Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 9/16/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alle herzlich zur Haushaltswoche des Deutschen Bundestages, mit der wir nach der parlamentarischen Sommerpause wieder in die Arbeit eintreten. Der Kollege Oskar Lafontaine begeht heute seinen 65. Geburtstag, wozu ich ihm im Namen des ganzen Hauses herzlich gratulieren möchte. ({0}) Das gilt auch für die Kolleginnen Erika Steinbach und Dr. Herta Däubler-Gmelin sowie den Kollegen Wolfgang Gehrcke, die während der parlamentarischen Sommerpause ihren 65. Geburtstag gefeiert haben. Ihren 60. Geburtstag haben die Kolleginnen und Kollegen Jürgen Klimke, Michael Müller, Dr. Angelica Schwall-Düren, Brunhilde Irber und Maria Eichhorn gefeiert. Ihnen allen übermittele ich auf diesem Wege nachträglich noch einmal die guten Wünsche des ganzen Hauses. ({1}) Die Fraktion Die Linke hat mitgeteilt, dass die Kollegin Diana Golze von der Kollegin Elke Reinke das Amt der Schriftführerin übernehmen soll. Sind Sie damit einverstanden? ({2}) - Das scheint trotz einzelner artikulierter Skepsis im Ganzen mit hinreichender Mehrheit der Fall zu sein. Da- mit ist die Kollegin Diana Golze zur Schriftführerin ge- wählt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf: a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2009 ({3}) - Drucksache 16/9900 - Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012 - Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes fünfeinviertel Stunden, für Mittwoch acht Stunden, für Donnerstag siebeneinhalb Stunden und für Freitag drei Stunden vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushalts dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück. ({4})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Tag im politischen Deutschland Überschriften: „Finanzminister im Glück“, „Deutschland schreibt schwarze Zahlen“, „Staat erzielt 6,7 Milliarden Euro Überschuss“, „Spielraum für Steuersenkungen“, „Die deutsche Wirtschaft fällt ins Stimmungstief“, „Auf Talfahrt“, „Die Angst ist wieder da“. ({0}) Das sind Artikelüberschriften aus renommierten deutschen Tageszeitungen, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Das ist aber nicht etwa eine Collage aus Presseartikeln der vergangenen fünf, sechs, sieben Monate; Redetext nein, das ist das Ergebnis der Presseauswertung eines einzigen Tages, des 27. August 2008. ({1}) - Ich habe die Justierschraube leider nicht in der Hand.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir haben schon die Anweisung gegeben, die Lautstärke elektronisch zu justieren. Vielleicht können wir uns ja darauf verständigen, dass der Finanzminister in der Zwischenzeit ein bisschen lauter als üblich spricht und das Plenum etwas leiser als üblich ist. Dadurch ließe sich dieses Problem sicher lösen. - Bitte schön, Herr Minister. ({0})

Peer Steinbrück (Minister:in)

Politiker ID: 11004165

Herr Präsident, in diesem Saal gibt es manche, die der Meinung sind, dass ich gelegentlich zu laut spreche. Insofern folge ich dieser Aufforderung gerne. ({0}) Ich war bei der Aussage stehen geblieben, dass die Artikel sehr unterschiedlich sind. Es handelt sich nicht um eine Collage aus Zeitungsmeldungen der vergangenen sechs Monate oder des letzten Jahres, sondern um Zeitungsmeldungen eines einzigen Tages. Ich will darauf hinaus, dass diese Artikel eines einzigen Tages, die manchmal schon absurde Züge annehmenden, wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussionen im politischen Berlin wiedergeben. Diese Diskussion wird weiter aufgemischt von diversen Chefvolkswirten, vornehmlich aus Unternehmen der Finanzindustrie, die genau wissen, wie es um die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland bestellt ist und was nottut. Wenn ich mir dann allerdings die Finanzmärkte und die Unternehmen, die sie vertreten, ansehe, wäre ich gelegentlich dankbar gewesen, wenn diese Chefvolkswirte ihre Fähigkeiten stärker dem Unternehmen hätten zuteil werden lassen als diesen öffentlichen Verlautbarungen. ({1}) Es finden sich auch diverse Professoren mit einer bewundernswerten Prognosefähigkeit. In einer Sonntagszeitung konnte ich die Prognosen von acht befragten Professoren lesen, die haargenau die Wahrscheinlichkeit einer Rezession voraussagen konnten, schade nur, dass diese acht verschiedenen Prognosen zwischen 5 bis 50 Prozent lagen. Der Finanzexperte eines Kieler Instituts bietet sich auch gern und regelmäßig als Kronzeuge an, sodass dieses Mal, einen Tag vor dem Beginn der Haushaltsberatungen, eine Wirtschaftszeitung mit der Behauptung aufmachen konnte: „Steinbrück verfehlt Etatziel“. ({2}) Selbstverständlich wissen einige Oppositionspolitiker ganz genau, dass uns aufgrund der absehbaren Konjunkturentwicklung, des Konjunktureinbruches der Bundeshaushalt um die Ohren fliegen wird. Merkwürdig ist nur, dass ich das fast wortgleich zum vierten Mal höre, seit ich in diesem Amt bin: schon für die Haushalte 2006, 2007 und 2008. ({3}) Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass am Ende der Jahresabschluss im Ist immer besser gewesen ist als der Sollabschluss. ({4}) Die Wirtschaftskonjunktur dreht in einen Abschwung. Das ist richtig; keiner verharmlost dies. Damit springt offenbar die Konjunktur von Untergangspropheten und Krisenpredigern an. Das ist schädlich. Was meinen Sie, wie solche Stellungnahmen auf die Bürgerinnen und Bürger wirken, insbesondere wenn diese als Expertenwissen quasi einen besonderen Ritterschlag bekommen? Das heißt, diese rangieren auf der Glaubwürdigkeitsskala in der Öffentlichkeit wahrscheinlich weit oberhalb aller ohnehin verdächtigen und propagandistischen Stellungnahmen der Politik. Verwirrt und orientierungslos ist wahrscheinlich noch freundlich ausgedrückt. Sie führen sicherlich zu fortschreitender Politikverdrossenheit, weil unsere politischen Reaktionen den geweckten Erwartungen wieder einmal nicht nachkommen wollen oder teilweise nicht nachkommen können. Dieser vielstimmige Chor liefert Belege für Forderungen und Vorschläge, die sich Konjunkturprogramme, Antirezessionsprogramme, Entlastungsprogramme oder wie auch immer nennen. Jeder ist für Entlastung - ich auch. ({5}) Doch die Frage lautet, ob dies mit unserer politischen Vernunft, mit unserer finanzpolitischen Vernunft und mit unserem realistischen Sachverstand zu rechtfertigen ist oder ob dadurch insbesondere unser politisches Handeln in der öffentlichen Wahrnehmung an Stringenz und Konsequenz verliert. Dies würde in meinen Augen einen viel gefährlicheren Entzug von Vertrauen in die Politik bedeuten als die Weigerung, gelegentlich verständliche Wünsche nicht zu erfüllen. Da die Steuereinnahmen des Bundes immer noch nicht ausreichen, um schon heute keine neuen Schulden mehr zu machen, sind - genau wie in den letzten Jahrzehnten - flächendeckende Entlastungen über die bereits erfolgten Entlastungen oder in Vorbereitung befindlichen Entlastungen hinaus bis 2011 nur auf Pump möglich. Ich kenne in der Dimension von zweistelligen Milliardenbeträgen aufwärts keine realistischen Vorschläge, die über die von der Bundesregierung ohnehin geplanten Entlastungsmaßnahmen oder zu übernehmende Verpflichtungen hinaus - siehe ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zur steuerlichen Behandlung von Krankenversicherungsbeiträgen - durch Umschichtungen oder Kürzungen finanziert werden könnten. Also läuft es auf Pump hinaus. Steuer- oder Ausgabengeschenke auf Pump engen aber unseren Handlungsspielraum immer weiter ein. Konkret heißt das: Schon heute können wir nur fünf von sechs eingenommenen Steuereuros für die verschiedensten Zwecke, für die verschiedensten staatlichen Leistungen, die ja von uns erwartet werden, an die Menschen zurückgeben. Jeder sechste Euro geht für Zinszahlungen an die Banken drauf. Das Geld ist weg, ohne dass damit ein einziger Euro getilgt worden ist. Jeder Häuslebauer, jeder Mittelständler weiß, dass diese Situation gefährlich ist. Steuerentlastungen oder Ausgabenprogramme auf Pump sind ein sehr vergiftetes Geschenk. Denn am Ende müssen sie immer bezahlt werden, vor allem von denjenigen, die die Grundlast staatlicher Aufgaben finanzieren, also den Mittelschichten und den Mittelständlern, die mit höheren Steuern morgen zur Kasse gebeten werden. ({6}) Letztlich sind es immer wieder solche nicht nachhaltig finanzierten Geschenke, die langfristig zu einem Vertrauensverlust der Bürger in die Politik führen; denn das dicke Ende kommt immer, üblicherweise erst nach Jahren. Dann wird von uns selbst und all denjenigen, die uns kritisch begleiten, die Frage gestellt: Warum konnte die Politik das nicht verhindern? Ich will damit sagen: Bevor man sich daran ausrichtet, was ankommt, sollte man wissen, worauf es ankommt. ({7}) Ich habe die politische Erfahrung gemacht: Was die Menschen von der Politik erwarten, ist nicht Beliebigkeit, nicht Sprunghaftigkeit und auch nicht ein Versprechen für den kurzen Beifall eines Nachmittags. Sie erwarten von der Politik Orientierung, erst recht in Zeiten rasanter Umbrüche und erheblicher Verunsicherungen, die mit der Globalisierung und der demografischen Entwicklung unausweichlich und in manchen Beziehungen auch schmerzlich verbunden sind. Den Menschen Orientierung und Selbstvertrauen zu geben, heißt, ein realistisches Bild zu zeichnen und dabei auch das einzuordnen, was in unserem Land in den letzten Jahren passiert ist und worauf alle Deutschen stolz sein können. ({8}) Durch Reformen hat die Politik in den letzten fünf Jahren dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft heute wesentlich robuster und wesentlich wettbewerbsfähiger aufgestellt ist und dass es deutlich weniger Arbeitslose gibt. Ohne die diversen finanz-, haushalts- und arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre und ohne die Beiträge der Wirtschaft zur Verbesserung unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit hätte uns die anhaltende und sehr ernst zu nehmende globale Finanzmarktkrise aus der Bahn werfen können. Von vielen Experten der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds und der OECD und in vielen internationale Studien wurde uns bestätigt: Es hat sich gelohnt, dass wir nach dem tiefen Fall nicht im Stillstand verharrten, sondern uns auf den Weg gemacht und teilweise auch schmerzhafte Veränderungen durchgeführt haben, um die Bundesrepublik Deutschland auf der Höhe der Zeit zu halten. Das Erstaunliche ist, dass uns das eher auswärtige und ausländische Beobachter konzedieren als wir uns selbst. ({9}) Noch ist längst nicht alles geschafft, und noch ist nicht alles gelungen. Aber es gibt heute ein Drittel weniger Arbeitslose als noch vor zweieinhalb Jahren. Rund 1,6 Millionen Menschen haben wieder Arbeit. Das gibt ihnen und ihren Familien Zuversicht und eine Perspektive, die sie vorher nicht hatten. Die Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse hält übrigens an. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse um 600 000 gestiegen. Was besonders erfreulich ist und den Erfolg unserer Arbeitsmarktreformen belegt, ist die Tatsache, dass auch diejenigen von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung profitieren, die früher kaum oder gar nicht davon profitiert haben, nämlich die Langzeitarbeitslosen, die jüngeren und die älteren. ({10}) Die Langzeitarbeitslosigkeit ist gegenüber dem Vorjahr um 21 Prozent zurückgegangen, noch stärker als die Arbeitslosigkeit insgesamt. Der Aufschwung hat übrigens auch zu einer Trendwende in der Armutsentwicklung beigetragen. Zwischen 2005 und 2006 konnten 1,2 Millionen Menschen der Armut entfliehen; das konnte im Armutsbericht aufgrund alter Daten bisher nicht berücksichtigt werden. Dessen unbenommen stimme ich der Einschätzung von Frank-Walter Steinmeier und vielen anderen zu, dass es unter den Bedingungen der Globalisierung erheblich schwieriger geworden ist, Armut zu bekämpfen. Wir alle wissen, dass es zwei Schlüsselgrößen bzw. zwei Voraussetzungen gibt, um bei der Armutsbekämpfung in Deutschland weiterhin erfolgreich zu sein: noch mehr Arbeit und Bildung. Meine Damen und Herren, die Erfolge, von denen ich sprach, sind gut für alle, die wieder im Arbeitsprozess sind, und für ihre Familien. Wer hätte einen solchen Erfolg vor fünf Jahren erwartet, und das in einem wirtschaftlichen Umfeld, das nicht etwa gleich geblieben ist, sondern sich dynamisch, teilweise sogar massiv verändert hat? Ein Blick nach China, Indien, Brasilien und Russland oder in Richtung vieler anderer Staaten, zum Beispiel in der Golfregion, bestätigt dies. Wir haben in Deutschland vieles verbessert. Wir haben wieder Anschluss gefunden, und vieles ist uns gelungen. Das sollte allen Menschen in Deutschland für den weiteren Weg Mut machen. Denn das zeigt uns etwas, was wir nicht unterschätzen sollten: Auch in Zeiten der Globalisierung und vor dem Hintergrund, dass Deutschland eine offene Volkswirtschaft ist, haben wir selbst in der Hand, was aus uns wird. Dazu bedarf es bestimmter physischer Voraussetzungen für die Wirtschaftsleistung und die Verbesserung des materiellen Wohlstandes in Deutschland; dazu gehören auch die vielzitierten Rahmenbedingungen, die wir politisch setzen. Es bedarf allerdings - das geht meiner Meinung nach in vielen wirtschafts- und finanzpolitischen Debatten zu sehr unter - auch der mentalen Einstellung, Wohlstand nicht nur zu schätzen, als gegeben zu betrachten und ihn sozusagen zu konsumieren, sondern ihn auch aktiv anzustreben. ({11}) Das ist mehr als Bewahrung und Verteilung, das ist Anstrengung, ein Wort, das uns Politikern mit Blick auf Popularitätskurven nicht so leicht über die Lippen kommt. In diesem Zusammenhang zitiere ich Helmut Schmidt aus seinem jüngsten Buch: Wir stehen vor der Alternative, entweder einen langsam fortschreitenden Verlust unseres Lebensstandards zu ertragen oder aber uns zu Leistungen zu befähigen. - Er fügt hinzu: zu Leistungen zu befähigen, welche einstweilen in Asien noch nicht vollbracht werden konnten. Er unterstreicht das Wort „einstweilen“, das ein Hinweis darauf ist, dass wir immer neu nicht billiger, sondern besser werden müssen. ({12}) Jetzt sagen einige: Gut, wirtschaftlich hat sich manches ausgezahlt. Es ist auch nicht alles falsch gemacht worden, auch nicht von dieser Großen Koalition. Wir haben in den vergangenen Jahren einige Reformschritte gemacht. Aber es ist doch alles ziemlich ungerecht, was damals und seitdem passiert ist. Diejenigen möchte ich an die ungerechte Situation erinnern, die sich seit den 90er-Jahren aufgebaut hat. Jahr für Jahr wurden immer mehr Menschen gegen ihren Willen in die Arbeitslosigkeit gedrängt. War das nicht ungerecht? Jahr für Jahr wurden mehr Menschen zum Teil gegen ihren Willen in die Frühverrentung hineingejagt. War das nicht ungerecht? Jahr für Jahr stieg die Sozialversicherungsabgabenlast als einzige Antwort darauf, die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen. War das nicht ungerecht? Menschen, die dringend Hilfe brauchten, um einen Schul- und Berufsabschluss zu machen, um wieder Arbeit zu finden, erhielten keine oder nur unzulängliche Hilfe. War das nicht ungerecht? Junge Familien mit Kindern erhielten viel zu wenig Unterstützung für Betreuung. Gleichzeitig beklagten damals schon viele die Auswirkungen des demografischen Wandels. War das nicht ungerecht? ({13}) All diese Ungerechtigkeiten gab es. Gelegentlich erinnern wir uns daran, dass es seinerzeit hunderttausende von Sozialhilfeempfängern gegeben hat, die weniger Geld bekamen, als heute Hartz-IV-Empfänger bekommen, ({14}) die bei der Arbeitsplatzsuche keineswegs so behandelt worden sind wie heute nach dem Prinzip des Förderns und Forderns, nämlich mit der klaren Sichtweise, ihnen so schnell wie möglich einen Arbeitsplatz wieder zu beschaffen. War das nicht ungerecht? Auf all diesen Feldern hat sich vieles verbessert, wenn auch nicht alles gut genug ist. Wir haben aber einiges erreicht, und wir sind auf dem richtigen Weg. Die in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen waren nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht richtig, sie haben auch zu mehr Teilhabe und deshalb zu mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft geführt. ({15}) Die von einigen - wie ich glaube, vorsätzlich - unterschlagene Frage lautet: Was wäre passiert, wenn nichts passiert wäre? Wir hätten immer neue Negativrekorde zu verzeichnen gehabt bei der Arbeitslosigkeit, bei der Verschuldung und beim Wirtschaftswachstum. Wir wären mit dem Gewicht Deutschlands innerhalb der Europäischen Union nicht auf derselben Höhe, wie wir es heute sind. Wir hätten immer mehr Menschen zurückgelassen. International hätten wir den Anschluss verpasst mit Folgen für unsere Entwicklungs- und Zugangsmöglichkeiten und auch für unsere Möglichkeiten, die internationale Debatte zum Beispiel über die Prävention von Finanzmarktkrisen zu beeinflussen. Die negativen Artikel über Deutschland Anfang dieses Jahrzehnts sind doch noch alle in den tieferen Schichten unseres Gedächtnisses abrufbar, die Artikel über den kranken Mann in der zentraleuropäischen Lage, nicht am Bosporus. Wir haben erlebt, dass nach „Rucksack“ und „Kindergarten“ „German Angst“ als das dritte im internationalen Sprachgebrauch übliche deutsche Wort eingeführt wurde. Alles vergessen? ({16}) - Sauerkraut. ({17}) - Wer hat mir den Hinweis gegeben? Herr Kollege Schäuble, gut, es sind vier Begriffe. Seit Amtsantritt verfolge ich das Leitmotiv einer gestaltenden Finanzpolitik. Seit drei Jahren setzen wir gleichzeitig auf Wirtschaftswachstum und solides Haushalten. Wir setzen gleichzeitig auf Zukunftsinvestitionen und weniger Schulden. Wir setzen gleichzeitig auf eine Stärkung der Wirtschaft und mehr Teilhabe für möglichst viele. Daran halte ich fest, unbenommen der Eintrübungen des wirtschaftlichen Umfeldes. Daran sollten wir alle - zumindest in der Großen Koalition - festhalten. ({18}) Ich habe eingangs schon von den Spekulationen darüber gesprochen, ob die Rezession kommt, ob sie nicht kommt oder ob wir uns mitten in ihr befinden. Fakt ist: Mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent im ersten Quartal ist die deutsche Wirtschaft besser in das laufende Jahr gestartet, als von vielen erwartet und prognostiziert wurde. Sie alle wissen, dass wir es im zweiten Quartal mit einem knapp rückläufigen Wirtschaftswachstum zu tun haben, und ich kann nicht ausschließen, dass das Wachstum auch im dritten Quartal nicht positiv sein wird. Schon hört man aus allen Ecken die Rufe des Entsetzens, dass wir in einer Rezession stecken. Diese verbreiteten Sado-Maso-Tendenzen sind mir ein absolutes Rätsel. ({19}) Um das anzumahnen: Uns Deutschen geht offenbar die Fähigkeit ab, Entwicklungen zu entdramatisieren, sie mit kühlerem Kopf zu analysieren und vor allen Dingen Balance im Urteil und im Vorgehen zu wahren, statt sofort Worst-case-Szenarien zu entwerfen, die mit schöner Regelmäßigkeit im günstigsten Fall zum Untergang des Abendlandes führen. ({20}) Nach meiner Einschätzung gibt es keinen Grund dafür, aufgrund eines unbestrittenen konjunkturellen Abschwungs solche Untergangsszenarien zu malen. Für das Gesamtjahr 2008 hält die Bundesregierung das von ihr prognostizierte Wachstum von 1,7 Prozent nach wie vor für realistisch. Das gilt erkennbar nicht nur für sie, sondern auch für die Europäische Kommission, die in ihrer Einschätzung sogar von einem leicht höheren Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent ausgeht. In den Überschriften der Meldungen steht aber: Die EU-Kommission prophezeit eine Rezession in Deutschland. - Nein, sie rechnete zu Beginn dieses Jahres mit einem höheren Wachstum als die Bundesregierung selber. Auch wenn das Wachstum im kommenden Jahr schwächer ausfallen dürfte, kann von einer Rezession keine Rede sein. Auf den Punkt gebracht: Wir befinden uns in einem Abschwung. Aufgrund der internationalen Entwicklung gibt es Risiken für eine Abwärtstendenz. Die Stichworte sind Ihnen allen geläufig. Eine Wirtschaft mit einer positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt befindet sich aber nicht in einer Rezession. ({21}) Diese positive Entwicklung sollte auch nicht durch Kassandra-Rufe gestört werden. Es gibt so etwas wie eine negative Selffullfilling Prophecy. ({22}) Alle, die mit Lustgewinn und teilweise auch deshalb, um ihre Wünsche zu begründen, Entlastungs- und Ausgabenprogramme aufzulegen, das Gespenst einer Krise an die Wand malen, sollten sich ihrer Verantwortung in einer durchaus labilen Lage sehr stark bewusst sein. Fakt ist und bleibt: Die deutsche Wirtschaft ist wesentlich wettbewerbsfähiger und robuster als vor fünf Jahren. Deshalb sollten wir bei der Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Situation Maß halten. Dazu gehört auf der Negativseite, dass die global verursachten Rekordpreise, die es bei der Energie und den Nahrungsmitteln gab und gibt, natürlich ihre Spuren beim privaten Konsum hinterlassen. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt voraussichtlich 3 Prozent betragen. Ich gebe zu, dass die Menschen das Gefühl haben dürften, dass es 10 Prozent sind. Das hängt damit zusammen, dass gerade viele Güter des täglichen Bedarfs von Preissteigerungen betroffen sind: an der Zapfsäule genauso wie im Supermarkt. Um das deutlich zu sagen: Ich sehe in diesen Preissteigerungen kein Übergangsphänomen, sondern eine weitere Stufe der Globalisierung. Bisher wirkte die Globalisierung preisdämpfend, weil immer mehr Menschen in die Weltwirtschaft integriert wurden und in Ländern wie China und Indien und in den Ländern Lateinamerikas zunächst wenig Geld verdienten. Die niedrigen Arbeitskosten konnten sich in niedrigen Preisen niederschlagen. Seitdem die Menschen in den Schwellenländern aber zunehmend mehr Geld verdienen, fragen Millionen - um nicht von Milliarden zu sprechen - Chinesen, Inder, Brasilianer und viele andere heute mehr und auch höherwertige Güter nach. Genau wie wir wollen sie ein Auto, einen Eisschrank und einen größeren Wohnraum. Will ihnen jemand vermitteln, dass die Pkw-Dichte bei ihnen der der Insel Föhr entsprechen soll? Können wir es ihnen mit einer Art neokolonialistischer Einstellung verweigern, dass sie nicht die Pkw-Dichte der Bundesrepublik Deutschland und auch nicht unseren Anteil an Fernsehern und Videorekordern anstreben sowie ihre Wohnungen nicht entsprechend heizen sollten? Gleichzeitig steigen die Arbeitskosten. Aus diesem doppelten Effekt aus höheren Arbeitskosten und der weltweit gestiegenen Nachfrage ergibt sich ein in der Globalisierung bisher nicht bekannter Inflationsdruck, der anhalten wird. Es hat keinen Sinn, zu behaupten, dass die Änderung globaler Nachfrageniveaus und die massive Veränderung globaler Nachfragestrukturen quasi nationalstaatlich bekämpft oder ausgeschlossen werden können, oder zu versprechen, dass die nationale Politik Wirkungskraft dagegen entwickeln kann. Das kann sie nicht. Es ist falsch, das den Menschen in Deutschland zu verschweigen oder so zu tun, als ob man dagegen mit einem Konjunkturprogramm auf Pump angehen könnte. ({23}) Weil mir an diesem Punkt sehr gelegen ist, will ich darauf noch einige Sätze verwenden, auch auf die Gefahr hin, dass ich langatmig werde. ({24}) - War das, was ich bisher gesagt habe, nicht ernst zu nehmen, Frau Künast? Das entnehme ich Ihrem Zwischenruf. ({25}) Wenn der Staat Fürsorgebereitschaft erklärt, ohne diese wirklich erfüllen zu können, weil das außerhalb seiner Reichweite oder seiner Möglichkeiten liegt, dann führt das zu unerfüllbaren Kompensationsversprechen. Diese unerfüllbaren Kompensationsversprechen führen letztlich zu Enttäuschungen der Bürgerinnen und Bürger. Ich möchte den Sozialpsychologen Harald Welzer zitieren: Keine Demokratie der Welt kann dafür einstehen, wenn Ressourcen knapper und damit teurer werden; wenn sie - die Politik Vertrauen erhalten will, muss sie paradoxerweise sagen, dass sie es nicht kann. Im Übrigen liegt, so schmerzlich das sein mag, in diesem Preissignal die Lösung. Verhaltensänderung, Produktund Prozessinnovation im Sinne höherer Energieeffizienz, moderne Kraftwerkstechnik, Kraft-Wärme-Kopplung und Gebäudetechnik, also alles, was zu einer größeren Unabhängigkeit von Energieimporten führt, wird durch diese Preissignale ausgelöst. Das heißt, diese Signalwirkung des Preismechanismus sollten wir nicht durch Subventionen aushebeln. Wie sollten wir auch, wenn der Preis für Rohöl wie ein Jo-Jo auf- und abgeht? Mal ist er bei fast 150 Dollar pro Barrel, jetzt liegt er unter 100 Dollar. Hätten wir darauf konkret die Steuer- und Ausgabenpolitik des Bundes innerhalb von wenigen Monaten einstellen sollen? ({26}) Was würden wir den Menschen an Subventionen versprechen, wenn der Barrelpreis für Rohöl eines Tages bei 170, 180 oder 190 Dollar liegt? Die berechtigte Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen, ist, warum im Abwärtstrend die Benzinpreise nicht ebenso elastisch sinken, wie sie im Aufwärtstrend für die Verbraucher steigen? ({27}) Ich will abschließend meine tiefe Skepsis gegenüber nationalen Konjunkturprogrammen in drei Argumenten schildern. Erstens. Es ist nicht möglich, eine konjunkturelle Eintrübung, deren Ursachen eindeutig in globalen Preisschüben und Finanzmarktkrisen liegen, mit einem nationalen Konjunkturprogramm zu bekämpfen. Wer das tut, verbrennt lediglich Steuergeld. ({28}) Wofür? Dafür, dass ein Konjunkturprogramm von zum Beispiel stattlichen 10 Milliarden Euro gerade einmal 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der deutschen Volkswirtschaft entsprechen würde? Das ist viel zu wenig, um selbst bei einer unterstellten 100-prozentigen Inlandsnachfrage oder Inlandswirksamkeit einen nachhaltigen Konjunktureffekt auszulösen. Zweitens. Jede Abkehr vom notwendigen Konsolidierungskurs, die mit einem Konjunkturprogramm verbunden wäre, würde zwangsläufig zu gegenläufigen Entwicklungen führen. Wir sind schließlich nicht die einzigen Akteure. Es wäre zu erwarten, dass wir die europäische Geldpolitik der EZB gerade angesichts des derzeitigen Inflationsdrucks zu einer noch restriktiveren Geldpolitik veranlassen könnten. Das heißt, je nach Ausmaß würde dieses Konjunkturprogramm vielleicht stärker belasten, als es beschleunigend wirken könnte. Dann hätten wir mit Zitronen gehandelt. Drittens. Es wäre falsch, unseren bislang so erfolgreichen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs zu verlassen, um wieder ungebremst in neue Schulden mit einer Verletzung der Generationengerechtigkeit zu flüchten. Der konjunkturstabilisierende Gesamteffekt 2008 - daran will ich erinnern - aus der Initiative Wachstum, Beschäftigung und Familienförderung einschließlich Elterngeld und Kinderzuschlag, der Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von zunächst 4,2 auf 3,3 Prozent sowie den Entlastungen der Wirtschaft durch eine Unternehmensteuerreform, beginnend mit dem 1. Januar dieses Jahres, beläuft sich immerhin schon auf 18 Milliarden Euro. Hinzu kommen Entlastungen für die Wirtschaft durch den Bürokratieabbau der Bundesregierung. Mit diesen konjunkturellen Entlastungen von über den Daumen gepeilt 20 Milliarden Euro im laufenden Jahr sind wir fast - nicht ganz: 0,8 bzw. 0,85 Prozent - in der Größenordnung dessen, was die Amerikaner gerade als Konjunkturprogramm vom Stapel gelassen haben. Die Größenordnung von 150 Milliarden US-Dollar entspricht ungefähr 1 Prozent des US-amerikanischen Bruttosozialproduktes. Wichtiger Unterschied ist allerdings: Bei uns geht es vornehmlich nicht um einen kurzfristigen Konjunkturstimulus, sondern um die dauerhafte Stärkung des Wachstums. Genauso wie jeder Privathaushalt kann auch der Staat jeden eingenommenen Euro nur einmal ausgeben. Es kommt deshalb auf eine ausgewogene Balance zwischen den drei Zielen Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung, Investition in Zukunftsprojekte und gezielt solide, gegenfinanzierte Entlastungen für die Bevölkerung an. Mit anderen Worten kommt es auf eine gestaltende Finanzpolitik an, die Wirtschaftsförderung und die Verbesserung von Teilhabemöglichkeiten mit einer soliden Haushaltspolitik verbindet. Wesentliches Markenzeichen der Großen Koalition ist die solide Haushalts- und Finanzpolitik, die mit weniger Schulden auskommt und gleichzeitig mehr Investitionen in entscheidende Zukunftsfelder unserer Gesellschaft und Wirtschaft vornimmt. Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Entwurf des Haushalts 2009 und der Finanzplan bis 2012 unsere gemeinsame und erfolgreiche Finanzpolitik der letzten Jahre seit Gründung der Großen Koalition fortsetzen und widerspiegeln. Das wichtige finanzpolitische Ziel der Großen Koalition, ab 2011 keine neuen Schulden mehr zu machen, rückt damit in greifbare Nähe. ({29}) 2009 sinkt die Nettokreditaufnahme mit 10,5 Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung. 2010 wird sie mit 6 Milliarden Euro auf dem niedrigsten Stand seit 1974 liegen. 2011 soll der Haushalt ohne neue Schulden auskommen, und 2012 soll das strukturelle Defizit - das heißt, unter Herausrechnung von Einmaleffekten - auf Null sinken. Der Regierungsentwurf 2009 sieht Ausgaben in Höhe von 288 Milliarden Euro vor. Das ist ein Wachstum von 1,8 Prozent. Dieser - ich sage mit Absicht: geringe - Ausgabenanstieg liegt, das ist eine zentrale Botschaft des Haushaltsentwurfs, deutlich unter dem Anstieg des nominalen Bruttoinlandsproduktes. Das ist die Vergleichszahl. Das heißt, der Staat hält sich - anders, als man es gelegentlich entgegengehalten bekommt weiter zurück. Die Staatsquote wird auch im nächsten Jahr weiter sinken. Sie liegt bereits in diesem Jahr unter der Staatsquote von Großbritannien, dessen angloamerikanisch ausgerichtetes Ordnungsmodell mir gelegentlich wie eine Monstranz entgegengehalten wird. Das Gerede über die krakenhafte Ausdehnung des Staates in Deutschland ist allein interessegeleitet, ({30}) abgesehen davon, dass mir noch niemand eine angemessene Staatsquote wissenschaftlich bzw. objektiv definieren konnte. Auch im internationalen Vergleich kann ich keine Analogien erkennen. Es gibt Länder mit einer relativ hohen Staatsquote, die hoch erfolgreich sind, und es gibt Länder mit einer relativ niedrigen Staatsquote, die nicht minder erfolgreich sind. Warum wir alle uns dabei so verkämpfen und gelegentlich fast ideologische Gräben entstehen, ist mir nicht ganz klar. Wichtig ist allerdings, dass sich ein Teil der Ausgabensteigerung aus Sondereffekten ergibt, die direkt gegenfinanziert sind. Sie wissen, dass wir aus dem Zertifikatehandel netto 600 Millionen Euro beziehen, mit denen wir Umweltschutz- und Klimaschutzmaßnahmen maßgeblich finanzieren können. Sie wissen auch, dass die Mehreinnahmen aus der Mauterhöhung eins zu eins in Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur im Einzelplan 12 des Kollegen Tiefensee fließen. Das sind also Maßnahmen, die eins zu eins gegenfinanziert sind. Wenn ich diesen Effekt herausrechnen würde, dann hätten wir es mit einer Ausgabensteigerung von 1,3 Prozent zu tun. Auch im Finanzplanungszeitraum bis 2012 wachsen die Ausgaben im Jahresdurchschnitt nur um nominal 1,5 Prozent. Wir sind, wie ich glaube, auf der sicheren Seite. Das heißt zusammengefasst: Die Große Koalition steht für einen immer effizienteren und immer solider finanzierten Staat, der für seine Aufgabenerfüllung einen immer geringeren Anteil der gesamtwirtschaftlichen Ressourcen - von seinen Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern - beansprucht. Besonders freue ich mich, dass es trotz dieses verhältnismäßig geringen Ausgabenanstiegs gelungen ist, zusätzliche Belastungen wegzustecken. Ein Tarifabschluss über 2 Milliarden Euro ist schließlich nicht einfach en passant zu bewältigen. Die Frage, wie wir den jährlich um 1,5 Milliarden Euro steigenden Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung bewältigen, hat uns in den ersten Jahren ziemlich beschäftigt. Inzwischen können wir empirisch belegen, dass uns dies gelingen kann. Ich weiß, dass um die Steuermehreinnahmen der letzten Jahre gerne Legenden gebildet werden, zum Beispiel die, dass der Bundesfinanzminister quasi wie Dagobert Duck in seinem riesigen Panzerschrank Milliarden an Golddukaten hortet, in denen er badet, und dass er sehr wohl über die notwendigen Mehreinnahmen verfügt, um damit zusätzliche Verteilungsspielräume zu erschließen. Da werden dem Staat von Politik und Medien gleichermaßen in einem Atemzug gigantische Mehreinnahmen und eine bodenlose Abzocke der Bürgerinnen und Bürger unterstellt, um Erregungswellen oder von mir aus auch eine höhere Auflage zu produzieren. Aber bei genauem Hinsehen entpuppen sich die meisten dieser Berechnungen als ziemliche Milchmädchenrechnungen. ({31}) Auf drei Beispiele will ich eingehen. Es ist eine Mär, dass der Staat an den Preissteigerungen bei Kraftstoffen verdient. Fakt ist: Die Steuerbelastung des Kraftstoffverbrauchs hat sich seit 2004 trotz der eminent steigenden Kraftstoffpreise kaum verändert. Für 2008 rechnen wir mit einem Steuermehraufkommen bei den Kraftstoffen in Höhe von 300 Millionen Euro. Damit wären wir auf dem Niveau von 2004. Es ist nicht der Staat, der bei den steigenden Benzinpreisen mit entsprechend sprudelnden Steuermehreinnahmen hinlangt. Es sind vielmehr Energiekonzerne, die die höchsten Quartalsgewinne in ihrer Geschichte oder Rekordsteigerungen im Jahresvergleich erzielen. Es ginge allen besser, wenn diese Konzerne einen Teil ihrer unglaublich hohen Zusatzgewinne über niedrigere Preise an die Konsumenten bzw. die Verbraucher zurückgäben. ({32}) Ich sage mit Bedacht und mit Blick auf eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung: Das liegt auch im Interesse der betreffenden Konzerne. Ich habe in diesem Zusammenhang allerdings nie verstanden, warum sich die Politik manchmal Schuhe anzieht, die gar nicht in ihrem Schrank stehen, und warum wir uns das anschließend um die Ohren hauen. Ich will festhalten: Entgegen der landläufigen Meinung ist das Aufkommen aus den Energiesteuern insgesamt, also nicht nur aus den Steuern auf Kraftstoffe und Heizöl, 2007 im Vergleich zu 2006 - nun halten Sie sich fest! um 2,4 Prozent gesunken. Dieser Trend setzt sich erkennbar in den ersten Monaten des Jahres 2008 fort. Damit will ich unterstreichen: Die Wahrnehmung, dass es zusätzliche Verteilungs- oder Ausgabenspielräume gibt, ist falsch. Auch jeder Landesfinanzminister müsste das eigentlich wissen. Genauso maßlos überzogen werden die Auswirkungen der sogenannten kalten Progression dargestellt. Zwei Beispiele: Ein Single mit einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 25 000 Euro wird bei einer inflationsgetriebenen Einkommenssteigerung in Höhe von 3 Prozent mit weniger als 10 Euro pro Monat zusätzlich belastet. Bei einem Ehepaar mit einem zu versteuernden Einkommen in Höhe von 40 000 Euro sind es knapp 14 Euro pro Monat. Jetzt kommen wir auf den Punkt: Tatsächlich gibt es ein Begriffswirrwarr. Viele meinen nicht den inflationsgetriebenen Staubsaugereffekt zulasten der Nettoeinkommen, sondern den tarifbedingten Effekt. Das heißt, wir haben es im Tarifverlauf mit einer schnell wachsenden Grenzbesteuerung von mittleren Einkommen zu tun; das ist so. Aber dann sollten wir erstens in der politischen Aussage präziser werden. Zweitens halte auch ich das für ein Problem, dessen Beseitigung durch den sogenannten Mittelstandsbauch allerdings nicht unter 22 Milliarden Euro zu haben ist. Wir müssen diese Dimension deutlich machen, aber auch, wie das finanziert werden soll. Einen solchen Einnahmeverlust ohne Verwerfungen annähernd zu verkraften, kann erst Thema werden, wenn wir im Bundeshaushalt nicht mehr auf Pump leben, also keine neuen Schulden machen. Mehr Netto für unsere Kinder, das ist meine Devise. ({33}) Ähnliche Verzeichnungen gibt es übrigens bei der Entfernungspauschale. Sie wirkt sich wegen des Arbeitnehmerpauschbetrages in Höhe von 920 Euro für die Masse der Berufspendler, für alle mit bis zu rund 14 Kilometer Fahrstrecke, rein rechnerisch überhaupt nicht aus. ({34}) Kaum jemand redet darüber. Von einer Wiedereinführung der Pendlerpauschale würde lediglich ein Siebtel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profitieren. Zahlen müssten dafür allerdings alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist der Unterschied. Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Führen wir uns selbst und die Bürger - auch in Wahlkämpfen - bitte nicht hinter die Fichte! ({35}) Der Löwenanteil der Steuereinnahmen resultiert aus der verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt und aus dem höheren Wirtschaftswachstum. Mehr Beschäftigte als zuvor können nun Steuern zahlen. Die Unternehmen machen zudem höhere Gewinne. Das sind die Hauptquellen der Mehreinnahmen und nicht eine relativ höhere Belastung der Steuerbürgerinnen und Steuerbürger. Anders ausgedrückt: Der Anteil der Steuern und Abgaben am Bruttoeinkommen ist von 1999 bis 2007 - also in den letzten fast zehn Jahren - nahezu für alle Bürgerinnen und Bürger, bezogen auf das gleiche Einkommen, gesunken. Dass es andere Faktoren gibt, die den Geldbeutel geschmälert haben, ist mir bewusst. Das erwähne ich, damit ich nicht für blauäugig gehalten werde. Das stelle ich auch nicht in Abrede. Aber hier tut Aufklärung not, welcher Anteil über Steuern und Abgaben generiert wird und welcher aus anderen Gründen. ({36}) Möglichst rasch keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu müssen, das ist das eine Ziel der gestaltenden Finanzpolitik. Das andere ist der Umbau der öffentlichen Ausgaben hin zu mehr Zukunftsinvestitionen. Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur mit dem Bundeshaushalt 2009, sondern auch mit dem Finanzplan und dem laufenden Haushalt klare Schwerpunkte setzen. Ich will aus Zeitgründen nicht alle erwähnen. Aber es ist eine bewusste Entscheidung der Großen Koalition, mehr für Forschung und Entwicklung zu tun, ({37}) und das Ziel, auf der Basis der Lissabon-Strategie den Anteil von Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf 3 Prozent zu steigern, nehmen wir nach wie vor sehr ernst. Der Bundeshaushalt trägt dazu bei. Es ist wichtig, dass wir unsere internationalen Zusagen bezüglich der Entwicklungshilfe einhalten. ({38}) So ist es kein Wunder, dass wir zusätzlich zu den Steigerungen, die wir schon in den letzten Haushalten und im laufenden hatten, sage und schreibe 1,25 Milliarden Euro mehr allein für diese beiden Gebiete ausgeben. Denjenigen, die die Steigerung bei der Entwicklungshilfe eher kritisch sehen, halte ich Folgendes entgegen: Wenn wir nicht in der Lage sind, die Probleme der betroffenen Länder mit Entwicklungshilfe vor Ort zu lösen, dann wandern diese Probleme nach Europa und nach Deutschland. ({39}) Wenn jemand von der Opposition glaubt, dass all diese Ausgaben - ich könnte das mit denjenigen für Kinderbetreuung und Infrastruktur fortsetzen - nicht notwendige, jedenfalls gering zu schätzende Investitionen sind, dann steht er in der Bringschuld einer schlüssigen Begründung. Es reicht dann nicht der oppositionelle Reflex, es müsse schneller, radikaler und schneidiger konsolidiert werden. Vielmehr muss man sagen, ob man auf die Unterstützung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland durch diese wichtigen Zukunftsfelder verzichten will. Diese Begründung müssen Sie dann liefern. ({40}) Es ist mir deshalb wichtig, dass wir die doppelte Strategie beibehalten, im Schuldenabbau voranzukommen und gleichzeitig in den zentralen Themen wie Bildung, Kinderbetreuung, Infrastruktur, Entwicklungshilfe, Forschung und Entwicklung und - soweit der Bund das mitzugestalten hat - berufliche Bildung sowie im Hochschulbereich das zu tun, was Zukunft für dieses Land erschließt. ({41}) Von den ungefähr 160 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen, die wir seit Gründung der Großen Koalition zu verzeichnen haben, sind ungefähr 55 Prozent in die Absenkung des strukturellen Defizits des Bundeshaushaltes geflossen. 12 bis 15 Prozent entfielen auf die Schwerpunkte, die ich eben genannt habe. Mir ist durchaus bewusst, dass die zunehmenden Preissteigerungen trotz höherer Löhne in diesem Jahr viele Menschen ebenso belasten, wie sie das erfolgreiche Wirtschaften vieler Mittelständler erschweren. Da helfen nur solide gegenfinanzierte Entlastungen, aber keine Versprechen. Deshalb will ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass weitere gezielte und gegenfinanzierte oder gegenzufinanzierende Entlastungen im zweistelligen Milliardenbereich auf der Tagesordnung unserer Beratungen stehen. Erstens die Familienförderung: Mit Blick auf den kommenden Existenzminimumbericht haben wir haushalterische Vorsorge für den Bund in Höhe von 1 Milliarde Euro in unserem Haushaltsplanentwurf getroffen. Das sind, auf den Gesamtstaat bezogen, Entlastungen für die Familien von über 2 Milliarden Euro. Was allerdings die konzeptionelle Ausrichtung der Familienleistungen betrifft, so gibt es aus meiner Sicht noch Beratungsbedarf. ({42}) Ich halte an meiner Auffassung fest - sei es auch, dass ich in einer kleinen, aber feinen Minderheit bin -, und die jüngste repräsentative Umfrage, die meinem Ministerium vorliegt, bestärkt mich in meiner Grundhaltung. Mit großem Abstand wünschen sich die Menschen einen weiteren Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Dies ist ihnen wichtiger als Kindergeld. ({43}) Auf die Frage, ob wir 25 000 zusätzliche Kindergärtnerinnenstellen - nach Lage der Dinge weniger Kindergärtnerstellen - finanzieren oder das Kindergeld um 10 Euro erhöhen sollen, antworten 80 Prozent der Bevölkerung, dass sie für die Einstellung von 25 000 Kindergärtnerinnen sind. ({44}) Ich will an dieser Stelle - auch auf die Gefahr hin, dass sich da Meinungsverschiedenheiten auftun - einen anderen Punkt nicht verschweigen: So schnell bekommen Sie mich nicht da hin, dass es einfach nur um eine Erhöhung des Kinderfreibetrages geht. ({45}) Vielmehr bin ich der Auffassung, dass jedes Kind Vater Staat gleich viel wert sein muss. Das ist über den Kinderfreibetrag nicht gewährleistet. ({46}) Mein Ministerium hat deshalb die Idee eines Kindergrundfreibetrages geprüft, mit dem wir diese Ungerechtigkeit beseitigen wollen. Denn nicht der Kinderfreibetrag, sondern ein Kindergrundfreibetrag stellt sicher, dass jedes Kind steuerlich gleich viel zählt. Das ist für mich eine Gerechtigkeitsfrage. ({47}) Das heißt, wir haben dort einen Beratungsbedarf, aber wir sind uns in der Tendenz im Lichte des Existenzminimumberichtes über das Ob einig. Die zweite Entlastungsmaßnahme wird die uns vom Bundesverfassungsgericht aufgetragene bessere steuerliche Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen sein. Diese wird sich natürlich nicht alleine auf die Mitglieder der privaten Krankenversicherungen erstrecken können, weil sonst eine Unwucht darin wäre; das wird sich vielmehr auch auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen erstrecken müssen. Wir reden in diesem Zusammenhang immerhin über eine Entlastungsmaßnahme in Höhe von - halten Sie sich fest! - 8 bis 9 Milliarden Euro. Wir planen, nur einen vergleichsweise geringen Anteil dieser Entlastungen durch Belastungen an anderer Stelle gegenzufinanzieren, weil ich in der Tat verhindern möchte, dass einzelne Bürgerinnen und Bürger, die vielleicht nur eine geringe Entlastung haben, plötzlich quasi durch die Hintertür an der Gegenfinanzierung mitbeteiligt sind und belastet werden. Drittens steht eine weitere Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung in Rede. Über die Höhe der weiteren Absenkung wird zu reden sein. Sie darf in meinen Augen nicht so weit gehen, dass darunter die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit leidet, nämlich Dienstleistungen für Arbeitslose zu erbringen und Arbeitslose zu fördern. Ich möchte auf Dauer die Situation vermeiden, dass der Bund je wieder ein Darlehen oder einen Zuschuss an die Bundesagentur geben muss. ({48}) Ich halte übrigens den klagenden Arbeitgeberorganisationen vor, dass sie so tun, als ob der jetzige Mechanismus zwischen Bundeshaushalt und Bundesagentur des Teufels bzw. verfassungsrechtlich dubios sei. Als der Bund eingezahlt hat, war das für die Arbeitgeber nicht dubios. Da haben sie das Geld gerne mitgenommen. ({49}) Ich will daran erinnern, dass der Bund Zuschüsse - leider Gottes waren das keine Darlehen; sonst könnte ich die Rede jetzt abbrechen - in Höhe von 40 Milliarden Euro gezahlt hat. Das waren im Jahresdurchschnitt 4 Milliarden Euro. Das ist eine ungeheuere Summe, und da hat sich kein einziger Arbeitgeber darüber aufgeregt, dass es einen solchen Beitrag zugunsten der Bundesanstalt bzw. der Bundesagentur gegeben hat. Viertens wird die vom Kabinett bereits beschlossene Verbesserung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu einer Entlastung von 230 Millionen Euro führen. Fünftens könnte ich mir vorstellen, dass die Erhöhung des Wohngeldes vorgezogen wird, um dazu beizutragen, dass die deutlichen Energiepreissteigerungen gerade von Bedürftigen leichter getragen werden können. ({50}) Sechstens laufen bereits Ressortgespräche nicht nur über eine Vereinfachung, sondern auch über eine weitere Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von Dienstleistungen in den privaten Haushalten. Das ist nicht wenig, aber es wird darauf ankommen, dass das solide gegenfinanziert wird. Zum aktuellen wirtschaftlichen Umfeld gehört auch die globale Finanzmarktkrise. Ich werde kaum eine Rede zur Einbringung des Haushalts halten können, die nicht auf dieses Thema eingeht. Diese Finanzmarktkrise ist sehr ernst und weitreichend und belastet selbstverständlich auch Deutschland. Um wie viel schwerer allerdings die Auswirkungen sein können, zeigt uns ein Blick in die USA und nach Großbritannien, wo Hypothekenfinanzierer zusammenbrechen und weitere Finanzinstitute in existenzielle Nöte gekommen sind. Ausgerechnet in den traditionell marktwirtschaftlich geprägten angelsächsischen Ländern wussten sich die Verantwortlichen nicht anders als mit Verstaatlichung zu helfen. ({51}) Ich habe mir mehrfach vorgestellt, was wohl passiert wäre, wenn ein sozialdemokratischer Bundesfinanzminister in Deutschland für die Verstaatlichung einer Bank eingetreten wäre. ({52}) Im Falle von Northern Rock - das war der erste Fall -, aber auch mit einer gewissen zeitlichen Abfolge bei Fannie Mae, Freddie Mac und Bear Stearns konnte der Zusammenbruch nur noch durch eine Quasiverstaatlichung - die Amerikaner nennen das Conservatorship, was ich recht witzig finde, weil dieser Begriff ganz gut umschreibt, was dort stattfindet - abgewendet werden. Dadurch sind die britischen und die amerikanischen Steuerzahler zu 100 Prozent in Haft genommen worden. Ich bin sehr froh, dass wir das in Deutschland haben verhindern können. ({53}) Im Übrigen fällt mir auf, dass in dem einen Fall, nämlich dem der USA, die milliardenschweren Rettungsaktionen der Regierung als Beleg für die Tatkraft und Handlungsfähigkeit der Regierung gelobt werden, während in dem anderen Falle, nämlich in Deutschland, vornehmlich von Vernichtung von Steuergeldern und dem vollständigen Versagen der Verantwortlichen die Rede ist. ({54}) Also: Entweder oder. Diese Beliebigkeit, nämlich den kritischen Standpunkt chamäleonhaft zu wechseln, trägt nicht zum Erkenntnisgewinn bei. Das US-Budgetdefizit wird auf 4,2 Prozent steigen. Wir müssen damit rechnen, dass darüber die globalen Ungleichgewichte weiter wachsen. Dabei geht es um ein Staatsdefizit der USA von sage und schreibe 600 Milliarden US-Dollar. Mit Lehman Brothers ist gestern die viertgrößte Bank der USA in die Insolvenz gegangen. Die Rettungsversuche über das Wochenende sind gescheitert, weil in diesem Fall die amerikanische Regierung nicht mehr bereit gewesen ist, mit öffentlichem Geld zu helfen. Weitere Institute in den USA, Banken wie Versicherungen, stehen unter einem erheblichen Druck. Das, was dort im letzten halben Jahr stattgefunden hat, ist unfassbar. Vor einem halben Jahr gab es noch fünf oder sechs große Investmentbanken; heute gibt es nur noch zwei. Obwohl diese Finanzmarktkrise zweifellos das größte konjunkturelle Risiko auch für die deutsche Volkswirtschaft darstellt, halte ich die möglichen Auswirkungen auf uns auch nach allen Erkundigungen, insbesondere nach Gesprächen mit dem Bundesbankpräsidenten und mit der Bankenaufsicht, für begrenzt. Nach den uns vorliegenden Informationen bewegen sich die finanziellen Engagements deutscher Kreditinstitute bei der Lehman Brothers Holding, die einen Antrag auf Gläubigerschutz gestellt hat, in einem überschaubaren Rahmen und sind verkraftbar. Sie wissen, dass die europäischen Zentralbanken gestern Mittag sehr schnell mit Liquidität geholfen haben. Zehn große Banken haben einen Liquiditätsschirm von 70 Milliarden Euro gespannt. Die Rückmeldungen der deutschen Kreditinstitute lauten, dass der Tag gestern weitgehend stressfrei verlaufen ist. Es gibt keinen Anlass - das sage ich sehr bewusst -, an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu zweifeln. Die Widerstandsfähigkeit der deutschen Kreditinstitute ist deutlich besser geworden. Ich füge hinzu: Das deutsche Universalbankensystem hat sich als robuster und resistenter herausgestellt als das amerikanische Bankensystem. ({55}) Dort landet man jetzt bei dem Konstrukt von Universalbanken, das wir längst haben. In den USA sind die Kreditkonditionen seit Ausbruch der Krise natürlich deutlich verschärft worden. Das wird auch in Europa stattfinden, auch in Deutschland. Aber insgesamt ist das Kreditwachstum in Europa - das ist keine schlechte Nachricht - kaum beeinträchtigt. In Deutschland verdanken wir dies nicht zuletzt - darauf will ich ein paar Worte verlieren - den Sparkassen. ({56}) Die deutschen Sparkassen haben trotz eingetrübter Konjunktur und Finanzkrise im ersten Halbjahr sogar wesentlich mehr Kredite an Unternehmen vergeben als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die hierdurch erzielte Stabilität ist ein Vorzug des häufig gescholtenen Drei-Säulen-Modells in Deutschland. ({57}) Deshalb unterstreiche ich hier noch einmal, dass ich den öffentlich-rechtlichen Charakter der Sparkasse in Deutschland für einen Standortvorteil halte - im Sinne des Wettbewerbs, im Sinne der Mittelstandsfinanzierung, im Sinne der Dienstleistungen für die Bürgerinnen und Bürger und der Flächenversorgung mit Finanzdienstleistungen, die nicht einer Gewinnmaximierungsstrategie unterliegen. ({58}) Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen gehören zur Rechts- und Eigentumsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind im europäischen Vertragsrecht und durch zwischenzeitliche Verständigung mit der Kommission abgesichert. Deshalb sage ich: Auch nur die indirekte Gefährdung dieses Status wird die Bundesregierung nicht hinnehmen können. ({59}) Ich will ich in dieser Passage - einen Zwischenruf aufgreifend - auch nicht meine Enttäuschung darüber verhehlen, dass es bisher nicht zu einer weiteren Konsolidierung bei den Landesbanken gekommen ist. ({60}) Diese Konsolidierung wird ohne die Option, sich auch für privates Kapital zu öffnen, nicht funktionieren. Deshalb unterscheide ich hier zwischen den Sparkassen und den Landesbanken. Es kann umgekehrt allerdings nicht sein, dass die Sparkassen als Rückgrat des deutschen Mittelstandes möglicherweise dafür in Mitleidenschaft gezogen werden, dass es zur rechten Zeit auch aus politischer Kurzsichtigkeit nicht zu einer horizontalen Fusion bei den Landesbanken gekommen ist. ({61}) Mit etwas mehr politischer Weitsicht hätten wir heute nicht die Probleme mit der Europäischen Kommission, auch nicht im Fall der WestLB. Was wir auf den Finanzmärkten erleben, ist atemberaubend und zerstört bei vielen Menschen den Glauben an die Integrität und Stabilität des Finanzsektors. Ich bin darauf und auf die Notwendigkeit, auf internationaler Ebene eine stärkere und effektivere Regulierung zu verankern, in einer Regierungserklärung im Februar oder im März eingegangen, sodass ich mir hier weiter gehende Bemerkungen sparen möchte, obwohl die Wucht und die Komplexität dieses Themas eigentlich eine intensivere Beschäftigung verlangen. Helmut Schmidt benutzte anlässlich seiner Rede zum 90. Geburtstag von Berthold Beitz in der Villa Hügel im Jahr 2003 erstmals den Begriff des Raubtierkapitalismus. In der Tat sind Exzesse, Zügellosigkeit und maßlose Übertreibungen festzustellen, die den Finanzdienstleistungssektor nachhaltig beschädigen können. Das sollte allerdings nicht mit Häme oder mit einem plumpen antikapitalistischen Reflex kommentiert werden, weil dieser Finanzdienstleistungssektor inzwischen nicht nur selber ein enormer Wirtschaftsfaktor ist, sondern auch von entscheidender Bedeutung für die große und starke Realwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland ist. Wir haben ein massives Interesse an einem wettbewerbsfähigen, tüchtigen, gut aufgestellten Finanzsektor. Daran sollte vor dem Hintergrund der Betrachtung der jetzigen Krise kein Zweifel auftauchen. Allerdings sind umgekehrt auch die Apologeten einer rigiden Marktwirtschaft widerlegt worden. Erkennbar ist der Markt alleine nicht in der Lage und nicht befähigt, spekulative Zügellosigkeit mit einem selbstzerstörerischen Charakter zu verhindern oder einzudämmen. ({62}) In der Rede auf Berthold Beitz führte Helmut Schmidt aus: In den 90er Jahren haben private Habgier und Rücksichtslosigkeit, Machtgier und auch Größenwahn einen allzu großen Einfluss auf das Verhalten mancher Manager ausgeübt - nicht bloß in den USA, sondern auch bei uns. Undurchsichtige Bilanz- und Finanzkunststücke und sagenhafte Selbstbereicherung sind leider ziemlich häufig und ziemlich marktgängig geworden. Ich habe dem nichts hinzuzufügen - außer der Tatsache: Es war diese Bundesregierung, die während unserer G-7-Präsidentschaft, während unserer EU-Präsidentschaft vor der Finanzmarktkrise, beginnend mit dem Jahr 2007, als Erste das Thema einer stärkeren Regulierung, der Einführung von Verhaltenskodexen und anderer Maßnahmen auf die Tagesordnung gesetzt hat. ({63}) Ich kann mich an meine Enttäuschung erinnern, als damals der anglo-amerikanische Sektor sowohl anderen Mitgliedern des Kabinetts - an der Spitze die Bundeskanzlerin - wie auch mir gegenüber dem bei den einschlägigen Veranstaltungen gelinde und höflich ausgedrückt sehr reserviert gegenübergestanden hat. Ich will auf weitere Vorschläge mit Blick auf das Financial Stability Forum und auf die Debatte des jüngsten Finanzministerrats, Ecofin, in Nizza nicht weiter eingehen; Sie sollten nur wissen: Da sind die ersten Schritte gemacht worden, um in Europa eine Gruppenaufsicht für grenzüberschreitende Banken- und Versicherungsgruppen einzuführen. Also: Auch im Bereich der Aufsicht geht es schrittweise voran. Ich will gar nicht ausschließen, dass am Ende dieser Entwicklung eines Tages eine europäische Aufsichtsbehörde für Wertpapiere, Versicherungen und Banken steht. Ich wage zu behaupten, dass wir in Deutschland weit stärker von der Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogen worden wären, wenn wir die Hände in den Schoß gelegt hätten und die IKB sehenden Auges in die Insolvenz hätten gehen lassen. ({64}) In den entscheidenden Situationen, wo es darum ging, darüber zu entscheiden, gab es keine ernstzunehmende Stimme, die nicht dazu geraten hat, die IKB zu retten, weil die Risiken für den gesamten deutschen Finanzmarkt zu groß gewesen wären und vor allen Dingen ausländische Akteure auf unseren Märkten nachhaltig verunsichert worden wären. Die Verstaatlichung wie in Großbritannien oder wie in den USA kam nicht infrage. Auf der anderen Seite mussten wir befürchten, dass eine Insolvenz der IKB zu gefährlichen Dominoeffekten führen würde, nicht zuletzt wegen der Verbindlichkeiten bei ihr. 25 oder 26 Milliarden Einlagen - was wäre denn im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit denen passiert? Es waren institutionelle Anleger dabei, vielleicht eine Sparkasse aus Ihrem Wahlkreis, vielleicht eine Raiffeisen-Volksbank aus Ihrem Wahlkreis, vielleicht eine gesetzliche Krankenversicherung. ({65}) - Ich meine: vielleicht in Ihrem Wahlkreis. ({66}) Das heißt, wir hätten erhebliche Auswirkungen mit Blick auf diese Verbindlichkeiten, auf die Kreditkonditionen für die Wirtschaft und auf die Refinanzierungsbedingungen für andere Institute auf breiter Front gehabt. Das alles wäre den Steuerzahler teurer zu stehen gekommen als das, was wir gemacht haben. Vor dem Hintergrund bin ich froh darüber, dass die KfW die IKB verkaufen konnte. Die beiden beteiligten Häuser, das Wirtschaftsministerium des Kollegen Glos und mein Haus, sind gern bereit, den Ausschüssen zu diesem Verkaufsvorgang weiter zu berichten. Wer das Morgen nicht bedenkt, wird Kummer haben, bevor das Heute zu Ende geht. - Das ist ein Satz von Konfuzius, den er den einzelnen Menschen mitgegeben hat, damit sie auf ihrem Lebensweg edler werden. Für den Finanz- und Wirtschaftspolitiker bedeutet diese Weisheit, dass er, wenn er zukunftsfeste Politik für sein Land machen möchte, gelegentlich über den eigenen Tellerrand hinausschauen und sich einen Eindruck davon verschaffen muss, was eigentlich um ihn herum passiert. Angesichts der beeindruckenden Dynamik, die ich bei meinen Reisen, übrigens auch unter Begleitung von Abgeordneten dieses Hauses, beobachten kann, hat sich mein Eindruck verstärkt, dass wir Zeugen einer massiven, von der Globalisierung getragenen Neuverteilung des weltweiten Wohlstands sind. Dies sagen wir den Menschen in Deutschland zu wenig und zu selten. Die Globalisierung ist irreversibel. Wir müssen sie annehmen, allerdings mit dem Anspruch, sie mit zu gestalten. ({67}) Wir können sie umso besser mit gestalten, je größer das Gewicht Deutschlands sowohl in politischer als auch in wirtschaftlicher Sicht in der internationalen Szene ist. ({68}) Ich kann mir in diesem Zusammenhang übrigens schwer vorstellen, dass das Zentralkomitee der chinesischen kommunistischen Partei von der Forderung der Linkspartei sehr beeindruckt wäre, das Rad der Globalisierung anzuhalten. Das glaube ich nicht. ({69}) Dank der Globalisierung haben inzwischen Milliarden von Menschen gerade in den Schwellenländern die Chance, sich zum ersten Mal aus eigener Kraft aus der Armut zu befreien und sich einen eigenen Wohlstand aufzubauen. Dadurch wächst der weltwirtschaftliche Kuchen. Es geht nicht darum, den bestehenden Kuchen neu zu verteilen, sondern es geht darum, diesen Kuchen größer zu machen. Für uns Deutsche bedeutet dies, dass sich uns erhebliche Chancen eröffnen. Die Zahlen in diesem Zusammenhang sind eindrucksvoll: Allein in China zählen mittlerweile 200 Millionen Menschen zur Mittelschicht. Schätzungen gehen davon aus, dass es in den nächsten zehn Jahren 700 Millionen Menschen sein werden, die eine entsprechende Kaufkraft haben werden. Auch deshalb bin ich der Meinung, dass die mittel- bis langfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft deutlich besser sind, als die Skeptiker dies täglich ausweisen. Für uns bedeuten die globalen Trends eben nicht nur steigende Preise für Rohstoffe und Energie. Aufgrund des steigenden Wohlstandes in den Schwellenländern bedeuten sie auch mehr Nachfrage nach Hochtechnologie und vor allem nach allen Verfahren und Produkten, die zu einer Entkopplung von Umwelt- und Ressourcenverbrauch auf der einen Seite und Wirtschaftswachstum auf der anderen Seite beitragen. Wer ist dort gut aufgestellt? Deutschland. Also sollten wir diese Chancen nutzen. ({70}) Voraussetzung ist, dass wir uns auf Stärken rückbesinnen, die wir über Jahrzehnte hatten, in den ostdeutschen Ländern ebenso wie in den westdeutschen Ländern. Ich meine damit den Willen, etwas aufzubauen, gründlicher und zuverlässiger zu arbeiten als andere und darüber auch den Spaß und die Freude an Neuem und an Veränderungen nicht zu verlieren. Das sind Tugenden, die uns über Jahrzehnte - wenn nicht über Jahrhunderte ausgezeichnet haben und die wir aus meiner Sicht heraus pflegen müssen, wenn wir als 80-Millionen-Volk in eiBundesminister Peer Steinbrück ner arbeitsteiligen Weltwirtschaft mit mehreren Milliarden Menschen nicht nur bestehen, sondern unseren Wohlstand halten und möglichst steigern wollen. ({71}) Was angesichts der Globalisierung, der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft und nach wie vor knapper öffentlicher Finanzen gewiss kein Zukunftsversprechen birgt, ist eine Haltung, nach der das Wachstum der Wirtschaft etwas Urwüchsiges und Automatisches zu sein scheint, von dem alle gern profitieren, allerdings ohne sich über die Voraussetzungen dazu Gedanken zu machen. Vielleicht sollte man nicht nur auf die Verteilungsseite gucken. Vielleicht sollte man auch einmal auf die Erwirtschaftungsseite schauen. Das Bild von dem Boot, in dem wir alle sitzen, ist - wie ich weiß - überstrapaziert, aber nicht falsch. Das Problem ist, dass unser Boot nicht auf einem stehenden, ruhigen Gewässer schwimmt, sondern in einer sehr dynamischen Strömung. Sobald wir aufhören zu rudern, werden wir - ob wir es wollen oder nicht - von der Strömung zurückgetrieben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass unser Boot - will sagen: unsere Gesellschaft - dabei auch Zerreißproben unterworfen werden kann. Vernünftige Antworten auf die beschriebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen sind mit Sicherheit nicht im Populismus, in einer Realitätsverweigerung, in einer internationalen Isolierung unseres Landes oder in der Flucht in die alten Kategorien des Nationalstaates zu finden. Ich sehe mir die Politikangebote der Linkspartei zu Wirtschaft und Finanzen - soweit diese überhaupt vorliegen - an. Sie haben ja kein Programm. ({72}) - Nein, das haben Sie nicht. Ich kenne kein Programm der Linkspartei. Wenn ich mir dieses Politikangebot ansehe, dann bemerke ich: Die Linke verfolgt eine antike nationalökonomische Vorstellung als Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung. Ihre protektionistischen Vorstellungen laufen für ein Land wie Deutschland, das sage und schreibe 40 Prozent seiner Wirtschaftsleistungen in Außenwirtschaftsbeziehungen generiert, auf den Verlust von Wohlstand hinaus. ({73}) In der Sozialpolitik verfolgt die Linkspartei einen Sozialstaatskonservatismus, der einerseits Millionen von Menschen nur als Opfer in einer allumfassenden Alimentation gefangen hält, der andererseits ohne erhebliche Belastungen auch und gerade einer noch solidaritätsbereiten Mittelschicht nicht zu finanzieren ist. ({74}) Die Linkspartei hat ein Menschenbild, nach dem es nur kleine, nur schwache und nur arme Menschen gibt, denen mit gigantischen Staatsprogrammen in jeder Lebenslage geholfen werden muss. Dieses Bild nimmt den Menschen ihre Würde. Dieses Menschenbild macht die Menschen zu Bittstellern, zu Abhängigen und zu Verlierern. ({75}) Die haushalts- und finanzpolitischen Positionen der Linkspartei stehen allen Bemühungen um eine Konsolidierung der Staatsfinanzen - vor allem im Interesse einer größeren Generationengerechtigkeit - diametral entgegen. Die von ihr vorgelegten finanzpolitischen Vorschläge führen zu Mehrbelastungen von über 150 Milliarden Euro. Zum Ausgleich soll, glaube ich, mal eben auch der Rentenversicherungsbeitrag auf 28 Prozent erhöht werden. ({76}) Das entspräche 60 Prozent des Gesamtvolumens des Haushaltes, den wir vorlegen. All das geht aus den Vorschlägen hervor, die mir von Ihnen bekannt geworden sind. Selbstredend ließe sich das nicht über eine noch so konfiskatorische Reichensteuer finanzieren. Nein, das liefe auf eine auch im internationalen Vergleich leistungsfeindliche Steuer- und Abgabenbelastung selbst für die untere Mittelschicht hinaus. Ich will im Rahmen dieser Rede deutlich unterstreichen, meine Damen und Herren, dass meine Partei, die SPD, nicht linkspopulistischen Vorgestrigen die Deutungshoheit über das überlässt, was zeitgemäße Politik ist. ({77}) Wir stehen für eine Politik, die gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands und den Zusammenhalt dieser Gesellschaft gewährleistet. ({78}) Folgendes unterscheidet uns fundamental von der Linkspartei: Wir wollen freie, selbstbewusste und solidarische Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Wir sehen die Menschen nicht als Opfer der Globalisierung oder eines anonymen internationalen Finanzkapitals, sondern wir sehen die Menschen als Bürger, denen bei der Bewältigung der Veränderungen so geholfen werden muss, dass sie befähigt werden, mit dem Wandel fertig zu werden. ({79}) Die Konsolidierung der Staatsfinanzen über eine solide Haushalts- und Finanzpolitik ist und bleibt das Markenzeichen der Großen Koalition. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass wir bei diesem Langlauf einen guten Zwischenstand erreicht haben. Ich bin überzeugt, dass die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten, die bisher erzielten Konsolidierungserfolge nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen; denn die Menschen wissen aus ihrem privaten Umfeld und aus ihrer privaten Erfahrung: Niemand kann auf Dauer über seine Verhältnisse leben, und niemand kann sich auf Dauer mehr leisten, als er vorher geleistet hat, und kein Unternehmen kann sich auf Dauer erfolgreich am Markt behaupten, wenn die finanziellen Spielräume für notwendige Investitionen durch immer größere Zinslasten aufgefressen werden. Es ist uns in den letzten Jahren gelungen, eine Umkehr bei der Neuverschuldung zu bewerkstelligen. Aber wie können wir sicherstellen, dass dieser Weg dauerhaft eingeschlagen bleibt? Können wir uns allein auf die Einsicht von uns selbst und von der Gesellschaft verlassen? Ich bin da skeptisch; denn wie illustre Steuerentlastungskonzepte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zeigen, müssen wir immer damit rechnen, dass ein politischer oder gesellschaftlicher Konsens durch die Mobilisierung von Partikularinteressen ausgehebelt wird. Deshalb plädiere ich dafür, dem Staat eine neue klare grundgesetzliche Regelung für seine Kreditaufnahme aufzuerlegen. Ich plädiere für die Einführung einer Schuldenbremse, indem der jetzige Art. 115 mit seinen Schwächen in den Anreiz- und Sanktionsmechanismen ersetzt wird. Ich betone, damit kein Missverständnis, insbesondere vor dem Hintergrund des Budgetrechtes des Parlamentes, aufkommt: Es geht nicht darum, das Budgetrecht des Parlamentes zu beschneiden und staatlichen Gestaltungsanspruch aufzugeben, sondern es geht im Gegenteil darum, die Handlungsfähigkeit des Staates und des Parlamentes zu steigern. Ein solches Projekt kann nur eine Große Koalition bewerkstelligen - niemand sonst. Wir können also, indem wir unsere Verantwortung für die nachfolgenden Generationen wahrnehmen, etwas leisten, auf dem diese in den nächsten Jahrzehnten aufbauen und auf das wir stolz sein können. Es sollte uns allen eine Verpflichtung sein, dieses große Projekt im Rahmen der Föderalismusreform II in dieser Legislaturperiode zu einem guten Abschluss zu bringen. ({80}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss sagen: Eine gestaltende und Zukunft gewinnende Finanzpolitik lässt sich natürlich nicht nur nach Adam Riese gestalten; sie folgt auch politischen Gestaltungsansprüchen. Aber kein Rechenwerk, auch nicht dieser Haushalt, kommt am Ende ohne Adam Riese aus. Wenn der dicke Strich unter alles gezogen wird, dann gibt es kein Ausweichen mehr. Dann gilt vielmehr: Soll oder Haben, Plus oder Minus. Dann wird das Jonglieren mit ungedeckten Schecks zur Finanzierung von Wunschlisten ziemlich schnell entzaubert. Dann erklärt sich die Finanzpolitik auch arithmetisch. Es erfüllt mich deshalb mit einer gewissen Genugtuung, dass die Bundesregierung den Kurs, ab 2011 keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, bestätigt und fortsetzt. Das ist die einzige Null, auf die wir in dieser Großen Koalition gemeinsam stolz sein sollten. ({81})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist der letzte Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode, der beraten und auch verabschiedet wird. Insofern erlauben Sie mir, nicht irgendwelche Zeitungsüberschriften zu zitieren, sondern in den Koalitionsvertrag - ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es wäre ja vielleicht doch ganz schön, wenn wir jetzt wieder zu einer geordneten Debattenstruktur zurückkehren könnten und wenn die gleiche Aufmerksamkeit, die die Regierungsbank dem Finanzminister gewidmet hat, auch dem ersten Sprecher der Opposition zugute käme. ({0}) Bitte schön, Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will jetzt nicht Zeitungsüberschriften zitieren wie der Bundesfinanzminister, sondern aus dem Koalitionsvertrag. Dort heißt es - im November 2005 von den Koalitionsfraktionen beschlossen; die CSU soll auch dabei gewesen sein -: Unsere Haushaltspolitik wird konsequent sparsam sein. … Alle Ausgaben stehen auf dem Prüfstand. … Wir brauchen einen Neuanfang in der Haushaltspolitik … Schön wäre es ja gewesen. Der Herr Vizekanzler befindet sich gerade in einem intensiven Gespräch; sonst hätte ich ihm noch ein Zitat aus der Regierungserklärung von Gerhard Schröder 1999 mit auf den Weg gegeben: Alle Ausgaben … müssen auf den Prüfstand. Der Staat muß zielgenauer und … wirtschaftlicher handeln. ({0}) Sparhaushalte wollte diese Große Koalition vorlegen; doch davon ist weit und breit nichts zu sehen. Sparhaushalt ist bei Ihnen, um es einmal sehr deutlich zu sagen: Die Ausgaben steigen kräftig, und wir nehmen weiter Schulden auf. Das nennen Sie Sparhaushalt. Das ist genau das, womit Sie uns 2009 beglücken wollen. Der Bundeshaushalt 2009 sieht weiterhin Schulden vor, und Sie steigern die Ausgaben, und zwar um 5,2 Milliarden Euro; die neuen Schulden betragen 11 Milliarden Euro und das, obwohl Sie beim Bürger ordentlich abkassiert haben, mit Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale usw. Fast jeder Bürger hat das erleiden müssen. Außerdem haben Sie durch die gute Konjunktur erhebliche Steuermehreinnahmen. Um es ganz einfach zu sagen - das kann jeder Bürger nachvollziehen -: Am Ende der Regierungszeit von RotGrün nahm der damalige sozialdemokratische Finanzminister 31 Milliarden Euro neue Schulden auf. Inzwischen haben Sie 50 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr. Da müsste doch etwas übrig sein. Aber nein, Sie nehmen weiter Schulden auf und erhöhen die Ausgaben. Da stimmt doch irgendetwas nicht; das kann doch jeder nachrechnen. ({1}) Ihr Fehler, der Fehler dieser Koalition, ist: Sie hätten sich vielleicht einmal darauf besinnen sollen, zu einem Staat der Bescheidenheit zurückzukommen und auf der Ausgabenseite zu streichen; aber das haben Sie nicht getan, sondern Jahr für Jahr neue Schulden aufgenommen. Ich will die Zahlen einmal deutlich machen: Allein für den Bundeshaushalt, 2009 einbegriffen, hat diese schwarz-rote Koalition 64 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, und Sie wollen auch im nächsten Jahr noch neue Schulden aufnehmen, ebenso im Jahr 2010. Dem sozialdemokratischen Finanzminister muss man dann doch ins Stammbuch schreiben, dass die sozialdemokratischen Finanzminister Lafontaine, Eichel und Steinbrück in zehn Jahren 280 Milliarden Euro Schulden aufgenommen haben. ({2}) Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mehrfach darauf zu sprechen gekommen - teilweise war das ja richtig -, ob das gerecht oder ungerecht war. Darauf sage ich: 280 Milliarden Schulden, ist das für die kommenden Generationen gerecht oder ungerecht? Das ist eine Hypothek, die wir aufgenommen haben. Wir alle sind verantwortlich; auch als die FDP in der Koalition war, wurden Schulden aufgenommen. ({3}) - Entschuldigung, Herr Kollege, da würde ich nicht so dazwischengrölen. Das ist eine Riesenhypothek für kommende Generationen. Nicht Sie werden das abzahlen, sondern die junge Generation durch hohe Steuern und Abgaben. ({4}) Das ist das Problem, und das ist unsere Verantwortung. Das ist eine Hypothek. Deswegen hätten wir von den vielen Schulden herunterkommen müssen. Ihnen, Herr Kollege Tauss, ist, wenn Sie nur dazwischenkrakeelen, anscheinend gar nicht bewusst, dass auch in diesem Bundeshaushalt wieder über 42 Milliarden Euro nur für Zinsen vorgesehen sind. ({5}) Das ist doch Geld, das wir anderweitig verbrauchen können. Wir brauchen nicht die Fortsetzung des Solis im Bereich Bildung; wir brauchen die Zurückführung der Schulden und die Verminderung bei den Zinsen. Dann haben wir Geld für die Bildung, und dann sind wir wieder bei Ihnen. ({6}) Das Ganze erinnert mich so ein bisschen - das würde ich gern der Kollegin Künast sagen; ich sehe sie gerade nicht - an die Sektsteuer. Die Sektsteuer wurde zur Finanzierung der kaiserlichen Marine eingeführt. Inzwischen ist die kaiserliche Marine dreimal abgesoffen; aber die Sektsteuer haben wir immer noch. So etwas bleibt; man lässt sich immer neue Ideen einfallen, so auch beim Soli. Dazu sage ich: Der Soli muss weg. Herr Minister Steinbrück, Sie sagen hier - das hört sich ja nett an -: Ich bin nicht Dagobert Duck, der die Golddukaten im Panzerschrank hat. - Die werden Sie auch nicht bekommen. Sie könnten sie bekommen, wenn Sie sparsam wären und auf der Ausgabenseite etwas machen würden. Was machen Sie und Ihre Kabinettskollegen? Sie fassen schon vorher Beschlüsse. Das Geld ist noch gar nicht da; da haben Sie es schon zwei-, dreimal ausgegeben. Deswegen werden Sie nie Dagobert Duck werden. Das ist Ihr Problem. ({7}) Herr Finanzminister, Sie haben dankenswerterweise die IKB angesprochen. Dazu sage ich Ihnen - dieser Eindruck entsteht doch beim Bürger -: Innerhalb kürzester Zeit ist dieser Staat in der Lage, eine marode Bank mit öffentlichen Geldern in Höhe von über 10 Milliarden Euro zu retten. Aber wenn es um Steuersenkungen und Rentenerhöhungen geht, dann passiert nichts. Dafür hat der Staat anscheinend kein Geld. Das geht nicht. Sie fragen: Was hätte man denn wohl gesagt, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister eine Bank verstaatlicht hätte? - Wissen Sie, was ich Ihnen darauf erwidere: Der sozialdemokratische Finanzminister hat die Bank nicht verstaatlicht, sondern öffentliche Gelder hineingeworfen und sie anschließend verschenkt. Das ist das Problem. ({8}) Denn der Vorgang im Zusammenhang mit Lone Star ist doch wie Butterbrot und Ei. Sie haben die Bank verschenkt; darüber wird noch zu reden sein. Dann ist davon gesprochen worden - das steht auch im Koalitionsvertrag -, dass alle Entscheidungen auf den Prüfstein sollen und dass es keine großen öffentlichen Zuschüsse mehr für irgendetwas geben soll. Ich sehe die Kanzlerin - ich habe das alles noch einmal nachgelesen -: Was haben Sie denn zur Finanzierung der Gesundheitsreform, der gesetzlichen Krankenversicherung gesagt? Dort soll kein Geld hineinfließen. - Wissen Sie denn, wie viel Sie jetzt in den Gesundheitsfonds hineinpulvern, wie hoch die Endsumme sein wird? Milliarden wollen Sie hineinpulvern, ohne dass Sie bis heute eine Gegenfinanzierung haben. Herr Bundesfinanzminister, Sie haben unglaublich hohe Finanzierungslücken für die kommende Zeit, und deswegen habe ich erhebliche Zweifel, dass Sie mit dieser Form der Politik das Ziel - es ist ja ehrenwert -, im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können, erreichen werden. Ich sage Ihnen allerdings: Mit unserer Politik hätten Sie bereits im letzten Jahr und auch jetzt einen ausgeglichenen Haushalt gehabt. Ich erinnere an unser Sparbuch. ({9}) Sie loben sich für bestimmte Investitionen und Ausgaben. Ich nenne zum Beispiel den Straßenverkehr. Für den Straßenbau geben Sie 1 Milliarde Euro mehr aus. Aber nur nebenbei - damit man es nicht so genau hört erwähnen Sie, dass Sie vorher wieder abkassiert haben. Was ist das für eine Finanzpolitik? Ich kassiere erst einmal ab und verteile dann. Ihr Problem ist: Es wird erst einmal bei den Bürgern ordentlich abkassiert; denn der Staat, die Regierung kann scheinbar besser mit dem Geld umgehen als der Bürger selber. Ihr Fehler ist, nicht zu erkennen: Der Bürger kann besser mit dem Geld umgehen. Das ist die entscheidende Botschaft. ({10}) Die Bundeskanzlerin sagt in ihren großen Reden immer, der Aufschwung sei bei den Menschen angekommen. Ich zitiere einmal: Es ist nicht nur ein mehrheitliches Gefühl der Bevölkerung, dass sie vom Aufschwung nicht profitiert. Es ist Realität. Trotz eines gut dreijährigen Konjunkturaufschwungs ist die reale Einkommenssituation vieler Haushalte heute schlechter als zuvor … Das ist leider wahr. Dieses Zitat stammt nicht von der FDP; es stammt aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Darum geht es: Die Politik hat dafür zu sorgen, dass die Menschen wieder Geld im Portemonnaie haben und dass nicht abkassiert, noch einmal abkassiert und noch einmal abkassiert wird. Herr Bundesfinanzminister, Sie sagen - Sie haben es wieder angedeutet -: Was hat die Opposition denn für Vorschläge? Die hat ja gar keine Ahnung. - Ich nenne Ihnen zwei Beispiele aus der Vergangenheit und ein ganz aktuelles - ich hatte es eben schon erwähnt -: die IKB. Die Freien Demokraten waren massiv dagegen, dass die KfW bei der IKB einsteigt. Was sind wir für unsere Argumente beschimpft und belächelt worden! Jetzt ist die Pleite da. Sie hätten zumindest einmal in einem kleinen Schlenker sagen können: Es tut mir leid, die FDP hatte damals doch recht. ({11}) Ein anderes Beispiel: die Privatisierung der Bundesdruckerei. Wie oft haben wir gesagt: Es ist Mist, was der Eichel dort mit der Privatisierung macht. - Was machen Sie jetzt? Jetzt nimmt der Staat alles zurück und setzt zulasten des Steuerzahlers wahrscheinlich 500 Millionen Euro dafür ein. ({12}) Ich nenne einen dritten Punkt - er ist aktuell -: Herr Bundesfinanzminister, Sie hätten eigentlich sagen können: Die Idee meines Kollegen, des Wirtschaftsministers Glos, dass jeder, der einen Kühlschrank kauft, 150 Euro aus der Staatskasse bekommt, hört sich zwar nett an, ist aber - es tut mir leid - Unsinn. Warum sagen Sie nicht: „Das ist Unsinn; das können wir aus dem Bundeshaushalt nicht bezahlen“? Sie halten den Mund; Sie sagen dazu überhaupt nichts. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich komme gleich zum Schluss. - Sie haben zwar blaue Briefe verschickt, doch nichts ist daraus geworden. Sie haben eine Riesensteigerung im Bundeshaushalt. Deswegen sage ich Ihnen: Der Bundeshaushalt 2009 ist gekennzeichnet durch fehlenden Ehrgeiz bei der Haushaltskonsolidierung. Sie machen neue Schulden. Alle Prognosen, die Sie abgeben, beruhen auf einer guten konjunkturellen Entwicklung. Ich hoffe zwar, dass die gute konjunkturelle Entwicklung anhält, warne aber davor, sich darauf zu verlassen. Ich sage Ihnen Folgendes: Ein ausgeglichener Haushalt im Jahr 2011 ist bereits Vergangenheit, bevor er Gegenwart werden kann. Herzlichen Dank. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Meister (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002733, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist ganz gut, noch einmal zum Ausgangspunkt dieser Wahlperiode zurückzugehen. Als wir begonnen haben, war ein Viertel unserer Staatsausgaben nicht durch geordnete Einnahmen finanziert. Das heißt, dieses Land war ein Sanierungsfall, es war total unterfinanziert. ({0}) Wir sollten vielleicht einmal ehrlich und ernsthaft eingestehen, dass wir über 40 Jahre deutlich über unsere Verhältnisse gelebt haben. Einen Kurs, mit dem dieser Zustand beendet werden soll, sollten wir nicht sofort wieder durch Begriffe wie „Abkassieren“ und „Abgreifen“ diskreditieren. ({1}) Wir sollten uns zu dem Ziel bekennen, endlich keinen unterfinanzierten Staat mehr haben zu wollen. Lieber Herr Kollege Koppelin, Ihre Rede schien mir eine Rede aus der Epoche der vergangenen 40 Jahren zu sein. Das war keine Rede, die in die heutige Zeit passt, in der wir ernsthaft darum ringen, dauerhaft strukturell ausgeglichene Haushalte in Deutschland zu haben. Da wollen wir hin. Das wollen wir auf Dauer festhalten. Wenn wir uns darüber einig sind, dann können wir darüber diskutieren, welche Maßnahmen ergriffen werden sollten, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu hätte ich einen Beitrag erwartet und nicht einen Beitrag zur Debatte der vergangenen 40 Jahre. ({2}) Ich möchte hier ganz klar und deutlich sagen: Trotz aller Meldungen, die es geben mag, stehen wir zu dem Ziel, den Haushalt in 2011 ausgleichen zu wollen. Wenn Gewitterwolken aufziehen, müssen wir uns eben wetterfest machen, um das Ziel trotzdem erreichen zu können. Sanierung ist für uns kein Selbstzweck. Sanierung ist für uns Aufgabe einer generationengerechten Politik. ({3}) Wir dürfen nicht heute auf Kosten künftiger Generationen leben. Wir dürfen künftige Generationen nicht die Schulden und die Zinsen für das, was wir heute tun, zahlen lassen. Der Sanierungskurs ist ein Angebot an uns alle; denn nur wenn wir heute keine Schulden machen, haben wir als Abgeordnete morgen einen Spielraum für vernünftige Entscheidungen. Deshalb ist der Sanierungskurs kein Selbstzweck, sondern politisch sinnvoll. Nur so ist es uns auch in Zukunft möglich, Politik zu gestalten. Deshalb wollen wir sanieren. ({4}) Sanierung ist auch die Voraussetzung für eine nachhaltige Entlastung der Menschen in unserem Land, worüber so viele reden; denn durch Sanierung schaffen wir Spielräume für Erleichterungen bei Steuern und Abgaben. Ich sage eindeutig: Die Union will mittelfristig eine Entlastung der Menschen, insbesondere der Leistungsträger. Deswegen wollen wir jetzt sanieren. Wir wollen die Voraussetzung für eine nicht schuldenfinanzierte, sondern haushalterisch solide gestaltete Entlastung schaffen. Der Dreiklang unserer Politik lautet: Wir wollen sanieren, wir wollen reformieren, und wir wollen investieren. Mit diesem Haushalt halten wir an diesem Kurs fest. Wenn wir über diese drei Positionen debattieren, werden wir immer wieder mit dem Anspruch einer gestaltenden Finanzpolitik konfrontiert, den auch der Herr Bundesfinanzminister heute Morgen hier formuliert hat. Als Mathematiker bin ich an dieser Stelle etwas bescheidener. Mir reicht es aus, wenn wir es schaffen, quantitativ und qualitativ ordentliche Haushalte vorzulegen. Als Finanzpolitiker bin ich dann gerne bereit, auf diesen Gestaltungsanspruch zu verzichten. Nach meiner Einschätzung hat er nämlich dazu geführt, dass wir hinsichtlich der Konsolidierung noch nicht ganz so weit sind, wie wir vielleicht hätten sein können, und das vor dem Hintergrund einer Eintrübung der konjunkturellen Rahmenbedingungen. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass wir nicht den Gestaltungsanspruch, sondern den Konsolidierungsanspruch stärker zum Ausdruck bringen. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass es heute Morgen eine ganze Reihe von Hinweisen auf den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt gab. Herr Bundesfinanzminister, mir haben diese Hinweise ausgesprochen gefallen. Ich sage Ihnen für die Unionsfraktion hier zu, dass wir nicht nur bei der Aufforderung, die strukturellen Reformen, die wir bewerkstelligt haben, umzusetzen, sondern auch bei dem Anspruch, diese strukturellen Reformen in den nächsten zwölf Monaten weiter zu betreiben, fest und ganz an Ihrer Seite stehen. Wir hoffen, dass die Koalition insgesamt das, was Sie hier als Anspruch formuliert haben, umsetzt. Denn ich glaube, die strukturellen Rahmenbedingungen haben uns in die Lage versetzt, dass die Gewitterwolken uns nicht allzu sehr beeindrucken. Deshalb müssen wir bei den strukturellen Verbesserungen weiterarbeiten. ({5}) Wenn ich über Strukturen rede, denke ich an Bürokratieabbau. Da haben wir uns klare Ziele vorgegeben. Wir sollten uns an diesen klaren Zielen messen lassen. Eine große Herausforderung ist nach meiner Einschätzung die Energiepolitik. Meine Fraktion hat die klare Ansage gemacht - Sie haben das heute Morgen beschrieben, Herr Steinbrück -, dass wir keinen Zuwachs an Belastungen in Form von Steuern auf Energie wollen. Insgesamt wollen wir keine staatliche Induzierung von höheren Kosten für Energie. Wir wollen, dass der Staat den Bürger bei den Energiepreisen in Zukunft nicht noch mehr belastet. Dieser Anspruch geht weit über den Bereich der Steuern hinaus. Wenn wir diesen Anspruch mit unseren klimapolitischen Zielen - Ausbau regenerativer Energien, Reduzierung der CO2-Emissionen - ernsthaft verbinden wollen, dann wird es notwendig sein, dass wir im Sinne unserer Fraktionsbeschlüsse in Bezug auf die Energiepreise den Menschen ein Stück weit Entlastung verschaffen, sodass die künftig auftretenden Belastungen nicht in ihrem Geldbeutel zu spüren sind. Dafür haben wir Vorschläge gemacht. Ich hoffe und wünsche, dass diese Vorschläge breite Unterstützung finden. ({6}) Wir haben im strukturellen Bereich einen weiteren Punkt: die Lohnnebenkosten. Wir haben immer gesagt: 40 Prozent ist aus unserer Sicht ein Ziel, das wir ansteuern wollen. Zu dem Zeitpunkt hat sich die Diskussion weniger auf die zweite Nachkommastelle bezogen als vielmehr auf die Größenordnung insgesamt. Denn wir waren aufgrund der demografischen und anderer Entwicklungen 2 oder 3 Prozent von diesem Ziel entfernt, und es gab die Tendenz, dass es dort in Zukunft zu weiteren Steigerungen hätte kommen können. Wir haben es in dieser Koalition zunächst einmal geschafft, auf etwa 40 Prozent zu kommen. Die Aufgabe bei den Entscheidungen zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt wird jetzt sein, dafür zu sorgen, bei den 40 Prozent zu bleiben und die Weichen langfristig so zu stellen, dass sich dieser Wert nicht wieder nach oben entwickelt. ({7}) Deshalb ist der Anspruch, den wir beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesetzt haben, richtig: Wir wollen die Chance nutzen, auf 2,8 Prozent zu gehen, um damit insgesamt mehr Chancen für Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen. ({8}) Deshalb wollen wir uns diesem Ziel stellen. Lieber Herr Kuhn, wir nehmen die Hinweise, dass dies ein ehrgeiziges Ziel ist, sehr ernst. Aber wenn es ein ehrgeiziges Ziel ist, dann sollten wir uns dadurch herausgefordert fühlen, erstens zu sagen, dass wir es wollen, zweitens Akteure in diesem Bereich dadurch unter einen gewissen Erfolgsdruck zu setzen und drittens diesen Akteuren Rückhalt aus der Politik zu geben, damit sie durch Veränderungen in ihrem Bereich vielleicht dazu beitragen, dass diese 2,8 Prozent solide und nachhaltig finanziert sind. Darum werben wir. Deshalb werden wir als Unionsfraktion dies nicht nur fordern, sondern auch deutlich machen, dass wir hinter dieser Forderung und den damit verbundenen Konsequenzen stehen und dies vertreten. ({9}) Ich will deutlich machen, dass wir alles unterlassen sollten, was den ersten Arbeitsmarkt stört. Wir können sehr stolz sein auf das, was dort in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Ich denke an den Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Wir müssen jetzt alles unterlassen, was dies zerstört. Deshalb bin ich der Meinung, dass unsere Position richtig ist: kein gesetzlich verordneter Mindestlohn. Denn dieser würde dazu führen, dass Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt verloren geht. ({10}) Er würde auch dazu führen, dass uns Einnahmen verloren gehen und Ausgaben aufwachsen. Deshalb ist das eine wichtige Frage, über die wir an dieser Stelle miteinander reden müssen. ({11}) - Ich glaube, dass der Aufbauerfolg, wenn er nachhaltig sein soll, liebe Frau Kollegin, auch darin zu sehen ist, dass die Menschen eine Perspektive im ersten Arbeitsmarkt geboten bekommen. ({12}) Ich will daran anknüpfen und darauf hinweisen, dass wir gerade dabei sind - auch dieses Stichwort ist heute Morgen gefallen -, zu überlegen, wo noch Potenziale stecken. Ich glaube, im ersten Arbeitsmarkt stecken noch Potenziale im Bereich der Privathaushalte als Arbeitgeber, und zwar sowohl bei der Betreuung von Kindern als auch bei der Versorgung von älteren Menschen, die pflegebedürftig sind, im eigenen Wohnumfeld. Es ist eine menschliche Herausforderung, hier andere Rahmenbedingungen zu schaffen. Allerdings muss ich auch feststellen, dass es hier sehr viele Arbeitsplätze gibt, die im grauen Bereich anzusiedeln sind. Das dürfen wir nicht nur zur Kenntnis nehmen. Vielmehr muss unser Anliegen sein, diese Arbeitsplätze, die nachgefragt werden, in den legalen bzw. den weißen Bereich zu überführen. In diesem Bereich gibt es, was den Aufwuchs von Arbeitsplätzen betrifft, noch Potenzial. Hierfür müssen wir die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Dieser Aufgabe sollten wir uns dringend zuwenden. ({13}) Im Hinblick auf die Familien dürfen wir keinen Gegensatz schaffen, wenn es um die Frage geht: Wollen wir mehr Betreuung, oder wollen wir eine bessere finanzielle Ausstattung der Familien? ({14}) Ich denke, das ist die falsche Alternative. ({15}) Wir wollen beides. Im vergangenen Jahr haben wir die Voraussetzungen für den Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffen. Jetzt werden wir in gemeinsamer Verantwortung mit den Kommunen die notwendigen Voraussetzungen für die Vernetzung der Betreuungsangebote schaffen. Allerdings müssen wir auch unsere Aufgabe wahrnehmen, die Familien finanziell so auszustatten, dass sie die Herausforderungen der Zeit bewältigen können. In diesem Zusammenhang lauten die Stichworte Kindergrundfreibetrag und Kindergeld. ({16}) Diese Maßnahmen wollen wir trotz aller Probleme umsetzen. ({17}) Ich habe bereits gesagt, dass es nicht nur um die Quantität, sondern auch um die Qualität geht. Im Hinblick auf die Qualität stellt sich die Frage: Was tun wir, um in Zukunft ohne Steuererhöhungen Mehreinnahmen zu akquirieren? Um das zu schaffen, müssen wir die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in unserem Lande verbessern. Es ist richtig - davon bin ich fest überzeugt -, dass wir in diesem Haushalt das Lissabon-Ziel, 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben, umsetzen. ({18}) Das hat zwar Mehrausgaben zur Folge, ist aus meiner Sicht aber richtig. ({19}) - Natürlich tun wir das. Wir haben in diesem Haushalt rund 11 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung bereitgestellt. Im kommenden Jahr packen wir noch eine knappe halbe Milliarde Euro obendrauf. ({20}) Wir steuern dieses Ziel an, und im Jahre 2010 werden wir es erreichen. ({21}) - Ja, natürlich. Jetzt geht es um den Haushalt 2009. Im Jahre 2010 wird der Bund den Anteil, für den er verantwortlich ist, zur Verfügung stellen. Um das Ziel von 3,0 Prozent des BIP zu erreichen, brauchen wir natürlich auch die Länder und die Akteure in der Wirtschaft. Wir können Forschung nicht staatlich verordnen. Wir können nur die Voraussetzungen schaffen. Daher brauchen wir an dieser Stelle die Mitwirkung der privaten Akteure. Meine letzte Bemerkung. Wir sollten auch die Mittel für Verkehrsinvestitionen weiter erhöhen; denn Mobilität ist eine zwingende Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung. Es ist richtig, dass wir, obwohl wir das Ziel der Haushaltssanierung verfolgen, an dieser Stelle einen Akzent setzen, um mehr Investitionen in die Verkehrswege zu ermöglichen. Vielen Dank, meine Damen und Herren. ({22})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurt Beck hatte seiner Partei ein ehrgeiziges Ziel verordnet: „Nah bei den Menschen“. Doch wie er feststellen musste, befand er sich nicht unter Gleichgesinnten, sondern in einem Wolfsrudel. Wir, die Linke, sind wirklich nah bei den Menschen. ({0}) Wir kennen und unterstützen die Forderungen der Menschen. ({1}) Herr Steinbrück, natürlich haben wir ein Programm; das wissen Sie so gut wie wir alle. ({2}) Zur allgemeinen Information sage ich: In Deutschland gibt es ein Parteiengesetz, das vorschreibt, dass eine Partei nur dann als solche zugelassen werden darf, wenn sie ein Programm hat. Das gilt natürlich auch für uns. ({3}) - Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen unser Programm nicht passt, ist ein anderes Thema. Das haben wir bereits erkannt. ({4}) Natürlich waren wir nicht überrascht, von Ihnen wieder einmal den billigen Vorwurf des Populismus zu hören. Ich sage Ihnen ganz klar: Von Leuten, die sich mit großer Arroganz über den Willen von Millionen Menschen hinwegsetzen, die gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Krieg in Afghanistan führen und gegen den erklärten Willen der Mehrheit die Rente mit 67 eingeführt haben, lasse ich mir keinen Populismus vorwerfen. ({5}) Die Linke gibt vielen Menschen wieder eine Stimme, die jahrelang von den anderen Parteien nicht beachtet wurden. Wenn wir heute den Entwurf des Bundeshaushalts 2009 betrachten, müssen wir die Frage stellen, ob dieser Haushaltsentwurf wirklich nahe bei den Problemen der Menschen ist und welchen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit er wirklich leistet. Was Sie hier über die Situation am Arbeitsmarkt erzählt haben, Herr Steinbrück, geht am Leben völlig vorbei. Über die Verfälschung der Arbeitslosenstatistik werden wir am Donnerstag beim betreffenden Haushalt noch im Detail sprechen. Vielleicht nur eine Position, die uns alle zum Nachdenken veranlassen sollte: In den vergangenen zehn Jahren wurden anderthalb Millionen normale Arbeitsverhältnisse in Deutschland abgebaut. Im gleichen Zeitraum sind aus zweieinhalb Millionen prekären Arbeitsverhältnissen fast 8 Millionen geworden. Was heißt denn das? Das heißt übersetzt, dass Menschen in unsicheren Verhältnissen leben, dass sie von Miniund Midijobs leben müssen, dass sie einen Lohn erhalten, von dem sie ihr Leben nicht bestreiten können. Wenn das Ihre Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind, dann werden Sie meines Erachtens in der Bevölkerung dafür keine Unterstützung finden. ({6}) In den nächsten Tagen werden wir noch sehr intensiv über die Nettoneuverschuldung diskutieren. Jeder hat eine andere Zahl im Kopf. Der Ehrgeiz wird sein, sie einstellig zu bekommen; das haben wir schon erkannt. Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wir müssten heute schon keine neuen Kredite aufnehmen, wenn Sie nicht in den vergangenen Jahren Milliarden an Unternehmen und Wohlhabende verschenkt hätten. Allein durch die letzte Unternehmensteuerreform fehlen uns etwa 10 Milliarden Euro in den öffentlichen Kassen. ({7}) Die Rettung der privaten Industrie- und Kreditbank IKB kostet uns allen zusätzlich 10 Milliarden Euro. Wegen der Steuergeschenke von Hans Eichel an Unternehmen und Wohlhabende fehlen uns weitere 50 Milliarden Euro. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Es zeigt sich: Die Regierung verfährt nach einem ganz simplen Muster: Sie verteilt von unten nach oben, rechnet sich arm, um dann zu erklären, dass es an die Bedürftigen nichts mehr zu verteilen gebe. Das ist eine Politik, die meines Erachtens verlogen ist. Darüber muss man immer wieder aufklären. ({8}) Natürlich ist es sinnvoll, einen Kredit aufzunehmen, um eine Schule oder eine Universität zu bauen. Verantwortungslos ist es allerdings, einen Kredit aufzunehmen, um in Afghanistan oder anderswo in der Welt Waffen auszuprobieren. ({9}) Kredite, die wir heute aufnehmen, um die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu sichern, sind wichtig und notwendig. Deshalb fordert die Linke gerade in Zeiten des konjunkturellen Abschwungs ein Zukunftsinvestitionsprogramm. ({10}) Kredite, mit denen veraltete Raketen wie die PARS 3 - Stückpreis 1,3 Millionen Euro - finanziert werden, sind dagegen herausgeschmissenes Geld. Davon werden unsere Kinder und Enkel nichts haben. ({11}) Wir müssen heute in die Zukunft unserer Kinder investieren. Wer das nicht versteht, der setzt die Zukunft der nächsten Generation aufs Spiel. Ich darf daran erinnern, dass natürlich schon unsere Vorfahren Kredite aufgenommen haben, zum Beispiel damit in unserem Land eines der modernsten und leistungsfähigsten Eisenbahnnetze der Welt entstehen konnte. Das waren Investitionen in die Zukunft, von denen wir noch heute profitieren. Allerdings konnten unsere Vorfahren nicht ahnen, dass CDU/CSU und SPD dieses Kapital eines Tages verscherbeln wollen. Bismarck würde sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, wie seine Nachfolger mit der Bahn umgehen. ({12}) Lieber Herr Kollege Fromme, liebe Kollegen von der CDU, ich empfehle Ihnen, sich nicht nur mit Adenauer zu beschäftigen, sondern auch mit Bismarck. Von ihm könnten Sie auch etwas über die Bedeutung eines guten Verhältnisses zwischen Russland und Deutschland lernen. ({13}) Doch in dieser Frage konsultiert die Kanzlerin lieber George Bush und nimmt die Zerschlagung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland billigend in Kauf. Die „New York Times“ berichtete am 8. September aus dem Wahlkreis von Frau Merkel unter der Überschrift: Es ist die Ökonomie und nicht Russland, was den Deutschen Sorgen macht. - Ich denke, das hat diese Zeitung gut beobachtet. Viele Bürger sehen in den Nachrichten die Kanzlerin und den Kanzlerkandidaten um die Welt reisen und fragen sich: Was wird eigentlich aus uns? In der „Süddeutschen Zeitung“ las ich die Überschrift „Gutverdiener schultern den Haushalt“. Das hat Herr Steinbrück mit anderen Worten auch gesagt. Damit wird der falsche Eindruck vermittelt, dass der Haushalt ausschließlich aus der Lohn- und Einkommensteuer gespeist wird. Doch schon durch die Zahlen des Finanzministeriums wird uns gezeigt, dass weit mehr Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Energiesteuer als aus der Lohn- und Einkommensteuer erwartet werden. Es ist also eine völlig unzulässige Verkürzung, zu behaupten, dass die Besserverdienenden den Haushalt tragen; denn Mehrwert- und Energiesteuer müssen wir alle zahlen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal alle Bürgerinnen und Bürger an die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und den größten Wahlbetrug erinnern. Die SPD erklärte, sie wolle die Mehrwertsteuererhöhung auf keinen Fall mitmachen, und die CDU/CSU kündigte eine Erhöhung um 2 Prozent an. Wir alle wissen, dass 3 Prozent herausgekommen sind. Diese Koalition, die die Wähler 2005 so betrogen hat, erklärt, dass sie nach der Bundestagswahl 2009 - die Große Koalition ist augenscheinlich auf Dauer geplant - die Steuern senken will. Wer soll das noch glauben? ({14}) Die EU-Finanzminister haben in den letzten Tagen einen alten Vorschlag der Linken aufgegriffen, nämlich arbeitsintensive Dienstleistungen wie Reparaturarbeiten, nur mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz zu belasten. Herr Steinbrück hat diesen Vorschlag natürlich umgehend zurückgewiesen, weil Steuersenkungen angeblich keine Auswirkungen auf die Preise hätten. Herr Steinbrück, erstaunlich ist aber, dass im letzten Jahr der Mehrwertsteuersatz für Seilbahnfahrten auf Wunsch der CSU reduziert wurde, ohne dass ich lauten Protest von Ihnen gehört habe. ({15}) - Ja, für Seilbahnfahrten. Das sollte sich jeder Bürger einmal durch den Kopf gehen lassen. - Wir als Linke fordern den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 ProDr. Gesine Lötzsch zent nicht nur für arbeitsintensive Dienstleistungen, sondern auch für Medikamente und Bedarfsartikel für Kinder. ({16}) Ich habe schon unterstrichen, dass wir ein Investitionsprogramm fordern, mit dem die Zukunft der nächsten Generation gesichert wird. Es geht aber nicht nur um die Zukunft, sondern auch um die Gegenwart. Darum möchte ich an dieser Stelle unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, von dem die Menschen in Würde leben können, noch einmal ausdrücklich unterstreichen. ({17}) Herr Steinbrück, dieser Mindestlohn hätte auch noch den schönen Nebeneffekt, dass die öffentlichen Haushalte entlastet würden. Allein für die Einkommensaufstocker - das sind Menschen, die von ihren Löhnen nicht leben können und deshalb staatliche Hilfen benötigen - wurden im letzten Jahr 9 Milliarden Euro ausgegeben. Damit wird der Staat immer mehr zur zentralen Lohnauszahlstelle für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter miserabel bezahlen. Diese dauerhafte Subventionierung von Unternehmen hat doch nun wirklich nichts mit Marktwirtschaft zu tun. Das ist reiner Staatsdirigismus. ({18}) Wir fordern eine Aufstockung des Arbeitslosengeldes II, des Mindestelterngeldes und des Kindergeldes. Die Bundesregierung will jetzt monatlich 10 Euro mehr Kindergeld bezahlen. Das ist nicht einmal der Inflationsausgleich. Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon einige Vorschläge für mehr Steuergerechtigkeit und mehr Einnahmen benannt. Abschließend kann ich Ihnen noch Beispiele dafür nennen, wo wir im Haushalt kräftig sparen können. Es ist aus meiner Sicht wirklich erstaunlich, wie sorgfältig die Koalitionsfraktionen die Wunschliste der Rüstungslobbyisten abarbeiten. ({19}) Ich will nicht alle nutzlosen Rüstungsprojekte benennen. Doch denken Sie einfach einmal darüber nach: Großbritannien möchte den Eurofighter nicht mehr; wir wollen ihn weiter finanzieren. ({20}) Ich glaube, wir sollten uns ab und zu auch einmal bei unseren europäischen Nachbarn umschauen. Mit dem Haushaltsentwurf 2009 sind Sie weit von den Problemen der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der Familien und der Rentner entfernt. Sie sind nicht nahe bei den Menschen; Sie sind nahe bei den Wirtschaftsund Rüstungslobbyisten. Der einzige, der mir wirklich nahe bei den Menschen zu sein scheint, ist Herr Schäuble - mit seinen Kameras, Mikrofonen, Trojanern und Spürhunden. Das war mit „nahe bei den Menschen“ aber wohl nicht gemeint. Vielen Dank. ({21})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Joachim Poß von der SPD-Fraktion ist der nächste Redner. ({0})

Joachim Poß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001740, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen von der Opposition zwei sehr unterschiedliche Reden gehört. Die eine Rede war von Herrn Koppelin, also dem klassischen Vertreter des Raubtierkapitalismus. ({0}) - Herr Koppelin, Sie sind doch stolz darauf, dass Ihre Partei als einzige reinrassig für unbeschränkte Marktwirtschaft eintritt. Sie haben doch gegen jeden Vorschlag gewettert, der eine Regulierung der Finanzmärkte oder eine leistungsgerechte Finanzierung des Gemeinwesens bedeutet. Das ist nun einmal Ihr Profil. Inzwischen müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Ereignisse über Sie hinweggehen und Sie nicht mehr mitkommen. ({1}) Insofern hat der Kollege Meister recht: Über Sie ist die Zeit hinweggegangen, Herr Koppelin. Ich habe den Eindruck, das gilt für die ganze FDP. Das zeigt Ihr Beitrag zur Haushaltsdiskussion. ({2}) Die andere Rede war von einer Vertreterin der Ideologen der Verstaatlichung, die auch keine zeitgemäßen Antworten auf die Probleme und Herausforderungen haben, mit denen wir es zu tun haben. Ich finde das sehr informativ. Ich fürchte die Auseinandersetzung mit Vertretern dieser Geistesrichtung überhaupt nicht; denn sie gehen an den Realitäten vorbei. ({3}) Sie spielen in einer virtuellen Realität und können deswegen den Menschen keine realitätstüchtigen Antworten geben. Die Menschen in unserem Land können diese aber verlangen. Die Sozialdemokratie steht dafür, diese Antworten zu geben. ({4}) Frau Lötzsch, Ihre eigentliche Stärke ist die vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit. ({5}) Sie bringen nicht einmal Halbwahrheiten. In Deutschland gibt es Probleme, auch mit der Armut. Aber wir le18560 ben nicht in einem „Elendsquartier“. Diese Behauptung ist eine Beleidigung für alle Bürgerinnen und Bürger, die hier leben und arbeiten. ({6}) Ihre Täuschungen lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Die Wahrheit über die Steuerpolitik der rot-grünen Regierungszeit, die auch von Hans Eichel zu verantworten ist, ist, dass wir im Wesentlichen fast 60 Milliarden Euro - das kann zahlenmäßig belegt werden - für die steuerliche Entlastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Familien mit Kindern und den wirtschaftlichen Mittelstand ausgegeben haben. Die steuerliche Belastung im Jahre 2008 ist für Alleinstehende wie für Familien mit Kindern wesentlich niedriger als noch im Jahre 1998. Sagen Sie das einmal der Bevölkerung; denn das sind die Fakten, mit denen wir es zu tun haben. ({7}) Ich sage nicht, dass angesichts sicherlich mancher Belastung, die auf der anderen Seite hinzugetreten ist, an dieser Stelle nicht noch mehr getan werden muss. Aber wir müssen nun einmal von Zahlen und Fakten ausgehen. Das gilt genauso für die Neuverschuldung. Die Frage, die heute gestellt worden ist, ist: Haben wir richtig konsolidiert? Hier ist heute der Vorwurf gemacht worden, wir hätten im Aufschwung nicht richtig konsolidiert. Dieser Vorwurf ist falsch. Ein Haushalt besteht immer aus mehr als nur der Nettokreditaufnahme. Wir finanzieren mit dem Haushalt 2009 zum Beispiel wichtige gesellschaftspolitische Fortschritte, für die vor allem wir Sozialdemokraten uns eingesetzt haben; ({8}) das sind keine Wahlgeschenke, wie manche Kommentatoren schreiben. Damit meine ich etwa die umfangreichen Verbesserungen beim Wohngeld. Zum ersten Mal seit 2001 wurde die Höhe des Wohngelds an die gestiegenen Kosten angepasst. Künftig wird es zudem eine bessere Berücksichtigung der Heiz- und Energiekosten geben. Weiter sind im Haushalt Verbesserungen beim BAföG oder auch die Ausweitung des Kinderzuschlages vorgesehen. Das sind gesellschaftspolitisch ganz wichtige Punkte. ({9}) Wer behauptet, wir würden nicht sparen, der soll sagen, ob er diese Verbesserungen streichen will. ({10}) Damit richte ich mich an die FDP und die Grünen. Sie müssen konkret erklären, ob sie die Verbesserungen, die wir durchgesetzt haben, wieder streichen wollen. ({11}) Mehr sparen hieße, auf diese sozialen Verbesserungen zu verzichten. Angesichts der aktuellen konjunkturellen Entwicklung wäre das zudem gänzlich kontraproduktiv. Der Bundesfinanzminister hat in einer, wie ich finde, ungewöhnlich informativen Rede über weitere Entlastungen gesprochen. ({12}) - Herr Koppelin, ich habe von einer „ungewöhnlich informativen Rede“ gesprochen, weil es selten die Gelegenheit gibt, in etwas mehr als einer Stunde die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge so darzustellen, wie es heute Morgen Herr Steinbrück sehr gekonnt gemacht hat. Ich fand das sehr beeindruckend. ({13}) - Mein Eindruck ist, dass Sie diese Information nötiger haben als die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion. ({14}) Im Haushalt ist auch zusätzlich 1 Milliarde Euro für Familien mit Kindern vorgesehen. Nach Vorlage des Existenzminimumberichts in ein paar Wochen werden wir in der Koalition entscheiden, wie die Mittel am besten einzusetzen sind. In diesem Kontext muss auch die Bildung angesprochen werden. Der Bund hat im Bildungsbereich nur wenige Kompetenzen. ({15}) Hier sind dem Einsatz von Bundesmitteln Grenzen gesetzt. Der Erfolg der Bildungsoffensive, von der zu Recht so oft die Rede ist, steht und fällt daher mit dem finanziellen Einsatz der Länder. Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, warum auch Ländervertreter offensichtlich bereit sind, ein Auslaufen der Erbschaftsteuer 2009 hinzunehmen oder sogar darauf hinzuarbeiten. Wie wollen Sie Bildung und Betreuung finanzieren, wenn den Ländern die derzeit 4 Milliarden Euro aus dem Erbschaftsteueraufkommen nicht mehr zur Verfügung stehen? ({16}) Ich kann die Vertreter der bayerischen CSU wie auch Herrn Rüttgers - den Sozialapostel aus Nordrhein-Westfalen, der für das Auslaufen der Erbschaftsteuer plädiert hat - nicht verstehen, die ohne Rücksicht auf ihre eigenen Länder ausschließlich im Interesse von Millionenund Milliardenerben agieren. Das ist die Wahrheit. Alle anderen Erben haben mit der Erbschaftsteuer nicht mehr viel zu tun. Die SPD erwartet daher, dass es bei der klaren Zusage von Frau Merkel und Herrn Kauder bleibt, in der Union dafür zu sorgen, dass unmittelbar nach der Landstagswahl in Bayern die Erbschaftsteuerreform in trockene Tücher kommt, und zwar verfassungsfest. ({17}) Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines vorgelegten Bundeshaushaltes ist die Frage, ob er angemessen auf die aktuelle konjunkturelle Situation eingestellt ist. Zur konjunkturellen Entwicklung hat Peer Steinbrück heute, wie ich finde, ausreichend Stellung genommen. Er hat auch nicht verschwiegen, dass die Entwicklungen im Bankensektor in den USA bedrohlich sind, ({18}) und festgestellt, dass die Kombination aus der inzwischen über ein Jahr währenden Krise an den internationalen Finanzmärkten und den kräftig gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen für die Unternehmen wie für die Menschen weltweit eine große Herausforderung darstellt. Aber auch wenn in diesem Quartal das Wachstum noch einmal ein Minus aufweisen sollte und man vielleicht technisch von einer Rezession sprechen könnte, wäre es nicht verantwortungsvoll von der Politik - egal ob in einer Regierungsfraktion oder der Opposition -, die Lage schwarzzumalen und sozusagen politisch zu missbrauchen, indem eine Rezession herbeigeredet wird, die wir nicht haben - das zeigen auch die Wachstumszahlen - und angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sehr wahrscheinlich auch im nächsten Jahr nicht haben werden. Meine herzliche Bitte ist, dass Sie der Verantwortung in diesem Land gerecht werden. Ich habe die Ausführungen von Herrn Westerwelle und anderen, die zu diesem Thema geredet haben, verfolgt. Das ist nicht hinzunehmen. Wir sägen damit höchstens den Ast ab, auf dem wir alle sitzen. Weil wir so gut aufgestellt sind, haben wir die Chance, mit dieser Krise fertigzuwerden, vielleicht sogar besser als mit dem Crash, den wir 2001 erlebt haben. Wir haben diese Chance auch als Ergebnis der Regierungspolitik. Damit meine ich die Regierungspolitik nicht nur der Großen Koalition, sondern auch der rotgrünen Regierungskoalition. Das sollten Sie bei Ihren Beiträgen, auch wenn Sie sich inzwischen in der Opposition befinden, Herr Kuhn, nicht ganz vergessen. Danke schön. ({19})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Alexander Bonde ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Alexander Bonde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003509, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute mit dem Bundeshaushalt 2009 das letzte Machwerk der Großen Koalition, ({0}) und wir sprechen mit dem Finanzplan, der heute zur Diskussion steht, über ein Versprechen, das der Finanzminister und die Koalition in den Raum stellen, nämlich im Jahr 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Im Sommer ist der Finanzminister hauptsächlich dadurch aufgefallen, dass er erklärt hat, die Lage der SPD sei beunruhigender als die des Haushaltes. Das konnte man zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehen. Aber inzwischen ist die Konsolidierung der SPD deutlich weiter vorangeschritten als die des Bundeshaushaltes, über den wir heute in erster Lesung diskutieren. Sie sind mit großen Chancen und Versprechungen gestartet und Sie stehen 2009 vor spannenden Herausforderungen. Sie kalkulieren 2009 mit zusätzlichen jährlichen Steuereinnahmen in Höhe von 58,5 Milliarden Euro im Vergleich zu 2005, als Sie die Regierung übernommen haben. Genauso entwickeln sich aber auch die Ausgaben. So kommt es dazu, dass die Nettoneuverschuldung trotz 58,5 Milliarden Euro jährlicher Steuermehreinnahmen bei 10,4 Milliarden Euro liegt. Wenn man die Erlöse aus den Privatisierungen, also aus dem Veräußern von Vermögen, berücksichtigt, dann stellt man fest, dass das strukturelle Defizit bei 14,8 Milliarden Euro liegt. Daran wird sich wenig ändern, selbst wenn die Haushälter der Koalition im Verfahren die eine oder andere kosmetische Korrektur vornehmen und die Nettoneuverschuldung auf unter 10 Milliarden Euro drücken - das werden wir im Herbst erleben -, weil es sich optisch besser macht. Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, dann muss man sagen: Der Kollege Poß hat eben Herrn Steinbrück sozusagen zum Volkshochschullehrer der Republik erklärt. ({1}) Aber auch solche Reden helfen nicht, wenn die Koalition unter Konsolidieren nur Geldausgeben auf allen Ebenen versteht. Niemand von uns hat ein Interesse daran, eine Rezession herbeizureden. Aber das Kernproblem Ihres Haushaltes und Ihrer Finanzplanung ist die eingeplante Steigerung bei den Steuereinnahmen. Selbst wenn sie nur konstant bleiben, steht Ihr Versprechen, 2011 die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken, auf tönernen Füßen. Dafür ist also noch nicht einmal eine Krise notwendig. Schon eine normale Entwicklung nimmt Ihnen die Chance, dieses Versprechen einzuhalten. ({2}) Die Ausgaben im Finanzplan wachsen munter weiter. Die zusätzlichen Steuereinnahmen dienen nur dazu, die Ausgaben direkt wieder zu steigern. Um es den Menschen plastisch darzulegen: Wenn eine Familie ein paar Hundert Euro Schulden hat, dann setzt man sich an den Tisch und überlegt, wo man sparen kann. Stellen wir uns das einmal bei Familie Merkel vor. Hier ist das Kabinett die Küche. Man sitzt dort gemeinsam zusammen, beschließt trotz Milliardenschulden, dass alle mehr bekommen, und versichert sich gegenseitig, dass die Steuereinnahmen so stark steigen werden, dass sie irgendwann die Ausgaben einholen werden. Das ist die tägliche Realität in dieser Koalition. ({3}) Ihre Planungen und Ihr Versprechen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, basieren auf mutigen Wachstumsprognosen. Sie prognostizieren für 2009 ein Wachstum in Höhe von 1,2 Prozent. Das ist nicht nur angesichts dessen, was wir gestern erlebt haben, sondern auch angesichts der Prognosen der Institute mutig. Wenn man sich den gesamten Finanzplan anschaut, dann stellt man fest, dass Sie hier noch mutiger sind. Sie kalkulieren mit einem durchschnittlichen Wachstum in Höhe von 1,5 Prozent. Man muss keine Krise herbeireden, wohl aber muss man Berufsoptimist sein, um ernsthaft zu glauben, dass sich die gute konjunkturelle Entwicklung der letzten Jahre fortsetzen wird. ({4}) Schauen wir uns Ihre anderen kühnen Annahmen an. Sie haben sich in Ihrer Finanzplanung bis 2011 die großen Posten gezielt vorgenommen. Mit dem vorliegenden Finanzplan des SPD-Finanzministers Steinbrück wird uns erklärt, dass diese Bundesregierung der Auffassung ist, man könne bis zum Jahr 2011 2,7 Milliarden Euro bei Hartz IV einsparen. Das sind über 10 Prozent der Mittel, die wir für das Arbeitslosengeld II ausgeben. Ich will von der SPD, aber auch von der Union wissen: Ist das Zahlenkosmetik, mit der Sie uns hinter die Fichte führen wollen, oder ist das eine knallharte Ansage an diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, ob man mit den heutigen Sätzen vernünftig leben kann? ({5}) Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Man muss trotz einer harten Ansage und der angestrebten Konsolidierung ernsthaft über eine Erhöhung der Regelsätze auf 420 Euro - das fordern die Sozialverbände und wir - sprechen. Diese Ansage ist richtig und nicht die von Ihnen erweckte Illusion, dass Hartz IV das Sparkästle dieser Koalition ist, um die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken. ({6}) Aber genau so sieht die Finanzplanung des Finanzministers aus, die mit Ihren Stimmen beschlossen werden soll, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition. ({7}) Sie blenden noch mehr Risiken aus. Der Arbeitsminister hat eine globale Minderausgabe von 1 Milliarde Euro in der Finanzplanung seines Etats, von der keiner weiß, wo sie herkommen soll. Über die Auswirkungen der Finanzkrise wissen wir nur, dass sie kommen werden, dass die Einheit „Milliarde“ sein wird, aber auch dafür haben Sie keine Vorbereitungen getroffen. Wir erwarten das Urteil zur Entfernungspauschale, von dem Sie wissen, dass es um mindestens 6 Milliarden Euro Mindereinnahmen geht. Außerdem haben Sie das Urteil zu den Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen, das weitere milliardenschwere Risiken birgt. Das alles ist nicht eingepreist in das Versprechen des Ausgleichs, das Sie hier mit großen Worten verkündet haben. ({8}) Ein weiteres Milliardenrisiko dieser Koalition hüpft gerade durch Bayern und macht Landtagswahlkampf, nämlich die CSU. ({9}) Es wird da ein Entlastungspaket in Höhe von 30 Milliarden Euro versprochen. Zwar gebärdet sich die CSU immer als Wahrerin der Haushaltskonsolidierung, aber kaum geht die Musi los, wird ins Festzelt gerannt und Freibier versprochen. Das ist die Realität in dieser Koalition. ({10}) Sie müssen, mit Verlaub, schon das Kopfrechnen verbieten und die Taschenrechner in ganz Bayern wegschließen, dass die Leute nicht merken, dass ihnen Falsches angeboten, lediglich Wahlkampf betrieben wird und Seriosität in Haushaltsfragen keine Priorität hat. ({11}) Wir haben diese Auseinandersetzung in den letzten Jahren oft geführt. Wir haben Ihnen mit unserem grünen Zukunftshaushalt Vorschläge gemacht, wie man die Konsolidierung vorantreiben kann, ohne auf notwendige Investitionen verzichten zu müssen. Wir haben da andere Schwerpunkte als Sie; das ist richtig. Es gibt eine Auseinandersetzung mit Ihnen darüber, welche Ausgaben für Umwelt und Klima, aber auch für Bildung und soziale Teilhabe richtig sind. Aber wir haben Ihnen belegt, dass das, wenn man den Mut hat, die Gegenfinanzierung in Angriff zu nehmen, kein Gegenentwurf zur Konsolidierung sein muss. Beim Subventionsabbau verspielen Sie jedes Jahr eine doppelte Chance. Eine doppelte Chance deshalb, weil Sie gerade bei ökologisch schädlichen Subventionen nicht bereit sind, diese zu kürzen. Ich meine Subventionen, die nicht nur dem Haushalt schaden, sondern mit denen außerdem noch ungewolltem, unökologischem Verhalten Vorschub geleistet wird. Es ist zwar schön, wenn der Umweltminister 400 Millionen Euro in 2008 für Umwelt- und Klimaprojekte bekommen hat. Aber wenn sie kaum abfließen - wie es der Fall war -, nützen sie nichts. Vor allem aber stehen sie in keinem Verhältnis zu den Milliarden für umweltschädliche Subventionen, die Sie gleichzeitig erhalten und einfach durchwinken. ({12}) Es ist das Paradoxe der Großen Koalition, dass sie nicht in der Lage ist, den Haushalt dem anzupassen, was ihre Kanzlerin als große umweltpolitische Klima-Queen auf Konferenzen meint verkünden zu müssen. Es ist das Manko dieser Koalition, dass Ankündigungen und Taten überhaupt nichts miteinander zu tun haben. ({13}) Wenn man den Subventionsbereich einnahmen- wie ausgabenseitig durchgeht, stellt man fest, dass 1 Milliarde Euro allein für den Flugverkehr vorgesehen sind. Sagen Sie den Menschen in Bayern doch einmal ehrlich, dass Sie nicht bereit sind, den heimatnahen Tourismus zu fördern, und die Steuergelder von mittelständischen Unternehmen im Tourismusbereich lieber dafür aufbringen, dass der Mallorca-Flug weiterhin weniger als das Taxi zum Flughafen kostet. Das ist doch die Absurdität dieser Koalition. ({14}) Das geht mit Ökosteuerausnahmen, dem Verschenken von CO2-Zertifikaten, den Kohlesubventionen und vielem anderen genauso weiter. Das Nächste, was CDU und CSU für den Wahlkampf in München entdeckt haben, ist die Fortschreibung der Atomenergie als angebliche Ökoenergie und als angeblicher Entlastungsbringer für die Menschen. Auch da lohnt ein Blick in Ihren Haushalt. Es ist bezeichnend, wie viel für die Atommüllbehandlung ausgegeben wird. Für das Skandallager in Asse trauen Sie sich noch gar nicht, einen Posten in den Haushalt einzustellen. Aber jeder weiß doch, dass dies Milliarden an Bundesgeldern kosten wird, und zwar unabhängig davon, welcher der glorreichen Helden im Kabinett die Federführung haben wird. Das sind die Dinge, bei denen man merkt, dass die Versprechen wenig mit dem konkreten Haushalt zu tun haben. ({15}) Lassen Sie uns zusammenfassend noch einmal in die Karten dieser Koalition schauen. Sie sind im Grunde mit allen Trümpfen in der Hand gestartet: brummende Konjunktur, explodierende Steuereinnahmen, sinkende Arbeitslosigkeit und eine fette Mehrheit im Bundestag und Bundesrat. Um im Bild zu bleiben: Schauen wir uns die Spielbilanz an. Beim Haushaltsausgleich haben Sie bis heute keinen Stich gemacht, bei der Gesundheitsreform und den Lohnnebenkosten spielen Sie Ramsch, und wenn man sich die Föderalismusreform ansieht, bei der Sie bisher auf Null spielen, dann muss ich ehrlich sagen: Das ist keine Koalition, die man sich für diese Republik wünschen würde. ({16}) Dass die SPD jetzt Doppelkopf spielt - sei’s drum. Dass man in Bayern an dieser Stelle viel an Schafskopf denken würde, will ich jetzt auch nicht weiter ausbreiten. Ich will Ihnen nur sagen: Sie müssen sich schon für den Haushalt verantworten, den Sie hier vorlegen. Sie müssen sich dafür verantworten, dass Sie das große Versprechen, dass große Koalitionen für große Dinge einstehen müssen, revidieren. Sie sind keine große Koalition, Sie sind höchstens viele, aber das hilft keinem. Herzlichen Dank. ({17})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Steffen Kampeter das Wort. ({0})

Steffen Kampeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001062, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit schonungsloser Offenheit hat der Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede eine Art Eröffnungsbilanz der Arbeit der Großen Koalition vorgetragen, wobei er auf die zahlreichen Verwerfungen, die wir im Jahre 2005 in der Bundesrepublik Deutschland hatten, hingewiesen hat. Vom kranken Mann Europas und von der schwierigen Situation in den Sozialsystemen hat er gesprochen. Was die internationale wirtschaftliche Entwicklung betrifft, sei die deutsche Wirtschaft nicht mehr als Lokomotive wahrgenommen worden, sondern, um es in der Diktion von Ernst Hinsken zu sagen, als Träger der roten Laterne. Damit hat er, wie auch wir von der Unionsfraktion, eine kluge Begründung für die Notwendigkeit der Konsolidierungspolitik der Großen Koalition gegeben: Ein Staat, dessen finanzielle Handlungsfähigkeit nicht gegeben ist, dessen Finanzen nicht in Ordnung sind, ist ein schwacher Staat. Deswegen war der Konsolidierungskurs der vergangenen Jahre zur Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit im Interesse der Bürgerinnen und Bürger dieses Landes notwendig, er war richtig, und er war gut für unser Land. ({0}) Mit der Wiederherstellung staatlicher Handlungsfähigkeit haben wir auch die Spielräume für aktuelle, vor allen Dingen aber für zukünftige Entlastungen in unserer Gesellschaft geschaffen; denn eine Begrenzung der Schuldenlast ist ein generationengerechtes Angebot für die zukünftigen Generationen. Deutlich über 900 Milliarden Euro Schulden allein des Bundes sind eine schwere Altlast für die nachfolgenden Politikergenerationen. Deswegen ist es wichtig, dass wir im Jahr 2011 keine neuen Kredite aufnehmen und das Verbot, neue Kredite aufzunehmen, im Grundgesetz verankern, damit der ausgeglichene Haushalt nicht nur für diese, sondern auch für zukünftige Regierungen der Regelfall im Interesse nachfolgender Generationen wird. ({1}) Wir haben konsolidiert, um zu investieren, und wir haben konsolidiert, um zu reformieren. Dass die Staatsquote auf das Niveau der Zeit von Gerhard Stoltenberg gesunken ist, macht deutlich, dass ein starker Staat durchaus auch ein schlanker Staat sein kann. Die Bürgerinnen und Bürger werden weniger durch den Staat in Anspruch genommen, auch wenn manches Mal etwas anderes hier vorgetragen wurde. Wir haben konsolidiert, um beispielsweise in Bildung und Forschung zu investieren; denn wir glauben, dass dieses Land auf Dauer nur dann wirtschaftlich leistungsfähig bleibt, wenn wir die Besten in unseren Schulen, Hochschulen und im dualen System ausbilden. Das ist eine wichtige Investitionsentscheidung gewesen. Wir haben beispielsweise in die Infrastruktur für die Betreuung der unter Dreijährigen investiert, weil wir glauben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein wichtiger Baustein für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes ist. Wir haben auch in die Verkehrsinfrastruktur investiert und den Trend, dass unter Rot-Grün der Anteil der Investitionen in unser Verkehrssystem gesunken ist, gestoppt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir mehr baureife Bundesfernstraßenprojekte, als wir überhaupt Mittel haben; da ist noch Steigerungspotenzial. Das waren wichtige Investitionsentscheidungen und eine kluge Konsolidierungsrendite. ({2}) Wir waren auch in der Lage, in die innere Sicherheit zu investieren, Stichwort BOS-Digitalfunk, damit die Sicherheitsbehörden vor Ort auch kommunizieren können und nicht mit archaischen Systemen ausgestattet sind. Ein Staat, der finanziell nicht handlungsfähig ist - einen solchen haben wir 2005 vorgefunden -, hätte die innere Sicherheit vernachlässigt. Wir haben unter Kanzlerin Angela Merkel in die innere Sicherheit investiert. Das war eine kluge Investitionsentscheidung. ({3}) Wir haben konsolidiert, um zu reformieren. Ich will Ihnen nur einige der von uns getroffenen Entscheidungen mit der Überschrift „Mehr Netto, und zwar für alle“ - die entsprechenden Gesetze und Verordnungen treten in den nächsten Monaten in Kraft - noch einmal vor Augen führen. Das soll deutlich machen, dass die Konsolidierungsrendite bei den Menschen auch tatsächlich ankommt. Ich erwähne den Kinderzuschlag: 70 000 Haushalte werden netto bis zu 140 Euro zusätzlich erhalten. Ich erwähne die Ausweitung des BAföGs bei den Bedarfssätzen und bei den Freibeträgen. Auch hier: Mehr Netto für die Studierenden. Ich nenne das Wohngeld, das durchschnittlich um 50 Euro monatlich angehoben wird. Wir haben die Rentenerhöhung vorgenommen. Wir haben das Eigenheimrentengesetz auf den Weg gebracht. Die Familienförderung werden wir für alle ausweiten, ({4}) und zwar nicht nur in Bezug auf Infrastruktur, sondern so - der Bundesfinanzminister hat es sehr richtig gesagt -, dass auch die Familien mehr Netto haben. ({5}) Wir machen es so, dass es bei den Familien direkt, also „bar auf Tatze“ ankommt. Das ist unser Vorschlag, den wir hier in die Debatte mit einbringen. ({6}) Wir werden die Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen ausweiten, nicht weil uns jemand zwingt, sondern weil wir es für richtig empfinden, dass diejenigen, die in dieser Gesellschaft Vorsorge leisten, das auch vom Staat honoriert bekommen. Ich halte das für richtig. Genauso gut ist, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken konnten. Wir können den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so mehr als 26 Milliarden Euro zurückgeben. Das bedeutet auch für die Fleißigen in diesem Land mehr Netto. Mehr Netto für alle, das ist unsere Politik. ({7}) Der Bundesfinanzminister hat hier gesagt, dass die Besoldungsanpassung im öffentlichen Dienst eine Belastung ist. Das ist aus Sicht des Haushaltes richtig. Aber ich will auch deutlich machen: Angesichts der teilweise hohen Tarifabschlüsse im gewerblichen Bereich war es richtig, dass wir einen entsprechenden Tarifabschluss für den Bund übernommen haben. Es bedeutet für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, für die Angestellten ebenso wie für die Beamten, mehr Netto. Auch zu dieser Entscheidung im Rahmen des Konsolidierungsprozesses stehen wir. Wir unterstützen das. Ich will deutlich machen: Als wir 2005 anfingen, hatten wir ein strukturelles Defizit aus Privatisierungserlösen und Nettokreditaufnahme von 55 Milliarden Euro bei 190 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Heute haben wir - darauf hat der Redner der Opposition rechnerisch schon hingewiesen - ein strukturelles Defizit von lediglich 15 Milliarden Euro bei 248 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Dieses Defizit ist immer noch zu hoch, und es wird auch in den nächsten Jahren weiter abgebaut. Anders ausgedrückt: 40 Milliarden Euro dieser Steuermehreinnahmen haben wir in die Absenkung des strukturellen Defizits investiert, und 18 Milliarden Steuermehreinnahmen haben wir in die von mir gerade beschriebenen politischen Schwerpunkte investiert. Wer heute sagt: „Wir könnten schon heute eine Nullverschuldung haben“, der muss den Menschen sagen, ob er weniger für die Familie ausgeben möchte, ob er beim BAföG weniger machen will, ob er die Rentenerhöhung aussetzen will, ob er durch die Aussetzung der Krankenkassenzuschüsse die Beiträge der Krankenversicherten explodieren lassen will oder ob er bei unseren Investitionsprogrammen beim Klimaschutz oder bei der Gebäudesanierung sparen will. Es ist einfach unredlich, die Zahlen hier so falsch darzustellen und zu verschweigen, dass diese Bundesregierung, diese Kanzlerin und dieser Finanzminister so wichtige Investitionsentscheidungen - sie machen ein Drittel aus - getroffen und so wichtige Konsolidierungserfolge erzielt haben. ({8}) Ich will deutlich machen: Der Bundesfinanzminister hat hier sehr nüchtern auch die Wolken am konjunkturellen Horizont beschrieben. Aber ich will hervorheben, dass ich mir nicht so viele Sorgen mache wie Anfang dieses Jahrtausends, als wir die letzte Wachstumseintrübung hatten. Da war die Zusammenarbeit zwischen dem damaligen Bundeskanzler und dem damaligen Bundesfinanzminister etwas anders. Berichtet worden ist, dass die Konsolidierungsbemühungen im Kabinett mit einem etSteffen Kampeter was abfälligen „Lass mal, Hans!“ bewertet worden sind. Heute haben sich sowohl die Frau Bundeskanzlerin als auch der Bundesfinanzminister eindeutig hinter das Ziel gestellt, 2011 keine neuen Schulden mehr machen zu wollen. Der ausgeglichene Haushalt ist keine Rechenlösung, die sich aus Wachstumsprognosen ableitet, sondern er entsteht im Zusammenwirken von wirtschaftlichem Wachstum, politischen Zielsetzungen und gemeinsamem Handlungswillen. Die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister und die sie tragenden Koalitionsparteien und -fraktionen werden das in dem Bemühen, 2011 keine neuen Schulden mehr machen zu wollen, eindeutig, klar und nachdrücklich unterstützen. ({9}) Ich will allerdings darauf hinweisen, dass wir noch eine Reihe von Aufgaben vor uns haben, auch Dinge unterlassen müssen, beispielsweise den Arbeitsmarkt zu regulieren. Im Gegenteil, wir müssen im Rahmen der Instrumentenreform den Wirrwarr der arbeitsmarktpolitischen Instrumente beseitigen. Wir müssen die unterschiedliche Verwaltungspraxis, die es bei Hartz IV gibt - die Menschen sind bei Hartz IV eben nicht gleich -, beenden. Wir müssen noch anderes unterlassen. Ich glaube nicht, dass wir regulierend in die Zeitarbeitsbranche eingreifen sollten. Wir sollten die grundgesetzlich garantierte Tarifvertragsfreiheit nicht einschränken. Das sind wichtige Signale. Eine der Erfolgsgeschichten dieser Großen Koalition ist die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Arbeitsmarkts. ({10}) Wir haben 1,5 Millionen Menschen mehr in Arbeit. Sie sind aus den sozialen Sicherungssystemen heraus in eine reguläre Beschäftigung überführt worden. Neben der eigentlichen Haushaltskonsolidierung und den aufgezeigten Reformen ist eine funktionsfähige, marktwirtschaftliche Arbeitsmarktpolitik mit ein zentraler Schlüssel zur Haushaltskonsolidierung. In diesem Sinne werden wir Kurs halten. Wir werden den Finanzminister bei seinen Konsolidierungsbemühungen unterstützen. Wir als Haushälter werden auch dem freundlichen Feuer der wahlkämpfenden Koalitionsfraktionen widerstehen und versuchen, die Konsolidierung noch ein Stück weit voranzutreiben und die Nettokreditaufnahme auf unter 10 Milliarden Euro zu senken. Wir werden in diesem Sinne auch von vielen hier im Hause unterstützt. Wir starten heute die Beratungen. Ich glaube, dieser Haushaltsentwurf ist ein guter Vorschlag. Es ist ein gutes Signal. Es ist eine erfolgreiche Politik für die Menschen in unserem Land. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege CarlLudwig Thiele. ({0})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Finanzminister Steinbrück, lassen Sie mich drei Punkte vorweg ansprechen: Der erste Punkt. Auf der einen Seite kritisieren Sie eine mangelnde Nachfrage, und auf der anderen Seite quetschen Sie mit Ihren Steuern die Leute aus wie eine Zitrone. ({0}) So kann Nachfrage in unserem Land überhaupt nicht entstehen. ({1}) Der zweite Punkt: In guten Zeiten haben Sie keine Vorsorge dafür getroffen, dass der Staat auch in schlechteren Zeiten - solche stehen vor der Tür - handlungsfähig ist. ({2}) Der dritte Punkt. Er betrifft die IKB, und ich finde das schon ganz beachtlich. Sie erklären hier allen Ernstes, Sie hätten alles richtig gemacht. Insgesamt kann man aber nur feststellen: Gut 10 Milliarden Euro öffentlicher Gelder sind verbrannt worden. Seinerzeit, unter der Regierung von Rot-Grün, zu Zeiten Hans Eichels, ist ein Anteil an einer Privatbank erworben worden. Es ist aus FDP-Sicht nicht die Aufgabe des Staates, überhaupt Anteile an einer Privatbank zu halten. ({3}) Bei Regierungsantritt von Schwarz-Rot ist dieser Anteil nicht veräußert worden, und das kritisieren wir. Es ist eben nicht Aufgabe des Staates, Anteile an privaten Banken zu halten. Die KfW sagt, mit der IKB habe sie das Ohr am Mittelstand haben wollen. Daran kann man sehen, wer für dieses Ohr tatsächlich bezahlen muss. Das ist Verschleuderung von Volksvermögen. Dafür gibt es eine Verantwortung, und die Verantwortlichen sind nicht zuletzt in der Regierung zu suchen. ({4}) Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie reden davon, der Bund habe gespart. Das stimmt einfach nicht. Die Ausgaben sollen um über 5 Milliarden Euro steigen. Wer Ausgaben steigert, spart nicht. ({5}) Ein Bundeshaushalt 2009 ohne Neuverschuldung wäre möglich gewesen. Die Steuereinnahmen des Bundes steigen im nächsten Jahr um 10 Milliarden Euro, und die Neuverschuldung sinkt nur um 1,4 Milliarden Euro. Für Ihre gesamte Regierungszeit lässt sich festhalten, dass der Bund seit Regierungsantritt der Großen Koalition pro Jahr 60 Milliarden Euro mehr Steuern einnimmt, die Neuverschuldung aber nur um 20 Milliarden Euro gesenkt hat. Der Bund nimmt also dreimal mehr an Steuern ein, als er an Neuverschuldung abbaut. Deshalb ist diese Politik keine Politik des Sparens. ({6}) Die Konsolidierung eines Haushaltes muss nach Auffassung der FDP über die Ausgabenseite erfolgen. Das weiß jeder Bürger. Wenn ein privater Haushalt weniger Geld zur Verfügung hat, dann spart er, indem er weniger Geld ausgibt. Die öffentliche Hand und auch die Große Koalition machen es aber genau anders herum. Die Steuern werden erhöht. Die Einnahmen des Staates werden erhöht. Deshalb haben Sie die größte Steuererhöhung in der Geschichte unseres Landes beschlossen. Deshalb haben Sie in einer Vielzahl von Maßnahmen weitere Steuererhöhungen beschlossen. Deshalb haben Sie die Einkommensteuer nicht gesenkt, denn durch die kalte Progression erhält der Bund bei höherem Bruttoeinkommen der Bürger Jahr für Jahr ein Mehr an Steuereinnahmen. In jedem Jahr hat die FDP Sparsamkeit angemahnt. Wir haben jedes Jahr konkrete Sparvorschläge in Milliardenhöhe vorgelegt. Diese Sparvorschläge wurden von Ihnen immer abgetan, als hätten sie nichts zu bedeuten. Schon in diesem Jahr hätten wir die Neuverschuldung auf null reduzieren können. Spätestens 2009 müssen wir sie erreichen. Wir als FDP sind der Auffassung, dass die Bürger nicht die Melkkühe der Nation sein dürfen. Wir brauchen eine deutliche und spürbare Entlastung der Bürger. Wer die Ausgaben kürzt, hat dadurch Geld für die Entlastung der Bürger. Die Steuern zu senken und den Haushalt zu konsolidieren, sind keine Gegensätze. Wenn der Staat spart, dann kann er die Neuverschuldung senken und die Bürger entlasten. Deshalb fordern wir von der FDP eine Senkung der Steuerbelastung der Bürger. Wir fordern eine durchgreifende Steuerreform, damit der Bürger überhaupt die Chance hat, unser Steuerrecht zu verstehen. Noch vor der letzten Bundestagswahl war dies auch die Forderung der Union. Wir werden jetzt und im nächsten Jahr immer wieder darauf drängen, dass dieses Thema auf die Tagesordnung kommt. Es beschäftigt und belastet die Bürger und es hindert die Binnennachfrage, die wir in unserem Land benötigen. Wir werden die ganze Zeit über den Finger in die Wunde legen und nicht eher ruhen, bis dies durchgesetzt ist. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Carsten Schneider. ({0})

Carsten Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003218, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Thiele, Sie stellen sich hier hin und drängen auf Ausgabenkürzungen. Sie stellen sich hier hin und fordern Subventionskürzungen. Das finde ich dreist. ({0}) Als wir die Eigenheimzulage abgeschafft haben, waren Sie der härteste Verteidiger dieser Subvention. Ich erinnere mich da an Anhörungen zum Haushaltsbegleitgesetz und an andere Äußerungen zu der Zeit, als wir noch eine rot-grüne Regierung hatten. Sie haben dazu beigetragen, der Bausparkassenlobby hier im Bundestag eine Stimme zu geben. ({1}) Das ist unglaubwürdig. ({2}) Der Herr Bundesfinanzminister hat heute den Haushalt 2009 vorgelegt. Er wird gelten als der Schlusshaushalt dieser Koalition. ({3}) Es ist der letzte Haushalt, den wir in dieser Legislaturperiode noch beraten werden. Er folgt dem klaren Ziel und der klaren Linie, den Haushalt des Bundes auszugleichen und mit dem Geld, das wir an Steuern einnehmen und das die Bürgerinnen und Bürger hart erarbeiten, sorgsam umzugehen. Wir alle waren in Regierungsverantwortung und der Politik der vergangenen Jahrzehnte daran beteiligt, mehr auszugeben, als wir tatsächlich einnahmen. Herr Koppelin, Sie haben den höchsten Anteil daran, das sei nur nebenbei erwähnt. ({4}) Es gilt, damit Schluss zu machen. Deshalb ist dieser Haushalt für uns von besonderer Bedeutung. Auch in dem zurzeit schwierigen Umfeld hat die Bundesregierung Vorsorge getroffen. Die Wachstumsprognose, die diesem Haushalt zugrunde liegt, ist niedriger als diejenige, die uns beispielsweise die EU-Kommission für das Jahr 2008 prognostiziert hat. ({5}) Wir ernten die Früchte der Grundlagen, Kollege Bonde, die wir in der rot-grünen Regierungszeit mit der Modernisierungspolitik von Gerhard Schröder im Wirtschaftsund Arbeitsmarktbereich gelegt haben. Das ist ganz klar. In dieser Zeit wurde die Saat gelegt, durch deren Erfolge - wie den Abbau der Arbeitslosigkeit - knapp zwei Millionen Menschen neue Beschäftigung fanden. Das sind zwei Millionen Menschen mehr, die selbst für ihre Familien sorgen und nicht mehr auf die Solidarität von anderen angewiesen sind. Das sind zwei Millionen Väter und Mütter, die voller Stolz im Arbeitsleben stehen. Dies sind die Erfolge der Politik der vergangenen Jahre. Wir haben die Früchte dieser Saat geerntet; das ist ganz klar. Wir haben - das ist vollkommen richtig; das will ich hier auch sagen - keine Sparorgien durchgeführt. Ich hielte ein solches Vorgehen auch für falsch angesichts der Tatsache, dass wir in vielen Bereichen des Bundeshaushaltes - ich werde auf einige Punkte noch eingehen wichtige Zukunftsprojekte auf den Weg gebracht haben. Carsten Schneider ({6}) So erhöhen wir im Sozialbereich das Wohngeld im Durchschnitt von 90 auf 140 Euro. Diese Anpassung war längst überfällig. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten aufgrund der Belastung der Bezieher von niedrigen bzw. geringen Einkünften durch die hohen Energiepreise auch eine Vorziehung der Novelle. Wir haben die Chancengerechtigkeit in diesem Land verbessert. Sie ist zwar noch nicht eins zu eins gegeben - das ist richtig -, aber durch die BAföG-Novelle erhöhte sich die Zahl der Schüler und Studenten, die BAföG bekommen, von gut einer halben Million auf 1 Million. Damit ist die Chancengerechtigkeit in diesem Land ein Stück vorangekommen. ({7}) Wir werden auch mehr im Bereich der Verkehrsinfrastruktur tun. Natürlich müssen dafür - das ist ganz klar; auch Herr Koppelin hat das vorhin angesprochen entsprechende Einnahmen vorhanden sein, mit denen die zusätzlichen Investitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro in die Straßeninfrastruktur finanziert werden können. Diese wollen wir durch eine Erhöhung der Maut finanzieren. ({8}) Es ist vollkommen klar, dass die davon betroffenen Firmen in Deutschland an anderer Stelle wieder entlastet werden. Aber es ist doch in Ordnung, dass wir als europäisches Transitland verlangen, dass zum Beispiel Franzosen oder Polen etwas dafür bezahlen, dass sie unsere Straßen nutzen. ({9}) Die Ministerpräsidenten und Sie sollten wissen, dass - wenn sie dieser Mauterhöhung nicht zustimmen - 1 Milliarde Euro fehlen wird, um Straßen in ihren Wahlkreisen und Bundesländern zu bauen oder zu erneuern. Wir sind mittlerweile in der Europäischen Union - der Bundesfinanzminister hat vorhin in seiner Rede die Schlagzeile vom „kranken Mann Europas“ vom Anfang des Jahrzehnts zitiert - der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. ({10}) Das durchschnittliche Wachstum in Europa liegt laut den bisherigen Zahlen vom Januar 2008 bei 1,3 Prozent, in Deutschland bei 1,8 Prozent. Das Finanzierungsdefizit der Bundesrepublik beträgt null. Gesamtstaatlich haben wir sogar einen Überschuss. Insbesondere die Kommunen bzw. die Gemeinden ({11}) hier zeigen sich ja tagtäglich die Auswirkungen von Politik - haben durch die Sicherung der Gewerbesteuer, die wir Sozialdemokraten durchgesetzt haben, einen immer größer werdenden Handlungsspielraum. Im Vergleich dazu: Frankreich hat ein Defizit von 2,9 Prozent, die Briten von 3,3 Prozent und die Vereinigten Staaten ohne Berücksichtigung der aktuellen Geschehnisse von 5 Prozent. Die Steuereinnahmen im August - ich habe die Zahlen vorliegen - liegen noch auf einem sehr guten Niveau. Es ist jetzt nicht die Zeit für Kassandrarufe. Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise in den USA werden sicherlich auch in Deutschland zu spüren sein, aber es gibt keinen Grund, die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik schlechtzureden. ({12}) Die Steuereinnahmen liegen im August über der Prognose der Steuerschätzer. Diese Mehreinnahmen wollen wir jetzt aber nicht verteilen, sondern sie dafür nutzen, um die Kreditaufnahme im Jahresverlauf unter dem Ermächtigungsrahmen zu halten. Die Schlagzeilen, die einige Wirtschaftsforscher nunmehr geliefert haben - man sollte einmal die Glaubwürdigkeit einiger Wirtschaftsforscher hinterfragen oder sich zumindest anschauen, wer der Auftraggeber gewesen ist -, ({13}) bringen uns letztendlich nicht weiter. Vielmehr gilt es, Kurs zu halten, also zum Beispiel die Ausgabenstrukturen durch mehr Investitionen im Bundeshaushalt in Bildung und Forschung zu verbessern. Ich sehe mit Interesse, dass die Einberufung eines Bildungsgipfels angekündigt worden ist. Ich sage aber ganz klar: Dieser darf nicht zu einer Talkrunde werden und in einem präsidialen Stil moderiert werden, weil man gar keine Kompetenzen hat. Vielmehr müssen dem Bund, wenn er sich hier engagiert, auch Kompetenzen eingeräumt werden. ({14}) Es kann nicht sein, dass die Ministerpräsidenten das Geld einkassieren und im Endeffekt nichts passiert. Ähnliches ist ja leider im Zuge des Hochschulpaktes zu beobachten: Es sollten bis 2010 12 000 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden, bisher sind es 2 500. Das ist ungenügend. Hier muss von den Bundesländern, von den verantwortlichen Ministerpräsidenten mehr geleistet werden, um Deutschland insgesamt nach vorne zu bringen. ({15}) Wir als Haushälter werden versuchen, die Bereiche Bildung und Forschung zu stärken. Diese Bereiche sind wichtig. Im Haushaltsentwurf ist vorgesehen, 2,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben zu verwenden. Dort, wo diese Ausgaben hinfließen, sollen insbesondere private Mittel der Wirtschaft mobilisiert werden. Ich finde, das ist noch nicht ausreichend erfolgt. Aber ich bin guter Dinge, dass die Ministerin das im Blick hat. Carsten Schneider ({16}) Wir werden als Haushälter auch darauf achten müssen, Irrsinniges abzuwenden. Es gibt da einen Vorschlag aus dem Wirtschaftsministerium. Herr Glos ist ja von der CSU, und dort ist Wahlkampf; vielleicht wird das auch wieder fallen gelassen. ({17}) Denn auf der einen Seite vom Finanzminister zu verlangen, so schnell wie möglich bei der Neuverschuldung im Bundeshaushalt eine Null zu haben - da gab es auch schon eine Meldung, dass das 2010 sein solle -, auf der anderen Seite aber den Kauf bestimmter Kühlschränke zu subventionieren - da freuen sich Media-Markt und Saturn -, das geht nicht. ({18}) Bundesminister Gabriel hat das geprüft und schon im ersten Paket abgelehnt, weil das letztendlich nur zu Mitnahmeeffekten führen würde. Man kann auch nicht noch ein Konjunkturprogramm in Höhe von 10 Milliarden Euro und gleichzeitig Steuersenkungen fordern. All dies ist unsolide und gefährdet unsere Ziele: einen ausgeglichenen Haushalt, eine solide Finanzpolitik, einen sicheren Umgang mit Ihren Steuergeldern und die Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung. Eine Schuldenbremse - da möchte ich dem Minister meine ausdrückliche Unterstützung signalisieren - führt dazu, dass wir ein gutes Modell dafür haben, wie sich in der Zukunft wirtschaftliche Entwicklung und solide öffentliche Finanzen miteinander verbinden lassen. Vielen Dank. ({19})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Eduard Oswald. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kein Zweifel: Deutschland hat seit 2005 beachtliche Fortschritte gemacht. Wir sind dabei, Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Die Doppelstrategie - Konsolidierung des Haushalts und gleichzeitig gezielte Förderung des wirtschaftlichen Wachstums - ist und war erfolgreich. Es ist - durch Schaffung der Rahmenbedingungen - eine große Leistung der Bundesregierung und der sie tragenden Großen Koalition, aber vor allem eine große Leistung der Arbeitgeber und Tarifpartner, dass in den vergangenen drei Jahren 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Damit ist die Zahl der Erwerbstätigen auf über 40 Millionen angewachsen. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben neue Chancen zur Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben gewonnen. ({0}) Lassen Sie mich aber angesichts der Meldungen des gestrigen und heutigen Tages verstärkt auf die Situation des Finanzmarktes insgesamt eingehen und dieses Thema vertieft behandeln. ({1}) Die Lage an den internationalen Finanzmärkten ist und bleibt angespannt. Mit zunehmender weltweiter Vernetzung ist das Finanzmarktgeschehen auch im nationalen Bereich unübersichtlicher geworden. Das verunsichert nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern macht es auch für Politik und Finanzaufsicht schwieriger, Risiken und Fehlanreize rechtzeitig zu erkennen. Auch wenn wir uns im Finanzausschuss noch detaillierter über die Hintergründe informieren werden, bin ich davon überzeugt, dass es richtig war, dass das Bundesfinanzministerium in enger Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der Bundesbank und den Bankenverbänden die IKB gerettet hat, aus volkswirtschaftlicher Sicht, um noch größeren Schaden von der deutschen Volkswirtschaft abzuwenden, und vor dem Hintergrund der Einlagen der IKB, etwa von Ortskrankenkassen, kleineren Genossenschaftsbanken und Sparkassen. Hätte die IKB vom Markt gehen müssen, wäre ein kaum absehbarer Vertrauensschaden für den gesamten deutschen Finanzmarkt entstanden. Für die Frage nach der Wirksamkeit wie auch der Weiterentwicklung des deutschen Finanzsystems bietet die Krise meiner Meinung nach wichtige Einsichten. Aus einer Vielzahl von Punkten filtere ich nur einen heraus, der mir als wesentliche Ursache erscheint. Es ist die Tatsache, dass viele Investoren am Markt Aktiva erworben haben, über deren Qualität sie keinerlei eigenständiges Urteil zu bilden in der Lage waren, ({2}) nach dem Motto: Man muss immer wissen, was eigentlich drin ist. An die Stelle einer Kreditwürdigkeitsprüfung auf der Grundlage eigener Informationen trat allein das Vertrauen auf die Urteilsfähigkeit der Ratingagenturen. Zugleich war für diejenigen, die vor Ort bei einer Analyse befähigt gewesen wären, überhaupt kein ausreichender Anreiz mehr gegeben, eine sorgfältige Auswahl der Kreditnehmer vorzunehmen, weil der Kredit ja sofort abgestoßen wurde. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich dürfen wir keine nationalen Alleingänge starten. Vielmehr bedarf es hier eines internationalen Vorgehens, da nur so die Probleme behoben werden können. Hier erscheinen mir fünf Maßnahmen besonders wichtig zu sein: zum Ersten verbesserte Transparenzvorschriften, ({3}) zum Zweiten die Verbesserung der Zusammenarbeit der Aufsichten in Europa, zum Dritten verbesserte Bilanzierungsregeln für Aktivitäten außerhalb der Bilanz, zum Vierten Verbesserungen bei den Bestimmungen zur KaEduard Oswald pitalausstattung von Kreditinstituten und zum Fünften die Beseitigung von Interessenkonflikten bei den Ratingagenturen. ({4}) Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass Geldgeschäfte viel zu wichtig sind, als dass man sie dem Finanzsektor unkontrolliert überlassen dürfte. Moderne Finanzprodukte haben ja die Risiken nicht vermindert, sondern vielmehr neue geschaffen. Trotzdem gilt: Die Bewältigung der Finanzmarktkrise ist maßgeblich von den Marktakteuren selbst in Angriff zu nehmen. Dazu muss das Vertrauen in den Finanzmarkt gestärkt werden. Vertrauen ist eine wesentliche Grundlage für einen funktionierenden Finanzmarkt. Gerade diese Krise macht deutlich, dass eine unzureichende Verlässlichkeit die Finanzmarktprozesse nachhaltig stört und die Gefahr negativer Folgen für die Realwirtschaft möglich ist. Mit einem Anteil von nahezu 5 Prozent an der gesamten nominalen Wertschöpfung ist das Finanzsystem in Deutschland bereits für sich genommen ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftszweig, dessen Zustand und Leistungsfähigkeit mit über die Entwicklung der Wirtschaftsleistung insgesamt entscheiden. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten machen auch deutlich, dass sich die volkswirtschaftliche Bedeutung des Finanzsystems nicht in den Wachstumswirkungen erschöpft, sondern dass die Stabilität und vor allem ihr Fehlen ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Realwirtschaft haben können. Gerade deswegen müssen wir uns in den Ausschüssen - auch wir im Finanzausschuss - verstärkt damit beschäftigen. Wir wollen unsere Politik des Investierens, des Sanierens und Reformierens fortsetzen. ({5}) Es bleibt unsere Richtschnur, die Wachstumskräfte zu stärken und den Beschäftigungsaufbau weiter voranzubringen. In den Mittelpunkt unserer Politik stellen wir diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Arbeit und Leistung den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes ermöglichen. ({6}) Ohne ihren täglichen Einsatz wäre kein Sozialstaat finanzierbar. Darüber hinaus sichert die Leistung gerade der Mitte unserer Gesellschaft die Wettbewerbsfähigkeit und damit die Zukunft unseres Landes. Neue und gesicherte Arbeitsplätze schaffen Perspektiven für die Beschäftigten und ihre Familien. Wachsende Einnahmen aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ermöglichen eine Entschuldung öffentlicher Kassen. So entstehen weitere Spielräume für Wachstumspolitik in Form von Strukturreformen, Steuer- und Abgabensenkungen sowie Zukunftsinvestitionen. Genau das ist unsere Aufgabe, und daran arbeiten wir auch zukünftig. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Bernhard Brinkmann.

Bernhard Brinkmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003057, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu Beginn meiner Rede den Bundesfinanzminister loben. Kollege Poß hat es vorhin schon zum Ausdruck gebracht: Peer Steinbrück hat in einer informativen und auch sehr beeindruckenden Rede deutlich gemacht, wo die Schwerpunkte des Bundeshaushaltes 2009 liegen. Er hat auf die Risiken und - das war aufgrund der aktuellen Situation von besonderer Bedeutung - die Turbulenzen auf den Finanzmärkten hingewiesen und darauf, was uns in der nächsten Zeit durchaus noch ereilen und vielleicht auch belasten kann. Meine Vorredner haben darauf hingewiesen - ich will das ausdrücklich bestätigen -, dass es absolut richtig war, 2005 den Dreiklang von sanieren, reformieren und investieren ({0}) in den Mittelpunkt der Haushalts- und Finanzpolitik zu stellen. Dieser Dreiklang wird fortgesetzt. Erstmals haben wir eine realistische Chance, in 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. Lieber Kollege Koppelin, wenn Sie von Abkassieren reden, dann ist das Vergangenheitsbewältigung. ({1}) Eigentlich ist es müßig, gestatten Sie mir aber dennoch den Hinweis: Beim Schuldenmachen und beim Abkassieren waren die Freien Demokraten mehrere Jahrzehnte kräftig dabei. Demzufolge sollten Sie sich ein wenig zurücknehmen. ({2}) In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes sagen: Mit Blick auf 2009 wird schon jetzt einiges über neue Mehrheiten und neue Koalitionsmöglichkeiten gesagt. Herr Kollege Koppelin, ich empfehle Ihnen, sich den Spiegel genau anzuschauen. ({3}) Dort wurde eine „Münchhausen-Skala“ erstellt. Der Kollege Westerwelle soll in einem Sommerinterview im ZDF gesagt haben - ich habe die Sendung nicht gesehen, aber es steht so im Spiegel -: Zehn Jahre lang haben wir jetzt nur Steuererhöhungen gehabt. Das ist genug. Bernhard Brinkmann ({4}) Das Ergebnis des Tests, der vom Spiegel gemacht worden ist, lautet - das Ergebnis sind vier rote Punkte; rot ist auch in diesem Fall gut -: Die Steuerentlastungen übertrafen die Erhöhungen der vergangenen zehn Jahre. Würde heute noch das Recht von 1998 gelten - als Sie noch an der Regierung beteiligt waren -, müssten die Bürger rund 30 Milliarden Euro mehr an Steuern zahlen. Auch das gehört zur Wahrheit beim Thema „Abkassieren und Schulden machen“. ({5}) Herr Kollege Koppelin, ich gebe Ihnen das gerne. ({6}) Bis heute habe ich keine gegenteilige Stellungnahme zu diesem Spiegel-Artikel vernommen. Wenn in dem Artikel ein Fehler sein sollte, können wir uns darüber gerne im Rahmen der in der nächsten Woche im Ausschuss beginnenden Haushaltsplanberatungen austauschen. Die finanzpolitische Ausgangslage hat sich gegenüber den Vorjahren deutlich verbessert. Die Konsolidierung schreitet konsequent voran. Die Nettokreditaufnahme konnte von 31,2 Milliarden Euro in 2005 kontinuierlich und in beträchtlichen Schritten gesenkt werden. Sie wird, wenn wir am Ende der Haushaltsberatungen für das Haushaltsjahr 2009 sind, bei unter 10 Milliarden Euro liegen. Das ist ein großes, ein hehres Ziel. Dieser Verantwortung sollten wir uns gemeinsam stellen. Das ist eine Entwicklung, auf die wir bei allen Problemen und Risiken, die nach wie vor vorhanden sind, durchaus ein wenig stolz sein können. Dankbar sollten wir in diesem Zusammenhang denjenigen Menschen in unserem Land sein, die mit ihrer Leistung diese Erfolge möglich gemacht haben. Diese Leistung, die jeder Einzelne an seinem Platz erbringt, verdient größten Respekt, Dank und Anerkennung. Bei dieser Gelegenheit muss man darauf hinweisen dürfen, dass unsere Volkswirtschaft im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften in Europa und darüber hinaus erhebliche Milliarden an Sonderaufwendungen für die deutsche Einheit aufgebracht hat. Auch das ist eine Leistung, auf die unsere Volkswirtschaft, auf die alle Menschen in unserem Land stolz sein können. ({7}) Zur Schuldenbremse und zur Nettokreditaufnahme, die künftige Haushalte angeht, sind bereits Ausführungen gemacht worden. Ich will sie an dieser Stelle nicht wiederholen. Was die Frage der Ausgaben des Bundes für soziale Leistungen angeht, könnte man bei manchen Äußerungen den Eindruck gewinnen - das betrifft die linke Seite dieses Hauses -, wir würden nicht erhebliche Summen aufwenden. Ich darf darauf hinweisen, dass wir für den Bereich Soziales im Bundeshaushalt 2009 immerhin rund 141,1 Milliarden Euro vorsehen. Das sind 48,9 Prozent der gesamten Ausgaben, also fast die Hälfte. Wer mehr will - diese Forderung ist ja berechtigt -, muss auch sagen, wie er das gegenfinanzieren will. Wenn man 150 Milliarden Euro jährlich wiederkehrender Mehrausgaben fordert und keine nachvollziehbare Gegenfinanzierung auf den Tisch legt - das war mit dem Programm gemeint, das der Finanzminister heute Vormittag angedeutet hat -, dann ist man unglaubwürdig. Einen Beweis für die Finanzierbarkeit ihres Vorschlages ist die sogenannte Linke bis heute schuldig geblieben. ({8}) Wer sich dann auch noch in einer - ich möchte es einmal vornehm ausdrücken - peinlichen Art und Weise wie heute Vormittag ans Rednerpult stellt und von einem völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan spricht, der diskreditiert die Leistung der Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Land seit vielen Jahren eine gefährliche Mission haben und deren Arbeit dazu geführt hat, dass Mädchen wieder in die Schule gehen können und Aufbauleistungen getätigt werden können. ({9}) Wer sich in dieser Art und Weise hier hinstellt und auch noch auf Geschenke für die oder Kniefälle vor der Rüstungslobby hinweist, geht mit seinen Aussagen an der Wahrheit und Wahrhaftigkeit vorbei. ({10}) Ich sehe, die Uhr am Rednerpult geht Richtung null. ({11}) Mit der Null hatten wir heute Morgen schon etwas Spaß bezüglich der Nettoneuverschuldung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich freue mich auf die beginnenden Haushaltsberatungen im Ausschuss. Ich freue mich auch auf das Sparbuch der Freien Demokraten. ({12}) Hoffentlich ist in diesem Jahr etwas darauf. Denn ein Sparbuch ist letztendlich nur vernünftig und sinnvoll, wenn ein Guthaben darauf ist. Das, was Sie bisher geliefert haben, war kein Guthaben, sondern nicht realisierbare Einsparmöglichkeiten. ({13}) In diesem Sinne herzlichen Dank fürs Zuhören und weiterhin viel Erfolg bei den Beratungen. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Einzelplan 10. Vizepräsidentin Petra Pau Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2009 rundet die Wahlperiode ab. Er setzt die richtigen Akzente. Wenn ich mir die einzelnen Positionen ansehe, kann ich für die Bereiche der Landwirtschaftspolitik und der Verbraucherschutzpolitik sagen, dass die Regierungskoalition in dieser Legislatur alle Punkte, die wir zu Beginn der Legislatur vereinbart hatten, auf Punkt und Komma erfüllt hat. Das drückt dieser Haushalt aus. ({0}) Der Haushalt 2009 enthält wichtige neue Akzente. Besonders freut mich nach der jahrelangen Kürzung der Mittel für den ländlichen Raum und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ das Aufwachsen dieser Mittel auf 700 Millionen Euro im Jahre 2009. Es waren einmal über 800 Millionen Euro; sie sind von meiner Vorgängerin kräftig gekürzt worden. Wir sind jetzt wieder bei 700 Millionen Euro mit den Schwerpunkten Küstenschutz im Norden unserer Republik und Breitbandverkabelung im ländlichen Raum in der ganzen Republik. Das sind wichtige Schwerpunkte, die rechtfertigen, dass wir diese Mittelaufstockung durchgeführt haben. Ich denke, die Koalition zeigt, dass wir über die Attraktivität ländlicher Gebiete als Wirtschafts- und Lebensräume nicht nur reden, sondern auch die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung stellen. ({1}) Das ist ein ganz wichtiger Schwerpunkt. Der zweite wichtige Schwerpunkt ist die landwirtschaftliche Sozialpolitik. Ich nehme für diese Regierung in Anspruch, dass seit der deutschen Einheit keine Regierung im Amt war, die die landwirtschaftliche Sozialversicherung und die Zuschüsse des Bundes dazu nicht gekürzt, sondern erhöht hat. Wir als Bund stellen insgesamt 3,7 Milliarden Euro für die verschiedenen landwirtschaftlichen Sozialversicherungszweige zur Verfügung. Was die Koalitionsfraktionen bei der Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung geleistet haben, ({2}) ist ein großes positives Beispiel für Reformen in der Sozialversicherung insgesamt. Wir alle wissen: Die Bevölkerung hat immer die Sorge, dass, wenn man von Reformen spricht, es anschließend immer etwas schwieriger ist als vorher. Ich denke, uns ist eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gelungen, die für viele Sozialreformen in der Zukunft beispielhaft sein kann. Wir sollten auf diesem Weg weitergehen. Diese Reform hat sich in der Praxis als Renner und als Beitragsstabilisator für die Landwirtschaft herausgestellt. ({3}) Als dritten Schwerpunkt nenne ich die Reform der Ressortforschung; sie war ein Kraftakt. Dafür stellen wir 288 Millionen Euro zur Verfügung. Ich möchte betonen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Ressortforschungseinrichtungen der Republik eine vorzügliche Arbeit leisten. In Deutschland gibt es eine Reihe weltweit führender Institute, beispielsweise das Institut auf der Insel Riems, ({4}) das ich ohne Übertreibung als auf der ganzen Welt führend bezeichnen möchte. Vor diesem Hintergrund bin ich dem Haushaltsausschuss sehr dankbar, dass er erwägt, die Investitionskosten, die dort benötigt werden, über mehrere Jahre verteilt zur Verfügung zu stellen. Auch in den anderen Bereichen der Ressortforschung sind wir auf einem guten Weg, in Deutschland Exzellenzforschung zu erreichen, die keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht. ({5}) Mit diesem Teil der Landwirtschaftspolitik bin ich, sofern er sich in Haushaltszahlen ausdrücken lässt, hochzufrieden. Ich denke, wir haben für die Agrarwirtschaft sehr verlässliche Investitionsgrundlagen geschaffen. Wichtig ist vor allem, dass wir die deutsche Landwirtschaftspolitik wieder zu einer Einheit gemacht haben; das gilt für die 16 Bundesländer und für den Bund. Vielfalt in der Landwirtschaft ist gut. Uns ist es allerdings gelungen, das ehemals unselige Gegeneinander von großen und kleinen Betrieben, von Norden, Osten und Süden, von Biolandwirtschaft, konventioneller sowie regionaler Landwirtschaft und dem Weltmarkt in eine Partnerschaft zu gießen. Das Sich-gegenseitig-Ausspielen ist nun zu Ende. Die Agrarwirtschaft in Deutschland hat insgesamt gewonnen. Dass sie leistungsstark ist, zeigt sich daran, dass Deutschland noch nie zuvor neben dem Boom in der Biolandwirtschaft, der regionalen Bewirtschaftung und der regionalen Vermarktung zusätzliche Weltmarktanteile gewonnen hat. Das spricht für die Qualität unserer landwirtschaftlichen Produkte. Außerdem waren unsere Exportanteile in der Agrarwirtschaft noch nie so hoch wie im abgelaufenen Wirtschaftsjahr. ({6}) Ich bin froh, dass uns auch der vierte Schwerpunkt, den wir gesetzt haben, mit Ihrer Unterstützung gut gelungen ist. Wir haben weltweit Verträge geschlossen, zuletzt mit China, durch die die Exportmöglichkeiten unserer Landwirtschaft deutlich verbessert werden. So viel zu dem einen Standbein unseres Ministeriums. Nun zum anderen Standbein, dem Verbraucherschutz. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen jetzt nicht alle 28 Maßnahmen vortragen, die wir in den letzten drei Jahren zugunsten der Verbraucher - und zwar nicht durch verbale Kraftmeierei, sondern durch ganz konkrete Verbesserungen - durchgeführt haben. ({7}) Auch wenn wir für den Verbraucherschutz nicht allein zuständig sind - hier handelt es sich oft um ein Zusammenspiel verschiedener Ressorts -, ({8}) möchte ich stichwortartig einige Erfolge erwähnen, die wir in den letzten Wochen erzielt haben. Wir haben die unerlaubte Telefonwerbung eingeschränkt und die Fahrgastrechte bei der Deutschen Bahn gestärkt; ich bin sehr glücklich darüber, dass wir den unseligen Bedienungszuschlag in Höhe von 2,50 Euro verhindert haben. ({9}) Außerdem haben wir die Nährwertkennzeichnung im Interesse der Verbraucher deutlich verbessert, das Label „Ohne Gentechnik“ eingeführt und den Nichtraucherschutz in öffentlichen Gebäuden des Bundes auf die Höhe der Zeit gebracht. ({10}) Wir haben den großen Wunsch der Bevölkerung erfüllt und dafür gesorgt - hier sind wir zumindest auf einem guten Wege -, dass persönliche Daten nicht ohne ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen gegen Entgelt gewerblich genutzt werden dürfen. ({11}) Darüber hinaus haben wir den sehr erfolgreichen Aktionsplan IN FORM, der in sehr großem Umfang angenommen wird, und einen Aktionsplan gegen Allergien auf den Weg gebracht. ({12}) Das waren nur einige Beispiele für das, was wir in den letzten Wochen getan haben. Daran wird deutlich, dass wir auch mit Blick auf unser zweites Standbein erfolgreich waren. Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt. Wir definieren den mündigen Verbraucher in der Weise, dass wir ihm Informationen, Aufklärung und Hinweise zukommen lassen und dann die souveräne Entscheidung des Verbrauchers akzeptieren. ({13}) Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich sagen, dass die deutsche Landwirtschaft sehr gut in Form ist. Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt. Die Verbraucher sind jetzt auf der gleichen Augenhöhe wie große und mächtige Wirtschaftsunternehmen. Wir werden auch in Zukunft eine verlässliche Politik betreiben: im Hinblick auf die Gesundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik, die Situation der Milchbauern und den Abbau der Bürokratie. Ich trete entschieden dafür ein, dass die Regierungskoalition weiterhin den Vorsatz hat, keine neuen Paragrafen mehr zu zimmern, die für die Betroffenen Belastungen zur Folge haben. ({14}) Deshalb bin ich hochzufrieden mit der Gesamtkonzeption dieser vier Jahre, die sich in diesem Haushaltsentwurf 2009 sozusagen abrundet. Wie gesagt, wir haben all unsere Koalitionsziele erreicht. Alle Prognosen, dass Schluss mit Biobauern sei, wenn ein Schwarzer Landwirtschaftsminister ist, waren Schall und Rauch. Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben Wort gehalten. Dies war nur durch die Unterstützung der beiden Koalitionsfraktionen möglich. Deshalb möchte ich mich bei beiden Arbeitsgruppen bedanken und natürlich auch bei den Berichterstattern im Haushaltausschuss, die immer lautlos dafür gesorgt haben, dass das, was wir uns politisch vorgenommen haben, auf eine solide finanzielle Grundlage gestellt worden ist. Da meine Fraktion immer die Sorge hat, dass ich ihr Redezeit wegnehme, wenn ich auftrete, möchte ich nun meiner Fraktion eine Minute Redezeit zur Verfügung stellen. ({15})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege HansMichael Goldmann das Wort.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigentlich richtungweisend, dass Sie bei Ihrem frühzeitigen Abgang den meisten Beifall bekommen haben. ({0}) Herr Minister Seehofer, ich hatte mich schon darauf eingestellt, dass Sie Ihre Bilanz schönreden. ({1}) Dass Sie aber derartig aus dem Ruder laufen, das hätte ich fast nicht für möglich gehalten. ({2}) Wovon reden Sie eigentlich? Von welcher Wahrnehmungswelt reden Sie? Muss es sein, dass wir uns zehn Tage vor der Wahl in Bayern dieses Agrargesülze von Ihnen ohne jede Faktenlage anhören? ({3}) Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, was Sie hier abziehen. Das ist doch eine Beleidigung der Landwirte, der Ernährungswirtschaft und der Verbraucher, die eine Antwort haben wollen. ({4}) Sie haben sich auf der Grünen Woche und auf der Agritechnica damit gebrüstet, dass das Konjunktur- und Investitionsbarometer Agrar nach oben gegangen sei. Nehmen Sie aber nicht zur Kenntnis, dass im Juni dieses Jahres dieser Index von 34 Zählern auf 19 Zähler zurückgegangen ist, weil niemand Ihrer Politik mehr vertraut, weil die Bürgerinnen und Bürger sowie die Landwirte nicht wissen, in welche Richtung dieser Mensch mit seiner politischen Arbeit marschiert? ({5}) - Das ist nicht „ey, ey, ey“, das ist Fakt. Sie haben dem Begriff „PPP“ eine völlig neue Dimension gegeben. Was Sie machen, ist populistisch. Was Sie machen, ist planwirtschaftlich. Vor allen Dingen beklage ich, dass Sie dem Ganzen einen parteipolitischen Touch geben vor dem Hintergrund der Wahlen in Bayern. ({6}) Das halte ich für eine Katastrophe für die demokratische Auseinandersetzung; das will ich einmal sehr deutlich sagen. Was bei der Milch passiert ist, ist strikt abzulehnen, weil Sie vorgegaukelt haben, dass Sie etwas regeln können, was aber überhaupt nicht möglich ist. Sie haben den Bauern 40 Cent versprochen. Das war aber rein populistisch; denn Sie wissen ganz genau, dass das nicht zu erzielen ist. Sie führen einen Milchgipfel durch, dessen Ergebnisse minimal sind. Nun weigern Sie sich, eine Lösung auf den Weg zu bringen, weil in Bayern Wahlen anstehen. Wenn Sie sagen, Sie würden für die gesamte Landwirtschaft in Deutschland eine Politik des Ausgleichs bzw. eine Politik betreiben, die hochzufriedenstellend sei, dann kann ich dazu nur sagen: Mit dem, was Sie in der Milchpolitik gemacht haben, ist niemand in Deutschland zufrieden, weder die Bauern in Bayern noch die Bauern in Norddeutschland. ({7}) Sie haben einen planwirtschaftlichen Eingriff vorgenommen. Im Grunde genommen haben Sie einen parteipolitischen Kniefall auf Kosten der Agrarwirtschaft und insbesondere auf Kosten der Milchwirtschaft begangen. Das geht so weiter. Was meinen Sie denn, wenn Sie sagen, die Leute hätten Planungssicherheit? Sie haben jetzt eine Modulationsregelung auf den Weg gebracht, die dazu führt, dass die Direktzahlungen an die Bauern vor dem Jahr 2013 in einem Maße gekürzt werden, wie man es nicht erwarten durfte. Zunächst sagen Sie, es bleibe alles beim Alten. Dann heißt es, dass Sie die Modulationsmittel einsetzen wollen, um einen schleichenden Milchausstieg zu realisieren. Bei dieser Frage stehen wir nicht nur im völligen Widerspruch zur europäischen Ebene, sondern auch innerhalb der Koalition. Die SPD will etwas völlig anderes als die CDU/CSU. Man muss doch einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass Sie sich in allen zentralen Punkten überhaupt nicht durchsetzen. ({8}) Sie seichtern in der Gegend herum: hier ein bisschen labern, da ein bisschen labern. Wenn es aber um die Fakten geht, stehen Sie nicht zu den Dingen. Stichwort Erbschaftsteuer. Wo ist denn Ihr Einsatz für die mittelständischen Betriebe im Agrarbereich? Wo ist Ihr Veto gegen das, was hier von der Koalition, insbesondere von der SPD, auf den Weg gebracht wird? ({9}) Sie sagen, im Bereich Ernährung hätten Sie Weichen gestellt. Im Grunde genommen kann ich mich nur totlachen. ({10}) - Genauso ist das; lieber Manfred Zöllmer, darin sind wir uns einig, also erzähle nichts. - Sie waren auf der Anuga. Auf der Anuga wurde erklärt: Die Ampel wäre eine Dummheit; Mittelständler, macht euch freiwillig auf den Weg. Was machen Sie jetzt? Jetzt wollen Sie genau die Ampel durchsetzen, die Sie vor kurzer Zeit noch als Dummheitsregelung bezeichnet haben. ({11}) Sie erklären, Sie hätten eine Umfrage gemacht, und in der Umfrage hätten die Leute gesagt, dass ein bisschen Farbe auf dem Etikett doch nicht verkehrt ist. Plötzlich kommt Herr Seehofer und sagt holterdiepolter: Macht eine Ampel, das ist doch auch ganz hübsch. ({12}) Das ist keine substanzielle Politik. Nein, hier haben Sie nichts zu bieten. ({13}) Sie sind mit der Milchquote und den Biokraftstoffen gescheitert. Sie wollen eins zu eins umgesetzt haben? Ich lache mich tot. Fragen Sie doch einmal die Bauern, wo Sie eins zu eins umgesetzt haben. Die Modulation ist gescheitert. Die Probleme mit der Biotechnologie wird Frau Happach-Kasan noch ansprechen. Das schärfste Stück, was es überhaupt gibt, ist die Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung. Es steht „Ohne Gentechnik“ drauf, enthalten sind aber 0,9 Prozent Gentechnik. Das sollte man sich einmal in einem anderen Bereich erlauben. Wenn „Ohne Alkohol“ drauf steht und 0,9 Prozent Alkohol drin sind, dann würden alle aufschreien. Herr Seehofer bringt solche Dinge aber auf den Weg und verkauft sie auch noch als Erfolg. ({14}) Beim Verbraucherschutz möchte ich einmal zwei Dinge herausgreifen: Die Regelung hinsichtlich der Cold Calls wurde nun wirklich höchste Zeit. Darin sind wir uns ja einig. Liebe Julia Klöckner, wie ist aber die Situation bei den Fahrgastrechten? Wie war das denn? ({15}) Was wurde denn hinsichtlich der Fahrgastrechte gefordert, und was wurde erreicht? Es entstand eine europäische Pseudoregelung, durch die der Bahn im Grunde genommen die Möglichkeit gegeben wird, über eine Stunde verspätet zu sein, ohne einen Schadensausgleich an den Kunden leisten zu müssen. ({16}) Das sollen Fahrgastrechte sein? Das ist eine Fürsorgehaltung. Das ist ein Kniefall vor einem Monopolisten, der seinen Kram nicht in den Griff bekommt. ({17}) Hätten Sie sich an das gehalten, was die FDP auf den Weg gebracht hat, dann wären wir jetzt viel weiter. ({18}) Letzter Punkt - Manfred Zöllmer, du bist sicherlich wieder einer Meinung mit mir -: Du willst doch nicht ernsthaft behaupten, dass durch das Verbraucherinformationsgesetz das erreicht wird, was den Menschen versprochen wurde. Es ist zu eng gefasst. Derjenige, der die Regelungen in Anspruch nimmt, muss erst einmal 50 Euro oder mehr auf den Tisch legen, bevor er eine Auskunft erhält. ({19}) Das ist Ihr Verbraucherinformationsgesetz. In meinen Augen ist das eine Verbraucherverhohnepipelung, um hier ein Wort zu benutzen, das auch noch ins Parlament passt. Herr Seehofer, Ihre Bilanz ist vernichtend, und die Antwort darauf geben die Landwirte. ({20})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Goldmann, der Minister hat die Redezeit seiner Fraktion und nicht der FDP-Fraktion zur Verfügung gestellt. ({0}) Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie jetzt auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen sprechen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin, ich mache Schluss. Das Problem ist, dass der Minister nichts zu sagen hat, während das bei mir ja anders ist. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die SPD-Fraktion. ({0})

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach der Rede von Herrn Kollegen Goldmann möchte ich gerne zur Sachlichkeit zurückkommen. Herr Kollege Goldmann, es hätte mich sehr gefreut, wenn Sie einmal gesagt hätten, was die FDP will, und nicht, was Sie alles nicht wollen und was alles schlecht gewesen ist. ({0}) Kommen wir jetzt aber zur Sachlichkeit zurück. Wir haben in diesem Haushaltsansatz 5,29 Milliarden Euro bereitgestellt. Ich denke, das ist ein guter Ansatz für 2009. Darin ist eine deutliche Aufstockung der Mittel für die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ enthalten. Darauf hat Herr Minister Seehofer schon hingewiesen. Außerdem gibt es auch das Programm zum Ausbau des Breitbandnetzes, das für die Entwicklung der ländlichen Räume ganz wichtig ist. Wir als SPD haben immer großen Wert darauf gelegt, und wir sehen diese Mittelaufstockung auch als ein positives Signal für die dort lebenden Menschen. ({1}) Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau soll mit 16 Millionen Euro weitergeführt werden. Hier stehen als ein Schwerpunkt der Förderung Forschung und Entwicklung ganz besonders im Mittelpunkt. Auch das ist ein gutes Signal für die Zukunft. Wir haben im letzten Jahr die Fortsetzung dieses Bundesprogramms durchgesetzt, weil wir sehen, dass der Markt für die Bioprodukte wächst. An dieser Stelle möchte ich mich bei meinem Kollegen Gustav Herzog ganz herzlich bedanken, der sich mit guten Argumenten vehement für dieses Bundesprogramm eingesetzt hat. ({2}) Waltraud Wolff ({3}) Unser Ziel ist, dass die Landwirte die Marktchancen, die sich ihnen bieten, nutzen können. Gleichzeitig ist es uns wichtig, den ökologischen Landbau als einen Baustein zur Reaktion auf den Klimawandel zu sehen. Gemeinsam mit der Entwicklung der ländlichen Räume ist dies eine Investition in die Zukunft. ({4}) Dies ist aber nicht nur eine Investition in die Zukunft der Landwirtschaft, sondern auch in die Zukunft der gesamten Gesellschaft. Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr Seehofer, ich freue mich, dass Sie dieses Jahr das Bundesprogramm Ökolandbau von sich aus im Haushalt berücksichtigt haben. Wir können hier gemeinsam Schwerpunkte setzen. Hier sind wir auf einem guten Weg. Agrarhaushalt klingt für die Menschen im Lande immer nach längst überkommenen Subventionen. Aber bei genauerer Betrachtung des Haushalts erkennen wir, dass wir gerade hier in die Zukunft investieren. Wir investieren in eine intakte Umwelt. Wir investieren in lebendige ländliche Räume, in wettbewerbsfähige Betriebe und in gesunde Menschen und starke Verbraucherinnen und Verbraucher. Wenn das nicht zukunftsfähig ist, dann weiß ich es nicht. ({5}) Aber wir können all das in diesen Haushaltsberatungen noch verbessern. Wir als SPD haben gute Ideen. Ich werbe in den nächsten Wochen dafür, dass Sie uns dabei helfen, diese zu verwirklichen. Ich habe die Gemeinschaftsaufgabe angesprochen. Die EU-Kommission hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Klimawandel eine der großen Herausforderungen ist und auch der Erhalt der biologischen Vielfalt ganz entscheidend sein wird. Wir wissen, dass gerade die Landwirtschaft vom Klimawandel betroffen ist. Deshalb müssen wir diese Herausforderungen annehmen. Es gibt einen Sonderrahmenplan für den Küstenschutz. Auch das ist ein notwendiger Teil. Notwendig ist es aber auch, innerhalb des normalen Rahmenplans dafür zu sorgen, dass die Eindämmung der Klimarisiken, die Anpassung an den Klimaschutz und auch der Erhalt der Biodiversität ein spürbares Gewicht erhalten. Die Agrarpolitik kann die Anpassung der Landwirtschaft an die Herausforderungen des Klimawandels und natürlich auch die Verringerung der Risiken unterstützen. Das wollen wir gerne tun. Dafür müssen wir aber in der Zukunft noch viel stärker als bisher an den Zielen einer standortangepassten Landwirtschaft arbeiten. Wir müssen auf eine auf die Veränderung ausgerichtete Landbewirtschaftung abstellen und auch die artgerechte und gesunde Haltung von Tieren als oberstes Gebot sehen. ({6}) Diese Richtung können und müssen wir mit den Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe unterstützen. Ich habe vorhin das Breitbandprogramm angesprochen. Bei diesem Signal in die Zukunft steht natürlich die Entwicklung der ländlichen Räume im Mittelpunkt. Daran müssen sich die Programme der Gemeinschaftsaufgabe ausrichten. Wir können aber gleichzeitig auch hier die Menschen unterstützen, die sich vor Ort engagieren. Deshalb schlagen wir als SPD eine institutionelle Förderung des Bundesverbandes der Regionalverbände vor. Hier können wir die Regionalinitiativen stärken und so die Vernetzung für die Entwicklung der ländlichen Räume viel effektiver als bisher nutzen. Zu den neuen Herausforderungen, die die EU definiert hat, gehört natürlich auch der Erhalt der biologischen Vielfalt. Hier sehe ich für die Haushaltsberatungen zwei entscheidende Punkte. Zum einen müssen wir ein umfassendes Monitoring der Biodiversität dort aufbauen, wo gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, weil wir beobachten müssen, ob dieser Anbau Auswirkungen auf unsere Umwelt hat. ({7}) Zum anderen müssen wir auf die tiergenetischen Ressourcen abstellen und die Nachhaltigkeit nutzen. Das bestehende Fachprogramm ist überwiegend auf die wissenschaftliche Begleitforschung ausgerichtet. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erhaltungszucht und der Bestandsaufnahme der tiergenetischen Ressourcen. An dieser Stelle kann man Änderungen vornehmen, weil die bisherigen Förderansätze für aktive Landwirte, die quasi aus Eigeninitiative alte Nutztierrassen halten, finanziell unzureichend ausgestattet sind. Hierauf könnte man auch in der GAK einen entsprechenden Schwerpunkt setzen und die Landwirte vor Ort unterstützen. Die vorgesehenen Mittel für den effizienten Energieeinsatz in Landwirtschaft und Gartenbau sind ein richtiger Schritt. Darüber sind wir uns, glaube ich, fraktionsübergreifend einig. Denn sie sind ein Beitrag zum Klimaschutz und zur Kostensenkung der Betriebe. Auch in der Fischerei - das ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich in meiner Rede die Fischerei in den Blick nehme ({8}) gibt es Potenziale, den Treibstoffverbrauch zu senken und die Fischerei in Zukunft nachhaltiger zu gestalten. Wir müssen prüfen, ob es zum Beispiel im Rahmen der Ressortforschung möglich ist, die Fischer zu unterstützen, indem bessere Netze entwickelt werden, die den Schleppwiderstand verringern und eine bessere Trennung des Fanges ermöglichen. Unser Ziel kann und muss in diesem Zusammenhang eine bestandserhaltende Bewirtschaftung unserer Gewässer sein. ({9}) Ein anderer Schwerpunkt unseres Haushalts ist die Förderung der nachwachsenden Rohstoffe. Diese Mit18576 Waltraud Wolff ({10}) tel werden insbesondere für die Markteinführung und für die technischen Verbesserungen ausgegeben. Ein Schwerpunkt muss aber auch auf der Technikfolgenabschätzung liegen. Wir alle haben noch die Diskussionen der letzten Zeit in Erinnerung. Deshalb schlagen wir vor, die Technikfolgenabschätzung bei der Nutzung von Biomasse in den Blick zu nehmen und dabei den Schwerpunkt auf die Untersuchung der Auswirkungen der Ausbringung von Gärresten auf die Böden zu legen. Außerdem wissen wir alle um die Flächen- und Nutzungskonkurrenzen der stofflichen und energetischen Verwendung nachwachsender Rohstoffe. Wenn wir ein Signal für die Zukunft setzen wollen, dann sollten wir auch die damit verbundenen Möglichkeiten nutzen. Wir investieren in die Zukunft. Ich möchte mich beim Verbraucherschutz - dazu werden noch zwei Kollegen aus meiner Fraktion reden - auf einen Punkt konzentrieren. Wir haben in diesem Jahr - das hat Herr Minister Seehofer angesprochen - die Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ beschlossen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten Wahlfreiheit. Die Hersteller können ihre Produkte mit der Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ bewerben. Unser Vorschlag ist, diese Kennzeichnung mit einer breit angelegten Informationskampagne in der Bevölkerung zu unterstützen. ({11}) Finanzminister Peer Steinbrück hat heute Morgen festgestellt, dass Investitionen in die Zukunft wichtig sind. Der Bundeshaushalt ist entsprechend aufgestellt. Unsere Vorschläge machen deutlich, dass wir uns hieran orientieren. Ich wünsche uns allen gemeinsam konstruktive Haushaltsberatungen. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann. ({0})

Dr. Kirsten Tackmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003853, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Haushaltsberatungen sind immer auch eine Art Leistungskontrolle oder Zeugnisvergabe. Insofern sollten wir uns aus meiner Sicht auch damit befassen, auf welche Situation dieser Haushaltsentwurf trifft. Die Liste der vor allen Dingen von Herrn Seehofer unbewältigten Konfliktfelder im Agrarbereich ist lang. Der Milchstreik ist schon genannt worden. Es gab Demonstrationen von Imkern, Schweinehaltern, Schäfern und der Biokraftstoffbranche. Es gab Feldbesetzungen gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen. Wir hatten einen weiteren Personalabbau und zusätzliche Standortschließungen im Agrarforschungsbereich zu verzeichnen. Die Betriebsmittelkosten und die Bodenund Pachtpreise explodieren. Es gibt Fördermittelrückforderungen an Gartenbaubetriebe. Außerdem droht die Kürzung von Direktzahlungen an die Landwirtschaftsbetriebe in Höhe von 400 Millionen Euro. Hinzu kommen Nutzungskonflikte zwischen Lebensmittel-, Futtermittel- und Biomasseanbau. Auch die sozialen Probleme in den ländlich geprägten Regionen nehmen weiter zu. 41,1 Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland arbeiten unterdessen im Niedriglohnbereich. Das betrifft vor allen Dingen Dörfer, kleine Städte und die Landwirtschaft, also den Verantwortungsbereich von Horst Seehofer. Was tut die Koalition in dieser Situation? Sie blockiert den gesetzlichen Mindestlohn und schafft die Pendlerpauschale ab. ({0}) Die Folgen sind absehbar und stehen im gerade veröffentlichten „Raumordnungsbericht Berlin-Brandenburg“. Für das Jahr 2030 wird ein Bevölkerungsschwund von 25,4 Prozent in den Berlin-fernen Regionen prognostiziert. Der Grund ist eine „erhebliche Abwanderung junger Erwerbstätiger“. Konkret: Vor allem junge Frauen fliehen in den Westen oder in Großstädte. Sie wollen dem Armutsrisiko und den fehlenden Lebensperspektiven entrinnen; denn es fehlt auf dem Land vieles, was junge Frauen brauchen. Es fehlt an öffentlicher Kinderbetreuung, Bus- und Bahnverbindungen, Arztpraxen, Kultur, Bildung und Dienstleistungen. Es fehlt an sozialer Absicherung vor allem für mitarbeitende Familienangehörige. Es fehlt an qualifizierter Arbeit. Gerade einmal 7 Prozent der Leiter landwirtschaftlicher Betriebe in der Bundesrepublik sind Frauen. Damit belegt Deutschland in der EU der 27 den letzten Platz. ({1}) Es fehlt zudem an gerechter Entlohnung. Laut einer aktuellen Studie bekommen Frauen selbst bei gleicher Qualifikation 33 Prozent weniger Lohn als Männer, das heißt 12 statt 18 Euro brutto pro Stunde. Im Osten gilt das nicht. Dort bekommen auch die Männer weniger. Die Antwort von Horst Seehofer auf diese spezifischen Probleme besteht in einer Arbeitsgruppe von acht Ministerien. Aber ausgerechnet die Familien- und Frauenministerin fehlt. Das ist eine glatte Fehlleistung, auch der Ministerin. ({2}) Blindheit gegenüber Gleichstellungsproblemen auf dem Land zeigt auch der Bundeshaushalt. Die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe werden zwar auf 700 Millionen Euro aufgestockt. Aber Ansätze für eine geschlechtergerechte Verteilung dieser Fördermittel sind nicht erkennbar. Es fehlt aber nicht nur an Geld. In der Anhörung zur Gemeinschaftsaufgabe haben wir erfahren, wie schwierig der Zugang zu diesen Mitteln ist. Auch das betrifft besonders Frauen. Das ist alles andere als eine Politik im Interesse der Dörfer und der kleinen Städte. Es gibt aber auch andere Großbaustellen. Wenn der Bund über die BVVG den ehemals volkseigenen Boden zu Höchstgeboten veräußert, mag zwar die Bundeskasse klingeln. Aber viele ortsansässige Landwirtschaftsbetriebe verlieren dadurch in Ostdeutschland ihre Produktionsgrundlage. Sie können bei den spekulativen Bodenkäufen nicht mithalten. Das ist keine Politik im Interesse der ortsansässigen Bewirtschafter. Sie trägt stattdessen zur Konzentration von Bodeneigentum und zur sozialen Destabilisierung bei. Im Streit um die flächenabhängige Kürzung der EUDirektzahlungen verlieren zuerst die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe, die viele Arbeitsplätze erhalten und geschaffen haben. Arbeitsplatzabbau und Lohnzurückhaltung sind die Folge. Das angeblich nur umgeschichtete Geld wird auch in den Landkreisen nicht ankommen, weil die dafür notwendigen Kofinanzierungsmittel der Bundesländer fehlen. Das ist keine Politik im Interesse der Landwirtschaftsbetriebe und der Dörfer. ({3}) Bei der Agrogentechnik weiß man nicht, wofür Horst Seehofer und die Koalition stehen - jedenfalls nicht auf der Seite der gentechnikfreien Landwirtschaft und der Imkerei. Beim Milchstreit hat sich gezeigt, dass Horst Seehofer nicht konsequent auf der Seite der Milcherzeugerbetriebe sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher steht. Seine starken Worte gegen kartellartige Handelstrukturen sind folgenlos verhallt. So bekommen wir das nicht hin, weder eine flächendeckende einheimische Milchproduktion noch kostendeckende Erzeugerpreise, die wir im Laden noch bezahlen können. Insofern stellt sich die Frage: Wessen Interessen vertreten der Minister und die Koalition eigentlich? Aus meiner Sicht wird der Agrarhaushaltsentwurf 2009 vielen Problemen im ländlichen Raum nicht gerecht. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Ulrike Höfken das Wort.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Seehofer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie ernsthaft glauben, dass Sie Ihre Aufgaben und Ziele mit diesem Haushalt erfüllt haben, dann sollten Sie jetzt konsequenterweise gehen. Aber auch in Bayern bleibt dem Wahlvolk der Jubel ja im Halse stecken. ({0}) Ich will nur ein wichtiges Beispiel nennen, nämlich das der armen Menschen in diesem Land. Ich habe gerade eine Tour zum Thema Armut und Ernährung gemacht. Hunderttausende von Menschen sind mittlerweile Kunden der sogenannten Tafeln. Sehr viele Freiwillige, deren Arbeit äußerst bewundernswert ist, ({1}) versorgen diese Menschen mit den notwendigen Lebensmitteln. Aber keiner sagt, dass diese Arbeit allein von diesen Freiwilligen erledigt werden kann. Vielmehr ist ganz klar, dass diese Probleme nicht von den Tafeln gelöst werden können. Das sind Probleme der Gesellschaft sowie der Politik, und von Letzterer sind sie auch zu lösen. ({2}) - Genau. Die schwarz-rote Bundesregierung hat seit 2005 etwa 60 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen zu verbuchen. Das entspricht einem Fünftel mehr an Haushaltsmitteln, als wir unter Rot-Grün hatten. Die Mehrwertsteuer belastet die Menschen; sie stöhnen unter den steigenden Lebenshaltungskosten. Aber wenn wir in den Haushalt schauen, lautet der Befund: Fehlanzeige beim sozialen Ausgleich. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass die Hartz-IV-Sätze für Kinder und Jugendliche nicht ausreichen. Aber im Haushalt ist kein entsprechender Ausgleich zu finden. Trotz der alarmierenden Zahlen von Millionen von fehlernährten Kindern und 800 000 schwerkranken adipösen Kindern ({3}) findet sich im Haushalt kein adäquates Aktionsprogramm Ernährung, das diesem Problem auch nur annähernd gerecht wird. Ohne ordentliche Essensversorgung - das wissen wir doch alle - ist jede Bildungsanstrengung zum Scheitern verurteilt. Immer mehr Kinder sind krank und leiden an Diabetes, Skeletterkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Aktionsprogramme sind zahnlose Papiertiger, und das Geld wird im Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern verschwendet. ({4}) Daran ist diese Regierung nicht schuldlos. Ein bisschen Schulmilch und Pilotprojekte für die Umsetzung von Qualitätsstandards sind ganz gut, aber nicht im Mindesten ausreichend. Wir brauchen für alle Kinder eine kostenlose bzw. bezahlbare Versorgung in Kitas und Schulen, und zwar eine gute. Außerdem brauchen wir eine Föderalismusreform, die diesen Anforderungen tatsächlich gerecht wird und mit der eine Korrektur bei den Zuständigkeiten im Bildungsbereich, einschließlich dieses Falles, vorgenommen wird. ({5}) Wir brauchen die überfällige Aufstockung der Hartz-IVSätze, und wir brauchen ernsthafte Förderprogramme, die sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche nicht in18578 folge der Armut weiter unter enormen Gesundheitsproblemen und mangelnder Unterstützung leiden. ({6}) Zu der Bilanz von Herrn Seehofer gehört auch, dass die Ampelkennzeichnung immer noch nicht durchgesetzt wurde. Deswegen sind 70 Milliarden Euro an ernährungsbedingten Krankheitskosten zu verbuchen, die ebenfalls in die Bilanz des ehemaligen Gesundheitsministers gehören. Bei der Landwirtschaft erinnern wir uns an die Bauernbefreiung, zu der Bauernverbandspräsident Sonnleitner die Bauern gegen Ministerin Künast aufhetzte. ({7}) Aber wir sehen, dass heute mehr Bauern auf Demonstrationen gegen Seehofer gehen, als es in der Geschichte dieses Landes je der Fall war. ({8}) Exportanteile nützen nichts, wenn dahinter keine Wertschöpfung steht. Aber das ist die Erfahrung, die die Leute machen. Von der Bundesregierung wird totgeschwiegen - meine Vorredner haben es erwähnt -, dass wir eine enorme Ausräuberung der Förderung der ländlichen Räume haben. Dank Ihrer, dank der Finanzpolitik von Frau Merkel fehlen in Deutschland seit dem 1. Januar 2007 mehr als 300 Millionen Euro jährlich aus Brüssel. Mit den Kofinanzierungsmitteln sind es mindestens zwischen 400 Millionen und 500 Millionen Euro jährlich weniger. Daneben nimmt sich die Aufstockung der Gemeinschaftsaufgabe doch wirklich lächerlich aus. ({9}) Die Mittel für Ökolandbau, Umweltprogramme, tiergerechte Erzeugung und Qualitätsprogramme wurden gestrichen. Natürlich wurden damit auch die Arbeitsplätze im ländlichen Raum in Gefahr gebracht. Allein in Bayern fehlen 40 Prozent der Förderung. Die Milchbauern fordern zu Recht eine zukunftsfähige Milchpolitik, weg von der Massen- und Überschusserzeugung. Die Abstimmung über entsprechende Anträge wurde im Bundesrat auf die Zeit nach der Wahl in Bayern verschoben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Höfken, beachten Sie bitte die Zeit.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss. Damit drücken Sie sich ganz klar vor der Verantwortung. ({0}) So werden wir nicht weiterkommen. Am Sonntag haben die Imker in Bonn demonstriert. Auf einem Wagen stand: Wer als Imker CSU wählt, der kann sein Kreuzchen gleich bei Monsanto machen. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen. Danke schön. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Georg Schirmbeck. ({0})

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte die Ehre, einen Augenblick auf dem Stuhl des Fraktionsvorsitzenden zu sitzen. ({0}) Nach dem, was die Oppositionspolitiker eben erzählt haben, meine ich, dass das gerechtfertigt war; denn eigentlich ist unser Einzelplan der zentrale Einzelplan, und alle Probleme dieser Republik müssen im Rahmen unseres Einzelplans gelöst werden. Das ist mein Eindruck gewesen. Hier sind bis hin zur Pendlerpauschale alle Probleme aufgezählt worden, die wir zu lösen haben. ({1}) - Kennen Sie eigentlich einen Bauern persönlich? Der normale Bauer wohnt auf seinem Hof. Wollen Sie jetzt die Pendlerpauschale für denjenigen einführen, der auf sein Feld fährt? ({2}) Das Elend der ganzen Welt wird hier thematisiert. ({3}) Frau Höfken, ich will Ihnen ein Geheimnis erzählen. Wenn man in Deutschland unterwegs ist, mit Bauern spricht und die Veranstaltungen abends ruhig verlaufen, man aber Stimmung erzeugen will, dann braucht man nur von Dosenmaut und verdeckter Feldbeobachtung zu sprechen und die Namen Trittin und Künast zu erwähnen. Dann hat man Stimmung im Saal. ({4}) Die Bauern wollen Sie überhaupt nicht wiederhaben. Es nützt auch nichts, wenn Sie bestellte Plakate anführen. Die Bauern wollen in die Zukunft schauen, sie wollen eine unternehmerische Landwirtschaft. Sie wollen keine Almosen oder etwas Ähnliches. Sie können hier eine Menge erzählen. Es gibt Punkte, über die sich CDU/CSU und SPD nicht einig sind. Aber das, was wir in den letzten drei Jahren gemeinsam auf den Weg gebracht haben, und das, was wir im nächsten Jahr auf den Weg bringen werden, ist wirklich vorzeigbar. Darauf sind wir stolz. ({5}) Michael Goldmann und ich sind uns meistens bis auf Punkt und Komma einig. Das hört sich hier manchmal ein bisschen anders an; das hat aber etwas mit der Rolle zu tun, die wir hier zu spielen haben. Wir beide kommen aus einer landwirtschaftlich geprägten Region, die boomt. Osnabrück-Emsland, Südoldenburg, das sind erfolgreiche Regionen. Wir sind Abgeordnete in dieser Region. Dass wir beide unterschiedliche Schwerpunkte setzen müssen, das nehmen wir so hin. Michael, bei aller Kritik, die du an der einen oder anderen Stelle vorbringen darfst und musst, könntest du natürlich auch sagen, dass wir mit der Ressortforschung ein gigantisches Werk auf den Weg gebracht haben. Es müssen Hunderte von Menschen umziehen und ihren Arbeitsplatz wechseln. Das birgt ein hohes Konfliktpotenzial, ganz abgesehen von den Sachfragen. Dass wir das ohne große Aufwallung und Kritik hinbekommen, ist eine gigantische Leistung. Alle, die später einmal in diesem Hohen Hause sind, sollten dankbar sein, dass wir diese schwierige Arbeit auf den Weg gebracht haben. So etwas kann vielleicht nur eine große Koalition. Darauf sind wir ein bisschen stolz. ({6}) Frau Höfken, jetzt sollten Sie einmal zuhören. Was Sie jetzt hören, sollten Sie erzählen, wenn Sie wieder zu Hause sind. Wissen Sie, was mich im landwirtschaftlichen Bereich furchtbar stört - da ich aus der Szene komme, erlaube ich mir, das ganz offen zu sagen -: Wir nehmen zweimal 200 Millionen Euro zur langfristigen Sanierung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in die Hand. Kennen Sie eine einzige Verbandszeitung, in der steht, danke, Deutscher Bundestag, dass du diese 400 Millionen Euro in die Hand genommen hast? ({7}) Auf der Grünen Woche hat einer Ihnen für Ihre heroische Leistung gedankt; dabei haben Sie bei jeder Abstimmung dagegen gestimmt. Ich war ganz durcheinander, weil ich die personellen Zusammenhänge nicht kannte. ({8}) Ich kann Ihnen nur sagen: Wir bringen 400 Millionen Euro in unserem Einzelplan auf den Weg, um die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft langfristig auf sichere Füße zu stellen. Das ist eine gigantische Leistung, wenn Sie sehen, welchen Handlungsspielraum wir in diesem Zusammenhang haben. ({9}) - Das ist keine alte Geschichte. ({10}) Die nächsten 200 Millionen Euro müssen in dem Haushalt, über den wir reden, zur Verfügung gestellt werden. Der Unterschied zwischen mir und Ihnen ist, dass ich über den Haushalt 2009 spreche, Sie aber Märchen erzählt haben. Das hat doch mit der Realität unseres Haushalts nichts zu tun. ({11}) Geschlampt haben wir in der Vergangenheit beim Küstenschutz. Jetzt kann man natürlich sagen: Das hat mit Klimaveränderung und all dem, was damit zusammenhängt, zu tun. In Wirklichkeit ist dafür in den 90erJahren und auch Anfang dieses Jahrhunderts zu wenig getan worden. Die Mittel, die dafür im Bundeshaushalt zur Verfügung standen, sind teilweise gar nicht abgerufen worden, und jetzt kommen die Ministerpräsidenten der norddeutschen Länder und sagen: Der Bund muss mehr tun. Ich sage: Ihr müsst die Mittel abrufen, ihr müsst die Mittel gegenfinanzieren. Wir haben die Mittel zur Verfügung gestellt. Bundesminister Seehofer hat mittlerweile mit unserer Unterstützung dafür gesorgt, dass 25 Millionen Euro in einem Sonderplan zur Verfügung stehen. Wir als Bund stehen also zu unserer Verpflichtung. Aber wenn die, die vor Ort wirklich zuständig sind, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, dann können wir natürlich auch nicht helfen. Wir sind nicht für alles Elend zuständig. Manche sind für das Elend, das sie beklagen, selber zuständig. ({12}) Gemeinschaftsaufgabe „Küstenschutz“: Jeder Abgeordnete im ländlichen Raum hat doch unwahrscheinliche Ideen, was man alles machen kann. Wenn wir noch 300 Millionen Euro hätten, könnten wir diese 300 Millionen Euro doch sehr schnell ausgeben. Man kann mit geringfügigen Mitteln wirklich viele gesellschaftliche Projekte auf den Weg bringen; das ist überhaupt keine Frage. Aber das muss auch insgesamt darzustellen sein. Wenn der Bundeshaushalt insgesamt eine Steigerung um 1,8 Prozent erfährt, dann können wir doch nicht erwarten, dass in diesen Bereich 20 Prozent mehr fließt. Das können wir zwar erzählen, das glaubt aber kein Mensch, und es hilft auch draußen niemandem, dem wir wirklich helfen wollen. Aber die Trendwende, die wir bei dieser GAK zu verzeichnen haben - 700 Millionen Euro stehen zur Verfügung -, das ist doch eine Hausnummer. Wir sollten hier keine unrealistischen Erwartungen wecken, sondern zeigen, was wir in diesem Zusammenhang gemeinschaftlich auf den Weg bringen! Ein ganz wichtiger Punkt ist soziale Sicherheit im ländlichen Raum. Wir stellen fest, dass das eine oder andere Alterssicherungsprogramm jetzt abschmilzt, weil die Klientel ganz einfach wegstirbt; so brutal ist die Welt eben. Wir stellen aber fest, dass es einen Bereich gibt, in dem es einen Aufwuchs gibt: in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung. Das hat natürlich etwas mit der allgemeinen Gesundheitspolitik zu tun. Wir können den Menschen im ländlichen Raum sagen, dass wir zu unserer Verantwortung stehen und dass die Mittel entsprechend aufwachsen. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kinder der Bauern so behandelt werden wie alle Kinder in der Republik. Das ist eine Leistung. Das darf man hier doch einmal positiv herausstellen. ({13}) In der Großen Koalition gibt es einen Punkt, über den wir diskutieren - Ernst Bahr und ich versuchen immer, diese Diskussionen vorzubereiten -: den wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Es gibt unterschiedliche Ansätze. ({14}) Ich sage uns einmal voraus: Wir führen ein Berichterstattergespräch. Frau Drobinski-Weiß ist immer ängstlich, wenn der wilde Schirmbeck da so zu Werke geht. Aber am Ende der Gespräche werden wir uns geeinigt und sachlich Gutes auf den Weg gebracht haben. Hier wurde gesagt: Es wird überhaupt nichts gegen die Fehlernährung, gegen die Unterernährung von Menschen und anderes getan. Wir müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass Minister Seehofer eine große Kampagne für gesunde Ernährung in den Schulen durchgeführt hat. Sie nehmen gar nicht zur Kenntnis, wie viel Positives in dieser Republik stattfindet. Nur wenn Sie das endlich einmal zur Kenntnis nähmen, könnten Sie die Kraft haben, sich zukünftig um die Probleme zu kümmern, die wir noch nicht gelöst haben. Ich weiß gar nicht, wie Sie morgens aufstehen. Es muss Ihnen doch schon morgens Kopfschmerzen bereiten, wie grau der Tag wird, wenn Sie sich nicht über das freuen können, was Sie abends geleistet haben. ({15}) Lassen Sie mich schließlich und endlich eines sagen: Wir können uns hier über vieles unterhalten. Ich glaube aber, wenn man einmal mit offenen Augen durch die Welt fährt, dann stellt man fest: Es gibt einen riesigen Hunger nach gesunder, ausreichender Ernährung und nach Energie. Angesichts dessen sollten wir uns vielleicht einmal gemeinsam fragen, wie wir unsere sämtlichen gemeinsam gepflegten ideologischen Vorbehalte abbauen und die Kraft finden können, um zu sagen: Beim nächsten Mal nehmen wir einen Sonderplan „Grüne Gentechnik“ in Angriff. ({16}) - Ich will gar keinen Beifall dafür haben. Ich möchte nur einmal anregen, darüber nachzudenken, ob das nicht zur Verantwortung eines Hochtechnologielandes wie Deutschland gehört. Wenn wir nicht den Mut haben, uns da einzubringen, wer dann soll die Probleme in dieser Welt lösen? ({17}) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({18})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Schirmbeck, selbstverständlich bedanke ich mich bei Ihnen für diesen sehr versöhnlichen und konstruktiven Beitrag. Ich fürchte allerdings, Minister Seehofer wird nicht in der Lage sein, ihn umzusetzen. Er hat deutlich gemacht, dass bei ihm Willkür und Unwissenschaftlichkeit das Handeln prägen. Überhaupt, Herr Minister, bin ich ein bisschen enttäuscht von Ihrer Rede, weil Sie die Wirklichkeit in Deutschland ausblenden. ({0}) Angesichts eines Milchlieferboykotts, wie wir ihn in dieser Republik noch nie gehabt haben, angesichts der Nöte von Milchbauern von der Einheit der Landwirtschaft zu sprechen, das ist für mich ein Ausblenden der Wirklichkeit, wie ich es von einem Landwirtschaftsminister nicht erwartet hätte. ({1}) - Ich frage die Bauern. Ich bin auf der Versammlung in Schleswig-Holstein gewesen, wo der Präsident Schwarz sehr deutlich für eine Politik geworben hat, wie auch wir als FDP-Bundestagsfraktion sie vertreten - Herr Kollege Bleser, Sie könnten ruhig einmal zuhören: wie auch wir sie hier vertreten -, nämlich für eine unternehmerische Landwirtschaft. Diese unternehmerische Landwirtschaft braucht sichere Rahmenbedingungen. ({2}) Wo sind diese sicheren Rahmenbedingungen? ({3}) Erinnern wir uns doch einfach einmal an den Milchgipfel! Viel wurde versprochen, und anschließend war der Milchpreis niedriger als vorher. Das ist das Handeln dieses Ministers. Gestaltet er so die Zukunft? ({4}) Der Minister ist stolz darauf, dass er alle Punkte des Koalitionsvertrags erfüllt habe. Kann er wirklich stolz darauf sein, die gesamte Biodieselbranche in den Dutt gefahren zu haben? ({5}) Genau das hat er gemacht! Mit der Erfüllung des Koalitionsvertrags hat er dafür gesorgt, dass die gesamte Biokraftstoffbranche am Boden liegt. Dass man darauf stolz ist, kann ich nicht verstehen. ({6}) - Sie kommen auch noch dran, Herr Kelber. Wir wissen im Übrigen: Die Hälfte der Menschen in Deutschland lebt in den ländlichen Regionen. Aber die Breitbandverkabelung ist dem Minister gerade mal 10 Millionen Euro wert. Wie weit soll das eigentlich reichen? Das reicht noch nicht einmal für einen einzigen Landkreis. - So viel dazu. ({7}) Die Ressortforschung wurde als Ruhmestat benannt. Kollege Schirmbeck, da muss ich Ihnen leider widersprechen. Ressortforschung hat die Aufgabe, den Landwirtschaftsminister zu beraten, und dazu muss man entsprechende Forschung betreiben. Das muss dort geschehen, wo es am besten möglich ist. Warum eigentlich zerschlägt man in Kiel eine hervorragend funktionierende Milchforschung, die auf die Zukunft ausgerichtet ist? ({8}) Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Dies nach Karlsruhe zu verlagern, wo die anderen Einrichtungen nicht vorhanden sind - ob es um Tierhaltung oder sonst etwas geht -, ist meines Erachtens ein absolutes Armutszeugnis.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Happach-Kasan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber gern, Herr Kollege Schirmbeck.

Georg Schirmbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003626, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Happach-Kasan, über diese Sache mit dem Milchinstitut haben wir in unterschiedlichen Gesprächsrunden wiederholt diskutiert. Glauben Sie nicht, dass die Beurteilung der gesamten Ressortforschung und der Neuorganisation glaubwürdiger wäre, wenn diesen Punkt nicht eine Abgeordnete aus Schleswig-Holstein kritisiert hätte? Wenn die Meinung besteht, dass alles nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, dann hätten Sie doch etwas aus Niedersachsen oder BadenWürttemberg oder Nordrhein-Westfalen nehmen können. Klingt das, was Sie jetzt vorgetragen haben, nicht nach Kirchturmspolitik?

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein. Einmal ist der Kirchturm in Kiel ein bedeutender Kirchturm. Zum anderen muss man feststellen - das kann man im Vergleich der einzelnen Institute sehr deutlich machen -, dass die Milchforschung in Kiel mit Stärkung der Universität, die vom Wissenschaftsrat besonders positiv beurteilt worden ist, eine hervorragende Struktur gewesen ist ({0}) eingebunden in eine Wissenschaftslandschaft, ({1}) eingebunden in eine Unternehmensstruktur, die dort hervorragende Arbeit geleistet hat. In bestimmten Bereichen kann diese Arbeit in Karlsruhe schlicht nicht fortgeführt werden, ({2}) weil es dort zum Beispiel die Tierhaltung von Schaedtbek nicht gibt, weil es dort zum Beispiel das Diabetesprogramm mit der Universitätsklinik nicht gibt. Deswegen habe ich mich für Kiel eingesetzt. Ich glaube, es muss auch einer schleswig-holsteinischen Abgeordneten erlaubt sein, für einen Standort in Schleswig-Holstein zu werben. Wer in dem bayerisch geführten Ministerium tut das denn sonst? ({3}) Insofern ist dieser Beitrag voll gerechtfertigt. - Vielen Dank für die Frage. ({4}) - Danke, Kollege Koppelin. Ich hätte gern noch eine zweite Frage. Ich möchte auf einen anderen Punkt kommen; er ist schon angesprochen worden. Auf landwirtschaftlichen Flächen wird für die Ernährung produziert. Das ist eine hochwichtige Produktion. Aber wir haben auch eine Energieproduktion. Wir sind uns in diesem Hause einig: Wir wollen bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren Energien von 20 Prozent. Gegenwärtig sind wir bei einem Stand von 7,3 Prozent. Wir wissen, dass 75 Prozent der erneuerbaren Energien aus Biomasse gewonnen werden. Vor diesem Hintergrund, Herr Minister, will ich etwas Lobendes sagen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zur energetischen Nutzung von Biomasse ist ein gutes Gutachten. Aber was nützen uns Gutachten, wenn sie nicht umgesetzt werden? Warum hat man bei der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht auf diese Daten zurückgegriffen? Das Gutachten besagt eindeutig, dass die Produktion von Biomasse in Agroforstsystemen besonders positiv ist. Wir haben dazu drei Anträge von der FDP, von den Grünen und von den Linken vorliegen. Die Oppositionsfraktionen machen dazu eine Anhörung. ({5}) Warum bringen Sie nicht endlich die Änderung des Bundeswaldgesetzes auf den Weg, damit wir diese Art der Produktion von Biomasse endlich naturverträglich und für die Verbraucher kostengünstig auf den Weg bringen können? Ich sehe da von Ihrer Seite überhaupt keine Handlung. Das ist Murks. ({6}) Gehen wir zum nächsten Thema, dem Pflanzenschutz. Sie haben keine Unterstützung geleistet. Sie haben nicht auf den Weg gebracht, dass wir in der EU eine Pflanzenschutzgesetzgebung bekommen, die auch den Anforderungen von Verbrauchern und Landwirten entspricht. Bei Rechtsverstößen duckt sich diese Bundesregierung weg. Das zeigt sich beim Einsatz von nicht zugelassenen Pflanzenschutzmitteln. Die Antwort der Bundesregierung auf meine Frage war nichtssagend. Das zeigt sich beispielsweise genauso beim Versenken von Felsblöcken im FFH-Gebiet vor Sylt. Auch das ist illegal. Diese Bundesregierung hat ein gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat. ({7}) - Ich habe die Beispiele genannt. Das Beispiel von Sylt zeigt dies ebenso wie die nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittel. Gleiches gilt für das Positionieren gegenüber den Zerstörern von Freisetzungsversuchen. Auch diese werden nicht so behandelt, wie sie es verdienen. ({8}) Herr Minister, Sie müssen Vertrauen in eine solche Technologie schaffen. Sie haben in dieser Beziehung total versagt. Danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Manfred Zöllmer das Wort. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Happach-Kasan, das war der typisch anaerobe Vortrag, den wir mit den immer gleichen Themen von Ihnen gehört haben. ({0}) Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat Ende August der Saarbrücker Zeitung in die Feder diktiert, sie vermisse den roten Faden bei der FDP. Da hatte sie sicherlich noch nicht die Rede der Kollegin Höfken gehört. Liebe Kollegin Höfken, ich habe mich wirklich gefragt, zu welchem Haushalt Sie hier eigentlich geredet haben. ({1}) Wir haben in dieser Regierung insgesamt viel bewegt; in der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit den Grünen, jetzt mit der CDU/CSU. Als Sozialdemokraten haben wir auch manches Unsinnige verhindert. Viele der Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger tagtäglich beschäftigen, sind aktuelle Themen der Verbraucherpolitik: Steigende - bzw. im Moment nicht sinkende - Energiepreise, die Kennzeichnung von Lebensmitteln, Werbeanrufe, krimineller Datenklau, der ganz aktuell ist, oder die Abzocke im Internet. Manch einer versucht die Abzocke auch an den Bahnschaltern. Es gibt missachtete Fahrgastrechte. An vielen Punkten gibt der Haushaltsentwurf 2009 die richtigen Antworten auf diese Probleme. So sollen die Mittel für den Nationalen Aktionsplan Gesunde Ernährung und Bewegung um zwei Millionen Euro auf fünf Millionen Euro aufgestockt werden. Das ist gut und richtig, denn wir müssen die 37 Millionen übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen und zwei Millionen Kinder zu einem gesünderen Ernährungs- und Bewegungsverhalten veranlassen und dadurch die Verbreitung von Übergewicht mit allen negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen deutlich verringern. Das Thema gesunde Ernährung wird in vielen verschiedenen Titeln im Haushalt direkt oder mittelbar gefördert. Ich nenne hier den Zuschuss an die Deutsche Gesellschaft für Ernährung, die Förderung des aid, den Mitgliedsbeitrag zur Plattform Ernährung, die Förderung des vzbv und das Projekt „Besser essen. Mehr bewegen.“ Es ist allerdings fraglich, ob hier nicht einiges parallel läuft. Wir meinen, die Bundesregierung sollte - auch mit Bezug auf den Nationalen Aktionsplan - eine Bestandsaufnahme und ein koordiniertes Konzept für die Zukunft vorlegen. Dies sollte auch die Institute und ihre Arbeit mit einbeziehen. Wir machen sehr viel, aber die Koordination und Bündelung der vielfältigen Aktivitäten ist aus unserer Sicht noch verbesserungsbedürftig. ({2}) Ein weiteres Thema, auf das der Haushalt auch eingeht, bleibt die Breitbandversorgung im ländlichen Raum. Die Kollegin hat bereits darauf hingewiesen. Trotz der immer besseren Verbreitung von Breitbandanschlüssen besteht in Deutschland eine digitale Kluft zwischen ländlichen Räumen und Großstädten bzw. Ballungszentren. Diese digitale Spaltung können und wollen wir nicht hinnehmen. Diese Herausforderung wird im Haushaltsplan aktiv angenommen. Ausgaben in Höhe von mindestens 10 Millionen Euro dienen der Förderung der Breitbandversorgung im ländlichen Raum. Dies ist wichtig zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Teilhabe der Menschen im ländlichen Raum, gerade angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Datenschutz ist aktiver Verbraucherschutz. Das zeigen die Skandale der letzten Zeit sehr deutlich. Unser Datenschutzrecht muss endlich der digitalen Realität angepasst werden. Ich begrüße es auf das Schärfste, dass unser Koalitionspartner endlich aus dem Bremserhäuschen herausgekommen ist. ({3}) Herr Minister Schäuble hat ein Eckpunktepapier zum Datenschutzaudit vorgelegt. ({4}) - Beim Bremsen! - Darin finden sich eine ganze Reihe an Vorschlägen, denen auch wir zustimmen können, zum Beispiel zu einem generellen Opt-in in diesem Bereich, zu einem Kopplungsverbot mit Diensten, zu einer Erhöhung der Bußgelder, zu einem stärkeren betrieblichen Datenschutz, zu einem Datenschutzaudit und zu einer Verbesserung des Datenschutzes beim Scoring. Daneben werden auch noch verbesserte Möglichkeiten zur Abschöpfung von Unrechtsgewinnen erwähnt. Wenn wir wirklich wollen, dass die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen zu einem Tiger mit Zähnen wird ({5}) dieses Problem gibt es ja nicht nur im Datenschutzbereich -, dann müssen wir die Voraussetzungen, um Unrechtsgewinne abschöpfen zu können, deutlich verbessern, also im Gesetz nicht nur „Vorsatz“, sondern zumindest auch „grobe Fahrlässigkeit“ vorsehen. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, zu Unrecht erlangte Gewinne nicht bei den Unternehmen zu belassen. Dazu gehört aber auch, die Verbraucherverbände in die Lage zu versetzen, bei Datenverstößen mit einer Verbandsklage reagieren zu können. Dazu muss das Unterlassungsklagegesetz geändert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch bei datenrechtlichen Bagatellschäden eine Forderung verfolgt werden kann. Wegen geringer Schadenssummen wird nämlich kaum jemand bereit sein, privatrechtlich zu klagen. ({6}) - Dies ist ein Gesamtpaket, liebe Kollegin, und hat etwas mit Verbraucherschutzpolitik zu tun. Vielleicht als kleiner Hinweis: Dies sollten Sie noch einmal nachlesen. Wir werden für diesen Bereich und für den Bereich Scoring in Kürze Gesetzentwürfe vorlegen. Scoring darf nicht länger eine Blackbox für die Konsumenten bleiben. ({7}) Wir brauchen Transparenz und Nichtdiskriminierung bei der Kreditvergabe. Ich bin der Auffassung, dass das Scoring auf kreditorische Verträge beschränkt sein sollte. Im Bereich der Wohnungswirtschaft und bei Energielieferungen besteht nämlich ansonsten die Gefahr, dass bestimmte soziale Gruppen ausgegrenzt werden. Das lehnen wir Sozialdemokraten ab. ({8}) In Kürze werden wir in erster Lesung über den vom Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurf zur Bekämpfung unerlaubter Telefonanrufe debattieren. Der Gesetzentwurf ist nicht zuletzt das Ergebnis unserer Initiative. ({9}) Damit werden wir dafür sorgen, dass die Zahl unerwünschter Telefonanrufe deutlich reduziert wird. ({10}) In diesen Themenkomplex passt auch meine Initiative, in der ich das aktuelle Verfahren zur privaten Handy-Ortung kritisiert habe. Ich bin froh, dass nun auch das unionsgeführte Wirtschaftsministerium der Auffassung ist, dass wir die aktuelle TKG-Novellierung dazu nutzen sollten, die missbräuchliche Ortung auszuschließen. Das Letzte, was wir in Deutschland brauchen, sind private Bespitzelungen nach Stasimanier. ({11}) Sie sehen, wir stellen uns den Problemen und suchen nach Lösungen, die weder bevormunden noch die Wirtschaft bürokratisch strangulieren. Wir handeln. Wir vertrauen nicht naiv darauf, dass es der Markt schon richten werde, wie es ansonsten die FDP immer propagiert.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Zeit.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. - Vielleicht zum Schluss: Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Theseus hat aus dem Labyrinth des Minotaurus mit einem roten Faden herausgefunden. Von Grün war da nie die Rede. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Karin Binder das Wort. ({0})

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor drei Monaten hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen den jüngsten Verbraucherschutzindex veröffentlicht. Das Ergebnis dieser repräsentativen Verbraucherbefragung war niederschmetternd. Hier nur drei Erkenntnisse: Erstens. Über die Hälfte der Befragten war der Meinung, dass die Bundesregierung sich nicht wirkungsvoll für Verbraucherinnen und Verbraucher engagiert. Zweitens. Vor allem bei Familien und einkommensschwachen Haushalten ist die Unzufriedenheit sehr groß. Drittens. Die Menschen in Deutschland fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Sie werfen der Bundesregierung vor, dass sie ihre Interessen gegenüber der Wirtschaft nicht vertritt und durchsetzt. Die Fakten: Die Kosten für Strom und Gas wuchern unkontrolliert. Der Handel mit Adressen und Kundendaten blüht. Viele Menschen werden nach wie vor durch unerwünschte Telefonwerbung belästigt. Im Bereich der Finanzdienstleistungen werden Verbraucherinnen und Verbraucher von Banken und Versicherungen nach wie vor oft unzureichend beraten. Das Recht auf Verbraucherinformation kann leider nur sehr beschränkt wahrgenommen werden. Die Pläne zur Umsetzung der Nährwertkennzeichnung entsprechen in vollem Umfang den Vorstellungen der Lebensmittelindustrie. Sie, Herr Minister Seehofer, reden davon, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher mit großen Wirtschaftsunternehmen auf Augenhöhe seien. In welcher Höhe befindet sich denn hier die Augenhöhe? Gürtelschnalle? ({0}) Werte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen erwarten von der Bundesregierung zu Recht, dass sie im Sinne der Bürgerinnen und Bürger handelt. Und sie erwarten auch, dass der Staat da eingreift, wo Verbraucherinnen und Verbraucher sonst getäuscht, belogen oder betrogen werden. In den bekanntgewordenen Fällen von illegalem Datenhandel den Verbraucherinnen und Verbrauchern über die Presse zu empfehlen, dass sie ihre Daten halt nicht angeben sollen, ist im Zeitalter von Internet- und Versandhandel eine Lachnummer, Herr Seehofer. ({1}) Auch Datenschutz ist ein wichtiger Bestandteil von Verbraucherschutz. Das gilt nicht nur für den Handel mit Adressen und Kundendaten; das gilt auch für die vom Bundesinnenminister angestrengte Initiative zur heimlichen Onlinedurchsuchung von Privatcomputern. Ich erwarte vom obersten Verbraucherschützer in Deutschland, dass er die berechtigte Kritik von zahlreichen Verfassungsrechtlern aufnimmt und gegen die Allmachtsgelüste seines Kollegen Innenminister Schäuble Stellung bezieht. ({2}) Wirtschaftlicher, finanzieller und digitaler Verbraucherschutz spielt in diesem Haushaltsentwurf so gut wie keine Rolle, obwohl genau in diesen Bereichen die Verbraucherinnen und Verbraucher am meisten abgezockt werden. Wenn der Herr Minister Seehofer bei jeder sich bietenden Gelegenheit meint, den einzelnen Verbraucher oder die Verbraucherin auf seine bzw. ihre Eigenverantwortung hinweisen zu müssen, dann muss er sich zumindest fragen lassen, warum sein Ministerium nichts für die Verbraucherbildung in Deutschland tut. Denn auch dazu lässt sich im Haushaltsplan bisher wenig finden. Wie schon im letzten Jahr liegt der vermeintliche Schwerpunkt dieses Haushalts auf Maßnahmen im Ernährungsbereich. Hier lauert die nächste Nullnummer, die Nährwertkennzeichnung. Ich bin leider nicht so optimistisch wie Sie, Herr Goldmann, dass die Ampel schon kommt, es sei denn, Herr Seehofer führt das hier so aus. Aber im Augenblick sieht es nicht so aus, dass er gewillt wäre, hier tatsächlich ein einheitliches, verständliches und verbindliches System einzuführen, das dem der Ampel entspräche - vor lauter Angst vor der Lebensmittelindustrie. Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsplan macht deutlich, was wir verbraucherpolitisch von der Koalition auch in ihrem letzten Regierungsjahr zu erwarten haben: herzlich wenig. Es gibt bis heute kein schlüssiges Gesamtkonzept, wie die Bundesregierung die vorher beschriebenen verbraucherpolitischen Herausforderungen angehen will. Es wird auch weiterhin beim Stückwerk und beim Kompetenzgerangel zwischen verschiedenen Ministerien bleiben. Die Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen die Zeche. Ich bedanke mich. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun die Kollegin Cornelia Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, wir alle erinnern uns noch sehr gut daran, wie Sie bei Ihrem Amtsantritt vollmundig verkündet haben, jetzt gehe es um Handwerk statt Mundwerk. Nicht etwa, dass wir die gleiche Einschätzung hatten; nein, unter Renate Künast war schließlich die Agrarwende eingeleitet worden. Aber alle waren ziemlich gespannt darauf, was da nun kommen würde. Sie haben sich als Mann vieler Worte - mitunter sogar sehr launiger -, aber in der Regel wenig klarer Aussagen erwiesen. So hört man heute auf Landesbauernversammlungen hier und da tuscheln: Renate Künast war doch die bessere Ministerin. Da wusste man, woran man war. Bei Ihnen, Herr Minister, weiß man das meist nicht. ({0}) Weder die Bilanz Ihrer Agrarpolitik nach drei Vierteln der Legislaturperiode noch die Zukunft sehen hoffnungsvoll aus. Schaut man sich den Haushalt an, dann stellt man fest, dass da zum Teil höhere Zahlen als im Vorjahr stehen. Sie brüsten sich mit der Aufstockung einiger Titel. Aber werden Sie damit den Herausforderungen der Zukunft gerecht? Ich meine, nein. ({1}) Für die GAK gibt es zwar 40 Millionen Euro mehr. Aber wofür werden sie ausgegeben? 25 Millionen Euro für klimabedingten Küstenschutz, 0 Millionen Euro für den Klimaschutz. Wenn diese 25 Millionen wenigstens der Umwandlung von Acker- in Grünland dienen würden! Aber ich fürchte, es wird wieder nur auf höhere Deiche hinauslaufen. ({2}) Ich erinnere an den Breitbandanschluss im ländlichen Raum. Ich stimme zu: Die Anschubfinanzierung in 2007 war vielleicht richtig und wichtig. Aber jetzt ist Minister Glos an der Reihe, nicht der Agrarhaushalt. ({3}) Was bleibt für die ländliche Entwicklung? Wann werden die zahlreichen Anregungen aus den schönen Ministeriumsveranstaltungen aufgegriffen? Wann endlich werden die Maßnahmen zur Verbesserung der ländlichen Wertschöpfung umgesetzt? Und was ist mit dem Ökolandbau? Sie ignorieren weiterhin die Marktentwicklung im Biosegment und die Wettbewerbsverzerrungen durch die Bioenergieförderung. ({4}) Die Schere zwischen der Kundennachfrage und dem Angebot an deutschen Bioprodukten geht immer weiter auseinander. Diese Schere können Sie nur schließen, wenn Sie die Umstellungsanreize erhöhen. ({5}) Dafür braucht die GAK mehr Geld. ({6}) Auch beim Bundesprogramm Ökolandbau bleiben Sie sparsam, obwohl gerade die Ökolandbauforschung Antworten auf die Fragen gibt, wie die Landwirtschaft Energie sparen kann, wie sie umweltverträglicher wirtschaften kann und wie klimaschädliche Emissionen vermindert werden können. Wir Grüne fordern, das Bundesprogramm Ökolandbau zu einem gut ausgestatteten permanenten Forschungsbudget umzustrukturieren, mit dem auch Grundlagenforschung finanziert werden kann. Die Mittel dafür können Sie übrigens bequem bei der Agrogentechnik einsparen. Diese Technologie ohne Akzeptanz muss wahrlich nicht noch mit Steuermitteln gefördert werden, Herr Kollege Schirmbeck. ({7}) Selbst bei der Ressortforschung hören wir keine klaren Worte: Eine unendliche Geschichte droht die Errichtung des Standortes Ost des Julius-Kühn-Institutes zu werden. Bereits im März 2005 hatte Renate Künast entschieden, die Institutsteile aus Berlin-Dahlem und Kleinmachnow zusammenzuführen. Aber die Errichtung des Gebäudes kommt unter Minister Seehofer nicht voran. Sein Haus hat es in drei Jahren noch nicht einmal hinbekommen, eine haushaltsseitige Anerkennung des Bedarfs für dieses Institutsgebäude durch das BMF zu erwirken. Zum Schluss noch ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt: die nachwachsenden Rohstoffe. Hier wollen Sie, Herr Minister, kürzen. Offenbar haben Sie auch da die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Denn es sind nach wie vor eher stärkere finanzielle Anstrengungen nötig, zum Beispiel für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau nachwachsender Rohstoffe und den Aufbau entsprechender Zertifizierungssysteme. Zukunft, Herr Minister, ist nicht für schöne Worte zu haben. Zukunft gewinnt, wer die Prioritäten richtig setzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Behm, achten Sie bitte auf die Zeit.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit diesem Agrarhaushalt tut es die Bundesregierung nicht. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter Bleser das Wort. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Rednern aus der FDP-Fraktion mit großer Verwunderung gelauscht. Ich habe die Forderung nach mehr DSL-Förderung notiert. An anderer Stelle wurde gefordert, Agrardiesel zu verbilligen. ({0}) Es wurde gesagt, dass Sie sich für Biotreibstoffe einsetzen wollen. Ich habe mich gefragt, wie Ihre Position sein wird, wenn wir, so der Herrgott will, im nächsten Jahr zu Koalitionsverhandlungen zusammentreffen. Wenn Sie uns bei diesen Themen dann so entgegenkommen, werde ich vor Ihnen niederknien und eine Kerze anzünden. ({1}) Man muss immer berücksichtigen, dass man auch ein Jahr, nachdem man Position zu einem Thema bezogen hat, nach seinen Äußerungen gefragt werden kann. Das gilt auch dann, wenn man in der Opposition ist. Ich weiß, wovon ich rede. ({2}) Herr Goldmann, Sie haben gesagt, dass das Stimmungsbarometer gesunken ist. Das stimmt. Es ist leicht gefallen. Aber es ist immer noch deutlich im Plusbe18586 reich. Fragen Sie doch einmal die Landwirte, wie groß ihre Investitionsbereitschaft ist. ({3}) Sie bekommen heute doch keine Landmaschinen mit kürzeren Lieferzeiten als acht, neun Monaten. ({4}) So viel zur Bereitschaft, in die Zukunft zu investieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Geisen?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, bitte.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Lieber Kollege Peter Bleser, ist dir bekannt, dass die CSU vor wenigen Wochen eine Harmonisierung der Agrardieselbesteuerung gefordert hat, das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie das Ministerium der Finanzen auf meine Anfrage hin aber eine Debatte über Agrardieselbesteuerung ganz klar abgelehnt haben, obwohl darüber zurzeit in Österreich und Frankreich debattiert wird?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Edmund Geisen, für diese Frage bin ich Ihnen sehr dankbar, weil Sie uns damit in unserer Forderung nach einer Harmonisierung der Dieselbesteuerung in Europa im Bereich der Landwirtschaft unterstützen. Wir hoffen, dass wir hier etwas tun können, sobald die Finanzen in Ordnung sind. Wir wären die Letzten, die sich einer solchen Entwicklung verschließen würden. Wir müssen aber das Primat unserer übergeordneten politischen Ziele im Auge behalten. Dazu werde ich gleich noch etwas sagen. Ich will aber zunächst einige Worte an Kollegin Höfken richten. Frau Höfken, Sie wissen, wie sehr die Landwirtschaft unter Frau Künast gelitten hat. ({0}) Nach dem Regierungswechsel, der Bauernbefreiung - das war ein echtes Gefühl -, gab es einen Aufschrei der Erleichterung. Stichworte wie „verdeckte Feldbeobachtung“ und die Gängelung in allen Bereichen sind allen noch in guter Erinnerung. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt diese Regierungskonstellation haben. Natürlich müssen wir mit unserem Koalitionspartner unterschiedliche Positionen ausfechten. Das gehört zum Geschäft. Das machen wir gerne. ({1}) Ich will etwas zur allgemeinen Situation sagen: Wenn wir standhaft bleiben, werden wir 2011 keine neuen Schulden mehr machen müssen. Unter diesem Primat müssen wir alle anderen Dinge sehen. Wenn es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen, werden wir von den 42 Milliarden Euro Zinsausgaben, die wir aus dem Bundeshaushalt finanzieren müssen, herunterkommen. Dadurch werden wir Spielräume schaffen. Ich denke, das ist ein Ziel, das wir mit aller Konsequenz verfolgen müssen, obwohl jeder von uns in seinem Bereich irgendwelche Forderungen hat, die er gerne erfüllt hätte. Trotz dieser Sparsamkeit ist es uns gelungen, im Haushalt die richtigen Schwerpunkte zu setzen. ({2}) An dieser Stelle darf man auch einmal zurückschauen: Wir haben es in den letzten drei Jahren erreicht, dass die Einkommen der Bäuerinnen und Bauern gestiegen sind. ({3}) Wir haben es erreicht, dass der Verbraucherschutz, und zwar unionsgetrieben, einen neuen Stellenwert in der deutschen Politik gefunden hat. ({4}) Wir haben dafür gesorgt, dass eine Politik für eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung greifen konnte und entsprechende Programme auf den Weg gebracht. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Natürlich.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es tut mir leid, die Debatte zu verlängern, aber angesichts seiner Ausführungen möchte ich den Kollegen Bleser fragen, ob er etwas davon gehört hat oder in der Zeitung darüber gelesen hat, dass es einen Bundesverband Deutscher Milchviehhalter gibt und vor den Molkereien und den Ministerien zahllose Demonstrationen stattfinden. ({0}) Ich möchte ihn fragen, ob er weiß, dass die Imker mit weit mehr als fünf Leuten, wie links von mir gerade gesagt wurde, demonstrieren. Ich möchte ihn fragen, ob er weiß, dass der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der fast die Mehrheit der Bauern in dem wichtigsten Zweig der deutschen Landwirtschaft umfasst, massiv gegen die Milchpolitik dieser Bundesregierung und der Koalition demonstriert. Ich möchte ihn fragen, ob er weiß, dass sich die Bauern heftig gegen die Einführung der Agrogentechnik wehren, und zwar ebenfalls mit großen Demonstrationen. ({1}) Das führt so weit, dass Minister Seehofer schon behauptet, eigentlich habe Frau Künast die Agrogentechnik eingeführt und nicht etwa er persönlich. Wissen Sie von all diesen Aktivitäten, Demonstrationen und Widerständen nichts?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine liebe verehrte Kollegin Höfken, ({0}) als Milcherzeuger habe ich nicht nur darüber gelesen, sondern kann aus eigener Erfahrung in diesem Sektor berichten. Da bestehen schon die ersten Unterschiede zwischen uns beiden. Dass man sich im Berufsstand Sorgen über die Milchpreisentwicklung macht, ist unbestreitbar. Aber dass man diese Sorgen für sich politisch instrumentalisieren will, ist unschön und schäbig. ({1}) Ich würde mir nie anmaßen, so etwas zu tun. Sie werden erleben, dass gerade bezüglich der Milch in den nächsten Wochen Sachlichkeit in die Politik einkehren wird. ({2}) Es ist ein großes Verdienst unseres Ministers, ({3}) dass die Spaltung, die im Berufsstand entstanden war, aufgehoben wurde. Durch unterschiedliche Positionen kam es zu Feindschaften zwischen Freunden, zwischen Bauern im Dorf. Diese gehen jetzt wieder aufeinander zu und orientieren sich gemeinsam auf die Zukunft. Das ist ein ganz schwieriger Prozess. Diesen sensibel zu begleiten, ist Aufgabe eines Bundesministers. In dieser Beziehung hat er sehr gute Arbeit geleistet. ({4}) Ich will noch einen Satz zur Gentechnik sagen. ({5}) Frau Höfken, könnten Sie der Höflichkeit halber wieder aufstehen? Sonst gehen meine Ausführungen von meiner Redezeit ab.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, es geht jetzt von Ihrer Redezeit ab.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir hatten ein Gentechnikgesetz vorgefunden, das wir verbessert haben. Wir haben die gute fachliche Praxis definiert. Wir haben Abstandsregelungen eingeführt. ({0}) Wir haben die Möglichkeit geschaffen, die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ zu verwenden. ({1}) Das alles schafft Wahlfreiheit für Verbraucher und Anbauer einer solchen Pflanze. ({2}) Das ist das Verdienst der Unionsfraktion zusammen mit dem Koalitionspartner. Die Bezeichnung „ohne Gentechnik“ wird zwar von fast niemandem verwendet, aber die Möglichkeit dazu ist geschaffen. ({3}) Wir werden abwarten, inwieweit sie aufgegriffen wird oder nicht. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Höfken?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, ich habe ja Zeit. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Lieber Kollege Bleser, ist es richtig, dass Minister Seehofer den gentechnisch veränderten Mais als Sortenzulassung gestattet hat ({0}) und damit den kommerziellen Anbau des Maises ermöglicht hat? Ist es auch richtig, dass die Verordnung über die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen im Bundesrat bis dahin nicht akzeptiert, aber auch nicht notwendig gewesen ist, weil es ja keinen kommerziellen Anbau gegeben hat?

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Höfken, an der Haarspalterei, wer an welcher Stelle die Unterschrift geleistet hat, beteilige ich mich nicht mehr. ({0}) Hier gibt es eine geltende Rechtsgrundlage, nach der eine entsprechende Zulassung zu erteilen ist, wenn die wissenschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Punkt und aus. ({1}) Ich möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren und feststellen, dass wir uns auf den Erfolgen, die wir in allen drei Zuständigkeitsbereichen erzielt haben, nicht ausruhen wollen. Hier ist von mehreren Rednern unserer Fraktion schon ausgeführt worden, welche Ergebnisse und Erfolge bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“, der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der landwirtschaftlichen Krankenversicherung erreicht wurden. Das alles ist schon gesagt worden. Ich wollte auf noch etwas anderes hinweisen. Wir haben in den letzten Monaten von einer Welternährungskrise gesprochen. Wir haben gesehen, wie schnell sich das Blatt wenden kann: von Überversorgung und Überschussproduktion zu Mangelsituation. Nicht wenige fordern heute: Wir müssen auch in der Ernährung Sicherheit haben. Es war deshalb vernünftig, dass wir die Landwirtschaft in den letzten Jahren dabei unterstützt haben, in der Produktion zu bleiben. Wir werden auch in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Landwirtschaft verbessert wird. Herr Seehofer hat es schon angesprochen: Diese Wettbewerbsfähigkeit hat dazu geführt, dass der Anteil am Export im letzten Jahr immerhin um 18,5 Prozent angestiegen ist. ({2}) Diese 18,5 Prozent sind zum Teil preisbedingt, zum Teil auch mengenbedingt. Das ist ein Erfolg. Dieser Erfolg schafft in Deutschland Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze und Einkommen in unserer Land- und Forstwirtschaft. ({3}) Meine Damen und Herren, diese Erfolge haben einen Namen - darauf weise ich in jeder Debatte hin: Gerd Müller. Unser Staatssekretär ist permanent auf diesem Gebiet aktiv und öffnet Türen; das finde ich toll. ({4}) Das ist jahrelang versäumt worden. ({5}) Zum Verbraucherschutz. Ich habe bereits gesagt, dass wir in diesem Bereich in den meisten Fällen diejenigen waren, die angeschoben haben. ({6}) Beispielhaft seien das Verbraucherinformationsgesetz, ({7}) das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis und unsere Vorschläge zur Stärkung der Fahrgastrechte zu nennen. ({8}) Wir hätten in dieser Frage gerne noch rigider agiert; aber unser Koalitionspartner hat sich dazu anders aufgestellt. Man muss nun einmal Kompromisse machen. ({9}) Meine Damen und Herren, zum Thema Bahn möchte ich sagen: Wir dürfen unsere Fürsorge nicht zu schnell entziehen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bahn einen Bedienungszuschlag in Höhe von 2,50 Euro einführen wollte, fragt man sich wirklich, was für ein verkommener Servicegedanke in diesem Unternehmen Platz gegriffen hat; ({10}) das kann ich mir nicht erklären. Hierzu hat unser Minister sehr frühzeitig und klar Position bezogen ({11}) und gemeinsam mit Herrn Tiefensee ({12}) - das darf man nicht verkennen - ein Einlenken der Bahn erreicht. Meine Damen und Herren, aktuell sind wir mit der Bekämpfung des Missbrauchs von Daten beschäftigt. Dazu will ich nicht viel sagen. Eines kann ich Ihnen allerdings versprechen: ({13}) Wir werden dem Verbraucher die Selbstbestimmung über seine persönlichen Daten zurückgeben. Das ist die wichtigste Botschaft, die in diesem Hause zu diesem Thema verbreitet werden muss. ({14}) Wie ich sehe, blinkt bereits die rote Lampe. Ich möchte allerdings noch etwas zum Thema Ernährung sagen. ({15}) Bei diesem Thema verfolgen wir eine langfristige Strategie. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass unser Minister gemeinsam mit Frau Schmidt - das möchte ich betonen ({16}) ein wichtiges Projekt für mehr Bewegung und bessere Ernährung, das über einen langen Zeitraum angelegt ist, auf den Weg gebracht hat. Frau Klöckner und Frau Staatssekretärin Heinen, auch in der Ernährungspolitik haben wir wichtige Zeichen gesetzt. Ich erinnere nur an das Schulmilchprojekt in Nordrhein-Westfalen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Bleser!

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, Frau Präsidentin. - Es ist beispielhaft, was dort geleistet wurde. Das wird in den nächsten Jahren in allen Bundesländern Platz greifen. ({0}) Zum Schluss will ich sagen: Wir haben mit unserer Politik die Ziele verfolgt, unseren Bäuerinnen und Bauern zu mehr Einkommen zu verhelfen und die Situation der Verbraucher hin zu selbstbestimmten und selbstbewussten Verbrauchern zu verbessern. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die SPD-Fraktion gebe ich der Kollegin Mechthild Rawert das Wort.

Mechthild Rawert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003825, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bleser, es wäre verführerisch, den Garten der Vielfalt aufzutun und deutlich zu machen, wie dankbar wir sind, von der Union getrieben zu werden. Würden Sie, wenn es um das Label „Ohne Gentechnik“, die Ampelkennzeichnung und ähnliche Themen geht, einmal Ihrem eigenen Schwung nachgeben, dann käme dabei vielleicht etwas Gescheites heraus. ({0}) Die SPD steht für eine aktive Verbraucherpolitik, und zwar als Teil einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auf Augenhöhe mit den Anbietern agieren. Noch sind wir nicht so weit. Daher werden wir viele Themen in diesem Bereich auch in Zukunft kraftvoll anschieben. Transparenz, Wahlfreiheit und Informationszugang sind notwendige Voraussetzungen, um die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Denn selbstverständlich wollen sie bewusst und selbstbestimmt auswählen und somit über fairen Handel und Nachhaltigkeit mitentscheiden. Wir brauchen eine Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Selbstverständlich wollen wir, dass dieses Anliegen auch im Haushalt unterfüttert ist. Zur Verbraucheraufklärung gehört auch der Bereich des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Im Jahr 2009 werden wir die Maßnahmen der Verbraucherzentralen im Hinblick auf den Komplex des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes erneut mit 2,5 Millionen Euro fördern. Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist keine institutionelle Förderung. Denn diese Aufgabe fällt den Bundesländern zu; das haben wir bereits 2007 deutlich gemacht. Aber die Ergebnisse verschiedener Umfragen - auch der Umfrage, die von Herrn Seehofer im Sommer in Auftrag gegeben wurde - und der Verbraucherindex haben gezeigt, dass das Bewusstsein hierfür in den Ländern zunimmt. Diesen Prozess wollen wir natürlich unterstützen. Wir sehen natürlich auch den Bund in der Pflicht; denn wenn unter den Bedingungen des Europäischen Binnenmarktes, aufgrund globalisierter Wirtschaftsbeziehungen und aufgrund neuer Technologien sich das Kräfteverhältnis am Markt zunehmend zuungunsten von Verbraucherinnen und Verbraucher verschiebt, dann muss der Bund einen wirtschaftlichen Verbraucherschutz forcieren und auch in diesen investieren. Das ist der Grund, weshalb der Bund einspringt. ({1}) Zum aktiven Verbraucherschutz gehört natürlich auch eine angemessene Ausstattung unserer Verbraucherorganisationen. Das sind die Stiftung Warentest, die Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbraucherrat des DIN. Ich bin stolz, dass viele von ihnen in Berlin ansässig sind. Für uns als SPD ist es wichtig, dass diese Trias des Verbraucherschutzes weiterhin auf hohem Niveau finanziell ausgestattet ist. Produkte und Dienstleistungen beeinflussen das tägliche Leben. Alle drei Institutionen setzen sich mit lauter Stimme für Verbraucherinnen und Verbraucher ein. Ich komme zu einem anderen Punkt. Die SPD steht für Tierschutz. Daher ist Tierschutz ebenfalls ein gewichtiger Schwerpunkt im Bundeshaushaltsentwurf 2009. Wir wollen den Ausbau der Forschung im Bereich Tierschutz. Deshalb fordern wir ein Bundesprogramm Tierschutzforschung, das mit 3 Millionen Euro ausgestattet werden soll. ({2}) In diesem Bundesprogramm sollen die bestehenden Haushaltsansätze gebündelt, Innovationsprojekte angestoßen und dem sich aus den gesetzlichen Vorgaben gegebenen Aufgabenzuwachs im Bereich der Tierforschung Rechnung getragen werden. Ein zweiter Schwerpunkt. Tierschutz bedeutet für uns auch immer tier- und artgerechte Haltung. Das gilt für die Haltung von Nutztieren in landwirtschaftlichen Einrichtungen ebenso wie für Wildtiere in Tierparks und für Delfine in Delfinarien. Als Berichterstatterin initiiere ich die Aktualisierung des zwölf Jahre alten Säugetiergutachtens. Dieses Gutachten formuliert Mindestanforderungen an die Haltung von Wildtieren in Zoos. Dieses Gutachten wird bundesweit von den Ländern bei den Kontrollen ihrer Zoos als Grundlage zur Bewertung der Tiergehege verwendet. Das Gutachten regelt unter anderem den Raumbedarf der jeweiligen Tiere, die klimatischen Bedingungen, das Gehege, die Gehegeeinrichtungen, das Sozialgefüge, die Ernährung, den Fang und den Transport. Wir alle waren schon einmal im Zoo. Schauen Sie doch einfach einmal unter diesen Gesichtspunkten auf die Tierhaltung. Nach Einschätzung zahlreicher Expertinnen und Experten enthält das aktuelle Gutachten nur unzureichende Minimalanforderungen an die Tierhaltung und vernachlässigt neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Viele Zoos legen daher schon von sich aus höhere Maßstäbe an. Wir wollen die Haltungsbedingungen von Wildtieren in Zoos verbessern. Daher soll das Säugetiergutachten im kommenden Jahr überarbeitet und den aktuellen wissenschaftlichen Standards angepasst werden. Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die SPD ihre Schwerpunkte im Bundeshaushalt finanziell verankert hat. Die SPD stärkt den Verbraucherschutz durch eine solide und gute finanzielle Ausstattung der Verbraucherberatung und der Verbraucherschutzinstitutionen und den Tierschutz durch die Einrichtung eines Bundesprogramms „Tierschutzforschung“. Wir laden unseren Koalitionspartner ein, mit unserem Schwung weiterhin aktiv zu sein. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07. Das Wort hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypris.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn die Regierung in einer Haushaltswoche vor das Parlament tritt, dann will sie vor allem eines, nämlich Geld. Das will auch ich. Deswegen stehe ich hier. Ich will aber auch Dank für den Haushalt sagen, den Sie uns für dieses laufende Jahr bewilligt haben. Sie wissen ja, dass der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz fast ausschließlich durch Personalausgaben geprägt ist und dass die Personalausstattung für die Arbeitsfähigkeit des Ressorts als solchem - aber natürlich auch des ganzen Bereichs, der dazugehört - ganz besonders wichtig ist. Das betrifft insbesondere eine Behörde, die zu meinem Geschäftsbereich gehört, nämlich das Deutsche Patent- und Markenamt. Das DPMA - das wissen Sie alle - hat eine enorme Bedeutung für den Schutz geistigen Eigentums und damit für die Innovationskraft unserer Wirtschaft. Außerdem ist das DPMA eine wichtige Einnahmequelle für unseren Haushalt. Bei der ersten Lesung des letzten Haushalts habe ich deutlich gemacht, in welchem Verhältnis die Zahl der Prüfer zu den Einnahmen steht. Ich danke dafür, dass wir das letzte Mal 35 zusätzliche Stellen schaffen konnten, die dazu geführt haben, dass die Einnahmesituation beim DPMA besser geworden ist, die vor allen Dingen aber auch dazu geführt haben, dass die Bearbeitung der Anmeldungen und der Verlängerungen weiter beschleunigt werden konnte. In dem Entwurf des Haushalts für 2009 ist beim Bundesministerium der Justiz ein Einnahmeplus von gut 10 Prozent zu verzeichnen. Davon entfallen 3,5 Millionen Euro auf das Deutsche Patent- und Markenamt, die wir dort aufgrund der Stellen, die Sie bewilligt haben, mehr einnehmen werden. Deshalb danke ich Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung, die Sie uns im letzten Jahr gewährt haben. Im Vorgriff danke ich Ihnen auch schon einmal herzlich für die Unterstützung, die Sie uns hoffentlich auch dieses Jahr wieder geben werden. Wir haben nämlich vorgesehen, weitere 27 Patentprüfer einzustellen. Ich wäre Ihnen verbunden und denke, dass es vor allen Dingen im Interesse der Sache und des Wirtschaftsstandorts Deutschland wäre, wenn diese 27 Stellen auch genehmigt werden könnten. Vor gut zehn Tagen haben wir das zehnjährige Jubiläum des Deutschen Patent- und Markenamtes in Jena gefeiert. Ich will Ihnen damit sagen, dass durch die Stellen, die Sie hier beschließen, auch ein Stück weit Strukturförderung in Ostdeutschland betrieben wird. Vor zehn Jahren wurde beschlossen, dass die Behörde von Berlin nach Jena umzieht. In dieser Zeit sind dort mehr als 220 neue Stellen geschaffen worden, von denen über 80 Prozent aus der Region besetzt sind. Ich habe mich bei meinem jetzigen Besuch in Jena davon überzeugen können, dass es dort aufgrund dieser Strukturentscheidung in der Tat zu einer Stärkung des Innovations- und Forschungsstandortes gekommen ist. Es gibt eine exzellente Zusammenarbeit zwischen der Dienststelle Jena, der Universität Jena und den großen Industrien, die dort angesiedelt sind. Insgesamt kann man sagen, dass das eine ausgezeichnete Förderung des Standortes und des Schutzes geistigen Eigentums ist. ({0}) Durch die Erfolgsgeschichte des Deutschen Patentund Markenamtes wird also nicht nur gezeigt, was eine moderne öffentliche Verwaltung leisten kann, sondern dadurch wird auch ganz deutlich, dass wir in Deutschland keine weiteren Privatisierungen hinsichtlich öffentlicher Aufgaben brauchen - und schon gar nicht in der Justiz -; denn wir können das selbst. ({1}) Die Vorstellung, alles gehe schneller, billiger und gar besser, wenn es nur Private erledigen, hat sich in vielen Fällen als blanke Ideologie und leider auch als kostspielige Fehlentscheidung für den Staat erwiesen. In Hessen ist die teilweise Privatisierung eines Gefängnisses beispielsweise vollständig gescheitert. Mein hessischer Kollege musste erst vor wenigen Monaten einräumen, dass die privaten Haftplätze zum Teil deutlich teurer als die staatlichen sind. ({2}) Trotzdem werden manche Kollegen nicht müde, weitere Privatisierungen zu fordern, zum Beispiel bei den Gerichtsvollziehern, den Rechtspflegern und den sozialen Diensten der Justiz. Nun bin ich die Letzte, die nicht bereit wäre, darüber nachzudenken, wie man im öffentlichen Dienst Aufgaben besser machen und effizienter organisieren kann. Das Problem ist nur: Bei diesen Forderungen nach Privatisierung geht es in der Regel nicht um Qualität. Es geht schlicht und ergreifend um zwei Aspekte: Der eine Aspekt ist die Kürzung öffentlicher Aufgaben, der andere Aspekt ist die Maximierung privater Gewinne. ({3}) - Nein, es geht nicht um Geschwindigkeit. ({4}) - Wir müssen über Qualität reden, Frau Dyckmans. Wenn das der Fall ist, dann können wir auch über Geschwindigkeit reden. ({5}) Dann kommen wir ganz schnell dahin, dass wir keine Privatisierung brauchen, um die Sachen schneller oder kostengünstiger zu machen. Wir müssen klären, welche Aufgaben der Staat übernehmen muss. Als erstes Beispiel nenne ich die Ausübung des Grundbuch- und Registerrechts, was ein ganz wichtiger Baustein einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung sind. Diese Aufgabe ist bei unseren Rechtspflegern in den besten Händen. ({6}) Ich jedenfalls meine: Wer die Aufgaben der Rechtspfleger privatisieren will, gefährdet einen wesentlichen Standortvorteil unseres Landes. Zweites Beispiel. Gerichtsvollzieher besitzen weitreichende Zwangsbefugnisse. Sie sind nicht nur Dienstleister ihrer Auftraggeber, sondern sie achten auch auf die Rechte der Schuldner. Das ist keine überflüssige Sozialarbeit, wie manche meinen, sondern Ausdruck des sozialen Rechtsstaats. Ich bin deshalb davon überzeugt: Auch Gerichtsvollzieher müssen weiterhin und auch in Zukunft dem öffentlichen Dienst angehören. ({7}) Drittes Beispiel sind die sozialen Dienste der Justiz. Jeder von uns weiß, wie wichtig die Bewährungshilfe und eine gute Entlassungsvorbereitung für Gefangene ist. Im Übrigen ist beides für eine gute Vorbeugung von Straftaten sehr viel wichtiger als die immer wiederkehrende Debatte, ob die Jugendhöchststrafe zehn oder 15 Jahre betragen soll. Ich bedauere es deshalb, dass Länder zunehmend darüber nachdenken, die sozialen Dienste der Justiz zu privatisieren, und es teilweise sogar schon getan haben. Wenn man einmal eine solche Aufgabe aus der öffentlichen Hand gegeben hat, dann kann man sehr viel leichter den Rotstift ansetzen und sparen und damit das genau falsche Signal senden. ({8}) Wir dürfen deshalb nicht zulassen - auch davon bin ich überzeugt -, dass Privatisierungen zu einem Sicherheitsrisiko werden. Innerhalb der Koalition sind wir uns in einem wesentlichen Punkt einig: Bei den Kernaufgaben der Justiz wollen wir keine Privatisierungen. Allerdings wäre es schön, wenn diese Erkenntnis vonseiten des Bundesrates nicht immer torpediert würde. Einige Länder bringen dort einen Privatisierungsantrag nach dem nächsten ein. Es wäre gut, wenn dieser politische Schlingerkurs, der in der Öffentlichkeit und auch in der geneigten Fachöffentlichkeit wahrgenommen wird, einmal ein Ende hätte. Die Bediensteten in der Justiz haben einen Anspruch darauf, ganz klar zu wissen, wofür die Parteien tatsächlich stehen. ({9}) Ein starker Rechtsstaat und eine leistungsfähige Justiz sind auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Wir haben in den vergangenen Monaten haarsträubende Fälle von Wirtschafts- und Steuerkriminalität gesehen. Wir müssen einen Konsens darüber erzielen, dass die Justiz in der Lage bleibt - das ist Teil unseres Rechtsstaates -, solche Fälle zu verfolgen, aufzuklären, die betreffenden Personen anzuklagen und zu verurteilen. Wir müssen die Gerichte so ausstatten, dass sie auch in Zukunft in der Lage sind, komplexe Wirtschaftsstrafverfahren zu bearbeiten. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, die Rechtstreue in allen Teilen der Gesellschaft durchsetzen zu können. ({10}) Nun kann ich das als Bundesministerin leicht sagen, weil ich weiß, dass die Länder für das Personal zuständig sind. Trotzdem mache ich das immer wieder gerne, weil ich glaube, dass wir zwischen Bund und Ländern innerhalb der Justiz einen Konsens darüber brauchen, dass dies eine wichtige justizielle Aufgabe ist. Dass wir als Bund bei der Verfolgung dieser Straftaten nicht beiseitestehen, möchte ich durch unseren Vorschlag deutlich machen, die Verjährungsfrist für Steuerstraftaten auf zehn Jahre zu verlängern. Das Gesetzgebungsverfahren läuft bereits. Wir werden im nächsten Monat dem Kabinett vorschlagen, einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem die derzeitige Höchstgrenze für Geldstrafen aufgehoben wird, damit sichergestellt wird, dass auch diejenigen, die mehr als 5 000 Euro pro Tag verdienen, künftig gerecht bestraft werden können. ({11}) Allein dieses Vorhaben macht deutlich, dass wir in den kommenden Monaten in der Rechtspolitik noch genug zu tun haben. Es liegt eine Menge Arbeit vor uns, und wir müssen noch eine ganze Reihe von Projekten abschließen. Wir werden über die gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung diskutieren, und wir wollen die Reform des Erbrechts beraten und verabschieden. Mit beiden Projekten wollen wir mehr Selbstbestimmung und Autonomie für die Menschen erreichen. Schon in der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag über die Modernisierung des Bilanzrechts diskutieren. Mit diesem Gesetzesvorhaben soll der Mittelstand weiter entlastet werden. Durch die Strukturreform beim Versorgungsausgleich und beim Zugewinnausgleich wollen wir der Modernisierung des Familienrechts einen weiteren Baustein hinzufügen, damit es bei den Scheidungsfolgen gerecht zugeht und der schwächere Ehepartner geschützt wird. Wichtige Vorhaben verfolgen wir auch im Verbraucherschutz. Das wurde schon im Zusammenhang mit dem Einzelplan 10 des Verbraucherschutzministeriums angesprochen. Die rechtliche Kompetenz liegt allerdings bei uns. Dabei geht es um den besseren Schutz vor unerlaubter Telefonwerbung und um die Stärkung der Verbraucherrechte beim Fahren und beim Fliegen. Diese Themen werden uns sicherlich noch einige Diskussionen bescheren. Wir sollten uns darum bemühen, noch in dieser Legislaturperiode zu Entscheidungen zu kommen. Ich bin aber davon überzeugt, dass uns das gelingen wird. Die Liste der Gesetzgebungsprojekte, zu denen schon eine Anhörung beschlossen oder zu erwarten ist, ist lang. Es sind insgesamt 20. Das ist viel, wenn man bedenkt, dass wir nur noch 17 Sitzungswochen bis zum Ende der Legislaturperiode haben. Das heißt, die Rechtspolitiker dieses Hauses haben ein sehr beträchtliches Programm. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, dass wir unsere Arbeit zügig und konstruktiv fortsetzen. Die Koalition hat zumindest in der Rechtspolitik noch eine Menge zu tun. Insofern möchte ich den Kollegen Diller zitieren, der eben zu mir sagte: „Sag doch einfach: Der Haushalt ist gut. Verändern Sie nichts.“ ({12}) Das sind fromme Worte, denen nichts hinzuzufügen ist. ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die erste Beratung des wohl letzten Entwurfs eines Justizhaushalts in dieser Legislaturperiode durch, der aller Voraussicht nach in Kraft treten wird. Drei Viertel der Legislaturperiode sind vorbei. Insofern ist es notwendig, eine Bilanz der Rechtspolitik zu ziehen. An Arbeit hat es dem Rechtsausschuss nicht gemangelt. Wir haben schon sehr viele Anhörungen durchgeführt. Im Obleutegespräch heute Morgen hatten wir vier Anhörungen vor Augen, die noch vor uns liegen. Insgesamt haben wir schon etwa 15 bis 20 Anhörungen zu einer Vielzahl umfangreicher Gesetzgebungsvorhaben durchgeführt. Im Familienrecht wurden wegweisende Reformen auf den Weg gebracht. Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich als Oppositionsfraktion immer an dem Maßstab orientiert, Gesetzgebungsvorhaben konstruktiv zu begleiten und Änderungen einzubringen. Deshalb haben wir auch dem Gesetzentwurf zum Unterhaltsrecht zugestimmt, nachdem grundlegende Änderungen an dem ursprünglich vorgelegten Entwurf erfolgt sind. Auch die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit haben wir letzten Endes unterstützt. Auch beim Urheberrecht wurde nach einer ziemlich grundlegenden Überarbeitung im Bundestag mit dem „Zweiten Korb“ ein Entwurf vorgelegt, den wir unterstützen konnten. Das zeigt, dass wir uns als Oppositionsfraktion sehr wohl für konkrete Änderungen einsetzen. Wir sehen auch noch weiteren Änderungsbedarf, auch im Urheberrecht. Ich nenne als Stichworte zum Beispiel die Kabelweitersendung in Hotels, die Durchsetzung von Urheberrechten im Internet und Modelle in anderen Ländern, die Vor- und Nachteile aufweisen. Wir hoffen, dass noch in dieser Legislaturperiode Weichenstellungen vorgenommen werden. Frau Ministerin, Privatisierung war eigentlich nicht das Streitthema im Rechtsausschuss. Niemand will, so glaube ich, das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren - jedenfalls nicht die FDP-Fraktion -, weil das mit dem Grundgesetz nicht vereinbar wäre. Dass die Gerichtsvollzieher selbst grundlegende Änderungen wollen, dass Reformvorschläge mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung gemacht wurden und dass es hier Licht und Schatten, Vor- und Nachteile gibt, ist selbstverständlich. Das sollten wir nicht mit Privatisierung abtun. Das bringt die Debatte auf eine schiefe Ebene, weil der Begriff hier nicht passt. ({0}) In diese Legislaturperiode fiel die EU-Ratspräsidentschaft der Bundesregierung. Die Bilanz ist eher dünn und dürftig ausgefallen. Die immer stärkere gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen, die man unter den derzeitigen Vorzeichen sehr kritisch sehen muss, zwingt dazu, endlich einheitliche europäische Standards in Strafverfahren zu schaffen. ({1}) Hier verschieben sich die Gewichte eindeutig. Obwohl es nur um Mindeststandards geht, hat sich seit der schon länger zurückliegenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft nichts in der Europäischen Union bewegt. Andere Dinge gehen sehr viel schneller. Ich erinnere an die EURichtlinie zur Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten. Nachdem der Rahmenbeschluss nicht durchkam, wurde die Richtlinie verabschiedet. Man muss nicht Hellseher sein, um vorherzusagen, dass wahrscheinlich noch in diesem Jahr diese Richtlinie mit Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als nicht rechtskonform erachtet wird, weil ihr die Ermächtigungsgrundlage fehlt. Der enge Zusammenhang mit dem Urteil zur Fluggastdatenweitergabe ist offensichtlich. Die Begründung ist identisch. Das hier verabschiedete Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde in Teilen durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Anwendung empfohlen. Wie Sie wissen, geschieht so etwas selten. Das zeigt, dass dahinter mehr als nur eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht steckt. ({2}) Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung - egal was der EuGH macht, das Bundesverfassungsgericht wird das letzte Wort haben - wurde auch die Telefonüberwachung neu geregelt. Es gibt in § 160 a StPO eine Schutzvorschrift, die für Berufsgeheimnisträger bei staatlichen Überwachungsmaßnahmen eine einheitliche Grundlage schafft. Das Vorhaben, eine einheitliche Bestimmung zu schaffen, haben wir unterstützt. Aber die Ausgestaltung muss man nach wie vor kritisieren; denn die Unterscheidung zwischen Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten auf der einen Seite und Rechtsanwälten, Journalisten und Ärzten auf der anderen Seite führt zu einem Zweiklassenrecht. Das ist keine gute Entwicklung. ({3}) Das hat bereits Spuren hinterlassen, und zwar im Zollfahndungsdienstgesetz und im Gesetzentwurf zum BKA-Gesetz. Nehmen wir doch den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Professor Dr. Hassemer, beim Wort: Wer die Anwaltschaft unter dem Maßstab des Geheimnisschutzes in zwei Lager teilt, legt die Axt ans Hausgut der Rechtsanwälte. Der Anwalt hat ja nicht nur ein Recht, er hat auch eine Pflicht, die ihm anvertrauten Geheimnisse zu wahren …; ein Rechtsanwalt, der sich auf diese Garantie nicht mehr verlassen kann, ist von den überkommenen Garantien seiner Profession verlassen worden, er ist normativ und praktisch verarmt. Wir, die FPD-Fraktion, haben in der Sommerpause den Entwurf eines Gesetzes erarbeitet, das diese Fehlentwicklung in § 160 a korrigieren soll. Da es inzwischen viele fundierte Ausführungen dazu gibt, hoffe ich sehr, dass der Bundestag gemeinsam die Kraft findet, eine Korrektur vorzunehmen. ({4}) Ich komme zum Ende. Es gibt offene Baustellen, besonders im Insolvenzrecht. Frau Ministerin, Sie haben die anstehenden Reformen genannt, die wir wie immer mit unserem Selbstverständnis begleiten werden; denn es geht um eine Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Zur unerlaubten Telefonwerbung liegt ein Antrag von uns vor. Da müssen wir dringend handeln. Ich mache wie immer das Angebot: Klare Kritik da, wo sie angebracht ist, aber Unterstützung da, wo wir Ihren Weg teilen! Vielen Dank. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind Generaldebatten. Landläufiger Meinung nach ist das die Stunde der Opposition, die mit der Regierung abrechnet. ({0}) Nun ist die Opposition - jedenfalls in der Rechtspolitik kaum wahrnehmbar, mit der Folge, dass wir als Koalitionsparteien diese Aufgabe auch noch zu erledigen haben. ({1}) Der Rechtsausschuss hat sich mit der höchsten Anzahl von Einzelgesetzen auseinanderzusetzen, sodass wir manchmal vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehen. Deswegen ist eine solche Debatte zum Haushalt auch eine Gelegenheit, einmal über den Tellerrand hinaus zu schauen. Die beiden Koalitionsfraktionen haben den Handlungsbedarf in der Rechtspolitik sehr schnell entdeckt und die schweren Brocken in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Aber wir haben den Handlungsbedarf nicht nur entdeckt - das hat manch anderer auch schon -, sondern wir haben die Gesetze mit Handlungswillen und Handlungsstärke auch verabschiedet. Nun will ich nicht wie ein Buchhalter alles kleinkariert bilanzieren. Aber ein paar Dinge will ich vielleicht doch nennen. Kurz vor der Sommerpause haben wir die wohl größte GmbH-Reform seit 100 Jahren verabschiedet. Ich erinnere zudem an die FGG-Reform. Ich könnte außerdem das Familien- und Unterhaltsrecht, die Vaterschaftsfeststellung und Vaterschaftsanfechtung nennen. Auf dem Gebiet des Strafrechts haben wir die Sicherungsverwahrung für nach Jugendstrafrecht Verurteilte sowie für andere böse Buben, bei denen bisher Sicherheitslücken bestanden, geregelt. Schließlich haben wir mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz und der Regelung zu den Erfolgshonoraren das Berufsrecht der Anwälte neu gestaltet. Alles das sind große Projekte und nicht etwa nur Petitessen. Gott sei Dank besteht die Welt nicht nur aus Becks und Ypsilantis; jedenfalls tummeln sie sich nicht in der Rechtspolitik. Ich habe an dieser Stelle Dank zu sagen der Ministerin, dem Parlamentarischen Staatssekretär, meinem Counterpart, Herrn Stünker, sowie allen anderen Ausschussmitgliedern, meinen eigenen Kollegen in der Arbeitsgruppe Recht sowie den Ministerialbeamten, die alle dazu beigetragen haben, dass wir jedenfalls in der Rechtspolitik keinen Anlass dazu haben, nach fremden Bräuten zu schauen. ({2}) Man könnte es folgendermaßen zusammenfassen: Regierung gut, Koalition prima, Opposition Fehlanzeige! ({3}) In den letzten Tagen hat man, wenn man nicht blind war, gesehen, dass schon ein bisschen mit den Hufen gescharrt wird, weil die Performance nicht überall so gut ist. Jetzt kommen die Wahlkämpfe: Bundestagswahlkampf, Europawahlkampf und mehrere Landtagswahlkämpfe. Da wird an den geeigneten Stellen, zum Beispiel auf den Kreisparteitagen, sicherlich auch mit unserem jetzigen Koalitionspartner hart ins Gericht gegangen werden. Aber eines kann ich Ihnen versprechen: Wir werden uns zum Wohle des Volkes ähnlich wie in der Vergangenheit auch in Zukunft bemühen, alles mit der Akkuratesse eines Schweizer Uhrwerks abzuarbeiten, denn dafür sind wir als Volksvertreter gewählt. Manchmal dürften wir uns zum Wohle des Volkes auch nicht nur an der Vielzahl der verabschiedeten Gesetze messen lassen, sondern müssten uns auf die Fahnen schreiben, bestimmte Gesetze zu verhindern. ({4}) Ich zitiere Montesquieu: Wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, dann ist es nötig, keines zu erlassen. Was schon für die einfachen Gesetze gilt, gilt erst recht für das Grundgesetz. Ich beobachte die bedenkliche Tendenz, immer mehr sicherlich hehre und für sich betrachtet wünschenswerte Anliegen als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen. Nach der Erbsünde, die wir mit der Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz begangen haben, sollten wir jetzt nicht auch noch Kultur, Sport, Kinder, Datenschutz und den Atomausstieg in das Grundgesetz aufnehmen, ({5}) wenn wir aus unserem Grundgesetz keinen Neckermann-Katalog werden lassen wollen. ({6}) Das Grundgesetz besticht durch seine Kargheit, durch seine Schlichtheit, durch seine Einfachheit und durch seine Exklusivität, und so wollen wir es belassen. Darum sage ich: Finger weg vom Grundgesetz! ({7}) Wir führen die heutige Debatte wenige Tage nach dem siebten Jahrestag von 9/11. Damals sind nicht nur die Twin Towers eingestürzt, sondern der Anschlag hat uns auch gezeigt, dass sich die gesamte westlich-zivilisierte Welt im Fadenkreuz von Terroristen befindet. Wir als Rechtspolitiker können zumindest einen kleinen Teil, ein Scherflein dazu beitragen, dass dieses Risiko etwas minimiert bzw. reduziert wird. Es geht nicht darum, den Leuten absolute Sicherheit vorzugaukeln und Begehrlichkeiten zu wecken, die man hinterher nicht erfüllen kann. Aber was höre ich auch heute wieder im Zusammenhang mit den Sicherheitsgesetzen? Am 20. August lese ich einen Artikel im Tagesspiegel - Autorin: Frau Leutheusser-Schnarrenberger - mit dem Titel: „Freiheit in Gefahr“. Die Zwischenüberschrift lautet: „Es gibt kein Grundrecht auf Freiheit.“ ({8}) - Auf Sicherheit; gut aufgepasst. - Es gibt so wenig ein Grundrecht auf Sicherheit, wie es ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung gibt, jedenfalls wenn man den Verfassungstext liest. Aber ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in seinem viel zitierten Volkszählungsurteil aus einer Zusammenschau mehrerer Normen entwickelt hat, hat das Bundesverfassungsgericht natürlich auch eine verfassungsrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates begründet. ({9}) Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich empfehle Ihnen die Lektüre der amtlichen Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, 107. Band, Seite 299 ff. ({10}) Die einschlägige Passage finden Sie auf Seite 316. Wenn Sie noch weiter in die Geschichte gehen wollen - schon Augustinus hat gesagt: „Tolle lege!“ - Nimm und lies! -, dann können Sie auch in den 80. Band schauen, Seite 367 und 375 ff. Eine Entscheidung ist aus dem Jahr 1989, die andere aus dem Jahr 2003. Wenn Sie schon solche Artikel in der Zeitung schreiben, dann empfiehlt es sich, sich vorher rechtskundig zu machen. ({11}) Sonst müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, entweder nicht rechtskundig zu sein oder den Leuten wider besseres Wissen etwas vorzugaukeln. Bei der Gelegenheit haben Sie, wie Sie es immer bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit machen - auch Herr Stadler macht das immer -, eine ganze Litanei von EntscheidunDr. Jürgen Gehb gen des Bundesverfassungsgerichts zitiert, mit denen Gesetze der Koalition aufgehoben worden sein sollen. ({12}) - Nun, Herr van Essen, ich belehre Sie ungern, aber Sie fordern es förmlich heraus. - Wir haben die Anfrage gestellt, wie viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts es diesbezüglich seit dem 19. Oktober 2005 gibt. Das war der Beginn der schwarz-roten Koalition. ({13}) - Frau Präsidentin, Herr Stadler kann es kaum noch halten. Das Wasser schon, aber seine Frage nicht.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie waren so im Redefluss, Herr Kollege Gehb. Da wollte ich Sie nicht unterbrechen.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, aber wenn Sie darauf warten wollten, käme nie jemand zu einer Zwischenfrage.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gut, gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen Stadler?

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Gehb, da Sie gerade vortragen wollen, dass keine Gesetze der Großen Koalition in Karlsruhe aufgehoben worden seien, wären Sie bereit, hier dem Hohen Haus mitzuteilen, welche Gesetze der Vorgängerregierung während der Regierungszeit der Großen Koalition durch das Parlament korrigiert worden sind und ob Sie damit jeweils auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewartet haben? Zum Zweiten: Sie tragen hier vor, man solle sich erst einmal rechtskundig machen. Stimmen Sie mit mir überein, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger sich über ein angebliches Grundrecht auf Sicherheit ausgelassen hat, das es nämlich nicht gibt, während Sie am Ende davon gesprochen haben, es gebe eine Grundpflicht des Staates, Sicherheit zu gewährleisten, was völlig unstrittig ist. Mit anderen Worten: Sie haben Frau LeutheusserSchnarrenberger einen Vorwurf gemacht und versucht, sie mit einem anderen Begriff zu widerlegen, obwohl die beiden Dinge gar nichts miteinander zu tun haben, sondern allenfalls korrespondieren. ({0}) Stimmen Sie mir zu, dass unter Rechtskundigen der Unterschied zwischen einem Grundrecht und einer Grundpflicht klar sein sollte? Angesichts Ihrer Ausführungen habe ich nämlich Zweifel, ob Ihnen dieser fundamentale Unterschied bekannt ist. ({1})

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das ist ja wirklich eine gute Gelegenheit, einen Rundumschlag zu machen. Fangen wir mit der ersten Alternativfrage an. Selbstverständlich hat die schwarz-rote Koalition Gesetze korrigiert, die Rot-Grün erlassen hat. Das ist aber etwas ganz anderes, als sich den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, in der eigenen Regierungszeit verfassungswidrige Gesetze erlassen zu haben. Die Korrektur verfassungsfeindlicher, verfassungswidriger Gesetze würde uns ja allenfalls adeln. Dass man gerade auf dem Spannungsfeld zwischen Freiheitsrechten auf der einen Seite und Sicherheitsrechten auf der anderen Seite natürlich ein vermintes Gelände und ein grundrechtsrelevantes Gebiet betritt, das ist doch selbstverständlich, Herr Stadler. Selbst die Viehhandelhauptmängelverordnung oder das Gesetz über die Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen ist bis nach Karlsruhe gejubelt worden. Das ist doch ganz klar, und deswegen bewegen wir uns hier immer auf kritischem Gebiet. Ein Nächstes. Es grenzt geradezu an Sophistik, zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob es ein Grundrecht auf Freiheit gibt. Ich antworte und sage: Es gibt eine grundrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates. Begeben Sie sich einmal in die Niederungen von Mommsen und Larenz‘ Methodenlehre und lesen Sie, was in § 194 BGB steht: Anspruch ist das Recht, von jemandem ein Tun oder ein Lassen zu verlangen. - Selbstverständlich korrespondiert mit jeder Pflicht des Pflichtigen das Recht des Berechtigten. Herr Stadler, dass ich Ihnen das heute erklären muss, ist wirklich ganz traurig. ({0}) Aber damit ist natürlich das, was der Herr van Essen dazwischengerufen hat, gleichzeitig erledigt, ohne dass es auf mein Redezeitkontingent geht. Ich danke ganz herzlich für die Gelegenheit, Ihnen eine kleine Nachhilfe über Verfassungsrecht, Schutzpflichten und Schutzrechte im Einzelnen zu geben. ({1}) Nun muss ich sagen: Diese Geschichte mit den Grundrechten „Freiheit“ und „Sicherheit“ aus der Opposition wird nur noch getoppt vom Grundrechtsverständnis der Linken; Sie kommen auch nicht ungeschoren davon. Gestern musste ich lesen, dass Herr Lafontaine die Eigentumsverhältnisse unseres Grundgesetzes infrage stellte, indem er sagte, das Familienvermögen der Schaefflers müsse enteignet werden. Meine Damen und Herren, er sagte dies mit der Begründung, so ein Vermögen könne man auf verfassungsgemäße Art und Weise nie erlangen; deshalb gehe es nur um die Rückübereignung von der Enteignung der Beschäftigten. Meine Damen und Herren, heute sind es die Schaefflers, morgen ist es irgendein größerer Handwerker und übermorgen müsste sich der Herr Lafontaine selber einmal fragen lassen, woher er sein palastartiges Anwesen hat. Wir haben gerade gehört, was alles zum Wohle des Landes gehört. Weil ich den Blick über den Tellerrand angesprochen habe, will ich auf einen Beitrag unseres früheren Bundespräsidenten, auch bekannt als Bundesverfassungsgerichtspräsident und berühmter Verfassungsrechtler, Roman Herzog, in der FAZ vom 8. September letzten Jahres „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“ eingehen. Meine Damen und Herren, zum Wohle des Landes gehört es auch, dass wir hoffentlich bald einmal von immer unerträglicher werdenden europäischen rechtlichen Vorgaben verschont bleiben. Ich denke dabei nur schon wieder an die Draufsattelung der Antidiskriminierungsrichtlinie ({2}) und daran, dass wir von der immer ernüchternderen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verschont bleiben. Insofern warte ich auf den von Roman Herzog angekündigten Showdown zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Wir kennen ja die „Solange I/II/III“-Entscheidungen. Meine Damen und Herren, wir als Mitglieder des Rechtsausschusses und als Rechtspolitiker sollten uns auch einmal mit diesem Phänomen und dem Verhältnis von supranationalem Recht und nationalem Recht beschäftigen, damit wir fürderhin nicht nur die Vollstreckungsgehilfen der Europäer sind und in einer Ratifizierungsfalle sitzen, sondern voller Selbstbewusstsein als nationale Parlamentarier unsere nationalen Angelegenheiten auch durch nationale Gesetze regeln können. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković, Fraktion Die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Ministerin Zypries! Haushaltspläne sind so aufgebaut, dass sie für einen Ressortbereich die Einnahmen und Ausgaben erkennen lassen. Die Bürger erfahren aber nicht, ob sich der Finanzaufwand für die Arbeit dieser Ressortbereiche überhaupt gelohnt hat. Immerhin enthalten Haushaltspläne manchmal auch eine konkrete Arbeitsbeschreibung. Auf Seite 2 des Einzelplans der Justiz können Sie nachlesen: Das Bundesministerium der Justiz ist außerdem „Verfassungsressort“. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Inneren hat es zu gewährleisten, dass gesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Vor dem Hintergrund dieser Arbeitsbeschreibung müssen sich die Steuerzahler ernsthaft fragen, ob die Justizministerin ihr Geld wert ist. Frau Zypries wäre ihr Geld wert, wenn sie als Verfassungsministerin den Rechtsstaat energisch und engagiert schützen würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Frau Zypries hat sich lediglich das Image einer Bremserin bei der Demontage des Rechtsstaats zugelegt. ({0}) „Bremserin“ ist ihr Etikett. So hat der Spiegel jüngst auch ein Portrait überschrieben. ({1}) Das klingt nicht schlecht, wenn es darum geht, den Rechtsstaat vor Herrn Schäuble zu schützen. Insoweit scheint zumindest die PR-Abteilung des Justizministeriums ihr Geld wert zu sein. Das Bild von der Bremserin ist schon sehr malerisch. Ich will es einmal überprüfend aufgreifen. In diesem Bild steuert der Innenminister Wolfgang Schäuble den Staatskarren mit Vollgas in Richtung Überwachungsstaat. Neben dem Innenminister sitzt seine vermeintlich besonnene Kabinettskollegin, Frau Zypries. Sie greift nicht ins Steuer, aber immerhin: Hin und wieder betätigt sie die Bremse, wenn die deutsche Öffentlichkeit bei der wilden Fahrt des Innenministers entsetzt reagiert. Ich möchte nun einige Stationen dieser Reise in Erinnerung rufen: Im Frühling des Jahres 2007 erklärte Frau Zypries dem Spiegel gegenüber, die von Herrn Schäuble geforderte Erweiterung der akustischen Wohnraumüberwachung sei ganz unnötig. Im Sommer 2008 nahm sie dann jäh den Fuß von der Bremse und billigte eine Kabinettsvorlage zur Änderung des BKA-Gesetzes, wonach sogar tatunverdächtige Dritte in ihrer Wohnung nicht nur abgehört, sondern sogar gefilmt werden können. Im Frühjahr 2007 kritisierte Frau Zypries den Innenminister für seinen Vorschlag, zur Gefahrenabwehr die Fingerabdrücke aller Bundesbürger in Personaldokumenten zu speichern. Im Juli 2008 ließ sie das Bremsen plötzlich sein. Sie fand sich zu einem Handel bereit, nach dem der Fingerabdruck freiwillig in die neuen Personalausweise gelangen sollte. Diese Freiwilligkeit ist schlecht getarnter Zwang; denn zukünftig wird es zwei Arten von Bundesbürgern geben: solche, die sich den Sicherheitswahnvorstellungen des Staates beugen, und solche, die unbeugsam, aber daher bevorzugt verdächtig sind. ({2}) Doch Frau Zypries versteht sich nicht nur auf das Bremsen. Auf der Reise in den Überwachungsstaat gibt sie auch selbst gern mal Vollgas. Seit dem 1. Januar 2008 werden auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs aus dem Hause Zypries die Kommunikationsprofile von Millionen von Menschen auf Vorrat erfasst. Unabhängig von einem ganz konkreten Verdacht wird gespeichert, wer mit wem wie lange von welchem Ort aus telefoniert hat. Die Justizministerin hat damit die Deutschen zu einem Volk von Verdächtigen gemacht. Damit stellt sie das Grundgesetz auf den Kopf. Die Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie sind institutionalisiertes Misstrauen gegen eine unvernünftige Obrigkeit. Nunmehr wird es genau umgekehrt sein. Hier wird nämlich ein Misstrauen des Staates gegen seine Bürger institutionalisiert. Das ist das Gegenteil von dem, was das Grundgesetz vorsieht. ({3}) Frau Zypries begründet ihr Gasgeben mit einer Richtlinie der Europäischen Union, deren Rechtsgrundlage höchst zweifelhaft ist - Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat das schon gesagt - und gegen die die Republik Irland Klage erhoben hat. Während der dritten Lesung des Gesetzes am 9. November 2007 forderte Frau Zypries mehr Ehrlichkeit in der Diskussion. Sie sagte am Ende ihrer Rede, dass es möglich sein müsse, bei schwerster Kriminalität auf gespeicherte Telekommunikationsdaten Rückgriff zu nehmen. Nicht ganz so ehrlich vergaß sie zu erwähnen, dass das neue Recht zum Beispiel schon in bestimmten Fällen von Urkundenfälschung zum Abruf von Vorratsdaten berechtigt. Sie vergaß auch, ehrlich darauf hinzuweisen, dass ihr Gesetzentwurf über die Umsetzungspflichten der Richtlinie weit hinausgeht. Die Richtlinie sah nur die Speicherung und den Abruf von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung, also zur Repression, vor. Frau Zypries legte dem Deutschen Bundestag einen Entwurf vor, der auch zur Datenabgabe bei der Gefahrenabwehr, also bei der Prävention, berechtigte. Die Richtlinie sah die Speicherung und den Abruf von Daten zum Zwecke der Verfolgung schwerer Straftaten vor. Frau Zypries unterlief dieses hohe Erfordernis und ließ schon erhebliche Straftaten genügen. Die Richtlinie sah den Datenabruf lediglich für Strafverfolgungsbehörden vor. Frau Zypries hat nunmehr die Voraussetzungen - wohlgemerkt: noch nicht das Ergebnis - dafür geschaffen, dass die Daten zukünftig auch an die Geheimdienste weitergegeben werden können. Wer dann - auch das wurde hier erwähnt - wirklich spürbar auf die Bremse trat, das war das Bundesverfassungsgericht. Wissen Sie, ob Frau Zypries gerade bremst oder nicht, ist im Grunde ein völlig überschätztes Thema. ({4}) Es handelt sich sowieso nur um ein täuschendes Verzögern. Und auf dem Weg in die falsche Richtung ist das Bremsen nur ein Mittel, um langsamer falsch anzukommen. Zur Abwendung eines Überwachungsstaates ist das Bremsen daher ein untaugliches Mittel. Das, was wir dringend benötigen, ist nicht das Bremsen oder Verzögern. Vielmehr brauchen wir einen Fahrtrichtungswechsel. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat das so formuliert: Mit den Grundrechten und mit der unbedingten Bindung der Staatsgewalt an diese Grundrechte wurde das Fundament für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gelegt. Die massiven Versuche, dieses Fundament umzubauen, gehören beendet. Die Zeit ist reif zur Umkehr. Frau Zypries, eine solche grundsätzliche Haltung fehlt Ihnen, weil Ihnen der rechtsstaatliche Kompass fehlt. ({5}) Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie - wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger damals beim großen Lauschangriff - aus einer rechtspolitischen Grundüberzeugung heraus von Ihrem Amt zurücktreten würden. ({6}) Im Grunde genommen spiegelt sich in Ihrem politischen Selbstverständnis das personelle Dilemma der SPD wider. Sie stehen genauso wie Herr Steinmeier und Herr Steinbrück für die Generation der Technokraten und Politikbeamten in der SPD. ({7}) Sie alle haben Ihre politischen Karrieren im Gegensatz zu Herrn Stünker und anderen im Apparat und nicht in der Partei und auch nicht im Leben gemacht. ({8}) Sie funktionieren in beliebigen Funktionen: gestern als Referentin in der Niedersächsischen Staatskanzlei, danach als Staatssekretärin im Innenministerium, heute als Justizministerin und vielleicht morgen als Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerin. Sie haben eigentlich nur gelernt, in dieser Tätigkeit den Anschein erfolgreicher Administration zu geben. Ihnen fehlen die politischen Visionen. Vielleicht haben Sie sie im Familienrecht. Ihre einzige Vision ist die Vermeidung von Fehlern, um den Job und die Macht zu erhalten. Sie stehen damit genauso wie die heutige SPD für politische Beliebigkeit. Sie stehen nicht in der Tradition großer SPD-Rechtspolitiker wie Adolf Arndt und Martin Hirsch. ({9}) Der SPD sind auch deswegen der sozialstaatliche und auch der rechtstaatliche Kompass abhanden gekommen, weil sie in Spitzenpositionen zunehmend den Typus des Politikbeamten und Technokraten gestellt hat. ({10}) Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Der politisch-inhaltliche Kompass, der in die Richtung des Sozialstaates und des Rechtstaates weist, liegt bei uns, er liegt bei der Linken. Wir werden Kurs halten, wenn es darum geht, den Sozialstaat und den Rechtstaat zu schützen. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Zypries, ich versuche es einmal auf eine andere Art und Weise, ohne persönliche Beleidigungen. ({0}) Es ist die siebte, achte oder neunte Rede, die ich zum Haushalt halte. Immer wieder fange ich mit den gleichen Zahlen an. Dieses Mal haben wir einen Zuwachs der Einnahmen von 10 Prozent auf 383 Millionen Euro. Allerdings haben wir einen Ausgabenzuwachs um 7 Prozent auf 500 Millionen Euro. Der Deckungsgrad des Haushalts des BMJ ist von 70 auf 73 Prozent geklettert. Die Zahlen lassen sich also wahrlich wenig diskutieren. Deshalb will ich anders anfangen und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, fragen: Was kann man nicht kaufen, und was gibt es trotzdem nicht umsonst? Herr Kollege Gehb denkt noch nach. Ich sage es Ihnen: Es ist eine unabhängige, nur dem Recht und dem Gesetz verpflichtete Justiz. ({1}) - Darum sage ich es Ihnen. - Es ist ein gelebter Rechtsstaat mit niedrigschwelligem Zugang zum Recht für Arme wie Reiche, Schwache wie Starke. Es ist eine Justiz, die als modernes, effizientes staatliches Unternehmen die Aufgabe hat, die Grund- und Bürgerrechte aller Bürgerinnen und Bürger zu schützen und jeder bzw. jedem zeitnah und gerecht zu ihrem bzw. seinem Recht zu verhelfen. So etwas kostet Geld, braucht motivierte, gut ausgebildete und bezahlte Menschen und eine moderne und leistungsfähige Ausstattung. Dies fordern wir in jeder Haushaltsrede von neuem. Wir fordern sichtbare und vernehmbare Anstrengungen, auch von der Bundesseite, mit den Ländern, und zwar nicht im stillen Kämmerlein - das tun Sie, Frau Ministerin, vielleicht schon lange; das glaube ich Ihnen sogar -, sondern in der Öffentlichkeit vernehmbar, dieses Ziel zu erreichen. Laden Sie doch einmal zu einem Krisengipfel Rechtsstaat ein! Reden wir doch einmal in aller Öffentlichkeit über die jämmerlichen Zustände bei Ausstattung und Bezahlung der Justiz in den Ländern. Statt einer solchen rechtspolitischen Offensive zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit erreichen uns vonseiten des Bundesrates ausschließlich Vorschläge, wie man den Rechtsstaat stutzen und die dafür vorgesehenen Ausgaben kürzen kann. Ich will nur ein Beispiel anführen: Dem Vorschlag zur Einschränkung der Prozesskostenhilfe folgte jetzt der Vorschlag zur Einschränkung der Beratungshilfe. So kommt man von einem Punkt zum anderen, und der Rechtsstaat bzw. die Justiz bleibt dabei auf der Strecke. ({2}) Zurück zum Bundeshaushalt. Auch hier gibt es, Frau Zypries, die Möglichkeit, guten Willen zu zeigen, indem man nämlich vermeintliche Kleinigkeiten ändert. Ich will ein Beispiel dafür benennen: Im Haushaltsentwurf des Bundesjustizministeriums gibt es eine Rubrik, in der Gelder für Entschädigungen für unschuldig erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen eingestellt werden können. Die von den Ländern gezahlte Entschädigung beträgt seit 22 Jahren 11 Euro pro Tag. Unser Nachbar Österreich zahlt im Übrigen im Schnitt 100 Euro pro Tag für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. Es wird seit langem darüber diskutiert, ob man diesen Satz anheben soll. Auch Sie haben sich dafür stark gemacht. Ein Gesetzentwurf liegt aber nicht vor. Es gibt auch keine konkreten Aktivitäten. Dabei bräuchten wir auch auf Bundesebene Gelder, um Entschädigungen für unschuldig erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen zahlen zu können. Was sieht aber Ihr Haushaltsansatz hier vor? Eine schlichte Null. Ich meine, hier sollten Sie nachbessern und Gelder einstellen. Nachdem durch BGH-Entscheidungen in diesem und im letzten Jahr Maßnahmen der Generalbundesanwältin ein Ende gesetzt wurde, werden auf Sie Kosten zukommen. Sie sollten das im Haushalt berücksichtigen. ({3}) Schließlich habe ich im Haushalt noch Ansätze gefunden, die mich etwas stutzig gemacht haben. Sowohl im Haushalt des Bundesverfassungsgerichts als auch des Bundesjustizministeriums gibt es wahrhaftig die Titel „Militärische Beschaffungen, Anlagen usw.“. Ich finde, dass Sie den Titel „Militärische Beschaffungen, Anlagen usw.“ aus den Haushalten des Bundesverfassungsgerichts und auch des Bundesjustizministeriums streichen sollten. Für diese Titel sind zwar keine Gelder vorgesehen, aber sie erwecken angesichts der Tatsache, dass Herr Schäuble davon redet, dass innere und äußere Sicherheit das Gleiche seien, und Einsätze der Bundeswehr im Innern in Betracht zieht, die Befürchtung, dass Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković es sich hierbei um Leerstellen für Fantasien des Bundesinnenministeriums handelt. Streichen Sie diese bitte. ({4}) Mein Resümee zur Rechtspolitik nach Ablauf von drei Viertel der Legislaturperiode fällt zwiespältig aus. Es gibt natürlich auch eine positive Seite. Diese möchte ich nicht unerwähnt lassen, obwohl meine Zeit knapp ist: ({5}) Unterhaltsrechtsreform gelungen; FGG-Reform gelungen; GmbH-Reform gelungen, auch wenn man sie noch besser hätte machen können; Schutz vor Kreditverkäufen überstürzt, nur halbherzig. Wir haben dazu konkrete weitergehende Vorschläge gemacht; es ist schade, dass Sie auf die nicht eingegangen sind. Aber in Bürgerrechtsfragen, bei der Verteidigung der Grund- und Bürgerrechte, bei der Verteidigung der Freiheit, gibt es ein ganz erhebliches Sündenregister. Ich will mich nicht wiederholen; Frau LeutheusserSchnarrenberger hat das erwähnt, ebenso Kollege Nešković. Zur Vorratsdatenspeicherung will ich nur einen einzigen Satz sagen: Wir haben unter den 20 Anhörungen im Rechtsausschuss auch eine - im März dieses Jahres - zu den durch Vorratsdatenspeicherung verursachten Kosten gehabt. Die Kritik an dem Gesetzentwurf, den es eigens dazu gibt, war vernichtend. Seitdem ist dieser Gesetzentwurf verschwunden. Die Koalition fasst ihn nicht mehr an. Auch das muss noch einmal auf den Tisch. Die Sicherungsverwahrung, lieber Kollege Gehb, ist ein Armutszeugnis und kein Ruhmesblatt für Sie. ({6}) Die Kronzeugenregelung liegt vor, und auch die Terrorstrafvorschriften sind Vorschriften, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten äußerst bedenklich sind. Fast alle diese Sünden haben - so die Diagnose des Bundesverfassungsrichters Di Fabio - mit einer ganz bestimmten Lust zu tun, nämlich mit der Lust am antizipierten Ausnahmezustand. So hat er das genannt, ein Bundesverfassungsrichter, nicht ich. Was dabei in der Zeit der Großen Koalition bisher herausgekommen ist, ist eine schier endlose Aneinanderreihung von Akten der Überwachung und der Repression, größtenteils aus der Innenpolitik, aber allzu oft von der Rechtspolitik zu wenig aufgehalten, zu wenig abgebremst und manchmal auch willig mitgemacht. Deswegen, Frau Zypries: Das Bild der auferstandenen Jeanne d’Arc der Rechtsstaatlichkeit, das von Ihnen gezeichnet wird und das Sie gerne von sich zeichnen lassen, entspricht nicht ganz der Realität. Ich will zum Datenschutz noch einiges sagen, und zwar deswegen - da schaue ich insbesondere auf die rechte Seite des Hauses -, weil jahrelang immer dann, wenn wir Grüne von Datenschutz geredet haben, Sie dazwischengeschrien haben: Datenschutz ist Täterschutz! ({7}) Das war Ihr Credo. Inzwischen reden auch Sie davon, dass man Datenschutz bräuchte. Welch eine Umkehrung! Aber alle Maßnahmen, die beschlossen und vielleicht auch umgesetzt werden, brauchen ein Fundament. Das hat mit Staatszielen nichts zu tun, Herr Kollege Gehb, sondern es handelt sich dabei um konkrete Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Das Fundament, auf dem der Datenschutz fußt, sind die Grundrechte, die das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, und wir sind sehr wohl dafür, dass man diese Grundrechte auch ins Grundgesetz hineinschreibt. ({8}) - Da Ihnen immer so an Fundstellen gelegen ist, wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie mir im Grundrechtekatalog zwischen Art. 1 und 19 zeigen könnten, wo das steht, damit die Bürgerinnen und Bürger draußen das auch lesen können. Nein, es ist nicht drin. ({9}) Es ist mehr oder minder zwanghaft abgeleitet aus Art. 2 und Art. 1. Es wäre schön, wenn man als Bürger dieses Landes im Grundgesetz lesen könnte - ebenso wie man lesen kann, dass seine Wohnung unverletzlich ist oder dass man Religionsfreiheit und Glaubensfreiheit hat -, dass das Grundgesetz jeder Bürgerin und jedem Bürger den Schutz seiner Daten gewährt. Dies ist eine Aufgabe ersten Ranges für die Rechtspolitik. Ich fordere Sie alle im Hause auf, den Vorschlag, den wir gemacht haben, konstruktiv zu diskutieren und uns im Jahre 2009 trotz des Wahlkampfs darüber zu verständigen. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einzelpläne des Bundesministeriums der Justiz und des Bundesverfassungsgerichts sind, gemessen am Ausgabevolumen, sehr klein. Sie umfassen nicht einmal 0,18 Prozent des Gesamthaushaltes. Aber natürlich spiegeln die Ausgaben nicht die Bedeutung dieser Einzelpläne wider. 500 Millionen Euro sind, gemessen an der Bedeutung dieser Institutionen, wirklich nicht viel Geld. Das Justizministerium hat zwei wichtige Aufgaben: zum einen die Gesetzgebung und die Gesetzesanwendung im Bereich der Justiz mit den obersten Gerichten und Behörden, zum anderen aber auch eine Querschnitts18600 aufgabe für die gesamte Bundesregierung: Das Bundesministerium der Justiz ist dafür verantwortlich, die gesetzgeberischen Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene zu ordnen. Gestern fand die Anhörung zum BKA-Gesetz statt. Durch das BKA-Gesetz werden die Befugnisse des Bundeskriminalamtes ausgeweitet. Das Bundeskriminalamt ist in den letzten Jahren personell gestärkt worden. Dies ist auch erforderlich, um die Bevölkerung wirksam vor Terroristen zu schützen. Aber in einem Rechtsstaat führt immer noch die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen. ({0}) Die Ermittlungen werden nicht von den Polizeien geführt. Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Verfahrens. Die Justizpolitik hat die Aufgabe, die Staatsanwaltschaft so auszustatten, dass diese strengen Maßstäbe auch voll gewahrt werden. ({1}) Die Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof agiert als Anwalt des Bundes und bekommt es dabei mit immer aufwendigeren Ermittlungsverfahren zu tun. Allein das sogenannte Sauerland-Verfahren gegen drei Anhänger der islamistischen Dschihad-Bewegung hat fünf Staatsanwälte dauerhaft gebunden. Hunderte von richterlichen Beschlüssen mussten eingeholt werden. Bei dem Gerichtsverfahren gegen die sogenannten Kofferbomber, die Anschläge auf zwei Regionalzüge geplant hatten, wurden ebenfalls viele Ressourcen gebunden. Viele dieser Verfahren ziehen sich dann vor Gericht über Jahre hin, vor allem dann, wenn Konfliktverteidiger das Verfahren bewusst in die Länge ziehen. Derzeit werden von der Generalbundesanwaltschaft über hundert laufende Verfahren allein gegen ausländische Vereinigungen bearbeitet. Der Übersetzungsaufwand ist enorm. All diese Aufgaben müssen geschultert werden, ohne dass dabei die rechtsstaatliche Sorgfalt auf der Strecke bleibt. Es wäre fatal, wenn die Staatsanwaltschaft am Ende wegen Überbelastung nicht mehr in der Lage wäre, von der Polizei überführte Straftäter der Justiz zuzuführen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass bereits im Entwurf der Bundesregierung 21 neue Stellen geschaffen wurden, um dieser rechtsstaatlichen Pflicht Rechnung zu tragen. Herr Montag, Sie haben angesprochen, dass der Ansatz der Mittel für Entschädigungen nicht hoch genug ist. Als Haushälter haben wir im Rahmen von entsprechenden haushaltsrechtlichen Vermerken und Flexibilisierungen immer darauf geachtet, dass am Ende jede Entschädigung gezahlt werden kann. Wir werden auch zukünftig darauf achten. Meines Wissens ist der Titel „Militärische Beschaffungen“ in allen Einzelplänen vorhanden. Ich weiß nicht, ob das nun wirklich der Kern der haushaltspolitischen Auseinandersetzung sein sollte. Bisher hat sich noch niemand an diesem Leertitel gestört. Wir können in den Berichterstattergesprächen gerne noch einmal darüber sprechen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schröder, ich danke Ihnen für die Ankündigung, dass Sie sich mit unseren Vorschlägen befassen wollen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie uns hier bestätigen können, dass gerade bei dem Posten „Entschädigungen in Wiederaufnahmeverfahren und für unschuldig erlittene Untersuchungshaft“ keine Flexibilisierungsmöglichkeit besteht. Es gibt leider speziell bei diesem Posten keine Möglichkeit, auf einen verwandten Posten, wie zum Beispiel „Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer Übergriffe“, zurückzugreifen, sodass Sie, wenn Sie dort nicht zumindest einen Betrag von 5 000 oder 10 000 Euro einsetzen, keine Möglichkeit haben, einem Menschen eine Entschädigung zu zahlen, wenn er unschuldig in Haft gesessen hat.

Dr. Ole Schröder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003628, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Montag, wir haben seit 20 Jahren keinen Anwendungsfall gehabt. Das ist meine Information. Ich bin mir sicher, dass wir im Haushaltsausschuss uns alle einig sind: Wenn wir einen entsprechenden Anwendungsfall haben, wird eine Entschädigung, die gerechtfertigt ist, auch gezahlt. Von einem nicht vorhandenen Flexibilisierungsvermerk würden wir uns nicht stoppen lassen. Das würden wir unbürokratisch mit einer entsprechenden überplanmäßigen Ausgabe regeln. Ich denke, dass Ihre Befürchtung völlig unberechtigt ist. Wir würden uns parteiübergreifend im Haushaltsausschuss sofort einig werden. ({0}) Lassen Sie mich auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen. Neben der rechtsstaatlichen Bedeutung, die das Ministerium der Justiz hat, ist der Einzelplan 07 vor allen Dingen für unseren Wirtschaftsstandort wichtig. Die Justizministerin hat das bereits angesprochen. Ich finde es gut, dass das Deutsche Patent- und Markenamt jetzt faktisch aus der linearen Stelleneinsparung herausgenommen wurde und wir 27 neue Stellen für Patentprüfer geschaffen haben. Damit stärken wir den Wirtschaftsstandort Deutschland. Das Justizministerium setzt sich auch auf internationaler Ebene für Rechtsstaatlichkeit ein. Das ist wichtig, um anderen Ländern auf ihrem Weg zu Demokratie und bei der Durchsetzung von Menschenrechten zu helfen. Gerade wir als Exportnation sind auf Rechtssicherheit in anderen Ländern angewiesen. Viele EU-Nachbarländer orientieren sich an unserem Rechtssystem beim Aufbau einer Rechtsordnung. Ich bin der Meinung, dass wir das unterstützen sollten. Ich finde es sehr gut, dass die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, die eine hervorragende Arbeit leistet, mit diesem Entwurf gestärkt wird. Wir erreichen dadurch viel im Bereich der Handelsbeziehungen, aber auch für Rechtsstaatlichkeit und Sicherung des Friedens in Europa und darüber hinaus. Es ist zu begrüßen, dass der Mittelansatz erhöht und das Fortbestehen dieser Stiftung über das Jahr 2011 hinaus gesichert werden konnte. Es kommt nicht nur darauf an, was wir in Gesetze schreiben, sondern genauso darauf, wie wir Gesetze formulieren. Eine wichtige Querschnittsaufgabe des Bundesministeriums der Justiz ist die Rechtsförmlichkeitsprüfung. Innerhalb dieser Rechtsförmlichkeitsprüfung ist es Aufgabe des Justizministeriums, für verständliche Gesetze zu sorgen. Unverständliche Gesetze braucht kein Mensch. In der Rechtsanwendung entstehen Bürgern, aber auch Rechtsexperten dadurch hohe Kosten. Hier können wir in der Rechtssetzung mit relativ geringem Aufwand große Effizienzpotenziale freisetzen. Auf Regierungsebene wurde im Januar 2007 eine von der Gesellschaft für deutsche Sprache eingerichtete Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Möglichkeiten erprobt. Bisher wurden fünf Gesetze sprachlich überarbeitet, unter anderem zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs und das Gesetz zur Neuregelung des Wohngeldrechts. Die Arbeit dieser Sprachexperten ist ausgesprochen erfolgreich. Alle Beteiligten bestätigen, dass die erarbeiteten Texte besser lesbar sind und der Gesetzgebungsprozess aufgrund einer größeren Akzeptanz des Entwurfs schneller und einfacher vonstatten geht. Nicht zuletzt die sprachliche Qualität wird dafür sorgen, dass die Akzeptanz unserer Gesetze und Institutionen und das Vertrauen der Bürger in unsere Gesetze und Institutionen gestärkt werden. Frau Zypries, Sie haben sich sehr kritisch zur Privatisierung geäußert. Die Frage, was von Dritten gemacht werden soll und was im Haus gemacht werden soll, müssen wir uns auch stellen, wenn es darum geht, wie wir diese wichtige Sprachprüfung institutionalisieren und dauerhaft gestalten können. Schönen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Otto Fricke. ({0})

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Justizhaushalt ist klein, aber - mit Grüßen an Herrn Schäuble - er ist keine Kleinigkeit. Bei der Frage der Grundrechte ist Justiz immer sehr wichtig. Ich will mich als Haushälter heute mehr mit dem Standortfaktor Justiz beschäftigen und dabei weniger mit der Rechtssicherheit. Ich glaube, es ist schon oft darüber gesprochen worden, wie sehr Rechtssicherheit ein Standortfaktor für die Bundesrepublik Deutschland ist. Ich konzentriere mich jetzt vielmehr auf die Kosteneffizienz. Rechtsstaat ist Sache des Staates und nicht der Unternehmen - das stimmt, Frau Ministerin, Sie haben recht. Aber das Komische ist: Sie haben in den letzten Jahren mit Ihrer Koalition und auch schon davor in der rot-grünen Koalition immer wieder Unternehmen herangezogen, die Aufgaben des Rechtsstaates wahrzunehmen. ({0}) Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kostet circa 70 Euro pro Arbeitnehmer, der in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis arbeitet. ({1}) Oder nehmen wir, damit sich die Grünen nicht so aufregen, die Vorratsdatenspeicherung. ({2}) Sie bewirkt erhebliche Investitions- und Dienstleistungskosten in einem Bereich, über den der Rechtsstaat sagt, da müsse etwas getan werden. Ob das richtig oder falsch ist, ist eine andere Frage. Aber wen lassen Sie das Ganze machen? Wer entwickelt die Technik? Wer bezahlt? Es sind die Privaten. Über Privatisierung und darüber, wie schlecht sie im Bereich der inneren Sicherheit umgesetzt wird, könnte man stundenlang anhand des Beispieles Bundesdruckerei, ein wunderschönes Kind der Grünen und Roten, reden und darstellen, wie „toll“ die dortige Privatisierung verlief. Privatisierung muss klug gemacht werden, und sie muss dort gemacht werden, wo der Staat es nicht so gut kann. Da, wo es um den Rechtsstaat geht, darf es nur der Staat machen. Das jedenfalls ist aus Sicht der Liberalen der essenzielle Unterschied zwischen Staat im Privatbereich und Staat im Bereich Rechtsstaat. ({3}) Schauen wir uns den Haushalt an. Übrigens freundliche Grüße an die Grünen: Es gibt keinen einzigen Titel im Haushalt des Justizministeriums und im Bereich des Verfassungsgerichtes, der sich mit Militärausgaben befasst. Das betrifft schlichtweg die tabellarische Zusammenfassung; das gibt es beispielsweise auch zum Haushalt des Bundestages und des Bundespräsidenten. Es gibt keinen Titel. Ich glaube, das sollte man an dieser Stelle noch einmal klarstellen, bevor falsche Interpretationen gemacht werden. ({4}) Ich will noch kurz etwas zum EHUG und zum elektronischen Unternehmensregister sagen. Ich glaube, dass wir da wieder ein Trauerspiel erleben. Ich war selber sehr überrascht, wie wenig die Unternehmen darauf reagieren, dass sie ihre Pflichtangaben machen. Ich muss dazu aber auch sagen: Wenn ich in den Unterlagen lese, dass das Register auch deswegen so schlecht funktioniert, weil die Daten, die man hatte, teilweise noch vierstellige Postleitzahlen enthalten, dann frage ich mich schon, wie weit es im Moment in der Planung beim Justizministerium und an anderer Stelle gekommen ist. Zu den 19 Stellen bei der Generalbundesanwaltschaft muss ich sagen: Es müsste in diesem oder im nächsten Jahr noch etwas passieren, das diese 19 Stellen notwendig macht, oder wir hatten in der Vergangenheit zu wenig Stellen. Ich habe eher das Gefühl, dass wir jetzt erkennen müssen, dass wir unsere gesamte Sicherheitsstruktur auch bei der Generalbundesanwaltschaft vollkommen anders personell ausrichten müssen. Dann müssten Sie das aber auch begründen. Ich will noch auf einen Punkt kommen, der mir bei Justizdebatten - es ist nun im Rahmen von Haushaltsberatungen meine 13. Justizdebatte - immer mehr auffällt. Das ist die Komplexität. Leider ist Kollege Benneter in zweiter Reihe gerade mit Markieren beschäftigt; Kollege Wieland schaut mich an und weiß schon, worum es geht, Kollege Gehb auch. ({5}) Es fällt doch auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unsere Gesetzgebung wird immer komplexer. Sie wird sogar so komplex, dass selbst die Koalitionsparteien sagen: Das stimmt überhaupt nicht, das haben wir so nicht beschlossen. - Nachher müssen sie zugeben, dass es doch so von Ihnen beschlossen worden ist. Komplexität ist eine der größten Gefahren für einen Rechtsstaat. Denn gerade wir als Gesetzgeber überblicken manchmal gar nicht mehr, was wir dem Staat, der Exekutive, an Rechten geben. Wir müssen auch ehrlich zugeben: Wenn wir die Vorschriften nicht mehr beherrschen, dann herrschen irgendwann in diesem Lande die Vorschriften. Das kann nicht in unserem Interesse sein. ({6}) - Das lösen wir, Kollege Wieland, indem wir schlichtweg weit weniger Gesetze machen und indem wir auch einmal ehrlich zugeben: An dieser oder jener Stelle eine neue Detailregelung zu machen, ist falsch. ({7}) Ferner lösen wir dies - das sage ich in Richtung des Kollegen Gehb - , indem wir nicht immer überlegen, ob es nicht noch neue Grundrechte auf Sicherheit gibt - es gibt sie nicht - , sondern lieber schauen, wie man bestehende ausfüllen kann. Außerdem sollten wir uns fragen: An welcher Stelle sollte sich der Rechtsstaat wirklich zurückhalten? ({8}) - Lob, das lernt, ist gut. Ich komme zum Schluss, bevor ich Ärger mit der Frau Vizepräsidentin bekomme. ({9}) Wir haben inzwischen bei vielen Gesetzen das Problem, dass niemand sie mehr versteht. Kollege Schröder hat das richtig gesagt. Aber ich habe auch das Gefühl, dass das manchmal ganz beliebt ist. Der Innenminister folgt ja inzwischen dem Motto: Sollte ich mich klar ausgedrückt haben, dann müssen Sie mich missverstanden haben. - Das jedenfalls kann aus Sicht der FDP nicht die Voraussetzungen für einen Rechtsstaat sein. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Joachim Stünker, SPD-Fraktion. ({0})

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte war bis jetzt sehr farbenreich und umfassend. Ich möchte auf die Kärrnerarbeit des Rechtsausschusses zu sprechen kommen, um zu verdeutlichen, was wir geleistet haben. Am 11. September 2007 konnte ich Ihnen nach zwei Jahren Große Koalition zusammen mit Frau Ministerin Zypries eine, wie ich glaube, sehr überzeugende Bilanz vorlegen. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Einige wichtige Themen, um die es in der Zwischenzeit ging, wurden bereits erwähnt. Dennoch möchte ich sie noch einmal nennen, um zu verdeutlichen, was Rechtspolitik für die Menschen in der Sache bedeutet, nicht hinsichtlich eines theoretischen Überbaus, von dem Herr Kollege Nešković wieder einmal gesprochen hat. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Wir haben das Rechtsberatungsgesetz, das noch aus den 30er-Jahren stammte, novelliert. Die Telekommunikationsüberwachung haben wir auf der Grundlage umfassender Untersuchungen rechtsstaatssicherer gestaltet. ({0}) Im Unterhaltsrecht haben wir den Vorrang für Kinder festgeschrieben und die Gleichstellung nichtehelicher Kinder mit ehelichen Kindern und vor allen Dingen nichtehelicher Mütter mit ehelichen Müttern durchgesetzt. Was die gesellschaftlich hochumstrittene Frage der Anfechtung von Vaterschaftstests betrifft, haben wir eine Neuregelung verabschiedet. Außerdem haben wir familiengerichtliche Maßnahmen veranlasst, um insbesondere zur Bekämpfung von Kindesmisshandlungen schneller eingreifen zu können. Zur Stärkung des WirtJoachim Stünker schaftsstandortes Deutschland haben wir mit Blick auf das Recht auf geistiges Eigentum die EnforcementRichtlinie verabschiedet. Diese Maßnahme war genauso wichtig wie die Modernisierung des GmbH-Rechts, auf die schon hingewiesen wurde. Darüber hinaus haben wir Vorschriften zur Bekämpfung von Kinderpornografie und Kinderprostitution auf den Weg gebracht. Kurz vor der Sommerpause haben wir eine große Reform des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Verfahrens in Familiensachen verabschiedet. Das ist die Kärrnerarbeit der Rechtspolitik, derer Sie sich entziehen, Herr Kollege Nešković. ({1}) Diese Arbeit ist für die Freiheitsrechte der Menschen in diesem Land und für ihren Alltag allerdings sehr wichtig. ({2}) Herr Kollege Nešković, an Ihrer Rede wurde wieder einmal deutlich, dass Konvertiten wenig Bezug zur Realität haben. ({3}) Ich muss Ihnen sagen: Sie sollten einmal über Ihre Verbalinjurien gegenüber der Frau Ministerin nachdenken. Ich glaube, sie waren dem Hohen Hause und der Arbeit, die wir leisten, nicht angemessen. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten 17 Sitzungswochen dieser Legislaturperiode müssen wir im Bereich der Rechtspolitik noch ein weitgefächertes Programm abarbeiten; die Frau Ministerin hat darauf bereits hingewiesen. Ich will die einzelnen Projekte, die wir noch vor uns haben, nicht mehr nennen. Ich bin mir allerdings sicher, dass die Koalition am Ende dieser Legislaturperiode eine sehr erfolgreiche Bilanz in der Rechtspolitik vorweisen kann. Ich denke, durch die vielen Einzelmaßnahmen, die in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen hineinwirken, werden wir mehr bewegt und gesellschaftlich gestaltet haben als andere, die in diesem Hohen Hause viele große Reden gehalten haben, die für die Menschen aber nicht viel bringen. Wir werden für den Alltag der Menschen größere Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen haben. Außerdem können wir den Schutz der inneren Sicherheit und der individuellen Sicherheit der Menschen in diesem Land garantieren. Es gibt keine Freiheit ohne Sicherheit; dafür stehen wir Sozialdemokraten. Das eine bedingt das andere. Auf diesem Gebiet muss das Notwendige getan werden. Ich bin sehr dankbar, dass Frau Ministerin Zypries in ihrer Rede eine Qualitätsdebatte im Rahmen der Aufgabenbestimmung der Justiz eingefordert hat; das wurde offensichtlich noch nicht von allen verstanden. ({5}) Die Frau Ministerin hat zu Recht auf die Privatisierungstendenzen hingewiesen. Darüber haben wir im Rechtsausschuss noch nicht diskutiert; das ist richtig, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger. In den letzten drei Jahren haben uns aber immer wieder entsprechende Gesetzesvorhaben des Bundesrates erreicht. Das hat die Frau Ministerin gemeint. Es geht um Privatisierungstendenzen, die im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit insbesondere die freiwillige Gerichtsbarkeit, Nachlasssachen, Grundbuchsachen, Registersachen und Betreuungssachen betreffen. In den Ländern gibt es nach wie vor Tendenzen, diese Bereiche outsourcen zu wollen. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gerichte vor Ort herrscht große Unsicherheit; das gilt insbesondere für den Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Hier müssen wir für klare Verhältnisse sorgen. Der Gesetzgeber, der für solche Maßnahmen zuständig ist, sitzt hier in Berlin. Solange wir Sozialdemokraten noch etwas zu sagen haben, wird es die gewünschten Veränderungen nicht geben. Das sage ich ganz deutlich. ({6}) Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, der uns in diesem Hohen Hause in den nächsten Wochen noch beschäftigen wird. Ich meine, dass wir die Qualitätsdebatte darüber hinaus führen müssen. Herr Kollege Montag hat in seinem Beitrag bereits darauf hingewiesen; ich sehe das genauso. Im Hinblick auf den heutigen Zustand der Justiz in unserem Land muss ich feststellen, dass sich die Sachausstattung in den vergangenen drei Jahrzehnten wesentlich, wenn nicht fast revolutionär verbessert hat. Vor über 30 Jahren habe ich am Landgericht Verden an der Aller meine Tätigkeit begonnen und danach viele Amtsgerichte gesehen. Im Vergleich zu früher ist die Ausstattung heute wesentlich besser. Damit einhergegangen ist allerdings - insbesondere im Verlauf der vergangenen 15 bis 18 Jahre - ein drastischer, teilweise dramatischer Personalabbau. Ich meine, dass dieser Personalabbau im Ergebnis unvertretbar ist. ({7}) In diesen Tagen hat der Deutsche Richterbund das Handbuch der Justiz 2008/2009 übersandt. Was macht man im Rückblick auf alte Zeiten? Ich habe mir einmal die Gerichte in Niederachsen angesehen, an denen ich im Verlauf meines Lebens als Richter tätig gewesen bin. Ich kann Ihnen sagen, dass heute an allen diesen Gerichten weniger Richterinnen und Richter beschäftigt sind als zu dem Zeitpunkt, als ich dort gearbeitet habe. Dieses Weniger an Personal wird durch eine verbesserte Sachausstattung im Ergebnis nicht aufgefangen; denn eine gute Rechtsprechung braucht Menschen, gut ausgebildete und motivierte Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die Personalreduzierung, die wir dort gegenwärtig erleben, geht in eine Richtung, die nach meiner Überzeugung bedenklich ist. ({8}) Wir werden uns demnächst darüber zu unterhalten haben, ob wir die Möglichkeit der Besetzungsreduktionen bei den Großen Strafkammern verlängern, wonach die Strafkammern nur mit zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt sind. Diese Regelung ist im Jahr 1993 vor dem Hintergrund des Bestrebens geschaffen worden, beim Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern Flexibilität zu haben. Diese Regelung ist immer wieder fortgeschrieben worden. Nun steht zum Jahresende wieder an, hier zu einem Ergebnis zu kommen. Wir werden das gemeinsam diskutieren müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({9}) Ich denke, wir werden diese Regelung noch einmal verlängern müssen. Wir sollten in der Debatte im Rechtsausschuss gemeinsam sehr genau hinsehen. Es gibt einige Entscheidungen von Strafsenaten des Bundesgerichtshofs, die darauf hinweisen, dass in den vergangenen Jahren im Bereich der Strafjustiz die Qualität der Rechtsprechung in bestimmten Bereichen gelitten hat. Einige Senate haben sehr deutliche Aussagen hierzu gemacht. Ich denke, diese Fragen werden wir diskutieren müssen, wenn wir uns diesem Thema demnächst zu nähern haben. Im Ergebnis darf ich sagen: Es hilft uns nichts, wenn wir heiße Debatten über Onlinedurchsuchungen und über die Novellierung des BKA-Gesetzes führen und irgendwann zu Ergebnissen kommen, wenn wir nicht gleichzeitig die dritte Säule der Gewaltenteilung, nämlich die Justiz, genauso stärken. Dieses Korrektiv der dritten Säule der Gewaltenteilung ist genauso notwendig wie die erforderlichen Maßnahmen, um die Menschen in diesem Land zu schützen. Beim Generalbundesanwalt werden aufgrund der neuen Herausforderungen 20 oder 21 Stellen neu geschaffen. Ich frage mich, wo sich die vergleichbaren Steigerungen bei den Staatsschutzsenaten bei den Oberlandesgerichten, wo sich die vergleichbaren Steigerungen bei den OK-Kammern der Landgerichte usw. finden. Genau das sind die Fragen, die etwas mit Freiheit, mit Gerechtigkeit und mit dem Zugang zu Recht zu tun haben, denen wir uns im Rechtsausschuss bis zum Ende der Legislaturperiode noch stellen wollen. Zum Schluss kann ich frei nach Staatssekretär Diller nur sagen: Haushalt gut, Rechtspolitik gut, Ministerin gut, Abgeordnete gut - wir machen gute Arbeit. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Daniela Raab, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Daniela Raab (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003613, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzte Rednerin beißen einen vielleicht nicht zwingend die Hunde, wie es so schön heißt, aber man tut sich natürlich ausgesprochen schwer, noch neue Akzente zu setzen. Ich denke, aus dieser Debatte und auch aus den Ausführungen von Herrn Stünker ging ausgesprochen klar hervor, dass die Rechtspolitik bei weitem nicht in diese theoretische Ecke gehört, unter der sich kein Bürger etwas vorstellen kann, sondern dass die Rechtspolitik in den Lebensbereich eines jeden Einzelnen hineinstrahlt, und dass wir bei weitem nicht nur Theoretiker und Seminaristen sind, als die wir oft eingeschätzt werden, sondern dass wir uns beim Schreiben unserer Gesetze ganz nah an der Lebensrealität orientieren. Ich möchte jetzt nicht in die Vergangenheit schauen und das schildern, was uns vor der Sommerpause in, wie ich finde, einigen großen Würfen gelungen ist, sondern auf das blicken, was noch vor uns liegt und was auch die Frau Ministerin angesprochen hat. Die Justizpolitik ist Querschnittsaufgabe zwischen vielen Politikfeldern. Wir haben hier die hohe Verantwortung, zum einen auf die viel zitierte Rechtsstaatlichkeit zu schauen und zum anderen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden. Es ist schon angesprochen worden: Vor uns liegt die Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der unerlaubten Telefonwerbung. Im ersten Moment möchte man sagen: Moment mal, warum brauchen wir hierfür ein neues Gesetz? Die unerlaubte Telefonwerbung ist ja bereits verboten. - Wir alle kennen die Situation, die uns von Bürgerinnen und Bürgern in fast jeder Sprechstunde geschildert wird. Teilweise erhalten die armen Rentner 20 bis 30 Anrufe täglich. Sie stürzen immer wieder zum Telefon, schauen auf das Display, wenn ihr Telefon eines hat, und erkennen, dass die Rufnummer unterdrückt ist. Sie nehmen ab, und am anderen Ende ertönt eine schnarrende Stimme, die ihnen entweder einen tollen Gewinn verspricht oder ihnen einen wie auch immer gearteten Vertrag andrehen will und so lange auf die arme Frau oder den armen Mann einredet, bis die- oder derjenige sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als einen entsprechenden Vertrag abzuschließen. Für diese Leute - für ganz normale Verbraucher wie du und ich ist es so gut wie unmöglich, aus diesem Vertrag wieder herauszukommen. Das heißt für uns, dass das bisher bestehende Verbot nicht geholfen hat. Deswegen ist gesetzgeberisches Handeln erforderlich. Wir haben lange darüber geredet. Ich glaube, jeder von uns kennt Fälle von Betroffenen. Mit dem Entwurf, der nunmehr auf dem Tisch liegt und den wir sicherlich noch in diesem Herbst hier im Hohen Hause beraten werden, haben wir, so denke ich, einen sehr guten Weg gefunden: keine Rufnummerunterdrückung mehr, eine Erhöhung der Strafe auf das bereits bestehende Verbot und ein Widerrufsrecht für am Telefon abgeschlossene Verträge, insbesondere bei Zeitungslieferungen, aber auch bei Lotto- und Wettdienstleistungen, was es bisher noch nicht gab. Neu ist auch, dass der VerDaniela Raab braucher die Verträge nun fristgerecht widerrufen kann, wenn er - erst dann muss er das tun - die Belehrung in Textform erhalten hat. Ich glaube, das ist sehr wichtig. Hier betreiben wir Rechtspolitik ganz nahe am Menschen. Ich glaube, es ist Sinn einer Haushaltsdebatte, auch so etwas herauszustellen. ({0}) Das zweite Thema, das zumindest kurz angesprochen wurde, ist das Thema Datenhandel. Auch bei diesem Thema müssen wir als Rechtspolitiker uns mit anderen Ministerien und Fachbereichen austauschen und auf Entwicklungen reagieren, die gerade in den letzten Monaten und Jahren höchst kriminelle, fast schon mafiöse Strukturen angenommen haben. Wir alle kennen die Fälle von Datenhändlern, die Zigtausend Daten zum Verkauf anbieten, die sie illegal erworben haben. Jeder kennt die Fälle aus der Sprechstunde oder hat es vielleicht selber erlebt: Man fährt im Kaufhaus die Rolltreppe hoch, hat die ersten Artikel dabei, die man einkaufen will, und befindet sich auf dem Weg zur Kasse. Es kann dann sein, dass Ihnen ein freundliches Männchen entgegenspringt, ein Formular mit Kleingedrucktem entgegenhält und sagt: Bevor Sie zahlen, müssen Sie auf jeden Fall unsere Kundenkarte bestellen, weil Sie dann Punkte und dergleichen mehr erhalten. - Wenn man nicht ganz fit ist und sich das Ganze bis zur allerletzten Zeile durchliest, wo steht, dass man das entsprechende Kästchen ankreuzen soll, wenn man mit der Weitergabe seiner persönlichen Daten nicht einverstanden ist, dann sitzt man sozusagen in der Datenfalle und kann sich gegen die Weitergabe seiner Daten nicht mehr wehren. Ich bin sehr froh, dass wir Anfang September mit den beteiligten Ministerien ausgesprochen schnell eine Regelung gefunden haben, die dieses Prinzip umdreht. Das heißt, jetzt muss ausdrücklich das Einverständnis zur Weitergabe der Daten erklärt werden, nicht umgekehrt. Das ist ausgesprochen wichtig. Wir dürfen aber auch nicht verhehlen, dass viele schnell dabei sind, nach dem Staat zu rufen und zu erklären, er mache uns erst zu den gläsernen Bürgern, die wir angeblich alle sind. Ich sage - da muss sich jeder an die eigene Nase fassen -: Der Umgang mit den persönlichen Daten hat bei jedem Einzelnen eine Fahrlässigkeitsstufe erreicht, die wir zwar nicht anprangern wollen, aber ansprechen müssen. Jedem muss klar sein: Wenn er sich im Internet bewegt und Verkäufe tätigt, dann wird er ein Stück weit gläserner. Das müssen wir als Politiker sagen. Aber da, wo es ganz offenkundig Missstände gibt, sollten wir definitiv eingreifen. Das soll aber nicht so weit gehen - damit bin ich beim Thema Staatsziel, um das abzurunden -, dass gleich wieder nach dem Allheilmittel Grundgesetz gerufen wird. Viele meinen, sobald etwas im Grundgesetz stehe, hätten sie den ganz besonderen Schutz und ihnen könne nichts mehr passieren. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen: Unser Grundgesetz ist ganz bewusst relativ karg, aber auch relativ klar ausformuliert. Ich muss nicht krampfhaft alles unter etwas subsumieren, sondern ich kann eigentlich aus den meisten Grundgesetzartikeln klar herauslesen, was meine Rechte und meine Pflichten sind. Wir sollten den Menschen nicht vormachen, dass zusätzliche Grundrechte oder zusätzliche Staatsziele ein Mehr an Rechten oder an Schutz bringen. Mir sind solche Regelungen, wie sie auf dem Datenschutzgipfel gefunden wurden, oder konkrete Lösungen wie bei der unerlaubten Telefonwerbung - irgendwo treffen sich beide Komplexe wieder; denn aus einer unerlaubten Telefonwerbung kann schnell ein Datenhandel werden - für den Alltag der Menschen wesentlich lieber als ein aufgeblähtes und damit auch ein Stück weit entwertetes Grundgesetz. ({1}) Davon haben die Menschen mehr. Das sollte unsere Prämisse bei unserer täglichen Arbeit sein. Lieber Herr Kollege Stünker, ich möchte mich Ihnen gerne anschließen. Meine Prognose zumindest für die Rechtspolitik dieser Großen Koalition ist recht gut. Wir haben schon bewiesen, dass wir gut zusammenarbeiten können. In diesem Sinne sollten wir weitermachen. Vielen herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06. Das Wort hat der Bundesinnenminister, Dr. Wolfgang Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den Agenturmeldungen mit einer Übersicht über die Zahlen des Entwurfs für den Bundeshaushalt 2009 ist der Geschäftsbereich des Bundesinnenministers mit einer Steigerungsrate von 10,5 Prozent ausgewiesen. ({0}) Das ist natürlich ungeheuer erfreulich. Aber um diese einigermaßen befriedigende Ausstattung über die Haushaltsverhandlungen zu retten, will ich darauf hinweisen, dass diese Steigerungsrate zu einem wesentlichen Teil damit zu tun hat, dass der Haushalt des Bundesinnenministeriums in einem starken Maße durch Personalausgaben geprägt ist. Die Hälfte dieser Steigerungsrate ist durch die Auswirkungen der Tarif- und Besoldungsrunde und durch die endgültige Einführung des einheitlichen Liegenschaftsmanagements verursacht. Hinzu kommt die erhöhte Hauptstadtfinanzierung in Sicherheitsfragen. Einer der großen Erfolge, den wir nach jahrelangen Auseinandersetzungen nun doch auf den Weg gebracht haben, ist die Einführung des Digitalfunks für die Behörden der öffentlichen Sicherheit, die im Haus18606 haltsentwurf für das kommende Jahr mit rund 400 Millionen Euro zu Buche schlägt. Das, was nach diesen Zahlen verbleibt, die man bei der Würdigung des Haushaltsentwurfs berücksichtigen muss, ist Ausdruck dafür, dass diese Bundesregierung die Aufgabe ernst nimmt, die freiheitliche Ordnung dieses Landes und die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger in dem notwendigen und angemessenen Maße zu sichern. Freiheit sicher zu machen, ist die eigentliche Aufgabe. Ich will ein Beispiel dazu nennen, das übrigens den Haushalt 2008 und 2009 in entscheidendem Maße prägt. Alles, was gut läuft, findet in der Öffentlichkeit nicht allzu viel Aufmerksamkeit. ({1}) Ich hatte im Vorhinein mehr Sorgen, als sich dann verwirklicht haben, ob es gelingen würde, die Abschaffung der Grenzkontrollen an den östlichen Grenzen unseres Vaterlandes in Erweiterung des Schengener Abkommens so zu bewerkstelligen, dass sie nicht zur Beunruhigung der Bevölkerung und zu einem Verlust an Sicherheit führt. Das ist dank einer hervorragenden Zusammenarbeit mit den Polizeien der Länder wie mit den Polizeien der betroffenen Nachbarländer Polen und der Tschechischen Republik in einem hervorragenden Maße gelungen. Das zeigt, dass wir mehr Freiheit in Europa ermöglichen. In einem Europa ohne Grenzen und ohne Kontrollen an Binnengrenzen von Lissabon bis Helsinki reisen zu können, ist ein großer Freiheitsgewinn. Und dies in Sicherheit zu ermöglichen, zeigt, dass wir eine verantwortungsvolle Politik machen. ({2}) Das ist notwendigerweise mit einer grundlegenden Reform der Bundespolizei verbunden - auch das ist keine einfache Aufgabe und nach den vielen Neuorganisationen, die der Bundespolizei bzw. dem damaligen Bundesgrenzschutz und den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in den Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges zugemutet werden mussten, auch keine Kleinigkeit -, die auf einem guten Weg ist und Schritt für Schritt vorankommt und die auch in dieser Zeit des Übergangs nicht zu einer Beeinträchtigung der Leistungs- und Einsatzfähigkeit der Bundespolizei geführt hat. Ich will die Gelegenheit nutzen, allen, die dafür auch persönliche Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen, und auch allen Personalvertretungen, die daran mitwirken, meinen Dank und meinen Respekt auszudrücken. Es zeigt das verantwortungsbewusste und starke Engagement jedes einzelnen Polizeibeamten für die Sicherheit unseres Landes und für die Bürgerinnen und Bürger. Das gilt auch für die Polizeien der Länder. ({3}) Das bringt mich zu einer Bemerkung, die immer wieder notwendig ist: Die föderale Ordnung unseres Landes mit der vorrangigen und überwiegenden Zuständigkeit der Länder für diese Aufgaben ist gut und bewährt. Deswegen ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller für die innere Sicherheit Verantwortlichen - Länder und Bund - eine notwendige Voraussetzung. Ich glaube übrigens, dass wir mit der Entscheidung der Föderalismusreform I, dem Bundeskriminalamt entgegen der bisherigen Systematik der Sicherheitsarchitektur unseres Grundgesetzes eine Präventivbefugnis für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus zu übertragen, eine richtige Entscheidung getroffen haben. Wir sind gerade dabei, sie in der Gesetzgebung umzusetzen. Gestern hat dazu eine Anhörung stattgefunden. Ich hoffe zuversichtlich, dass wir mit der notwendigen gründlichen Beratung zu einer zügigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs kommen. Wir haben im Haushaltsentwurf mit Sach- und Personalmitteln Vorsorge dafür getroffen, dass das Bundeskriminalamt in der Lage ist, diese Aufgaben wahrzunehmen und zu erfüllen, wenn das Gesetz in Kraft tritt. Ich hoffe auf eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs. Ich will hinzufügen, dass die Bedrohung durch den internationalen, insbesondere islamistischen Terrorismus nicht abgenommen hat. Nach dem Bericht von Europol sind allein im vergangenen Jahr über 200 islamistische Terrorverdächtige in Europa verhaftet worden. Wir müssen die Bedrohung ernst nehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir ohne überzogene Aufregung, aber konsequent und Schritt für Schritt das Mögliche tun, um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und das Funktionieren unserer Freiheitsordnung auch für die Zukunft zu gewährleisten. ({4}) Wir alle haben in den vergangenen Monaten gelernt - auch das gehört zu einem Überblick über die Aufgaben innerhalb des Geschäftsbereichs des Einzelplans 06 -, dass das, was wir schon immer gesagt haben, zutrifft: Die Freiheitsrechte - auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland - werden nicht durch den Staat und seine staatlichen Organisationen, auch nicht durch die Polizeien, gefährdet. Vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass auch die Grundrechte auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung im nichtöffentlichen Bereich durch leistungsfähige Verwaltungen gewährleistet werden. Wir haben unsere Erfahrungen gemacht. Aus den Erfahrungen, die etwa die Telekom in ihrem Bereich machen musste, haben wir die richtigen Konsequenzen gezogen. Wir haben in den vergangenen Wochen mit den Verantwortlichen für den Vollzug des Datenschutzgesetzes in den Bundesländern - das ist sehr unterschiedlich konstruiert - und den Datenschutzbeauftragten darüber gesprochen, welche Schlussfolgerungen wir ziehen. Wir haben innerhalb der Bundesregierung verabredet, dass wir die Koalitionsvereinbarung mit dem Entwurf eines Gesetzes für ein freiwilliges Datenschutzaudit umsetzen, mit dem wir im Sinne eines Benchmarking weitergehende Fortschritte und Erkenntnisse Schritt für Schritt zuerst freiwillig umsetzen und dann verpflichtend Regelungen erlassen können. So können wir angesichts der rasanten Entwicklung in einem ständigen Prozess von Trial and Error bleiben. Wir haben zugleich verabredet, einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, der vorsieht, dass in Zukunft die Nutzung und Übermittlung personenbezogener Daten zum Zweck des Adresshandels nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen zulässig sein sollen. Wir wollen ein Kopplungsverbot für marktbeherrschende Unternehmen, die sich unabhängig von einem Abschluss daran halten müssen, sowie eine Erweiterung der Bußgeldtatbestände und gegebenenfalls erweiterte Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung vorschlagen. Das hat die Zustimmung aller Datenschutzbeauftragten gefunden. Ich werbe dafür, auf diesem Weg voranzugehen. ({5}) Wichtig ist aber auch: Nur ein funktionierender und leistungsfähiger Rechtsstaat ist in der Lage, den Datenschutz zu gewährleisten. Auch das gehört zur ganzen Wahrheit. Deswegen können wir vielleicht in der Zukunft manche Debatten etwas weniger voreingenommen führen. ({6}) Ich will in der gebotenen Kürze noch eine Bemerkung dazu machen, dass wir für den Fall, dass alle Vorkehrungen nicht funktionieren - es passieren immer Unglücke -, die Zusammenarbeit der Verantwortlichen von Bund und Ländern im Bereich des Bevölkerungsschutzes leistungsfähig erhalten müssen. Deswegen haben wir das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit über 100 Millionen Euro im vorliegenden Haushaltsentwurf angemessen ausgestattet. Gleiches gilt für das Technische Hilfswerk, das übrigens im Inland wie im Ausland zunehmend zu einem Gütezeichen für die Bundesrepublik Deutschland wird. Ich möchte mich bei den Helferinnen und Helfern sowie bei der großen Zahl der ehrenamtlich Tätigen ausdrücklich bedanken. ({7}) Wir sind auf einem guten Weg, im Einvernehmen mit den Bundesländern die Fragen nach Steuerung und Koordinierung so zu regeln, dass wir die vorhandenen Kapazitäten von Bund und Ländern im Zivil- und Bevölkerungsschutz optimieren. Wir müssen dazu in dieser Legislaturperiode noch einen Gesetzentwurf vorlegen; dafür werbe ich. Aber ich rate auch hier dazu, an der grundsätzlichen Zuständigkeit der Bundesländer nicht zu zweifeln und angesichts der Debatten über eine Zentralisierung des Katastrophenschutzes auf europäischer Ebene vorsichtig darauf hinzuweisen, dass ein ortsnaher, dezentraler und ehrenamtlicher Bevölkerungsund Katastrophenschutz die bessere Lösung ist und mehr Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet. ({8}) Darüber müssen wir bei anderer Gelegenheit vertieft diskutieren. Genauso wichtig wie alles, worüber ich bislang gesprochen habe, sind aus Sicht des Innenministers die Fragen: Was hält eine freiheitliche Gesellschaft eigentlich zusammen? Wie sichern wir Toleranz, ein friedliches Miteinander und Offenheit? Deswegen ist alles, was wir auf dem Feld der Integration und im Dialog mit Menschen unterschiedlicher Religionen machen, von zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeit unserer humanitären Freiheitsordnung. Für die Motivation unserer Gesellschaft ist es auch von großer Bedeutung, dass wir jungen Menschen die Möglichkeit bieten, im internationalen Wettbewerb mit der Spitze - auch im Sport Schritt zu halten. Das heißt, die Sportförderung ist auch etwas, das unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit unserer Freiheitsordnung wichtig ist. Wir müssen wettbewerbsfähig und leistungsorientiert sein. Wir dürfen nicht kommandieren. Wir wollen keine Staatsorganisation. Aber wir müssen zeigen, dass wir im Wettbewerb mit staatlichen Systemen wettbewerbsfähig sind. Deswegen werbe ich dafür, die Sportförderung auf einem hohen Niveau fortzuschreiben. Es gibt großen Handlungsbedarf, wenn es um die Sportorganisationen geht. Wir werden mit den zuständigen Kollegen darüber reden. Wir sollten uns von der Medaillenstatistik der Olympischen Sommerspiele nicht täuschen lassen. Nicht in allen Bereichen ist die Entwicklung gut. Ich erwarte im Sinne der Subsidiarität schon, dass die Verantwortlichen im autonomen Sportbereich das Optimale tun, sodass wir die Sportförderung der Spitzensportler mit öffentlichen Mitteln weiterhin rechtfertigen können. ({9}) Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke mich für die Unterstützung der Arbeit. Ich werbe dafür, dass in den Haushaltsberatungen die notwendigen Prioritäten im Einzelplan 06 auch durch das Parlament entsprechend unterstützt werden. Herzlichen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDPFraktion. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheitspolitisch, so jedenfalls ist unser Eindruck, hat die Große Koalition mittlerweile das Ende der Fahnenstange erreicht. Mit dem Kraftakt BKA-Gesetz - wir haben ja gestern und heute verfolgen können, wie schwer es Ihnen fällt, dieses zusammen zu verabschieden - haben Sie jede weitere große Maßnahme ad acta gelegt. Nur so, Herr Minister, kann ich Ihre Ankündigung verstehen, dass zum Beispiel mit der Vorlage eines Seesicherheitsgesetzes nicht mehr zu rechnen ist. So wenig, wie materiell im Bereich der Sicherheit geschehen wird, so wenig wird auch fiskalisch geschehen, abgesehen davon, dass Sie ein Jahr vor der Wahl Geld an die Bürgerinnen und Bürger verteilen. Eine Verbesserung der Sicherheit sieht aus unserer Sicht wirklich anders aus. Wenn Sie die Ausgaben für die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamtes aufgrund des BKAGesetzes abziehen, wird klar, dass Sie den traurigen Trend der letzten Haushaltsjahre fortsetzen. Am Ende des Haushaltsjahres wird beim BKA - bei Ihrer Leitbehörde, der Sie die innere Sicherheit so stark anvertrauen weniger Geld bleiben als jedes Jahr zuvor. Wer im Haushalt genau nachsieht, erkennt, dass es für das BKA nicht mehr, sondern weniger Geld gibt. Das habe ich nicht wirklich verstanden. ({0}) Der Aufwuchs beruht, wie gesagt, einzig und allein auf dem neuen BKA-Gesetz. Wer gestern dabei war, weiß, dass die Anhörung nicht wirklich eine Werbung für Ihr neues Gesetz war. ({1}) Handwerkliche Mängel nach einem Jahr Arbeit an dem Gesetzentwurf halte ich für sehr erstaunlich. Aus meiner Sicht können Sie nur eines tun, nämlich das Gesetz zurückziehen und überarbeiten. ({2}) Für die geltend gemachten handwerklichen Mängel ist der Haushaltsausschuss am Ende des Tages nicht zuständig, sondern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition. Ich fordere Sie auf, das zu verbessern. Ein solches BKA-Gesetz brauchen wir nicht. ({3}) Kein Geheimnis hingegen ist es für uns, was die Reform der Bundespolizei für den normalen Bundespolizisten bedeutet. Sie haben diese Reform angesprochen, Herr Schäuble. Unsicherheit über ihre persönliche Zukunft ist vor allen Dingen bei den Polizistinnen und Polizisten angekommen. Da nützt es auch nichts, wenn Sie ungefähr 5 Prozent der Bundespolizistinnen und Bundespolizisten mit Aufstiegsmöglichkeiten helfen wollen, die über die bisherigen hinausgehen. Das Gros der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist einfach verunsichert. Wenn man mit den Kollegen spricht, erfährt man das. Vielleicht tun Sie das nicht, wir aber schon. Entspricht es Ihrer Vorstellung von Sicherheit in Deutschland, wenn 12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundespolizei unsicher und unmotiviert durch das Land laufen? Meine Vorstellung von Sicherheit ist das nicht. Nach wie vor ist völlig unklar, welche Kosten durch den Neubau oder die Verlagerung des Bundespolizeipräsidiums noch auf den Bundeshaushalt zukommen. Wenn der Haushaltsausschuss nicht so viel Druck gemacht hätte - dafür bin ich meinen Kollegen wirklich dankbar -, dann würden Sie noch nicht einmal darüber nachdenken, eine Liegenschaft anzumieten, sondern hätten gleich einen Neubau gefordert. So kann man mit dem Geld von Bürgerinnen und Bürgern nicht umgehen. Das ist keine Sparsamkeit, sondern das genaue Gegenteil davon. ({4}) Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Neuerungen und Neubauten. Neues ist an sich nichts Schlechtes. Manchmal wäre Neues wirklich besser, siehe BOS-Digitalfunk. Das ist mittlerweile wirklich ein Trauerspiel. Wir warten schon viel zu lange darauf, dass diese neue Technik eingeführt wird. Allerdings möchte ich Sie da ausdrücklich in Schutz nehmen, Herr Minister. Es ist nicht nur Ihrer Leistung oder Nichtleistung geschuldet, dass sie noch nicht eingeführt ist. Stattdessen haben wir jetzt - denn wir sind in Deutschland - eine Behörde mit 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber noch immer so gut wie kein Gerät für die Polizistinnen und Polizisten. Das hat mit Sicherheit aus meiner Sicht nichts zu tun. Was ist denn aus Ihrer Sicht, liebe Kolleginnen und Kollegen, eigentlich der Unterschied zwischen dem Bundesdatenschutzbeauftragten und einem elektronischen Personalausweis? Der elektronische Personalausweis ist Ihnen im Bundeshaushalt mindestens zehnmal mehr wert. ({5}) Das ist eine Gleichung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Für eine Hauspostwurfsendung zur Einführung des neuen elektronischen Personalausweises sind im Haushalt 240 000 Euro neu eingestellt, für die Kostensteigerung im Bereich des Bundesdatenschutzbeauftragten gerade einmal 22 000 Euro. ({6}) Das geschieht nach all den Skandalen und dem, was wir zum Bundesdatenschutzbeauftragten und dessen Bereich alles gehört haben. Man kann sich nicht damit herausreden, dass der Haushalt schon im Sommer aufgestellt worden sei. Die ersten Skandale hat es schon lange vor dem Sommer gegeben. Das zeigt aus meiner Sicht, dass die Große Koalition ihren Koalitionsvertrag vor allen Dingen in einem Punkt ernst nimmt. Der Datenschutz steht im Koalitionsvertrag nämlich nur in zwei Zusammenhängen: Er erleichtert den Terroristen das Handwerk, oder er führt zu unnötiger Bürokratie. Diese Linie setzen Sie leider konsequent fort. Wir als FDP-Fraktion werden uns auch in diesem Jahr dafür einsetzen, dass der Datenschutzbeauftragte mehr Mittel erhält, um alles durchzusetzen, was Sie hier fordern. Es wird sich schnell zeigen, ob die Ankündigungen der Bundesregierung nur heiße - im Übrigen auch unbezahlte - Luft sind oder ob die Bundesregierung es wirklich ernst meint. ({7}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Sicherheitsbehörden, die gut ausgestattet sind, wir brauchen Sicherheitsbeamte, die motiviert sind, und wir brauchen einen Haushalt, der das garantiert. So verstehen wir Liberale vernünftige Sicherheitspolitik. Wir hoffen auf die Vernunft des Hauses. Herzlichen Dank. ({8})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper von der SPD-Fraktion. ({0})

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister ist schon auf die erhebliche Steigerung des Einzelplans 06 eingegangen, und ich hoffe, dass der Einzelplan auch mit dieser Steigerung beschlossen wird; denn das ist ein guter Entwurf. Es stecken hohe Personalkosten in diesem Entwurf; denn wir haben in diesem Haushalt die Ergebnisse der Besoldungs- und Tarifrunde umgesetzt. Wir halten es für gut, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Deswegen war es auch gut, dass wir eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung des Tarifvertrags auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamten vorgenommen haben. Ich glaube, sie haben es verdient. ({0}) Es trägt ganz wesentlich zur Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei, wenn hier ein deutliches Signal gesetzt wird. Die Motivation bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ob sie bei der Bundespolizei oder etwa beim THW sind, ist sehr wichtig. Ich will jetzt nicht alle Bereiche aufzählen. Die Gefahr, dass man jemanden vergisst, ist unheimlich groß. Die Motivation ist ganz entscheidend; denn die Arbeit, die für den Standort Deutschland geleistet wird, ist sehr verdienstvoll. Die Beschäftigung mit dem öffentlichen Dienst bringt mich zu einem sehr persönlichen Urteil, das ich aber doch hier kundtun will. Das, was in der Föderalismuskommission I entschieden worden ist, hat dazu geführt, dass wir mittlerweile 17 Dienstrechte in Deutschland haben. Das ist für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht von Vorteil. ({1}) - Das ist ja wunderbar, dass Sie das vorhergesagt haben. Es gibt manche, die gleich alles besser wissen. ({2}) Ich will ganz offen eingestehen: Ich halte es für keine schlechte Eigenschaft, in der Lage zu sein, durch Erfahrungen dazuzulernen und zu Ergebnissen zu kommen. Ich glaube, dass es in der Politik legitim ist, noch einmal nachzudenken und dann vielleicht zu anderen Ergebnissen zu kommen. Es ist wichtig, das Thema Dienstrechtsneuordnungsgesetz in Bälde abschließend zu behandeln; denn der Gesetzentwurf liegt vor. Frau Piltz, ich bin sicher, dass diese Koalition gerade im Bereich der Innenpolitik das Arbeiten nicht einstellen wird. Wir werden noch eine Menge auf den Weg bringen, vielleicht mehr, als Ihnen lieb ist. Im Rahmen der Beratungen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gibt es vielleicht noch zwei Themen, bei denen wir gemeinsam nachdenken müssen: Es sind die Themen „Übernahme von Versorgung“ und „besondere Altersgrenzen in bestimmten Berufen mit Schichtdienst“. Ich halte es für legitim, dass man unter anderem eine solche Belastung berücksichtigt. Mit dieser Fragestellung werden wir das Dienstrechtsneuordnungsgesetz hoffentlich bald gemeinsam verabschieden. ({3}) Die Föderalismusreform ist angesprochen worden. Wir müssen in der Tat immer die Fähigkeit entwickeln, zu erkennen, welche neuen Herausforderungen es eigentlich gibt, die unsere Väter und Mütter, die das Grundgesetz aufgeschrieben haben, noch nicht kannten. Da haben wir im Moment eine sehr spannende Frage, nämlich die des gesamten IT-Bereichs. IT gab es nicht, als das Grundgesetz aufgeschrieben worden ist. Das ist ein Bereich innerhalb des föderalen Systems, der eine übergreifende Kooperation zwischen Bund und Ländern notwendig macht. Ich finde, wir müssen auch die Kraft und die Fähigkeit haben, hier wegweisende Entscheidungen zu treffen und Organisationsformen zu finden, sodass wir auch da zukunftsfähig bleiben bzw. werden. ({4}) Es ist gerade heute notwendig, dass wir vieles, was uns in der Innenpolitik berührt, dahin gehend abklopfen, wie es sich auf unsere föderalen Strukturen auswirkt. Ich will hier ein Wort zu dem Thema Bundeskriminalamtgesetz sagen. Dieses BKA-Gesetz und die Idee dazu sind durch die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, aber auch innerhalb der Föderalismuskommission I entstanden. Man hatte nämlich festgestellt, dass man ein Bedrohungsszenario wie das, das vom internationalen Terrorismus ausgeht, in der Vergangenheit nicht vorgefunden hatte. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bundeskriminalamt mit einer sogenannten Präventivkompetenz ausschließlich im Kampf gegen den internationalen Terrorismus ausgestattet werden muss. Ich glaube, das ist eine richtige Schlussfolgerung, zu der man kommt, wenn man eine entsprechende Analyse zieht. Wir haben die Aufgabe, in dieser Frage darüber nachzudenken: Wie ist dies auszugestalten? Wir haben 16 Polizeigesetze in Deutschland. ({5}) Herr Stadler, wir hatten die Herausforderung, der wir durch den international agierenden Terrorismus gegenüberstehen, in der Zeit, in der diese Polizeigesetze entstanden sind, noch nicht in dieser Form zu bewältigen; alle Polizeigesetze sind viel älter. Deswegen glaube ich, dass es notwendig ist, dass wir hier, an dieser Stelle, diese Zuständigkeit schaffen und das Bundeskriminalamt bei seiner Arbeit unterstützen. Ich halte das für dringend notwendig und geboten. ({6}) Ich rede von Herausforderungen. Ich stelle fest, dass es immer wieder Stellen gibt, an denen Herausforderun18610 gen auftreten, die man vorher so vielleicht nicht eingeschätzt hätte. Ich will zugeben, dass das Thema Datenschutz in der Vergangenheit nicht unbedingt an der vordersten Stelle der politischen Diskussion gestanden hat. ({7}) - Das sage ich hier ganz offen, Herr Wieland. Das ist überhaupt keine Schande; das kann man doch zugeben. ({8}) Ich sage einmal so: Das hat ein bisschen ein Schattendasein geführt. Es ist aber doch nicht schlimm, ({9}) wenn man das zugibt und nicht die falschen Schlüsse daraus zieht. Das Thema Datenschutz muss auf die politische Agenda. ({10}) Aus dem, was wir beispielsweise aus den - so sage ich jetzt einmal - Datenschutzskandalen in den letzten Wochen gelernt haben, müssen wir Schlussfolgerungen ziehen. Ich bin sicher: Wir werden auch da Gemeinsames zustande bringen können. ({11}) Ich verstehe das einfach nicht. Es gibt hier offensichtlich Leute, die alles besser wissen. Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion einmal mit uns gemeinsam regiert haben. ({12}) Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass das Thema Datenschutz jeden Tag sozusagen eingefordert worden ist. ({13}) - Herr Stadler, Sie kennen mich ein bisschen. Ich sage immer, wie es ist, und nehme auch kein Blatt vor den Mund. Ich halte das für richtig, wenn man beispielsweise Geschichte bewältigen will.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Körper, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Ströbele.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Körper, können Sie mir bestätigen, dass bereits im ersten Jahr der rot-grünen Koalition, 1999, dem Koalitionspartner Grüne die feste Zusage gemacht worden ist, ({0}) dass es eine umfassende Datenschutznovelle, ein neues Datenschutzgesetz geben soll, dass diese Zusage aber weder in der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün noch in der zweiten Legislaturperiode von Rot-Grün eingelöst worden ist, weil die SPD sich dem verweigert hat?

Fritz Rudolf Körper (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001162, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Ströbele, wenn ich Ihre Fraktion mit dem Thema Datenschutz in Verbindung bringe, dann fällt mir eines ein: Sie hatten ein großes Interesse beim Datenschutz, nämlich dass das Amt des Datenschutzbeauftragten aus Ihren Reihen besetzt wird. ({0}) Das war eine Forderung, die mit Vehemenz vorgetragen worden ist. ({1}) Wir sind ihr sogar nachgekommen. Der Datenschutzbeauftragte ist auch heute noch im Amt. Ich bin der Auffassung: Er macht seine Sache gut. ({2}) - Lieber Herr Uhl, man sollte allen ihre Pensionsberechtigung gönnen. ({3}) Da sollten wir uns zurückhalten. - Ich bin auch der Auffassung, dass dieser Datenschutzbeauftragte seine Arbeit sehr ordentlich erledigt. ({4}) Das sollte man der Fairness halber sagen und da keine Nebelkerzen werfen. Beim Thema Datenschutz sind zwei Punkte ganz wichtig, einmal die Datenweitergabe nur nach aktiver Einverständniserklärung der Betroffenen. Das ist die Umkehr der bisherigen Praxis und kann viel helfen. Was ein Datenschutzaudit anbelangt, scheint mir sehr wichtig zu sein, über die Frage zu diskutieren, ob freiwillig, nur freiwillig oder inwieweit verpflichtend. Es gibt jetzt auch das Eckpunktepapier. Ich bin sicher: Wir werden aus diesen Vorstellungen heraus eine gute Entscheidung treffen. Der Innenminister hat ein ehrgeiziges Ziel. Es wird von uns ausdrücklich unterstützt. Er will eine VorFritz Rudolf Körper lage bis Ende November kabinettsreif machen. Wir vonseiten der SPD werden unsere Unterstützung leisten; denn der Datenschutz ist eine wichtige Aufgabe. Ihr müssen wir nachkommen, für die Bürgerinnen und Bürger. ({5}) Die Menschen haben es verdient. In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, ich denke, Freiheit stirbt auch durch immer mehr Sicherheit. Selbst wenn Sie sich heute an die Spitze der Bewegung für den Datenschutz stellen, so muss man doch eindeutig sagen: Sie haben in den letzten Jahren erheblich dazu beigetragen, dass der Datenschutz und Grundrechte abgebaut wurden. ({0}) Auch der vorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung zeigt, dass Sie Ihren Weg eindeutig fortsetzen, wenn es darum geht, Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern abzubauen. Die Bundesregierung forciert die Überwachung jedes Einzelnen im Namen des angeblichen Antiterrorkampfes, aber sie vernachlässigt gleichzeitig die Gefahr, die vor allen Dingen von rechtsextremistischen Gewalttätern droht. ({1}) Die Linke wird deshalb auch diesen Haushaltsplan ablehnen, weil er nicht nur falsche Signale setzt, sondern weil er regelrecht unverantwortlich ist. ({2}) Das Budget, das hier angesprochen wurde, steigt in der Tat um eine halbe Milliarde Euro. Man sollte glauben, dass dabei einige Milliönchen übrig wären, um endlich das umzusetzen, was der Bundestag schon vor sieben Jahren beschlossen hat, nämlich die Einrichtung einer unabhängigen Stelle zur Beobachtung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Wie gesagt, das war vor sieben Jahren. Die Grünen, die SPD, aber auch die Union haben es bisher nicht für nötig gehalten, diesen Beschluss umzusetzen. Ich meine, das ist sehr beschämend für diesen Bundestag. Eine solche Beobachtungsstelle würde beispielsweise zeigen, was NGOs recherchiert haben: Inzwischen gibt es 141 Menschen, die durch rassistische Gewalttäter ums Leben gekommen sind. In Ihrer Statistik sind nur ein Drittel dieser Menschen wiederzufinden. Deshalb brauchen wir diese Stelle. Ich möchte daran erinnern, dass gerade in den letzten Wochen in Berlin, in Templin, in Magdeburg und in Bernburg solche Morde verübt worden sind. Daher müssen durch den Haushalt mehr Signale in diese Richtung gegeben werden. ({3}) Herr Schäuble, realisieren Sie endlich, dass in dieser Entwicklung eine ganz zentrale Herausforderung liegt, denn inzwischen haben wir die Situation, dass diese Nazischläger in die Kommunalparlamente und in die Landtage eingezogen sind und dort entsprechend wirken können. Noch immer müssen Projekte darum kämpfen, aus dem Haushalt Gelder zu bekommen. Die beantragten Gelder für diese Projekte übersteigen die zugebilligten Gelder bei weitem. Die Bundesprogramme werden beispielsweise vor allen Dingen umorganisiert. Sie werden für ihre Arbeit immer ineffektiver ausgestattet. Deshalb fordert die Linke auch ein Sofortprogramm für den Kampf gegen Rechtsextremismus. ({4}) Die Beratungs- und Beobachtungsstelle habe ich bereits genannt. Vor allen Dingen aber wollen wir die Stärkung lokaler Aktionsteams und eine Verbesserung der Bundeszentrale für politische Bildung erreichen. Wir wollen, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus Priorität erhält. Diese muss sich auch im Haushalt niederschlagen. ({5}) Ich sagte es schon, die Bundesregierung finanziert aber lieber, dass Grundrechte abgebaut werden. Hierzu nenne ich einige Beispiele: 18,5 Millionen Euro sollen zusätzlich für den Verfassungsschutz ausgegeben werden. Ich frage Sie: Wofür? Dafür, dass Sie sinnlose Dossiers über die Linke anlegen, dafür, dass Sie die V-Leute, die in der NPD arbeiten, nicht abziehen und dadurch ein Verbot nicht zum Erfolg gebracht werden kann? Sie vereiteln dieses Verbotsverfahren im Grunde, wenn die V-Leute weiter dort bleiben. Fragen Sie Ihre Innenminister, die wissen das auch. Genauso überflüssig sind die Mehrausgaben beim Bundeskriminalamt. Fast 25 Millionen Euro sind für Personal und Technik vorgesehen, die man künftig für Onlinedurchsuchungen, Lauschangriffe, Videoüberwachungen und Wohnungsüberwachungen zu brauchen glaubt. Ich sagte es schon: Diese Angriffe auf die Grundrechte werden von uns entschieden abgelehnt. ({6}) Zum Schluss will ich noch ein Wort zu den Migrantinnen und Migranten sagen: Auch hier haben wir immer wieder kritisiert, dass die Gelder für sogenannte Integrationsmaßnahmen nicht ausreichen. Nach wie vor werden Menschen aus diesen Kursen ausgegrenzt, es werden nur die Neueinwanderinnen und Neueinwande18612 rer berücksichtigt. Wir halten an unseren Forderungen fest und werden auch hierzu wieder einen Antrag einbringen. Ich kann nur sagen: Der Bundestag wird ganze 7 Millionen Euro ausgeben, um im nächsten Jahr das Staatsjubiläum der Verfassung zu feiern. Das feiert man eigentlich nicht mit einer Regierung, die Grundrechte abbaut. Deshalb kann ich Herrn Schäuble nur auffordern, endlich damit aufzuhören, damit man auch wirklich etwas zu feiern hat. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland vom Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erinnern uns: ({0}) Noch vor einem Jahr bat der Bundespräsident in seinem Sommerinterview fast flehentlich darum, doch einmal eine Atempause bei den aus dem Hause Schäuble vorgetragenen Vorschlägen einzulegen, die damals nur so purzelten: Flugzeuge abschießen, Kriegsrecht einführen usw. usf. Demgegenüber war es diesen Sommer relativ ruhig. Ich will nun nicht spekulieren, ob es die Ruhe vor dem Sturm war, der jetzt im Herbst kommen wird. Ich stelle nur fest - ich bin selber etwas verwundert darüber -, dass bei einem Komplex aus dem Hause Schäuble fast gar nichts kam. Ich hätte aber gerne mehr zu dieser Kette von Datenschutzpannen, Datenschutzskandalen und zu der Bespitzelungsaffäre gehört. Ich nenne die Stichworte Lidl, Telekom, Callcenter. Als Kommentar zu all diesen Geschehnissen aus den letzten Monaten gebrauchte der Innenminister Worte, die er sonst scheut wie der Teufel das Weihwasser, nämlich: Die bestehenden Gesetze reichten aus, und man könne nicht alles verhindern. Da war ein Flächenbrand, und der für die Löscharbeiten Zuständige erklärte sich zunächst einmal für nicht berührt. Das hat sich nun geändert. Es gab einen Datenschutzgipfel. Ich habe heute das erste Mal Herrn Schäuble in seiner Eigenschaft als Datenschützer hier reden hören. Ich sage frank und frei: Über Spätbekehrte freut man sich immer ganz besonders. Aber zu dieser Geschichtsklitterung, dass wir alle von den Ereignissen überrascht worden wären, kann ich nur sagen: Ach du meine Güte! Jahrelang wurde von meiner Kollegin Stokar und von Frau Philipp im Innenausschuss danach gefragt, wo das Datenschutzaudit bleibt. Jahrelang wurde gefragt, wo die generelle Überarbeitung des Bundesdatenschutzgesetzes bleibt, und zwar in toto. Das Datenschutzrecht, das wir haben, stammt ja noch aus der Karteikartenzeit. Doch zu keinem Zeitpunkt hat die Große Koalition etwas unternommen. Hätte es diesen Flächenbrand nicht gegeben, hätten Sie das Thema verschlafen. Es wäre vertagt worden, es wäre nichts geschehen, vielmehr wäre es bei der Doppelnulllösung geblieben. ({1}) Last, but not least muss man auch einmal sagen - auch die Kollegin Jelpke hat es schon gesagt -: Solange der Staat selber mit Vorratsdatenspeicherung, mit Computerhacking, mit biometrischen Identifikationspapieren hier und da seine Datengier gegenüber dem Bürger und gegenüber der Bürgerin zeigt, solange er selber der größte Datenstaubsauger ist, kommt er aus der Rolle des Diebes, der ruft: „Haltet den Dieb!“, nicht heraus, so lange ist er nicht glaubwürdig gegenüber Industrie und Wirtschaft und gibt selber ein schlechtes Beispiel. Das muss aufhören. ({2}) - Nein, genau so ist es. Sie sind der größte Datendealer. Das ist das Problem, Herr Kollege Wiefelspütz. Die Wirtschaft bekommt vom Staat schlechte Beispiele geliefert. Wir haben darüber gestern bei den Beratungen im Ausschuss zum BKA-Gesetz gesprochen. Die Gutachter haben ihre Bedenken dazu geäußert. Wir haben das Abkommen mit den USA über die Weitergabe von Daten vorliegen. Es muss zwar noch ratifiziert werden, aber es stellt sich schon die Frage, was da vereinbart werden soll. Gemäß diesem Abkommen sollen sogar Daten wie Gewerkschaftszugehörigkeit oder sexuelle Vorlieben nicht etwa nicht übermittelt werden, sondern dürfen unter bestimmten Voraussetzungen übermittelt werden. Das Schlimme ist doch, dass unsere Daten sozusagen weltweit zum Floaten gebracht werden, dass es keinerlei Einschränkungen gibt. Der Staat gibt hier - ich wiederhole mich - ein ganz schlechtes Vorbild beim Umgang mit Daten ab. Die Durchsetzung des Grundsatzes „Meine Daten gehören mir“ ist bei dieser Bundesregierung also in ganz schlechten Händen. ({3}) Auch zur Integrationspolitik muss man leider einiges Kritisches sagen. Auf dem Papier lesen sich Begriffe wie Selbstverpflichtungen oder die im Integrationsplan enthaltenen Lobeshymnen darauf, was das Bundesinnenministerium alles vorhat, immer sehr gut. Der Haushalt spiegelt das aber nicht wider. Für die Migrationserstberatung - wie gesagt, ein Grundpfeiler der Integrationspolitik - werden keine Mittel bewilligt. In drei Jahren sind 4,4 Millionen Euro weggefallen. Auch dieses Jahr kommt kein Ersatz dafür. Das Angebot wird schlicht ausgehungert. Für Kurse für ausländische Frauen sind noch ganze 1,2 Millionen Euro im Haushalt übrig. ({4}) Geld ist bei der Integration wirklich nicht alles; das wissen wir. Allerdings kann es nicht sein, dass man in der Phrase groß ist, aber klein in der Finanzierung. Das überzeugt nicht; aber das ist Ihre Politik. ({5}) Offenbar gilt das Motto: Wenn schon wenig Geld, dann wenigstens viele Fragen beim Einbürgerungstest. Mit diesem Test blamieren sich doch nicht die Kandidatinnen und Kandidaten; mit diesem Test blamiert sich die Bundesregierung. ({6}) Wir haben beantragt, ihn vorher im Innenausschuss vorzulegen. Da wurde gesagt: Das ist rein exekutives Handeln; das geht euch nichts an. - Jetzt lacht die ganze Republik über Fragen, die falsch gestellt sind. Kollege Edathy hat sie alle aufgelistet, Fragen, die gar nicht beantwortet werden können. Da sagt die Regierung: Das haben Wissenschaftler von einem unabhängigen Institut gemacht; was haben wir damit zu tun? - So stiehlt sie sich aus der Verantwortung. Dieser Test mag angemessen ridikül sein bei Beckmann, wenn man ein neues Spiel kreiert: „Deutschland sucht den Superstaatsbürger“. Aber er ist doch gegenüber den Integrationswilligen ein völlig falsches Signal, ein weiteres Nichtwillkommenssignal. Deswegen ist er schädlich. ({7}) Natürlich, Herr Kollege Brandt: Bei der Anhörung zum BKA-Gesetz hat wieder einmal jeder seine Sachverständigen und seine Wirklichkeit gehört. Dennoch liste ich noch einmal kurz auf, was hier im Argen ist. Nach wie vor nicht geklärt ist die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund; sie agieren nebeneinander her. Das Benehmen ist zu wenig. Der Generalbundesanwalt ist draußen vor der Tür. Das hätte der Kollege Schröder, der vorhin so schön zum Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei geredet hat, sich einmal anhören sollen. Der Generalbundesanwalt wird nicht einmal mehr informiert. Dazu kommt, dass der Begriff des internationalen Terrorismus nicht definiert ist, sodass wir befürchten müssen, dass selbst Globalisierungskritiker darunter fallen werden. ({8}) Es findet ein nachgerade unverschämter Angriff auf die Berufsgeheimnisträger statt; selbst die besonders privilegierten Gruppen, nämlich Seelsorger, Parlamentarier und Strafverteidiger, sollen auskunftspflichtig werden. So steht es noch in dem Entwurf. Das ist nicht richtig falsch; vielmehr ist das, was ich hier schildere, leider die Realität. Kurzum: Natürlich soll das geschehen, was der BKAPräsident Ziercke hier immer abstreitet, nämlich dass ein deutsches FBI geschaffen wird, und zwar mit vollen geheimdienstlichen Zuständigkeiten. Dazu sagen wir nach wie vor: Das brauchen wir nicht, das wollen wir nicht, das ist schädlich für unseren Rechtsstaat. ({9}) Und was bleibt von der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten? Wir haben das gemeinsame Abhörzentrum jetzt auch auf dem Verwaltungswege bekommen. Polizei und Nachrichtendienste - zunächst Verfassungsschutz, BND soll später dazukommen, ebenso die Bundesländer - sollen gemeinsam abhören, das gemeinsame Ohr für die Sicherheit. Den gemeinsamen Aktenschrank haben wir schon in der Frage Antiterrordatei bekommen, auch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. ({10}) Auf diese Weise wird die Trennung immer mehr ausgehöhlt. Sie stirbt nicht zentimeterweise; es geht leider viel schneller. Am Ende wird hier nur noch eine leere Hülse übrig bleiben. Wir erkennen an, Herr Kollege Edathy, dass Sie sich ab und an bemühen, gegenzusteuern; Stichwort „Freiwilligkeit“. ({11}) - Sie bemühen sich, mitzuregieren. ({12}) Das werden wir einmal in Ihr Zeugnis schreiben: Edathy hat sich stets bemüht. Aber wir müssen hinzufügen: Es war selten erfolgreich. Denn die Innenpolitik wird maßgeblich von dem Mann bestimmt, der immer noch Militäreinsätze im Inneren will, der immer noch von der Verwischung der Grenze zwischen innerer und äußerer Sicherheit redet, der in kriegsrechtlichen Kategorien denkt, der sich im asymmetrischen Krieg fühlt. Wenn Sie, wie Tucholsky, fragen: „Wo bleibt das Positive?“: Für uns ist das Positive, dass wir die Hoffnung haben, dass dies der letzte Haushalt gewesen ist, den Wolfgang Schäuble zu verantworten hat. ({13}) Vielen Dank. ({14})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Luther von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Luther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001398, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wieland, ich finde, Sie haben eine sehr interessante Rede gehalten. Am Anfang Ihrer Rede kam es mir allerdings so vor, als ob Sie es tief bedauerten, dass sich Herr Schäuble nicht zu den Dingen, zu denen er sich aus Ihrer Sicht am liebsten hätte äußern sollen, damit Sie dagegenhalten können, geäußert hat. ({0}) Das hat mich schon ein bisschen gewundert. Nun zum Bundeshaushalt. Herr Schäuble, Sie hatten es schon gesagt: Der Einzelplan umfasst 5,6 Milliarden Euro. Das sind 10,5 Prozent mehr als 2008. Wenn man das oberflächlich betrachtet, dann hat man nicht das Gefühl, dass es sich hier um besondere Sparsamkeit handelt. Aber ich denke, der Haushalt ist wohlbegründet. Ich will in meinem Redebeitrag im Einzelnen darauf eingehen. Es ist richtig: Der größte Zuwachs betrifft die Personalkosten. Immerhin sind im Bundesministerium des Innern mit seinen einzelnen Behörden - auch das muss man einmal sagen - über 50 000 Personen beschäftigt, ungefähr 40 000 allein in der Bundespolizei. Daher ist es natürlich nicht verwunderlich, wenn die Besoldungsund Tarifsteigerungen gerade im Bundesinnenministerium zu einem höheren Ausgabenvolumen führen, was nicht sehr einfach zu handhaben ist. Ich will an dieser Stelle nicht die Besoldungs- und Tarifsteigerungen kritisieren. Ich denke, sie sind richtig und die Verhandlungen sind zu Recht abgeschlossen worden. Aber als Haushälter muss man sich natürlich damit befassen und auch damit, wie man das im Haushalt im Einzelnen darstellen kann. Ein Teil der für die Tarifsteigerungen erforderlichen Mittel ist aus dem Gesamthaushalt gekommen, ein Teil der Mittel konnte durch Auflösung einzelner Titel im Haushalt ausgeglichen werden. Ein weiterer Teil, nämlich 40 Millionen Euro, findet sich leider als globale Minderausgabe wieder. Sie werden verstehen, dass wir als Haushälter, die wir uns in den letzten Jahren bemüht haben, die hohe globale Minderausgabe auf null zu befördern, um Haushaltswahrheit und -klarheit zu erreichen, von dieser Entwicklung nicht allzu sehr begeistert sind. Wir werden uns mit großer Sicherheit in den Haushaltsberatungen mit dieser Frage beschäftigen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist - auch wenn das nach außen vielleicht nicht sehr dramatisch klingt; es ist aber ein für die Zukunft wichtiges Thema -, dass sich das Bundesinnenministerium vorbildlich darum bemüht hat, seine Immobilien der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu übergeben. Damit zahlt das Bundesinnenministerium Miete an den Bundesfinanzminister. Das Ganze ist zu Beginn haushaltsneutral. Aber wir versprechen uns natürlich davon über die Zeit positive Effekte; denn das Ministerium und die Behörden werden in Zukunft, wenn sie ihre Haushalte aufstellen, darauf achten, ob sie Geld für Immobilien benötigen oder nicht, und entsprechend sparsam mit den Mitteln umgehen. Ich denke, das ist ein wichtiger Schritt und zeigt, dass wir als Große Koalition es mit der sparsamen Haushaltsführung ernst nehmen. An dieser Stelle ist das BMI Vorreiter. ({1}) Dafür meinen herzlichen Dank. Der BOS-Digitalfunk kostet viel Geld. Wir sind hier - das darf man an dieser Stelle schon einmal sagen - im Vergleich zu anderen Ländern eher Entwicklungsländer. Ich habe die Entwicklung seit Beginn dieser Legislaturperiode sehr intensiv verfolgt. Dank Herrn Schäuble und nicht zuletzt dank uns Haushältern ist es gelungen, dass es jetzt endlich zu einem Durchbruch gekommen ist. 2007 ist der Startschuss erfolgt. Jetzt beginnt sich das in der Fläche auszubreiten. 400 Millionen Euro für 2009 sind viel Geld. Es tut einem als Haushälter immer weh, wenn Geld ausgegeben wird. Aber an dieser Stelle ist es, glaube ich, gut ausgegebenes Geld. Im Zuge der Haushaltsberatungen sage ich aber auch: Wo viel Geld ausgegeben wird, kann man auch viel falsch machen. Wir Haushälter haben uns vorgenommen, dort, wo viel Geld ausgegeben wird und wo viele Fehler gemacht werden können, genau hinzuschauen. Wir werden uns in den Haushaltsberatungen damit beschäftigen. Die Bundespolizei ist naturgemäß der größte Einzelposten innerhalb des gesamten Haushaltes. Wir haben mit dem letzten Haushalt und damit dieses Jahr beginnend die Bundespolizeireform auf den Weg gebracht. Damit haben die Beschäftigten der Bundespolizei Sicherheit; denn sie wissen, wo die Zukunft der Bundespolizei sein wird. Dass es gerade vor dem Hintergrund des Wegfalls der Schengen-Grenze Veränderungen geben muss, ist allen klar. Die Polizeireform ist auf jeden Fall haushaltswirksam. Ich denke an Umzugs- und Trennungsgeld, aber auch an die Errichtung eines neuen Bundespolizeipräsidiums. All das sind Dinge, die man in diesem Jahr als Haushälter begleiten muss. Ich will ein weiteres Thema benennen: Die Sicherheitslage an der ehemaligen Schengen-Außengrenze sollte uns nicht egal sein. Wir müssen die Menschen mitnehmen, die mit der neuen Situation zurechtkommen müssen und sich darauf einstellen müssen. Da gibt es Ängste. Der Bund muss einen klaren Beitrag dazu leisten, dass sich auch die Menschen an der Grenze zu Tschechien und Polen sicher fühlen. Die Menschen fühlen sich in Deutschland sicher. Das ist, glaube ich, ein Erfolg der Sicherheitsbehörden in Deutschland. Die Sicherheitsbehörde des Bundes ist das Bundesinnenministerium. Damit sich die Menschen auch in Zukunft sicher fühlen können, müssen wir uns den Herausforderungen der Zukunft rechtzeitig stellen. Fakt ist: Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus bleibt unverändert bestehen und bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit. Deshalb ist es richtig, dass wir mit dem Haushalt 2009 Vorsorge für das sogenannte BKA-Gesetz treffen, das kommen soll. Frau Piltz, Ihre Kritik zu diesem Punkt wundert mich. Sie haben gesagt, dass das BKA zu wenig Geld hat. Wenn ich mir die Bibel der FDP anschaue - sie wird vermutlich auch in diesem Jahr wieder eine vorlegen -, ({2}) muss ich aber feststellen, dass die FDP vorschlägt, beim BKA Mittel zu streichen. Das zeigt, dass das, was Sie sagen, nicht glaubwürdig ist. Eine letzte Bemerkung: Die größte Freiwilligenorganisation des Bundes ist das THW. Ich verspreche, dass wir auch in diesem Jahr sehr darauf achten werden, dass diese Freiwilligen angemessen ausgestattet bleiben. ({3}) Sicherheit kostet Geld. Ich glaube, wir werden das beantragte Geld brauchen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir aber trotzdem jeden einzelnen Titel kritisch hinterleuchten und fragen, ob die Ausgabe wirklich notwendig ist. Ich wünsche uns eine gute Haushaltsberatung. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den haushalts- und sonstigen innenpolitischen Debatten haben wir immer wieder die FDP-Kernthese zur inneren Sicherheit vorgetragen. Wir meinen, verantwortungsvolle Politik für innere Sicherheit bedeutet: Man muss Defizite beim Vollzug der bestehenden Gesetze beseitigen, aber nicht ständig unnötige Gesetzesverschärfungen beschließen. Leider machen Sie oft das Gegenteil. ({0}) Ich darf dies anhand von einigen Beispielen belegen. Aus aktuellem Anlass kennen wir die Anzahl der Polizeiplanstellen in vielen Bundesländern, speziell in Bayern, weil sie zurzeit in der Diskussion stehen. Die Gewerkschaften haben errechnet, dass bei den Polizeidienststellen in Bayern 1 100 Stellen abgebaut wurden. Im ganzen Bundesgebiet sind es seit dem 11. September 2001 erstaunlicherweise 10 000 Planstellen. Dieser Vorwurf trifft nicht Sie, Herr Bundesinnenminister. Es ist aber bemerkenswert, dass dadurch beispielsweise in Bayern viele Polizeidienststellen nur noch zu 75 Prozent einsatzfähig sind. ({1}) Das wird nicht etwa nur von der Polizeigewerkschaft vorgetragen, sondern auch vom Arbeitskreis Polizei der CSU. Dazu sage ich: Herr Beckstein sitzt im Glashaus und sollte nicht mit Steinen auf die FDP werfen, wenn es um die innere Sicherheit geht. ({2}) Das ist ein Beispiel dafür, dass man mit zu wenig Personal Vollzugsdefizite nicht in den Griff bekommen kann. ({3}) Sie liefern aber hier im Bundestag gerade ein Beispiel für den zweiten Ansatz, was man gerade nicht machen sollte - den habe ich Ihnen genannt -, nämlich überflüssige Gesetzesverschärfungen. Dazu hat gestern die Anhörung zum Entwurf des Bundeskriminalamtsgesetzes Folgendes erbracht: Dieses Gesetz ist nicht erforderlich, handwerklich schlecht gemacht und in vielen Bestimmungen grundgesetzwidrig. ({4}) Wenn Sie die Darlegungen von namhaften Verfassungsrechtlern von gestern ernst nehmen, dann dürfen Sie als Große Koalition diesen missglückten Gesetzentwurf keinesfalls im Oktober im Eiltempo hier durch das Parlament bringen. Gisela Piltz hat zu Recht gesagt: Dieser Entwurf für ein verfassungswidriges BKA-Gesetz muss zurückgezogen werden. Dann muss sorgfältig neu beraten werden. ({5}) Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie haben einmal den Mut und das Rückgrat, dass Sie diese unsere Forderung erfüllen, wenn Sie schon den Anspruch erheben, mitzuregieren, Herr Edathy. ({6}) Manchmal gibt es sowohl Vollzugsdefizite als auch ein Gesetzgebungsdefizit. Das ist beim Datenschutz eindeutig der Fall. Ein Vollzugsdefizit besteht, weil diejenigen, die über unsere Daten zu wachen haben, personell total unterbesetzt sind. Das gilt für den Bundesdatenschutzbeauftragten. In Bayern sind es ganze sechs Personen, die den Datenschutz für einen so großen Flächenstaat gewährleisten sollen. ({7}) Das ist völlig unzureichend. Wir brauchen über eine bessere Personalausstattung hinaus natürlich ein neues Datenschutzgesetz. Denn das jetzige stammt sozusagen aus der Postkutschenzeit. Wir brauchen eine Bewusstseinsänderung. Es muss wieder klar sein, dass der Schutz unserer Privatsphäre ein vordringliches Anliegen einer vernünftigen Innenpolitik ist. Ich kann Ihnen folgenden Hinweis nicht ersparen. Wie oft haben wir im Innenausschuss erlebt, wenn wir verlangt haben, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte zu Gesetzesvorhaben von Ihnen sachverständig gehört wird, dass Sie gesagt haben: „Das ist überflüssig, das ist Zeitverschwendung, und auf den hören wir sowieso nicht.“? ({8}) Die christliche Nächstenliebe verbietet es mir, mitzuteilen, wer vor allem diese Auffassung im Innenausschuss vertreten hat. Da müssen Sie Ihr Bewusstsein ändern, so wie sich in der Bevölkerung das Bewusstsein mehr in Richtung einer größeren Bedeutung des Datenschutzes entwickelt. ({9}) Ich komme zu dem Fazit: Da, wo Ihr Regierungshandeln gefragt wäre, beispielsweise beim Datenschutz, haben Sie jahrelang nichts gemacht. Das Gutachten aus dem Bundesinnenministerium hierzu aus dem Jahre 2002 blieb völlig ohne Konsequenzen. Also, da, wo Sie gefragt gewesen wären, haben Sie nichts gemacht. Da, wo Sie handeln, gehen Sie in die falsche Richtung und machen immer mehr Einschnitte in die Grundrechte und Bürgerrechte. Eine solche Politik tragen wir als FDP selbstverständlich nicht mit. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher von der SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Fograscher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002653, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Stadler, wir können gern den bayerischen Landtagswahlkampf jetzt hier in den Berliner Bundestag legen. ({0}) In der Tat: Aus den Bundesländern und gerade aus Bayern kommen immer wieder Anforderungen im Bereich der Innenpolitik an den Bund. Sie sind wenig glaubwürdig, wenn im Gegenzug eine völlig verfehlte Polizeireform in Bayern und Einsparungen beim Personal bei der Polizei durchgeführt werden. ({1}) Der Einzelplan 06 hat einen Zuwachs; das ist jetzt schon mehrfach erwähnt worden. Dass die Hälfte für die Tarif- und Besoldungserhöhungen ausgegeben wird, ist gut. Denn das zeigt, dass neben neuen Gesetzen, neuen Befugnissen, angepassten Instrumenten und moderner Ausstattung für die Sicherheitsbehörden vor allen Dingen qualifiziertes und motiviertes Personal notwendig ist, um den Herausforderungen der Innenpolitik gerecht zu werden. Trotz des Zuwachses beträgt der Anteil des Einzelplanes 06 am Gesamthaushalt gerade einmal 2 Prozent. Mit diesen 2 Prozent muss man ein breites Aufgabenspektrum abdecken. Es reicht von der inneren Sicherheit über die Extremismusbekämpfung und den Datenschutz, den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz und die Integration bis hin zum Sport. Der Haushaltsentwurf 2009 steht in der Kontinuität der Vorjahre und folgt der Schwerpunktsetzung der rot-grünen Bundesregierung. Der Bereich der inneren Sicherheit bildet mit 68 Prozent einen Schwerpunkt. Innerhalb dieses Aufgabenfeldes wurde der Ansatz für die Bundespolizei um 208 Millionen Euro und der für das BKA um 25,5 Millionen Euro erhöht. Ob dies allerdings dem selbst gesetzten Ziel des Bundesinnenministers, durch die Reform der Bundespolizei zu Einsparungen und mehr Effizienz zu kommen, und dem gerade zur Beratung anstehenden BKA-Gesetz gerecht wird, werden wir in den kommenden Haushaltsberatungen kritisch hinterfragen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen erinnern wir uns wieder an die furchtbaren Anschläge vom 11. September 2001. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist immer noch real, auch in Deutschland. Gott sei Dank ist es unseren Sicherheitsbehörden bisher erfolgreich gelungen, terroristische Anschläge zu verhindern. Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten werden dafür sorgen, dass das so bleibt. Die Gewährleistung der inneren Sicherheit und die Wahrung der Bürgerrechte stehen immer in einem gewissen Spannungsverhältnis. Sie stehen aber nicht im Gegensatz zueinander. Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit dürfen die Freiheitsrechte der Menschen nur so viel wie nötig und müssen sie so wenig wie möglich einschränken. Sicherheit und Bürgerrechte dürfen nicht, wie Sie, Herr Wieland, es immer tun, gegeneinander ausgespielt werden. ({2}) Die Sicherheit wird aber nicht nur durch die Gefahr terroristischer Anschläge bedroht. Viele Menschen sind auch über die Zunahme rechtsextremistischer und extremistischer Gewalt in unserem Land beunruhigt. Demonstrationen, angedrohte Immobilienkäufe, Musikveranstaltungen und gewalttätige Übergriffe von rechts beunruhigen die Menschen in zunehmendem Maße. Im Jahre 2007 wurden 17 176 Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität - rechts“ begangen. Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Es ist gut, dass die Ansätze der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung und das „Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“ fortgeschrieben werden. Dafür haben wir uns in den letzten Haushaltsberatungen erfolgreich eingesetzt. ({3}) Die Förderung von Demokratie und Toleranz braucht Stetigkeit und nachhaltige Finanzierungsgrundlagen. Viele gute Projekte, in denen engagierte und kompetente Menschen hauptamtlich, in der Mehrzahl aber ehrenamtlich arbeiten, stehen immer wieder vor dem finanziellen Aus. Gegenwärtig suchen wir zum Beispiel nach Lösungen, wie wir das Aussteigerprogramm EXIT weiter finanzieren können. Könnte man hier verlässliche Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln, wäre das auch ein Beitrag zu mehr innerer Sicherheit und zur Stärkung unserer Demokratie. In diesem Zusammenhang muss auch das Verbot weiterer rechtsextremer Vereine und Gruppierungen, zum Beispiel der Heimattreuen Deutschen Jugend, geprüft und gegebenenfalls ausgesprochen werden. ({4}) Was den Bevölkerungsschutz betrifft, wurden im Haushalt für die Ausstattung der Hilfsorganisationen und Feuerwehren rund 68 Millionen Euro bereitgestellt; das ist mit den Ländern vereinbart worden. Ich sichere den überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zu, dass wir sie im Hinblick auf die Weigerung der Länder, eine verfassungsmäßige Grundlage für die Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes zu schaffen, nicht in Haftung nehmen werden. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen ehren- und hauptamtlichen Helferinnen und Helfern der Hilfsorganisationen, der Feuerwehren und des THW für ihren unermüdlichen und oft gefahrvollen Einsatz im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bedanken. ({5}) Zum Sport. Wir begrüßen, dass sich die Unterstützung des Kampfes gegen das Doping wieder in den Haushaltszahlen abbildet. Die konsequente Bekämpfung des Dopings ist für die Zukunft des Sports, sowohl des Breiten- als auch des Spitzensports, von grundsätzlicher Bedeutung. Daran, dass der Zuschuss für Maßnahmen zur Dopingbekämpfung im vorliegenden Entwurf des Bundeshaushalts abermals erhöht und das Stiftungskapital der Nationalen Anti-Doping-Agentur wie im Vorjahr aus Bundesmitteln um 1 Million Euro aufgestockt werden, wird deutlich, dass wir dieses Problemfeld als zentrale Aufgabe der Sportpolitik erachten. Es bleibt zu hoffen, dass alle anderen Partner - Sportorganisationen, Sponsoren und Medien - ihrer Verantwortung ebenfalls gerecht werden. Wir wollen uns in den parlamentarischen Beratungen für eine Stärkung der sportwissenschaftlichen Forschung - nicht nur im Bereich der Dopingbekämpfung - einsetzen. Neue sportwissenschaftliche Erkenntnisse können einerseits zu einer sauberen Leistungsverbesserung beitragen und andererseits helfen, verbotene Maßnahmen zur Leistungssteigerung zu entdecken. Die Stiftung Deutsche Sporthilfe gehört zu den wichtigsten Institutionen zur Förderung des Spitzensports in Deutschland. 98 Prozent der in Peking gestarteten Sportlerinnen und Sportler waren irgendwann in ihrer Karriere auf die Sporthilfeförderung angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass auch in diesem Jahr 1 Million Euro zur Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe in den Einzelplan 06 eingestellt wird. Haushaltsrecht ist Parlamentsrecht. Deshalb wünsche ich mir konstruktive Beratungen. Ich bin mir sicher, dass wir im Haushalt an der einen oder anderen Stelle weitere notwendige Akzente setzen werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion Die Linke.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde schon erwähnt, dass Bundesinnenminister Schäuble am 4. September Datenschützer und weitere Minister zu einem Datenschutzgipfel geladen hatte. Danach gab es eine Pressekonferenz und ein bemerkenswertes Bild. Bundesinnenminister Schäuble und der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Schaar lobten sich wechselseitig - ein seltenes Bild. Ich gönne es Ihnen, Herr Bundesinnenminister. Dieses Bild täuscht aber über allzu viele Probleme hinweg. Es ist richtig, dass der Gipfel Wichtiges vereinbart hat, um die persönlichen Daten der Bürgerinnen und Bürger besser zu schützen. So dürfen ihre Daten ohne ausdrückliche Zustimmung künftig nicht mehr gehandelt werden. Dieser und weiteren Vereinbarungen wird die Linke im Bundestag natürlich zustimmen. Zudem wird die Linke ein Sonderprogramm Datenschutz beantragen. Damit soll der Bereich des Bundesdatenschutzbeauftragten personell und technisch auf das erforderliche Niveau gebracht werden; ({0}) denn man kann nicht verbal den Datenschutz stark reden und de facto den Datenschutzbeauftragten sowie seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwach halten. Zurück zum Gipfel. Dieser drehte sich ausnahmslos um die Privatwirtschaft. Ein ganz großer Datenstaubsauger aber ist der Staat selbst. Ich erinnere nur an die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten. Dagegen läuft eine Sammelklage beim Bundesverfassungsgericht. Ich wiederhole für die Linke: Die Vorratsdatenspeicherung muss weg. ({1}) Hinzu kommt, dass immer mehr sensible Daten von Staats wegen EU-weit gestreut oder in die USA verschickt werden, also ins Datenschutznirwana. Auch das spielte auf dem sogenannten Datenschutzgipfel keine Rolle. Bundesinnenminister Schäuble hatte schon vorher forsch behauptet, das Übel sei privat, der Staat sei sauber. Das sieht die Linke ganz anders. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: die Bundesdruckerei. Bei der Bundesdruckerei häufen sich persönliche Daten aller Bürgerinnen und Bürger, auch biometrische. Es ist also ein höchst sensibler Betrieb. Trotzdem wurde die Bundesdruckerei im Jahr 2000 von der SPD und von den Grünen entgegen allen Mahnungen und Protesten privatisiert; auch ich war dagegen. Nun lese ich, dass die Bundesdruckerei aus Sicherheitsgründen wieder verstaatlicht werden soll. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich frage aber zugleich: Wie unsicher waren die Daten von 80 Millionen Bürgerinnen und Bürgern in den acht Jahren dazwischen? Auch dieses Beispiel zeigt: Der Staat ist mitnichten sauber. Er ist vielmehr ein Datenrisiko ersten Ranges. ({2}) Deshalb sage ich auch: Das schöne und seltene Bild vom Datenschutzgipfel war ein Trugbild. Es war kein Gipfel, sondern es war bestenfalls ein Hügelchen; denn das weitergehende Problem harrt noch immer einer Lösung. Wir brauchen endlich ein Datenschutzrecht, das dem 21. Jahrhundert gerecht wird. Davon sind wir noch meilenweit entfernt. Der Kollege Wieland hat schon das Bild der Karteikartenzeit bemüht. Ich denke, nicht nur die Lösung dieses Problems muss angegangen werden. Auch die Probleme auf dem großen Feld des Arbeitnehmerdatenschutzes harren längst einer Lösung. Ich höre aber, dass man im zuständigen Ministerium in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht mehr tätig werden will. ({3}) Eigentlich müsste es doch alle Fraktionen des Bundestages beschämen, dass das Bundesverfassungsgericht die Daten der Bürgerinnen und Bürger immer wieder gegen Regierungsgelüste schützen muss. Leider ist es aber so. Das ehrwürdige Bundesverfassungsgericht ist längst im Internetzeitalter angekommen, die Große Koalition aber immer noch nicht. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem der eine oder andere Kollege gemeint hat, aufgrund des bayerischen Landtagswahlkampfs Anmerkungen zur dortigen Sicherheitslage machen zu müssen, kann ich es mir als Münchener Abgeordneter und früherer Kreisverwaltungsreferent nicht verkneifen, dreierlei dazu zu sagen ({0}) - Kreisverwaltungsreferent heißt das; in Berlin heißt das Innensenator -: ({1}) Die höchste Aufklärungsquote ist immer noch in Bayern zu verzeichnen, die niedrigste Kriminalitätsrate auf 100 000 Einwohner ist immer noch in Bayern zu verzeichnen, und denjenigen, die sich über den Stand der Planstellen bei der bayerischen Polizei Sorgen machen, sei gesagt, dass das bayerische Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat, 200 neue Stellen zu schaffen. So viel zu Bayern und zum Wahlkampf. ({2}) Meine Damen und Herren, auch diese Legislaturperiode war und ist noch vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus geprägt. Deswegen haben wir bereits im Jahre 2006 das Antiterrordateigesetz beschlossen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Benneter?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, das bringt uns nicht weiter, Herr Kollege, bei aller Liebe. ({0}) Das führt zu einem Vergleich der Sicherheitslage in Ihrer Stadt Berlin mit der in München. Das bringt uns wirklich nicht weiter. ({1}) - Wir sprechen nach meiner Rede miteinander. Lassen Sie mich zum Thema Antiterrorkampf zurückkommen und, weil der Kollege Wieland hier ganz bemerkenswerte Dinge gesagt hat, feststellen: ({2}) Seit wir das Antiterrordateigesetz anwenden - im Zusammenhang mit diesem Gesetz haben Sie in Ihrer unnachahmlichen Art diffamierend von einem gemeinsamen Aktenschrank der Nachrichtendienste und Polizeien gesprochen -, wissen die Polizeien und Sicherheitsorgane in Deutschland - des Bundes und der Länder - sowie die Nachrichtendienste vom jeweils anderen, was diese über terroristische Vorbereitungsmaßnahmen bzw. -handlungen wissen, weil alles auf einen Tisch gelegt wird. ({3}) Das heißt, wir haben aus dem 9/11 in Amerika gelernt, als man sehr viel wusste, dies aber nicht zusammengetragen hat, sodass auf diese Art und Weise der Anschlag nicht verhindert werden konnte. ({4}) Wir haben daraus gelernt, und Sie stellen sich hierhin und sagen, dass man es brandmarken muss, dass die Nachrichtendienste und die Polizeikräfte des Bundes und der Länder alles über Terroranschläge austauschen. Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen, Herr Wieland? ({5}) Wir wollen diese Zusammenarbeit. ({6}) Wenn Sie sie nicht wollen, dann machen Sie sich letztlich zum Schutzpatron des Terrorismus, Herr Wieland, ob Sie das wollen oder nicht. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Montag, ja bitte.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich danke Ihnen, Herr Kollege Uhl, für die bayerische Solidarität. Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, in diesem Hohen Hause zur Kenntnis zu nehmen und zu bestätigen, dass wir Grüne selbstverständlich zu keinem Zeitpunkt dagegen waren, dass die Sicherheitsbehörden - seien es die Geheimdienste, sei es die Polizei - im Kampf gegen den Terrorismus ihre Informationen austauschen. Wir waren lediglich strikt dagegen - wir sind es bis heute -, dass das eine Amt in den Aktenbestand des anderen hineinschauen kann, dass also - Kollege Wieland hat das völlig richtig ausgedrückt - die Informationen in einem einzigen, gemeinsamen Aktenschrank gesammelt werden. Wir wollten eine Referenzdatei; Sie wollen einen vollen Einblick aller Beteiligten in alle Aktenbestände. Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass wir immer auf diese Differenz hingewiesen haben?

Dr. Hans Peter Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003247, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Montag, selbstverständlich bin ich nicht bereit, Ihnen das zuzugestehen. ({0}) Sie müssen sich die Mühe machen - Sie sind ja ein fleißiger Jurist -, noch einmal in das Antiterrordateigesetz hineinzuschauen und sich genau anzuschauen, was zu den in diesem Gesetz festgelegten Grunddaten gehört, die in eine gemeinsame Datei eingegeben werden sollen. Diese Grunddaten müssen alle Sicherheitsbehörden kennen. Dieser Staat darf sich gegenüber dem Terror nicht künstlich blind und taub machen. Der Staat muss wissen, wo Mordanschläge vorbereitet werden; jede Sicherheitsbehörde, jeder Nachrichtendienst in jedem Bundesland und der Bundesnachrichtendienst müssen diese Grunddaten kennen. ({1}) Genau dies und nichts anderes haben wir festgelegt. ({2}) Wir haben im Rahmen der Föderalismusreform die Verfassung geändert und festgelegt: Für den Fall eines drohenden Terroranschlags muss das Bundeskriminalamt eine eigene Zuständigkeit bekommen. Das heißt, wir müssen die nachrichtendienstliche Tätigkeit verstärken und das Bundeskriminalamt von dem, was vorbereitet wird, in Kenntnis setzen. Das Bundeskriminalamt muss eigene Zuständigkeiten bekommen. Herr Kollege Stadler, die gestrige Anhörung hat aus unserer Sicht ergeben, dass das Bundeskriminalamtgesetz in großen Zügen verfassungsgemäß ist. ({3}) Natürlich haben Sie mit selektivem Wahrnehmungsvermögen etwas anderes herausgehört als wir. Ich möchte nur ein wörtliches Zitat eines Professors anführen; auch Sie haben Professoren angesprochen, aber nicht zitiert. Professor Gusy - er wurde nicht von uns, sondern von der SPD-Fraktion vorgeschlagen - sagte: Der vorgelegte Entwurf enthält keine grundsätzliche Verschiebung des Koordinatensystems von Freiheit und Sicherheit zulasten der Freiheit. Das heißt, das Bundeskriminalamtgesetz ist im Grunde in Ordnung. Deswegen werden wir es beschließen. ({4}) Die Informations- und Wissensgesellschaft ist stärker denn je von der störungsfreien Funktion informationstechnischer Systeme abhängig. Deswegen lassen Sie mich auf ein Amt zu sprechen kommen, das nur unter Fachleuten bekannt ist: das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Es lohnt sich, dieses Amt zu besuchen und sich mit dem zu befassen, wovor es uns in diesem Staat schützt. Das Thema Internet - Schutz vor Missbrauch des Internets, Kampf gegen organisierte Kriminalität - wird immer wichtiger. Dieses Amt führt zu Unrecht ein Schattendasein. Es ist gut, dass wir die Mittel für dieses Amt auf 64 Millionen Euro erhöht haben. Wir werden noch viel von ihm hören. Einige Bemerkungen zum Thema Datenschutz. Die FDP hat gefragt, wie man überhaupt als Unionspolitiker im Bereich der Sicherheitspolitik im Kreise der Großen Koalition arbeiten könne. Herr Körper, wenn man es mit den Kollegen aus der Opposition vergleicht - mit dem, was von den Linken, den Grünen, zum Teil aber auch von der FDP angesprochen wurde -, kann man sich im Kreise der Großen Koalition wieder einigermaßen wohlfühlen. - Das sollte ein Lob für Sie sein. ({5}) Die Datenmissbräuche des Sommers haben doch eines gezeigt: 90 Prozent der Milliarden schutzwürdiger Personendaten werden im privaten Sektor zwischen Konsumenten und Wirtschaft ausgetauscht. Das heißt, die Herausforderung stellt sich ganz anders dar, als wir bisher angenommen haben. ({6}) Es geht nicht in erster Linie um einen übermächtigen Staat, der den Bürgern Daten abnimmt und sie missbräuchlich verwendet. Es geht vielmehr auf der Ebene von Bürger zu Bürger darum, dass der Bürger grob fahrlässig seine Daten preisgibt, mit denen Wirtschaftsunternehmen und andere auf rechtswidrige Weise Geld verdienen. Um diese Herausforderung geht es, und diesem Thema widmen wir uns. Ich bitte Sie, sich parteiübergreifend mit dem Datenmissbrauch zu befassen und sich dabei von der starren Vorstellung von Bürger und Staat zu verabschieden. Weil der Datenmissbrauch größtenteils von Bürger zu Bürger erfolgt - etwa 90 Prozent der Milliarden personenbezogenen Daten entfallen auf diesen Bereich -, bitte ich Sie, sich diesem Thema stärker zu widmen. Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen. Die Visawarndatei wird kommen. Wir haben uns heute noch einmal auf die Einrichtung einer solchen Datei verständigt. Das ist gut; denn wir wollen zwar die grenzüberschreitende Mobilität fördern und den Reiseverkehr erleichtern, aber die Zunahme der organisierten Kriminalität mit Drogenhandel, Menschenhandel und Schleusertruppen vermeiden. Dieses Massengeschäft kann nur mit einer intelligenten Steuerung durch eine Visawarndatei bewältigt werden. Auch der elektronische Personalausweis wird kommen. Er wird hochinnovativ sein. Das heißt - damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident -, wir werden im sicherheitspolitischen Bereich eines Tages auf die vier Jahre der Großen Koalition als fruchtbare und gute Jahre zurückblicken, die uns weitergebracht haben. Freiheit ist nicht denkbar ohne Sicherheit. Sicherheit kann aber nur mit den notwendigen finanziellen Mitteln gewährleistet werden. Dafür, dass Sie immer die angemessene Balance zwischen Freiheit und Sicherheit gefunden haben, danken wir Ihnen, Herr Minister Schäuble, und Ihren fleißigen und sachkundigen Mitarbeitern im Innenministerium ebenso wie den Berichterstattern, die sich ganzjährig mit dem Haushalt beschäftigen. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy von der SPD-Fraktion.

Sebastian Edathy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003111, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Handschrift der Großen Koalition im Bereich der Innenpolitik ist eindeutig. Wir gewährleisten gemeinsam Freiheit und Sicherheit, und wir achten darauf, dass eines klar ist: Sicherheit ist, zumal im demokratischen Rechtsstaat, kein Selbstzweck, sondern hat gegenüber der Freiheit eine dienende Funktion. ({0}) Deshalb muss immer sehr genau darauf geachtet werden, wie wir die Sicherheitsinteressen des Staates effektiv wahrnehmen können, ohne die Bürgerrechte der Menschen in Deutschland einzuschränken. Es gibt eine Fülle von Projekten, bei denen diese Philosophie deutlich wird und festgestellt werden kann, Herr Kollege Wieland, dass sich die SPD nicht nur bemüht, sondern erfolgreich durchgesetzt und der Innenpolitik ihren Stempel aufgedrückt hat. ({1}) Ich nenne in diesem Zusammenhang das schon angesprochene Gemeinsame-Dateien-Gesetz, mit dem wir gerade nicht, wie behauptet wurde, die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten der Polizeien und Nachrichtendienste verwischt haben. ({2}) Ich nenne zum Beispiel den elektronischen Fingerabdruck im Reisepass oder im Personalausweis. Bei Letzterem haben wir durchgesetzt, dass dies nur auf Wunsch erfolgt, und bei Ersterem gilt wie auch bei den neuen Personalausweisen, dass die Merkmale nicht bei den Behörden gespeichert werden - dort haben sie nichts zu suchen -, sondern ausschließlich auf den Dokumenten selber, um im Live-Abgleich sicherzustellen, dass einer Person, die einen Ausweis mit sich führt, dieser rechtmäßig gehört. Das ist ein Beitrag zu mehr Sicherheit ohne eine Einschränkung von Rechten der Bürgerinnen und Bürger. ({3}) Dieses Bemühen, eine vernünftige Balance zu finden, wird auch bei der Beratung des BKA-Gesetzentwurfs im Innenausschuss und später im Plenum deutlich werden. Wenn wir die gestrige Sachverständigenanhörung ernst nehmen, dann kommt ein bloßes Durchwinken des Gesetzentwurfs nicht infrage. ({4}) Dann müssen wir noch einmal sehr genau in die Details einsteigen. Bei aller Polemik, derer sich die Opposition in nicht ungewöhnlicher Weise befleißigt, kann es nur völlig unstrittig sein, dass wir ein solches Gesetz brauchen, um die Verfassungsänderung vor zwei Jahren rechtlich umzusetzen. ({5}) Es gilt aber auch der Grundsatz, dass Kohle und Diamanten aus demselben Stoff bestehen. Mit dem Gesetzentwurf versuchen wir, aus einem Stück Kohle einen geschliffenen Diamanten zu machen. Unsere Aufgabe als Parlament besteht nicht darin, abzunicken, was vom Bundeskabinett kommt, sondern die Änderungen vorzunehmen, die wir für notwendig und verantwortbar halten. Das werden wir auch machen. ({6}) Wir leben - darauf sollte man gelegentlich hinweisen nicht nur in einem der sichersten Länder dieses Planeten, sondern auch in einem der sozial intaktesten Länder. Zum Funktionieren unserer Gesellschaft gehören nicht nur das Gewährleisten der Freiheit - auch durch Sicherheit -, sondern auch eine gute Integrationspolitik. Wir sind gut beraten, in den Haushaltsberatungen in den Ausschüssen des Bundestages sehr genau darauf zu achten, ob der Entwurf ausreichend ausgestaltet ist. Ich höre aus den Reihen der Bundesregierung, dass es für das laufende Jahr - weil die Integrations- und Sprachkurse so gut angenommen und zunehmend vernünftig ausgestaltet werden - einen Nachtragshaushalt mit einem Volumen von 14,6 Millionen Euro geben soll. Trotzdem haben die Bundesregierung und insbesondere der Bundesinnenminister im Haushaltsentwurf 2009 die alte, niedrige Summe eingestellt, obwohl generell betrachtet der Bedarf 2009 nicht geringer sein dürfte als 2008. Das heißt, wir bräuchten in diesem Bereich eine Aufstockung. Ich rate dazu, das auch zu machen, wenn wir die Integrationskurse weiter verbessern wollen. Wir sollten bei kleineren Kursen höhere Sätze zahlen, um motiviertes und qualifiziertes Lehrpersonal zu bekommen. ({7}) Es ist sicherlich sinnvoll, im Bereich der Migrationserstberatung mehr zu tun. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat in der Vorbereitung der Haushaltsaufstellung deutlich auf einen Mehrbedarf in Höhe von knapp 7 Millionen Euro hingewiesen. Dies ist aber im Haushaltsentwurf nicht aufgegriffen worden. Es ist nicht ausreichend, Integrationsgipfel zu veranstalten und nur am Sonntag davon zu reden, dass wir mehr für Integration tun müssen, dann aber von Montag bis Samstag die Hände in die Taschen zu stecken. Wir müssen auch von Montag bis Samstag im Alltag und im Haushaltsvollzug darauf achten, dass das Ganze materiell unterlegt wird. Der Bedarf ist jedenfalls da. ({8}) Investitionen in Integration sind Investitionen in den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. Lassen Sie mich Folgendes am Rande anmerken - das hat im engeren Sinn nichts mit dem Haushalt zu tun, wohl aber viel mit Integration -: Wir müssen uns bei der Integration immer des Grundgedankens gewahr sein, dass es für eine Demokratie lebensnotwendig ist, dass möglichst alle, die dauerhaft in einem Land leben, als Bürger auf Augenhöhe zusammenleben. Das heißt, wir müssen uns mehr Gedanken als in der Vergangenheit darüber machen, wie wir aus Staatsbewohnern ohne deutsche Staatsangehörigkeit Staatsbürgerinnen und Staatsbürger machen können. Das muss sich auch in der Ausgestaltung eines grundsätzlich begrüßenswerten Eingliederungstests niederschlagen. Wenn der Test aber so ausgestaltet wird, dass er zum bloßen Auswendiglernen einlädt und nicht dem Abfragen von Basiswissen über Geschichte, Kultur und demokratische Struktur in Deutschland dient, dann setzt er Fehlanreize. Man kann zwar sagen, dass Auswendiglernen etwas typisch Deutsches sei. Das kann aber nicht Sinn eines solchen Tests sein. Er darf nicht abschrecken, sondern sollte zum Schritt der Einbürgerung in Deutschland ermuntern. ({9}) Ernsthaftigkeit ist auch beim Datenschutz gefordert. Wir müssen darüber reden, ob eine Anhebung des Etats des Bundesdatenschutzbeauftragten um - man höre und staune - 22 000 Euro ausreichend ist. Ich jedenfalls habe daran erhebliche Zweifel. Wir müssen darüber diskutieren, wie sich die Möglichkeiten des Datenschutzbeauftragten und seines Amtes verbessern lassen. Ich begrüße es als Vorsitzender des Innenausschusses sehr, dass der Bundesinnenminister die Initiative ergriffen hat, das Bundesdatenschutzrecht auf den Prüfstand zu stellen, und Vorschläge für seine Weiterentwicklung gemacht hat. Wir dürfen diese Debatte aber nicht allein der Exekutive und den Datenschutzbeauftragten überlassen, sondern müssen sie auch im Parlament führen. Wir haben gleich um 17.30 Uhr ein Gespräch der Parlamenta18622 rier aus dem Innenausschuss zum Thema Datenschutz. Leider hat die Union gestern Nachmittag ihre Teilnahme abgesagt. ({10}) Aber das wird sicherlich nicht das einzige Gespräch sein. Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir, die Parlamentarier, uns dieses Themas annehmen und nicht nur auf Vorschläge der Regierung warten, sondern selber Initiativen ergreifen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht den Staat nicht vor ihrer Nase, sondern an ihrer Seite, gerade wenn es um Bürgerrechte geht, zu denen zweifellos auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehört. Ich freue mich auf spannende Beratungen in den Ausschüssen und auf gute Resultate. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen nicht vor. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({0}) auf Grundlage der Resolutionen 1701 ({1}) und 1832 ({2}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 11. August 2006 bzw. 27. August 2008 - Drucksache 16/10207 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({3}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier das Wort. ({4})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Sie erinnern sich wie ich an den unruhigen Sommer 2006, als Menschen im Nahen Osten in den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah starben und als wir Wochen, am Ende Tage und Stunden darum gerungen haben, dass die Waffen schweigen. Und Sie erinnern sich wie ich, dass es uns in diesem Hohen Haus nicht ganz leichtgefallen ist, zu beschließen, dass wir mit deutschen Soldatinnen und Soldaten daran teilhaben, diesen mühsam errungenen Waffenstillstand abzusichern und für den Wiederaufbau im Libanon zu sorgen. Das ist keinem leichtgefallen; ich weiß das und habe es in guter Erinnerung. Aber wir haben uns sehr bewusst zu einer aktiven deutschen Rolle in dieser für uns Europäer so wichtigen Nachbarregion entschlossen. Ich glaube, ich kann heute nach zwei Jahren rückblickend feststellen: Auch wenn die Entscheidung schwer war, war es eine richtige Entscheidung. ({0}) Ich darf wohl sagen, dass die UNIFIL ihren schwierigen Auftrag erfolgreich erfüllt hat. Das gilt gerade auch für die maritime Komponente, die bis Ende Februar unter deutscher Führung stattfand. Der Waffenschmuggel über See konnte verhindert werden. UNIFIL hat mehr als 18 000 Anfragen durchgeführt, mehr als 160 Schiffe wurden von den libanesischen Behörden überprüft. Ich glaube, ich darf auch sagen, dass UNIFIL einen ganz wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Libanon und zur Stabilisierung der gesamten Region hat leisten können. Ministerpräsident Siniora und Ministerpräsident Olmert haben das in mehreren öffentlichen Reden unabhängig voneinander bestätigt. ({1}) Wir können politisch stolz sein auf diese Entscheidung. Aber vor allen Dingen haben wir den Soldatinnen und Soldaten zu danken, die bei UNIFIL ihren Dienst tun. Das muss in diesem Hohen Hause auch gesagt sein. ({2}) Zwei Ziele haben wir von Anfang an verfolgt. Erstes Ziel war die Unterbindung des Waffenschmuggels; das sagte ich bereits. Zweitens galt es, bilaterale Hilfe zu leisten und den Libanon nach und nach zu befähigen, die Verantwortung für die seeseitige Sicherung der Landesgrenzen zu übernehmen. Inzwischen konnte das Küstenradarsystem etabliert, Personal dafür ausgebildet werden. Das ist ein ganz wichtiger Schritt - der Verteidigungsminister wird das, denke ich, gleich bestätigen -, weil der Libanon damit zum ersten Mal über ein eigenes Lagebild von der Küste vor dem Libanon verfügt. Wir unterstützen damit den Libanon bei der Verbesserung und Etablierung eines eigenen Grenzschutzes zur Seeseite hin. Wir tun das Gleiche mithilfe von Zoll und Bundespolizei in einem Projekt an der Grenze zwischen Libanon und Syrien. Ohne Bundespolizei und Zoll wäre dieses Projekt nicht gelungen. Herzlichen Dank also auch an Zoll und Bundespolizei. ({3}) Die innenpolitische Lage im Libanon hier in wenigen Minuten zu umschreiben, ist nicht ganz einfach. Sie ist nach wie vor hoch komplex. Aber wir haben in der letzten Zeit doch einige hoffnungsvolle Zeichen gesehen. Mit der Wahl des Präsidenten Suleiman ist einiges in Gang gekommen, was in der Tat Hoffnung macht. Es gibt eine neue Regierung, und die Verfassungsinstitutionen werden wieder handlungsfähig. Heute, am 16. September, beginnt der im Kompromiss von Doha vereinbarte Nationale Dialog, in dem die Rolle der Hisbollah thematisiert wird und in dem gleichzeitig das Gewaltmonopol des Staates zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften im Libanon definiert werden soll. Wir können nur hoffen, dass das gelingt. Da ich bei der Situation im Libanon bin, ein Wort zum regionalen Kontext, in dem diese vorsichtige Stabilisierung im Libanon stattfindet. Wir haben auch gesehen, dass es einige konstruktive Signale in den letzten Monaten von Syrien aus in Richtung Libanon gab. Wir wollen nicht zu früh jubeln, aber nach den letzten Gesprächen, die stattgefunden haben, rücken jetzt doch die Eröffnung diplomatischer Beziehungen und der Austausch von Botschaftern zwischen Libanon und Syrien in greifbare Nähe. Zu diesen hoffnungsvollen Anzeichen gehört auch, dass immerhin indirekte Gespräche zwischen Syrien und Israel stattgefunden haben - wie Sie wissen, auf türkische Vermittlung hin. Auch wenn es diese positiven Anzeichen gibt - damit komme ich zum Schluss -, bleibt die UNIFIL-Mission dennoch von entscheidender Bedeutung. Das ist nicht allein unsere Sicht der Dinge, sondern Sie haben gesehen, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert hat. Die Mission bleibt unentbehrlich, aber auch die deutsche Beteiligung daran. Das erwarten auch die Menschen in der Region, insbesondere die im Libanon. Deshalb darf ich Sie ganz herzlich um die Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung bitten. Ich weise zusätzlich darauf hin, dass das Mandat bis zum 15. Dezember nächsten Jahres befristet ist, um dann dem neuen Bundestag die Möglichkeit zu geben, über die Zukunft unseres Engagements in der Region und bei UNIFIL zu diskutieren. Herzlichen Dank. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDPFraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Minister Steinmeier, ich bin sehr dankbar, dass Sie darauf hingewiesen haben, wie schwierig es ist, in fünf Minuten die sehr komplexe Lage im Libanon zu erörtern. Insofern teilen wir beide heute das gleiche Schicksal. Auch wir haben leider nur fünf Minuten zur Verfügung. ({0}) Auch bin ich froh, dass Sie noch einmal darauf hingewiesen haben, wie schwierig die Entscheidungsfindung seinerzeit war, als das UNIFIL-Mandat auf den Weg gebracht worden ist. Ich denke, dass auch die FDP-Fraktion respektable Gründe dafür vorgetragen hat, warum wir seinerzeit einer Beteiligung der Bundeswehr an UNIFIL nicht haben zustimmen können. Ich möchte auch jetzt darauf hinweisen, dass sich unsere Haltung in der Frage nicht geändert hat. ({1}) Die FDP hat den letzten beiden Anträgen auf Erteilung eines Mandats mehrheitlich nicht zugestimmt, weil wir der Auffassung waren, dass ein Einsatz der Bundeswehr ohne einen umfassenden politischen Prozess unter Beteiligung aller Konfliktparteien wenig Sinn ergibt. Die deutsche Marine hatte durch Mandatierung von UNIFIL darüber hinaus einen Auftrag erhalten, dessen Wirksamkeit zu Beginn durch eine Reihe von restriktiven Rahmenbedingungen begrenzt war. Die Einsatzbefugnisse hingen und hängen weitestgehend von der Kooperationsbereitschaft der libanesischen Regierung ab. Trotz unserer Ablehnung des Bundeswehreinsatzes selbst möchten wir genauso wie Herr Minister Steinmeier den Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten an dieser Stelle unseren Dank dafür aussprechen, dass sie diese Aufgabe selbstverständlich in einer sehr professionellen und sehr engagierten Art erledigt haben. ({2}) Die innenpolitische Situation im Libanon macht es jedoch weiterhin nahezu unmöglich, die Resolution 1701 der Vereinten Nationen tatsächlich mit Leben zu erfüllen. Trotz der militärischen Präsenz sind die wesentlichen Ziele der VN-Resolution in keiner Weise erreicht worden; denn alleine die Beendigung der Seeblockade als eine Dauerrechtfertigung des Einsatzes zu proklamieren, genügt nach unserer Auffassung nicht. In welchem Umfang hat denn die libanesische Regierung bisher tatsächlich dafür sorgen können, dass die Hisbollah entwaffnet wird? Sie ist bis heute nicht in der Lage dazu, weil ihr die notwendigen und die funktionierenden Machtmittel fehlen. Die Hisbollah hat sich insbesondere in den libanesischen Schiitenregionen als sozialer und gesellschaftlicher Faktor etabliert und betreibt trotz Anwesenheit von UNIFIL ein effektives politisches Regime eben auch in Fragen der Sicherheit. Da sich die landseitige Grenzsicherung bis heute nicht wesentlich verbessert hat, findet nach wie vor Waffenschmuggel in großem Umfang statt. ({3}) Es sollte uns wirklich zu denken geben, wenn sich die Hisbollah heute damit brüstet, dass sie über mehr und bessere Waffen und Ausrüstung verfügt, als es im Krieg im Sommer 2006 der Fall war. Die innenpolitische Lage im Libanon hat sich nur geringfügig stabilisiert. Die Lage an der Blauen Linie ist weiterhin angespannt. Die Besetzung des Grenzdorfes Ghajjar und der Schabaa-Farm durch Israel bestehen weiter. Auf der anderen Seite finden weiterhin in großem Umfang Überflüge der israelischen Luftwaffe über libanesischem Territorium statt. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon spricht von einem Rekord von Überflugaktivitäten. Solange der massive Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Grenze und die Aufrüstung der Hisbollah kein Ende finden, wird die internationale Gemeinschaft Israel von diesen Überflügen auch nur sehr schwer abhalten können. Auch der Umstand, dass die israelische Regierung UNIFIL angewiesen hat, abgeschossene israelische Piloten nicht, wie in den Verfahrensregeln von Resolution 1701 vorgesehen, an die libanesische Armee, sondern an die israelische Seite zu übergeben, zeigt, wie angespannt die Situation zwischen den Konfliktparteien nach wie vor ist. Daher sind die Vorbehalte, die die FDP-Bundestagsfraktion gegenüber dem UNIFIL-Einsatz bereits in den letzten beiden Jahren geäußert hat, nicht ausgeräumt. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass diplomatische Bemühungen in Nahost ein geeigneterer deutscher Beitrag wären als eine militärische Präsenz. ({4}) Daher begrüßen wir ausdrücklich die internationalen Bemühungen auf diplomatischer Ebene, die zu einer Annäherung zwischen Syrien und dem Libanon, aber auch zwischen Israel und Syrien geführt haben. Wir hoffen sehr, dass Deutschland innerhalb dieser diplomatischen Verhandlungen in der Zukunft eine größere Rolle als bisher spielen wird und die Verhandlungsergebnisse dann auch wirklich Bestand haben werden. Einen ersten Schritt zum Ausstieg aus der UNIFILMission hat die Bundesregierung mit der Absenkung des personellen und finanziellen Ansatzes bereits getan. Ich erlaube mir, auch an dieser Stelle die Frage zu stellen, ob wir im nächsten Jahr hier tatsächlich noch einmal über eine weitere Verlängerung des UNIFIL-Mandates beraten werden. Die libanesische Regierung muss mit Nachdruck in die Lage versetzt werden - das hat auch der Minister mit Recht vorgetragen -, selbst die eigene Küste und die territorialen Gewässer zu überwachen. Deshalb sind die Maßnahmen, die Deutschland im Rahmen der Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung der libanesischen Marine leistet, sinnvoll und notwendig. Wir sind trotzdem der Auffassung, dass es auch durch massive Forderungen der Bundesregierung dazu kommen muss, eine weitere Nahostkonferenz in dieser sensiblen Region durchzuführen, je eher, desto besser. Herr Minister, ich hoffe, dass in Ihrem Hause die entsprechenden Anstrengungen unternommen werden. Denn besser als jegliche militärische Dauerpräsenz vor Ort ist es, zu zeigen, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur ein Interesse daran hat, durch das Entsenden von Truppen einen Beitrag zu leisten, sondern auch daran, diese Krisenregion nachhaltig zu stabilisieren und eine politische Lösung zu finden. Da werden Sie die Unterstützung der FDP-Fraktion erhalten. Wir werden aber nach wie vor eine Beteiligung der Bundeswehr an der UNIFIL-Mission in der vorgelegten Form ablehnen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung. ({0})

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung bittet den Deutschen Bundestag um Zustimmung zur Verlängerung der Teilnahme der Bundeswehr an der UNIFIL-Mission der Vereinten Nationen vor der Küste des Libanon. Frau Kollegin Hoff, ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie es war, als wir am Beginn der Debatte standen. Der Kollege Steinmeier hat gerade darauf hingewiesen, was alles an kritischen Punkten, was an Bedenken dort vorgetragen worden ist. Wenn wir heute sehen, wie erfolgreich diese Mission durchgeführt worden ist, dann, finde ich, können wir unseren Soldatinnen und Soldaten für die Gewährleistung der Seesicherheit und entscheidend auch für die Umsetzung des Waffenstillstands nur dankbar sein. Ich würde mir wünschen, Frau Kollegin Hoff, dass die FDP heute die Kraft hätte, das einzusehen und dem Mandat zuzustimmen. ({0}) Wir haben zu Beginn dieses Einsatzes die Führung der Maritime Task Force übernommen. Ich bitte Sie, sich an die kriegerischen Auseinandersetzungen zu erinnern. Ohne die Resolution der Vereinten Nationen, ohne den Einsatz von UNIFIL hätten die Waffen nicht geschwiegen. ({1}) Ich kann deshalb nicht davon reden, dass man zunächst die diplomatischen Bemühungen fortsetzen musste. Ich werde diplomatisch nur dann einen Erfolg erreichen, wenn ich vorher gewährleiste, dass die Waffen schweigen. Das war die Grundvoraussetzung für den Einsatz von UNIFIL. Das ist ein sehr erfolgreicher Einsatz der Bundeswehr. ({2}) Wir hatten und haben den Auftrag, Seesicherheit herzustellen. Die Zahlen muss man sich in Ruhe noch einBundesminister Dr. Franz Josef Jung mal vergegenwärtigen - Kollege Steinmeier hat es auch angesprochen -: Es sind 18 324 Schiffe - so die exakte Zahl - abgefragt worden. ({3}) Es sind fast 160 Schiffe in die Häfen gebracht und entsprechend durchsucht worden. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Hoff, der Waffenschmuggel über See ist unterbunden worden. ({4}) Wir können deutlich sagen, dass keine Waffen über See geschmuggelt werden. Das ist auch ein Punkt, der letztlich Seesicherheit gewährleistet. Das war unser Auftrag, und diesen Auftrag haben wir, wie ich finde, in hervorragender Art und Weise erfüllt. ({5}) Es gab natürlich einen zweiten Aspekt. Die israelische Seeblockade ist aufgehoben worden. Dass sie aufgehoben worden ist, hat auch etwas mit einer Perspektive im Hinblick auf die Souveränität des Libanon zu tun. Auch das gehört zu dem Thema. In Israel hat damals eine Befragung dazu stattgefunden, ob die Bundeswehr zum ersten Mal bei einem solchen Einsatz mitwirken soll. 73 Prozent der israelischen Bevölkerung haben gesagt, dass sie den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen eines solchen Mandats befürworten. Das zeigt aus meiner Sicht, welches Vertrauen die Bundeswehr im Hinblick auf solche friedenserhaltenden Einsätze in der Welt mittlerweile erworben hat. ({6}) Sowohl Israel als auch der Libanon schätzen unseren Einsatz. Das ist mit eine Voraussetzung dafür, dass es eine Perspektive gibt, auch und gerade für diplomatische Bemühungen, um im Nahen Osten zu einer friedlichen Entwicklung zu kommen. Derzeit sind konkret zwei Minensuchboote und ein Versorgungsschiff im Einsatz. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat, wie Sie wissen, das Mandat verlängert. Es stellt sich die Frage, wie wir weiterhin daran mitwirken, dass die Souveränität des Libanon gestärkt wird und der Libanon auch in die Lage versetzt wird, selbst für die Sicherheit, gerade im Bereich der Küsten, zu sorgen. Dazu gehört, dass wir dort sechs Küstenradarstationen aufgebaut haben. Dazu gehört, dass wir dem Libanon drei Boote überlassen haben, die auch in der Lage sind, dort entsprechende Einsätze zu fahren, und dass wir in der Ausbildung Fortschritte erzielt haben. Ich hatte Gelegenheit, mich mit dem heutigen Präsidenten - damals war er noch Generalstabschef - davon zu überzeugen, in welcher Art und Weise die Ausbildung dort erfolgt. Ich denke, dass wir dabei einen entscheidenden Schritt nach vorn gekommen sind. Der Libanon ist zwischenzeitlich in der Lage, beispielsweise Seenotrettung durchzuführen. Er ist in der Lage, teilweise Überwachung oder Kontrolle des Seeverkehrs vorzunehmen. Die Fähigkeiten reichen noch nicht aus, um letztlich alles aus eigener Kraft zu gewährleisten, aber ich denke, wir sind im Zusammenhang mit diesem Mandat auf einem richtigen Weg. Da wir hier ein Stück vorangekommen sind, ist es aus unserer Sicht auch möglich, die Mandatsobergrenze von derzeit 1 400 Soldaten auf 1 200 Soldaten abzusenken. Ich finde auch, dass es richtig ist, dass wir die Klärung der Frage eines neuen Mandats im nächsten Jahr nicht unmittelbar in die Zeit der Bundestagswahl legen. Vielmehr soll der neue Bundestag die Chance haben, die Fragen einer Mandatsverlängerung - ob und inwiefern - aus eigener Kompetenz zu entscheiden. Deshalb halte ich es für richtig, dass wir das Mandat bis zum 15. Dezember 2009 verlängern. Ich denke, es ist richtig, die Verlängerung in dieser Art und Weise umzusetzen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Möge es eine breite Zustimmung zur Verlängerung des Mandats, zur Gewährleistung einer friedlichen Entwicklung im Nahen Osten, zur Gewährleistung der Souveränität des Libanon und damit auch zur Gewährleistung unserer eigenen Sicherheit sein. Besten Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der Fraktion Die Linke. ({0})

Wolfgang Gehrcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003130, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn möchte ich noch einmal klarstellen, dass die Fraktion Die Linke damals nicht gegen die UNIFIL-Mission gestimmt hat. Die haben wir immer für notwendig gehalten, weil ein Waffenstillstand ohne die UNIFILMission ebenso unmöglich gewesen wäre wie eine Aufhebung der Seeblockade. Das war völlig klar. Wir haben uns dagegen ausgesprochen, und ich trage Ihnen noch einmal unsere Bedenken dagegen vor, dass die Bundeswehr sich in dieser Art und Weise an der Mission beteiligt. Ich muss ehrlich sagen, ich finde die Art und Weise, in der mit der Kollegin Hoff von der FDP umgesprungen wurde, bedenklich. Man prüft Bedenken nicht nach. Man prüft nicht, ob da etwas dran ist. Man sagt, der Beweis ist erbracht, es ist nichts passiert. Das erinnert mich an den blöden Witz, bei dem jemand aus dem 20. Stockwerk fällt. Als er am 15. Stockwerk vorbei fällt, sagt er, bis hierher ist gar nichts passiert. Man kann über die Dinge auch etwas tiefer nachdenken. Unsere Bedenken gegen den Einsatz der Bundeswehr in dieser Mission liegen darin, dass wir der Auffassung sind, dass vor allem neutrale Staaten diese Konfliktlinie überwachen sollen. Das ist auch der Geist der UNO-Resolution. Zusätzlich wäre es uns immer lieber gewesen, wenn die Kontrollen auf beiden Seiten der Grenze stattgefunden hätten, nicht nur im Libanon selbst. Deutschland konnte in diesem Konflikt nicht neutral sein, und es ist nicht neutral. Das war das generelle Problem, und das hat die Bundeskanzlerin auch in Reden deutlich gemacht. Wenn Sie den Text der Resolution der Vereinten Nationen lesen, dann sehen Sie, dass dort nicht steht, dieser Einsatz ist ein Einsatz zur Solidarität mit Israel. So ist der Einsatz aber von der Bundeskanzlerin immer dargestellt worden. Das war unser erstes Argument. Dieses Argument ist nicht aus der Welt. Herr Außenminister, Sie wissen es genauso gut, wie ich es ahne: Für uns war es die rote Linie, dass auch die Bundeswehr im Nahen Osten eingesetzt wird. Wenn man darüber nachdenkt, was für Veränderungen und Vereinbarungen im Nahen Osten möglicherweise auf uns zukommen, dann wird die Forderung nach internationalen Militäreinsätzen immer wieder auf den Tisch kommen. Wenn Sie erst einmal einen Präzedenzfall geschaffen haben, dann haben Sie wenige Argumente, um zu begründen, warum die Bundeswehr nicht auch in anderen Bereichen eingesetzt werden soll. Das war unser zweites Argument. Beide Argumente bestehen fort. Drittens hätte ich erwartet, dass der Herr Außenminister und Kanzlerkandidat einen Satz zu dem Folgenden sagt: Der Libanon ist in einer gewissen Art und Weise an die Entwicklungen im Iran gekoppelt. Wir haben immer die Sorge gehabt, dass die schlimme Bemerkung, dass alle Optionen - auch die militärischen gegen den Iran auf dem Tisch bleiben, in diesen Konflikt einfließt. Herr Steinmeier, ich wäre sehr froh gewesen, wenn Sie hier für die Bundesregierung deutlich gesagt hätten: Für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland kommt ein militärisches Vorgehen gegen den Iran nicht infrage. Solche Debatten können doch ein Stück Klarheit bringen. ({0}) Ein letztes Argument: Der Libanon selbst stand mehrfach am Rande eines Bürgerkriegs, und die Gefahr ist leider bis heute nicht endgültig gebannt. Auf der Plusseite würde ich die Wahl des Präsidenten einordnen. Diese war notwendig und schwierig genug. Auf der Plusseite würde ich auch einrangieren, dass zwischen Syrien und dem Libanon diplomatische Beziehungen aufgenommen worden sind. Ich verhehle hier überhaupt nicht, dass die deutsche Politik daran einen Anteil hat. Ich möchte, dass die Bundesregierung couragiert, auch gegen die USA, weiter an ihrer Auffassung festhält, dass Syrien eng in den Friedensprozess einbezogen werden muss. ({1}) Auch Syrien wird sehen, dass es sich lohnt. Wenn Syrien wieder abgestraft wird, wenn sich bezüglich der Frage der Golanhöhen nichts verändert und Syrien nicht weiter in den Friedensprozess einbezogen wird, wird es keine Stabilisierung geben. Ich benutze nun ein Argument, das auch schon Kollegin Hoff benutzt hat: Letztlich muss der politische Prozess im Nahen Osten im Zentrum stehen. Der muss befördert werden. Darüber werden wir ja bei der Schlussrunde noch ein wenig diskutieren können. Ich wollte Ihnen nur deutlich machen: Es gibt genügend Argumente dafür, die auch heute noch aufrechtzuerhalten sind, dass eine Beteiligung der Bundeswehr an dieser Mission nicht besonders sinnvoll gewesen ist. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei von Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zwei Jahren beschloss der UN-Sicherheitsrat die Stärkung der schon bestehenden Libanon-Mission UNIFIL. Dieses war damals unbedingt notwendig, um den Waffenstillstand abzusichern und die israelische See- und Luftblockade aufzuheben. Damals gab es - daran wurde heute auch schon von einigen erinnert - erhebliche Bedenken. Heute können wir feststellen - das hat sich im letzten Jahr schon angebahnt -: Erstens. Die Libanon-Mission UNIFIL hat ihren Auftrag der Waffenstillstandsabsicherung voll erfüllt. ({0}) Auf der Seeseite hat sie ebenfalls ihren Auftrag erfüllt: Seit einiger Zeit können wieder Seeverkehr und Seehandel wie vor dem Krieg stattfinden. Die Bedenken, die es damals gegeben hat, haben sich nicht bewahrheitet; das kann man überprüfen. Deutschland hat sich nämlich sehr wohl als neutraler Beteiligter dieser UN-Mission erwiesen. Die Reaktionen von allen Konfliktparteien belegen das eindeutig. Zweitens. Provokative Überflüge seitens der israelischen Luftwaffe, die es anfangs immer wieder gegeben hat, sind seit vorigem Jahr auf der Seeseite nicht mehr vorgekommen. Die entsprechenden Waffenstillstandsbrüche auf Landseite gibt es allerdings weiterhin. Drittens. Die Einsatzregeln, mit denen sich Kollegin Homburger damals ja sehr intensiv vom Feldherrnhügel des Parlaments aus beschäftigt hat, haben sich eindeutig bewährt. Sie waren richtig für den Ansatz der Unterstützung, den wir verfolgten. Es handelte sich ja nicht um einen Protektoratseinsatz. ({1}) Viertens. Bezüglich der Befürchtungen in Richtung Iran, die auch bei uns im Hintergrund standen, kann man eindeutig festhalten: Es gab keinen militärischen Flankenschutz für irgendwelche Drohgebärden oder Aufmärsche gegen den Iran. Im Gegenteil: Wir können feststellen, dass im Laufe dieser zwei Jahre eine schrittweise Reduzierung unseres Marinekontingentes möglich wurde. Zugleich ist die zweite Aufgabe, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, nämlich die Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe, um die Libanesen selbst in die Lage zu versetzen, ihre Territorialgewässer zu schützen, sehr gut gelaufen. Diese Aufgabe spielte für unsere Marineeinheiten bei der UNIFIL-Mission eine so große Rolle wie bei noch keinem anderen Einsatz bisher. Das heißt, solche Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass es hier tatsächlich eine reale Exit-Perspektive gibt. ({2}) Die UNIFIL-Beteiligung ist notwendig, verantwortbar und erfolgreich, aber selbstverständlich nicht hinreichend zur Stärkung des gesamten Friedensprozesses und selbstverständlich auch nicht hinreichend zur kompletten Absicherung des Waffenstillstandes. Dazu würde gehören, den Waffenschmuggel ganz unter Kontrolle zu bekommen. Die Bundesregierung hat hierbei vor zwei Jahren eine wichtige Aufgabe übernommen, indem sie verantwortlich beim Grenzmanagement mitwirkt. Leider muss ich in der FAZ vom 5. Juni dieses Jahres lesen, dass es mit diesem Ansatz vor Ort äußerst trübe aussieht und dass dieser wichtige Anteil vom Scheitern bedroht ist. Mich erinnert das sehr an die europäische Polizeimission in Kabul. ({3}) Hier, meine Herren Minister - da ist natürlich der Außenminister gefragt oder vielleicht einmal der Innenminister -, wären von Ihnen klare Worte zu der jetzigen Situation gefragt und dazu, wie man aus dem Schlamassel herauskommen will. Ich habe sehr deutlich in Erinnerung, dass die FDP und die Linke sehr für die Stärkung der Vereinten Nationen sind; die anderen Fraktionen auch, aber Sie haben das immer betont. ({4}) Vor dem Hintergrund kann ich nicht verstehen, wie Sie einer deutschen Beteiligung an einer von den Vereinten Nationen geführten Mission mit einer sehr bunten Zusammensetzung - Chinesen sind dabei, Indonesier usw. die rote Karte zeigen können, ({5}) wo doch diese Mission für das weitere Einhalten des Waffenstillstandes offenkundig dringend notwendig, verantwortbar und erfolgreich ist. Das haben Sie übrigens in Ihren Reden heute in keiner Weise zeigen können. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt erteile ich das Wort dem Kollegen Niels Annen von der SPD-Fraktion. ({0})

Niels Annen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003732, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und Herren! Ich finde diese Debatte sachlich und angemessen. Trotzdem eine Bemerkung, Herr Kollege Gehrcke: Wenn die Wahrnehmung der Konfliktparteien tatsächlich die gewesen wäre, dass wir uns sozusagen an einer maritimen militärischen Solidaritätsaktion für Israel beteiligt hätten, dann ließe sich daraus nicht erklären, dass nicht nur der libanesische Ministerpräsident das deutsche Engagement begrüßt hat, sondern dass auch das damalige libanesische Kabinett, dem, wie Sie sich erinnern werden, zu diesem Zeitpunkt auch die Hisbollah angehört hat, dieses Engagement unterstützt hat. Dass das bis zum heutigen Tage ein erfolgreiches Engagement gewesen ist, ist, glaube ich, auch aus der Debatte deutlich geworden. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube, dass es sich in der Tat lohnt, einmal zurückzuschauen und sich zu erinnern, wo wir vor zwölf Monaten standen. Seinerzeit ist gesagt worden, dass sich die schwierige innenpolitische Konstellation nicht aufgelöst hat - das ist hier aber auch gar nicht die These gewesen - und dass sich die unterschiedlichen politischen Parteien, Fraktionen, Sekten, Kräfte nicht einmal auf einen einigermaßen konsensualen Prozess einigen konnten, um einen libanesischen Präsidenten zu nominieren. Das hat sich inzwischen glücklicherweise anders dargestellt. Wenn wir uns daran erinnern, wie viele Opfer wir zu beklagen hatten, sowohl auf israelischer als auch auf libanesischer Seite, dann, finde ich, gibt es ein relativ simples, aber überzeugendes Argument dafür, dass die damalige Entscheidung des Deutschen Bundestages, dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen, richtig gewesen ist: Wir konnten fundamental dazu beitragen, dass der Waffenstillstand zustande kam und dass er bis heute hält. Ich bin wenige Tage nach dem Waffenstillstand in Beirut gewesen und durch die zerstörten Stadtviertel gegangen. ({1}) Ich glaube, dass es sich allemal gelohnt hat, die in der Tat schwierige Entscheidung zu treffen, deutsche Truppen in eine solche Region zu entsenden. Wir sollten den Soldatinnen und Soldaten dankbar sein für den Beitrag, den sie an dieser Stelle geleistet haben und immer noch leisten. ({2}) Ein Zweites ist doch richtig, Herr Kollege Gehrcke: Wir haben hier niemals gesagt, dass wir allein mit militärischen Mitteln in der Lage sein könnten, zu einer dauerhaften Konfliktlösung beizutragen. Ich habe viele Reden von Vertretern Ihrer Fraktion im Kopf, die immer gesagt haben: Mit Militär allein kann man keine Probleme lösen. - Jetzt sage ich Ihnen: Das ist doch nun wirklich das Paradebeispiel dafür, dass wir versucht haben, mit unterschiedlichen Instrumenten, vor allem mit dem Instrument der Diplomatie und auch mit dem Instrument des Militärs sowie - das sage ich an dieser Stelle mit einem Dank - mit dem Instrument, das das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an dieser Stelle beigesteuert hat, dazu beizutragen, dass es heute sogar eine Anbahnung zwischen Syrien und dem Libanon gibt, dass wir kurz vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen stehen und dass es auch einen Dialog gibt, in dem das schwierige Land Syrien eine Rolle spielt. Denken Sie einmal an die Mittelmeerkonferenz, wo Herr Sarkozy nicht zuletzt von der schwierigen und mühsamen Arbeit im Hintergrund profitiert hat, die der Bundesaußenminister in den zurückliegenden zwölf Monaten geleistet hat. ({3}) Meine Damen und Herren, was wir angesichts der Lage im Libanon und der regionalen Situation brauchen, sind Zeit und Raum für den weiterhin notwendigen politischen Prozess. Ich bin ganz optimistisch, dass wir diesen Einsatz im nächsten Jahr möglicherweise nicht verlängern müssen. Aber welchen Sinn macht denn jetzt eine Festlegung angesichts dessen, dass wir gar nicht wissen, ob die Stabilität, die wir mühsam erreichen konnten, angesichts der vielen Ungewissheiten und schwierigen Herausforderungen in der Region überhaupt hält? Ich bitte Sie, dem Antrag der Bundesregierung, dieses Engagement fortzusetzen, heute stattzugeben. Ich glaube, wir alle können uns sicher sein, dass die Bundesregierung mit dem Außenminister, dem Verteidigungsminister und den Kräften, die in der Region gewirkt haben und wirken, zu dieser Stabilisierung beiträgt. Dass das nicht immer eine große Showveranstaltung sein muss, wie das der eine oder andere auf der europäischen Bühne in den letzten Monaten ein wenig hat anklingen lassen, und dass wir uns der mühsamen Arbeit stellen, das ist, glaube ich, deutlich geworden. Diese Aufgabe ist aller Mühe wert. Ich danke für die Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/10207 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf: a) Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({0}) auf Grundlage der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksache 16/10106 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({2}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Beratung des Antrags der Bundesregierung Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan ({3}) auf Grundlage der Resolution 1590 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005 und weiterer Mandatsverlängerungen durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen - Drucksache 16/10104 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({5}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen. Findet das Ihr Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum das Wort dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({6})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die humanitäre Lage in Darfur ist unverändert dramatisch. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen 2003 sind mindestens 200 000 Menschen ums Leben gekommen. 2,2 Millionen Menschen sind auf der Flucht; mindestens 200 000 von ihnen sind im Tschad. Sie wissen, trotz vielfältiger Bemühungen von vielen Seiten konnten die Kämpfe nicht beendet werden. Absprachen werden, soweit sie überhaupt getroffen werden konnten, von allen Seiten gebrochen. Dabei wissen wir alle: Eine politische Lösung ist unabdingbar. Die sudanesische Regierung wie die Rebellenorganisationen bleiben natürlich dringlichst aufgerufen, die Gewalt zu beenden und zum Verhandlungstisch zurückzukehren. Unsere Unterstützung gilt den neuen Verhandlungsbemühungen des AU-Sondergesandten Bassolé, der gerade in diesen Tagen in der Region unterwegs ist. Nach all dem bleiben diese Friedensbemühungen und die Unterstützung durch UNAMID weiterhin erforderlich - durch Stabilisierung der Lage vor Ort, wo immer das geht, und, wo nötig, durch den Schutz von Zivilisten und humanitären Helfern. UNAMID bleibt - Sie wissen das - auf die Unterstützung von Staaten angewiesen. Gegenwärtig verfügt die UNAMID-Mission über 10 000 von insgesamt vorgesehenen 26 000 Soldaten, die ganz überwiegend von afrikanischen Staaten gestellt werden sollen. Wir engagieren uns von deutscher Seite aus mit Soldatinnen und Soldaten durchaus in Schlüsselfunktionen, etwa in der Transportunterstützung. Wir haben strategischen Lufttransport angeboten. Das begründet auch die Größenordnung des Mandates. Wenn angefordert, müssen wir kurzzeitig hochfahren. Deshalb benötigen wir ein Mandat in der Größenordnung von 250 Soldatinnen und Soldaten. Da der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen am vergangenen Freitag und Samstag in Berlin war und auf der Botschafterkonferenz gesprochen hat, will ich es nicht versäumen, hinzuzufügen, dass wir jenseits der Beteiligung an der Mission auch Ausbildungsaufgaben im Kofi-Annan-International-Peacekeeping-TrainingCenter in Accra/Ghana übernehmen. Wir sind gerade dabei, ein senegalesisches Polizeikontingent für den Einsatz im Sudan auszustatten. Wir sind auch mit humanitärer Hilfe präsent; Sie wissen das. Dieses Jahr haben wir humanitäre Hilfsmaßnahmen in der Konfliktregion mit über 9,5 Millionen Euro unterstützt. Darfur und der Tschad sind die wichtigsten Zielregionen unseres humanitären Engagements in Afrika und werden es, soweit ich das sehe, für geraume Zeit auch bleiben. Wir sehen zwar nicht täglich Bilder von der humanitären Katastrophe im Südsudan, dennoch wissen wir, dass auch dort die Lage alles andere als stabil ist. Wir mussten auch in diesem Jahr deutliche Rückschläge bei der Implementierung des sogenannten umfassenden Friedensabkommens hinnehmen. Sie haben die Berichterstattung über die Krise in der Region Abyei verfolgt. Wir bewegen uns jetzt auf Wahlen zu, die im Jahr 2009 im Südsudan stattfinden sollen. Im Jahr 2011 wird ein Referendum stattfinden, das über den zukünftigen Status des Südsudan entscheiden soll. Wenn dieser Gesamtprozess einigermaßen in der Spur bleiben soll, dann ist der UNMIS-Einsatz weiterhin erforderlich. Lassen Sie mich an dieser Stelle den deutschen Soldaten und Polizisten, den Militärbeobachtern und den Stabsoffizieren danken, die in diesen Missionen ihren Dienst tun. Ebenso danke ich natürlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hilfsorganisationen, die im Sudan unter schwierigsten Bedingungen ihre Aufgabe erfüllen. ({0}) Wir gehen davon aus, dass der VN-Sicherheitsrat die Mandate von UNAMID und UNMIS turnusgemäß verlängern wird. Ich darf Sie abschließend um breite Zustimmung zu den Anträgen der Bundesregierung bitten. Herzlichen Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster von der FDP-Fraktion. ({0})

Marina Schuster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003845, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast ein Jahr ist die letzte Debatte über den deutschen Beitrag im Sudan her. Die erschreckende Wahrheit ist, dass wir heute vor genau den gleichen Problemen stehen wie damals. Das bedeutet, dass sich viele Hoffnungen, die wir an die Mandate geknüpft haben, nicht erfüllt haben. Auch die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensvertrages - der Herr Außenminister hat ihn angesprochen steht auf wackeligen Beinen. Die heftigen Kämpfe in der Grenzregion um Abyei haben uns klargemacht, wie brüchig die Sicherheit vor Ort ist. Weder der Süden noch der Norden sind bereit, auf Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu verzichten. Wie genau der Ölreichtum aufgeteilt wird, bleibt eine kritische Frage. Das ist ein Pulverfass für den ganzen Nord-Süd-Friedensvertrag. UNMIS steht also nach wie vor vor großen Herausforderungen, gerade was den Zeitplan betrifft. Herr Außenminister, Sie haben das Referendum angesprochen. Das ist eine kritische Frage, die geklärt werden muss. Es zeigt sich aber: Die Blauhelme sind ein wichtiger Stabilitätsanker in der Region. Auch ich möchte den Soldaten, die dort ihren Dienst leisten, ganz herzlich danken und ihnen meine Anerkennung aussprechen. Ich habe die Soldaten im Einsatz besucht. Wer die Situation vor Ort kennt, der weiß, wie schwierig dieser Einsatz ist. ({0}) Gleichwohl mache ich mir sehr große Sorgen. Ich fürchte, dass die Krise in Darfur den ganzen Friedensprozess überschatten und gefährden kann. Denn eines ist klar: In Darfur sind wir vom Frieden weiter entfernt als je zuvor. Wir sehen blutige Gefechte in Flüchtlingscamps, Angriffe auf Hilfsorganisationen und eine hilflose UNAMID-Truppe. Die Gewalt hat gerade in den letzten Monaten stark zugenommen. Wie schlimm die Gewalt ist, zeigt sich auch daran, dass Hilfsorganisationen ihr Personal zurückziehen müssen, weil sie die Sicherheit vor Ort nicht mehr gewährleisten können. Die Welthungerhilfe hat die Nahrungsmittellieferungen aussetzen müssen. 2 Millionen Menschen in Darfur stehen nun ohne diese Hilfe dar. Das Leid wird täglich größer. Ein Jahr nach der Entsendung ist UNAMID in vielerlei Hinsicht immer noch hoffnungslos unterversorgt. Noch nicht einmal die Hälfte der geplanten 26 000 Blauhelme und Polizisten ist vor Ort. Material- und Transportkapazitäten werden händeringend gebraucht, besonders die Transporthubschrauber. Die Hilflosigkeit der Truppen zeigte sich im Juli dieses Jahres ganz besonders deutlich, nämlich als die Blauhelme selbst zum Angriffsziel wurden. Sieben Soldaten kamen dabei ums Leben. Vor einem Jahr noch galt UNAMID als das ehrgeizigste Projekt der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen. Heute sehen wir, dass sich große Ernüchterung breitgemacht hat. Aber eines darf nicht passieren: dass sich neben der Ernüchterung auch noch Gleichgültigkeit breitmacht. ({1}) Der Außenminister hat bereits vor der Entsendung des UNAMID-Einsatzes sehr richtig festgestellt: Vor allem war es nicht nur eine gefährliche, sondern auch arrogante Illusion, dass manch einer glaubte, nur VN-Soldaten können das schaffen, was afrikanische Truppen bisher nicht geschafft haben. Wenn er das schon damals erkannt hat, dann frage ich mich, warum sich Deutschland nicht noch stärker in den politischen Prozess eingebracht hat. ({2}) Denn genau das ist der kritische Punkt. Es ist umso erforderlicher, dass wir jetzt mit einer Stimme sprechen und dass wir unseren politischen Einfluss geltend machen, auch auf China. Der Druck auf China ist nach wie vor dringend notwendig, gerade wenn wir an Zoll- und Einreisebestimmungen denken. Auch Russland muss im Sicherheitsrat weiter eingebunden werden. Ich möchte im Auswärtigen Ausschuss morgen erfahren, welche Initiativen es von der Bundesregierung gibt. Diese internationale Präsenz ist weiter notwendig. Aber wenn wir keinen politischen Friedensprozess sehen oder der vorhandene zum Erliegen kommt, müssen wir uns die Frage stellen, welche weiteren Anstrengungen wir unternehmen können, um UNAMID tragfähiger zu machen und um den Prozess zum Laufen zu bringen. Die Bundesregierung setzt viele Hoffnungen in diese Mission. Das sieht man auch am Antrag. Dort heißt es, dass UNAMID ein stabilisierendes Element und zum Schutz der Bevölkerung unverzichtbar ist. Aber die Lage vor Ort sieht anders aus. Die Ausstattung ist so schlecht, dass die UNAMID-Soldaten mit ihrem eigenen Schutz beschäftigt sind. Ich habe bereits bei der ersten Mandatierung vor einem Waterloo der Vereinten Nationen gewarnt. Ich habe auch vor den äußerst schwierigen Bedingungen gewarnt. Heute fehlen nach wie vor 18 Transporthubschrauber. Ich denke, das muss der internationalen Gemeinschaft wirklich große Sorgen bereiten. Denn wenn sich beim politischen Prozess nicht bald etwas ändert, wenn sich die internationale Gemeinschaft nicht breiter engagiert, dann wird dieser Einsatz zum Armutszeugnis der Vereinten Nationen. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und ihr Einflusspotenzial zu nutzen. Denn dieser Einsatz darf vor allem eines nicht werden: eine Luftnummer in der Geschichte, wie es Salim Salim formuliert hat. Dafür tragen wir alle Verantwortung und dafür müssen wir uns einsetzen. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Franz Josef Jung.

Dr. Franz Josef Jung (Minister:in)

Politiker ID: 11003781

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS, und an der Hybridmission von Afrikanischer Union und Vereinten Nationen in Darfur, UNAMID, sind wichtige Bestandteile der Gesamtanstrengungen der Bundesregierung zur Friedenkonsolidierung im Sudan. In dieser Krisenregion legen wir zurzeit den militärischen Schwerpunkt unseres Engagements auf dem Boden Afrikas. Auch wenn der Charakter und die räumliche Dislozierung der beiden Missionen unterschiedlich sind, so stehen die beiden Missionen inhaltlich in einem engen Zusammenhang. Aufgrund ihrer Wechselwirkung ist es, denke ich, richtig, dass wir jetzt gemeinsam darüber beraten. Was die Situation bei UNMIS, also im Sudan, angeht, so gestaltet sich die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens weiterhin als sehr schwierig. Wir müssen uns stets vor Augen führen: Der im Jahre 2005 durch das Comprehensive Peace Agreement eingeleitete Friedensprozess ist noch nicht unumkehrbar. Dies haben die Gewaltausbrüche in der Grenzregion Abyei im Mai des Jahres 2008 gezeigt. Darauf hat auch gerade - aus meiner Sicht zu Recht - Kollegin Schuster hingewiesen. Damit bleibt UNMIS bis auf Weiteres als stabilisierendes Element unverzichtbar. Derzeit leisten 38 Soldaten der Bundeswehr unter anspruchsvollen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der Stabilität in dieser Region. Dieser Beitrag wird medial oft nicht in der Art und Weise wahrgenommen wie ähnliche Beiträge in anderen Regionen der Welt. Nichtsdestotrotz sind unsere Soldaten unter schwierigsten Bedingungen im Einsatz. Deshalb möchte ich den Soldatinnen und Soldaten an dieser Stelle für ihren Beitrag zur Stabilisierung dieser Region danken. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Jahre 2009 gilt es, wichtige Meilensteine für UNMIS auf dem Weg zum Frieden in dieser Region zu erreichen. Wenn es um die endgültige Festlegung des Grenzverlaufs zwischen Nord- und Südsudan und die erfolgreiche Durchführung der Wahlen geht, wird sich zeigen, ob die Konfliktparteien weiterhin gewillt sind, eine der längsten und blutigsten Auseinandersetzungen auf dem afrikanischen Kontinent endgültig zu beenden. Mit unseren Soldaten, die im Rahmen von UNMIS zum Einsatz kommen, wollen wir dazu beitragen, dass dies gelingt. Die erfolgreiche Umsetzung des Nord-SüdFriedensvertrages wird, wie ich denke, unmittelbare Auswirkungen auf die Lage in Darfur haben. Ohne Frage steht die Hybridmission von Afrikanischer Union und Vereinten Nationen in diesen Tagen vor großen Herausforderungen; das ist bereits erwähnt worden. Ursprünglich hatten wir, was ihre Entwicklung angeht, andere Vorstellungen; das kann man überhaupt nicht bestreiten. Der Aufwuchs im Rahmen von UNAMID - derzeit umfasst diese Mission rund 10 000 Angehörige - entspricht aber noch lange nicht der angestrebten Zielgröße. Ich kann nur hoffen und wünschen, dass die weitere Entwicklung positiv verlaufen wird. Sie wissen, um was es geht: um das Verhalten und die Zustimmung der sudanesischen Regierung, aber auch um die Entwicklungen in den afrikanischen Nationen. Durch Lufttransporte haben wir beispielsweise dafür gesorgt, dass Kräfte aus Ghana und Senegal UNAMID unterstützen können. Ich hoffe, dass das Vorgehen jetzt effektiver ist. Ich muss betonen: Es gibt derzeit keine Alternative zu UNAMID. Deshalb müssen wir uns auch auf politischer Ebene weiterhin bemühen, dass im Rahmen des Friedensprozesses zwischen den Aufständischen und der sudanesischen Regierung Fortschritte erzielt werden. Auch in den Gesprächen mit meinem chinesischen Amtskollegen habe ich darauf hingewiesen, dass es sinnvoll wäre, wenn China unsere Anstrengungen noch intensiver unterstützen würde. Das wäre für die Weiterentwicklung dieses Prozesses von großer Bedeutung, und zwar im Hinblick auf den UNAMID-Aufwuchs und das Verhalten der sudanesischen Regierung. Nur dann, wenn beide Seiten einen aktiven Beitrag zum Frieden leisten, kann es UNAMID gelingen, das menschliche Leid in Darfur zu mindern und eine politische Lösung des Konflikts zu erreichen. Daher halte ich es für richtig, dass UNAMID weitestgehend ein afrikanisches Gesicht trägt. Ich glaube, zu Beginn unserer Debatte war das Prinzip der sogenannten African Ownership der Auslöser dafür, zu sagen, dass ein afrikanisches Gesicht für die Umsetzung dieser Friedensmission letztlich erfolgreicher ist. Ich bin der Meinung, dass die Akzeptanz der Friedenstruppe für alle Konfliktparteien ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist. Die Bundeswehr konzentriert sich im Rahmen ihres Beitrags auf den logistischen Bereich und ausgewählte Stabsfunktionen; auf die Transportflüge habe ich bereits hingewiesen. Außerdem bedienen wir die Bereiche, die von den Vereinten Nationen nachgefragt werden. Durch eine Beteiligung der Bundeswehr an UNAMID leistet Deutschland im Rahmen der internationalen Gemeinschaft einen wichtigen und sichtbaren Beitrag zur hoffentlich dauerhaften Befriedung des Gesamtsudans. Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie trotz der nicht einfachen Situation um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des UNMIS-Mandats mit einer Obergrenze von 75 Soldatinnen und Soldaten und um Ihre Zustimmung zur Verlängerung des UNAMID-Mandats mit einer Obergrenze von 250 Soldatinnen und Soldaten. Ich denke, die Soldatinnen und Soldaten haben eine breite Unterstützung auch des Deutschen Bundestages in dieser schwierigen Mission verdient. Besten Dank. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat Herr Kollege Dr. Norman Paech, Fraktion Die Linke.

Dr. Norman Paech (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003822, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt Debatten, die zur Routine werden, obwohl sich der Gegenstand und die Natur der Konflikte, um die es dabei geht, dazu eigentlich gar nicht eignen. Dies sind alljährlich die Debatten um die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sie enden immer mit dem gleichen Ergebnis, nämlich mit der Verlängerung des Mandats. ({0}) Warum ist das eigentlich so? Sie fangen an mit den politischen Problemen und der Forderung nach politischen Lösungen, aber sie enden immer mit dem Militär, weil Sie offensichtlich der Meinung sind, dass in den schwierigsten Konflikten die Hilfe letzten Endes doch nur vom Militär kommen kann. Das ist aber vollkommen falsch. Alle Militäreinsätze rund um die Welt haben gezeigt, dass dies vollkommen falsch ist. ({1}) Nehmen wir den Südsudan. ({2}) Im Südsudan haben die 8 000 Soldaten der UNMIS nicht verhindern können, dass im Mai dieses Jahres wieder heftige Auseinandersetzungen militärischer Art zwischen den Regierungstruppen und der SPLA ausgebrochen sind und die Stadt Abyei in Schutt und Asche gelegt haben. Über 50 000 Menschen sind auf der Flucht. In Abyei wird um den Grenzverlauf zwischen Nord und Süd gestritten, also darüber, wer die größten bekannten Ölvorkommen dieses Landes im Jahr 2011 erhalten wird, wenn sich der Süden vom Norden trennen wird. Gegenwärtig bohren die Chinesen dort. Im Sudan ist es jedoch ein offenes Geheimnis, dass die US-Firmen an dieselben Quellen wollen. So, wie die Chinesen derzeit die sudanesische Regierung ausrüsten, so rüsten die USA die SPLA mit Waffen auf. Wir müssen erkennen, dass dies schon lange nicht mehr bloß ein interner Konflikt ist, sondern ein Stellvertreterkrieg um die Ressourcen dieses Landes. ({3}) Der vorliegende Antrag berücksichtigt aber weder diese Dimension des Konflikts noch enthält er überhaupt eine einzige Maßnahme zur politischen Unterstützung des Friedensprozesses. Er beschränkt sich lediglich auf die Verlängerung des Mandats des Militäreinsatzes. Das ist vollkommen unzureichend. Deshalb wird er auch nicht die Zustimmung der Linken erhalten. Auch der Antrag zur Verlängerung der Militärmission UNAMID in Darfur kommt ohne jedes politisches Konzept daher. Aber gerade in Darfur - das haben Sie alle gesagt - ist nichts dringender als eine politische Lösung. Bereits die Afrikanische Union ist mit ihrem Militäreinsatz AMIS gescheitert; denn das Friedensabkommen vom 5. Mai 2006 hat schon lange keinen Bestand mehr. Es ist aber immer noch die Grundlage auch für UNAMID. Eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen ist überhaupt nicht in Sicht. Das räumt die Bundesregierung in ihrem Antrag auch ein. Sie setzt aber nichts dagegen. UNAMID - wenn wir aufrichtig sind - bewegt sich in einem politischen Vakuum und ist nur eine Fortsetzung der gescheiterten AMIS-Mission, dieses Mal unter dem gemeinsamen Dach von UNO und Afrikanischer Union. Es ist diesen Truppen weder gelungen, die Menschen in Darfur zu schützen noch eine Abkehr von der Gewalt zu bewirken und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu erreichen. Stattdessen hat sich die Situation in Darfur weiter kontinuierlich verschlechtert. Das hat Frau Schuster ebenfalls gesagt. Mittlerweile ist der Konflikt so atomisiert, dass selbst eine verhandlungsbereite Regierung nicht wüsste, mit wem sie eigentlich an den Verhandlungstisch treten sollte, um ein Friedensabkommen abzuschließen. Die Truppen der UNAMID sind inzwischen selbst Ziele der Angriffe geworden, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil beide Konfliktparteien kein Vertrauen in diese Truppen mehr haben. Ich sage Ihnen: Den Menschen in Darfur und auch den Tausenden, die in den Tschad geflohen sind, wird UNAMID nicht helfen. Nur eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen kann dem Land eine sichere Zukunft geben. Meine Fraktion fordert die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der UNO für diesen Friedensprozess zu engagieren. Immer mehr Militär ist keine Lösung. Deswegen lehnen wir diesen Antrag auch ab. Danke schön. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt der Kollege Omid Nouripour vom Bündnis 90/Die Grünen.

Omid Nouripour (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003881, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über die Verlängerung der Bundeswehrmandate für UNMIS und UNAMID. 300 000 Tote, über 2,2 Millionen Vertriebene, massenhafte systematische Vergewaltigungen und kriegsbedingte Hungersnöte in Darfur sprechen eine brutale und klare Sprache. Der Erfolg dieser Missionen ist wortwörtlich lebenswichtig. Die beiden Mandate sind wichtige Teile dieser Bemühungen. Deshalb steht meine Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, auch zu diesen Missionen. Herr Kollege Paech, erlauben Sie mir als einem, der selbst im Krieg aufgewachsen ist, doch etwas Persönliches zu sagen: Ich bekomme angesichts der Situation vor Ort und angesichts dieser humanitären Katastrophe eine Gänsehaut, wenn ich Ihren kalten Unilateralismus höre, womit hoffentlich Naivität vermischt ist. Die Selbstbeherrschung fällt mir wirklich unheimlich schwer. ({0}) Ich hoffe, dass sich in Ihrer Fraktion genug Menschen finden, die in dieser Situation nicht über die antikapitalistische Weltrevolution philosophieren, sondern einsehen, dass es dort eine humanitäre Katastrophe gibt, gegen die man etwas tun muss. ({1}) Die Bundesregierung hat im letzten Jahr das Mandat von uns erhalten, 75 Soldatinnen und Soldaten für UNMIS und 250 Soldatinnen und Soldaten für UNAMID bereitzustellen. Fakt ist: Heute sind 39 Soldaten und fünf Polizisten für UNMIS sowie sechs Polizisten und, wenn ich mich nicht irre, gar kein Soldat für UNAMID entsandt. ({2}) Diese Situation ist, nüchtern gesagt, nicht befriedigend, weil diese Kräfte eigentlich gebraucht werden. Beispiel UNAMID. Durch UNAMID sollen die Menschen geschützt werden. Das kann aber nicht erreicht werden, wenn nicht einmal ein Drittel des angestrebten Personals vor Ort ist - Herr Minister, das haben Sie gerade auch gesagt -, wenn es nicht einmal sieben Polizeieinheiten gibt, die die Flüchtlingslager schützen, wenn nicht genug Material und Sicherheitskapazitäten vorhanden sind und wenn es nicht einmal genug Hubschrauber gibt, mit denen Lebensmittel in die Flüchtlingslager geliefert werden. Deshalb sind wir gespannt, welche politische Perspektive uns die Bundesregierung in den Ausschussberatungen darstellt und ob für UNAMID und UNMIS jetzt endlich die Ausrüstung bereitgestellt wird, die gebraucht wird. ({3}) Wir wissen allerdings auch, dass diese beiden Missionen nur Teile eines politischen Prozesses sein können. Ohne einen politischen Prozess kann es keinen dauerhaften Frieden im Sudan geben. Deshalb brauchen wir einen umfassenden politischen Ansatz - das ist mehrfach gesagt worden -, mit dem verstärkt polizeiliche, humanitäre und entwicklungspolitische Elemente vereint werden. Darum fordern wir beispielsweise, dass der Sudan im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ zum Schwerpunktland wird und dass in einem Mandat zukünftig nicht nur die militärischen, sondern auch die polizeilichen und entwicklungspolitischen Beiträge der Bundesrepublik aufgeführt und beschlossen werden. In dem Zusammenhang habe ich eine Anmerkung zur FDP. Frau Schuster, Sie haben völlig zu Recht bemängelt, dass es diesen politischen Prozess nicht gibt. In der Debatte vorher hat Ihre Kollegin Frau Hoff aber genau mit dieser Aussage, dass es diesen politischen Begleitprozess nicht gibt, begründet, warum die FDP den Einsatz von UNIFIL im Libanon ablehnt. Das ist ein wenig kontraproduktiv. Vielleicht sollten Sie sich einmal darüber unterhalten, was ein fehlender politischer Prozess für Ihr Abstimmungsverhalten bedeutet. Wir wünschen uns von der Bundesregierung, dass sie mehr tut, dass sie mehr Anstrengungen dafür unternimmt, dass die Hilfen, die wir hier beschließen, bei den notleidenden Menschen vor Ort auch ankommen. Wir wünschen uns, dass sie mehr Flexibilität zeigt, damit die Engpässe vor Ort, die es derzeit gibt, behoben werden können. Wir wünschen uns, dass es mehr politische und zivile Bemühungen im Sudan gibt. Wir haben keine Zeit mehr; je länger wir warten, bis wir handeln, desto mehr Menschen verlieren ihr Leben. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt hat das Wort die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir halten den Antrag, die deutsche Beteiligung an UNMIS und UNAMID um ein Jahr zu verlängern, für richtig. Herr Außenminister, Sie haben darum gebeten, dass wir ihm hier im Bundestag eine möglichst breite Unterstützung zusichern. Wer die Debatte verfolgt hat, erkennt, dass es in vielen Punkten in der Tat große Einigkeit gibt. Wir alle wissen, dass die deutsche Beteiligung sowohl an UNMIS als auch an UNAMID relativ gering ist. Lassen Sie mich hinzufügen: Sie ist dennoch wichtig. Wer das nicht glaubt, sollte gelegentlich in den Sudan fahren und dort mit den verschiedenen Gruppierungen reden. Dann wird er erkennen: Die Deutschen, die sich dort beteiligen, haben einen guten Ruf und sind dort außerordentlich angesehen. Sie sind dort so beliebt, dass gerade an die Bundesrepublik die große Bitte gerichtet wird, sich stärker in den verschiedenen komplexen Konflikten zu engagieren. ({0}) Wir alle wissen, dass sowohl der Nord-Süd-Konflikt im Sudan als auch die Lage in Darfur außerordentlich komplex sind. Wir alle wissen deshalb auch: Schon wegen der Größe des Landes und der Komplexität der Probleme kann man mit Militär allein - auch mit der deutschen Beteiligung an Militärmissionen - keine entscheidenden Durchbrüche erreichen. Ich glaube aber, dass es darum allein gar nicht geht. Die Begriffe Stabilisierung, Beteiligung und Beitrag sind hier genutzt worden; genau darum geht es. Es geht darum, den Menschen in Darfur endlich die Gewissheit zu geben, dass sich etwas bewegt, zu ihren Gunsten. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich einmal in die Lage von Millionen Menschen - so viele sind es, wenn man die Flüchtlinge und die IDPs im Tschad einrechnet hineinversetzten: Diese Menschen leben zum Teil schon seit sechs Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern. Ihnen stehen nur wenige Hilfsangebote zur Verfügung. Überlegen Sie sich einmal, was es heißt, bei einer Hitze, die für uns unvorstellbar ist, in Lagern zu leben, wo es selbst ein Problem ist, nur das Lebensnotwendigste zu bekommen, wo man - das betrifft hauptsächlich die Frauen -, wenn sie Wasser oder Feuerholz holen, unmittelbar die Sicherheitsprobleme zu spüren bekommt. Massenvergewaltigungen durch Regierungssoldaten und von Milizen der Rebellen sind hier an der Tagesordnung. Da kann man einfach nicht so tun, als könnten Soldaten, wenn sie entsprechend ausgerüstet sind, den Menschen dort nicht helfen. Das geht einfach nicht! UNAMID mit Beteiligung der Bundesrepublik kann und soll einen Beitrag dazu leisten, die Sicherheitsprobleme zu lösen. Wir alle wissen - ich unterstreiche das -, dass sich die Bundesregierung und die Europäische Union bemühen, sowohl im Nord-Süd-Konflikt als auch im Darfur-Konflikt zu einer politischen Lösung zu kommen. Ohne die Beteiligung von UNMIS und UNAMID sind die Chancen auf eine solche Lösung noch geringer, als sie sowieso sind. ({1}) Es ist wichtig, das zu unterstreichen. Im politischen Bereich geht es jetzt um den Versuch, alle streitenden Parteien - die Rebellengruppen, die verschiedenen Milizen, die unterschiedlichen von der Khartoum-Regierung unterstützten Gruppen - an einen Tisch zu bringen. Ich denke, dass auch die Bundesregierung und die Europäische Union mit ihrer Hilfe für UN und AU auf diesem Wege einen guten Schritt vorankommen können. Die UNAMID-Vertreter sagen uns sehr deutlich, woran es bei ihnen jetzt noch krankt: Nicht das geschriebene Mandat von UN und AU mache ihnen Probleme, sondern der nicht vollständig umgesetzte Wille sowohl in New York als auch in der Afrikanischen Union. Herr Außenminister und Herr Verteidigungsminister, hier muss man für mehr politische Unterstützung sorgen. Ich glaube, das ist ein außerordentlich wichtiger Punkt. Lassen Sie mich abschließend gerade auch für die Menschen sowohl im Tschad als auch in Darfur eine Bitte anschließen. Ich bin sehr dankbar für die humanitäre Hilfe, die das AA in den Flüchtlingslagern und in den IDP-Camps leistet. Aber wenn Sie berücksichtigen, dass dort Menschen seit mehr als sechs Jahren leben, kann es, glaube ich, nicht nur um die Versorgung mit dem Lebensnotwendigsten gehen, sondern der Blick muss auch, bis eine politische Lösung umgesetzt ist, in die Zukunft gerichtet werden. Deshalb reicht die unmittelbare humanitäre Hilfe nicht aus. Ich bitte die Bundesregierung deshalb auch darum, daran zu denken, dass die Hunderttausende Kinder in den Flüchtlingslagern in die Schule gehen müssen. ({2}) Deswegen ist es wichtig, Konzepte für eine an die humanitäre Hilfe anschließende Hilfe zu finden, um diesen Kindern, die ja furchtbar geschädigt aufwachsen müssen, auf diese Weise vielleicht noch die eine oder andere Chance für ihr Leben zu bieten. Herzlichen Dank. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/10106 und 16/10104 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 17. September 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.