Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zur Haushaltswoche des Deutschen Bundestages, mit der wir nach der parlamentarischen Sommerpause wieder in die Arbeit eintreten.
Der Kollege Oskar Lafontaine begeht heute seinen
65. Geburtstag, wozu ich ihm im Namen des ganzen
Hauses herzlich gratulieren möchte.
({0})
Das gilt auch für die Kolleginnen Erika Steinbach und
Dr. Herta Däubler-Gmelin sowie den Kollegen
Wolfgang Gehrcke, die während der parlamentarischen
Sommerpause ihren 65. Geburtstag gefeiert haben. Ihren
60. Geburtstag haben die Kolleginnen und Kollegen
Jürgen Klimke, Michael Müller, Dr. Angelica
Schwall-Düren, Brunhilde Irber und Maria Eichhorn
gefeiert. Ihnen allen übermittele ich auf diesem Wege
nachträglich noch einmal die guten Wünsche des ganzen
Hauses.
({1})
Die Fraktion Die Linke hat mitgeteilt, dass die Kollegin Diana Golze von der Kollegin Elke Reinke das Amt
der Schriftführerin übernehmen soll. Sind Sie damit einverstanden?
({2})
- Das scheint trotz einzelner artikulierter Skepsis im
Ganzen mit hinreichender Mehrheit der Fall zu sein. Da-
mit ist die Kollegin Diana Golze zur Schriftführerin ge-
wählt.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 1 a und 1 b auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Haushaltsjahr 2009 ({3})
- Drucksache 16/9900 -
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Finanzplan des Bundes 2008 bis 2012
- Drucksache 16/9901 Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind im
Rahmen der Haushaltsberatungen für die heutige Aussprache im Anschluss an die Einbringung des Haushaltes
fünfeinviertel Stunden, für Mittwoch acht Stunden, für
Donnerstag siebeneinhalb Stunden und für Freitag drei
Stunden vorgesehen. - Auch dagegen erhebt sich kein
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich erteile das Wort zur Einbringung des Haushalts
dem Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück.
({4})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Ein Tag im politischen Deutschland Überschriften: „Finanzminister im Glück“, „Deutschland schreibt schwarze Zahlen“, „Staat erzielt
6,7 Milliarden Euro Überschuss“, „Spielraum für Steuersenkungen“, „Die deutsche Wirtschaft fällt ins Stimmungstief“, „Auf Talfahrt“, „Die Angst ist wieder da“.
({0})
Das sind Artikelüberschriften aus renommierten deutschen Tageszeitungen, wie sie gegensätzlicher nicht sein
könnten. Das ist aber nicht etwa eine Collage aus Presseartikeln der vergangenen fünf, sechs, sieben Monate;
Redetext
nein, das ist das Ergebnis der Presseauswertung eines
einzigen Tages, des 27. August 2008.
({1})
- Ich habe die Justierschraube leider nicht in der Hand.
Wir haben schon die Anweisung gegeben, die Lautstärke elektronisch zu justieren. Vielleicht können wir
uns ja darauf verständigen, dass der Finanzminister in
der Zwischenzeit ein bisschen lauter als üblich spricht
und das Plenum etwas leiser als üblich ist. Dadurch ließe
sich dieses Problem sicher lösen. - Bitte schön, Herr Minister.
({0})
Herr Präsident, in diesem Saal gibt es manche, die der
Meinung sind, dass ich gelegentlich zu laut spreche. Insofern folge ich dieser Aufforderung gerne.
({0})
Ich war bei der Aussage stehen geblieben, dass die
Artikel sehr unterschiedlich sind. Es handelt sich nicht
um eine Collage aus Zeitungsmeldungen der vergangenen sechs Monate oder des letzten Jahres, sondern um
Zeitungsmeldungen eines einzigen Tages. Ich will darauf hinaus, dass diese Artikel eines einzigen Tages, die
manchmal schon absurde Züge annehmenden, wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussionen im politischen Berlin wiedergeben.
Diese Diskussion wird weiter aufgemischt von diversen Chefvolkswirten, vornehmlich aus Unternehmen der
Finanzindustrie, die genau wissen, wie es um die Wirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland bestellt ist und
was nottut. Wenn ich mir dann allerdings die Finanzmärkte und die Unternehmen, die sie vertreten, ansehe,
wäre ich gelegentlich dankbar gewesen, wenn diese
Chefvolkswirte ihre Fähigkeiten stärker dem Unternehmen hätten zuteil werden lassen als diesen öffentlichen
Verlautbarungen.
({1})
Es finden sich auch diverse Professoren mit einer bewundernswerten Prognosefähigkeit. In einer Sonntagszeitung konnte ich die Prognosen von acht befragten
Professoren lesen, die haargenau die Wahrscheinlichkeit
einer Rezession voraussagen konnten, schade nur, dass
diese acht verschiedenen Prognosen zwischen 5 bis
50 Prozent lagen. Der Finanzexperte eines Kieler Instituts bietet sich auch gern und regelmäßig als Kronzeuge
an, sodass dieses Mal, einen Tag vor dem Beginn der
Haushaltsberatungen, eine Wirtschaftszeitung mit der
Behauptung aufmachen konnte: „Steinbrück verfehlt
Etatziel“.
({2})
Selbstverständlich wissen einige Oppositionspolitiker ganz genau, dass uns aufgrund der absehbaren Konjunkturentwicklung, des Konjunktureinbruches der Bundeshaushalt um die Ohren fliegen wird. Merkwürdig ist
nur, dass ich das fast wortgleich zum vierten Mal höre,
seit ich in diesem Amt bin: schon für die Haushalte
2006, 2007 und 2008.
({3})
Allerdings haben wir die Erfahrung gemacht, dass am
Ende der Jahresabschluss im Ist immer besser gewesen
ist als der Sollabschluss.
({4})
Die Wirtschaftskonjunktur dreht in einen Abschwung. Das ist richtig; keiner verharmlost dies. Damit
springt offenbar die Konjunktur von Untergangspropheten und Krisenpredigern an. Das ist schädlich. Was meinen Sie, wie solche Stellungnahmen auf die Bürgerinnen
und Bürger wirken, insbesondere wenn diese als Expertenwissen quasi einen besonderen Ritterschlag bekommen? Das heißt, diese rangieren auf der Glaubwürdigkeitsskala in der Öffentlichkeit wahrscheinlich weit
oberhalb aller ohnehin verdächtigen und propagandistischen Stellungnahmen der Politik. Verwirrt und orientierungslos ist wahrscheinlich noch freundlich ausgedrückt.
Sie führen sicherlich zu fortschreitender Politikverdrossenheit, weil unsere politischen Reaktionen den geweckten Erwartungen wieder einmal nicht nachkommen wollen oder teilweise nicht nachkommen können. Dieser
vielstimmige Chor liefert Belege für Forderungen und
Vorschläge, die sich Konjunkturprogramme, Antirezessionsprogramme, Entlastungsprogramme oder wie auch
immer nennen. Jeder ist für Entlastung - ich auch.
({5})
Doch die Frage lautet, ob dies mit unserer politischen
Vernunft, mit unserer finanzpolitischen Vernunft und mit
unserem realistischen Sachverstand zu rechtfertigen ist
oder ob dadurch insbesondere unser politisches Handeln
in der öffentlichen Wahrnehmung an Stringenz und Konsequenz verliert. Dies würde in meinen Augen einen viel
gefährlicheren Entzug von Vertrauen in die Politik bedeuten als die Weigerung, gelegentlich verständliche
Wünsche nicht zu erfüllen.
Da die Steuereinnahmen des Bundes immer noch
nicht ausreichen, um schon heute keine neuen Schulden
mehr zu machen, sind - genau wie in den letzten Jahrzehnten - flächendeckende Entlastungen über die bereits
erfolgten Entlastungen oder in Vorbereitung befindlichen Entlastungen hinaus bis 2011 nur auf Pump möglich. Ich kenne in der Dimension von zweistelligen Milliardenbeträgen aufwärts keine realistischen Vorschläge,
die über die von der Bundesregierung ohnehin geplanten
Entlastungsmaßnahmen oder zu übernehmende Verpflichtungen hinaus - siehe ein Bundesverfassungsgerichtsurteil zur steuerlichen Behandlung von Krankenversicherungsbeiträgen - durch Umschichtungen oder
Kürzungen finanziert werden könnten. Also läuft es auf
Pump hinaus.
Steuer- oder Ausgabengeschenke auf Pump engen
aber unseren Handlungsspielraum immer weiter ein.
Konkret heißt das: Schon heute können wir nur fünf von
sechs eingenommenen Steuereuros für die verschiedensten Zwecke, für die verschiedensten staatlichen Leistungen, die ja von uns erwartet werden, an die Menschen
zurückgeben. Jeder sechste Euro geht für Zinszahlungen
an die Banken drauf. Das Geld ist weg, ohne dass damit
ein einziger Euro getilgt worden ist. Jeder Häuslebauer,
jeder Mittelständler weiß, dass diese Situation gefährlich
ist. Steuerentlastungen oder Ausgabenprogramme auf
Pump sind ein sehr vergiftetes Geschenk. Denn am Ende
müssen sie immer bezahlt werden, vor allem von denjenigen, die die Grundlast staatlicher Aufgaben finanzieren, also den Mittelschichten und den Mittelständlern,
die mit höheren Steuern morgen zur Kasse gebeten werden.
({6})
Letztlich sind es immer wieder solche nicht nachhaltig
finanzierten Geschenke, die langfristig zu einem Vertrauensverlust der Bürger in die Politik führen; denn das
dicke Ende kommt immer, üblicherweise erst nach Jahren. Dann wird von uns selbst und all denjenigen, die
uns kritisch begleiten, die Frage gestellt: Warum konnte
die Politik das nicht verhindern? Ich will damit sagen:
Bevor man sich daran ausrichtet, was ankommt, sollte
man wissen, worauf es ankommt.
({7})
Ich habe die politische Erfahrung gemacht: Was die
Menschen von der Politik erwarten, ist nicht Beliebigkeit, nicht Sprunghaftigkeit und auch nicht ein Versprechen für den kurzen Beifall eines Nachmittags. Sie erwarten von der Politik Orientierung, erst recht in Zeiten
rasanter Umbrüche und erheblicher Verunsicherungen,
die mit der Globalisierung und der demografischen Entwicklung unausweichlich und in manchen Beziehungen
auch schmerzlich verbunden sind. Den Menschen Orientierung und Selbstvertrauen zu geben, heißt, ein realistisches Bild zu zeichnen und dabei auch das einzuordnen,
was in unserem Land in den letzten Jahren passiert ist
und worauf alle Deutschen stolz sein können.
({8})
Durch Reformen hat die Politik in den letzten fünf
Jahren dazu beigetragen, dass die deutsche Wirtschaft
heute wesentlich robuster und wesentlich wettbewerbsfähiger aufgestellt ist und dass es deutlich weniger Arbeitslose gibt. Ohne die diversen finanz-, haushalts- und
arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der letzten Jahre
und ohne die Beiträge der Wirtschaft zur Verbesserung
unserer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit hätte uns
die anhaltende und sehr ernst zu nehmende globale Finanzmarktkrise aus der Bahn werfen können.
Von vielen Experten der EU-Kommission, des Internationalen Währungsfonds und der OECD und in vielen
internationale Studien wurde uns bestätigt: Es hat sich
gelohnt, dass wir nach dem tiefen Fall nicht im Stillstand
verharrten, sondern uns auf den Weg gemacht und teilweise auch schmerzhafte Veränderungen durchgeführt
haben, um die Bundesrepublik Deutschland auf der
Höhe der Zeit zu halten. Das Erstaunliche ist, dass uns
das eher auswärtige und ausländische Beobachter konzedieren als wir uns selbst.
({9})
Noch ist längst nicht alles geschafft, und noch ist nicht
alles gelungen. Aber es gibt heute ein Drittel weniger Arbeitslose als noch vor zweieinhalb Jahren. Rund
1,6 Millionen Menschen haben wieder Arbeit. Das gibt
ihnen und ihren Familien Zuversicht und eine Perspektive, die sie vorher nicht hatten. Die Zunahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse hält
übrigens an. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse
um 600 000 gestiegen.
Was besonders erfreulich ist und den Erfolg unserer
Arbeitsmarktreformen belegt, ist die Tatsache, dass auch
diejenigen von der positiven wirtschaftlichen Entwicklung profitieren, die früher kaum oder gar nicht davon
profitiert haben, nämlich die Langzeitarbeitslosen, die
jüngeren und die älteren.
({10})
Die Langzeitarbeitslosigkeit ist gegenüber dem Vorjahr
um 21 Prozent zurückgegangen, noch stärker als die Arbeitslosigkeit insgesamt.
Der Aufschwung hat übrigens auch zu einer Trendwende in der Armutsentwicklung beigetragen. Zwischen 2005 und 2006 konnten 1,2 Millionen Menschen
der Armut entfliehen; das konnte im Armutsbericht aufgrund alter Daten bisher nicht berücksichtigt werden.
Dessen unbenommen stimme ich der Einschätzung
von Frank-Walter Steinmeier und vielen anderen zu,
dass es unter den Bedingungen der Globalisierung erheblich schwieriger geworden ist, Armut zu bekämpfen.
Wir alle wissen, dass es zwei Schlüsselgrößen bzw. zwei
Voraussetzungen gibt, um bei der Armutsbekämpfung in
Deutschland weiterhin erfolgreich zu sein: noch mehr
Arbeit und Bildung.
Meine Damen und Herren, die Erfolge, von denen ich
sprach, sind gut für alle, die wieder im Arbeitsprozess
sind, und für ihre Familien. Wer hätte einen solchen Erfolg vor fünf Jahren erwartet, und das in einem wirtschaftlichen Umfeld, das nicht etwa gleich geblieben ist,
sondern sich dynamisch, teilweise sogar massiv verändert hat? Ein Blick nach China, Indien, Brasilien und
Russland oder in Richtung vieler anderer Staaten, zum
Beispiel in der Golfregion, bestätigt dies.
Wir haben in Deutschland vieles verbessert. Wir haben wieder Anschluss gefunden, und vieles ist uns gelungen. Das sollte allen Menschen in Deutschland für
den weiteren Weg Mut machen. Denn das zeigt uns etwas, was wir nicht unterschätzen sollten: Auch in Zeiten
der Globalisierung und vor dem Hintergrund, dass
Deutschland eine offene Volkswirtschaft ist, haben wir
selbst in der Hand, was aus uns wird. Dazu bedarf es bestimmter physischer Voraussetzungen für die Wirtschaftsleistung und die Verbesserung des materiellen
Wohlstandes in Deutschland; dazu gehören auch die
vielzitierten Rahmenbedingungen, die wir politisch setzen. Es bedarf allerdings - das geht meiner Meinung
nach in vielen wirtschafts- und finanzpolitischen Debatten zu sehr unter - auch der mentalen Einstellung, Wohlstand nicht nur zu schätzen, als gegeben zu betrachten
und ihn sozusagen zu konsumieren, sondern ihn auch aktiv anzustreben.
({11})
Das ist mehr als Bewahrung und Verteilung, das ist Anstrengung, ein Wort, das uns Politikern mit Blick auf
Popularitätskurven nicht so leicht über die Lippen
kommt.
In diesem Zusammenhang zitiere ich Helmut Schmidt
aus seinem jüngsten Buch: Wir stehen vor der Alternative, entweder einen langsam fortschreitenden Verlust
unseres Lebensstandards zu ertragen oder aber uns zu
Leistungen zu befähigen. - Er fügt hinzu: zu Leistungen
zu befähigen, welche einstweilen in Asien noch nicht
vollbracht werden konnten. Er unterstreicht das Wort
„einstweilen“, das ein Hinweis darauf ist, dass wir immer neu nicht billiger, sondern besser werden müssen.
({12})
Jetzt sagen einige: Gut, wirtschaftlich hat sich manches ausgezahlt. Es ist auch nicht alles falsch gemacht
worden, auch nicht von dieser Großen Koalition. Wir haben in den vergangenen Jahren einige Reformschritte gemacht. Aber es ist doch alles ziemlich ungerecht, was
damals und seitdem passiert ist.
Diejenigen möchte ich an die ungerechte Situation
erinnern, die sich seit den 90er-Jahren aufgebaut hat.
Jahr für Jahr wurden immer mehr Menschen gegen ihren
Willen in die Arbeitslosigkeit gedrängt. War das nicht
ungerecht? Jahr für Jahr wurden mehr Menschen zum
Teil gegen ihren Willen in die Frühverrentung hineingejagt. War das nicht ungerecht? Jahr für Jahr stieg die Sozialversicherungsabgabenlast als einzige Antwort darauf, die Sozialsysteme zukunftsfest zu machen. War das
nicht ungerecht?
Menschen, die dringend Hilfe brauchten, um einen
Schul- und Berufsabschluss zu machen, um wieder Arbeit zu finden, erhielten keine oder nur unzulängliche
Hilfe. War das nicht ungerecht? Junge Familien mit Kindern erhielten viel zu wenig Unterstützung für Betreuung. Gleichzeitig beklagten damals schon viele die Auswirkungen des demografischen Wandels. War das nicht
ungerecht?
({13})
All diese Ungerechtigkeiten gab es. Gelegentlich erinnern wir uns daran, dass es seinerzeit hunderttausende
von Sozialhilfeempfängern gegeben hat, die weniger
Geld bekamen, als heute Hartz-IV-Empfänger bekommen,
({14})
die bei der Arbeitsplatzsuche keineswegs so behandelt
worden sind wie heute nach dem Prinzip des Förderns
und Forderns, nämlich mit der klaren Sichtweise, ihnen
so schnell wie möglich einen Arbeitsplatz wieder zu beschaffen. War das nicht ungerecht?
Auf all diesen Feldern hat sich vieles verbessert,
wenn auch nicht alles gut genug ist. Wir haben aber einiges erreicht, und wir sind auf dem richtigen Weg. Die in
den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen waren
nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht richtig, sie haben
auch zu mehr Teilhabe und deshalb zu mehr Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft geführt.
({15})
Die von einigen - wie ich glaube, vorsätzlich - unterschlagene Frage lautet: Was wäre passiert, wenn nichts
passiert wäre? Wir hätten immer neue Negativrekorde zu
verzeichnen gehabt bei der Arbeitslosigkeit, bei der Verschuldung und beim Wirtschaftswachstum. Wir wären
mit dem Gewicht Deutschlands innerhalb der Europäischen Union nicht auf derselben Höhe, wie wir es heute
sind. Wir hätten immer mehr Menschen zurückgelassen.
International hätten wir den Anschluss verpasst mit Folgen für unsere Entwicklungs- und Zugangsmöglichkeiten und auch für unsere Möglichkeiten, die internationale Debatte zum Beispiel über die Prävention von
Finanzmarktkrisen zu beeinflussen.
Die negativen Artikel über Deutschland Anfang dieses Jahrzehnts sind doch noch alle in den tieferen
Schichten unseres Gedächtnisses abrufbar, die Artikel
über den kranken Mann in der zentraleuropäischen Lage,
nicht am Bosporus. Wir haben erlebt, dass nach „Rucksack“ und „Kindergarten“ „German Angst“ als das dritte
im internationalen Sprachgebrauch übliche deutsche
Wort eingeführt wurde. Alles vergessen?
({16})
- Sauerkraut.
({17})
- Wer hat mir den Hinweis gegeben? Herr Kollege
Schäuble, gut, es sind vier Begriffe.
Seit Amtsantritt verfolge ich das Leitmotiv einer
gestaltenden Finanzpolitik. Seit drei Jahren setzen wir
gleichzeitig auf Wirtschaftswachstum und solides Haushalten. Wir setzen gleichzeitig auf Zukunftsinvestitionen
und weniger Schulden. Wir setzen gleichzeitig auf eine
Stärkung der Wirtschaft und mehr Teilhabe für möglichst viele.
Daran halte ich fest, unbenommen der Eintrübungen
des wirtschaftlichen Umfeldes. Daran sollten wir alle
- zumindest in der Großen Koalition - festhalten.
({18})
Ich habe eingangs schon von den Spekulationen darüber gesprochen, ob die Rezession kommt, ob sie nicht
kommt oder ob wir uns mitten in ihr befinden. Fakt ist:
Mit einem Wirtschaftswachstum von 1,3 Prozent im
ersten Quartal ist die deutsche Wirtschaft besser in das
laufende Jahr gestartet, als von vielen erwartet und
prognostiziert wurde. Sie alle wissen, dass wir es im
zweiten Quartal mit einem knapp rückläufigen Wirtschaftswachstum zu tun haben, und ich kann nicht ausschließen, dass das Wachstum auch im dritten Quartal
nicht positiv sein wird. Schon hört man aus allen Ecken
die Rufe des Entsetzens, dass wir in einer Rezession stecken. Diese verbreiteten Sado-Maso-Tendenzen sind mir
ein absolutes Rätsel.
({19})
Um das anzumahnen: Uns Deutschen geht offenbar
die Fähigkeit ab, Entwicklungen zu entdramatisieren, sie
mit kühlerem Kopf zu analysieren und vor allen Dingen
Balance im Urteil und im Vorgehen zu wahren, statt sofort Worst-case-Szenarien zu entwerfen, die mit schöner
Regelmäßigkeit im günstigsten Fall zum Untergang des
Abendlandes führen.
({20})
Nach meiner Einschätzung gibt es keinen Grund dafür, aufgrund eines unbestrittenen konjunkturellen Abschwungs solche Untergangsszenarien zu malen. Für das
Gesamtjahr 2008 hält die Bundesregierung das von ihr
prognostizierte Wachstum von 1,7 Prozent nach wie vor
für realistisch. Das gilt erkennbar nicht nur für sie, sondern auch für die Europäische Kommission, die in ihrer
Einschätzung sogar von einem leicht höheren Wirtschaftswachstum von 1,8 Prozent ausgeht. In den Überschriften der Meldungen steht aber: Die EU-Kommission prophezeit eine Rezession in Deutschland. - Nein,
sie rechnete zu Beginn dieses Jahres mit einem höheren
Wachstum als die Bundesregierung selber.
Auch wenn das Wachstum im kommenden Jahr
schwächer ausfallen dürfte, kann von einer Rezession
keine Rede sein. Auf den Punkt gebracht: Wir befinden
uns in einem Abschwung. Aufgrund der internationalen
Entwicklung gibt es Risiken für eine Abwärtstendenz.
Die Stichworte sind Ihnen allen geläufig. Eine Wirtschaft mit einer positiven Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt befindet sich aber nicht in einer Rezession.
({21})
Diese positive Entwicklung sollte auch nicht durch
Kassandra-Rufe gestört werden. Es gibt so etwas wie
eine negative Selffullfilling Prophecy.
({22})
Alle, die mit Lustgewinn und teilweise auch deshalb, um
ihre Wünsche zu begründen, Entlastungs- und Ausgabenprogramme aufzulegen, das Gespenst einer Krise an
die Wand malen, sollten sich ihrer Verantwortung in einer durchaus labilen Lage sehr stark bewusst sein. Fakt
ist und bleibt: Die deutsche Wirtschaft ist wesentlich
wettbewerbsfähiger und robuster als vor fünf Jahren.
Deshalb sollten wir bei der Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Situation Maß halten.
Dazu gehört auf der Negativseite, dass die global verursachten Rekordpreise, die es bei der Energie und den
Nahrungsmitteln gab und gibt, natürlich ihre Spuren
beim privaten Konsum hinterlassen. Die Inflationsrate
wird im Jahresdurchschnitt voraussichtlich 3 Prozent betragen. Ich gebe zu, dass die Menschen das Gefühl haben
dürften, dass es 10 Prozent sind. Das hängt damit zusammen, dass gerade viele Güter des täglichen Bedarfs von
Preissteigerungen betroffen sind: an der Zapfsäule genauso wie im Supermarkt.
Um das deutlich zu sagen: Ich sehe in diesen Preissteigerungen kein Übergangsphänomen, sondern eine
weitere Stufe der Globalisierung. Bisher wirkte die
Globalisierung preisdämpfend, weil immer mehr Menschen in die Weltwirtschaft integriert wurden und in
Ländern wie China und Indien und in den Ländern Lateinamerikas zunächst wenig Geld verdienten. Die niedrigen Arbeitskosten konnten sich in niedrigen Preisen
niederschlagen.
Seitdem die Menschen in den Schwellenländern aber
zunehmend mehr Geld verdienen, fragen Millionen - um
nicht von Milliarden zu sprechen - Chinesen, Inder, Brasilianer und viele andere heute mehr und auch höherwertige Güter nach. Genau wie wir wollen sie ein Auto, einen Eisschrank und einen größeren Wohnraum. Will
ihnen jemand vermitteln, dass die Pkw-Dichte bei ihnen
der der Insel Föhr entsprechen soll? Können wir es ihnen
mit einer Art neokolonialistischer Einstellung verweigern, dass sie nicht die Pkw-Dichte der Bundesrepublik
Deutschland und auch nicht unseren Anteil an Fernsehern und Videorekordern anstreben sowie ihre Wohnungen nicht entsprechend heizen sollten?
Gleichzeitig steigen die Arbeitskosten. Aus diesem
doppelten Effekt aus höheren Arbeitskosten und der
weltweit gestiegenen Nachfrage ergibt sich ein in der
Globalisierung bisher nicht bekannter Inflationsdruck,
der anhalten wird. Es hat keinen Sinn, zu behaupten,
dass die Änderung globaler Nachfrageniveaus und die
massive Veränderung globaler Nachfragestrukturen
quasi nationalstaatlich bekämpft oder ausgeschlossen
werden können, oder zu versprechen, dass die nationale
Politik Wirkungskraft dagegen entwickeln kann. Das
kann sie nicht. Es ist falsch, das den Menschen in
Deutschland zu verschweigen oder so zu tun, als ob man
dagegen mit einem Konjunkturprogramm auf Pump angehen könnte.
({23})
Weil mir an diesem Punkt sehr gelegen ist, will ich
darauf noch einige Sätze verwenden, auch auf die Gefahr hin, dass ich langatmig werde.
({24})
- War das, was ich bisher gesagt habe, nicht ernst zu
nehmen, Frau Künast? Das entnehme ich Ihrem Zwischenruf.
({25})
Wenn der Staat Fürsorgebereitschaft erklärt, ohne diese
wirklich erfüllen zu können, weil das außerhalb seiner
Reichweite oder seiner Möglichkeiten liegt, dann führt
das zu unerfüllbaren Kompensationsversprechen.
Diese unerfüllbaren Kompensationsversprechen führen
letztlich zu Enttäuschungen der Bürgerinnen und Bürger.
Ich möchte den Sozialpsychologen Harald Welzer zitieren:
Keine Demokratie der Welt kann dafür einstehen,
wenn Ressourcen knapper und damit teurer werden;
wenn sie
- die Politik Vertrauen erhalten will, muss sie paradoxerweise
sagen, dass sie es nicht kann.
Im Übrigen liegt, so schmerzlich das sein mag, in diesem
Preissignal die Lösung. Verhaltensänderung, Produktund Prozessinnovation im Sinne höherer Energieeffizienz, moderne Kraftwerkstechnik, Kraft-Wärme-Kopplung und Gebäudetechnik, also alles, was zu einer größeren Unabhängigkeit von Energieimporten führt, wird
durch diese Preissignale ausgelöst. Das heißt, diese
Signalwirkung des Preismechanismus sollten wir nicht
durch Subventionen aushebeln.
Wie sollten wir auch, wenn der Preis für Rohöl wie
ein Jo-Jo auf- und abgeht? Mal ist er bei fast 150 Dollar
pro Barrel, jetzt liegt er unter 100 Dollar. Hätten wir darauf konkret die Steuer- und Ausgabenpolitik des Bundes innerhalb von wenigen Monaten einstellen sollen?
({26})
Was würden wir den Menschen an Subventionen versprechen, wenn der Barrelpreis für Rohöl eines Tages
bei 170, 180 oder 190 Dollar liegt? Die berechtigte
Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen, ist, warum im Abwärtstrend die Benzinpreise nicht ebenso
elastisch sinken, wie sie im Aufwärtstrend für die Verbraucher steigen?
({27})
Ich will abschließend meine tiefe Skepsis gegenüber
nationalen Konjunkturprogrammen in drei Argumenten schildern.
Erstens. Es ist nicht möglich, eine konjunkturelle Eintrübung, deren Ursachen eindeutig in globalen Preisschüben und Finanzmarktkrisen liegen, mit einem nationalen Konjunkturprogramm zu bekämpfen. Wer das tut,
verbrennt lediglich Steuergeld.
({28})
Wofür? Dafür, dass ein Konjunkturprogramm von zum
Beispiel stattlichen 10 Milliarden Euro gerade einmal
0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der deutschen
Volkswirtschaft entsprechen würde? Das ist viel zu wenig, um selbst bei einer unterstellten 100-prozentigen Inlandsnachfrage oder Inlandswirksamkeit einen nachhaltigen Konjunktureffekt auszulösen.
Zweitens. Jede Abkehr vom notwendigen Konsolidierungskurs, die mit einem Konjunkturprogramm verbunden wäre, würde zwangsläufig zu gegenläufigen Entwicklungen führen. Wir sind schließlich nicht die
einzigen Akteure. Es wäre zu erwarten, dass wir die
europäische Geldpolitik der EZB gerade angesichts des
derzeitigen Inflationsdrucks zu einer noch restriktiveren
Geldpolitik veranlassen könnten. Das heißt, je nach Ausmaß würde dieses Konjunkturprogramm vielleicht stärker belasten, als es beschleunigend wirken könnte. Dann
hätten wir mit Zitronen gehandelt.
Drittens. Es wäre falsch, unseren bislang so erfolgreichen wirtschafts- und finanzpolitischen Kurs zu verlassen, um wieder ungebremst in neue Schulden mit einer
Verletzung der Generationengerechtigkeit zu flüchten.
Der konjunkturstabilisierende Gesamteffekt 2008
- daran will ich erinnern - aus der Initiative Wachstum,
Beschäftigung und Familienförderung einschließlich Elterngeld und Kinderzuschlag, der Absenkung des Beitrags zur Arbeitslosenversicherung von zunächst 4,2 auf
3,3 Prozent sowie den Entlastungen der Wirtschaft durch
eine Unternehmensteuerreform, beginnend mit dem
1. Januar dieses Jahres, beläuft sich immerhin schon auf
18 Milliarden Euro. Hinzu kommen Entlastungen für die
Wirtschaft durch den Bürokratieabbau der Bundesregierung.
Mit diesen konjunkturellen Entlastungen von über
den Daumen gepeilt 20 Milliarden Euro im laufenden
Jahr sind wir fast - nicht ganz: 0,8 bzw. 0,85 Prozent - in
der Größenordnung dessen, was die Amerikaner gerade
als Konjunkturprogramm vom Stapel gelassen haben.
Die Größenordnung von 150 Milliarden US-Dollar entspricht ungefähr 1 Prozent des US-amerikanischen Bruttosozialproduktes. Wichtiger Unterschied ist allerdings:
Bei uns geht es vornehmlich nicht um einen kurzfristigen Konjunkturstimulus, sondern um die dauerhafte
Stärkung des Wachstums.
Genauso wie jeder Privathaushalt kann auch der Staat
jeden eingenommenen Euro nur einmal ausgeben. Es
kommt deshalb auf eine ausgewogene Balance zwischen
den drei Zielen Fortsetzung der Haushaltskonsolidierung, Investition in Zukunftsprojekte und gezielt solide,
gegenfinanzierte Entlastungen für die Bevölkerung an.
Mit anderen Worten kommt es auf eine gestaltende
Finanzpolitik an, die Wirtschaftsförderung und die Verbesserung von Teilhabemöglichkeiten mit einer soliden
Haushaltspolitik verbindet. Wesentliches Markenzeichen
der Großen Koalition ist die solide Haushalts- und Finanzpolitik, die mit weniger Schulden auskommt und
gleichzeitig mehr Investitionen in entscheidende Zukunftsfelder unserer Gesellschaft und Wirtschaft vornimmt.
Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Entwurf
des Haushalts 2009 und der Finanzplan bis 2012 unsere
gemeinsame und erfolgreiche Finanzpolitik der letzten
Jahre seit Gründung der Großen Koalition fortsetzen und
widerspiegeln. Das wichtige finanzpolitische Ziel der
Großen Koalition, ab 2011 keine neuen Schulden mehr
zu machen, rückt damit in greifbare Nähe.
({29})
2009 sinkt die Nettokreditaufnahme mit
10,5 Milliarden Euro auf den niedrigsten Stand seit der
Wiedervereinigung. 2010 wird sie mit 6 Milliarden Euro
auf dem niedrigsten Stand seit 1974 liegen. 2011 soll der
Haushalt ohne neue Schulden auskommen, und 2012
soll das strukturelle Defizit - das heißt, unter Herausrechnung von Einmaleffekten - auf Null sinken.
Der Regierungsentwurf 2009 sieht Ausgaben in
Höhe von 288 Milliarden Euro vor. Das ist ein Wachstum von 1,8 Prozent. Dieser - ich sage mit Absicht: geringe - Ausgabenanstieg liegt, das ist eine zentrale Botschaft des Haushaltsentwurfs, deutlich unter dem
Anstieg des nominalen Bruttoinlandsproduktes. Das ist
die Vergleichszahl. Das heißt, der Staat hält sich - anders, als man es gelegentlich entgegengehalten bekommt weiter zurück. Die Staatsquote wird auch im nächsten
Jahr weiter sinken. Sie liegt bereits in diesem Jahr unter
der Staatsquote von Großbritannien, dessen angloamerikanisch ausgerichtetes Ordnungsmodell mir gelegentlich
wie eine Monstranz entgegengehalten wird.
Das Gerede über die krakenhafte Ausdehnung des
Staates in Deutschland ist allein interessegeleitet,
({30})
abgesehen davon, dass mir noch niemand eine angemessene Staatsquote wissenschaftlich bzw. objektiv definieren konnte. Auch im internationalen Vergleich kann ich
keine Analogien erkennen. Es gibt Länder mit einer relativ hohen Staatsquote, die hoch erfolgreich sind, und es
gibt Länder mit einer relativ niedrigen Staatsquote, die
nicht minder erfolgreich sind. Warum wir alle uns dabei
so verkämpfen und gelegentlich fast ideologische Gräben entstehen, ist mir nicht ganz klar.
Wichtig ist allerdings, dass sich ein Teil der Ausgabensteigerung aus Sondereffekten ergibt, die direkt gegenfinanziert sind. Sie wissen, dass wir aus dem Zertifikatehandel netto 600 Millionen Euro beziehen, mit
denen wir Umweltschutz- und Klimaschutzmaßnahmen
maßgeblich finanzieren können. Sie wissen auch, dass
die Mehreinnahmen aus der Mauterhöhung eins zu eins
in Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur im Einzelplan 12 des Kollegen Tiefensee fließen. Das sind also Maßnahmen, die eins zu eins gegenfinanziert sind. Wenn ich diesen Effekt herausrechnen
würde, dann hätten wir es mit einer Ausgabensteigerung
von 1,3 Prozent zu tun.
Auch im Finanzplanungszeitraum bis 2012 wachsen
die Ausgaben im Jahresdurchschnitt nur um nominal
1,5 Prozent. Wir sind, wie ich glaube, auf der sicheren
Seite.
Das heißt zusammengefasst: Die Große Koalition
steht für einen immer effizienteren und immer solider finanzierten Staat, der für seine Aufgabenerfüllung einen
immer geringeren Anteil der gesamtwirtschaftlichen
Ressourcen - von seinen Steuerbürgerinnen und Steuerbürgern - beansprucht. Besonders freue ich mich, dass
es trotz dieses verhältnismäßig geringen Ausgabenanstiegs gelungen ist, zusätzliche Belastungen wegzustecken. Ein Tarifabschluss über 2 Milliarden Euro ist
schließlich nicht einfach en passant zu bewältigen. Die
Frage, wie wir den jährlich um 1,5 Milliarden Euro steigenden Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung bewältigen, hat uns in den ersten Jahren ziemlich beschäftigt. Inzwischen können wir empirisch
belegen, dass uns dies gelingen kann.
Ich weiß, dass um die Steuermehreinnahmen der
letzten Jahre gerne Legenden gebildet werden, zum Beispiel die, dass der Bundesfinanzminister quasi wie
Dagobert Duck in seinem riesigen Panzerschrank Milliarden an Golddukaten hortet, in denen er badet, und
dass er sehr wohl über die notwendigen Mehreinnahmen
verfügt, um damit zusätzliche Verteilungsspielräume zu
erschließen. Da werden dem Staat von Politik und Medien gleichermaßen in einem Atemzug gigantische
Mehreinnahmen und eine bodenlose Abzocke der Bürgerinnen und Bürger unterstellt, um Erregungswellen
oder von mir aus auch eine höhere Auflage zu produzieren.
Aber bei genauem Hinsehen entpuppen sich die meisten dieser Berechnungen als ziemliche Milchmädchenrechnungen.
({31})
Auf drei Beispiele will ich eingehen. Es ist eine Mär,
dass der Staat an den Preissteigerungen bei Kraftstoffen verdient. Fakt ist: Die Steuerbelastung des Kraftstoffverbrauchs hat sich seit 2004 trotz der eminent steigenden Kraftstoffpreise kaum verändert. Für 2008
rechnen wir mit einem Steuermehraufkommen bei den
Kraftstoffen in Höhe von 300 Millionen Euro. Damit
wären wir auf dem Niveau von 2004. Es ist nicht der
Staat, der bei den steigenden Benzinpreisen mit entsprechend sprudelnden Steuermehreinnahmen hinlangt. Es
sind vielmehr Energiekonzerne, die die höchsten Quartalsgewinne in ihrer Geschichte oder Rekordsteigerungen im Jahresvergleich erzielen. Es ginge allen besser,
wenn diese Konzerne einen Teil ihrer unglaublich hohen
Zusatzgewinne über niedrigere Preise an die Konsumenten bzw. die Verbraucher zurückgäben.
({32})
Ich sage mit Bedacht und mit Blick auf eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung: Das liegt auch
im Interesse der betreffenden Konzerne.
Ich habe in diesem Zusammenhang allerdings nie verstanden, warum sich die Politik manchmal Schuhe anzieht, die gar nicht in ihrem Schrank stehen, und warum
wir uns das anschließend um die Ohren hauen. Ich will
festhalten: Entgegen der landläufigen Meinung ist das
Aufkommen aus den Energiesteuern insgesamt, also
nicht nur aus den Steuern auf Kraftstoffe und Heizöl,
2007 im Vergleich zu 2006 - nun halten Sie sich fest! um 2,4 Prozent gesunken. Dieser Trend setzt sich erkennbar in den ersten Monaten des Jahres 2008 fort. Damit will ich unterstreichen: Die Wahrnehmung, dass es
zusätzliche Verteilungs- oder Ausgabenspielräume gibt,
ist falsch. Auch jeder Landesfinanzminister müsste das
eigentlich wissen.
Genauso maßlos überzogen werden die Auswirkungen der sogenannten kalten Progression dargestellt.
Zwei Beispiele: Ein Single mit einem zu versteuernden
Einkommen in Höhe von 25 000 Euro wird bei einer inflationsgetriebenen Einkommenssteigerung in Höhe von
3 Prozent mit weniger als 10 Euro pro Monat zusätzlich
belastet. Bei einem Ehepaar mit einem zu versteuernden
Einkommen in Höhe von 40 000 Euro sind es knapp
14 Euro pro Monat. Jetzt kommen wir auf den Punkt:
Tatsächlich gibt es ein Begriffswirrwarr. Viele meinen
nicht den inflationsgetriebenen Staubsaugereffekt zulasten der Nettoeinkommen, sondern den tarifbedingten Effekt. Das heißt, wir haben es im Tarifverlauf mit einer
schnell wachsenden Grenzbesteuerung von mittleren
Einkommen zu tun; das ist so. Aber dann sollten wir erstens in der politischen Aussage präziser werden. Zweitens halte auch ich das für ein Problem, dessen Beseitigung durch den sogenannten Mittelstandsbauch
allerdings nicht unter 22 Milliarden Euro zu haben ist.
Wir müssen diese Dimension deutlich machen, aber
auch, wie das finanziert werden soll. Einen solchen Einnahmeverlust ohne Verwerfungen annähernd zu verkraften, kann erst Thema werden, wenn wir im Bundeshaushalt nicht mehr auf Pump leben, also keine neuen
Schulden machen. Mehr Netto für unsere Kinder, das ist
meine Devise.
({33})
Ähnliche Verzeichnungen gibt es übrigens bei der
Entfernungspauschale. Sie wirkt sich wegen des Arbeitnehmerpauschbetrages in Höhe von 920 Euro für die
Masse der Berufspendler, für alle mit bis zu rund
14 Kilometer Fahrstrecke, rein rechnerisch überhaupt
nicht aus.
({34})
Kaum jemand redet darüber. Von einer Wiedereinführung der Pendlerpauschale würde lediglich ein Siebtel
der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler profitieren. Zahlen müssten dafür allerdings alle Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. Das ist der Unterschied.
Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Führen wir uns
selbst und die Bürger - auch in Wahlkämpfen - bitte
nicht hinter die Fichte!
({35})
Der Löwenanteil der Steuereinnahmen resultiert aus der
verbesserten Situation auf dem Arbeitsmarkt und aus
dem höheren Wirtschaftswachstum. Mehr Beschäftigte
als zuvor können nun Steuern zahlen. Die Unternehmen
machen zudem höhere Gewinne. Das sind die Hauptquellen der Mehreinnahmen und nicht eine relativ höhere Belastung der Steuerbürgerinnen und Steuerbürger.
Anders ausgedrückt: Der Anteil der Steuern und Abgaben am Bruttoeinkommen ist von 1999 bis 2007 - also
in den letzten fast zehn Jahren - nahezu für alle Bürgerinnen und Bürger, bezogen auf das gleiche Einkommen,
gesunken. Dass es andere Faktoren gibt, die den Geldbeutel geschmälert haben, ist mir bewusst. Das erwähne
ich, damit ich nicht für blauäugig gehalten werde. Das
stelle ich auch nicht in Abrede. Aber hier tut Aufklärung
not, welcher Anteil über Steuern und Abgaben generiert
wird und welcher aus anderen Gründen.
({36})
Möglichst rasch keine neuen Schulden mehr aufnehmen zu müssen, das ist das eine Ziel der gestaltenden Finanzpolitik. Das andere ist der Umbau der öffentlichen
Ausgaben hin zu mehr Zukunftsinvestitionen. Deswegen ist es richtig, dass wir nicht nur mit dem Bundeshaushalt 2009, sondern auch mit dem Finanzplan und
dem laufenden Haushalt klare Schwerpunkte setzen.
Ich will aus Zeitgründen nicht alle erwähnen. Aber es ist
eine bewusste Entscheidung der Großen Koalition, mehr
für Forschung und Entwicklung zu tun,
({37})
und das Ziel, auf der Basis der Lissabon-Strategie den
Anteil von Forschungs- und Entwicklungsausgaben auf
3 Prozent zu steigern, nehmen wir nach wie vor sehr
ernst. Der Bundeshaushalt trägt dazu bei.
Es ist wichtig, dass wir unsere internationalen Zusagen bezüglich der Entwicklungshilfe einhalten.
({38})
So ist es kein Wunder, dass wir zusätzlich zu den Steigerungen, die wir schon in den letzten Haushalten und im
laufenden hatten, sage und schreibe 1,25 Milliarden
Euro mehr allein für diese beiden Gebiete ausgeben.
Denjenigen, die die Steigerung bei der Entwicklungshilfe eher kritisch sehen, halte ich Folgendes entgegen:
Wenn wir nicht in der Lage sind, die Probleme der betroffenen Länder mit Entwicklungshilfe vor Ort zu lösen, dann wandern diese Probleme nach Europa und
nach Deutschland.
({39})
Wenn jemand von der Opposition glaubt, dass all
diese Ausgaben - ich könnte das mit denjenigen für Kinderbetreuung und Infrastruktur fortsetzen - nicht notwendige, jedenfalls gering zu schätzende Investitionen
sind, dann steht er in der Bringschuld einer schlüssigen
Begründung. Es reicht dann nicht der oppositionelle Reflex, es müsse schneller, radikaler und schneidiger konsolidiert werden. Vielmehr muss man sagen, ob man auf
die Unterstützung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland durch diese wichtigen Zukunftsfelder verzichten will. Diese Begründung
müssen Sie dann liefern.
({40})
Es ist mir deshalb wichtig, dass wir die doppelte Strategie beibehalten, im Schuldenabbau voranzukommen
und gleichzeitig in den zentralen Themen wie Bildung,
Kinderbetreuung, Infrastruktur, Entwicklungshilfe, Forschung und Entwicklung und - soweit der Bund das mitzugestalten hat - berufliche Bildung sowie im Hochschulbereich das zu tun, was Zukunft für dieses Land
erschließt.
({41})
Von den ungefähr 160 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen, die wir seit Gründung der Großen Koalition
zu verzeichnen haben, sind ungefähr 55 Prozent in die
Absenkung des strukturellen Defizits des Bundeshaushaltes geflossen. 12 bis 15 Prozent entfielen auf die
Schwerpunkte, die ich eben genannt habe.
Mir ist durchaus bewusst, dass die zunehmenden
Preissteigerungen trotz höherer Löhne in diesem Jahr
viele Menschen ebenso belasten, wie sie das erfolgreiche
Wirtschaften vieler Mittelständler erschweren. Da helfen
nur solide gegenfinanzierte Entlastungen, aber keine
Versprechen. Deshalb will ich an dieser Stelle darauf
hinweisen, dass weitere gezielte und gegenfinanzierte
oder gegenzufinanzierende Entlastungen im zweistelligen Milliardenbereich auf der Tagesordnung unserer Beratungen stehen.
Erstens die Familienförderung: Mit Blick auf den
kommenden Existenzminimumbericht haben wir haushalterische Vorsorge für den Bund in Höhe von
1 Milliarde Euro in unserem Haushaltsplanentwurf getroffen. Das sind, auf den Gesamtstaat bezogen, Entlastungen für die Familien von über 2 Milliarden Euro. Was
allerdings die konzeptionelle Ausrichtung der Familienleistungen betrifft, so gibt es aus meiner Sicht noch Beratungsbedarf.
({42})
Ich halte an meiner Auffassung fest - sei es auch, dass
ich in einer kleinen, aber feinen Minderheit bin -, und
die jüngste repräsentative Umfrage, die meinem Ministerium vorliegt, bestärkt mich in meiner Grundhaltung.
Mit großem Abstand wünschen sich die Menschen einen
weiteren Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten für Kinder. Dies ist ihnen wichtiger als Kindergeld.
({43})
Auf die Frage, ob wir 25 000 zusätzliche Kindergärtnerinnenstellen - nach Lage der Dinge weniger Kindergärtnerstellen - finanzieren oder das Kindergeld um
10 Euro erhöhen sollen, antworten 80 Prozent der Bevölkerung, dass sie für die Einstellung von 25 000 Kindergärtnerinnen sind.
({44})
Ich will an dieser Stelle - auch auf die Gefahr hin,
dass sich da Meinungsverschiedenheiten auftun - einen
anderen Punkt nicht verschweigen: So schnell bekommen Sie mich nicht da hin, dass es einfach nur um eine
Erhöhung des Kinderfreibetrages geht.
({45})
Vielmehr bin ich der Auffassung, dass jedes Kind Vater
Staat gleich viel wert sein muss. Das ist über den Kinderfreibetrag nicht gewährleistet.
({46})
Mein Ministerium hat deshalb die Idee eines Kindergrundfreibetrages geprüft, mit dem wir diese Ungerechtigkeit beseitigen wollen. Denn nicht der Kinderfreibetrag, sondern ein Kindergrundfreibetrag stellt sicher,
dass jedes Kind steuerlich gleich viel zählt. Das ist für
mich eine Gerechtigkeitsfrage.
({47})
Das heißt, wir haben dort einen Beratungsbedarf, aber
wir sind uns in der Tendenz im Lichte des Existenzminimumberichtes über das Ob einig.
Die zweite Entlastungsmaßnahme wird die uns vom
Bundesverfassungsgericht aufgetragene bessere steuerliche Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen sein. Diese wird sich natürlich nicht alleine auf
die Mitglieder der privaten Krankenversicherungen erstrecken können, weil sonst eine Unwucht darin wäre;
das wird sich vielmehr auch auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherungen erstrecken müssen.
Wir reden in diesem Zusammenhang immerhin über eine
Entlastungsmaßnahme in Höhe von - halten Sie sich
fest! - 8 bis 9 Milliarden Euro. Wir planen, nur einen
vergleichsweise geringen Anteil dieser Entlastungen
durch Belastungen an anderer Stelle gegenzufinanzieren,
weil ich in der Tat verhindern möchte, dass einzelne
Bürgerinnen und Bürger, die vielleicht nur eine geringe
Entlastung haben, plötzlich quasi durch die Hintertür an
der Gegenfinanzierung mitbeteiligt sind und belastet
werden.
Drittens steht eine weitere Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung in Rede. Über die
Höhe der weiteren Absenkung wird zu reden sein. Sie
darf in meinen Augen nicht so weit gehen, dass darunter
die Erfüllung der eigentlichen Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit leidet, nämlich Dienstleistungen für Arbeitslose zu erbringen und Arbeitslose zu fördern. Ich
möchte auf Dauer die Situation vermeiden, dass der
Bund je wieder ein Darlehen oder einen Zuschuss an die
Bundesagentur geben muss.
({48})
Ich halte übrigens den klagenden Arbeitgeberorganisationen vor, dass sie so tun, als ob der jetzige Mechanismus zwischen Bundeshaushalt und Bundesagentur des
Teufels bzw. verfassungsrechtlich dubios sei. Als der
Bund eingezahlt hat, war das für die Arbeitgeber nicht
dubios. Da haben sie das Geld gerne mitgenommen.
({49})
Ich will daran erinnern, dass der Bund Zuschüsse - leider Gottes waren das keine Darlehen; sonst könnte ich
die Rede jetzt abbrechen - in Höhe von 40 Milliarden
Euro gezahlt hat. Das waren im Jahresdurchschnitt
4 Milliarden Euro. Das ist eine ungeheuere Summe, und
da hat sich kein einziger Arbeitgeber darüber aufgeregt,
dass es einen solchen Beitrag zugunsten der Bundesanstalt bzw. der Bundesagentur gegeben hat.
Viertens wird die vom Kabinett bereits beschlossene
Verbesserung der Mitarbeiterkapitalbeteiligung zu
einer Entlastung von 230 Millionen Euro führen.
Fünftens könnte ich mir vorstellen, dass die Erhöhung des Wohngeldes vorgezogen wird, um dazu beizutragen, dass die deutlichen Energiepreissteigerungen
gerade von Bedürftigen leichter getragen werden können.
({50})
Sechstens laufen bereits Ressortgespräche nicht nur
über eine Vereinfachung, sondern auch über eine weitere
Verbesserung der steuerlichen Absetzbarkeit von
Dienstleistungen in den privaten Haushalten. Das ist
nicht wenig, aber es wird darauf ankommen, dass das solide gegenfinanziert wird.
Zum aktuellen wirtschaftlichen Umfeld gehört auch
die globale Finanzmarktkrise. Ich werde kaum eine
Rede zur Einbringung des Haushalts halten können, die
nicht auf dieses Thema eingeht. Diese Finanzmarktkrise
ist sehr ernst und weitreichend und belastet selbstverständlich auch Deutschland. Um wie viel schwerer allerdings die Auswirkungen sein können, zeigt uns ein Blick
in die USA und nach Großbritannien, wo Hypothekenfinanzierer zusammenbrechen und weitere Finanzinstitute
in existenzielle Nöte gekommen sind. Ausgerechnet in
den traditionell marktwirtschaftlich geprägten angelsächsischen Ländern wussten sich die Verantwortlichen
nicht anders als mit Verstaatlichung zu helfen.
({51})
Ich habe mir mehrfach vorgestellt, was wohl passiert
wäre, wenn ein sozialdemokratischer Bundesfinanzminister in Deutschland für die Verstaatlichung einer
Bank eingetreten wäre.
({52})
Im Falle von Northern Rock - das war der erste Fall -,
aber auch mit einer gewissen zeitlichen Abfolge bei Fannie Mae, Freddie Mac und Bear Stearns konnte der Zusammenbruch nur noch durch eine Quasiverstaatlichung
- die Amerikaner nennen das Conservatorship, was ich
recht witzig finde, weil dieser Begriff ganz gut umschreibt, was dort stattfindet - abgewendet werden. Dadurch sind die britischen und die amerikanischen Steuerzahler zu 100 Prozent in Haft genommen worden. Ich
bin sehr froh, dass wir das in Deutschland haben verhindern können.
({53})
Im Übrigen fällt mir auf, dass in dem einen Fall, nämlich
dem der USA, die milliardenschweren Rettungsaktionen
der Regierung als Beleg für die Tatkraft und Handlungsfähigkeit der Regierung gelobt werden, während in dem
anderen Falle, nämlich in Deutschland, vornehmlich von
Vernichtung von Steuergeldern und dem vollständigen
Versagen der Verantwortlichen die Rede ist.
({54})
Also: Entweder oder. Diese Beliebigkeit, nämlich den
kritischen Standpunkt chamäleonhaft zu wechseln, trägt
nicht zum Erkenntnisgewinn bei.
Das US-Budgetdefizit wird auf 4,2 Prozent steigen.
Wir müssen damit rechnen, dass darüber die globalen
Ungleichgewichte weiter wachsen. Dabei geht es um ein
Staatsdefizit der USA von sage und schreibe 600 Milliarden US-Dollar. Mit Lehman Brothers ist gestern die
viertgrößte Bank der USA in die Insolvenz gegangen.
Die Rettungsversuche über das Wochenende sind gescheitert, weil in diesem Fall die amerikanische Regierung nicht mehr bereit gewesen ist, mit öffentlichem
Geld zu helfen. Weitere Institute in den USA, Banken
wie Versicherungen, stehen unter einem erheblichen
Druck. Das, was dort im letzten halben Jahr stattgefunden hat, ist unfassbar. Vor einem halben Jahr gab es noch
fünf oder sechs große Investmentbanken; heute gibt es
nur noch zwei.
Obwohl diese Finanzmarktkrise zweifellos das größte
konjunkturelle Risiko auch für die deutsche Volkswirtschaft darstellt, halte ich die möglichen Auswirkungen auf uns auch nach allen Erkundigungen, insbesondere nach Gesprächen mit dem Bundesbankpräsidenten
und mit der Bankenaufsicht, für begrenzt. Nach den uns
vorliegenden Informationen bewegen sich die finanziellen Engagements deutscher Kreditinstitute bei der
Lehman Brothers Holding, die einen Antrag auf Gläubigerschutz gestellt hat, in einem überschaubaren Rahmen
und sind verkraftbar. Sie wissen, dass die europäischen
Zentralbanken gestern Mittag sehr schnell mit Liquidität
geholfen haben. Zehn große Banken haben einen Liquiditätsschirm von 70 Milliarden Euro gespannt. Die
Rückmeldungen der deutschen Kreditinstitute lauten,
dass der Tag gestern weitgehend stressfrei verlaufen ist.
Es gibt keinen Anlass - das sage ich sehr bewusst -,
an der Stabilität des deutschen Finanzsystems zu
zweifeln. Die Widerstandsfähigkeit der deutschen Kreditinstitute ist deutlich besser geworden. Ich füge hinzu:
Das deutsche Universalbankensystem hat sich als robuster und resistenter herausgestellt als das amerikanische
Bankensystem.
({55})
Dort landet man jetzt bei dem Konstrukt von Universalbanken, das wir längst haben.
In den USA sind die Kreditkonditionen seit Ausbruch
der Krise natürlich deutlich verschärft worden. Das wird
auch in Europa stattfinden, auch in Deutschland. Aber
insgesamt ist das Kreditwachstum in Europa - das ist
keine schlechte Nachricht - kaum beeinträchtigt. In
Deutschland verdanken wir dies nicht zuletzt - darauf
will ich ein paar Worte verlieren - den Sparkassen.
({56})
Die deutschen Sparkassen haben trotz eingetrübter
Konjunktur und Finanzkrise im ersten Halbjahr sogar
wesentlich mehr Kredite an Unternehmen vergeben als
im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Die hierdurch erzielte Stabilität ist ein Vorzug des häufig gescholtenen
Drei-Säulen-Modells in Deutschland.
({57})
Deshalb unterstreiche ich hier noch einmal, dass ich
den öffentlich-rechtlichen Charakter der Sparkasse in
Deutschland für einen Standortvorteil halte - im Sinne
des Wettbewerbs, im Sinne der Mittelstandsfinanzierung, im Sinne der Dienstleistungen für die Bürgerinnen
und Bürger und der Flächenversorgung mit Finanzdienstleistungen, die nicht einer Gewinnmaximierungsstrategie unterliegen.
({58})
Die öffentlich-rechtlichen Sparkassen gehören zur
Rechts- und Eigentumsordnung der Bundesrepublik
Deutschland. Sie sind im europäischen Vertragsrecht
und durch zwischenzeitliche Verständigung mit der
Kommission abgesichert. Deshalb sage ich: Auch nur
die indirekte Gefährdung dieses Status wird die Bundesregierung nicht hinnehmen können.
({59})
Ich will ich in dieser Passage - einen Zwischenruf
aufgreifend - auch nicht meine Enttäuschung darüber
verhehlen, dass es bisher nicht zu einer weiteren Konsolidierung bei den Landesbanken gekommen ist.
({60})
Diese Konsolidierung wird ohne die Option, sich auch
für privates Kapital zu öffnen, nicht funktionieren. Deshalb unterscheide ich hier zwischen den Sparkassen und
den Landesbanken.
Es kann umgekehrt allerdings nicht sein, dass die
Sparkassen als Rückgrat des deutschen Mittelstandes
möglicherweise dafür in Mitleidenschaft gezogen werden, dass es zur rechten Zeit auch aus politischer Kurzsichtigkeit nicht zu einer horizontalen Fusion bei den
Landesbanken gekommen ist.
({61})
Mit etwas mehr politischer Weitsicht hätten wir heute
nicht die Probleme mit der Europäischen Kommission,
auch nicht im Fall der WestLB. Was wir auf den Finanzmärkten erleben, ist atemberaubend und zerstört bei vielen Menschen den Glauben an die Integrität und Stabilität des Finanzsektors. Ich bin darauf und auf die
Notwendigkeit, auf internationaler Ebene eine stärkere
und effektivere Regulierung zu verankern, in einer Regierungserklärung im Februar oder im März eingegangen, sodass ich mir hier weiter gehende Bemerkungen
sparen möchte, obwohl die Wucht und die Komplexität
dieses Themas eigentlich eine intensivere Beschäftigung
verlangen.
Helmut Schmidt benutzte anlässlich seiner Rede zum
90. Geburtstag von Berthold Beitz in der Villa Hügel im
Jahr 2003 erstmals den Begriff des Raubtierkapitalismus. In der Tat sind Exzesse, Zügellosigkeit und maßlose Übertreibungen festzustellen, die den Finanzdienstleistungssektor nachhaltig beschädigen können.
Das sollte allerdings nicht mit Häme oder mit einem
plumpen antikapitalistischen Reflex kommentiert werden, weil dieser Finanzdienstleistungssektor inzwischen
nicht nur selber ein enormer Wirtschaftsfaktor ist, sondern auch von entscheidender Bedeutung für die große
und starke Realwirtschaft in der Bundesrepublik
Deutschland ist. Wir haben ein massives Interesse an einem wettbewerbsfähigen, tüchtigen, gut aufgestellten Finanzsektor. Daran sollte vor dem Hintergrund der Betrachtung der jetzigen Krise kein Zweifel auftauchen.
Allerdings sind umgekehrt auch die Apologeten einer
rigiden Marktwirtschaft widerlegt worden. Erkennbar ist
der Markt alleine nicht in der Lage und nicht befähigt,
spekulative Zügellosigkeit mit einem selbstzerstörerischen Charakter zu verhindern oder einzudämmen.
({62})
In der Rede auf Berthold Beitz führte Helmut
Schmidt aus:
In den 90er Jahren haben private Habgier und
Rücksichtslosigkeit, Machtgier und auch Größenwahn einen allzu großen Einfluss auf das Verhalten
mancher Manager ausgeübt - nicht bloß in den
USA, sondern auch bei uns. Undurchsichtige Bilanz- und Finanzkunststücke und sagenhafte Selbstbereicherung sind leider ziemlich häufig und ziemlich marktgängig geworden.
Ich habe dem nichts hinzuzufügen - außer der Tatsache: Es war diese Bundesregierung, die während unserer
G-7-Präsidentschaft, während unserer EU-Präsidentschaft vor der Finanzmarktkrise, beginnend mit dem
Jahr 2007, als Erste das Thema einer stärkeren Regulierung, der Einführung von Verhaltenskodexen und anderer Maßnahmen auf die Tagesordnung gesetzt hat.
({63})
Ich kann mich an meine Enttäuschung erinnern, als damals der anglo-amerikanische Sektor sowohl anderen
Mitgliedern des Kabinetts - an der Spitze die Bundeskanzlerin - wie auch mir gegenüber dem bei den einschlägigen Veranstaltungen gelinde und höflich ausgedrückt sehr reserviert gegenübergestanden hat.
Ich will auf weitere Vorschläge mit Blick auf das Financial Stability Forum und auf die Debatte des jüngsten
Finanzministerrats, Ecofin, in Nizza nicht weiter eingehen; Sie sollten nur wissen: Da sind die ersten Schritte
gemacht worden, um in Europa eine Gruppenaufsicht für
grenzüberschreitende Banken- und Versicherungsgruppen einzuführen. Also: Auch im Bereich der Aufsicht
geht es schrittweise voran. Ich will gar nicht ausschließen, dass am Ende dieser Entwicklung eines Tages eine
europäische Aufsichtsbehörde für Wertpapiere, Versicherungen und Banken steht.
Ich wage zu behaupten, dass wir in Deutschland weit
stärker von der Finanzkrise in Mitleidenschaft gezogen
worden wären, wenn wir die Hände in den Schoß gelegt
hätten und die IKB sehenden Auges in die Insolvenz
hätten gehen lassen.
({64})
In den entscheidenden Situationen, wo es darum ging,
darüber zu entscheiden, gab es keine ernstzunehmende
Stimme, die nicht dazu geraten hat, die IKB zu retten,
weil die Risiken für den gesamten deutschen Finanzmarkt zu groß gewesen wären und vor allen Dingen ausländische Akteure auf unseren Märkten nachhaltig verunsichert worden wären.
Die Verstaatlichung wie in Großbritannien oder wie
in den USA kam nicht infrage. Auf der anderen Seite
mussten wir befürchten, dass eine Insolvenz der IKB zu
gefährlichen Dominoeffekten führen würde, nicht zuletzt
wegen der Verbindlichkeiten bei ihr. 25 oder 26 Milliarden Einlagen - was wäre denn im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit denen passiert? Es waren institutionelle Anleger dabei, vielleicht eine Sparkasse aus Ihrem
Wahlkreis, vielleicht eine Raiffeisen-Volksbank aus Ihrem Wahlkreis, vielleicht eine gesetzliche Krankenversicherung.
({65})
- Ich meine: vielleicht in Ihrem Wahlkreis.
({66})
Das heißt, wir hätten erhebliche Auswirkungen mit
Blick auf diese Verbindlichkeiten, auf die Kreditkonditionen für die Wirtschaft und auf die Refinanzierungsbedingungen für andere Institute auf breiter Front gehabt.
Das alles wäre den Steuerzahler teurer zu stehen gekommen als das, was wir gemacht haben. Vor dem Hintergrund bin ich froh darüber, dass die KfW die IKB verkaufen konnte. Die beiden beteiligten Häuser, das
Wirtschaftsministerium des Kollegen Glos und mein
Haus, sind gern bereit, den Ausschüssen zu diesem Verkaufsvorgang weiter zu berichten.
Wer das Morgen nicht bedenkt, wird Kummer haben,
bevor das Heute zu Ende geht. - Das ist ein Satz von
Konfuzius, den er den einzelnen Menschen mitgegeben
hat, damit sie auf ihrem Lebensweg edler werden. Für
den Finanz- und Wirtschaftspolitiker bedeutet diese
Weisheit, dass er, wenn er zukunftsfeste Politik für sein
Land machen möchte, gelegentlich über den eigenen
Tellerrand hinausschauen und sich einen Eindruck davon
verschaffen muss, was eigentlich um ihn herum passiert.
Angesichts der beeindruckenden Dynamik, die ich bei
meinen Reisen, übrigens auch unter Begleitung von Abgeordneten dieses Hauses, beobachten kann, hat sich
mein Eindruck verstärkt, dass wir Zeugen einer massiven, von der Globalisierung getragenen Neuverteilung
des weltweiten Wohlstands sind. Dies sagen wir den
Menschen in Deutschland zu wenig und zu selten. Die
Globalisierung ist irreversibel. Wir müssen sie annehmen, allerdings mit dem Anspruch, sie mit zu gestalten.
({67})
Wir können sie umso besser mit gestalten, je größer
das Gewicht Deutschlands sowohl in politischer als auch
in wirtschaftlicher Sicht in der internationalen Szene ist.
({68})
Ich kann mir in diesem Zusammenhang übrigens
schwer vorstellen, dass das Zentralkomitee der chinesischen kommunistischen Partei von der Forderung der
Linkspartei sehr beeindruckt wäre, das Rad der Globalisierung anzuhalten. Das glaube ich nicht.
({69})
Dank der Globalisierung haben inzwischen Milliarden von Menschen gerade in den Schwellenländern die
Chance, sich zum ersten Mal aus eigener Kraft aus der
Armut zu befreien und sich einen eigenen Wohlstand
aufzubauen. Dadurch wächst der weltwirtschaftliche
Kuchen. Es geht nicht darum, den bestehenden Kuchen
neu zu verteilen, sondern es geht darum, diesen Kuchen
größer zu machen. Für uns Deutsche bedeutet dies, dass
sich uns erhebliche Chancen eröffnen. Die Zahlen in diesem Zusammenhang sind eindrucksvoll: Allein in China
zählen mittlerweile 200 Millionen Menschen zur Mittelschicht. Schätzungen gehen davon aus, dass es in den
nächsten zehn Jahren 700 Millionen Menschen sein werden, die eine entsprechende Kaufkraft haben werden.
Auch deshalb bin ich der Meinung, dass die mittel- bis
langfristigen Aussichten für die deutsche Wirtschaft
deutlich besser sind, als die Skeptiker dies täglich ausweisen.
Für uns bedeuten die globalen Trends eben nicht nur
steigende Preise für Rohstoffe und Energie. Aufgrund
des steigenden Wohlstandes in den Schwellenländern
bedeuten sie auch mehr Nachfrage nach Hochtechnologie und vor allem nach allen Verfahren und Produkten,
die zu einer Entkopplung von Umwelt- und Ressourcenverbrauch auf der einen Seite und Wirtschaftswachstum
auf der anderen Seite beitragen. Wer ist dort gut aufgestellt? Deutschland. Also sollten wir diese Chancen nutzen.
({70})
Voraussetzung ist, dass wir uns auf Stärken rückbesinnen, die wir über Jahrzehnte hatten, in den ostdeutschen Ländern ebenso wie in den westdeutschen Ländern. Ich meine damit den Willen, etwas aufzubauen,
gründlicher und zuverlässiger zu arbeiten als andere und
darüber auch den Spaß und die Freude an Neuem und an
Veränderungen nicht zu verlieren. Das sind Tugenden,
die uns über Jahrzehnte - wenn nicht über Jahrhunderte ausgezeichnet haben und die wir aus meiner Sicht heraus
pflegen müssen, wenn wir als 80-Millionen-Volk in eiBundesminister Peer Steinbrück
ner arbeitsteiligen Weltwirtschaft mit mehreren Milliarden Menschen nicht nur bestehen, sondern unseren
Wohlstand halten und möglichst steigern wollen.
({71})
Was angesichts der Globalisierung, der zunehmenden
Alterung unserer Gesellschaft und nach wie vor knapper
öffentlicher Finanzen gewiss kein Zukunftsversprechen
birgt, ist eine Haltung, nach der das Wachstum der Wirtschaft etwas Urwüchsiges und Automatisches zu sein
scheint, von dem alle gern profitieren, allerdings ohne
sich über die Voraussetzungen dazu Gedanken zu machen. Vielleicht sollte man nicht nur auf die Verteilungsseite gucken. Vielleicht sollte man auch einmal auf die
Erwirtschaftungsseite schauen.
Das Bild von dem Boot, in dem wir alle sitzen, ist
- wie ich weiß - überstrapaziert, aber nicht falsch. Das
Problem ist, dass unser Boot nicht auf einem stehenden,
ruhigen Gewässer schwimmt, sondern in einer sehr dynamischen Strömung. Sobald wir aufhören zu rudern,
werden wir - ob wir es wollen oder nicht - von der Strömung zurückgetrieben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass
unser Boot - will sagen: unsere Gesellschaft - dabei
auch Zerreißproben unterworfen werden kann.
Vernünftige Antworten auf die beschriebenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen
sind mit Sicherheit nicht im Populismus, in einer Realitätsverweigerung, in einer internationalen Isolierung unseres Landes oder in der Flucht in die alten Kategorien
des Nationalstaates zu finden. Ich sehe mir die Politikangebote der Linkspartei zu Wirtschaft und Finanzen
- soweit diese überhaupt vorliegen - an. Sie haben ja
kein Programm.
({72})
- Nein, das haben Sie nicht. Ich kenne kein Programm
der Linkspartei. Wenn ich mir dieses Politikangebot ansehe, dann bemerke ich: Die Linke verfolgt eine antike
nationalökonomische Vorstellung als Antwort auf die
Herausforderung der Globalisierung. Ihre protektionistischen Vorstellungen laufen für ein Land wie Deutschland, das sage und schreibe 40 Prozent seiner
Wirtschaftsleistungen in Außenwirtschaftsbeziehungen
generiert, auf den Verlust von Wohlstand hinaus.
({73})
In der Sozialpolitik verfolgt die Linkspartei einen Sozialstaatskonservatismus, der einerseits Millionen von
Menschen nur als Opfer in einer allumfassenden Alimentation gefangen hält, der andererseits ohne erhebliche Belastungen auch und gerade einer noch solidaritätsbereiten Mittelschicht nicht zu finanzieren ist.
({74})
Die Linkspartei hat ein Menschenbild, nach dem es
nur kleine, nur schwache und nur arme Menschen gibt,
denen mit gigantischen Staatsprogrammen in jeder Lebenslage geholfen werden muss. Dieses Bild nimmt den
Menschen ihre Würde. Dieses Menschenbild macht die
Menschen zu Bittstellern, zu Abhängigen und zu Verlierern.
({75})
Die haushalts- und finanzpolitischen Positionen der
Linkspartei stehen allen Bemühungen um eine Konsolidierung der Staatsfinanzen - vor allem im Interesse einer
größeren Generationengerechtigkeit - diametral entgegen. Die von ihr vorgelegten finanzpolitischen Vorschläge führen zu Mehrbelastungen von über 150 Milliarden Euro. Zum Ausgleich soll, glaube ich, mal eben
auch der Rentenversicherungsbeitrag auf 28 Prozent erhöht werden.
({76})
Das entspräche 60 Prozent des Gesamtvolumens des
Haushaltes, den wir vorlegen. All das geht aus den Vorschlägen hervor, die mir von Ihnen bekannt geworden
sind. Selbstredend ließe sich das nicht über eine noch so
konfiskatorische Reichensteuer finanzieren. Nein, das
liefe auf eine auch im internationalen Vergleich leistungsfeindliche Steuer- und Abgabenbelastung selbst für
die untere Mittelschicht hinaus.
Ich will im Rahmen dieser Rede deutlich unterstreichen, meine Damen und Herren, dass meine Partei, die
SPD, nicht linkspopulistischen Vorgestrigen die Deutungshoheit über das überlässt, was zeitgemäße Politik
ist.
({77})
Wir stehen für eine Politik, die gleichzeitig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands und den Zusammenhalt dieser Gesellschaft gewährleistet.
({78})
Folgendes unterscheidet uns fundamental von der Linkspartei: Wir wollen freie, selbstbewusste und solidarische
Bürgerinnen und Bürger unterstützen. Wir sehen die
Menschen nicht als Opfer der Globalisierung oder eines
anonymen internationalen Finanzkapitals, sondern wir
sehen die Menschen als Bürger, denen bei der Bewältigung der Veränderungen so geholfen werden muss, dass
sie befähigt werden, mit dem Wandel fertig zu werden.
({79})
Die Konsolidierung der Staatsfinanzen über eine solide Haushalts- und Finanzpolitik ist und bleibt das Markenzeichen der Großen Koalition. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass wir bei diesem Langlauf einen guten
Zwischenstand erreicht haben. Ich bin überzeugt, dass
die Bürgerinnen und Bürger von uns erwarten, die bisher
erzielten Konsolidierungserfolge nicht leichtfertig aufs
Spiel zu setzen; denn die Menschen wissen aus ihrem
privaten Umfeld und aus ihrer privaten Erfahrung: Niemand kann auf Dauer über seine Verhältnisse leben, und
niemand kann sich auf Dauer mehr leisten, als er vorher
geleistet hat, und kein Unternehmen kann sich auf Dauer
erfolgreich am Markt behaupten, wenn die finanziellen
Spielräume für notwendige Investitionen durch immer
größere Zinslasten aufgefressen werden.
Es ist uns in den letzten Jahren gelungen, eine Umkehr bei der Neuverschuldung zu bewerkstelligen. Aber
wie können wir sicherstellen, dass dieser Weg dauerhaft
eingeschlagen bleibt? Können wir uns allein auf die Einsicht von uns selbst und von der Gesellschaft verlassen?
Ich bin da skeptisch; denn wie illustre Steuerentlastungskonzepte der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zeigen,
müssen wir immer damit rechnen, dass ein politischer
oder gesellschaftlicher Konsens durch die Mobilisierung
von Partikularinteressen ausgehebelt wird. Deshalb plädiere ich dafür, dem Staat eine neue klare grundgesetzliche Regelung für seine Kreditaufnahme aufzuerlegen.
Ich plädiere für die Einführung einer Schuldenbremse,
indem der jetzige Art. 115 mit seinen Schwächen in den
Anreiz- und Sanktionsmechanismen ersetzt wird. Ich betone, damit kein Missverständnis, insbesondere vor dem
Hintergrund des Budgetrechtes des Parlamentes, aufkommt: Es geht nicht darum, das Budgetrecht des Parlamentes zu beschneiden und staatlichen Gestaltungsanspruch aufzugeben, sondern es geht im Gegenteil
darum, die Handlungsfähigkeit des Staates und des Parlamentes zu steigern.
Ein solches Projekt kann nur eine Große Koalition bewerkstelligen - niemand sonst. Wir können also, indem
wir unsere Verantwortung für die nachfolgenden Generationen wahrnehmen, etwas leisten, auf dem diese in
den nächsten Jahrzehnten aufbauen und auf das wir stolz
sein können. Es sollte uns allen eine Verpflichtung sein,
dieses große Projekt im Rahmen der Föderalismusreform II in dieser Legislaturperiode zu einem guten Abschluss zu bringen.
({80})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
Schluss sagen: Eine gestaltende und Zukunft gewinnende Finanzpolitik lässt sich natürlich nicht nur nach
Adam Riese gestalten; sie folgt auch politischen Gestaltungsansprüchen. Aber kein Rechenwerk, auch nicht
dieser Haushalt, kommt am Ende ohne Adam Riese aus.
Wenn der dicke Strich unter alles gezogen wird, dann
gibt es kein Ausweichen mehr. Dann gilt vielmehr: Soll
oder Haben, Plus oder Minus. Dann wird das Jonglieren
mit ungedeckten Schecks zur Finanzierung von
Wunschlisten ziemlich schnell entzaubert. Dann erklärt
sich die Finanzpolitik auch arithmetisch. Es erfüllt mich
deshalb mit einer gewissen Genugtuung, dass die Bundesregierung den Kurs, ab 2011 keine neuen Schulden
mehr aufzunehmen, bestätigt und fortsetzt. Das ist die
einzige Null, auf die wir in dieser Großen Koalition gemeinsam stolz sein sollten.
({81})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Kollege Jürgen Koppelin für die FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist der letzte Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode,
der beraten und auch verabschiedet wird. Insofern erlauben Sie mir, nicht irgendwelche Zeitungsüberschriften
zu zitieren, sondern in den Koalitionsvertrag - ({0})
Es wäre ja vielleicht doch ganz schön, wenn wir jetzt
wieder zu einer geordneten Debattenstruktur zurückkehren könnten und wenn die gleiche Aufmerksamkeit, die
die Regierungsbank dem Finanzminister gewidmet hat,
auch dem ersten Sprecher der Opposition zugute käme.
({0})
Bitte schön, Herr Kollege Koppelin.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will jetzt nicht
Zeitungsüberschriften zitieren wie der Bundesfinanzminister, sondern aus dem Koalitionsvertrag. Dort heißt
es - im November 2005 von den Koalitionsfraktionen
beschlossen; die CSU soll auch dabei gewesen sein -:
Unsere Haushaltspolitik wird konsequent sparsam
sein. … Alle Ausgaben stehen auf dem Prüfstand.
… Wir brauchen einen Neuanfang in der Haushaltspolitik …
Schön wäre es ja gewesen.
Der Herr Vizekanzler befindet sich gerade in einem
intensiven Gespräch; sonst hätte ich ihm noch ein Zitat
aus der Regierungserklärung von Gerhard Schröder
1999 mit auf den Weg gegeben:
Alle Ausgaben … müssen auf den Prüfstand. Der
Staat muß zielgenauer und … wirtschaftlicher handeln.
({0})
Sparhaushalte wollte diese Große Koalition vorlegen;
doch davon ist weit und breit nichts zu sehen. Sparhaushalt ist bei Ihnen, um es einmal sehr deutlich zu sagen:
Die Ausgaben steigen kräftig, und wir nehmen weiter
Schulden auf. Das nennen Sie Sparhaushalt. Das ist genau das, womit Sie uns 2009 beglücken wollen. Der
Bundeshaushalt 2009 sieht weiterhin Schulden vor, und
Sie steigern die Ausgaben, und zwar um 5,2 Milliarden
Euro; die neuen Schulden betragen 11 Milliarden Euro und das, obwohl Sie beim Bürger ordentlich abkassiert
haben, mit Mehrwertsteuer, Pendlerpauschale usw. Fast
jeder Bürger hat das erleiden müssen. Außerdem haben
Sie durch die gute Konjunktur erhebliche Steuermehreinnahmen.
Um es ganz einfach zu sagen - das kann jeder Bürger
nachvollziehen -: Am Ende der Regierungszeit von RotGrün nahm der damalige sozialdemokratische Finanzminister 31 Milliarden Euro neue Schulden auf. Inzwischen haben Sie 50 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen pro Jahr. Da müsste doch etwas übrig sein. Aber
nein, Sie nehmen weiter Schulden auf und erhöhen die
Ausgaben. Da stimmt doch irgendetwas nicht; das kann
doch jeder nachrechnen.
({1})
Ihr Fehler, der Fehler dieser Koalition, ist: Sie hätten
sich vielleicht einmal darauf besinnen sollen, zu einem
Staat der Bescheidenheit zurückzukommen und auf der
Ausgabenseite zu streichen; aber das haben Sie nicht getan, sondern Jahr für Jahr neue Schulden aufgenommen.
Ich will die Zahlen einmal deutlich machen: Allein
für den Bundeshaushalt, 2009 einbegriffen, hat diese
schwarz-rote Koalition 64 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen, und Sie wollen auch im nächsten
Jahr noch neue Schulden aufnehmen, ebenso im Jahr
2010. Dem sozialdemokratischen Finanzminister muss
man dann doch ins Stammbuch schreiben, dass die sozialdemokratischen Finanzminister Lafontaine, Eichel
und Steinbrück in zehn Jahren 280 Milliarden Euro
Schulden aufgenommen haben.
({2})
Herr Bundesfinanzminister, Sie sind mehrfach darauf
zu sprechen gekommen - teilweise war das ja richtig -,
ob das gerecht oder ungerecht war. Darauf sage ich:
280 Milliarden Schulden, ist das für die kommenden Generationen gerecht oder ungerecht? Das ist eine Hypothek, die wir aufgenommen haben. Wir alle sind verantwortlich; auch als die FDP in der Koalition war, wurden
Schulden aufgenommen.
({3})
- Entschuldigung, Herr Kollege, da würde ich nicht so
dazwischengrölen. Das ist eine Riesenhypothek für
kommende Generationen. Nicht Sie werden das abzahlen, sondern die junge Generation durch hohe Steuern
und Abgaben.
({4})
Das ist das Problem, und das ist unsere Verantwortung.
Das ist eine Hypothek. Deswegen hätten wir von den
vielen Schulden herunterkommen müssen.
Ihnen, Herr Kollege Tauss, ist, wenn Sie nur dazwischenkrakeelen, anscheinend gar nicht bewusst, dass
auch in diesem Bundeshaushalt wieder über 42 Milliarden Euro nur für Zinsen vorgesehen sind.
({5})
Das ist doch Geld, das wir anderweitig verbrauchen können. Wir brauchen nicht die Fortsetzung des Solis im Bereich Bildung; wir brauchen die Zurückführung der
Schulden und die Verminderung bei den Zinsen. Dann
haben wir Geld für die Bildung, und dann sind wir wieder bei Ihnen.
({6})
Das Ganze erinnert mich so ein bisschen - das würde
ich gern der Kollegin Künast sagen; ich sehe sie gerade
nicht - an die Sektsteuer. Die Sektsteuer wurde zur Finanzierung der kaiserlichen Marine eingeführt. Inzwischen ist die kaiserliche Marine dreimal abgesoffen; aber
die Sektsteuer haben wir immer noch. So etwas bleibt;
man lässt sich immer neue Ideen einfallen, so auch beim
Soli. Dazu sage ich: Der Soli muss weg.
Herr Minister Steinbrück, Sie sagen hier - das hört
sich ja nett an -: Ich bin nicht Dagobert Duck, der die
Golddukaten im Panzerschrank hat. - Die werden Sie
auch nicht bekommen. Sie könnten sie bekommen, wenn
Sie sparsam wären und auf der Ausgabenseite etwas machen würden. Was machen Sie und Ihre Kabinettskollegen? Sie fassen schon vorher Beschlüsse. Das Geld ist
noch gar nicht da; da haben Sie es schon zwei-, dreimal
ausgegeben. Deswegen werden Sie nie Dagobert Duck
werden. Das ist Ihr Problem.
({7})
Herr Finanzminister, Sie haben dankenswerterweise
die IKB angesprochen. Dazu sage ich Ihnen - dieser
Eindruck entsteht doch beim Bürger -: Innerhalb kürzester Zeit ist dieser Staat in der Lage, eine marode Bank
mit öffentlichen Geldern in Höhe von über 10 Milliarden
Euro zu retten. Aber wenn es um Steuersenkungen und
Rentenerhöhungen geht, dann passiert nichts. Dafür hat
der Staat anscheinend kein Geld. Das geht nicht. Sie fragen: Was hätte man denn wohl gesagt, wenn ein sozialdemokratischer Finanzminister eine Bank verstaatlicht
hätte? - Wissen Sie, was ich Ihnen darauf erwidere: Der
sozialdemokratische Finanzminister hat die Bank nicht
verstaatlicht, sondern öffentliche Gelder hineingeworfen
und sie anschließend verschenkt. Das ist das Problem.
({8})
Denn der Vorgang im Zusammenhang mit Lone Star ist
doch wie Butterbrot und Ei. Sie haben die Bank verschenkt; darüber wird noch zu reden sein.
Dann ist davon gesprochen worden - das steht auch
im Koalitionsvertrag -, dass alle Entscheidungen auf den
Prüfstein sollen und dass es keine großen öffentlichen
Zuschüsse mehr für irgendetwas geben soll. Ich sehe die
Kanzlerin - ich habe das alles noch einmal nachgelesen -: Was haben Sie denn zur Finanzierung der Gesundheitsreform, der gesetzlichen Krankenversicherung gesagt? Dort soll kein Geld hineinfließen. - Wissen Sie
denn, wie viel Sie jetzt in den Gesundheitsfonds hineinpulvern, wie hoch die Endsumme sein wird? Milliarden
wollen Sie hineinpulvern, ohne dass Sie bis heute eine
Gegenfinanzierung haben. Herr Bundesfinanzminister,
Sie haben unglaublich hohe Finanzierungslücken für die
kommende Zeit, und deswegen habe ich erhebliche
Zweifel, dass Sie mit dieser Form der Politik das Ziel
- es ist ja ehrenwert -, im Jahre 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können, erreichen werden. Ich
sage Ihnen allerdings: Mit unserer Politik hätten Sie bereits im letzten Jahr und auch jetzt einen ausgeglichenen
Haushalt gehabt. Ich erinnere an unser Sparbuch.
({9})
Sie loben sich für bestimmte Investitionen und Ausgaben. Ich nenne zum Beispiel den Straßenverkehr. Für
den Straßenbau geben Sie 1 Milliarde Euro mehr aus.
Aber nur nebenbei - damit man es nicht so genau hört erwähnen Sie, dass Sie vorher wieder abkassiert haben.
Was ist das für eine Finanzpolitik? Ich kassiere erst einmal ab und verteile dann. Ihr Problem ist: Es wird erst
einmal bei den Bürgern ordentlich abkassiert; denn der
Staat, die Regierung kann scheinbar besser mit dem
Geld umgehen als der Bürger selber. Ihr Fehler ist, nicht
zu erkennen: Der Bürger kann besser mit dem Geld umgehen. Das ist die entscheidende Botschaft.
({10})
Die Bundeskanzlerin sagt in ihren großen Reden immer, der Aufschwung sei bei den Menschen angekommen. Ich zitiere einmal:
Es ist nicht nur ein mehrheitliches Gefühl der Bevölkerung, dass sie vom Aufschwung nicht profitiert. Es ist Realität. Trotz eines gut dreijährigen
Konjunkturaufschwungs ist die reale Einkommenssituation vieler Haushalte heute schlechter als zuvor
…
Das ist leider wahr.
Dieses Zitat stammt nicht von der FDP; es stammt aus
einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Darum geht es:
Die Politik hat dafür zu sorgen, dass die Menschen wieder Geld im Portemonnaie haben und dass nicht abkassiert, noch einmal abkassiert und noch einmal abkassiert
wird.
Herr Bundesfinanzminister, Sie sagen - Sie haben es
wieder angedeutet -: Was hat die Opposition denn für
Vorschläge? Die hat ja gar keine Ahnung. - Ich nenne
Ihnen zwei Beispiele aus der Vergangenheit und ein ganz
aktuelles - ich hatte es eben schon erwähnt -: die IKB.
Die Freien Demokraten waren massiv dagegen, dass die
KfW bei der IKB einsteigt. Was sind wir für unsere Argumente beschimpft und belächelt worden! Jetzt ist die
Pleite da. Sie hätten zumindest einmal in einem kleinen
Schlenker sagen können: Es tut mir leid, die FDP hatte
damals doch recht.
({11})
Ein anderes Beispiel: die Privatisierung der Bundesdruckerei. Wie oft haben wir gesagt: Es ist Mist, was der
Eichel dort mit der Privatisierung macht. - Was machen
Sie jetzt? Jetzt nimmt der Staat alles zurück und setzt zulasten des Steuerzahlers wahrscheinlich 500 Millionen Euro dafür ein.
({12})
Ich nenne einen dritten Punkt - er ist aktuell -: Herr
Bundesfinanzminister, Sie hätten eigentlich sagen können: Die Idee meines Kollegen, des Wirtschaftsministers
Glos, dass jeder, der einen Kühlschrank kauft, 150 Euro
aus der Staatskasse bekommt, hört sich zwar nett an, ist
aber - es tut mir leid - Unsinn. Warum sagen Sie nicht:
„Das ist Unsinn; das können wir aus dem Bundeshaushalt nicht bezahlen“? Sie halten den Mund; Sie sagen
dazu überhaupt nichts.
({13})
Herr Kollege Koppelin.
Ich komme gleich zum Schluss. - Sie haben zwar
blaue Briefe verschickt, doch nichts ist daraus geworden.
Sie haben eine Riesensteigerung im Bundeshaushalt.
Deswegen sage ich Ihnen: Der Bundeshaushalt 2009 ist
gekennzeichnet durch fehlenden Ehrgeiz bei der Haushaltskonsolidierung. Sie machen neue Schulden. Alle
Prognosen, die Sie abgeben, beruhen auf einer guten
konjunkturellen Entwicklung. Ich hoffe zwar, dass die
gute konjunkturelle Entwicklung anhält, warne aber davor, sich darauf zu verlassen. Ich sage Ihnen Folgendes:
Ein ausgeglichener Haushalt im Jahr 2011 ist bereits
Vergangenheit, bevor er Gegenwart werden kann.
Herzlichen Dank.
({0})
Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, es ist ganz gut, noch einmal zum Ausgangspunkt
dieser Wahlperiode zurückzugehen. Als wir begonnen
haben, war ein Viertel unserer Staatsausgaben nicht
durch geordnete Einnahmen finanziert. Das heißt, dieses
Land war ein Sanierungsfall, es war total unterfinanziert.
({0})
Wir sollten vielleicht einmal ehrlich und ernsthaft eingestehen, dass wir über 40 Jahre deutlich über unsere Verhältnisse gelebt haben. Einen Kurs, mit dem dieser Zustand beendet werden soll, sollten wir nicht sofort
wieder durch Begriffe wie „Abkassieren“ und „Abgreifen“ diskreditieren.
({1})
Wir sollten uns zu dem Ziel bekennen, endlich keinen
unterfinanzierten Staat mehr haben zu wollen.
Lieber Herr Kollege Koppelin, Ihre Rede schien mir
eine Rede aus der Epoche der vergangenen 40 Jahren zu
sein. Das war keine Rede, die in die heutige Zeit passt, in
der wir ernsthaft darum ringen, dauerhaft strukturell
ausgeglichene Haushalte in Deutschland zu haben. Da
wollen wir hin. Das wollen wir auf Dauer festhalten.
Wenn wir uns darüber einig sind, dann können wir darüber diskutieren, welche Maßnahmen ergriffen werden
sollten, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu hätte ich einen
Beitrag erwartet und nicht einen Beitrag zur Debatte der
vergangenen 40 Jahre.
({2})
Ich möchte hier ganz klar und deutlich sagen: Trotz
aller Meldungen, die es geben mag, stehen wir zu dem
Ziel, den Haushalt in 2011 ausgleichen zu wollen. Wenn
Gewitterwolken aufziehen, müssen wir uns eben wetterfest machen, um das Ziel trotzdem erreichen zu können.
Sanierung ist für uns kein Selbstzweck. Sanierung ist
für uns Aufgabe einer generationengerechten Politik.
({3})
Wir dürfen nicht heute auf Kosten künftiger Generationen leben. Wir dürfen künftige Generationen nicht die
Schulden und die Zinsen für das, was wir heute tun, zahlen lassen. Der Sanierungskurs ist ein Angebot an uns
alle; denn nur wenn wir heute keine Schulden machen,
haben wir als Abgeordnete morgen einen Spielraum für
vernünftige Entscheidungen. Deshalb ist der Sanierungskurs kein Selbstzweck, sondern politisch sinnvoll. Nur
so ist es uns auch in Zukunft möglich, Politik zu gestalten. Deshalb wollen wir sanieren.
({4})
Sanierung ist auch die Voraussetzung für eine nachhaltige Entlastung der Menschen in unserem Land, worüber so viele reden; denn durch Sanierung schaffen wir
Spielräume für Erleichterungen bei Steuern und Abgaben. Ich sage eindeutig: Die Union will mittelfristig eine
Entlastung der Menschen, insbesondere der Leistungsträger. Deswegen wollen wir jetzt sanieren. Wir wollen
die Voraussetzung für eine nicht schuldenfinanzierte,
sondern haushalterisch solide gestaltete Entlastung
schaffen.
Der Dreiklang unserer Politik lautet: Wir wollen sanieren, wir wollen reformieren, und wir wollen investieren. Mit diesem Haushalt halten wir an diesem Kurs fest.
Wenn wir über diese drei Positionen debattieren, werden
wir immer wieder mit dem Anspruch einer gestaltenden
Finanzpolitik konfrontiert, den auch der Herr Bundesfinanzminister heute Morgen hier formuliert hat. Als Mathematiker bin ich an dieser Stelle etwas bescheidener.
Mir reicht es aus, wenn wir es schaffen, quantitativ und
qualitativ ordentliche Haushalte vorzulegen. Als Finanzpolitiker bin ich dann gerne bereit, auf diesen Gestaltungsanspruch zu verzichten. Nach meiner Einschätzung
hat er nämlich dazu geführt, dass wir hinsichtlich der
Konsolidierung noch nicht ganz so weit sind, wie wir
vielleicht hätten sein können, und das vor dem Hintergrund einer Eintrübung der konjunkturellen Rahmenbedingungen. Deshalb hätte ich mir gewünscht, dass wir
nicht den Gestaltungsanspruch, sondern den Konsolidierungsanspruch stärker zum Ausdruck bringen.
Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass es heute
Morgen eine ganze Reihe von Hinweisen auf den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt gab. Herr Bundesfinanzminister, mir haben diese Hinweise ausgesprochen gefallen. Ich sage Ihnen für die Unionsfraktion hier
zu, dass wir nicht nur bei der Aufforderung, die strukturellen Reformen, die wir bewerkstelligt haben, umzusetzen, sondern auch bei dem Anspruch, diese strukturellen
Reformen in den nächsten zwölf Monaten weiter zu betreiben, fest und ganz an Ihrer Seite stehen. Wir hoffen,
dass die Koalition insgesamt das, was Sie hier als Anspruch formuliert haben, umsetzt. Denn ich glaube, die
strukturellen Rahmenbedingungen haben uns in die Lage
versetzt, dass die Gewitterwolken uns nicht allzu sehr
beeindrucken. Deshalb müssen wir bei den strukturellen
Verbesserungen weiterarbeiten.
({5})
Wenn ich über Strukturen rede, denke ich an Bürokratieabbau. Da haben wir uns klare Ziele vorgegeben. Wir
sollten uns an diesen klaren Zielen messen lassen. Eine
große Herausforderung ist nach meiner Einschätzung die
Energiepolitik. Meine Fraktion hat die klare Ansage gemacht - Sie haben das heute Morgen beschrieben, Herr
Steinbrück -, dass wir keinen Zuwachs an Belastungen
in Form von Steuern auf Energie wollen. Insgesamt wollen wir keine staatliche Induzierung von höheren Kosten
für Energie. Wir wollen, dass der Staat den Bürger bei
den Energiepreisen in Zukunft nicht noch mehr belastet.
Dieser Anspruch geht weit über den Bereich der Steuern hinaus. Wenn wir diesen Anspruch mit unseren klimapolitischen Zielen - Ausbau regenerativer Energien,
Reduzierung der CO2-Emissionen - ernsthaft verbinden
wollen, dann wird es notwendig sein, dass wir im Sinne
unserer Fraktionsbeschlüsse in Bezug auf die Energiepreise den Menschen ein Stück weit Entlastung verschaffen, sodass die künftig auftretenden Belastungen
nicht in ihrem Geldbeutel zu spüren sind. Dafür haben
wir Vorschläge gemacht. Ich hoffe und wünsche, dass
diese Vorschläge breite Unterstützung finden.
({6})
Wir haben im strukturellen Bereich einen weiteren
Punkt: die Lohnnebenkosten. Wir haben immer gesagt:
40 Prozent ist aus unserer Sicht ein Ziel, das wir ansteuern wollen. Zu dem Zeitpunkt hat sich die Diskussion
weniger auf die zweite Nachkommastelle bezogen als
vielmehr auf die Größenordnung insgesamt. Denn wir
waren aufgrund der demografischen und anderer Entwicklungen 2 oder 3 Prozent von diesem Ziel entfernt,
und es gab die Tendenz, dass es dort in Zukunft zu weiteren Steigerungen hätte kommen können. Wir haben es
in dieser Koalition zunächst einmal geschafft, auf etwa
40 Prozent zu kommen. Die Aufgabe bei den Entscheidungen zum Gesundheitswesen und zum Arbeitsmarkt
wird jetzt sein, dafür zu sorgen, bei den 40 Prozent zu
bleiben und die Weichen langfristig so zu stellen, dass
sich dieser Wert nicht wieder nach oben entwickelt.
({7})
Deshalb ist der Anspruch, den wir beim Arbeitslosenversicherungsbeitrag gesetzt haben, richtig: Wir wollen die
Chance nutzen, auf 2,8 Prozent zu gehen, um damit insgesamt mehr Chancen für Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt zu schaffen.
({8})
Deshalb wollen wir uns diesem Ziel stellen.
Lieber Herr Kuhn, wir nehmen die Hinweise, dass
dies ein ehrgeiziges Ziel ist, sehr ernst. Aber wenn es ein
ehrgeiziges Ziel ist, dann sollten wir uns dadurch herausgefordert fühlen, erstens zu sagen, dass wir es wollen,
zweitens Akteure in diesem Bereich dadurch unter einen
gewissen Erfolgsdruck zu setzen und drittens diesen Akteuren Rückhalt aus der Politik zu geben, damit sie durch
Veränderungen in ihrem Bereich vielleicht dazu beitragen, dass diese 2,8 Prozent solide und nachhaltig finanziert sind. Darum werben wir. Deshalb werden wir als
Unionsfraktion dies nicht nur fordern, sondern auch
deutlich machen, dass wir hinter dieser Forderung und
den damit verbundenen Konsequenzen stehen und dies
vertreten.
({9})
Ich will deutlich machen, dass wir alles unterlassen
sollten, was den ersten Arbeitsmarkt stört. Wir können
sehr stolz sein auf das, was dort in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Ich denke an den Aufbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Wir müssen jetzt alles unterlassen, was dies zerstört. Deshalb bin ich der
Meinung, dass unsere Position richtig ist: kein gesetzlich
verordneter Mindestlohn. Denn dieser würde dazu führen, dass Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt verloren
geht.
({10})
Er würde auch dazu führen, dass uns Einnahmen verloren gehen und Ausgaben aufwachsen. Deshalb ist das
eine wichtige Frage, über die wir an dieser Stelle miteinander reden müssen.
({11})
- Ich glaube, dass der Aufbauerfolg, wenn er nachhaltig
sein soll, liebe Frau Kollegin, auch darin zu sehen ist,
dass die Menschen eine Perspektive im ersten Arbeitsmarkt geboten bekommen.
({12})
Ich will daran anknüpfen und darauf hinweisen, dass
wir gerade dabei sind - auch dieses Stichwort ist heute
Morgen gefallen -, zu überlegen, wo noch Potenziale
stecken. Ich glaube, im ersten Arbeitsmarkt stecken noch
Potenziale im Bereich der Privathaushalte als Arbeitgeber, und zwar sowohl bei der Betreuung von Kindern als
auch bei der Versorgung von älteren Menschen, die pflegebedürftig sind, im eigenen Wohnumfeld. Es ist eine
menschliche Herausforderung, hier andere Rahmenbedingungen zu schaffen.
Allerdings muss ich auch feststellen, dass es hier sehr
viele Arbeitsplätze gibt, die im grauen Bereich anzusiedeln sind. Das dürfen wir nicht nur zur Kenntnis nehmen. Vielmehr muss unser Anliegen sein, diese Arbeitsplätze, die nachgefragt werden, in den legalen bzw. den
weißen Bereich zu überführen. In diesem Bereich gibt
es, was den Aufwuchs von Arbeitsplätzen betrifft, noch
Potenzial. Hierfür müssen wir die notwendigen Voraussetzungen schaffen. Dieser Aufgabe sollten wir uns dringend zuwenden.
({13})
Im Hinblick auf die Familien dürfen wir keinen Gegensatz schaffen, wenn es um die Frage geht: Wollen wir
mehr Betreuung, oder wollen wir eine bessere finanzielle Ausstattung der Familien?
({14})
Ich denke, das ist die falsche Alternative.
({15})
Wir wollen beides. Im vergangenen Jahr haben wir die
Voraussetzungen für den Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten geschaffen. Jetzt werden wir in gemeinsamer Verantwortung mit den Kommunen die notwendigen
Voraussetzungen für die Vernetzung der Betreuungsangebote schaffen. Allerdings müssen wir auch unsere
Aufgabe wahrnehmen, die Familien finanziell so auszustatten, dass sie die Herausforderungen der Zeit bewältigen können. In diesem Zusammenhang lauten die Stichworte Kindergrundfreibetrag und Kindergeld.
({16})
Diese Maßnahmen wollen wir trotz aller Probleme umsetzen.
({17})
Ich habe bereits gesagt, dass es nicht nur um die
Quantität, sondern auch um die Qualität geht. Im Hinblick auf die Qualität stellt sich die Frage: Was tun wir,
um in Zukunft ohne Steuererhöhungen Mehreinnahmen
zu akquirieren? Um das zu schaffen, müssen wir die Voraussetzungen für mehr Wachstum und Beschäftigung in
unserem Lande verbessern. Es ist richtig - davon bin ich
fest überzeugt -, dass wir in diesem Haushalt das Lissabon-Ziel, 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben, umsetzen.
({18})
Das hat zwar Mehrausgaben zur Folge, ist aus meiner
Sicht aber richtig.
({19})
- Natürlich tun wir das. Wir haben in diesem Haushalt
rund 11 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung
bereitgestellt. Im kommenden Jahr packen wir noch eine
knappe halbe Milliarde Euro obendrauf.
({20})
Wir steuern dieses Ziel an, und im Jahre 2010 werden
wir es erreichen.
({21})
- Ja, natürlich. Jetzt geht es um den Haushalt 2009. Im
Jahre 2010 wird der Bund den Anteil, für den er verantwortlich ist, zur Verfügung stellen. Um das Ziel von
3,0 Prozent des BIP zu erreichen, brauchen wir natürlich
auch die Länder und die Akteure in der Wirtschaft. Wir
können Forschung nicht staatlich verordnen. Wir können
nur die Voraussetzungen schaffen. Daher brauchen wir
an dieser Stelle die Mitwirkung der privaten Akteure.
Meine letzte Bemerkung. Wir sollten auch die Mittel
für Verkehrsinvestitionen weiter erhöhen; denn Mobilität ist eine zwingende Voraussetzung für mehr Wachstum und Beschäftigung. Es ist richtig, dass wir, obwohl
wir das Ziel der Haushaltssanierung verfolgen, an dieser
Stelle einen Akzent setzen, um mehr Investitionen in die
Verkehrswege zu ermöglichen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({22})
Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch,
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kurt Beck hatte seiner Partei ein ehrgeiziges Ziel
verordnet: „Nah bei den Menschen“. Doch wie er feststellen musste, befand er sich nicht unter Gleichgesinnten, sondern in einem Wolfsrudel. Wir, die Linke, sind
wirklich nah bei den Menschen.
({0})
Wir kennen und unterstützen die Forderungen der Menschen.
({1})
Herr Steinbrück, natürlich haben wir ein Programm;
das wissen Sie so gut wie wir alle.
({2})
Zur allgemeinen Information sage ich: In Deutschland
gibt es ein Parteiengesetz, das vorschreibt, dass eine Partei nur dann als solche zugelassen werden darf, wenn sie
ein Programm hat. Das gilt natürlich auch für uns.
({3})
- Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen unser
Programm nicht passt, ist ein anderes Thema. Das haben
wir bereits erkannt.
({4})
Natürlich waren wir nicht überrascht, von Ihnen wieder einmal den billigen Vorwurf des Populismus zu hören. Ich sage Ihnen ganz klar: Von Leuten, die sich mit
großer Arroganz über den Willen von Millionen Menschen hinwegsetzen, die gegen den erklärten Willen der
Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Krieg in Afghanistan führen und gegen den erklärten Willen der Mehrheit die Rente mit 67 eingeführt haben, lasse ich mir keinen Populismus vorwerfen.
({5})
Die Linke gibt vielen Menschen wieder eine Stimme, die
jahrelang von den anderen Parteien nicht beachtet wurden.
Wenn wir heute den Entwurf des Bundeshaushalts
2009 betrachten, müssen wir die Frage stellen, ob dieser
Haushaltsentwurf wirklich nahe bei den Problemen der
Menschen ist und welchen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit er wirklich leistet.
Was Sie hier über die Situation am Arbeitsmarkt erzählt haben, Herr Steinbrück, geht am Leben völlig vorbei. Über die Verfälschung der Arbeitslosenstatistik werden wir am Donnerstag beim betreffenden Haushalt
noch im Detail sprechen. Vielleicht nur eine Position, die
uns alle zum Nachdenken veranlassen sollte: In den vergangenen zehn Jahren wurden anderthalb Millionen normale Arbeitsverhältnisse in Deutschland abgebaut. Im
gleichen Zeitraum sind aus zweieinhalb Millionen prekären Arbeitsverhältnissen fast 8 Millionen geworden.
Was heißt denn das? Das heißt übersetzt, dass Menschen
in unsicheren Verhältnissen leben, dass sie von Miniund Midijobs leben müssen, dass sie einen Lohn erhalten, von dem sie ihr Leben nicht bestreiten können.
Wenn das Ihre Erfolge auf dem Arbeitsmarkt sind, dann
werden Sie meines Erachtens in der Bevölkerung dafür
keine Unterstützung finden.
({6})
In den nächsten Tagen werden wir noch sehr intensiv
über die Nettoneuverschuldung diskutieren. Jeder hat
eine andere Zahl im Kopf. Der Ehrgeiz wird sein, sie
einstellig zu bekommen; das haben wir schon erkannt.
Ich sage Ihnen aber ganz klar: Wir müssten heute schon
keine neuen Kredite aufnehmen, wenn Sie nicht in den
vergangenen Jahren Milliarden an Unternehmen und
Wohlhabende verschenkt hätten. Allein durch die letzte
Unternehmensteuerreform fehlen uns etwa 10 Milliarden
Euro in den öffentlichen Kassen.
({7})
Die Rettung der privaten Industrie- und Kreditbank IKB
kostet uns allen zusätzlich 10 Milliarden Euro. Wegen
der Steuergeschenke von Hans Eichel an Unternehmen
und Wohlhabende fehlen uns weitere 50 Milliarden
Euro. Ich könnte diese Aufzählung fortsetzen. Es zeigt
sich: Die Regierung verfährt nach einem ganz simplen
Muster: Sie verteilt von unten nach oben, rechnet sich
arm, um dann zu erklären, dass es an die Bedürftigen
nichts mehr zu verteilen gebe. Das ist eine Politik, die
meines Erachtens verlogen ist. Darüber muss man immer wieder aufklären.
({8})
Natürlich ist es sinnvoll, einen Kredit aufzunehmen,
um eine Schule oder eine Universität zu bauen. Verantwortungslos ist es allerdings, einen Kredit aufzunehmen,
um in Afghanistan oder anderswo in der Welt Waffen
auszuprobieren.
({9})
Kredite, die wir heute aufnehmen, um die Zukunft unserer Kinder und Enkel zu sichern, sind wichtig und notwendig. Deshalb fordert die Linke gerade in Zeiten des
konjunkturellen Abschwungs ein Zukunftsinvestitionsprogramm.
({10})
Kredite, mit denen veraltete Raketen wie die PARS 3
- Stückpreis 1,3 Millionen Euro - finanziert werden,
sind dagegen herausgeschmissenes Geld. Davon werden
unsere Kinder und Enkel nichts haben.
({11})
Wir müssen heute in die Zukunft unserer Kinder investieren. Wer das nicht versteht, der setzt die Zukunft der
nächsten Generation aufs Spiel.
Ich darf daran erinnern, dass natürlich schon unsere
Vorfahren Kredite aufgenommen haben, zum Beispiel
damit in unserem Land eines der modernsten und leistungsfähigsten Eisenbahnnetze der Welt entstehen konnte.
Das waren Investitionen in die Zukunft, von denen wir
noch heute profitieren. Allerdings konnten unsere Vorfahren nicht ahnen, dass CDU/CSU und SPD dieses Kapital eines Tages verscherbeln wollen. Bismarck würde
sich im Grabe umdrehen, wenn er sehen könnte, wie
seine Nachfolger mit der Bahn umgehen.
({12})
Lieber Herr Kollege Fromme, liebe Kollegen von der
CDU, ich empfehle Ihnen, sich nicht nur mit Adenauer
zu beschäftigen, sondern auch mit Bismarck. Von ihm
könnten Sie auch etwas über die Bedeutung eines guten
Verhältnisses zwischen Russland und Deutschland lernen.
({13})
Doch in dieser Frage konsultiert die Kanzlerin lieber
George Bush und nimmt die Zerschlagung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Russland billigend in
Kauf. Die „New York Times“ berichtete am 8. September aus dem Wahlkreis von Frau Merkel unter der Überschrift: Es ist die Ökonomie und nicht Russland, was den
Deutschen Sorgen macht. - Ich denke, das hat diese Zeitung gut beobachtet. Viele Bürger sehen in den Nachrichten die Kanzlerin und den Kanzlerkandidaten um die
Welt reisen und fragen sich: Was wird eigentlich aus
uns?
In der „Süddeutschen Zeitung“ las ich die Überschrift
„Gutverdiener schultern den Haushalt“. Das hat Herr
Steinbrück mit anderen Worten auch gesagt. Damit wird
der falsche Eindruck vermittelt, dass der Haushalt ausschließlich aus der Lohn- und Einkommensteuer gespeist wird. Doch schon durch die Zahlen des Finanzministeriums wird uns gezeigt, dass weit mehr
Einnahmen aus der Mehrwertsteuer und der Energiesteuer als aus der Lohn- und Einkommensteuer erwartet
werden. Es ist also eine völlig unzulässige Verkürzung,
zu behaupten, dass die Besserverdienenden den Haushalt
tragen; denn Mehrwert- und Energiesteuer müssen wir
alle zahlen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
alle Bürgerinnen und Bürger an die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik und den
größten Wahlbetrug erinnern. Die SPD erklärte, sie
wolle die Mehrwertsteuererhöhung auf keinen Fall mitmachen, und die CDU/CSU kündigte eine Erhöhung um
2 Prozent an. Wir alle wissen, dass 3 Prozent herausgekommen sind. Diese Koalition, die die Wähler 2005 so
betrogen hat, erklärt, dass sie nach der Bundestagswahl
2009 - die Große Koalition ist augenscheinlich auf
Dauer geplant - die Steuern senken will. Wer soll das
noch glauben?
({14})
Die EU-Finanzminister haben in den letzten Tagen einen alten Vorschlag der Linken aufgegriffen, nämlich arbeitsintensive Dienstleistungen wie Reparaturarbeiten,
nur mit einem verminderten Mehrwertsteuersatz zu belasten. Herr Steinbrück hat diesen Vorschlag natürlich
umgehend zurückgewiesen, weil Steuersenkungen angeblich keine Auswirkungen auf die Preise hätten. Herr
Steinbrück, erstaunlich ist aber, dass im letzten Jahr der
Mehrwertsteuersatz für Seilbahnfahrten auf Wunsch der
CSU reduziert wurde, ohne dass ich lauten Protest von
Ihnen gehört habe.
({15})
- Ja, für Seilbahnfahrten. Das sollte sich jeder Bürger
einmal durch den Kopf gehen lassen. - Wir als Linke
fordern den verminderten Mehrwertsteuersatz von 7 ProDr. Gesine Lötzsch
zent nicht nur für arbeitsintensive Dienstleistungen, sondern auch für Medikamente und Bedarfsartikel für Kinder.
({16})
Ich habe schon unterstrichen, dass wir ein Investitionsprogramm fordern, mit dem die Zukunft der nächsten Generation gesichert wird. Es geht aber nicht nur um
die Zukunft, sondern auch um die Gegenwart. Darum
möchte ich an dieser Stelle unsere Forderung nach einem
gesetzlichen Mindestlohn, von dem die Menschen in
Würde leben können, noch einmal ausdrücklich unterstreichen.
({17})
Herr Steinbrück, dieser Mindestlohn hätte auch noch den
schönen Nebeneffekt, dass die öffentlichen Haushalte
entlastet würden. Allein für die Einkommensaufstocker
- das sind Menschen, die von ihren Löhnen nicht leben
können und deshalb staatliche Hilfen benötigen - wurden im letzten Jahr 9 Milliarden Euro ausgegeben.
Damit wird der Staat immer mehr zur zentralen Lohnauszahlstelle für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter miserabel bezahlen. Diese dauerhafte Subventionierung
von Unternehmen hat doch nun wirklich nichts mit
Marktwirtschaft zu tun. Das ist reiner Staatsdirigismus.
({18})
Wir fordern eine Aufstockung des Arbeitslosengeldes II, des Mindestelterngeldes und des Kindergeldes.
Die Bundesregierung will jetzt monatlich 10 Euro mehr
Kindergeld bezahlen. Das ist nicht einmal der Inflationsausgleich.
Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen schon einige Vorschläge für mehr Steuergerechtigkeit und mehr
Einnahmen benannt. Abschließend kann ich Ihnen noch
Beispiele dafür nennen, wo wir im Haushalt kräftig sparen können. Es ist aus meiner Sicht wirklich erstaunlich,
wie sorgfältig die Koalitionsfraktionen die Wunschliste
der Rüstungslobbyisten abarbeiten.
({19})
Ich will nicht alle nutzlosen Rüstungsprojekte benennen. Doch denken Sie einfach einmal darüber nach:
Großbritannien möchte den Eurofighter nicht mehr; wir
wollen ihn weiter finanzieren.
({20})
Ich glaube, wir sollten uns ab und zu auch einmal bei unseren europäischen Nachbarn umschauen.
Mit dem Haushaltsentwurf 2009 sind Sie weit von
den Problemen der Arbeitnehmer, der Arbeitslosen, der
Familien und der Rentner entfernt. Sie sind nicht nahe
bei den Menschen; Sie sind nahe bei den Wirtschaftsund Rüstungslobbyisten. Der einzige, der mir wirklich
nahe bei den Menschen zu sein scheint, ist Herr
Schäuble - mit seinen Kameras, Mikrofonen, Trojanern
und Spürhunden. Das war mit „nahe bei den Menschen“
aber wohl nicht gemeint.
Vielen Dank.
({21})
Joachim Poß von der SPD-Fraktion ist der nächste
Redner.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute Morgen von der Opposition zwei
sehr unterschiedliche Reden gehört. Die eine Rede war
von Herrn Koppelin, also dem klassischen Vertreter des
Raubtierkapitalismus.
({0})
- Herr Koppelin, Sie sind doch stolz darauf, dass Ihre
Partei als einzige reinrassig für unbeschränkte Marktwirtschaft eintritt. Sie haben doch gegen jeden Vorschlag
gewettert, der eine Regulierung der Finanzmärkte oder
eine leistungsgerechte Finanzierung des Gemeinwesens
bedeutet. Das ist nun einmal Ihr Profil. Inzwischen müssen Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Ereignisse über
Sie hinweggehen und Sie nicht mehr mitkommen.
({1})
Insofern hat der Kollege Meister recht: Über Sie ist die
Zeit hinweggegangen, Herr Koppelin. Ich habe den Eindruck, das gilt für die ganze FDP. Das zeigt Ihr Beitrag
zur Haushaltsdiskussion.
({2})
Die andere Rede war von einer Vertreterin der Ideologen der Verstaatlichung, die auch keine zeitgemäßen
Antworten auf die Probleme und Herausforderungen haben, mit denen wir es zu tun haben. Ich finde das sehr informativ. Ich fürchte die Auseinandersetzung mit Vertretern dieser Geistesrichtung überhaupt nicht; denn sie
gehen an den Realitäten vorbei.
({3})
Sie spielen in einer virtuellen Realität und können deswegen den Menschen keine realitätstüchtigen Antworten
geben. Die Menschen in unserem Land können diese
aber verlangen. Die Sozialdemokratie steht dafür, diese
Antworten zu geben.
({4})
Frau Lötzsch, Ihre eigentliche Stärke ist die vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit.
({5})
Sie bringen nicht einmal Halbwahrheiten. In Deutschland gibt es Probleme, auch mit der Armut. Aber wir le18560
ben nicht in einem „Elendsquartier“. Diese Behauptung
ist eine Beleidigung für alle Bürgerinnen und Bürger, die
hier leben und arbeiten.
({6})
Ihre Täuschungen lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
Die Wahrheit über die Steuerpolitik der rot-grünen Regierungszeit, die auch von Hans Eichel zu verantworten
ist, ist, dass wir im Wesentlichen fast 60 Milliarden Euro
- das kann zahlenmäßig belegt werden - für die steuerliche Entlastung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Familien mit Kindern und den wirtschaftlichen
Mittelstand ausgegeben haben. Die steuerliche Belastung im Jahre 2008 ist für Alleinstehende wie für Familien mit Kindern wesentlich niedriger als noch im Jahre
1998. Sagen Sie das einmal der Bevölkerung; denn das
sind die Fakten, mit denen wir es zu tun haben.
({7})
Ich sage nicht, dass angesichts sicherlich mancher Belastung, die auf der anderen Seite hinzugetreten ist, an dieser Stelle nicht noch mehr getan werden muss. Aber wir
müssen nun einmal von Zahlen und Fakten ausgehen.
Das gilt genauso für die Neuverschuldung. Die
Frage, die heute gestellt worden ist, ist: Haben wir richtig konsolidiert? Hier ist heute der Vorwurf gemacht
worden, wir hätten im Aufschwung nicht richtig konsolidiert. Dieser Vorwurf ist falsch. Ein Haushalt besteht immer aus mehr als nur der Nettokreditaufnahme. Wir finanzieren mit dem Haushalt 2009 zum Beispiel wichtige
gesellschaftspolitische Fortschritte, für die vor allem wir
Sozialdemokraten uns eingesetzt haben;
({8})
das sind keine Wahlgeschenke, wie manche Kommentatoren schreiben. Damit meine ich etwa die umfangreichen Verbesserungen beim Wohngeld. Zum ersten Mal
seit 2001 wurde die Höhe des Wohngelds an die gestiegenen Kosten angepasst. Künftig wird es zudem eine
bessere Berücksichtigung der Heiz- und Energiekosten
geben. Weiter sind im Haushalt Verbesserungen beim
BAföG oder auch die Ausweitung des Kinderzuschlages
vorgesehen. Das sind gesellschaftspolitisch ganz wichtige Punkte.
({9})
Wer behauptet, wir würden nicht sparen, der soll sagen, ob er diese Verbesserungen streichen will.
({10})
Damit richte ich mich an die FDP und die Grünen. Sie
müssen konkret erklären, ob sie die Verbesserungen, die
wir durchgesetzt haben, wieder streichen wollen.
({11})
Mehr sparen hieße, auf diese sozialen Verbesserungen zu
verzichten. Angesichts der aktuellen konjunkturellen
Entwicklung wäre das zudem gänzlich kontraproduktiv.
Der Bundesfinanzminister hat in einer, wie ich finde,
ungewöhnlich informativen Rede über weitere Entlastungen gesprochen.
({12})
- Herr Koppelin, ich habe von einer „ungewöhnlich
informativen Rede“ gesprochen, weil es selten die Gelegenheit gibt, in etwas mehr als einer Stunde die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge so darzustellen, wie es
heute Morgen Herr Steinbrück sehr gekonnt gemacht
hat. Ich fand das sehr beeindruckend.
({13})
- Mein Eindruck ist, dass Sie diese Information nötiger
haben als die Kolleginnen und Kollegen meiner Fraktion.
({14})
Im Haushalt ist auch zusätzlich 1 Milliarde Euro für
Familien mit Kindern vorgesehen. Nach Vorlage des
Existenzminimumberichts in ein paar Wochen werden
wir in der Koalition entscheiden, wie die Mittel am besten einzusetzen sind.
In diesem Kontext muss auch die Bildung angesprochen werden. Der Bund hat im Bildungsbereich nur wenige Kompetenzen.
({15})
Hier sind dem Einsatz von Bundesmitteln Grenzen gesetzt. Der Erfolg der Bildungsoffensive, von der zu
Recht so oft die Rede ist, steht und fällt daher mit dem
finanziellen Einsatz der Länder. Ich kann deshalb nicht
nachvollziehen, warum auch Ländervertreter offensichtlich bereit sind, ein Auslaufen der Erbschaftsteuer
2009 hinzunehmen oder sogar darauf hinzuarbeiten. Wie
wollen Sie Bildung und Betreuung finanzieren, wenn
den Ländern die derzeit 4 Milliarden Euro aus dem Erbschaftsteueraufkommen nicht mehr zur Verfügung stehen?
({16})
Ich kann die Vertreter der bayerischen CSU wie auch
Herrn Rüttgers - den Sozialapostel aus Nordrhein-Westfalen, der für das Auslaufen der Erbschaftsteuer plädiert
hat - nicht verstehen, die ohne Rücksicht auf ihre eigenen Länder ausschließlich im Interesse von Millionenund Milliardenerben agieren. Das ist die Wahrheit. Alle
anderen Erben haben mit der Erbschaftsteuer nicht mehr
viel zu tun.
Die SPD erwartet daher, dass es bei der klaren Zusage
von Frau Merkel und Herrn Kauder bleibt, in der Union
dafür zu sorgen, dass unmittelbar nach der Landstagswahl in Bayern die Erbschaftsteuerreform in trockene
Tücher kommt, und zwar verfassungsfest.
({17})
Ein weiteres wichtiges Kriterium zur Beurteilung eines vorgelegten Bundeshaushaltes ist die Frage, ob er
angemessen auf die aktuelle konjunkturelle Situation
eingestellt ist. Zur konjunkturellen Entwicklung hat Peer
Steinbrück heute, wie ich finde, ausreichend Stellung genommen. Er hat auch nicht verschwiegen, dass die Entwicklungen im Bankensektor in den USA bedrohlich
sind,
({18})
und festgestellt, dass die Kombination aus der inzwischen über ein Jahr währenden Krise an den internationalen Finanzmärkten und den kräftig gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen für die Unternehmen wie für
die Menschen weltweit eine große Herausforderung darstellt.
Aber auch wenn in diesem Quartal das Wachstum
noch einmal ein Minus aufweisen sollte und man vielleicht technisch von einer Rezession sprechen könnte,
wäre es nicht verantwortungsvoll von der Politik - egal
ob in einer Regierungsfraktion oder der Opposition -,
die Lage schwarzzumalen und sozusagen politisch zu
missbrauchen, indem eine Rezession herbeigeredet wird,
die wir nicht haben - das zeigen auch die Wachstumszahlen - und angesichts der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sehr wahrscheinlich auch im nächsten Jahr
nicht haben werden.
Meine herzliche Bitte ist, dass Sie der Verantwortung
in diesem Land gerecht werden. Ich habe die Ausführungen von Herrn Westerwelle und anderen, die zu diesem
Thema geredet haben, verfolgt. Das ist nicht hinzunehmen. Wir sägen damit höchstens den Ast ab, auf dem wir
alle sitzen.
Weil wir so gut aufgestellt sind, haben wir die
Chance, mit dieser Krise fertigzuwerden, vielleicht sogar
besser als mit dem Crash, den wir 2001 erlebt haben.
Wir haben diese Chance auch als Ergebnis der Regierungspolitik. Damit meine ich die Regierungspolitik
nicht nur der Großen Koalition, sondern auch der rotgrünen Regierungskoalition. Das sollten Sie bei Ihren
Beiträgen, auch wenn Sie sich inzwischen in der Opposition befinden, Herr Kuhn, nicht ganz vergessen.
Danke schön.
({19})
Alexander Bonde ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten heute mit dem Bundeshaushalt 2009 das letzte
Machwerk der Großen Koalition,
({0})
und wir sprechen mit dem Finanzplan, der heute zur Diskussion steht, über ein Versprechen, das der Finanzminister und die Koalition in den Raum stellen, nämlich
im Jahr 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen.
Im Sommer ist der Finanzminister hauptsächlich dadurch aufgefallen, dass er erklärt hat, die Lage der SPD
sei beunruhigender als die des Haushaltes. Das konnte
man zum damaligen Zeitpunkt nachvollziehen. Aber inzwischen ist die Konsolidierung der SPD deutlich weiter
vorangeschritten als die des Bundeshaushaltes, über den
wir heute in erster Lesung diskutieren.
Sie sind mit großen Chancen und Versprechungen gestartet und Sie stehen 2009 vor spannenden Herausforderungen. Sie kalkulieren 2009 mit zusätzlichen jährlichen
Steuereinnahmen in Höhe von 58,5 Milliarden Euro im
Vergleich zu 2005, als Sie die Regierung übernommen
haben. Genauso entwickeln sich aber auch die Ausgaben. So kommt es dazu, dass die Nettoneuverschuldung trotz 58,5 Milliarden Euro jährlicher Steuermehreinnahmen bei 10,4 Milliarden Euro liegt. Wenn man die
Erlöse aus den Privatisierungen, also aus dem Veräußern
von Vermögen, berücksichtigt, dann stellt man fest, dass
das strukturelle Defizit bei 14,8 Milliarden Euro liegt.
Daran wird sich wenig ändern, selbst wenn die Haushälter der Koalition im Verfahren die eine oder andere kosmetische Korrektur vornehmen und die Nettoneuverschuldung auf unter 10 Milliarden Euro drücken - das
werden wir im Herbst erleben -, weil es sich optisch besser macht.
Wenn man sich die Zahlen genau anschaut, dann
muss man sagen: Der Kollege Poß hat eben Herrn
Steinbrück sozusagen zum Volkshochschullehrer der Republik erklärt.
({1})
Aber auch solche Reden helfen nicht, wenn die Koalition unter Konsolidieren nur Geldausgeben auf allen
Ebenen versteht. Niemand von uns hat ein Interesse daran, eine Rezession herbeizureden. Aber das Kernproblem Ihres Haushaltes und Ihrer Finanzplanung ist die
eingeplante Steigerung bei den Steuereinnahmen. Selbst
wenn sie nur konstant bleiben, steht Ihr Versprechen,
2011 die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken, auf
tönernen Füßen. Dafür ist also noch nicht einmal eine
Krise notwendig. Schon eine normale Entwicklung
nimmt Ihnen die Chance, dieses Versprechen einzuhalten.
({2})
Die Ausgaben im Finanzplan wachsen munter weiter.
Die zusätzlichen Steuereinnahmen dienen nur dazu, die
Ausgaben direkt wieder zu steigern. Um es den Menschen plastisch darzulegen: Wenn eine Familie ein paar
Hundert Euro Schulden hat, dann setzt man sich an den
Tisch und überlegt, wo man sparen kann. Stellen wir uns
das einmal bei Familie Merkel vor. Hier ist das Kabinett
die Küche. Man sitzt dort gemeinsam zusammen, beschließt trotz Milliardenschulden, dass alle mehr bekommen, und versichert sich gegenseitig, dass die Steuereinnahmen so stark steigen werden, dass sie irgendwann die
Ausgaben einholen werden. Das ist die tägliche Realität
in dieser Koalition.
({3})
Ihre Planungen und Ihr Versprechen, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, basieren auf mutigen
Wachstumsprognosen. Sie prognostizieren für 2009 ein
Wachstum in Höhe von 1,2 Prozent. Das ist nicht nur angesichts dessen, was wir gestern erlebt haben, sondern
auch angesichts der Prognosen der Institute mutig. Wenn
man sich den gesamten Finanzplan anschaut, dann stellt
man fest, dass Sie hier noch mutiger sind. Sie kalkulieren mit einem durchschnittlichen Wachstum in Höhe von
1,5 Prozent. Man muss keine Krise herbeireden, wohl
aber muss man Berufsoptimist sein, um ernsthaft zu
glauben, dass sich die gute konjunkturelle Entwicklung
der letzten Jahre fortsetzen wird.
({4})
Schauen wir uns Ihre anderen kühnen Annahmen an.
Sie haben sich in Ihrer Finanzplanung bis 2011 die großen Posten gezielt vorgenommen. Mit dem vorliegenden
Finanzplan des SPD-Finanzministers Steinbrück wird
uns erklärt, dass diese Bundesregierung der Auffassung
ist, man könne bis zum Jahr 2011 2,7 Milliarden Euro
bei Hartz IV einsparen. Das sind über 10 Prozent der
Mittel, die wir für das Arbeitslosengeld II ausgeben. Ich
will von der SPD, aber auch von der Union wissen: Ist
das Zahlenkosmetik, mit der Sie uns hinter die Fichte
führen wollen, oder ist das eine knallharte Ansage an
diejenigen, die darauf angewiesen sind, dass wir ernsthaft darüber nachdenken, ob man mit den heutigen Sätzen vernünftig leben kann?
({5})
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Man muss trotz einer harten
Ansage und der angestrebten Konsolidierung ernsthaft
über eine Erhöhung der Regelsätze auf 420 Euro - das
fordern die Sozialverbände und wir - sprechen. Diese
Ansage ist richtig und nicht die von Ihnen erweckte Illusion, dass Hartz IV das Sparkästle dieser Koalition ist,
um die Nettoneuverschuldung auf null zu drücken.
({6})
Aber genau so sieht die Finanzplanung des Finanzministers aus, die mit Ihren Stimmen beschlossen werden soll,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition.
({7})
Sie blenden noch mehr Risiken aus. Der Arbeitsminister hat eine globale Minderausgabe von 1 Milliarde
Euro in der Finanzplanung seines Etats, von der keiner
weiß, wo sie herkommen soll. Über die Auswirkungen
der Finanzkrise wissen wir nur, dass sie kommen werden, dass die Einheit „Milliarde“ sein wird, aber auch
dafür haben Sie keine Vorbereitungen getroffen. Wir erwarten das Urteil zur Entfernungspauschale, von dem
Sie wissen, dass es um mindestens 6 Milliarden Euro
Mindereinnahmen geht. Außerdem haben Sie das Urteil
zu den Krankenkassen- und Pflegeversicherungsbeiträgen, das weitere milliardenschwere Risiken birgt. Das
alles ist nicht eingepreist in das Versprechen des Ausgleichs, das Sie hier mit großen Worten verkündet haben.
({8})
Ein weiteres Milliardenrisiko dieser Koalition hüpft
gerade durch Bayern und macht Landtagswahlkampf,
nämlich die CSU.
({9})
Es wird da ein Entlastungspaket in Höhe von
30 Milliarden Euro versprochen. Zwar gebärdet sich die
CSU immer als Wahrerin der Haushaltskonsolidierung,
aber kaum geht die Musi los, wird ins Festzelt gerannt
und Freibier versprochen. Das ist die Realität in dieser
Koalition.
({10})
Sie müssen, mit Verlaub, schon das Kopfrechnen verbieten und die Taschenrechner in ganz Bayern wegschließen, dass die Leute nicht merken, dass ihnen Falsches angeboten, lediglich Wahlkampf betrieben wird
und Seriosität in Haushaltsfragen keine Priorität hat.
({11})
Wir haben diese Auseinandersetzung in den letzten
Jahren oft geführt. Wir haben Ihnen mit unserem grünen
Zukunftshaushalt Vorschläge gemacht, wie man die
Konsolidierung vorantreiben kann, ohne auf notwendige
Investitionen verzichten zu müssen. Wir haben da andere
Schwerpunkte als Sie; das ist richtig. Es gibt eine Auseinandersetzung mit Ihnen darüber, welche Ausgaben für
Umwelt und Klima, aber auch für Bildung und soziale
Teilhabe richtig sind. Aber wir haben Ihnen belegt, dass
das, wenn man den Mut hat, die Gegenfinanzierung in
Angriff zu nehmen, kein Gegenentwurf zur Konsolidierung sein muss.
Beim Subventionsabbau verspielen Sie jedes Jahr
eine doppelte Chance. Eine doppelte Chance deshalb,
weil Sie gerade bei ökologisch schädlichen Subventionen nicht bereit sind, diese zu kürzen. Ich meine Subventionen, die nicht nur dem Haushalt schaden, sondern mit
denen außerdem noch ungewolltem, unökologischem
Verhalten Vorschub geleistet wird. Es ist zwar schön,
wenn der Umweltminister 400 Millionen Euro in 2008
für Umwelt- und Klimaprojekte bekommen hat. Aber
wenn sie kaum abfließen - wie es der Fall war -, nützen
sie nichts. Vor allem aber stehen sie in keinem Verhältnis
zu den Milliarden für umweltschädliche Subventionen,
die Sie gleichzeitig erhalten und einfach durchwinken.
({12})
Es ist das Paradoxe der Großen Koalition, dass sie
nicht in der Lage ist, den Haushalt dem anzupassen, was
ihre Kanzlerin als große umweltpolitische Klima-Queen
auf Konferenzen meint verkünden zu müssen. Es ist das
Manko dieser Koalition, dass Ankündigungen und Taten
überhaupt nichts miteinander zu tun haben.
({13})
Wenn man den Subventionsbereich einnahmen- wie
ausgabenseitig durchgeht, stellt man fest, dass 1 Milliarde Euro allein für den Flugverkehr vorgesehen sind.
Sagen Sie den Menschen in Bayern doch einmal ehrlich,
dass Sie nicht bereit sind, den heimatnahen Tourismus
zu fördern, und die Steuergelder von mittelständischen
Unternehmen im Tourismusbereich lieber dafür aufbringen, dass der Mallorca-Flug weiterhin weniger als das
Taxi zum Flughafen kostet. Das ist doch die Absurdität
dieser Koalition.
({14})
Das geht mit Ökosteuerausnahmen, dem Verschenken
von CO2-Zertifikaten, den Kohlesubventionen und vielem anderen genauso weiter.
Das Nächste, was CDU und CSU für den Wahlkampf
in München entdeckt haben, ist die Fortschreibung der
Atomenergie als angebliche Ökoenergie und als angeblicher Entlastungsbringer für die Menschen. Auch da
lohnt ein Blick in Ihren Haushalt. Es ist bezeichnend,
wie viel für die Atommüllbehandlung ausgegeben wird.
Für das Skandallager in Asse trauen Sie sich noch gar
nicht, einen Posten in den Haushalt einzustellen. Aber
jeder weiß doch, dass dies Milliarden an Bundesgeldern
kosten wird, und zwar unabhängig davon, welcher der
glorreichen Helden im Kabinett die Federführung haben
wird. Das sind die Dinge, bei denen man merkt, dass die
Versprechen wenig mit dem konkreten Haushalt zu tun
haben.
({15})
Lassen Sie uns zusammenfassend noch einmal in die
Karten dieser Koalition schauen. Sie sind im Grunde mit
allen Trümpfen in der Hand gestartet: brummende Konjunktur, explodierende Steuereinnahmen, sinkende Arbeitslosigkeit und eine fette Mehrheit im Bundestag und
Bundesrat. Um im Bild zu bleiben: Schauen wir uns die
Spielbilanz an. Beim Haushaltsausgleich haben Sie bis
heute keinen Stich gemacht, bei der Gesundheitsreform
und den Lohnnebenkosten spielen Sie Ramsch, und
wenn man sich die Föderalismusreform ansieht, bei der
Sie bisher auf Null spielen, dann muss ich ehrlich sagen:
Das ist keine Koalition, die man sich für diese Republik
wünschen würde.
({16})
Dass die SPD jetzt Doppelkopf spielt - sei’s drum. Dass
man in Bayern an dieser Stelle viel an Schafskopf denken würde, will ich jetzt auch nicht weiter ausbreiten.
Ich will Ihnen nur sagen: Sie müssen sich schon für den
Haushalt verantworten, den Sie hier vorlegen. Sie müssen sich dafür verantworten, dass Sie das große Versprechen, dass große Koalitionen für große Dinge einstehen
müssen, revidieren. Sie sind keine große Koalition, Sie
sind höchstens viele, aber das hilft keinem.
Herzlichen Dank.
({17})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Steffen
Kampeter das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Mit schonungsloser Offenheit hat der Bundesfinanzminister in seiner Einbringungsrede eine Art Eröffnungsbilanz der Arbeit der Großen Koalition vorgetragen, wobei er auf die zahlreichen Verwerfungen, die
wir im Jahre 2005 in der Bundesrepublik Deutschland
hatten, hingewiesen hat. Vom kranken Mann Europas
und von der schwierigen Situation in den Sozialsystemen hat er gesprochen. Was die internationale wirtschaftliche Entwicklung betrifft, sei die deutsche Wirtschaft nicht mehr als Lokomotive wahrgenommen
worden, sondern, um es in der Diktion von Ernst
Hinsken zu sagen, als Träger der roten Laterne. Damit
hat er, wie auch wir von der Unionsfraktion, eine kluge
Begründung für die Notwendigkeit der Konsolidierungspolitik der Großen Koalition gegeben: Ein Staat,
dessen finanzielle Handlungsfähigkeit nicht gegeben ist,
dessen Finanzen nicht in Ordnung sind, ist ein schwacher Staat. Deswegen war der Konsolidierungskurs der
vergangenen Jahre zur Wiederherstellung der staatlichen
Handlungsfähigkeit im Interesse der Bürgerinnen und
Bürger dieses Landes notwendig, er war richtig, und er
war gut für unser Land.
({0})
Mit der Wiederherstellung staatlicher Handlungsfähigkeit haben wir auch die Spielräume für aktuelle, vor
allen Dingen aber für zukünftige Entlastungen in unserer
Gesellschaft geschaffen; denn eine Begrenzung der Schuldenlast ist ein generationengerechtes Angebot für die zukünftigen Generationen. Deutlich über 900 Milliarden
Euro Schulden allein des Bundes sind eine schwere Altlast für die nachfolgenden Politikergenerationen. Deswegen ist es wichtig, dass wir im Jahr 2011 keine neuen
Kredite aufnehmen und das Verbot, neue Kredite aufzunehmen, im Grundgesetz verankern, damit der ausgeglichene Haushalt nicht nur für diese, sondern auch für
zukünftige Regierungen der Regelfall im Interesse nachfolgender Generationen wird.
({1})
Wir haben konsolidiert, um zu investieren, und wir
haben konsolidiert, um zu reformieren. Dass die Staatsquote auf das Niveau der Zeit von Gerhard Stoltenberg
gesunken ist, macht deutlich, dass ein starker Staat
durchaus auch ein schlanker Staat sein kann. Die Bürgerinnen und Bürger werden weniger durch den Staat in
Anspruch genommen, auch wenn manches Mal etwas
anderes hier vorgetragen wurde. Wir haben konsolidiert,
um beispielsweise in Bildung und Forschung zu investieren; denn wir glauben, dass dieses Land auf Dauer nur
dann wirtschaftlich leistungsfähig bleibt, wenn wir die
Besten in unseren Schulen, Hochschulen und im dualen
System ausbilden. Das ist eine wichtige Investitionsentscheidung gewesen.
Wir haben beispielsweise in die Infrastruktur für die
Betreuung der unter Dreijährigen investiert, weil wir
glauben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf
ein wichtiger Baustein für die Zukunftsfähigkeit unseres
Landes ist. Wir haben auch in die Verkehrsinfrastruktur
investiert und den Trend, dass unter Rot-Grün der Anteil
der Investitionen in unser Verkehrssystem gesunken ist,
gestoppt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren haben wir
mehr baureife Bundesfernstraßenprojekte, als wir überhaupt Mittel haben; da ist noch Steigerungspotenzial.
Das waren wichtige Investitionsentscheidungen und eine
kluge Konsolidierungsrendite.
({2})
Wir waren auch in der Lage, in die innere Sicherheit
zu investieren, Stichwort BOS-Digitalfunk, damit die Sicherheitsbehörden vor Ort auch kommunizieren können
und nicht mit archaischen Systemen ausgestattet sind.
Ein Staat, der finanziell nicht handlungsfähig ist - einen
solchen haben wir 2005 vorgefunden -, hätte die innere
Sicherheit vernachlässigt. Wir haben unter Kanzlerin
Angela Merkel in die innere Sicherheit investiert. Das
war eine kluge Investitionsentscheidung.
({3})
Wir haben konsolidiert, um zu reformieren. Ich will
Ihnen nur einige der von uns getroffenen Entscheidungen mit der Überschrift „Mehr Netto, und zwar für alle“
- die entsprechenden Gesetze und Verordnungen treten
in den nächsten Monaten in Kraft - noch einmal vor Augen führen. Das soll deutlich machen, dass die Konsolidierungsrendite bei den Menschen auch tatsächlich ankommt. Ich erwähne den Kinderzuschlag: 70 000
Haushalte werden netto bis zu 140 Euro zusätzlich erhalten. Ich erwähne die Ausweitung des BAföGs bei den
Bedarfssätzen und bei den Freibeträgen. Auch hier:
Mehr Netto für die Studierenden. Ich nenne das Wohngeld, das durchschnittlich um 50 Euro monatlich angehoben wird. Wir haben die Rentenerhöhung vorgenommen. Wir haben das Eigenheimrentengesetz auf den Weg
gebracht. Die Familienförderung werden wir für alle
ausweiten,
({4})
und zwar nicht nur in Bezug auf Infrastruktur, sondern
so - der Bundesfinanzminister hat es sehr richtig gesagt -,
dass auch die Familien mehr Netto haben.
({5})
Wir machen es so, dass es bei den Familien direkt, also
„bar auf Tatze“ ankommt. Das ist unser Vorschlag, den
wir hier in die Debatte mit einbringen.
({6})
Wir werden die Absetzbarkeit von Krankenkassenbeiträgen ausweiten, nicht weil uns jemand zwingt, sondern
weil wir es für richtig empfinden, dass diejenigen, die in
dieser Gesellschaft Vorsorge leisten, das auch vom Staat
honoriert bekommen. Ich halte das für richtig. Genauso
gut ist, dass wir die Arbeitslosenversicherungsbeiträge
senken konnten. Wir können den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten so mehr als 26 Milliarden Euro
zurückgeben. Das bedeutet auch für die Fleißigen in diesem Land mehr Netto. Mehr Netto für alle, das ist unsere
Politik.
({7})
Der Bundesfinanzminister hat hier gesagt, dass die
Besoldungsanpassung im öffentlichen Dienst eine Belastung ist. Das ist aus Sicht des Haushaltes richtig. Aber
ich will auch deutlich machen: Angesichts der teilweise
hohen Tarifabschlüsse im gewerblichen Bereich war es
richtig, dass wir einen entsprechenden Tarifabschluss für
den Bund übernommen haben. Es bedeutet für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, für die Angestellten
ebenso wie für die Beamten, mehr Netto. Auch zu dieser
Entscheidung im Rahmen des Konsolidierungsprozesses
stehen wir. Wir unterstützen das.
Ich will deutlich machen: Als wir 2005 anfingen, hatten wir ein strukturelles Defizit aus Privatisierungserlösen und Nettokreditaufnahme von 55 Milliarden Euro
bei 190 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Heute haben
wir - darauf hat der Redner der Opposition rechnerisch
schon hingewiesen - ein strukturelles Defizit von lediglich 15 Milliarden Euro bei 248 Milliarden Euro Steuereinnahmen. Dieses Defizit ist immer noch zu hoch, und
es wird auch in den nächsten Jahren weiter abgebaut. Anders ausgedrückt: 40 Milliarden Euro dieser Steuermehreinnahmen haben wir in die Absenkung des strukturellen
Defizits investiert, und 18 Milliarden Steuermehreinnahmen haben wir in die von mir gerade beschriebenen politischen Schwerpunkte investiert.
Wer heute sagt: „Wir könnten schon heute eine Nullverschuldung haben“, der muss den Menschen sagen, ob
er weniger für die Familie ausgeben möchte, ob er beim
BAföG weniger machen will, ob er die Rentenerhöhung
aussetzen will, ob er durch die Aussetzung der Krankenkassenzuschüsse die Beiträge der Krankenversicherten
explodieren lassen will oder ob er bei unseren Investitionsprogrammen beim Klimaschutz oder bei der Gebäudesanierung sparen will. Es ist einfach unredlich, die
Zahlen hier so falsch darzustellen und zu verschweigen,
dass diese Bundesregierung, diese Kanzlerin und dieser
Finanzminister so wichtige Investitionsentscheidungen
- sie machen ein Drittel aus - getroffen und so wichtige
Konsolidierungserfolge erzielt haben.
({8})
Ich will deutlich machen: Der Bundesfinanzminister
hat hier sehr nüchtern auch die Wolken am konjunkturellen Horizont beschrieben. Aber ich will hervorheben,
dass ich mir nicht so viele Sorgen mache wie Anfang
dieses Jahrtausends, als wir die letzte Wachstumseintrübung hatten. Da war die Zusammenarbeit zwischen dem
damaligen Bundeskanzler und dem damaligen Bundesfinanzminister etwas anders. Berichtet worden ist, dass die
Konsolidierungsbemühungen im Kabinett mit einem etSteffen Kampeter
was abfälligen „Lass mal, Hans!“ bewertet worden sind.
Heute haben sich sowohl die Frau Bundeskanzlerin als
auch der Bundesfinanzminister eindeutig hinter das Ziel
gestellt, 2011 keine neuen Schulden mehr machen zu
wollen.
Der ausgeglichene Haushalt ist keine Rechenlösung,
die sich aus Wachstumsprognosen ableitet, sondern er
entsteht im Zusammenwirken von wirtschaftlichem
Wachstum, politischen Zielsetzungen und gemeinsamem
Handlungswillen. Die Bundeskanzlerin, der Bundesfinanzminister und die sie tragenden Koalitionsparteien
und -fraktionen werden das in dem Bemühen, 2011
keine neuen Schulden mehr machen zu wollen, eindeutig, klar und nachdrücklich unterstützen.
({9})
Ich will allerdings darauf hinweisen, dass wir noch
eine Reihe von Aufgaben vor uns haben, auch Dinge unterlassen müssen, beispielsweise den Arbeitsmarkt zu
regulieren. Im Gegenteil, wir müssen im Rahmen der Instrumentenreform den Wirrwarr der arbeitsmarktpolitischen Instrumente beseitigen. Wir müssen die unterschiedliche Verwaltungspraxis, die es bei Hartz IV gibt - die
Menschen sind bei Hartz IV eben nicht gleich -, beenden.
Wir müssen noch anderes unterlassen. Ich glaube
nicht, dass wir regulierend in die Zeitarbeitsbranche eingreifen sollten. Wir sollten die grundgesetzlich garantierte Tarifvertragsfreiheit nicht einschränken. Das sind
wichtige Signale. Eine der Erfolgsgeschichten dieser
Großen Koalition ist die Wiederherstellung eines funktionsfähigen Arbeitsmarkts.
({10})
Wir haben 1,5 Millionen Menschen mehr in Arbeit. Sie
sind aus den sozialen Sicherungssystemen heraus in eine
reguläre Beschäftigung überführt worden. Neben der eigentlichen Haushaltskonsolidierung und den aufgezeigten Reformen ist eine funktionsfähige, marktwirtschaftliche Arbeitsmarktpolitik mit ein zentraler Schlüssel zur
Haushaltskonsolidierung.
In diesem Sinne werden wir Kurs halten. Wir werden
den Finanzminister bei seinen Konsolidierungsbemühungen unterstützen. Wir als Haushälter werden auch
dem freundlichen Feuer der wahlkämpfenden Koalitionsfraktionen widerstehen und versuchen, die Konsolidierung noch ein Stück weit voranzutreiben und die
Nettokreditaufnahme auf unter 10 Milliarden Euro zu
senken. Wir werden in diesem Sinne auch von vielen
hier im Hause unterstützt. Wir starten heute die Beratungen. Ich glaube, dieser Haushaltsentwurf ist ein guter
Vorschlag. Es ist ein gutes Signal. Es ist eine erfolgreiche Politik für die Menschen in unserem Land.
({11})
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege CarlLudwig Thiele.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Finanzminister Steinbrück, lassen
Sie mich drei Punkte vorweg ansprechen:
Der erste Punkt. Auf der einen Seite kritisieren Sie
eine mangelnde Nachfrage, und auf der anderen Seite
quetschen Sie mit Ihren Steuern die Leute aus wie eine
Zitrone.
({0})
So kann Nachfrage in unserem Land überhaupt nicht
entstehen.
({1})
Der zweite Punkt: In guten Zeiten haben Sie keine
Vorsorge dafür getroffen, dass der Staat auch in schlechteren Zeiten - solche stehen vor der Tür - handlungsfähig ist.
({2})
Der dritte Punkt. Er betrifft die IKB, und ich finde das
schon ganz beachtlich. Sie erklären hier allen Ernstes,
Sie hätten alles richtig gemacht. Insgesamt kann man
aber nur feststellen: Gut 10 Milliarden Euro öffentlicher
Gelder sind verbrannt worden. Seinerzeit, unter der Regierung von Rot-Grün, zu Zeiten Hans Eichels, ist ein
Anteil an einer Privatbank erworben worden. Es ist aus
FDP-Sicht nicht die Aufgabe des Staates, überhaupt Anteile an einer Privatbank zu halten.
({3})
Bei Regierungsantritt von Schwarz-Rot ist dieser Anteil
nicht veräußert worden, und das kritisieren wir. Es ist
eben nicht Aufgabe des Staates, Anteile an privaten Banken zu halten.
Die KfW sagt, mit der IKB habe sie das Ohr am Mittelstand haben wollen. Daran kann man sehen, wer für
dieses Ohr tatsächlich bezahlen muss. Das ist Verschleuderung von Volksvermögen. Dafür gibt es eine Verantwortung, und die Verantwortlichen sind nicht zuletzt in
der Regierung zu suchen.
({4})
Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, Sie
reden davon, der Bund habe gespart. Das stimmt einfach
nicht. Die Ausgaben sollen um über 5 Milliarden Euro
steigen. Wer Ausgaben steigert, spart nicht.
({5})
Ein Bundeshaushalt 2009 ohne Neuverschuldung
wäre möglich gewesen. Die Steuereinnahmen des Bundes steigen im nächsten Jahr um 10 Milliarden Euro, und
die Neuverschuldung sinkt nur um 1,4 Milliarden Euro.
Für Ihre gesamte Regierungszeit lässt sich festhalten,
dass der Bund seit Regierungsantritt der Großen Koalition pro Jahr 60 Milliarden Euro mehr Steuern einnimmt, die Neuverschuldung aber nur um 20 Milliarden
Euro gesenkt hat. Der Bund nimmt also dreimal mehr an
Steuern ein, als er an Neuverschuldung abbaut. Deshalb
ist diese Politik keine Politik des Sparens.
({6})
Die Konsolidierung eines Haushaltes muss nach Auffassung der FDP über die Ausgabenseite erfolgen. Das
weiß jeder Bürger. Wenn ein privater Haushalt weniger
Geld zur Verfügung hat, dann spart er, indem er weniger
Geld ausgibt. Die öffentliche Hand und auch die Große
Koalition machen es aber genau anders herum. Die Steuern werden erhöht. Die Einnahmen des Staates werden
erhöht. Deshalb haben Sie die größte Steuererhöhung in
der Geschichte unseres Landes beschlossen. Deshalb haben Sie in einer Vielzahl von Maßnahmen weitere Steuererhöhungen beschlossen. Deshalb haben Sie die Einkommensteuer nicht gesenkt, denn durch die kalte Progression erhält der Bund bei höherem Bruttoeinkommen
der Bürger Jahr für Jahr ein Mehr an Steuereinnahmen.
In jedem Jahr hat die FDP Sparsamkeit angemahnt.
Wir haben jedes Jahr konkrete Sparvorschläge in Milliardenhöhe vorgelegt. Diese Sparvorschläge wurden
von Ihnen immer abgetan, als hätten sie nichts zu bedeuten. Schon in diesem Jahr hätten wir die Neuverschuldung auf null reduzieren können. Spätestens 2009 müssen wir sie erreichen. Wir als FDP sind der Auffassung,
dass die Bürger nicht die Melkkühe der Nation sein dürfen. Wir brauchen eine deutliche und spürbare Entlastung der Bürger. Wer die Ausgaben kürzt, hat dadurch
Geld für die Entlastung der Bürger.
Die Steuern zu senken und den Haushalt zu konsolidieren, sind keine Gegensätze. Wenn der Staat spart,
dann kann er die Neuverschuldung senken und die Bürger entlasten. Deshalb fordern wir von der FDP eine
Senkung der Steuerbelastung der Bürger. Wir fordern
eine durchgreifende Steuerreform, damit der Bürger
überhaupt die Chance hat, unser Steuerrecht zu verstehen.
Noch vor der letzten Bundestagswahl war dies auch
die Forderung der Union. Wir werden jetzt und im
nächsten Jahr immer wieder darauf drängen, dass dieses
Thema auf die Tagesordnung kommt. Es beschäftigt und
belastet die Bürger und es hindert die Binnennachfrage,
die wir in unserem Land benötigen. Wir werden die
ganze Zeit über den Finger in die Wunde legen und nicht
eher ruhen, bis dies durchgesetzt ist.
Herzlichen Dank.
({7})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Carsten
Schneider.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Thiele, Sie stellen sich hier hin und drängen auf Ausgabenkürzungen. Sie stellen sich hier hin
und fordern Subventionskürzungen. Das finde ich dreist.
({0})
Als wir die Eigenheimzulage abgeschafft haben, waren
Sie der härteste Verteidiger dieser Subvention. Ich erinnere mich da an Anhörungen zum Haushaltsbegleitgesetz und an andere Äußerungen zu der Zeit, als wir noch
eine rot-grüne Regierung hatten. Sie haben dazu beigetragen, der Bausparkassenlobby hier im Bundestag eine
Stimme zu geben.
({1})
Das ist unglaubwürdig.
({2})
Der Herr Bundesfinanzminister hat heute den Haushalt 2009 vorgelegt. Er wird gelten als der Schlusshaushalt dieser Koalition.
({3})
Es ist der letzte Haushalt, den wir in dieser Legislaturperiode noch beraten werden. Er folgt dem klaren Ziel und
der klaren Linie, den Haushalt des Bundes auszugleichen und mit dem Geld, das wir an Steuern einnehmen
und das die Bürgerinnen und Bürger hart erarbeiten,
sorgsam umzugehen. Wir alle waren in Regierungsverantwortung und der Politik der vergangenen Jahrzehnte
daran beteiligt, mehr auszugeben, als wir tatsächlich einnahmen. Herr Koppelin, Sie haben den höchsten Anteil
daran, das sei nur nebenbei erwähnt.
({4})
Es gilt, damit Schluss zu machen. Deshalb ist dieser
Haushalt für uns von besonderer Bedeutung.
Auch in dem zurzeit schwierigen Umfeld hat die Bundesregierung Vorsorge getroffen. Die Wachstumsprognose, die diesem Haushalt zugrunde liegt, ist niedriger
als diejenige, die uns beispielsweise die EU-Kommission für das Jahr 2008 prognostiziert hat.
({5})
Wir ernten die Früchte der Grundlagen, Kollege Bonde,
die wir in der rot-grünen Regierungszeit mit der Modernisierungspolitik von Gerhard Schröder im Wirtschaftsund Arbeitsmarktbereich gelegt haben. Das ist ganz klar.
In dieser Zeit wurde die Saat gelegt, durch deren Erfolge
- wie den Abbau der Arbeitslosigkeit - knapp zwei Millionen Menschen neue Beschäftigung fanden. Das sind
zwei Millionen Menschen mehr, die selbst für ihre Familien sorgen und nicht mehr auf die Solidarität von anderen angewiesen sind. Das sind zwei Millionen Väter und
Mütter, die voller Stolz im Arbeitsleben stehen. Dies
sind die Erfolge der Politik der vergangenen Jahre. Wir
haben die Früchte dieser Saat geerntet; das ist ganz klar.
Wir haben - das ist vollkommen richtig; das will ich
hier auch sagen - keine Sparorgien durchgeführt. Ich
hielte ein solches Vorgehen auch für falsch angesichts
der Tatsache, dass wir in vielen Bereichen des Bundeshaushaltes - ich werde auf einige Punkte noch eingehen wichtige Zukunftsprojekte auf den Weg gebracht haben.
Carsten Schneider ({6})
So erhöhen wir im Sozialbereich das Wohngeld im
Durchschnitt von 90 auf 140 Euro. Diese Anpassung war
längst überfällig. Deshalb fordern wir Sozialdemokraten
aufgrund der Belastung der Bezieher von niedrigen bzw.
geringen Einkünften durch die hohen Energiepreise auch
eine Vorziehung der Novelle.
Wir haben die Chancengerechtigkeit in diesem Land
verbessert. Sie ist zwar noch nicht eins zu eins gegeben
- das ist richtig -, aber durch die BAföG-Novelle erhöhte
sich die Zahl der Schüler und Studenten, die BAföG bekommen, von gut einer halben Million auf 1 Million.
Damit ist die Chancengerechtigkeit in diesem Land ein
Stück vorangekommen.
({7})
Wir werden auch mehr im Bereich der Verkehrsinfrastruktur tun. Natürlich müssen dafür - das ist ganz
klar; auch Herr Koppelin hat das vorhin angesprochen entsprechende Einnahmen vorhanden sein, mit denen die
zusätzlichen Investitionen in Höhe von 1 Milliarde Euro
in die Straßeninfrastruktur finanziert werden können.
Diese wollen wir durch eine Erhöhung der Maut finanzieren.
({8})
Es ist vollkommen klar, dass die davon betroffenen Firmen in Deutschland an anderer Stelle wieder entlastet
werden. Aber es ist doch in Ordnung, dass wir als europäisches Transitland verlangen, dass zum Beispiel Franzosen oder Polen etwas dafür bezahlen, dass sie unsere
Straßen nutzen.
({9})
Die Ministerpräsidenten und Sie sollten wissen, dass
- wenn sie dieser Mauterhöhung nicht zustimmen - 1 Milliarde Euro fehlen wird, um Straßen in ihren Wahlkreisen
und Bundesländern zu bauen oder zu erneuern.
Wir sind mittlerweile in der Europäischen Union
- der Bundesfinanzminister hat vorhin in seiner Rede die
Schlagzeile vom „kranken Mann Europas“ vom Anfang
des Jahrzehnts zitiert - der Motor der wirtschaftlichen
Entwicklung.
({10})
Das durchschnittliche Wachstum in Europa liegt laut
den bisherigen Zahlen vom Januar 2008 bei 1,3 Prozent,
in Deutschland bei 1,8 Prozent. Das Finanzierungsdefizit der Bundesrepublik beträgt null. Gesamtstaatlich haben wir sogar einen Überschuss. Insbesondere die Kommunen bzw. die Gemeinden ({11})
hier zeigen sich ja tagtäglich die Auswirkungen von
Politik - haben durch die Sicherung der Gewerbesteuer,
die wir Sozialdemokraten durchgesetzt haben, einen immer größer werdenden Handlungsspielraum. Im Vergleich dazu: Frankreich hat ein Defizit von 2,9 Prozent,
die Briten von 3,3 Prozent und die Vereinigten Staaten
ohne Berücksichtigung der aktuellen Geschehnisse von
5 Prozent.
Die Steuereinnahmen im August - ich habe die Zahlen vorliegen - liegen noch auf einem sehr guten Niveau.
Es ist jetzt nicht die Zeit für Kassandrarufe. Die Auswirkungen der Finanzmarktkrise in den USA werden sicherlich auch in Deutschland zu spüren sein, aber es gibt
keinen Grund, die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik schlechtzureden.
({12})
Die Steuereinnahmen liegen im August über der Prognose der Steuerschätzer. Diese Mehreinnahmen wollen
wir jetzt aber nicht verteilen, sondern sie dafür nutzen,
um die Kreditaufnahme im Jahresverlauf unter dem Ermächtigungsrahmen zu halten.
Die Schlagzeilen, die einige Wirtschaftsforscher nunmehr geliefert haben - man sollte einmal die Glaubwürdigkeit einiger Wirtschaftsforscher hinterfragen oder
sich zumindest anschauen, wer der Auftraggeber gewesen ist -,
({13})
bringen uns letztendlich nicht weiter. Vielmehr gilt es,
Kurs zu halten, also zum Beispiel die Ausgabenstrukturen durch mehr Investitionen im Bundeshaushalt in Bildung und Forschung zu verbessern.
Ich sehe mit Interesse, dass die Einberufung eines Bildungsgipfels angekündigt worden ist. Ich sage aber
ganz klar: Dieser darf nicht zu einer Talkrunde werden
und in einem präsidialen Stil moderiert werden, weil
man gar keine Kompetenzen hat. Vielmehr müssen dem
Bund, wenn er sich hier engagiert, auch Kompetenzen
eingeräumt werden.
({14})
Es kann nicht sein, dass die Ministerpräsidenten das
Geld einkassieren und im Endeffekt nichts passiert.
Ähnliches ist ja leider im Zuge des Hochschulpaktes
zu beobachten: Es sollten bis 2010 12 000 zusätzliche
Studienplätze geschaffen werden, bisher sind es 2 500.
Das ist ungenügend. Hier muss von den Bundesländern,
von den verantwortlichen Ministerpräsidenten mehr geleistet werden, um Deutschland insgesamt nach vorne zu
bringen.
({15})
Wir als Haushälter werden versuchen, die Bereiche Bildung und Forschung zu stärken. Diese Bereiche sind
wichtig. Im Haushaltsentwurf ist vorgesehen, 2,8 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Forschungs- und
Entwicklungsaufgaben zu verwenden. Dort, wo diese
Ausgaben hinfließen, sollen insbesondere private Mittel
der Wirtschaft mobilisiert werden. Ich finde, das ist noch
nicht ausreichend erfolgt. Aber ich bin guter Dinge, dass
die Ministerin das im Blick hat.
Carsten Schneider ({16})
Wir werden als Haushälter auch darauf achten müssen, Irrsinniges abzuwenden. Es gibt da einen Vorschlag
aus dem Wirtschaftsministerium. Herr Glos ist ja von der
CSU, und dort ist Wahlkampf; vielleicht wird das auch
wieder fallen gelassen.
({17})
Denn auf der einen Seite vom Finanzminister zu verlangen, so schnell wie möglich bei der Neuverschuldung im
Bundeshaushalt eine Null zu haben - da gab es auch
schon eine Meldung, dass das 2010 sein solle -, auf der
anderen Seite aber den Kauf bestimmter Kühlschränke
zu subventionieren - da freuen sich Media-Markt und
Saturn -, das geht nicht.
({18})
Bundesminister Gabriel hat das geprüft und schon im
ersten Paket abgelehnt, weil das letztendlich nur zu Mitnahmeeffekten führen würde. Man kann auch nicht noch
ein Konjunkturprogramm in Höhe von 10 Milliarden Euro und gleichzeitig Steuersenkungen fordern.
All dies ist unsolide und gefährdet unsere Ziele: einen
ausgeglichenen Haushalt, eine solide Finanzpolitik, einen sicheren Umgang mit Ihren Steuergeldern und die
Einführung einer Schuldenbremse in der Verfassung.
Eine Schuldenbremse - da möchte ich dem Minister
meine ausdrückliche Unterstützung signalisieren - führt
dazu, dass wir ein gutes Modell dafür haben, wie sich in
der Zukunft wirtschaftliche Entwicklung und solide öffentliche Finanzen miteinander verbinden lassen.
Vielen Dank.
({19})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege
Eduard Oswald.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kein Zweifel: Deutschland hat seit 2005 beachtliche
Fortschritte gemacht. Wir sind dabei, Deutschland fit für
die Zukunft zu machen. Die Doppelstrategie - Konsolidierung des Haushalts und gleichzeitig gezielte Förderung des wirtschaftlichen Wachstums - ist und war
erfolgreich. Es ist - durch Schaffung der Rahmenbedingungen - eine große Leistung der Bundesregierung und
der sie tragenden Großen Koalition, aber vor allem eine
große Leistung der Arbeitgeber und Tarifpartner, dass in
den vergangenen drei Jahren 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Damit ist die Zahl der Erwerbstätigen auf über 40 Millionen angewachsen. Viele
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben neue Chancen zur Teilhabe am beruflichen und gesellschaftlichen
Leben gewonnen.
({0})
Lassen Sie mich aber angesichts der Meldungen des
gestrigen und heutigen Tages verstärkt auf die Situation
des Finanzmarktes insgesamt eingehen und dieses
Thema vertieft behandeln.
({1})
Die Lage an den internationalen Finanzmärkten ist
und bleibt angespannt. Mit zunehmender weltweiter Vernetzung ist das Finanzmarktgeschehen auch im nationalen Bereich unübersichtlicher geworden. Das verunsichert nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern
macht es auch für Politik und Finanzaufsicht schwieriger, Risiken und Fehlanreize rechtzeitig zu erkennen.
Auch wenn wir uns im Finanzausschuss noch detaillierter über die Hintergründe informieren werden, bin ich
davon überzeugt, dass es richtig war, dass das Bundesfinanzministerium in enger Zusammenarbeit mit der
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, der
Bundesbank und den Bankenverbänden die IKB gerettet
hat, aus volkswirtschaftlicher Sicht, um noch größeren
Schaden von der deutschen Volkswirtschaft abzuwenden, und vor dem Hintergrund der Einlagen der IKB,
etwa von Ortskrankenkassen, kleineren Genossenschaftsbanken und Sparkassen. Hätte die IKB vom
Markt gehen müssen, wäre ein kaum absehbarer Vertrauensschaden für den gesamten deutschen Finanzmarkt
entstanden.
Für die Frage nach der Wirksamkeit wie auch der
Weiterentwicklung des deutschen Finanzsystems bietet
die Krise meiner Meinung nach wichtige Einsichten.
Aus einer Vielzahl von Punkten filtere ich nur einen heraus, der mir als wesentliche Ursache erscheint. Es ist
die Tatsache, dass viele Investoren am Markt Aktiva erworben haben, über deren Qualität sie keinerlei eigenständiges Urteil zu bilden in der Lage waren,
({2})
nach dem Motto: Man muss immer wissen, was eigentlich drin ist. An die Stelle einer Kreditwürdigkeitsprüfung auf der Grundlage eigener Informationen trat allein
das Vertrauen auf die Urteilsfähigkeit der Ratingagenturen. Zugleich war für diejenigen, die vor Ort bei einer
Analyse befähigt gewesen wären, überhaupt kein ausreichender Anreiz mehr gegeben, eine sorgfältige Auswahl
der Kreditnehmer vorzunehmen, weil der Kredit ja sofort abgestoßen wurde.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, natürlich dürfen wir keine nationalen Alleingänge starten. Vielmehr bedarf es hier eines internationalen Vorgehens, da nur so die Probleme behoben werden können. Hier erscheinen mir fünf Maßnahmen
besonders wichtig zu sein: zum Ersten verbesserte
Transparenzvorschriften,
({3})
zum Zweiten die Verbesserung der Zusammenarbeit der
Aufsichten in Europa, zum Dritten verbesserte Bilanzierungsregeln für Aktivitäten außerhalb der Bilanz, zum
Vierten Verbesserungen bei den Bestimmungen zur KaEduard Oswald
pitalausstattung von Kreditinstituten und zum Fünften
die Beseitigung von Interessenkonflikten bei den Ratingagenturen.
({4})
Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass Geldgeschäfte viel zu wichtig sind, als dass man sie dem
Finanzsektor unkontrolliert überlassen dürfte. Moderne
Finanzprodukte haben ja die Risiken nicht vermindert,
sondern vielmehr neue geschaffen. Trotzdem gilt: Die
Bewältigung der Finanzmarktkrise ist maßgeblich von
den Marktakteuren selbst in Angriff zu nehmen. Dazu
muss das Vertrauen in den Finanzmarkt gestärkt werden.
Vertrauen ist eine wesentliche Grundlage für einen funktionierenden Finanzmarkt. Gerade diese Krise macht
deutlich, dass eine unzureichende Verlässlichkeit die
Finanzmarktprozesse nachhaltig stört und die Gefahr negativer Folgen für die Realwirtschaft möglich ist.
Mit einem Anteil von nahezu 5 Prozent an der gesamten nominalen Wertschöpfung ist das Finanzsystem in
Deutschland bereits für sich genommen ein nicht zu vernachlässigender Wirtschaftszweig, dessen Zustand und
Leistungsfähigkeit mit über die Entwicklung der Wirtschaftsleistung insgesamt entscheiden. Die Turbulenzen
an den Finanzmärkten machen auch deutlich, dass sich
die volkswirtschaftliche Bedeutung des Finanzsystems
nicht in den Wachstumswirkungen erschöpft, sondern
dass die Stabilität und vor allem ihr Fehlen ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Realwirtschaft haben
können. Gerade deswegen müssen wir uns in den Ausschüssen - auch wir im Finanzausschuss - verstärkt damit beschäftigen.
Wir wollen unsere Politik des Investierens, des Sanierens und Reformierens fortsetzen.
({5})
Es bleibt unsere Richtschnur, die Wachstumskräfte zu
stärken und den Beschäftigungsaufbau weiter voranzubringen.
In den Mittelpunkt unserer Politik stellen wir diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die mit ihrer Arbeit und
Leistung den wirtschaftlichen Erfolg unseres Landes ermöglichen.
({6})
Ohne ihren täglichen Einsatz wäre kein Sozialstaat finanzierbar. Darüber hinaus sichert die Leistung gerade
der Mitte unserer Gesellschaft die Wettbewerbsfähigkeit
und damit die Zukunft unseres Landes. Neue und gesicherte Arbeitsplätze schaffen Perspektiven für die Beschäftigten und ihre Familien. Wachsende Einnahmen
aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ermöglichen eine Entschuldung öffentlicher Kassen. So entstehen weitere Spielräume für Wachstumspolitik in Form
von Strukturreformen, Steuer- und Abgabensenkungen
sowie Zukunftsinvestitionen. Genau das ist unsere Aufgabe, und daran arbeiten wir auch zukünftig.
({7})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Bernhard Brinkmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu
Beginn meiner Rede den Bundesfinanzminister loben.
Kollege Poß hat es vorhin schon zum Ausdruck gebracht: Peer Steinbrück hat in einer informativen und
auch sehr beeindruckenden Rede deutlich gemacht, wo
die Schwerpunkte des Bundeshaushaltes 2009 liegen. Er
hat auf die Risiken und - das war aufgrund der aktuellen
Situation von besonderer Bedeutung - die Turbulenzen
auf den Finanzmärkten hingewiesen und darauf, was uns
in der nächsten Zeit durchaus noch ereilen und vielleicht
auch belasten kann.
Meine Vorredner haben darauf hingewiesen - ich will
das ausdrücklich bestätigen -, dass es absolut richtig
war, 2005 den Dreiklang von sanieren, reformieren und
investieren
({0})
in den Mittelpunkt der Haushalts- und Finanzpolitik zu
stellen. Dieser Dreiklang wird fortgesetzt. Erstmals haben wir eine realistische Chance, in 2011 einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu erreichen. Lieber Kollege
Koppelin, wenn Sie von Abkassieren reden, dann ist das
Vergangenheitsbewältigung.
({1})
Eigentlich ist es müßig, gestatten Sie mir aber dennoch
den Hinweis: Beim Schuldenmachen und beim Abkassieren waren die Freien Demokraten mehrere Jahrzehnte
kräftig dabei. Demzufolge sollten Sie sich ein wenig zurücknehmen.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte ich Folgendes sagen: Mit Blick auf 2009 wird schon jetzt einiges über
neue Mehrheiten und neue Koalitionsmöglichkeiten gesagt. Herr Kollege Koppelin, ich empfehle Ihnen, sich
den Spiegel genau anzuschauen.
({3})
Dort wurde eine „Münchhausen-Skala“ erstellt. Der
Kollege Westerwelle soll in einem Sommerinterview im
ZDF gesagt haben - ich habe die Sendung nicht gesehen,
aber es steht so im Spiegel -:
Zehn Jahre lang haben wir jetzt nur Steuererhöhungen gehabt. Das ist genug.
Bernhard Brinkmann ({4})
Das Ergebnis des Tests, der vom Spiegel gemacht worden ist, lautet - das Ergebnis sind vier rote Punkte; rot ist
auch in diesem Fall gut -:
Die Steuerentlastungen übertrafen die Erhöhungen
der vergangenen zehn Jahre. Würde heute noch das
Recht von 1998 gelten
- als Sie noch an der Regierung beteiligt waren -,
müssten die Bürger rund 30 Milliarden Euro mehr
an Steuern zahlen.
Auch das gehört zur Wahrheit beim Thema „Abkassieren und Schulden machen“.
({5})
Herr Kollege Koppelin, ich gebe Ihnen das gerne.
({6})
Bis heute habe ich keine gegenteilige Stellungnahme zu
diesem Spiegel-Artikel vernommen. Wenn in dem Artikel ein Fehler sein sollte, können wir uns darüber gerne
im Rahmen der in der nächsten Woche im Ausschuss beginnenden Haushaltsplanberatungen austauschen.
Die finanzpolitische Ausgangslage hat sich gegenüber den Vorjahren deutlich verbessert. Die Konsolidierung schreitet konsequent voran. Die Nettokreditaufnahme konnte von 31,2 Milliarden Euro in 2005
kontinuierlich und in beträchtlichen Schritten gesenkt
werden. Sie wird, wenn wir am Ende der Haushaltsberatungen für das Haushaltsjahr 2009 sind, bei unter
10 Milliarden Euro liegen. Das ist ein großes, ein hehres
Ziel. Dieser Verantwortung sollten wir uns gemeinsam
stellen. Das ist eine Entwicklung, auf die wir bei allen
Problemen und Risiken, die nach wie vor vorhanden
sind, durchaus ein wenig stolz sein können. Dankbar
sollten wir in diesem Zusammenhang denjenigen Menschen in unserem Land sein, die mit ihrer Leistung diese
Erfolge möglich gemacht haben. Diese Leistung, die jeder Einzelne an seinem Platz erbringt, verdient größten
Respekt, Dank und Anerkennung.
Bei dieser Gelegenheit muss man darauf hinweisen
dürfen, dass unsere Volkswirtschaft im Gegensatz zu anderen Volkswirtschaften in Europa und darüber hinaus
erhebliche Milliarden an Sonderaufwendungen für die
deutsche Einheit aufgebracht hat. Auch das ist eine Leistung, auf die unsere Volkswirtschaft, auf die alle Menschen in unserem Land stolz sein können.
({7})
Zur Schuldenbremse und zur Nettokreditaufnahme,
die künftige Haushalte angeht, sind bereits Ausführungen gemacht worden. Ich will sie an dieser Stelle nicht
wiederholen.
Was die Frage der Ausgaben des Bundes für soziale
Leistungen angeht, könnte man bei manchen Äußerungen den Eindruck gewinnen - das betrifft die linke Seite
dieses Hauses -, wir würden nicht erhebliche Summen
aufwenden. Ich darf darauf hinweisen, dass wir für den
Bereich Soziales im Bundeshaushalt 2009 immerhin
rund 141,1 Milliarden Euro vorsehen. Das sind
48,9 Prozent der gesamten Ausgaben, also fast die
Hälfte. Wer mehr will - diese Forderung ist ja berechtigt -,
muss auch sagen, wie er das gegenfinanzieren will.
Wenn man 150 Milliarden Euro jährlich wiederkehrender Mehrausgaben fordert und keine nachvollziehbare
Gegenfinanzierung auf den Tisch legt - das war mit dem
Programm gemeint, das der Finanzminister heute Vormittag angedeutet hat -, dann ist man unglaubwürdig.
Einen Beweis für die Finanzierbarkeit ihres Vorschlages
ist die sogenannte Linke bis heute schuldig geblieben.
({8})
Wer sich dann auch noch in einer - ich möchte es einmal vornehm ausdrücken - peinlichen Art und Weise
wie heute Vormittag ans Rednerpult stellt und von einem
völkerrechtswidrigen Krieg in Afghanistan spricht, der
diskreditiert die Leistung der Soldatinnen und Soldaten,
die in diesem Land seit vielen Jahren eine gefährliche
Mission haben und deren Arbeit dazu geführt hat, dass
Mädchen wieder in die Schule gehen können und Aufbauleistungen getätigt werden können.
({9})
Wer sich in dieser Art und Weise hier hinstellt und auch
noch auf Geschenke für die oder Kniefälle vor der Rüstungslobby hinweist, geht mit seinen Aussagen an der
Wahrheit und Wahrhaftigkeit vorbei.
({10})
Ich sehe, die Uhr am Rednerpult geht Richtung null.
({11})
Mit der Null hatten wir heute Morgen schon etwas Spaß
bezüglich der Nettoneuverschuldung. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich freue mich auf die beginnenden Haushaltsberatungen im Ausschuss. Ich freue mich auch auf
das Sparbuch der Freien Demokraten.
({12})
Hoffentlich ist in diesem Jahr etwas darauf. Denn ein
Sparbuch ist letztendlich nur vernünftig und sinnvoll,
wenn ein Guthaben darauf ist. Das, was Sie bisher geliefert haben, war kein Guthaben, sondern nicht realisierbare Einsparmöglichkeiten.
({13})
In diesem Sinne herzlichen Dank fürs Zuhören und
weiterhin viel Erfolg bei den Beratungen.
({14})
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, Einzelplan 10.
Vizepräsidentin Petra Pau
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Haushalt 2009 rundet die Wahlperiode ab. Er
setzt die richtigen Akzente. Wenn ich mir die einzelnen
Positionen ansehe, kann ich für die Bereiche der Landwirtschaftspolitik und der Verbraucherschutzpolitik sagen, dass die Regierungskoalition in dieser Legislatur
alle Punkte, die wir zu Beginn der Legislatur vereinbart
hatten, auf Punkt und Komma erfüllt hat. Das drückt dieser Haushalt aus.
({0})
Der Haushalt 2009 enthält wichtige neue Akzente.
Besonders freut mich nach der jahrelangen Kürzung der
Mittel für den ländlichen Raum und der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
Küstenschutzes“ das Aufwachsen dieser Mittel auf
700 Millionen Euro im Jahre 2009. Es waren einmal
über 800 Millionen Euro; sie sind von meiner Vorgängerin kräftig gekürzt worden. Wir sind jetzt wieder bei
700 Millionen Euro mit den Schwerpunkten Küstenschutz im Norden unserer Republik und Breitbandverkabelung im ländlichen Raum in der ganzen Republik. Das
sind wichtige Schwerpunkte, die rechtfertigen, dass wir
diese Mittelaufstockung durchgeführt haben. Ich denke,
die Koalition zeigt, dass wir über die Attraktivität ländlicher Gebiete als Wirtschafts- und Lebensräume nicht nur
reden, sondern auch die notwendigen Finanzmittel zur
Verfügung stellen.
({1})
Das ist ein ganz wichtiger Schwerpunkt.
Der zweite wichtige Schwerpunkt ist die landwirtschaftliche Sozialpolitik. Ich nehme für diese Regierung in Anspruch, dass seit der deutschen Einheit keine
Regierung im Amt war, die die landwirtschaftliche Sozialversicherung und die Zuschüsse des Bundes dazu
nicht gekürzt, sondern erhöht hat. Wir als Bund stellen
insgesamt 3,7 Milliarden Euro für die verschiedenen
landwirtschaftlichen Sozialversicherungszweige zur Verfügung. Was die Koalitionsfraktionen bei der Reform der
landwirtschaftlichen Unfallversicherung geleistet haben,
({2})
ist ein großes positives Beispiel für Reformen in der Sozialversicherung insgesamt.
Wir alle wissen: Die Bevölkerung hat immer die
Sorge, dass, wenn man von Reformen spricht, es anschließend immer etwas schwieriger ist als vorher. Ich
denke, uns ist eine Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gelungen, die für viele Sozialreformen
in der Zukunft beispielhaft sein kann. Wir sollten auf
diesem Weg weitergehen. Diese Reform hat sich in der
Praxis als Renner und als Beitragsstabilisator für die
Landwirtschaft herausgestellt.
({3})
Als dritten Schwerpunkt nenne ich die Reform der
Ressortforschung; sie war ein Kraftakt. Dafür stellen
wir 288 Millionen Euro zur Verfügung. Ich möchte betonen, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
in den Ressortforschungseinrichtungen der Republik
eine vorzügliche Arbeit leisten. In Deutschland gibt es
eine Reihe weltweit führender Institute, beispielsweise
das Institut auf der Insel Riems,
({4})
das ich ohne Übertreibung als auf der ganzen Welt führend bezeichnen möchte. Vor diesem Hintergrund bin ich
dem Haushaltsausschuss sehr dankbar, dass er erwägt,
die Investitionskosten, die dort benötigt werden, über
mehrere Jahre verteilt zur Verfügung zu stellen. Auch in
den anderen Bereichen der Ressortforschung sind wir
auf einem guten Weg, in Deutschland Exzellenzforschung zu erreichen, die keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht.
({5})
Mit diesem Teil der Landwirtschaftspolitik bin ich,
sofern er sich in Haushaltszahlen ausdrücken lässt, hochzufrieden. Ich denke, wir haben für die Agrarwirtschaft
sehr verlässliche Investitionsgrundlagen geschaffen.
Wichtig ist vor allem, dass wir die deutsche Landwirtschaftspolitik wieder zu einer Einheit gemacht haben;
das gilt für die 16 Bundesländer und für den Bund. Vielfalt in der Landwirtschaft ist gut. Uns ist es allerdings
gelungen, das ehemals unselige Gegeneinander von großen und kleinen Betrieben, von Norden, Osten und Süden, von Biolandwirtschaft, konventioneller sowie regionaler Landwirtschaft und dem Weltmarkt in eine
Partnerschaft zu gießen. Das Sich-gegenseitig-Ausspielen ist nun zu Ende.
Die Agrarwirtschaft in Deutschland hat insgesamt gewonnen. Dass sie leistungsstark ist, zeigt sich daran,
dass Deutschland noch nie zuvor neben dem Boom in
der Biolandwirtschaft, der regionalen Bewirtschaftung
und der regionalen Vermarktung zusätzliche Weltmarktanteile gewonnen hat. Das spricht für die Qualität
unserer landwirtschaftlichen Produkte. Außerdem waren
unsere Exportanteile in der Agrarwirtschaft noch nie so
hoch wie im abgelaufenen Wirtschaftsjahr.
({6})
Ich bin froh, dass uns auch der vierte Schwerpunkt,
den wir gesetzt haben, mit Ihrer Unterstützung gut gelungen ist. Wir haben weltweit Verträge geschlossen, zuletzt mit China, durch die die Exportmöglichkeiten unserer Landwirtschaft deutlich verbessert werden. So viel
zu dem einen Standbein unseres Ministeriums.
Nun zum anderen Standbein, dem Verbraucherschutz. Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen
jetzt nicht alle 28 Maßnahmen vortragen, die wir in den
letzten drei Jahren zugunsten der Verbraucher - und
zwar nicht durch verbale Kraftmeierei, sondern durch
ganz konkrete Verbesserungen - durchgeführt haben.
({7})
Auch wenn wir für den Verbraucherschutz nicht allein
zuständig sind - hier handelt es sich oft um ein Zusammenspiel verschiedener Ressorts -,
({8})
möchte ich stichwortartig einige Erfolge erwähnen, die
wir in den letzten Wochen erzielt haben.
Wir haben die unerlaubte Telefonwerbung eingeschränkt und die Fahrgastrechte bei der Deutschen Bahn
gestärkt; ich bin sehr glücklich darüber, dass wir den unseligen Bedienungszuschlag in Höhe von 2,50 Euro verhindert haben.
({9})
Außerdem haben wir die Nährwertkennzeichnung im Interesse der Verbraucher deutlich verbessert, das Label
„Ohne Gentechnik“ eingeführt und den Nichtraucherschutz in öffentlichen Gebäuden des Bundes auf die
Höhe der Zeit gebracht.
({10})
Wir haben den großen Wunsch der Bevölkerung erfüllt und dafür gesorgt - hier sind wir zumindest auf einem guten Wege -, dass persönliche Daten nicht ohne
ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen gegen Entgelt gewerblich genutzt werden dürfen.
({11})
Darüber hinaus haben wir den sehr erfolgreichen Aktionsplan IN FORM, der in sehr großem Umfang angenommen wird, und einen Aktionsplan gegen Allergien
auf den Weg gebracht.
({12})
Das waren nur einige Beispiele für das, was wir in
den letzten Wochen getan haben. Daran wird deutlich,
dass wir auch mit Blick auf unser zweites Standbein erfolgreich waren. Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt. Wir definieren den mündigen Verbraucher in der
Weise, dass wir ihm Informationen, Aufklärung und
Hinweise zukommen lassen und dann die souveräne Entscheidung des Verbrauchers akzeptieren.
({13})
Meine Damen und Herren, insgesamt möchte ich sagen, dass die deutsche Landwirtschaft sehr gut in Form
ist. Wir haben den Verbraucherschutz gestärkt. Die Verbraucher sind jetzt auf der gleichen Augenhöhe wie
große und mächtige Wirtschaftsunternehmen. Wir werden auch in Zukunft eine verlässliche Politik betreiben:
im Hinblick auf die Gesundheitsüberprüfung der europäischen Agrarpolitik, die Situation der Milchbauern
und den Abbau der Bürokratie. Ich trete entschieden dafür ein, dass die Regierungskoalition weiterhin den Vorsatz hat, keine neuen Paragrafen mehr zu zimmern, die
für die Betroffenen Belastungen zur Folge haben.
({14})
Deshalb bin ich hochzufrieden mit der Gesamtkonzeption dieser vier Jahre, die sich in diesem Haushaltsentwurf 2009 sozusagen abrundet. Wie gesagt, wir haben all unsere Koalitionsziele erreicht. Alle Prognosen,
dass Schluss mit Biobauern sei, wenn ein Schwarzer
Landwirtschaftsminister ist, waren Schall und Rauch.
Das Gegenteil ist eingetreten. Wir haben Wort gehalten.
Dies war nur durch die Unterstützung der beiden Koalitionsfraktionen möglich. Deshalb möchte ich mich bei
beiden Arbeitsgruppen bedanken und natürlich auch bei
den Berichterstattern im Haushaltausschuss, die immer
lautlos dafür gesorgt haben, dass das, was wir uns politisch vorgenommen haben, auf eine solide finanzielle
Grundlage gestellt worden ist.
Da meine Fraktion immer die Sorge hat, dass ich ihr
Redezeit wegnehme, wenn ich auftrete, möchte ich nun
meiner Fraktion eine Minute Redezeit zur Verfügung
stellen.
({15})
Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege HansMichael Goldmann das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist eigentlich richtungweisend, dass Sie bei
Ihrem frühzeitigen Abgang den meisten Beifall bekommen haben.
({0})
Herr Minister Seehofer, ich hatte mich schon darauf
eingestellt, dass Sie Ihre Bilanz schönreden.
({1})
Dass Sie aber derartig aus dem Ruder laufen, das hätte
ich fast nicht für möglich gehalten.
({2})
Wovon reden Sie eigentlich? Von welcher Wahrnehmungswelt reden Sie? Muss es sein, dass wir uns zehn
Tage vor der Wahl in Bayern dieses Agrargesülze von
Ihnen ohne jede Faktenlage anhören?
({3})
Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, was Sie hier abziehen.
Das ist doch eine Beleidigung der Landwirte, der Ernährungswirtschaft und der Verbraucher, die eine Antwort
haben wollen.
({4})
Sie haben sich auf der Grünen Woche und auf der
Agritechnica damit gebrüstet, dass das Konjunktur- und
Investitionsbarometer Agrar nach oben gegangen sei.
Nehmen Sie aber nicht zur Kenntnis, dass im Juni dieses
Jahres dieser Index von 34 Zählern auf 19 Zähler zurückgegangen ist, weil niemand Ihrer Politik mehr vertraut, weil die Bürgerinnen und Bürger sowie die Landwirte nicht wissen, in welche Richtung dieser Mensch
mit seiner politischen Arbeit marschiert?
({5})
- Das ist nicht „ey, ey, ey“, das ist Fakt. Sie haben dem
Begriff „PPP“ eine völlig neue Dimension gegeben. Was
Sie machen, ist populistisch. Was Sie machen, ist planwirtschaftlich. Vor allen Dingen beklage ich, dass Sie
dem Ganzen einen parteipolitischen Touch geben vor
dem Hintergrund der Wahlen in Bayern.
({6})
Das halte ich für eine Katastrophe für die demokratische
Auseinandersetzung; das will ich einmal sehr deutlich
sagen.
Was bei der Milch passiert ist, ist strikt abzulehnen,
weil Sie vorgegaukelt haben, dass Sie etwas regeln können, was aber überhaupt nicht möglich ist. Sie haben den
Bauern 40 Cent versprochen. Das war aber rein populistisch; denn Sie wissen ganz genau, dass das nicht zu erzielen ist. Sie führen einen Milchgipfel durch, dessen Ergebnisse minimal sind. Nun weigern Sie sich, eine
Lösung auf den Weg zu bringen, weil in Bayern Wahlen
anstehen.
Wenn Sie sagen, Sie würden für die gesamte Landwirtschaft in Deutschland eine Politik des Ausgleichs
bzw. eine Politik betreiben, die hochzufriedenstellend
sei, dann kann ich dazu nur sagen: Mit dem, was Sie in
der Milchpolitik gemacht haben, ist niemand in Deutschland zufrieden, weder die Bauern in Bayern noch die
Bauern in Norddeutschland.
({7})
Sie haben einen planwirtschaftlichen Eingriff vorgenommen. Im Grunde genommen haben Sie einen parteipolitischen Kniefall auf Kosten der Agrarwirtschaft und insbesondere auf Kosten der Milchwirtschaft begangen.
Das geht so weiter. Was meinen Sie denn, wenn Sie
sagen, die Leute hätten Planungssicherheit? Sie haben
jetzt eine Modulationsregelung auf den Weg gebracht,
die dazu führt, dass die Direktzahlungen an die Bauern
vor dem Jahr 2013 in einem Maße gekürzt werden, wie
man es nicht erwarten durfte.
Zunächst sagen Sie, es bleibe alles beim Alten. Dann
heißt es, dass Sie die Modulationsmittel einsetzen wollen, um einen schleichenden Milchausstieg zu realisieren. Bei dieser Frage stehen wir nicht nur im völligen
Widerspruch zur europäischen Ebene, sondern auch innerhalb der Koalition. Die SPD will etwas völlig anderes
als die CDU/CSU. Man muss doch einfach einmal zur
Kenntnis nehmen, dass Sie sich in allen zentralen Punkten überhaupt nicht durchsetzen.
({8})
Sie seichtern in der Gegend herum: hier ein bisschen labern, da ein bisschen labern. Wenn es aber um die Fakten geht, stehen Sie nicht zu den Dingen.
Stichwort Erbschaftsteuer. Wo ist denn Ihr Einsatz für
die mittelständischen Betriebe im Agrarbereich? Wo ist
Ihr Veto gegen das, was hier von der Koalition, insbesondere von der SPD, auf den Weg gebracht wird?
({9})
Sie sagen, im Bereich Ernährung hätten Sie Weichen
gestellt. Im Grunde genommen kann ich mich nur totlachen.
({10})
- Genauso ist das; lieber Manfred Zöllmer, darin sind
wir uns einig, also erzähle nichts. - Sie waren auf der
Anuga. Auf der Anuga wurde erklärt: Die Ampel wäre
eine Dummheit; Mittelständler, macht euch freiwillig
auf den Weg. Was machen Sie jetzt? Jetzt wollen Sie genau die Ampel durchsetzen, die Sie vor kurzer Zeit noch
als Dummheitsregelung bezeichnet haben.
({11})
Sie erklären, Sie hätten eine Umfrage gemacht, und in
der Umfrage hätten die Leute gesagt, dass ein bisschen
Farbe auf dem Etikett doch nicht verkehrt ist. Plötzlich
kommt Herr Seehofer und sagt holterdiepolter: Macht
eine Ampel, das ist doch auch ganz hübsch.
({12})
Das ist keine substanzielle Politik. Nein, hier haben Sie
nichts zu bieten.
({13})
Sie sind mit der Milchquote und den Biokraftstoffen
gescheitert. Sie wollen eins zu eins umgesetzt haben?
Ich lache mich tot. Fragen Sie doch einmal die Bauern,
wo Sie eins zu eins umgesetzt haben. Die Modulation ist
gescheitert. Die Probleme mit der Biotechnologie wird
Frau Happach-Kasan noch ansprechen.
Das schärfste Stück, was es überhaupt gibt, ist die
Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung. Es steht „Ohne
Gentechnik“ drauf, enthalten sind aber 0,9 Prozent Gentechnik. Das sollte man sich einmal in einem anderen
Bereich erlauben. Wenn „Ohne Alkohol“ drauf steht und
0,9 Prozent Alkohol drin sind, dann würden alle aufschreien. Herr Seehofer bringt solche Dinge aber auf den
Weg und verkauft sie auch noch als Erfolg.
({14})
Beim Verbraucherschutz möchte ich einmal zwei
Dinge herausgreifen: Die Regelung hinsichtlich der Cold
Calls wurde nun wirklich höchste Zeit. Darin sind wir
uns ja einig.
Liebe Julia Klöckner, wie ist aber die Situation bei
den Fahrgastrechten? Wie war das denn?
({15})
Was wurde denn hinsichtlich der Fahrgastrechte gefordert, und was wurde erreicht? Es entstand eine europäische Pseudoregelung, durch die der Bahn im Grunde
genommen die Möglichkeit gegeben wird, über eine
Stunde verspätet zu sein, ohne einen Schadensausgleich
an den Kunden leisten zu müssen.
({16})
Das sollen Fahrgastrechte sein? Das ist eine Fürsorgehaltung. Das ist ein Kniefall vor einem Monopolisten,
der seinen Kram nicht in den Griff bekommt.
({17})
Hätten Sie sich an das gehalten, was die FDP auf den
Weg gebracht hat, dann wären wir jetzt viel weiter.
({18})
Letzter Punkt - Manfred Zöllmer, du bist sicherlich
wieder einer Meinung mit mir -: Du willst doch nicht
ernsthaft behaupten, dass durch das Verbraucherinformationsgesetz das erreicht wird, was den Menschen
versprochen wurde. Es ist zu eng gefasst. Derjenige, der
die Regelungen in Anspruch nimmt, muss erst einmal
50 Euro oder mehr auf den Tisch legen, bevor er eine
Auskunft erhält.
({19})
Das ist Ihr Verbraucherinformationsgesetz. In meinen
Augen ist das eine Verbraucherverhohnepipelung, um
hier ein Wort zu benutzen, das auch noch ins Parlament
passt.
Herr Seehofer, Ihre Bilanz ist vernichtend, und die
Antwort darauf geben die Landwirte.
({20})
Herr Kollege Goldmann, der Minister hat die Redezeit seiner Fraktion und nicht der FDP-Fraktion zur Verfügung gestellt.
({0})
Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, dass Sie
jetzt auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen sprechen.
Frau Präsidentin, ich mache Schluss. Das Problem ist,
dass der Minister nichts zu sagen hat, während das bei
mir ja anders ist.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Waltraud Wolff für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Nach der Rede
von Herrn Kollegen Goldmann möchte ich gerne zur
Sachlichkeit zurückkommen. Herr Kollege Goldmann,
es hätte mich sehr gefreut, wenn Sie einmal gesagt hätten, was die FDP will, und nicht, was Sie alles nicht wollen und was alles schlecht gewesen ist.
({0})
Kommen wir jetzt aber zur Sachlichkeit zurück.
Wir haben in diesem Haushaltsansatz 5,29 Milliarden
Euro bereitgestellt. Ich denke, das ist ein guter Ansatz
für 2009. Darin ist eine deutliche Aufstockung der Mittel
für die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ enthalten. Darauf hat Herr Minister Seehofer schon hingewiesen. Außerdem gibt es auch das Programm zum Ausbau
des Breitbandnetzes, das für die Entwicklung der ländlichen Räume ganz wichtig ist. Wir als SPD haben immer
großen Wert darauf gelegt, und wir sehen diese Mittelaufstockung auch als ein positives Signal für die dort
lebenden Menschen.
({1})
Das Bundesprogramm Ökologischer Landbau soll mit
16 Millionen Euro weitergeführt werden. Hier stehen als
ein Schwerpunkt der Förderung Forschung und Entwicklung ganz besonders im Mittelpunkt. Auch das ist ein
gutes Signal für die Zukunft.
Wir haben im letzten Jahr die Fortsetzung dieses Bundesprogramms durchgesetzt, weil wir sehen, dass der
Markt für die Bioprodukte wächst. An dieser Stelle
möchte ich mich bei meinem Kollegen Gustav Herzog
ganz herzlich bedanken, der sich mit guten Argumenten
vehement für dieses Bundesprogramm eingesetzt hat.
({2})
Waltraud Wolff ({3})
Unser Ziel ist, dass die Landwirte die Marktchancen,
die sich ihnen bieten, nutzen können. Gleichzeitig ist es
uns wichtig, den ökologischen Landbau als einen Baustein zur Reaktion auf den Klimawandel zu sehen. Gemeinsam mit der Entwicklung der ländlichen Räume ist
dies eine Investition in die Zukunft.
({4})
Dies ist aber nicht nur eine Investition in die Zukunft der
Landwirtschaft, sondern auch in die Zukunft der gesamten Gesellschaft. Sehr geehrter Herr Minister, lieber Herr
Seehofer, ich freue mich, dass Sie dieses Jahr das Bundesprogramm Ökolandbau von sich aus im Haushalt berücksichtigt haben. Wir können hier gemeinsam Schwerpunkte setzen. Hier sind wir auf einem guten Weg.
Agrarhaushalt klingt für die Menschen im Lande immer nach längst überkommenen Subventionen. Aber bei
genauerer Betrachtung des Haushalts erkennen wir, dass
wir gerade hier in die Zukunft investieren. Wir investieren in eine intakte Umwelt. Wir investieren in lebendige
ländliche Räume, in wettbewerbsfähige Betriebe und in
gesunde Menschen und starke Verbraucherinnen und
Verbraucher. Wenn das nicht zukunftsfähig ist, dann
weiß ich es nicht.
({5})
Aber wir können all das in diesen Haushaltsberatungen
noch verbessern. Wir als SPD haben gute Ideen. Ich
werbe in den nächsten Wochen dafür, dass Sie uns dabei
helfen, diese zu verwirklichen.
Ich habe die Gemeinschaftsaufgabe angesprochen.
Die EU-Kommission hat zu Recht darauf hingewiesen,
dass der Klimawandel eine der großen Herausforderungen ist und auch der Erhalt der biologischen Vielfalt
ganz entscheidend sein wird. Wir wissen, dass gerade
die Landwirtschaft vom Klimawandel betroffen ist. Deshalb müssen wir diese Herausforderungen annehmen.
Es gibt einen Sonderrahmenplan für den Küstenschutz. Auch das ist ein notwendiger Teil. Notwendig ist
es aber auch, innerhalb des normalen Rahmenplans dafür zu sorgen, dass die Eindämmung der Klimarisiken,
die Anpassung an den Klimaschutz und auch der Erhalt
der Biodiversität ein spürbares Gewicht erhalten. Die
Agrarpolitik kann die Anpassung der Landwirtschaft an
die Herausforderungen des Klimawandels und natürlich
auch die Verringerung der Risiken unterstützen. Das
wollen wir gerne tun.
Dafür müssen wir aber in der Zukunft noch viel stärker als bisher an den Zielen einer standortangepassten
Landwirtschaft arbeiten. Wir müssen auf eine auf die
Veränderung ausgerichtete Landbewirtschaftung abstellen und auch die artgerechte und gesunde Haltung von
Tieren als oberstes Gebot sehen.
({6})
Diese Richtung können und müssen wir mit den Maßnahmen der Gemeinschaftsaufgabe unterstützen.
Ich habe vorhin das Breitbandprogramm angesprochen. Bei diesem Signal in die Zukunft steht natürlich
die Entwicklung der ländlichen Räume im Mittelpunkt.
Daran müssen sich die Programme der Gemeinschaftsaufgabe ausrichten. Wir können aber gleichzeitig auch
hier die Menschen unterstützen, die sich vor Ort engagieren. Deshalb schlagen wir als SPD eine institutionelle
Förderung des Bundesverbandes der Regionalverbände
vor. Hier können wir die Regionalinitiativen stärken und
so die Vernetzung für die Entwicklung der ländlichen
Räume viel effektiver als bisher nutzen.
Zu den neuen Herausforderungen, die die EU definiert hat, gehört natürlich auch der Erhalt der biologischen Vielfalt. Hier sehe ich für die Haushaltsberatungen zwei entscheidende Punkte. Zum einen müssen wir
ein umfassendes Monitoring der Biodiversität dort aufbauen, wo gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut
werden, weil wir beobachten müssen, ob dieser Anbau
Auswirkungen auf unsere Umwelt hat.
({7})
Zum anderen müssen wir auf die tiergenetischen Ressourcen abstellen und die Nachhaltigkeit nutzen. Das
bestehende Fachprogramm ist überwiegend auf die wissenschaftliche Begleitforschung ausgerichtet. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erhaltungszucht und
der Bestandsaufnahme der tiergenetischen Ressourcen.
An dieser Stelle kann man Änderungen vornehmen, weil
die bisherigen Förderansätze für aktive Landwirte, die
quasi aus Eigeninitiative alte Nutztierrassen halten, finanziell unzureichend ausgestattet sind. Hierauf könnte
man auch in der GAK einen entsprechenden Schwerpunkt setzen und die Landwirte vor Ort unterstützen.
Die vorgesehenen Mittel für den effizienten Energieeinsatz in Landwirtschaft und Gartenbau sind ein richtiger Schritt. Darüber sind wir uns, glaube ich, fraktionsübergreifend einig. Denn sie sind ein Beitrag zum
Klimaschutz und zur Kostensenkung der Betriebe.
Auch in der Fischerei - das ist, glaube ich, das erste
Mal, dass ich in meiner Rede die Fischerei in den Blick
nehme ({8})
gibt es Potenziale, den Treibstoffverbrauch zu senken
und die Fischerei in Zukunft nachhaltiger zu gestalten.
Wir müssen prüfen, ob es zum Beispiel im Rahmen der
Ressortforschung möglich ist, die Fischer zu unterstützen, indem bessere Netze entwickelt werden, die den
Schleppwiderstand verringern und eine bessere Trennung des Fanges ermöglichen. Unser Ziel kann und
muss in diesem Zusammenhang eine bestandserhaltende
Bewirtschaftung unserer Gewässer sein.
({9})
Ein anderer Schwerpunkt unseres Haushalts ist die
Förderung der nachwachsenden Rohstoffe. Diese Mit18576
Waltraud Wolff ({10})
tel werden insbesondere für die Markteinführung und für
die technischen Verbesserungen ausgegeben. Ein
Schwerpunkt muss aber auch auf der Technikfolgenabschätzung liegen. Wir alle haben noch die Diskussionen
der letzten Zeit in Erinnerung. Deshalb schlagen wir vor,
die Technikfolgenabschätzung bei der Nutzung von Biomasse in den Blick zu nehmen und dabei den Schwerpunkt auf die Untersuchung der Auswirkungen der Ausbringung von Gärresten auf die Böden zu legen.
Außerdem wissen wir alle um die Flächen- und Nutzungskonkurrenzen der stofflichen und energetischen
Verwendung nachwachsender Rohstoffe. Wenn wir ein
Signal für die Zukunft setzen wollen, dann sollten wir
auch die damit verbundenen Möglichkeiten nutzen. Wir
investieren in die Zukunft.
Ich möchte mich beim Verbraucherschutz - dazu werden noch zwei Kollegen aus meiner Fraktion reden - auf
einen Punkt konzentrieren. Wir haben in diesem Jahr
- das hat Herr Minister Seehofer angesprochen - die
Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ beschlossen. Die
Verbraucherinnen und Verbraucher erhalten Wahlfreiheit.
Die Hersteller können ihre Produkte mit der Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ bewerben. Unser Vorschlag ist,
diese Kennzeichnung mit einer breit angelegten Informationskampagne in der Bevölkerung zu unterstützen.
({11})
Finanzminister Peer Steinbrück hat heute Morgen
festgestellt, dass Investitionen in die Zukunft wichtig
sind. Der Bundeshaushalt ist entsprechend aufgestellt.
Unsere Vorschläge machen deutlich, dass wir uns hieran
orientieren. Ich wünsche uns allen gemeinsam konstruktive Haushaltsberatungen.
({12})
Für die Fraktion Die Linke spricht nun die Kollegin
Dr. Kirsten Tackmann.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Verehrte Gäste! Haushaltsberatungen sind immer auch eine Art Leistungskontrolle oder Zeugnisvergabe. Insofern sollten wir uns aus meiner Sicht auch
damit befassen, auf welche Situation dieser Haushaltsentwurf trifft.
Die Liste der vor allen Dingen von Herrn Seehofer
unbewältigten Konfliktfelder im Agrarbereich ist lang.
Der Milchstreik ist schon genannt worden. Es gab Demonstrationen von Imkern, Schweinehaltern, Schäfern
und der Biokraftstoffbranche. Es gab Feldbesetzungen
gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen.
Wir hatten einen weiteren Personalabbau und zusätzliche Standortschließungen im Agrarforschungsbereich zu
verzeichnen. Die Betriebsmittelkosten und die Bodenund Pachtpreise explodieren. Es gibt Fördermittelrückforderungen an Gartenbaubetriebe. Außerdem droht die
Kürzung von Direktzahlungen an die Landwirtschaftsbetriebe in Höhe von 400 Millionen Euro. Hinzu kommen
Nutzungskonflikte zwischen Lebensmittel-, Futtermittel- und Biomasseanbau.
Auch die sozialen Probleme in den ländlich geprägten
Regionen nehmen weiter zu. 41,1 Prozent der Erwerbstätigen in Ostdeutschland arbeiten unterdessen im Niedriglohnbereich. Das betrifft vor allen Dingen Dörfer,
kleine Städte und die Landwirtschaft, also den Verantwortungsbereich von Horst Seehofer. Was tut die Koalition in dieser Situation? Sie blockiert den gesetzlichen
Mindestlohn und schafft die Pendlerpauschale ab.
({0})
Die Folgen sind absehbar und stehen im gerade veröffentlichten „Raumordnungsbericht Berlin-Brandenburg“.
Für das Jahr 2030 wird ein Bevölkerungsschwund von
25,4 Prozent in den Berlin-fernen Regionen prognostiziert. Der Grund ist eine „erhebliche Abwanderung junger Erwerbstätiger“. Konkret: Vor allem junge Frauen
fliehen in den Westen oder in Großstädte. Sie wollen dem
Armutsrisiko und den fehlenden Lebensperspektiven entrinnen; denn es fehlt auf dem Land vieles, was junge
Frauen brauchen. Es fehlt an öffentlicher Kinderbetreuung, Bus- und Bahnverbindungen, Arztpraxen, Kultur,
Bildung und Dienstleistungen. Es fehlt an sozialer Absicherung vor allem für mitarbeitende Familienangehörige.
Es fehlt an qualifizierter Arbeit. Gerade einmal 7 Prozent
der Leiter landwirtschaftlicher Betriebe in der Bundesrepublik sind Frauen. Damit belegt Deutschland in der EU
der 27 den letzten Platz.
({1})
Es fehlt zudem an gerechter Entlohnung. Laut einer
aktuellen Studie bekommen Frauen selbst bei gleicher
Qualifikation 33 Prozent weniger Lohn als Männer, das
heißt 12 statt 18 Euro brutto pro Stunde. Im Osten gilt
das nicht. Dort bekommen auch die Männer weniger.
Die Antwort von Horst Seehofer auf diese spezifischen
Probleme besteht in einer Arbeitsgruppe von acht Ministerien. Aber ausgerechnet die Familien- und Frauenministerin fehlt. Das ist eine glatte Fehlleistung, auch der
Ministerin.
({2})
Blindheit gegenüber Gleichstellungsproblemen auf
dem Land zeigt auch der Bundeshaushalt. Die Mittel für
die Gemeinschaftsaufgabe werden zwar auf 700 Millionen Euro aufgestockt. Aber Ansätze für eine geschlechtergerechte Verteilung dieser Fördermittel sind nicht
erkennbar. Es fehlt aber nicht nur an Geld. In der Anhörung zur Gemeinschaftsaufgabe haben wir erfahren, wie
schwierig der Zugang zu diesen Mitteln ist. Auch das betrifft besonders Frauen. Das ist alles andere als eine Politik im Interesse der Dörfer und der kleinen Städte.
Es gibt aber auch andere Großbaustellen. Wenn der
Bund über die BVVG den ehemals volkseigenen Boden
zu Höchstgeboten veräußert, mag zwar die Bundeskasse
klingeln. Aber viele ortsansässige Landwirtschaftsbetriebe verlieren dadurch in Ostdeutschland ihre Produktionsgrundlage. Sie können bei den spekulativen Bodenkäufen nicht mithalten. Das ist keine Politik im Interesse
der ortsansässigen Bewirtschafter. Sie trägt stattdessen
zur Konzentration von Bodeneigentum und zur sozialen
Destabilisierung bei.
Im Streit um die flächenabhängige Kürzung der EUDirektzahlungen verlieren zuerst die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe, die viele Arbeitsplätze erhalten und
geschaffen haben. Arbeitsplatzabbau und Lohnzurückhaltung sind die Folge. Das angeblich nur umgeschichtete
Geld wird auch in den Landkreisen nicht ankommen, weil
die dafür notwendigen Kofinanzierungsmittel der Bundesländer fehlen. Das ist keine Politik im Interesse der
Landwirtschaftsbetriebe und der Dörfer.
({3})
Bei der Agrogentechnik weiß man nicht, wofür Horst
Seehofer und die Koalition stehen - jedenfalls nicht auf
der Seite der gentechnikfreien Landwirtschaft und der
Imkerei. Beim Milchstreit hat sich gezeigt, dass Horst
Seehofer nicht konsequent auf der Seite der Milcherzeugerbetriebe sowie der Verbraucherinnen und Verbraucher steht. Seine starken Worte gegen kartellartige Handelstrukturen sind folgenlos verhallt. So bekommen wir
das nicht hin, weder eine flächendeckende einheimische
Milchproduktion noch kostendeckende Erzeugerpreise,
die wir im Laden noch bezahlen können.
Insofern stellt sich die Frage: Wessen Interessen vertreten der Minister und die Koalition eigentlich? Aus
meiner Sicht wird der Agrarhaushaltsentwurf 2009 vielen Problemen im ländlichen Raum nicht gerecht.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Ulrike Höfken das Wort.
Herr Minister Seehofer! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn Sie ernsthaft glauben, dass Sie Ihre Aufgaben und Ziele mit diesem Haushalt erfüllt haben, dann
sollten Sie jetzt konsequenterweise gehen. Aber auch in
Bayern bleibt dem Wahlvolk der Jubel ja im Halse stecken.
({0})
Ich will nur ein wichtiges Beispiel nennen, nämlich
das der armen Menschen in diesem Land. Ich habe gerade eine Tour zum Thema Armut und Ernährung gemacht. Hunderttausende von Menschen sind mittlerweile
Kunden der sogenannten Tafeln. Sehr viele Freiwillige,
deren Arbeit äußerst bewundernswert ist,
({1})
versorgen diese Menschen mit den notwendigen Lebensmitteln. Aber keiner sagt, dass diese Arbeit allein von
diesen Freiwilligen erledigt werden kann. Vielmehr ist
ganz klar, dass diese Probleme nicht von den Tafeln gelöst werden können. Das sind Probleme der Gesellschaft
sowie der Politik, und von Letzterer sind sie auch zu lösen.
({2})
- Genau.
Die schwarz-rote Bundesregierung hat seit 2005 etwa
60 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen zu verbuchen.
Das entspricht einem Fünftel mehr an Haushaltsmitteln,
als wir unter Rot-Grün hatten. Die Mehrwertsteuer belastet die Menschen; sie stöhnen unter den steigenden
Lebenshaltungskosten. Aber wenn wir in den Haushalt
schauen, lautet der Befund: Fehlanzeige beim sozialen
Ausgleich.
Das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund hat schon vor Monaten darauf hingewiesen, dass
die Hartz-IV-Sätze für Kinder und Jugendliche nicht
ausreichen. Aber im Haushalt ist kein entsprechender
Ausgleich zu finden. Trotz der alarmierenden Zahlen
von Millionen von fehlernährten Kindern und 800 000
schwerkranken adipösen Kindern
({3})
findet sich im Haushalt kein adäquates Aktionsprogramm Ernährung, das diesem Problem auch nur annähernd gerecht wird. Ohne ordentliche Essensversorgung
- das wissen wir doch alle - ist jede Bildungsanstrengung zum Scheitern verurteilt. Immer mehr Kinder sind
krank und leiden an Diabetes, Skeletterkrankungen und
Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die Aktionsprogramme
sind zahnlose Papiertiger, und das Geld wird im Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern verschwendet.
({4})
Daran ist diese Regierung nicht schuldlos. Ein bisschen Schulmilch und Pilotprojekte für die Umsetzung
von Qualitätsstandards sind ganz gut, aber nicht im Mindesten ausreichend. Wir brauchen für alle Kinder eine
kostenlose bzw. bezahlbare Versorgung in Kitas und
Schulen, und zwar eine gute. Außerdem brauchen wir
eine Föderalismusreform, die diesen Anforderungen tatsächlich gerecht wird und mit der eine Korrektur bei den
Zuständigkeiten im Bildungsbereich, einschließlich dieses Falles, vorgenommen wird.
({5})
Wir brauchen die überfällige Aufstockung der Hartz-IVSätze, und wir brauchen ernsthafte Förderprogramme,
die sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche nicht in18578
folge der Armut weiter unter enormen Gesundheitsproblemen und mangelnder Unterstützung leiden.
({6})
Zu der Bilanz von Herrn Seehofer gehört auch, dass
die Ampelkennzeichnung immer noch nicht durchgesetzt wurde. Deswegen sind 70 Milliarden Euro an ernährungsbedingten Krankheitskosten zu verbuchen, die
ebenfalls in die Bilanz des ehemaligen Gesundheitsministers gehören.
Bei der Landwirtschaft erinnern wir uns an die
Bauernbefreiung, zu der Bauernverbandspräsident
Sonnleitner die Bauern gegen Ministerin Künast aufhetzte.
({7})
Aber wir sehen, dass heute mehr Bauern auf Demonstrationen gegen Seehofer gehen, als es in der Geschichte
dieses Landes je der Fall war.
({8})
Exportanteile nützen nichts, wenn dahinter keine
Wertschöpfung steht. Aber das ist die Erfahrung, die die
Leute machen. Von der Bundesregierung wird totgeschwiegen - meine Vorredner haben es erwähnt -, dass
wir eine enorme Ausräuberung der Förderung der ländlichen Räume haben. Dank Ihrer, dank der Finanzpolitik
von Frau Merkel fehlen in Deutschland seit dem
1. Januar 2007 mehr als 300 Millionen Euro jährlich aus
Brüssel. Mit den Kofinanzierungsmitteln sind es mindestens zwischen 400 Millionen und 500 Millionen Euro
jährlich weniger. Daneben nimmt sich die Aufstockung
der Gemeinschaftsaufgabe doch wirklich lächerlich aus.
({9})
Die Mittel für Ökolandbau, Umweltprogramme, tiergerechte Erzeugung und Qualitätsprogramme wurden
gestrichen. Natürlich wurden damit auch die Arbeitsplätze im ländlichen Raum in Gefahr gebracht. Allein in
Bayern fehlen 40 Prozent der Förderung.
Die Milchbauern fordern zu Recht eine zukunftsfähige Milchpolitik, weg von der Massen- und Überschusserzeugung. Die Abstimmung über entsprechende
Anträge wurde im Bundesrat auf die Zeit nach der Wahl
in Bayern verschoben.
Kollegin Höfken, beachten Sie bitte die Zeit.
Ich komme zum Schluss.
Damit drücken Sie sich ganz klar vor der Verantwortung.
({0})
So werden wir nicht weiterkommen.
Am Sonntag haben die Imker in Bonn demonstriert.
Auf einem Wagen stand: Wer als Imker CSU wählt, der
kann sein Kreuzchen gleich bei Monsanto machen. Dem
ist wohl nichts hinzuzufügen.
Danke schön.
({1})
Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Georg
Schirmbeck.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich hatte die Ehre, einen Augenblick auf dem
Stuhl des Fraktionsvorsitzenden zu sitzen.
({0})
Nach dem, was die Oppositionspolitiker eben erzählt haben, meine ich, dass das gerechtfertigt war; denn eigentlich ist unser Einzelplan der zentrale Einzelplan, und alle
Probleme dieser Republik müssen im Rahmen unseres
Einzelplans gelöst werden. Das ist mein Eindruck gewesen. Hier sind bis hin zur Pendlerpauschale alle Probleme aufgezählt worden, die wir zu lösen haben.
({1})
- Kennen Sie eigentlich einen Bauern persönlich? Der
normale Bauer wohnt auf seinem Hof. Wollen Sie jetzt
die Pendlerpauschale für denjenigen einführen, der auf
sein Feld fährt?
({2})
Das Elend der ganzen Welt wird hier thematisiert.
({3})
Frau Höfken, ich will Ihnen ein Geheimnis erzählen.
Wenn man in Deutschland unterwegs ist, mit Bauern
spricht und die Veranstaltungen abends ruhig verlaufen,
man aber Stimmung erzeugen will, dann braucht man
nur von Dosenmaut und verdeckter Feldbeobachtung zu
sprechen und die Namen Trittin und Künast zu erwähnen. Dann hat man Stimmung im Saal.
({4})
Die Bauern wollen Sie überhaupt nicht wiederhaben. Es
nützt auch nichts, wenn Sie bestellte Plakate anführen.
Die Bauern wollen in die Zukunft schauen, sie wollen
eine unternehmerische Landwirtschaft. Sie wollen keine
Almosen oder etwas Ähnliches.
Sie können hier eine Menge erzählen. Es gibt Punkte,
über die sich CDU/CSU und SPD nicht einig sind. Aber
das, was wir in den letzten drei Jahren gemeinsam auf
den Weg gebracht haben, und das, was wir im nächsten
Jahr auf den Weg bringen werden, ist wirklich vorzeigbar. Darauf sind wir stolz.
({5})
Michael Goldmann und ich sind uns meistens bis auf
Punkt und Komma einig. Das hört sich hier manchmal
ein bisschen anders an; das hat aber etwas mit der Rolle
zu tun, die wir hier zu spielen haben. Wir beide kommen
aus einer landwirtschaftlich geprägten Region, die
boomt. Osnabrück-Emsland, Südoldenburg, das sind erfolgreiche Regionen. Wir sind Abgeordnete in dieser Region. Dass wir beide unterschiedliche Schwerpunkte setzen müssen, das nehmen wir so hin.
Michael, bei aller Kritik, die du an der einen oder anderen Stelle vorbringen darfst und musst, könntest du
natürlich auch sagen, dass wir mit der Ressortforschung ein gigantisches Werk auf den Weg gebracht haben. Es müssen Hunderte von Menschen umziehen und
ihren Arbeitsplatz wechseln. Das birgt ein hohes Konfliktpotenzial, ganz abgesehen von den Sachfragen. Dass
wir das ohne große Aufwallung und Kritik hinbekommen, ist eine gigantische Leistung. Alle, die später einmal in diesem Hohen Hause sind, sollten dankbar sein,
dass wir diese schwierige Arbeit auf den Weg gebracht
haben. So etwas kann vielleicht nur eine große Koalition. Darauf sind wir ein bisschen stolz.
({6})
Frau Höfken, jetzt sollten Sie einmal zuhören. Was
Sie jetzt hören, sollten Sie erzählen, wenn Sie wieder zu
Hause sind. Wissen Sie, was mich im landwirtschaftlichen Bereich furchtbar stört - da ich aus der Szene
komme, erlaube ich mir, das ganz offen zu sagen -: Wir
nehmen zweimal 200 Millionen Euro zur langfristigen
Sanierung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung
in die Hand. Kennen Sie eine einzige Verbandszeitung,
in der steht, danke, Deutscher Bundestag, dass du diese
400 Millionen Euro in die Hand genommen hast?
({7})
Auf der Grünen Woche hat einer Ihnen für Ihre heroische Leistung gedankt; dabei haben Sie bei jeder Abstimmung dagegen gestimmt. Ich war ganz durcheinander, weil ich die personellen Zusammenhänge nicht
kannte.
({8})
Ich kann Ihnen nur sagen: Wir bringen 400 Millionen
Euro in unserem Einzelplan auf den Weg, um die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft langfristig auf sichere Füße zu stellen. Das ist eine gigantische Leistung,
wenn Sie sehen, welchen Handlungsspielraum wir in
diesem Zusammenhang haben.
({9})
- Das ist keine alte Geschichte.
({10})
Die nächsten 200 Millionen Euro müssen in dem
Haushalt, über den wir reden, zur Verfügung gestellt
werden. Der Unterschied zwischen mir und Ihnen ist,
dass ich über den Haushalt 2009 spreche, Sie aber Märchen erzählt haben. Das hat doch mit der Realität unseres Haushalts nichts zu tun.
({11})
Geschlampt haben wir in der Vergangenheit beim
Küstenschutz. Jetzt kann man natürlich sagen: Das hat
mit Klimaveränderung und all dem, was damit zusammenhängt, zu tun. In Wirklichkeit ist dafür in den 90erJahren und auch Anfang dieses Jahrhunderts zu wenig
getan worden. Die Mittel, die dafür im Bundeshaushalt
zur Verfügung standen, sind teilweise gar nicht abgerufen worden, und jetzt kommen die Ministerpräsidenten
der norddeutschen Länder und sagen: Der Bund muss
mehr tun. Ich sage: Ihr müsst die Mittel abrufen, ihr
müsst die Mittel gegenfinanzieren. Wir haben die Mittel
zur Verfügung gestellt. Bundesminister Seehofer hat
mittlerweile mit unserer Unterstützung dafür gesorgt,
dass 25 Millionen Euro in einem Sonderplan zur Verfügung stehen. Wir als Bund stehen also zu unserer Verpflichtung. Aber wenn die, die vor Ort wirklich zuständig sind, ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, dann
können wir natürlich auch nicht helfen. Wir sind nicht
für alles Elend zuständig. Manche sind für das Elend,
das sie beklagen, selber zuständig.
({12})
Gemeinschaftsaufgabe „Küstenschutz“: Jeder Abgeordnete im ländlichen Raum hat doch unwahrscheinliche
Ideen, was man alles machen kann. Wenn wir noch
300 Millionen Euro hätten, könnten wir diese 300 Millionen Euro doch sehr schnell ausgeben. Man kann mit
geringfügigen Mitteln wirklich viele gesellschaftliche
Projekte auf den Weg bringen; das ist überhaupt keine
Frage. Aber das muss auch insgesamt darzustellen sein.
Wenn der Bundeshaushalt insgesamt eine Steigerung um
1,8 Prozent erfährt, dann können wir doch nicht erwarten, dass in diesen Bereich 20 Prozent mehr fließt. Das
können wir zwar erzählen, das glaubt aber kein Mensch,
und es hilft auch draußen niemandem, dem wir wirklich
helfen wollen. Aber die Trendwende, die wir bei dieser
GAK zu verzeichnen haben - 700 Millionen Euro stehen
zur Verfügung -, das ist doch eine Hausnummer. Wir
sollten hier keine unrealistischen Erwartungen wecken,
sondern zeigen, was wir in diesem Zusammenhang gemeinschaftlich auf den Weg bringen!
Ein ganz wichtiger Punkt ist soziale Sicherheit im
ländlichen Raum. Wir stellen fest, dass das eine oder
andere Alterssicherungsprogramm jetzt abschmilzt, weil
die Klientel ganz einfach wegstirbt; so brutal ist die Welt
eben. Wir stellen aber fest, dass es einen Bereich gibt, in
dem es einen Aufwuchs gibt: in der landwirtschaftlichen
Krankenversicherung. Das hat natürlich etwas mit der
allgemeinen Gesundheitspolitik zu tun. Wir können den
Menschen im ländlichen Raum sagen, dass wir zu unserer Verantwortung stehen und dass die Mittel entsprechend aufwachsen. Wir haben dafür gesorgt, dass die
Kinder der Bauern so behandelt werden wie alle Kinder
in der Republik. Das ist eine Leistung. Das darf man hier
doch einmal positiv herausstellen.
({13})
In der Großen Koalition gibt es einen Punkt, über den
wir diskutieren - Ernst Bahr und ich versuchen immer,
diese Diskussionen vorzubereiten -: den wirtschaftlichen Verbraucherschutz. Es gibt unterschiedliche Ansätze.
({14})
Ich sage uns einmal voraus: Wir führen ein Berichterstattergespräch. Frau Drobinski-Weiß ist immer ängstlich, wenn der wilde Schirmbeck da so zu Werke geht.
Aber am Ende der Gespräche werden wir uns geeinigt
und sachlich Gutes auf den Weg gebracht haben.
Hier wurde gesagt: Es wird überhaupt nichts gegen die
Fehlernährung, gegen die Unterernährung von Menschen
und anderes getan. Wir müssen einmal zur Kenntnis nehmen, dass Minister Seehofer eine große Kampagne für
gesunde Ernährung in den Schulen durchgeführt hat.
Sie nehmen gar nicht zur Kenntnis, wie viel Positives in
dieser Republik stattfindet. Nur wenn Sie das endlich
einmal zur Kenntnis nähmen, könnten Sie die Kraft haben, sich zukünftig um die Probleme zu kümmern, die
wir noch nicht gelöst haben. Ich weiß gar nicht, wie Sie
morgens aufstehen. Es muss Ihnen doch schon morgens
Kopfschmerzen bereiten, wie grau der Tag wird, wenn
Sie sich nicht über das freuen können, was Sie abends
geleistet haben.
({15})
Lassen Sie mich schließlich und endlich eines sagen:
Wir können uns hier über vieles unterhalten. Ich glaube
aber, wenn man einmal mit offenen Augen durch die
Welt fährt, dann stellt man fest: Es gibt einen riesigen
Hunger nach gesunder, ausreichender Ernährung und
nach Energie. Angesichts dessen sollten wir uns vielleicht einmal gemeinsam fragen, wie wir unsere sämtlichen gemeinsam gepflegten ideologischen Vorbehalte
abbauen und die Kraft finden können, um zu sagen:
Beim nächsten Mal nehmen wir einen Sonderplan
„Grüne Gentechnik“ in Angriff.
({16})
- Ich will gar keinen Beifall dafür haben. Ich möchte
nur einmal anregen, darüber nachzudenken, ob das
nicht zur Verantwortung eines Hochtechnologielandes
wie Deutschland gehört. Wenn wir nicht den Mut haben, uns da einzubringen, wer dann soll die Probleme
in dieser Welt lösen?
({17})
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({18})
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
Dr. Christel Happach-Kasan.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Schirmbeck, selbstverständlich bedanke
ich mich bei Ihnen für diesen sehr versöhnlichen und
konstruktiven Beitrag. Ich fürchte allerdings, Minister
Seehofer wird nicht in der Lage sein, ihn umzusetzen. Er
hat deutlich gemacht, dass bei ihm Willkür und Unwissenschaftlichkeit das Handeln prägen.
Überhaupt, Herr Minister, bin ich ein bisschen enttäuscht von Ihrer Rede, weil Sie die Wirklichkeit in
Deutschland ausblenden.
({0})
Angesichts eines Milchlieferboykotts, wie wir ihn in dieser Republik noch nie gehabt haben, angesichts der Nöte
von Milchbauern von der Einheit der Landwirtschaft zu
sprechen, das ist für mich ein Ausblenden der Wirklichkeit, wie ich es von einem Landwirtschaftsminister nicht
erwartet hätte.
({1})
- Ich frage die Bauern. Ich bin auf der Versammlung in
Schleswig-Holstein gewesen, wo der Präsident Schwarz
sehr deutlich für eine Politik geworben hat, wie auch wir
als FDP-Bundestagsfraktion sie vertreten - Herr Kollege
Bleser, Sie könnten ruhig einmal zuhören: wie auch wir
sie hier vertreten -, nämlich für eine unternehmerische
Landwirtschaft. Diese unternehmerische Landwirtschaft braucht sichere Rahmenbedingungen.
({2})
Wo sind diese sicheren Rahmenbedingungen?
({3})
Erinnern wir uns doch einfach einmal an den Milchgipfel! Viel wurde versprochen, und anschließend war
der Milchpreis niedriger als vorher. Das ist das Handeln
dieses Ministers. Gestaltet er so die Zukunft?
({4})
Der Minister ist stolz darauf, dass er alle Punkte des
Koalitionsvertrags erfüllt habe. Kann er wirklich stolz
darauf sein, die gesamte Biodieselbranche in den Dutt
gefahren zu haben?
({5})
Genau das hat er gemacht! Mit der Erfüllung des Koalitionsvertrags hat er dafür gesorgt, dass die gesamte Biokraftstoffbranche am Boden liegt. Dass man darauf stolz
ist, kann ich nicht verstehen.
({6})
- Sie kommen auch noch dran, Herr Kelber.
Wir wissen im Übrigen: Die Hälfte der Menschen in
Deutschland lebt in den ländlichen Regionen. Aber die
Breitbandverkabelung ist dem Minister gerade mal
10 Millionen Euro wert. Wie weit soll das eigentlich reichen? Das reicht noch nicht einmal für einen einzigen
Landkreis. - So viel dazu.
({7})
Die Ressortforschung wurde als Ruhmestat benannt.
Kollege Schirmbeck, da muss ich Ihnen leider widersprechen. Ressortforschung hat die Aufgabe, den Landwirtschaftsminister zu beraten, und dazu muss man
entsprechende Forschung betreiben. Das muss dort geschehen, wo es am besten möglich ist. Warum eigentlich
zerschlägt man in Kiel eine hervorragend funktionierende Milchforschung, die auf die Zukunft ausgerichtet
ist?
({8})
Das ist für mich nicht nachvollziehbar. Dies nach Karlsruhe zu verlagern, wo die anderen Einrichtungen nicht
vorhanden sind - ob es um Tierhaltung oder sonst etwas
geht -, ist meines Erachtens ein absolutes Armutszeugnis.
Kollegin Happach-Kasan, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schirmbeck?
Aber gern, Herr Kollege Schirmbeck.
Verehrte Frau Happach-Kasan, über diese Sache mit
dem Milchinstitut haben wir in unterschiedlichen Gesprächsrunden wiederholt diskutiert. Glauben Sie nicht,
dass die Beurteilung der gesamten Ressortforschung und
der Neuorganisation glaubwürdiger wäre, wenn diesen
Punkt nicht eine Abgeordnete aus Schleswig-Holstein
kritisiert hätte? Wenn die Meinung besteht, dass alles
nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen, dann hätten Sie doch etwas aus Niedersachsen oder BadenWürttemberg oder Nordrhein-Westfalen nehmen können. Klingt das, was Sie jetzt vorgetragen haben, nicht
nach Kirchturmspolitik?
Nein. Einmal ist der Kirchturm in Kiel ein bedeutender Kirchturm. Zum anderen muss man feststellen - das
kann man im Vergleich der einzelnen Institute sehr deutlich machen -, dass die Milchforschung in Kiel mit Stärkung der Universität, die vom Wissenschaftsrat besonders positiv beurteilt worden ist, eine hervorragende
Struktur gewesen ist ({0})
eingebunden in eine Wissenschaftslandschaft,
({1})
eingebunden in eine Unternehmensstruktur, die dort hervorragende Arbeit geleistet hat. In bestimmten Bereichen kann diese Arbeit in Karlsruhe schlicht nicht fortgeführt werden,
({2})
weil es dort zum Beispiel die Tierhaltung von
Schaedtbek nicht gibt, weil es dort zum Beispiel das
Diabetesprogramm mit der Universitätsklinik nicht gibt.
Deswegen habe ich mich für Kiel eingesetzt. Ich glaube,
es muss auch einer schleswig-holsteinischen Abgeordneten erlaubt sein, für einen Standort in Schleswig-Holstein zu werben. Wer in dem bayerisch geführten Ministerium tut das denn sonst?
({3})
Insofern ist dieser Beitrag voll gerechtfertigt. - Vielen
Dank für die Frage.
({4})
- Danke, Kollege Koppelin. Ich hätte gern noch eine
zweite Frage.
Ich möchte auf einen anderen Punkt kommen; er ist
schon angesprochen worden. Auf landwirtschaftlichen
Flächen wird für die Ernährung produziert. Das ist eine
hochwichtige Produktion. Aber wir haben auch eine
Energieproduktion. Wir sind uns in diesem Hause einig: Wir wollen bis 2020 einen Anteil der erneuerbaren
Energien von 20 Prozent. Gegenwärtig sind wir bei einem Stand von 7,3 Prozent. Wir wissen, dass 75 Prozent
der erneuerbaren Energien aus Biomasse gewonnen werden. Vor diesem Hintergrund, Herr Minister, will ich etwas Lobendes sagen. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats zur energetischen Nutzung von Biomasse
ist ein gutes Gutachten. Aber was nützen uns Gutachten,
wenn sie nicht umgesetzt werden? Warum hat man bei
der Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes nicht
auf diese Daten zurückgegriffen? Das Gutachten besagt
eindeutig, dass die Produktion von Biomasse in Agroforstsystemen besonders positiv ist. Wir haben dazu drei
Anträge von der FDP, von den Grünen und von den Linken vorliegen. Die Oppositionsfraktionen machen dazu
eine Anhörung.
({5})
Warum bringen Sie nicht endlich die Änderung des Bundeswaldgesetzes auf den Weg, damit wir diese Art der
Produktion von Biomasse endlich naturverträglich und
für die Verbraucher kostengünstig auf den Weg bringen
können? Ich sehe da von Ihrer Seite überhaupt keine
Handlung. Das ist Murks.
({6})
Gehen wir zum nächsten Thema, dem Pflanzenschutz. Sie haben keine Unterstützung geleistet. Sie haben nicht auf den Weg gebracht, dass wir in der EU eine
Pflanzenschutzgesetzgebung bekommen, die auch den
Anforderungen von Verbrauchern und Landwirten entspricht. Bei Rechtsverstößen duckt sich diese Bundesregierung weg. Das zeigt sich beim Einsatz von nicht
zugelassenen Pflanzenschutzmitteln. Die Antwort der
Bundesregierung auf meine Frage war nichtssagend. Das
zeigt sich beispielsweise genauso beim Versenken von
Felsblöcken im FFH-Gebiet vor Sylt. Auch das ist illegal. Diese Bundesregierung hat ein gestörtes Verhältnis
zum Rechtsstaat.
({7})
- Ich habe die Beispiele genannt. Das Beispiel von Sylt
zeigt dies ebenso wie die nicht zugelassenen Pflanzenschutzmittel. Gleiches gilt für das Positionieren gegenüber den Zerstörern von Freisetzungsversuchen. Auch
diese werden nicht so behandelt, wie sie es verdienen.
({8})
Herr Minister, Sie müssen Vertrauen in eine solche Technologie schaffen. Sie haben in dieser Beziehung total
versagt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Manfred
Zöllmer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Kollegin Happach-Kasan, das war der typisch anaerobe Vortrag, den wir mit den immer gleichen Themen
von Ihnen gehört haben.
({0})
Die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate
Künast hat Ende August der Saarbrücker Zeitung in die
Feder diktiert, sie vermisse den roten Faden bei der FDP.
Da hatte sie sicherlich noch nicht die Rede der Kollegin
Höfken gehört. Liebe Kollegin Höfken, ich habe mich
wirklich gefragt, zu welchem Haushalt Sie hier eigentlich geredet haben.
({1})
Wir haben in dieser Regierung insgesamt viel bewegt; in
der letzten Legislaturperiode gemeinsam mit den Grünen, jetzt mit der CDU/CSU. Als Sozialdemokraten haben wir auch manches Unsinnige verhindert. Viele der
Fragen, die die Bürgerinnen und Bürger tagtäglich beschäftigen, sind aktuelle Themen der Verbraucherpolitik:
Steigende - bzw. im Moment nicht sinkende - Energiepreise, die Kennzeichnung von Lebensmitteln, Werbeanrufe, krimineller Datenklau, der ganz aktuell ist, oder
die Abzocke im Internet. Manch einer versucht die Abzocke auch an den Bahnschaltern. Es gibt missachtete
Fahrgastrechte. An vielen Punkten gibt der Haushaltsentwurf 2009 die richtigen Antworten auf diese Probleme.
So sollen die Mittel für den Nationalen Aktionsplan
Gesunde Ernährung und Bewegung um zwei Millionen Euro auf fünf Millionen Euro aufgestockt werden.
Das ist gut und richtig, denn wir müssen die 37 Millionen übergewichtigen oder adipösen Erwachsenen und
zwei Millionen Kinder zu einem gesünderen Ernährungs- und Bewegungsverhalten veranlassen und dadurch die Verbreitung von Übergewicht mit allen negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen deutlich
verringern.
Das Thema gesunde Ernährung wird in vielen verschiedenen Titeln im Haushalt direkt oder mittelbar gefördert. Ich nenne hier den Zuschuss an die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung, die Förderung des aid, den
Mitgliedsbeitrag zur Plattform Ernährung, die Förderung
des vzbv und das Projekt „Besser essen. Mehr bewegen.“ Es ist allerdings fraglich, ob hier nicht einiges parallel läuft. Wir meinen, die Bundesregierung sollte
- auch mit Bezug auf den Nationalen Aktionsplan - eine
Bestandsaufnahme und ein koordiniertes Konzept für
die Zukunft vorlegen. Dies sollte auch die Institute und
ihre Arbeit mit einbeziehen. Wir machen sehr viel, aber
die Koordination und Bündelung der vielfältigen Aktivitäten ist aus unserer Sicht noch verbesserungsbedürftig.
({2})
Ein weiteres Thema, auf das der Haushalt auch eingeht, bleibt die Breitbandversorgung im ländlichen
Raum. Die Kollegin hat bereits darauf hingewiesen.
Trotz der immer besseren Verbreitung von Breitbandanschlüssen besteht in Deutschland eine digitale Kluft
zwischen ländlichen Räumen und Großstädten bzw. Ballungszentren. Diese digitale Spaltung können und wollen wir nicht hinnehmen. Diese Herausforderung wird
im Haushaltsplan aktiv angenommen. Ausgaben in Höhe
von mindestens 10 Millionen Euro dienen der Förderung
der Breitbandversorgung im ländlichen Raum. Dies ist
wichtig zur Sicherung von Arbeitsplätzen und der Teilhabe der Menschen im ländlichen Raum, gerade angesichts der zu erwartenden demografischen Entwicklung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Datenschutz ist aktiver Verbraucherschutz. Das zeigen die Skandale der
letzten Zeit sehr deutlich. Unser Datenschutzrecht muss
endlich der digitalen Realität angepasst werden. Ich begrüße es auf das Schärfste, dass unser Koalitionspartner
endlich aus dem Bremserhäuschen herausgekommen ist.
({3})
Herr Minister Schäuble hat ein Eckpunktepapier zum
Datenschutzaudit vorgelegt.
({4})
- Beim Bremsen! - Darin finden sich eine ganze Reihe
an Vorschlägen, denen auch wir zustimmen können, zum
Beispiel zu einem generellen Opt-in in diesem Bereich,
zu einem Kopplungsverbot mit Diensten, zu einer Erhöhung der Bußgelder, zu einem stärkeren betrieblichen
Datenschutz, zu einem Datenschutzaudit und zu einer
Verbesserung des Datenschutzes beim Scoring. Daneben
werden auch noch verbesserte Möglichkeiten zur Abschöpfung von Unrechtsgewinnen erwähnt. Wenn wir
wirklich wollen, dass die Abschöpfung von Unrechtsgewinnen zu einem Tiger mit Zähnen wird ({5})
dieses Problem gibt es ja nicht nur im Datenschutzbereich -, dann müssen wir die Voraussetzungen, um Unrechtsgewinne abschöpfen zu können, deutlich verbessern, also im Gesetz nicht nur „Vorsatz“, sondern
zumindest auch „grobe Fahrlässigkeit“ vorsehen.
Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit, zu Unrecht erlangte Gewinne nicht bei den Unternehmen zu belassen.
Dazu gehört aber auch, die Verbraucherverbände in die
Lage zu versetzen, bei Datenverstößen mit einer Verbandsklage reagieren zu können. Dazu muss das Unterlassungsklagegesetz geändert werden. Nur so kann gewährleistet werden, dass auch bei datenrechtlichen
Bagatellschäden eine Forderung verfolgt werden kann.
Wegen geringer Schadenssummen wird nämlich kaum
jemand bereit sein, privatrechtlich zu klagen.
({6})
- Dies ist ein Gesamtpaket, liebe Kollegin, und hat etwas
mit Verbraucherschutzpolitik zu tun. Vielleicht als kleiner Hinweis: Dies sollten Sie noch einmal nachlesen.
Wir werden für diesen Bereich und für den Bereich
Scoring in Kürze Gesetzentwürfe vorlegen. Scoring darf
nicht länger eine Blackbox für die Konsumenten bleiben.
({7})
Wir brauchen Transparenz und Nichtdiskriminierung bei
der Kreditvergabe. Ich bin der Auffassung, dass das
Scoring auf kreditorische Verträge beschränkt sein
sollte. Im Bereich der Wohnungswirtschaft und bei Energielieferungen besteht nämlich ansonsten die Gefahr,
dass bestimmte soziale Gruppen ausgegrenzt werden.
Das lehnen wir Sozialdemokraten ab.
({8})
In Kürze werden wir in erster Lesung über den vom
Bundesministerium der Justiz vorgelegten Entwurf zur
Bekämpfung unerlaubter Telefonanrufe debattieren. Der
Gesetzentwurf ist nicht zuletzt das Ergebnis unserer
Initiative.
({9})
Damit werden wir dafür sorgen, dass die Zahl unerwünschter Telefonanrufe deutlich reduziert wird.
({10})
In diesen Themenkomplex passt auch meine Initiative,
in der ich das aktuelle Verfahren zur privaten Handy-Ortung kritisiert habe. Ich bin froh, dass nun auch das unionsgeführte Wirtschaftsministerium der Auffassung ist,
dass wir die aktuelle TKG-Novellierung dazu nutzen
sollten, die missbräuchliche Ortung auszuschließen. Das
Letzte, was wir in Deutschland brauchen, sind private
Bespitzelungen nach Stasimanier.
({11})
Sie sehen, wir stellen uns den Problemen und suchen
nach Lösungen, die weder bevormunden noch die Wirtschaft bürokratisch strangulieren. Wir handeln. Wir vertrauen nicht naiv darauf, dass es der Markt schon richten
werde, wie es ansonsten die FDP immer propagiert.
Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Zeit.
Ja. - Vielleicht zum Schluss: Liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, Theseus hat aus dem Labyrinth des Minotaurus mit einem roten Faden herausgefunden. Von Grün war da nie die Rede.
({0})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Karin
Binder das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Vor drei Monaten hat
der Bundesverband der Verbraucherzentralen den jüngsten Verbraucherschutzindex veröffentlicht. Das Ergebnis dieser repräsentativen Verbraucherbefragung war
niederschmetternd. Hier nur drei Erkenntnisse:
Erstens. Über die Hälfte der Befragten war der Meinung, dass die Bundesregierung sich nicht wirkungsvoll
für Verbraucherinnen und Verbraucher engagiert.
Zweitens. Vor allem bei Familien und einkommensschwachen Haushalten ist die Unzufriedenheit sehr groß.
Drittens. Die Menschen in Deutschland fühlen sich
von der Politik im Stich gelassen. Sie werfen der Bundesregierung vor, dass sie ihre Interessen gegenüber der
Wirtschaft nicht vertritt und durchsetzt.
Die Fakten: Die Kosten für Strom und Gas wuchern
unkontrolliert. Der Handel mit Adressen und Kundendaten blüht. Viele Menschen werden nach wie vor durch
unerwünschte Telefonwerbung belästigt. Im Bereich der
Finanzdienstleistungen werden Verbraucherinnen und
Verbraucher von Banken und Versicherungen nach wie
vor oft unzureichend beraten. Das Recht auf Verbraucherinformation kann leider nur sehr beschränkt wahrgenommen werden. Die Pläne zur Umsetzung der Nährwertkennzeichnung entsprechen in vollem Umfang den Vorstellungen der Lebensmittelindustrie.
Sie, Herr Minister Seehofer, reden davon, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher mit großen Wirtschaftsunternehmen auf Augenhöhe seien. In welcher
Höhe befindet sich denn hier die Augenhöhe? Gürtelschnalle?
({0})
Werte Kolleginnen und Kollegen, die Menschen erwarten von der Bundesregierung zu Recht, dass sie im
Sinne der Bürgerinnen und Bürger handelt. Und sie erwarten auch, dass der Staat da eingreift, wo Verbraucherinnen und Verbraucher sonst getäuscht, belogen oder
betrogen werden.
In den bekanntgewordenen Fällen von illegalem Datenhandel den Verbraucherinnen und Verbrauchern über
die Presse zu empfehlen, dass sie ihre Daten halt nicht
angeben sollen, ist im Zeitalter von Internet- und Versandhandel eine Lachnummer, Herr Seehofer.
({1})
Auch Datenschutz ist ein wichtiger Bestandteil von Verbraucherschutz. Das gilt nicht nur für den Handel mit
Adressen und Kundendaten; das gilt auch für die vom
Bundesinnenminister angestrengte Initiative zur heimlichen Onlinedurchsuchung von Privatcomputern. Ich erwarte vom obersten Verbraucherschützer in Deutschland, dass er die berechtigte Kritik von zahlreichen
Verfassungsrechtlern aufnimmt und gegen die Allmachtsgelüste seines Kollegen Innenminister Schäuble
Stellung bezieht.
({2})
Wirtschaftlicher, finanzieller und digitaler Verbraucherschutz spielt in diesem Haushaltsentwurf so gut wie
keine Rolle, obwohl genau in diesen Bereichen die Verbraucherinnen und Verbraucher am meisten abgezockt
werden. Wenn der Herr Minister Seehofer bei jeder sich
bietenden Gelegenheit meint, den einzelnen Verbraucher
oder die Verbraucherin auf seine bzw. ihre Eigenverantwortung hinweisen zu müssen, dann muss er sich zumindest fragen lassen, warum sein Ministerium nichts für
die Verbraucherbildung in Deutschland tut. Denn auch
dazu lässt sich im Haushaltsplan bisher wenig finden.
Wie schon im letzten Jahr liegt der vermeintliche
Schwerpunkt dieses Haushalts auf Maßnahmen im Ernährungsbereich. Hier lauert die nächste Nullnummer,
die Nährwertkennzeichnung. Ich bin leider nicht so
optimistisch wie Sie, Herr Goldmann, dass die Ampel
schon kommt, es sei denn, Herr Seehofer führt das hier
so aus. Aber im Augenblick sieht es nicht so aus, dass er
gewillt wäre, hier tatsächlich ein einheitliches, verständliches und verbindliches System einzuführen, das dem
der Ampel entspräche - vor lauter Angst vor der Lebensmittelindustrie.
Meine Damen und Herren, dieser Haushaltsplan
macht deutlich, was wir verbraucherpolitisch von der
Koalition auch in ihrem letzten Regierungsjahr zu erwarten haben: herzlich wenig. Es gibt bis heute kein schlüssiges Gesamtkonzept, wie die Bundesregierung die
vorher beschriebenen verbraucherpolitischen Herausforderungen angehen will. Es wird auch weiterhin beim
Stückwerk und beim Kompetenzgerangel zwischen verschiedenen Ministerien bleiben. Die Verbraucherinnen
und Verbraucher zahlen die Zeche.
Ich bedanke mich.
({3})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
die Kollegin Cornelia Behm.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Minister, wir alle erinnern uns noch sehr gut daran,
wie Sie bei Ihrem Amtsantritt vollmundig verkündet haben, jetzt gehe es um Handwerk statt Mundwerk. Nicht
etwa, dass wir die gleiche Einschätzung hatten; nein, unter Renate Künast war schließlich die Agrarwende eingeleitet worden. Aber alle waren ziemlich gespannt darauf, was da nun kommen würde.
Sie haben sich als Mann vieler Worte - mitunter sogar
sehr launiger -, aber in der Regel wenig klarer Aussagen
erwiesen. So hört man heute auf Landesbauernversammlungen hier und da tuscheln: Renate Künast war doch die
bessere Ministerin. Da wusste man, woran man war.
Bei Ihnen, Herr Minister, weiß man das meist nicht.
({0})
Weder die Bilanz Ihrer Agrarpolitik nach drei Vierteln
der Legislaturperiode noch die Zukunft sehen hoffnungsvoll aus. Schaut man sich den Haushalt an, dann
stellt man fest, dass da zum Teil höhere Zahlen als im
Vorjahr stehen. Sie brüsten sich mit der Aufstockung einiger Titel. Aber werden Sie damit den Herausforderungen der Zukunft gerecht? Ich meine, nein.
({1})
Für die GAK gibt es zwar 40 Millionen Euro mehr.
Aber wofür werden sie ausgegeben? 25 Millionen Euro
für klimabedingten Küstenschutz, 0 Millionen Euro für
den Klimaschutz. Wenn diese 25 Millionen wenigstens
der Umwandlung von Acker- in Grünland dienen würden! Aber ich fürchte, es wird wieder nur auf höhere
Deiche hinauslaufen.
({2})
Ich erinnere an den Breitbandanschluss im ländlichen
Raum. Ich stimme zu: Die Anschubfinanzierung in 2007
war vielleicht richtig und wichtig. Aber jetzt ist Minister
Glos an der Reihe, nicht der Agrarhaushalt.
({3})
Was bleibt für die ländliche Entwicklung? Wann werden die zahlreichen Anregungen aus den schönen Ministeriumsveranstaltungen aufgegriffen? Wann endlich werden die Maßnahmen zur Verbesserung der ländlichen
Wertschöpfung umgesetzt? Und was ist mit dem Ökolandbau? Sie ignorieren weiterhin die Marktentwicklung
im Biosegment und die Wettbewerbsverzerrungen durch
die Bioenergieförderung.
({4})
Die Schere zwischen der Kundennachfrage und dem Angebot an deutschen Bioprodukten geht immer weiter
auseinander. Diese Schere können Sie nur schließen,
wenn Sie die Umstellungsanreize erhöhen.
({5})
Dafür braucht die GAK mehr Geld.
({6})
Auch beim Bundesprogramm Ökolandbau bleiben
Sie sparsam, obwohl gerade die Ökolandbauforschung
Antworten auf die Fragen gibt, wie die Landwirtschaft
Energie sparen kann, wie sie umweltverträglicher wirtschaften kann und wie klimaschädliche Emissionen vermindert werden können. Wir Grüne fordern, das Bundesprogramm Ökolandbau zu einem gut ausgestatteten
permanenten Forschungsbudget umzustrukturieren, mit
dem auch Grundlagenforschung finanziert werden kann.
Die Mittel dafür können Sie übrigens bequem bei der
Agrogentechnik einsparen. Diese Technologie ohne Akzeptanz muss wahrlich nicht noch mit Steuermitteln gefördert werden, Herr Kollege Schirmbeck.
({7})
Selbst bei der Ressortforschung hören wir keine klaren Worte: Eine unendliche Geschichte droht die Errichtung des Standortes Ost des Julius-Kühn-Institutes zu
werden. Bereits im März 2005 hatte Renate Künast entschieden, die Institutsteile aus Berlin-Dahlem und Kleinmachnow zusammenzuführen. Aber die Errichtung des
Gebäudes kommt unter Minister Seehofer nicht voran.
Sein Haus hat es in drei Jahren noch nicht einmal hinbekommen, eine haushaltsseitige Anerkennung des Bedarfs für dieses Institutsgebäude durch das BMF zu erwirken.
Zum Schluss noch ein Thema, das mir besonders am
Herzen liegt: die nachwachsenden Rohstoffe. Hier
wollen Sie, Herr Minister, kürzen. Offenbar haben Sie
auch da die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Denn es sind
nach wie vor eher stärkere finanzielle Anstrengungen
nötig, zum Beispiel für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskriterien für den Anbau nachwachsender Rohstoffe
und den Aufbau entsprechender Zertifizierungssysteme.
Zukunft, Herr Minister, ist nicht für schöne Worte zu
haben. Zukunft gewinnt, wer die Prioritäten richtig setzt.
Kollegin Behm, achten Sie bitte auf die Zeit.
Mit diesem Agrarhaushalt tut es die Bundesregierung
nicht.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter
Bleser das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
den Rednern aus der FDP-Fraktion mit großer Verwunderung gelauscht. Ich habe die Forderung nach mehr
DSL-Förderung notiert. An anderer Stelle wurde gefordert, Agrardiesel zu verbilligen.
({0})
Es wurde gesagt, dass Sie sich für Biotreibstoffe einsetzen wollen. Ich habe mich gefragt, wie Ihre Position sein
wird, wenn wir, so der Herrgott will, im nächsten Jahr zu
Koalitionsverhandlungen zusammentreffen. Wenn Sie
uns bei diesen Themen dann so entgegenkommen, werde
ich vor Ihnen niederknien und eine Kerze anzünden.
({1})
Man muss immer berücksichtigen, dass man auch ein
Jahr, nachdem man Position zu einem Thema bezogen
hat, nach seinen Äußerungen gefragt werden kann. Das
gilt auch dann, wenn man in der Opposition ist. Ich
weiß, wovon ich rede.
({2})
Herr Goldmann, Sie haben gesagt, dass das Stimmungsbarometer gesunken ist. Das stimmt. Es ist leicht
gefallen. Aber es ist immer noch deutlich im Plusbe18586
reich. Fragen Sie doch einmal die Landwirte, wie groß
ihre Investitionsbereitschaft ist.
({3})
Sie bekommen heute doch keine Landmaschinen mit
kürzeren Lieferzeiten als acht, neun Monaten.
({4})
So viel zur Bereitschaft, in die Zukunft zu investieren.
Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Geisen?
Ja, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! - Lieber Kollege
Peter Bleser, ist dir bekannt, dass die CSU vor wenigen
Wochen eine Harmonisierung der Agrardieselbesteuerung gefordert hat, das Ministerium für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie das Ministerium der Finanzen auf meine Anfrage hin aber eine
Debatte über Agrardieselbesteuerung ganz klar abgelehnt haben, obwohl darüber zurzeit in Österreich und
Frankreich debattiert wird?
Lieber Kollege Edmund Geisen, für diese Frage bin
ich Ihnen sehr dankbar, weil Sie uns damit in unserer
Forderung nach einer Harmonisierung der Dieselbesteuerung in Europa im Bereich der Landwirtschaft unterstützen. Wir hoffen, dass wir hier etwas tun können, sobald
die Finanzen in Ordnung sind. Wir wären die Letzten,
die sich einer solchen Entwicklung verschließen würden.
Wir müssen aber das Primat unserer übergeordneten politischen Ziele im Auge behalten. Dazu werde ich gleich
noch etwas sagen.
Ich will aber zunächst einige Worte an Kollegin
Höfken richten. Frau Höfken, Sie wissen, wie sehr die
Landwirtschaft unter Frau Künast gelitten hat.
({0})
Nach dem Regierungswechsel, der Bauernbefreiung
- das war ein echtes Gefühl -, gab es einen Aufschrei
der Erleichterung. Stichworte wie „verdeckte Feldbeobachtung“ und die Gängelung in allen Bereichen sind allen noch in guter Erinnerung. Deshalb ist es gut, dass wir
jetzt diese Regierungskonstellation haben. Natürlich
müssen wir mit unserem Koalitionspartner unterschiedliche Positionen ausfechten. Das gehört zum Geschäft.
Das machen wir gerne.
({1})
Ich will etwas zur allgemeinen Situation sagen: Wenn
wir standhaft bleiben, werden wir 2011 keine neuen
Schulden mehr machen müssen. Unter diesem Primat
müssen wir alle anderen Dinge sehen. Wenn es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen, werden wir von den
42 Milliarden Euro Zinsausgaben, die wir aus dem Bundeshaushalt finanzieren müssen, herunterkommen. Dadurch werden wir Spielräume schaffen. Ich denke, das
ist ein Ziel, das wir mit aller Konsequenz verfolgen müssen, obwohl jeder von uns in seinem Bereich irgendwelche Forderungen hat, die er gerne erfüllt hätte.
Trotz dieser Sparsamkeit ist es uns gelungen, im
Haushalt die richtigen Schwerpunkte zu setzen.
({2})
An dieser Stelle darf man auch einmal zurückschauen:
Wir haben es in den letzten drei Jahren erreicht, dass die
Einkommen der Bäuerinnen und Bauern gestiegen
sind.
({3})
Wir haben es erreicht, dass der Verbraucherschutz, und
zwar unionsgetrieben, einen neuen Stellenwert in der
deutschen Politik gefunden hat.
({4})
Wir haben dafür gesorgt, dass eine Politik für eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung greifen konnte
und entsprechende Programme auf den Weg gebracht.
({5})
Herr Kollege Bleser, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höfken?
Natürlich.
Es tut mir leid, die Debatte zu verlängern, aber angesichts seiner Ausführungen möchte ich den Kollegen
Bleser fragen, ob er etwas davon gehört hat oder in der
Zeitung darüber gelesen hat, dass es einen Bundesverband Deutscher Milchviehhalter gibt und vor den Molkereien und den Ministerien zahllose Demonstrationen
stattfinden.
({0})
Ich möchte ihn fragen, ob er weiß, dass die Imker mit
weit mehr als fünf Leuten, wie links von mir gerade gesagt wurde, demonstrieren. Ich möchte ihn fragen, ob er
weiß, dass der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter, der fast die Mehrheit der Bauern in dem wichtigsten
Zweig der deutschen Landwirtschaft umfasst, massiv gegen die Milchpolitik dieser Bundesregierung und der
Koalition demonstriert. Ich möchte ihn fragen, ob er
weiß, dass sich die Bauern heftig gegen die Einführung
der Agrogentechnik wehren, und zwar ebenfalls mit großen Demonstrationen.
({1})
Das führt so weit, dass Minister Seehofer schon behauptet, eigentlich habe Frau Künast die Agrogentechnik eingeführt und nicht etwa er persönlich. Wissen Sie von all
diesen Aktivitäten, Demonstrationen und Widerständen
nichts?
Meine liebe verehrte Kollegin Höfken,
({0})
als Milcherzeuger habe ich nicht nur darüber gelesen,
sondern kann aus eigener Erfahrung in diesem Sektor
berichten. Da bestehen schon die ersten Unterschiede
zwischen uns beiden. Dass man sich im Berufsstand Sorgen über die Milchpreisentwicklung macht, ist unbestreitbar. Aber dass man diese Sorgen für sich politisch
instrumentalisieren will, ist unschön und schäbig.
({1})
Ich würde mir nie anmaßen, so etwas zu tun. Sie werden
erleben, dass gerade bezüglich der Milch in den nächsten
Wochen Sachlichkeit in die Politik einkehren wird.
({2})
Es ist ein großes Verdienst unseres Ministers,
({3})
dass die Spaltung, die im Berufsstand entstanden war,
aufgehoben wurde. Durch unterschiedliche Positionen
kam es zu Feindschaften zwischen Freunden, zwischen
Bauern im Dorf. Diese gehen jetzt wieder aufeinander zu
und orientieren sich gemeinsam auf die Zukunft. Das ist
ein ganz schwieriger Prozess. Diesen sensibel zu begleiten, ist Aufgabe eines Bundesministers. In dieser Beziehung hat er sehr gute Arbeit geleistet.
({4})
Ich will noch einen Satz zur Gentechnik sagen.
({5})
Frau Höfken, könnten Sie der Höflichkeit halber wieder
aufstehen? Sonst gehen meine Ausführungen von meiner
Redezeit ab.
Herr Kollege, es geht jetzt von Ihrer Redezeit ab.
Wir hatten ein Gentechnikgesetz vorgefunden, das
wir verbessert haben. Wir haben die gute fachliche Praxis definiert. Wir haben Abstandsregelungen eingeführt.
({0})
Wir haben die Möglichkeit geschaffen, die Kennzeichnung „ohne Gentechnik“ zu verwenden.
({1})
Das alles schafft Wahlfreiheit für Verbraucher und Anbauer einer solchen Pflanze.
({2})
Das ist das Verdienst der Unionsfraktion zusammen mit
dem Koalitionspartner. Die Bezeichnung „ohne Gentechnik“ wird zwar von fast niemandem verwendet, aber
die Möglichkeit dazu ist geschaffen.
({3})
Wir werden abwarten, inwieweit sie aufgegriffen wird
oder nicht.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Kollegin Höfken?
Ja, ich habe ja Zeit.
({0})
Lieber Kollege Bleser, ist es richtig, dass Minister
Seehofer den gentechnisch veränderten Mais als Sortenzulassung gestattet hat
({0})
und damit den kommerziellen Anbau des Maises ermöglicht hat? Ist es auch richtig, dass die Verordnung über
die gute fachliche Praxis bei der Erzeugung gentechnisch veränderter Pflanzen im Bundesrat bis dahin nicht
akzeptiert, aber auch nicht notwendig gewesen ist, weil
es ja keinen kommerziellen Anbau gegeben hat?
Verehrte Frau Kollegin Höfken, an der Haarspalterei,
wer an welcher Stelle die Unterschrift geleistet hat, beteilige ich mich nicht mehr.
({0})
Hier gibt es eine geltende Rechtsgrundlage, nach der
eine entsprechende Zulassung zu erteilen ist, wenn die
wissenschaftlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Punkt
und aus.
({1})
Ich möchte jetzt in meinen Ausführungen fortfahren
und feststellen, dass wir uns auf den Erfolgen, die wir in
allen drei Zuständigkeitsbereichen erzielt haben, nicht
ausruhen wollen. Hier ist von mehreren Rednern unserer
Fraktion schon ausgeführt worden, welche Ergebnisse
und Erfolge bezüglich der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“,
der landwirtschaftlichen Unfallversicherung und der
landwirtschaftlichen Krankenversicherung erreicht wurden. Das alles ist schon gesagt worden.
Ich wollte auf noch etwas anderes hinweisen. Wir haben in den letzten Monaten von einer Welternährungskrise gesprochen. Wir haben gesehen, wie schnell sich
das Blatt wenden kann: von Überversorgung und Überschussproduktion zu Mangelsituation. Nicht wenige fordern heute: Wir müssen auch in der Ernährung Sicherheit haben. Es war deshalb vernünftig, dass wir die
Landwirtschaft in den letzten Jahren dabei unterstützt
haben, in der Produktion zu bleiben. Wir werden auch in
den nächsten Jahren dafür sorgen, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen Landwirtschaft verbessert
wird. Herr Seehofer hat es schon angesprochen: Diese
Wettbewerbsfähigkeit hat dazu geführt, dass der Anteil
am Export im letzten Jahr immerhin um 18,5 Prozent angestiegen ist.
({2})
Diese 18,5 Prozent sind zum Teil preisbedingt, zum Teil
auch mengenbedingt. Das ist ein Erfolg. Dieser Erfolg
schafft in Deutschland Wertschöpfung und sichert Arbeitsplätze und Einkommen in unserer Land- und Forstwirtschaft.
({3})
Meine Damen und Herren, diese Erfolge haben einen
Namen - darauf weise ich in jeder Debatte hin: Gerd
Müller. Unser Staatssekretär ist permanent auf diesem
Gebiet aktiv und öffnet Türen; das finde ich toll.
({4})
Das ist jahrelang versäumt worden.
({5})
Zum Verbraucherschutz. Ich habe bereits gesagt,
dass wir in diesem Bereich in den meisten Fällen diejenigen waren, die angeschoben haben.
({6})
Beispielhaft seien das Verbraucherinformationsgesetz,
({7})
das Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis und unsere
Vorschläge zur Stärkung der Fahrgastrechte zu nennen.
({8})
Wir hätten in dieser Frage gerne noch rigider agiert; aber
unser Koalitionspartner hat sich dazu anders aufgestellt.
Man muss nun einmal Kompromisse machen.
({9})
Meine Damen und Herren, zum Thema Bahn möchte
ich sagen: Wir dürfen unsere Fürsorge nicht zu schnell
entziehen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Bahn einen Bedienungszuschlag in Höhe von 2,50 Euro einführen wollte, fragt man sich wirklich, was für ein verkommener Servicegedanke in diesem Unternehmen Platz
gegriffen hat;
({10})
das kann ich mir nicht erklären. Hierzu hat unser Minister sehr frühzeitig und klar Position bezogen
({11})
und gemeinsam mit Herrn Tiefensee
({12})
- das darf man nicht verkennen - ein Einlenken der
Bahn erreicht.
Meine Damen und Herren, aktuell sind wir mit der
Bekämpfung des Missbrauchs von Daten beschäftigt.
Dazu will ich nicht viel sagen. Eines kann ich Ihnen allerdings versprechen:
({13})
Wir werden dem Verbraucher die Selbstbestimmung
über seine persönlichen Daten zurückgeben. Das ist die
wichtigste Botschaft, die in diesem Hause zu diesem
Thema verbreitet werden muss.
({14})
Wie ich sehe, blinkt bereits die rote Lampe. Ich
möchte allerdings noch etwas zum Thema Ernährung
sagen.
({15})
Bei diesem Thema verfolgen wir eine langfristige Strategie. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass unser Minister gemeinsam mit Frau Schmidt - das möchte ich betonen ({16})
ein wichtiges Projekt für mehr Bewegung und bessere
Ernährung, das über einen langen Zeitraum angelegt ist,
auf den Weg gebracht hat.
Frau Klöckner und Frau Staatssekretärin Heinen,
auch in der Ernährungspolitik haben wir wichtige Zeichen gesetzt. Ich erinnere nur an das Schulmilchprojekt
in Nordrhein-Westfalen.
Herr Kollege Bleser!
Ja, Frau Präsidentin. - Es ist beispielhaft, was dort geleistet wurde. Das wird in den nächsten Jahren in allen
Bundesländern Platz greifen.
({0})
Zum Schluss will ich sagen: Wir haben mit unserer
Politik die Ziele verfolgt, unseren Bäuerinnen und Bauern zu mehr Einkommen zu verhelfen und die Situation
der Verbraucher hin zu selbstbestimmten und selbstbewussten Verbrauchern zu verbessern.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Für die SPD-Fraktion gebe ich der Kollegin
Mechthild Rawert das Wort.
Herr Bleser, es wäre verführerisch, den Garten der
Vielfalt aufzutun und deutlich zu machen, wie dankbar
wir sind, von der Union getrieben zu werden. Würden
Sie, wenn es um das Label „Ohne Gentechnik“, die Ampelkennzeichnung und ähnliche Themen geht, einmal Ihrem eigenen Schwung nachgeben, dann käme dabei vielleicht etwas Gescheites heraus.
({0})
Die SPD steht für eine aktive Verbraucherpolitik, und
zwar als Teil einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft. Verbraucherinnen und Verbraucher sollen auf
Augenhöhe mit den Anbietern agieren. Noch sind wir
nicht so weit. Daher werden wir viele Themen in diesem
Bereich auch in Zukunft kraftvoll anschieben. Transparenz, Wahlfreiheit und Informationszugang sind
notwendige Voraussetzungen, um die Position der Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken. Denn selbstverständlich wollen sie bewusst und selbstbestimmt auswählen und somit über fairen Handel und Nachhaltigkeit
mitentscheiden.
Wir brauchen eine Aufklärung der Verbraucherinnen
und Verbraucher. Selbstverständlich wollen wir, dass
dieses Anliegen auch im Haushalt unterfüttert ist. Zur
Verbraucheraufklärung gehört auch der Bereich des
wirtschaftlichen Verbraucherschutzes. Im Jahr 2009
werden wir die Maßnahmen der Verbraucherzentralen
im Hinblick auf den Komplex des wirtschaftlichen Verbraucherschutzes erneut mit 2,5 Millionen Euro fördern.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist keine institutionelle Förderung. Denn diese Aufgabe fällt den Bundesländern zu; das haben wir bereits 2007 deutlich gemacht.
Aber die Ergebnisse verschiedener Umfragen - auch der
Umfrage, die von Herrn Seehofer im Sommer in Auftrag
gegeben wurde - und der Verbraucherindex haben gezeigt, dass das Bewusstsein hierfür in den Ländern zunimmt. Diesen Prozess wollen wir natürlich unterstützen.
Wir sehen natürlich auch den Bund in der Pflicht;
denn wenn unter den Bedingungen des Europäischen
Binnenmarktes, aufgrund globalisierter Wirtschaftsbeziehungen und aufgrund neuer Technologien sich das
Kräfteverhältnis am Markt zunehmend zuungunsten von
Verbraucherinnen und Verbraucher verschiebt, dann
muss der Bund einen wirtschaftlichen Verbraucherschutz
forcieren und auch in diesen investieren. Das ist der
Grund, weshalb der Bund einspringt.
({1})
Zum aktiven Verbraucherschutz gehört natürlich auch
eine angemessene Ausstattung unserer Verbraucherorganisationen. Das sind die Stiftung Warentest, die
Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbraucherrat des DIN. Ich bin stolz, dass viele von ihnen in
Berlin ansässig sind. Für uns als SPD ist es wichtig, dass
diese Trias des Verbraucherschutzes weiterhin auf hohem Niveau finanziell ausgestattet ist. Produkte und
Dienstleistungen beeinflussen das tägliche Leben. Alle
drei Institutionen setzen sich mit lauter Stimme für Verbraucherinnen und Verbraucher ein.
Ich komme zu einem anderen Punkt. Die SPD steht
für Tierschutz. Daher ist Tierschutz ebenfalls ein gewichtiger Schwerpunkt im Bundeshaushaltsentwurf 2009. Wir wollen den Ausbau der Forschung im
Bereich Tierschutz. Deshalb fordern wir ein Bundesprogramm Tierschutzforschung, das mit 3 Millionen Euro
ausgestattet werden soll.
({2})
In diesem Bundesprogramm sollen die bestehenden
Haushaltsansätze gebündelt, Innovationsprojekte angestoßen und dem sich aus den gesetzlichen Vorgaben gegebenen Aufgabenzuwachs im Bereich der Tierforschung Rechnung getragen werden.
Ein zweiter Schwerpunkt. Tierschutz bedeutet für uns
auch immer tier- und artgerechte Haltung. Das gilt für
die Haltung von Nutztieren in landwirtschaftlichen Einrichtungen ebenso wie für Wildtiere in Tierparks und für
Delfine in Delfinarien.
Als Berichterstatterin initiiere ich die Aktualisierung
des zwölf Jahre alten Säugetiergutachtens. Dieses Gutachten formuliert Mindestanforderungen an die Haltung
von Wildtieren in Zoos. Dieses Gutachten wird bundesweit von den Ländern bei den Kontrollen ihrer Zoos als
Grundlage zur Bewertung der Tiergehege verwendet.
Das Gutachten regelt unter anderem den Raumbedarf der
jeweiligen Tiere, die klimatischen Bedingungen, das Gehege, die Gehegeeinrichtungen, das Sozialgefüge, die
Ernährung, den Fang und den Transport.
Wir alle waren schon einmal im Zoo. Schauen Sie
doch einfach einmal unter diesen Gesichtspunkten auf
die Tierhaltung. Nach Einschätzung zahlreicher Expertinnen und Experten enthält das aktuelle Gutachten nur
unzureichende Minimalanforderungen an die Tierhaltung und vernachlässigt neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Viele Zoos legen daher schon von sich aus
höhere Maßstäbe an. Wir wollen die Haltungsbedingungen von Wildtieren in Zoos verbessern. Daher soll das
Säugetiergutachten im kommenden Jahr überarbeitet
und den aktuellen wissenschaftlichen Standards angepasst werden.
Zusammenfassend möchte ich sagen, dass die SPD
ihre Schwerpunkte im Bundeshaushalt finanziell verankert hat.
Die SPD stärkt den Verbraucherschutz durch eine solide und gute finanzielle Ausstattung der Verbraucherberatung und der Verbraucherschutzinstitutionen und den
Tierschutz durch die Einrichtung eines Bundesprogramms „Tierschutzforschung“. Wir laden unseren Koalitionspartner ein, mit unserem Schwung weiterhin aktiv zu sein.
({3})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Das Wort hat Bundesjustizministerin Brigitte Zypris.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn die Regierung in einer Haushaltswoche vor
das Parlament tritt, dann will sie vor allem eines, nämlich Geld. Das will auch ich. Deswegen stehe ich hier.
Ich will aber auch Dank für den Haushalt sagen, den Sie
uns für dieses laufende Jahr bewilligt haben.
Sie wissen ja, dass der Haushalt des Bundesministeriums der Justiz fast ausschließlich durch Personalausgaben geprägt ist und dass die Personalausstattung für die
Arbeitsfähigkeit des Ressorts als solchem - aber natürlich auch des ganzen Bereichs, der dazugehört - ganz
besonders wichtig ist. Das betrifft insbesondere eine Behörde, die zu meinem Geschäftsbereich gehört, nämlich
das Deutsche Patent- und Markenamt.
Das DPMA - das wissen Sie alle - hat eine enorme
Bedeutung für den Schutz geistigen Eigentums und damit für die Innovationskraft unserer Wirtschaft. Außerdem ist das DPMA eine wichtige Einnahmequelle für
unseren Haushalt. Bei der ersten Lesung des letzten
Haushalts habe ich deutlich gemacht, in welchem Verhältnis die Zahl der Prüfer zu den Einnahmen steht. Ich
danke dafür, dass wir das letzte Mal 35 zusätzliche Stellen schaffen konnten, die dazu geführt haben, dass die
Einnahmesituation beim DPMA besser geworden ist, die
vor allen Dingen aber auch dazu geführt haben, dass die
Bearbeitung der Anmeldungen und der Verlängerungen
weiter beschleunigt werden konnte.
In dem Entwurf des Haushalts für 2009 ist beim Bundesministerium der Justiz ein Einnahmeplus von gut
10 Prozent zu verzeichnen. Davon entfallen
3,5 Millionen Euro auf das Deutsche Patent- und Markenamt, die wir dort aufgrund der Stellen, die Sie bewilligt haben, mehr einnehmen werden. Deshalb danke ich
Ihnen herzlich für Ihre Unterstützung, die Sie uns im
letzten Jahr gewährt haben. Im Vorgriff danke ich Ihnen
auch schon einmal herzlich für die Unterstützung, die
Sie uns hoffentlich auch dieses Jahr wieder geben werden. Wir haben nämlich vorgesehen, weitere
27 Patentprüfer einzustellen. Ich wäre Ihnen verbunden
und denke, dass es vor allen Dingen im Interesse der Sache und des Wirtschaftsstandorts Deutschland wäre,
wenn diese 27 Stellen auch genehmigt werden könnten.
Vor gut zehn Tagen haben wir das zehnjährige Jubiläum des Deutschen Patent- und Markenamtes in Jena
gefeiert. Ich will Ihnen damit sagen, dass durch die Stellen, die Sie hier beschließen, auch ein Stück weit Strukturförderung in Ostdeutschland betrieben wird. Vor
zehn Jahren wurde beschlossen, dass die Behörde von
Berlin nach Jena umzieht. In dieser Zeit sind dort mehr
als 220 neue Stellen geschaffen worden, von denen über
80 Prozent aus der Region besetzt sind.
Ich habe mich bei meinem jetzigen Besuch in Jena
davon überzeugen können, dass es dort aufgrund dieser
Strukturentscheidung in der Tat zu einer Stärkung des
Innovations- und Forschungsstandortes gekommen ist.
Es gibt eine exzellente Zusammenarbeit zwischen der
Dienststelle Jena, der Universität Jena und den großen
Industrien, die dort angesiedelt sind. Insgesamt kann
man sagen, dass das eine ausgezeichnete Förderung des
Standortes und des Schutzes geistigen Eigentums ist.
({0})
Durch die Erfolgsgeschichte des Deutschen Patentund Markenamtes wird also nicht nur gezeigt, was eine
moderne öffentliche Verwaltung leisten kann, sondern
dadurch wird auch ganz deutlich, dass wir in Deutschland keine weiteren Privatisierungen hinsichtlich öffentlicher Aufgaben brauchen - und schon gar nicht in
der Justiz -; denn wir können das selbst.
({1})
Die Vorstellung, alles gehe schneller, billiger und gar
besser, wenn es nur Private erledigen, hat sich in vielen
Fällen als blanke Ideologie und leider auch als kostspielige Fehlentscheidung für den Staat erwiesen. In Hessen
ist die teilweise Privatisierung eines Gefängnisses beispielsweise vollständig gescheitert. Mein hessischer
Kollege musste erst vor wenigen Monaten einräumen,
dass die privaten Haftplätze zum Teil deutlich teurer als
die staatlichen sind.
({2})
Trotzdem werden manche Kollegen nicht müde, weitere
Privatisierungen zu fordern, zum Beispiel bei den Gerichtsvollziehern, den Rechtspflegern und den sozialen
Diensten der Justiz.
Nun bin ich die Letzte, die nicht bereit wäre, darüber
nachzudenken, wie man im öffentlichen Dienst Aufgaben besser machen und effizienter organisieren kann.
Das Problem ist nur: Bei diesen Forderungen nach Privatisierung geht es in der Regel nicht um Qualität. Es geht
schlicht und ergreifend um zwei Aspekte: Der eine Aspekt ist die Kürzung öffentlicher Aufgaben, der andere
Aspekt ist die Maximierung privater Gewinne.
({3})
- Nein, es geht nicht um Geschwindigkeit.
({4})
- Wir müssen über Qualität reden, Frau Dyckmans.
Wenn das der Fall ist, dann können wir auch über Geschwindigkeit reden.
({5})
Dann kommen wir ganz schnell dahin, dass wir keine
Privatisierung brauchen, um die Sachen schneller oder
kostengünstiger zu machen.
Wir müssen klären, welche Aufgaben der Staat übernehmen muss. Als erstes Beispiel nenne ich die Ausübung des Grundbuch- und Registerrechts, was ein ganz
wichtiger Baustein einer erfolgreichen Wirtschaftsordnung sind. Diese Aufgabe ist bei unseren Rechtspflegern
in den besten Händen.
({6})
Ich jedenfalls meine: Wer die Aufgaben der Rechtspfleger privatisieren will, gefährdet einen wesentlichen
Standortvorteil unseres Landes.
Zweites Beispiel. Gerichtsvollzieher besitzen weitreichende Zwangsbefugnisse. Sie sind nicht nur Dienstleister ihrer Auftraggeber, sondern sie achten auch auf die
Rechte der Schuldner. Das ist keine überflüssige Sozialarbeit, wie manche meinen, sondern Ausdruck des sozialen Rechtsstaats. Ich bin deshalb davon überzeugt: Auch
Gerichtsvollzieher müssen weiterhin und auch in Zukunft dem öffentlichen Dienst angehören.
({7})
Drittes Beispiel sind die sozialen Dienste der Justiz.
Jeder von uns weiß, wie wichtig die Bewährungshilfe
und eine gute Entlassungsvorbereitung für Gefangene
ist. Im Übrigen ist beides für eine gute Vorbeugung von
Straftaten sehr viel wichtiger als die immer wiederkehrende Debatte, ob die Jugendhöchststrafe zehn oder
15 Jahre betragen soll.
Ich bedauere es deshalb, dass Länder zunehmend darüber nachdenken, die sozialen Dienste der Justiz zu privatisieren, und es teilweise sogar schon getan haben.
Wenn man einmal eine solche Aufgabe aus der öffentlichen Hand gegeben hat, dann kann man sehr viel leichter
den Rotstift ansetzen und sparen und damit das genau
falsche Signal senden.
({8})
Wir dürfen deshalb nicht zulassen - auch davon bin ich
überzeugt -, dass Privatisierungen zu einem Sicherheitsrisiko werden.
Innerhalb der Koalition sind wir uns in einem wesentlichen Punkt einig: Bei den Kernaufgaben der Justiz
wollen wir keine Privatisierungen. Allerdings wäre es
schön, wenn diese Erkenntnis vonseiten des Bundesrates
nicht immer torpediert würde. Einige Länder bringen
dort einen Privatisierungsantrag nach dem nächsten ein.
Es wäre gut, wenn dieser politische Schlingerkurs, der in
der Öffentlichkeit und auch in der geneigten Fachöffentlichkeit wahrgenommen wird, einmal ein Ende hätte.
Die Bediensteten in der Justiz haben einen Anspruch
darauf, ganz klar zu wissen, wofür die Parteien tatsächlich stehen.
({9})
Ein starker Rechtsstaat und eine leistungsfähige Justiz
sind auch ein Gebot der Gerechtigkeit. Wir haben in
den vergangenen Monaten haarsträubende Fälle von
Wirtschafts- und Steuerkriminalität gesehen. Wir müssen einen Konsens darüber erzielen, dass die Justiz in
der Lage bleibt - das ist Teil unseres Rechtsstaates -,
solche Fälle zu verfolgen, aufzuklären, die betreffenden
Personen anzuklagen und zu verurteilen. Wir müssen die
Gerichte so ausstatten, dass sie auch in Zukunft in der
Lage sind, komplexe Wirtschaftsstrafverfahren zu bearbeiten. Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, die Rechtstreue in allen Teilen der Gesellschaft durchsetzen zu
können.
({10})
Nun kann ich das als Bundesministerin leicht sagen,
weil ich weiß, dass die Länder für das Personal zuständig sind. Trotzdem mache ich das immer wieder gerne,
weil ich glaube, dass wir zwischen Bund und Ländern
innerhalb der Justiz einen Konsens darüber brauchen,
dass dies eine wichtige justizielle Aufgabe ist. Dass wir
als Bund bei der Verfolgung dieser Straftaten nicht beiseitestehen, möchte ich durch unseren Vorschlag deutlich machen, die Verjährungsfrist für Steuerstraftaten auf
zehn Jahre zu verlängern. Das Gesetzgebungsverfahren
läuft bereits.
Wir werden im nächsten Monat dem Kabinett vorschlagen, einen Gesetzentwurf einzubringen, mit dem
die derzeitige Höchstgrenze für Geldstrafen aufgehoben wird, damit sichergestellt wird, dass auch diejenigen, die mehr als 5 000 Euro pro Tag verdienen, künftig
gerecht bestraft werden können.
({11})
Allein dieses Vorhaben macht deutlich, dass wir in
den kommenden Monaten in der Rechtspolitik noch genug zu tun haben. Es liegt eine Menge Arbeit vor uns,
und wir müssen noch eine ganze Reihe von Projekten
abschließen. Wir werden über die gesetzliche Verankerung der Patientenverfügung diskutieren, und wir wollen
die Reform des Erbrechts beraten und verabschieden.
Mit beiden Projekten wollen wir mehr Selbstbestimmung und Autonomie für die Menschen erreichen.
Schon in der nächsten Woche wird der Deutsche Bundestag über die Modernisierung des Bilanzrechts diskutieren. Mit diesem Gesetzesvorhaben soll der Mittelstand weiter entlastet werden.
Durch die Strukturreform beim Versorgungsausgleich
und beim Zugewinnausgleich wollen wir der Modernisierung des Familienrechts einen weiteren Baustein hinzufügen, damit es bei den Scheidungsfolgen gerecht zugeht und der schwächere Ehepartner geschützt wird.
Wichtige Vorhaben verfolgen wir auch im Verbraucherschutz. Das wurde schon im Zusammenhang mit
dem Einzelplan 10 des Verbraucherschutzministeriums
angesprochen. Die rechtliche Kompetenz liegt allerdings
bei uns. Dabei geht es um den besseren Schutz vor unerlaubter Telefonwerbung und um die Stärkung der Verbraucherrechte beim Fahren und beim Fliegen. Diese
Themen werden uns sicherlich noch einige Diskussionen
bescheren. Wir sollten uns darum bemühen, noch in dieser Legislaturperiode zu Entscheidungen zu kommen.
Ich bin aber davon überzeugt, dass uns das gelingen
wird.
Die Liste der Gesetzgebungsprojekte, zu denen
schon eine Anhörung beschlossen oder zu erwarten ist,
ist lang. Es sind insgesamt 20. Das ist viel, wenn man
bedenkt, dass wir nur noch 17 Sitzungswochen bis zum
Ende der Legislaturperiode haben. Das heißt, die Rechtspolitiker dieses Hauses haben ein sehr beträchtliches
Programm. Deshalb ist es, glaube ich, wichtig, dass wir
unsere Arbeit zügig und konstruktiv fortsetzen. Die Koalition hat zumindest in der Rechtspolitik noch eine
Menge zu tun. Insofern möchte ich den Kollegen Diller
zitieren, der eben zu mir sagte: „Sag doch einfach: Der
Haushalt ist gut. Verändern Sie nichts.“
({12})
Das sind fromme Worte, denen nichts hinzuzufügen ist.
({13})
Ich gebe das Wort der Kollegin Sabine LeutheusserSchnarrenberger, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir führen die erste Beratung des wohl letzten
Entwurfs eines Justizhaushalts in dieser Legislaturperiode durch, der aller Voraussicht nach in Kraft treten
wird. Drei Viertel der Legislaturperiode sind vorbei. Insofern ist es notwendig, eine Bilanz der Rechtspolitik zu
ziehen.
An Arbeit hat es dem Rechtsausschuss nicht gemangelt. Wir haben schon sehr viele Anhörungen durchgeführt. Im Obleutegespräch heute Morgen hatten wir vier
Anhörungen vor Augen, die noch vor uns liegen. Insgesamt haben wir schon etwa 15 bis 20 Anhörungen zu
einer Vielzahl umfangreicher Gesetzgebungsvorhaben
durchgeführt. Im Familienrecht wurden wegweisende
Reformen auf den Weg gebracht.
Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich als Oppositionsfraktion immer an dem Maßstab orientiert, Gesetzgebungsvorhaben konstruktiv zu begleiten und Änderungen
einzubringen. Deshalb haben wir auch dem Gesetzentwurf zum Unterhaltsrecht zugestimmt, nachdem grundlegende Änderungen an dem ursprünglich vorgelegten
Entwurf erfolgt sind. Auch die Reform der freiwilligen
Gerichtsbarkeit haben wir letzten Endes unterstützt.
Auch beim Urheberrecht wurde nach einer ziemlich
grundlegenden Überarbeitung im Bundestag mit dem
„Zweiten Korb“ ein Entwurf vorgelegt, den wir unterstützen konnten. Das zeigt, dass wir uns als Oppositionsfraktion sehr wohl für konkrete Änderungen einsetzen.
Wir sehen auch noch weiteren Änderungsbedarf, auch
im Urheberrecht. Ich nenne als Stichworte zum Beispiel
die Kabelweitersendung in Hotels, die Durchsetzung
von Urheberrechten im Internet und Modelle in anderen
Ländern, die Vor- und Nachteile aufweisen. Wir hoffen,
dass noch in dieser Legislaturperiode Weichenstellungen
vorgenommen werden.
Frau Ministerin, Privatisierung war eigentlich nicht
das Streitthema im Rechtsausschuss. Niemand will, so
glaube ich, das Gerichtsvollzieherwesen privatisieren
- jedenfalls nicht die FDP-Fraktion -, weil das mit dem
Grundgesetz nicht vereinbar wäre. Dass die Gerichtsvollzieher selbst grundlegende Änderungen wollen, dass
Reformvorschläge mit dem Ziel der Qualitätsverbesserung gemacht wurden und dass es hier Licht und Schatten, Vor- und Nachteile gibt, ist selbstverständlich. Das
sollten wir nicht mit Privatisierung abtun. Das bringt die
Debatte auf eine schiefe Ebene, weil der Begriff hier
nicht passt.
({0})
In diese Legislaturperiode fiel die EU-Ratspräsidentschaft der Bundesregierung. Die Bilanz ist eher
dünn und dürftig ausgefallen. Die immer stärkere gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen, die
man unter den derzeitigen Vorzeichen sehr kritisch sehen
muss, zwingt dazu, endlich einheitliche europäische
Standards in Strafverfahren zu schaffen.
({1})
Hier verschieben sich die Gewichte eindeutig. Obwohl
es nur um Mindeststandards geht, hat sich seit der schon
länger zurückliegenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft nichts in der Europäischen Union bewegt. Andere
Dinge gehen sehr viel schneller. Ich erinnere an die EURichtlinie zur Speicherung der Telekommunikationsverbindungsdaten. Nachdem der Rahmenbeschluss
nicht durchkam, wurde die Richtlinie verabschiedet.
Man muss nicht Hellseher sein, um vorherzusagen, dass
wahrscheinlich noch in diesem Jahr diese Richtlinie mit
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs als nicht
rechtskonform erachtet wird, weil ihr die Ermächtigungsgrundlage fehlt. Der enge Zusammenhang mit dem
Urteil zur Fluggastdatenweitergabe ist offensichtlich.
Die Begründung ist identisch. Das hier verabschiedete
Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung wurde in Teilen
durch eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Anwendung empfohlen. Wie Sie
wissen, geschieht so etwas selten. Das zeigt, dass dahinter mehr als nur eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht steckt.
({2})
Im Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung - egal was der
EuGH macht, das Bundesverfassungsgericht wird das
letzte Wort haben - wurde auch die Telefonüberwachung
neu geregelt. Es gibt in § 160 a StPO eine Schutzvorschrift, die für Berufsgeheimnisträger bei staatlichen
Überwachungsmaßnahmen eine einheitliche Grundlage
schafft. Das Vorhaben, eine einheitliche Bestimmung zu
schaffen, haben wir unterstützt. Aber die Ausgestaltung
muss man nach wie vor kritisieren; denn die Unterscheidung zwischen Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten auf der einen Seite und Rechtsanwälten, Journalisten und Ärzten auf der anderen Seite führt zu einem
Zweiklassenrecht. Das ist keine gute Entwicklung.
({3})
Das hat bereits Spuren hinterlassen, und zwar im Zollfahndungsdienstgesetz und im Gesetzentwurf zum
BKA-Gesetz. Nehmen wir doch den ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Herrn Professor Dr. Hassemer, beim Wort:
Wer die Anwaltschaft unter dem Maßstab des Geheimnisschutzes in zwei Lager teilt, legt die Axt
ans Hausgut der Rechtsanwälte. Der Anwalt hat ja
nicht nur ein Recht, er hat auch eine Pflicht, die ihm
anvertrauten Geheimnisse zu wahren …; ein
Rechtsanwalt, der sich auf diese Garantie nicht
mehr verlassen kann, ist von den überkommenen
Garantien seiner Profession verlassen worden, er ist
normativ und praktisch verarmt.
Wir, die FPD-Fraktion, haben in der Sommerpause den
Entwurf eines Gesetzes erarbeitet, das diese Fehlentwicklung in § 160 a korrigieren soll. Da es inzwischen
viele fundierte Ausführungen dazu gibt, hoffe ich sehr,
dass der Bundestag gemeinsam die Kraft findet, eine
Korrektur vorzunehmen.
({4})
Ich komme zum Ende. Es gibt offene Baustellen, besonders im Insolvenzrecht. Frau Ministerin, Sie haben
die anstehenden Reformen genannt, die wir wie immer
mit unserem Selbstverständnis begleiten werden; denn
es geht um eine Reaktion auf veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen. Zur unerlaubten Telefonwerbung liegt ein Antrag von uns vor. Da müssen wir dringend handeln. Ich mache wie immer das Angebot: Klare
Kritik da, wo sie angebracht ist, aber Unterstützung da,
wo wir Ihren Weg teilen!
Vielen Dank.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Jürgen Gehb,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haushaltsdebatten sind Generaldebatten. Landläufiger Meinung nach ist das die Stunde der Opposition, die mit der
Regierung abrechnet.
({0})
Nun ist die Opposition - jedenfalls in der Rechtspolitik kaum wahrnehmbar, mit der Folge, dass wir als Koalitionsparteien diese Aufgabe auch noch zu erledigen haben.
({1})
Der Rechtsausschuss hat sich mit der höchsten Anzahl
von Einzelgesetzen auseinanderzusetzen, sodass wir
manchmal vor lauter Wald die Bäume nicht mehr sehen.
Deswegen ist eine solche Debatte zum Haushalt auch
eine Gelegenheit, einmal über den Tellerrand hinaus zu
schauen.
Die beiden Koalitionsfraktionen haben den Handlungsbedarf in der Rechtspolitik sehr schnell entdeckt
und die schweren Brocken in die Koalitionsvereinbarung
aufgenommen. Aber wir haben den Handlungsbedarf
nicht nur entdeckt - das hat manch anderer auch schon -,
sondern wir haben die Gesetze mit Handlungswillen und
Handlungsstärke auch verabschiedet.
Nun will ich nicht wie ein Buchhalter alles kleinkariert bilanzieren. Aber ein paar Dinge will ich vielleicht
doch nennen. Kurz vor der Sommerpause haben wir die
wohl größte GmbH-Reform seit 100 Jahren verabschiedet. Ich erinnere zudem an die FGG-Reform. Ich könnte
außerdem das Familien- und Unterhaltsrecht, die Vaterschaftsfeststellung und Vaterschaftsanfechtung nennen.
Auf dem Gebiet des Strafrechts haben wir die Sicherungsverwahrung für nach Jugendstrafrecht Verurteilte
sowie für andere böse Buben, bei denen bisher Sicherheitslücken bestanden, geregelt. Schließlich haben wir
mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz und der Regelung
zu den Erfolgshonoraren das Berufsrecht der Anwälte
neu gestaltet. Alles das sind große Projekte und nicht
etwa nur Petitessen.
Gott sei Dank besteht die Welt nicht nur aus Becks
und Ypsilantis; jedenfalls tummeln sie sich nicht in der
Rechtspolitik. Ich habe an dieser Stelle Dank zu sagen
der Ministerin, dem Parlamentarischen Staatssekretär,
meinem Counterpart, Herrn Stünker, sowie allen anderen
Ausschussmitgliedern, meinen eigenen Kollegen in der
Arbeitsgruppe Recht sowie den Ministerialbeamten, die
alle dazu beigetragen haben, dass wir jedenfalls in der
Rechtspolitik keinen Anlass dazu haben, nach fremden
Bräuten zu schauen.
({2})
Man könnte es folgendermaßen zusammenfassen: Regierung gut, Koalition prima, Opposition Fehlanzeige!
({3})
In den letzten Tagen hat man, wenn man nicht blind
war, gesehen, dass schon ein bisschen mit den Hufen gescharrt wird, weil die Performance nicht überall so gut
ist. Jetzt kommen die Wahlkämpfe: Bundestagswahlkampf, Europawahlkampf und mehrere Landtagswahlkämpfe. Da wird an den geeigneten Stellen, zum Beispiel auf den Kreisparteitagen, sicherlich auch mit
unserem jetzigen Koalitionspartner hart ins Gericht gegangen werden. Aber eines kann ich Ihnen versprechen:
Wir werden uns zum Wohle des Volkes ähnlich wie in
der Vergangenheit auch in Zukunft bemühen, alles mit
der Akkuratesse eines Schweizer Uhrwerks abzuarbeiten, denn dafür sind wir als Volksvertreter gewählt.
Manchmal dürften wir uns zum Wohle des Volkes
auch nicht nur an der Vielzahl der verabschiedeten Gesetze messen lassen, sondern müssten uns auf die Fahnen schreiben, bestimmte Gesetze zu verhindern.
({4})
Ich zitiere Montesquieu: Wenn es nicht nötig ist, ein
Gesetz zu erlassen, dann ist es nötig, keines zu erlassen. Was schon für die einfachen Gesetze gilt, gilt erst recht
für das Grundgesetz. Ich beobachte die bedenkliche
Tendenz, immer mehr sicherlich hehre und für sich betrachtet wünschenswerte Anliegen als Staatszielbestimmung in das Grundgesetz aufzunehmen. Nach der Erbsünde, die wir mit der Aufnahme des Tierschutzes in das
Grundgesetz begangen haben, sollten wir jetzt nicht
auch noch Kultur, Sport, Kinder, Datenschutz und den
Atomausstieg in das Grundgesetz aufnehmen,
({5})
wenn wir aus unserem Grundgesetz keinen Neckermann-Katalog werden lassen wollen.
({6})
Das Grundgesetz besticht durch seine Kargheit, durch
seine Schlichtheit, durch seine Einfachheit und durch
seine Exklusivität, und so wollen wir es belassen. Darum
sage ich: Finger weg vom Grundgesetz!
({7})
Wir führen die heutige Debatte wenige Tage nach
dem siebten Jahrestag von 9/11. Damals sind nicht nur
die Twin Towers eingestürzt, sondern der Anschlag hat
uns auch gezeigt, dass sich die gesamte westlich-zivilisierte Welt im Fadenkreuz von Terroristen befindet.
Wir als Rechtspolitiker können zumindest einen kleinen
Teil, ein Scherflein dazu beitragen, dass dieses Risiko etwas minimiert bzw. reduziert wird. Es geht nicht darum,
den Leuten absolute Sicherheit vorzugaukeln und Begehrlichkeiten zu wecken, die man hinterher nicht erfüllen
kann. Aber was höre ich auch heute wieder im Zusammenhang mit den Sicherheitsgesetzen? Am 20. August
lese ich einen Artikel im Tagesspiegel - Autorin: Frau
Leutheusser-Schnarrenberger - mit dem Titel: „Freiheit
in Gefahr“. Die Zwischenüberschrift lautet: „Es gibt
kein Grundrecht auf Freiheit.“
({8})
- Auf Sicherheit; gut aufgepasst. - Es gibt so wenig ein
Grundrecht auf Sicherheit, wie es ein Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung gibt, jedenfalls wenn
man den Verfassungstext liest. Aber ähnlich wie das
Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung in seinem viel zitierten Volkszählungsurteil aus einer Zusammenschau mehrerer Normen
entwickelt hat, hat das Bundesverfassungsgericht natürlich auch eine verfassungsrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates begründet.
({9})
Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich empfehle Ihnen
die Lektüre der amtlichen Entscheidungssammlung des
Bundesverfassungsgerichts, 107. Band, Seite 299 ff.
({10})
Die einschlägige Passage finden Sie auf Seite 316. Wenn
Sie noch weiter in die Geschichte gehen wollen - schon
Augustinus hat gesagt: „Tolle lege!“ - Nimm und lies! -,
dann können Sie auch in den 80. Band schauen, Seite 367
und 375 ff. Eine Entscheidung ist aus dem Jahr 1989, die
andere aus dem Jahr 2003. Wenn Sie schon solche Artikel in der Zeitung schreiben, dann empfiehlt es sich, sich
vorher rechtskundig zu machen.
({11})
Sonst müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, entweder nicht rechtskundig zu sein oder den Leuten wider
besseres Wissen etwas vorzugaukeln. Bei der Gelegenheit haben Sie, wie Sie es immer bei jeder passenden und
unpassenden Gelegenheit machen - auch Herr Stadler
macht das immer -, eine ganze Litanei von EntscheidunDr. Jürgen Gehb
gen des Bundesverfassungsgerichts zitiert, mit denen
Gesetze der Koalition aufgehoben worden sein sollen.
({12})
- Nun, Herr van Essen, ich belehre Sie ungern, aber Sie
fordern es förmlich heraus. - Wir haben die Anfrage gestellt, wie viele Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts es diesbezüglich seit dem 19. Oktober 2005
gibt. Das war der Beginn der schwarz-roten Koalition.
({13})
- Frau Präsidentin, Herr Stadler kann es kaum noch halten. Das Wasser schon, aber seine Frage nicht.
Sie waren so im Redefluss, Herr Kollege Gehb. Da
wollte ich Sie nicht unterbrechen.
Ja, aber wenn Sie darauf warten wollten, käme nie jemand zu einer Zwischenfrage.
Gut, gestatten Sie die Zwischenfrage des Kollegen
Stadler?
Ja.
({0})
Herr Kollege Gehb, da Sie gerade vortragen wollen,
dass keine Gesetze der Großen Koalition in Karlsruhe
aufgehoben worden seien, wären Sie bereit, hier dem
Hohen Haus mitzuteilen, welche Gesetze der Vorgängerregierung während der Regierungszeit der Großen
Koalition durch das Parlament korrigiert worden sind
und ob Sie damit jeweils auf eine entsprechende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewartet haben?
Zum Zweiten: Sie tragen hier vor, man solle sich erst
einmal rechtskundig machen. Stimmen Sie mit mir überein, dass Frau Leutheusser-Schnarrenberger sich über
ein angebliches Grundrecht auf Sicherheit ausgelassen
hat, das es nämlich nicht gibt, während Sie am Ende davon gesprochen haben, es gebe eine Grundpflicht des
Staates, Sicherheit zu gewährleisten, was völlig unstrittig ist. Mit anderen Worten: Sie haben Frau LeutheusserSchnarrenberger einen Vorwurf gemacht und versucht,
sie mit einem anderen Begriff zu widerlegen, obwohl die
beiden Dinge gar nichts miteinander zu tun haben, sondern allenfalls korrespondieren.
({0})
Stimmen Sie mir zu, dass unter Rechtskundigen der Unterschied zwischen einem Grundrecht und einer
Grundpflicht klar sein sollte? Angesichts Ihrer Ausführungen habe ich nämlich Zweifel, ob Ihnen dieser fundamentale Unterschied bekannt ist.
({1})
Das ist ja wirklich eine gute Gelegenheit, einen Rundumschlag zu machen.
Fangen wir mit der ersten Alternativfrage an. Selbstverständlich hat die schwarz-rote Koalition Gesetze korrigiert, die Rot-Grün erlassen hat. Das ist aber etwas
ganz anderes, als sich den Vorwurf gefallen lassen zu
müssen, in der eigenen Regierungszeit verfassungswidrige Gesetze erlassen zu haben. Die Korrektur verfassungsfeindlicher, verfassungswidriger Gesetze würde
uns ja allenfalls adeln.
Dass man gerade auf dem Spannungsfeld zwischen
Freiheitsrechten auf der einen Seite und Sicherheitsrechten auf der anderen Seite natürlich ein vermintes
Gelände und ein grundrechtsrelevantes Gebiet betritt,
das ist doch selbstverständlich, Herr Stadler. Selbst die
Viehhandelhauptmängelverordnung oder das Gesetz
über die Reform hufbeschlagrechtlicher Regelungen ist
bis nach Karlsruhe gejubelt worden. Das ist doch ganz
klar, und deswegen bewegen wir uns hier immer auf kritischem Gebiet.
Ein Nächstes. Es grenzt geradezu an Sophistik, zu sagen: Es ist ein Unterschied, ob es ein Grundrecht auf
Freiheit gibt. Ich antworte und sage: Es gibt eine grundrechtlich verbürgte Schutzpflicht des Staates. Begeben
Sie sich einmal in die Niederungen von Mommsen und
Larenz‘ Methodenlehre und lesen Sie, was in § 194 BGB
steht: Anspruch ist das Recht, von jemandem ein Tun
oder ein Lassen zu verlangen. - Selbstverständlich korrespondiert mit jeder Pflicht des Pflichtigen das Recht
des Berechtigten. Herr Stadler, dass ich Ihnen das heute
erklären muss, ist wirklich ganz traurig.
({0})
Aber damit ist natürlich das, was der Herr van Essen dazwischengerufen hat, gleichzeitig erledigt, ohne dass es
auf mein Redezeitkontingent geht. Ich danke ganz herzlich für die Gelegenheit, Ihnen eine kleine Nachhilfe
über Verfassungsrecht, Schutzpflichten und Schutzrechte im Einzelnen zu geben.
({1})
Nun muss ich sagen: Diese Geschichte mit den
Grundrechten „Freiheit“ und „Sicherheit“ aus der Opposition wird nur noch getoppt vom Grundrechtsverständnis der Linken; Sie kommen auch nicht ungeschoren davon. Gestern musste ich lesen, dass Herr Lafontaine die
Eigentumsverhältnisse unseres Grundgesetzes infrage
stellte, indem er sagte, das Familienvermögen der
Schaefflers müsse enteignet werden. Meine Damen und
Herren, er sagte dies mit der Begründung, so ein Vermögen könne man auf verfassungsgemäße Art und Weise
nie erlangen; deshalb gehe es nur um die Rückübereignung von der Enteignung der Beschäftigten. Meine Damen und Herren, heute sind es die Schaefflers, morgen
ist es irgendein größerer Handwerker und übermorgen
müsste sich der Herr Lafontaine selber einmal fragen
lassen, woher er sein palastartiges Anwesen hat.
Wir haben gerade gehört, was alles zum Wohle des
Landes gehört. Weil ich den Blick über den Tellerrand
angesprochen habe, will ich auf einen Beitrag unseres
früheren Bundespräsidenten, auch bekannt als Bundesverfassungsgerichtspräsident und berühmter Verfassungsrechtler, Roman Herzog, in der FAZ vom 8. September
letzten Jahres „Stoppt den Europäischen Gerichtshof“
eingehen. Meine Damen und Herren, zum Wohle des
Landes gehört es auch, dass wir hoffentlich bald einmal
von immer unerträglicher werdenden europäischen
rechtlichen Vorgaben verschont bleiben. Ich denke dabei
nur schon wieder an die Draufsattelung der Antidiskriminierungsrichtlinie
({2})
und daran, dass wir von der immer ernüchternderen
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verschont bleiben. Insofern warte ich auf den von Roman
Herzog angekündigten Showdown zwischen dem Europäischen Gerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht. Wir kennen ja die „Solange I/II/III“-Entscheidungen. Meine Damen und Herren, wir als Mitglieder des
Rechtsausschusses und als Rechtspolitiker sollten uns
auch einmal mit diesem Phänomen und dem Verhältnis
von supranationalem Recht und nationalem Recht beschäftigen, damit wir fürderhin nicht nur die Vollstreckungsgehilfen der Europäer sind und in einer Ratifizierungsfalle sitzen, sondern voller Selbstbewusstsein als
nationale Parlamentarier unsere nationalen Angelegenheiten auch durch nationale Gesetze regeln können.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Nešković,
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Sehr geehrte Ministerin Zypries!
Haushaltspläne sind so aufgebaut, dass sie für einen Ressortbereich die Einnahmen und Ausgaben erkennen lassen. Die Bürger erfahren aber nicht, ob sich der
Finanzaufwand für die Arbeit dieser Ressortbereiche
überhaupt gelohnt hat. Immerhin enthalten Haushaltspläne manchmal auch eine konkrete Arbeitsbeschreibung. Auf Seite 2 des Einzelplans der Justiz können Sie
nachlesen:
Das Bundesministerium der Justiz ist außerdem
„Verfassungsressort“. Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Inneren hat es zu gewährleisten,
dass gesetzliche Regelungen mit dem Grundgesetz
vereinbar sind.
Vor dem Hintergrund dieser Arbeitsbeschreibung
müssen sich die Steuerzahler ernsthaft fragen, ob die
Justizministerin ihr Geld wert ist. Frau Zypries wäre ihr
Geld wert, wenn sie als Verfassungsministerin den
Rechtsstaat energisch und engagiert schützen würde.
Das ist jedoch nicht der Fall. Frau Zypries hat sich lediglich das Image einer Bremserin bei der Demontage des
Rechtsstaats zugelegt.
({0})
„Bremserin“ ist ihr Etikett. So hat der Spiegel jüngst
auch ein Portrait überschrieben.
({1})
Das klingt nicht schlecht, wenn es darum geht, den
Rechtsstaat vor Herrn Schäuble zu schützen. Insoweit
scheint zumindest die PR-Abteilung des Justizministeriums ihr Geld wert zu sein.
Das Bild von der Bremserin ist schon sehr malerisch.
Ich will es einmal überprüfend aufgreifen. In diesem
Bild steuert der Innenminister Wolfgang Schäuble den
Staatskarren mit Vollgas in Richtung Überwachungsstaat. Neben dem Innenminister sitzt seine vermeintlich
besonnene Kabinettskollegin, Frau Zypries. Sie greift
nicht ins Steuer, aber immerhin: Hin und wieder betätigt
sie die Bremse, wenn die deutsche Öffentlichkeit bei der
wilden Fahrt des Innenministers entsetzt reagiert.
Ich möchte nun einige Stationen dieser Reise in Erinnerung rufen:
Im Frühling des Jahres 2007 erklärte Frau Zypries
dem Spiegel gegenüber, die von Herrn Schäuble geforderte Erweiterung der akustischen Wohnraumüberwachung sei ganz unnötig. Im Sommer 2008 nahm sie dann
jäh den Fuß von der Bremse und billigte eine Kabinettsvorlage zur Änderung des BKA-Gesetzes, wonach sogar
tatunverdächtige Dritte in ihrer Wohnung nicht nur abgehört, sondern sogar gefilmt werden können.
Im Frühjahr 2007 kritisierte Frau Zypries den Innenminister für seinen Vorschlag, zur Gefahrenabwehr die
Fingerabdrücke aller Bundesbürger in Personaldokumenten zu speichern. Im Juli 2008 ließ sie das Bremsen
plötzlich sein. Sie fand sich zu einem Handel bereit,
nach dem der Fingerabdruck freiwillig in die neuen Personalausweise gelangen sollte. Diese Freiwilligkeit ist
schlecht getarnter Zwang; denn zukünftig wird es zwei
Arten von Bundesbürgern geben: solche, die sich den Sicherheitswahnvorstellungen des Staates beugen, und solche, die unbeugsam, aber daher bevorzugt verdächtig
sind.
({2})
Doch Frau Zypries versteht sich nicht nur auf das
Bremsen. Auf der Reise in den Überwachungsstaat gibt
sie auch selbst gern mal Vollgas. Seit dem 1. Januar
2008 werden auf der Grundlage eines Gesetzentwurfs
aus dem Hause Zypries die Kommunikationsprofile von
Millionen von Menschen auf Vorrat erfasst. Unabhängig
von einem ganz konkreten Verdacht wird gespeichert,
wer mit wem wie lange von welchem Ort aus telefoniert
hat. Die Justizministerin hat damit die Deutschen zu einem Volk von Verdächtigen gemacht. Damit stellt sie
das Grundgesetz auf den Kopf. Die Grundrechte sind
Abwehrrechte gegen den Staat. Sie sind institutionalisiertes Misstrauen gegen eine unvernünftige Obrigkeit.
Nunmehr wird es genau umgekehrt sein. Hier wird nämlich ein Misstrauen des Staates gegen seine Bürger institutionalisiert. Das ist das Gegenteil von dem, was das
Grundgesetz vorsieht.
({3})
Frau Zypries begründet ihr Gasgeben mit einer Richtlinie der Europäischen Union, deren Rechtsgrundlage
höchst zweifelhaft ist - Frau Leutheusser-Schnarrenberger
hat das schon gesagt - und gegen die die Republik Irland
Klage erhoben hat.
Während der dritten Lesung des Gesetzes am 9. November 2007 forderte Frau Zypries mehr Ehrlichkeit in
der Diskussion. Sie sagte am Ende ihrer Rede, dass es
möglich sein müsse, bei schwerster Kriminalität auf gespeicherte Telekommunikationsdaten Rückgriff zu
nehmen. Nicht ganz so ehrlich vergaß sie zu erwähnen,
dass das neue Recht zum Beispiel schon in bestimmten
Fällen von Urkundenfälschung zum Abruf von Vorratsdaten berechtigt. Sie vergaß auch, ehrlich darauf hinzuweisen, dass ihr Gesetzentwurf über die Umsetzungspflichten der Richtlinie weit hinausgeht.
Die Richtlinie sah nur die Speicherung und den Abruf
von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung, also zur
Repression, vor. Frau Zypries legte dem Deutschen Bundestag einen Entwurf vor, der auch zur Datenabgabe bei
der Gefahrenabwehr, also bei der Prävention, berechtigte. Die Richtlinie sah die Speicherung und den Abruf
von Daten zum Zwecke der Verfolgung schwerer Straftaten vor. Frau Zypries unterlief dieses hohe Erfordernis
und ließ schon erhebliche Straftaten genügen. Die Richtlinie sah den Datenabruf lediglich für Strafverfolgungsbehörden vor. Frau Zypries hat nunmehr die Voraussetzungen - wohlgemerkt: noch nicht das Ergebnis - dafür
geschaffen, dass die Daten zukünftig auch an die Geheimdienste weitergegeben werden können. Wer dann
- auch das wurde hier erwähnt - wirklich spürbar auf die
Bremse trat, das war das Bundesverfassungsgericht.
Wissen Sie, ob Frau Zypries gerade bremst oder nicht,
ist im Grunde ein völlig überschätztes Thema.
({4})
Es handelt sich sowieso nur um ein täuschendes Verzögern. Und auf dem Weg in die falsche Richtung ist das
Bremsen nur ein Mittel, um langsamer falsch anzukommen. Zur Abwendung eines Überwachungsstaates ist das
Bremsen daher ein untaugliches Mittel. Das, was wir
dringend benötigen, ist nicht das Bremsen oder Verzögern. Vielmehr brauchen wir einen Fahrtrichtungswechsel. Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat das so formuliert:
Mit den Grundrechten und mit der unbedingten
Bindung der Staatsgewalt an diese Grundrechte
wurde das Fundament für den Bestand der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gelegt. Die
massiven Versuche, dieses Fundament umzubauen,
gehören beendet. Die Zeit ist reif zur Umkehr.
Frau Zypries, eine solche grundsätzliche Haltung fehlt
Ihnen, weil Ihnen der rechtsstaatliche Kompass fehlt.
({5})
Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie - wie Frau
Leutheusser-Schnarrenberger damals beim großen
Lauschangriff - aus einer rechtspolitischen Grundüberzeugung heraus von Ihrem Amt zurücktreten würden.
({6})
Im Grunde genommen spiegelt sich in Ihrem politischen
Selbstverständnis das personelle Dilemma der SPD wider. Sie stehen genauso wie Herr Steinmeier und Herr
Steinbrück für die Generation der Technokraten und
Politikbeamten in der SPD.
({7})
Sie alle haben Ihre politischen Karrieren im Gegensatz
zu Herrn Stünker und anderen im Apparat und nicht in
der Partei und auch nicht im Leben gemacht.
({8})
Sie funktionieren in beliebigen Funktionen: gestern als
Referentin in der Niedersächsischen Staatskanzlei, danach als Staatssekretärin im Innenministerium, heute als
Justizministerin und vielleicht morgen als Verbraucherschutz- und Landwirtschaftsministerin. Sie haben eigentlich nur gelernt, in dieser Tätigkeit den Anschein erfolgreicher Administration zu geben. Ihnen fehlen die
politischen Visionen. Vielleicht haben Sie sie im Familienrecht. Ihre einzige Vision ist die Vermeidung von
Fehlern, um den Job und die Macht zu erhalten. Sie stehen damit genauso wie die heutige SPD für politische
Beliebigkeit. Sie stehen nicht in der Tradition großer
SPD-Rechtspolitiker wie Adolf Arndt und Martin
Hirsch.
({9})
Der SPD sind auch deswegen der sozialstaatliche und
auch der rechtstaatliche Kompass abhanden gekommen,
weil sie in Spitzenpositionen zunehmend den Typus des
Politikbeamten und Technokraten gestellt hat.
({10})
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Der politisch-inhaltliche Kompass, der in die Richtung des Sozialstaates und des Rechtstaates weist, liegt
bei uns, er liegt bei der Linken. Wir werden Kurs halten,
wenn es darum geht, den Sozialstaat und den Rechtstaat
zu schützen.
Vielen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Jerzy Montag,
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Frau Bundesministerin Zypries, ich versuche es einmal auf eine andere Art und Weise, ohne persönliche Beleidigungen.
({0})
Es ist die siebte, achte oder neunte Rede, die ich zum
Haushalt halte. Immer wieder fange ich mit den gleichen
Zahlen an. Dieses Mal haben wir einen Zuwachs der
Einnahmen von 10 Prozent auf 383 Millionen Euro. Allerdings haben wir einen Ausgabenzuwachs um 7 Prozent auf 500 Millionen Euro. Der Deckungsgrad des
Haushalts des BMJ ist von 70 auf 73 Prozent geklettert.
Die Zahlen lassen sich also wahrlich wenig diskutieren.
Deshalb will ich anders anfangen und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, fragen: Was kann man nicht kaufen, und was gibt es trotzdem nicht umsonst? Herr Kollege Gehb denkt noch nach. Ich sage es Ihnen: Es ist eine
unabhängige, nur dem Recht und dem Gesetz verpflichtete Justiz.
({1})
- Darum sage ich es Ihnen. - Es ist ein gelebter Rechtsstaat mit niedrigschwelligem Zugang zum Recht für
Arme wie Reiche, Schwache wie Starke. Es ist eine Justiz, die als modernes, effizientes staatliches Unternehmen die Aufgabe hat, die Grund- und Bürgerrechte aller
Bürgerinnen und Bürger zu schützen und jeder bzw. jedem zeitnah und gerecht zu ihrem bzw. seinem Recht zu
verhelfen. So etwas kostet Geld, braucht motivierte, gut
ausgebildete und bezahlte Menschen und eine moderne
und leistungsfähige Ausstattung. Dies fordern wir in jeder Haushaltsrede von neuem.
Wir fordern sichtbare und vernehmbare Anstrengungen, auch von der Bundesseite, mit den Ländern, und
zwar nicht im stillen Kämmerlein - das tun Sie, Frau
Ministerin, vielleicht schon lange; das glaube ich Ihnen
sogar -, sondern in der Öffentlichkeit vernehmbar, dieses Ziel zu erreichen. Laden Sie doch einmal zu einem
Krisengipfel Rechtsstaat ein! Reden wir doch einmal in
aller Öffentlichkeit über die jämmerlichen Zustände bei
Ausstattung und Bezahlung der Justiz in den Ländern. Statt einer solchen rechtspolitischen Offensive zur
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit erreichen uns vonseiten
des Bundesrates ausschließlich Vorschläge, wie man den
Rechtsstaat stutzen und die dafür vorgesehenen Ausgaben kürzen kann. Ich will nur ein Beispiel anführen:
Dem Vorschlag zur Einschränkung der Prozesskostenhilfe folgte jetzt der Vorschlag zur Einschränkung der
Beratungshilfe. So kommt man von einem Punkt zum
anderen, und der Rechtsstaat bzw. die Justiz bleibt dabei
auf der Strecke.
({2})
Zurück zum Bundeshaushalt. Auch hier gibt es, Frau
Zypries, die Möglichkeit, guten Willen zu zeigen, indem
man nämlich vermeintliche Kleinigkeiten ändert. Ich
will ein Beispiel dafür benennen: Im Haushaltsentwurf
des Bundesjustizministeriums gibt es eine Rubrik, in der
Gelder für Entschädigungen für unschuldig erlittene
Strafverfolgungsmaßnahmen eingestellt werden können. Die von den Ländern gezahlte Entschädigung beträgt seit 22 Jahren 11 Euro pro Tag. Unser Nachbar Österreich zahlt im Übrigen im Schnitt 100 Euro pro Tag
für unschuldig erlittene Untersuchungshaft. Es wird seit
langem darüber diskutiert, ob man diesen Satz anheben
soll. Auch Sie haben sich dafür stark gemacht. Ein Gesetzentwurf liegt aber nicht vor. Es gibt auch keine konkreten Aktivitäten. Dabei bräuchten wir auch auf Bundesebene Gelder, um Entschädigungen für unschuldig
erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen zahlen zu können.
Was sieht aber Ihr Haushaltsansatz hier vor? Eine
schlichte Null. Ich meine, hier sollten Sie nachbessern
und Gelder einstellen. Nachdem durch BGH-Entscheidungen in diesem und im letzten Jahr Maßnahmen der
Generalbundesanwältin ein Ende gesetzt wurde, werden
auf Sie Kosten zukommen. Sie sollten das im Haushalt
berücksichtigen.
({3})
Schließlich habe ich im Haushalt noch Ansätze gefunden, die mich etwas stutzig gemacht haben. Sowohl
im Haushalt des Bundesverfassungsgerichts als auch des
Bundesjustizministeriums gibt es wahrhaftig die Titel
„Militärische Beschaffungen, Anlagen usw.“. Ich finde,
dass Sie den Titel „Militärische Beschaffungen, Anlagen
usw.“ aus den Haushalten des Bundesverfassungsgerichts und auch des Bundesjustizministeriums streichen
sollten. Für diese Titel sind zwar keine Gelder vorgesehen, aber sie erwecken angesichts der Tatsache, dass
Herr Schäuble davon redet, dass innere und äußere Sicherheit das Gleiche seien, und Einsätze der Bundeswehr im Innern in Betracht zieht, die Befürchtung, dass
Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
es sich hierbei um Leerstellen für Fantasien des Bundesinnenministeriums handelt. Streichen Sie diese bitte.
({4})
Mein Resümee zur Rechtspolitik nach Ablauf von
drei Viertel der Legislaturperiode fällt zwiespältig aus.
Es gibt natürlich auch eine positive Seite. Diese möchte
ich nicht unerwähnt lassen, obwohl meine Zeit knapp ist:
({5})
Unterhaltsrechtsreform gelungen; FGG-Reform gelungen; GmbH-Reform gelungen, auch wenn man sie noch
besser hätte machen können; Schutz vor Kreditverkäufen überstürzt, nur halbherzig. Wir haben dazu konkrete
weitergehende Vorschläge gemacht; es ist schade, dass
Sie auf die nicht eingegangen sind.
Aber in Bürgerrechtsfragen, bei der Verteidigung
der Grund- und Bürgerrechte, bei der Verteidigung der
Freiheit, gibt es ein ganz erhebliches Sündenregister.
Ich will mich nicht wiederholen; Frau LeutheusserSchnarrenberger hat das erwähnt, ebenso Kollege
Nešković. Zur Vorratsdatenspeicherung will ich nur einen einzigen Satz sagen: Wir haben unter den 20 Anhörungen im Rechtsausschuss auch eine - im März dieses
Jahres - zu den durch Vorratsdatenspeicherung verursachten Kosten gehabt. Die Kritik an dem Gesetzentwurf, den es eigens dazu gibt, war vernichtend. Seitdem
ist dieser Gesetzentwurf verschwunden. Die Koalition
fasst ihn nicht mehr an. Auch das muss noch einmal auf
den Tisch.
Die Sicherungsverwahrung, lieber Kollege Gehb, ist
ein Armutszeugnis und kein Ruhmesblatt für Sie.
({6})
Die Kronzeugenregelung liegt vor, und auch die Terrorstrafvorschriften sind Vorschriften, die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten äußerst bedenklich sind.
Fast alle diese Sünden haben - so die Diagnose des
Bundesverfassungsrichters Di Fabio - mit einer ganz bestimmten Lust zu tun, nämlich mit der Lust am antizipierten Ausnahmezustand. So hat er das genannt, ein
Bundesverfassungsrichter, nicht ich. Was dabei in der
Zeit der Großen Koalition bisher herausgekommen ist,
ist eine schier endlose Aneinanderreihung von Akten der
Überwachung und der Repression, größtenteils aus der
Innenpolitik, aber allzu oft von der Rechtspolitik zu wenig aufgehalten, zu wenig abgebremst und manchmal
auch willig mitgemacht.
Deswegen, Frau Zypries: Das Bild der auferstandenen
Jeanne d’Arc der Rechtsstaatlichkeit, das von Ihnen gezeichnet wird und das Sie gerne von sich zeichnen lassen, entspricht nicht ganz der Realität.
Ich will zum Datenschutz noch einiges sagen, und
zwar deswegen - da schaue ich insbesondere auf die
rechte Seite des Hauses -, weil jahrelang immer dann,
wenn wir Grüne von Datenschutz geredet haben, Sie dazwischengeschrien haben: Datenschutz ist Täterschutz!
({7})
Das war Ihr Credo. Inzwischen reden auch Sie davon,
dass man Datenschutz bräuchte. Welch eine Umkehrung! Aber alle Maßnahmen, die beschlossen und vielleicht auch umgesetzt werden, brauchen ein Fundament.
Das hat mit Staatszielen nichts zu tun, Herr Kollege
Gehb, sondern es handelt sich dabei um konkrete Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger. Das Fundament, auf
dem der Datenschutz fußt, sind die Grundrechte, die das
Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, und wir sind
sehr wohl dafür, dass man diese Grundrechte auch ins
Grundgesetz hineinschreibt.
({8})
- Da Ihnen immer so an Fundstellen gelegen ist, wäre
ich Ihnen verbunden, wenn Sie mir im Grundrechtekatalog zwischen Art. 1 und 19 zeigen könnten, wo das steht,
damit die Bürgerinnen und Bürger draußen das auch lesen können. Nein, es ist nicht drin.
({9})
Es ist mehr oder minder zwanghaft abgeleitet aus Art. 2
und Art. 1. Es wäre schön, wenn man als Bürger dieses
Landes im Grundgesetz lesen könnte - ebenso wie man
lesen kann, dass seine Wohnung unverletzlich ist oder
dass man Religionsfreiheit und Glaubensfreiheit hat -,
dass das Grundgesetz jeder Bürgerin und jedem Bürger
den Schutz seiner Daten gewährt. Dies ist eine Aufgabe
ersten Ranges für die Rechtspolitik. Ich fordere Sie alle
im Hause auf, den Vorschlag, den wir gemacht haben,
konstruktiv zu diskutieren und uns im Jahre 2009 trotz
des Wahlkampfs darüber zu verständigen.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ole Schröder,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Einzelpläne des Bundesministeriums der
Justiz und des Bundesverfassungsgerichts sind, gemessen am Ausgabevolumen, sehr klein. Sie umfassen nicht
einmal 0,18 Prozent des Gesamthaushaltes. Aber natürlich spiegeln die Ausgaben nicht die Bedeutung dieser
Einzelpläne wider. 500 Millionen Euro sind, gemessen
an der Bedeutung dieser Institutionen, wirklich nicht viel
Geld.
Das Justizministerium hat zwei wichtige Aufgaben:
zum einen die Gesetzgebung und die Gesetzesanwendung im Bereich der Justiz mit den obersten Gerichten
und Behörden, zum anderen aber auch eine Querschnitts18600
aufgabe für die gesamte Bundesregierung: Das Bundesministerium der Justiz ist dafür verantwortlich, die
gesetzgeberischen Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene zu ordnen.
Gestern fand die Anhörung zum BKA-Gesetz statt.
Durch das BKA-Gesetz werden die Befugnisse des Bundeskriminalamtes ausgeweitet. Das Bundeskriminalamt
ist in den letzten Jahren personell gestärkt worden. Dies
ist auch erforderlich, um die Bevölkerung wirksam vor
Terroristen zu schützen.
Aber in einem Rechtsstaat führt immer noch die
Staatsanwaltschaft die Ermittlungen.
({0})
Die Ermittlungen werden nicht von den Polizeien geführt. Die Staatsanwaltschaft ist Herrin des Verfahrens.
Die Justizpolitik hat die Aufgabe, die Staatsanwaltschaft
so auszustatten, dass diese strengen Maßstäbe auch voll
gewahrt werden.
({1})
Die Generalbundesanwältin beim Bundesgerichtshof
agiert als Anwalt des Bundes und bekommt es dabei mit
immer aufwendigeren Ermittlungsverfahren zu tun. Allein das sogenannte Sauerland-Verfahren gegen drei Anhänger der islamistischen Dschihad-Bewegung hat fünf
Staatsanwälte dauerhaft gebunden. Hunderte von richterlichen Beschlüssen mussten eingeholt werden. Bei dem
Gerichtsverfahren gegen die sogenannten Kofferbomber,
die Anschläge auf zwei Regionalzüge geplant hatten,
wurden ebenfalls viele Ressourcen gebunden. Viele dieser Verfahren ziehen sich dann vor Gericht über Jahre
hin, vor allem dann, wenn Konfliktverteidiger das Verfahren bewusst in die Länge ziehen. Derzeit werden von
der Generalbundesanwaltschaft über hundert laufende
Verfahren allein gegen ausländische Vereinigungen bearbeitet. Der Übersetzungsaufwand ist enorm.
All diese Aufgaben müssen geschultert werden, ohne
dass dabei die rechtsstaatliche Sorgfalt auf der Strecke
bleibt. Es wäre fatal, wenn die Staatsanwaltschaft am
Ende wegen Überbelastung nicht mehr in der Lage wäre,
von der Polizei überführte Straftäter der Justiz zuzuführen. Deshalb ist es zu begrüßen, dass bereits im Entwurf
der Bundesregierung 21 neue Stellen geschaffen wurden,
um dieser rechtsstaatlichen Pflicht Rechnung zu tragen.
Herr Montag, Sie haben angesprochen, dass der Ansatz der Mittel für Entschädigungen nicht hoch genug
ist. Als Haushälter haben wir im Rahmen von entsprechenden haushaltsrechtlichen Vermerken und Flexibilisierungen immer darauf geachtet, dass am Ende jede
Entschädigung gezahlt werden kann. Wir werden auch
zukünftig darauf achten.
Meines Wissens ist der Titel „Militärische Beschaffungen“ in allen Einzelplänen vorhanden. Ich weiß nicht,
ob das nun wirklich der Kern der haushaltspolitischen
Auseinandersetzung sein sollte. Bisher hat sich noch niemand an diesem Leertitel gestört. Wir können in den Berichterstattergesprächen gerne noch einmal darüber sprechen.
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Montag?
Bitte.
Herr Kollege Schröder, ich danke Ihnen für die Ankündigung, dass Sie sich mit unseren Vorschlägen befassen wollen.
Ich wollte Sie fragen, ob Sie uns hier bestätigen können, dass gerade bei dem Posten „Entschädigungen in
Wiederaufnahmeverfahren und für unschuldig erlittene
Untersuchungshaft“ keine Flexibilisierungsmöglichkeit
besteht. Es gibt leider speziell bei diesem Posten keine
Möglichkeit, auf einen verwandten Posten, wie zum Beispiel „Härteleistungen für Opfer rechtsextremistischer
Übergriffe“, zurückzugreifen, sodass Sie, wenn Sie dort
nicht zumindest einen Betrag von 5 000 oder 10 000 Euro
einsetzen, keine Möglichkeit haben, einem Menschen
eine Entschädigung zu zahlen, wenn er unschuldig in
Haft gesessen hat.
Herr Montag, wir haben seit 20 Jahren keinen Anwendungsfall gehabt. Das ist meine Information. Ich bin
mir sicher, dass wir im Haushaltsausschuss uns alle einig
sind: Wenn wir einen entsprechenden Anwendungsfall
haben, wird eine Entschädigung, die gerechtfertigt ist,
auch gezahlt. Von einem nicht vorhandenen Flexibilisierungsvermerk würden wir uns nicht stoppen lassen. Das
würden wir unbürokratisch mit einer entsprechenden
überplanmäßigen Ausgabe regeln. Ich denke, dass Ihre
Befürchtung völlig unberechtigt ist. Wir würden uns parteiübergreifend im Haushaltsausschuss sofort einig werden.
({0})
Lassen Sie mich auf einen anderen Bereich zu sprechen kommen. Neben der rechtsstaatlichen Bedeutung,
die das Ministerium der Justiz hat, ist der Einzelplan 07
vor allen Dingen für unseren Wirtschaftsstandort
wichtig. Die Justizministerin hat das bereits angesprochen. Ich finde es gut, dass das Deutsche Patent- und
Markenamt jetzt faktisch aus der linearen Stelleneinsparung herausgenommen wurde und wir 27 neue Stellen
für Patentprüfer geschaffen haben. Damit stärken wir
den Wirtschaftsstandort Deutschland.
Das Justizministerium setzt sich auch auf internationaler Ebene für Rechtsstaatlichkeit ein. Das ist wichtig,
um anderen Ländern auf ihrem Weg zu Demokratie und
bei der Durchsetzung von Menschenrechten zu helfen.
Gerade wir als Exportnation sind auf Rechtssicherheit in
anderen Ländern angewiesen. Viele EU-Nachbarländer
orientieren sich an unserem Rechtssystem beim Aufbau
einer Rechtsordnung. Ich bin der Meinung, dass wir das
unterstützen sollten. Ich finde es sehr gut, dass die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit, die eine hervorragende Arbeit leistet, mit diesem
Entwurf gestärkt wird. Wir erreichen dadurch viel im
Bereich der Handelsbeziehungen, aber auch für Rechtsstaatlichkeit und Sicherung des Friedens in Europa und
darüber hinaus. Es ist zu begrüßen, dass der Mittelansatz
erhöht und das Fortbestehen dieser Stiftung über das
Jahr 2011 hinaus gesichert werden konnte.
Es kommt nicht nur darauf an, was wir in Gesetze
schreiben, sondern genauso darauf, wie wir Gesetze formulieren. Eine wichtige Querschnittsaufgabe des Bundesministeriums der Justiz ist die Rechtsförmlichkeitsprüfung. Innerhalb dieser Rechtsförmlichkeitsprüfung
ist es Aufgabe des Justizministeriums, für verständliche
Gesetze zu sorgen. Unverständliche Gesetze braucht
kein Mensch. In der Rechtsanwendung entstehen Bürgern, aber auch Rechtsexperten dadurch hohe Kosten.
Hier können wir in der Rechtssetzung mit relativ geringem Aufwand große Effizienzpotenziale freisetzen.
Auf Regierungsebene wurde im Januar 2007 eine von
der Gesellschaft für deutsche Sprache eingerichtete Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Möglichkeiten erprobt.
Bisher wurden fünf Gesetze sprachlich überarbeitet,
unter anderem zur Strukturreform des Versorgungsausgleichs und das Gesetz zur Neuregelung des Wohngeldrechts. Die Arbeit dieser Sprachexperten ist ausgesprochen erfolgreich. Alle Beteiligten bestätigen, dass die
erarbeiteten Texte besser lesbar sind und der Gesetzgebungsprozess aufgrund einer größeren Akzeptanz des
Entwurfs schneller und einfacher vonstatten geht. Nicht
zuletzt die sprachliche Qualität wird dafür sorgen, dass
die Akzeptanz unserer Gesetze und Institutionen und das
Vertrauen der Bürger in unsere Gesetze und Institutionen
gestärkt werden.
Frau Zypries, Sie haben sich sehr kritisch zur Privatisierung geäußert. Die Frage, was von Dritten gemacht
werden soll und was im Haus gemacht werden soll, müssen wir uns auch stellen, wenn es darum geht, wie wir
diese wichtige Sprachprüfung institutionalisieren und
dauerhaft gestalten können.
Schönen Dank.
({1})
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort dem Kollegen Otto Fricke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Justizhaushalt ist klein, aber - mit Grüßen an
Herrn Schäuble - er ist keine Kleinigkeit. Bei der Frage
der Grundrechte ist Justiz immer sehr wichtig. Ich will
mich als Haushälter heute mehr mit dem Standortfaktor
Justiz beschäftigen und dabei weniger mit der Rechtssicherheit. Ich glaube, es ist schon oft darüber gesprochen worden, wie sehr Rechtssicherheit ein Standortfaktor für die Bundesrepublik Deutschland ist. Ich
konzentriere mich jetzt vielmehr auf die Kosteneffizienz.
Rechtsstaat ist Sache des Staates und nicht der Unternehmen - das stimmt, Frau Ministerin, Sie haben recht.
Aber das Komische ist: Sie haben in den letzten Jahren
mit Ihrer Koalition und auch schon davor in der rot-grünen Koalition immer wieder Unternehmen herangezogen, die Aufgaben des Rechtsstaates wahrzunehmen.
({0})
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kostet circa
70 Euro pro Arbeitnehmer, der in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis arbeitet.
({1})
Oder nehmen wir, damit sich die Grünen nicht so aufregen, die Vorratsdatenspeicherung.
({2})
Sie bewirkt erhebliche Investitions- und Dienstleistungskosten in einem Bereich, über den der Rechtsstaat sagt,
da müsse etwas getan werden. Ob das richtig oder falsch
ist, ist eine andere Frage. Aber wen lassen Sie das Ganze
machen? Wer entwickelt die Technik? Wer bezahlt? Es
sind die Privaten. Über Privatisierung und darüber, wie
schlecht sie im Bereich der inneren Sicherheit umgesetzt
wird, könnte man stundenlang anhand des Beispieles
Bundesdruckerei, ein wunderschönes Kind der Grünen
und Roten, reden und darstellen, wie „toll“ die dortige
Privatisierung verlief. Privatisierung muss klug gemacht
werden, und sie muss dort gemacht werden, wo der Staat
es nicht so gut kann. Da, wo es um den Rechtsstaat geht,
darf es nur der Staat machen. Das jedenfalls ist aus Sicht
der Liberalen der essenzielle Unterschied zwischen Staat
im Privatbereich und Staat im Bereich Rechtsstaat.
({3})
Schauen wir uns den Haushalt an. Übrigens freundliche Grüße an die Grünen: Es gibt keinen einzigen Titel
im Haushalt des Justizministeriums und im Bereich des
Verfassungsgerichtes, der sich mit Militärausgaben befasst. Das betrifft schlichtweg die tabellarische Zusammenfassung; das gibt es beispielsweise auch zum Haushalt des Bundestages und des Bundespräsidenten. Es
gibt keinen Titel. Ich glaube, das sollte man an dieser
Stelle noch einmal klarstellen, bevor falsche Interpretationen gemacht werden.
({4})
Ich will noch kurz etwas zum EHUG und zum elektronischen Unternehmensregister sagen. Ich glaube, dass
wir da wieder ein Trauerspiel erleben. Ich war selber
sehr überrascht, wie wenig die Unternehmen darauf reagieren, dass sie ihre Pflichtangaben machen. Ich muss
dazu aber auch sagen: Wenn ich in den Unterlagen lese,
dass das Register auch deswegen so schlecht funktioniert, weil die Daten, die man hatte, teilweise noch vierstellige Postleitzahlen enthalten, dann frage ich mich
schon, wie weit es im Moment in der Planung beim Justizministerium und an anderer Stelle gekommen ist.
Zu den 19 Stellen bei der Generalbundesanwaltschaft
muss ich sagen: Es müsste in diesem oder im nächsten
Jahr noch etwas passieren, das diese 19 Stellen notwendig macht, oder wir hatten in der Vergangenheit zu wenig Stellen. Ich habe eher das Gefühl, dass wir jetzt
erkennen müssen, dass wir unsere gesamte Sicherheitsstruktur auch bei der Generalbundesanwaltschaft vollkommen anders personell ausrichten müssen. Dann
müssten Sie das aber auch begründen.
Ich will noch auf einen Punkt kommen, der mir bei
Justizdebatten - es ist nun im Rahmen von Haushaltsberatungen meine 13. Justizdebatte - immer mehr auffällt.
Das ist die Komplexität. Leider ist Kollege Benneter in
zweiter Reihe gerade mit Markieren beschäftigt; Kollege
Wieland schaut mich an und weiß schon, worum es geht,
Kollege Gehb auch.
({5})
Es fällt doch auf, liebe Kolleginnen und Kollegen: Unsere Gesetzgebung wird immer komplexer. Sie wird sogar so komplex, dass selbst die Koalitionsparteien sagen:
Das stimmt überhaupt nicht, das haben wir so nicht beschlossen. - Nachher müssen sie zugeben, dass es doch
so von Ihnen beschlossen worden ist. Komplexität ist
eine der größten Gefahren für einen Rechtsstaat. Denn
gerade wir als Gesetzgeber überblicken manchmal gar
nicht mehr, was wir dem Staat, der Exekutive, an Rechten geben. Wir müssen auch ehrlich zugeben: Wenn wir
die Vorschriften nicht mehr beherrschen, dann herrschen
irgendwann in diesem Lande die Vorschriften. Das kann
nicht in unserem Interesse sein.
({6})
- Das lösen wir, Kollege Wieland, indem wir schlichtweg weit weniger Gesetze machen und indem wir auch
einmal ehrlich zugeben: An dieser oder jener Stelle eine
neue Detailregelung zu machen, ist falsch.
({7})
Ferner lösen wir dies - das sage ich in Richtung des
Kollegen Gehb - , indem wir nicht immer überlegen, ob
es nicht noch neue Grundrechte auf Sicherheit gibt - es
gibt sie nicht - , sondern lieber schauen, wie man bestehende ausfüllen kann. Außerdem sollten wir uns fragen:
An welcher Stelle sollte sich der Rechtsstaat wirklich zurückhalten?
({8})
- Lob, das lernt, ist gut.
Ich komme zum Schluss, bevor ich Ärger mit der
Frau Vizepräsidentin bekomme.
({9})
Wir haben inzwischen bei vielen Gesetzen das Problem,
dass niemand sie mehr versteht. Kollege Schröder hat
das richtig gesagt. Aber ich habe auch das Gefühl, dass
das manchmal ganz beliebt ist. Der Innenminister folgt
ja inzwischen dem Motto: Sollte ich mich klar ausgedrückt haben, dann müssen Sie mich missverstanden haben. - Das jedenfalls kann aus Sicht der FDP nicht die
Voraussetzungen für einen Rechtsstaat sein.
Herzlichen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Joachim Stünker,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte war bis jetzt sehr farbenreich und
umfassend. Ich möchte auf die Kärrnerarbeit des Rechtsausschusses zu sprechen kommen, um zu verdeutlichen,
was wir geleistet haben.
Am 11. September 2007 konnte ich Ihnen nach zwei
Jahren Große Koalition zusammen mit Frau Ministerin
Zypries eine, wie ich glaube, sehr überzeugende Bilanz
vorlegen. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Einige wichtige Themen, um die es in der Zwischenzeit ging, wurden bereits erwähnt. Dennoch möchte ich sie noch einmal nennen, um zu verdeutlichen, was Rechtspolitik für
die Menschen in der Sache bedeutet, nicht hinsichtlich
eines theoretischen Überbaus, von dem Herr Kollege
Nešković wieder einmal gesprochen hat.
Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Wir haben
das Rechtsberatungsgesetz, das noch aus den 30er-Jahren stammte, novelliert. Die Telekommunikationsüberwachung haben wir auf der Grundlage umfassender Untersuchungen rechtsstaatssicherer gestaltet.
({0})
Im Unterhaltsrecht haben wir den Vorrang für Kinder
festgeschrieben und die Gleichstellung nichtehelicher
Kinder mit ehelichen Kindern und vor allen Dingen
nichtehelicher Mütter mit ehelichen Müttern durchgesetzt. Was die gesellschaftlich hochumstrittene Frage der
Anfechtung von Vaterschaftstests betrifft, haben wir eine
Neuregelung verabschiedet. Außerdem haben wir familiengerichtliche Maßnahmen veranlasst, um insbesondere zur Bekämpfung von Kindesmisshandlungen
schneller eingreifen zu können. Zur Stärkung des WirtJoachim Stünker
schaftsstandortes Deutschland haben wir mit Blick auf
das Recht auf geistiges Eigentum die EnforcementRichtlinie verabschiedet. Diese Maßnahme war genauso
wichtig wie die Modernisierung des GmbH-Rechts, auf
die schon hingewiesen wurde. Darüber hinaus haben wir
Vorschriften zur Bekämpfung von Kinderpornografie
und Kinderprostitution auf den Weg gebracht. Kurz vor
der Sommerpause haben wir eine große Reform des Verfahrens der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Verfahrens in Familiensachen verabschiedet. Das ist die Kärrnerarbeit der Rechtspolitik, derer Sie sich entziehen,
Herr Kollege Nešković.
({1})
Diese Arbeit ist für die Freiheitsrechte der Menschen in
diesem Land und für ihren Alltag allerdings sehr wichtig.
({2})
Herr Kollege Nešković, an Ihrer Rede wurde wieder
einmal deutlich, dass Konvertiten wenig Bezug zur Realität haben.
({3})
Ich muss Ihnen sagen: Sie sollten einmal über Ihre Verbalinjurien gegenüber der Frau Ministerin nachdenken.
Ich glaube, sie waren dem Hohen Hause und der Arbeit,
die wir leisten, nicht angemessen.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den letzten
17 Sitzungswochen dieser Legislaturperiode müssen wir
im Bereich der Rechtspolitik noch ein weitgefächertes
Programm abarbeiten; die Frau Ministerin hat darauf bereits hingewiesen. Ich will die einzelnen Projekte, die
wir noch vor uns haben, nicht mehr nennen. Ich bin mir
allerdings sicher, dass die Koalition am Ende dieser Legislaturperiode eine sehr erfolgreiche Bilanz in der
Rechtspolitik vorweisen kann.
Ich denke, durch die vielen Einzelmaßnahmen, die in
die verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen hineinwirken, werden wir mehr bewegt und gesellschaftlich
gestaltet haben als andere, die in diesem Hohen Hause
viele große Reden gehalten haben, die für die Menschen
aber nicht viel bringen. Wir werden für den Alltag der
Menschen größere Freiheit und mehr Gestaltungsmöglichkeiten geschaffen haben. Außerdem können wir den
Schutz der inneren Sicherheit und der individuellen Sicherheit der Menschen in diesem Land garantieren. Es
gibt keine Freiheit ohne Sicherheit; dafür stehen wir Sozialdemokraten. Das eine bedingt das andere. Auf diesem Gebiet muss das Notwendige getan werden.
Ich bin sehr dankbar, dass Frau Ministerin Zypries in
ihrer Rede eine Qualitätsdebatte im Rahmen der Aufgabenbestimmung der Justiz eingefordert hat; das wurde
offensichtlich noch nicht von allen verstanden.
({5})
Die Frau Ministerin hat zu Recht auf die Privatisierungstendenzen hingewiesen. Darüber haben wir im
Rechtsausschuss noch nicht diskutiert; das ist richtig,
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger. In den letzten drei Jahren haben uns aber immer wieder entsprechende Gesetzesvorhaben des Bundesrates erreicht. Das
hat die Frau Ministerin gemeint.
Es geht um Privatisierungstendenzen, die im Bereich
der ordentlichen Gerichtsbarkeit insbesondere die freiwillige Gerichtsbarkeit, Nachlasssachen, Grundbuchsachen, Registersachen und Betreuungssachen betreffen.
In den Ländern gibt es nach wie vor Tendenzen, diese
Bereiche outsourcen zu wollen. Bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gerichte vor Ort herrscht große
Unsicherheit; das gilt insbesondere für den Bereich der
ordentlichen Gerichtsbarkeit. Hier müssen wir für klare
Verhältnisse sorgen. Der Gesetzgeber, der für solche
Maßnahmen zuständig ist, sitzt hier in Berlin.
Solange wir Sozialdemokraten noch etwas zu sagen
haben, wird es die gewünschten Veränderungen nicht geben. Das sage ich ganz deutlich.
({6})
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen,
der uns in diesem Hohen Hause in den nächsten Wochen
noch beschäftigen wird. Ich meine, dass wir die Qualitätsdebatte darüber hinaus führen müssen. Herr Kollege
Montag hat in seinem Beitrag bereits darauf hingewiesen; ich sehe das genauso.
Im Hinblick auf den heutigen Zustand der Justiz in
unserem Land muss ich feststellen, dass sich die Sachausstattung in den vergangenen drei Jahrzehnten wesentlich, wenn nicht fast revolutionär verbessert hat. Vor
über 30 Jahren habe ich am Landgericht Verden an der
Aller meine Tätigkeit begonnen und danach viele Amtsgerichte gesehen. Im Vergleich zu früher ist die Ausstattung heute wesentlich besser. Damit einhergegangen ist
allerdings - insbesondere im Verlauf der vergangenen
15 bis 18 Jahre - ein drastischer, teilweise dramatischer
Personalabbau. Ich meine, dass dieser Personalabbau
im Ergebnis unvertretbar ist.
({7})
In diesen Tagen hat der Deutsche Richterbund das
Handbuch der Justiz 2008/2009 übersandt. Was macht
man im Rückblick auf alte Zeiten? Ich habe mir einmal
die Gerichte in Niederachsen angesehen, an denen ich
im Verlauf meines Lebens als Richter tätig gewesen bin.
Ich kann Ihnen sagen, dass heute an allen diesen Gerichten weniger Richterinnen und Richter beschäftigt sind
als zu dem Zeitpunkt, als ich dort gearbeitet habe. Dieses
Weniger an Personal wird durch eine verbesserte Sachausstattung im Ergebnis nicht aufgefangen; denn eine
gute Rechtsprechung braucht Menschen, gut ausgebildete und motivierte Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Die Personalreduzierung,
die wir dort gegenwärtig erleben, geht in eine Richtung,
die nach meiner Überzeugung bedenklich ist.
({8})
Wir werden uns demnächst darüber zu unterhalten haben, ob wir die Möglichkeit der Besetzungsreduktionen
bei den Großen Strafkammern verlängern, wonach die
Strafkammern nur mit zwei Berufsrichtern und zwei
Schöffen besetzt sind. Diese Regelung ist im Jahr 1993
vor dem Hintergrund des Bestrebens geschaffen worden,
beim Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern Flexibilität zu haben. Diese Regelung ist immer wieder fortgeschrieben worden. Nun steht zum Jahresende wieder
an, hier zu einem Ergebnis zu kommen. Wir werden das
gemeinsam diskutieren müssen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.
({9})
Ich denke, wir werden diese Regelung noch einmal
verlängern müssen. Wir sollten in der Debatte im
Rechtsausschuss gemeinsam sehr genau hinsehen. Es
gibt einige Entscheidungen von Strafsenaten des Bundesgerichtshofs, die darauf hinweisen, dass in den vergangenen Jahren im Bereich der Strafjustiz die Qualität
der Rechtsprechung in bestimmten Bereichen gelitten
hat. Einige Senate haben sehr deutliche Aussagen hierzu
gemacht. Ich denke, diese Fragen werden wir diskutieren
müssen, wenn wir uns diesem Thema demnächst zu nähern haben.
Im Ergebnis darf ich sagen: Es hilft uns nichts, wenn
wir heiße Debatten über Onlinedurchsuchungen und
über die Novellierung des BKA-Gesetzes führen und irgendwann zu Ergebnissen kommen, wenn wir nicht
gleichzeitig die dritte Säule der Gewaltenteilung, nämlich die Justiz, genauso stärken. Dieses Korrektiv der
dritten Säule der Gewaltenteilung ist genauso notwendig
wie die erforderlichen Maßnahmen, um die Menschen in
diesem Land zu schützen.
Beim Generalbundesanwalt werden aufgrund der
neuen Herausforderungen 20 oder 21 Stellen neu geschaffen. Ich frage mich, wo sich die vergleichbaren
Steigerungen bei den Staatsschutzsenaten bei den Oberlandesgerichten, wo sich die vergleichbaren Steigerungen bei den OK-Kammern der Landgerichte usw. finden.
Genau das sind die Fragen, die etwas mit Freiheit, mit
Gerechtigkeit und mit dem Zugang zu Recht zu tun haben, denen wir uns im Rechtsausschuss bis zum Ende
der Legislaturperiode noch stellen wollen.
Zum Schluss kann ich frei nach Staatssekretär Diller
nur sagen: Haushalt gut, Rechtspolitik gut, Ministerin
gut, Abgeordnete gut - wir machen gute Arbeit.
Vielen Dank.
({10})
Ich gebe das Wort der Kollegin Daniela Raab, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als letzte Rednerin beißen einen vielleicht nicht zwingend die Hunde, wie es so schön heißt, aber man tut sich
natürlich ausgesprochen schwer, noch neue Akzente zu
setzen.
Ich denke, aus dieser Debatte und auch aus den Ausführungen von Herrn Stünker ging ausgesprochen klar
hervor, dass die Rechtspolitik bei weitem nicht in diese
theoretische Ecke gehört, unter der sich kein Bürger etwas vorstellen kann, sondern dass die Rechtspolitik in
den Lebensbereich eines jeden Einzelnen hineinstrahlt,
und dass wir bei weitem nicht nur Theoretiker und Seminaristen sind, als die wir oft eingeschätzt werden, sondern dass wir uns beim Schreiben unserer Gesetze ganz
nah an der Lebensrealität orientieren.
Ich möchte jetzt nicht in die Vergangenheit schauen
und das schildern, was uns vor der Sommerpause in, wie
ich finde, einigen großen Würfen gelungen ist, sondern
auf das blicken, was noch vor uns liegt und was auch die
Frau Ministerin angesprochen hat. Die Justizpolitik ist
Querschnittsaufgabe zwischen vielen Politikfeldern. Wir
haben hier die hohe Verantwortung, zum einen auf die
viel zitierte Rechtsstaatlichkeit zu schauen und zum anderen den Interessen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden.
Es ist schon angesprochen worden: Vor uns liegt die
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der
unerlaubten Telefonwerbung. Im ersten Moment
möchte man sagen: Moment mal, warum brauchen wir
hierfür ein neues Gesetz? Die unerlaubte Telefonwerbung ist ja bereits verboten. - Wir alle kennen die Situation, die uns von Bürgerinnen und Bürgern in fast jeder
Sprechstunde geschildert wird. Teilweise erhalten die armen Rentner 20 bis 30 Anrufe täglich. Sie stürzen immer
wieder zum Telefon, schauen auf das Display, wenn ihr
Telefon eines hat, und erkennen, dass die Rufnummer
unterdrückt ist. Sie nehmen ab, und am anderen Ende ertönt eine schnarrende Stimme, die ihnen entweder einen
tollen Gewinn verspricht oder ihnen einen wie auch immer gearteten Vertrag andrehen will und so lange auf die
arme Frau oder den armen Mann einredet, bis die- oder
derjenige sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als einen entsprechenden Vertrag abzuschließen. Für diese
Leute - für ganz normale Verbraucher wie du und ich ist es so gut wie unmöglich, aus diesem Vertrag wieder
herauszukommen.
Das heißt für uns, dass das bisher bestehende Verbot
nicht geholfen hat. Deswegen ist gesetzgeberisches Handeln erforderlich. Wir haben lange darüber geredet. Ich
glaube, jeder von uns kennt Fälle von Betroffenen. Mit
dem Entwurf, der nunmehr auf dem Tisch liegt und den
wir sicherlich noch in diesem Herbst hier im Hohen
Hause beraten werden, haben wir, so denke ich, einen
sehr guten Weg gefunden: keine Rufnummerunterdrückung mehr, eine Erhöhung der Strafe auf das bereits bestehende Verbot und ein Widerrufsrecht für am Telefon
abgeschlossene Verträge, insbesondere bei Zeitungslieferungen, aber auch bei Lotto- und Wettdienstleistungen,
was es bisher noch nicht gab. Neu ist auch, dass der VerDaniela Raab
braucher die Verträge nun fristgerecht widerrufen kann,
wenn er - erst dann muss er das tun - die Belehrung in
Textform erhalten hat. Ich glaube, das ist sehr wichtig.
Hier betreiben wir Rechtspolitik ganz nahe am Menschen. Ich glaube, es ist Sinn einer Haushaltsdebatte,
auch so etwas herauszustellen.
({0})
Das zweite Thema, das zumindest kurz angesprochen
wurde, ist das Thema Datenhandel. Auch bei diesem
Thema müssen wir als Rechtspolitiker uns mit anderen
Ministerien und Fachbereichen austauschen und auf Entwicklungen reagieren, die gerade in den letzten Monaten
und Jahren höchst kriminelle, fast schon mafiöse Strukturen angenommen haben. Wir alle kennen die Fälle von
Datenhändlern, die Zigtausend Daten zum Verkauf anbieten, die sie illegal erworben haben.
Jeder kennt die Fälle aus der Sprechstunde oder hat es
vielleicht selber erlebt: Man fährt im Kaufhaus die Rolltreppe hoch, hat die ersten Artikel dabei, die man einkaufen will, und befindet sich auf dem Weg zur Kasse.
Es kann dann sein, dass Ihnen ein freundliches Männchen entgegenspringt, ein Formular mit Kleingedrucktem entgegenhält und sagt: Bevor Sie zahlen, müssen Sie
auf jeden Fall unsere Kundenkarte bestellen, weil Sie
dann Punkte und dergleichen mehr erhalten. - Wenn
man nicht ganz fit ist und sich das Ganze bis zur allerletzten Zeile durchliest, wo steht, dass man das entsprechende Kästchen ankreuzen soll, wenn man mit der Weitergabe seiner persönlichen Daten nicht einverstanden
ist, dann sitzt man sozusagen in der Datenfalle und kann
sich gegen die Weitergabe seiner Daten nicht mehr wehren.
Ich bin sehr froh, dass wir Anfang September mit den
beteiligten Ministerien ausgesprochen schnell eine Regelung gefunden haben, die dieses Prinzip umdreht. Das
heißt, jetzt muss ausdrücklich das Einverständnis zur
Weitergabe der Daten erklärt werden, nicht umgekehrt.
Das ist ausgesprochen wichtig.
Wir dürfen aber auch nicht verhehlen, dass viele
schnell dabei sind, nach dem Staat zu rufen und zu erklären, er mache uns erst zu den gläsernen Bürgern, die wir
angeblich alle sind. Ich sage - da muss sich jeder an die
eigene Nase fassen -: Der Umgang mit den persönlichen
Daten hat bei jedem Einzelnen eine Fahrlässigkeitsstufe
erreicht, die wir zwar nicht anprangern wollen, aber ansprechen müssen. Jedem muss klar sein: Wenn er sich im
Internet bewegt und Verkäufe tätigt, dann wird er ein
Stück weit gläserner. Das müssen wir als Politiker sagen.
Aber da, wo es ganz offenkundig Missstände gibt, sollten wir definitiv eingreifen.
Das soll aber nicht so weit gehen - damit bin ich beim
Thema Staatsziel, um das abzurunden -, dass gleich wieder nach dem Allheilmittel Grundgesetz gerufen wird.
Viele meinen, sobald etwas im Grundgesetz stehe, hätten
sie den ganz besonderen Schutz und ihnen könne nichts
mehr passieren. Ich gehöre zu denjenigen, die sagen:
Unser Grundgesetz ist ganz bewusst relativ karg, aber
auch relativ klar ausformuliert. Ich muss nicht krampfhaft alles unter etwas subsumieren, sondern ich kann eigentlich aus den meisten Grundgesetzartikeln klar herauslesen, was meine Rechte und meine Pflichten sind.
Wir sollten den Menschen nicht vormachen, dass zusätzliche Grundrechte oder zusätzliche Staatsziele ein Mehr
an Rechten oder an Schutz bringen.
Mir sind solche Regelungen, wie sie auf dem Datenschutzgipfel gefunden wurden, oder konkrete Lösungen
wie bei der unerlaubten Telefonwerbung - irgendwo
treffen sich beide Komplexe wieder; denn aus einer unerlaubten Telefonwerbung kann schnell ein Datenhandel
werden - für den Alltag der Menschen wesentlich lieber
als ein aufgeblähtes und damit auch ein Stück weit entwertetes Grundgesetz.
({1})
Davon haben die Menschen mehr. Das sollte unsere Prämisse bei unserer täglichen Arbeit sein.
Lieber Herr Kollege Stünker, ich möchte mich Ihnen
gerne anschließen. Meine Prognose zumindest für die
Rechtspolitik dieser Großen Koalition ist recht gut. Wir
haben schon bewiesen, dass wir gut zusammenarbeiten
können. In diesem Sinne sollten wir weitermachen.
Vielen herzlichen Dank.
({2})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern, Einzelplan 06.
Das Wort hat der Bundesinnenminister, Dr. Wolfgang
Schäuble.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! In den Agenturmeldungen mit einer Übersicht
über die Zahlen des Entwurfs für den Bundeshaushalt
2009 ist der Geschäftsbereich des Bundesinnenministers
mit einer Steigerungsrate von 10,5 Prozent ausgewiesen.
({0})
Das ist natürlich ungeheuer erfreulich. Aber um diese einigermaßen befriedigende Ausstattung über die Haushaltsverhandlungen zu retten, will ich darauf hinweisen,
dass diese Steigerungsrate zu einem wesentlichen Teil
damit zu tun hat, dass der Haushalt des Bundesinnenministeriums in einem starken Maße durch Personalausgaben geprägt ist. Die Hälfte dieser Steigerungsrate
ist durch die Auswirkungen der Tarif- und Besoldungsrunde und durch die endgültige Einführung des einheitlichen Liegenschaftsmanagements verursacht. Hinzu
kommt die erhöhte Hauptstadtfinanzierung in Sicherheitsfragen. Einer der großen Erfolge, den wir nach jahrelangen Auseinandersetzungen nun doch auf den Weg
gebracht haben, ist die Einführung des Digitalfunks für
die Behörden der öffentlichen Sicherheit, die im Haus18606
haltsentwurf für das kommende Jahr mit rund 400 Millionen Euro zu Buche schlägt.
Das, was nach diesen Zahlen verbleibt, die man bei
der Würdigung des Haushaltsentwurfs berücksichtigen
muss, ist Ausdruck dafür, dass diese Bundesregierung
die Aufgabe ernst nimmt, die freiheitliche Ordnung dieses Landes und die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und
Bürger in dem notwendigen und angemessenen Maße zu
sichern. Freiheit sicher zu machen, ist die eigentliche
Aufgabe.
Ich will ein Beispiel dazu nennen, das übrigens den
Haushalt 2008 und 2009 in entscheidendem Maße prägt.
Alles, was gut läuft, findet in der Öffentlichkeit nicht
allzu viel Aufmerksamkeit.
({1})
Ich hatte im Vorhinein mehr Sorgen, als sich dann verwirklicht haben, ob es gelingen würde, die Abschaffung
der Grenzkontrollen an den östlichen Grenzen unseres Vaterlandes in Erweiterung des Schengener Abkommens
so zu bewerkstelligen, dass sie nicht zur Beunruhigung
der Bevölkerung und zu einem Verlust an Sicherheit führt.
Das ist dank einer hervorragenden Zusammenarbeit mit
den Polizeien der Länder wie mit den Polizeien der betroffenen Nachbarländer Polen und der Tschechischen
Republik in einem hervorragenden Maße gelungen. Das
zeigt, dass wir mehr Freiheit in Europa ermöglichen. In
einem Europa ohne Grenzen und ohne Kontrollen an
Binnengrenzen von Lissabon bis Helsinki reisen zu können, ist ein großer Freiheitsgewinn. Und dies in Sicherheit zu ermöglichen, zeigt, dass wir eine verantwortungsvolle Politik machen.
({2})
Das ist notwendigerweise mit einer grundlegenden
Reform der Bundespolizei verbunden - auch das ist
keine einfache Aufgabe und nach den vielen Neuorganisationen, die der Bundespolizei bzw. dem damaligen
Bundesgrenzschutz und den Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamten in den Jahren seit dem Ende des Kalten
Krieges zugemutet werden mussten, auch keine Kleinigkeit -, die auf einem guten Weg ist und Schritt für Schritt
vorankommt und die auch in dieser Zeit des Übergangs
nicht zu einer Beeinträchtigung der Leistungs- und Einsatzfähigkeit der Bundespolizei geführt hat.
Ich will die Gelegenheit nutzen, allen, die dafür auch
persönliche Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen müssen, und auch allen Personalvertretungen, die daran mitwirken, meinen Dank und meinen Respekt auszudrücken. Es zeigt das verantwortungsbewusste und starke
Engagement jedes einzelnen Polizeibeamten für die Sicherheit unseres Landes und für die Bürgerinnen und
Bürger. Das gilt auch für die Polizeien der Länder.
({3})
Das bringt mich zu einer Bemerkung, die immer wieder notwendig ist: Die föderale Ordnung unseres Landes
mit der vorrangigen und überwiegenden Zuständigkeit
der Länder für diese Aufgaben ist gut und bewährt. Deswegen ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit aller für
die innere Sicherheit Verantwortlichen - Länder und
Bund - eine notwendige Voraussetzung. Ich glaube übrigens, dass wir mit der Entscheidung der Föderalismusreform I, dem Bundeskriminalamt entgegen der bisherigen
Systematik der Sicherheitsarchitektur unseres Grundgesetzes eine Präventivbefugnis für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus zu übertragen,
eine richtige Entscheidung getroffen haben. Wir sind gerade dabei, sie in der Gesetzgebung umzusetzen. Gestern
hat dazu eine Anhörung stattgefunden. Ich hoffe zuversichtlich, dass wir mit der notwendigen gründlichen Beratung zu einer zügigen Verabschiedung des Gesetzentwurfs kommen. Wir haben im Haushaltsentwurf mit
Sach- und Personalmitteln Vorsorge dafür getroffen,
dass das Bundeskriminalamt in der Lage ist, diese Aufgaben wahrzunehmen und zu erfüllen, wenn das Gesetz
in Kraft tritt. Ich hoffe auf eine zügige Beratung des Gesetzentwurfs.
Ich will hinzufügen, dass die Bedrohung durch den
internationalen, insbesondere islamistischen Terrorismus
nicht abgenommen hat. Nach dem Bericht von Europol
sind allein im vergangenen Jahr über 200 islamistische
Terrorverdächtige in Europa verhaftet worden. Wir müssen die Bedrohung ernst nehmen. Deswegen ist es richtig, dass wir ohne überzogene Aufregung, aber konsequent und Schritt für Schritt das Mögliche tun, um die
Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger und das
Funktionieren unserer Freiheitsordnung auch für die Zukunft zu gewährleisten.
({4})
Wir alle haben in den vergangenen Monaten gelernt
- auch das gehört zu einem Überblick über die Aufgaben
innerhalb des Geschäftsbereichs des Einzelplans 06 -,
dass das, was wir schon immer gesagt haben, zutrifft:
Die Freiheitsrechte - auch das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger
der Bundesrepublik Deutschland - werden nicht durch
den Staat und seine staatlichen Organisationen, auch
nicht durch die Polizeien, gefährdet. Vielmehr müssen
wir dafür sorgen, dass auch die Grundrechte auf Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung im
nichtöffentlichen Bereich durch leistungsfähige Verwaltungen gewährleistet werden.
Wir haben unsere Erfahrungen gemacht. Aus den Erfahrungen, die etwa die Telekom in ihrem Bereich machen musste, haben wir die richtigen Konsequenzen gezogen. Wir haben in den vergangenen Wochen mit den
Verantwortlichen für den Vollzug des Datenschutzgesetzes in den Bundesländern - das ist sehr unterschiedlich
konstruiert - und den Datenschutzbeauftragten darüber
gesprochen, welche Schlussfolgerungen wir ziehen. Wir
haben innerhalb der Bundesregierung verabredet, dass
wir die Koalitionsvereinbarung mit dem Entwurf eines
Gesetzes für ein freiwilliges Datenschutzaudit umsetzen,
mit dem wir im Sinne eines Benchmarking weitergehende Fortschritte und Erkenntnisse Schritt für Schritt
zuerst freiwillig umsetzen und dann verpflichtend Regelungen erlassen können. So können wir angesichts der
rasanten Entwicklung in einem ständigen Prozess von
Trial and Error bleiben. Wir haben zugleich verabredet,
einen Gesetzentwurf in den Bundestag einzubringen, der
vorsieht, dass in Zukunft die Nutzung und Übermittlung
personenbezogener Daten zum Zweck des Adresshandels nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Betroffenen
zulässig sein sollen. Wir wollen ein Kopplungsverbot für
marktbeherrschende Unternehmen, die sich unabhängig
von einem Abschluss daran halten müssen, sowie eine
Erweiterung der Bußgeldtatbestände und gegebenenfalls
erweiterte Möglichkeiten der Gewinnabschöpfung vorschlagen. Das hat die Zustimmung aller Datenschutzbeauftragten gefunden. Ich werbe dafür, auf diesem Weg
voranzugehen.
({5})
Wichtig ist aber auch: Nur ein funktionierender und leistungsfähiger Rechtsstaat ist in der Lage, den Datenschutz zu gewährleisten. Auch das gehört zur ganzen
Wahrheit. Deswegen können wir vielleicht in der Zukunft manche Debatten etwas weniger voreingenommen
führen.
({6})
Ich will in der gebotenen Kürze noch eine Bemerkung
dazu machen, dass wir für den Fall, dass alle Vorkehrungen nicht funktionieren - es passieren immer Unglücke -,
die Zusammenarbeit der Verantwortlichen von Bund und
Ländern im Bereich des Bevölkerungsschutzes leistungsfähig erhalten müssen. Deswegen haben wir das
Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit über 100 Millionen Euro im vorliegenden
Haushaltsentwurf angemessen ausgestattet. Gleiches gilt
für das Technische Hilfswerk, das übrigens im Inland
wie im Ausland zunehmend zu einem Gütezeichen für
die Bundesrepublik Deutschland wird. Ich möchte mich
bei den Helferinnen und Helfern sowie bei der großen
Zahl der ehrenamtlich Tätigen ausdrücklich bedanken.
({7})
Wir sind auf einem guten Weg, im Einvernehmen mit
den Bundesländern die Fragen nach Steuerung und
Koordinierung so zu regeln, dass wir die vorhandenen
Kapazitäten von Bund und Ländern im Zivil- und
Bevölkerungsschutz optimieren. Wir müssen dazu in
dieser Legislaturperiode noch einen Gesetzentwurf vorlegen; dafür werbe ich. Aber ich rate auch hier dazu, an
der grundsätzlichen Zuständigkeit der Bundesländer
nicht zu zweifeln und angesichts der Debatten über eine
Zentralisierung des Katastrophenschutzes auf europäischer Ebene vorsichtig darauf hinzuweisen, dass ein
ortsnaher, dezentraler und ehrenamtlicher Bevölkerungsund Katastrophenschutz die bessere Lösung ist und mehr
Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger bedeutet.
({8})
Darüber müssen wir bei anderer Gelegenheit vertieft diskutieren.
Genauso wichtig wie alles, worüber ich bislang gesprochen habe, sind aus Sicht des Innenministers die
Fragen: Was hält eine freiheitliche Gesellschaft eigentlich zusammen? Wie sichern wir Toleranz, ein friedliches Miteinander und Offenheit? Deswegen ist alles,
was wir auf dem Feld der Integration und im Dialog mit
Menschen unterschiedlicher Religionen machen, von
zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeit unserer humanitären Freiheitsordnung. Für die Motivation unserer
Gesellschaft ist es auch von großer Bedeutung, dass wir
jungen Menschen die Möglichkeit bieten, im internationalen Wettbewerb mit der Spitze - auch im Sport Schritt zu halten. Das heißt, die Sportförderung ist auch
etwas, das unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit
unserer Freiheitsordnung wichtig ist. Wir müssen wettbewerbsfähig und leistungsorientiert sein. Wir dürfen
nicht kommandieren. Wir wollen keine Staatsorganisation. Aber wir müssen zeigen, dass wir im Wettbewerb
mit staatlichen Systemen wettbewerbsfähig sind. Deswegen werbe ich dafür, die Sportförderung auf einem
hohen Niveau fortzuschreiben. Es gibt großen Handlungsbedarf, wenn es um die Sportorganisationen geht.
Wir werden mit den zuständigen Kollegen darüber reden. Wir sollten uns von der Medaillenstatistik der
Olympischen Sommerspiele nicht täuschen lassen. Nicht
in allen Bereichen ist die Entwicklung gut. Ich erwarte
im Sinne der Subsidiarität schon, dass die Verantwortlichen im autonomen Sportbereich das Optimale tun, sodass wir die Sportförderung der Spitzensportler mit öffentlichen Mitteln weiterhin rechtfertigen können.
({9})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich bedanke
mich für die Unterstützung der Arbeit.
Ich werbe dafür, dass in den Haushaltsberatungen die
notwendigen Prioritäten im Einzelplan 06 auch durch
das Parlament entsprechend unterstützt werden.
Herzlichen Dank.
({10})
Ich gebe das Wort der Kollegin Gisela Piltz, FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sicherheitspolitisch, so jedenfalls ist unser Eindruck, hat
die Große Koalition mittlerweile das Ende der Fahnenstange erreicht. Mit dem Kraftakt BKA-Gesetz - wir haben ja gestern und heute verfolgen können, wie schwer
es Ihnen fällt, dieses zusammen zu verabschieden - haben Sie jede weitere große Maßnahme ad acta gelegt.
Nur so, Herr Minister, kann ich Ihre Ankündigung verstehen, dass zum Beispiel mit der Vorlage eines Seesicherheitsgesetzes nicht mehr zu rechnen ist.
So wenig, wie materiell im Bereich der Sicherheit geschehen wird, so wenig wird auch fiskalisch geschehen,
abgesehen davon, dass Sie ein Jahr vor der Wahl Geld an
die Bürgerinnen und Bürger verteilen. Eine Verbesserung der Sicherheit sieht aus unserer Sicht wirklich anders aus. Wenn Sie die Ausgaben für die neuen Befugnisse des Bundeskriminalamtes aufgrund des BKAGesetzes abziehen, wird klar, dass Sie den traurigen
Trend der letzten Haushaltsjahre fortsetzen. Am Ende
des Haushaltsjahres wird beim BKA - bei Ihrer Leitbehörde, der Sie die innere Sicherheit so stark anvertrauen weniger Geld bleiben als jedes Jahr zuvor. Wer im Haushalt genau nachsieht, erkennt, dass es für das BKA nicht
mehr, sondern weniger Geld gibt. Das habe ich nicht
wirklich verstanden.
({0})
Der Aufwuchs beruht, wie gesagt, einzig und allein
auf dem neuen BKA-Gesetz. Wer gestern dabei war,
weiß, dass die Anhörung nicht wirklich eine Werbung
für Ihr neues Gesetz war.
({1})
Handwerkliche Mängel nach einem Jahr Arbeit an dem
Gesetzentwurf halte ich für sehr erstaunlich. Aus meiner
Sicht können Sie nur eines tun, nämlich das Gesetz zurückziehen und überarbeiten.
({2})
Für die geltend gemachten handwerklichen Mängel ist
der Haushaltsausschuss am Ende des Tages nicht zuständig, sondern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Großen Koalition. Ich fordere Sie auf, das zu verbessern. Ein solches BKA-Gesetz brauchen wir nicht.
({3})
Kein Geheimnis hingegen ist es für uns, was die
Reform der Bundespolizei für den normalen Bundespolizisten bedeutet. Sie haben diese Reform angesprochen, Herr Schäuble. Unsicherheit über ihre persönliche
Zukunft ist vor allen Dingen bei den Polizistinnen und
Polizisten angekommen. Da nützt es auch nichts, wenn
Sie ungefähr 5 Prozent der Bundespolizistinnen und
Bundespolizisten mit Aufstiegsmöglichkeiten helfen
wollen, die über die bisherigen hinausgehen. Das Gros
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist einfach verunsichert. Wenn man mit den Kollegen spricht, erfährt man
das. Vielleicht tun Sie das nicht, wir aber schon. Entspricht es Ihrer Vorstellung von Sicherheit in Deutschland, wenn 12 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Bundespolizei unsicher und unmotiviert durch das Land
laufen? Meine Vorstellung von Sicherheit ist das nicht.
Nach wie vor ist völlig unklar, welche Kosten durch
den Neubau oder die Verlagerung des Bundespolizeipräsidiums noch auf den Bundeshaushalt zukommen. Wenn
der Haushaltsausschuss nicht so viel Druck gemacht hätte
- dafür bin ich meinen Kollegen wirklich dankbar -, dann
würden Sie noch nicht einmal darüber nachdenken, eine
Liegenschaft anzumieten, sondern hätten gleich einen
Neubau gefordert. So kann man mit dem Geld von Bürgerinnen und Bürgern nicht umgehen. Das ist keine Sparsamkeit, sondern das genaue Gegenteil davon.
({4})
Damit Sie mich nicht missverstehen: Ich habe nicht
grundsätzlich etwas gegen Neuerungen und Neubauten.
Neues ist an sich nichts Schlechtes. Manchmal wäre
Neues wirklich besser, siehe BOS-Digitalfunk. Das ist
mittlerweile wirklich ein Trauerspiel. Wir warten schon
viel zu lange darauf, dass diese neue Technik eingeführt
wird. Allerdings möchte ich Sie da ausdrücklich in
Schutz nehmen, Herr Minister. Es ist nicht nur Ihrer
Leistung oder Nichtleistung geschuldet, dass sie noch
nicht eingeführt ist. Stattdessen haben wir jetzt - denn
wir sind in Deutschland - eine Behörde mit 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber noch immer so gut
wie kein Gerät für die Polizistinnen und Polizisten. Das
hat mit Sicherheit aus meiner Sicht nichts zu tun.
Was ist denn aus Ihrer Sicht, liebe Kolleginnen und
Kollegen, eigentlich der Unterschied zwischen dem Bundesdatenschutzbeauftragten und einem elektronischen
Personalausweis? Der elektronische Personalausweis ist
Ihnen im Bundeshaushalt mindestens zehnmal mehr wert.
({5})
Das ist eine Gleichung, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. Für eine Hauspostwurfsendung zur Einführung des neuen elektronischen Personalausweises sind
im Haushalt 240 000 Euro neu eingestellt, für die Kostensteigerung im Bereich des Bundesdatenschutzbeauftragten gerade einmal 22 000 Euro.
({6})
Das geschieht nach all den Skandalen und dem, was wir
zum Bundesdatenschutzbeauftragten und dessen Bereich
alles gehört haben. Man kann sich nicht damit herausreden, dass der Haushalt schon im Sommer aufgestellt
worden sei. Die ersten Skandale hat es schon lange vor
dem Sommer gegeben. Das zeigt aus meiner Sicht, dass
die Große Koalition ihren Koalitionsvertrag vor allen
Dingen in einem Punkt ernst nimmt. Der Datenschutz
steht im Koalitionsvertrag nämlich nur in zwei Zusammenhängen: Er erleichtert den Terroristen das Handwerk, oder er führt zu unnötiger Bürokratie. Diese Linie
setzen Sie leider konsequent fort. Wir als FDP-Fraktion
werden uns auch in diesem Jahr dafür einsetzen, dass der
Datenschutzbeauftragte mehr Mittel erhält, um alles
durchzusetzen, was Sie hier fordern. Es wird sich schnell
zeigen, ob die Ankündigungen der Bundesregierung nur
heiße - im Übrigen auch unbezahlte - Luft sind oder ob
die Bundesregierung es wirklich ernst meint.
({7})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen Sicherheitsbehörden, die gut ausgestattet sind, wir brauchen Sicherheitsbeamte, die motiviert sind, und wir
brauchen einen Haushalt, der das garantiert. So verstehen wir Liberale vernünftige Sicherheitspolitik. Wir hoffen auf die Vernunft des Hauses.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Fritz Rudolf Körper von der
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bundesinnenminister ist schon auf die erhebliche Steigerung
des Einzelplans 06 eingegangen, und ich hoffe, dass der
Einzelplan auch mit dieser Steigerung beschlossen wird;
denn das ist ein guter Entwurf. Es stecken hohe Personalkosten in diesem Entwurf; denn wir haben in diesem
Haushalt die Ergebnisse der Besoldungs- und Tarifrunde umgesetzt. Wir halten es für gut, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilnehmen. Deswegen war es auch
gut, dass wir eine zeit- und inhaltsgleiche Übertragung
des Tarifvertrags auf die Besoldung der Beamtinnen und
Beamten vorgenommen haben. Ich glaube, sie haben es
verdient.
({0})
Es trägt ganz wesentlich zur Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei, wenn hier ein deutliches Signal gesetzt wird. Die Motivation bei Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern, ob sie bei der Bundespolizei oder etwa
beim THW sind, ist sehr wichtig. Ich will jetzt nicht alle
Bereiche aufzählen. Die Gefahr, dass man jemanden vergisst, ist unheimlich groß. Die Motivation ist ganz entscheidend; denn die Arbeit, die für den Standort
Deutschland geleistet wird, ist sehr verdienstvoll.
Die Beschäftigung mit dem öffentlichen Dienst bringt
mich zu einem sehr persönlichen Urteil, das ich aber
doch hier kundtun will. Das, was in der Föderalismuskommission I entschieden worden ist, hat dazu geführt,
dass wir mittlerweile 17 Dienstrechte in Deutschland haben. Das ist für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst
nicht von Vorteil.
({1})
- Das ist ja wunderbar, dass Sie das vorhergesagt haben.
Es gibt manche, die gleich alles besser wissen.
({2})
Ich will ganz offen eingestehen: Ich halte es für keine
schlechte Eigenschaft, in der Lage zu sein, durch Erfahrungen dazuzulernen und zu Ergebnissen zu kommen.
Ich glaube, dass es in der Politik legitim ist, noch einmal
nachzudenken und dann vielleicht zu anderen Ergebnissen zu kommen.
Es ist wichtig, das Thema Dienstrechtsneuordnungsgesetz in Bälde abschließend zu behandeln; denn
der Gesetzentwurf liegt vor. Frau Piltz, ich bin sicher,
dass diese Koalition gerade im Bereich der Innenpolitik
das Arbeiten nicht einstellen wird. Wir werden noch eine
Menge auf den Weg bringen, vielleicht mehr, als Ihnen
lieb ist. Im Rahmen der Beratungen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes gibt es vielleicht noch zwei Themen, bei denen wir gemeinsam nachdenken müssen: Es
sind die Themen „Übernahme von Versorgung“ und „besondere Altersgrenzen in bestimmten Berufen mit
Schichtdienst“. Ich halte es für legitim, dass man unter
anderem eine solche Belastung berücksichtigt. Mit dieser Fragestellung werden wir das Dienstrechtsneuordnungsgesetz hoffentlich bald gemeinsam verabschieden.
({3})
Die Föderalismusreform ist angesprochen worden.
Wir müssen in der Tat immer die Fähigkeit entwickeln,
zu erkennen, welche neuen Herausforderungen es eigentlich gibt, die unsere Väter und Mütter, die das
Grundgesetz aufgeschrieben haben, noch nicht kannten.
Da haben wir im Moment eine sehr spannende Frage,
nämlich die des gesamten IT-Bereichs. IT gab es nicht,
als das Grundgesetz aufgeschrieben worden ist. Das ist
ein Bereich innerhalb des föderalen Systems, der eine
übergreifende Kooperation zwischen Bund und Ländern
notwendig macht. Ich finde, wir müssen auch die Kraft
und die Fähigkeit haben, hier wegweisende Entscheidungen zu treffen und Organisationsformen zu finden,
sodass wir auch da zukunftsfähig bleiben bzw. werden.
({4})
Es ist gerade heute notwendig, dass wir vieles, was
uns in der Innenpolitik berührt, dahin gehend abklopfen,
wie es sich auf unsere föderalen Strukturen auswirkt. Ich
will hier ein Wort zu dem Thema Bundeskriminalamtgesetz sagen. Dieses BKA-Gesetz und die Idee dazu
sind durch die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, aber auch innerhalb der Föderalismuskommission I entstanden. Man hatte nämlich festgestellt,
dass man ein Bedrohungsszenario wie das, das vom internationalen Terrorismus ausgeht, in der Vergangenheit
nicht vorgefunden hatte. Man ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das Bundeskriminalamt mit einer sogenannten Präventivkompetenz ausschließlich im Kampf
gegen den internationalen Terrorismus ausgestattet werden muss. Ich glaube, das ist eine richtige Schlussfolgerung, zu der man kommt, wenn man eine entsprechende
Analyse zieht.
Wir haben die Aufgabe, in dieser Frage darüber nachzudenken: Wie ist dies auszugestalten? Wir haben
16 Polizeigesetze in Deutschland.
({5})
Herr Stadler, wir hatten die Herausforderung, der wir
durch den international agierenden Terrorismus gegenüberstehen, in der Zeit, in der diese Polizeigesetze entstanden sind, noch nicht in dieser Form zu bewältigen;
alle Polizeigesetze sind viel älter. Deswegen glaube ich,
dass es notwendig ist, dass wir hier, an dieser Stelle,
diese Zuständigkeit schaffen und das Bundeskriminalamt bei seiner Arbeit unterstützen. Ich halte das für dringend notwendig und geboten.
({6})
Ich rede von Herausforderungen. Ich stelle fest, dass
es immer wieder Stellen gibt, an denen Herausforderun18610
gen auftreten, die man vorher so vielleicht nicht eingeschätzt hätte. Ich will zugeben, dass das Thema Datenschutz in der Vergangenheit nicht unbedingt an der
vordersten Stelle der politischen Diskussion gestanden
hat.
({7})
- Das sage ich hier ganz offen, Herr Wieland. Das ist
überhaupt keine Schande; das kann man doch zugeben.
({8})
Ich sage einmal so: Das hat ein bisschen ein Schattendasein geführt. Es ist aber doch nicht schlimm,
({9})
wenn man das zugibt und nicht die falschen Schlüsse
daraus zieht. Das Thema Datenschutz muss auf die politische Agenda.
({10})
Aus dem, was wir beispielsweise aus den - so sage ich
jetzt einmal - Datenschutzskandalen in den letzten Wochen gelernt haben, müssen wir Schlussfolgerungen ziehen. Ich bin sicher: Wir werden auch da Gemeinsames
zustande bringen können.
({11})
Ich verstehe das einfach nicht. Es gibt hier offensichtlich Leute, die alles besser wissen. Ich weiß, dass die
Kolleginnen und Kollegen von der Grünen-Fraktion einmal mit uns gemeinsam regiert haben.
({12})
Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass das Thema
Datenschutz jeden Tag sozusagen eingefordert worden
ist.
({13})
- Herr Stadler, Sie kennen mich ein bisschen. Ich sage
immer, wie es ist, und nehme auch kein Blatt vor den
Mund. Ich halte das für richtig, wenn man beispielsweise
Geschichte bewältigen will.
Herr Kollege Körper, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ströbele?
Ja, bitte.
Bitte schön, Herr Ströbele.
Herr Kollege Körper, können Sie mir bestätigen, dass
bereits im ersten Jahr der rot-grünen Koalition, 1999,
dem Koalitionspartner Grüne die feste Zusage gemacht
worden ist,
({0})
dass es eine umfassende Datenschutznovelle, ein neues
Datenschutzgesetz geben soll, dass diese Zusage aber
weder in der ersten Legislaturperiode von Rot-Grün
noch in der zweiten Legislaturperiode von Rot-Grün eingelöst worden ist, weil die SPD sich dem verweigert hat?
Herr Ströbele, wenn ich Ihre Fraktion mit dem Thema
Datenschutz in Verbindung bringe, dann fällt mir eines
ein: Sie hatten ein großes Interesse beim Datenschutz,
nämlich dass das Amt des Datenschutzbeauftragten
aus Ihren Reihen besetzt wird.
({0})
Das war eine Forderung, die mit Vehemenz vorgetragen
worden ist.
({1})
Wir sind ihr sogar nachgekommen. Der Datenschutzbeauftragte ist auch heute noch im Amt. Ich bin der Auffassung: Er macht seine Sache gut.
({2})
- Lieber Herr Uhl, man sollte allen ihre Pensionsberechtigung gönnen.
({3})
Da sollten wir uns zurückhalten. - Ich bin auch der Auffassung, dass dieser Datenschutzbeauftragte seine Arbeit
sehr ordentlich erledigt.
({4})
Das sollte man der Fairness halber sagen und da keine
Nebelkerzen werfen.
Beim Thema Datenschutz sind zwei Punkte ganz
wichtig, einmal die Datenweitergabe nur nach aktiver
Einverständniserklärung der Betroffenen. Das ist die
Umkehr der bisherigen Praxis und kann viel helfen. Was
ein Datenschutzaudit anbelangt, scheint mir sehr wichtig
zu sein, über die Frage zu diskutieren, ob freiwillig, nur
freiwillig oder inwieweit verpflichtend. Es gibt jetzt
auch das Eckpunktepapier. Ich bin sicher: Wir werden
aus diesen Vorstellungen heraus eine gute Entscheidung
treffen. Der Innenminister hat ein ehrgeiziges Ziel. Es
wird von uns ausdrücklich unterstützt. Er will eine VorFritz Rudolf Körper
lage bis Ende November kabinettsreif machen. Wir vonseiten der SPD werden unsere Unterstützung leisten;
denn der Datenschutz ist eine wichtige Aufgabe. Ihr
müssen wir nachkommen, für die Bürgerinnen und Bürger.
({5})
Die Menschen haben es verdient.
In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({6})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ulla Jelpke von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Innenminister, ich denke, Freiheit stirbt auch durch immer
mehr Sicherheit. Selbst wenn Sie sich heute an die
Spitze der Bewegung für den Datenschutz stellen, so
muss man doch eindeutig sagen: Sie haben in den letzten
Jahren erheblich dazu beigetragen, dass der Datenschutz
und Grundrechte abgebaut wurden.
({0})
Auch der vorliegende Haushaltsentwurf der Bundesregierung zeigt, dass Sie Ihren Weg eindeutig fortsetzen,
wenn es darum geht, Grundrechte von Bürgerinnen und
Bürgern abzubauen.
Die Bundesregierung forciert die Überwachung jedes
Einzelnen im Namen des angeblichen Antiterrorkampfes, aber sie vernachlässigt gleichzeitig die Gefahr, die
vor allen Dingen von rechtsextremistischen Gewalttätern
droht.
({1})
Die Linke wird deshalb auch diesen Haushaltsplan
ablehnen, weil er nicht nur falsche Signale setzt, sondern
weil er regelrecht unverantwortlich ist.
({2})
Das Budget, das hier angesprochen wurde, steigt in
der Tat um eine halbe Milliarde Euro. Man sollte glauben, dass dabei einige Milliönchen übrig wären, um endlich das umzusetzen, was der Bundestag schon vor sieben Jahren beschlossen hat, nämlich die Einrichtung
einer unabhängigen Stelle zur Beobachtung von
Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Wie gesagt, das war vor sieben Jahren. Die Grünen, die
SPD, aber auch die Union haben es bisher nicht für nötig
gehalten, diesen Beschluss umzusetzen. Ich meine, das
ist sehr beschämend für diesen Bundestag. Eine solche
Beobachtungsstelle würde beispielsweise zeigen, was
NGOs recherchiert haben: Inzwischen gibt es 141 Menschen, die durch rassistische Gewalttäter ums Leben gekommen sind. In Ihrer Statistik sind nur ein Drittel dieser Menschen wiederzufinden. Deshalb brauchen wir
diese Stelle. Ich möchte daran erinnern, dass gerade in
den letzten Wochen in Berlin, in Templin, in Magdeburg
und in Bernburg solche Morde verübt worden sind. Daher müssen durch den Haushalt mehr Signale in diese
Richtung gegeben werden.
({3})
Herr Schäuble, realisieren Sie endlich, dass in dieser
Entwicklung eine ganz zentrale Herausforderung liegt,
denn inzwischen haben wir die Situation, dass diese
Nazischläger in die Kommunalparlamente und in die
Landtage eingezogen sind und dort entsprechend wirken
können.
Noch immer müssen Projekte darum kämpfen, aus
dem Haushalt Gelder zu bekommen. Die beantragten
Gelder für diese Projekte übersteigen die zugebilligten
Gelder bei weitem. Die Bundesprogramme werden beispielsweise vor allen Dingen umorganisiert. Sie werden
für ihre Arbeit immer ineffektiver ausgestattet. Deshalb
fordert die Linke auch ein Sofortprogramm für den
Kampf gegen Rechtsextremismus.
({4})
Die Beratungs- und Beobachtungsstelle habe ich bereits genannt. Vor allen Dingen aber wollen wir die Stärkung lokaler Aktionsteams und eine Verbesserung der
Bundeszentrale für politische Bildung erreichen. Wir
wollen, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus
Priorität erhält. Diese muss sich auch im Haushalt niederschlagen.
({5})
Ich sagte es schon, die Bundesregierung finanziert
aber lieber, dass Grundrechte abgebaut werden. Hierzu
nenne ich einige Beispiele: 18,5 Millionen Euro sollen
zusätzlich für den Verfassungsschutz ausgegeben werden. Ich frage Sie: Wofür? Dafür, dass Sie sinnlose Dossiers über die Linke anlegen, dafür, dass Sie die V-Leute,
die in der NPD arbeiten, nicht abziehen und dadurch ein
Verbot nicht zum Erfolg gebracht werden kann? Sie vereiteln dieses Verbotsverfahren im Grunde, wenn die
V-Leute weiter dort bleiben. Fragen Sie Ihre Innenminister, die wissen das auch.
Genauso überflüssig sind die Mehrausgaben beim
Bundeskriminalamt. Fast 25 Millionen Euro sind für
Personal und Technik vorgesehen, die man künftig für
Onlinedurchsuchungen, Lauschangriffe, Videoüberwachungen und Wohnungsüberwachungen zu brauchen
glaubt. Ich sagte es schon: Diese Angriffe auf die Grundrechte werden von uns entschieden abgelehnt.
({6})
Zum Schluss will ich noch ein Wort zu den Migrantinnen und Migranten sagen: Auch hier haben wir immer
wieder kritisiert, dass die Gelder für sogenannte Integrationsmaßnahmen nicht ausreichen. Nach wie vor
werden Menschen aus diesen Kursen ausgegrenzt, es
werden nur die Neueinwanderinnen und Neueinwande18612
rer berücksichtigt. Wir halten an unseren Forderungen
fest und werden auch hierzu wieder einen Antrag einbringen. Ich kann nur sagen: Der Bundestag wird ganze
7 Millionen Euro ausgeben, um im nächsten Jahr das
Staatsjubiläum der Verfassung zu feiern. Das feiert man
eigentlich nicht mit einer Regierung, die Grundrechte
abbaut. Deshalb kann ich Herrn Schäuble nur auffordern, endlich damit aufzuhören, damit man auch wirklich etwas zu feiern hat.
({7})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erinnern uns:
({0})
Noch vor einem Jahr bat der Bundespräsident in seinem
Sommerinterview fast flehentlich darum, doch einmal
eine Atempause bei den aus dem Hause Schäuble vorgetragenen Vorschlägen einzulegen, die damals nur so purzelten: Flugzeuge abschießen, Kriegsrecht einführen
usw. usf. Demgegenüber war es diesen Sommer relativ
ruhig. Ich will nun nicht spekulieren, ob es die Ruhe vor
dem Sturm war, der jetzt im Herbst kommen wird.
Ich stelle nur fest - ich bin selber etwas verwundert
darüber -, dass bei einem Komplex aus dem Hause
Schäuble fast gar nichts kam. Ich hätte aber gerne mehr
zu dieser Kette von Datenschutzpannen, Datenschutzskandalen und zu der Bespitzelungsaffäre gehört. Ich
nenne die Stichworte Lidl, Telekom, Callcenter. Als
Kommentar zu all diesen Geschehnissen aus den letzten
Monaten gebrauchte der Innenminister Worte, die er
sonst scheut wie der Teufel das Weihwasser, nämlich:
Die bestehenden Gesetze reichten aus, und man könne
nicht alles verhindern. Da war ein Flächenbrand, und der
für die Löscharbeiten Zuständige erklärte sich zunächst
einmal für nicht berührt. Das hat sich nun geändert. Es
gab einen Datenschutzgipfel. Ich habe heute das erste
Mal Herrn Schäuble in seiner Eigenschaft als Datenschützer hier reden hören. Ich sage frank und frei: Über
Spätbekehrte freut man sich immer ganz besonders.
Aber zu dieser Geschichtsklitterung, dass wir alle von
den Ereignissen überrascht worden wären, kann ich nur
sagen: Ach du meine Güte! Jahrelang wurde von meiner
Kollegin Stokar und von Frau Philipp im Innenausschuss
danach gefragt, wo das Datenschutzaudit bleibt. Jahrelang wurde gefragt, wo die generelle Überarbeitung des
Bundesdatenschutzgesetzes bleibt, und zwar in toto. Das
Datenschutzrecht, das wir haben, stammt ja noch aus der
Karteikartenzeit. Doch zu keinem Zeitpunkt hat die
Große Koalition etwas unternommen. Hätte es diesen
Flächenbrand nicht gegeben, hätten Sie das Thema verschlafen. Es wäre vertagt worden, es wäre nichts geschehen, vielmehr wäre es bei der Doppelnulllösung geblieben.
({1})
Last, but not least muss man auch einmal sagen - auch
die Kollegin Jelpke hat es schon gesagt -: Solange der
Staat selber mit Vorratsdatenspeicherung, mit Computerhacking, mit biometrischen Identifikationspapieren hier
und da seine Datengier gegenüber dem Bürger und gegenüber der Bürgerin zeigt, solange er selber der größte
Datenstaubsauger ist, kommt er aus der Rolle des Diebes, der ruft: „Haltet den Dieb!“, nicht heraus, so lange
ist er nicht glaubwürdig gegenüber Industrie und Wirtschaft und gibt selber ein schlechtes Beispiel. Das muss
aufhören.
({2})
- Nein, genau so ist es. Sie sind der größte Datendealer.
Das ist das Problem, Herr Kollege Wiefelspütz. Die
Wirtschaft bekommt vom Staat schlechte Beispiele geliefert.
Wir haben darüber gestern bei den Beratungen im
Ausschuss zum BKA-Gesetz gesprochen. Die Gutachter
haben ihre Bedenken dazu geäußert. Wir haben das
Abkommen mit den USA über die Weitergabe von Daten vorliegen. Es muss zwar noch ratifiziert werden, aber
es stellt sich schon die Frage, was da vereinbart werden
soll. Gemäß diesem Abkommen sollen sogar Daten wie
Gewerkschaftszugehörigkeit oder sexuelle Vorlieben
nicht etwa nicht übermittelt werden, sondern dürfen unter bestimmten Voraussetzungen übermittelt werden.
Das Schlimme ist doch, dass unsere Daten sozusagen
weltweit zum Floaten gebracht werden, dass es keinerlei
Einschränkungen gibt. Der Staat gibt hier - ich wiederhole mich - ein ganz schlechtes Vorbild beim Umgang
mit Daten ab. Die Durchsetzung des Grundsatzes
„Meine Daten gehören mir“ ist bei dieser Bundesregierung also in ganz schlechten Händen.
({3})
Auch zur Integrationspolitik muss man leider einiges Kritisches sagen. Auf dem Papier lesen sich Begriffe
wie Selbstverpflichtungen oder die im Integrationsplan
enthaltenen Lobeshymnen darauf, was das Bundesinnenministerium alles vorhat, immer sehr gut. Der Haushalt
spiegelt das aber nicht wider. Für die Migrationserstberatung - wie gesagt, ein Grundpfeiler der Integrationspolitik - werden keine Mittel bewilligt. In drei Jahren sind
4,4 Millionen Euro weggefallen. Auch dieses Jahr
kommt kein Ersatz dafür. Das Angebot wird schlicht
ausgehungert. Für Kurse für ausländische Frauen sind
noch ganze 1,2 Millionen Euro im Haushalt übrig.
({4})
Geld ist bei der Integration wirklich nicht alles; das wissen wir. Allerdings kann es nicht sein, dass man in der
Phrase groß ist, aber klein in der Finanzierung. Das überzeugt nicht; aber das ist Ihre Politik.
({5})
Offenbar gilt das Motto: Wenn schon wenig Geld,
dann wenigstens viele Fragen beim Einbürgerungstest.
Mit diesem Test blamieren sich doch nicht die Kandidatinnen und Kandidaten; mit diesem Test blamiert sich die
Bundesregierung.
({6})
Wir haben beantragt, ihn vorher im Innenausschuss vorzulegen. Da wurde gesagt: Das ist rein exekutives Handeln; das geht euch nichts an. - Jetzt lacht die ganze Republik über Fragen, die falsch gestellt sind. Kollege
Edathy hat sie alle aufgelistet, Fragen, die gar nicht beantwortet werden können. Da sagt die Regierung: Das
haben Wissenschaftler von einem unabhängigen Institut
gemacht; was haben wir damit zu tun? - So stiehlt sie
sich aus der Verantwortung. Dieser Test mag angemessen ridikül sein bei Beckmann, wenn man ein neues
Spiel kreiert: „Deutschland sucht den Superstaatsbürger“. Aber er ist doch gegenüber den Integrationswilligen ein völlig falsches Signal, ein weiteres Nichtwillkommenssignal. Deswegen ist er schädlich.
({7})
Natürlich, Herr Kollege Brandt: Bei der Anhörung
zum BKA-Gesetz hat wieder einmal jeder seine Sachverständigen und seine Wirklichkeit gehört. Dennoch
liste ich noch einmal kurz auf, was hier im Argen ist.
Nach wie vor nicht geklärt ist die Zusammenarbeit zwischen Ländern und Bund; sie agieren nebeneinander her.
Das Benehmen ist zu wenig. Der Generalbundesanwalt
ist draußen vor der Tür. Das hätte der Kollege Schröder,
der vorhin so schön zum Verhältnis von Staatsanwaltschaft und Polizei geredet hat, sich einmal anhören sollen. Der Generalbundesanwalt wird nicht einmal mehr
informiert. Dazu kommt, dass der Begriff des internationalen Terrorismus nicht definiert ist, sodass wir befürchten müssen, dass selbst Globalisierungskritiker darunter
fallen werden.
({8})
Es findet ein nachgerade unverschämter Angriff auf die
Berufsgeheimnisträger statt; selbst die besonders privilegierten Gruppen, nämlich Seelsorger, Parlamentarier und
Strafverteidiger, sollen auskunftspflichtig werden. So
steht es noch in dem Entwurf. Das ist nicht richtig
falsch; vielmehr ist das, was ich hier schildere, leider die
Realität.
Kurzum: Natürlich soll das geschehen, was der BKAPräsident Ziercke hier immer abstreitet, nämlich dass ein
deutsches FBI geschaffen wird, und zwar mit vollen geheimdienstlichen Zuständigkeiten. Dazu sagen wir nach
wie vor: Das brauchen wir nicht, das wollen wir nicht,
das ist schädlich für unseren Rechtsstaat.
({9})
Und was bleibt von der Trennung zwischen Polizei
und Geheimdiensten? Wir haben das gemeinsame Abhörzentrum jetzt auch auf dem Verwaltungswege bekommen. Polizei und Nachrichtendienste - zunächst
Verfassungsschutz, BND soll später dazukommen,
ebenso die Bundesländer - sollen gemeinsam abhören,
das gemeinsame Ohr für die Sicherheit. Den gemeinsamen Aktenschrank haben wir schon in der Frage Antiterrordatei bekommen, auch zwischen Polizei und Nachrichtendiensten.
({10})
Auf diese Weise wird die Trennung immer mehr ausgehöhlt. Sie stirbt nicht zentimeterweise; es geht leider viel
schneller. Am Ende wird hier nur noch eine leere Hülse
übrig bleiben.
Wir erkennen an, Herr Kollege Edathy, dass Sie sich
ab und an bemühen, gegenzusteuern; Stichwort „Freiwilligkeit“.
({11})
- Sie bemühen sich, mitzuregieren.
({12})
Das werden wir einmal in Ihr Zeugnis schreiben: Edathy
hat sich stets bemüht. Aber wir müssen hinzufügen: Es
war selten erfolgreich. Denn die Innenpolitik wird maßgeblich von dem Mann bestimmt, der immer noch Militäreinsätze im Inneren will, der immer noch von der Verwischung der Grenze zwischen innerer und äußerer
Sicherheit redet, der in kriegsrechtlichen Kategorien
denkt, der sich im asymmetrischen Krieg fühlt. Wenn
Sie, wie Tucholsky, fragen: „Wo bleibt das Positive?“:
Für uns ist das Positive, dass wir die Hoffnung haben,
dass dies der letzte Haushalt gewesen ist, den Wolfgang
Schäuble zu verantworten hat.
({13})
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Michael Luther
von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Herr Wieland, ich finde, Sie haben eine sehr
interessante Rede gehalten. Am Anfang Ihrer Rede kam
es mir allerdings so vor, als ob Sie es tief bedauerten,
dass sich Herr Schäuble nicht zu den Dingen, zu denen
er sich aus Ihrer Sicht am liebsten hätte äußern sollen,
damit Sie dagegenhalten können, geäußert hat.
({0})
Das hat mich schon ein bisschen gewundert.
Nun zum Bundeshaushalt. Herr Schäuble, Sie hatten
es schon gesagt: Der Einzelplan umfasst 5,6 Milliarden
Euro. Das sind 10,5 Prozent mehr als 2008. Wenn man
das oberflächlich betrachtet, dann hat man nicht das Gefühl, dass es sich hier um besondere Sparsamkeit handelt. Aber ich denke, der Haushalt ist wohlbegründet.
Ich will in meinem Redebeitrag im Einzelnen darauf eingehen.
Es ist richtig: Der größte Zuwachs betrifft die Personalkosten. Immerhin sind im Bundesministerium des
Innern mit seinen einzelnen Behörden - auch das muss
man einmal sagen - über 50 000 Personen beschäftigt,
ungefähr 40 000 allein in der Bundespolizei. Daher ist es
natürlich nicht verwunderlich, wenn die Besoldungsund Tarifsteigerungen gerade im Bundesinnenministerium zu einem höheren Ausgabenvolumen führen, was
nicht sehr einfach zu handhaben ist.
Ich will an dieser Stelle nicht die Besoldungs- und Tarifsteigerungen kritisieren. Ich denke, sie sind richtig
und die Verhandlungen sind zu Recht abgeschlossen
worden. Aber als Haushälter muss man sich natürlich
damit befassen und auch damit, wie man das im Haushalt im Einzelnen darstellen kann. Ein Teil der für die
Tarifsteigerungen erforderlichen Mittel ist aus dem Gesamthaushalt gekommen, ein Teil der Mittel konnte
durch Auflösung einzelner Titel im Haushalt ausgeglichen werden. Ein weiterer Teil, nämlich 40 Millionen
Euro, findet sich leider als globale Minderausgabe wieder. Sie werden verstehen, dass wir als Haushälter, die
wir uns in den letzten Jahren bemüht haben, die hohe
globale Minderausgabe auf null zu befördern, um Haushaltswahrheit und -klarheit zu erreichen, von dieser Entwicklung nicht allzu sehr begeistert sind. Wir werden
uns mit großer Sicherheit in den Haushaltsberatungen
mit dieser Frage beschäftigen.
Ein zweiter wichtiger Punkt ist - auch wenn das nach
außen vielleicht nicht sehr dramatisch klingt; es ist aber
ein für die Zukunft wichtiges Thema -, dass sich das
Bundesinnenministerium vorbildlich darum bemüht hat,
seine Immobilien der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben zu übergeben. Damit zahlt das Bundesinnenministerium Miete an den Bundesfinanzminister. Das Ganze
ist zu Beginn haushaltsneutral. Aber wir versprechen uns
natürlich davon über die Zeit positive Effekte; denn das
Ministerium und die Behörden werden in Zukunft, wenn
sie ihre Haushalte aufstellen, darauf achten, ob sie Geld
für Immobilien benötigen oder nicht, und entsprechend
sparsam mit den Mitteln umgehen. Ich denke, das ist ein
wichtiger Schritt und zeigt, dass wir als Große Koalition
es mit der sparsamen Haushaltsführung ernst nehmen.
An dieser Stelle ist das BMI Vorreiter.
({1})
Dafür meinen herzlichen Dank.
Der BOS-Digitalfunk kostet viel Geld. Wir sind hier
- das darf man an dieser Stelle schon einmal sagen - im
Vergleich zu anderen Ländern eher Entwicklungsländer.
Ich habe die Entwicklung seit Beginn dieser Legislaturperiode sehr intensiv verfolgt. Dank Herrn Schäuble und
nicht zuletzt dank uns Haushältern ist es gelungen, dass
es jetzt endlich zu einem Durchbruch gekommen ist.
2007 ist der Startschuss erfolgt. Jetzt beginnt sich das in
der Fläche auszubreiten. 400 Millionen Euro für 2009
sind viel Geld. Es tut einem als Haushälter immer weh,
wenn Geld ausgegeben wird. Aber an dieser Stelle ist es,
glaube ich, gut ausgegebenes Geld. Im Zuge der Haushaltsberatungen sage ich aber auch: Wo viel Geld ausgegeben wird, kann man auch viel falsch machen. Wir
Haushälter haben uns vorgenommen, dort, wo viel Geld
ausgegeben wird und wo viele Fehler gemacht werden
können, genau hinzuschauen. Wir werden uns in den
Haushaltsberatungen damit beschäftigen.
Die Bundespolizei ist naturgemäß der größte Einzelposten innerhalb des gesamten Haushaltes. Wir haben
mit dem letzten Haushalt und damit dieses Jahr beginnend die Bundespolizeireform auf den Weg gebracht.
Damit haben die Beschäftigten der Bundespolizei Sicherheit; denn sie wissen, wo die Zukunft der Bundespolizei sein wird. Dass es gerade vor dem Hintergrund
des Wegfalls der Schengen-Grenze Veränderungen geben muss, ist allen klar. Die Polizeireform ist auf jeden
Fall haushaltswirksam. Ich denke an Umzugs- und Trennungsgeld, aber auch an die Errichtung eines neuen Bundespolizeipräsidiums. All das sind Dinge, die man in
diesem Jahr als Haushälter begleiten muss.
Ich will ein weiteres Thema benennen: Die Sicherheitslage an der ehemaligen Schengen-Außengrenze
sollte uns nicht egal sein. Wir müssen die Menschen mitnehmen, die mit der neuen Situation zurechtkommen
müssen und sich darauf einstellen müssen. Da gibt es
Ängste. Der Bund muss einen klaren Beitrag dazu leisten, dass sich auch die Menschen an der Grenze zu
Tschechien und Polen sicher fühlen.
Die Menschen fühlen sich in Deutschland sicher. Das
ist, glaube ich, ein Erfolg der Sicherheitsbehörden in
Deutschland. Die Sicherheitsbehörde des Bundes ist das
Bundesinnenministerium. Damit sich die Menschen
auch in Zukunft sicher fühlen können, müssen wir uns
den Herausforderungen der Zukunft rechtzeitig stellen.
Fakt ist: Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus bleibt unverändert bestehen und bedarf unserer
besonderen Aufmerksamkeit. Deshalb ist es richtig, dass
wir mit dem Haushalt 2009 Vorsorge für das sogenannte
BKA-Gesetz treffen, das kommen soll.
Frau Piltz, Ihre Kritik zu diesem Punkt wundert mich.
Sie haben gesagt, dass das BKA zu wenig Geld hat.
Wenn ich mir die Bibel der FDP anschaue - sie wird vermutlich auch in diesem Jahr wieder eine vorlegen -,
({2})
muss ich aber feststellen, dass die FDP vorschlägt, beim
BKA Mittel zu streichen. Das zeigt, dass das, was Sie sagen, nicht glaubwürdig ist.
Eine letzte Bemerkung: Die größte Freiwilligenorganisation des Bundes ist das THW. Ich verspreche, dass
wir auch in diesem Jahr sehr darauf achten werden, dass
diese Freiwilligen angemessen ausgestattet bleiben.
({3})
Sicherheit kostet Geld. Ich glaube, wir werden das beantragte Geld brauchen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen werden wir aber trotzdem jeden einzelnen Titel
kritisch hinterleuchten und fragen, ob die Ausgabe wirklich notwendig ist. Ich wünsche uns eine gute Haushaltsberatung.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den haushalts- und sonstigen innenpolitischen
Debatten haben wir immer wieder die FDP-Kernthese
zur inneren Sicherheit vorgetragen. Wir meinen, verantwortungsvolle Politik für innere Sicherheit bedeutet:
Man muss Defizite beim Vollzug der bestehenden Gesetze beseitigen, aber nicht ständig unnötige Gesetzesverschärfungen beschließen. Leider machen Sie oft das
Gegenteil.
({0})
Ich darf dies anhand von einigen Beispielen belegen.
Aus aktuellem Anlass kennen wir die Anzahl der
Polizeiplanstellen in vielen Bundesländern, speziell in
Bayern, weil sie zurzeit in der Diskussion stehen. Die
Gewerkschaften haben errechnet, dass bei den Polizeidienststellen in Bayern 1 100 Stellen abgebaut wurden.
Im ganzen Bundesgebiet sind es seit dem 11. September
2001 erstaunlicherweise 10 000 Planstellen. Dieser Vorwurf trifft nicht Sie, Herr Bundesinnenminister. Es ist
aber bemerkenswert, dass dadurch beispielsweise in
Bayern viele Polizeidienststellen nur noch zu 75 Prozent
einsatzfähig sind.
({1})
Das wird nicht etwa nur von der Polizeigewerkschaft
vorgetragen, sondern auch vom Arbeitskreis Polizei der
CSU. Dazu sage ich: Herr Beckstein sitzt im Glashaus
und sollte nicht mit Steinen auf die FDP werfen, wenn es
um die innere Sicherheit geht.
({2})
Das ist ein Beispiel dafür, dass man mit zu wenig Personal Vollzugsdefizite nicht in den Griff bekommen kann.
({3})
Sie liefern aber hier im Bundestag gerade ein Beispiel
für den zweiten Ansatz, was man gerade nicht machen
sollte - den habe ich Ihnen genannt -, nämlich überflüssige Gesetzesverschärfungen. Dazu hat gestern die Anhörung zum Entwurf des Bundeskriminalamtsgesetzes
Folgendes erbracht: Dieses Gesetz ist nicht erforderlich,
handwerklich schlecht gemacht und in vielen Bestimmungen grundgesetzwidrig.
({4})
Wenn Sie die Darlegungen von namhaften Verfassungsrechtlern von gestern ernst nehmen, dann dürfen Sie als
Große Koalition diesen missglückten Gesetzentwurf keinesfalls im Oktober im Eiltempo hier durch das Parlament bringen. Gisela Piltz hat zu Recht gesagt: Dieser
Entwurf für ein verfassungswidriges BKA-Gesetz muss
zurückgezogen werden. Dann muss sorgfältig neu beraten werden.
({5})
Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
Sie haben einmal den Mut und das Rückgrat, dass Sie
diese unsere Forderung erfüllen, wenn Sie schon den
Anspruch erheben, mitzuregieren, Herr Edathy.
({6})
Manchmal gibt es sowohl Vollzugsdefizite als auch
ein Gesetzgebungsdefizit. Das ist beim Datenschutz
eindeutig der Fall. Ein Vollzugsdefizit besteht, weil diejenigen, die über unsere Daten zu wachen haben, personell total unterbesetzt sind. Das gilt für den Bundesdatenschutzbeauftragten. In Bayern sind es ganze sechs
Personen, die den Datenschutz für einen so großen Flächenstaat gewährleisten sollen.
({7})
Das ist völlig unzureichend.
Wir brauchen über eine bessere Personalausstattung
hinaus natürlich ein neues Datenschutzgesetz. Denn das
jetzige stammt sozusagen aus der Postkutschenzeit. Wir
brauchen eine Bewusstseinsänderung. Es muss wieder
klar sein, dass der Schutz unserer Privatsphäre ein vordringliches Anliegen einer vernünftigen Innenpolitik ist.
Ich kann Ihnen folgenden Hinweis nicht ersparen. Wie
oft haben wir im Innenausschuss erlebt, wenn wir verlangt haben, dass der Bundesdatenschutzbeauftragte zu
Gesetzesvorhaben von Ihnen sachverständig gehört
wird, dass Sie gesagt haben: „Das ist überflüssig, das ist
Zeitverschwendung, und auf den hören wir sowieso
nicht.“?
({8})
Die christliche Nächstenliebe verbietet es mir, mitzuteilen, wer vor allem diese Auffassung im Innenausschuss
vertreten hat. Da müssen Sie Ihr Bewusstsein ändern, so
wie sich in der Bevölkerung das Bewusstsein mehr in
Richtung einer größeren Bedeutung des Datenschutzes
entwickelt.
({9})
Ich komme zu dem Fazit: Da, wo Ihr Regierungshandeln gefragt wäre, beispielsweise beim Datenschutz, haben Sie jahrelang nichts gemacht. Das Gutachten aus
dem Bundesinnenministerium hierzu aus dem Jahre
2002 blieb völlig ohne Konsequenzen. Also, da, wo Sie
gefragt gewesen wären, haben Sie nichts gemacht. Da,
wo Sie handeln, gehen Sie in die falsche Richtung und
machen immer mehr Einschnitte in die Grundrechte und
Bürgerrechte. Eine solche Politik tragen wir als FDP
selbstverständlich nicht mit.
({10})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher
von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Stadler, wir können gern den bayerischen Landtagswahlkampf jetzt hier in den Berliner Bundestag legen.
({0})
In der Tat: Aus den Bundesländern und gerade aus Bayern kommen immer wieder Anforderungen im Bereich
der Innenpolitik an den Bund. Sie sind wenig glaubwürdig, wenn im Gegenzug eine völlig verfehlte Polizeireform in Bayern und Einsparungen beim Personal bei der
Polizei durchgeführt werden.
({1})
Der Einzelplan 06 hat einen Zuwachs; das ist jetzt
schon mehrfach erwähnt worden. Dass die Hälfte für die
Tarif- und Besoldungserhöhungen ausgegeben wird,
ist gut. Denn das zeigt, dass neben neuen Gesetzen,
neuen Befugnissen, angepassten Instrumenten und moderner Ausstattung für die Sicherheitsbehörden vor allen
Dingen qualifiziertes und motiviertes Personal notwendig ist, um den Herausforderungen der Innenpolitik gerecht zu werden.
Trotz des Zuwachses beträgt der Anteil des Einzelplanes 06 am Gesamthaushalt gerade einmal 2 Prozent. Mit
diesen 2 Prozent muss man ein breites Aufgabenspektrum abdecken. Es reicht von der inneren Sicherheit über
die Extremismusbekämpfung und den Datenschutz, den
Bevölkerungs- und Katastrophenschutz und die Integration bis hin zum Sport. Der Haushaltsentwurf 2009 steht
in der Kontinuität der Vorjahre und folgt der Schwerpunktsetzung der rot-grünen Bundesregierung.
Der Bereich der inneren Sicherheit bildet mit
68 Prozent einen Schwerpunkt. Innerhalb dieses Aufgabenfeldes wurde der Ansatz für die Bundespolizei um
208 Millionen Euro und der für das BKA um
25,5 Millionen Euro erhöht. Ob dies allerdings dem
selbst gesetzten Ziel des Bundesinnenministers, durch
die Reform der Bundespolizei zu Einsparungen und
mehr Effizienz zu kommen, und dem gerade zur Beratung anstehenden BKA-Gesetz gerecht wird, werden wir
in den kommenden Haushaltsberatungen kritisch hinterfragen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesen Tagen erinnern wir uns wieder an die furchtbaren Anschläge vom
11. September 2001. Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist immer noch real, auch in
Deutschland. Gott sei Dank ist es unseren Sicherheitsbehörden bisher erfolgreich gelungen, terroristische Anschläge zu verhindern. Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt. Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten werden dafür sorgen, dass das so
bleibt.
Die Gewährleistung der inneren Sicherheit und die
Wahrung der Bürgerrechte stehen immer in einem gewissen Spannungsverhältnis. Sie stehen aber nicht im
Gegensatz zueinander. Maßnahmen zum Schutz der inneren Sicherheit dürfen die Freiheitsrechte der Menschen nur so viel wie nötig und müssen sie so wenig wie
möglich einschränken. Sicherheit und Bürgerrechte dürfen nicht, wie Sie, Herr Wieland, es immer tun, gegeneinander ausgespielt werden.
({2})
Die Sicherheit wird aber nicht nur durch die Gefahr
terroristischer Anschläge bedroht. Viele Menschen sind
auch über die Zunahme rechtsextremistischer und extremistischer Gewalt in unserem Land beunruhigt. Demonstrationen, angedrohte Immobilienkäufe, Musikveranstaltungen und gewalttätige Übergriffe von rechts
beunruhigen die Menschen in zunehmendem Maße. Im
Jahre 2007 wurden 17 176 Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität - rechts“ begangen. Damit dürfen wir
uns nicht abfinden. Es ist gut, dass die Ansätze der Mittel für die Bundeszentrale für politische Bildung und das
„Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt“ fortgeschrieben werden. Dafür haben wir uns in den letzten Haushaltsberatungen erfolgreich eingesetzt.
({3})
Die Förderung von Demokratie und Toleranz braucht
Stetigkeit und nachhaltige Finanzierungsgrundlagen.
Viele gute Projekte, in denen engagierte und kompetente
Menschen hauptamtlich, in der Mehrzahl aber ehrenamtlich arbeiten, stehen immer wieder vor dem finanziellen
Aus. Gegenwärtig suchen wir zum Beispiel nach Lösungen, wie wir das Aussteigerprogramm EXIT weiter finanzieren können. Könnte man hier verlässliche Finanzierungsmöglichkeiten entwickeln, wäre das auch ein
Beitrag zu mehr innerer Sicherheit und zur Stärkung unserer Demokratie. In diesem Zusammenhang muss auch
das Verbot weiterer rechtsextremer Vereine und Gruppierungen, zum Beispiel der Heimattreuen Deutschen
Jugend, geprüft und gegebenenfalls ausgesprochen werden.
({4})
Was den Bevölkerungsschutz betrifft, wurden im
Haushalt für die Ausstattung der Hilfsorganisationen
und Feuerwehren rund 68 Millionen Euro bereitgestellt;
das ist mit den Ländern vereinbart worden. Ich sichere
den überwiegend ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zu, dass wir sie im Hinblick auf die Weigerung der
Länder, eine verfassungsmäßige Grundlage für die Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes zu schaffen, nicht
in Haftung nehmen werden.
Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen ehren- und
hauptamtlichen Helferinnen und Helfern der Hilfsorganisationen, der Feuerwehren und des THW für ihren unermüdlichen und oft gefahrvollen Einsatz im Interesse
der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger bedanken.
({5})
Zum Sport. Wir begrüßen, dass sich die Unterstützung des Kampfes gegen das Doping wieder in den
Haushaltszahlen abbildet. Die konsequente Bekämpfung
des Dopings ist für die Zukunft des Sports, sowohl des
Breiten- als auch des Spitzensports, von grundsätzlicher
Bedeutung. Daran, dass der Zuschuss für Maßnahmen
zur Dopingbekämpfung im vorliegenden Entwurf des
Bundeshaushalts abermals erhöht und das Stiftungskapital der Nationalen Anti-Doping-Agentur wie im Vorjahr
aus Bundesmitteln um 1 Million Euro aufgestockt werden, wird deutlich, dass wir dieses Problemfeld als zentrale Aufgabe der Sportpolitik erachten. Es bleibt zu hoffen, dass alle anderen Partner - Sportorganisationen,
Sponsoren und Medien - ihrer Verantwortung ebenfalls
gerecht werden.
Wir wollen uns in den parlamentarischen Beratungen
für eine Stärkung der sportwissenschaftlichen Forschung
- nicht nur im Bereich der Dopingbekämpfung - einsetzen. Neue sportwissenschaftliche Erkenntnisse können
einerseits zu einer sauberen Leistungsverbesserung beitragen und andererseits helfen, verbotene Maßnahmen
zur Leistungssteigerung zu entdecken.
Die Stiftung Deutsche Sporthilfe gehört zu den wichtigsten Institutionen zur Förderung des Spitzensports in
Deutschland. 98 Prozent der in Peking gestarteten Sportlerinnen und Sportler waren irgendwann in ihrer Karriere auf die Sporthilfeförderung angewiesen. Deshalb
ist es wichtig, dass auch in diesem Jahr 1 Million Euro
zur Unterstützung der Stiftung Deutsche Sporthilfe in
den Einzelplan 06 eingestellt wird.
Haushaltsrecht ist Parlamentsrecht. Deshalb wünsche
ich mir konstruktive Beratungen. Ich bin mir sicher, dass
wir im Haushalt an der einen oder anderen Stelle weitere
notwendige Akzente setzen werden.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat die Kollegin Petra Pau von der Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
wurde schon erwähnt, dass Bundesinnenminister
Schäuble am 4. September Datenschützer und weitere
Minister zu einem Datenschutzgipfel geladen hatte. Danach gab es eine Pressekonferenz und ein bemerkenswertes Bild. Bundesinnenminister Schäuble und der
Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit Schaar lobten sich wechselseitig - ein seltenes Bild. Ich gönne es Ihnen, Herr Bundesinnenminister.
Dieses Bild täuscht aber über allzu viele Probleme
hinweg. Es ist richtig, dass der Gipfel Wichtiges vereinbart hat, um die persönlichen Daten der Bürgerinnen und
Bürger besser zu schützen. So dürfen ihre Daten ohne
ausdrückliche Zustimmung künftig nicht mehr gehandelt
werden. Dieser und weiteren Vereinbarungen wird die
Linke im Bundestag natürlich zustimmen.
Zudem wird die Linke ein Sonderprogramm Datenschutz beantragen. Damit soll der Bereich des Bundesdatenschutzbeauftragten personell und technisch auf das
erforderliche Niveau gebracht werden;
({0})
denn man kann nicht verbal den Datenschutz stark reden
und de facto den Datenschutzbeauftragten sowie seine
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwach halten.
Zurück zum Gipfel. Dieser drehte sich ausnahmslos
um die Privatwirtschaft. Ein ganz großer Datenstaubsauger aber ist der Staat selbst. Ich erinnere nur an die Vorratsdatenspeicherung aller Telekommunikationsdaten.
Dagegen läuft eine Sammelklage beim Bundesverfassungsgericht. Ich wiederhole für die Linke: Die Vorratsdatenspeicherung muss weg.
({1})
Hinzu kommt, dass immer mehr sensible Daten von
Staats wegen EU-weit gestreut oder in die USA verschickt werden, also ins Datenschutznirwana. Auch das
spielte auf dem sogenannten Datenschutzgipfel keine
Rolle. Bundesinnenminister Schäuble hatte schon vorher
forsch behauptet, das Übel sei privat, der Staat sei sauber. Das sieht die Linke ganz anders.
Nehmen wir ein aktuelles Beispiel: die Bundesdruckerei. Bei der Bundesdruckerei häufen sich persönliche Daten aller Bürgerinnen und Bürger, auch biometrische. Es ist also ein höchst sensibler Betrieb. Trotzdem
wurde die Bundesdruckerei im Jahr 2000 von der SPD
und von den Grünen entgegen allen Mahnungen und
Protesten privatisiert; auch ich war dagegen.
Nun lese ich, dass die Bundesdruckerei aus Sicherheitsgründen wieder verstaatlicht werden soll. Ich begrüße das ausdrücklich. Ich frage aber zugleich: Wie unsicher waren die Daten von 80 Millionen Bürgerinnen
und Bürgern in den acht Jahren dazwischen? Auch dieses Beispiel zeigt: Der Staat ist mitnichten sauber. Er ist
vielmehr ein Datenrisiko ersten Ranges.
({2})
Deshalb sage ich auch: Das schöne und seltene Bild
vom Datenschutzgipfel war ein Trugbild. Es war kein
Gipfel, sondern es war bestenfalls ein Hügelchen; denn
das weitergehende Problem harrt noch immer einer Lösung. Wir brauchen endlich ein Datenschutzrecht, das
dem 21. Jahrhundert gerecht wird. Davon sind wir noch
meilenweit entfernt.
Der Kollege Wieland hat schon das Bild der Karteikartenzeit bemüht. Ich denke, nicht nur die Lösung dieses Problems muss angegangen werden. Auch die
Probleme auf dem großen Feld des Arbeitnehmerdatenschutzes harren längst einer Lösung. Ich höre aber, dass
man im zuständigen Ministerium in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht mehr tätig werden will.
({3})
Eigentlich müsste es doch alle Fraktionen des Bundestages beschämen, dass das Bundesverfassungsgericht
die Daten der Bürgerinnen und Bürger immer wieder gegen Regierungsgelüste schützen muss. Leider ist es aber
so. Das ehrwürdige Bundesverfassungsgericht ist längst
im Internetzeitalter angekommen, die Große Koalition
aber immer noch nicht.
({4})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Nachdem der eine oder andere Kollege gemeint
hat, aufgrund des bayerischen Landtagswahlkampfs Anmerkungen zur dortigen Sicherheitslage machen zu müssen, kann ich es mir als Münchener Abgeordneter und
früherer Kreisverwaltungsreferent nicht verkneifen, dreierlei dazu zu sagen
({0})
- Kreisverwaltungsreferent heißt das; in Berlin heißt das
Innensenator -:
({1})
Die höchste Aufklärungsquote ist immer noch in Bayern zu verzeichnen, die niedrigste Kriminalitätsrate auf
100 000 Einwohner ist immer noch in Bayern zu verzeichnen, und denjenigen, die sich über den Stand der
Planstellen bei der bayerischen Polizei Sorgen machen,
sei gesagt, dass das bayerische Kabinett in der vergangenen Woche beschlossen hat, 200 neue Stellen zu schaffen. So viel zu Bayern und zum Wahlkampf.
({2})
Meine Damen und Herren, auch diese Legislaturperiode war und ist noch vom Kampf gegen den internationalen Terrorismus geprägt. Deswegen haben wir bereits
im Jahre 2006 das Antiterrordateigesetz beschlossen.
({3})
Herr Kollege Uhl, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Benneter?
Nein, das bringt uns nicht weiter, Herr Kollege, bei
aller Liebe.
({0})
Das führt zu einem Vergleich der Sicherheitslage in Ihrer
Stadt Berlin mit der in München. Das bringt uns wirklich
nicht weiter.
({1})
- Wir sprechen nach meiner Rede miteinander.
Lassen Sie mich zum Thema Antiterrorkampf zurückkommen und, weil der Kollege Wieland hier ganz
bemerkenswerte Dinge gesagt hat, feststellen:
({2})
Seit wir das Antiterrordateigesetz anwenden - im Zusammenhang mit diesem Gesetz haben Sie in Ihrer unnachahmlichen Art diffamierend von einem gemeinsamen Aktenschrank der Nachrichtendienste und Polizeien
gesprochen -, wissen die Polizeien und Sicherheitsorgane in Deutschland - des Bundes und der Länder - sowie die Nachrichtendienste vom jeweils anderen, was
diese über terroristische Vorbereitungsmaßnahmen bzw.
-handlungen wissen, weil alles auf einen Tisch gelegt
wird.
({3})
Das heißt, wir haben aus dem 9/11 in Amerika gelernt, als man sehr viel wusste, dies aber nicht zusammengetragen hat, sodass auf diese Art und Weise der Anschlag nicht verhindert werden konnte.
({4})
Wir haben daraus gelernt, und Sie stellen sich hierhin
und sagen, dass man es brandmarken muss, dass die
Nachrichtendienste und die Polizeikräfte des Bundes
und der Länder alles über Terroranschläge austauschen.
Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen, Herr
Wieland?
({5})
Wir wollen diese Zusammenarbeit.
({6})
Wenn Sie sie nicht wollen, dann machen Sie sich letztlich zum Schutzpatron des Terrorismus, Herr Wieland,
ob Sie das wollen oder nicht.
({7})
Herr Kollege Uhl, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Montag?
Herr Montag, ja bitte.
Bitte schön.
Ich danke Ihnen, Herr Kollege Uhl, für die bayerische
Solidarität.
Ich frage Sie, ob Sie bereit sind, in diesem Hohen
Hause zur Kenntnis zu nehmen und zu bestätigen, dass
wir Grüne selbstverständlich zu keinem Zeitpunkt dagegen waren, dass die Sicherheitsbehörden - seien es die
Geheimdienste, sei es die Polizei - im Kampf gegen den
Terrorismus ihre Informationen austauschen. Wir waren
lediglich strikt dagegen - wir sind es bis heute -, dass
das eine Amt in den Aktenbestand des anderen hineinschauen kann, dass also - Kollege Wieland hat das völlig
richtig ausgedrückt - die Informationen in einem einzigen, gemeinsamen Aktenschrank gesammelt werden.
Wir wollten eine Referenzdatei; Sie wollen einen vollen
Einblick aller Beteiligten in alle Aktenbestände. Sind Sie
bereit, zuzugestehen, dass wir immer auf diese Differenz
hingewiesen haben?
Herr Kollege Montag, selbstverständlich bin ich nicht
bereit, Ihnen das zuzugestehen.
({0})
Sie müssen sich die Mühe machen - Sie sind ja ein fleißiger Jurist -, noch einmal in das Antiterrordateigesetz
hineinzuschauen und sich genau anzuschauen, was zu
den in diesem Gesetz festgelegten Grunddaten gehört,
die in eine gemeinsame Datei eingegeben werden sollen.
Diese Grunddaten müssen alle Sicherheitsbehörden kennen. Dieser Staat darf sich gegenüber dem Terror nicht
künstlich blind und taub machen. Der Staat muss wissen,
wo Mordanschläge vorbereitet werden; jede Sicherheitsbehörde, jeder Nachrichtendienst in jedem Bundesland
und der Bundesnachrichtendienst müssen diese Grunddaten kennen.
({1})
Genau dies und nichts anderes haben wir festgelegt.
({2})
Wir haben im Rahmen der Föderalismusreform die
Verfassung geändert und festgelegt: Für den Fall eines
drohenden Terroranschlags muss das Bundeskriminalamt eine eigene Zuständigkeit bekommen. Das heißt,
wir müssen die nachrichtendienstliche Tätigkeit verstärken und das Bundeskriminalamt von dem, was vorbereitet wird, in Kenntnis setzen. Das Bundeskriminalamt
muss eigene Zuständigkeiten bekommen.
Herr Kollege Stadler, die gestrige Anhörung hat aus
unserer Sicht ergeben, dass das Bundeskriminalamtgesetz in großen Zügen verfassungsgemäß ist.
({3})
Natürlich haben Sie mit selektivem Wahrnehmungsvermögen etwas anderes herausgehört als wir. Ich möchte
nur ein wörtliches Zitat eines Professors anführen; auch
Sie haben Professoren angesprochen, aber nicht zitiert.
Professor Gusy - er wurde nicht von uns, sondern von
der SPD-Fraktion vorgeschlagen - sagte:
Der vorgelegte Entwurf enthält keine grundsätzliche Verschiebung des Koordinatensystems von
Freiheit und Sicherheit zulasten der Freiheit.
Das heißt, das Bundeskriminalamtgesetz ist im
Grunde in Ordnung. Deswegen werden wir es beschließen.
({4})
Die Informations- und Wissensgesellschaft ist stärker
denn je von der störungsfreien Funktion informationstechnischer Systeme abhängig. Deswegen lassen
Sie mich auf ein Amt zu sprechen kommen, das nur unter Fachleuten bekannt ist: das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Es lohnt sich, dieses
Amt zu besuchen und sich mit dem zu befassen, wovor
es uns in diesem Staat schützt. Das Thema Internet
- Schutz vor Missbrauch des Internets, Kampf gegen organisierte Kriminalität - wird immer wichtiger. Dieses
Amt führt zu Unrecht ein Schattendasein. Es ist gut, dass
wir die Mittel für dieses Amt auf 64 Millionen Euro erhöht haben. Wir werden noch viel von ihm hören.
Einige Bemerkungen zum Thema Datenschutz. Die
FDP hat gefragt, wie man überhaupt als Unionspolitiker
im Bereich der Sicherheitspolitik im Kreise der Großen
Koalition arbeiten könne. Herr Körper, wenn man es mit
den Kollegen aus der Opposition vergleicht - mit dem,
was von den Linken, den Grünen, zum Teil aber auch
von der FDP angesprochen wurde -, kann man sich im
Kreise der Großen Koalition wieder einigermaßen wohlfühlen. - Das sollte ein Lob für Sie sein.
({5})
Die Datenmissbräuche des Sommers haben doch eines gezeigt: 90 Prozent der Milliarden schutzwürdiger
Personendaten werden im privaten Sektor zwischen
Konsumenten und Wirtschaft ausgetauscht. Das heißt,
die Herausforderung stellt sich ganz anders dar, als wir
bisher angenommen haben.
({6})
Es geht nicht in erster Linie um einen übermächtigen
Staat, der den Bürgern Daten abnimmt und sie missbräuchlich verwendet. Es geht vielmehr auf der Ebene
von Bürger zu Bürger darum, dass der Bürger grob fahrlässig seine Daten preisgibt, mit denen Wirtschaftsunternehmen und andere auf rechtswidrige Weise Geld verdienen. Um diese Herausforderung geht es, und diesem
Thema widmen wir uns.
Ich bitte Sie, sich parteiübergreifend mit dem Datenmissbrauch zu befassen und sich dabei von der starren
Vorstellung von Bürger und Staat zu verabschieden. Weil
der Datenmissbrauch größtenteils von Bürger zu Bürger
erfolgt - etwa 90 Prozent der Milliarden personenbezogenen Daten entfallen auf diesen Bereich -, bitte ich Sie,
sich diesem Thema stärker zu widmen.
Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen. Die Visawarndatei wird kommen. Wir haben uns heute noch einmal auf die Einrichtung einer solchen Datei verständigt.
Das ist gut; denn wir wollen zwar die grenzüberschreitende Mobilität fördern und den Reiseverkehr erleichtern, aber die Zunahme der organisierten Kriminalität
mit Drogenhandel, Menschenhandel und Schleusertruppen vermeiden. Dieses Massengeschäft kann nur mit einer intelligenten Steuerung durch eine Visawarndatei bewältigt werden.
Auch der elektronische Personalausweis wird kommen. Er wird hochinnovativ sein.
Das heißt - damit komme ich zum Schluss, Herr Präsident -, wir werden im sicherheitspolitischen Bereich
eines Tages auf die vier Jahre der Großen Koalition als
fruchtbare und gute Jahre zurückblicken, die uns weitergebracht haben. Freiheit ist nicht denkbar ohne Sicherheit. Sicherheit kann aber nur mit den notwendigen finanziellen Mitteln gewährleistet werden. Dafür, dass Sie
immer die angemessene Balance zwischen Freiheit und
Sicherheit gefunden haben, danken wir Ihnen, Herr Minister Schäuble, und Ihren fleißigen und sachkundigen
Mitarbeitern im Innenministerium ebenso wie den Berichterstattern, die sich ganzjährig mit dem Haushalt beschäftigen.
({7})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Sebastian Edathy von
der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Handschrift der Großen Koalition im Bereich der Innenpolitik ist eindeutig. Wir gewährleisten
gemeinsam Freiheit und Sicherheit, und wir achten darauf, dass eines klar ist: Sicherheit ist, zumal im demokratischen Rechtsstaat, kein Selbstzweck, sondern hat
gegenüber der Freiheit eine dienende Funktion.
({0})
Deshalb muss immer sehr genau darauf geachtet werden,
wie wir die Sicherheitsinteressen des Staates effektiv
wahrnehmen können, ohne die Bürgerrechte der Menschen in Deutschland einzuschränken.
Es gibt eine Fülle von Projekten, bei denen diese Philosophie deutlich wird und festgestellt werden kann,
Herr Kollege Wieland, dass sich die SPD nicht nur bemüht, sondern erfolgreich durchgesetzt und der Innenpolitik ihren Stempel aufgedrückt hat.
({1})
Ich nenne in diesem Zusammenhang das schon angesprochene Gemeinsame-Dateien-Gesetz, mit dem wir
gerade nicht, wie behauptet wurde, die Grenzen zwischen den Zuständigkeiten der Polizeien und Nachrichtendienste verwischt haben.
({2})
Ich nenne zum Beispiel den elektronischen Fingerabdruck im Reisepass oder im Personalausweis. Bei Letzterem haben wir durchgesetzt, dass dies nur auf Wunsch
erfolgt, und bei Ersterem gilt wie auch bei den neuen
Personalausweisen, dass die Merkmale nicht bei den Behörden gespeichert werden - dort haben sie nichts zu suchen -, sondern ausschließlich auf den Dokumenten selber, um im Live-Abgleich sicherzustellen, dass einer
Person, die einen Ausweis mit sich führt, dieser rechtmäßig gehört. Das ist ein Beitrag zu mehr Sicherheit ohne
eine Einschränkung von Rechten der Bürgerinnen und
Bürger.
({3})
Dieses Bemühen, eine vernünftige Balance zu finden,
wird auch bei der Beratung des BKA-Gesetzentwurfs
im Innenausschuss und später im Plenum deutlich werden. Wenn wir die gestrige Sachverständigenanhörung
ernst nehmen, dann kommt ein bloßes Durchwinken des
Gesetzentwurfs nicht infrage.
({4})
Dann müssen wir noch einmal sehr genau in die Details
einsteigen. Bei aller Polemik, derer sich die Opposition
in nicht ungewöhnlicher Weise befleißigt, kann es nur
völlig unstrittig sein, dass wir ein solches Gesetz brauchen, um die Verfassungsänderung vor zwei Jahren
rechtlich umzusetzen.
({5})
Es gilt aber auch der Grundsatz, dass Kohle und Diamanten aus demselben Stoff bestehen. Mit dem Gesetzentwurf versuchen wir, aus einem Stück Kohle einen geschliffenen Diamanten zu machen. Unsere Aufgabe als
Parlament besteht nicht darin, abzunicken, was vom
Bundeskabinett kommt, sondern die Änderungen vorzunehmen, die wir für notwendig und verantwortbar halten. Das werden wir auch machen.
({6})
Wir leben - darauf sollte man gelegentlich hinweisen nicht nur in einem der sichersten Länder dieses Planeten,
sondern auch in einem der sozial intaktesten Länder.
Zum Funktionieren unserer Gesellschaft gehören nicht
nur das Gewährleisten der Freiheit - auch durch Sicherheit -, sondern auch eine gute Integrationspolitik. Wir
sind gut beraten, in den Haushaltsberatungen in den
Ausschüssen des Bundestages sehr genau darauf zu achten, ob der Entwurf ausreichend ausgestaltet ist. Ich höre
aus den Reihen der Bundesregierung, dass es für das laufende Jahr - weil die Integrations- und Sprachkurse so
gut angenommen und zunehmend vernünftig ausgestaltet werden - einen Nachtragshaushalt mit einem Volumen von 14,6 Millionen Euro geben soll. Trotzdem
haben die Bundesregierung und insbesondere der Bundesinnenminister im Haushaltsentwurf 2009 die alte,
niedrige Summe eingestellt, obwohl generell betrachtet
der Bedarf 2009 nicht geringer sein dürfte als 2008. Das
heißt, wir bräuchten in diesem Bereich eine Aufstockung. Ich rate dazu, das auch zu machen, wenn wir die
Integrationskurse weiter verbessern wollen. Wir sollten
bei kleineren Kursen höhere Sätze zahlen, um motiviertes und qualifiziertes Lehrpersonal zu bekommen.
({7})
Es ist sicherlich sinnvoll, im Bereich der Migrationserstberatung mehr zu tun. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge hat in der Vorbereitung der Haushaltsaufstellung deutlich auf einen
Mehrbedarf in Höhe von knapp 7 Millionen Euro hingewiesen. Dies ist aber im Haushaltsentwurf nicht aufgegriffen worden. Es ist nicht ausreichend, Integrationsgipfel zu veranstalten und nur am Sonntag davon zu reden,
dass wir mehr für Integration tun müssen, dann aber von
Montag bis Samstag die Hände in die Taschen zu stecken. Wir müssen auch von Montag bis Samstag im Alltag und im Haushaltsvollzug darauf achten, dass das
Ganze materiell unterlegt wird. Der Bedarf ist jedenfalls
da.
({8})
Investitionen in Integration sind Investitionen in den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.
Lassen Sie mich Folgendes am Rande anmerken - das
hat im engeren Sinn nichts mit dem Haushalt zu tun,
wohl aber viel mit Integration -: Wir müssen uns bei der
Integration immer des Grundgedankens gewahr sein,
dass es für eine Demokratie lebensnotwendig ist, dass
möglichst alle, die dauerhaft in einem Land leben, als
Bürger auf Augenhöhe zusammenleben. Das heißt, wir
müssen uns mehr Gedanken als in der Vergangenheit
darüber machen, wie wir aus Staatsbewohnern ohne
deutsche Staatsangehörigkeit Staatsbürgerinnen und
Staatsbürger machen können. Das muss sich auch in der
Ausgestaltung eines grundsätzlich begrüßenswerten
Eingliederungstests niederschlagen. Wenn der Test aber
so ausgestaltet wird, dass er zum bloßen Auswendiglernen einlädt und nicht dem Abfragen von Basiswissen
über Geschichte, Kultur und demokratische Struktur in
Deutschland dient, dann setzt er Fehlanreize. Man kann
zwar sagen, dass Auswendiglernen etwas typisch Deutsches sei. Das kann aber nicht Sinn eines solchen Tests
sein. Er darf nicht abschrecken, sondern sollte zum
Schritt der Einbürgerung in Deutschland ermuntern.
({9})
Ernsthaftigkeit ist auch beim Datenschutz gefordert.
Wir müssen darüber reden, ob eine Anhebung des Etats
des Bundesdatenschutzbeauftragten um - man höre und
staune - 22 000 Euro ausreichend ist. Ich jedenfalls habe
daran erhebliche Zweifel. Wir müssen darüber diskutieren, wie sich die Möglichkeiten des Datenschutzbeauftragten und seines Amtes verbessern lassen. Ich begrüße
es als Vorsitzender des Innenausschusses sehr, dass der
Bundesinnenminister die Initiative ergriffen hat, das
Bundesdatenschutzrecht auf den Prüfstand zu stellen,
und Vorschläge für seine Weiterentwicklung gemacht
hat. Wir dürfen diese Debatte aber nicht allein der Exekutive und den Datenschutzbeauftragten überlassen,
sondern müssen sie auch im Parlament führen. Wir haben gleich um 17.30 Uhr ein Gespräch der Parlamenta18622
rier aus dem Innenausschuss zum Thema Datenschutz.
Leider hat die Union gestern Nachmittag ihre Teilnahme
abgesagt.
({10})
Aber das wird sicherlich nicht das einzige Gespräch
sein.
Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir, die Parlamentarier, uns dieses Themas annehmen und nicht nur
auf Vorschläge der Regierung warten, sondern selber Initiativen ergreifen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten
zu Recht den Staat nicht vor ihrer Nase, sondern an ihrer
Seite, gerade wenn es um Bürgerrechte geht, zu denen
zweifellos auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehört.
Ich freue mich auf spannende Beratungen in den Ausschüssen und auf gute Resultate.
({11})
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in Lebanon ({0}) auf Grundlage
der Resolutionen 1701 ({1}) und 1832 ({2})
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 11. August 2006 bzw. 27. August 2008
- Drucksache 16/10207 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
das Wort.
({4})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Sie erinnern sich wie ich an den
unruhigen Sommer 2006, als Menschen im Nahen Osten
in den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israel und der Hisbollah starben und als wir Wochen, am
Ende Tage und Stunden darum gerungen haben, dass die
Waffen schweigen.
Und Sie erinnern sich wie ich, dass es uns in diesem
Hohen Haus nicht ganz leichtgefallen ist, zu beschließen, dass wir mit deutschen Soldatinnen und Soldaten
daran teilhaben, diesen mühsam errungenen Waffenstillstand abzusichern und für den Wiederaufbau im Libanon
zu sorgen. Das ist keinem leichtgefallen; ich weiß das
und habe es in guter Erinnerung. Aber wir haben uns
sehr bewusst zu einer aktiven deutschen Rolle in dieser
für uns Europäer so wichtigen Nachbarregion entschlossen. Ich glaube, ich kann heute nach zwei Jahren rückblickend feststellen: Auch wenn die Entscheidung schwer
war, war es eine richtige Entscheidung.
({0})
Ich darf wohl sagen, dass die UNIFIL ihren schwierigen Auftrag erfolgreich erfüllt hat. Das gilt gerade auch
für die maritime Komponente, die bis Ende Februar unter deutscher Führung stattfand. Der Waffenschmuggel
über See konnte verhindert werden. UNIFIL hat mehr
als 18 000 Anfragen durchgeführt, mehr als 160 Schiffe
wurden von den libanesischen Behörden überprüft. Ich
glaube, ich darf auch sagen, dass UNIFIL einen ganz
wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Libanon und
zur Stabilisierung der gesamten Region hat leisten können. Ministerpräsident Siniora und Ministerpräsident
Olmert haben das in mehreren öffentlichen Reden unabhängig voneinander bestätigt.
({1})
Wir können politisch stolz sein auf diese Entscheidung. Aber vor allen Dingen haben wir den Soldatinnen
und Soldaten zu danken, die bei UNIFIL ihren Dienst
tun. Das muss in diesem Hohen Hause auch gesagt sein.
({2})
Zwei Ziele haben wir von Anfang an verfolgt. Erstes
Ziel war die Unterbindung des Waffenschmuggels; das
sagte ich bereits. Zweitens galt es, bilaterale Hilfe zu
leisten und den Libanon nach und nach zu befähigen, die
Verantwortung für die seeseitige Sicherung der Landesgrenzen zu übernehmen. Inzwischen konnte das Küstenradarsystem etabliert, Personal dafür ausgebildet
werden. Das ist ein ganz wichtiger Schritt - der Verteidigungsminister wird das, denke ich, gleich bestätigen -,
weil der Libanon damit zum ersten Mal über ein eigenes
Lagebild von der Küste vor dem Libanon verfügt. Wir
unterstützen damit den Libanon bei der Verbesserung
und Etablierung eines eigenen Grenzschutzes zur Seeseite hin.
Wir tun das Gleiche mithilfe von Zoll und Bundespolizei in einem Projekt an der Grenze zwischen Libanon und Syrien. Ohne Bundespolizei und Zoll wäre dieses Projekt nicht gelungen. Herzlichen Dank also auch
an Zoll und Bundespolizei.
({3})
Die innenpolitische Lage im Libanon hier in wenigen
Minuten zu umschreiben, ist nicht ganz einfach. Sie ist
nach wie vor hoch komplex. Aber wir haben in der letzten Zeit doch einige hoffnungsvolle Zeichen gesehen.
Mit der Wahl des Präsidenten Suleiman ist einiges in
Gang gekommen, was in der Tat Hoffnung macht. Es
gibt eine neue Regierung, und die Verfassungsinstitutionen werden wieder handlungsfähig. Heute, am 16. September, beginnt der im Kompromiss von Doha vereinbarte Nationale Dialog, in dem die Rolle der Hisbollah
thematisiert wird und in dem gleichzeitig das Gewaltmonopol des Staates zwischen den unterschiedlichen politischen Kräften im Libanon definiert werden soll. Wir
können nur hoffen, dass das gelingt.
Da ich bei der Situation im Libanon bin, ein Wort
zum regionalen Kontext, in dem diese vorsichtige Stabilisierung im Libanon stattfindet. Wir haben auch gesehen, dass es einige konstruktive Signale in den letzten
Monaten von Syrien aus in Richtung Libanon gab. Wir
wollen nicht zu früh jubeln, aber nach den letzten Gesprächen, die stattgefunden haben, rücken jetzt doch die
Eröffnung diplomatischer Beziehungen und der Austausch von Botschaftern zwischen Libanon und Syrien in
greifbare Nähe. Zu diesen hoffnungsvollen Anzeichen
gehört auch, dass immerhin indirekte Gespräche zwischen Syrien und Israel stattgefunden haben - wie Sie
wissen, auf türkische Vermittlung hin.
Auch wenn es diese positiven Anzeichen gibt - damit
komme ich zum Schluss -, bleibt die UNIFIL-Mission
dennoch von entscheidender Bedeutung. Das ist nicht allein unsere Sicht der Dinge, sondern Sie haben gesehen,
dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Mandat um ein weiteres Jahr verlängert hat. Die Mission
bleibt unentbehrlich, aber auch die deutsche Beteiligung
daran. Das erwarten auch die Menschen in der Region,
insbesondere die im Libanon. Deshalb darf ich Sie ganz
herzlich um die Zustimmung zu dem vorliegenden Antrag der Bundesregierung bitten. Ich weise zusätzlich
darauf hin, dass das Mandat bis zum 15. Dezember
nächsten Jahres befristet ist, um dann dem neuen Bundestag die Möglichkeit zu geben, über die Zukunft unseres Engagements in der Region und bei UNIFIL zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Kollegin Elke Hoff von der FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Minister Steinmeier, ich bin sehr dankbar, dass Sie
darauf hingewiesen haben, wie schwierig es ist, in fünf
Minuten die sehr komplexe Lage im Libanon zu erörtern. Insofern teilen wir beide heute das gleiche Schicksal. Auch wir haben leider nur fünf Minuten zur Verfügung.
({0})
Auch bin ich froh, dass Sie noch einmal darauf hingewiesen haben, wie schwierig die Entscheidungsfindung
seinerzeit war, als das UNIFIL-Mandat auf den Weg gebracht worden ist. Ich denke, dass auch die FDP-Fraktion respektable Gründe dafür vorgetragen hat, warum
wir seinerzeit einer Beteiligung der Bundeswehr an
UNIFIL nicht haben zustimmen können. Ich möchte
auch jetzt darauf hinweisen, dass sich unsere Haltung in
der Frage nicht geändert hat.
({1})
Die FDP hat den letzten beiden Anträgen auf Erteilung eines Mandats mehrheitlich nicht zugestimmt, weil
wir der Auffassung waren, dass ein Einsatz der Bundeswehr ohne einen umfassenden politischen Prozess unter
Beteiligung aller Konfliktparteien wenig Sinn ergibt.
Die deutsche Marine hatte durch Mandatierung von
UNIFIL darüber hinaus einen Auftrag erhalten, dessen
Wirksamkeit zu Beginn durch eine Reihe von restriktiven Rahmenbedingungen begrenzt war. Die Einsatzbefugnisse hingen und hängen weitestgehend von der Kooperationsbereitschaft der libanesischen Regierung ab.
Trotz unserer Ablehnung des Bundeswehreinsatzes
selbst möchten wir genauso wie Herr Minister
Steinmeier den Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten an
dieser Stelle unseren Dank dafür aussprechen, dass sie
diese Aufgabe selbstverständlich in einer sehr professionellen und sehr engagierten Art erledigt haben.
({2})
Die innenpolitische Situation im Libanon macht es jedoch weiterhin nahezu unmöglich, die Resolution 1701
der Vereinten Nationen tatsächlich mit Leben zu erfüllen. Trotz der militärischen Präsenz sind die wesentlichen Ziele der VN-Resolution in keiner Weise erreicht
worden; denn alleine die Beendigung der Seeblockade
als eine Dauerrechtfertigung des Einsatzes zu proklamieren, genügt nach unserer Auffassung nicht.
In welchem Umfang hat denn die libanesische Regierung bisher tatsächlich dafür sorgen können, dass die
Hisbollah entwaffnet wird? Sie ist bis heute nicht in der
Lage dazu, weil ihr die notwendigen und die funktionierenden Machtmittel fehlen. Die Hisbollah hat sich insbesondere in den libanesischen Schiitenregionen als sozialer und gesellschaftlicher Faktor etabliert und betreibt
trotz Anwesenheit von UNIFIL ein effektives politisches
Regime eben auch in Fragen der Sicherheit. Da sich die
landseitige Grenzsicherung bis heute nicht wesentlich
verbessert hat, findet nach wie vor Waffenschmuggel in
großem Umfang statt.
({3})
Es sollte uns wirklich zu denken geben, wenn sich die
Hisbollah heute damit brüstet, dass sie über mehr und
bessere Waffen und Ausrüstung verfügt, als es im Krieg
im Sommer 2006 der Fall war.
Die innenpolitische Lage im Libanon hat sich nur geringfügig stabilisiert. Die Lage an der Blauen Linie ist
weiterhin angespannt. Die Besetzung des Grenzdorfes
Ghajjar und der Schabaa-Farm durch Israel bestehen
weiter. Auf der anderen Seite finden weiterhin in großem
Umfang Überflüge der israelischen Luftwaffe über libanesischem Territorium statt. Selbst UN-Generalsekretär
Ban Ki-moon spricht von einem Rekord von Überflugaktivitäten. Solange der massive Waffenschmuggel über
die syrisch-libanesische Grenze und die Aufrüstung der
Hisbollah kein Ende finden, wird die internationale Gemeinschaft Israel von diesen Überflügen auch nur sehr
schwer abhalten können.
Auch der Umstand, dass die israelische Regierung
UNIFIL angewiesen hat, abgeschossene israelische Piloten nicht, wie in den Verfahrensregeln von Resolution
1701 vorgesehen, an die libanesische Armee, sondern an
die israelische Seite zu übergeben, zeigt, wie angespannt
die Situation zwischen den Konfliktparteien nach wie
vor ist. Daher sind die Vorbehalte, die die FDP-Bundestagsfraktion gegenüber dem UNIFIL-Einsatz bereits in
den letzten beiden Jahren geäußert hat, nicht ausgeräumt. Wir haben immer wieder deutlich gemacht, dass
diplomatische Bemühungen in Nahost ein geeigneterer
deutscher Beitrag wären als eine militärische Präsenz.
({4})
Daher begrüßen wir ausdrücklich die internationalen Bemühungen auf diplomatischer Ebene, die zu einer Annäherung zwischen Syrien und dem Libanon, aber auch
zwischen Israel und Syrien geführt haben. Wir hoffen
sehr, dass Deutschland innerhalb dieser diplomatischen
Verhandlungen in der Zukunft eine größere Rolle als bisher spielen wird und die Verhandlungsergebnisse dann
auch wirklich Bestand haben werden.
Einen ersten Schritt zum Ausstieg aus der UNIFILMission hat die Bundesregierung mit der Absenkung des
personellen und finanziellen Ansatzes bereits getan. Ich
erlaube mir, auch an dieser Stelle die Frage zu stellen, ob
wir im nächsten Jahr hier tatsächlich noch einmal über
eine weitere Verlängerung des UNIFIL-Mandates beraten werden. Die libanesische Regierung muss mit Nachdruck in die Lage versetzt werden - das hat auch der Minister mit Recht vorgetragen -, selbst die eigene Küste
und die territorialen Gewässer zu überwachen. Deshalb
sind die Maßnahmen, die Deutschland im Rahmen der
Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung der libanesischen Marine leistet, sinnvoll und notwendig.
Wir sind trotzdem der Auffassung, dass es auch durch
massive Forderungen der Bundesregierung dazu kommen muss, eine weitere Nahostkonferenz in dieser sensiblen Region durchzuführen, je eher, desto besser. Herr
Minister, ich hoffe, dass in Ihrem Hause die entsprechenden Anstrengungen unternommen werden. Denn besser
als jegliche militärische Dauerpräsenz vor Ort ist es, zu
zeigen, dass die internationale Gemeinschaft nicht nur
ein Interesse daran hat, durch das Entsenden von Truppen einen Beitrag zu leisten, sondern auch daran, diese
Krisenregion nachhaltig zu stabilisieren und eine politische Lösung zu finden. Da werden Sie die Unterstützung
der FDP-Fraktion erhalten. Wir werden aber nach wie vor
eine Beteiligung der Bundeswehr an der UNIFIL-Mission
in der vorgelegten Form ablehnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat jetzt der Bundesminister Dr. Franz Josef
Jung.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Bundesregierung bittet den Deutschen Bundestag um Zustimmung zur Verlängerung der Teilnahme
der Bundeswehr an der UNIFIL-Mission der Vereinten
Nationen vor der Küste des Libanon. Frau Kollegin
Hoff, ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie es war,
als wir am Beginn der Debatte standen. Der Kollege
Steinmeier hat gerade darauf hingewiesen, was alles an
kritischen Punkten, was an Bedenken dort vorgetragen
worden ist. Wenn wir heute sehen, wie erfolgreich diese
Mission durchgeführt worden ist, dann, finde ich, können wir unseren Soldatinnen und Soldaten für die Gewährleistung der Seesicherheit und entscheidend auch
für die Umsetzung des Waffenstillstands nur dankbar
sein. Ich würde mir wünschen, Frau Kollegin Hoff, dass
die FDP heute die Kraft hätte, das einzusehen und dem
Mandat zuzustimmen.
({0})
Wir haben zu Beginn dieses Einsatzes die Führung
der Maritime Task Force übernommen. Ich bitte Sie, sich
an die kriegerischen Auseinandersetzungen zu erinnern.
Ohne die Resolution der Vereinten Nationen, ohne den
Einsatz von UNIFIL hätten die Waffen nicht geschwiegen.
({1})
Ich kann deshalb nicht davon reden, dass man zunächst
die diplomatischen Bemühungen fortsetzen musste. Ich
werde diplomatisch nur dann einen Erfolg erreichen,
wenn ich vorher gewährleiste, dass die Waffen schweigen. Das war die Grundvoraussetzung für den Einsatz
von UNIFIL. Das ist ein sehr erfolgreicher Einsatz der
Bundeswehr.
({2})
Wir hatten und haben den Auftrag, Seesicherheit herzustellen. Die Zahlen muss man sich in Ruhe noch einBundesminister Dr. Franz Josef Jung
mal vergegenwärtigen - Kollege Steinmeier hat es auch
angesprochen -: Es sind 18 324 Schiffe - so die exakte
Zahl - abgefragt worden.
({3})
Es sind fast 160 Schiffe in die Häfen gebracht und entsprechend durchsucht worden. Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Hoff, der Waffenschmuggel über See ist unterbunden worden.
({4})
Wir können deutlich sagen, dass keine Waffen über See
geschmuggelt werden. Das ist auch ein Punkt, der letztlich Seesicherheit gewährleistet. Das war unser Auftrag,
und diesen Auftrag haben wir, wie ich finde, in hervorragender Art und Weise erfüllt.
({5})
Es gab natürlich einen zweiten Aspekt. Die israelische Seeblockade ist aufgehoben worden. Dass sie aufgehoben worden ist, hat auch etwas mit einer Perspektive im Hinblick auf die Souveränität des Libanon zu
tun. Auch das gehört zu dem Thema.
In Israel hat damals eine Befragung dazu stattgefunden, ob die Bundeswehr zum ersten Mal bei einem solchen Einsatz mitwirken soll. 73 Prozent der israelischen
Bevölkerung haben gesagt, dass sie den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen eines solchen Mandats befürworten. Das zeigt aus meiner Sicht, welches Vertrauen die
Bundeswehr im Hinblick auf solche friedenserhaltenden
Einsätze in der Welt mittlerweile erworben hat.
({6})
Sowohl Israel als auch der Libanon schätzen unseren
Einsatz. Das ist mit eine Voraussetzung dafür, dass es
eine Perspektive gibt, auch und gerade für diplomatische
Bemühungen, um im Nahen Osten zu einer friedlichen
Entwicklung zu kommen.
Derzeit sind konkret zwei Minensuchboote und ein
Versorgungsschiff im Einsatz. Der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen hat, wie Sie wissen, das Mandat verlängert. Es stellt sich die Frage, wie wir weiterhin daran
mitwirken, dass die Souveränität des Libanon gestärkt
wird und der Libanon auch in die Lage versetzt wird,
selbst für die Sicherheit, gerade im Bereich der Küsten,
zu sorgen.
Dazu gehört, dass wir dort sechs Küstenradarstationen aufgebaut haben. Dazu gehört, dass wir dem Libanon drei Boote überlassen haben, die auch in der Lage
sind, dort entsprechende Einsätze zu fahren, und dass
wir in der Ausbildung Fortschritte erzielt haben. Ich
hatte Gelegenheit, mich mit dem heutigen Präsidenten
- damals war er noch Generalstabschef - davon zu überzeugen, in welcher Art und Weise die Ausbildung dort
erfolgt. Ich denke, dass wir dabei einen entscheidenden
Schritt nach vorn gekommen sind. Der Libanon ist zwischenzeitlich in der Lage, beispielsweise Seenotrettung
durchzuführen. Er ist in der Lage, teilweise Überwachung oder Kontrolle des Seeverkehrs vorzunehmen.
Die Fähigkeiten reichen noch nicht aus, um letztlich alles aus eigener Kraft zu gewährleisten, aber ich denke,
wir sind im Zusammenhang mit diesem Mandat auf einem richtigen Weg.
Da wir hier ein Stück vorangekommen sind, ist es aus
unserer Sicht auch möglich, die Mandatsobergrenze von
derzeit 1 400 Soldaten auf 1 200 Soldaten abzusenken.
Ich finde auch, dass es richtig ist, dass wir die Klärung
der Frage eines neuen Mandats im nächsten Jahr nicht
unmittelbar in die Zeit der Bundestagswahl legen. Vielmehr soll der neue Bundestag die Chance haben, die Fragen einer Mandatsverlängerung - ob und inwiefern - aus
eigener Kompetenz zu entscheiden. Deshalb halte ich es
für richtig, dass wir das Mandat bis zum 15. Dezember
2009 verlängern.
Ich denke, es ist richtig, die Verlängerung in dieser
Art und Weise umzusetzen. Ich bitte Sie um Ihre Zustimmung. Möge es eine breite Zustimmung zur Verlängerung des Mandats, zur Gewährleistung einer friedlichen
Entwicklung im Nahen Osten, zur Gewährleistung der
Souveränität des Libanon und damit auch zur Gewährleistung unserer eigenen Sicherheit sein.
Besten Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gehrcke von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu
Beginn möchte ich noch einmal klarstellen, dass die
Fraktion Die Linke damals nicht gegen die UNIFIL-Mission gestimmt hat. Die haben wir immer für notwendig
gehalten, weil ein Waffenstillstand ohne die UNIFILMission ebenso unmöglich gewesen wäre wie eine Aufhebung der Seeblockade. Das war völlig klar. Wir haben
uns dagegen ausgesprochen, und ich trage Ihnen noch
einmal unsere Bedenken dagegen vor, dass die Bundeswehr sich in dieser Art und Weise an der Mission beteiligt.
Ich muss ehrlich sagen, ich finde die Art und Weise,
in der mit der Kollegin Hoff von der FDP umgesprungen
wurde, bedenklich. Man prüft Bedenken nicht nach.
Man prüft nicht, ob da etwas dran ist. Man sagt, der Beweis ist erbracht, es ist nichts passiert. Das erinnert mich
an den blöden Witz, bei dem jemand aus dem 20. Stockwerk fällt. Als er am 15. Stockwerk vorbei fällt, sagt er,
bis hierher ist gar nichts passiert. Man kann über die
Dinge auch etwas tiefer nachdenken.
Unsere Bedenken gegen den Einsatz der Bundeswehr
in dieser Mission liegen darin, dass wir der Auffassung
sind, dass vor allem neutrale Staaten diese Konfliktlinie
überwachen sollen. Das ist auch der Geist der UNO-Resolution. Zusätzlich wäre es uns immer lieber gewesen,
wenn die Kontrollen auf beiden Seiten der Grenze stattgefunden hätten, nicht nur im Libanon selbst.
Deutschland konnte in diesem Konflikt nicht neutral
sein, und es ist nicht neutral. Das war das generelle Problem, und das hat die Bundeskanzlerin auch in Reden
deutlich gemacht. Wenn Sie den Text der Resolution der
Vereinten Nationen lesen, dann sehen Sie, dass dort nicht
steht, dieser Einsatz ist ein Einsatz zur Solidarität mit Israel. So ist der Einsatz aber von der Bundeskanzlerin immer dargestellt worden. Das war unser erstes Argument.
Dieses Argument ist nicht aus der Welt.
Herr Außenminister, Sie wissen es genauso gut, wie
ich es ahne: Für uns war es die rote Linie, dass auch die
Bundeswehr im Nahen Osten eingesetzt wird. Wenn man
darüber nachdenkt, was für Veränderungen und Vereinbarungen im Nahen Osten möglicherweise auf uns zukommen, dann wird die Forderung nach internationalen
Militäreinsätzen immer wieder auf den Tisch kommen.
Wenn Sie erst einmal einen Präzedenzfall geschaffen haben, dann haben Sie wenige Argumente, um zu begründen, warum die Bundeswehr nicht auch in anderen Bereichen eingesetzt werden soll. Das war unser zweites
Argument. Beide Argumente bestehen fort.
Drittens hätte ich erwartet, dass der Herr Außenminister und Kanzlerkandidat einen Satz zu dem Folgenden
sagt: Der Libanon ist in einer gewissen Art und Weise an
die Entwicklungen im Iran gekoppelt. Wir haben immer
die Sorge gehabt, dass die schlimme Bemerkung, dass
alle Optionen - auch die militärischen gegen den Iran auf dem Tisch bleiben, in diesen Konflikt einfließt. Herr
Steinmeier, ich wäre sehr froh gewesen, wenn Sie hier
für die Bundesregierung deutlich gesagt hätten: Für die
Regierung der Bundesrepublik Deutschland kommt ein
militärisches Vorgehen gegen den Iran nicht infrage. Solche Debatten können doch ein Stück Klarheit bringen.
({0})
Ein letztes Argument: Der Libanon selbst stand mehrfach am Rande eines Bürgerkriegs, und die Gefahr ist
leider bis heute nicht endgültig gebannt. Auf der Plusseite würde ich die Wahl des Präsidenten einordnen.
Diese war notwendig und schwierig genug. Auf der
Plusseite würde ich auch einrangieren, dass zwischen
Syrien und dem Libanon diplomatische Beziehungen
aufgenommen worden sind. Ich verhehle hier überhaupt
nicht, dass die deutsche Politik daran einen Anteil hat.
Ich möchte, dass die Bundesregierung couragiert,
auch gegen die USA, weiter an ihrer Auffassung festhält,
dass Syrien eng in den Friedensprozess einbezogen werden muss.
({1})
Auch Syrien wird sehen, dass es sich lohnt. Wenn Syrien
wieder abgestraft wird, wenn sich bezüglich der Frage
der Golanhöhen nichts verändert und Syrien nicht weiter
in den Friedensprozess einbezogen wird, wird es keine
Stabilisierung geben. Ich benutze nun ein Argument, das
auch schon Kollegin Hoff benutzt hat: Letztlich muss
der politische Prozess im Nahen Osten im Zentrum stehen. Der muss befördert werden. Darüber werden wir ja
bei der Schlussrunde noch ein wenig diskutieren können.
Ich wollte Ihnen nur deutlich machen: Es gibt genügend Argumente dafür, die auch heute noch aufrechtzuerhalten sind, dass eine Beteiligung der Bundeswehr an
dieser Mission nicht besonders sinnvoll gewesen ist.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Winfried Nachtwei
von Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor
zwei Jahren beschloss der UN-Sicherheitsrat die Stärkung der schon bestehenden Libanon-Mission UNIFIL.
Dieses war damals unbedingt notwendig, um den Waffenstillstand abzusichern und die israelische See- und
Luftblockade aufzuheben. Damals gab es - daran wurde
heute auch schon von einigen erinnert - erhebliche Bedenken. Heute können wir feststellen - das hat sich im
letzten Jahr schon angebahnt -:
Erstens. Die Libanon-Mission UNIFIL hat ihren Auftrag der Waffenstillstandsabsicherung voll erfüllt.
({0})
Auf der Seeseite hat sie ebenfalls ihren Auftrag erfüllt:
Seit einiger Zeit können wieder Seeverkehr und Seehandel wie vor dem Krieg stattfinden. Die Bedenken, die es
damals gegeben hat, haben sich nicht bewahrheitet; das
kann man überprüfen. Deutschland hat sich nämlich sehr
wohl als neutraler Beteiligter dieser UN-Mission erwiesen. Die Reaktionen von allen Konfliktparteien belegen
das eindeutig.
Zweitens. Provokative Überflüge seitens der israelischen Luftwaffe, die es anfangs immer wieder gegeben
hat, sind seit vorigem Jahr auf der Seeseite nicht mehr
vorgekommen. Die entsprechenden Waffenstillstandsbrüche auf Landseite gibt es allerdings weiterhin.
Drittens. Die Einsatzregeln, mit denen sich Kollegin
Homburger damals ja sehr intensiv vom Feldherrnhügel
des Parlaments aus beschäftigt hat, haben sich eindeutig
bewährt. Sie waren richtig für den Ansatz der Unterstützung, den wir verfolgten. Es handelte sich ja nicht um einen Protektoratseinsatz.
({1})
Viertens. Bezüglich der Befürchtungen in Richtung
Iran, die auch bei uns im Hintergrund standen, kann man
eindeutig festhalten: Es gab keinen militärischen Flankenschutz für irgendwelche Drohgebärden oder Aufmärsche
gegen den Iran. Im Gegenteil: Wir können feststellen,
dass im Laufe dieser zwei Jahre eine schrittweise Reduzierung unseres Marinekontingentes möglich wurde.
Zugleich ist die zweite Aufgabe, die in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird, nämlich die Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe, um die Libanesen selbst in
die Lage zu versetzen, ihre Territorialgewässer zu schützen, sehr gut gelaufen. Diese Aufgabe spielte für unsere
Marineeinheiten bei der UNIFIL-Mission eine so große
Rolle wie bei noch keinem anderen Einsatz bisher. Das
heißt, solche Maßnahmen haben dazu beigetragen, dass
es hier tatsächlich eine reale Exit-Perspektive gibt.
({2})
Die UNIFIL-Beteiligung ist notwendig, verantwortbar und erfolgreich, aber selbstverständlich nicht hinreichend zur Stärkung des gesamten Friedensprozesses und
selbstverständlich auch nicht hinreichend zur kompletten
Absicherung des Waffenstillstandes. Dazu würde gehören, den Waffenschmuggel ganz unter Kontrolle zu
bekommen. Die Bundesregierung hat hierbei vor zwei
Jahren eine wichtige Aufgabe übernommen, indem sie
verantwortlich beim Grenzmanagement mitwirkt. Leider
muss ich in der FAZ vom 5. Juni dieses Jahres lesen, dass
es mit diesem Ansatz vor Ort äußerst trübe aussieht und
dass dieser wichtige Anteil vom Scheitern bedroht ist.
Mich erinnert das sehr an die europäische Polizeimission
in Kabul.
({3})
Hier, meine Herren Minister - da ist natürlich der Außenminister gefragt oder vielleicht einmal der Innenminister -, wären von Ihnen klare Worte zu der jetzigen
Situation gefragt und dazu, wie man aus dem Schlamassel herauskommen will.
Ich habe sehr deutlich in Erinnerung, dass die FDP
und die Linke sehr für die Stärkung der Vereinten Nationen sind; die anderen Fraktionen auch, aber Sie haben
das immer betont.
({4})
Vor dem Hintergrund kann ich nicht verstehen, wie Sie
einer deutschen Beteiligung an einer von den Vereinten
Nationen geführten Mission mit einer sehr bunten Zusammensetzung - Chinesen sind dabei, Indonesier usw. die rote Karte zeigen können,
({5})
wo doch diese Mission für das weitere Einhalten des
Waffenstillstandes offenkundig dringend notwendig,
verantwortbar und erfolgreich ist. Das haben Sie übrigens in Ihren Reden heute in keiner Weise zeigen können.
({6})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Niels Annen von der
SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Herr Präsident! - Meine Damen und
Herren! Ich finde diese Debatte sachlich und angemessen. Trotzdem eine Bemerkung, Herr Kollege Gehrcke:
Wenn die Wahrnehmung der Konfliktparteien tatsächlich
die gewesen wäre, dass wir uns sozusagen an einer maritimen militärischen Solidaritätsaktion für Israel beteiligt
hätten, dann ließe sich daraus nicht erklären, dass nicht
nur der libanesische Ministerpräsident das deutsche
Engagement begrüßt hat, sondern dass auch das damalige libanesische Kabinett, dem, wie Sie sich erinnern
werden, zu diesem Zeitpunkt auch die Hisbollah angehört hat, dieses Engagement unterstützt hat. Dass das bis
zum heutigen Tage ein erfolgreiches Engagement gewesen ist, ist, glaube ich, auch aus der Debatte deutlich geworden.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich glaube,
dass es sich in der Tat lohnt, einmal zurückzuschauen
und sich zu erinnern, wo wir vor zwölf Monaten standen.
Seinerzeit ist gesagt worden, dass sich die schwierige innenpolitische Konstellation nicht aufgelöst hat - das ist
hier aber auch gar nicht die These gewesen - und dass
sich die unterschiedlichen politischen Parteien, Fraktionen, Sekten, Kräfte nicht einmal auf einen einigermaßen
konsensualen Prozess einigen konnten, um einen libanesischen Präsidenten zu nominieren.
Das hat sich inzwischen glücklicherweise anders dargestellt. Wenn wir uns daran erinnern, wie viele Opfer
wir zu beklagen hatten, sowohl auf israelischer als auch
auf libanesischer Seite, dann, finde ich, gibt es ein relativ
simples, aber überzeugendes Argument dafür, dass die
damalige Entscheidung des Deutschen Bundestages,
dem Antrag der Bundesregierung zuzustimmen, richtig
gewesen ist: Wir konnten fundamental dazu beitragen,
dass der Waffenstillstand zustande kam und dass er bis
heute hält.
Ich bin wenige Tage nach dem Waffenstillstand in
Beirut gewesen und durch die zerstörten Stadtviertel gegangen.
({1})
Ich glaube, dass es sich allemal gelohnt hat, die in der
Tat schwierige Entscheidung zu treffen, deutsche Truppen in eine solche Region zu entsenden. Wir sollten den
Soldatinnen und Soldaten dankbar sein für den Beitrag,
den sie an dieser Stelle geleistet haben und immer noch
leisten.
({2})
Ein Zweites ist doch richtig, Herr Kollege Gehrcke:
Wir haben hier niemals gesagt, dass wir allein mit militärischen Mitteln in der Lage sein könnten, zu einer dauerhaften Konfliktlösung beizutragen. Ich habe viele Reden
von Vertretern Ihrer Fraktion im Kopf, die immer gesagt
haben: Mit Militär allein kann man keine Probleme lösen. - Jetzt sage ich Ihnen: Das ist doch nun wirklich das
Paradebeispiel dafür, dass wir versucht haben, mit unterschiedlichen Instrumenten, vor allem mit dem Instrument der Diplomatie und auch mit dem Instrument des
Militärs sowie - das sage ich an dieser Stelle mit einem
Dank - mit dem Instrument, das das Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung an
dieser Stelle beigesteuert hat, dazu beizutragen, dass es
heute sogar eine Anbahnung zwischen Syrien und dem
Libanon gibt, dass wir kurz vor der Aufnahme diplomatischer Beziehungen stehen und dass es auch einen Dialog gibt, in dem das schwierige Land Syrien eine Rolle
spielt. Denken Sie einmal an die Mittelmeerkonferenz,
wo Herr Sarkozy nicht zuletzt von der schwierigen und
mühsamen Arbeit im Hintergrund profitiert hat, die der
Bundesaußenminister in den zurückliegenden zwölf Monaten geleistet hat.
({3})
Meine Damen und Herren, was wir angesichts der
Lage im Libanon und der regionalen Situation brauchen,
sind Zeit und Raum für den weiterhin notwendigen politischen Prozess. Ich bin ganz optimistisch, dass wir diesen Einsatz im nächsten Jahr möglicherweise nicht verlängern müssen. Aber welchen Sinn macht denn jetzt
eine Festlegung angesichts dessen, dass wir gar nicht
wissen, ob die Stabilität, die wir mühsam erreichen
konnten, angesichts der vielen Ungewissheiten und
schwierigen Herausforderungen in der Region überhaupt
hält?
Ich bitte Sie, dem Antrag der Bundesregierung, dieses
Engagement fortzusetzen, heute stattzugeben. Ich
glaube, wir alle können uns sicher sein, dass die Bundesregierung mit dem Außenminister, dem Verteidigungsminister und den Kräften, die in der Region gewirkt haben und wirken, zu dieser Stabilisierung beiträgt. Dass
das nicht immer eine große Showveranstaltung sein
muss, wie das der eine oder andere auf der europäischen
Bühne in den letzten Monaten ein wenig hat anklingen
lassen, und dass wir uns der mühsamen Arbeit stellen,
das ist, glaube ich, deutlich geworden. Diese Aufgabe ist
aller Mühe wert.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/10207 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
a) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur ({0}) auf Grundlage
der Resolution 1769 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
und weiterer Mandatsverlängerungen durch
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/10106 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({2})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Beratung des Antrags der Bundesregierung
Fortsetzung der Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Friedensmission der Vereinten
Nationen im Sudan ({3}) auf Grundlage
der Resolution 1590 ({4}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 24. März 2005
und weiterer Mandatsverlängerungen durch
den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/10104 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache wiederum eine halbe Stunde vorgesehen.
Findet das Ihr Einverständnis? - Das ist der Fall. Dann
ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile wiederum das
Wort dem Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier.
({6})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Die humanitäre Lage in Darfur ist
unverändert dramatisch. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen 2003 sind mindestens 200 000 Menschen ums Leben gekommen. 2,2 Millionen Menschen
sind auf der Flucht; mindestens 200 000 von ihnen sind
im Tschad.
Sie wissen, trotz vielfältiger Bemühungen von vielen
Seiten konnten die Kämpfe nicht beendet werden. Absprachen werden, soweit sie überhaupt getroffen werden
konnten, von allen Seiten gebrochen. Dabei wissen wir
alle: Eine politische Lösung ist unabdingbar. Die sudanesische Regierung wie die Rebellenorganisationen bleiben natürlich dringlichst aufgerufen, die Gewalt zu
beenden und zum Verhandlungstisch zurückzukehren.
Unsere Unterstützung gilt den neuen Verhandlungsbemühungen des AU-Sondergesandten Bassolé, der gerade
in diesen Tagen in der Region unterwegs ist.
Nach all dem bleiben diese Friedensbemühungen und
die Unterstützung durch UNAMID weiterhin erforderlich - durch Stabilisierung der Lage vor Ort, wo immer
das geht, und, wo nötig, durch den Schutz von Zivilisten
und humanitären Helfern. UNAMID bleibt - Sie wissen
das - auf die Unterstützung von Staaten angewiesen. Gegenwärtig verfügt die UNAMID-Mission über 10 000 von
insgesamt vorgesehenen 26 000 Soldaten, die ganz überwiegend von afrikanischen Staaten gestellt werden sollen. Wir engagieren uns von deutscher Seite aus mit Soldatinnen und Soldaten durchaus in Schlüsselfunktionen,
etwa in der Transportunterstützung. Wir haben strategischen Lufttransport angeboten. Das begründet auch die
Größenordnung des Mandates. Wenn angefordert, müssen wir kurzzeitig hochfahren. Deshalb benötigen wir
ein Mandat in der Größenordnung von 250 Soldatinnen
und Soldaten.
Da der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen am vergangenen Freitag und Samstag in Berlin war
und auf der Botschafterkonferenz gesprochen hat, will
ich es nicht versäumen, hinzuzufügen, dass wir jenseits
der Beteiligung an der Mission auch Ausbildungsaufgaben im Kofi-Annan-International-Peacekeeping-TrainingCenter in Accra/Ghana übernehmen. Wir sind gerade dabei, ein senegalesisches Polizeikontingent für den Einsatz im Sudan auszustatten.
Wir sind auch mit humanitärer Hilfe präsent; Sie
wissen das. Dieses Jahr haben wir humanitäre Hilfsmaßnahmen in der Konfliktregion mit über 9,5 Millionen Euro unterstützt. Darfur und der Tschad sind die
wichtigsten Zielregionen unseres humanitären Engagements in Afrika und werden es, soweit ich das sehe, für
geraume Zeit auch bleiben.
Wir sehen zwar nicht täglich Bilder von der humanitären Katastrophe im Südsudan, dennoch wissen wir,
dass auch dort die Lage alles andere als stabil ist. Wir
mussten auch in diesem Jahr deutliche Rückschläge bei
der Implementierung des sogenannten umfassenden
Friedensabkommens hinnehmen. Sie haben die Berichterstattung über die Krise in der Region Abyei verfolgt.
Wir bewegen uns jetzt auf Wahlen zu, die im Jahr 2009
im Südsudan stattfinden sollen. Im Jahr 2011 wird ein
Referendum stattfinden, das über den zukünftigen Status
des Südsudan entscheiden soll. Wenn dieser Gesamtprozess einigermaßen in der Spur bleiben soll, dann ist der
UNMIS-Einsatz weiterhin erforderlich.
Lassen Sie mich an dieser Stelle den deutschen Soldaten und Polizisten, den Militärbeobachtern und den
Stabsoffizieren danken, die in diesen Missionen ihren
Dienst tun. Ebenso danke ich natürlich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hilfsorganisationen, die im
Sudan unter schwierigsten Bedingungen ihre Aufgabe
erfüllen.
({0})
Wir gehen davon aus, dass der VN-Sicherheitsrat die
Mandate von UNAMID und UNMIS turnusgemäß verlängern wird. Ich darf Sie abschließend um breite Zustimmung zu den Anträgen der Bundesregierung bitten.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat die Kollegin Marina Schuster von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Fast ein Jahr ist die letzte Debatte über den
deutschen Beitrag im Sudan her. Die erschreckende
Wahrheit ist, dass wir heute vor genau den gleichen Problemen stehen wie damals. Das bedeutet, dass sich viele
Hoffnungen, die wir an die Mandate geknüpft haben,
nicht erfüllt haben.
Auch die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensvertrages - der Herr Außenminister hat ihn angesprochen steht auf wackeligen Beinen. Die heftigen Kämpfe in der
Grenzregion um Abyei haben uns klargemacht, wie brüchig die Sicherheit vor Ort ist. Weder der Süden noch
der Norden sind bereit, auf Einnahmen aus dem Ölgeschäft zu verzichten. Wie genau der Ölreichtum aufgeteilt wird, bleibt eine kritische Frage. Das ist ein Pulverfass für den ganzen Nord-Süd-Friedensvertrag.
UNMIS steht also nach wie vor vor großen Herausforderungen, gerade was den Zeitplan betrifft. Herr Außenminister, Sie haben das Referendum angesprochen.
Das ist eine kritische Frage, die geklärt werden muss. Es
zeigt sich aber: Die Blauhelme sind ein wichtiger Stabilitätsanker in der Region. Auch ich möchte den Soldaten,
die dort ihren Dienst leisten, ganz herzlich danken und
ihnen meine Anerkennung aussprechen. Ich habe die
Soldaten im Einsatz besucht. Wer die Situation vor Ort
kennt, der weiß, wie schwierig dieser Einsatz ist.
({0})
Gleichwohl mache ich mir sehr große Sorgen. Ich
fürchte, dass die Krise in Darfur den ganzen Friedensprozess überschatten und gefährden kann. Denn eines ist
klar: In Darfur sind wir vom Frieden weiter entfernt als
je zuvor. Wir sehen blutige Gefechte in Flüchtlingscamps, Angriffe auf Hilfsorganisationen und eine hilflose UNAMID-Truppe. Die Gewalt hat gerade in den
letzten Monaten stark zugenommen. Wie schlimm die
Gewalt ist, zeigt sich auch daran, dass Hilfsorganisationen ihr Personal zurückziehen müssen, weil sie die Sicherheit vor Ort nicht mehr gewährleisten können. Die
Welthungerhilfe hat die Nahrungsmittellieferungen
aussetzen müssen. 2 Millionen Menschen in Darfur stehen nun ohne diese Hilfe dar. Das Leid wird täglich größer.
Ein Jahr nach der Entsendung ist UNAMID in vielerlei Hinsicht immer noch hoffnungslos unterversorgt.
Noch nicht einmal die Hälfte der geplanten 26 000 Blauhelme und Polizisten ist vor Ort. Material- und Transportkapazitäten werden händeringend gebraucht, besonders die Transporthubschrauber. Die Hilflosigkeit der
Truppen zeigte sich im Juli dieses Jahres ganz besonders
deutlich, nämlich als die Blauhelme selbst zum Angriffsziel wurden. Sieben Soldaten kamen dabei ums Leben.
Vor einem Jahr noch galt UNAMID als das ehrgeizigste
Projekt der Afrikanischen Union und der Vereinten Nationen. Heute sehen wir, dass sich große Ernüchterung
breitgemacht hat. Aber eines darf nicht passieren: dass
sich neben der Ernüchterung auch noch Gleichgültigkeit
breitmacht.
({1})
Der Außenminister hat bereits vor der Entsendung
des UNAMID-Einsatzes sehr richtig festgestellt: Vor allem war es nicht nur eine gefährliche, sondern auch arrogante Illusion, dass manch einer glaubte, nur VN-Soldaten können das schaffen, was afrikanische Truppen
bisher nicht geschafft haben. Wenn er das schon damals
erkannt hat, dann frage ich mich, warum sich Deutschland nicht noch stärker in den politischen Prozess eingebracht hat.
({2})
Denn genau das ist der kritische Punkt. Es ist umso
erforderlicher, dass wir jetzt mit einer Stimme sprechen
und dass wir unseren politischen Einfluss geltend machen, auch auf China. Der Druck auf China ist nach wie
vor dringend notwendig, gerade wenn wir an Zoll- und
Einreisebestimmungen denken. Auch Russland muss im
Sicherheitsrat weiter eingebunden werden. Ich möchte
im Auswärtigen Ausschuss morgen erfahren, welche Initiativen es von der Bundesregierung gibt. Diese internationale Präsenz ist weiter notwendig. Aber wenn wir keinen politischen Friedensprozess sehen oder der
vorhandene zum Erliegen kommt, müssen wir uns die
Frage stellen, welche weiteren Anstrengungen wir unternehmen können, um UNAMID tragfähiger zu machen
und um den Prozess zum Laufen zu bringen.
Die Bundesregierung setzt viele Hoffnungen in diese
Mission. Das sieht man auch am Antrag. Dort heißt es,
dass UNAMID ein stabilisierendes Element und zum
Schutz der Bevölkerung unverzichtbar ist. Aber die Lage
vor Ort sieht anders aus. Die Ausstattung ist so
schlecht, dass die UNAMID-Soldaten mit ihrem eigenen
Schutz beschäftigt sind. Ich habe bereits bei der ersten
Mandatierung vor einem Waterloo der Vereinten Nationen gewarnt. Ich habe auch vor den äußerst schwierigen
Bedingungen gewarnt. Heute fehlen nach wie vor
18 Transporthubschrauber. Ich denke, das muss der internationalen Gemeinschaft wirklich große Sorgen bereiten. Denn wenn sich beim politischen Prozess nicht bald
etwas ändert, wenn sich die internationale Gemeinschaft
nicht breiter engagiert, dann wird dieser Einsatz zum Armutszeugnis der Vereinten Nationen.
Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre Verantwortung wahrzunehmen und ihr Einflusspotenzial zu nutzen.
Denn dieser Einsatz darf vor allem eines nicht werden:
eine Luftnummer in der Geschichte, wie es Salim Salim
formuliert hat. Dafür tragen wir alle Verantwortung und
dafür müssen wir uns einsetzen.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Franz Josef
Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Beteiligung der Bundeswehr an der Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan, UNMIS,
und an der Hybridmission von Afrikanischer Union und
Vereinten Nationen in Darfur, UNAMID, sind wichtige
Bestandteile der Gesamtanstrengungen der Bundesregierung zur Friedenkonsolidierung im Sudan.
In dieser Krisenregion legen wir zurzeit den militärischen Schwerpunkt unseres Engagements auf dem Boden Afrikas. Auch wenn der Charakter und die räumliche Dislozierung der beiden Missionen unterschiedlich
sind, so stehen die beiden Missionen inhaltlich in einem
engen Zusammenhang. Aufgrund ihrer Wechselwirkung
ist es, denke ich, richtig, dass wir jetzt gemeinsam darüber beraten.
Was die Situation bei UNMIS, also im Sudan, angeht,
so gestaltet sich die Umsetzung des Nord-Süd-Friedensabkommens weiterhin als sehr schwierig. Wir müssen uns stets vor Augen führen: Der im Jahre 2005 durch
das Comprehensive Peace Agreement eingeleitete Friedensprozess ist noch nicht unumkehrbar. Dies haben die
Gewaltausbrüche in der Grenzregion Abyei im Mai des
Jahres 2008 gezeigt. Darauf hat auch gerade - aus meiner Sicht zu Recht - Kollegin Schuster hingewiesen.
Damit bleibt UNMIS bis auf Weiteres als stabilisierendes Element unverzichtbar. Derzeit leisten
38 Soldaten der Bundeswehr unter anspruchsvollen Bedingungen einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der
Stabilität in dieser Region. Dieser Beitrag wird medial
oft nicht in der Art und Weise wahrgenommen wie ähnliche Beiträge in anderen Regionen der Welt. Nichtsdestotrotz sind unsere Soldaten unter schwierigsten Bedingungen im Einsatz. Deshalb möchte ich den Soldatinnen
und Soldaten an dieser Stelle für ihren Beitrag zur Stabilisierung dieser Region danken.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, im
Jahre 2009 gilt es, wichtige Meilensteine für UNMIS auf
dem Weg zum Frieden in dieser Region zu erreichen.
Wenn es um die endgültige Festlegung des Grenzverlaufs zwischen Nord- und Südsudan und die erfolgreiche
Durchführung der Wahlen geht, wird sich zeigen, ob
die Konfliktparteien weiterhin gewillt sind, eine der
längsten und blutigsten Auseinandersetzungen auf dem
afrikanischen Kontinent endgültig zu beenden.
Mit unseren Soldaten, die im Rahmen von UNMIS
zum Einsatz kommen, wollen wir dazu beitragen, dass
dies gelingt. Die erfolgreiche Umsetzung des Nord-SüdFriedensvertrages wird, wie ich denke, unmittelbare
Auswirkungen auf die Lage in Darfur haben.
Ohne Frage steht die Hybridmission von Afrikanischer Union und Vereinten Nationen in diesen Tagen vor
großen Herausforderungen; das ist bereits erwähnt worden. Ursprünglich hatten wir, was ihre Entwicklung angeht, andere Vorstellungen; das kann man überhaupt
nicht bestreiten. Der Aufwuchs im Rahmen von
UNAMID - derzeit umfasst diese Mission rund
10 000 Angehörige - entspricht aber noch lange nicht
der angestrebten Zielgröße. Ich kann nur hoffen und
wünschen, dass die weitere Entwicklung positiv verlaufen wird.
Sie wissen, um was es geht: um das Verhalten und die
Zustimmung der sudanesischen Regierung, aber auch
um die Entwicklungen in den afrikanischen Nationen.
Durch Lufttransporte haben wir beispielsweise dafür gesorgt, dass Kräfte aus Ghana und Senegal UNAMID unterstützen können. Ich hoffe, dass das Vorgehen jetzt effektiver ist.
Ich muss betonen: Es gibt derzeit keine Alternative zu
UNAMID. Deshalb müssen wir uns auch auf politischer
Ebene weiterhin bemühen, dass im Rahmen des Friedensprozesses zwischen den Aufständischen und der sudanesischen Regierung Fortschritte erzielt werden. Auch
in den Gesprächen mit meinem chinesischen Amtskollegen habe ich darauf hingewiesen, dass es sinnvoll wäre,
wenn China unsere Anstrengungen noch intensiver unterstützen würde. Das wäre für die Weiterentwicklung
dieses Prozesses von großer Bedeutung, und zwar im
Hinblick auf den UNAMID-Aufwuchs und das Verhalten der sudanesischen Regierung.
Nur dann, wenn beide Seiten einen aktiven Beitrag
zum Frieden leisten, kann es UNAMID gelingen, das
menschliche Leid in Darfur zu mindern und eine politische Lösung des Konflikts zu erreichen. Daher halte ich
es für richtig, dass UNAMID weitestgehend ein afrikanisches Gesicht trägt. Ich glaube, zu Beginn unserer Debatte war das Prinzip der sogenannten African Ownership der Auslöser dafür, zu sagen, dass ein afrikanisches
Gesicht für die Umsetzung dieser Friedensmission letztlich erfolgreicher ist. Ich bin der Meinung, dass die
Akzeptanz der Friedenstruppe für alle Konfliktparteien ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist.
Die Bundeswehr konzentriert sich im Rahmen ihres
Beitrags auf den logistischen Bereich und ausgewählte
Stabsfunktionen; auf die Transportflüge habe ich bereits
hingewiesen. Außerdem bedienen wir die Bereiche, die
von den Vereinten Nationen nachgefragt werden.
Durch eine Beteiligung der Bundeswehr an UNAMID
leistet Deutschland im Rahmen der internationalen Gemeinschaft einen wichtigen und sichtbaren Beitrag zur
hoffentlich dauerhaften Befriedung des Gesamtsudans.
Vor diesem Hintergrund bitte ich Sie trotz der nicht einfachen Situation um Ihre Zustimmung zur Verlängerung
des UNMIS-Mandats mit einer Obergrenze von
75 Soldatinnen und Soldaten und um Ihre Zustimmung
zur Verlängerung des UNAMID-Mandats mit einer
Obergrenze von 250 Soldatinnen und Soldaten. Ich
denke, die Soldatinnen und Soldaten haben eine breite
Unterstützung auch des Deutschen Bundestages in dieser
schwierigen Mission verdient.
Besten Dank.
({1})
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Norman Paech, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
gibt Debatten, die zur Routine werden, obwohl sich der
Gegenstand und die Natur der Konflikte, um die es dabei
geht, dazu eigentlich gar nicht eignen. Dies sind alljährlich die Debatten um die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Sie enden immer mit dem gleichen Ergebnis, nämlich mit der Verlängerung des Mandats.
({0})
Warum ist das eigentlich so? Sie fangen an mit den
politischen Problemen und der Forderung nach politischen Lösungen, aber sie enden immer mit dem Militär,
weil Sie offensichtlich der Meinung sind, dass in den
schwierigsten Konflikten die Hilfe letzten Endes doch
nur vom Militär kommen kann. Das ist aber vollkommen
falsch. Alle Militäreinsätze rund um die Welt haben gezeigt, dass dies vollkommen falsch ist.
({1})
Nehmen wir den Südsudan.
({2})
Im Südsudan haben die 8 000 Soldaten der UNMIS nicht
verhindern können, dass im Mai dieses Jahres wieder
heftige Auseinandersetzungen militärischer Art zwischen den Regierungstruppen und der SPLA ausgebrochen sind und die Stadt Abyei in Schutt und Asche gelegt haben. Über 50 000 Menschen sind auf der Flucht.
In Abyei wird um den Grenzverlauf zwischen Nord und
Süd gestritten, also darüber, wer die größten bekannten
Ölvorkommen dieses Landes im Jahr 2011 erhalten
wird, wenn sich der Süden vom Norden trennen wird.
Gegenwärtig bohren die Chinesen dort. Im Sudan ist
es jedoch ein offenes Geheimnis, dass die US-Firmen an
dieselben Quellen wollen. So, wie die Chinesen derzeit
die sudanesische Regierung ausrüsten, so rüsten die
USA die SPLA mit Waffen auf.
Wir müssen erkennen, dass dies schon lange nicht
mehr bloß ein interner Konflikt ist, sondern ein Stellvertreterkrieg um die Ressourcen dieses Landes.
({3})
Der vorliegende Antrag berücksichtigt aber weder diese
Dimension des Konflikts noch enthält er überhaupt eine
einzige Maßnahme zur politischen Unterstützung des
Friedensprozesses. Er beschränkt sich lediglich auf die
Verlängerung des Mandats des Militäreinsatzes. Das ist
vollkommen unzureichend. Deshalb wird er auch nicht
die Zustimmung der Linken erhalten.
Auch der Antrag zur Verlängerung der Militärmission
UNAMID in Darfur kommt ohne jedes politisches Konzept daher. Aber gerade in Darfur - das haben Sie alle
gesagt - ist nichts dringender als eine politische Lösung.
Bereits die Afrikanische Union ist mit ihrem Militäreinsatz AMIS gescheitert; denn das Friedensabkommen
vom 5. Mai 2006 hat schon lange keinen Bestand mehr.
Es ist aber immer noch die Grundlage auch für UNAMID.
Eine Wiederaufnahme der Friedensverhandlungen ist
überhaupt nicht in Sicht. Das räumt die Bundesregierung
in ihrem Antrag auch ein. Sie setzt aber nichts dagegen.
UNAMID - wenn wir aufrichtig sind - bewegt sich in
einem politischen Vakuum und ist nur eine Fortsetzung
der gescheiterten AMIS-Mission, dieses Mal unter dem
gemeinsamen Dach von UNO und Afrikanischer Union.
Es ist diesen Truppen weder gelungen, die Menschen
in Darfur zu schützen noch eine Abkehr von der Gewalt
zu bewirken und eine Rückkehr an den Verhandlungstisch zu erreichen. Stattdessen hat sich die Situation in
Darfur weiter kontinuierlich verschlechtert. Das hat Frau
Schuster ebenfalls gesagt. Mittlerweile ist der Konflikt
so atomisiert, dass selbst eine verhandlungsbereite Regierung nicht wüsste, mit wem sie eigentlich an den Verhandlungstisch treten sollte, um ein Friedensabkommen
abzuschließen.
Die Truppen der UNAMID sind inzwischen selbst
Ziele der Angriffe geworden, und zwar nicht zuletzt deshalb, weil beide Konfliktparteien kein Vertrauen in diese
Truppen mehr haben.
Ich sage Ihnen: Den Menschen in Darfur und auch
den Tausenden, die in den Tschad geflohen sind, wird
UNAMID nicht helfen. Nur eine Wiederaufnahme von
Friedensverhandlungen kann dem Land eine sichere
Zukunft geben.
Meine Fraktion fordert die Bundesregierung auf, sich
im Rahmen der UNO für diesen Friedensprozess zu engagieren. Immer mehr Militär ist keine Lösung. Deswegen lehnen wir diesen Antrag auch ab.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Omid Nouripour vom
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung über die Verlängerung der
Bundeswehrmandate für UNMIS und UNAMID.
300 000 Tote, über 2,2 Millionen Vertriebene, massenhafte systematische Vergewaltigungen und kriegsbedingte Hungersnöte in Darfur sprechen eine brutale und
klare Sprache. Der Erfolg dieser Missionen ist wortwörtlich lebenswichtig. Die beiden Mandate sind wichtige
Teile dieser Bemühungen. Deshalb steht meine Fraktion,
Bündnis 90/Die Grünen, auch zu diesen Missionen.
Herr Kollege Paech, erlauben Sie mir als einem, der
selbst im Krieg aufgewachsen ist, doch etwas Persönliches zu sagen: Ich bekomme angesichts der Situation vor
Ort und angesichts dieser humanitären Katastrophe eine
Gänsehaut, wenn ich Ihren kalten Unilateralismus höre,
womit hoffentlich Naivität vermischt ist. Die Selbstbeherrschung fällt mir wirklich unheimlich schwer.
({0})
Ich hoffe, dass sich in Ihrer Fraktion genug Menschen
finden, die in dieser Situation nicht über die antikapitalistische Weltrevolution philosophieren, sondern einsehen, dass es dort eine humanitäre Katastrophe gibt, gegen die man etwas tun muss.
({1})
Die Bundesregierung hat im letzten Jahr das Mandat
von uns erhalten, 75 Soldatinnen und Soldaten für
UNMIS und 250 Soldatinnen und Soldaten für
UNAMID bereitzustellen. Fakt ist: Heute sind
39 Soldaten und fünf Polizisten für UNMIS sowie sechs
Polizisten und, wenn ich mich nicht irre, gar kein Soldat
für UNAMID entsandt.
({2})
Diese Situation ist, nüchtern gesagt, nicht befriedigend,
weil diese Kräfte eigentlich gebraucht werden.
Beispiel UNAMID. Durch UNAMID sollen die Menschen geschützt werden. Das kann aber nicht erreicht
werden, wenn nicht einmal ein Drittel des angestrebten
Personals vor Ort ist - Herr Minister, das haben Sie gerade auch gesagt -, wenn es nicht einmal sieben Polizeieinheiten gibt, die die Flüchtlingslager schützen, wenn
nicht genug Material und Sicherheitskapazitäten vorhanden sind und wenn es nicht einmal genug Hubschrauber
gibt, mit denen Lebensmittel in die Flüchtlingslager geliefert werden. Deshalb sind wir gespannt, welche politische Perspektive uns die Bundesregierung in den Ausschussberatungen darstellt und ob für UNAMID und
UNMIS jetzt endlich die Ausrüstung bereitgestellt wird,
die gebraucht wird.
({3})
Wir wissen allerdings auch, dass diese beiden Missionen nur Teile eines politischen Prozesses sein können.
Ohne einen politischen Prozess kann es keinen dauerhaften Frieden im Sudan geben. Deshalb brauchen wir einen umfassenden politischen Ansatz - das ist mehrfach
gesagt worden -, mit dem verstärkt polizeiliche, humanitäre und entwicklungspolitische Elemente vereint werden. Darum fordern wir beispielsweise, dass der Sudan
im Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“ zum Schwerpunktland wird und dass in einem Mandat zukünftig
nicht nur die militärischen, sondern auch die polizeilichen und entwicklungspolitischen Beiträge der Bundesrepublik aufgeführt und beschlossen werden.
In dem Zusammenhang habe ich eine Anmerkung zur
FDP. Frau Schuster, Sie haben völlig zu Recht bemängelt, dass es diesen politischen Prozess nicht gibt. In der
Debatte vorher hat Ihre Kollegin Frau Hoff aber genau
mit dieser Aussage, dass es diesen politischen Begleitprozess nicht gibt, begründet, warum die FDP den Einsatz von UNIFIL im Libanon ablehnt. Das ist ein wenig
kontraproduktiv. Vielleicht sollten Sie sich einmal darüber unterhalten, was ein fehlender politischer Prozess
für Ihr Abstimmungsverhalten bedeutet.
Wir wünschen uns von der Bundesregierung, dass sie
mehr tut, dass sie mehr Anstrengungen dafür unternimmt, dass die Hilfen, die wir hier beschließen, bei den
notleidenden Menschen vor Ort auch ankommen. Wir
wünschen uns, dass sie mehr Flexibilität zeigt, damit die
Engpässe vor Ort, die es derzeit gibt, behoben werden
können.
Wir wünschen uns, dass es mehr politische und zivile
Bemühungen im Sudan gibt. Wir haben keine Zeit mehr;
je länger wir warten, bis wir handeln, desto mehr Menschen verlieren ihr Leben.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat das Wort die Kollegin Dr. Herta Däubler-Gmelin.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
halten den Antrag, die deutsche Beteiligung an UNMIS
und UNAMID um ein Jahr zu verlängern, für richtig.
Herr Außenminister, Sie haben darum gebeten, dass wir
ihm hier im Bundestag eine möglichst breite Unterstützung zusichern. Wer die Debatte verfolgt hat, erkennt,
dass es in vielen Punkten in der Tat große Einigkeit gibt.
Wir alle wissen, dass die deutsche Beteiligung sowohl
an UNMIS als auch an UNAMID relativ gering ist. Lassen Sie mich hinzufügen: Sie ist dennoch wichtig. Wer
das nicht glaubt, sollte gelegentlich in den Sudan fahren
und dort mit den verschiedenen Gruppierungen reden.
Dann wird er erkennen: Die Deutschen, die sich dort beteiligen, haben einen guten Ruf und sind dort außerordentlich angesehen. Sie sind dort so beliebt, dass gerade
an die Bundesrepublik die große Bitte gerichtet wird,
sich stärker in den verschiedenen komplexen Konflikten
zu engagieren.
({0})
Wir alle wissen, dass sowohl der Nord-Süd-Konflikt
im Sudan als auch die Lage in Darfur außerordentlich
komplex sind. Wir alle wissen deshalb auch: Schon
wegen der Größe des Landes und der Komplexität der
Probleme kann man mit Militär allein - auch mit der
deutschen Beteiligung an Militärmissionen - keine entscheidenden Durchbrüche erreichen. Ich glaube aber,
dass es darum allein gar nicht geht. Die Begriffe Stabilisierung, Beteiligung und Beitrag sind hier genutzt worden; genau darum geht es. Es geht darum, den Menschen
in Darfur endlich die Gewissheit zu geben, dass sich etwas bewegt, zu ihren Gunsten.
Ich würde mich freuen, wenn Sie sich einmal in die
Lage von Millionen Menschen - so viele sind es, wenn
man die Flüchtlinge und die IDPs im Tschad einrechnet hineinversetzten: Diese Menschen leben zum Teil schon
seit sechs Jahren unter menschenunwürdigen Bedingungen in Lagern. Ihnen stehen nur wenige Hilfsangebote
zur Verfügung. Überlegen Sie sich einmal, was es heißt,
bei einer Hitze, die für uns unvorstellbar ist, in Lagern
zu leben, wo es selbst ein Problem ist, nur das Lebensnotwendigste zu bekommen, wo man - das betrifft
hauptsächlich die Frauen -, wenn sie Wasser oder Feuerholz holen, unmittelbar die Sicherheitsprobleme zu spüren bekommt. Massenvergewaltigungen durch Regierungssoldaten und von Milizen der Rebellen sind hier an
der Tagesordnung.
Da kann man einfach nicht so tun, als könnten Soldaten, wenn sie entsprechend ausgerüstet sind, den Menschen dort nicht helfen. Das geht einfach nicht!
UNAMID mit Beteiligung der Bundesrepublik kann und
soll einen Beitrag dazu leisten, die Sicherheitsprobleme
zu lösen.
Wir alle wissen - ich unterstreiche das -, dass sich die
Bundesregierung und die Europäische Union bemühen,
sowohl im Nord-Süd-Konflikt als auch im Darfur-Konflikt zu einer politischen Lösung zu kommen. Ohne die
Beteiligung von UNMIS und UNAMID sind die Chancen auf eine solche Lösung noch geringer, als sie sowieso sind.
({1})
Es ist wichtig, das zu unterstreichen.
Im politischen Bereich geht es jetzt um den Versuch,
alle streitenden Parteien - die Rebellengruppen, die verschiedenen Milizen, die unterschiedlichen von der
Khartoum-Regierung unterstützten Gruppen - an einen
Tisch zu bringen. Ich denke, dass auch die Bundesregierung und die Europäische Union mit ihrer Hilfe für UN
und AU auf diesem Wege einen guten Schritt vorankommen können. Die UNAMID-Vertreter sagen uns sehr
deutlich, woran es bei ihnen jetzt noch krankt: Nicht das
geschriebene Mandat von UN und AU mache ihnen Probleme, sondern der nicht vollständig umgesetzte Wille
sowohl in New York als auch in der Afrikanischen
Union. Herr Außenminister und Herr Verteidigungsminister, hier muss man für mehr politische Unterstützung sorgen. Ich glaube, das ist ein außerordentlich
wichtiger Punkt.
Lassen Sie mich abschließend gerade auch für die
Menschen sowohl im Tschad als auch in Darfur eine
Bitte anschließen. Ich bin sehr dankbar für die humanitäre Hilfe, die das AA in den Flüchtlingslagern und in
den IDP-Camps leistet. Aber wenn Sie berücksichtigen,
dass dort Menschen seit mehr als sechs Jahren leben,
kann es, glaube ich, nicht nur um die Versorgung mit
dem Lebensnotwendigsten gehen, sondern der Blick
muss auch, bis eine politische Lösung umgesetzt ist, in
die Zukunft gerichtet werden. Deshalb reicht die unmittelbare humanitäre Hilfe nicht aus.
Ich bitte die Bundesregierung deshalb auch darum, daran zu denken, dass die Hunderttausende Kinder in den
Flüchtlingslagern in die Schule gehen müssen.
({2})
Deswegen ist es wichtig, Konzepte für eine an die humanitäre Hilfe anschließende Hilfe zu finden, um diesen Kindern, die ja furchtbar geschädigt aufwachsen
müssen, auf diese Weise vielleicht noch die eine oder andere Chance für ihr Leben zu bieten.
Herzlichen Dank.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/10106 und 16/10104 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Mittwoch, den 17. September
2008, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.