofinanzierung und vieles andere
mehr. All das sind Bereiche, in denen wir zusätzliche
Hilfe leisten können.
({3})
Frau Präsidentin, ich sehe mit tiefem Bedauern, dass
meine Redezeit zu Ende geht. Wenn Sie gestatten und
dulden, erlaube ich mir noch eine Schlussbemerkung.
Ich freue mich, dass das Ministerium zu einer Veränderung der Betrachtungsweise gekommen ist. Ich muss
allerdings der Kollegin, die nicht fertig wurde, obwohl
sie mehr Zeit hatte, sagen: Auch hier müssen wir einiges
vernachlässigen, zum Beispiel die Frage nach den innovativen Finanzierungsinstrumenten.
Herr Kollege Königshaus!
Ich bin schon am Ende.
({0})
Es wäre ein gutes Ende, Herr Königshaus.
Was, bitte schön, ist eine Institutionenreform? Diese
und viele andere Fragen wollen wir Ihnen gerne stellen.
Deshalb bitte ich Sie: Helfen Sie uns mit zusätzlichen
Auskünften! Sie haben die Chance zu einem Politikwechsel, weil Sie einen entsprechenden Aufwuchs zu
verzeichnen haben. Nutzen Sie sie!
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich der Kollegin Wieczorek-Zeul.
Herr Kollege Königshaus, ich möchte Sie darauf hinweisen, dass die Zahlen, die Sie im Zusammenhang mit
China genannt haben, überhaupt nichts mit meinem Etat
zu tun haben. Die Zahlen, die Sie genannt haben, sind
unter anderem Zahlen, die die Bundesländer als Studienplatzkosten für in Deutschland studierende Chinesen, als
Official Development Assistance, gemeldet haben. Das
war schon immer so. Das habe nicht erst ich eingeführt;
vielmehr haben das Regierungen verankert, an denen
auch Sie als FDP beteiligt waren. Die von Ihnen genannten Zahlen kann man nicht auf andere Ressorts übertragen. Die Mittel sind jedenfalls nicht in meinem Haushalt
ressortiert. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis, und versuchen Sie nicht dauernd, solche Zahlen in die Welt zu
setzen, die nur dazu dienen, die Entwicklungspolitik zu
diffamieren. Das hat mit uns überhaupt nichts zu tun.
({0})
Herr Kollege Königshaus, Sie dürfen erwidern. Aber
eine Kurzintervention ist auf drei Minuten beschränkt.
Ich bin mir dessen bewusst.
Ich bin überrascht, Frau Ministerin, weil die ODAQuote von verschiedenen Seiten bereits angesprochen
wurde. Wenn es ein entscheidendes Momentum ist, ob
wir die ODA-Quote erreichen - wie lauten die Prozentzahlen? -, dann können Sie jetzt nicht sagen, die ODAQuote, die die Bundesregierung selbst bei der OECD an18756
gemeldet hat, sei eigentlich zu vernachlässigen. Nein,
Sie ist es nicht. Es handelt sich um die Zusammenfassung staatlicher Mittel.
({0})
Niemand, auch ich nicht, hat behauptet, dass die Mittel
aus dem Haushalt des BMZ kommen. Ich habe nur die
staatlichen Leistungen Deutschlands für China denen für
Afghanistan gegenübergestellt. Diese Gegenüberstellung
ist korrekt, und deshalb verstehe ich überhaupt nicht,
warum Sie sich darüber aufregen. Niemand hindert insbesondere die Bundesländer daran, ihrerseits für afghanische Studenten unterstützend entsprechende Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Mir geht es darum, deutlich zu machen, dass wir zu
wenig für Afghanistan tun, aus welchen Gründen auch
immer.
({1})
Sie sind diesbezüglich nicht nur durchsetzungsfähig,
sondern manchmal fast an der Grenze zum Starrsinn.
Wir könnten mehr für Afghanistan tun. Ich verstehe nach
wie vor nicht, warum Sie sich dieser Forderung, die wir
heute und bei jeder Diskussion über Afghanistan von
verschiedenster Seite hören, verschließen. Es gibt Projekte. Wir könnten mehr tun, und wir könnten eine andere Schwerpunktsetzung wählen.
Danke schön.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege
Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch als letzter Redner möchte ich noch einmal betonen, dass die Bundesregierung mit dem Haushaltsansatz
2009 erneut die Bedeutung der Entwicklungspolitik als
Instrument für eine friedliche und nachhaltige Entwicklung in unserer Welt unterstreicht, und zwar sowohl als
Beitrag unseres Landes zur Linderung von Not und
Elend in anderen Ländern und Kontinenten als auch als
Beitrag für die Sicherheit und das Wohlergehen der Bürger in unserem eigenen Land, in Deutschland.
Der Haushalt geht mit seinen Hauptaugenmerken auf
die besonderen internationalen Herausforderungen ein:
die Stabilisierung und Transformation fragiler Staaten,
Ernährungssicherheit, bessere Gesundheit, Klimawandel
und das Auseinanderdriften von Arm und Reich. Zum
vierten Mal in Folge steigt der Haushalt unter Bundeskanzlerin Angela Merkel weit überproportional an. Mittlerweile haben wir ein Wachstum des Haushalts um die
Hälfte des Betrags von 2005 erreicht. Dazu kommen
noch Mittel im Rahmen der ODA-Quote, zum Beispiel
aus dem Auswärtigen Amt und dem BMU.
Wir unterstützen auch die deutliche Aufstockung der
Hilfe für Afrika, die in den neuen Haushaltsansätzen
strukturell vorhanden ist. Afrika hat besondere Schwierigkeiten, und Afrika hat eine besondere Nähe zu uns.
Wir unterstützen außerdem nachdrücklich den Aufwuchs bei der ländlichen Entwicklung und bei der Bildung und Ausbildung. Das sind zwei Bereiche, die wir
als Union schon in den Koalitionsverhandlungen ganz
massiv gegenüber der SPD angemahnt haben. Jetzt ist es
den Koalitionären auch durch eine gemeinsame Anstrengung im AwZ gelungen, diese beiden wichtigen Themen
anzuschieben. Natürlich unterstütze ich außerdem mit
großem Nachdruck den Aufwuchs beim internationalen
Klimaschutz und Tropenwaldschutz.
Jetzt möchte ich auf das eingehen, was Herr Hoppe
gesagt hat. Herr Hoppe, Sie haben nicht nur heute davon
gesprochen, dass man Versprechen halten muss. Sie haben auch in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung gesagt, die Kanzlerin müsse aufpassen, dass sie sich nicht
lächerlich mache. Das finde ich nicht sehr lustig. Wenn
man sich anschaut, was zwischen 1998 und 2005 geschehen ist, als die Grünen die Regierungsarbeit wesentlich mitbestimmen wollten, dann sieht man genau das,
was der Kollege Arnold Vaatz schon angesprochen hat:
Unter Ihrer Mitverantwortung ist der Haushalt in diesem
Bereich um 146 Millionen Euro gesunken. Unter Ihrer
Mitverantwortung sind vor allem die Bereiche Klimaschutz und Umwelt und Ressourcenschutz massiv eingebrochen. Ich habe mir die Zahlen heraussuchen lassen.
1998 lagen wir bei 425 Millionen Euro und im Jahr 2005
bei 193 Millionen Euro. Jetzt sind wir wieder bei fast
500 Millionen Euro. Das bedeutet zweierlei: Die Entwicklungspolitik kann in der Tat glücklich sein - ich bin
sicher, die Ministerin Wieczorek-Zeul auch -, dass wir
Angela Merkel statt Gerhard Schröder als Bundeskanzler haben.
({0})
Der Umwelt- und Klimaschutz kann glücklich sein, dass
jetzt die Union in Mitverantwortung ist und nicht mehr
die Grünen.
({1})
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Natürlich weiß
auch ich, dass es ein gewisses Risiko ist, wenn wir sagen, wir wollten das Versprechen, die ODA-Quote zu
erfüllen, einhalten. Ich sage Ihnen auch: Ich stehe dazu,
und ich trage sicher die Mitverantwortung, wenn wir
scheitern sollten. Aber im Gegensatz zu Ihnen haben wir
es wenigstens versucht, im Gegensatz zu Ihnen haben
wir wenigstens gekämpft, und zwar mit großem Erfolg.
Sie sind damals nicht einmal aus den Startlöchern herausgekommen.
({2})
- Herr Hoppe, ich verstehe nicht die Diskussion über die
innovativen Instrumente. Ich denke, es kann auch Ihnen
nicht entgangen sein, dass wir - auch die Umweltpolitiker der Union waren daran maßgeblich beteiligt - ein innovatives Finanzierungsinstrument haben, nämlich den
Emissionshandel. Es gibt kein besseres Instrument, Umweltpolitik mit Entwicklungspolitik zu verbinden, als
den Emissionshandel. Es kann auch Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass die Einnahmen aus diesem
Emissionshandel Jahr für Jahr steigen.
({3})
Da haben Sie ein innovatives Instrument. Deswegen sind
Ihre Anmahnungen überflüssig.
({4})
Ich möchte auch bestätigen, dass wir weiter für das
Wachstum der EZ kämpfen werden. Genauso wichtig ist
aber, das wir uns ständig fragen, ob die Qualität und die
Effizienz stimmen.
({5})
In diesem Zusammenhang ist die Doha-Runde ein
wichtiger Punkt. So viel wie mit einer erfolgreichen
Doha-Runde - erfolgreich auch für die Entwicklungsländer - kann man mit Entwicklungshilfe gar nicht direkt
erreichen. Hier kommt es auch darauf an, dass wir unsere Hilfe für eine bessere Handelspolitik, für einen besseren Süd-Süd-Handel und vieles andere mehr in diesem
Haushalt umsetzen.
Ich denke an die Ergebnisse der Konferenz von Accra
- oder auch an die Nichtergebnisse -, und ich denke daran, dass wir eine weitere, vielleicht noch wichtigere
Konferenz in wenigen Wochen, auch in Doha, vor uns
haben. Diese betrifft die Harmonisierung und Koordinierung und die Effizienz im internationalen Bereich. Es ist
ein Gebot der Stunde, dass in der internationalen Politik
endlich mehr Ordnung in das wachsende Chaos von
staatlichen, internationalen, halbstaatlichen und privaten
Geberstrukturen kommt. Es ist kontraproduktiv, dass
manche Länder inzwischen von einer Unzahl von verschiedenen Helfermissionen völlig überfahren werden.
Diese Ordnung hineinzubringen, ist noch viel wichtiger
als die Frage, wie viel Geld es mehr im Haushalt gibt.
Auch bei der Budgethilfe muss sich jeder fragen, ob
diese für die Politik, die wir betreiben, ein Gewinn ist
oder nicht. An dieser Frage kann man sich locker entlanghangeln, wenn man sauber diskutiert. Man muss
darüber diskutieren, was der Rechnungshof gesagt hat,
welche positiven und welche negativen Beispiele es gibt,
und dann können wir Kriterien aufstellen. Ich glaube,
das ist eine ganz saubere Methode.
Was ich aber nicht will, ist erstens, dass Budgethilfe
dann zum Katalysator wird, wenn man Abflussprobleme
hat - das ist geradezu irrsinnig -,
({6})
und zweitens, dass man sagt: Das ist inzwischen gängige
Praxis im Ausland. Das ist für mich auch kein Argument;
({7})
denn gerade die Praxis in Europa ist für mich eher abschreckend als ein gutes Beispiel.
Worauf es ankommt, ist, dass wir eine bessere Arbeitsteilung finden. Es ist dringend notwendig, dass wir
unsere Kräfte auf das Wesentliche konzentrieren. Wir
haben einen Einstieg in die Diskussion über eine Konzentration auf Länder gefunden. In Zeiten des Terrorismus und auch angesichts der Vorgänge in Georgien sage
ich ganz ehrlich, dass für uns ein wichtiges Kriterium
neben Fragen der Bedürftigkeit, neben Fragen der Signifikanz die Bedeutung der Partnerländer für die eigene
Sicherheit ist, zum Beispiel gegenüber den Mittelmeerländern, zum Beispiel gegenüber den Nachbarstaaten
Russlands.
Dabei ist Afghanistan natürlich eine wichtige Baustelle; das wurde schon gesagt. Auch ich stehe dazu, dass
man in den Haushalt dafür mehr Geld einstellt. Jetzt
wird gefordert, sofort Summen von 200 Millionen Euro
und mehr zur Verfügung zu stellen. Angesichts dessen
möchte ich schon sagen, dass gerade Afghanistan ein
Beispiel dafür ist, dass man genau abwägen muss, ob
man einem Land mit mehr Geld wirklich etwas Gutes tut
oder ob es nicht besser wäre, darauf zu achten, dass das
vorhandene Geld besser eingesetzt wird. Es gibt Geber,
zum Beispiel die Vereinigten Staaten, die ein Vielfaches
mehr als wir nach Afghanistan pumpen. Ich kann nicht
sehen, dass damit mehr Effizienz erzielt wird, als wenn
man den Geldzufluss an der Ausprägung der Absorptionsfähigkeit eines Landes ausrichtet.
({8})
Das Gleiche gilt für Pakistan. Pakistan wird von
manchen als ein noch größeres Risiko als Afghanistan
eingeschätzt. Auch hier müssen wir uns gut überlegen,
was wir zusätzlich machen. Für mich gibt es einen ganz
klaren Zusammenhang zwischen der Stärke der Taliban
in den Nordwestprovinzen und der hohen Arbeitslosigkeit, die dort seit vielen Jahren herrscht und die immer
größer wird. Auch das ist für uns Entwicklungspolitiker
ein Hinweis auf das, was man in Pakistan zusätzlich tun
könnte.
Ich möchte im Rahmen dieser Haushaltsdebatte noch
auf etwas zu sprechen kommen, was uns gerade im Hinblick auf Afghanistan, Pakistan, aber auch Afrika sehr
am Herzen liegt: Es kommt entscheidend darauf an, entwicklungsfeindliche politische und gesellschaftliche
Strukturen zu überwinden
({9})
und unsererseits Impulse zu setzen, dass dies aus der
Mitte der jeweiligen Gesellschaften selbst geschieht.
Dazu brauchen wir Instrumente, auch im vorpolitischen
Raum, die besser sein müssen als die bisherigen. Solche
Instrumente sind zum Beispiel unsere Stiftungen, die an
solchen Nahtstellen ganz entscheidend arbeiten. Da können wir noch viel mehr tun. Wir können in mehr Ländern
arbeiten und auch konzentrierter zu Werke gehen. Ich
denke an die Kirchen, die völlig recht haben, wenn sie
sagen: Uns geht es nicht um die jeweiligen Länder, son18758
dern um die Individuen in den jeweiligen Ländern selbst
und auch um Partnerschaften in der Wirtschaft.
Für meine Fraktion sage ich: Ich habe keine Berührungsängste, auch mit der deutschen Wirtschaft viel
mehr zu arbeiten, und zwar aus zwei Gründen: Erstens.
Wir können in der Öffentlichkeit sagen, dass unsere Entwicklungszusammenarbeit auch Arbeitsplätze im Inland
sichert. Das ist so.
Zweitens. Ich glaube, wir könnten Synergien herstellen, indem wir zusammen mit der Wirtschaft viel mehr
- zum Beispiel PPP-Projekte, aber auch anderes - auf
die Beine stellen. Wir können es uns nicht leisten, diese
Synergien einfach außen vor zu lassen.
({10})
Herr Kollege Ruck!
Jawohl, ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich schaue,
dass ich zum Schluss komme.
Wir werden in den Beratungsverfahren, die wir jetzt
vor uns haben, auf die Punkte, die ich genannt habe,
noch eingehen. Ich bin sicher, wir werden uns auch mit
unseren Kollegen von der SPD wieder gütlich einigen.
({0})
Wir werden natürlich an einer besseren Verknüpfung
der einzelnen Instrumente festhalten. Wir werden natürlich auch einen Dauerbrenner diskutieren: bilateral, wo
möglich, und multilateral, wo sinnvoll und notwendig.
Darüber können wir abendfüllend diskutieren. Wir werden das tun. Darauf freue ich mich schon jetzt.
Herr Kollege Ruck, ich wollte heute eigentlich nicht
mehr abendfüllend diskutieren.
Jetzt wünsche ich allen einen schönen Abend.
({0})
Danke.
Ich wünsche Ihnen, Frau Präsidentin, ausdrücklich einen schönen Abend.
({0})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 18. September
2008, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen, unseren
Gästen auf der Tribüne und den Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern noch einen schönen Abend.
Die Sitzung ist geschlossen.