Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Sitzung ist eröffnet, diesmal ohne Gong.
Ich bitte um Nachsicht.
({0})
Ich verstehe die Irritation, aber ich habe keinen Zweifel
daran - Sie dürfen sich wieder setzen, weil wir aus diesem Anlass nicht die gesamte Plenarsitzung im Stehen
durchführen wollen -, dass eine ohne Gong beginnende
Parlamentssitzung unseren geschäftsordnungsrechtlichen
Anforderungen im Übrigen genügt.
({1})
Ich begrüße Sie also alle ganz herzlich zur letzten Plenarsitzung des Deutschen Bundestages vor der parlamentarischen Sommerpause.
({2})
- Ganz genau; dass wir uns verständigen können, hilft
gewiss für die Verhandlungen weiter.
Ich darf Ihnen zu Beginn mitteilen, dass der Ältesten-
rat in seiner gestrigen Sitzung vereinbart hat, während
der Haushaltsberatungen ab dem 16. September 2008
keine Befragung der Bundesregierung, keine Frage-
stunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzufüh-
ren. Das entspricht unserer bewährten Übung in Haus-
haltswochen. Ich denke, Sie werden damit einverstanden
sein. - Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 f auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Modernisierung der Rahmenbedingungen
für Kapitalbeteiligungen ({3})
- Drucksachen 16/6311, 16/6648 - Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Gesetzes über Unternehmensbeteiligungsgesellschaften ({4})
- Drucksache 16/3229 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({5})
- Drucksachen 16/9777, 16/9829 Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Frank Schäffler
- Bericht des Haushaltsausschusses ({6})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/9784 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({7})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christine Scheel,
Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Innovationsfähigkeit des Standortes stärken -
Wagniskapital fördern
- Drucksachen 16/4758, 16/9777, 16/9829 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Klaus-Peter Flosbach
Frank Schäffler
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Begrenzung der mit Finanzinvestitionen
verbundenen Risiken ({9})
- Drucksachen 16/7438, 16/7718 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({10})
- Drucksachen 16/9778, 16/9821 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({11})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Christian
Ahrendt, Carl-Ludwig Thiele, Hans-Michael
Goldmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kre-
ditverkäufen an Finanzinvestoren
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara
Höll, Karin Binder, Heidrun Bluhm, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Ausverkauf von Krediten an Finanzinvesto-
ren stoppen - Verbraucherrechte stärken
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Rechte der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher beim Verkauf von Immobilienkrediten
stärken
- Drucksachen 16/8548, 16/8182, 16/5595,
16/9778, 16/9821 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll,
Dr. Dagmar Enkelmann, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung bei Betriebsänderungen
- Drucksache 16/7533 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({12})
- Drucksache 16/9789 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Paul Lehrieder
f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({13}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Axel Troost,
Werner Dreibus, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Beschäftigte und Unternehmen vor Ausplünderung durch Finanzinvestoren schützen
- Drucksachen 16/7526, 16/9162 Berichterstattung:
Abgeordnete Nina Hauer
Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der FDP und der Linken vor. Zum Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes der Bundesregierung hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Entschließungsantrag
eingebracht.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Auch
dazu gibt es offensichtlich Einvernehmen. Dann ist das
so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
Kollegin Nina Hauer für die SPD-Fraktion das Wort.
({14})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für
unser wirtschaftliches Wachstum brauchen wir Investitionen. Auch Private-Equity-Fonds sind Investoren.
Aber die Erfahrungen, die wir mit diesen Fonds machen,
sind gemischt. Einerseits übernehmen sie Unternehmen,
belasten diese mit hohen Schulden, die sie wegen der
Übernahme machen mussten, und verunsichern damit
Beschäftigte - es gibt Fälle, in denen Unternehmen geholfen wird, aber es gibt auch Fälle, in denen viele Arbeitsplätze verlorengehen -, andererseits fehlen Investitionen bei neuen Unternehmen, insbesondere bei jungen,
technologieintensiven Unternehmen, die einen enormen
Kapitalbedarf haben. Wir wollen mit den vorliegenden
Gesetzen diesen beiden Problemen abhelfen. Wir wollen
positive Investitionen fördern und das Risiko, das wegen
der Investoren entsteht, die lediglich an kurzfristigen
Renditen interessiert sind, begrenzen.
Wir haben mit dem Risikobegrenzungsgesetz große
Fortschritte erreicht. Ich darf für die SPD-Fraktion sagen, dass wir besonders stolz darauf sind, dass wir jetzt
eine Regelung haben, die bei börsennotierten Unternehmen schon längst greift, nämlich dass der Bieter bei der
Übernahme auch die Beschäftigten über seine Ziele informieren und er den Wirtschaftsausschuss bzw. den
Betriebsrat regelmäßig in die Übernahme einbinden
muss. Bei den börsennotierten Unternehmen haben wir
damit gute Erfahrungen gemacht. Eine Übernahme kann
eher gelingen, wenn die Beschäftigten beteiligt werden.
Diese Regelung haben wir in diesem Gesetzentwurf
auch für die nicht börsennotierten Unternehmen festgeschrieben. Ich finde, das ist ein Erfolg.
({0})
So kann den Sorgen derjenigen begegnet werden, die
Angst haben, dass ihr Unternehmen von einem Investor
übernommen wird, den nur die kurzfristige Rendite interessiert. Dass diejenigen, die langfristig investieren, Beschäftigte haben, die auf ihrer Seite sind, wird dem Unternehmen sicher nutzen.
In diesem Gesetzentwurf steht auch, dass Aktionäre
sagen müssen, wer sie sind. Das heißt, dass fantasiereiche Namen im Aktienregister nicht mehr ausreichen.
Wer seine Identität verschweigt, wird mit Stimmrechtsentzug bestraft. Das wird dazu führen, dass Investoren,
die sich ans Unternehmen anschleichen wollen, das nicht
mehr ohne Weiteres tun können.
Wir schreiben in diesem Gesetzentwurf fest, dass Investoren bei wesentlichen Beteiligungen von über 10 Prozent sagen müssen, was die Ziele dieser Investition sind
und vor allen Dingen, woher sie ihr Kapital haben. Damit können wir die Ungleichgewichtung zwischen Eigen- und Fremdkapital so transparent machen, dass sich
das Unternehmen darauf einstellen kann, ob es neue
Fremdkapitalschulden hat oder ob es Geld gibt, um neue
Investitionen zu tätigen. Aus dieser Regelung können
Hauptversammlungen aussteigen, wenn sie dafür eine
Mehrheit haben. Das haben wir extra so gemacht, weil
wir eine Option offenhalten wollen. Ich gehe aber davon
aus, dass die meisten Aktionäre das nutzen werden, um
ihr Unternehmen attraktiver zu machen, weil es für den
Kapitalmarkt wichtig ist, dass es da Transparenz gibt.
Wir haben eine Regelung zu dem Acting-in-Concert
aufgenommen. Das ist nichts anderes, als getrennt marschieren, vereint schlagen. Es ist nicht mehr zeitgemäß,
davon auszugehen, dass sich Aktionäre nur auf Hauptversammlungen absprechen. Wir wissen, dass sie das auf
vielfältige Weise mit modernen Kommunikationsmitteln, zum Teil auch über die Medien tun. Durch diese
Regelung ist sichergestellt, dass sie auch weiter miteinander kommunizieren können, aber dass geplante Aktionen, die die Mehrheitsübernahme des Unternehmens zur
Folge haben, rechtzeitig transparent gemacht werden.
Wir gehen mit diesem Gesetzentwurf auf wesentliche
Punkte ein, die in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit
und in der Diskussion auch von den Finanzmarktteilnehmern immer wieder als Punkte genannt worden sind, die
sie rechtlich gerne anders geregelt haben möchten. Wir
tun damit insgesamt nicht nur unseren Anlegern, sondern auch unserem Wachstum einen Gefallen, weil transparent gemacht wird, wie investiert wird und welche
Ziele damit verfolgt werden, wodurch letztlich der
Standort attraktiver gemacht wird.
Das machen wir auch mit dem zweiten vorliegenden
Gesetzentwurf, dem zu Kapitalbeteiligungen. Im Jahr
2007 sind fast 70 000 Patente angemeldet worden. Viele
davon werden nie Wirklichkeit. Die Produkte oder
Ideen, die erfunden werden, werden nie in die Wirklichkeit umgesetzt, weil Kapital fehlt. Das kann man auch
als ein Versagen des Private-Equity-Markts benennen,
weil nicht in neue und junge Unternehmen investiert
wird. Wir haben daraus Konsequenzen gezogen und sind
dem angelsächsischen Modell gefolgt. Wir wollen eine
Unterstützung derjenigen, die investieren, und es in einem bestimmten Rahmen attraktiv machen. Das Ganze
hat haushalterische Grenzen, weil wir dafür nicht unbegrenzt Geld im Haushalt zur Verfügung haben. Darüber
hinaus hat das Ganze einen entsprechenden rechtlichen
Rahmen. Aber die Unternehmen, die jünger als zehn
Jahre sind und die in Märkten aktiv sind, wo es viel Kapitalbedarf gibt, werden davon profitieren.
Wir machen es auch für Privatpersonen attraktiver, in
diese Unternehmen zu investieren. Die sogenannten
Business-Angels sind ja nicht nur Investoren, sondern
auch Berater. Es handelt sich um Profis, die selber ihr eigenes Unternehmen jahrelang geführt haben und dann in
jungen Unternehmen gerade in der schwierigen Anfangszeit beraten und helfen. Dafür sollen sie attraktive
steuerliche Rahmenbedingungen vorfinden.
Wir wollen Investoren in unserem Land haben und
denjenigen, die im Ausland investieren, das Signal geben, dass es in Deutschland gute Rahmenbedingungen
gibt, in neue Unternehmensideen zu investieren. In den
letzten 20 Jahren hat sich eine andere ökonomische Situation entwickelt: Es ist nicht mehr so leicht, anderswo
Kapital zu beschaffen. Sie kennen die Diskussionen in
den öffentlichen Banken, aber auch in der gesamten
Bankenlandschaft. Wir versprechen uns von den Gesetzentwürfen, dass viele Ideen, die jetzt auf dem Patentamt
liegen oder noch in den Köpfen sind, zu neuen Unternehmen werden, dass sie Arbeitsplätze schaffen und unser Wachstum weiter unterstützen.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat nun der Kollege Frank Schäffler für die
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute vor einer Woche konnte die soziale
Marktwirtschaft in Deutschland ihren 60. Geburtstag feiern. Für uns Liberale - vielleicht auch für Sie - war das
ein Feiertag. Doch angesichts des Handelns der schwarzroten Koalition ist das Jubiläum für uns Liberale auch
ein Anlass, die Marktwirtschaft gegen immer mehr staatliche Eingriffe entschieden zu verteidigen.
Ihr Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes macht
deutlich, dass Sie seitens der Koalition in Sonntagsreden
die soziale Marktwirtschaft hochhalten, im praktischen
Handeln jedoch immer tiefer in den Markt eingreifen.
({0})
Auch wir von den Liberalen sprechen uns für Transparenz aus. So halten wir eine wirksame Regelung
bezüglich der Namensaktien durchaus für richtig. Die
Zielrichtung der Bundesregierung - ich zitiere aus der
Begründung -, nämlich „gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten von Finanzinvestoren“ zu
erschweren oder sogar zu verhindern, teilen wir ausdrücklich nicht. Es ist ein tiefer Eingriff in die Prinzipien
der sozialen Marktwirtschaft, wenn die Große Koalition
entscheidet, welche Investitionen gewünscht sind und
welche nicht. Deshalb hätten Sie dem Gesetz einen viel
zutreffenderen Namen geben sollen. Wenn Sie Investitionen verhindern wollen, hätten Sie es „Investitionsbegrenzungsgesetz“ nennen sollen.
Diese Wirkung wird das Gesetz tatsächlich entfalten.
Wenn in Deutschland bürokratische Vorschriften gelten,
die bei unseren Nachbarn nicht gelten, dann werden ausländische Investoren schon merken, dass sie uns in
Deutschland nicht willkommen sind.
Das gilt übrigens auch für Staatsfonds. Sie wollen sie
aussperren. Doch gerade die Bankenkrise hat gezeigt,
wie hilfreich diese Fonds für europäische Großbanken
sein können.
Es bringt auch nichts, immer von gleichen Wettbewerbsbedingungen in Europa zu sprechen, dann aber
nach Art des Gutmenschentums nationale Regeln draufzusatteln. Das schadet dem Finanzplatz Deutschland und
damit der gesamten deutschen Wirtschaft.
Wie gesagt: Transparenz ist ein Ziel, das wir teilen,
aber dazu gibt es eine europäische Transparenzrichtlinie.
Die haben wir erst vor kurzem umgesetzt. Deshalb sollten wir nicht schon wieder neuen Aktionismus entfalten.
({1})
Ein Fachmann, nämlich der finanzpolitische Sprecher
der Union, Otto Bernhardt, hat der FAZ gesagt: Ich brauche dieses Gesetz nicht. - Wo er recht hat, hat er recht.
Wir von der FDP brauchen es auch nicht. Niemand
braucht es. Also sollten wir es gleich gemeinsam ablehnen.
Weil ich gerade beim Zitieren bin, will ich auch den
Wirtschaftsminister zitieren. Er hat im Private Equity
Handbuch in einem sehr lesenswerten Vorwort gesagt:
Sorge macht mir, dass die Diskussion um Nutzen
und Schaden der Beteiligungsfinanzierung zum Teil
sehr undifferenziert geführt wird. Während die
Gründungs- und Wachstumsfinanzierung von den
meisten Beteiligten als volkswirtschaftlich wertvoll
und förderungswürdig angesehen wird, sehen sich
die Übernahmefinanzierer häufig dem Generalverdacht ausgesetzt, volkswirtschaftlich schädlich zu
wirken und Arbeitsplätze zu vernichten.
Genau das ist unsere Meinung. Wieso fördern Sie diese
Bereiche in einem richtigen Private-Equity-Gesetz
nicht?
Lassen Sie mich auch noch den Unionsfraktionsvize
Michael Meister zitieren. Er hat gesagt, was bisher vorgelegt worden sei, sei unzulänglich.
Um es abzuschließen: Der Vorsitzende des CDUWirtschaftsrats, Kurt Lauk, hat gesagt, in ihrer jetzigen
Form würden die Gesetze zu Private Equity und Hedgefonds Deutschland auf den Status eines Entwicklungslandes zurückführen.
Ich finde, da haben alle, die ich hier genannt habe,
sehr recht.
({2})
Das Ergebnis zeigt eines: MoRaKG und Risikobegrenzungsgesetz sind Dokumente des Scheiterns. Was
wir in Deutschland tatsächlich brauchen, ist eine fortschrittliche Finanzmarktgesetzgebung. So hatten Sie im
Koalitionsvertrag vereinbart, ein Private-Equity-Gesetz
vorzulegen. Wir als FDP wollen ein solches Gesetz zur
Förderung von Beteiligungskapital. Beteiligungskapital wird jedoch nicht nur in der Frühphase eines Unternehmens benötigt, sondern vor allem auch in der Wachstumsphase. Was Sie tatsächlich vorgelegt haben, ist nur
das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen
für Kapitalbeteiligungen. Sie konzentrieren sich nur auf
die Frühphase. Das betrifft letztendlich nur einen ganz
kleinen Teil der Branche. Dieses Gesetz sieht für einen
begrenzten Teil von Unternehmen Erleichterungen vor,
die jedoch nur bei Erfüllung mehrerer bürokratischer
Vorschriften gewährt werden.
Die Sachverständigenanhörung, die wir zu diesen Gesetzen durchgeführt haben, war letztendlich ein Desaster
für Sie. Nicht einmal die von den Koalitionsfraktionen
eingeladenen Sachverständigen haben sich für das Gesetz ausgesprochen.
({3})
Der zuständige Branchenverband hat ermittelt, dass sieben Unternehmen bereit sind, die Möglichkeiten des
neuen Gesetzes zu nutzen. Bei allem, was Sie uns hier
zur Wirkung des Gesetzes erzählen, sollten Sie sich
diese Zahl noch einmal vor Augen führen. Wir Liberale
trauen einzelnen Unternehmen viel zu.
({4})
Aber dass sieben Unternehmen zu einem Quantensprung
für Forschung und Entwicklung in diesem Land beitragen sollen, halte ich für einen Treppenwitz der Geschichte.
({5})
Was Sie hier vorgelegt haben, ist das Ergebnis Ihrer
Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das ist zu
wenig für den Mittelstand. Das ist auch zu wenig für
Deutschland. Man sieht an diesem Gesetz vor allem eines: Wenn es darum geht, die Bürger einzuschränken
und zu belasten, ist sich die Koalition einig. Das ist aber
nur ein ganz kleiner Bereich, in dem Sie überhaupt noch
handlungsfähig sind. Wenn es aber darum geht, die Bürger zu entlasten, dann bewegt sich bei Ihnen gar nichts.
Ich frage Sie: Warum haben Sie heute kurz vor der Sommerpause hier im Parlament kein modernes Erbschaftsteuerrecht vorgelegt,
({6})
das die Existenz von Familienunternehmen sichert und
Familien nicht zum Verkauf ihres Unternehmens nötigt?
({7})
Sie müssen sich schon entscheiden, was Sie wollen.
Es ist doch absurd, wenn Sie mit dem Risikobegrenzungsgesetz auf der einen Seite Politik gegen Finanzinvestoren machen, auf der anderen Seite aber mit der
geplanten Erhöhung der Erbschaftsteuer Familienunternehmer gerade in die Hände dieser von Ihnen so gescholtenen Finanzinvestoren treiben.
({8})
- Sie können ja gleich darauf reagieren. - Dass Sie dann
mit dem MoRaKG auch noch verhindern, dass sich in
Deutschland eine eigene Beteiligungsbranche entwickeln kann, setzt dem Ganzen noch die Krone auf.
Ihre Finanzpolitik besteht aus Widersprüchen und
Symbolik. Das ist zu wenig für dieses Land. Heute ist
deshalb ein schwarzer Tag für das Beteiligungskapital
und deshalb auch für den Mittelstand in Deutschland.
({9})
Aber es kommen auch wieder bessere Zeiten auf dieses
Land zu, spätestens 2009.
Vielen Dank.
({10})
Klaus-Peter Flosbach ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gleich drei für den Finanzmarkt wichtige
Themen debattieren wir heute:
Erstens. Wie stärken wir die Rechte von Unternehmen im Umgang mit Finanzinvestoren?
Zweitens. Wie können Kreditverkäufe zukünftig geregelt werden? Besonders wichtig ist uns dabei: Wie
schützen wir Kreditnehmer vor den negativen Folgen
von Kreditverkäufen?
Drittens - darauf werde ich mich konzentrieren -:
Wie können die Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen modernisiert werden?
Warum diskutieren wir dieses Thema überhaupt?
Kann man das Ganze nicht dem Markt überlassen? Offensichtlich nicht; denn es gibt viele junge Unternehmen
mit zukunftsweisenden Ideen, denen einfach die finanzielle Basis fehlt, denen das Eigenkapital fehlt und die
auch bei ihren Banken keinen persönlichen Kredit mehr
bekommen, um die Entwicklung ihres Unternehmens
voranzutreiben. Warum ist das so? Weil den Banken das
Risiko zu groß ist, weil die Gefahr zu groß ist, das eingesetzte Kapital vollständig zu verlieren. Aus diesem
Grunde erhalten diese jungen Unternehmer bzw. Existenzgründer kein Kapital mehr.
Genau an dieser Stelle setzen wir an. Wir wollen die
Rahmenbedingungen verändern, damit Investoren Kapital zur Verfügung stellen, das vor allem junge Technologieunternehmen im Biotechnologie- oder Pharmabereich benötigen. Diesen Weg für moderne und gut
bezahlte Arbeitsplätze bereiten wir mit diesem Gesetz.
Genau so wird der Grundstein für mehr Wachstum und
mehr Arbeitsplätze in Deutschland gelegt.
({0})
Wenn Investoren im Rahmen dieses Gesetzes steuerliche Vorteile als Ausgleich für das erhöhte Risiko in Anspruch nehmen wollen, dann müssen sie sich auf junge
und mittelständische Unternehmen konzentrieren. Das
heißt, die Unternehmen dürfen nicht älter als zehn Jahre
sein, und das Eigenkapital darf nicht über 20 Millionen
Euro liegen.
Im ersten Entwurf war das Eigenkapital auf
500 000 Euro fixiert worden. Bedenken Sie einmal, was
ein innovatives forschungsintensives Unternehmen mit
hohen Personalkosten und einer langen Vorlaufzeit mit
500 000 Euro an Eigenkapital anfangen kann. Hier
konnten wir uns in der Koalition sehr frühzeitig darauf
einigen, das Eigenkapital auf 20 Millionen Euro festzulegen. Somit haben wir eine wesentliche Verbesserung
gerade in der Startphase erzielt. Mit diesen 20 Millionen
Euro Eigenkapital holen wir die Gründer aus der Garage
heraus.
Wir verfolgen mit diesem Gesetz mehrere Ansätze:
Wir wollen Investitionen möglichst in deutsche Unternehmen, wir wollen möglichst deutsche Investoren, und
wir wollen vor allen Dingen Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Private-Equity-Fonds, Venture-Capital-Fonds
oder Wagniskapital-Fonds in Deutschland. Sie müssen in
Deutschland ansässig sein, weil auch im Ausland längst
bewiesen ist, dass die Unternehmen, die Fonds und die
Manager nahe zusammen sein müssen, damit sich die Investitionen in diese neuen wachstumsintensiven Betriebe
rentieren und sie auch durchgeführt werden.
({1})
Worin liegt nun der Vorteil für den Investor?
({2})
Weil junge Unternehmen ihr eigenes Kapital verbraucht
haben und die Produkte noch nicht zur Marktreife gelangt sind, sind keine Gewinne, sondern in aller Regel
hohe Verluste aufgelaufen. Diese Unternehmen müssten
aufgeben. Sie wären pleite.
Wenn jetzt Wagniskapitalgesellschaften ihr Eigenkapital - das ist wichtig - zur Verfügung stellen, dann
können diese Verluste im Unternehmen steuerlich berücksichtigt werden, und zwar in Höhe der vorhandenen
stillen Reserven. Insofern ist das eine Lockerung der
scharfen Besteuerung im Rahmen der Unternehmens18452
besteuerung, die im letzten Jahr verabschiedet worden
ist. Die Unternehmen können jetzt mit den neuen Investitionen und mit dem verstärkten Eigenkapital ihr Ziel,
nämlich die Gewinnzone, erreichen.
Die Beteiligungsgesellschaft, an der sich der Einzelne
mit mindestens 25 000 Euro beteiligen muss, gilt zudem
als vermögensverwaltend. Das heißt, sie ist nicht gewerbesteuerpflichtig. Die Besteuerung findet ausschließlich
auf der Ebene des Anlegers statt.
Es gibt aber nicht nur Beteiligungsgesellschaften,
sondern auch einzelne Personen, die bereit sind, ihr Kapital in Risikoinvestitionen zu stecken. Man nennt sie
Business-Angels. Diese können sich mit maximal
25 Prozent an einem Unternehmen beteiligen. BusinessAngels bringen neben dem Kapital auch ihr gesamtes
Know-how, ihre Aktivitäten und ihre Netzwerke in das
Zielunternehmen ein.
Die Förderung der Business-Angels konzentriert sich
auf einen Veräußerungsfreibetrag von insgesamt
200 000 Euro. Bei einem einzelnen Business-Angel, der
sich mit maximal 25 Prozent beteiligen darf, gelten eben
25 Prozent dieses Freibetrags. Er kann also von maximal
50 000 Euro Freibetrag profitieren. Das macht uns zuversichtlich - das zeigen auch die Vergleiche im Ausland -,
entsprechendes Risikokapital für einen dynamischen
Wachstumsmarkt, für höchst qualifizierte Arbeitsplätze
in Deutschland lockerzumachen.
({3})
Es ist vielfach Kritik geübt worden, wir würden mit
diesem Gesetz den deutlich größeren Teil des Beteiligungsmarktes - vor allem Beteiligungen in etablierten
Unternehmen - draußen vor der Türe lassen. Diese ist
zunächst nicht unberechtigt. Diese Private-EquityUnternehmen müssen sich, wenn sie ebenfalls als vermögensverwaltend gelten wollen, strikt an einen entsprechenden Erlass des BMF aus dem Jahre 2003 halten.
Bisher haben viele damit ganz gut leben können.
Wir werden uns dennoch mittelfristig diesem Thema
stellen müssen. Es geht auch hier wieder um mittelständische Betriebe. Denn mehr als 80 Prozent der durch Private-Equity-Gesellschaften finanzierten Unternehmen
haben höchstens 100 Mitarbeiter und durchschnittlich
weniger als 10 Millionen Euro Umsatz. Hier hat übrigens niemand Förderanreize gefordert. Aber diese Unternehmen brauchen Planungs- und Rechtssicherheit und
sollten nicht langfristig auf diesen Erlass verwiesen werden.
({4})
Die Hightech-Strategie der Bundesregierung findet
durch dieses Gesetz volle Unterstützung. Unsere Wissensgesellschaft braucht diese innovativen Unternehmen
aus der Spitzen- und hochwertigen Technologie. Wir
machen den Investoren ein faires Angebot, dieses Risiko
auch einzugehen. Wir bringen hiermit den Finanzstandort Deutschland ein großes Stück nach vorn. Es gibt
eben nicht nur Heuschrecken, sondern auch fleißige Bienen. Ich denke, dieses Gesetz ist ein Geschenk an die soziale Marktwirtschaft zum 60. Geburtstag.
({5})
Nächster Redner ist Axel Troost für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Bei den vorliegenden Gesetzentwürfen
haben wir es mit einem äußerst widersprüchlichen Paket
zu tun. Einerseits will die Union durch das MoRaKG
Finanzinvestoren - dank Franz Müntefering unter der
treffenden Bezeichnung „Heuschrecken“ bekannt - weitere Steuersparmodelle eröffnen und verkauft dies in der
Öffentlichkeit als Förderung von jungen kleinen und
mittelständischen Unternehmen.
Die SPD wiederum, so war zumindest der Ursprung
des Risikobegrenzungsgesetzes, will den Anschein erwecken, dass sie genau diesen Finanzinvestoren nun ans
Leder wolle. Würden beide Gesetze halten, was die
Koalitionäre versprechen, hätten wir einen absurden Widerspruch. Die Ampel für Finanzinvestoren würde
gleichzeitig auf Rot und Grün gestellt. Bei genauerem
Hinsehen handelt die Koalition aber überhaupt nicht widersprüchlich, sondern macht sich zum Anwalt der Finanzinvestoren und begrenzt gleichzeitig die Risiken der
Manager, von ungewollten feindlichen Übernahmen
überrascht zu werden.
Beide Gesetzgebungsverfahren sind vor der aktuellen Finanzkrise angelaufen. Sie sind nun seit über einem Jahr auf dem Weg, und die Koalition hat es nicht
geschafft, auch nur kleinste Schlussfolgerungen aus dieser Finanzkrise in das Gesetz aufzunehmen. Ein Risikobegrenzungsgesetz, das die in der Finanzkrise offensichtlich gewordenen Risiken mit keiner Silbe erwähnt,
ist schlicht eine totale Blamage.
({0})
Unsere Fraktion hat schon im November 2007 in einem Aktionsplan „Finanzmärkte demokratisch kontrollieren, Konjunktur und Beschäftigung stärken“ erste
Konsequenzen eingefordert. Wie lange sollen wir noch
warten?
Das MoRaKG ist aus unserer Sicht eine Farce. Sie
fördern nicht junge kleine und mittelständische Unternehmen, die Unterstützung wirklich brauchen könnten,
sondern nur die Kapitalgeber solcher Unternehmen,
nämlich bestimmte Private-Equity-Fonds, die durch
Bereitstellung von Kapital diese Unternehmen fördern
sollen. Auch diese vermeintlich indirekte Förderung ist
genauso zielsicher wie eine Schrotflinte auf 500 Meter.
({1})
Zum einen - das ist eben schon gesagt worden - gilt
die Förderung für Fonds mit Beteiligungen an UnternehDr. Axel Troost
men mit bis zu 20 Millionen Euro Eigenkapital und einem Alter von bis zu zehn Jahren. Herr Flosbach sprach
davon, dass die Gründer aus den Garagen geholt werden
sollen, also auf Deutsch: Garagen, die seit zehn Jahren
existieren und die einen Inhalt von 20 Millionen Euro
haben. So hatten wir uns kleine und mittelständische Unternehmen nicht vorgestellt.
({2})
Wenn man ins Unternehmenspanel der KfW schaut,
dann sieht man, dass es nicht ein einziges kleines oder
mittelständisches Unternehmen gibt, das 20 Millionen
Euro Eigenkapital hat.
Zum anderen geht die mangelnde Zielgenauigkeit
weiter. Um vom Gesetz zu profitieren, muss ein PrivateEquity-Fonds nur 70 Prozent seines Kapitals in solche
Unternehmen stecken. Die restlichen 30 Prozent sind
frei verfügbar, um heute auf Öl, morgen auf Aktien und
übermorgen auf Weizen zu spekulieren.
Das ganze Gesetz mit seiner Befreiung von der Gewerbesteuer, mit den fortgesetzten Steuerprivilegien für
die Fondsmanager und die sogenannten Business-Angels
ist nichts anderes als ein riesiges Steuergeschenkpaket
für Leute in Gehaltsklassen, bei denen sich Normalsterbliche gar nicht vorstellen können, was man mit so viel
Geld anfangen kann.
({3})
Ich bin sehr gespannt, wie die Parteien der Großen Koalition, die angeblichen Volksparteien, ihren Wählerinnen und Wählern in den Fußgängerzonen erklären wollen, warum man den Steuerfreibetrag für wohlhabende
Manager auf das 22-Fache erhöhen muss.
({4})
Nicht viel besser ist es um Ihr Risikobegrenzungsgesetz bestellt. Statt die Beschäftigten und die Unternehmen vor Auszehrungen durch Heuschrecken zu schützen, leistet Ihr Gesetz praktisch gar nichts. Wir haben in
unserem Antrag „Beschäftigte und Investoren vor Ausplünderung durch Finanzinvestoren schützen“ und in
unserem Gesetzentwurf zur Stärkung der Arbeitnehmermitbestimmung bei Betriebsänderungen konkret aufgezeigt, wie die Risiken bei Finanzinvestitionen beschränkt werden können. Sie wollen das aber gar nicht.
Es mag ja Einzelfälle geben, in denen Beteiligungskapital einen sinnvollen und sozialverträglichen Beitrag
leistet. Das können aber am besten die Beschäftigten
einschätzen, die um die Gefährdung ihrer Arbeitsplätze
wissen. Keine Heuschrecke soll ein Unternehmen gegen
den Willen der Belegschaft übernehmen dürfen. Damit
wäre schon sehr viel gewonnen.
({5})
Wie man das machen könnte, haben wir Ihnen konkret
aufgezeigt.
Um das zu verdeutlichen: Der jüngste spektakuläre
Fall ist die Ausschlachtung des Modekonzerns Hugo
Boss durch den Finanzinvestor Permira. Permira hat
durchgesetzt, dass Boss 350 Millionen Euro neue Schulden aufnimmt, um anschließend 450 Millionen Euro Dividenden an die Investoren auszuzahlen. Nachher wird
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesagt, wegen
der hohen Verschuldung müsse der Gürtel nun enger geschnallt, die Lohntüte verkleinert und die Arbeitszeit
verlängert werden. Das geht nicht.
({6})
Das Geschäftsmodell Private Equity ist untrennbar
mit dem Einsatz von Kredithebeln verbunden. Wir fordern in unseren Anträgen daher:
Erstens. Bankkredite an Private-Equity-Fonds müssen
mit mehr Eigenkapital unterlegt werden, damit sie teurer
werden und damit das Geschäftsmodell „Heuschrecke“
unattraktiver wird.
({7})
Zweitens. Das nachträgliche Aufbürden der Kredite
auf das übernommene Unternehmen muss untersagt werden. Kreditfinanzierte Ausschüttungen wie im Fall Boss
müssen verboten werden.
({8})
Drittens. Die Möglichkeiten neu einsteigender Anteilseigner sollen begrenzt werden, indem die Stimmrechte
der Aktionäre, die ihre Aktien seit mindestens zwei Jahren halten, doppelt gewichtet werden.
Viertens. Private-Equity-Fonds sollen künftig grundsätzlich gewerbesteuerpflichtig sein. Sämtliche Steuerprivilegien sollen abgeschafft werden.
({9})
Damit kommen wir zur Wurzel des Übels: PrivateEquity-Fonds sind Ausdruck der Tatsache, dass Multimillionäre nach immer neuen Wegen suchen, aus unendlich viel Geld noch unendlich viel mehr Geld zu machen.
Mittelfristig kann nur eine radikale Umverteilung von
Einkommen und Vermögen den Anlagedruck auf den Finanzmärkten verringern.
({10})
Die Hypothekenblase in den USA ist geplatzt. Nun
drängen die Anleger in den Bereich der Rohstoffe und
Nahrungsmittel. Bei den aktuellen Spekulationen mit
Weizen und Reis wird auf makaberste Weise deutlich,
wie die systematische Gier der Reichen nach immer
mehr die Armen in den Entwicklungsländern buchstäblich in Elend und Tod treibt.
({11})
Eine andere Tragödie - wenn auch zum Glück nicht
tödlich - spielt sich seit jüngerer Zeit bei vielen kleinen
Häuslebauern in Deutschland ab. Menschen, die sich für
Wohneigentum verschuldet haben und mit viel Einsatz
ihre monatlichen Zahlungen leisten, stellen plötzlich
fest, dass ihr Kredit ohne ihr Wissen weiterverkauft
wurde, zum Beispiel an einen Finanzinvestor, der ihnen
per Zwangsvollstreckung über juristische Tricks die eigenen vier Wände buchstäblich unter den Füßen wegzieht.
({12})
Mit der Aufnahme der Thematik Kreditverkäufe ins Risikobegrenzungsgesetz haben Sie bei vielen Menschen
die Hoffnung geweckt, dass dieses Unrecht endlich aufhört. Der Gesetzentwurf bringt zwar einige wenige Verbesserungen aus der Sicht des Verbraucherschutzes,
springt aber viel zu kurz. Die Hoffnungen der meisten
vorgenannten Menschen werden herb enttäuscht. Mit unserem hier vorliegenden Antrag „Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen - Verbraucherrechte
stärken“ stellen wir deutlich weitergehende und von vielen Verbraucherschützern und Fachleuten geteilte Forderungen auf.
({13})
Die Koalition hat in der letzten Woche behauptet, das
Bundesjustizministerium hätte alle in den Medien skandalisierten Fälle von Kreditverkäufen geprüft und festgestellt, dass alle Medienberichte falsch und unsachgemäß
gewesen seien. Diese Ignoranz schlägt dem Fass den Boden aus.
({14})
Wir alle - da bin ich mir sicher - haben in den vergangenen Monaten eine hohe Zahl an Briefen von verzweifelten Immobilienschuldnern und ihren Anwälten bekommen, in denen sie ihre eigenen Fälle schildern. Gerade
gestern kam vom Generalsekretär des Zentralverbands
des Deutschen Handwerks, Hanns-Eberhard Schleyer,
ein Brief, in dem er Fälle von Handwerksbetrieben
nennt, in denen Kredite trotz ordnungsgemäßer Bedienung weiterverkauft worden sind.
Ich komme zum Ausgangspunkt der Kritik an den
beiden Gesetzentwürfen zurück. Beide ziehen keinerlei
wirkliche Konsequenzen aus der aktuellen Finanzkrise.
Die mangelnde Beschränkung von Kreditverkäufen war
ein zentraler Grund für die Hypothekenkrise in den
USA, wo die Regulierungen wesentlich lascher als bei
uns sind. Wenn wir keine Richtungsentscheidung treffen, entwickelt sich auch die Bundesrepublik in diese
Richtung. Insofern fordern wir Sie auf, den Gesetzentwurf im Sinne unseres Antrages und vor allem im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher nachzubessern.
({15})
Wann, wenn nicht jetzt, wollen Sie Konsequenzen aus
der Finanzkrise ziehen? Wie groß muss der Vertrauensverlust der Bürgerinnen und Bürger in die Politik und in
Ihren Willen zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen
denn noch werden? In Ihrem Entwurf eines Risikobegrenzungsgesetzes fehlt leider der Wille zu einem Kurswechsel in Richtung Regulierung der Finanzmärkte.
Danke schön.
({16})
Das Wort erhält nun die Kollegin Christine Scheel,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
finde, die Linksfraktion macht es sich hier insgesamt
sehr einfach. Wir alle wissen, dass junge innovative Unternehmen auf Beteiligungskapital angewiesen sind.
Das hat übrigens der Sachverständigenrat in einer ganz
aktuellen Expertise bestätigt. Es geht nicht nur darum,
dass wir uns die Frage stellen müssen, ob genügend Kapital nach Deutschland kommt, sondern es geht auch darum, die Investoren vor Ort zu halten.
Ob ein innovatives Unternehmen in der Frühphase
Kapital bekommt, hängt ganz entscheidend davon ab, ob
im regionalen Umfeld Wagniskapitalfirmen angesiedelt
sind. Trotz Internet, Globalisierung und weltweit vernetzten Kapitalmärkten ist die Standortnähe ein Schlüssel zum Erfolg. Das negieren Sie schlicht und ergreifend.
({0})
Sie sagen: Alle Unternehmen, die mit Wagniskapitalfinanzierungen zu tun haben, sind per se böse. Deswegen
sage ich: Die Linksfraktion schadet nicht nur unserem
Standort, sondern vor allen Dingen auch den kleinen und
mittleren innovativen Unternehmen in dieser Republik.
({1})
Wir brauchen ein - auch im internationalen Maßstab attraktives steuerliches Umfeld für Wagniskapitalfinanzierung. Sie verweigern sich dieser Problematik völlig.
Aus diesem Grund werden wir den Antrag der Linksfraktion ablehnen.
({2})
Ich muss auch sagen: Die Förderung von Wagniskapital ist kein Selbstzweck. Innovationen sind die Triebfedern für nachhaltige Wertschöpfung und für zukunftsfähige Arbeitsplätze. Aus diesem Grund brauchen wir
mehr Unternehmen, die hierzulande forschen. Diese Unternehmen brauchen mehr Geld für Entwicklung und
Vermarktung, damit sie ihre Produkte hier nicht nur entwickeln und patentieren lassen können, sondern sie hier
auch produzieren können. Sie brauchen auch für die
zweite Phase entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten. Das ist nämlich oft das Problem. In der ersten Phase
klappt es, in der zweiten Phase fehlt aber oft das Kapital.
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt wurden in
Deutschland nur halb so viele Wagniskapitalfinanzierungen getätigt wie im europäischen Durchschnitt. Hier
liegt ein sehr wertvolles Potenzial brach.
Wir haben es begrüßt, dass die Bundeskanzlerin auf
verschiedenen Tagungen, auch bei der Internationalen
Handwerksmesse in München, gesagt hat: Wir müssen
unseren Standort stärken und den Unternehmen mehr
Möglichkeiten geben. - Auch die Bundesforschungsministerin, Frau Schavan, hat, wenn sie in der Republik
Unternehmen oder Messen besucht hat, immer wieder
darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, vernünftige
Rahmenbedingungen für Unternehmen am Standort
Deutschland zu schaffen.
Wenn ich mir anschaue, was dabei herausgekommen
ist, muss ich allerdings sagen: Sie haben nicht nur das
Versprechen des Koalitionsvertrages, in dem Sie vereinbart haben, vernünftige steuerliche Bedingungen für
Wagniskapital zu schaffen, nicht umgesetzt, sondern Sie
haben leider auch den Inhalt all Ihrer schönen Sonntagsreden in diesem Gesetz nicht verwirklicht. Zwischen Ihren Worten und Ihrem Handeln klafft eine sehr große
Lücke. Das finde ich sehr schade; denn damit wird eine
Chance vertan.
({3})
Wir wissen, dass im Rahmen der Unternehmensteuerreform auch Entscheidungen getroffen worden sind, die
es unseren Unternehmen schwer machen. Durch den
schnellen Wegfall von Verlustvorträgen und die Besteuerung von Funktionsverlagerungen werden Forschung
und Entwicklung gefährdet. Last, but not least werden
Beteiligungsfinanzierungen durch die schlechte Verzahnung von Abgeltungsteuer und Unternehmensbesteuerung ab 2009 der steuerlich unattraktivste Finanzierungsweg sein. Das hat auch der Sachverständigenrat
vor kurzem bestätigt.
In diesem Kontext müssen wir uns fragen: Hat sich
die Große Koalition vorgenommen, Wagniskapitalfinanzierungen zukünftig zu verhindern, oder wollen Sie sie
fördern? Ich habe fast den Eindruck, Sie haben versucht,
sie zu verhindern. Kreditzinsen werden mit 25 Prozent
besteuert, Dividenden und Veräußerungsgewinne mit
fast 50 Prozent. Das kann nicht Sinn und Zweck des
Ganzen sein. Das ist nicht der richtige Weg. Ich bin gespannt, ob Sie, wenn das Gesetz zur Abgeltungsteuer
näherrückt, an der einen oder anderen Stelle nicht doch
noch Korrekturen vornehmen. Ich hoffe es sehr. Für Sie
ist das aber schwierig. Das Problem ist nämlich, dass Sie
sich bei kaum einem Thema einigen können.
Fest steht: Was die Behandlung von Private-EquityGesellschaften angeht, haben Sie Regularien entwickelt,
die eher schaden als nutzen. Fest steht allerdings auch,
dass wir Private-Equity-Gesellschaften brauchen. Auch
in einer Untersuchung des DIW wurde eindeutig bestätigt, dass die Private-Equity-Branche für unsere mittelständischen Unternehmen gut ist. Diese Untersuchung
ist, wie gesagt, eine Studie des DIW, keine Stellungnahme der Grünen.
Es ist bedauerlich, welche Regelungen Sie an dieser
Stelle getroffen haben. Natürlich gibt es ausländische
Private-Equity-Gesellschaften, die großen Schaden angerichtet haben; das ist richtig. Es gibt in dieser Branche
aber auch sehr viele Beispiele für Private-Equity-Gesellschaften, die Unternehmen geholfen haben, sich wieder
vernünftig aufzustellen, sich weiterzuentwickeln und
mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Damit haben Sie letztendlich dazu beigetragen, dass die Steuereinnahmen in
Deutschland gestiegen sind. Auch das muss man in diesem Kontext sehen; denn häufig hängen sehr viele verschiedene Aspekte miteinander zusammen.
Zum Schluss noch eine kurze Anmerkung zum Risikobegrenzungsgesetz. Wir Grüne haben vor einem Jahr
im Hinblick auf das Problem der Immobilienkreditverkäufe gute Vorschläge gemacht. Es ist gut, dass Sie viele
dieser Vorschläge übernommen haben. Es hat zwar ein
bisschen gedauert, aber das ist bei der Großen Koalition
oft so.
Wir hätten gern gesehen, dass Regelungen getroffen
worden wären, die einen größeren präventiven Schutz
der Betroffenen vorsehen, nicht nur erleichterte Schadenersatzansprüche im Nachhinein. Es wäre gut gewesen, den präventiven Ansatz zu stärken. Nichtsdestotrotz
wurde der Weg an dieser Stelle zumindest ein Stück weit
richtig eingeschlagen. Was den anderen Gesetzentwurf,
den Sie heute vorgelegt haben, betrifft, muss ich allerdings sagen: Hier sind Sie verdammt kurz gesprungen.
Ich befürchte, dieses Gesetz wird uns insgesamt nicht
voranbringen.
Danke schön.
({4})
Der Kollege Hans-Ulrich Krüger ist der nächste Redner für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nachdem wir in der letzten Woche mit der
Verabschiedung des Eigenheimrentengesetzes dafür gesorgt haben, dass der Erwerb eines Eigenheims im Rahmen zusätzlicher Altersvorsorge staatlich gefördert wird,
beschließen wir heute eine nachhaltige Verbesserung der
Verbraucherrechte bei der Inanspruchnahme von Immobiliarkrediten. Damit führen wir unsere Erfolgsstory
zugunsten der Verbraucher fort und setzen einen erfolgreichen Schlusspunkt unter eine seit gut einem Jahr währende Debatte.
Künftig werden Meldungen, dass der Verkauf von
Forderungen an ausländische Finanzinvestoren zu unberechtigten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen geführt
hat, der Vergangenheit angehören. Schlagzeilen wie
„Schulden auf Reise“ oder „Die Banken sagen einfach
servus“ können wir vergessen.
Mit einer Vielzahl von Maßnahmen stärken wir die
Stellung des Kreditnehmers, damit der Traum von den
eigenen vier Wänden nicht zu einem Albtraum wird.
({0})
Künftig muss jeder Kunde vor Abschluss eines Vertrages
ausdrücklich - und nicht nur über Allgemeine Geschäftsbedingungen - darüber informiert werden, ob
sein Vertrag verkauft werden kann. Welche Bedeutung
dies hat, zeigt die Reaktion der Märkte: So bieten zum
Beispiel Sparkassen, Volksbanken, aber auch einzelne
Privatbanken Finanzierungsmodelle an, die ausdrücklich
nichtabtretbare Kredite zum Gegenstand haben.
Ist ein Vertrag zustande gekommen, so ist der Darlehensgeber im Falle eines Verkaufs der Forderungen verpflichtet, seinem bisherigen Kunden dies mitzuteilen.
({1})
Ferner hat er spätestens drei Monate vor Auslaufen der
vereinbarten Zinsbindung die Pflicht, dem Kunden mitzuteilen, ob und, wenn ja, unter welchen Voraussetzungen ein Anschlussvertrag zustande kommt. Der Schuldner bekommt dadurch das, was er in einer solchen
Situation am dringendsten braucht: Zeit und Sicherheit.
Die gleiche Sicherheit bekommt der Kunde durch die
Neufassung von § 498 Abs. 3 BGB, bei der es darum
geht, wann ein Kredit wegen Zahlungsverzugs gekündigt werden kann. Bislang hing dies davon ab, was im
Kreditvertrag vereinbart war. Waren die dort genannten
Voraussetzungen - in aller Regel ein Verzug von zwei
oder drei Monatsraten - erfüllt, galt der Kredit als notleidend. Nach der neuen Rechtslage hat der Kreditnehmer
die Gewissheit, dass sein Kredit erst dann gekündigt
werden kann, wenn er mit zwei aufeinanderfolgenden
Teilraten und mindestens 2,5 Prozent des Nennbetrages
in Verzug ist. Bei einem Kredit über 100 000 Euro und
einem Zins von 4,5 Prozent heißt dies, dass der Kreditnehmer mit circa fünf Monatsraten in Verzug sein muss,
bevor ihm sein Vertrag gekündigt werden kann. Das bedeutet nicht nur einen erweiterten Verbraucherschutz,
das bringt vor allem Rechtssicherheit.
Im Bereich der Zwangsvollstreckung ist ein komplexer, aus verschiedenen Einzelteilen bestehender Schutzschirm zugunsten der Verbraucher zusammengesetzt
worden. Storys in Zeitungen und Fernsehberichte, in denen von unberechtigten Zwangsvollstreckungen die
Rede ist, gehören damit der Vergangenheit an.
Mit der neu gefassten Sicherungsgrundschuld haben
wir ein effektives Instrument geschaffen: Ungeachtet der
Höhe der eingetragenen Grundschuld kann zukünftig nur
noch in Höhe der aktuell bestehenden Forderung vollstreckt werden, egal welchen guten Glauben der Erwerber an die Höhe der Forderung hatte.
Ferner muss jeder Vollstreckung aus einer Grundschuld eine Kündigung vorangehen, die mit einer Sechsmonatsfrist belegt ist. Das ist ausreichend, um dem
Schuldner den Ernst der Lage vor Augen zu führen und
ihm die Zeit zu geben, das drohende Unheil abzuwenden. Das ist gut so, und das ist richtig so.
Ergänzt wird dieser Schutzschild um die Möglichkeit,
die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne zusätzliche Sicherheitsleistung zu erreichen, sofern ein unabhängiger Richter dem Vorbringen des Schuldners Aussicht auf Erfolg beimisst.
Sollte trotz all dieser Sicherungsmaßnahmen im Einzelfall ein Fehler passiert sein, ist nach der neuen Rechtslage Vorsorge getroffen, nämlich in Form eines verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruches. Das
heißt, niemand kann sich mehr darauf berufen, er habe
gutgläubig eine Vollstreckungsmaßnahme eingeleitet. Es
geht künftig nur darum, ob die Vollstreckungsmaßnahme
objektiv berechtigt war. War sie es nicht, steht dem
Schuldner Schadenersatz zu.
All diese Maßnahmen also - vom vorvertraglichen
Hinweis auf abtretbare oder nichtabtretbare Kredite bis
zu den Zwangsvollstreckungsmaßnahmen - sorgen dafür, dass Rechtssicherheit eintritt und Leistungsstörungen genauso behandelt werden, wie es vorher vereinbart
war und „Heuschrecken“ - dieser Name klingt ja immer
wieder an - in Zukunft richtigerweise hier nicht mehr ihr
Futter finden.
Heute ist ein guter Tag dafür, dass sich Kreditgeber
und Kreditnehmer trotz der wirtschaftlichen Ungleichgewichtigkeit rechtlich wieder auf Augenhöhe begegnen
können. Das Risikobegrenzungsgesetz, dessen Bestandteile die von mir vorgetragenen Regelungen zum Kredithandel sind, hat daher schon im Vorfeld und parallel zu
den Beratungen seinen Lackmustest für Fairness und
mehr Klarheit bei der Kreditvergabe bestanden. Das ist
gut so.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({2})
Das Wort erhält nun der Kollege Christian Ahrendt
für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Krüger, die Worte höre ich wohl; allein mir
fehlt der Glaube. Ich kann, wenn ich mir das Risikobegrenzungsgesetz und den jetzt vorgesehenen Kreditnehmerschutz anschaue, nicht feststellen, dass es tatsächlich
eine wirksame Verbesserung für die Kreditnehmer in
Deutschland gibt.
({0})
Sie machen einen einzigen Sprung bei den Informationspflichten. Aber Tatsache bleibt: Die Abtretung der
Forderung als solche ist nicht geregelt. Das heißt, Kreditforderungen können nach wie vor ohne Einschränkung an internationale Finanzinvestoren verkauft werden. Diese haben damit im Fall der Abtretung der
Kreditforderungen Zugriff auf die Grundschulden und
das notarielle Schuldanerkenntnis.
Wenn Sie sich die Regelung zum Kündigungsschutz,
die Sie eben hervorgehoben haben, anschauen, dann
werden Sie feststellen, dass man selbst mit der Gesetzesbegründung, die Sie vorgelegt haben, nicht viel weiterkommt. Zwar ist es richtig, dass Sie den Kreditnehmer
dahin gehend schützen, dass erst ein Rückstand von zwei
aufeinanderfolgenden Raten oder von 2,5 Prozent des
Nominalbetrages dazu führen soll, dass ein Kredit gekündigt werden kann. Aber Sie haben § 490 BGB vergessen. Es ist nach wie vor so - das steht auch in Ihrer
Begründung zum Gesetz -, dass der Kredit gekündigt
werden kann, wenn sich die Vermögensverhältnisse des
Kreditnehmers verschlechtern. Das kann der Fall sein,
wenn er arbeitslos wird. Das kann der Fall sein, wenn
sich der Wert der Immobilie mindert. Damit haben Sie
den Auffangtatbestand, der den Menschen schon heute
Schwierigkeiten bereitet, im Grunde genommen nicht
repariert. Deswegen gibt es nach wie vor keinen verbesserten Kreditnehmerschutz.
({1})
Es ist auch nicht so, dass Sie etwas Wesentliches im
Hinblick auf die Grundschuld verbessert haben. Sie haben unnötig in den Bereich der Grundschuld eingegriffen. Sie schreiben zwar in das Gesetz, dass Einwendungen aus dem Schuldverhältnis auch gegen die
Grundschuld geltend gemacht werden können. Gleichwohl ist es aber so, dass Sie den zweiten Schritt, nämlich
konsequente gesetzliche Änderungen dahin gehend, dass
es einer Sicherheitsleistung im Zwangsvollstreckungsverfahren nicht bedarf, nicht vollziehen. Damit haben
Sie beim einstweiligen Rechtsschutz, um eine Zwangsvollstreckung abzuwehren, nicht genug getan.
Wir, die FDP, haben den besseren Vorschlag gemacht.
Wir haben gesagt: Wir wollen den Kreditnehmer vollständig auf Augenhöhe mit den Banken bringen. Erst
dann, wenn er die Abtretung seiner Kreditforderung genehmigt, soll diese auch wirksam übergehen können.
Damit hat er die Chance, dann zu entscheiden, wenn es
so weit ist, und sieht sich nicht bereits bei Vertragsschluss vor diese Alternative gestellt. Das wäre der bessere Weg gewesen. Denn der Kreditnehmer setzt mit den
vielfältigen Sicherheiten, die er den Banken zur Verfügung stellt, auf eine lange Geschäftsbeziehung. Er hat
Vertrauen. Er gibt Selbstauskünfte, er gibt seine Vermögenswerte preis und hat dann auch das Recht, über den
Verkauf seiner Kreditforderung selber zu entscheiden. Er
bekommt dann die Tatsache des Verkaufs nicht einfach
nur im Rahmen der Informationspflicht zur Kenntnis.
Sie haben im Winter großzügig einen verbesserten
Kreditnehmerschutz angekündigt. Der erste Gesetzesvorschlag war möglicherweise bärenstark. Aber jetzt
sind Sie tatsächlich als Bettvorleger in der Bankenbranche gelandet. Insofern gibt es keine Verbesserung des
Kreditnehmerschutzes für die Menschen in Deutschland.
({2})
Ich erteile das Wort nun dem Kollegen Heinz
Riesenhuber für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kollegen! Herr Troost hat in seiner feurigen Rede dargestellt, wie übel die Heuschrecken den
Menschen und den Unternehmen mitspielen. Wir reden
heute aber gar nicht über Heuschrecken und auch nicht
über Private Equity. Insofern ist Ihr Antrag neben der
Sache. Wir reden von Wagniskapital.
({0})
Das sind zwei völlig verschiedene Welten.
({1})
Durch Private Equity, worüber wir heute nicht diskutieren, können durchaus Werte in Unternehmen gehoben
werden, die nicht erkannt worden sind. Wagniskapital
führt dazu, dass neue Werte, neue Arbeitsplätze und
neue Märkte geschaffen werden. Wagniskapital und
junge Technologieunternehmen - das ist die Welt, in
der in offenen Märkten das Neue entsteht und in der ein
absolutes und maximales Risiko für alle Investoren und
auch für die Gründer selber besteht, die Jahre ihres Lebens darauf setzen. Auf der anderen Seite besteht aber
auch eine enorme Chance für die Volkswirtschaft; denn
durch die Gesamtheit der Wagniskapitalgesellschaften
und der jungen Technologieunternehmen wachsen der
Wohlstand und die Zahl der Arbeitsplätze. Deshalb ist es
richtig, dort zu helfen und zu unterstützen, dem Neuen
zum Durchbruch zu verhelfen und dafür zu sorgen, die
Arbeitsplätze zukunftsfähig und gut bezahlt zu machen.
({2})
Es gab hier eine ziemlich komplexe Debatte. Unser
Konsolidierungsziel ist hoch gesteckt. Der Bundesfinanzminister schätzt, dass die Umsetzung der Regelungen im MoRaKG zu Kosten in Höhe von 475 Millionen
Euro führen wird. Wie viel es wirklich sein wird, wird
man sehen. Weiter konnten wir nicht gehen, als unsere
Ziele in diesem engen Rahmen zu setzen. Wie wir das
getan haben, hat Klaus-Peter Flosbach dargestellt.
Ich wiederhole die Ausführungen zur Behandlung der
Verlustvorträge, zum Alter der Firmen und zur Höhe des
Eigenkapitals nicht. Ich gehe nicht auf die einzelnen Bedingungen für die Business-Angels und die Erhöhung
der Freigrenzen beim Verkauf ihrer Anteile ein. Ich spreche auch nicht über die transparente Besteuerung. Dies
alles sind Elemente einer Strategie, die in dem begrenzten Umfang, der uns gegeben war, richtig ist.
Hierzu hat die Expertenkommission Forschung und
Innovation der Bundesregierung gesprochen. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung der Bundesregierung hat am
17. Juni 2008 ebenfalls dazu gesprochen.
({3})
Sie sagen, wir könnten uns hier eigentlich noch sehr viel
mehr wünschen.
({4})
Sie sagen aber auch, dass das ein Schritt in die richtige
Richtung ist.
Lesen Sie einmal bei den Kirchenvätern nach: Melius
est in via claudicare, quam praeter viam fortiter ambulare - besser ist es auf dem rechten Weg, und sei es auch
manchmal, zu humpeln, als auf dem falschen Weg wacker voranzuschreiten.
({5})
Insofern sind wir noch nicht da, wo wir hinwollen.
Das sagen auch die Bundesregierung, der Bundesrat und
die Sachverständigen aus den verschiedenen Kommissionen. Die Richtung stimmt aber. Weil wir wissen, dass
wir noch nicht da sind, wo wir hinwollen, ist beschlossen, dass in zwei Jahren das, was geschehen ist, evaluiert
wird.
({6})
Dann wird es sehr konkrete Fragen geben. Es wird
dann gefragt: Sind die Grenzen - Höchstalter von zehn
Jahren und 20 Millionen Euro Eigenkapital - zu eng gesteckt? Schneiden wir damit nicht gerade diejenigen von
der Beteiligung ab, die den Durchbruch zu wirklich großen Unternehmen schaffen können? Brauchen wir nicht
gerade sie?
Von den größten 55 Unternehmen, die seit 1960 gegründet worden sind, befinden sich 53 in den USA und
zwei in Europa. Das ist nicht das, was Europa für seine
Zukunft braucht. Hier müssen wir schauen, ob wir genauer ansetzen können.
({7})
Wir werden zu prüfen haben, wie viele neue Wagniskapitalfonds es in zwei Jahren tatsächlich geben wird.
Frau Scheel, ich glaube, Sie waren es, die davon sprach,
dass das nach aktuellen BVK-Umfragen wahrscheinlich
nur wenige sein werden. Wir werden schauen, wie viele
Unternehmen in unserem Land neu gegründet worden
sind; denn all dies wollen wir. Wir werden dann auch sehen, wie hoch die tatsächlichen Kosten für die Steuerzahler sind und ob die Business-Angels einsteigen oder
ob sie noch zögern, weil die Bedingungen hier nicht gut
sind. Wir werden dann schauen, ob wir die Bedingungen
von Frankreich und England auf Deutschland übertragen
können. Das sind unsere Vorbilder. Wir werden prüfen,
ob die geteilte Aufsicht zwischen den Länderwirtschaftsministern für die Unternehmensbeteiligungsgesellschaften und der BaFin für die Wagniskapitalgesellschaften
sinnvoll ist.
An einige dieser Punkte gehen wir heran. Vom Ergebnis müssen wir es abhängig machen, wie die nächste
Runde sein wird. Wir alle wollen das Gleiche: eine dynamische Volkswirtschaft und mehr Gründer in der Spitzentechnologie. Frau Hauer hat schon zu Beginn ihrer
Rede von den 70 000 Patenten und unserer Mächtigkeit
im Erfinden der Zukunft gesprochen. Aber an der Umsetzung in die Wirklichkeit, also in Arbeitsplätze, müssen wir arbeiten. Hier die optimalen Bedingungen herauszuarbeiten, wird unsere Aufgabe sein.
In zwei Jahren wissen wir mehr. Voraussichtlich wird
auch dann das Geld relativ knapp sein. Voraussichtlich
werden wir in einer sehr viel härteren internationalen
Konkurrenz stehen. Dann müssen wir abwägen. Der
Finanzminister hat auch dann sein pflichtgemäß steinernes Herz.
({8})
Aber in der Tiefe seiner Brust glimmt doch der Funke
des Unternehmungsgeistes, der Freude am Neuen, der
Begeisterung, eine Zukunft für Deutschland auch mit
den Mitteln des Finanzministers zu entfesseln.
({9})
Herr Kollege Riesenhuber, bitte denken Sie an Ihre
Redezeit.
Mit dem Wunsch, aus der Tiefe des Herzens die Zukunft zu bauen, Herr Finanzminister, mit der Begeisterung am Wettbewerb, die wir auch vom Fußball kennen,
mit der Begeisterung, die Sie auch am Sonntag beim
Endspiel haben werden, sollen Sie an das Thema Wagniskapital und damit an die Zukunft der deutschen Firmen herangehen.
({0})
Mir ist, Herr Kollege Riesenhuber, am Ende nicht
ganz deutlich geworden, ob Sie hiermit den Einsatz des
Bundesfinanzministers am Sonntagabend als Bestandteil
der deutschen Mannschaft ausdrücklich beantragen
wollten.
({0}) [CDU/
CSU]: Gott bewahre! - Abg. Dr. Heinz
Riesenhuber [CDU/CSU] begibt sich zu einem
Mikrofon)
- Nach der großzügigen Überschreitung Ihrer Redezeit
denke ich jetzt nicht daran, für eine mögliche Klarstellung zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen habe ich vorhin bei Ihrem lateinischen Zitat gedacht: Wenn sich noch größere Teile der Debattenbeiträge in lateinischer Sprache vortragen ließen, würde
das Maß an Meinungsverschiedenheiten in der Aussprache vermutlich deutlich geringer.
({1})
Wenn wir dann in diesem Zusammenhang wenigstens
für Business-Angel einen lateinischen Begriff fänden,
wenn uns schon kein deutscher einfällt,
({2})
hätten wir vielleicht sogar einen Beitrag zur größeren
Verständlichkeit der deutschen Gesetzgebung geleistet.
({3})
Nun hat der Kollege Dr. Gerhard Schick für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Jetzt bin ich natürlich gezwungen, in der Fußballterminologie weiterzumachen.
({0})
- Oder auf Lateinisch. Da mein Lateinunterricht schon
etwas zurückliegt, möchte ich lieber beim Thema Fußball anknüpfen. Ich glaube, hier ist ein guter Vergleich
möglich.
Wenn wir zu der Frage der Kreditverkäufe kommen,
dann geht es um das Stichwort - Sie entschuldigen, dass
ich es auf Englisch sage - Level-Playing-Field,
({1})
die Frage, ob das Spielfeld eben ist. Beim Fußball ist das
eine ganz entscheidende Frage. Deswegen ist jedes Stadion so gebaut, dass beide Tore auf gleicher Höhe sind
und beide Mannschaften ein ebenes Feld haben. Die
Frage ist, wie es auf den Finanzmärkten zugeht und wie
das Verhältnis zwischen dem Kreditnehmer und dem ist,
der die Forderung in den Händen hält. Dieses Verhältnis
hat sich in den letzten Jahren verschoben. Es ist nämlich
so, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sozusagen bergauf spielen müssen. Genau das ist die Verschiebung.
Damit sieht man bei diesem Bild sehr deutlich: Von
sozialer Marktwirtschaft können wir nur dann reden,
wenn das Spielfeld eben ist. Durch Veränderungen auf
den Finanzmärkten und durch Veränderungen in Bezug
auf die Globalisierung, die dazu führen, dass Kredite
weiterverkauft werden, kommt es zu keinem fairen Ausgleich auf Augenhöhe mehr.
Jetzt behauptet Herr Krüger, dass dieses Missverhältnis mit dem neuen Risikobegrenzungsgesetz wieder in
Ordnung gebracht wird, sodass Verbraucherinnen und
Verbraucher wieder auf Augenhöhe mit denen sind, die
die Forderung in der Hand haben, sei es die Bank, sei es
der erste, der zweite oder dritte Käufer, weil Kreditforderungen sehr häufig verkauft werden. Genau darin widerspreche ich Ihnen. Sie bringen die Verbraucherinnen
und Verbraucher zwar wieder ein Stück weit in eine stärkere Position, aber das ebene Spielfeld wird nicht erreicht.
({2})
Genau das ist aber das Ziel einer verbraucherorientierten
Politik, die wir auch auf den Finanzmärkten brauchen
und die wir Grünen schon vor einem Jahr im Bereich der
Kreditverkäufe angestoßen haben, als wir gefordert haben, dass dies wieder auf Augenhöhe gelingen muss.
Es geht um folgende drei Punkte: Erstens. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher waren überrascht, als sie
plötzlich von irgendjemandem unter dem Stichwort
Zwangsvollstreckung angeschrieben wurden, mit dem
sie nie ein Geschäftsverhältnis hatten. Das gehen Sie an,
indem Sie eine sechsmonatige Kündigungsfrist einräumen und fordern, dass im Vertrag und bei Verkauf informiert wird.
Zweitens. In der Frage, wann ein Kredit gekündigt
werden darf, gehen Sie die Sache nur halb an. Da bleibt
das Spielfeld schief. Sie klären zwar die Frage des Zahlungsverzugs, aber nicht die des Wertverfalls. Heute
kann der Forderungsinhaber schon dann kündigen, wenn
nur ein Wertverfall droht. Das ist für die vielen Menschen, die in ländlichen Regionen - gerade auch im Osten unseres Landes - Immobilienkredite haben, sehr
schwierig, weil dort die Sicherungen an Wert verlieren
und ein Kredit sehr schnell gekündigt werden kann. Hier
wäre eine klare Regelung notwendig gewesen.
({3})
Drittens besteht in Deutschland viel zu leicht die
Möglichkeit der Vollstreckung in die Grundschuld. Das
heißt konkret, dass es für Verbraucherinnen und Verbraucher schwierig ist, sich gegen eine Zwangsvollstreckung zu wehren. Auch dabei bleiben Sie auf halbem
Wege stehen.
Richtig ist, dass eine stärkere Koppelung durch die
Sicherungsabrede erfolgt. Das haben Sie richtig dargestellt. Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen
sich aber erst wieder in einem Rechtsstreit, bei dem sie
kundig sein müssen und in dem eine Sicherheitsleistung
erforderlich ist, gegen eine Verletzung ihrer Rechte wehren.
Herr Dautzenberg hat das im Ausschuss sehr gut ausgedrückt. Das heutige Recht ist für Kundige gar nicht so
schlecht, aber für Unkundige ist es extrem schwierig.
Diese Problematik bleibt bestehen.
Deswegen haben wir als Grüne als zentrales Sicherungsnetz vorgeschlagen, dass immer ein Sanierungsversuch zu unternehmen ist, bevor vollstreckt wird. Wir
wollen ein sicheres Netz einziehen, damit der Verbraucher nicht mit dem Rücken zur Wand steht oder - um
beim Fußball zu bleiben - bergauf spielen muss. Das erreichen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur FDP
sagen. Ich fand die Unterschiede der beiden Redebeiträge der Schäffler-FDP und der Ahrendt-FDP interessant. Auf der einen Seite wurde festgestellt, dass mit
dem Risikobegrenzungsgesetz Investitionen verhindert
würden und dass dieses Gesetz ein weiteres Beispiel für
ein ständiges Eingreifen sei - dabei ist im Kern des Gesetzentwurfs wenig enthalten, was die Kapitalmärkte
verändern würde; es erreicht nicht mehr als einen Hauch
von Transparenz -; auf der anderen Seite hat Herr
Ahrendt gefordert, dass wir mehr zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher tun.
Ich kann Ihnen darin zustimmen, dass es notwendig
gewesen wäre, bei den Forderungsverkäufen mehr für
die Verbraucherinnen und Verbraucher zu tun. Dann
müssten Sie aber auch endlich Ihre marktradikale Position, die besagt, dass man nicht in den Markt eingreifen
darf, zu den Akten legen.
Vielen Dank.
({4})
Nun hat der Bundesminister der Finanzen, Peer
Steinbrück, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Riesenhuber sehr dankbar, dass er das
komplexe Thema der Wagniskapitalfinanzierung in seinem Schlussakkord zielführend auf das Endspiel der
Europameisterschaft hingeführt hat. Auf die Frage des
Herrn Präsidenten, ob Ihre Ermunterung an meine
Adresse auch darauf hinauslaufen könnte, dass ich einen
aktiven Part dabei spielen sollte, möchte ich Ihnen nicht
vorenthalten, was Herr Dautzenberg mir zurief: „Aber
wir wollen doch gewinnen!“ - Recht hat er.
({0})
Als ich einige Reden verfolgte, war ich fasziniert davon, welcher Spagat sich dabei auftut. Aus der Rede von
Herrn Troost, in der es in der Tat nicht um Wagniskapitalfinanzierung ging, hatte man den Eindruck, dass wir
mit einem solchen Gesetzentwurf, wie er heute verabschiedet werden soll, die Knechte eines internationalen
Finanzkapitals würden. Sie haben die antikapitalistischen Reflexe in allen Tönen rauf- und runtergespielt.
({1})
Das macht keinen Sinn.
Die FDP argumentiert dagegen, das Ganze sei eher
ein Investitionsbegrenzungsgesetz, und den angeblich so
interessenfreien Renditevorstellungen der Investoren
müsse viel mehr Raum gegeben werden. Das Ganze
zeugt geradezu von einer ungeheuren Risikovergessenheit, als ob wir es nicht mit einer ganzen Reihe von Risiken in der Entwicklung der Finanzwirtschaft sowohl national als auch international zu tun hätten. Man hat den
Eindruck, dass man mit einem mittleren Weg, einer
Common-Sense-Position und einem gesunden Menschenverstand bei den beiden Gesetzentwürfen, die
heute verabschiedet werden, eigentlich ganz gut und
richtig aufgehoben ist.
({2})
Ich will gleich zu Beginn folgende Tatsache sehr
deutlich machen: Es gibt kein anderes Land, das international so vernetzt ist und in seiner Wohlstandsentwicklung von Außenwirtschaftsbeziehungen so abhängig
ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Das heißt, jeder, der das Chancenpotenzial der globalen und internationalen Entwicklung in Abrede stellt, weil er die damit
verbundenen Risiken so hochstilisiert, dass man gar keinen Blick mehr für die Chancen hat, hält ein Plädoyer
für Wohlstandsverluste in der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Wir müssen den Menschen vermitteln, dass Deutschland
ein massives Interesse hat, seine Außenwirtschaftsbeziehungen weiterzuentwickeln sowie an den vernetzenden
und integrierenden Effekten oder Entwicklungen weiter
teilzuhaben. Dazu gehören nicht nur eine sehr starke
Realwirtschaft - diese haben wir als Exportweltmeister -,
sondern auch eine eigene Finanzwirtschaft, die mit den
weltweiten Entwicklungen in etwa mithalten kann.
({4})
Daher macht die ständige Verleumdung, die ständige
Diskreditierung - so schwierig die Prozesse auch sein
mögen - keinen Sinn. Das bedeutet nicht, dass man die
damit verbundenen Risiken verleugnen sollte, die gerade
in der Finanzmarktkrise offenbart werden.
({5})
- Aber beides bitte. - Ich möchte außerdem darauf hinweisen, dass das deutsche Bankensystem bzw. die
Finanzdienstleister in Deutschland inzwischen einen
hohen Stellenwert haben und mit 1,3 Millionen bzw.
1,4 Millionen hochqualifizierten Arbeitsplätzen rund
4 Prozent zu unserem Bruttosozialprodukt beitragen.
({6})
Das heißt, die Diffamierung, die Verleumdung oder die
Bedienung von Vorurteilen und Antireflexen in diesem
Zusammenhang hat in meinen Augen nichts mit politischer Verantwortung zu tun.
({7})
Damit ich nicht missverstanden werde: Nationale und
internationale Finanzmärkte sind für uns sehr wichtig.
Sicherlich ist die Schieflage zwischen einer sehr starken
Realwirtschaft und im Vergleich dazu einer unterentwickelten Finanzwirtschaft in Deutschland sehr groß.
In Großbritannien ist es umgekehrt. Großbritannien hat
fast seine gesamte industrielle Basis aufgegeben und dafür eine riesige Finanzwirtschaft geschaffen, übrigens
mit hoher Anfälligkeit gegenüber den damit verbundenen Risiken. Vor diesem Hintergrund ist nicht in Abrede
zu stellen - ich finde, das sehen Sie von der FDP nicht
richtig -, dass die Finanzmärkte erhebliche unerwünschte Risiken, fehlerhafte Entwicklungen und
Exzesse als Begleiterscheinungen haben und dass allein
der Markt das keineswegs richtet. Herr Schäffler und
Herr Ahrendt, wenn wir in der Rationalität einen Marktmechanismus hätten, dann hätte es zu der aktuellen Finanzmarktkrise gar nicht kommen dürfen, weil die
selbstdisziplinierenden Kräfte des Marktes dafür hätten
Sorge tragen müssen, dass dieser fast eingetretene Super-GAU auf den Finanzmärkten nicht stattfindet.
({8})
Diese Analyse führt automatisch dazu, dass Spielregeln erlassen werden müssen. Wir wissen, dass die
Spielregeln vor dem Hintergrund des freien Kapitalverkehrs nicht nur unter den Bedingungen der Europäischen
Union, sondern auch darüber hinaus nicht allein auf nationalstaatlicher, sondern nur noch auf internationaler
Ebene funktionieren können.
({9})
In den letzten acht, neun Monaten hat sich hier einiges
getan. Den Menschen muss sicherlich vermittelt werden,
dass es sich um komplexe Sachverhalte handelt. Aber
wir sind im Hinblick auf das Erlassen von Spielregeln
weitergekommen. Ich nenne als Beispiele die kritische
Betrachtung der Ratingagenturen, die Tatsache, dass
Exzesse nicht mehr in dem Maße möglich sind, weil
kein Eigenkapital mehr unterlegt werden muss, die Definition von Liquiditätsstandards und die Verbesserung der
die Grenzen der Nationalstaaten übergreifenden Aufsicht. Hier hat sich einiges entwickelt, was gelegentlich
auch in Ihren Analysen einen größeren Stellenwert haben sollte, wenn Sie nicht nur meinungsstark und faktenschwach, sondern auch faktenstark sein möchten.
({10})
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen stellt, wie ich finde, einen richtigen und wichtigen
Schritt dar. Er hat eindeutig auch etwas mit Defiziten in
der Marktentwicklung zu tun. Nach unserer Analyse
wird in Deutschland Wagniskapital - da stimme ich
Herrn Riesenhuber zu - vom Markt nicht in dem Ausmaß zur Verfügung gestellt, wie dies eigentlich notwendig wäre. Das heißt, hier ist staatliches Handeln geboten,
und dem werden wir gerecht: durch eine sogenannte
transparente Besteuerung ausschließlich auf der Ebene
des Anlegers.
({11})
- Man kann nicht beides haben; man kann doch nicht
immer alles haben. Im Übrigen wird es auch uferlos. Ich
entnehme Ihren Worten, Herr Schäffler, dass Sie glauben, wir hätten die Private-Equity-Branche insgesamt
steuerlich besserstellen müssen. Weshalb? Weshalb sollen wir denen steuerliche Vorteile gewähren? Sie sollen
ihre Rendite erzielen, aber warum denn mit dem Geld
des Steuerzahlers?
({12})
Es gibt überhaupt keinen Grund, dies zu fordern, nach
dem Motto: Wenn der Steinbrück schon einmal dabei ist,
gewisse Steuererleichterungen in einem begrenzten Rahmen zu gewähren, warum dann nicht gleich mit der
Gießkanne Steuerleichterungen für die gesamte Private-Equity-Branche? Ich deute nur an, dass es sich da
um Volumina handelt, die jeder anderen haushaltspolitischen Zielsetzung deutlich entgegenwirken.
Ich habe in diesem Zusammenhang ebenfalls nie verstanden, warum Sie aufgrund Ihrer ordnungspolitischen
Vorstellungen - zumindest subkutan - einer Art steuerlicher Rundumförderung das Wort reden.
({13})
Aus Zeitgründen und weil in den meisten vorherigen
Beiträgen, angefangen bei dem von Frau Hauer, darauf
hingewiesen worden ist, will ich auf diesen Gesetzentwurf nicht weiter eingehen.
Ich möchte noch einmal Folgendes deutlich machen:
Ich glaube, dass es richtig ist, sich auch mit den Risiken
zu beschäftigen und gewissen Fehlentwicklungen auf
nationalstaatlicher Ebene mit einem solchen Risikobegrenzungsgesetz einen Riegel vorzuschieben. Im Übrigen kritisiere ich all diejenigen, die so tun, als ob der
Staat da gar nicht eingreifen müsste. Dass der Staat eingreift, ist der explizite Wunsch der Branche selber gewesen. Der Inhalt dieses Gesetzentwurfs entspricht zum
überwiegenden Teil den Vorschlägen der Branche.
({14})
Das haben sich doch nicht irgendwelche verrückt gewordenen Politiker ausgedacht.
Wir wollen damit die Transparenz stärken. Wir wollen mehr Rechtssicherheit auf dem Kapitalmarkt. Wir
wollen, dass der Einfluss, den Investoren allein oder
gemeinsam auf Unternehmen ausüben, in Übereinstimmung mit ihrem Stimmrechtsanteil steht und nicht darüber hinausgeht. Wir wollen verhindern, dass leistungsfähige Unternehmen durch die übermäßige Belastung
mit Krediten ausgeplündert werden. Sie alle kennen diesen Mechanismus: Der Preis, den man zum Aufkauf eines Unternehmens zahlt, wird dadurch refinanziert, dass
man sich dieses Geld über Sonderausschüttungen zurückholt. Wir wollen, dass vor allem diejenigen, die von
solchen Übernahmen in der Regel als Erste negativ berührt sein können, nämlich die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer, Informationsrechte bekommen und sich
darauf einstellen können.
({15})
- Im Rahmen dessen, was das deutsche Mitbestimmungsrecht ihnen eröffnet, dürfen und sollen sie auch
mitbestimmen. Sie wissen, dass die Mitbestimmungsgesetzgebung in Deutschland im internationalen Vergleich
nicht die schlechteste ist.
({16})
Ich will einem verbreiteten Vorurteil entgegenwirken,
das auch Herr Troost bedient hat. Sie alle kennen die
Medienberichte über den Verkauf von Immobilienkrediten durch Banken und die dadurch bei den Immobilienkäufern ausgelösten Verunsicherungen. Viele Menschen
haben den Eindruck, ihre Hypothekenverträge fänden
sich plötzlich ganz woanders wieder und es könnte jemand kommen, an der Wohnungstür klingeln und sagen:
Jetzt hast du die Zwangsvollstreckung vor dir. Vor dem
Hintergrund dieser enormen Verunsicherung will ich
hier zwei Klarstellungen machen:
Erstens. Kreditverkäufe sind weltweit ein wichtiges
Refinanzierungsinstrument für Banken.
({17})
Es macht insgesamt keinen Sinn, diese Kreditverkäufe
zu diskreditieren; denn von diesem Refinanzierungs18462
potenzial profitieren alle Kunden von Sparkassen, Genossenschaftsbanken und anderen Banken: Kredite werden dadurch billiger. Das muss ausgesprochen werden.
Zweitens - mir ist sehr daran gelegen, darauf hinzuweisen -: Bisher sind in Deutschland keine Fälle bekannt, in denen nach Erwerb einer Hypothek durch
Finanzinvestoren trotz ordnungsgemäßer Bedienung dieser Kredite eine Zwangsvollstreckung erfolgt ist.
({18})
Das gibt es nicht.
({19})
- Nein, das gibt es definitiv nicht. Verbreiten Sie doch
nicht diesen Schwachsinn!
({20})
- Die Bedingung ist: wenn der Kredit ordnungsgemäß
bedient wird. Wenn ein Kredit nicht ordnungsgemäß bedient wird, dann kommt man in eine schwierige Lage.
Dazu muss ich ehrlich sagen: Da wird auch Vater oder
Mutter Staat nicht jedem Kreditnehmer die Risiken von
der Backe nehmen können. Das ist nicht unsere Aufgabe.
({21})
Mit diesem Teil des Risikobegrenzungsgesetzes ist
klar, dass Banken die Verbraucher künftig vor Vertragsabschluss - also nicht von hinten durch die Brust ins
Auge - darüber informieren, ob ein Kredit verkäuflich
ist oder nicht. Es steht dem Kunden dann offen, selber zu
entscheiden, ob er anderswo einen entsprechend garantierten Kreditvertrag abschließen will.
Auch deshalb haben wir in diesen Gesetzentwurf
- ich bin dankbar, dass die Koalitionsfraktionen zu diesem Ergebnis gekommen sind - gezielt kein Sonderkündigungsrecht aufgenommen; denn ein solches Sonderkündigungsrecht würde dazu führen, dass die Zinsen
steigen,
({22})
weil das Geschäft für die Banken unkalkulierbarer wird,
weil sie dann keine Vorfälligkeitsentschädigung mehr
bekommen würden. Das würde automatisch zu einer
Verteuerung der Kredite führen. Insofern ist die Tatsache, dass wir kein Sonderkündigungsrecht im Gesetz haben, im Sinne des Verbrauchers, der auf diese Weise
niedrigere Zinsen zu zahlen hat.
({23})
Gerade in der jetzigen Situation, vor dem Hintergrund
einer noch nicht ausgestandenen Finanzkrise, sind wir
darauf angewiesen, Vertrauen in die Finanzmärkte zurückzugewinnen; denn wir brauchen diese Finanzmärkte
für eine Volkswirtschaft in der Dimension der Bundesrepublik Deutschland. Von Verantwortlichen ist Vertrauen missbraucht worden; wir haben es mit Exzessen
zu tun, wie ich gesagt habe. Aber es macht keinen Sinn,
auf dieser Klaviatur der Vorurteile und Reflexe weiterzuspielen. Bundestag und Bundesregierung sind gemeinsam aufgefordert, alles zu tun, damit Vertrauen in die Finanzbeziehungen in der Bundesrepublik Deutschland
zurückgewonnen werden kann.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({24})
Leo Dautzenberg ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Nach intensiver Beratung
verabschieden wir heute nicht nur das Gesetz zur Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbeteiligungen, sondern auch das Gesetz zur Begrenzung der
mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken oder kurz:
das Risikobegrenzungsgesetz.
Auch wenn die Bezeichnung des Gesetzes anderes
suggerieren mag, betone ich gleich zu Beginn: Es geht
bei dem Gesetz nicht an erster Stelle um Regulierung
und den Aufbau von Schutzzäunen. Nein, Transparenz
ist das entscheidende Stichwort.
Ziel des Gesetzes ist es, den Finanzmarkt, insbesondere mit Blick auf die großen Finanzinvestitionen, transparenter zu machen. Alle Marktteilnehmer, vom Emittenten bis zum Kreditnehmer, sollen informiert sein. Sie
sollen die Informationen erhalten, die sie brauchen, um
im Finanzmarktgeschehen auf Augenhöhe mit den anderen Akteuren agieren zu können. Dieses Ziel erreichen
wir mit den Gesetzesänderungen, auf die wir uns im parlamentarischen Verfahren verständigt haben. Das gilt
ausdrücklich auch für das neue Maßnahmenpaket zu den
Kreditverkäufen, das ursprünglich im Regierungsentwurf nur als Prüfauftrag enthalten war.
Doch zunächst zum originären Teil des Risikobegrenzungsgesetzes. Dieser Teil umfasst diverse transparenzverbessernde Maßnahmen im Bereich des Aktien- sowie
des Wertpapierhandelsrechtes. Ein gutes Beispiel für
verbesserte Transparenz in diesem Bereich sind die verschärften Anforderungen an das Aktienregister mit
Blick auf die Namensaktien. Meine Fraktion unterstützt
die bereits im Regierungsentwurf enthaltene Verschärfung ausdrücklich. Es ist das gute Recht der Emittenten
von Namensaktien, zu erfahren, wer ihre wahren Aktionäre sind. Ebenso verständlich ist der Wunsch einiger
börsennotierter Unternehmen, mehr über die Absichten
der Inhaber wesentlicher Beteiligungen an ihren Unternehmen zu erfahren. Dafür sieht das Gesetz diverse neue
Meldepflichten vor.
Ich möchte an dieser Stelle nicht verschweigen, dass
meine Fraktion hier durchaus Bedenken hatte. Im internationalen Vergleich ist ein derartiges Meldesystem
nicht üblich. Zudem haben wir mit dem Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz jüngst erst EU-Anforderungen in diesem Bereich umgesetzt. Ich bin daher froh,
dass wir uns in den Beratungen dazu entschlossen haben,
die ursprünglich fünf Meldepflichten auf vier zu reduzieren. Zudem ermöglichen wir es den Unternehmen, per
Satzungsbeschluss einen Verzicht auf sämtliche Meldungen zu erklären.
Neben dieser Verbesserung des Gesetzentwurfs haben
wir uns im parlamentarischen Beratungsverfahren auf
weitere Änderungen verständigt, die den Marktgegebenheiten besser gerecht werden. Besonders wichtig ist mir
dabei die Konkretisierung der Regelung zu dem abgestimmten Verhalten von Investoren, dem sogenannten
Acting in Concert. Mit der neuen Regelung schaffen
wir mehr Rechtssicherheit und stellen klar, dass ein abgestimmtes Verhalten immer nur dann den Tatbestand
des Acting in Concert erfüllt, wenn es auf dauerhafte
Wirkung abzielt, und nicht, wenn auch Investoren sich
darüber absprechen, wie beispielsweise eine Ausschüttungspolitik eines Unternehmens gewährleistet werden
soll. Das gehört im Grunde zum aktiven Handeln und
nicht zum Acting in Concert.
Ebenso wichtig ist mir eine Klarstellung im Bericht
des Finanzausschusses zu den neuen Informationspflichten für nicht börsennotierte Unternehmen im Betriebsverfassungsgesetz. So verständlich die Informationswünsche von Arbeitnehmern bei Übernahmen sind, so
muss klar sein, dass dadurch nicht die Geschäfts- und
Betriebsgeheimnisse des Unternehmens gefährdet sein
dürfen. Das haben wir im Bericht des Finanzausschusses
ausdrücklich betont.
Erlauben Sie mir nun einige Worte über das Maßnahmenpaket zur Verbesserung des Schutzes beim Verkauf
von Immobilienkreditforderungen. Dieser Punkt war,
wie bereits eingangs erwähnt, im Entwurf des Risikobegrenzungsgesetzes ursprünglich nur als Prüfhinweis der
Bundesregierung enthalten. Wie auch die Anträge der
FDP, der Grünen und der Linken deutlich machen, hat
die Diskussion darüber im Parlament in den letzten Wochen und Monaten einen breiten Raum eingenommen.
Quer durch alle Fraktionen und Fachbereiche lautete die
Frage: Wie viel Schutz brauchen die Verbraucher, brauchen die Unternehmen, wenn Banken ihre Immobilienkredite oder auch Betriebsmittelkredite an andere Banken oder auch an Finanzinvestoren verkaufen? Die
Antwort darauf war nicht leicht, zumal unsere Beratungen von, wie auch der Finanzminister schon betont hat,
teils Panik verbreitender, sachlich falscher Medienberichterstattung begleitet waren. Umso mehr freut es
mich, dass wir uns am Ende auf ein ausgewogenes, vernünftiges Maßnahmenpaket verständigt haben. Meine
Fraktionskollegen aus dem Rechtsausschuss und aus
dem Verbraucherausschuss werden auf die Einzelheiten
noch eingehen.
Als Finanzpolitiker begrüße ich das Ergebnis deshalb,
weil es sowohl die berechtigten Schutzinteressen der
Verbraucher und Unternehmen aufgreift als auch die betriebswirtschaftlichen Belange der Kreditwirtschaft berücksichtigt. Wir begegnen mit den Maßnahmen dem
tatsächlichen Kern der Probleme: Wir beheben das
Informationsdefizit aufseiten der Kreditnehmer und
verbessern bei der Grundschuld ihren Schutz vor ungerechtfertigter Zwangsvollstreckung. Künftig muss jede
Bank ihre Kunden vor Vertragsabschluss explizit über
die Möglichkeit des Kreditverkaufs aufklären. So erhält
der potenzielle Kreditnehmer rechtzeitig die Möglichkeit, einen solchen Verkauf eben auch auszuschließen.
Erleichtert bin ich auch darüber, dass wir auf sämtliche Maßnahmen verzichtet haben, die den Kreditverkauf grundsätzlich eingeschränkt hätten. Schließlich
wären davon nicht nur offene Abtretungen an Finanzinvestoren, sondern sämtliche Variationen des Kreditverkaufs von ABS-Transaktionen bis hin zum Pfandbrief
betroffen gewesen. Das hätte erhebliche Auswirkungen
auf den deutschen Finanzplatz gehabt und letztlich auch
den Kreditnehmern geschadet. So hätte beispielsweise
ein Sonderkündigungsrecht die verbraucherfreundliche deutsche Kultur des Langfristzinses gefährdet und
insgesamt mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Verteuerung der Kredite beigetragen. Es ist daher gut, dass
wir uns hier in Verzicht geübt haben.
Für meinen Teil darf ich also abschließend zum Kreditverkauf sagen: Die intensive und fachübergreifende
Beratung des Themas mit Rechts-, Verbraucher- und
Finanzpolitikern hat sich gelohnt. Das Maßnahmenpaket
ist in allen Belangen ausgewogen. Das gilt auch für
sämtliche Maßnahmen des Risikobegrenzungsgesetzes,
die ich eingangs skizziert habe. Ich werbe daher um die
Zustimmung zum Gesetz.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort erhält nun die Kollegin Marianne Schieder
für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ziel des Gesetzentwurfes, über den wir heute
diskutieren, ist es, unerwünschten Entwicklungen in Bereichen, in denen Finanzinvestoren tätig sind, entgegenzuwirken. Zu diesen unerwünschten Entwicklungen
- das ist heute schon mehrfach erwähnt worden, und das
zeigten vor allem Medienberichte auf - gehört die Gefahr für Privatpersonen, die mit einem Kredit ihr Eigenheim finanzieren, dazu wie üblich ihr Grundstück mit
einer Grundschuld belasten und sich der Zwangsvollstreckung unterwerfen, plötzlich mit einem ganz anderen
Gläubiger konfrontiert und in einen Strudel von unwägbaren Risiken gezogen zu werden. Insbesondere wurde
darüber diskutiert, ob durch den Weiterverkauf von solchen Kreditverträgen ein Erwerber auch dann Immobilienvermögen vollstrecken könne, wenn Kredite ordnungsgemäß bedient wurden.
Im Nachhinein - auch ich möchte das betonen - hat
sich herausgestellt, dass bisher in dieser öffentlichen Debatte unnötige Ängste geschürt wurden und sich die dargestellten Fälle nicht so zugetragen haben, sondern Fälle
konstruiert worden sind. Aber die entfachte Diskussion
machte deutlich, dass gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Selbstverständlich haben wir Verbraucher-,
Rechts- und Finanzpolitikerinnen und -politiker der Großen Koalition uns daraufhin sehr intensiv mit den aufgeworfenen Fragen beschäftigt und zusammen sehr gute
Lösungen gefunden, Lösungen, die Rechtsklarheit und
Rechtssicherheit schaffen, Lösungen, die den Banken
klare Regelungen vorgeben, ohne sie in ihren Möglichkeiten unzweckmäßig einzuschränken, und Lösungen,
die für die Verbraucherinnen und Verbraucher sicher den
gewünschten Schutz bringen.
Wenn schon beim Abschluss eines Kreditvertrages
eine mögliche Verkaufsoption in Form eines deutlich gestalteten Hinweises dargestellt werden muss, wenn ein
Verweis in den allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht
ausreicht und wenn Klauseln in AGBs, die sozusagen
durch die Hintertür und oft unbemerkt eine Zustimmung
des Kreditnehmers zur Auswechselung des Vertragspartners zur Folge haben, unwirksam sind, dann haben es die
Verbraucherinnen und Verbraucher doch in der Hand,
dafür zu sorgen, dass ihr Kredit eben nicht weiterverkauft und diese Zusage eingehalten wird.
({0})
Inzwischen bieten viele Kreditinstitute von sich aus
ihren Kunden Kredite an, die eben nicht weiterverkauft
werden. Ebenso viele Kreditinstitute bieten den Verbraucherinnen und Verbrauchern an, auch bei laufenden Geschäften die Altverträge so zu verändern, dass ein Verkauf ausgeschlossen wird. Mein Appell geht von hier
aus an alle Verbraucherinnen und Verbraucher und vor
allem an die Häuslebauer in diesem Land, sich um ihre
Verträge zu kümmern und von der Möglichkeit, Altverträge nachbessern zu lassen, Gebrauch zu machen.
Der Kündigungsschutz des Verbrauchers - Herr
Kollege Krüger hat es ausführlich dargestellt - ist erheblich verbessert worden. Es wird so sein, dass kein Hausbesitzer mehr Angst zu haben braucht, dass eines Tages
ein neuer Gläubiger auftaucht und plötzlich die Zwangsvollstreckung in sein Grundstück betreiben kann, indem
er sich auf die von ihm erworbene Grundschuld und die
Unterwerfungserklärung in die Zwangsvollstreckung beruft. Die Neuregelung der Sicherungsgrundschuld wird
gewährleisten, dass kein gutgläubiger Erwerb einer einredefreien Grundschuld mehr möglich ist.
({1})
Es wird gewährleistet, dass der Kreditnehmer gegenüber
dem Finanzinvestor die gleichen Einreden geltend machen kann, die er auch gegenüber seinem ursprünglichen
Vertragspartner hätte geltend machen können.
Die Möglichkeit der Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung verbessert zusätzlich die
Position des Häuslebauers und der Häuselbauerin. Es ist
natürlich gut für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
dass es einen verschuldungsunabhängigen Anspruch auf
Schadensersatz gibt, wenn unzulässige Zwangsvollstreckungen betrieben werden.
Darüber hinaus wird ein Verbot von Vereinbarungen
eingeführt, nach denen die Grundschuld ohne Kündigung fällig werden soll. Dem besonderen Schutzbedürfnis kleiner und mittelständischer Betriebe wird in
Zukunft durch die Einführung nichtabtretbarer Unternehmungskredite Rechnung getragen. Denn solche Vereinbarungen - das ist heute noch nicht zur Sprache gekommen; zumindest habe ich es nicht gehört - sind ja
zurzeit bei beiderseitigen Handelsgeschäften unwirksam.
Als Sozialdemokraten war und ist es uns wichtig, dass
Menschen, dass Familien nicht um ihr hart erarbeitetes
Eigenheim bangen müssen oder sogar darum gebracht
werden können, nur weil ihr Kredit an Finanzspekulanten verkauft worden ist. Es darf nach unserer Auffassung
bei Kreditgeschäften nicht nur um die schnelle Realisierung hoher Renditen gehen. Die Kreditnehmer dürfen
nicht zu Leidtragenden von Kreditverkäufen werden. Es
ist sehr gut, dass diese neuen gesetzlichen Regelungen in
das Risikobegrenzungsgesetz aufgenommen werden.
Damit ist in Sachen Verbesserung des Verbraucherschutzes ein großer Wurf gelungen. Für den einzelnen Kreditnehmer werden die Vorgänge im Finanzmarkt leichter
durchschaubar. Gleichzeitig sind die einzelnen Instrumente angemessen, sodass einerseits Rechtssicherheit
und Transparenz gewährleistet werden, andererseits
keine unnötigen Kosten und Hemmnisse entstehen.
Die Sorgen der Menschen wurden von uns sofort aufgenommen und ernst genommen. Es wurde wirksam Abhilfe geschaffen, und es wird im Sinne des Gesetzes
praktikable und wirksame Risikobegrenzung betrieben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte deshalb um
Ihre Zustimmung zu unseren Vorschlägen.
({2})
Das Wort erhält der Kollege Norbert Geis, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich möchte eingangs anmerken, dass wir diese
nicht ganz einfache rechtliche Materie in einer sehr ruhigen Atmosphäre - schon innerhalb der Fraktion, dann
innerhalb der Koalition und schließlich auch im Ausschuss - beraten haben und versucht haben, das Ganze
ordentlich über die Bühne zu bringen, um ein gutes Gesetz zu formulieren. Dafür herzlichen Dank.
({0})
Wir beobachten seit geraumer Zeit eine Veränderung
im Geschäftsgebaren der Banken. Durch Basel II sind
die Banken gezwungen, bei der Vergabe von Krediten
ihr Eigenkapital stärker zu binden. Sie verkaufen Kredite, um dadurch Spielraum für die Vergabe neuer Kredite zu gewinnen. Das bedeutet für den Verbraucher,
dass er sich plötzlich einem ganz anderen Gläubiger gegenübersieht. Er war mit seiner Bank in Verbindung, und
plötzlich meldet sich, vielleicht sogar aus einem anderen
Teil der Welt, ein neuer Gläubiger und versucht, seine
Rechte geltend zu machen. Das führt zu Verunsicherung.
Bei allem Respekt vor der Notwendigkeit des Kredithandels der Banken untereinander und der Banken mit
Investoren - sie ist heute schon genügend betont worden; ich teile das -, müssen wir Sorge dafür tragen, dass
der Verbraucher in diesem Spiel nicht der Verlierer ist.
({1})
Der Verbraucher muss deshalb bei diesem oft völlig undurchsichtigen Finanzgebaren geschützt werden. Genau
das wird mit dem Gesetz versucht. Wie ich meine, ist es
auch gelungen.
Wir gehen auf zwei Feldern vor, nämlich im
Schuldrecht und im Sachenrecht. Nun weiß ich, dass das
eine juristische Unterscheidung ist, die den meisten
Menschen nicht geläufig ist. Aber ich will damit Folgendes sagen: In dem einen Bereich geht es nur um das Darlehen und darum, was zu beachten ist, wenn diese Darlehensforderung von der Bank an einen Dritten verkauft
wird.
Wir sehen dazu Folgendes vor: Bevor überhaupt das
Darlehen aufgenommen werden kann, muss der Bankier
dem potenziellen Kreditnehmer sagen, ob er die Kreditforderung unter Umständen an einen Dritten weiterveräußern will. Dann kann sich der Kreditnehmer überlegen, ob er sich an eine andere Bank wendet. Wurde der
Kreditvertrag geschlossen, obwohl sich die Bank die
Möglichkeit einer Weiterveräußerung vorbehalten hat,
muss die Bank den Kreditnehmer im Fall der Veräußerung unterrichten und ihm mitteilen, an wen der Kredit
veräußert worden ist, damit er nicht plötzlich vor einem
neuen Gläubiger steht.
Wir haben auch eine Verbesserung beim Kündigungsschutz für den Darlehensnehmer durchgesetzt.
Das Darlehen kann nur gekündigt werden, wenn der
Darlehensnehmer mit zwei Monatsraten mindestens teilweise in Verzug ist und wenn mindestens 2,5 Prozent des
Nennbetrags des Darlehens nicht gezahlt worden sind.
Das ist die Sicherung beim Darlehen.
Die eigentliche Sicherung erfolgt aber auf dem sachenrechtlichen Gebiet. Das ist der wirklich notwendige
Teil. In der Regel hat der Darlehensnehmer der Bank als
Sicherung für sein Darlehen eine Grundschuld eingeräumt. Die Bank erhält dadurch eine, wenn man so will,
absolute Rechtsstellung gegenüber dem Darlehensnehmer. In dieser Sicherungsgrundschuld im Grundbuch
steht aber nicht, dass die beiden, nämlich der Schuldner
und die Bank, eine Sicherungsabrede getroffen haben.
Wenn eine Grundschuld eingetragen wird, wird ja in der
Regel eine Abrede darüber getroffen, wann die Bank
vollstrecken kann. Das ist gewöhnlich schriftlich festgehalten und liegt dem Schuldner sowie der Bank vor. Die
Bank kann nicht ohne Weiteres aus ihrem Recht gegenüber dem Schuldner vorgehen, wenn und solange er aus
der Sicherungsabrede Einwendungen oder, wie der Jurist
sagt, Einreden geltend machen kann.
Wenn die Grundschuld aber an einen Dritten verkauft
wird, der von der Sicherungsabrede keine Kenntnis hat,
also gutgläubig ist, kann der Dritte nach heutigem Recht
- das ist der Haken - gegen den Schuldner vorgehen.
Der Schuldner kann sich dabei nicht auf seine Sicherungsabrede mit der Bank, mit der es ursprünglich zu tun
hatte, berufen. Das ist das Problem. Dem wollten wir uns
stellen.
Bislang war dies noch nie ein richtiges Problem.
Wenn man sich aber überlegt, dass seit 2002 Kredite in
Höhe von 35 bis 40 Milliarden Euro von Banken veräußert worden sind, kann man sich leicht ausrechnen, dass
immer mal wieder der Fall auftauchen kann, dass ein
Gläubiger gegen den Schuldner mit der Grundschuld
vorgeht, obwohl der Schuldner eigentlich eine Sicherungsabrede getroffen hatte, die das verhindern sollte.
Deswegen haben wir in das Gesetz geschrieben - dabei folgen wir einem Vorschlag, der von Bayern über
den Bundesrat gekommen ist -, dass sich der Neugläubiger nicht auf seinen guten Glauben berufen kann.
({2})
Das heißt, dass die Sicherungsabrede, die der Schuldner
mit seiner Bank getroffen hat, auch für den Neugläubiger bindend ist, völlig gleichgültig, ob er davon Kenntnis
hatte oder nicht.
({3})
Das ist, wie ich glaube, der entscheidende Fortschritt,
den dieses Gesetz bringt. Damit haben wir, wie ich
meine, für eine wirkliche Sicherung des Verbrauchers
gesorgt.
({4})
Ich weiß, Herr Montag, dass man noch weitergehen
könnte. Ich glaube aber schon, dass wir so für eine gute
Sicherung gesorgt haben. Das wurde ja auch von der Opposition im Ausschuss anerkennend vermerkt.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({5})
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Julia Klöckner, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich darf bei der heutigen Debatte den abschließenden Beitrag leisten und möchte deshalb die Gelegenheit nutzen, allen zu danken. Es war wirklich ein
sehr konstruktives Ringen der beteiligten Ausschüsse.
Als Vertreterin des Verbraucherausschusses habe ich
wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass wir von den
Finanz- und Rechtspolitikern immer mit eingebunden
wurden. Ich danke auch den beteiligten Ministerien, gerade dem Verbraucherministerium.
Wir haben, wie ich finde, eine sehr gute Balance erreicht. Es gibt ja bei den Gesetzen, die wir verabschieden,
immer unterschiedliche Interessenlagen und immer unterschiedlichste Szenarien bezüglich der Frage, was
denn der sogenannte schlimmste Fall sein könnte.
({0})
Da ist es natürlich schwierig - das ist ganz klar -, eine
Balance zu finden. Ich bin mir sicher, wir haben die richtige gefunden.
Ich möchte mich zum Abschluss der Debatte auf die
Sichtweise der Verbraucher bzw. Kreditnehmer konzentrieren. Vieles ist schon erwähnt worden. Ich möchte insbesondere den vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern im Land, die ein Eigenheim haben, auf dem noch
Kreditverbindlichkeiten ruhen, die Sorge bzw. die Angst
nehmen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass es
Gründe für Verunsicherung gab. Schauen wir uns einmal die Schlagzeilen an, die in der Presse standen:
„Wann die Heuschrecke das Haus bekommt“, „Banken
abgemahnt“, „Bankkunden in der Klemme“, „Wenn das
Haus weg ist“, „Alarmstufe Rot für Eigenheimbesitzer“,
„Kreditverkäufe bringen die Banken in Erklärungsnot“,
„Risiko Grundschuld“.
Ich selbst habe als Verbraucherbeauftragte der CDU/
CSU-Fraktion sehr viele Anfragen und besorgte Anrufe
bekommen. Das war ein Grund dafür, dass wir dieses
Thema so ernst genommen haben. Letztlich ist das Realität, was Menschen fühlen. Vor diesem Hintergrund
müssen wir für Klarstellungen in Gesetzen sorgen und
eventuelle Einfallstore schließen. Es ist verständlich,
dass Eigenheimbesitzer Angst vor dem Schreckensszenario haben, dass ein Finanzinvestor, der den Baukredit
von der Hausbank, die einem bekannt ist, gekauft hat,
vor der Tür steht und jetzt eine andere bzw. eine schnellere Finanzabwicklung wünscht. So etwas kann viele
Betroffene in den finanziellen Ruin treiben bzw. ihre
Existenz gefährden. Damit könnte dann auch das eigene
Haus auf dem Spiel stehen, zumal nicht nur notleidende
Kredite weiterverkauft werden, sondern auch ordentlich
bediente Kredite. Das hat sicherlich etwas mit dem Portfolio der Banken bzw. den Paketen, die geschnürt werden, zu tun.
Nach intensiver Diskussion in den vergangenen Monaten ist uns jetzt der Durchbruch gelungen. Wir gehen
einen ganz wichtigen Schritt und machen damit den Weg
frei für einen besseren Schutz der Bankkunden bei Kreditverkäufen. Vor allem geht es auch darum, die Verbraucherinnen und Verbraucher mitzunehmen, Transparenz in das Verfahren zu bringen und Wahlmöglichkeiten
zu eröffnen. Uns geht es nicht darum, Dinge einfach zu
verbieten, wenn sie sinnlos werden. Uns geht es vielmehr darum, dem Verbraucher das nötige Wissen zu geben, damit er sich entscheiden kann, auf welchem Weg
er mitgehen möchte.
Wichtig ist für uns, Zwangsvollstreckungen in Grundstücke zu vermeiden. Denn das ist für diejenigen, die ein
Haus besitzen - ob klein, ob groß - und abbezahlen müssen, eine sehr schwierige Situation. Das schürt Existenzängste. Sehr geehrter Kollege Frank Schäffler von der
FDP-Fraktion, da muss ich Ihnen sagen, dass es schon
sehr zynisch ist, was Sie vorhin gesagt haben: Niemand
braucht das Gesetz. Sie brauchen es vielleicht nicht, aber
viele Millionen Verbraucherinnen und Verbraucher brauchen dieses Gesetz.
({1})
Deshalb bin ich dankbar, dass sich die Große Koalition in diesem Punkt geeinigt hat.
Abschließend möchte ich sechs aus Verbrauchersicht
wichtige Punkte kurz anreißen. Erstens. Die Banken
müssen künftig ihre Kunden vor Vertragsabschluss informieren, ob das Darlehen, das diese aufnehmen, verkauft werden kann oder nicht. Möchte ein Kunde dies
nicht, kann er sich nach einem anderen Darlehen umschauen. Wir sehen, dass die Banken infolgedessen von
sich aus Kredite anbieten, die eben nicht weiterverkauft
werden dürfen. Banken schalten nun Anzeigen, um das
verloren gegangene Vertrauen der Kunden zurückgewinnen zu können.
Wir werden zweitens verbieten - ich denke, das ist
wichtig -, dass ohne Weiteres eine Klausel in die allgemeinen Geschäftsbedingungen eingefügt werden kann,
die alles null und nichtig macht, was wir heute beschließen. Denn sehr oft steht ein normaler Kreditnehmer
nicht auf gleicher Augenhöhe mit einem ausgebildeten
Bankangestellten, der ein gewisses Interesse verfolgt.
Drittens. Beim Vertragspartnerwechsel muss die
Bank ihren Vertragspartner unverzüglich informieren.
Wir werden viertens den Kündigungsschutz ausbauen. Wir haben bereits gesagt, dass nicht sofort gekündigt werden darf, nur weil eine Rate nicht gezahlt werden konnte. Uns geht es darum, dass der Verbraucher
etwas im Verzug sein darf. Dieser Zeitraum darf aber
nicht zu lang sein; auch in diesem Sinne schützen wir
den Verbraucher, nämlich vor Privatinsolvenz und Dingen, die er selber nicht tragen kann.
Fünftens. Die Regelungen zur Sicherungsgrundschuld wurden bereits sehr intensiv vom Kollegen Geis
erwähnt. Die Einreden bestehen selbst dann, wenn sich
der Erwerber der Grundschuld auf Gutgläubigkeit beruft.
Der sechste Punkt beinhaltet, dass die Bank verpflichtet wird, sich drei Monate vor Ablauf der Zinsbindung
oder vor Vertragsablauf über ein Folgeangebot zu erklären. Dann kann der Verbraucher letztlich Vergleichsangebote einholen.
Das Resultat ist ein sehr gutes Ergebnis. Ich denke,
heute ist ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher und mitnichten der Untergang des Abendlandes
für die Banken oder den Finanzstandort Deutschland.
Sehr geehrter Herr Präsident, Sie haben hoffentlich
zur Kenntnis genommen, dass ich keinen Anglizismus
benutzt habe. Ich hoffe, dass es auch für die Menschen,
die in der Bankensprache nicht firm sind, allgemein verständlich war.
({2})
Für die Verwendung der deutschen Sprache bin ich
Ihnen außerordentlich dankbar, auch wenn es in Deutsch
gelegentlich schwierig ist, die vorgesehenen Redezeiten
einzuhalten.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbe-
teiligungen. Hierzu liegt mir eine Erklärung gemäß § 31
der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages des
Kollegen Dr. Peter Jahr vor.1)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Empfehlung auf Drucksache 16/9777, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/6311
und 16/6648 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit
Mehrheit angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Das könnte reichen.
({0})
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? -
Damit ist der Gesetzentwurf mit der Mehrheit der Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der FDP-Fraktion
und der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/9814? -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Ent-
schließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 16/9813? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Auch hier ist die Mehr-
heit gegen die Annahme dieses Antrags.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung zum Gesetzentwurf des Bundesrates zur
Weiterentwicklung des Gesetzes über Unternehmensbe-
teiligungsgesellschaften. Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9777, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf der Drucksache 16/3229 für erledigt zu erklären.
Stimmen Sie dieser Beschlussempfehlung zu? - Möchte
jemand dagegen stimmen oder sich der Stimme enthal-
ten? - Damit ist diese Beschlussempfehlung angenom-
men.
Unter Tagesordnungspunkt 37 b geht es um den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Innovationsfähigkeit des Standortes stärken - Wagnis-
1) Anlage 2
kapital fördern“. Der Finanzausschuss empfiehlt unter
Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/9777, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 16/4758 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter dem Tagesordnungspunkt 37 c geht es um die
Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Begrenzung der mit
Finanzinvestitionen verbundenen Risiken. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9778, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 16/7438 und 16/7718 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Damit ist dieser
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der FDP-Fraktion bei Enthaltung
der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke
angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 16/9815. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält
sich? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 37 d. Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 16/9778 die Ablehnung des Antrages der FDP-Fraktion auf Drucksache 16/8548 mit dem Titel „Optimaler Darlehensnehmerschutz bei Kreditverkäufen an Finanzinvestoren“.
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? - Wer
stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist angenommen.
Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrages der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8182 mit dem Titel „Ausverkauf von Krediten an Finanzinvestoren stoppen - Verbraucherrechte stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer
enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist wiederum
mit breiter Mehrheit angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe d
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5595 mit dem Titel „Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Verkauf von Immobilienkrediten stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh18468
Präsident Dr. Norbert Lammert
lung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die
Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.
Unter Tagesordnungspunkt 37 e stimmen wir ab über
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke zur Stärkung
der Arbeitnehmermitbestimmung bei Betriebsänderungen. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9789,
den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 16/7533 abzulehnen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung.
Unter Tagesordnungspunkt 37 f empfiehlt der Finanzausschuss in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9162, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/7526 mit dem Titel „Beschäftigte und
Unternehmen vor Ausplünderung durch Finanzinvestoren schützen“ abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit
angenommen.
Damit haben wir diesen Komplex erfolgreich abgeschlossen.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 38:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Reform des Verfahrens in Familiensachen
und in den Angelegenheiten der freiwilligen
Gerichtsbarkeit ({1})
- Drucksache 16/6308 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/9733 Berichterstattung:
Abgeordnete Ute Granold
Dirk Manzewski
Joachim Stünker
Jörn Wunderlich
Hierzu liegt ein Änderungsantrag vor. Weiterhin liegt
ein von der Fraktion Die Linke eingebrachter Entschließungsantrag vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst der Bundesministerin Brigitte Zypries.
({3})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nachdem wir gestern mit der GmbH-Reform einen großen Schritt gemacht haben, liegt uns heute ein Gesetzentwurf vor, mit dem ein 100 Jahre altes Gesetz reformiert wird. Seit 50 Jahren versuchen wir, eine Reform
hinzubekommen. Ich bin froh, dass es uns nunmehr gelungen ist, dieses Reformwerk abzuschließen. Das
Ganze geht zurück auf die Empfehlungen einer Kommission, die im Jahre 1964 eingerichtet wurde. Der Entwurf, der damals erarbeitet wurde, ist Grundlage des Reformentwurfs, der heute zur Schlussberatung vorliegt.
Kern dieser Reform ist ein neues Stammgesetz. Das
heißt, wir schaffen ein völlig neues Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Freiwillige Gerichtsbarkeit
ist ein alter Begriff, unter dem sich jemand, der nicht Jurist ist, kaum etwas vorstellen kann.
({0})
Wir haben ihn dennoch beibehalten. Dahinter verbirgt
sich ein Strauß ganz verschiedener Verfahrensarten. Es
geht um die Einrichtung einer Betreuung, um die Unterbringung von Personen, aber auch darum, dass eine Abschiebehaft zur Sicherung des Vollzuges ausländerrechtlicher Entscheidungen sichergestellt wird. All das war
bisher in unterschiedlichen Gesetzen geregelt. Wissenschaftler und Praktiker waren der Auffassung, dass man
das vernünftig neu fassen sollte. Das haben wir jetzt getan.
Der grundlegende Reformansatz, den wir verfolgt haben, ist eine einheitliche Familienverfahrensordnung aus
einem Guss. Dieser Ansatz - einheitliche Familienverfahrensordnung aus einem Guss - und die Tatsache, dass
das große Familiengericht entscheidet, haben überall
Beifall gefunden. Ich glaube, dass das eine richtige Entscheidung war.
Die Bürgerinnen und Bürger bekommen jetzt eine
Verfahrensordnung an die Hand, die aus sich selbst heraus verständlich ist. Außerdem wird dem materiellen
Recht, das im BGB geregelt ist und das wir nicht ändern,
durch ein neues, ein strukturiertes Verfahrensrecht endlich zur Geltung verholfen. Die Verfahrensrechte werden jetzt klar geregelt. Erstmals gibt es Bestimmungen,
die besagen, wer an einem familiengerichtlichen Verfahren beteiligt werden muss und wer auf Antrag beteiligt
werden kann. Den Beteiligten werden Rechte gegeben,
insbesondere zur Sicherung ihres rechtlichen Gehörs.
Sie werden aber auch verpflichtet, bei der Aufklärung
von Sachverhalten mitzuwirken. Wir strukturieren das
zersplitterte Rechtsmittelsystem neu und formulieren
klare Vorgaben für die Bürgerinnen und Bürger, damit
sie wissen, wie sie gegen Entscheidungen vorgehen können, die ihnen nicht passen. Künftig wird jeder Entscheid eine Rechtsmittelbelehrung enthalten, damit man
als Bürger weiß, wie man gegen eine Entscheidung vorgehen kann, die einem nicht passt.
Eine weitere Neuerung ist, dass wir dem Bundesgerichtshof mehr Kompetenzen geben. Das hat sich bei
der ZPO-Reform bewährt. Dadurch haben wir in
Deutschland eine besser strukturierte und einheitlichere
Rechtsprechung bekommen. Diesem Vorbild folgen wir
jetzt bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Bundesgerichtshof erhält mehr Kompetenzen zur Herstellung der
Rechtseinheit und zur Kontrolle der Beschwerdegerichte.
Im Zentrum der Reform steht - das habe ich eingangs
schon gesagt - die Reform des familiengerichtlichen
Verfahrens. Die Frage, wie wir durch neue gerichtliche
Verfahrensstrukturen Kinder besser schützen können,
beschäftigt uns schon lange. Sie erinnern sich daran,
dass wir vor kurzem hier die Reform des § 1666 BGB
verabschiedet haben. Dabei wurden bestimmte Verfahrensregeln getroffen, die in Kürze, mit Verkündigung
dieses Gesetzes, in Kraft treten. Deshalb werden sie in
das Gesetz, das wir heute verabschieden, eingefügt. Wir
haben also schon geregelt, dass es künftig ein Erziehungsgespräch geben kann. Ebenfalls haben wir schon
geregelt, dass es einen schnellen Termin geben soll. In
Sorge- und Umgangsentscheidungen soll das Gericht innerhalb eines Monats verhandeln. Das alles soll für Kinder eine bessere Kontaktherstellung und -anbahnung garantieren, wenn sich deren Eltern scheiden lassen.
Im FGG-Reformgesetz gibt es jetzt weitere Regelungen, die die Rechte des Kindes stärken sollen; das ist
unser Ziel. Wir führen einen obligatorischen Verfahrensbeistand ein. Das heißt, es wird eine Person geben,
die dem Kind hilft, im gerichtlichen Verfahren Gehör zu
finden, um sicherzustellen, dass seine Interessen bei der
Entscheidung des Familiengerichts berücksichtigt werden. Es ist aber auch wichtig, dass das Kind einen Ansprechpartner hat. Denn es ist für Kinder eine fürchterliche Situation, wenn sie sich entscheiden sollen, ob sie
die Mama oder den Papa lieber haben. Es ist wichtig,
dass ihnen jemand zur Seite steht, der ihnen helfen kann.
Eine gute Entscheidung nützt aber nur dann etwas,
wenn sie effektiv und schnell vollstreckt werden kann.
Deswegen sehen wir ein neues Mittel vor. Wir führen die
Verhängung eines Ordnungsgeldes ein und lösen damit das bisherige Zwangsgeld ab. Das hat Sinn, weil mit
dem Zwangsgeld immer nur zur Vornahme einer Handlung angehalten werden kann, während das Ordnungsgeld auch noch hinterher verhängt werden kann. Ich
nenne ein Beispiel: Wenn, wie es in so einer Art von
Konflikten häufig vorkommt, die Mutter dem Vater das
Kind am Wochenende nicht gibt und immer freitags anruft und sagt, das Kind sei leider gerade krank geworden
und könne deshalb nicht zum Vater kommen, dann
könnte das Gericht ein Zwangsgeld verhängen. Aber das
gilt nur für das Wochenende. Denn nur am Wochenende
könnte man dazu angehalten werden, dass man das Kind
dem Vater übergibt. Künftig kann man in so einem Fall
ein Ordnungsgeld verhängen und damit deutlich machen, dass dieses Verhalten noch in einer anderen Form
zu sanktionieren ist. Wir wollen im Interesse des Kindes,
dass das Kind mit beiden Elternteilen Kontakt hat. Deshalb ist es wichtig, dass man auch mit finanziellen Sanktionen dazu angehalten werden kann.
Wir führen mit der Reform einen Umgangspfleger
ein. Das ist eine weitere Figur, die es ermöglichen soll,
vermittelnd zwischen den Eltern einzugreifen, wenn es
Probleme beim Umgang mit den Kindern gibt. Wir führen auch ein, dass der Scheidungsantrag künftig zwingend eine Angabe darüber enthalten muss, ob sich die
Eltern schon über die elterliche Sorge und den Umgang
geeinigt haben. Wir wollen Eltern mit dieser Formvorschrift klarmachen, dass sie sich um den weiteren
Umgang mit den Kindern zu kümmern haben, ehe sie
sich darüber verständigen, dass sie sich scheiden lassen
wollen. Denn das betrifft das Verhältnis der Erwachsenen. Die Kinder sind allein die Betroffenen.
Wir führen eine weitere Regelung zugunsten von
Pflegeeltern ein. Dieses Thema war hier schon mehrfach Gegenstand der Debatte. Wir werden Pflegeeltern,
also Personen, bei denen die Kinder längere Zeit gelebt
haben, besser am Verfahren beteiligen. Das ist für diese
ein ganz wichtiger Gesichtspunkt.
Ein Gericht wird künftig über all diese Fragen entscheiden: das Große Familiengericht. Wir schaffen damit die viel beklagte Zersplitterung von Zuständigkeiten
ab und erreichen, dass die Gerichte effektiver arbeiten.
Damit schaffen wir zudem eine entspanntere Atmosphäre für alle Verfahrensbeteiligten.
An einem Punkt des Regierungsentwurfs hat es Kritik
gegeben. Diese betraf die Tatsache, dass zwischen Vater
und Mutter hinsichtlich des Umgangs immer Verständigungen stattfinden sollen; diese soll das Gericht initiativ
herbeiführen. Es soll von sich aus versuchen, beide an
einen Tisch zu bekommen. Einige Frauenverbände und
insbesondere Frauenhäuser haben gesagt, dass diese generelle Regelung die Tatsache, dass es Gewalt in Familien geben kann, nicht hinreichend berücksichtige und es
deshalb schlecht sei, eine Zusammenführung zwangsweise durchsetzen zu wollen. Das Haus hat sich dieser
Kritik angenommen; ich danke dafür. Wir haben jetzt gemeinsam eine Regelung gefunden, die es ermöglicht,
dass Ehegatten künftig getrennt angehört werden können, wenn dies dem Schutz eines Beteiligten dient.
Ich möchte mich sehr herzlich bei den Berichterstattern bedanken. Es war ja kein einfaches Verfahren. Es
geht um ein dickes Gesetzeswerk mit vielen Einzelheiten. Allerdings müssen wir, wie ich mir habe sagen lassen, nachher noch ein wenig nacharbeiten; bei einem
solch umfangreichen Gesetz können nämlich auch einmal Fehler gemacht werden. Ich bedanke mich für die
gute Kooperation, die es uns ermöglicht, die notwendigen Nachbesserungen vorzunehmen und das Gesetz
gleichwohl heute zu verabschieden. Das ist eine gute
Maßnahme.
Dieses Gesetz wird heute verabschiedet, tritt aber erst
im nächsten Sommer in Kraft. Denn wir wollen den Ländern genug Zeit geben, sich darauf einzustellen und die
Verfahrensorganisation besser zu strukturieren. Ich
glaube, das ist wichtig.
Wir können gemeinsam der Überzeugung sein, dass
wir heute ein Reformgesetz verabschieden, durch das die
gerichtlichen Verfahren in für die Betroffenen besonders
schwierigen und emotional sehr bewegenden Situationen
überschaubarer, transparenter und vor allen Dingen kinderfreundlicher gemacht werden.
({1})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Hinter diesem Gesetzespaket von vielen hundert
Paragrafen und vielen hundert Seiten verbirgt sich eine
ganz grundlegende und wichtige Reform. Frau Ministerin, Sie haben bereits darauf hingewiesen, wie lange
schon an einer Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit
- dieser Begriff ist wahrscheinlich für niemanden verständlich - gearbeitet wird. Dabei ging es auch darum,
eine einheitliche und für den Bürger verständliche und
nachvollziehbare Verfahrensordnung bzw. ein Regelwerk für Verfahren zu schaffen, von denen jeder Bürger
und jede Bürgerin ganz plötzlich betroffen sein kann.
Denn hierbei geht es zum Beispiel um Familiensachen,
um den Umgang mit dem Kind, um Sorgerechtsstreitigkeiten, um Nachlassfragen, um das Betreuungsrecht oder
um die Unterbringung von Menschen. All das kann im
eigenen Umfeld bzw. in der eigenen Familie von heute
auf morgen zu einem Problem werden. Es handelt sich
also nicht um ein abstraktes Gesetz - es wird nicht nur
wieder einmal eine Verfahrensrechtsreform beraten -,
sondern es geht um bedeutende Inhalte und wichtige
Ausgestaltungen.
Ich darf mich im Namen der FDP-Fraktion für die intensiven und sehr guten Beratungen im Rechtsausschuss
ausdrücklich bedanken. Wir haben zwei umfangreiche
Sachverständigenanhörungen durchgeführt. Mit unserer
heutigen Beschlussfassung - wir werden am vorliegenden Gesetzentwurf nur noch eine kleine technisch bedingte Änderung vornehmen - belegen wir, dass Sachverständigenanhörungen Sinn machen. Es ist wichtig,
genau hinzuhören, was die Praktiker - die Familienrichter, diejenigen, die sich bisher mit einem Verfahrenspfleger auseinandersetzen mussten, die Familienverbände
und alle anderen Betroffenen - sagen. Wir haben ihre
kritischen Bemerkungen sehr sorgfältig überprüft und
hinterfragt und ihre Anregungen in einigen Punkten aufgegriffen.
Die FDP-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz in
der Fassung der vorliegenden Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu. Auch wenn ich gleich noch ein
paar kritische Anmerkungen zu einigen Punkten machen
möchte, halten wir dieses Gesetz im Großen und Ganzen
für eine richtige und zielführende Reform.
Die Schaffung des Großen Familiengerichts begrüßen wir ausdrücklich. Diese Forderung wird von Praktikern bereits seit vielen Jahren erhoben. Mit diesem Gesetz wird sie jetzt erfüllt. Für uns ist sehr wichtig, dass
die Regelungen zu Vormundschafts- und Pflegschaftssachen, soweit Minderjährige betroffen sind, und zu
Adoptionssachen in das familiengerichtliche Verfahren
überführt werden. Dadurch werden die Möglichkeiten
zur Anwendung dieser Regelungen und die Entscheidungsgrundlage des Großen Familiengerichts, vor allen
Dingen aber auch die vorherige Beratung der Betroffenen hoffentlich verbessert.
Lassen Sie mich einige Punkte, die wir besonders intensiv beraten haben, ansprechen.
Frau Ministerin, Sie haben sich dafür ausgesprochen,
dass Ordnungsmittel die Zwangsmittel, die im geltenden Recht vorgesehen sind, ersetzen. Dies bedeutet, dass
auch nach Erfüllung der angestrebten Handlung, zum
Beispiel beim Recht des Umgangs mit dem Kind, das
Ordnungsmittel aufrechterhalten wird. Gerade das sind
besonders streitige Verfahren, wenn die Eltern - ob sie
nun verheiratet waren oder nicht - getrennt leben. Da
versucht jeder, das aus seiner subjektiven Sicht Beste für
das Kind zu tun. Es kann dabei zu großen Spannungen
kommen. Im Mittelpunkt stehen muss dann letztendlich
das, was für das Kind - das sich hin und her gerissen
fühlen muss - das Beste ist. Ob da Ordnungsgeld sogar
bis hin zu Ordnungshaft zielführend ist, sehen wir als
FDP-Fraktion kritisch.
({0})
Wir sind froh, dass - das ist jetzt etwas für die Juristen - die Sollvorschrift im Regierungsentwurf, nach der
die Verhängung von Ordnungsmitteln die Regel sein
sollte, in eine Kannvorschrift umgewandelt worden ist.
Hinter solch kleinen Begriffen wie „soll“ oder „kann“
verbirgt sich Entscheidendes, nämlich dass das Gericht
bei der Entscheidung einen breiteren Ermessensspielraum hat, dass also nicht in jedem Fall zu diesem Mittel
gegriffen werden muss.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses
Jahres erinnern, in der es um die Erzwingung des
Umgangs ging. Erlauben Sie mir, einen Satz aus dieser
Entscheidung zu zitieren - dieser Satz gibt genau das
wieder, was uns als FDP-Fraktion bewegt -:
Die Androhung der zwangsweisen Durchsetzung
der Umgangspflicht eines Elternteils gegen dessen
erklärten Willen ist jedoch regelmäßig nicht geeignet, den Zweck zu erreichen, der mit ihr verfolgt
wird, nämlich dem Kind einen Umgang … zu ermöglichen, der zu einer gedeihlichen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes beiträgt …
Das war nur eine Fallkonstellation, was die Durchsetzung des Umgangs angeht; natürlich gibt es viele andere.
Das Spannungsfeld, das hier offenkundig wird, ist aber
mit dieser Formulierung des Bundesverfassungsgerichts
gut zum Ausdruck gebracht. Deshalb bin ich froh, dass
nach den Debatten im Rechtsausschuss dieser größere
Ermessensspielraum vorgesehen wurde.
({1})
Wir begrüßen es, dass es mit den Rechtsmitteln und
letztendlich der Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof einen neu geordneten Rechtszug gibt. Wir
werden natürlich nach Inkrafttreten des Gesetzes sorgSabine Leutheusser-Schnarrenberger
fältig beobachten müssen, in welchem Umfang der Bundesgerichtshof mit familiengerichtlichen Sachen befasst
sein und wie er mit dieser zusätzlichen Belastung umgehen wird.
Ich bin froh, dass - auch das ist ein Ergebnis der Anhörungen und der Beratungen im Rechtsausschuss - gerade in den sensiblen Fragen des Betreuungsrechts, der
Unterbringung und der Freiheitsentziehung Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof möglich ist. Es gibt
dazwischen nicht mehr mehrere Instanzen; von daher ist
es gut, dass Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
ohne wesentliche Beschränkungen zugelassen wird.
Über einen Änderungsantrag wird heute nur aufgrund
eines technischen Versehens abgestimmt. Am Ende der
Beratungen ist diese Änderung, für die sich die FDPFraktion eingesetzt hat, aufgenommen worden. Ich bedanke mich dafür bei den Mitarbeitern des Justizministeriums.
Es ist schon angesprochen worden, dass das Thema
„häusliche Gewalt“ gerade bei den hier in Rede stehenden Verfahren eine große Rolle spielt. Wir haben diese
Problematik schon bei den Gesetzgebungsverfahren im
Hinblick auf das Familiengericht und bei der Änderung
des § 1666 BGB aufgenommen. Es muss künftig, wenn
der Vorwurf der häuslichen Gewalt im Raum steht,
nicht mehr dazu kommen, dass sich die Partner begegnen. Wenn sich die Partner begegnen, kann es schließlich nicht das Gespräch geben, das im Interesse des Kindes notwendig ist. Deshalb ist es gut, dass es hier
entsprechende Änderungen gegeben hat. Wir unterstützen das ausdrücklich.
({2})
Wir setzen das Modell, möglichst beschleunigt vor
Gericht zu verfahren, fort. Bei vielen Anliegen kann man
nicht erst in ein paar Monaten entscheiden. Das Umgangsrecht ist das beste Beispiel dafür; dies betrifft aber
auch viele andere familiengerichtliche Auseinandersetzungen. Da wird es ganz entscheidend auf die Praxis
ankommen, darauf, wo diese Beschleunigung gut und
notwendig ist, aber auch darauf, wo es Sachverhaltsgestaltungen gibt, bei denen eine schnelle erste Entscheidung vielleicht nicht das Richtige ist, sondern bei denen
wir ein normales Verfahren - ich nenne es einmal Entschleunigung - brauchen. In der Praxis muss sich zeigen,
wie weit die Bestimmungen den unterschiedlichen Fallkonstellationen Rechnung tragen.
Es kommt entscheidend darauf an, dass die Justiz der
Länder, aber auch die Jugendämter, die teilweise aufgefordert werden, in kurzer Zeit, innerhalb eines Monats, Stellungnahmen abzugeben, in der Lage sind, dieses umfangreiche Gesetz umzusetzen. Das ist in vielen
Verfahren wichtig, wenn man sich zum Beispiel gewisse
Fälle vor Augen führt, die Defizite und Versagen in diesem Bereich offenkundig gemacht haben. In manchen
Bereichen - das ist regional unterschiedlich - können
Justiz und Jugendämter den Aufgaben nur dann nachkommen, wenn sie über das entsprechende Personal verfügen, aber auch die richtigen internen Abläufe und den
richtigen Blick auf die Verfahren - da bedarf es einer
straffen Vorgabe - haben. Das ist auch bei der Umsetzung der Regelungen zur Schaffung eines Großen Familiengerichtes so.
Wir hätten den Vorschlägen aus dem Bundesrat zugestimmt, die beinhalteten, dass dieses Gesetz erst am
1. Januar 2010 in Kraft treten soll.
({3})
Denn wir wissen: Auf der Länderebene muss organisatorisch und ablaufmäßig sehr viel umgesetzt werden; von
der EDV gar nicht zu reden. Wir sollten noch einmal
sehr genau hinschauen, wie dann die Situation ist.
Alles in allem: Wir stimmen diesem Gesetzentwurf
zu.
Vielen Dank.
({4})
Nun hat für die CDU/CSU-Fraktion das Wort die Kollegin Ute Granold.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir schreiben heute in der Tat ein kleines Stück Rechtsgeschichte. Gestern ging es um die größte Reform seit
Einführung der GmbH im Jahre 1892. Heute geht es um
die Reform des FGG, das auch aus dem 19. Jahrhundert
stammt. Wir hatten eine lange Vorlaufzeit, viele Jahrzehnte, bis wir heute so weit sind, dass wir sagen können: Wir schaffen ein neues Gesetz aus einem Guss. Wir
fassen viele einzelne Verfahrensvorschriften zusammen
und wollen dazu beitragen, dass das materielle Recht effektiv und zügig durchgesetzt werden kann.
Es geht in Zahlen ausgedrückt um 491 Paragrafen und
110 Gesetze, also um eine ganze Menge. Das Wichtige
wurde bereits von den Kolleginnen und Kollegen vorgetragen.
Ich möchte den einen oder anderen Schwerpunkt im
Hinblick darauf setzen, was die Ausschussberatungen,
die Sachverständigenanhörungen, aber auch die Berichterstattergespräche ergeben haben. Wir haben seitens der
Regierungskoalition eine Arbeitsgruppe gebildet, die in
unzählig vielen Sitzungen versucht hat, einen Konsens
zu finden, das herauszufiltern, was in der Anhörung wesentlich war, um ein wirklich gutes Gesetz zu machen,
das nicht nur bei den Menschen, sondern auch in diesem
Hause - zumindest war so die Empfehlung des Rechtsausschusses - Akzeptanz findet.
Mit einem Verfahrensgesetz ist es möglich, das materielle Recht effektiv für die Menschen durchzusetzen.
Hier ist der innerste Bereich der Menschen betroffen:
das Familienrecht, das Kindschaftsrecht, Adoption, Betreuung, Unterbringung, also Bereiche, die sehr wichtig
sind und bei denen wir den Menschen die Möglichkeit
geben wollen, ihren Anspruch auf rechtliches Gehör zügig umzusetzen.
Wie wichtig dies war, haben wir jüngst erfahren - die
Ministerin hat es angesprochen -, als es um die Reform
des § 1666 BGB, also um die Kindeswohlgefährdung,
ging. Momentan ist ja leider eine ganze Reihe von
schwierigen Fällen von Kindesvernachlässigungen quer
durch die ganze Republik zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang wollen wir das Gesetz ändern und den Gerichten einerseits die Möglichkeit geben, niederschwellig mit den Eltern ein Gespräch zu führen, um härtere
Eingriffe wie zum Beispiel den Entzug der elterlichen
Sorge zu vermeiden. Wir wollen also früh anfangen, korrigierend einzugreifen. Das macht aber nur dann Sinn,
wenn es andererseits begleitend ein Verfahren gibt, das
den Gerichten die Möglichkeit eröffnet, schnell zu handeln.
({0})
Das ist das Vorrang- und Beschleunigungsgebot. Das
sind das sogenannte Erziehungsgespräch, das mit den
Eltern geführt werden soll, und der frühe erste Termin,
also eine sehr schnelle Einschaltung des Gerichts und
eine frühe Terminierung bei Gericht.
Das war uns so wichtig, dass wir gesagt haben: Diese
Komponenten des neuen Gesetzes sollen schon einmal
vorab in das FGG-Gesetz eingefügt werden, weil das
neue Gesetz erst im nächsten Jahr in Kraft treten soll.
Das haben wir einstimmig auf den Weg gebracht. Daran
sieht man, wie wichtig es ist, begleitend zu einer materiellen Änderung des Gesetzes auch eine entsprechende
Verfahrensordnung zu haben.
Wir haben in der Vergangenheit das Unterhaltsrecht
reformiert und sind dabei, den Versorgungsausgleich und
das Güterrecht zu reformieren. Wir regeln also vieles im
materiellen Bereich des Familienrechts. Auch deshalb ist
es wichtig, dass es ein gutes Verfahrensrecht gibt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat nach der
Anhörung wesentliche Änderungen im parlamentarischen Verfahren erfahren, und zwar nicht nur durch das,
was in der Anhörung gesagt wurde, sondern auch durch
das, was aus der Mitte des Parlaments gekommen ist. Ich
muss es doch noch einmal ansprechen: Wir haben im
Vorfeld das Schreckgespenst der „Scheidung light“ aus
dem Referentenentwurf wieder entfernt. Das war mit uns
nicht zu machen.
({1})
Auch darüber bestand Konsens hier im Parlament. Ich
bin sehr dankbar dafür, dass wir alle keine schnelle
Scheidung - vorbereitet durch einen Notar - zulassen
wollten. Art. 6 Grundgesetz ist für uns nämlich sehr
wichtig. Die Ehe ist zu schützen. Die Scheidung sollte
nicht im Schnellverfahren vonstatten gehen, sondern das
Verfahren sollte schon ordentlich sein. Das war bei uns
auch Konsens.
Ich habe die große Anhörung angesprochen, die sehr
gut war, und möchte nur einige wenige Punkte daraus erwähnen. Hinsichtlich des persönlichen Erscheinens der
Parteien bei Gericht, das im allgemeinen Teil geregelt
ist, der für die gesamte Verfahrensordnung gilt, haben
wir wegen des Schutzes vor Gewalt gesagt - das war ein
Ergebnis der Anhörung -: Wenn es zum Schutz eines der
Beteiligten erforderlich ist, dann muss es möglich sein,
die Parteien getrennt anzuhören. Es kann nicht sein, dass
im Vorfeld eine polizeiliche Anordnung ergeht, wonach
derjenige, der Gewalt ausgeübt hat, sich der anderen Person nicht nähern darf, während man sich in einem frühen
ersten Termin bei Gericht direkt wieder an einen Tisch
setzen muss. Es gibt Fälle, in denen das absolut unzumutbar ist.
Wir haben uns auch lange über die einstweilige Anordnung, das heißt, über das Schnellverfahren, unterhalten und gesagt: Eine einstweilige Anordnung soll Bestand haben. Es muss aber auch die Möglichkeit geben,
in einem Hauptsacheverfahren dort noch einmal korrigierend einzugreifen. Deshalb soll es das Hauptsacheverfahren auf Antrag geben.
Dazu gab es während der Beratung die Kritik, dass
Rechtsmittel gegen diese einstweiligen Anordnungen
nicht umfassend möglich sein sollen, wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat. Es ging hier insbesondere um Entscheidungen in Verfahren über das Umgangsrecht. Wir sind dabei geblieben: Wenn gegen eine
Entscheidung - entweder Ausschluss oder Einschränkung des Umgangs - interveniert werden soll, dann kann
man den Antrag auf eine mündliche Verhandlung stellen.
Das Gericht kann eine Frist von bis zu drei Monaten bestimmen, vor deren Ablauf der Antrag unzulässig ist.
Wir meinen aber schon, dass man diese Regelung erst
einmal erproben sollte. Maximal drei Monate sind keine
lange Zeit. Danach wird geschaut, ob das korrigiert werden muss.
Etwas anderes ist es, wenn eine Sorgerechtsentscheidung getroffen wird. Das ist schon ein größerer Einschnitt. Hier soll es möglich sein, die einstweilige
Anordnung, wenn sie aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, anzufechten.
Wir haben uns in dem Berichterstattergespräch ferner
lange mit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde zum
BGH befasst. Das war auch ein großes Anliegen der
Grünen und der FDP. Hier haben wir einen Konsens gefunden, was erfreulich ist. Herr Montag wird dazu sicherlich noch das eine oder andere ausführen.
({2})
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben das Thema Ordnungsmittel und Zwangsmittel angesprochen. Auch darüber haben wir lange diskutiert. Wir
meinen schon, dass der Wechsel von Zwangsmitteln zu
Ordnungsmitteln gerechtfertigt ist. Gerade bei Verfahren über den Umgang muss es möglich sein, ein Stück
weit korrigierend und disziplinierend einzugreifen, sehr
wohl wissend, dass es sinnvoller ist, andere Wege zu beschreiten, um den Umgang zwischen dem Kind und dem
Elternteil - in der Regel dem Vater - sicherzustellen.
Wenn zum Beispiel der Vater das Umgangsrecht nicht
erhalten hat, weil die Mutter meint, dass das Kind krank
ist, zu einer Geburtstagsfeier muss oder wie auch immer,
dann muss man auch daran denken, dass zwar das Wochenende schon vorbei ist, dass aber auch noch weitere
Wochenenden kommen.
Ich komme nun zum zweiten Punkt, nämlich den Familiensachen. Die getrennte Anhörung habe ich angesprochen. Die Scheidungsantragsschrift ist für die
Union sehr wichtig. In § 630 ZPO stehen die Voraussetzungen. Es geht dabei um alle Folgesachen, die bei einer
Scheidung zu regeln sind. Ob es um den Unterhalt, das
Sorgerecht, das Umgangsrecht, die Hausratsteilung oder
die eheliche Wohnung geht: All dies soll in der Antragsschrift festgelegt sein. Es soll eine Erklärung erfolgen,
dass die Parteien darüber gesprochen haben. Dann kann
eine einverständliche Scheidung ausgesprochen werden.
Angesprochen und geregelt ist auch die Mediation,
das heißt, die außergerichtliche Streitschlichtung in geeigneten Fällen. Dies wurde in das Gesetz implantiert
- wie auch das sogenannte Cochemer Modell -, um in
diesem sensiblen Bereich der Auseinandersetzung in einer Ehe und Familie möglichst eine harmonische Regelung zu finden, falls die Voraussetzungen dafür vorliegen.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot ist ganz
wichtig. Ich hatte das vorhin angesprochen: In den Fällen, in denen die Kinder betroffen sind - Umgang, Sorgerecht, Aufenthalt, aber auch Gefährdung des Kindeswohls -, wird das Gericht sehr schnell eingeschaltet.
Innerhalb einer Monatsfrist muss terminiert sein. Eine
Verlegung ist nur möglich, wenn gewichtige und glaubwürdige Gründe vorliegen.
({3})
Das ist uns wichtig. Wir wissen sehr wohl, dass es
hier zu einer außerordentlichen Belastung der Jugendämter kommt, die in die Verfahren einzubinden sind.
Die Länder haben hier entsprechend interveniert. Aber
wir meinen schon, dass wir hier, weil es um einen wichtigen Bereich geht, nämlich das Wohl unserer Kinder,
Schwerpunkte setzen und bei den Ländern dafür werben
müssen, für die Jugendämter mehr Personal und mehr
Geld zur Verfügung zu stellen. Ich denke, das ist für uns
alle ein wichtiges Anliegen gewesen.
({4})
Es ist zwar selbstverständlich, auf ein Einvernehmen
zwischen den Parteien hinzuwirken, aber nicht ohne die
entsprechenden Voraussetzungen. Wir sind gegen jede
Form von Zwangsberatung.
Der Aufgabenbereich des Verfahrensbeistandes hat
Neuregelungen erfahren. In der Kindschaftsrechtsreform
wurde noch der Begriff des Verfahrenspflegers verwendet. Dieser wurde in der jüngsten Vergangenheit immer
mehr im Gericht eingesetzt. Das war lange Zeit nicht der
Fall, zum Teil weil man Verfahrensverzögerungen bzw.
extreme Kosten befürchtete. Das hat sich geändert.
Der Verfahrensbeistand soll künftig regelmäßig nur
bei Kindern bis 14 Jahre eingesetzt werden, weil ältere
Kinder - abgesehen von einigen Ausnahmen - ihre Interessen selbst wahrnehmen können. Sie - also die älteren tragen dann subjektive Rechte im Verfahren.
Diese wesentliche Korrektur war das Resultat aus den
Anhörungen und dem Berichterstattergespräch.
Der Verfahrensbeistand hat nun die Aufgabe, das
Kind über das Verfahren in geeigneter Weise zu unterrichten. In anderen Fällen, in denen der Verfahrensbeistand mehr machen soll, also einen erweiterten Wirkungskreis hat, zum Beispiel Gespräche mit den Eltern,
mit den Lehrern in der Schule oder den Erziehern in der
Kindertagesstätte zu führen, muss das Gericht einen entsprechenden Beschluss fassen und den Wirkungskreis
beschreiben und begründen. Wir meinen, dass dann,
wenn weitere Personen in das Verfahren einbezogen
werden - schließlich handelt es sich um einen Schutzbereich der Familie -, dies wohlüberlegt sein muss, damit
das nicht Kreise zieht. Das muss den Betroffenen auch
bekannt gegeben werden.
({5})
Noch ein anderer Punkt war uns wichtig. Bei der Vergütung der Verfahrensbeistände - das hat noch bis zum
heutigen Tage für erhebliche Diskussionen gesorgt - haben wir uns zu einer Pauschalierung entschlossen, so
wie das damals auch bei den Berufsbetreuern gemacht
wurde. Bei einem einfachen Wirkungskreis gilt ein Betrag im unteren Bereich, bei einem größeren Wirkungsbereich ein höherer Betrag, also 350 Euro bzw. 550 Euro
brutto. Diese Zahlen haben wir nicht willkürlich ausgewählt, sondern wir haben uns an das angelehnt, was Anwälte in einem solchen Verfahren in Rechnung stellen.
Hier beträgt die Vergütung maximal 585 Euro. Wir denken schon, dass diese pauschalierten Beträge angemessen sind und es in der Praxis einfacher zu bewerkstelligen ist, wenn Fallpauschalen festgelegt sind.
Lassen Sie mich noch zwei Sätze zum Gewaltschutzverfahren sagen. Alle Verfahren sind nun beim Großen
Familiengericht konzentriert. Heute ist es nach derzeitiger Gesetzeslage noch so, dass nur für Familiensachen
das Familiengericht zuständig ist, ansonsten die allgemeinen Zivilgerichte. Hier soll zusammengefasst werden. Beim Vorliegen häuslicher Gewalt hat die getrennte
Anhörung zu erfolgen, und es gilt das Vorrang- und Beschleunigungsgebot.
Ein weiteres Ergebnis aus den Beratungen ist, dass
die Gerichte bei Gewaltschutzsachen verpflichtet sind,
die Polizeibehörde und auch andere Behörden, die von
dem Beschluss betroffen sind, entsprechend zu informieren. Genauso wie die Mitteilung zu erfolgen hat, dass ein
Beschluss nach dem Verfahren ergangen ist, muss auch
mitgeteilt werden, dass der Beschluss nicht mehr existent ist, aufgehoben wurde oder einfach ausgelaufen ist.
Dies dient dem Schutz aller Beteiligten.
Wir haben im Verfahren auch die Interessen der
Länder berücksichtigt. Schließlich war lange Zeit nicht
klar, ob das Gesetz den Bundesrat durchlaufen kann,
ohne gestoppt zu werden. Dabei ging es auch um finanzielle Interessen. Wir haben hier den Konsens gefunden,
dass wir die Verfahrenskostenhilfe nicht ausweiten, sondern auf die ZPO verweisen. Es soll bei der Bewilligung
von Verfahrenskostenhilfe entsprechend der Prozesskostenhilfe verfahren werden. Bei der Beratungshilfe
haben wir entschieden, diese gegebenenfalls in einem
separaten Gesetzgebungsverfahren zu überarbeiten.
Umgekehrt haben wir darauf bestanden - das ist richtig -, dass wir im selbstständigen Unterhaltsverfahren
die Anwaltspflicht einführen möchten, weil dabei sehr
wesentliche Regelungen getroffen werden. Das Unterhaltsrecht ist zum Teil sehr kompliziert und hat weitreichende Folgen für den Menschen, sodass eine entsprechende Beratung notwendig ist.
Das Vorrang- und Beschleunigungsgebot, also die
frühe Einschaltung der Jugendämter, verursacht Kosten
im Bereich von Personal und Sachmitteln. Aber hier haben wir uns mit den Ländern geeinigt. Auf der einen
Seite gibt es beim Verfahrensbeistand eine Begrenzung
der Kosten, auf der anderen Seite muss es bei den Jugendämtern und auch bei den gut ausgebildeten Richtern
eine entsprechende Korrektur geben.
({6})
Bereits angesprochen wurde das Große Familiengericht - ein Herzstück unserer Reform -, das seit vielen
Jahren gefordert wurde. Es war schon im Zusammenhang mit der Ehe- und Familienrechtsreform 1976 und
beim Deutschen Familiengerichtstag 1983 ein Thema.
Durch eine Reihe von Gesetzesänderungen wurden dem
Familiengericht immer wieder Kompetenzen übertragen.
Der große Wurf wird aber erst jetzt mit der Einführung
des Großen Familiengerichts mit umfassenden Kompetenzen erzielt. Das Vormundschaftsgericht wird aufgelöst. Verfahren, die die Pflegschaft für Minderjährige betreffen, werden dem Familiengericht übertragen. Für
Betreuungs- und Unterbringungssachen werden besondere Betreuungsgerichte mit Betreuungsrichtern einerseits und gut ausgebildeten Familienrichtern andererseits
eingerichtet.
Das Gesetz soll - damit komme ich zum Schluss - am
1. September 2009 in Kraft treten. Ab dem heutigen Tag
haben die Länder mehr als ein Jahr Zeit für die Umstellung. Der Gesetzentwurf wird schon seit langem diskutiert, sodass er heute nicht sozusagen vom Himmel fällt
und die Länder sich vorher nicht damit befassen konnten. Sie haben die Möglichkeit, sich mit den Neuregelungen vertraut zu machen und die notwendigen organisatorischen Umstellungen bei den Gerichten auf den Weg zu
bringen. Insofern halten wir den 1. September 2009 für
einen geeigneten Zeitpunkt.
Ich bedanke mich an dieser Stelle im Namen der
CDU/CSU-Fraktion für die guten Beratungen und die
gute Zusammenarbeit mit dem Ministerium, die immer
sehr zeitnah erfolgt ist. Zum Teil wurde uns zugesagt, etwas über Nacht fertigzustellen, sodass es uns am nächsten Tag vorlag. Das hat auch funktioniert. Die Zusammenarbeit war sehr konstruktiv und auf einem sehr
hohen Niveau. Insofern können wir feststellen, dass wir
gute Arbeit geleistet haben. Die Beratungen zwischen
den Fraktionen waren sehr harmonisch. Bei Meinungsverschiedenheiten konnten wir uns größtenteils auf einen
gemeinsamen Nenner einigen.
Ich hoffe, dass es heute zu einem breiten Votum für
den Gesetzentwurf kommt, und bedanke mich.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege Jörn
Wunderlich das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte höflich anfangen.
({0})
Der Gesetzentwurf kann sich insgesamt sehen lassen. Einige für uns wichtige Punkte führen aber - das muss ich
leider auch feststellen - zu unserer Enthaltung. Wir sind
nicht der Ansicht, dass der Gesetzentwurf in Gänze unvertretbar ist - dann würden wir ihn ablehnen -, aber er
ist schon seit Jahren in Arbeit. Mir lag schon in meiner
Zeit als aktiver Familienrichter der Gesetzentwurf in einer früheren Fassung zur Stellungsnahme vor.
Der Gesetzentwurf greift - das ist schon angesprochen worden - zu einem nicht unerheblichen Teil die in
den Anhörungen des Rechtsausschusses von Sachverständigen, aber insbesondere von Frauenhäusern und anderen unabhängigen Stellen vorgebrachte Kritik auf. Die
Berichterstattergespräche waren fruchtbar. In diesen
Gesprächen konnten auch einige Forderungen der Linken - teilweise in Übereinstimmung mit den Grünen und
der FDP - durchgesetzt werden. Einige wesentliche
Punkte, um meine Fraktion von dem Gesetzentwurf zu
überzeugen, sind jedoch nicht vorhanden; sie hätten
noch eingefügt oder geändert werden müssen. Andere
Punkte hätten rückgängig gemacht werden müssen.
Zu den positiven Aspekten des Gesetzentwurfs muss
ich sicherlich keine weiteren Ausführungen machen.
Meine Vorredner haben das breite Spektrum hinreichend
dargelegt. Lassen Sie mich deshalb zu den Punkten sprechen, die auch Inhalt unseres Entschließungsantrages
sind und nicht ausgelassen werden dürfen.
Die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Festschreibung des Beschleunigungsgrundsatzes bei Umgangsund Sorgerechtsstreitigkeiten ist insbesondere in Gewaltfällen, aber auch bei hochstreitigen Fällen nicht nur
unangebracht, sondern kontraindiziert; denn gerade in
Trennungssituationen ist die Gewaltgefährdung erhöht.
Zudem dient in allen Fällen von häuslicher oder innerfamiliärer sexueller Gewalt gegenüber dem anderen Elternteil der Umgang des Kindes mit dem Täter nicht dem
Kindeswohl. Die gegenüber dem ursprünglichen Regierungsentwurf vorgesehene Einschränkung hinsichtlich
des Hinwirkens auf Einvernehmen ist zwar ein Schritt in
die richtige Richtung - das ist bereits angesprochen worden -; die berechtigten Interessen eines von Gewalt betroffenen Elternteils werden dadurch jedoch nur unzureichend berücksichtigt.
Die im Gesetzgebungsverfahren eingefügte zulassungsfreie Rechtsbeschwerde in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen ist als richtiger
Schritt zu begrüßen. Das war auch eine unserer Forderungen. Allerdings sollte der Instanzenzug wie bisher
geregelt bleiben; denn es wurden keine nachvollziehbaren Gründe für eine Änderung vorgetragen. Dazu hat
Professor Bernhard Knittel Folgendes ausgeführt - ich
zitiere -:
Bemerkenswert ist auch, dass die Neuregelung gegen den fast einhelligen Widerstand der Praxis
durchgesetzt werden soll.
({1})
Die Präsidenten der OLG und des BGH haben bei
ihrer Jahrestagung 2003 in Naumburg einstimmig
folgende Entschließung gefasst:
„Der jetzige Rechtsmittelzug der freiwilligen Gerichtsbarkeit muss beibehalten werden. Die Verlagerung der Erstbeschwerde auf die Oberlandesgerichte ist unter den Gesichtspunkten der Bürgerund Ortsnähe sowie der sparsamen Mittelverwendung abzulehnen.“
Er hat in seiner Stellungnahme vorrangig auf die Sachen
der freiwilligen Gerichtsbarkeit abgestellt, insbesondere
auf die Unterbringungs-, die Betreuungs- und die Freiheitsentziehungssachen. Wir haben eine vollumfängliche
Aufrechterhaltung des Rechtsmittelsystems gefordert.
Ordnungsmittel haben wegen ihres Sanktionscharakters - das wurde bereits angesprochen - insbesondere
im Bereich der Durchsetzung von Umgangsregelungen
keine Berechtigung. Auch wenn hier geringfügige Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf
vorgenommen wurden, ist insbesondere die Anordnung
von Ordnungshaft gegenüber einem Elternteil auch wegen der kindeswohlgefährdenden und konfliktverschärfenden Auswirkungen als völlig ungeeignet anzusehen.
Deshalb hat unsere Bundesjustizministerin Zypries wohl
in ihrem Beispiel, das sie hier genannt hat, die Ordnungshaft nicht erwähnt. Man kann nicht nur ein Ordnungsgeld gegen die Mutter, wenn sie den Umgang nicht
gewährt, nachträglich festsetzen. Was passiert denn,
wenn die Mutter, die möglicherweise ALG-II-Bezieherin ist, das Ordnungsgeld nicht zahlen kann? Dann wird
Ordnungshaft angeordnet. Mutter-Kind-Knast haben wir
bereits. Ob das dem Kindeswohl unbedingt dient, wage
ich zu bezweifeln.
({2})
Die Situation der Gerichte, der Jugendämter sowie
deren Beratungs- und Hilfsangebote nähert sich - das
wurde bereits angesprochen - dem finanziellen und personellen Kollaps. Die in familiengerichtlichen Verfahren
involvierten Professionen bedürfen dringend einer zielgerichteten und angemessenen finanziellen und personellen Ausstattung, um die Aufgaben, die gesetzlich
vorgegeben werden, zu erfüllen. In den wirklich für eine
Beschleunigung und Beratung geeigneten Fällen werden
die mangelnden Kapazitäten insbesondere der Jugendämter - das wird Ihnen jeder Familienrichter bestätigen zu einer wesentlichen Verzögerung der Verfahren führen. Der vorgesehene frühe erste Termin ist jedenfalls
mit den vorhandenen Ressourcen nach den gesetzlichen
Maßgaben innerhalb eines Monats schwer zu ermöglichen. Zudem ist ein dringendes Bedürfnis nach gesetzlichen Qualitätsanforderungen an die beteiligten Professionen zu konstatieren. Die Länder sind nun in der
Pflicht; denn die gute Umsetzung des Gesetzes müssen
letztlich sie garantieren. Dass die Familiengerichte personell aufgestockt werden sollen, ist ein frommer
Wunsch, an dessen Erfüllung ich angesichts der massiven Einsparungen in diesem Bereich in den letzten Jahren nicht zu glauben vermag. Auf die Einsparungen
komme ich gleich im Zusammenhang mit den Verfahrenspflegerkosten, den künftigen Beiständen zu sprechen. Wer glaubt denn daran, dass die Bundesländer
Finanzmittel für eine personelle Aufstockung einsetzen?
Den Vergleich mit dem Zitronenfalter erspare ich mir.
Das Cochemer Modell oder auch die Cochemer Praxis ist vor dem Hintergrund der Wahrung der berechtigten Interessen der Betroffenen kritisch zu hinterfragen.
Die Bundesregierung hat die grundlegenden Verfahrensweisen des Modells nicht ausreichend unabhängig evaluiert. Das ist unbedingt nachzuholen und nicht grundsätzlich abzulehnen.
Die Rollen der Verfahrensbeteiligten sind zu undifferenziert auf Einigung und Vermittlung ausgelegt. Für
mich und meine Fraktion ist schwer vorstellbar, wie ein
Gutachter einerseits ein objektives Gutachten erstellen
soll, andererseits „auf die Herstellung des Einvernehmens zwischen den Beteiligten hinwirken soll“.
Die pauschalierte Deckelung der Gebühren für Verfahrensbeistände auf 350 Euro ist nicht vertretbar. Für
diese Summe sollen die Beistände, die sogenannten Anwälte des Kindes, mehrere Gespräche mit den Eltern und
den Kindern,
({3})
möglicherweise mit Lehrern, Freunden und dem beteiligten Jugendamt führen, eine schriftliche Stellungnahme abgeben, das Kind zum Gericht begleiten, an der
mündlichen Verhandlung teilnehmen
({4})
und unter Umständen auch noch gegen die Entscheidung
des Gerichts intervenieren, Frau Granold.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Granold?
Ja.
Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass der Gesetzentwurf für den einfachen Wirkungskreis, das heißt,
dem Kind in geeigneter Weise das Verfahren zu erklären,
350 Euro und für den erweiterten Wirkungskreis, das
heißt, unter Umständen ein Gespräch mit den Eltern oder
mit den Erziehern zu führen, 550 Euro vorsieht?
Bei dem Beispiel, das ich genannt habe, geht es um
550 Euro.
({0})
- Wenn Sie mich hätten ausreden lassen, dann hätten Sie
es noch gehört.
({1})
Warum es zu diesen 350 Euro bzw. 550 Euro gekommen ist, wissen wir doch. Es wurde gesagt: Schimpfen
Sie mit uns! Meckern Sie mit uns! Das ist ein Zugeständnis an die Länder. - Andernfalls würde das Gesetz
im Bundesrat nicht verabschiedet. Aus Finanzgründen
werden bestimmte Verfahrenskosten festgelegt.
({2})
Letztendlich ist es ein Eingeständnis bezüglich der finanziellen Situation der Länder. Sie ist auch Grund dafür, dass im familiengerichtlichen Bereich keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden.
Die Anfechtbarkeit von Entscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen ist
unbefriedigend geregelt, soweit es den Umgang betrifft.
In dem ursprünglichen Referentenentwurf war ein
Rechtsmittel auch noch vorgesehen, mit der Begründung
- ich zitiere -:
… besteht auch in diesem Fall ein besonderes Bedürfnis für eine Anfechtbarkeit der Entscheidung …
Es folgte der Hinweis, dass Gründe für eine vorläufige
Umgangsregelung in der Hauptsache möglicherweise
nicht ausreichend sind. Warum diese Rechtsmittel jetzt
in Gänze entfallen, ist nur schwer nachzuvollziehen. Der
Verweis auf die Hauptsache jedenfalls reicht nicht aus.
Sämtliche genannten Punkte können leider nur zu einer Enthaltung meiner Fraktion bei der Verabschiedung
dieses Gesetzes führen. Es ist schade, dass die Interessen
und die Rechte von Kindern nach so langer Zeit der Beratung wieder einmal aus finanziellen Gründen auf der
Strecke bleiben.
({3})
Es ist schade und bedauerlich, aber kennzeichnend.
Danke.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Jerzy Montag für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich habe immer wieder die
Ehre und die Freude, in rechtspolitischen Debatten nach
dem Vertreter der Linken zu reden. Das veranlasst mich
oft zu Bemerkungen. Diesmal mache ich aber ausnahmsweise keine, weil über all diese Dinge in Berichterstattergesprächen drei- oder viermal geredet worden ist und
sämtliche Argumente ausgetauscht sind.
Ein so großes Gesetz hat viele Väter und Mütter; viele
berufen sich darauf, an ihm mitgewirkt zu haben. Da er
heute nicht zu Wort kommt, will ich an dieser Stelle einen der Väter namentlich nennen. Ich meine den Parlamentarischen Staatssekretär Alfred Hartenbach.
({0})
Ich will an dieser Stelle auch die Damen und Herren des
Bundesjustizministeriums erwähnen - einige sitzen hinter den Regierungsbänken -, die uns geholfen haben.
Wir wissen, mit welchem Sachverstand sie an diesem
Gesetz über viele Jahre gearbeitet haben. Dafür herzlichen Dank!
({1})
Das Gesetz ist in seiner Ursprungsfassung am 17. Mai
1898 vom deutschen Kaiser Wilhelm II. unterschrieben
worden. Schon damals - hören Sie zu! - hat der Kaiser
in seiner Weisheit anderthalb Jahre Zeit gelassen, bevor
es in Kraft getreten ist, nämlich zum 1. Januar 1900. Ich
werde auf dieses Problem noch zu sprechen kommen.
Es ist ein Gesetz, das in seinem Titel den Begriff
„freiwillig“ beinhaltet. Ich habe nachgeschaut, wie dieses Gesetz in verwandten Rechtsordnungen heißt. Die
Schweizer haben es früher einmal die „willkürliche Gerichtsbarkeit“ genannt. Mit Willkür hat es vielleicht
nicht so viel zu tun gehabt; mit Freiheit und mit Freiwilligkeit hat es aber nie etwas zu tun gehabt. Es ist ein
Gesetz, das erhebliche Eingriffe in Grundrechte regelt,
zum Beispiel Freiheitsentziehung - Zwangsunterbringung und Abschiebehaft -, körperliche Unversehrtheit,
Unverletzlichkeit der Wohnung, Eingriffe ins Postgeheimnis, Eingriffe in Elternrechte und in Kinderrechte.
Dieses Gesetz war viele Jahrzehnte von einem obrigkeitsstaatlichen Denken geprägt; so steht es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung. Es
war voller Lücken. In einer jahrzehntelangen Rechtsentwicklung durch die Gerichte konnten diese Lücken nicht
immer gefüllt werden. Es war ein Flickwerk von Bezugnahmen und Kaskadenverweisungen. Ein Sachverständiger hat in der Anhörung von einem „Verweisungsirrgarten“ gesprochen. Wie wir schon gehört haben, gibt es
seit 50 Jahren eine Debatte über eine Reform. Wir Grüne
finden es gut, dass es endlich zu einem klar gegliederten,
normenklaren, verständlichen Gesetz kommt. Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen.
({2})
Das Gesetz hat fast 500 Paragrafen. Es ist nicht zuletzt deswegen so groß geworden, weil in ihm ein weiteres großes Reformwerk enthalten ist, nämlich das Gesetz
über das Verfahren in Familiensachen. Auch hier ist es
gelungen, Regelungen aus dem BGB, der ZPO, dem
FGG und der Hausratsverordnung zu einem Gesetz zusammenzubringen. Es wird ein neues Großes Familiengericht eingerichtet. Die Rechte der Kinder - lieber Kollege von der Linken, hören Sie zu! - werden nicht
missachtet, sondern gestärkt, erstmals auch durch einen
eigenen Beistand.
({3})
Eine „Scheidung light“ gibt es nicht. Deswegen sage ich:
Auch dieser Teil des Gesetzes ist gelungen und findet
unsere Zustimmung.
In meiner Rede zur ersten Lesung dieses Gesetzes
habe ich für die Grünen an dieser Stelle gesagt, dass das
Gesetz so, wie es damals vorlag, nicht zustimmungsfähig war, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens sollten mit diesem Gesetz in einer allzu unkritischen Art und Weise Elemente des Cochemer Modells
in das neue Familienverfahren übertragen werden. Dagegen sind die Betroffenen Sturm gelaufen, völlig zu
Recht. Das ist bei den Verfassern des Gesetzentwurfs auf
offene Ohren gestoßen. Als wir im Berichterstattergespräch gemerkt haben, dass die Ausnahmeregelungen an
zwei Stellen noch nicht vollständig implementiert sind,
ist das einvernehmlich in die Begründung aufgenommen
worden, sodass ich heute für die Grünen sagen kann: Der
Grundgedanke, dass das Gericht darauf hinwirken soll,
Einvernehmen in Familien- und Kindschaftssachen herzustellen, ist richtig.
({4})
Jetzt ist im Gesetzentwurf aber auch enthalten, dass in
Ausnahmefällen - und zwar nicht nur in Gewaltschutzfragen, sondern es ist ausdrücklich auch von Sachverhalten von ähnlicher Schwere und Bedeutung die Rede entschleunigt und getrennt anzuhören ist. Dieser Kritikpunkt der Grünen braucht also nicht mehr aufrechterhalten zu werden.
Der zweite Kritikpunkt, den wir damals hatten, war
ebenfalls gewichtig. Wir haben gesagt, dass der Rechtsschutz für die Bürgerinnen und Bürger durch die Reform
nicht beschränkt werden darf. Gerade bei den in die
Grundrechte am wesentlichsten eingreifenden Teilen,
nämlich bei der Freiheitsentziehung - Zwangsunterbringung, Abschiebehaft und andere Formen -, hatte der ursprüngliche Gesetzentwurf eine Beschneidung des bisherigen Rechtswegs, der Möglichkeiten, sich vor Gericht
zu wehren, vorgesehen. Deshalb wollten die Grünen
dem Gesetzentwurf so nicht zustimmen; auch die anderen Oppositionsparteien haben sich in diesem Sinne geäußert.
Im Laufe der Diskussion haben wir erreicht, dass die
Rechtsbeschwerde - wenn ein Bürger oder eine Bürgerin der Auffassung ist, dass auf seinen Fall das Recht
nicht richtig angewendet worden ist -, die im ursprünglichen Entwurf nur dann möglich gewesen wäre, wenn das
Gericht sie nach eigener Willkür, nach eigener Entscheidung zugelassen hätte, jetzt, lieber Kollege Gehb - weil
Sie so nachdenklich schauen -, zulassungsfrei ist. Im
ersten Entwurf war sie an eine Zulassung gebunden. Die
Beibehaltung des alten Rechtszustands ist als Fortschritt
zu verzeichnen.
({5})
- Dann nehme ich das zurück. Aber es war die freie Entscheidung des Gerichts, die Zulassung zu verweigern;
({6})
das ist jetzt nicht mehr vorgesehen.
Die zweite Beschränkung ergab sich aus der Verweisung an den Bundesgerichtshof. Im Entwurf stand, dass
die Rechtsbeschwerde nicht zur Klärung des Einzelfalls,
sondern nur zur Rechtsfortbildung und zur Klärung allgemeiner Rechtsfragen zulässig gewesen wäre. Auch
dies haben wir moniert. Wir haben darum gebeten, dass
man den Zustand von vor der Reform wiederherstellt.
Das ist auch geschehen.
Die Koalition ist den Vorschlägen gefolgt, sodass jetzt
eine Rechtsbeschwerde wie nach altem Recht, nur nicht
mehr vor dem OLG, sondern vor dem BGH möglich ist,
also eine zulassungsfreie und absolut unbeschränkte
Rechtsbeschwerde. Das war der zweite gewichtige
Grund, weswegen wir Grüne ursprünglich gesagt haben,
dass dieses Gesetz nicht zustimmungsreif ist. Jetzt aber
ist es zustimmungsreif geworden.
({7})
Wir wären aber keine Opposition, wenn wir nicht
noch einige kritische Punkte hätten. Sie sind auch vom
Kollegen der Linken erwähnt worden. Die Beschwerde
im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Umgangssachen war ein Punkt, über den wir uns bis zum Schluss
nicht einig waren. Die Pauschalen als Bruttobeträge
- nicht als solche - und nicht als Nettobeträge sind ein
weiterer Punkt, bei dem wir anderer Meinung waren.
Schließlich ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens ein solcher Punkt; denn es ist nicht so, dass nur Einzelne meckern, sondern der Vorsitzende der Bund-Länder-Kommission für Datenverarbeitung und Rationalisierung der
Justiz, in der alle Bundesländer vertreten sind, hat dem
BMJ geschrieben, dass sich die Länder nicht in der Lage
sehen, zum 1. September 2009 die Umstellung auf das
neue Gesetz vorzunehmen. - Das sind aber drei Punkte,
die nicht rechtfertigen können, ein wirkliches Jahrhundertreformwerk abzulehnen. Deswegen gebe ich diese
Kritikpunkte zu Protokoll. Wir haben Ihnen gesagt, dass
es da noch Probleme geben könnte. Ansonsten stimmt
meine Fraktion dem Gesetzentwurf zu.
Danke schön.
({8})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Christine
Lambrecht das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, das Vorhaben,
das wir heute hier abschließen, ist ein Paradebeispiel für
gute und selbstbewusste Parlamentsarbeit. Ich will das
an einigen Beispielen deutlich machen.
Es handelt sich deshalb um selbstbewusste Parlamentsarbeit, weil am Anfang ein Referentenentwurf aus
dem Justizministerium auf dem Tisch lag, der - Frau
Granold hat es schon angesprochen - die „Scheidung
light“ vorsah. Das Vorhaben ist so genannt worden, weil
es vorsah, dass bei kinderlosen Paaren ein vereinfachtes
Scheidungsverfahren hätte durchgeführt werden können.
Wir haben uns über alle Fraktionen hinweg als Parlamentarier mit diesem Vorhaben nicht anfreunden können. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass dieser Vorschlag später im Referentenentwurf nicht mehr enthalten
war. Es handelte sich also deswegen um selbstbewusste
Parlamentsarbeit, weil wir uns nicht mit diesem Vorschlag abgefunden haben.
Es war gute, vorbildliche Parlamentsarbeit deshalb,
weil wir in ganz vielen Gesprächen auf unterschiedlichsten Ebenen auf Anliegen eingegangen sind. Es ist schon
angesprochen worden, dass wir Anhörungen durchgeführt haben. In den Anhörungen kamen Anregungen aus
der Praxis, die keineswegs an uns abgeprallt sind, sondern die aufgenommen wurden. Wir haben mit den Ländern gesprochen. Diese haben Anliegen an uns herangetragen, die insbesondere fiskalischer Natur waren. Den
Ländern ging es darum, Kosten zu sparen. Auch diese
Anliegen haben Eingang in dieses Gesetzeswerk gefunden. Deswegen ist der vorliegende Gesetzentwurf ein
Paradebeispiel dafür, wie man ein Gesetz erarbeiten
sollte, nämlich ohne Vorbehalte zwischen den einzelnen
Fraktionen, egal ob sie zur Opposition oder zur Koalition gehören. Wir haben in diesem Verfahren gut zusammengearbeitet,
({0})
auch wenn man, Herr Wunderlich, eben einen anderen
Eindruck haben konnte. Ich will auf Ihre Kritikpunkte
noch eingehen, aber nichtsdestoweniger haben wir im
Verfahren selbst sehr sachorientiert zusammengearbeitet.
Um was geht es? Es geht darum - das ist schon öfter
angesprochen worden -, mehr Transparenz in ein Verfahren zu bringen, das Menschen betrifft, die sich in einer sehr schwierigen, in einer emotional geprägten
Situation auf den Weg machen müssen, verschiedene
Dinge zu regeln. Dieser Weg ist momentan nicht sonderlich leicht, weil er sehr unübersichtlich ist. Sie müssen
schauen, mit welcher Frage sie zu welchem Gericht gehen müssen. Ein Beispiel: Wenn es in einem Scheidungsverfahren um Unterhalt geht, dann ist klar, dass
das Familiengericht zuständig ist. Haben die Ehepartner
aber während der Ehe eine Eigentumswohnung erworben, lebt einer der Ehepartner jetzt in dieser Eigentumswohnung und geht es darum, inwieweit dieser Vorteil
angerechnet wird, dann muss das zuerst in einem anderen Verfahren vor einem anderen Gericht geklärt werden, bevor das Ergebnis im Unterhaltsprozess Eingang
finden kann. Das eine Verfahren muss also ausgesetzt
werden, solange das andere Verfahren noch nicht entschieden ist. Das sorgt natürlich für Unsicherheit und
Verwirrung. Deswegen ist es richtig, dass alle solche
Verfahren, die die Situation von Menschen in Trennung
betreffen, beim Großen Familiengericht angesiedelt werden. So ist leichter nachzuvollziehen, wie Rechte geltend
gemacht werden können. Das unübersichtliche Nebeneinander von Verfahrensordnung, Zivilprozessordnung,
Hausratsverordnung, BGB usw. wird aufgehoben. Damit
wird dieser Bereich übersichtlicher geregelt.
Ich möchte nun auf einige Punkte eingehen, die kritisch angesprochen wurden. Wir haben beschlossen und
wollen mit diesem Gesetz umsetzen, dass in Zukunft insbesondere im Interesse des Kindeswohls eine vorrangige und beschleunigte Bearbeitung erfolgt. Ich kann,
Herr Wunderlich, nichts Negatives daran sehen, wenn
Gerichten aufgegeben wird, in Zukunft zügiger zu arbeiten, wenn es um das Kindeswohl geht.
({1})
Es muss darum gehen, schnell Klarheit zu schaffen, auch
für die Kinder, damit erst gar nicht eine Entfremdung
stattfindet. Selbstverständlich kann es sein, dass in Einzelfällen davon abgewichen werden muss. Beispielsweise haben wir in den Gesetzentwurf aufgenommen,
dass bei Gewaltsituationen Eltern getrennt angehört werden können und dies nicht, wie ursprünglich vorgesehen,
gemeinsam geschehen muss. Im Interesse des Kindes
muss eine schnelle, zügige Regelung herbeigeführt werden. Hier mögen die Interessen der Eltern unter Umständen das eine oder andere Mal nicht entsprechend berücksichtigt werden. Es geht aber um das Interesse des
Kindes; dies steht im Vordergrund. Deswegen stehe ich
voll und ganz hinter dieser Beschleunigung.
({2})
Die Länder werden natürlich gehalten sein, dafür die
entsprechenden Rahmenbedingungen zu schaffen; denn
ohne eine Veränderung der Ressourcen in den Ländern
wird das nicht möglich sein.
Herr Wunderlich, Sie haben die Ordnungsmittel angesprochen. Ich möchte einmal ausführen, um was es dabei geht. Derzeit können Zwangsmittel verhängt werden,
beispielsweise wenn ein Umgangsrecht nicht verwirklicht wurde. Ich nenne ein Beispiel: Der Vater hat das
Recht, das Kind über Ostern zu sehen. Die Mutter gibt
das Kind an Ostern aber nicht heraus. Ostern ist vorbei.
Dann bestünde keine Möglichkeit mehr, weil der Zeitraum abgelaufen ist, ein Zwangsmittel zu verhängen. Das wollen wir jetzt ändern; auch dann, wenn Ostern
vorbei ist, soll ein entsprechendes Verhalten sanktioniert
werden können. Die Nichtherausgabe des Kindes durch
die Mutter kann aber unterschiedliche Gründe haben.
Unter Umständen kann dies böswillig gewesen sein, indem sie sagt: Nein, ich sehe nicht ein, dass er das Kind
über Ostern hat. - Dann gibt es in Zukunft ein Ordnungsmittel. Ursprünglich gab es eine andere Vorschrift;
mittlerweile ist es eine Kannvorschrift. Der Richter kann
also ein Ordnungsmittel verhängen und sagen: Ich gebe
auf, 200 Euro zu zahlen.
Sie schwingen nun die ganz große Keule, indem Sie
sagen, dass auch eine Haftstrafe erfolgen kann.
({3})
- Der worst case. - Es ist aber eine Kannregelung. Sie
selbst sind doch Familienrichter. Ich muss Ihnen sagen,
dass ich als Anwältin in diesem Bereich etwas mehr Vertrauen zu Familienrichtern habe. Warum sollte man,
wenn man weiß, dass da nichts zu holen ist, weil die
Frau von ALG II lebt, eine Situation schaffen, in der das
Kind zu Pflegeeltern muss, weil die Frau in Ordnungshaft muss?
({4})
Den deutschen Richter müssen Sie mir zeigen, der so unverfroren ist und so etwas Unglaubliches anordnet. Ich
kann mir einen solchen Richter nicht vorstellen. Ich
finde auch, dass das Ihrem Berufsstand gegenüber überhaupt nicht angebracht ist. Darüber hinaus würde es dem
Wohl des Kindes widersprechen. Dies aber steht über allem.
Lassen Sie mich nun zum Verfahrensbeistand, der
dem Kind beigeordnet wird, um es im Verfahren zu begleiten, kommen. Frau Granold hat bereits einige Punkte
angesprochen. Es wurde gesagt, dass es einen einfachen
und einen erweiterten Umfang gibt. Sie haben aus einem
internen Berichterstattergespräch zitiert. Ich persönlich
finde, es ist keine Konzession an die Länder, wenn wir
sagen, dass wir dafür sorgen, dass die Länder weniger
Geld ausgeben müssen. Sie müssen sich einmal anschauen, was Anwälte bekommen, wenn sie eine vergleichbare Tätigkeit leisten. Bei einem Streitwert von
3 000 Euro - wir haben das einmal ausgerechnet - bekommt ein Anwalt für die gleiche Tätigkeit um die
600 Euro.
({5})
- 585 Euro, wie Frau Granold sagt. - Ich kann nicht verstehen, wieso es große Aufregung gibt, wenn Verfahrensbeistände, die nicht unbedingt Anwälte sein müssen,
550 Euro und Anwälte für die gleiche Tätigkeit
585 Euro bekommen. Ich finde, daran sollte man sich
nicht hochziehen.
({6})
Ich glaube, dass die Kritik am Zeitpunkt des Inkrafttretens nicht allzu ernst gemeint sein kann. Jetzt ist Ende
Juni. Das Gesetz wird auf den Weg gebracht. Die Länder
haben dann genug Zeit, sich auf die Umsetzung vorzubereiten und die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Ich frage mich, was zwei oder drei Monate mehr an
Erleichterung bringen würden, wenn das denn tatsächlich so kompliziert und so umfangreich ist. Lassen Sie
uns also jetzt beschließen, dass es zum 1. September
2009 in Kraft tritt!
Um es mit den Worten von Franz Müntefering zu sagen: Gutes Verfahren, gute Beratung, gutes Gesetz, mehr
Transparenz, Glück auf!
({7})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elisabeth
Winkelmeier-Becker für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kinder und Jugendliche und ihre Familien haben
Anspruch auf vielfältige Unterstützung durch die Gesellschaft. Häufig geht es dabei um Geld, Bildung und Infrastruktur. Aber auch dann, wenn wegen privater Veränderungen in einer Familie - damit gehen ja Emotionen
einher - Entscheidungen getroffen werden müssen, die
das Leben umgestalten, müssen wir den Kindern und Jugendlichen beistehen. Wenn die Eltern es in einer solchen Situation nicht schaffen, die notwendigen Entscheidungen zu treffen, weil ihr Beziehungskonflikt ihnen
den Blick für das verstellt, was für die Kinder gut ist,
brauchen wir ein Verfahren, das genau das leistet, ein
Verfahren, das in diesem Konflikt vor allem nicht selbst
zur Belastung wird, etwa dadurch, dass es unnötig lange
dauert oder wechselseitige Schriftsätze hervorruft, in denen Beleidigungen und Vorwürfe schon aktenkundig
festgeschrieben werden, noch bevor man sich überhaupt
in einer Verhandlung gegenübersitzt.
Wir brauchen also ein Verfahren, das eher dazu beiträgt, den Konflikt zu bewältigen, anstatt ihn zu verschärfen. Das vorliegende Gesetz über das Verfahren in
Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit setzt hier einige wichtige und gute
Akzente. Drei Punkte erscheinen mir als Familienpolitikerin, als die ich hier heute sprechen darf, besonders
wichtig, vor allem da, wo es um Kindschaftssachen,
Umgangs- und Sorgerechtsangelegenheiten, geht.
Erstens. In dem Gesetz werden Elemente des Cochemer Modells aufgegriffen. Wir setzen verstärkt auf zügige und einvernehmliche Lösungen. Eltern sollen es
durch die Verfahrensführung des Gerichts schaffen, ihren Beziehungskonflikt zurückzustellen und sich darum
zu kümmern, was in der neuen Situation das Beste für
das Kind ist. Es gilt, gemeinsam eine Regelung zum Lebensmittelpunkt und zum Umgang zu finden.
({0})
Eine solche Regelung ist dann, wenn die Eltern sie
treffen, häufig näher an den Bedürfnissen des Kindes.
Niemand kennt diese Bedürfnisse nämlich besser als die
Eltern. Eine solche Lösung hat auch bessere Chancen,
umgesetzt zu werden, weil sich die Eltern verpflichtet
fühlen und ihnen nichts oktroyiert worden ist. Deshalb
bekommen die Mediation und die außergerichtliche Beratung einen höheren Stellenwert.
In den meisten Kindschaftssachen kann man davon
ausgehen, dass die schnelle Anordnung des Umgangs
mit beiden Elternteilen für das Kind gut ist. Es darf nicht
passieren, dass nur wegen des Terminkalenders des Gerichts ein Kontakt abreißt, der sonst auch nach einer
Trennung beibehalten worden wäre. Deshalb muss der
erste Verhandlungstermin künftig innerhalb eines Monats anberaumt werden. In diesem Termin muss zumindest eine vorläufige Regelung angedacht werden, wenn
es nicht sogar gelingt, den Streit komplett beizulegen.
Dafür muss zur Not auch ein Termin in einer anderen Sache, in der es ums Geld geht, zurückstehen; diese Priorität müssen wir setzen.
Das Gesetz ist flexibel genug - dazu haben die Nachbesserungen im Anschluss an die Anhörungen in der Kinderkommission und im Rechtsausschuss beigetragen -,
sodass bei Bedarf auch anders vorgegangen werden
kann. Wo eine Einigung der Eltern nicht möglich ist,
kann auch eine streitige Entscheidung getroffen werden.
Wo der Umgang aus der Sache heraus nicht angezeigt
ist, braucht er vorläufig auch nicht angeordnet zu werden. Wo gemeinsame Verhandlungen wegen des Streits,
wegen der spezifischen Vorgeschichte nicht möglich
sind - zum Beispiel bei Gewalt in der Vorgeschichte -,
kann davon auch Abstand genommen werden. Das Gericht ist also flexibel genug und braucht nicht schematisch vorzugehen.
Zweitens möchte ich auf das Institut der Verfahrenspflegschaft und die Änderungen dort eingehen. Das Institut der Verfahrenspflegschaft soll in Zukunft öfter genutzt werden. Bei erheblichen Interessenkonflikten muss
Verfahrenspflegschaft angeordnet werden. Vor allem in
Umgangsstreitigkeiten wird das in einer deutlich höheren Fallzahl als bisher geschehen. Es hat seine Berechtigung; denn das Kindeswohl steht im Mittelpunkt jedes
Kindschaftsverfahrens. Es muss also ein geeignetes Verfahren gefunden werden, wie man das subjektive und
wohlverstandene Interesse des Kindes einbringen kann.
Das kann das Kind häufig nicht selbst, weil es sich in
einem ganz schwerwiegenden Loyalitätskonflikt gegenüber den Eltern, die sich streiten, befindet. Es hat Angst,
wenn ein Elternteil weggegangen ist, dass es dann auch
noch die Liebe des anderen verliert, bei dem es lebt. Hier
ist es Aufgabe des Verfahrensbeistandes, wie er in Zukunft genannt wird, die Sichtweise des Kindes einzubringen und ihm auch zu erklären, was da passiert, was
das Gericht macht und welche Bedeutung das für sein
Leben hat.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um allen Verfahrenspflegern für ihren engagierten Einsatz für die
Kinder in diesen Situationen zu danken.
({1})
Ich habe in meiner Zeit als Familienrichterin die Arbeit
der Verfahrenspfleger häufig als sehr konstruktiv und
zielführend erlebt und habe auch Rechnungen gesehen,
deren Beträge höher lagen als die jetzt vorgesehenen
Pauschalen. In einigen Fällen habe ich diese Beträge
durchaus für berechtigt gehalten. Von daher habe ich
eine gewisse Skepsis gegenüber der Pauschalierung. Ich
muss natürlich zugeben, dass die Deckelung der Beträge
der Preis für die Ausweitung der Fallzahlen war. Nur so
konnte verhindert werden, dass der Kostenrahmen insgesamt gesprengt wird. Immerhin muss man auch anerkennen - das wurde eben schon gesagt -, dass sich die
pauschalierten Beträge grob an der Vergütung der
Rechtsanwälte orientieren. Ich denke, die Praxis wird
zeigen, ob man für diese Beträge in Zukunft eine Leistung bekommt, die in der Sache weiterhilft. Ansonsten
muss man darüber noch einmal nachdenken und kreative
Lösungen suchen. In diesem Zusammenhang sollte man
auch die persönlichen Zugangsvoraussetzungen, also die
Qualifikationsstandards, definieren. Ausgehend von diesen kann dann auch begründet werden, auf welchem
Niveau die Vergütung angesiedelt sein sollte.
Dritter und letzter Punkt. Wichtig ist, dass die getroffenen Entscheidungen effektiv umgesetzt werden. Bei
Umgangsstreitigkeiten, also wenn es zum Beispiel immer wieder zu Konflikten bei der Übergabe des Kindes
kommt, kann die Einführung eines Umgangspflegers
hilfreich sein.
Außerdem - auch das wurde schon angesprochen stellen wir von Zwangsmitteln auf Ordnungsmittel um.
Damit ist eine bessere Durchsetzbarkeit gewährleistet,
da diese auch noch nachträglich vollstreckt werden können. Die Sorge, dass dann objektiv falsche Entscheidungen durchgesetzt würden, ist nicht stichhaltig. Natürlich
kann sich jeder Beispielsfälle vorstellen, in denen ein
objektiv falscher Umgang durchgesetzt werden könnte.
Aber herauszufinden, was im Einzelfall für ein Kind
mit seiner individuellen Vorgeschichte in einer Situation
richtig ist, in der sich die Eltern uneins sind, kann nur
Sache des Gerichts sein. Es muss in einem ordentlichen
Verfahren alle Argumente der Beteiligten zur Kenntnis
nehmen, diese in seine Überlegung einbeziehen und
dann die Entscheidung treffen. Wenn eine Regelung festgelegt wurde, muss diese auch gelten. Es dürfen dann
nicht wieder die Argumente aus dem Erkenntnisverfahren bei der Vollstreckung diskutiert werden.
Mir ist wichtig, zu betonen, dass auch Ordnungshaft
möglich ist. Sie wird natürlich nur unter strengster Anwendung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit eingesetzt werden. Aber es ist wichtig, diese Option zu haben,
damit sich Menschen, die wissen, dass bei ihnen kein
Ordnungsgeld vollstreckt werden kann, nicht einfach
stur stellen können. Das haben sicherlich auch andere in
der Praxis erlebt. Ich könnte da jedenfalls entsprechende
Fälle nennen. Deshalb ist es für mich wichtig, dass auch
hier die Drohung mit einer Sanktion möglich ist.
Meine Damen und Herren, wie gut diese Regelungen
sind, wird letztendlich die Praxis zeigen. Das hängt auch
davon ab, wie die Beteiligten und die Verantwortlichen
mit den neuen Regeln umgehen. Ich möchte deshalb mit
einem Appell an die Familienrichter und die Beteiligten
schließen: Stellen Sie das Interesse des Kindes in den
Mittelpunkt! Bemühen Sie sich, dass die gute Lösung
das Ziel des Verfahrens ist! - Das Interesse des Kindes
ist fast immer auf die Kontinuität seiner Beziehung zu
beiden Elternteilen gerichtet. Hier darf eine schnelle und
konstruktive Lösung nicht an der Terminlage des Gerichts oder der Sachverständigen bzw. am Streit der
Eltern scheitern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Joachim Stünker für die SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause noch drei Anmerkungen.
Die erste gebe ich zu Protokoll - Herr Montag ist leider nicht mehr da -, was Vaterschaft bzw. Mutterschaft
bei diesem Gesetz angeht. Es war im Jahr 1999 - gleich
zu Beginn der rot-grünen Koalition -, als ich der damaligen Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin im
Zusammenhang mit der Reform der Zivilprozessordnung, die wir im Jahr 2002 abgeschlossen haben, einen
Brief geschrieben habe. Ich habe ihr geschrieben, dass
ich der Meinung sei, wir sollten auch das Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit auf diesen Reformweg bringen.
Dann hat im Sommer 1999 - auch Herr Manzewski
ist nun leider nicht mehr da - ein denkwürdiges Gespräch im Bundesministerium der Justiz stattgefunden.
Es waren die Fachbeamten sowie OLG-Räte und OLGPräsidenten anwesend. Während dieses Gesprächs sagte
die Ministerin ständig zu mir: Du, hör mal zu! Die sagen
ganz etwas anderes als das, was du mir immer erzählt
hast. - Das Gespräch lief also nicht gut.
Darauf habe ich gesagt: Frau Ministerin, lassen Sie
uns doch nach diesem Gespräch ein Vieraugengespräch
führen. - Das haben wir auch gemacht. Aus Vieraugengesprächen soll man nicht zitieren, aber so viel kann ich
sagen: Ich habe versucht, deutlich zu machen, warum
wohl die Gruppe, die dort saß, kein großes Interesse daran haben könnte, dass wir eine Reform vornehmen.
Darauf sagte die Ministerin zu mir: Ja, Joachim, das sehe
ich ein. - Sie hat dann eine Arbeitsgruppe eingesetzt,
wofür ich heute noch sehr dankbar bin. Ich möchte mich
ausdrücklich bei Herrn Meyer-Seitz und seinen Kolleginnen und Kollegen im Justizministerium dafür bedanken, dass sie in acht Jahren eine enorme Arbeit geleistet
und uns diesen wirklich guten Entwurf vorgelegt haben.
Herzlichen Dank!
({0})
So viel zur Vaterschaft bzw. zur Mutterschaft.
Es geht nicht nur darum, verstreute Vorschriften zusammenzufassen, sondern es geht auch darum, dass man
eine Rechtsprechung, die sich über Jahrzehnte entwickelt hat, direkt in eine neue Kodifizierung einbinden
kann und insofern auch etwas für die Rechtsfortbildung
leistet. Dass ein Gesetz oder Vorschriften aus dem
19. Jahrhundert der gesellschaftlichen Wirklichkeit im
21. Jahrhundert nicht mehr gerecht werden können, liegt
- glaube ich - auch auf der Hand.
Zweite Anmerkung. Weshalb es uns so wichtig war,
auch die Rechtsbeschwerde vor dem Bundesgerichtshof
zu ermöglichen, lässt sich vielleicht an dem Beispiel verdeutlichen, das wir hier gestern Nachmittag sehr kontrovers diskutiert haben. Eine Kontroverse etwa darüber,
wie denn zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
im Betreuungsrecht hinsichtlich Patientenverfügungen
auszulegen sind, wird es zukünftig nicht mehr geben,
wenn solche Entscheidungen im Zuge der Rechtsbeschwerde unmittelbar vor dem Bundesgerichtshof behandelt werden und dort die Rechtsprechung vereinheitlicht wird. Hier hatten zwei Senate durch Zufall über
eine Regelung im Betreuungsrecht zu entscheiden. Dies
führt zu Widersprüchen, die der eine so und der andere
so auslegt, also wie es ihnen gerade passt.
Zukünftig werden diese Verfahren im Interesse der
Rechtseinheit von Flensburg bis zum Bayerischen Wald
vor dem Bundesgerichtshof entschieden werden können.
Von daher ist es ein wichtiger Schritt, dass wir dies dem
Verfahren in der Zivilprozessordnung angeglichen haben. Dafür, dass es im Ergebnis zulassungsfrei geworden
ist, müssen wir noch einen Bußgang zum Bundesgerichtshof tun, der ja mehr Arbeit bekommen hat. Ich
glaube allerdings, dass es die Praxis richten wird.
Meine dritte und letzte Anmerkung: Für uns Sozialdemokraten ist dieses Gesetzeswerk, welches gewährleistet, das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit im
21. Jahrhundert in dieser Gesellschaft mit einem modernen Recht weiterzubetreiben, auch in Richtung der Länder eine Antwort auf die immer wieder auftretenden
Bestrebungen, die Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu privatisieren, von den Gerichten zu lösen und
den Industrie- und Handelskammern, den Notaren oder
sonst wem zu übertragen. Es ist für die Praxis, für die
vielen Menschen, die von ihren Landesjustizministern
immer wieder verunsichert werden, wichtig, dass festgehalten wird: Wir Sozialdemokraten stehen eindeutig zur
freiwilligen Gerichtsbarkeit bei den Amtsgerichten.
Schönen Dank und schönen Sommer!
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9733, die unter Nr. 1 genannten Artikel
des Gesetzentwurfs der Bundesregierung auf Drucksache 16/6308 unverändert und die unter Nr. 2 genann18482
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
ten Artikel sowie die Inhaltsübersicht in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt nun ein zwischen den
Fraktionen im Rechtsausschuss abgestimmter Änderungsantrag vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für
den Änderungsantrag auf Drucksache 16/9831? - Ist jemand dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag
ist damit einstimmig angenommen.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer
ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.
Interfraktionell ist vereinbart, unmittelbar in die
dritte Beratung
einzutreten. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Ich
bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zweiten Lesung angenommen.
({0})
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 16/9816. Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der
Entschließungsantrag ist damit mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen, der FDP-Fraktion und der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke abgelehnt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 39 a und 39 b
auf:
a) - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung
des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch
- Drucksache 16/9690 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({1})
- Drucksache 16/9790 Berichterstattung:
Abgeordneter Karl Schiewerling
- Bericht des Haushaltsausschusses ({2})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/9791 Berichterstattung:
Abgeordnete Hans-Joachim Fuchtel
Carsten Schneider ({3})
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
b) Beratung der Beschlussempfehlung des Ausschusses nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({4}) zu dem Gesetz zur Neure-
gelung des Wohngeldrechts und zur Änderung
anderer wohnungsrechtlicher Vorschriften
- Drucksachen 16/6543, 16/7166, 16/7167,
16/8918, 16/8923, 16/9290, 16/9627 -
Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Norbert Röttgen
Eine Aussprache ist dazu nicht vorgesehen.
Tagesordnungspunkt 39 a. Bevor wir zur Abstim-
mung kommen, darf ich Ihnen mitteilen, dass mir dazu
Erklärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung des
Kollegen Ingbert Liebing und Jörg Rohde vorliegen.1)
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Gesetzentwurf zur Änderung des Zweiten Buches So-
zialgesetzbuch. Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/9790, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/9690 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer ist dage-
gen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen bei Gegenstimmen der Fraktionen Bündnis 90/
Die Grünen und Die Linke sowie einer Gegenstimme
aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion und bei Enthal-
tung der FDP-Fraktion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der
zweiten Lesung angenommen.
Tagesordnungspunkt 39 b. Auch hierzu liegen Erk-
lärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor, und
zwar von den Kollegen Dr. Norbert Röttgen, Volker
Kröning, Ulrike Flach, Otto Fricke und Jürgen
Koppelin.2) Es geht dabei um die Beratung der Be-
schlussempfehlung des Vermittlungsausschusses auf
Drucksache 16/9627 zu dem Gesetz zur Neuregelung
des Wohngeldrechts und zur Änderung anderer woh-
nungsrechtlicher Vorschriften. Berichterstatter ist der
Kollege Dr. Norbert Röttgen. Wird das Wort zur Bericht-
erstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Damit kommen wir zur Abstimmung. Der Vermitt-
lungsausschuss hat gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 seiner Ge-
schäftsordnung beschlossen, dass im Deutschen Bundes-
tag über die Änderungen gemeinsam abzustimmen ist.
Wer stimmt nun für die Beschlussempfehlung des Ver-
mittlungsausschusses auf Drucksache 16/9627? - Wer
ist dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfeh-
lung ist damit bei einigen Gegenstimmen und bei einigen
Enthaltungen angenommen.
1) Anlage 3
2) Anlage 4
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 c auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Schäffler, Jürgen Koppelin, Martin Zeil, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Verstaatlichung der IKB Deutsche In-
dustriebank AG durch Zweckentfremdung
der KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau
- Drucksache 16/9611 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Zeil, Jürgen Koppelin, Frank Schäffler, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Untersagung des direkten oder indirekten Er-
werbs beziehungsweise der Übertragung von
Vermögenspositionen der IKB Deutsche In-
dustriebank AG durch respektive an die KfW
Kreditanstalt für Wiederaufbau
- Drucksache 16/9606 -
c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({5}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Koppelin,
Frank Schäffler, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Keine Sozialisierung von Spekulationsverlusten - Voraussetzungen für eine grundlegende
Reform des öffentlich-rechtlichen Finanzsektors schaffen
- Drucksachen 16/8771, 16/9760, 16/9824 Berichterstattung:
Abgeordnete Leo Dautzenberg
Reinhard Schultz ({6})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Jürgen Koppelin für die
FDP-Fraktion.
({7})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eine Vorbemerkung: Vorgestern ist Herr Dr. Ulrich
Schröder, bisher bei der NRW.BANK, zum Vorstandsvorsitzenden der KfW berufen worden.
({0})
Für meine Fraktion kann ich sagen: Wir wünschen ihm
viel Glück und viel Erfolg, damit die KfW endlich wieder positive Schlagzeilen macht. Wenn wir einen Beitrag
dazu leisten können, wollen wir das gerne tun.
({1})
- Ich bin Ihnen für diesen Zuruf mehr als dankbar. Ich
habe in meinen Notizen an dieser Stelle vermerkt: Zuruf
von der SPD. - Wir wünschen ihm - gleich können Sie
wieder einen Zuruf machen -, dass er erfolgreicher sein
kann als Frau Matthäus-Maier, der ich für ihre Arbeit
ausdrücklich danken will.
Frau Matthäus-Maier hat im Verwaltungsrat der KfW
erklärt - das können Sie in der Süddeutschen Zeitung
nachlesen -, sie habe ein Problem damit gehabt, dass es
ein ständiges Hin und Her zwischen zwei Ministerien
gegeben habe. Nun wollen wir diese Ministerien einmal
benennen: Das Wirtschaftsministerium und vor allem
das von der SPD geführte Finanzministerium haben Frau
Matthäus-Maier das Leben schwer gemacht. Eines unserer Hauptprobleme bei den Krisen von KfW und IKB ist
das Finanzministerium; darauf komme ich gleich zu
sprechen. Die Frau Staatssekretärin wird dazu nachher
ebenfalls noch Stellung beziehen. Ich könnte noch weitere problematische Punkte nennen, die zum Rücktritt
von Frau Matthäus-Maier geführt haben. Wir wünschen
jedenfalls Herrn Dr. Ulrich Schröder viel Erfolg und viel
Glück.
In dieser Debatte geht es um drei Anträge der FDPFraktion. Diesen drei Anträgen liegt die Auffassung zugrunde, dass für Verluste einer privaten Bank, aber auch
für Verluste von Landesbanken nicht der Steuerzahler
aufkommen kann. Die Verluste können nicht sozialisiert
werden. Das ist das Entscheidende.
({2})
Ich kann es gar nicht so gut formulieren, wie es in der
Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom
25. Juni 2008 steht. Ich will daraus vorlesen - auch die
Linken sollten gut zuhören -:
({3})
Die Antragsteller
- also die FDP weisen darauf hin, dass die Sozialisierung von
Spekulationsverlusten unsozial sei. Steuermittel
würden dadurch verschwendet, die Haushaltskonsolidierung gefährdet und der Spielraum für Zukunftsinvestitionen werde geringer. Missmanagement dürfe nicht durch eine Schuldenübernahme
honoriert werden.
Das ist das Problem. Das haben wir aufgezeigt, und das
ist in der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses
wiederzufinden.
({4})
Weiter heißt es - nun wird es interessant -:
Mit dem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, keine zusätzlichen Haushaltsmittel für die
Sanierung öffentlicher Kreditinstitute bereitzustellen
({5})
und dafür zu sorgen, dass staatliche Garantien sowie Schuldenübernahmen künftig auszuschließen
seien.
({6})
Das Abstimmungsergebnis ist unglaublich interessant:
Ablehnung des Antrags der FDP, die Verluste nicht zu
sozialisieren, mit den Stimmen der CDU/CSU - na ja,
Sie sind halt in der Koalition -, der Sozialdemokraten
- das wundert mich kaum noch -, der Linken und des
Bündnisses 90/Die Grünen.
({7})
Allein auf weiter Flur steht die FDP. Wir bleiben bei unserer Haltung: Verluste dürfen nicht sozialisiert werden.
({8})
Sowohl bei der IKB wie auch bei den öffentlichen
Banken - daran führt kein Weg vorbei - haben die Direktoren Monopoly gespielt, nach dem Motto: Was die
Deutsche Bank kann, das können wir auch! Ich habe in
den letzten Tagen den Spruch gehört: Wir sind Förderbank, da ist halt nicht so viel Profit zu machen, also haben wir uns auf andere Gebiete begeben, um ordentlich
Profit zu machen. - Das ist aber leider in die Hose gegangen. Diese Banken sind eben nicht die Deutsche
Bank und konnten nicht das große Rad drehen.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich sagen: Es ist schon
eine starke Nummer, dass die Deutsche Bank - so sind
unsere Erkenntnisse - ihre großen Pakete an die IKB
verkauft, sich gut bezahlen lässt und anschließend meldet, dass das alles Schrott ist. Die Frage, wo die BaFin
war, muss noch beantwortet werden.
({9})
- Warten Sie doch ab! Ihre Leute sitzen doch in den Landesbanken.
({10})
- Wir sitzen nicht bei der Sachsen LB, der West-LB oder
der Bayerischen Landesbank im Verwaltungsrat.
({11})
- Herr Kollege, wenn Sie diesen Zuruf machen: Es kann
doch nicht angehen, dass eine private Bank, die IKB, bereits mit 9,1 Milliarden Euro saniert werden musste und
dass von diesen 9,1 Milliarden Euro, die bisher verpulvert wurden, die privaten und andere Banken - die privaten haben sich sehr zurückgehalten - nur 1,2 Milliarden
Euro getragen haben. Den Rest muss der deutsche Steuerzahler - in welcher Form auch immer - tragen. Das
kann doch nicht sein.
Ich komme zum nächsten Punkt; damit hatten wir
neulich auch im Haushaltsausschuss zu tun. Es soll noch
eine Bürgschaft des Bundes in Milliardenhöhe geben.
Das Finanzministerium - bei dem ganzen Thema ist das
Finanzministerium eines der größten Probleme - teilt
uns dann mit, es gebe ein Gutachten, das besage, dass
die Bürgschaft nie zum Zuge kommen werde. Die Medien haben darüber berichtet, dass dieses Gutachten von
einem Unternehmen der Deutschen Bank erstellt wird.
Da fasst man sich doch nur noch an den Kopf. So können wir doch nicht arbeiten. Teil all dieser Probleme
- Finanzkrise, IKB, KfW - ist auch das Finanzministerium.
({12})
Ich will nicht verhehlen - das wissen Sie, wenn Sie
die Berichterstattung in den Medien verfolgt haben -,
dass meine Fraktion am Dienstag dieser Woche in der
Tendenz geäußert hat, dass wir einen Untersuchungsausschuss wollen; das Bundesfinanzministerium kann dazu
beitragen, dass wir diesen nicht bekommen. Denn es
kann nicht sein, dass das Bundesfinanzministerium in
der Art und Weise mit dem Parlament umgeht, dass wir
keine Auskünfte bekommen. Es ist ein einziger Skandal,
dass das Finanzministerium dem Deutschen Bundestag
und frei gewählten Abgeordneten die Auskunft verweigert. Dies ist mein letzter Punkt, auch wenn ich noch einiges sagen könnte.
({13})
Ein Hauptproblem ist, dass das Finanzministerium
immer in der Hoffnung verschleiert, es werde schon alles gut. Nein, es wird nicht gut.
Herr Kollege, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin.
Ich darf die Sozialdemokraten daran erinnern, dass
wir hier in einer Debatte gefordert haben, den Aufsichtsrat der IKB nicht zu entlasten. Wir sind mit rund
45 Prozent größter Anteilseigner. Sie haben das damals
abgelehnt. Aber die Aktionäre waren klüger und haben
den Freien Demokraten zugestimmt.
Vielen Dank.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Otto Bernhardt für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Koppelin, ich habe Verständnis dafür, dass
man, wenn man seit fast zehn Jahren in der Opposition
ist, Themen sehr undifferenziert angeht, um Schlagzeilen zu machen.
({0})
Herr Kollege, das Bankensystem ist für solche Einlassungen aber zu kompliziert. Ich sage sehr deutlich: Der
Bund ist nun einmal beherrschender Gesellschafter der
KfW, und die KfW ist nun einmal beherrschender Gesellschafter der IKB. Es gibt Zwänge, die für Private wie
für die öffentliche Hand gelten. Ich sage an dieser Stelle
sehr deutlich: Es war richtig, dass das Bundesfinanzministerium in enger Zusammenarbeit mit der BaFin,
der Bundesbank und den Bankenverbänden die IKB gerettet hat.
({1})
- Vielleicht wäre es gut, Herr Koppelin, wenn Sie einmal
zuhören würden, um ein paar Sachargumente für die
Diskussion aufzunehmen.
({2})
Ich stehe zu dieser Aussage und betone: Der Schaden
für die deutsche Volkswirtschaft - ich komme auch noch
zu den Steuern - wäre viel größer gewesen, wenn die
IKB in die Insolvenz gegangen wäre. Dann wären Sie
wahrscheinlich der Erste gewesen, der hier gesagt hätte:
Die Ministerien haben versagt. - Ich sage auch sehr
deutlich: Sie kennen die IKB und wissen, dass sie Einlagen in Höhe von 24 Milliarden Euro hat.
({3})
Sie wissen natürlich auch, wo diese Einlagen herkommen. Daran sind Ortskrankenkassen genauso wie kleine
Genossenschaftsbanken und Sparkassen beteiligt. Wenn
Sie in einer Situation, in der niemand die zur Diskussion
stehenden Papiere kaufen will, ein Institut in die Insolvenz gehen lassen, dann warne ich Neugierige vor der
Hoffnung auf eine große Quote.
({4})
Das hätte bei den Einlegern zu Ausfällen in Milliardenhöhe geführt.
({5})
Wir partizipieren als Staat an den Steuerzahlungen. Ich
bin davon überzeugt, dass der direkte Schaden für die öffentliche Hand größer gewesen wäre, als er heute ist,
wenn wir die IKB hätten in die Insolvenz gehen lassen.
({6})
Sie nennen die 9,1 Milliarden Euro; ich weiß nicht, ob
Sie verstehen, was ich jetzt sage.
({7})
Diese 9,1 Milliarden Euro sind zunächst Buchverluste.
({8})
Man muss sie zunächst einmal zur Verfügung stellen;
denn sonst kann man den Bankbetrieb nicht weiterführen. Wie viel daraus nachher wirklich wird, weiß heute
noch niemand. Aber es wird mit Sicherheit deutlich weniger als 9,1 Milliarden Euro.
({9})
Zur Kritik an der KfW. Es war nicht der Wunsch der
KfW, die IKB zu kaufen, sondern es war so, dass zwei
große deutsche Versicherungen Anteile an der IKB hatten, von denen sie sich trennen wollten. Es gab in
Deutschland aber niemanden, der sie kaufen wollte. Daher hat die Politik die KfW gebeten, in Aktion zu treten.
Das heißt, die KfW ist sozusagen auf politische Empfehlung hin Hauptaktionär der IKB geworden.
Der Fehler, den man gemacht hat, bestand darin
- auch das sage ich sehr deutlich -, dass man sich nicht
rechtzeitig von diesem Engagement getrennt hat. An dieser Stelle sage ich - ich bin bereit, diese Aussage mit
Fakten zu belegen -: Vor zwei Jahren hätte man die IKB
verkaufen können; denn damals gab es Kaufinteressenten.
({10})
Die KfW ist ein Förderinstitut, und sie soll ein Förderinstitut bleiben. Sie hat übrigens noch eine zweite,
eine hundertprozentige Tochter: die IPEX-Bank. Ich will
die KfW jetzt nicht voreilig in neue Aktionen drängen.
Ich möchte aber auf Folgendes hinweisen: Wir müssen
versuchen, darauf hinzuwirken - das ist eine Entscheidung der KfW und eine Entscheidung des Bundes und
der Länder -, dass sich die KfW rechtzeitig von der
IPEX löst.
({11})
Das, was die IPEX-Bank tut, ist nämlich nicht das Aufgabengebiet der KfW. Hierfür hat sie letztlich nicht das
erforderliche Know-how.
({12})
Zurzeit soll die IKB in etwa so viel wert sein wie die
Höhe der Rücklage, die die KfW einmal für solche Fälle
gebildet hat: 5 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund
meine ich, dass es gut wäre, über diese Frage einmal kritisch nachzudenken.
({13})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Koppelin?
Immer gerne.
({0})
- Vielleicht kann ich ihm ja helfen.
Vielen Dank, Herr Kollege. - Als ich vorhin die
9,1 Milliarden Euro angesprochen habe, sagten Sie: Ob
diese Mittel greifen, weiß man noch gar nicht. Nun haben Sie gerade den Risikofonds der KfW erwähnt, der
ein Volumen von weit mehr als 5 Milliarden Euro hatte.
Diesen Fonds gibt es mittlerweile aber nicht mehr. Wo
ist dieses Geld eigentlich geblieben? Das andere waren
ja angeblich nur Buchwerte, und ob das Risiko eintritt,
wissen wir nicht. Klären Sie mich bitte auf: Wo sind die
5 Milliarden Euro geblieben?
Das Gesamtvolumen betrug 9,1 Milliarden Euro. Davon hat die KfW den überwiegenden Teil selbst geleistet,
({0})
und zwar zunächst einmal die 5 Milliarden Euro, die für
solche Fälle vorgesehen waren.
({1})
Sie mussten eingesetzt werden, sind aber, was die Liquidität angeht, noch nicht weg.
({2})
- Herr Kollege, ich mache gerne einmal ein Seminar mit
Ihnen. - Dieses Geld musste zur Verfügung gestellt werden. Da die Bankenaufsicht sonst gezwungen gewesen
wäre, die IKB zu schließen, musste diese Vorsorgemaßnahme getroffen werden. Ich wiederhole: Zurzeit ist das
eine Vorsorgemaßnahme. Ob bzw. in welchem Umfang
sie Liquidität zur Folge hat, wissen wir nicht.
({3})
Die letzte 1 Milliarde Euro, über die jetzt entschieden
wird, wird mit Sicherheit kaum zu Liquidität führen; das
entsprechende Gutachten ist Ihnen bekannt.
({4})
Ein weiterer Aspekt, den Sie in Ihren Anträgen ansprechen, betrifft die Bankenstruktur in Deutschland.
Darauf wird mein Kollege Oswald eingehen. Ich sage an
dieser Stelle nur eines sehr deutlich: Jeder muss die Aufgaben erledigen, die in seinem Zuständigkeitsbereich
liegen. Wir haben mit KfW und IKB genug zu tun, und
dafür tragen wir die Verantwortung. Für die anderen Bereiche hat der Bund nicht die erforderliche Kompetenz.
Das ändert nichts daran, dass ich mit manchem, was Sie
vortragen, inhaltlich übereinstimme. Auch das letzte
Gutachten, das die Wirtschaftsweisen vorgelegt haben,
geht ein Stück weit in diese Richtung.
Ich möchte betonen: Im Kreditwesen sollte man keine
Schnellschüsse machen. Man sollte auch nicht glauben,
dass es tolle einheitliche Lösungen für alle gibt. Gerade
was die Landesbanken betrifft, können uns nur sehr differenzierte Lösungen weiterhelfen. Dafür gibt es Verantwortliche: Länder, Ministerpräsidenten, Landesfinanzminister und Sparkassenverbände.
({5})
Ich habe schon bei anderer Gelegenheit gesagt: Würden wir uns mit diesem Themen in diesem Hohen Hause
beschäftigen, dann würde später gefordert werden, dass
wir uns auch an den Kosten beteiligen sollen. Wir sollten
uns auf unsere Aufgaben konzentrieren. Wir haben das
Problem der Bankenkrise, soweit es unseren Verantwortungsbereich betraf, hervorragend gelöst. Das deutsche
Bankensystem hat sich als widerstandsfähig herausgestellt. Ich betone abschließend: Das Krisenmanagement
mit dem Finanzminister an der Spitze hat hervorragend
funktioniert.
Danke schön.
({6})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Roland Claus das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
zunächst zum allgemeinen Verständnis beitragen: „IKB“
steht für Industriekreditbank.
({0})
„KfW“ heißt „Kreditanstalt für Wiederaufbau“; das war
ihr ursprünglicher Auftrag.
Die FDP hat aus Anlass der Krise der IKB, mit der
wir es seit 2007 zu tun haben, gleich drei Anträge gestellt. Wir teilen die Kritik der FDP, aber nicht die
Schlussfolgerungen.
Neu ist mir, Kollege Koppelin, dass Sie, wie Sie es
eben dargestellt haben, die Anträge stellen, um mit der
Fraktion Die Linke in einen Wettbewerb um soziale Gerechtigkeit zu treten. Ich kann Ihnen dabei nur viel Erfolg wünschen!
Die IKB ist eine halbstaatliche Bank, deren Aufgabe
es ist, private Kredite und staatliche Förderinstitutionen
zusammenzubringen. Das geht häufig nach dem Prinzip,
dass, solange es gut läuft, das Private betont wird, und
wenn Schulden aufgehäuft werden, nach dem Staat gerufen wird. Wir müssen uns deshalb prinzipiell mit der
Frage beschäftigen: Geht es hier um eine staatseigene
Bank, oder geht es um einen bankeigenen Staat?
In der Selbstdarstellung auf der Homepage der IKB
kann man immer noch lesen:
Viele tausend mittelständische Unternehmer haben
ihre Finanzierungsentscheidung getroffen. Sie verRoland Claus
trauen dem Marktführer: der IKB … Wir kennen
deren Märkte und können die Entwicklungstendenzen … beurteilen.
Das mag eine ganze Weile gestimmt haben; aber die Bedrohung durch Milliardenverluste seit Juni vergangenen
Jahres ist Fakt.
Zustande gekommen ist diese Bedrohung durch Spekulationsgeschäfte mit faulen US-Immobilien-Krediten - in
der Annahme, dass der Wert dieser Immobilien ständig
stiege. Möglich wurde das alles erst - auch das muss gesagt werden -, weil wir inzwischen eine völlige Abkopplung der globalisierten Finanzmärkte vom Markt der
Waren und Dienstleistungen haben: Bei den globalen
Finanzmärkten geht es inzwischen um das 50-Fache des
Wertes der Waren und Dienstleistungen, die Tag für Tag
umgeschlagen bzw. erbracht werden.
Die Sprache der FDP ist verräterisch: Das eine nennt
sie die Finanzwirtschaft, das andere die Realwirtschaft.
Sie macht damit kenntlich, dass die globalisierte Finanzwirtschaft inzwischen eine Irrealwirtschaft geworden ist.
({1})
Dass das so ist, kann man nicht hinnehmen.
({2})
Noch vor wenigen Jahren konnten Sie mit dieser Logik relativ unwidersprochen hantieren. Der Wind hat
sich inzwischen gedreht: Die Bürgerinnen und Bürger
vertrauen den unkontrollierten Finanzmärkten nicht
mehr. Selbst Josef Ackermann, den ich hier ja nicht weiter vorzustellen brauche, sagt inzwischen: Ich glaube
nicht mehr an die Selbstheilungskräfte der Finanzmärkte. Die Regierungen müssen Einfluss nehmen. Was für einen Kronzeugen brauchen Sie noch, um endlich zu begreifen, dass ein „Weiter so!“ der falsche Weg
ist?
({3})
Die Linke fordert das Primat der Politik vor den Finanzmärkten.
Was nun schlägt die FDP vor? Die FDP sagt: Keine
Steuergelder für Spekulationsverluste! Das ist so weit in
Ordnung. Aber dann kommt es: Die FDP will - wenn
man sich den früheren Antrag anschaut, sieht man das die Fehler und Folgen verfehlter Privatisierungspolitik
durch noch mehr Privatisierung heilen. Im Falle der IKB
wird ein Ruin in Kauf genommen. Die Folgen dessen
hätten in der Tat viele in dieser Gesellschaft zu tragen,
insbesondere die mittelständischen Unternehmen. Lassen Sie sich gesagt sein: Die IKB ist nicht so klein, dass
sie einen Crash weiterer Banken - auch der Kreditanstalt
für Wiederaufbau - nicht auch herbeiführen könnte. Ich
glaube, in Regierungsverantwortung hätte die FDP diese
Anträge nicht gestellt.
({4})
Wie verhält sich die Bundesregierung? Die Bundesregierung nimmt eine sogenannte Risikoabschirmung
vor: Der Staat und andere Banken retten die bedrohte
Bank. Das will die FDP mit ihren Anträgen verhindern.
Zur Risikoabschirmung blieb der Bundesregierung zunächst auch gar nichts anderes übrig. Wir haben bekanntlich in Regierungsverantwortung etwas Ähnliches
in Berlin getan. Der Unterschied allerdings ist, dass uns
in der Landespolitik kein anderes Instrument zur Verfügung steht, Sie aber sehr wohl in der Bundespolitik die
Rahmenbedingungen ändern könnten.
Deshalb sage ich an die Adresse der Bundesregierung: Das ist eine Heilung von Symptomen - mehr nicht.
Diese Bundesregierung ist in allen entscheidenden Aufsichtsgremien vertreten; aber sie hat keine wirksame
Aufsicht geführt. Sie hat die Hedgefonds zuerst zugelassen, und dann haben maßgebliche Vertreter ihrer selbst
sie „Heuschrecken“ oder - Peer Steinbrück - „komische
Produkte“ genannt, die - wiederum Zitat - eine „irrationale Entwicklung“ nehmen.
({5})
Das, meine Damen und Herren von der Bundesregierung
und der Koalition, sind aber die fatalen Ergebnisse Ihrer
Politik. Sie können nicht so tun, als hätten Sie damit
nichts zu tun, und sich aus der Verantwortung stehlen.
({6})
Konsequenter wäre da schon, jene Banken und Fonds
zur Verantwortung zu ziehen, die den Schaden bei IKB
und KfW erst verursacht haben. Jetzt aber - das ist das
wirklich Bemerkenswerte - ist es durchaus wahrscheinlich, dass diejenigen Banken und Fonds, die der IKB die
faulen Kredite angedreht haben, günstig Anteile an dieser Bank erwerben. Deshalb muss die Bundesregierung
hier handeln - jenseits von Schritten der Symptomheilung und von kleinen Wegen. Die Bundesregierung
ist dem Parlament - darauf ist schon hingewiesen worden - noch eine Reihe von Auskünften schuldig. Darüber werden wir aber in den Ausschüssen zu sprechen
haben.
Bundesminister Steinbrück hat heute Morgen in einer
Debatte zu einem ähnlichen Thema den Segen der internationalen Finanzwirtschaft beschworen
({7})
und Kritik daran - so wörtlich - als „antikapitalistische
Reflexe“ abqualifiziert. Ich stelle dazu fest: Bundesminister Steinbrück ist weit weg vom Lebensalltag der
meisten Menschen in diesem Lande. Er ist leider auch
weit weg von seinem Amtseid.
({8})
Für die Bundesregierung hat nun das Wort die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Redebeitrag der FDP hat sehr deutlich gemacht,
dass der FDP offensichtlich nicht an einer ernsthaften
Auseinandersetzung mit Lösungsmöglichkeiten für die
Krise gelegen ist, sondern dass es ausschließlich darum
geht, Behauptungen aufzustellen, die sehr leicht widerlegt werden können. Damit will ich beginnen.
Zum Ersten. Herr Koppelin, Sie haben dem Finanzministerium wieder unterstellt, es habe auf sehr viele
Fragen nicht ordentlich geantwortet.
({0})
Ich will darauf hinweisen, dass es gar nicht schlecht
gewesen wäre, wenn Sie am Mittwoch während der Fragestunde zu dem Zeitpunkt, als Ihre Frage, die Sie
schriftlich eingereicht haben, aufgerufen wurde, auch
tatsächlich dagewesen wären. Dann hätten wir das nämlich ausführlich miteinander erläutern können.
({1})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, das werde ich nicht tun.
Zum Zweiten. Wir haben auf 490 Einzelfragen aus
dem Parlament geantwortet;
({0})
ich will das sehr deutlich machen. Es gab auf einzelne
Fragen - auch darauf will ich hinweisen - keine Antwort. Es gab sie deshalb nicht, weil Sie Fragen gestellt
haben, deren Beantwortung zur Verletzung von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen einzelner Unternehmen geführt hätten. Als Bundesregierung sind wir, um Schaden
von diesen Unternehmen abzuhalten, ausdrücklich zur
Verschwiegenheit verpflichtet.
({1})
Das wissen Sie genau, und das haben wir Ihnen schon
mehrmals entsprechend deutlich gemacht. Ihnen muss
doch klar sein, dass das öffentliche Bekanntwerden von
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Rahmen einer
Antwort auf Ihre Frage, wie es den Unternehmen am Finanzmarkt geht, zu Schäden für diese Unternehmen führen kann. Daraus schließe ich ausdrücklich, dass es
Ihnen nicht um eine gute Entwicklung auf dem Finanzmarkt geht, sondern ausschließlich um das Vorführen.
Ich finde, dann, wenn es um ernsthafte Lösungen geht,
wird das Ihrer Oppositionsrolle nicht gerecht.
({2})
Zum Dritten. In dem FDP-Antrag und mit dem, was
Sie heute formuliert haben, maßen Sie sich zu wissen an,
dass es falsch war, die Rettungsschirme für die IKB zu
öffnen. Damit unterstellen Sie, wir alle hätten wissen
können, dass es besser gewesen wäre - ich bin Herrn
Bernhardt sehr dankbar für die klare Darlegung dessen,
was gewesen wäre, wenn es zur Insolvenz der IKB gekommen wäre -, das nicht zu tun. Sie maßen sich an,
hier unterstellen zu können, dass diese Entscheidung
falsch gewesen ist und dass Sie das gewusst haben, obwohl doch viele Banker aus der Privatwirtschaft sehr
deutlich gemacht haben - es gibt eine Menge Zitate -,
dass niemand vorher hat beurteilen können, welche Risiken lauern - wir werden uns natürlich darüber unterhalten müssen, was wir tun können, um solche Risiken früher zu erkennen -,
({3})
und dass niemand gewusst hat, welche Wirkungen eine
Insolvenz in diesem Fall gehabt hätte. Ich finde, es ist
nicht in Ordnung, hier solche Behauptungen aufzustellen.
Sie wissen, dass auch Minister Steinbrück mehrmals
deutlich gemacht hat - sowohl im Finanzausschuss als
auch im Haushaltsausschuss -, dass die Entscheidung
darüber, ob wir die IKB retten werden oder nicht,
schwierig war, weil es natürlich zu bedenken galt, was
der Staat bzw. die KfW tun muss und was passiert wäre,
wenn die IKB in Insolvenz gegangen wäre.
Ich will Ihnen das noch einmal deutlich machen: Es
ist eine Tatsache, dass durch die Insolvenz der IKB Einlagen von Banken und Nichtbanken in Höhe von
24 Milliarden Euro verloren gegangen wären. Ich halte
es für nicht akzeptabel, dass Sie dabei verschweigen
- ich weiß nicht, ob wissentlich oder unwissentlich -,
dass dies natürlich auch zu Steuermindereinnahmen geführt hätte. Ich finde, bei der Abwägung müssen Sie
schon beide Argumente auf den Tisch legen,
({4})
ganz abgesehen davon, dass bei dieser Abwägung die
Frage, welche Erschütterungswellen im gesamten
Finanzsektor durch die erste Insolvenz einer solchen
Bank entstanden wären, eine entscheidende Rolle gespielt hat.
({5})
Wenn es um eine verantwortungsvolle Analyse und
Schlussfolgerung geht, dann erwarte ich auch von einer
Opposition, dass sie beide Argumente gegeneinander abwägt
({6})
und sich nicht hier hinstellt und so tut, als hätte sie die
beste Lösung für sich gepachtet.
Ich will das noch einmal deutlich machen: Es gab in
diesem Entscheidungsumfeld eine Situation, in der es
wichtig war - das ist auch jetzt so -, eine positive Entwicklung der KfW und der IKB nicht durch öffentliche
Äußerungen zu gefährden. Deshalb will ich ausdrücklich
auch noch einmal auf den Punkt von vorhin zurückkommen. Auch hinsichtlich öffentlicher Zahlen gibt es eine
Abwägung, nämlich dahin gehend, dass wir bei deren
Nennung keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse öffentlich machen können.
({7})
Herr Kollege Schäffler, Sie wissen auch, dass wir im
Haushaltsausschuss natürlich die entsprechenden Informationen unter Betonung der Geheimhaltungspflicht
weitergegeben haben. Ich habe schon einmal gesagt. Ich
bedauere es wirklich, dass es Kollegen und Kolleginnen
gibt, bei denen wir den Eindruck haben müssen, dass sie
diese Geheimhaltungspflicht nicht eingehalten haben;
denn ein paar Tage nach der Weitergabe der Information
konnten wir sie in der Zeitung lesen. Das erschwert übrigens auch eine gute Zusammenarbeit bei der Kontrolle
der Regierung durch das Parlament.
({8})
Ich bin ausdrücklich der Meinung, dass Sie das Recht
zur Kontrolle haben.
({9})
Sie haben aber zwischen den Schäden, die durch die Veröffentlichung von Informationen entstehen können, die
den Unternehmen schaden, und dem Kontrollrecht abzuwägen.
({10})
Zum Vierten. Zur Frage, wie ernsthaft Sie mit diesem
Thema umgehen, erlaube ich mir, auf zwei Punkte in Ihrem Antrag einzugehen. Dort steht zum Beispiel die Forderung der FDP, dass Sie eine einseitige Benachteiligung
besonders der Sparkassen und der öffentlichen Banken
im Wettbewerb mit privaten Banken und Genossenschaftsbanken wollen. Sie haben speziell für diese öffentlichen Banken nämlich vorgeschlagen, das zu hinterlegende Eigenkapital zu erhöhen. Dazu kann ich nur
sagen: Diese Maßnahme führt zu keinem fairen Wettbewerb, sondern diese Maßnahme führt offensichtlich zu
einer Benachteiligung dieses Bereiches. Das kann doch
nicht ernsthaft liberale Politik sein. Ich bitte Sie. Das
zeigt, welch abstruse Forderung Ihr Antrag enthält.
({11})
Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Sie
fordern beispielsweise, die Bundesregierung möge dafür
sorgen, dass in den Landesbanken und in den öffentlichen Banken Strukturveränderungen auf den Weg gebracht werden.
({12})
Minister Steinbrück hat mehrmals deutlich gemacht,
dass er das für notwendig hält. Aber gerade die FDP, die
sonst für Föderalismus pur steht, fordert die Bundesregierung ernsthaft auf, den Ländern zu sagen, was sie
mit ihren Landesbanken machen sollen. Auch das zeigt,
wie abstrus die Forderungen in Ihrem Antrag sind.
({13})
Ich komme nun zu dem letzten Punkt: Was machen
wir - darum geht in Wirklichkeit - für die Zukunft? Minister Steinbrück hat auf internationaler Ebene erfolgreich die Initiative ergriffen. Es geht um die Frage: Wo
ist Regulierung notwendig, und wo ist es notwendig,
mehr Eigenkapital zu hinterlegen? Die internationalen
Gremien haben sich hierzu einen festen Zeitplan gegeben und festgelegt, wann diese Fragen angegangen werden. Wir haben im Ausschuss deutlich gemacht, dass danach die nationale Umsetzung erfolgt. Dazu stehen wir
ausdrücklich. Wir wissen, dass es Veränderungsbedarf
gibt. Ich hoffe, dass Sie in diesem Fall - darum bitte ich
Sie eindringlich - von der Linie, die Sie jetzt verfolgen,
abweichen und wenigstens diese Verbesserung für den
Finanzmarkt konstruktiv mitberaten.
Vielen Dank.
({14})
Zu einer Kurzintervention erteile ich nun dem Kollegen Koppelin das Wort.
Die Frau Staatssekretärin hat hier kritisiert, dass ich
nicht in der Fragestunde anwesend war, obwohl ich zwei
Fragen eingereicht hatte. Die Darstellung ist korrekt. Es
ist allerdings so, Frau Staatssekretärin - eine kurze
Rückfrage hätte Sie vielleicht davon abgehalten, eine
solche Bemerkung zu machen -, dass die Fragestunde zu
einem anderen Zeitpunkt vorgesehen war. Aber auch
meine Fraktion ist dem Wunsch des Bundesaußenministers - er gehört Ihrer Partei an - nachgekommen, in der
Zeit, in der normalerweise die Fragestunde stattfindet,
eine Regierungserklärung abzugeben. Daraufhin ist die
Fragestunde nach hinten verschoben worden.
Daher hatte ich mich zu entscheiden, ob ich bei der
Fragestunde oder bei der Gremiumssitzung der KfW anwesend bin. Ich habe mich dann für die Sitzung der KfW
entschieden, weil ich in der Fragestunde schon erlebt
habe, dass Sie uns keine Auskunft gegeben haben.
({0})
Ich zitiere hier nun die Fragen, damit der Bürger am
Fernsehgerät oder auch hier die Abgeordneten im Plenum wissen, worum es geht. Meine erste Frage lautete,
warum Sie meine Frage vom 30. Mai 2008 nicht beantwortet haben. Bei der Beantwortung dieser Frage haben
Sie nämlich gekniffen. Meine zweite Frage lautete, welche finanziellen Einlagen von Institutionen des Bundes
bei der IKB - das ist die Kurzfassung - erfolgt sind. Klar
ist: Es geht um die Finanzagentur, die der IKB 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt hat. Wir wollten wissen, wer diese Entscheidung getroffen hat. Danach kann
man fragen. Zum einen hat der Bund zu entscheiden - er
ist an der IKB zu 45 Prozent beteiligt - und zum anderen
die Finanzagentur.
Was aber - das ist eine Ihrer Standardantworten - erklären Sie?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die
von Ihnen erfragten Informationen aus rechtlichen
Gründen nicht durch die Bundesregierung bekannt
gemacht werden können.
Frau Staatssekretärin, da Sie kritisieren, dass ich nicht
in der Fragestunde anwesend war, kündige ich jetzt
schon für die nächste Fragestunde Folgendes an: Wir
werden diese Fragen wieder einreichen. Wir werden den
Bundesfinanzminister herbeirufen. Dann wird die Fraktion der SPD zahlenmäßig sehr stark vertreten sein. Sie
wird dann erleben, wie Sie hier als Staatssekretärin agieren und welche Antworten Sie geben. Das wird für Ihre
Fraktion sicherlich ein großes Vergnügen sein.
({1})
Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Koppelin, ich nehme hiermit zur Kenntnis, dass Sie bei der Sitzung der KfW waren. Darüber hinaus nehme ich zur Kenntnis, dass Sie bei meiner Rede
offensichtlich nicht zugehört haben. Die Antworten auf
die Fragen, die Sie gestellt haben, lauten, dass es um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse geht.
({0})
- Könnten Sie vielleicht auf eine ordentliche Art und
Weise mit Antworten umgehen? - Sie haben nach Beteiligungen des Bundes gefragt. Ich weise noch einmal darauf hin, dass diese Gesellschaften durch die Privatisierungen eigenständige Unternehmen geworden sind, die
eigenverantwortlich entscheiden und selbst wählen können und müssen, ob sie mit der Veröffentlichung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen einverstanden sind.
Als Haushälter müssten Sie das sehr genau wissen, Herr
Koppelin.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass in allen Fragen,
die die Finanzagentur betreffen, das vom Parlament extra dafür eingesetzte Bundesschuldengremium innerhalb
der Geheimhaltungspflicht ausführlich informiert worden ist. Ich halte es nicht für akzeptabel, dass Sie unterstellen, das Parlament sei nicht informiert worden.
({1})
Denn es ist rechtlich klar geregelt - das ist auch von parlamentarischer Seite ausdrücklich so gewollt -, dass mit
der Information des Bundesschuldengremiums der Bundestag insgesamt als informiert gilt.
({2})
Nun erteile ich dem Kollegen Dr. Gerhard Schick für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich will als Erstes etwas zu der Frage der Sozialisierung
der Verluste anmerken, das uns in den nächsten Monaten
etwas nachdenklich stimmen sollte. Ich glaube nämlich,
dass nicht die direkten Auswirkungen durch die zu tragenden Bürgschaften und die Garantieleistungen die
wichtigste Folge der Sozialisierung der Verluste in dieser
Krise sind, sondern die deutliche Verschlechterung der
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Das gilt nicht nur
für die USA, sondern auch für uns.
Wir haben die Entwicklung an den Aktienmärkten in
den letzten Stunden verfolgt. Ich glaube, dass das, was
wir im Oktober, im Januar und im März bei der Veröffentlichung der Quartalszahlen erlebt haben, nämlich
eine neue Welle unangenehmer Nachrichten, auch in diesem und im folgenden Quartal weitergehen wird. Ich
glaube, dass das die größten und heftigsten Auswirkungen sind, ganz zu schweigen von den Entlassungen im
Bankenbereich und in anderen Branchen. Das heißt aber
nicht, dass nicht auch die Verluste in Milliardenhöhe, die
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf verschiedenen Wegen indirekt über die KfW, die Sparkassen, die
Länderhaushalte und entsprechende Bürgschaften zu tragen haben, sehr gravierend sind.
Was heißt das für unsere parlamentarische Diskussion? Ich möchte zunächst zu der Frage des Aufklärungsbedarfs im Parlament Stellung nehmen. Ich glaube,
dass man nicht einfach pauschal auf ein Geschäftsgeheimnis verweisen kann, Frau Staatssekretärin. Nach
meiner Kenntnis der juristischen Zusammenhänge muss
im Einzelfall das Schutzinteresse gegen das Informationsinteresse des Abgeordneten abgewogen werden.
Diese Abwägung habe ich - jedenfalls soweit ich betroffen war - vermisst.
({0})
Es ist nur auf das pauschale Schutzbedürfnis verwiesen
worden. Notwendig ist aber eine Abwägung beider Interessen.
Wenn ein Abgeordneter nach dem Informationsfluss
zwischen BaFin und Bundesfinanzministerium fragt,
dann kann es nicht um ein Schutzbedürfnis einer konkreten Bank gehen. Es geht nämlich um die Tätigkeit der
BaFin für die gesamte Branche. Man kann nicht mit Hinweis auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen eines
einzelnen Instituts jede Antwort ablehnen. Das ist nicht
zulässig.
({1})
Hinzu kommt, dass - wie wir jetzt erfahren durften der Untersuchungsausschuss im Sächsischen Landtag
damit konfrontiert war, dass keine Aussagegenehmigung
für die betroffenen Personen aus der BaFin - ihren Leiter
Sanio und andere Mitarbeiter -, aber auch von der Bundesbank vorlag. Wie sollen wir denn herausfinden, was
schiefgelaufen ist, wenn sozusagen eine Mauer des
Schweigens um das Ganze errichtet wird?
({2})
Die Öffentlichkeit hat ein Interesse an Aufklärung.
Wir erwarten, dass das von den Ministerien mitgetragen
wird. Ansonsten entsteht der Eindruck, dass die Bundesregierung gezielt versucht, das Parlament nicht zu informieren.
Wir haben deswegen versucht, mit unseren parlamentarischen Möglichkeiten die Aufklärung voranzutreiben.
Mein Kollege Alexander Bonde hat im Haushaltsausschuss den Bericht des Bundesrechnungshofes zum
Thema IKB und Finanzagentur angefordert. Wir werden
alle parlamentarischen Möglichkeiten an dieser Stelle
erst einmal ausschöpfen, die uns im normalen Geschäftsverlauf zur Verfügung stehen. Wir werden dann im
Sommer mit den anderen Oppositionsfraktionen darüber
nachdenken, ob und wie eine weitere Stufe der Aufklärung in Form eines Untersuchungssauschusses möglich
ist.
({3})
Klar ist: Die Bürgerinnen und Bürger haben angesichts der direkten und indirekten Betroffenheit ein
Recht darauf, dass das Bestmögliche getan wird, um für
Aufklärung zu sorgen, und zwar nicht um auf einzelne
Personen sozusagen zu schießen, sondern um in Zukunft
Fehler zu vermeiden. Das liegt in unserem Interesse. Das
muss im Vordergrund stehen. Das sage ich an die
Adresse aller Kolleginnen und Kollegen.
({4})
Frau Staatssekretärin, Sie haben beim Antrag der FDP
zu Recht darauf verwiesen, dass die FDP mit einer spezifischen Eigenmittelerhöhung bei den öffentlichen Banken indirekt das völlige Scheitern des öffentlich-rechtlichen Bankensektors gesetzlich festschreiben will. Meine
Damen und Herren von der FDP, mit einer erhöhten Eigenkapitalanforderung schaffen Sie praktisch den öffentlich-rechtlichen Bankensektor durch die Hintertür ab.
({5})
Ich sage Ihnen: Wenn Sie das tun wollen, dann ist das
Ihre politische Position und Ihr gutes Recht. Aber dann
sagen Sie es klar und deutlich.
({6})
Dann sagen Sie es im ersten Satz und nicht verschwiemelt am Ende Ihres Antrags. Sagen Sie den Kundinnen
und Kunden, dass die einzige Filiale im Ort - das ist
häufig die Sparkasse - geschlossen wird und dass es das
in Zukunft nicht mehr geben wird. Dann können wir darüber fair und klar debattieren. Aber Sie versuchen es
hintenherum über eine erhöhte Eigenkapitalanforderung;
das ist nicht sauber. Dann wird nicht deutlich, was Sie
eigentlich wollen, nämlich das Ende des öffentlichrechtlichen Sparkassensektors.
({7})
Es ist richtig, dass es bei den Landesbanken eine deutliche Neuorientierung bzw. Neuausrichtung geben muss.
Ich habe das an verschiedenen Stellen angesprochen.
Obwohl das seit Wochen in der Diskussion ist, kenne ich
auf Landesebene, insbesondere aus der Union, die an
vielen Stellen betroffen ist, keine konkrete Aussage, aus
der hervorgeht, welche Konsequenzen man aus der Krise
zu ziehen gedenkt. Herr Oswald, ich bin sehr gespannt,
was Sie gleich aus der bayrischen Perspektive dazu sagen werden; denn die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Bayern sind über die Sparkassen und die Bürgschaft im Landeshaushalt betroffen. Die entsprechende
Milliardenposition ist im Landtag durchgegangen. Sie
müssen den Menschen erklären, warum Sie, die Sie als
CSU die Möglichkeit hatten, eine spekulative Ausrichtung der Landesbank zu verhindern, die Konsequenzen
nicht ziehen. Das müssen Sie tun. Dafür müssen Sie
Rede und Antwort stehen, nicht nur in Bayern, sondern
auch hier im Deutschen Bundestag.
({8})
Denn im Endeffekt sind der CSU-Ministerpräsident und
andere Unionsministerpräsidenten mitverantwortlich,
dass Deutschland und überproportional die Landesbanken von der Krise betroffen sind. Sie sollten neben der
Aufklärung, die wir leisten müssen, sagen, wohin der
Weg geht und welche Konsequenzen Sie aus dem Desaster ziehen, das die Unionsministerpräsidenten bei den
Landesbanken verursacht haben.
Danke schön.
({9})
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Eduard
Oswald von der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
debattieren heute über drei Anträge der FDP-Fraktion.
Der Kollege Otto Bernhardt hat die Position unserer
Fraktion zum Thema IKB/KfW vorgetragen. Ich will
mich mit dem dritten Thema befassen. Um es zusam18492
menzufassen: Die Forderungen sind natürlich plakativ
und verfehlen etwa bei den Landesbanken den Adressaten. Sowohl die Rechtsform als auch das Regionalprinzip als auch die Beteiligung Privater werden in Bezug
auf die Landesbanken auf landesrechtlicher Ebene geregelt.
({0})
Der Bund ist hier nicht der originäre Ansprechpartner.
Kein Zweifel, Ihre Forderung, Spekulationsverluste
nicht zu befördern, ist ja grundsätzlich richtig. Sie muss
nur für alle gleichermaßen gelten. Sie verkennen in Ihrer
Argumentation, dass die Entscheidung der Eigentümer
einer öffentlichen Bank, diese mit weiterem Kapital auszustatten, nur unter den bekanntermaßen sehr engen Voraussetzungen des EU-Beihilferechts zulässig ist. Vergleichsmaßstab ist dabei stets, dass auch ein privater
Kapitalgeber in der vergleichbaren Situation so handeln
würde. Den öffentlichen Eigentümern die Kapitalausstattung ihrer Bank zu verbieten, würde also im Kern die
Frage berühren, ob sich die öffentliche Hand überhaupt
wirtschaftlich bzw. im Bankengeschäft betätigen darf.
Das würde letztlich auch die Existenz der staatlichen
Förderbanken infrage stellen. In diesem Hause dürfte allerdings weitgehend Einigkeit darüber herrschen, dass
Förderbanken ein wichtiger Bestandteil sind, um unsere
Unternehmen mit Krediten zu versorgen.
({1})
Man macht es sich zu einfach, wenn man so tut, als
seien nur die öffentlichen und quasiöffentlichen Banken
von der Finanzmarktkrise betroffen. Dass die Lage besonders rosig wäre, hat ja niemand behauptet. Solange
die Bundesländer und ihre Sparkassenverbände ihre
Landesbank wollen, sollten sie das auch dürfen. Das
kann man natürlich kommentieren. Außerdem sollte
man, wenn man schon die sicherlich unerfreulichen
Kapitalmarktaktivitäten bei einigen Landesbanken kritisiert, auch einmal darüber nachdenken, welche Dividenden die Landesbanken in guten Zeiten an ihre Eigentümer gezahlt haben. Dann sieht das Ganze auch aus der
wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Eigentümers
schon ganz anders aus.
({2})
Das in der letzten Woche veröffentlichte Gutachten
des Sachverständigenrates enthält meiner Einschätzung
nach viele gute Ansätze. Die Eigentümer der Landesbanken werden darin aufgefordert, über eine grundlegende
Neuordnung nachzudenken. Für den Fortbestand der
Landesbanken sei es notwendig, dass sich die Institute
verstärkt spezialisierten und auf ihre neuen Geschäftsfelder konzentrierten. In den vergangenen Jahren hätten die
Finanzhäuser zwar die rechtlichen Vorgaben konsequent
umgesetzt und sich immer stärker von ihrer früheren
Fördertätigkeit verabschiedet; jedoch ist es notwendig,
dass die Geldhäuser stärker als bisher in ihren neuen Geschäftsbereichen tätig werden. - So weit das Gutachten.
Wir freuen uns, dass der Sachverständigenrat im
Grundsatz gesagt hat: Das Drei-Säulen-Modell hat sich
bewährt. Im Übrigen richten sich die Inhalte dieses Gutachtens nicht vor allem an den Bund, sondern in erster
Linie an die zuständigen Länder.
Größe allein kann nach meiner Auffassung kein Geschäftsmodell für Landesbanken sein.
({3})
Die Kernfrage für die Landesbanken lautet damit auch
künftig: Wie muss das jeweilige Geschäftsmodell weiterentwickelt oder verändert werden, um die Ertragskraft
langfristig zu sichern bzw. im Wettbewerb zu bestehen?
Geschäftsmodelle, die vor allem auf Kostensenkungen
und Ergebnisbeiträge aus Kreditersatzgeschäften setzen,
reichen sicher nicht aus, um mittelfristig am Markt bestehen zu können.
({4})
Im Übrigen bin ich ganz persönlich der Meinung,
dass Beratungen über grundsätzliche strategische Weichenstellungen erst dann erfolgen können, wenn sich die
Finanzmärkte normalisiert haben und die Auswirkungen
der Subprime-Krise belastbar festgestellt werden können.
Wenn ich die europäische Situation sehe, so stelle ich
auch fest, dass vielfältige starke und wettbewerbsfähige
Banken entstanden sind, durch die aber die flächendeckende Versorgung der Bürger mit Finanzdienstleistungen nicht immer gesichert ist. Das ist in Italien zu
beobachten. Auch das Beispiel Großbritannien zeigt,
dass eine Privatisierung des öffentlichen Bankensektors
zu Nachteilen in der Versorgung sowie zu Kostensteigerungen für Verbraucher und kleine Unternehmen führen
kann.
({5})
Ich sage Ihnen beim Thema Landesbanken voraus: Es
gibt sicher nicht den Königsweg schlechthin. Nach meiner Einschätzung werden voraussichtlich verschiedene
Wege eingeschlagen, um im Landesbankensektor tragfähige und zukunftsorientierte Lösungen zu finden.
Das Drei-Säulen-Modell hat sich bewährt. Ich sage
auch: Das Regionalprinzip der insgesamt erfolgreichen
kommunalen Sparkassen ist für die Versorgung der Fläche, also für die Finanzdienstleistungen im ländlichen
Raum und für die Finanzierung des Mittelstandes vor
Ort, unverzichtbar. Vor diesem Hintergrund würde ich
vor gefährlichen Experimenten auf dem Finanzplatz
Deutschland warnen.
Der Vorschlag, die Eigenmittelanforderungen für Institute, an denen staatliche Institutionen oder ein öffentlich-rechtlicher Träger maßgeblich beteiligt sind, gegenüber anderen Instituten zu verschärfen, ist entschieden
abzulehnen.
({6})
Das ist hier auch schon zum Ausdruck gebracht worden.
Nach dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung zum Juli 2005 kann nicht mehr generell davon
gesprochen werden, dass öffentlich-rechtliche Banken
im Wettbewerb einseitig begünstigt seien. Im Gegenteil
würde die Umsetzung des Vorschlags zu einer einseitigen Belastung für Sparkassen, Landesbanken und Förderinstitute führen. Die Folge wäre eine Benachteiligung
öffentlich-rechtlicher Institute im direkten Wettbewerb
mit den Instituten anderer Säulen des deutschen Bankensektors. Zudem würden erhöhte Kapitalanforderungen
die Kosten der Kreditvergabe erhöhen und könnten sich
insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen als
Belastung herausstellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich gilt: Für
die weitere Stabilisierung der Finanzmarktbranche ist es
erforderlich, dass die traditionellen Stärken des deutschen Finanzierungssystems wieder stärker zur Geltung
kommen. Es sind dies die sorgfältige Bonitätsprüfung,
eine vorsichtige Beleihungswertermittlung und die Beleihung sowie langfristige Kredite mit Festzinsen. Diese
Hypothekarmarktkultur darf insbesondere gegenüber
angloamerikanischen Finanzierungsmethoden nicht ins
Hintertreffen geraten.
({7})
Somit werden wir die Anträge der FDP-Fraktion ablehnen.
({8})
Das Wort hat der Kollege Frank Schäffler von der
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau
Staatssekretärin, Sie haben hier vor diesem Parlament
das gemacht, was Ihr Minister ebenfalls sowohl im Ausschuss als auch hier im Plenum gemacht hat: Sie haben
abgelenkt. Sie haben nämlich über eine weltweite Krise
mit ihren globalen Auswirkungen gesprochen, die alle
richtig beschrieben worden sind, aber Sie haben nichts
zu der Verantwortung der Bundesregierung im eigenen
Land gesagt. Das erwarten wir als Opposition aber von
Ihnen.
({0})
Deshalb werden wir - Herr Schick hat das gerade betont in der Sommerpause überlegen, wie wir einen Schritt
weiterkommen.
Ich will eines deutlich machen: Wenn wir zur eigenen
Verantwortung hier in Deutschland kommen, dann muss
man die Frage stellen, was eigentlich die Ursache dafür
war, dass, wie das Sachverständigengutachten, wie ich
finde, sehr schön dargestellt hat, allein 64 Prozent des
Wertverlustes der deutschen Banken in den letzten Monaten im öffentlichen Bankensektor angefallen sind.
Man muss sich fragen, woran das liegt.
({1})
- 64 Prozent der gesamten Wertminderungen der deutschen Banken betrafen den öffentlichen Bankensektor.
Sie können das im Sachverständigengutachten nachlesen.
({2})
Da kann man nicht einfach die Antwort geben, dass
man an dem festhält, was schon immer war. Man muss
sich vielmehr Gedanken darüber machen, welche Lehren
man aus der Krise zieht. Lehren aus der Krise haben Sie
leider noch nicht gezogen. Eine Lehre aus der Krise ist,
dass der Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung eine der Ursachen für die Krise war. Im Jahr 2001
- nicht im Jahr 2005, Herr Oswald -, als Anstaltslast und
Gewährträgerhaftung weggefallen sind, haben sich alle
Landesbanken in Deutschland mit Liquidität vollgesogen; denn damals gab es eine Ausnahme. Man konnte
nämlich bis 2015 noch Anleihen begeben, die eine Gewährträgerhaftung in sich haben. Was haben die Landesbanken gemacht? Sie haben Anleihen in der Größenordnung von 300 Milliarden Euro begeben. Diese Liquidität
musste angelegt werden, und sie ist angelegt worden, unter anderem im Subprime-Bereich in Amerika.
Die entscheidende Frage ist: Wer hat das damals verhandelt? Es war der Finanzminister in Nordrhein-Westfalen, Peer Steinbrück, heute Finanzminister in der Bundesregierung.
({3})
Deshalb kann man nicht sagen: Wir verhandeln international über Regulierung. Vielmehr muss man auch fragen, wer in der Krise und bei ihrer Entstehung was gemacht hat.
({4})
Es reicht nicht, wenn Sie sich hier hinstellen und einfach
sagen, dass das ein globales Problem war. Hier geht es
um Steuergelder. Wer das zu verantworten hat, werden
wir in diesem Parlament aufklären.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat jetzt der Kollege Jörg-Otto Spiller von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Kollege Schäffler, das war heute ein wiederholter Versuch von Ihnen, die internationale Bankenkrise als Krise staatsnaher Banken in Deutschland zu
deuten.
({0})
Dieser Scheuklappenblick erstaunt mich. Es mag ja sein,
dass es in bestimmten Situationen zweckmäßig ist, besonders nervösen Pferden Scheuklappen anzulegen.
Aber Sie, Herr Schäffler, legen sich die Scheuklappe
selbst an.
({1})
Der Kutscher legt sich die Scheuklappen an. Kann denn
das wegweisend sein? Das ist ein sicherer Weg,
({2})
um die Realität nicht richtig wahrzunehmen.
({3})
Diese selektive Wahrnehmung - Sie sehen nur das,
was Sie sehen möchten; anderes nehmen Sie nicht wahr führt zwangsläufig zu einer Verharmlosung der Situation.
({4})
Sie tun so, als wären einige Fehlentscheidungen bei öffentlich-rechtlichen Banken oder einer Bank mit einer
starken staatlichen Beteiligung die Ursache für die Krise
gewesen. Wenn Sie das tun, dann haben Sie keine
Chance, daraus vernünftige Schlussfolgerungen für notwendiges Handeln auch des Gesetzgebers zu ziehen.
({5})
Ich möchte etwas zum Gutachten des Sachverständigenrates - das ist bereits mehrfach erwähnt worden - sagen.
({6})
Zuvor möchte ich aber eine andere Bemerkung machen.
Aus ordnungspolitischen Gründen wäre es in der Tat im
vorigen Jahr denkbar gewesen, wenn es keine internationale Bankenkrise gegeben hätte, dass man in einer zugespitzten Situation einer einzelnen deutschen Bank nüchtern abwägt, ob die geordnete Abwicklung nicht die
bessere Variante ist. Dann wäre das, was der Kollege
Bernhardt vorhin ausgeführt hat, auch zu bedenken
gewesen. Dies hätte ebenfalls Schäden, Schmerzen verursacht. Aber es wäre eine Handlungsweise gewesen,
worüber sowohl die KfW als Hauptaktionär der Industriekreditbank als auch die Bundesregierung als Hauptvertreterin des Bundes in der KfW hätten nachdenken
müssen. In der Situation, die wir hatten, wäre das abenteuerlich gewesen.
({7})
Im Juli vorigen Jahres ist abzuwägen gewesen, ob man
die Industriekreditbank als isoliertes Problem betrachtet
oder ob man nicht doch in verantwortungsvollem Abwägen zu dem Ergebnis kommt, eine Stützungsaktion zu
organisieren.
({8})
Ich glaube, dass damals die Entscheidung jedem schwergefallen ist. Aber aus heutiger Sicht bin ich davon überzeugt, es war die richtige Entscheidung.
({9})
Das Gutachten des Sachverständigenrates
({10})
ist in der Presse natürlich nur in Teilen aufgenommen
worden. Das liegt ein Stück an einer Neigung, die der
Sachverständigenrat in den letzten Jahren entwickelt hat,
nämlich anderes zu tun, als ihm das Gesetz aufgetragen
hat.
({11})
Er gibt Empfehlungen, in der letzten Zeit meistens zugespitzte Empfehlungen. Nur noch darüber wird dann diskutiert. Er hat sich ja dahin gehend geäußert: Was macht
man mit den Landesbanken? Sollte man die Sparkassen
nicht in Form von Stiftungen führen? Das wird natürlich
sofort aufgenommen, wobei mir bei der Lektüre des
Gutachtens nicht so ganz klar geworden ist, wie sich sozusagen aus der wissenschaftlichen Analyse eine solche
Handlungsempfehlung ableiten lässt. Darüber hat der
Sachverständigenrat nichts gesagt.
({12})
Ich möchte aber trotzdem - diesen Schlenker erlaube
ich mir - daran erinnern, was der Gesetzgeber vor
35 Jahren bei der Einrichtung des Sachverständigenrates
zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in § 2 festgelegt hat:
Der Sachverständigenrat soll Fehlentwicklungen
und Möglichkeiten zu deren Vermeidung oder deren Beseitigung aufzeigen, jedoch keine Empfehlungen für bestimmte wirtschafts- und sozialpolitische Maßnahmen aussprechen.
({13})
Diese Erinnerung sollte man sich ab und an leisten.
({14})
Der Sachverständigenrat druckt in jedem Jahresgutachten das Gesetz mit ab, aber in den Stehsatz schaut er
nicht hinein.
({15})
Ich will trotzdem auf die Kernanalyse zurückkommen; sie ist nämlich lesenswert. Was schreibt der SachJörg-Otto Spiller
verständigenrat zu der Entwicklung der internationalen
Bankenkrise? Er schreibt: Am Anfang steht das Problem, dass die sogenannten Finanzinnovationen - strukturierte Produkte, Verbriefungen - die normalen
Maßstäbe für die Kreditvergabe verändert haben. Normalerweise wägt eine Bank ab, prüft das Risiko genau
und weiß, dass sie nur beschränkte Risiken tragen kann.
Das gerät durcheinander, wenn die Forderungen in bestimmten Portfolios zusammengeschnürt, in Paketen
schnell veräußert werden, sodass man das Risiko gar
nicht mehr sieht. Es ist aber nicht weg, es ist nur anders
verteilt.
({16})
Es steht außer Zweifel, dass die Industriekreditbank
sich falsch verhalten hat. Es ist allerdings bemerkenswert, dass die hochkarätigen und gut dotierten Wirtschaftsprüfer von KPMG Deutsche Treuhand der IKB
noch vor einem Jahr bestätigt haben, es seien alle Risiken ordentlich erfasst und es seien eigentlich gar keine
Bedenken zu erkennen. Dann kann man fragen: Warum
haben die Aufsichtsratsmitglieder das nicht besser gewusst? Im Aufsichtsrat sitzen hochkarätige Leute aus der
deutschen Wirtschaft, nicht bloß Vertreter des Bundes
oder der KfW.
({17})
Auch diese haben das nicht gemerkt. Es sind personelle
Konsequenzen gezogen worden. Das muss auch wehtun.
Ich komme trotzdem zu der Einschätzung: Es war
vernünftig, notwendig und verantwortungsvoll, die Krise
zu begrenzen und sie nicht auszuweiten; denn das hätte
schwer zu kontrollierende Weiterungen gehabt.
Zu den Landesbanken noch eine kurze Bemerkung.
Richtig ist: Eine Reihe von Landesbanken haben sich besonders unklug verhalten. Dazu sagt der Sachverständigenrat: Es trifft nicht zu, dass sämtliche Landesbanken
im Vergleich zu den privaten Banken besonders schlecht
abschneiden. Zitat Sachverständigenrat:
Nimmt man die relativen Ausfälle der Dresdner
Bank AG und der Deutschen Bank AG als Referenzgröße, dann ist es nach den bislang vorliegenden Daten der Helaba und der Nord/LB gelungen,
besser als diese privaten Institute abzuschneiden.
({18})
Weiter sagt der Sachverständigenrat: West-LB, Bayerische Landesbank, Landesbank Berlin, Nordbank
({19})
- auch IKB - haben schlechter abgeschnitten.
({20})
Wenn Sie es für zweckmäßig halten, über die Struktur
und die Aufgabe von Landesbanken neu nachzudenken
- das kann ich nachvollziehen -, dann tun Sie das bitte
dort, wo die Zuständigkeiten liegen. Die FDP ist doch in
Düsseldorf in der Landesregierung vertreten.
({21})
Sie ist doch in Stuttgart in der Landesregierung vertreten.
({22})
- Auch in Niedersachsen ist sie in der Landesregierung
vertreten. Warum bringen Sie das nicht dort vor?
({23})
Was Sie hier machen, ist nur Schaumschlägerei.
({24})
Das tut mir ein bisschen leid. Die FDP konnte über lange
Zeit stolz darauf sein, dass in ihren Reihen viel wirtschaftspolitischer und ökonomischer Sachverstand vertreten ist. Leider ist das sehr viel weniger geworden.
({25})
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
das Wort der Kollege Dr. Michael Fuchs von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege
Spiller, ich bin ja in vielerlei Hinsicht mit Ihnen völlig
einig. Aber es ist sicherlich auch richtig und notwendig,
dass die Vorgänge bei der IKB sehr intensiv geprüft werden.
({0})
Es darf nicht sein, dass eine Bank dieser Größenordnung
Investitionen in einer Höhe macht, die in keinem Verhältnis zum Eigenkapital stehen, ohne dass das Ganze
auffällt bzw. ohne dass irgendjemand im Aufsichtsrat
das merkt. Sie haben vollkommen zu Recht darauf hingewiesen, dass auch die hochkarätigen Wirtschaftsprüfer, die da waren, nichts bemerkt haben. Eigenartig ist
das Ganze somit schon.
({1})
Wie kann man so viel Geld in solche Instrumente wie
den Rhineland Funding hineinstecken, ohne dass sich irgendjemand darüber Gedanken macht, was da passiert?
Das ist in meinen Augen mehr als grenzwertig.
({2})
Meine Damen und Herren, am 16. April 1948, also
ungefähr vor 60 Jahren, haben die Amerikaner das
European Recovery Program gestartet, aus dem letztendlich das ERP-Sondervermögen in Höhe von damals rund
6 Milliarden DM entstanden ist. Es war sehr richtig,
auch wenn es bis dato einmalig in der Geschichte war,
dass ein solches Programm aufgelegt wurde, um
Deutschland zu helfen. Für diese Hilfe können wir noch
heute dankbar sein. Dieses Programm bildete also den
Grundstein für das ERP-Sondervermögen, das gezielt
zur Wirtschaftsförderung in Deutschland eingesetzt
wurde. Auch dafür können wir noch heute dankbar sein.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir ohne diese finanzielle
Hilfe der Amerikaner so schnell wieder auf die Beine gekommen wären.
Dieses Vermögen, das immer noch vorhanden ist und
inflationsgeschützt weiter Bestand haben muss - das
wurde ja mit den Amerikanern vereinbart -, wurde letztes Jahr an die KfW übertragen, allerdings unter Wehen;
denn der eine oder andere von uns war darüber gar nicht
so glücklich. Es kann nicht sein, dass das jetzt aufgrund
der Krise der IKB am Ende des Tages indirekt wieder
zurück in die USA fließt, veranlasst durch die dortige
Immobilienkrise. So sollte es bitte nicht laufen. So können wir mit diesem Vermögen nicht umgehen.
({3})
Die Verluste der KfW belaufen sich auf round about
7,2 Milliarden Euro, teilweise - der Kollege Bernhardt
hat das dargestellt - handelt es sich um Buchverluste,
teilweise aber auch um reale Verluste, die schon ausgeglichen werden mussten. Der Bund hat schon Darlehen
in Höhe von über 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt, weil die Eigenmittel der KfW im Prinzip weg sind.
Es darf jetzt nicht passieren, meine Damen und Herren - darauf haben wir in diesem Hohen Haus ganz gewaltig zu achten -, dass die Förderfähigkeit der KfW
darunter leidet.
({4})
In seiner Rede am 25. April in diesem Hohen Haus hat
der Bundesfinanzminister mehrfach betont, dass die Förderfähigkeit und das ERP-Sondervermögen in seiner
Substanz - das ist wichtig - nicht bedroht seien, vielmehr der Substanzerhalt sichergestellt sei. Darauf verlasse ich mich natürlich, verehrte Kollegin Kressl. Es ist
auch Ihre Aufgabe, mit dafür zu sorgen. Mittel in Höhe
von 590 Millionen Euro inklusive Inflationsausgleich
müssen zur Verfügung stehen, und zwar kein Cent weniger. Wir brauchen diese Mittel für die KfW-Programme.
Darüber darf nicht diskutiert werden. Diese Mittel müssen zur Verfügung gestellt werden.
({5})
Es wäre schön, Frau Kressl, wenn Ihr Haus endlich
die Ausgleichsvereinbarung unterschreiben würde, die
dafür sorgen soll, dass die Förderfähigkeit keinen Schaden nimmt. Wir warten ja darauf, dass darüber Einigkeit
zwischen BMWi und BMF hergestellt wird. Es darf natürlich nicht dazu kommen, dass dieser Ausgleich später
wieder zurückgezahlt werden muss. Das würde ja bedeuten, dass wir keine zusätzlichen Mittel gegenüber dem
derzeitigen Fördervolumen bekommen. Das muss vielmehr den Betrieben komplett zur Verfügung gestellt
werden. Das ERP-Sondervermögen darf nicht als Sündenbock dafür herhalten, dass die KfW bei der IKB Probleme hat. So darf das nicht funktionieren. Darauf sollten wir gerade in diesen Zeiten, in denen uns das
Sondervermögen seit rund 60 Jahren zur Verfügung
steht, achten.
Es muss auch unsere Aufgabe sein, dafür zu sorgen,
dass die KfW zu einer reinen Förderbank wird.
({6})
Ich bin dagegen - darin bin ich mit dem Kollegen
Bernhardt völlig einig -, dass sie andere Tätigkeiten neben der einer Förderbank ausübt.
({7})
Das kann sie nicht. Sie soll sich da heraushalten. Wir haben in Deutschland genügend Geschäftsbanken, die das
machen können. Wir brauchen keine Projektfinanzierung über die KfW. Lassen wir das bleiben. Vor diesem
Hintergrund ist es richtig, die IPEX-Bank zu verkaufen.
Mit dem Erlös können wir dann auch die aus dem Feuerwehrfonds der KfW entnommene Summe von 5 Milliarden Euro wieder auffüllen.
({8})
Es ist dringend notwendig, die IKB abzustoßen. Da
sind ja Verhandlungen auf dem Wege. Das wird uns
wahrscheinlich noch einmal Geld aus dem Bundeshaushalt kosten. Es sollte allerdings ermöglicht werden, und
vor allen Dingen muss dafür gesorgt werden, dass die
Förderfähigkeit der KfW voll erhalten bleibt.
({9})
Das ist wichtig, und es darf nicht passieren, lieber Kollege Stiegler, dass mit diesem ERP-Sondervermögen irgendetwas passiert. Sie haben damals in den Debatten
immer gesagt: Ich sorge dafür, dass es erhalten bleibt. Wir nehmen Sie jetzt beim Wort. Tun Sie das bitte.
Ansonsten, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wünsche ich Ihnen schöne Ferien.
({10})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9611 mit dem Titel
„Keine Verstaatlichung der IKB Deutsche Industriebank
AG durch Zweckentfremdung der KfW Kreditanstalt für
Wiederaufbau“. Wer stimmt für diesen Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Die
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion abgelehnt.
Abstimmung über den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/9606 mit dem Titel „Untersagung des
direkten oder indirekten Erwerbs beziehungsweise der
Übertragung von Vermögenspositionen der IKB Deutsche Industriebank AG durch respektive an die KfW
Kreditanstalt für Wiederaufbau“. Wer stimmt für diesen
Antrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen
der FDP-Fraktion und Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion der FDP mit
dem Titel „Keine Sozialisierung von Spekulationsverlusten - Voraussetzungen für eine grundlegende Reform
des öffentlich-rechtlichen Finanzsektors schaffen“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/9760, den Antrag der Fraktion der FDP
auf Drucksache 16/8771 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen aller Fraktionen bei Gegenstimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 41 auf:
Beratung des Berichts des Petitionsausschusses
({0})
Bitten und Beschwerden an den Deutschen
Bundestag
Die Tätigkeit des Petitionsausschusses des
Deutschen Bundestages im Jahr 2007
- Drucksache 16/9500 Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. Gibt es dagegen
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Ausschussvorsitzenden Kersten Naumann das
Wort.
({1})
Ich darf die Kolleginnen und Kollegen, die an dieser
Aussprache nicht teilnehmen möchten, bitten, den Saal
zu verlassen, damit sich die anderen der Aussprache zuwenden können.
Bitte schön, Frau Naumann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ausschussdienstes! Rund 600 000 Menschen haben sich
im Jahr 2007 mit Bitten und Beschwerden an den Petitionsausschuss gewandt. Diese stattliche Zahl macht
deutlich, welches Vertrauen dieser Ausschuss in der Bevölkerung genießt. Sie macht aber auch deutlich, welche
Probleme die Bürgerinnen und Bürger mit der Politik,
mit den Gesetzen oder den Verwaltungen haben.
Als Vorsitzende des Petitionsausschusses kann ich
heute keine umfängliche Bewertung des Berichtsjahres
vornehmen und verweise deshalb auf den schriftlichen
Jahresbericht und bitte die Bürgerinnen und Bürger, ihn
im Internet zu lesen oder bei unserem Sekretariat anzufordern.
Was ist bemerkenswert im Berichtsjahr 2007? - In einer Hinsicht war das Jahr eine Premiere. Wir haben zum
ersten Mal in der Geschichte unseres Ausschusses öffentliche Beratungssitzungen durchgeführt, Sitzungen,
bei denen die Petenten nicht nur anwesend waren, sondern auch Frage- und Rederecht hatten. Sie konnten ihre
Anliegen näher erläutern und sich damit direkt an der
Diskussion auch mit Vertretern der Bundesregierung beteiligen. Zu fünf solcher öffentlichen Beratungen wurden
40 Petenten eingeladen und angehört. Themen waren:
der Nichtraucherschutz, die Generation „Praktikum“,
das Wahlrecht, Petitionen zum Steuerrecht und zum
Wehrsold sowie das Recht eheähnlicher Gemeinschaften.
Ja, diese Beratungen sind zeitaufwendig. Aber wir haben gemerkt, dass sich der Aufwand lohnt. Bei vielen
der dort erörterten Petitionen ergaben sich neue Aspekte,
die sonst vielleicht unbeachtet geblieben wären. Beispielhaft erwähne ich hier die Petition, die sich mit dem
Einsatz von Wahlcomputern beschäftigte. Erst in der
Diskussion mit den Petentinnen und Petenten wurden
manche Gefahrenlagen deutlich, die uns veranlassten,
der Bundesregierung diese Petitionen als Material zu
überweisen und den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben.
Aber es sind nicht nur die neuen Sachgesichtspunkte,
die die öffentlichen Beratungen so wichtig machen.
Mindestens so wichtig ist: Unsere Petenten fühlen sich
mit ihren Anliegen noch besser wahrgenommen. Ich
zitiere dazu aus einer E-Mail eines Petenten vom
15. Januar 2007:
Sehr geehrte Frau Naumann, stellvertretend für Ihre
Kolleginnen und Kollegen möchte ich mich sehr
herzlich dafür bedanken, dass ich am 15. Januar
2007 ein Frage- und Rederecht vor Ihrem Gremium
erhalten durfte. Es war für mich ein tiefgreifendes
Ereignis …
Diese Einschätzung, die keinesfalls eine Einzelmeinung
darstellt, sollte uns anspornen, auf diesem erfolgreichen
Weg weiter voranzuschreiten.
({0})
Nachdem das öffentlich-rechtliche Fernsehen jetzt
verstärkt aus dem Plenum berichten will, könnte ich mir
in einer nächsten Stufe durchaus auch eine Übertragung
unserer öffentlichen Sitzungen vorstellen. Die öffentlichen Beratungen sind Teil unseres Modells „Öffentliche
Petitionen“. Sie erfreuen sich großer Beliebtheit bei den
Internetnutzern. So wurden in der zweijährigen Probephase 1 500 Eingaben als öffentliche Petitionen einge18498
reicht. Etwa 500 davon wurden im Internet veröffentlicht. Hierzu gab es 25 000 Diskussionsbeiträge und
inzwischen insgesamt 830 000 Unterstützer.
Ziel der öffentlichen Petition ist es, der Öffentlichkeit
Themen von allgemeinem Interesse vorzustellen und
diese auch zur Diskussion zu stellen. Auf diese Weise
wird die Informationsbasis des Ausschusses, die die
Grundlage seiner Empfehlung an das Plenum des Deutschen Bundestages bildet, erheblich erweitert. An diesen
Zahlen erkennt man auch die stetig fortschreitende Entwicklung und die Akzeptanz des Internets als Kommunikationsmedium.
Dem öffnete sich der Petitionsausschuss bereits vor
Jahren. Die Anzahl der direkten Zugriffe auf die
Internetseiten des Petitionsausschusses ist mit fast
800 000 im Berichtsjahr 2007 schon sehr beeindruckend.
Bei den öffentlichen Petitionen sind wir im vergangenen
Jahr ein gutes Stück vorangekommen. Wir haben beschlossen, vom Modellversuch in den dauerhaften Betrieb überzugehen. Wenn alles gut geht, ist der 1. Oktober 2008 der Starttermin für das neue System.
({1})
Doch dieser durchaus ehrgeizige Zeitplan ist nur zu
halten, wenn uns viele Stellen des Hauses, insbesondere
in der Verwaltung, dabei unterstützen. An dieser Stelle
mein herzlicher Dank für die Hilfe, die wir in den vergangenen Monaten erfahren durften. Ich verbinde dies
mit der ebenso herzlichen Bitte, uns auch weiterhin zu
helfen. Vor allem bitte ich um Nachsicht, wenn wir aus
Zeitgründen gezwungen sind, unkonventionell vorzugehen und entsprechende Unterstützung zu erbitten.
({2})
Die Menschen, die diese neuen Möglichkeiten nutzen,
um sich an das Parlament zu wenden, werden es Ihnen
und uns danken.
Über diese Neuerung dürfen wir jedoch keinesfalls
den weitaus größeren Bereich der Petitionen vergessen,
die nicht ins Internet eingestellt werden. Sie machen
nach wie vor den Hauptanteil unserer Arbeit aus. Daran
wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Sie betreffen
vor allem persönliche Anliegen, die sich weder für die
Diskussionsforen im Internet noch für öffentliche Beratung eignen.
19 783 Petitionen hat der Ausschuss in seinen 25 Sitzungen im Jahr 2007 abschließend beraten.
({3})
Das sind gut 3 000 mehr als eingegangen sind. Wir
konnten damit unser langfristiges Eingangs- und Ausgangskonto erstmals wieder ausgleichen. Etwa
3 000 Petitionen sind positiv abgeschlossen worden. In
knapp 1 000 Fällen haben wir förmliche Ersuchen an die
Bundesregierung gerichtet, sich diesen noch einmal anzunehmen. Die Ergebnisse liegen uns noch nicht alle vor
bzw. konnten noch nicht abschließend bewertet werden.
An dieser Stelle möchte ich mich bei der Bundesregierung dafür bedanken, dass sie unseren vielfältigen
Informationswünschen - ob in schriftlicher Form, in Berichterstattergesprächen, in öffentlichen Beratungen oder
im Ausschuss - stets nachgekommen ist.
({4})
Das Lob und den Dank kann ich leider nicht uneingeschränkt für die Reaktionen der Bundesregierung auf die
vom Petitionsausschuss an sie überwiesenen Beschlüsse
aussprechen. Es hat sicherlich mit der unterschiedlichen
Rolle zu tun, die wir zu spielen haben. Wir hoffen in Zukunft aber auf noch mehr positive Abschlüsse von Petitionsverfahren seitens der Bundesregierung im Sinne der
Petentinnen und Petenten.
({5})
Rund 6 000 der im Berichtszeitraum eingegangenen
Petitionen - das entspricht 35 Prozent aller Petitionen waren Bitten zur Gesetzgebung, darunter auch die größte
abschließend behandelte Sammelpetition mit mehr als
82 000 Unterschriften zur Ablehnung der Einführung
des SGB II. Weitere Gesetzesänderungsvorschläge betrafen unter anderem den Kindergeldzuschlag für Einkommensschwache, die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen, den Pflichtteil im Erbrecht und die
Begrenzung der Amtszeit des Bundeskanzlers auf zwei
Wahlperioden.
Zu welchen Bereichen gingen im Jahr 2007 die meisten Zuschriften ein? Nach wie vor steht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit insgesamt
4 060 Eingaben auf Platz eins. Obgleich die Zahl der Erwerbslosen im Berichtszeitraum auf unter 4 Millionen
sank, verringerte sich die Zahl der Eingaben, die die Arbeitsverwaltung betrafen, kaum. Sehr weit vorn standen
die Kritik an der Zusammenlegung von Sozialhilfe und
Arbeitslosenhilfe sowie die Kritik an der Höhe der Leistungen. Auch die Frage des Mindestlohns spiegelte sich
in einigen Zuschriften wider, und das Thema Rente ist
ein Dauerbrenner. Allein 1 764 Petitionen bezogen sich
darauf und erzielten damit etwa den gleichen Stellenwert
wie im Vorjahr.
In diesem Jahr liegt das Justizministerium mit 12 Prozent der Eingaben an zweiter Stelle, wobei es wie in den
Vorjahren vornehmlich um Beschwerden über Gerichte
und Staatsanwaltschaften ging. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind dem Petitionsausschuss hier aber die
Hände gebunden: Art. 97 des Grundgesetzes garantiert
die richterliche Unabhängigkeit.
Das Bundesministerium für Gesundheit verzeichnete
bei den Zuschriften im Vergleich mit den Vorjahren, insbesondere im Vergleich mit 2006, den größten Rückgang: von 2 227 auf 1 584. Das ist zwar immer noch eine
stattliche Zahl, aber offensichtlich hat sich die Zahl der
Anliegen verringert.
Den größten Zuwachs verzeichnet das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung mit
1 070 Eingaben im Vergleich zu 849 im Jahr zuvor.
Hierbei stellen die Bereiche Straßenverkehr, Eisenbahnwesen, Schiff- und Luftfahrt sowie Wasserstraßen die
Schwerpunkte dar. Der Bogen spannt sich von der ForKersten Naumann
derung nach einem Überholverbot für Lkw über eine
Nummernschildpflicht für Fahrräder, Lärmschutz im
weitesten Sinne und Parkplätze für Lkw an Autobahnen
bis hin zur geplanten Teilprivatisierung der Bahn.
Lassen Sie mich abschließend Folgendes anmerken:
Die Arbeit des Petitionsausschusses ist so etwas wie die
Visitenkarte des Parlaments. Natürlich ist nichts so gut,
dass es nichts zu verbessern gäbe. Dass wir insgesamt
auf einem guten Weg sind, mag das folgende Zitat belegen. Ein Bürger aus dem Rheinland schrieb uns Folgendes:
Zunächst möchte ich dem Petitionsausschuss meinen Dank dafür aussprechen, dass Sie sich meines
Anliegens angenommen haben. Nach den enttäuschenden Versorgungsausgleichsverfahren beim
Amtsgericht und beim Familiensenat des Oberlandesgerichts war ich sehr erfreut über die Aufmerksamkeit und Lösungsbereitschaft, die meine Probleme bei Ihnen gefunden haben. Da es meine erste
Petition war, habe ich diese Bereitschaft erhofft.
Dass meine Hoffnung bestätigt wurde und so
schnell eine Lösungsmöglichkeit aufgezeigt wurde,
habe ich mit hoher Achtung zur Kenntnis nehmen
können.
Nicht in allen Fällen können wir solche Reaktionen
erwarten. Es gibt auch solche Briefe - ich zitiere -:
Wieso fühle ich mich - und so mancher Bundesbürger - nicht ernst genommen? Ich zweifle, dass sich
je einer mit meiner Petition, nebst der mehrseitigen
und mehrfachen Anlageschreiben, ernsthaft beschäftigt hat.
Das sind zwei sehr unterschiedliche Reaktionen, die
aber beide für uns wichtig sind, da sie uns - jede auf ihre
Weise - dazu auffordern, unsere Arbeit weiter zu verbessern, und uns befähigen, unseren Beitrag gegen Politikverdrossenheit zu leisten.
Abschließend möchte ich mich ganz herzlich bei den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes und der Fraktionen bedanken, ohne die wir unsere
Arbeit im Plenum und im Petitionsausschuss nicht hätten
bewerkstelligen können.
Danke schön.
({6})
Das Wort hat jetzt der Kollege Günter Baumann von
der CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Vorsitzende des Petitionsausschusses hat
ihre Rede mit dem Thema Politikverdrossenheit beendet.
Ich möchte dieses Thema aufgreifen und damit beginnen.
Wir stellen fest: In unserem Land macht sich Politikverdrossenheit immer mehr breit. Bei Kommunalwahlen
machen oft nur 25 Prozent der Bürgerinnen und Bürger
von ihrem demokratischen Recht auf Teilhabe an politischen Prozessen Gebrauch.
Wir
dürfen nicht müde werden zu fragen, was wir tun können, um unsere Demokratie attraktiv, aktuell und lebendig zu erhalten.
Eines kann ich Ihnen heute versichern: Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages wird nicht müde
und gibt sich Mühe, Tag für Tag an Lösungen für die
Sorgen und Nöte der Menschen in unserem Land zu arbeiten.
({0})
Der Tätigkeitsbericht für 2007 belegt dies in eindrucksvoller Weise. Im Hinblick auf das verfassungsmäßig garantierte Grundrecht unserer Bürger, dass sich jedermann mit Bitten und Beschwerden an die
Volksvertretung wenden kann, stellen wir zumindest
nach meiner Einschätzung keine Politikverdrossenheit
fest. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger nutzen die
Möglichkeit, sich einzeln oder auch in Gemeinschaft hilfesuchend an die Politik - sprich: unseren Ausschuss zu wenden. Dabei werden auch neue moderne Formen
im Petitionswesen, wie zum Beispiel die Einreichung
per E-Mail, öffentliche Petitionen, Mitunterzeichnung
von Petitionen oder Abgabe eines eigenen Kommentars,
immer stärker angenommen.
Einige wenige Zahlen sollen dies untermauern. Die
Vorsitzende sprach bereits davon, dass im Jahr 2007
über 16 000 Petitionen neu eingereicht wurden. Das sind
65 Petitionen pro Tag. Heute sieht es schlecht mit der
Bearbeitung aus, da der Ausschussdienst hier anwesend
ist; aber es wird trotzdem funktionieren. Insgesamt haben sich etwa 600 000 Bürgerinnen und Bürger in Einzel-, Massen- oder Sammelpetitionen an uns gewandt.
Über 900 000 Bürgerinnen und Bürger haben Petitionen
mitunterzeichnet oder einen Kommentar abgegeben. Ich
denke, das sind eindrucksvolle Zahlen.
Die Bürgerinnen und Bürger erhoffen sich natürlich
zur Lösung ihrer Probleme, mit denen sie auf anderen
Wegen bereits gescheitert sind, von uns eine entscheidende Hilfe. Bemerkenswert sollte für uns Politiker sein,
dass ein großer Teil der Petitionen nicht das Ziel hat, Gesetzlichkeiten zu ändern. Vielmehr erhalten die Bürger
bei einer Verwaltungsbehörde nicht das ihnen zustehende Recht, oder sie werden von einer Behörde falsch
oder nicht ausführlich genug beraten. Wir sollten im Zusammenhang mit dem Thema Bürgernähe über einen anderen Umgang mit den Menschen in den Behörden nachdenken.
({1})
Folgende Frage stellt sich in der Öffentlichkeit natürlich immer wieder: Wie erfolgreich kann ein Petitionsausschuss überhaupt sein? Ich habe zusammengezählt:
In etwa 48 Prozent der Fälle konnten wir in 2007 den
Bürgerinnen und Bürgern in irgendeiner Form helfen. In
16,8 Prozent der Petitionen wurde dem Anliegen entsprochen und in 31,4 Prozent erfolgte eine Erledigung
durch Rat, Auskunft, Verweisung oder Materialübersendung. Hinzu kommen noch einige Petitionen, die mit hohem Votum an die Bundesregierung überwiesen oder
dem Europäischen Parlament zugeleitet wurden.
Die Debatte zum Jahresbericht 2007 gibt mir, genau
wie der Vorsitzenden, die Gelegenheit, mich im Namen
der CDU/CSU-Fraktion beim Ausschussdienst für die
fleißige, kompetente und immer sehr kollegiale Arbeit
ganz herzlich zu bedanken.
({2})
Es muss deutlich gesagt werden, dass es uns nur durch
Ihre hervorragende Arbeit möglich ist, die Vielzahl der
Petitionen überhaupt in einer vertretbaren Zeit und mit
vertretbarem Aufwand bearbeiten zu können. Es ist normal, dass wir nicht immer die Meinung des Ausschussdienstes übernehmen. Dies ist keine Kritik an der Fachkompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
Ausschussdienstes. Der Blickwinkel eines Abgeordneten auf ein Problem ist eben manchmal anders als der eines Verwaltungsexperten.
Ich möchte mich an dieser Stelle auch ganz herzlich
bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für
ein gutes und kollegiales Miteinander sowohl im Ausschuss wie auch in den Obleuterunden bedanken. Ich
denke, wir können in überwiegendem Maße vernünftig
zusammenarbeiten. Ich bin froh, dass Parteipolemik, die
niemandem hilft, in den meisten Fällen vor der Tür geblieben ist.
({3})
Der Jahresbericht gibt auch Gelegenheit, uns einige
Zahlen konkreter anzuschauen, die zeigen, wie sich bei
den Petitionen einiges prozentual verändert hat. Zum
Beispiel kommen auf 1 Million Einwohner in der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt 198 Petitionen. Wir stellen fest, dass ein überwiegender Teil der Petitionen aus den neuen Bundesländern kommt: Zum
Beispiel kommen aus Sachsen 291, also fast 100 mehr,
und aus Brandenburg sogar 463 Petitionen. Das heißt
aber nicht, dass die Ossis gern am meisten meckern. Das
ist nicht so. Die Ursachen liegen aus meiner Sicht in der
im Osten Deutschlands höheren Arbeitslosenquote und
den damit verbundenen Problemen, in den zum Teil gebrochenen Erwerbsbiografien in den Jahren nach der
Wende und in einigen Problemen, die im Einigungsvertrag nicht alle konkret gelöst werden konnten.
Auch 18 Jahre nach der deutschen Einheit müssen wir
uns immer noch mit aller Kraft für die Angleichung der
materiellen Lebensverhältnisse in beiden Teilen
Deutschlands einsetzen. Auch im letzten Jahr gab es
Themen, die insbesondere von Petenten aus den neuen
Bundesländern angesprochen wurden. Dazu gehörten
unter anderem offene Vermögensfragen und das Sachenrechtsbereinigungsgesetz, Stichwort: Garagen. Natürlich
schlagen in den Fällen, in denen nicht alles ordnungsgemäß abgelaufen ist, bei uns nach wie vor auch Probleme
im Zusammenhang mit der Treuhandanstalt und der Globalisierung der ostdeutschen Wirtschaft nach der Wende
auf.
Da es im Osten eine Reihe von Rentenfällen gibt,
spielte auch die Zusatzversorgung eine Rolle. Darüber
hinaus erreichten uns viele Petitionen von SED-Opfern;
hier wurde inzwischen eine gesetzliche Lösung gefunden. Außerdem gab es Petitionen zum Thema Kriegsspätheimkehrer; auch das ist inzwischen gesetzlich geregelt.
Ein weiteres interessantes Thema, das vorwiegend im
Osten von Bedeutung war, war der Grundsteuererlass bei
strukturell bedingtem Wohnungsleerstand; hier zeichnet
sich gegenwärtig eine Lösung ab. Eine Vielzahl von Petitionen aus dem Osten Deutschlands befasste sich mit
Problemen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II und damit, wie die Bürger in den Arbeitsämtern
und den Argen zum Teil behandelt werden.
Meine Damen und Herren, im Jahr 2007 hat der Ausschuss erneut von einem besonderen Recht Gebrauch gemacht und vier Ortstermine durchgeführt. Ich möchte
zwei Beispiele anführen:
Das erste Beispiel. Vor dem Reichstag überreichten
uns viele Bürger eine Petition, mit der sie das Ziel verfolgten, dass die Fassade, die Innenräume und insbesondere die große Treppenhalle des Neuen Museums in
Berlin weitestgehend originalgetreu wiederhergestellt
und dass auf einen Ergänzungsneubau verzichtet wird.
Dieser Ortstermin unter Beteiligung zahlreicher Fachexperten und vieler Abgeordneter diente dazu, dass sich
der Ausschuss zunächst ein Bild vor Ort machen konnte.
Wir ließen uns von Fachexperten beraten und nahmen
das konkrete Objekt in Augenschein. Allein durch die
öffentliche Wirkung unseres Auftretens haben wir erreicht, dass bereits nach kurzer Zeit ein neuer Entwurf,
der wesentlich besser als der erste war, vorlag. Hierbei
handelt es sich also um eine Petition, die auf gutem
Wege ist.
Das zweite Beispiel. Seit Jahren schwelt zwischen
Bürgerinitiativen bzw. einzelnen Bürgern und der Bundeswehr ein Konflikt über die zukünftige Nutzung des
früheren Truppenübungsplatzes der Sowjetunion in
Wittstock, in der Kyritz-Ruppiner Heide. Bürgerinitiativen und einzelne Bürger haben sich in einer Vielzahl von
Petitionen an unseren Ausschuss gewandt.
Bei unserem Termin vor Ort konnten wir uns zunächst ein Bild vom Gelände machen; wir haben es auch
von oben in Augenschein genommen. Außerdem haben
wir das Bundesministerium der Verteidigung und das
Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie einbezogen und in einer längeren Diskussionsrunde auch
die Petenten angehört. Ich denke, dass die Abgeordneten
aller Fraktionen einen vernünftigen Kompromiss finden
werden, sodass wir sowohl den Petenten als auch den
Einwohnern und denjenigen, die in dieser Region auf
den Tourismus angewiesen sind, helfen können.
Beide Petitionsverfahren sind bisher nicht abgeschlossen, sondern noch in Bearbeitung. Es deuten sich
allerdings bereits jetzt vernünftige Lösungen an.
Meine Damen und Herren, wir Abgeordnete werden
auch in Zukunft im Interesse einer sachlichen und fachlich guten Beurteilung der Petitionen alle Rechte, die wir
haben, in Anspruch nehmen. Dazu gehören Ortstermine
und Berichterstattergespräche mit Vertretern von Ministerien.
Herr Kollege Baumann, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Ich bin sofort fertig. - In Einzelfällen werden wir
auch bei Behörden Akten einsehen. Wir werden alle Mittel, die uns zur Verfügung stehen, nutzen.
Eine letzte kurze Bemerkung. Wir wollen öffentlich
noch stärker sichtbar werden und treten auch auf Messen
auf. Das wird von den Menschen sehr gut angenommen.
Das werden wir auch weiterhin machen. Ich glaube,
durch unsere Arbeit wird das Vertrauen in unsere lebendige Demokratie gestärkt. Wir werden sie im Interesse
der Bürgerinnen und Bürger fortführen.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Kollege Jens Ackermann von der
FDP-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Bericht des Petitionsausschusses über
seine Tätigkeit im Jahre 2007 gibt uns die Möglichkeit,
Rückschau zu halten und unsere Arbeit zu analysieren.
Es ist immer wieder verblüffend, festzustellen, welche
aktuellen gesellschaftlichen Themen in den Petitionen
Widerhall finden. Ich möchte einige Beispiele nennen.
Aus dem Osten unserer Republik hat uns eine Petition
erreicht, bei der es darum geht, dass die Rentenwerte Ost
und West angeglichen werden sollen. Viele Unterstützer
haben ihre Unterschrift unter diese Petition gesetzt. Die
Petenten schreiben: Fast 20 Jahre nach der deutschen
Wiedervereinigung ist es an der Zeit, dass die Rentenwerte Ost und West angeglichen und in ein einheitliches
System überführt werden. - Recht haben diese Petenten!
Die FDP-Bundestagsfraktion ist für diesen Hinweis
dankbar. Wir haben in einer Arbeitsgruppe um den Kollegen Kolb einen Antrag geschrieben und diesen Antrag
hier eingebracht. Wir greifen solche Hinweise gerne auf
und versuchen, politisch zu einer Lösung zu kommen.
Ein weiteres Thema, um das es in vielen Petitionen
geht, ist die Mehrwertsteuer. Wir wissen alle, dass es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gibt: den regulären
Satz von 19 Prozent und den ermäßigten Satz von
7 Prozent. Uns wurde geschrieben, dass es als ungerecht
empfunden wird, dass Babywindeln mit 19 Prozent besteuert werden.
({0})
Gegenüber Familien mit vielen Kindern ist das nicht gerade freundlich. Insgesamt ist das System der Mehrwertsteuer nicht logisch: Trüffel zum Beispiel werden mit
7 Prozent besteuert, Sondennahrung fürs Krankenhaus
dagegen mit 19 Prozent. Überhaupt ist es oft so, dass für
Luxusgüter der ermäßigte Satz gilt, für Waren des täglichen Bedarfs dagegen der volle. Ich fordere die Bundesregierung auf: Hören Sie auf die Petenten und machen
Sie Klarschiff!
Aus dem Bereich der Krankenhäuser erreichte uns
eine Petition, die man fast einen Hilferuf nennen muss.
Sie wissen ja, dass beabsichtigt ist, die Krankenhäuser
mit einer pauschalen Sanierungsabgabe zu belasten. Es
geht dabei um 280 Millionen Euro. Man muss sehen,
dass die Betriebskosten der Krankenhäuser in den letzten
Jahren gestiegen sind: Für Energie muss mehr bezahlt
werden, der Tarifabschluss des Marburger Bundes und
der Tarifabschluss für die Krankenschwestern schlagen
zu Buche, und auch die Mehrwertsteuererhöhung von
16 auf 19 Prozent hat es den Krankenhäusern nicht einfacher gemacht. Wenn diese zusätzliche Belastung
kommt, ist abzusehen, dass noch mehr kleine Krankenhäuser von der Bildfläche verschwinden werden. Dagegen richtet sich diese Petition.
Als letztes Beispiel - ich finde es imposant - möchte
ich eine Petition, in der es um Abrüstung geht, nennen.
Eine Bürgerinitiative hat sich an uns gewandt und den
Abzug der Atomwaffen der US-Streitkräfte von deutschem Staatsgebiet gefordert; diese Forderung stammt
aus dem Jahr 2007. Wir hatten in dieser Woche eine
Aktuelle Stunde zu diesem Thema. Ich will damit sagen:
Die Petenten sind oft etwas schneller als der Deutsche
Bundestag; wir hatten ein Jahr Vorlauf. Trotzdem ist dieses Thema hochaktuell und wichtig.
In seinem Jahresbericht gibt der Petitionsausschuss
Auskunft darüber, was die Bürger beschäftigt. Der Petitionsausschuss ist nah bei den Menschen. Ich bin stolz
darauf, in diesem Ausschuss mitarbeiten zu dürfen. Kollege Baumann hat es schon gesagt: 600 000 Menschen
haben sich an uns gewandt. Das sind enorm viele. Eine
Fülle von Akten und Briefen hat uns erreicht. In diesem
Zusammenhang möchte ich ein Lob an den Ausschussdienst und an all unsere Mitarbeiter richten - einige sitzen auf der Tribüne -: Recht herzlichen Dank für Ihre
Arbeit!
({1})
Prozentual gesehen kommen die meisten Petitionen
aus den neuen Bundesländern. Zahlreiche Fragen sind
hier noch offen. Frau Bundeskanzlerin hat es einmal so
formuliert: Das liegt an den Versäumnissen, an den Dingen, die im Einigungsvertrag nicht zu klären waren. Sie hat eine Aufarbeitung dieser Versäumnisse gefordert.
Rentenrecht, Zusatzversorgung, technische Intelligenz
sind schon angesprochen worden. Ich kann der Bundeskanzlerin nur sagen: Bitte schön, machen Sie einmal! Sie
haben die Handlungskompetenz, Abhilfe zu schaffen.
Wir dürfen das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
nicht enttäuschen. Es gibt gerade aus diesem Bereich
eine Petition, die schon über fünf Jahre alt ist. Ich denke,
man muss jetzt Farbe bekennen: Entweder wir schließen
diese Petition ab und sagen „Wir können euch nicht helfen“, oder wir führen das einer politischen Lösung zu
und nehmen die Chemiker zum Beispiel in das Zusatzversorgungssystem auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der SPD, es kann aber nicht sein, dass man eine Petition so lange schmoren lässt. Es liegt an Ihnen.
({2})
- Kollege Guttmacher - vielen Dank für den Hinweis war in der letzten Legislaturperiode Ausschussvorsitzender. Weil diese Petition aus seinem Wahlkreis, aus Jena,
kam, hat er sich zurückgehalten und sie nicht forciert.
Kollege Baumann, das möchte ich in diesem Zusammenhang klarstellen.
({3})
Ein Letztes. Die Frau Ausschussvorsitzende hat die
öffentlichen Beratungen angesprochen. Ein Thema, das
wir öffentlich beraten haben, war das Thema Steuerrecht. Die Bürgerinnen und Bürger saßen bei uns im
Ausschuss, und es ist deutlich geworden, dass das Steuerrecht in Deutschland überaus kompliziert und unverständlich ist und viele Ungerechtigkeiten schafft. Wir
brauchen in Deutschland unbedingt - das ist klar geworden - ein einfaches, klar verständliches und damit auch
gerechteres Steuersystem. Wie sollen sich denn die Menschen an Recht und Gesetz halten, wenn sie es einfach
nicht mehr verstehen können, wenn sie einen eigenen
Steuerberater brauchen, damit sie sich nicht strafbar machen? Ich denke, das ist ein unhaltbarer Zustand. Ich fordere die Bundesregierung auf: Schaffen Sie ein einfacheres und gerechteres Steuersystem. Hören Sie auf die
Bürgerinnen und Bürger. Die wissen ganz genau, wo der
Schuh drückt.
Ich habe in der letzten Woche einen Brief von einem
kleinen Jungen bekommen. Wir alle wissen, dass Art. 17
des Grundgesetzes ein „Jedermanns-Recht“ beinhaltet,
dass sich also auch Kinder an uns wenden können. Der
Junge schreibt zum Abschluss des Briefes: Lieber Herr
Ackermann, ich würde mich sehr freuen, wenn wir Europameister werden.
({4})
Wenn man den Hinweis dieses kleinen Jungen als Petitum begreifen würde, dann würde ich vorschlagen, dass
wir dieses Petitum sofort an die Bundesregierung zur
Berücksichtigung überweisen und darüber befinden.
({5})
Ich freue mich auf die weitere gute, konstruktive Arbeit im Ausschuss und drücke natürlich unserer Mannschaft am Sonntag die Daumen.
({6})
Nächster Rednerin ist die Kollegin Lydia Westrich
von der SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man einen unansehnlichen Stapel grauer Akten
betrachtet, dann kann man sich nicht vorstellen, dass
diese Akten etwas mit Bürgernähe und Demokratiebewusstsein zu tun haben. Wenn es aber Petitionsakten
sind, dann ist dies so. Dass eine einzelne Bürgerin oder
ein einzelner Bürger die gesamte Gesetzgebungsmaschinerie in Gang setzen kann, nur weil sie oder er durch eigenes Erleben oder sonstige Erfahrungen eine Lücke im
Gesetz oder etwas, was wir nicht beabsichtigt haben, gefunden hat, erstaunt immer wieder; aber es passiert im
Grunde ständig. Es rückt uns und unsere Arbeit näher an
die Bürgerinnen und Bürger.
Die Jahresberichte des Petitionsausschusses - auch
der heute vorliegende - sind eine spannende Lektüre, die
ich allen empfehlen kann. Wenn ich Schülergruppen zu
Besuch habe und ihnen die Bedeutung und Funktion des
Bundestages bzw. des Parlamentes näherbringen will,
dann gelingt mir dies am besten, wenn ich Beispiele aus
den vielen Petitionen herausziehe, die im Laufe der
Jahre über meinen Tisch gewandert sind. Die Jahresberichte beinhalten die vielen persönlichen Sorgen der
Menschen; aber sie spiegeln auch die gesamte politische
und gesellschaftliche Diskussion des betreffenden Jahres
wider.
Im Jahr 2001 zum Beispiel gab es viele Eingaben gegen die geplante Rentenreform oder die Einführung der
Greencard-Regelung. 2003 haben Eingaben zum Dosenpfand oder zur Mauteinführung unsere Agenda bestimmt; daran denken wir schon längst nicht mehr. 2006
wurde die Verschärfung der Verhaltensregeln für Abgeordnete angemahnt. Eine hohe Anzahl von Petitionen zu
Rente, Arbeitslosigkeit und Gesundheit - das hat die
Frau Vorsitzende schon gesagt - begleitet uns kontinuierlich jedes Jahr, 2007 natürlich auch. Man kann also
die Jahresberichte als Seismografen unserer Arbeit im
gesamten Parlament nutzen. Es schadet nichts, ab und zu
mal hineinzuschauen.
Wir Mitglieder des Petitionsausschusses werden praktisch mit jeder Eingabe gezwungen, die von uns verabschiedeten Gesetze kritisch dahin gehend zu reflektieren,
ob die Auswirkungen tatsächlich beabsichtigt sind. Wir
müssen entscheiden, ob wir die Anregungen, die uns die
Bürgerinnen und Bürger geben, schnell aufgreifen oder,
wie es häufig passiert, ob wir die Konkretisierung im
Einzelfall den Gerichten überlassen. Diese Fragen stellen sich uns im Petitionsausschuss zuerst und werden
erst dann in den Fachausschüssen erörtert. Ich bin davon
überzeugt, dass uns manches korrigierende Urteil der
Gerichte erspart geblieben wäre, wenn die Fachpolitiker
schon ein bisschen früher auf die Empfehlungen des Petitionsausschusses gehört hätten, die ja auf die Anregungen der Bürgerinnen und Bürger zurückgehen.
Wir machen es den Menschen durch die vor ein paar
Jahren neu eingeführten Instrumente der elektronischen
Petitionen und der öffentlichen Petitionen mit der Möglichkeit der Mitzeichnung noch leichter - das wurde
übrigens vor allem durch die SPD-Fraktion forciert -,
ihre Kritik und Beschwerden zu äußern. Wie gesagt: Fast
1 Million Menschen hat das Angebot wahrgenommen,
weil sie mitgestalten wollen. Das ist schon etwas. Das
sollten wir uns auch vor Augen halten, wenn wir wieder einmal über mehr Bürgerbeteiligung diskutieren.
Die Bürger wollen beteiligt werden, und sie zeigen das
auch.
Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir im
letzten Jahr öffentliche Beratungssitzungen durchgeführt. Dabei erhielten die Petenten die Möglichkeit, noch
einmal persönlich vorzutragen und näher zu erläutern.
Wir konnten nachfragen und in den direkten Dialog mit
den Petenten eintreten. Bei diesen öffentlich behandelten
Fällen ging es zwar stets um Angelegenheiten von allgemeinem Interesse, aber genau diese einmischende Demokratie wollen wir ja haben. Nichtraucherschutz, Generation „Praktikum“, Wahlrecht, Petition zum Wehrsold
oder Steuerrecht - bei all den Themen ergaben sich ganz
interessante Aspekte, die ohne eine öffentliche Beratung
womöglich gar nicht zum Tragen gekommen wären.
Auch die Vertreter der Bundesregierung standen uns
stets kompetent und überzeugend Rede und Antwort.
({0})
Einiges davon konnten wir auch schon positiv erledigen. Zum Beispiel konnten wir hinsichtlich des Nichtraucherschutzes oder der Anpassung des Wehrsoldes
sogar schon innerhalb der öffentlichen Beratung signalisieren, dass wir das entsprechend regeln. Beim Punkt
Generation „Praktikum“ sind wir auf einem sehr guten
Weg. Die Ministerien arbeiten derzeit an Lösungen. Die
SPD-Fraktion hat sich bereits verpflichtet, ihre Praktikantinnen und Praktikanten angemessen zu entlohnen.
Frau Vorsitzende, wenn wir es schaffen, dass alle Mitglieder des Petitionsausschusses begreifen, dass eine öffentliche Beratung von Petitionen keine Wahlkampfveranstaltung ist, dann wird unsere Arbeit durch die
öffentliche Beratung gewinnbringend unterstützt. Es
könnte sich wirklich auch lohnen, sie im Fernsehen zu
übertragen. Wahlkampfveranstaltungen sind das aber auf
gar keinen Fall.
({1})
Durch die Teilnahme an Messen mit einem eigenen
Stand gehen wir sehr offensiv auf die Menschen zu. Die
Neugier ist dort immer beträchtlich. An dieser Stelle
möchte ich mich auch noch einmal ganz herzlich bei den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Petitionsausschusses bedanken. Sie arbeiten sich nicht nur durch die
riesigen Aktenberge, sondern sie stehen den Bürgern bei
diesen öffentlichen Auftritten auch Rede und Antwort
und nehmen Schicksale und Sorgen auf. Häufig sind sie
es ja, die allein durch einen Anruf oder einen Brief Verwaltungen in Gang setzen, um nach Fehlern zu suchen
oder zu einer schnellen Entscheidung zu gelangen.
Schneller und unbürokratischer als durch ihre Mithilfe
kann man den Menschen eigentlich nicht erfolgreich helfen.
Neben der demokratischen Nähe des Petitionsausschusses zu den Bürgerinnen und Bürgern bewegen uns
vor allem die persönlichen Sorgen und Nöte. Wir haben
wirklich häufig erfolgreich eingreifen können: bei der
Kostenübernahme für ein Medikament, bei der Bewilligung einer Kur, bei der Einstufung in eine höhere Pflegestufe und bei der Rückstellung vom Zivildienst, weil
der junge Mann nach vielen Jahren endlich eine gut bezahlte Stelle gefunden hatte, die er aber sofort antreten
musste. Wir konnten die Rückzahlung eines BAföGDarlehens für einen an Multiple Sklerose Erkrankten abwehren.
All das sind ganz selbstverständliche Sachen, bei denen man denkt, dass sich diese Probleme mit dem gesunden Menschenverstand lösen lassen. Aber es braucht einen Petitionsausschuss, um diese Probleme aufzugreifen
und einer guten Lösung zuzuführen.
Frau Westrich, bitte denken Sie an Ihre Redezeit.
Auch die Anerkennung neuseeländischer Führerscheine haben wir neben anderen Dingen durchgesetzt. Wir können diese Fälle als eindrucksvolle Beispiele in
die Fraktionen oder in die Ministerien geben. Schon
mancher Petent, dessen Anliegen wir ablehnen mussten,
hat mit seiner Eingabe den Weg für andere mit gleichen
Sorgen frei gemacht.
Herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen,
für die tolle Zusammenarbeit im Ausschuss. Ich wünsche uns ein arbeitssames und für die Bürgerinnen und
Bürger wieder sehr erfolgreiches Jahr mit vielen grauen
Akten.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Monika Lazar von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Lösekrug-Möller hat es bei der Übergabe des Jahresberichtes schon angesprochen: Der Petent ist ein
Mann. Nur etwa ein Viertel der Petitionen wird von
Frauen eingereicht. Auch die neu eingeführten Instrumente der öffentlichen und elektronischen Petitionen haben an diesem Befund bisher leider nichts geändert.
Zwar ist es insgesamt gelungen, andere Bevölkerungsgruppen als bisher zu erreichen. Es sind auf alle Fälle
deutlich jüngere Menschen: Auszubildende, Studierende, Schülerinnen und Schüler, Zivil- und Grundwehrdienstleistende sowie ein hoher Anteil an Selbstständigen. Aber der Anteil der Frauen bei den öffentlichen
Petitionen ist sogar noch etwas geringer geworden.
({0})
- Herr Ackermann, selbst Sie glauben wahrscheinlich
nicht, dass die Frauen in unserem Lande zufrieden sind
und weniger Probleme haben.
({1})
- Wollen wir es hoffen. Ich denke eher, es wird daran liegen, dass die Instrumente immer noch nicht genau abgestimmt sind. Sie sind offensichtlich immer noch nicht so
attraktiv, dass auch Frauen sie nutzen. Ein Nachteil wäre
natürlich, dass wir dann noch mehr zu tun hätten. Aber
wie schon viele Vorrednerinnen und Vorredner gesagt
haben: Wir machen es ja gerne. Wir müssen aber wirklich daran arbeiten, herauszufinden, warum so wenig
Frauen Petitionen einreichen. Auf alle Fälle können wir
bei uns anfangen. Angesichts der Aufteilung im Petitionsausschuss stelle ich fest, dass von 25 Ausschussmitgliedern nur acht Frauen sind. Da besteht insbesondere bei CDU/CSU und FDP noch Nachholebedarf. Das
ist etwas, was wir tun können.
({2})
Ein Beispiel der letzten öffentlichen Beratungen, das
in den vorherigen Reden noch nicht so häufig erwähnt
wurde, möchte ich ansprechen. Wir hatten eine öffentliche Beratung zum Reformbedarf bei eheähnlichen Gemeinschaften. Die Petitionen zum Thema eingetragene
Partnerschaft zeigen, dass noch wichtige Punkte zur
Gleichstellung fehlen, insbesondere im Steuer- und Beamtenrecht. Lebenspartner übernehmen längst die gleichen Pflichten wie Eheleute. Es gibt keinen sachlichen
Grund, ihnen die Möglichkeiten bei der Altersvorsorge,
der Riester-Rente, der Erbschaftsteuer oder im Beamtenrecht zu verwehren. Sie hier schlechter als Ehepaare zu
behandeln, ist eine Herabwürdigung von Menschen, die
Verantwortung füreinander übernehmen.
Auch die Eingaben zur Erweiterung des Grundgesetzes um ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung sind bedenkenswert. Die Europäische
Grundrechtecharta ist da schon etwas weiter. Auch die
Petitionen heterosexueller nichtehelicher Paare zeigen,
dass es Handlungsbedarf gibt. Das vielfach geäußerte
Bedürfnis nach rechtlicher Absicherung muss der Gesetzgeber ernst nehmen. Es kann nicht sein, dass der
Staat diese Gemeinschaft nur dann anerkannt, wenn er
damit Kosten sparen kann, etwa wenn diese Menschen
ALG II beziehen.
Aus Angst, dass in dieser öffentlichen Anhörung die
unterschiedlichen Positionen innerhalb der Koalition
sichtbar würden, verzichteten die Abgeordneten der
Koalition leider auf eine öffentliche Position dazu. Ich
würde mich wirklich freuen, wenn wir auch bei diesen
Themen in den nächsten Monaten weiterkommen würden.
({3})
Ich möchte noch ein Beispiel nennen, bei dem wir einen Erfolg erzielen konnten. Es geht um Petitionen zu
Kürzungen der ALG-II-Leistungen bei Krankenhausaufenthalten. Die Verwaltungspraxis entsprach nach Überzeugung des Petitionsausschusses nicht der geltenden
Rechtslage. Der Ausschuss hat darum bereits im Oktober 2007 bei der Bundesregierung eine Änderung der
Rechtsgrundlage angemahnt.
Das Bundessozialgericht hat in einem Urteil aus der
letzten Woche die Rechtsauffassung des Petitionsausschusses bestätigt, dass die Verpflegung während eines
Krankenhausaufenthalts bei einem Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht als Einkommen berücksichtigt
werden kann. Das ist ein schönes Beispiel. Damit wird
vielen Menschen geholfen, die nun doch nicht von der
Kürzung betroffen sein werden.
Zum Schluss möchte auch ich dem Ausschussdienst
und den Kolleginnen und Kollegen danken. Wir gehen in
der Tat im Ausschuss sehr kollegial um, und ohne die
tatkräftige Unterstützung des Ausschussdienstes würden
wir wahrscheinlich in den von Frau Westrich erwähnten
grauen Akten untergehen. Mein Dank gilt deshalb dem
Ausschussdienst, dass er sie vorsortiert, damit wir sie
dann wohlgeordnet bearbeiten können.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Heidrun Bluhm von
der Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrte Gäste! Die Süddeutsche Zeitung berichtete am
22. April dieses Jahres: „Wählen ist out: Die Bundesbürger entdecken Petitionen und Volksentscheide.“ Dass Petitionen als adäquates Mittel angesehen wird, um sich in
die Politik und das Geschehen unseres Landes einzumischen, freut mich als Mitglied des Petitionsausschusses
sehr.
Wenn sich im letzten Jahr 600 000 Bürgerinnen und
Bürger des Landes - die Zahl ist schon mehrfach genannt worden - an den Petitionsausschuss und damit
letztlich an den Bundestag gewandt haben, dann spricht
das einerseits für das Vertrauen, das uns Volksvertretern
entgegengebracht wird. Man muss aber auch klar sagen
- der Jahresbericht belegt das auch - , dass die Begehren
in individuellen Angelegenheiten gegenüber den Anliegen, die sich auf Gesetzesänderungswünsche beziehen,
deutlich zugenommen haben. Die Bürgerinnen und Bürger sehen also andererseits den Petitionsausschuss oft
auch als letzte Rettungsstelle.
Die Linke begrüßt die in den letzten Jahren eingeführten Neuerungen im Petitionswesen ausdrücklich, und
wir freuen uns, dass diese von den Bürgerinnen und Bürgern so gut angenommen werden. So hat sich der Anteil
der elektronisch eingereichten Petitionen im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr um 3 Prozent erhöht.
Der Petitionsausschuss hat im letzten Jahr beschlossen, den seit 2005 laufenden Modellversuch „öffentliche
Petition“ zu einer eigenständigen, dauerhaften Einrichtung zu machen. Bis Ende 2007 wurden insgesamt
570 öffentliche Petitionen ins Netz gestellt. Diese Anliegen der Petenten wurden von rund 830 000 Bürgerinnen
und Bürgern unterstützt. Insgesamt sind 25 000 Diskussionsbeiträge eingestellt worden.
Die Zahlen sprechen zunächst zweifelsohne für sich.
So gelingt es, mithilfe moderner Kommunikationsmittel
leichter an uns Abgeordnete heranzutreten. Die Transparenz unserer eigenen Arbeit wurde erhöht, und es hat
sich eine besondere Form des Dialogs mit den Bürgerinnen und Bürgern gebildet. Dies sind Neuerungen, die wir
als Linke für wichtig im Sinne der weiteren demokratischen Entwicklung unseres Landes halten.
Trotzdem bleibt aber zu fragen, ob der Jahresbericht
in ausgewogener und adäquater Weise die Arbeit des Petitionsausschusses des letzten Jahres widerspiegelt. Da
fällt mein Blick doch etwas kritischer aus, und diese kritische Sicht können wir vor allem den Petentinnen und
Petenten nicht vorenthalten.
Ich halte es zum Beispiel für bedenklich, wenn durch
den Jahresbericht der Eindruck erweckt wird, der Petitionsausschuss würde grundsätzlich einstimmig handeln.
Dies vermittelt der Öffentlichkeit ein falsches Bild. In
den im Bericht aufgeführten Textbeispielen gehen die
Voten der Oppositionsfraktionen einfach unter. Es handelt sich dabei vor allem um Petitionen zu politischen
Themen, die in der Regel auch eine starke öffentliche
Präsenz haben.
Wir als Linke sind der Auffassung, dass die Petentinnen und Petenten bzw. die Bürgerinnen und Bürger ein
Recht darauf haben, dass ihnen die unterschiedlichen
Meinungen, die es zu einer Petition geben kann, auch zur
Kenntnis gegeben und offen dargestellt werden.
({0})
Es ist nun einmal so, dass dem Petitionsausschuss Mitglieder verschiedener Fraktionen angehören, die zu einzelnen Anliegen der Bürgerinnen und Bürger unterschiedliche politische Meinungen haben. Das sollte der
Jahresbericht zum Ausdruck bringen.
Ich plädiere deshalb dafür, dass auch Minderheitsvoten Eingang in den Jahresbericht finden. Unsere Fraktion
hat solche - um einige wenige Beispiele zu nennen - unter anderem zu den Petitionen zum Erhalt des Palastes
der Republik, zur grundsätzlichen Kritik im Zusammenhang mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II und
zum Einsatz von Wahlgeräten abgegeben.
Auch finde ich es wünschenswert, der Öffentlichkeit
mitzuteilen, bei welchen Petitionen andere Fachausschüsse des Bundestages in die Bearbeitung des Petitionsanliegens einbezogen worden sind. Dies würde die
Transparenz unserer Arbeit für die Bürgerinnen und Bürger erheblich erhöhen und vor allem noch mehr sichtbar
machen, dass die Petitionen sehr umfangreich und intensiv bearbeitet werden.
({1})
Ich komme auf die öffentlichen Petitionen zurück, die
im Bericht der Vorsitzenden zu Recht als erfolgreiche
Errungenschaft geschildert werden. Ich meine, nicht allein der Vollständigkeit halber muss Folgendes gesagt
werden: Seit der Einführung des Modellversuchs „Öffentliche Petitionen“ sind fast zwei Drittel der Anträge
auf eine öffentliche Petition abgelehnt worden. Anders
ausgedrückt heißt das, dass rund 900 Petentinnen und
Petenten eine Nachricht dahin gehend erhalten haben,
dass ihre Petition nicht als öffentliche Petition zugelassen wurde. Auch wir erkennen an, dass es sachliche
Gründe geben kann, eine Petition nicht öffentlich zuzulassen. Häufig und in letzter Zeit sogar verstärkt wird die
Ablehnung der Zulassung als öffentliche Petition jedoch
damit begründet, dass das Anliegen und dessen Darstellung für eine sachliche öffentliche Diskussion nicht geeignet sind. Die diesbezüglichen Themen sind aber solche, die den Bürgerinnen und Bürgern besonders auf den
Nägeln brennen, zum Beispiel die Fragen zum Gesundheitswesen, zur Arbeitsmarktpolitik oder zum Einsatz
der Bundeswehr in Afghanistan. Hier wird der Diskurs
mit dem Bürger gescheut. Ihm werden Beteiligungsmöglichkeiten ungerechtfertigt abgeschnitten. Diesen Trend
sollten wir umkehren.
({2})
Wir Politiker müssen uns noch stärker einbringen und
sollten es dem Ausschussdienst nicht allein überlassen,
die Entscheidung zu treffen, ob eine Petition öffentlich
zugelassen wird oder nicht. Wir machen uns ohnehin
sehr viel Arbeit mit den Petitionen. Diese Arbeit sollten
wir zukünftig vielleicht auch übernehmen.
Ein inhaltlicher Schwerpunkt unserer Arbeit waren
Petitionen im Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II. Dies betraf unter anderem Fragen zu Bedarfsgemeinschaften, Kindesunterhalt, Stromkosten, Mietkosten
und Krankenhausaufenthalten. Dazu wurde im Berichtsjahr auch die größte Sammelpetition mit weit über
80 000 Unterschriften und Unterstützern abgeschlossen.
Eine öffentliche Ausschussberatung, wie von meiner
Fraktion ausdrücklich beantragt, fand dazu leider nicht
statt. Ich hielte es für richtig, wenn wir das im letzten
Jahr unserer Legislaturperiode noch schafften.
Ein letztes Problem möchte ich noch kurz ansprechen.
Für die Bürgerinnen und Bürger ist letztlich entscheidend: Wurde ihnen geholfen bzw. wurde ihr Anliegen in
erforderlichem Maße beachtet oder gegebenenfalls umgesetzt? Der Bundestag hat im Berichtsjahr 71 Beschlüsse, also etwa genauso viele wie im Jahr 2006, gefasst, mit denen er Petitionen der Bundesregierung zur
Berücksichtigung oder zur Erwägung überwiesen hat.
Wir haben aber erneut festzustellen, dass in den bisher
eingegangenen Antworten der Bundesregierung nur in
etwa 50 Prozent der Fälle dem Votum des Petitionsausschusses gefolgt wird und die Petitionen Anlass zu Veränderungen in der Politik waren. Dass zwischen dem
Parlament und der Regierung Gewaltenteilung herrscht,
ist uns sehr wohl bewusst. Wenn wir diese Petitionen
dann jedoch im Jahresbericht als uneingeschränkt positiv
für die Petenten darstellen, obwohl die Regierung den
Anliegen nicht abgeholfen hat, dann müssen wir das der
Ehrlichkeit halber an dieser Stelle wenigstens erwähnen.
({3})
Die Linke wünscht sich, dass sich die Bundesregierung in noch stärkerem Maß bewusst macht, dass es sich
dabei um das persönliche Erleben von Politik der Bürgerinnen und Bürger handelt und dass dies das Vertrauen in
die Politik weiter stärkt.
In diesem Sinne wünsche ich mir, dass wir bei der
Vorstellung des Jahresberichtes 2008 über eine weiter
fortgeschrittene Verbundenheit von Politik und Bevölkerung berichten können und damit ein positiver Beitrag
zur Überwindung der Wahlmüdigkeit geleistet werden
kann.
Zum Schluss danke ich recht herzlich für die sehr angenehme persönliche Zusammenarbeit mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Ausschussdienstes.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat jetzt der Kollege Gero Storjohann von
der CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich glaube schon, dass der Bericht des Jahres
2007 deutlich macht, dass das Ansehen des Petitionsausschusses in der Bevölkerung wesentlich größer ist als bei
den Kollegen. Wir haben in den letzten Jahren sehr viel
erreicht. Wir haben die Arbeit des Petitionsausschusses
innerhalb des Parlamentes aufgewertet. Dafür danke ich
allen Fraktionsführungen. Wir haben eine sehr stabile
Mitarbeit innerhalb unseres Ausschusses zu vermerken.
Das macht sich auch in der Qualität der Zusammenarbeit
und der Voten bemerkbar.
Ich möchte nicht das Argument von Frau Lazar aufgreifen, dass es notwendig sei, eine Quote einzuführen.
({0})
Ich habe schon so manche Probleme mit Quoten gehabt.
Aber ich bitte darum, bei den Petenten nicht zwischen
Männlein und Weiblein zu unterscheiden. Natürlich ist
der Hinweis richtig, dass es Petenten unterschiedlichen
Geschlechts gibt.
({1})
Alle bisherigen Redner haben die Petitionsarbeit unter unterschiedlichen Aspekten dargestellt. Das zeigt,
wie erstaunlich vielfältig die Arbeit ist. Deutlich wurde
auch, dass die Kollegen sehr gern in diesem Ausschuss
sind. Ich bekenne: Auch ich bin sehr gern in diesem
Ausschuss. Die Zusammenarbeit ist prima, und die Vielfältigkeit der Politik, die wir hier erfahren, der unterschiedliche Umgang mit den Problemlösungen, wobei
wir durchaus sehr häufig zu einvernehmlichen Entscheidungen kommen, bereichert meine politische Arbeit, und
dafür bin ich sehr dankbar.
Ich möchte nicht verhehlen, dass man sich unter Umständen am Anfang, wenn man in den Petitionsausschuss
hineingewählt wird, etwas widerspenstig verhält. Aber
jetzt möchte ich den Ausschuss nicht so gerne wieder
verlassen.
Es gibt öffentliche Petitionen. In der Presseberichterstattung werden in erster Linie die Massenpetitionen
und Sammelpetitionen aufgegriffen. Trotzdem ist wichtig, deutlich zu machen: Wir sind kein Fachausschuss.
Vieles, was Frau Bluhm von der Linken thematisiert hat,
zum Beispiel die Herstellung von mehr Transparenz, ist
in erster Linie Aufgabe der Fachausschüsse.
({2})
Wir von der Union möchten uns vermehrt auch um die
Einzelschicksale kümmern und hier Abhilfe schaffen.
Das Petitionswesen ist unbestritten an das Zeitalter
des Internets anzupassen. Deshalb unterstützt die CDU/
CSU ausdrücklich das Vorhaben, den Modellversuch der
öffentlichen Petitionen noch in diesem Jahr in eine ständige Einrichtung, also in den Regelbetrieb, umzuwandeln. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt, dass Bitten und
Beschwerden der Bürger und Bürgerinnen nicht nur im
Ausschuss unter Ausschluss der Öffentlichkeit behandelt
werden, sondern auch vorab öffentlich auf der Internetseite des Bundestages präsentiert werden.
Dennoch müssen wir uns bei aller Begeisterung für
die Neuerungen im Petitionswesen eines immer wieder
klarmachen: Der Wert einer Petition steigt nicht mit einer wachsenden Zahl von Unterzeichnern.
({3})
Ein Anliegen, das mehrere Tausend Bürger unterstützen,
kann in der Sache durchaus falsch sein. Oftmals sind es
gerade die Eingaben der Schwachen unserer Gesellschaft, die unsere besondere Aufmerksamkeit verlangen.
Vor allem alte, kranke und benachteiligte Menschen
wenden sich mit ihren Sorgen oft an den Petitionsausschuss. In ihren Briefen erkennt man die ganze Hoffnung, mit der sie uns um Hilfe bitten. Hier liegt - so
meine Überzeugung - ein Schwerpunkt unserer Arbeit:
bei der Unterstützung jener Leute, die sich anders nicht
mehr zu helfen wissen. Das ist unser Job. Die schwachen
und hilflosen Petenten verdienen unsere Solidarität.
({4})
Eine Randbemerkung: Gerade die Briefe dieser Personen sind oft noch handgeschrieben und manchmal
schwer zu entziffern. Sie werden nicht mithilfe von PC
und Internet erstellt. Viele ältere Bürgerinnen und Bürger kennen sich mit dem Internet nicht aus. Dem sollten
wir Rechnung tragen.
Ich möchte als Beispiel ein Einzelschicksal nennen.
Der Betreuer einer geistig schwerbehinderten Frau
schrieb uns, bei der Auflösung ihrer Wohnung habe sich
in ihrem Besitzstand eine größere Menge von Briefmarken im Wert von insgesamt 500 DM gefunden, also eine
verhältnismäßig große Summe, aber eben D-Mark. Natürlich gab es Fristen, bis wann man sie umgetauscht haben musste. Die Deutsche Post verweigerte sich zu
Recht, weil die Fristen abgelaufen waren; sie könne leider nichts machen. Deshalb hat man sich an uns, den Petitionsausschuss, gewandt. Wir haben es erreicht, dass
die Post sich hat erweichen lassen
({5})
- wir haben wahrscheinlich mehrere Briefe geschrieben -,
den Gegenwert der Briefmarken in Euro auszubezahlen.
Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass man uns vertraut
und dass wir etwas erreichen können.
Ich möchte ein weiteres Beispiel anführen, und zwar
aus dem Norden von Deutschland. In Hamburg gibt es
das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie, das
exakt die Gezeitendaten, also wann Ebbe und Flut kommen, erhebt. Das ist für die Sicherheit sowohl der Urlauber als auch der Menschen an der Küste sehr wichtig. Irgendwann ist für die Abfrage dieser Daten eine Gebühr
eingeführt worden. Das hat dazu geführt, dass nicht
kommerziell betriebene Vereine und Verbände auf die
Verwertung dieser Daten verzichtet haben, weil die Gebühr in keinem Verhältnis stand. Als Petitionsausschuss
haben wir lange gekämpft und uns mit dem Sachverhalt
lange auseinandersetzen müssen. Schließlich sind wir zu
der Entscheidung gekommen, dass die Gebühr so angepasst werden muss, dass die Daten wieder genutzt werden. Ich hoffe da noch auf eine entsprechende Rückmeldung seitens der Bundesregierung. Jedenfalls ist auch
das ein positives Beispiel für unseren Einsatz.
Wir sind dankbar für die kollegiale Zusammenarbeit
mit der Mitarbeiterschaft, die heute auf der Bundesratsbank Platz genommen hat. Ich glaube, ich bin jetzt der
Fünfte, der Sie lobt. Wir arbeiten gern mit Ihnen zusammen. Schönen Dank, dass alles so gut klappt.
({6})
Ich möchte darauf hinweisen, dass die öffentlichen
Petitionen und die E-Mail-Petitionen wesentlich mehr
Arbeit ausgelöst haben. Aber Sie haben sich dieser Herausforderung gestellt, so wie wir auch. Weiterhin gute
Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat jetzt der Kollege Josef Winkler vom
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich will zunächst kurz auf die Äußerung von
Frau Bluhm zum Jahresbericht eingehen. Ihre Anregung,
Minderheitenvoten aufzunehmen, finde ich bedenkenswert, allerdings muss ich auch sagen: Ich bin schon eine
Weile Obmann meiner Fraktion. Vor den Ausschusssitzungen haben wir die Obleutebesprechung, in der wir
auch über Anregungen zum Jahresbericht diskutieren. In
der Runde, in der über den Jahresbericht diskutiert
wurde, kam dieser Vorschlag nicht. Sie haben das kritisch vorgebracht. Das wäre sicherlich der richtige Ort
gewesen. Wir können schauen, ob wir diesbezüglich im
nächsten Jahr weiterkommen.
Sie haben die Afghanistan-Petition angesprochen. Es
gab bei der öffentlichen Übergabe dieser Petition einen
Zwischenfall, der von Ihrer Fraktion provoziert wurde
und der dazu geführt hat, dass wir im Moment von solchen öffentlichen Übergaben absehen. Das hat die
Linksfraktion erreicht; denn wir wollten keine parteipolitische Instrumentalisierung der Petitionsübergaben.
Das ist meiner Meinung nach die richtige Entscheidung
der Mehrheit des Ausschusses gewesen. Wenn Sie zusagen würden, in Zukunft auf solche Kinkerlitzchen zu
verzichten, dann könnte man darüber nachdenken, solche Übergaben wieder einzuführen.
({0})
Ich will in den mir verbleibenden 90 Sekunden kurz
drei Punkte ansprechen. Ein Thema, das wir im Moment
im Petitionsausschuss beraten und worüber wir im abgelaufenen Berichtsjahr intensiv diskutiert haben, wenn
auch nicht öffentlich, betrifft die Heimkinder. Nichtsdestoweniger - ich habe mehrere Anrufe im Vorfeld dieser
Debatte bekommen - arbeiten wir parteiübergreifend daran. Ich gehe fest davon aus, dass wir gemeinsam, parteiübergreifend noch in diesem Jahr eine gute Lösung hinbekommen und dass es bei diesem Thema weitergeht.
Ein Punkt, der in diesem Jahresbericht auffällig war,
ist, dass nur 35 Prozent der Petitionen direkte Bitten zur
Änderung von Gesetzen waren. In den beiden zurückliegenden Jahren waren es noch 40 und 50 Prozent, sodass
man schon von einer dramatischen Entwicklung
sprechen kann, ohne dass ich eine auf der Hand liegende
Begründung dafür hätte. Es kann wohl nicht alleine daran liegen, dass die jetzige Regierungskoalition ständig
neue Probleme produziert, aber wir werden das genau im
Auge behalten. Vielleicht ist diese naheliegende Schlussfolgerung doch richtig. Dann wäre im nächsten Jahr Gelegenheit, im Rahmen der Bundestagswahl Abhilfe zu
schaffen.
Der dritte und letzte Punkt betrifft den Nachzug von
ausländischen Staatsbürgern zu in Deutschland lebenden
Familienangehörigen, insbesondere zu Ehepartnern.
Hierzu gehen im Moment eine ganze Menge Petitionen
ein. Inzwischen sind wir fast im dreistelligen Bereich angekommen. Wenn Petitionen Seismografen für Probleme
sind, dann kann man im Moment ganz gewaltige Ausschläge feststellen. Es gibt viele dramatische individuelle Schicksale - so können Eheleute nicht zusammenziehen -, und ich kann nur hoffen, dass wir zumindest im
Petitionsausschuss einen Schritt weitergehen und vernünftige Vorschläge erarbeiten können, die wir den
Fraktionen und dann auch der Bundesregierung vorlegen
können. Das wäre meiner Meinung nach dringend notwendig.
Ich bedanke mich für die kollegiale Zusammenarbeit
im abgelaufenen Jahr, auch bei den Mitarbeitern des
Ausschussdienstes und bei den eigenen Mitarbeitern und
denen der anderen Fraktionen. Vieles läuft ja auf dem
kleinen Dienstweg. Ich freue mich auf die weitere Zusammenarbeit.
Herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele LösekrugMöller von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Insbesondere meine Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Sie haben genau den richtigen Zeitpunkt gewählt, einen Einblick in den Deutschen Bundestag und
in seine Arbeit zu bekommen. Nur einmal im Jahr diskutieren wir über die Arbeit des Petitionsausschusses. Ich
hoffe, wenn Sie demnächst die Plätze wieder verlassen
müssen, dass Sie sagen: Donnerwetter, ich hätte nicht
geglaubt, dass ein Parlament so bürgernah arbeitet.
Wenn Sie das mit nach Hause nehmen, haben wir hier
alle miteinander gewonnen.
({0})
Elf Tage führt ein Bauer und Händler aus einer Oase
seine Eselskarawane über 220 Kilometer zu den Ufern
des Nils mit vielen kostbaren Waren, um sie dort gegen
Getreide einzutauschen. Auf der Höhe der heutigen
Stadt Herakleopolis wird er Opfer von Rechtsbeugung
und Gewalt. Ein untergeordneter Beamter der örtlichen
Gutsverwaltung inszeniert einen Raub als Akt der
Selbstjustiz und konfisziert die Karawane des Mannes
mit all der wertvollen Habe.
Sie werden fragen, was das mit der Arbeit des Petitionsausschusses zu tun hat. Ich sehe meine Kolleginnen
und Kollegen aus dem Fachausschuss auch schon grübeln: Sind wir zuständig? Welches Votum könnte es
sein? Nein, wir sind damit nicht befasst. Es handelt sich
- im Weiteren wird das deutlich - um die älteste überlieferte Petition. Diese ist nämlich 4 000 Jahre alt. Den
Hinweis verdanke ich Reinhard Bockhofer, dem Vorsitzenden des Vereins zur Förderung des Petitionsrechts.
Das zeigt deutlich, in welch langer historischer Tradition
Petitionsarbeit steht.
Dieser gute Bauer musste allerdings damit drohen,
seinem Leben ein Ende zu setzen, bis er endlich nach einem langen Verfahren Recht bekam und entschädigt
wurde. Das Glück ist: Bei uns muss niemand damit drohen, sich etwas anzutun. Die Hilfe kommt prompt und
schneller durch den Ausschuss, über dessen Arbeit wir
heute reden.
Lob und Anerkennung hat es viel gegeben. Das trifft
immer zu. Ich kann für die SPD-Fraktion sagen: Voll
umfänglich schließen wir uns an. Da Lob und Dank eigentlich immer die erste Vorstufe für die nächste Bitte
ist, möchte ich gleich anschließen: Ich hoffe, dass unsere
Arbeit so gut weitergehen kann wie in den letzten Jahren. Dazu tragen die Bundestagsverwaltung, auf alle
Fälle der Ausschussdienst, unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, aber nicht zuletzt die Abgeordneten bei, die,
wenn sie sich in den Deutschen Bundestag wählen lassen, nicht ausschließlich davon träumen, in diesem Ausschuss mitzuarbeiten. Der Kollege Storjohann ist geradezu lebender und sprechender Beweis dafür, wie sich
das entwickelt, wenn man in Sachen Petitionsarbeit zum
Überzeugungstäter wird. Das freut mich sehr. Deshalb
bin ich sehr zuversichtlich, dass wir mit all den Modernisierungen, die wir jetzt in den Dauerbetrieb übernehmen,
weiterhin gute Erfahrungen machen werden.
Meine Bitte ist, dass sich viele Menschen - man muss
nicht ein Bürgerrecht, ein bestimmtes Alter haben, man
kann jede Nationalität haben - mit Bitten und Beschwerden an uns wenden. Wir schauen dann, ob wir Abhilfe
schaffen können. Allerdings haben wir keinen Zauberstab oder irgendwelche anderen Mittel, mit denen wir
Wunder vollbringen können. Gelegentlich sind aber
kleine Wunder möglich. Die können darin liegen, dass
erstmals denen, die sich an uns wenden, überhaupt Information zuteil wird, damit sie wissen, was ihre Rechte
sind und wie sie einer Behörde gegenübertreten können.
Häufig erreichen uns Anliegen, die in ihrer Zielsetzung absolut gegensätzlich sind. Das haben wir bei vielen öffentlichen Petitionen. Auch da kann die Lösung
nicht darin liegen, allen recht zu geben. Aber immer
dort, wo wir über Einzelfälle hinaus Impulse für die Gesetzgebung auf den Weg bringen können, tun wir das
gerne. Wir haben das zum Beispiel in vielen Fällen, die
das Arbeitslosengeld II betreffen, geschafft.
Darüber hinaus haben wir es - um ein kleines Beispiel zu nennen - auch geschafft, dass in Deutschland
Führerscheine aus Neuseeland anerkannt werden. Sie
werden fragen: Welche Bedeutung hat das für mich?
Kommen Sie aus Neuseeland und sind Sie damit konfrontiert, viel Geld auf den Tisch legen und noch einmal
eine Führerscheinprüfung machen zu müssen, dann
freuen Sie sich über so ein Ergebnis.
In einigen Fällen haben wir erreicht, dass zum Beispiel Altersteilzeitregelungen mit Arbeitgebern so gestaltet wurden, dass pflegebedürftige Angehörige zu ihrem Recht auf Zeit kamen.
Manchmal öffnen wir Horizonte, aber manchmal räumen wir auch nur einen verschütteten Weg frei. Das ist
das Spektrum, in dem wir arbeiten. Wir alle tun das ja
miteinander gerne.
Zur Wahrheit gehört auch: Eigentlich könnte das Parlament von unserer Arbeit noch weitaus mehr profitieren, als das derzeit der Fall ist. Wir sind in der Auswertung der Anregungen, die uns als Petitionen ereilen,
noch unter dem Bestmöglichen. Wir sind wirklich Experten für das, was Bürgermeinung und Bürgerkritik ist.
Gelegentlich lautet sie: Gesetzgeber, ändere etwas, verbessere etwas! Wir müssen noch Wege finden, wie die
Abgeordneten in den Fachausschüssen besser an den Informationen und Erkenntnissen teilhaben können.
Dazu brauchen wir keine neuen Gesetze, die das Petitionsrecht betreffen. Wir können feststellen, dass alles,
was unsere Rechte anbelangt, bestens geregelt ist. Wenn
wir als Petitionsausschuss von diesen Rechten Gebrauch
machen - das tun wir häufig -, machen wir uns bei so
mancher Behörde unbeliebt. Das ist prima. Wenn wir
uns unbeliebt machen, sind wir unserem Geschäft richtig
nachgegangen, allerdings nur dann, wenn wir immer im
Auge hatten, dass wir Lösungen herbeiführen müssen.
Das bedeutet - das will ich einmal sagen, Frau Kollegin
Bluhm -, dass wir nicht jedes Anliegen zu einem parteipolitischen Projekt machen sollten. Das wäre eine Handhabung des Petitionsrechts, wie sie die Mütter und Väter
unserer Verfassung nicht wollten.
({1})
In den mir noch verbleibenden 25 Sekunden erlaube
ich mir noch eine kurze Anmerkung zu den öffentlichen
Petitionen. Der Ausschussdienst entscheidet nach Regeln, die wir festgelegt haben. Der Petitionsausschuss ist
ganz sicher in der Lage ist, zu lernen. Wir überprüfen
kontinuierlich, ob die Verfahrensregeln, auf die wir uns
verständigt haben, auf der Höhe der Zeit sind. Darüber
können wir gern miteinander diskutieren. Bis jetzt waren
wir bei allen Modernisierungen gut beraten - das kann
man so feststellen -, ein gewisses Maß an Vorsicht und
eine dicke Portion Mut einzubringen. Das hat uns auf
den richtigen Weg gebracht. Auf diesem Weg können
wir weiter voranschreiten.
Ihnen auf den Zuschauertribünen sage ich: Nehmen
Sie mit nach Hause: Es lohnt sich in Deutschland, das
Petitionsrecht zu nutzen.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! An der
Ähnlichkeit der Schwerpunktsetzung in den einzelnen
Redebeiträgen sehen Sie schon, dass wir im Petitionsausschuss überwiegend ein sehr kollegiales und lösungsorientiertes Arbeitsklima haben. Das hilft den Leuten,
die sich mit den unterschiedlichsten Anliegen, Hinweisen und Anregungen an uns wenden. Der Kollege
Winkler hat richtigerweise gesagt: Der Petitionsausschuss ist der Seismograph für das Parlament.
Auch die Zahl, die ich jetzt nenne, ist in der Debatte
bereits gefallen: Rund ein Viertel der Petitionen und Anregungen betrifft den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Auch wir als
Unionsfraktion erkennen insofern einen gewissen Handlungsdruck und eine Handlungsnotwendigkeit. Dieser
Handlungsnotwendigkeit kommen wir gern nach.
Rund 50 Prozent aller Petitionen konnte Rechnung
getragen werden, nicht nur durch die Bearbeitung oder
den Abschluss der Petition, sondern oftmals schon im
Vorfeld: durch einen wichtigen Fingerzeig, durch ein Telefonat, durch ein Gespräch mit dem Petenten. Das führt
zu dem hohen Ansehen des Petitionsausschusses in der
Öffentlichkeit.
Der Petitionsausschuss stellt sich meines Erachtens
ein besonderes Zeugnis der Arbeitsfähigkeit und Effektivität dadurch aus, dass er sich mit den Anliegen sachlich
auseinandersetzt, auf parteipolitisches Geklingele weitgehend - idealerweise praktisch vollständig - verzichtet,
reaktionsschnell agiert und sich durchaus auch vor Ort
ein Bild von den Umständen macht. So ist der Petitionsausschuss jedenfalls im Berichtsjahr 2007 mehrfach verfahren.
Wir haben dabei gute Ergebnisse erzielt. Ich will uns
allen einige aus meiner Sicht besonders wichtige Petitionen in Erinnerung rufen. Ich nenne die öffentliche Petition zum Thema Wahlcomputer und Einsatz derselben.
Wenngleich wir nicht jedes Bedenken der Petenten haben teilen können, so ist doch eines deutlich geworden:
Es gibt eine nicht unbegründete nennenswerte Skepsis
gegenüber dem Einsatz von Wahlcomputern.
Das haben wir zum Anlass genommen, die Fraktionen
des Bundestages und das Bundesinnenministerium darüber zu unterrichten. Ich glaube, das wird auf offene
Ohren stoßen. Auch wir haben bei der Beratung festgestellt, dass beim Einsatz von Wahlcomputern gerade die
Stofflichkeit, die beispielsweise einem papiernen Wahlzettel innewohnt, verloren zu gehen droht. Ich glaube,
das ist eine Entwicklung, die wir nicht ohne Weiteres
hinnehmen dürfen, zumal wir doch eine gewisse Distanzierung von der Teilnahme an Wahlen feststellen können.
({0})
Carsten Müller ({1})
Ein wichtiger Erfolg im Jahre 2007 war meines Erachtens auch die Erhöhung des Wehrsoldes um 2 Euro
pro Tag. Eine sehr umfangreiche und außergewöhnlich
abgewogene Petition, angestoßen von Wehrdienstleistenden, mündete im Ergebnis in eine Wehrsolderhöhung;
diese hatte es über viele Jahre zuvor nicht gegeben. Die
Petenten zeigten sich außergewöhnlich erfreut über das
Ergebnis, aber auch über die Art und Weise der Beratung.
Meine Damen und Herren, selbst wenn einigen Petitionen im Einzelfall der Erfolg versagt bleibt, so ziehen
wir doch alle in den Fraktionen wichtige Erkenntnisse
aus diesen. Ich möchte damit das unterstreichen, was die
Kollegin Lösekrug-Möller gesagt hat. Petitionen sind
eben ein wichtiger Leitfaden, ein wichtiger Fingerzeig
für unsere Arbeit in laufenden bzw. bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren.
Wenn wir uns die Vielzahl der Petitionen zum
BAföG-Recht in Erinnerung rufen, dann stellen wir fest,
dass nicht in allen Einzelfällen Abhilfe geschaffen bzw.
den Wünschen nachgekommen werden konnte. Aber wir
alle und insbesondere die CDU/CSU-Fraktion haben
daraus wichtige Hinweise für die in diesem Jahr beratene
BAföG-Novelle gezogen. Das ist meines Erachtens
ebenfalls ein wichtiges Ergebnis.
Der eine oder andere Kollege - ich schaue jetzt einmal
in die Richtung von Herrn Ackermann und der FDP - hat
sich ganz offensichtlich weniger mit dem Berichtszeitraum 2007 als vielmehr mit aktuellen Fragestellungen
beschäftigt. Das möchte ich nun auch gerne machen. Es
zeichnet sich nämlich ab, dass auch der nächste Bericht
erneut mit vielen interessanten Petitionen und hoffentlich positiven Abschlüssen gespickt sein wird.
Kollege Winkler hat richtigerweise eine für uns alle
seit vielen Monaten bedeutsame Petition hervorgehoben.
Es handelt sich um das Schicksal von Heimkindern. Hier
kann ich für die überwiegende Anzahl der Fraktionen
feststellen, dass man sich stets kompetent und mit großem Engagement mit dem Thema beschäftigt hat, dass
wir eine Vielzahl von Petenten gehört und uns mit Einzelschicksalen auseinandergesetzt haben. Ich teile Ihren
Optimismus, dass wir zu einer sehr guten Lösung auch
im Interesse der Petenten kommen werden.
({2})
Wir haben im kommenden Berichtsjahr auch darüber
zu beraten, wie wir uns bei der Besteuerung von Babywindeln verhalten wollen. Das ist ein Thema, das eben
schon angesprochen worden ist. Es handelt sich um einen wichtigen Einzelpunkt, aber dies ist, Frau Lazar,
mitnichten die einzige Ungereimtheit im System der
Mehrwertsteuer. Ich glaube, man griffe etwas zu kurz,
wenn man sich ausschließlich mit einem solchen Gesichtspunkt beschäftigte. Auch das hat, wie ich glaube,
der Kollege Ackermann schon gesagt. Wir sind der Meinung, dass wir uns sehr umfassend mit dem Thema auseinandersetzen sollten. Diesem wichtigen Einzelpunkt
werden wir also durch intensive Beratungen Rechnung
tragen.
Außerdem freue ich mich persönlich auf die Beratung
einer Petition, die ebenfalls noch auf dem Tisch liegt und
zum Teil auch öffentlich in der Presse behandelt wird,
nämlich die Frage, ob es vertretbar ist, dass die Deutsche
Bahn AG fahrfähige Lokomotiven verschrottet. Mein
Obmann, Herr Baumann, hat mich im Vorfeld der Diskussion noch einmal auf diesen wichtigen Punkt hingewiesen. Die Unionsfraktion befindet sich in einem interessanten Widerstreit. Es gibt durchaus konstruktive und
zugleich sehr gegensätzliche Diskussionen. Wir werden
auch diesen wichtigen Punkt beraten. Womöglich bietet
es sich an, nicht nur einen Blick in die Akten zu werfen,
sondern auch ins Gelände zu gehen. Dieses Thema treibt
viele Menschen in diesem Lande um. Insofern eignet
sich dieser Punkt gut dazu, darauf im nächsten Jahr noch
einmal einzugehen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({3})
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt
erteile ich das Wort dem Kollegen Andreas Steppuhn
von der SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Bevor ich auf einige Teilbereiche des Berichts
eingehe, ist es natürlich auch mir ein Anliegen, den Mitgliedern des Ausschusses, aber auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern recht herzlich zu danken. Dass das
alle getan haben, ist, wie ich denke, der Beweis dafür,
dass hier eine gute Arbeit geleistet wird.
Lassen Sie mich darüber hinaus feststellen - zumindest ist das meine Meinung nach fast drei Jahren
Mitgliedschaft im Petitionsausschuss -, dass der Petitionsausschuss einer der wichtigsten Ausschüsse des
Deutschen Bundestages ist - natürlich, Herr Staatssekretär Brandner, neben dem Ausschuss für Arbeit und
Soziales.
({0})
Ich habe auch deshalb sehr bewusst die gewissenhafte
Arbeit des Ausschusses gelobt, weil sich hinter den allermeisten Petitionen oft Einzelschicksale von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Familien verbergen, die
entweder selber ein wirklich ernstes Problem haben oder
für andere streiten. Oft ist der Petitionsausschuss des
Deutschen Bundestages der letzte Funke Hoffnung, den
die Petenten haben. Das zeigen auch die Zahlen des Jahresberichts sehr deutlich auf: Von über 16 000 eingegangenen Petitionen sind gerade einmal 271 von nicht natürlichen Personen, das heißt von Organisationen und
Verbänden eingereicht worden.
Angesichts der Gesamtmenge der Petitionen ist eine
gewissenhafte Arbeit aller beteiligten Personen von entscheidender Bedeutung. Ich bin der Auffassung, dass der
Petitionsausschuss dazu geeignet ist, auf die Sorgen,
Nöte und Bitten der Bürgerinnen und Bürger einzugehen. Dies macht ihn zu einem wichtigen Element, nicht
zuletzt auch um der weitverbreiteten Politikverdrossenheit in unserem Land entgegenzuwirken. Denn das wichtigste Merkmal einer Demokratie ist die Teilhabe der
Bürgerinnen und Bürger an der Politik. Daher glaube
ich, dass die Mitglieder des Petitionsausschusses als
Ganzes, als Bindeglied zwischen Politik und Gesellschaft einen ganz besonderen Auftrag haben.
Die Politik braucht auch die Menschen, um auf Ungerechtigkeiten und Missstände aufmerksam gemacht zu
werden. Oft stellt sich doch die Frage, ob unsere Gesetze
und Verordnungen gut gemacht worden sind. Werden sie
von den Menschen verstanden und akzeptiert? Ich
denke, wir alle hier im Hohen Haus brauchen genau
diese Rückkopplung für unsere tägliche Arbeit.
Als Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Soziales
erreichen mich im Petitionsausschuss häufig Themen,
die im Bereich der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik angesiedelt sind. Das ist in meinen Augen ein Zeichen dafür,
dass insbesondere die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
etwas ist, was die Menschen im Einzelfall berührt, und
es ist zugleich ein Zeichen dafür, dass die Politik bei der
Weiterentwicklung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
noch viel Arbeit vor sich hat.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen einen ganz konkreten Fall schildern, den wir mit dem Petitionsausschuss
im Rahmen eines Vor-Ort-Termins in einem Jobcenter
begleitet haben. Ein Unternehmer hatte offensichtlich
den größten Teil seiner Belegschaft beim örtlichen Jobcenter im Rahmen von mehrwöchigen Trainingsmaßnahmen akquiriert und darauf seinen wirtschaftlichen
Erfolg aufgebaut. Damit hat er ein gut gemeintes arbeitsmarktpolitisches Instrument genutzt, ohne je im Blick zu
haben, den Menschen, die im Rahmen dessen eingesetzt
worden sind, eine Perspektive bieten zu wollen.
Aufgrund der Eingabe einer bei ihm eingestellten
Mitarbeiterin hat sich der Petitionsausschuss mit diesem
Fall beschäftigt. In einem gemeinsamen Gespräch ist es
mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenters gelungen, den Fall aufzuarbeiten. Wir konnten im
Einzelfall zwar nicht mehr helfen, aber wir haben festgestellt, dass das Jobcenter daraus gelernt hat; dort erfolgen nur noch sehr kurzfristige und auf mehrere Tage
begrenzte Trainingsmaßnahmen. Auch das ist eine Weiterentwicklung unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Dort hat ein lernender Prozess stattgefunden, und von
daher war ich froh, dass wir diese Petition aufgegriffen
haben.
Meine Damen und Herren, dieser Fall zeigt mir allerdings auch, dass das Nachfragen auf der Grundlage eines
Einzelfalls dazu führt, dass darüber nachgedacht wird,
was richtig ist und was falsch war. Der Petitionsausschuss kann dafür sorgen, dass Probleme nicht nur erkannt, sondern auch thematisiert werden. Zugleich ist es
für uns eine Möglichkeit, zu erkunden, wie das von der
Politik in Gesetzestext Gegossene vor Ort in der Praxis
umgesetzt wird. Dies ist ein Beispiel, bei dem die Mitglieder des Petitionsausschusses ganz direkt tätig geworden sind.
Darüber hinaus gibt es andere Beispiele, in denen der
Ausschuss beispielsweise alleine mit der Anforderung
einer Stellungnahme von den einzelnen Behörden oder
Institutionen den Anstoß dafür gibt, dass Dinge, Vorgänge oder Entscheidungen überdacht oder auf ihre Korrektheit hin überprüft werden. Deshalb lassen Sie mich
ein weiteres Beispiel nennen.
Ein Petent, der lange Jahre in einem Gartenbaubetrieb
arbeitete und stets mit verschiedenen Pestiziden Kontakt
hatte, ist an Krebs erkrankt. Die Vermutung lag nahe,
dass seine Erkrankung durch den Umgang mit den Pestiziden hervorgerufen wurde. Seine Ärzte bestätigten seinen Verdacht. Die zuständige Berufsgenossenschaft
lehnte seine Ansprüche jedoch ab. Daher begehrte er die
Neuaufnahme des Verfahrens zur Anerkennung als Berufskrankheit. Nur ein Schreiben des Petitionsausschusses und des Bundesversicherungsamtes haben letztendlich dazu geführt, dass das Verfahren neu aufgerollt
wurde, da offensichtliche Ungereimtheiten entdeckt
wurden. Dem Wunsch des Petenten konnte entsprochen
werden. Ich finde, das ist eine tolle Leistung des Ausschusses und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Lassen Sie mich noch kurz auf das zahlenmäßige Verhältnis der Petitionen zwischen Ost und West eingehen.
Hier ist festzustellen, dass gut ein Viertel - um genau zu
sein: 25,37 Prozent - der eingegangenen Petitionen des
letzten Jahres aus Ostdeutschland stammen. Vergleicht
man dies mit der Anzahl der Einwohner in den alten und
neuen Ländern, kann man feststellen, dass nach wie vor
mengenmäßig deutlich mehr Petitionen aus Ostdeutschland als aus Westdeutschland kommen. Ich glaube,
hieran wird deutlich, dass gerade die ostdeutschen Bürgerinnen und Bürger nicht nur schreibfreudiger sind,
sondern auch ein größeres Maß an Problemen haben.
Seit einem Jahr kann man Petitionen auch über das
Internet einreichen. Ich denke, wir sollten die Menschen
daher nicht nur auf das Recht, eine Petition einzureichen,
sondern auch verstärkt auf diese Möglichkeit hinweisen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Sie daher alle
auffordern, Ihre Möglichkeiten zu nutzen, in Ihren Wahlkreisen die Arbeit des Petitionsausschusses bekannter zu
machen.
In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 42 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens
- Drucksache 16/9237 18512
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0})
- Drucksache 16/9794 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Lena Strothmann
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP sowie der Fraktion Die Linke vor.
Interfraktionell ist vereinbart, die Reden zu diesem
Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe,
Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Re-
den folgender Kolleginnen und Kollegen: Lena
Strothmann, CDU/CSU, Andrea Wicklein, SPD, Paul
Friedhoff, FDP, Sabine Zimmermann, Die Linke, und
Kerstin Andreae, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9794, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/9237 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungsantrag
der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9817? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der FDPFraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9818? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen abgelehnt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 43 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({1}) zu
dem Antrag der Fraktion DIE LINKE
Umstieg auf den öffentlichen Verkehr fördern
und Benzinpreisanstieg sozial abfedern
- Drucksachen 16/7524, 16/9155 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Lydia Westrich
1) Anlage 5
Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden. Es handelt sich um die Reden der Kollegen
Manfred Kolbe, CDU/CSU, Lydia Westrich, SPD,
Dr. Volker Wissing, FDP, Dr. Barbara Höll, Die Linke,
und Winfried Hermann, Bündnis 90/Die Grünen.2)
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Umstieg auf den öffentlichen Verkehr fördern
und Benzinpreisanstieg sozial abfedern“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9155, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 16/7524 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist bei Gegenstimmen
der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen
Fraktionen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 44 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union ({2})
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat
Europäische Agenturen - Mögliche Perspektiven
KOM({3}) 135 endg.; Ratsdok. 7972/08
- zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Löning, Michael Link ({4}), Florian
Toncar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Gerichtliche und parlamentarische Kontrolle von EU-Agenturen
- Drucksachen 16/8983 A.20, 16/8049, 16/9695 Berichterstattung:
Abgeordnete Veronika Bellmann
Michael Roth ({5})
Markus Löning
Dr. Diether Dehm
Rainder Steenblock
Interfraktionell wird vorgeschlagen, auch diese Reden
zu Protokoll zu nehmen. Es handelt sich um die Reden
der Kollegen Veronika Bellmann, CDU/CSU, Michael
Roth, SPD, Markus Löning, FDP, Alexander Ulrich, Die
Linke, und Rainder Steenblock, Bündnis 90/Die Grü-
nen.3)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union auf Drucksache 16/9695. Der
Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussemp-
fehlung, in Kenntnis der genannten Unterrichtung durch
die Bundesregierung eine Entschließung anzunehmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegen-
2) Anlage 6
3) Anlage 7
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
stimmen? - Enthaltungen? - Diese Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktio-
nen der FDP und Die Linke angenommen.
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt
der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion
der FDP auf Drucksache 16/8049. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen? - Enthaltun-
gen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der FDP-
Fraktion und Enthaltung der Fraktionen Die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 45 a und 45 b auf:
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian
Ströbele, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
des Verfahrens zur Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter
- Drucksache 16/9628 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({6})
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jerzy
Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian
Ströbele, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Entwurf zur Änderung der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages zur Verbesserung
des Verfahrens zur Wahl von Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichtern
- Drucksache 16/9629 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und
Geschäftsordnung ({7})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der
Fall.
Ich eröffne die Aussprache und teile mit, dass nur
zwei Redner das Wort zu nehmen wünschen: Hans-
Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, und
Wolfgang Nešković von der Fraktion Die Linke. Die
Kollegen Dr. Wolfgang Götzer, CDU/CSU-Fraktion,
Joachim Stünker, SPD-Fraktion, und Jörg van Essen,
FDP-Fraktion, wollen ihre Reden zu Protokoll geben.1)
Deswegen erteile ich nun das Wort dem Kollegen
Christian Ströbele.
1) Anlage 8
Danke, Herr Präsident. - Verehrte Kolleginnen und
Kollegen! Liebes Volk! Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich heute unter seinem letzten Tagesordnungspunkt vor der Sommerpause mit dem Bundesverfassungsgericht. Das Bundesverfassungsgericht ist das
Bundesorgan mit dem höchsten Ansehen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich meine, das Verfassungsgericht
hat das verdient, weil es sich mehrfach als Bastion zum
Schutz vor Angriffen auf unser aller Bürgerinnen- und
Bürgerrechte gezeigt hat.
({0})
Daran wollen wir nichts ändern. Wir Bundestagsabgeordnete können angesichts dieses hohen Ansehens, das
das Bundesverfassungsgericht genießt, häufig nur vor
Neid erblassen.
Wir meinen aber, dass bei der Wahl der Bundesverfassungsrichter trotzdem Änderungsbedarf besteht. Da ist
einiges nicht in Ordnung und vor allen Dingen nicht mit
dem Grundgesetz zu vereinbaren. Im Grundgesetz steht:
Die Richter des Bundesverfassungsgerichts werden zur
Hälfte vom Deutschen Bundestag gewählt. Nun gehöre
ich seit inzwischen mehr als zwölf Jahren dem Deutschen Bundestag an. Ich habe aber noch nicht ein einziges Mal an der Wahl von Richtern des Bundesverfassungsgerichts teilgenommen. Ich war nicht einmal
davon unterrichtet.
({1})
Ich habe immer der Zeitung entnommen, dass offenbar
eine Wahl ansteht und wer nachher gewählt worden ist.
Manchmal habe ich auch etwas über Kandidaten gelesen. Beteiligt war ich an der Wahl aber nicht. Ich finde
das nicht in Ordnung. Das muss in Ordnung gebracht
werden.
({2})
Man hört und liest, dass das Verfahren sehr intransparent
sein soll. Diese Wahl wurde delegiert an ein Gremium
von Leuten, die der Bundestag wählt. Die Auswahl der
Kandidaten soll - und das ist ja das Entscheidende -, so
habe ich gelesen und gehört, bei ein oder zwei Personen
der großen Fraktionen liegen, die nach dem Motto „Dieses Mal seid ihr dran, nächstes Mal sind wir dran“ einen
Richter oder eine Richterin für das Bundesverfassungsgericht benennen, die dann mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Das ist so nicht in Ordnung. Das wollen
wir ändern. Wir, die kleinen Fraktionen, klagen unser
Recht, an der Wahl der Richterinnen und Richter des
Bundesverfassungsgerichts teilzunehmen, ein.
Wir möchten dieses Recht haben, weil wir wollen,
dass erstens das Auswahlverfahren transparenter wird
und dass zweitens dem Grundgesetz Genüge getan wird,
und drittens - das ist ein moderner Gesichtspunkt - finden wir es überhaupt nicht in Ordnung, dass die weibliche Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland in
den beiden Senaten des Bundesverfassungsgerichts nicht
angemessen repräsentiert, nicht angemessen vertreten
ist.
({3})
Es kann nicht sein, dass in einem Senat eine Frau und in
einem anderen Senat zwei Frauen sind. Insgesamt sind
in einem Senat acht Richter. Da müssen wir zu einer
Gleichstellung von Mann und Frau kommen. Das fordern wir auch in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft von diesem Platz aus immer wieder ein.
({4})
- Sehr gut, auch die SPD stimmt zu.
Deshalb schlagen wir ein transparentes Verfahren vor.
In Zukunft soll sich der Rechtsausschuss - das ist ein
sehr ehrenwerter Ausschuss des Deutschen Bundestages - immer dann, wenn eine Richterstelle frei wird,
weil eine Richterin oder ein Richter ausscheidet, mit den
möglichen Kandidaten beschäftigen. Er soll eine öffentliche Anhörung durchführen, in der sich die Kandidaten
vorstellen und in der die Mitglieder des Rechtsausschuss
die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen. Dann erstellt
der Rechtsausschuss auf dieser Grundlage Vorschläge,
die er dem Plenum des Deutschen Bundestages vorlegt.
Das Plenum des Deutschen Bundestages stimmt dann
geheim darüber ab, wie es bei Personalentscheidungen
immer der Fall ist. Eine Richterin oder ein Richter muss
dann mit Dreiviertelmehrheit - heute ist es eine Zweidrittelmehrheit - gewählt werden, damit auch die kleinen Fraktionen nicht einfach übergangen werden können, sondern in eine Konsensbildung einbezogen
werden. Wir halten das für richtig. Das würde dem Petitum des Grundgesetzes endlich Rechnung tragen.
Wir fügen hinzu, dass in Zukunft eine feste Regelung
bestehen soll, dass in jedem Senat mindestens drei Richter und drei Richterinnen vorhanden sein müssen. Das
heißt, in Zukunft muss auch da eine gewisse Quotierung
stattfinden. Bei den Juristen, zum Beispiel Richtern und
Staatsanwälten, in Deutschland ist der Frauenanteil - das
sieht man, wenn man in die Amts- und Landgerichte
geht - schon ganz hoch; zumindest auf den niedrigen
Ebenen sind sehr viele oder überwiegend Frauen vertreten. Das kann man in allen Gerichten feststellen. Wir
meinen: Die Frauen sind genauso fähig wie die Männer,
({5})
auch im Bundesverfassungsgericht Recht zu sprechen
und die Grundregeln unseres Grundgesetzes zu wahren.
({6})
Deshalb wollen wir auch in diesem Bereich eine Quotierung.
Über diese Vorschläge wollen wir diskutieren. Wir
wünschen uns, dass wir ein transparentes Verfahren bekommen. Das würde das Ansehen des Bundesverfassungsgerichtes noch mehr steigern und uns allen, auch
Ihnen, Gelegenheit geben, sich mit Meinungsäußerungen an der Diskussion über zukünftige Richterinnen und
Richter des Bundesverfassungsgerichts zu beteiligen.
Dazu gibt es ja auch immer parallel eine öffentliche Debatte. Wir hoffen deshalb auf eine wohlwollende Beratung unseres Gesetzentwurfes und Zustimmung auch
durch die großen Fraktionen.
Ich danke sehr und wünsche schöne Ferien.
({7})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die Verfassung der Bundesrepublik
Deutschland besteht aus ungefähr 21 400 Wörtern und
aus genau 146 Artikeln. Die vom Deutschen Bundestag
herausgegebene Textausgabe umfasst 86 Seiten. Dieses
schmale Bändchen enthält die Grundprinzipien der deutschen Gesellschaft. Zugleich enthält es diese Prinzipien
nicht. Dieses schmale Bändchen enthält die Errungenschaften der Demokratie, der bürgerlichen Freiheit und
der sozialen Sicherheit und enthält sie zugleich nicht.
Denn die Verfassung gewinnt ihren konkreten und verbindlichen Inhalt erst durch die Interpretation des Bundesverfassungsgerichts.
Seit seiner Gründung im Jahre 1951 hat dieses Gericht circa 6 900 Senatsentscheidungen getroffen, in denen es den Inhalt der Grundrechte ermittelte und präzisierte, neue Grundrechte fand, das Verhältnis der
Staatsgewalten und die rechtlichen Beziehungen von
Bund und Ländern regelte.
Die Entscheidungen des Gerichts, die von Verfassungsrang sind, füllen eine riesige Bibliothek, der Text
der Verfassung füllt nicht einmal 100 Seiten. Dieses unterschiedliche Verhältnis beim Papierbedarf beleuchtet
die große Macht des Gerichts. Es hat die Macht, über die
Grenzen der politischen Entscheidungsfreiheit zu befinden. Es hat die Macht, den Sozialstaat zu konkretisieren
und soziale Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Es hat die
Macht, Zweck, Inhalt und Grenzen des Privateigentums
zu bestimmen und dessen Sozialpflichtigkeit einzufordern. Es hat die Macht, einer hysterischen Sicherheitspolitik entgegenzutreten, um die Freiheit der Menschen zu
schützen. Es hat aber auch die Macht, bei allem das Gegenteil zu tun.
Das Gericht hat von seiner Macht seit dem Jahre 1951
zurückhaltend und gelegentlich auch weise Gebrauch
gemacht. Macht rechtfertigt sich aber nicht allein daraus,
dass sie auf Akzeptanz stößt. In einer repräsentativen
Demokratie gibt es nur eine Rechtfertigung der Macht:
die direkte oder abgeleitete durch die Wählerinnen und
Wähler. Die Legitimation der vom Bundestag zu benennenden Bundesverfassungsrichterinnen und -richter leitet
sich also aus den Bundestagswahlen ab. Die Bundestagswahlen lassen seit über 25 Jahren einen ungebrochenen
Trend erkennen. Dieser Trend besteht in einer zunehmenden Segmentierung der Parteienlandschaft.
Nach dem Willen der Wählerinnen und Wähler haben
weder CDU/CSU noch Sozialdemokraten allein noch
komfortable Mehrheiten. Nach dem Willen des Souveräns ist offenbar erst ein Fünfparteiensystem in der Lage,
die Wertvorstellungen dieser Gesellschaft angemessen
zu erfassen. Erst in der Gesamtheit dieser Parteien spiegelt sich das Wertespektrum unserer Gesellschaft im Wesentlichen wider. Eine ausreichende demokratische Legitimierung des Bundesverfassungsgerichts muss diese
Vielfalt zwingend berücksichtigen.
({0})
Diese Vielfalt muss sich auch bei der Besetzung des
Gerichts zeigen. Schließlich sprechen die Richterinnen
und Richter ihre Urteile im Namen des Volkes. Es zeugt
daher nicht von Vielfalt, sondern von politischer Einfalt,
wenn auf der Richterbank auch 18 Jahre nach der Wiedervereinigung kein Richter mit ostdeutscher Biografie
zu finden ist.
Zur nötigen Vielfalt gehört auch die Gleichheit der
Geschlechter. Die Bevölkerung besteht in etwa hälftig
aus Männern und Frauen. Daher ist nicht einzusehen,
warum sich diese Verteilung nicht auch auf der Richterbank fortsetzen sollte.
Sehr geehrte Damen und Herren, erst wenn sich die
Macht im Diskurs der soeben beschriebenen Vielfalt bewähren muss, ist sie legitimiert. Die Initiative der Grünen zielt auch auf die Herstellung dieser Vielfalt ab, die
es bisher nicht gibt. Deswegen bietet sie einen geeigneten Anstoß für weiterführende Diskussionen.
Vielen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/9628 und 16/9629 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist das
so beschlossen.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Dienstag, den 16. September 2008, 10 Uhr,
ein.
Ich wünsche Ihnen allen eine schöne Sommerpause
und gute Erholung.
Die Sitzung ist geschlossen.