Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/25/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne hiermit die Sitzung des heutigen Tages und rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Drucksache 16/9690 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Hierfür ist heute keine Aussprache vorgesehen. Daher kommen wir direkt zur Überweisung. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 16/9690 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: In Form - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht haben der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, und die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute die konkrete Ausgestaltung des Aktionsplans „In Form - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“, was sehr gut zu einem Großereignis, das zurzeit stattfindet, passt, beschlossen. Die Eckpunkte dieses Aktionsplans haben wir bekanntlich im Mai des letzten Jahres im Kabinett beraten und beschlossen. In der Zwischenzeit ist es gelungen - so etwas ist in der deutschen Geschichte noch nie gelungen -, mit allen Akteuren auf diesem Feld einen Aktionsplan zu vereinbaren, mit den Kommunen, den Bundesländern, den Sozialversicherungsträgern, den Senioreneinrichtungen, den Akteuren im Bereich des Sports und vielen anderen mehr. Das heißt, wir haben jetzt zum ersten Mal einen konkreten Aktionsplan, an dem sich alle Akteure beteiligen. Sie bilden ein Netzwerk. Ich finde, das ist ein großer Erfolg. Da hat sich viel bewegt. Über die Grundidee dieser Aktion wurde in den vergangenen Monaten in Deutschland viel diskutiert. Wir setzen auf Information, auf Anreize, auf Aufklärung und auf Eigenverantwortung. Wir kommen nicht mit der Keule des Gesetzes und der Paragrafen, weil wir fest davon überzeugt sind, dass eine Veränderung des Lebensstils nur im Miteinander möglich ist und nicht dadurch erreicht werden kann, dass der Staat gegenüber der Bevölkerung obrigkeitsstaatlich auftritt. Zwischen dem Haus meiner Kollegin Ulla Schmidt und meinem Haus herrschte diesbezüglich immer völlige Übereinstimmung. Ich verstehe manche Bewertung nicht; denn ich finde, es ist richtig, in Fragen des Lebensstils auf Freiheit und Eigenverantwortung zu setzen. Das ist natürlich nicht so verbindlich wie ein Gesetz. Würden wir aber ein Gesetz dazu verabschieden, würde es wieder heißen, dass wir die ganze Gesellschaft reglementieren. Wir sind dafür, auf Anreize und Informationen zu setzen. Das Gesundheitsministerium und mein Haus haben für dieses Projekt - mit Ihrer Zustimmung - in den nächsten drei Jahren jeweils 15 Millionen Euro zur Verfügung, um Impulse und Anreize zu setzen. Ich bitte, diese 15 Millionen Euro nicht als finale Summe zu betrachten. Alle Akteure, die auf diesem Gebiet aktiv sind, geben für diese Zwecke deutlich mehr Geld aus. Für mein Haus darf ich sagen: Wir finanzieren zum Beispiel ein dreijähriges Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen, bei dem es um die Verpflegung mit Schulmilch geht. Dieses Projekt verursacht knapp 10 Millionen Euro Ausgaben im Bundeshaushalt. Der Bereich des Sports, die Senioreneinrichtungen, die Krankenkassen und das Gesundheitsministerium stellen ebenso zusätzliche Mittel zur Verfügung. Redetext Der Plan ist auf einen langen Zeitraum ausgelegt; das muss man deutlich sehen. Um Verhaltensweisen und Verhältnisse zu ändern, braucht man langen Atem. Der Endpunkt ist 2020. Es handelt sich also um eine Agenda 2020. Das ist vielleicht schon der erste Schritt von dem, was der Bundespräsident von uns eingefordert hat. Wir werden bis zum Jahre 2020 alle Projekte, die wir planen oder die schon laufen, wissenschaftlich evaluieren. Natürlich werden wir auf dieser Wegstrecke auch die Nationale Verzehrsstudie neu in Auftrag geben, damit man die erste gesamtdeutsche Verzehrsstudie, die ja einige Jahre zurückliegt und jetzt ausgewertet ist, mit einer neuen Verzehrsstudie vergleichen kann. Dadurch können wir sehen, was sich im Laufe der Jahre verändert hat. Wenn man zu diesem Thema in den letzten Monaten unterwegs war, dann konnte man sehen, dass sich in dieser Hinsicht in Deutschland - in den Schulen, in den Kindergärten und in den Sozialeinrichtungen - schon eine ganze Menge bewegt hat. Deshalb bin ich froh, dass das Kabinett heute unserem gemeinsamen Vorschlag gefolgt ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wenn ich das richtig verstanden habe, beschränkt sich die Gesundheitsministerin darauf, Fragen mitzubeantworten. Jetzt gebe ich das Wort zur ersten Nachfrage an die Kollegin Ulrike Höfken. ({0})

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Mehr Bewegung würden wir uns vor allem bei diesem Aktionsplan wünschen. Denn die vielen Selbstverpflichtungen, Eckpunkte, Arbeitsgruppen und Fachgespräche bilden einen Maßnahmenkatalog, der nicht unbedingt geeignet ist, die ernsthaften Probleme, die wir haben, ausreichend zu lösen. Wenn 800 000 Kinder so schwer krank sind, dass sie adipös sind, dann müsste das ein Grund sein, konkret zu handeln, und zwar in Form von entsprechenden Maßnahmen und Gesetzen. Sie bieten nun an, eine Geschäftsstelle zu errichten. Meine ersten Fragen dazu lauten: Was soll sie tun, wie soll ihre Arbeit konkret aussehen? Wie soll die Koordination mit bestehenden Einrichtungen in Bund, Ländern und Kommunen erfolgen? Wie bewertet die Bundesregierung den Antrag des Landes NRW im Bundesrat? Das Land äußert darin die Erwartung, dass alle betroffenen Akteure einbezogen werden, eine Ausrichtung auf Risikogruppen erfolgt und eine Zieldokumentation vorgenommen wird, und zwar in enger Abstimmung mit den Ländern.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Darauf möchte ich antworten. Wir bewerten das positiv, weil es das bestätigt, was der Kollege Seehofer eben bereits gesagt hat. Erstens ist es im Verlauf der einjährigen Debatte gelungen, mit den Ländern und Kommunen einen gemeinsamen Aktionsplan aufzulegen. Zweitens sollte man die Aktionen und Aktivitäten nicht unterschätzen. Wenn wir feststellen, dass ein Großteil der Kinder übergewichtig ist - 800 000 sind krankhaft übergewichtig -, dann muss uns das Sorge machen. Experten bzw. Expertinnen sagen, dass es momentan pro Jahr 210 Neuerkrankungen von Diabetes II bei Kindern und Jugendlichen gibt. Das ist eine Krankheit, die normalerweise im Alter von 60 Jahren oder später auftritt, und nicht gerade eine Krankheit, die bei Jugendlichen vorkommt. Daher muss man handeln. Wir brauchen die Akteure vor Ort, die in die Lebenswelten gehen. Kein Programm der Bundesregierung, keine Plakate oder Zeitschriften werden etwas am Verhalten ändern können. Diejenigen, die vor Ort Verantwortung für die Gesundheit von Kindern, von Menschen, die in benachteiligten Stadtteilen leben, und von älteren Menschen in Senioreneinrichtungen übernehmen, brauchen von uns festgelegte Rahmenbedingungen. Vor Ort gibt es Akteure wie zum Beispiel den Deutschen Olympischen Sportbund mit seinen Sportvereinen, der sagt: Jawohl, wir sind bereit, wir brauchen eine Rahmenfinanzierung, wir brauchen Regeln, und wir müssen wissen, wie wir mit Schulen zusammenkommen, damit wir unsere Erkenntnisse einbringen können. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist. Im Übrigen baut das, was wir hier zusammenführen, auf dem auf, was Ihre ehemalige Verbraucherschutzministerin mit der Plattform Ernährung und Bewegung auf den Weg gebracht hat. Dort haben erstmals Akteure sehr lange zusammengesessen, um zu reden. Heute sind wir einen Schritt weiter. Denn wir versuchen das, was angeboten wird, zu vernetzen und dies mit dem gemeinsamen Aktionsplan für die Bundesrepublik zu verstetigen. Unterstützt wird die Bundesregierung durch die Landesregierungen und die Kommunen sowie die Zivilgesellschaft. Darin liegt der Mehrwert.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Eine Nachfrage? - Bitte.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wann genau und mit welchem Inhalt werden Sie dem Deutschen Bundestag das Präventionsgesetz vorlegen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Der Inhalt des Präventionsgesetzes, dessen Entwurf im Ressortkreis abgestimmt wurde, ist bekannt. Wir haben in den Koalitionsfraktionen noch keine Mehrheit für das Präventionsgesetz gefunden. Das hindert uns nicht daran, den Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Im Präventionsgesetz wäre genau festgehalten, dass alle Sozialversicherungsträger, nicht nur die gesetzlichen Krankenkassen, sich zusammenschließen, um Gelder für die Prävention in den Lebenswelten, etwa durch die Unterstützung von Aktionsprogrammen, zur Verfügung zu stellen. Dabei wird es sich um Angebote handeln, die wissenschaftlicher Überprüfung standhalten, die evaluiert und dann auch gemeinsam finanziert werden. Wichtig ist, dass sich die Krankenkassen, die viel Geld für Prävention ausgeben, nicht nur an diejenigen wenden, die sowieso bereit sind, etwas für sich zu tun, sondern sie müssen den Schwerpunkt verstärkt so setzen, dass sie einen großen Teil des Geldes für Präventionsangebote in den Lebenswelten zur Verfügung stellen. Dieses Vorhaben wollen wir auch mit unserem Aktionsplan forcieren.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Bleser das Wort.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister Seehofer, ich kann Ihnen und Frau Ministerin Schmidt nur dazu gratulieren, dass Sie diesen Aktionsplan heute Morgen im Kabinett beschlossen haben. Ich bin der Meinung, dass man hier nicht mit Gesetzen, sondern nur mit einer Bewusstseinsveränderung vorankommt. Diese dauert bei uns Menschen sehr lange, bei älteren noch länger als bei jüngeren. ({0}) Deswegen halte ich den Zeitplan für richtig gewählt. Ich will Sie noch einmal fragen, Herr Minister: Welche Maßnahmen sind mit dem Begriff „In Form“ verbunden? Wie wird evaluiert? Welche Kampagnen werden laufen? Insbesondere: Wird in allen Bereichen der Politik darauf geachtet, dass Ernährung und Bewegung angesprochen werden? Und wird das auch in den Medien und den Vereinen eine Rolle spielen? In unserem Land ist quasi eine kulturelle Veränderung angedacht. Ich glaube, das wird das Hauptziel sein. Darüber möchte ich gerne noch mehr erfahren, als bisher schon vorgetragen worden ist.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Vielleicht kann man sich die Antwort auf diese Fragen teilen, weil vieles den Bereich des Gesundheitswesens betrifft. - Man muss vor allem dorthin gehen, wo die Menschen sind. Dies gilt insbesondere für die sozialen Schichten, in denen das Problem besonders verbreitet ist. Man muss in die Kindergärten gehen, in die Schulen, in die Betriebe mit Betriebskantinen und in Senioreneinrichtungen. Angelaufen ist das mit der Verabschiedung der Eckpunkte im Mai des letzten Jahres, und viele Akteure haben ihrerseits Aktivitäten entwickelt. Denken Sie etwa an die Plattform Ernährung und Bewegung, bei der alle Aktionen in einer Institution gebündelt werden. Wir werden eine gemeinsame Geschäftsstelle zwischen unseren beiden Häusern einrichten, die dies weiter koordiniert. Wir werden künftige Projekte mit der Auflage ausschreiben, dass sie wissenschaftlich evaluiert werden, damit wir bei jedem Projekt wissen, welche Wirkung damit verbunden ist. Das Ganze wird von dem Gedanken getragen: Wir warten nicht darauf, dass die Menschen unsere Prospekte lesen, sondern wir gehen dorthin, wo wir Menschen antreffen und erreichen können. Das ist im Bereich des Gesundheitswesens besonders erfolgversprechend.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wir haben eine ganze Reihe von Projekten auf den Weg gebracht. Ich nenne nur einmal die Bewegungskampagne „Jeden Tag 3 000 Schritte extra“. Über 500 000 Menschen in Deutschland haben sich mittlerweile daran beteiligt. In diesem Rahmen haben sehr viele Aktionen stattgefunden. Wir sind mit dem, was bei diesen Veranstaltungen an Kilometern zurückgelegt wurde, sozusagen einmal um den Erdball gegangen. Zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund haben wir eine Aktivität ins Leben gerufen, die ich besonders schätze: Jedes Kind in jeder Schule soll jeden Tag mindestens eine Stunde lang eine Bewegungsanleitung bekommen. Inzwischen gibt es viele Ganztagsschulen. Natürlich ist es besser, wenn die Kinder in der Mittagspause nicht nur ihre Mahlzeit zu sich nehmen, sondern Bewegungsangebote wahrnehmen können, um sich zu bewegen. Wenn man die Schulen, in denen das angeboten wird, und die Schulen, in denen das nicht angeboten wird, miteinander vergleicht, stellt man fest: Die Kinder, die sich bewegen, lernen besser; denn Bewegung hält nicht nur den Körper fit, sondern auch den Geist. Kinder, die besser lernen, haben im Leben bessere Chancen. So kann man mit ganz einfachen Mitteln vielleicht auch etwas dagegen tun, dass Kinder aus sozial schwachen Familien oder aus Familien mit Migrationshintergrund heutzutage leider nicht die gleichen Gesundheitschancen wie Kinder aus anderen Familien haben. Es gibt verschiedene Projekte, zum Beispiel die gesunde Schulspeisung ({0}) für dieses Projekt ist der Kollege Seehofer zuständig oder „Fit im Betrieb“. Im Rahmen der Gesundheitsreform haben wir die Zusammenarbeit der Akteure im Betrieb zur Förderung der betrieblichen Prävention gestärkt. Denn Menschen, die Vollzeit beschäftigt sind, halten sich die meiste Zeit des Tages in ihrem Betrieb auf. Daher arbeiten wir mit den Unternehmen zusammen. Es werden unter anderem Programme in den Bereichen Kantine, Bewegung und Rückenschulung durchgeführt. Wir haben in der letzten Woche im Kabinett beschlossen, im Haushaltsgesetz zu regeln, dass jeder Arbeitgeber ab dem kommenden Jahr pro Jahr und Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerin bis zu 500 Euro in Präventionsmaßnahmen investieren kann und dass dieser Betrag nicht als geldwerter Vorteil behandelt werden, sondern steuerfrei bleiben soll. ({1}) Dadurch wollen wir auch kleinen Unternehmen die Möglichkeit geben, ihre Beschäftigten dabei zu unterstützen, etwas für sich zu tun, zum Beispiel indem sie Ernährungskurse oder ein Fitnessstudio besuchen. Außerdem gibt es das Kursprogramm „Fit for Kids“ und das Projekt „Ich geh’ zur U! Und Du?“. Entscheidend ist, dass wir in den kommenden Jahren gemeinsam mit den Ländern Kompetenzzentren für Bewegungsförderung aufbauen werden, die sich mit den Fragen beschäftigen: Was ist ein guter Bewegungs18120 ablauf? Welche Angebote wirken wirklich? Wie kann man auch älteren Menschen eine Anleitung geben, damit sie bis 100 fit bleiben, statt sie einfach nur aufzufordern, sich zu bewegen? Wenn ich solche Veranstaltungen für Ältere besuche, stelle ich manchmal fest, dass ein 50-jähriger Ungeübter zum Teil Schwierigkeiten hat, mit einem 85-jährigen Geübten mitzuhalten. Diese Projekte müssen wir fördern. Dabei dürfen wir kein Kind zurücklassen. Wir müssen alle Menschen dazu anhalten, etwas zu unternehmen, damit sie bis ins hohe Alter so fit und so selbstständig wie möglich bleiben. Die vielen Aktionsprogramme, die ich erwähnt habe, schließen den Kreis.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat die Kollegin Binder das Wort.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Meine Frage richtet sich ausdrücklich an Herrn Minister Seehofer. Herr Minister Seehofer, die Ergebnisse der nationalen Verzehrstudie haben deutlich gemacht, dass es sehr wichtig ist, zur Lösung dieser Probleme zielgruppenorientiert vorzugehen. Auch aus der KiKK-Studie zum Thema Kindergesundheit wissen wir, wie wichtig es ist, zielgerichtet auf bestimmte Personengruppen zuzugehen. Wo zeigt sich in Ihrem Aktionsplan im Hinblick auf sozial benachteiligte, einkommensschwache und eher bildungsferne Bevölkerungsgruppen ein solcher zielgruppenorientierter Ansatz? Wo setzen Sie an? Aus der nationalen Verzehrstudie wissen wir, dass genau dieser Personenkreis besonders stark von Übergewicht betroffen ist. Deshalb wäre eine gesunde Ernährung für diese Menschen besonders wichtig. Wie erreichen wir sie?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Zum Teil habe ich diese Frage schon beantwortet: indem wir uns bemühen, gemeinsam mit anderen Akteuren dorthin zu gehen, wo sich Kinder aufhalten, nämlich in die Schulen und in die Kindergärten. Jeder weiß aus seinem eigenen Leben: Das, was man dort mitbekommt, ist für das gesamte Leben prägender als das, was man - um mein Alter als Beispiel zu nehmen - als fast 60-Jähriger vielleicht noch an „Umerziehung“ erfährt. ({0}) Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Darüber hinaus gibt es Sonderprojekte, zum Beispiel das Projekt „Kinderleicht“, das in verschiedenen Regionen durchgeführt wird. In diesem Rahmen wird versucht, in sozialen Brennpunkten miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei spielen auch die Sozialverbände, die Gewerkschaften und die Sozialversicherungen eine Rolle. Es ist also sehr breit angelegt. Auch die Bedeutung der Sportvereine, die uns ausdrücklich breite Unterstützung zugesagt haben, darf man an dieser Stelle nicht unterschätzen; denn viele Jugendliche sind in Sportvereinen aktiv. Diese Maßnahmen sind viel besser, als wenn ein Minister oder ein Ministerialrat als Oberlehrer auftritt. Denn diese Maßnahmen kommen aus der Bevölkerung selbst. Daher werden sie ganz anders umgesetzt, als wenn wir versuchen würden, durch Paragrafen das Verhalten der Menschen hin zu mehr Bewegung zu ändern.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich hätte noch eine Nachfrage.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, auf meiner Liste stehen inzwischen ganz viele Kolleginnen und Kollegen; aber ich setze Sie gerne noch einmal drauf.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es bezieht sich aber genau auf das, was der Minister gesagt hat. Es ging mir nicht nur um die Kinder; dass die Kinder eine Zielgruppe sind, ist klar. Es ging mir um diejenigen, die wir mit diesen Informationskampagnen nicht erreichen.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Kollegin, das Gleiche machen wir in Seniorenheimen und Altentagesstätten. Wir gehen, um die Erwachsenen zu erreichen, auch in die Betriebe. So haben wir Standards für eine vernünftige Verpflegung in den Betriebskantinen entwickelt. Das alles ist auf wissenschaftlicher Grundlage geschehen und hat deshalb eine gewisse Zeit gebraucht. Übrigens erreichen wir in den Sportvereinen auch die Erwachsenen. Wir versuchen gemeinsam mit Sozialverbänden und Sozialversicherungen, die Menschen in den sozialen Brennpunkten zu erreichen. Das ist ein breiter Ansatz. Ich sage noch einmal: Ich habe beim Bereisen unseres Landes den Eindruck gewonnen, dass vonseiten der Bevölkerung sehr viel in Bewegung gekommen ist. Das ist der richtige Ansatz. Schauen Sie, Frau Kollegin: Wenn es an einem nicht fehlt in Deutschland, dann sind das Paragrafen. ({0}) Wir brauchen keine neuen Paragrafen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Nächste ist die Kollegin Waltraud Wolff.

Waltraud Wolff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003270, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Ich kann nahtlos daran anschließen. Wir alle wissen, dass es gut ist, wenn Kinder im Kindergarten ein gesundes Frühstück bekommen und wenn Schüler an der Schulspeisung teilnehmen. Aber wenn die Mutter oder der Vater zu Hause nicht weiß, wie gesunde Ernährung funktioniert, hilft das Kindergartenfrühstück oder die Schulspeisung den 800 000 krankhaft übergewichtigen Kindern wenig. Ich denke, wir brauchen, über die Beschäftigung mit dem Kantinenessen in den Betrieben hinaus, auch Programme, die sich gezielt an die Eltern richten. Daran würde sich meine Frage anschließen: Wie können wir es schaffen, die Eltern zum Waltraud Wolff ({0}) gesunden Kochen zu bewegen und für Bewegung zu gewinnen? Sind Sie mit mir ferner einer Meinung, wenn ich sage, dass es ganz wichtig ist, dass wir eine knappe, gut erkennbare Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland einführen, um den Familien helfen zu können, bewusst einzukaufen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Zum letzten Punkt wird der Kollege Seehofer noch etwas sagen. Ich sage nur: Ja. Wir sind einer Meinung. Es kommt allerdings darauf an, wie wir die Kennzeichnung gestalten und wie sie für die Menschen einfach lesbar wird. Ihre andere Frage war, wie wir die Eltern erreichen: über die Kindertagesstätten, über die Schule, indem man mit Eltern und Kind arbeitet. Es ist nicht so, dass es solche Projekte nicht gäbe. Aber in manchen Ländern gibt es viele, während es in anderen gar keine gibt. Wir wollen, dass solche Projekte in der ganzen Bundesrepublik vorhanden sind. Dabei wird versucht, die Eltern einzubeziehen und ihnen zu vermitteln, dass möglicherweise in der Familie insgesamt das Ernährungsverhalten oder das Bewegungsverhalten umgestellt werden muss. Eine Menge Kindertagesstätten bieten Kochkurse für Eltern oder für Eltern und Kinder gemeinsam an, in denen spielerisch aufgezeigt wird, wie man zum Beispiel Zucchini oder Paprika zubereitet bzw. dass man das überhaupt essen kann. Viele Dinge muss man den Kindern erst zeigen: Was ist welches Obst? Wie kann man es kleinschneiden? Wie kochen wir gemeinsam? Das alles sind Projekte, die gefördert werden. Wenn man das verbindet mit den Netzen, die wir haben - zum Beispiel mit dem Programm „Gesunde Kinder“ oder mit den frühen Hilfen, die es mittlerweile gibt -, dann ist das der beste Weg, um auch die Erwachsenen zu erreichen. Sie wissen, dass ich immer eine Unterstützerin der Vater-Mutter-Kind-Kuren gewesen bin. Durch solche Kuren haben gerade die Familien, in denen es besonders drängt, in denen die Belastung groß ist, die Chance, gemeinsam zu lernen, wie man sein Leben durch entsprechende Ernährung und Bewegung anders gestalten kann. Wenn eine Familie das in dieser Form erlebt hat, ist die Chance groß, dass später die Kinder die Eltern ermahnen oder dass, wenn die Eltern die Kinder ermahnen, die Kinder wissen, worum es den Eltern geht. Eine Reihe solcher Projekte wird heute bereits durchgeführt.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön, Herr Minister.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Es wurde zur Lebensmittelkennzeichnung gefragt. Die derzeitige Lebensmittelkennzeichnung ist wertlos, da sie im Grunde genommen keine vernünftige Information für die Bevölkerung beinhaltet. Sie ist allerdings europaweit vorgeschrieben. Gemeinsam mit der deutschen Lebensmittelwirtschaft haben wir deshalb erreicht, dass die Lebensmittelkennzeichnung in Deutschland verbessert wird. Erfreulicherweise wenden viele Betriebe die neue Kennzeichnung bereits heute an, indem sie den prozentualen Anteil der wichtigsten Nährwerte in Bezug zu einer vernünftigen Tagesration angeben. Es bleibt noch die Frage, ob diese Information farblich unterlegt wird. Um das hier zum hundertsten Mal klarzustellen: Ich bin gegen Farbkleckse als alleinige Information, also gegen einen roten, grünen oder gelben Punkt. Man kann sich aber sehr wohl überlegen, ob man diese Sachinformation, also den prozentualen Anteil von Zucker, Salz und Fett, farblich unterlegt. Wie Sie wissen, besteht darüber innerhalb der Regierung keine Einigung. Es freut mich, dass die deutsche Lebensmittelwirtschaft damit beginnt, diese Angaben aus eigenem Antrieb farblich zu unterlegen, weil sie zunehmend erkennt, dass dies ein Marketingvorteil sein könnte. ({0}) Ich habe gestern von einem Mitarbeiter eine Packung mit Kinderkakao bekommen. Auf dieser sind die Prozente angegeben. Dies ist notwendig, weil nur die Prozente eine echte, objektive Information darstellen. Über 80 Prozent der Bevölkerung sagen übrigens, dass diese Angabe der Prozente eine echte Hilfe beim Einkauf ist. Die Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sie diese Information für die Bevölkerung durch eine farbliche Unterlegung durchaus noch verbessern können. ({1}) Wir denken hier nicht an Zwang. Das wäre rechtlich auch gar nicht möglich. Das geht nur auf europäischer Ebene. Ich möchte mich ausdrücklich bei der deutschen Lebensmittelwirtschaft bedanken, die diese Verantwortung im Zuge einer Selbstverpflichtung übernimmt. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem, was es bisher gab. Auch hier sieht man wieder - das gilt für unseren ganzen Aktionsplan -: Es bringt mehr, auf die Motivation der Menschen und der Wirtschaft zu setzen, als Paragrafenreiterei zu betreiben. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Minister! Frau Ministerin! Wir sind uns ja darin einig, dass Paragrafenreiterei nichts bringt. Sie hatten mich vorhin aber direkt angesprochen, weil in der Tagespresse steht, dass ich enttäuscht bin. Ich denke einmal, dass ich dafür allen Grund habe. Sie hatten einmal angekündigt, dass Sie den Mehrwertsteuersatz auf die Schulspeisung reduzieren wollen. Wir haben Ihnen damals schon gesagt, dass Sie sich darüber erst einmal mit Ihrem Finanzminister unterhalten sollten. Wir stellen heute fest, dass nach Ihrem Programm keine entsprechende Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes erfolgt. Das ist aus meiner Sicht ein ernstzunehmender Widerspruch zum Beispiel zu Ihrem Verhalten hinsichtlich des Mehrwertsteuersatzes auf die Verköstigung von Studenten in Mensen. Dieser wurde nämlich reduziert. Sie hatten ferner angekündigt, Sie wollten das Fach Ernährungslehre bzw. Hauswirtschaftslehre ganzheitlich als eigenständiges Unterrichtsfach in den Schulplänen verankern. Das haben Sie zum Beispiel den Landfrauen zugesichert. Auch hier kommt im Grunde genommen nichts. Vor kurzem haben Sie noch gesagt, dass die farbliche Kennzeichnung durch eine Ampel eine Verbraucherverdummung darstellt. Jetzt stelle ich fest, dass Sie sich im Grunde genommen auf Pünktchen zubewegen. In Ihrem Programm gehen Sie aber von einem ganzheitlichen Gesundheitsansatz und von einem ganzheitlichen Ansatz im Hinblick auf ausgewogene und die Leistung fördernde Ernährung aus. Ich hoffe, Sie sind wie ich der Meinung, dass das durch eine Pünktchendeklarierung nicht zu erreichen ist. Deswegen müssen Sie schon zur Kenntnis nehmen, dass wir von dem, was Sie hier auf den Weg bringen, nicht überzeugt sind. Nebenbei bemerkt: Indem Sie sich selbst 2020 als Endpunkt setzen, schaffen Sie eine abenteuerliche Perspektive. Man muss sich einmal vorstellen, wie viele Menschen mit Adipositas es danach im nächsten Jahrzehnt noch geben soll. Ich finde es unverantwortlich, wenn man eine solche Perspektive aufzeigt. Ich glaube, dass Sie hier einfach nicht genügend am Ball sind. Nehmen wir als Beispiel peb. Sie wissen, dass peb - die Plattform Ernährung und Bewegung - riesige Probleme hatte, die Programme, die sie sich ausgedacht und die sie ausgearbeitet hat, umzusetzen, weil das an Ihrem Haus gescheitert ist, da Sie im Grunde genommen nicht bereit waren, die Vorstellungen von peb umzusetzen. Es gab Finanzierungsprobleme, doch Ihr Haus hat in den letzten drei bis vier Jahren nichts unternommen, um dieses Problem vom Tisch zu bekommen. Insofern ist aus meiner Sicht festzustellen, dass das, was Sie auf den Weg bringen, enttäuschend ist. Es wird unseren Anforderungen an Sie als leistungsfähigen Minister - so sehen Sie sich selbst - nicht gerecht. ({0}) - Ich habe jede Menge Fragen. Sie haben sie schon verstanden. - Warum kommt dieses Problem nicht vom Tisch?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Herr Kollege Goldmann, ich habe Sie sehr gut verstanden und kann auch Ihre Enttäuschung verstehen. Auch ich war einige Jahre in der Opposition und war in dieser Situation immer wieder enttäuscht. Ich kann das absolut verstehen. ({0}) Sie wissen genau, dass wir für die Schulen und den Unterricht nicht unmittelbar zuständig sind, ({1}) aber trotzdem auf die Länder eingewirkt haben, mehr zu tun. Das ist auch der Fall. Ich darf von meinem Heimatbundesland ausgehen, in dem das von mir versprochene Modell mit den Landfrauen durchaus praktiziert wird. ({2}) Sie gehören einer liberalen, freiheitsliebenden Partei an. Insofern hoffe ich, dass wir darin übereinstimmen, dass wir dafür nicht wieder Stundentafeln, Stundenpläne und ministerielle Vorschriften brauchen, sondern auch unkonventionelle Wege gehen können, indem wir nicht akademische Vollpädagogen einstellen, sondern die Landfrauen mit der Ausbildung, die sie genossen haben, in die Schulen holen, um den jungen Leute dieses Wissen zu vermitteln. Wenn Sie erst dann zufrieden sind, wenn wir alles geregelt und reglementiert haben, ({3}) dann werden wir nie zusammenkommen. Wir haben aber gehandelt. Insofern haben wir absolut Wort gehalten. Bei den Nahrungsmitteln gilt der halbe Mehrwertsteuersatz, der auch bei der letzten Mehrwertsteuererhöhung nicht erhöht worden ist. ({4}) - Lieber Herr Westerwelle, weil Sie das in Ihren Redebeiträgen gelegentlich unterschlagen, wiederhole ich: Die Mehrwertsteuersätze für Nahrungsmittel sind nicht erhöht worden. ({5}) - Sie müssen nicht dankbar sein, sondern sollen es nur zur Kenntnis nehmen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wir führen jetzt eigentlich keine Debatte. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wir haben alles umgesetzt. Geben Sie konkret an, was Sie meinen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich habe schon angekündigt, dass es noch sehr viele Fragen gibt.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Der zuständige Staatssekretär, der gerade hinter mir sitzt, bestätigt das. Nennen Sie mir ein Projekt, das aus Ihrer Sicht nicht umgesetzt worden ist.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das muss man gegebenenfalls in einer Debatte zu diesem Thema austragen. Jetzt möchte ich allerdings gerne im Rahmen unserer Zeit noch einige Fragen zulassen, bevor wir dann zur Aktuellen Stunde kommen. Ich gebe zunächst der Kollegin Mortler das Wort.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Erstens. Auch ich begrüße diese Initiative. Zweitens ist es gut, wenn eher auf Eigenverantwortung denn auf Gängelung gesetzt wird. Drittens begrüße ich die Initiative auch deshalb, weil ich Landfrau und Bäuerin bin und das Ganze eine Dauerforderung von uns Landfrauen war und ist. Bisher galten wir als altmodisch. Jetzt sind wir offensichtlich unserer Zeit voraus. Es gibt bereits viele Initiativen vor Ort. Meine konkreten Fragen lauten: Wie werden diese Initiativen in den Aktionsplan eingebunden? Wie verläuft die Umsetzung vor Ort bei den Ländern bzw. bei den Kommunen? Denn die Zielsetzung ist zwar gut, aber Erfolg ist meines Erachtens nur dann garantiert, wenn Aktionen regelmäßig, flächendeckend und - wie eine Kollegin schon sagte - zielgruppenorientiert erfolgen. Danke schön.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Kollegin Mortler, erstens bestätige ich ausdrücklich, dass die Landfrauen zu den Berufsgruppen gehören, die uns auf diesem Sektor wegen ihrer herausragenden Ausbildung am meisten vermitteln können. Deshalb haben wir zum Beispiel im Süden der Republik sehr darauf gesetzt, amtlicherseits keine weiteren Planstellen zu schaffen, wenn es um Ernährung in den Schulen oder auch in den Kindergärten geht, sondern diejenigen zu befragen und in die Schulen zu holen, die dafür ausgebildet worden sind. Das funktioniert ganz hervorragend, übrigens auch in Sachsen-Anhalt, wie ich selbst gesehen habe. Es ist wunderbar; dort wird das auch mit den Kindern mit viel Spaß betrieben. Ich möchte das ausdrücklich unterstreichen. Ich bin auch deshalb morgen auf dem Deutschen Land-Frauentag in Stuttgart. Koordination und Vernetzung sind wichtig. Wir haben Netzwerke auf Landesebene und kommunaler Ebene vereinbart. Das war auch ein Anliegen der Bundesländer; denn es gibt in der Tat sehr vielschichtige und unterschiedliche Initiativen. Ein richtiger Durchbruch lässt sich nur erzielen, wenn man sich abstimmt und koordiniert. Deshalb werden wir nicht nur oben, in der Regierung, eine Koordinierungsstelle einrichten. Das setzt sich vielmehr nach unten fort, sodass die Vielzahl an Maßnahmen in Institutionen und Gremien ohne Bürokratie vernünftig vernetzt wird. Wir nennen das Netzwerke. ({0}) - Herr Goldmann, haben Sie eine Frage?

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Nein, Herr Goldmann ist nicht dran. Ich bin noch immer diejenige, die das Wort erteilt. Wie ich sehe, Frau Ministerin, wollen Sie nichts dazu sagen. Dann gebe ich der Kollegin Maisch als letzter Fragestellerin das Wort.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Minister, meine Frage bezieht sich auf das Thema Werbung für Kinderlebensmittel. Sie haben in Ihrem einleitenden Bericht dargelegt, dass Sie einen Kodex zum Thema Werbung erarbeiten wollen, die sich bewusst an Kinder und Jugendliche richtet. Können Sie uns sagen, welche Zielrichtung dieser Kodex verfolgen soll und welche Gruppen außer dem Deutschen Werberat beteiligt sein werden? Sind auch Verbraucherverbände und andere Initiativen daran beteiligt?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Die Beteiligung der Verbraucherverbände ist bei uns Standard. Bei den Inhalten geht es darum, auf freiwilliger Ebene darauf hinzuwirken, dass man gesunde Lebensmittel bewirbt und im Übrigen zurückhaltend ist. Wir haben bei objektiv gesundheitsschädlichen Genussmitteln wie Zigaretten viel erreicht. Wir müssen aber auch die Werbung für Dinge, die man im Allgemeinen bei nicht richtiger Dosierung als problematisch einstufen muss, gerade in Kinderkanälen und Kindersendungen zurückdrängen. Ich nenne bewusst kein Produkt; denn sonst ist wieder von Diskriminierung die Rede. Wir wollen aber zu Ergebnissen kommen. Nach meiner Erfahrung mit der Lebensmittelwirtschaft wird uns das auch gelingen. ({0}) - Nein, nicht erst 2019.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herzlichen Dank. - Damit beende ich die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zu dem Bericht der US-Luftwaffe über Sicherheitslücken bei den US-Atomwaffenlagern in Deutschland und Europa Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Dr. Guido Westerwelle für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Guido Westerwelle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002944, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Berichte über eine Studie der Luftwaffe der Vereinigten Staaten von Amerika, wonach es an der Sicherheit der in Europa stationierten nuklearen Waffen Zweifel gebe, weil diese Mängel aufwiesen, sind beunruhigend. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung alles tun wird, um die Zweifel auszuräumen. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die Unsicherheiten, über die im Rahmen der amerikanischen Streitkräfte berichtet wird, nicht als amerikanische, sondern als eigene Angelegenheit betrachtet. Das sind wir den Menschen, die in der Eifel wohnen, schuldig. Das ist zuerst einmal das Wichtigste, was dazu zu sagen ist. ({0}) Herr Kollege Geisen hat in dieser Richtung mehrfach Initiativen für die Eifel ergriffen und hat sich an die Bundesregierung gewandt. Die Fragen nach der Sicherheit, die seitens der Bundesregierung beantwortet wurden, sind nicht ausreichend geklärt. Die Zweifel finden neue Nahrung durch die Berichte der Luftwaffe der USA. Diese Berichte der Luftwaffe über die Atomwaffen, die in Deutschland und Europa gelagert werden, sind bestenfalls der Anlass für diese Debatte und nicht der Grund. Der Grund ist, dass diese Atomwaffen, die es in Deutschland immer noch gibt, Relikte aus der Zeit des Kalten Krieges sind, dass sie aus unserer Sicht nicht in Deutschland bleiben sollten ({1}) und dass wir sie, eingebettet und eingebunden in eine wirkliche Abrüstungsstrategie, aus Deutschland abziehen sollten. Das wäre der richtige Verhandlungsauftrag an die Bundesregierung in der NATO. ({2}) - In dieser Debatte geht es zunächst einmal um Deutschland. Aber, Herr Kollege, Sie weisen zu Recht auf Europa hin. Ich halte fest, dass sich der Außenminister in diese Richtung immer wieder direkt oder indirekt zu Wort gemeldet hat. Wir als freie demokratische Fraktion wollen dem Außenminister signalisieren, dass wir ihn ermuntern, sich in der Regierung bei dieser Frage durchzusetzen. ({3}) - Wir stützen ihn dabei - Sie haben völlig Recht -, wobei ich überrascht bin, dass das Stützen des Außenministers aus der SPD-Fraktion verlangt wird. ({4}) Meine Damen und Herren, wir nehmen zur Kenntnis, dass es in diesem Hohen Hause eine große Mehrheit der Fraktionen und der Abgeordneten gibt, die dieses Relikt aus dem Kalten Krieg ebenfalls nicht mehr in Europa, in Deutschland sehen wollen. Die Union sagt, sie wolle an dieser Stationierung festhalten. Hierbei verwundert mich vor allem die Begründung. Der Generalsekretär der Union wird mit folgenden Worten zitiert - wir haben dieses Zitat aus einer Pressekonferenz selbst sehen können -: Von einseitigen Schritten, glaube ich, sollte man Abstand nehmen. Abrüstung sollte insgesamt auf beiden Seiten stattfinden. - Welche Seiten meinen Sie, ({5}) wenn Sie von „beiden Seiten“ sprechen? Das ist das Denken der Konfrontation von NATO gegen Warschauer Pakt. Dass Sie in diesem Denken noch verhaftet sind, ist ein Fehler, dient nicht dem Frieden und erst recht nicht der Abrüstung. ({6}) Das Beste, was wir mit diesen Waffen noch machen können, ist, sie dafür zu nutzen, der Abrüstungspolitik wieder neue Glaubwürdigkeit zu verschaffen. ({7}) Deswegen wollen wir - dies haben wir bereits in der Vergangenheit mit mehreren Anträgen im Deutschen Bundestag unterstrichen -, dass jetzt die Gelegenheit wahrgenommen wird, damit in der NATO selbstverständlich darauf hingewirkt wird, dass diese Waffen abgezogen werden können, einerseits, weil Sie in den Berichten über die Unsicherheit definitiv neue Gründe dafür finden, andererseits aber auch, weil wir Abrüstungssignale geben sollten, und darum geht es. Die Zeit des Kalten Krieges ist vorbei. Wir brauchen diese Waffen in Deutschland nicht. Wir wollen sie nicht. Sie sollten abgezogen werden. Diese Waffen dienen nicht der Sicherheit, sondern sie vergrößern eher die Unsicherheit. Wenn wir Vorbild für Abrüstung in der Welt sein wollen, dann können wir hier mit bestem Beispiel vorangehen. Das ist eigentlich die gute Kontinuität deutscher Außenpolitik. Abrüstungsinitiativen aus Deutschland - das ist das Beste, was wir aus der Geschichte lernen können. ({8}) Wir befinden uns - damit möchte ich schließen - in einer unerfreulichen Phase, wo das Recht des Stärkeren in der Welt wieder mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Wir sollten dem mit klaren deutschen Abrüstungsinitiativen entgegentreten, ausdrücklich natürlich in Europa und in der NATO. Es ist besorgniserregend, dass nicht nur in Russland, sondern auch durch die scheidende Administration in den Vereinigten Staaten von Amerika die Abrüstung mehr und mehr infrage gestellt wird, dass Abrüstungs- und Kontrollverträge gekündigt und in Zweifel gezogen werden. Das ist die falsche Richtung. Es muss eine neue politische Richtung initiiert werden. Deswegen appellieren wir an die Bundesregierung, jetzt, wie übrigens auch führende amerikanische Politiker, auf Abrüstung zu setzen. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen von der Union: Seien Sie nicht die Letzten, die die Bush-Doktrin auf diesem Globus noch verteidigen. ({9}) - Ich glaube, das, was Sie da rufen, ist etwas unflätig.Herr McCain verabschiedet sich von diesem Weg, Herr Obama verabschiedet sich von diesem Weg, und es wäre sinnvoll, wenn Deutschland, das ein großes Interesse an Abrüstung und daran hat, dass keine neuen Aufrüstungsspiralen entstehen, jetzt vorangeht und auf einen Abzug dieser nuklearen Waffen setzt. In diese Richtung muss verhandelt werden. Wir wollen das, und ich hoffe auf große Zustimmung in diesem Hohen Hause. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Thomas Kossendey. ({0})

Thomas Kossendey (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001188

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Westerwelle, lassen Sie mich zunächst eingangs eines versichern: Der Bundesregierung liegt wie allen anderen NATO-Partnern daran, die größtmögliche Sicherheit der in Europa lagernden Nuklearsprengköpfe zu gewährleisten. Das, was wir diesem Bericht entnommen haben, und das, was wir im Bündnis in diesem Zusammenhang besprechen, zeigt uns, dass wir uns diesbezüglich keine Sorgen zu machen brauchen. Ich will darauf gleich zurückkommen. Lassen Sie mich zu der generellen Frage der Atomsprengköpfe einiges sagen. Einige von Ihnen erinnern sich noch an das Weißbuch, das die Bundesregierung 2006 beschlossen hat. ({0}) - Ich will Ihnen, Frau Kollegin Zapf, das gerne in Erinnerung rufen. - Dort steht: Für die überschaubare Zukunft wird eine glaubhafte Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses neben konventioneller weiterhin auch nuklearer Mittel bedürfen. Der grundlegende Zweck der nuklearen Streitkräfte der Bündnispartner ist politischer Art: Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang und jeglicher Art von Krieg. So heißt es im Weißbuch zur Zukunft der Bundeswehr und zur Zukunft der Bundeswehr im Bündnis. Aus unserer Sicht gibt es keinen Anlass, an dieser Aussage zu rütteln. ({1}) Daran ändert übrigens auch nichts der Bericht, den wir aus Amerika von dem Wissenschaftler Kristensen bekommen haben, der die Unsicherheit bei uns über das eingepflanzt hat, was in den Lagern in Deutschland vor sich geht. Auslöser für diesen Bericht war eigentlich ein Vorgang in den Vereinigten Staaten, wo die Luftwaffe gegen Sicherheitsbestimmungen im Umgang mit Nuklearwaffen verstoßen hat. Sie können davon ausgehen, dass die Sicherheit der Nuklearwaffenlager der NATO in Europa für die Allianz von höchster Bedeutung ist und in den entsprechenden Gremien fortlaufend erörtert wird. Ich will ergänzend hinzufügen: Vor drei Wochen sind die Verteidigungsminister in Brüssel zusammengekommen und haben dort den Bericht der Nuklearen Planungsgruppe entgegengenommen. In diesem Bericht wird - so geheim er auch sein mag - regelmäßig ein Aspekt darauf verwandt, wie sicher die Lager in Europa und somit auch in Deutschland sind. Unter amerikanischem Vorsitz und in Kenntnis dieses Berichts von Herrn Kristensen ist ausdrücklich festgehalten worden, dass die Lager, die sich in Deutschland befinden, sicher sind. Sie werden gut bewacht. Wir hatten gerade im Verteidigungsausschuss eine Diskussion darüber. Ich kann Ihnen sagen: Es ging auch darum, dass die Außengrenzen dieser Lager von der Bundeswehr bewacht werden - auch von Wehrpflichtigen, Frau Kollegin Hoff - und dass der innere Kreis von amerikanischen Fachleuten bewacht wird. Ich glaube, das ist auch richtig so. Allerdings - da will ich auf Herrn Westerwelle eingehen - ist die Debatte, die sich anhand der Pressespekulationen entzündet hat, letztendlich eine Gespensterdebatte, die sich darum dreht, wer möglichst schnell alle nuklearen Sprengköpfe aus Deutschland und Europa abziehen will. Wer das im Augenblick einseitig von Deutschland verlangt, der stellt in Wirklichkeit einen Kernbestand der Atlantischen Allianz infrage, und er will letztendlich die Beziehungen zwischen Nordamerika und Europa dauerhaft schwächen. ({2}) - Dass das bei Ihnen so ist, wundert mich nicht, ({3}) aber mich wundert, dass einige hier ihre Vergangenheit vergessen. ({4}) Die Allianz setzt seit jeher zum Schutz des Bündnisses auch auf die Wirkung der Abschreckung von Nuklearstreitkräften. Das steht im Einklang mit dem Völkerrecht und hat übrigens ganz wesentlich zur erfolgreichen Friedenssicherung durch das Nordatlantische Bündnis beigetragen. Das Nuklearpotenzial der NATO sorgt eben auch dafür, dass ein Angreifer im Ungewissen bleibt, wie Bündnispartner auf einen militärischen Angriff reagieren werden. ({5}) So wird verdeutlicht, dass ein Angriff jedweder Art keine vernünftige Option ist. Die Bundesregierung geht wie die NATO-Partner in Europa und die NATO-Partner insgesamt davon aus, dass das für eine glaubwürdige Abschreckung auf Dauer vielleicht nicht sein muss; ich aber sehe im Augenblick keine Perspektive, die in absehbarer Zeit eine Änderung dieser Strategie möglich macht. Wir werden durch diese nukleare Abschreckung nicht nur ein Mehr an Sicherheit haben, sondern wir werden auch - das ist ein zweiter Punkt - die Möglichkeit haben, das Mitspracherecht über den Einsatz von nuklearen Waffen innerhalb der NATO auszuüben. ({6}) Das hängt miteinander zusammen. Alle Verteidigungsminister in den Gremien der NATO haben dies zuletzt bei dem Treffen in Brüssel, von dem ich sprach, noch einmal bekräftigt. Auch in Zukunft muss die wirksame Abschreckungsfähigkeit aufrechterhalten werden. Deutschland gehört als Nichtnuklearmacht dazu und wird auch im Rahmen seiner vitalen Interessen die nukleare Teilhabe weiter verteidigen. Dazu gehören nicht nur die Bereitstellung von Trägern, zum Beispiel in Form von Flugzeugen, sondern auch das anhaltende Einverständnis zur Lagerung von Nuklearwaffen in Europa bzw. in Deutschland. Das Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung und unsere Anstrengungen zur weiteren Abrüstung, zur Stärkung der Rüstungskontrolle gehören untrennbar zusammen. Ich sage sehr deutlich: Wer nukleare Abschreckung im Augenblick für wichtig hält - wir tun das -, kann sich nicht von den Bemühungen freikaufen, Abrüstung und Rüstungskontrolle weiter voranzutreiben. Auf dem Gebiet der Abrüstung haben wir in den zurückliegenden Jahren Bedeutendes erreicht. Die Bundesregierung hat dies unterstrichen, indem sie unlängst in der Allianz gestaltend an einer weithin beachteten Abrüstungsinitiative - Herr Westerwelle, möglicherweise ist Ihnen das entgangen - mitgewirkt hat. Die Diskussion um Abrüstung muss auch in der Allianz - da bin ich sicher - fortgesetzt werden. Wir wollen den Nichtverbreitungsvertrag weiter stärken, damit das im Vertrag formulierte Ziel einer nuklearwaffenfreien Welt vorangebracht werden kann. Dazu müssen wir in einem ersten Schritt die Weiterverbreitung der auf der Welt existierenden Nuklearwaffen verhindern. Wer den Abrüstungsbericht gelesen hat - ich empfehle ihn der FDP-Fraktion zur Lektüre -, wird darin ausdrücklich die wesentlichen Verpflichtungen des Vertrages zur Abrüstung und zur Nichtverbreitung bestätigt finden. Die Bundesregierung bekennt sich weiterhin nach wie vor zur Schaffung einer Dynamik bei der nuklearen Abrüstung - auch mit dem Ziel einer vertraglichen Reduzierung aller Nuklearwaffen bis hin zur vollständigen Abschaffung auf allen Seiten. Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass die weltpolitischen Voraussetzungen für eine nuklearwaffenfreie und insgesamt massenvernichtungswaffenfreie Welt noch nicht gegeben sind und dass dieses Ziel auf absehbare Zeit nicht zu erreichen sein wird, auch nicht zum Beispiel durch einen Beschluss des Bundestages. Wir werden aber in unseren Anstrengungen nicht nachlassen, den Weg hin zu diesem Ziel kontinuierlich Schritt für Schritt weiterzugehen. Deswegen unterstützen wir alle Maßnahmen der Nuklearmächte zu einer Reduzierung des Nuklearwaffenpotenzials. Wir sind schon einen weiten Weg gegangen, nämlich - lassen Sie mich das hier deutlich sagen - im Zuge der Reduzierung des substrategischen Nuklearpotenzials der NATO in Europa um rund 85 Prozent seit 1991 bzw. um rund 95 Prozent seit den Spitzenzeiten des Kalten Krieges. Insofern kann man hier nicht einfach behaupten, wir hätten nichts getan. Parallel zur Absenkung des Potenzials sind auch die Bereitschaftsstufen aller Waffensysteme deutlich gesenkt worden. Während es früher um Minuten und Sekunden ging, ist die Einsatzbereitschaft heute eher in Wochen und Monaten zu messen. Die Bundesregierung steht in allen diesen Fragen in der Kontinuität ihrer Vorgängerin. Ende der 90er-Jahre gab es einmal einen Impetus, das anders zu machen; das hat sich dann wieder beruhigt. Nukleare Teilhabe, Mitsprache im Bündnis und Initiativen für Abrüstung gehören zusammen. Wer ein einseitiges Ende der nuklearen Teilhabe unseres Landes verlangt, der muss sich darüber im Klaren sein, dass wir damit auch das Recht auf Mitsprache beim Einsatz von Atomwaffen in der NATO aufgeben. Deutschland wäre dann nicht mehr in den beschlussfassenden Gremien der NATO repräsentiert. Das Thema „Nukleare Abschreckung, nukleare Teilhabe und Sicherheit im Umgang mit Nuklearwaffen“ - lassen Sie mich das abschließend sagen - eignet sich nicht für politische Schnellschüsse und für den tagespolitischen Kleinkrieg. ({7}) Wir sollten uns gemeinsam bemühen, auf dem Weg zur Abrüstung, der letztendlich zur Reduzierung aller Nuklearwaffen führen soll, konsequent Schritt für Schritt weiterzugehen. ({8}) Das scheint mir verlässlicher, sicherer und klüger zu sein. Herzlichen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Inge Höger hat jetzt das Wort für die Linke. ({0})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Warum ist erst eine Studie von US-Experten nötig, um das Thema Atomwaffenlager auf die politische Tagesordnung zu setzen? ({0}) - Aber aktuell nicht, und es ist schon lange nicht mehr über die Frage der Beendigung der atomaren Abschreckung gesprochen worden. ({1}) Warum versteckt sich die Regierung hinter dem Argument, man müsse Rücksicht auf Bündnispartner nehmen? Warum verstecken Sie sich hinter Konzepten der nuklearen Abschreckung? Ein Mehr an Sicherheit kann durch Atomwaffen nie und nimmer erreicht werden, ganz im Gegenteil. ({2}) In Büchel in der Eifel lagern immer noch 10 bis 20 Atomwaffen. Nach offiziellen Angaben sind diese nur unzulänglich gesichert. Es geht hier nicht um Zäune, es geht hier nicht um Beleuchtung und Sicherheitssysteme für ein Gartenhaus, es geht um die Bewachung der tödlichsten Waffen, die der Menschheit zur Verfügung stehen. Meine Damen und Herren Regierungsvertreter, bitte schauen Sie nicht weg bei dem, was in den US-Militärbasen passiert. Das gilt übrigens genauso für andere Rechtsverstöße und Gefahren, die von diesen Basen ausgehen. Ich nenne hier nur beispielhaft die Verschleppung und Entführung von Menschen in Geheimgefängnisse oder die Unterstützung des Irak-Krieges. Eines muss klar sein: Es gibt keine sicheren Atomwaffen, auch wenn alle bemängelten Sicherheitslücken in den Atomwaffenlagern geschlossen werden. Die reale Gefahr durch die Atomwaffen besteht neben ihrem Missbrauch mindestens gleichermaßen in ihrem Gebrauch. ({3}) Am nächsten Dienstag, dem 1. Juli, wird der Atomwaffensperrvertrag 40 Jahre alt. Sein Ziel war und ist es, die Ausbreitung dieser tödlichen Technologie zu unterbinden. Der Vertrag beinhaltet die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung für alle Staaten. In Art. 6 fordert er die vollständige Abrüstung. Es gibt kein Recht auf den Besitz für Atomwaffen, für niemanden. ({4}) Der Zeitraum, in dem die vollständige atomare Abrüstung stattfinden soll, ist im Atomwaffensperrvertrag leider nur vage formuliert. Doch 40 Jahre waren bei der Verfassung des Vertrages wohl nicht mit „naher Zukunft“ gemeint. Nach wie vor ist die Welt weit entfernt von der geforderten „vollständigen Abrüstung“. Nach SIPRI-Angaben gibt es weltweit 10 200 gefechtsbereite atomare Sprengköpfe. Zusätzlich modernisieren die Atommächte ihre Arsenale; sie entwickeln neue Waffen und Trägersysteme. Das gilt übrigens nicht nur für die USA und Russland, auch unsere europäischen Nachbarn Frankreich und Großbritannien entwickeln ihr atomares Potenzial weiter. Die Weiterentwicklung der nuklearen Bewaffnung ist vertragswidrig; sie muss sofort beendet werden. Proteste dagegen hat die Linke bisher von der Bundesregierung und auch von der FDP nicht gehört. Wie wollen Sie denn so gegenüber dem Iran eine glaubwürdige Position einnehmen? Der Streit um das iranische Atomprogramm lässt sich nur durch globale Abrüstungsanstrengungen und gegenseitige Sicherheitsgarantien lösen, nicht durch Sanktionen und nicht durch militärisches Säbelrasseln. ({5}) Wenn wir Abrüstung ernst meinen - ich hoffe, das tun hier alle -, dann gibt es noch viel zu tun, sowohl in der NATO als auch in der Europäischen Union und auch ganz direkt bei der Bundeswehr. Die US-Atomwaffen würden im Einsatzfall an die Tornados des Jagdbombengeschwaders 33 der Bundesluftwaffe angehängt. Sie würden dann von Bundeswehrsoldaten abgeworfen. Diese nukleare Teilhabe war und ist ein Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag. Er verbietet es, Atomwaffen Drittstaaten zu überlassen oder Atomwaffen anzunehmen. Beenden Sie diesen rechtswidrigen Zustand! Beenden Sie die nukleare Teilhabe! ({6}) Wenn nun vonseiten der SPD zu hören ist, dass sie die atomare Abrüstung auch zu ihrer Sache macht, dann ist das sehr begrüßenswert. Doch den Worten müssen auch Taten folgen. Die Linke erwartet von Ihnen nicht zuletzt konkrete Initiativen in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine weitere gute Gelegenheit, bei der Sie Ihren Einsatz gegen die Atomwaffen auch außerhalb des Bundestages zeigen können. Kommen Sie am 30. August zur Großdemonstration nach Büchel. Unterstützen Sie dort diejenigen, die schon seit vielen Jahren darauf aufmerksam machen, welche gefährliche Altlast hier liegt. ({7}) Ich hoffe, Sie möglichst zahlreich in der Eifel zu sehen. Die Linke wird diese Proteste in Büchel unterstützen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Rolf Mützenich für die SPD-Fraktion, der heute ebenso wie die Kollegin Marieluise Beck Geburtstag hat. Ihnen beiden herzlichen Glückwunsch! ({0})

Dr. Rolf Mützenich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003599, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Danke schön. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Danke für die Glückwünsche! Danke für die Debatte! Ich finde, wir sollten uns noch einmal rückversichern, um was es bei dieser Debatte geht und worauf Hans Kristensen von der Vereinigung der amerikanischen Wissenschaftler hingewiesen hat. Er hat auf einen Bericht der amerikanischen Luftwaffe hingewiesen, der Mängel in den europäischen Standorten feststellt, die über Nuklearwaffen verfügen. Es wird darüber berichtet, dass die Beleuchtung unzureichend ist, dass es Probleme bei der Umzäunung gibt und dass die Stabilität der Gebäude nicht gewährleistet ist. Ob es sich um Büchel handelt, wissen wir überhaupt nicht. Dennoch bin ich der Meinung, dass sich die Bundesregierung um diese Fragen kümmern muss, und ich glaube, das hat sie an dieser Stelle getan. Ich möchte die dort bestehenden Sicherheitsprobleme nicht unter den Teppich kehren, aber wir sollten sie gegenüber den Menschen nicht dramatisieren. Ich zitiere Kristensen, der vor Panikmache warnt und sagt: Das heißt ja nicht, dass diese Waffen sozusagen auf der Straße liegen und einfach gestohlen werden können. - Dennoch müssen wir diesen Dingen nachgehen, und insofern lohnt sich diese Debatte. Allerdings bin ich der Meinung - deswegen wunderte ich mich eben ein bisschen -, dass wir diese Waffensysteme schon einmal in Ramstein hatten. Dort sind sie abgezogen worden. Es haben sich nicht diese Fragen ergeben, die die Bundesregierung eben angedeutet hat. Ich persönlich würde es begrüßen, wenn auch die restlichen Waffen aus Büchel abgezogen würden. Das wäre auch das richtige Signal an dieser Stelle. ({0}) Ich meine nämlich, dass diese taktischen Atomwaffen heutzutage keinen strategischen Wert mehr haben und im Grunde genommen stellvertretend für die Vergangenheit sind. Das, was im Ost-West-Konflikt militärstrategisch möglicherweise richtig gewesen ist, kann es heute nicht mehr sein. Deshalb habe ich folgende Bitte an die Bundesregierung: Solange Sie - was Sie, Herr Parlamentarischer Staatssekretär, unterstellen - innerhalb der NATO noch über eine angemessene Militärstrategie mitsprechen können, sollten Sie das tun; schließlich wird das diesbezügliche Dokument nächstes Jahr vorgelegt. Das tut die Bundesregierung mit ihrer Expertise. Ich glaube, genau das ist der Punkt, auf den wir immer wieder aufmerksam machen müssen: Abrüstung und Weiterverbreitung sind zwei Seiten einer Medaille. ({1}) Wir können nicht auf der einen Seite über die Weiterverbreitung sprechen, wenn wir nicht auf der anderen Seite für Abrüstung einstehen. Das ist der entsprechende Punkt, und deshalb möchte ich darauf hinweisen: Wir können natürlich über die Deutschland betreffenden Fragen diskutieren; das ist diesem nationalen Parlament auch angemessen. Jedoch dürfen wir nicht verkennen, dass 200 Kilometer von Büchel entfernt in Belgien ähnliche Waffensysteme liegen; diese müssen wir in die Diskussion mit einbeziehen. Noch viel wichtiger sind die russischen taktischen Atomwaffen. Wenn es im Hinblick auf Russland nur um die mangelnde Beleuchtung ginge, würde ich besser schlafen. Das ist aber nicht der Punkt. In Russland liegen 2 000 taktische Atomwaffen, die möglicherweise in fremde Hände kommen. Deswegen fordere ich die Bundesregierung, aber auch die NATO-Partner auf, mit Russland über dieses Thema zu sprechen. Da setze ich auch auf eine neue Administration, also entweder auf Obama oder auf McCain, die diese Abrüstungsfrage zu Recht wieder auf die Tagesordnung gesetzt haben. Taktische Atomwaffen - ich glaube, das ist ein Problem, das wir in den 80er-Jahren eben nicht hatten - sind heute ein weltweites Phänomen. Man muss über Pakistan, man muss über Indien sprechen, und daher wäre es klug, auch über die Möglichkeiten der weltweiten Abrüstung und Rüstungskontrolle neu nachzudenken. Das bietet sich 2010 mit dem Atomwaffensperrvertrag an. Es ist klug gewesen, dass der Bundesaußenminister dieses Thema der Abrüstungs- und Rüstungskontrolle zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit gemacht hat, seitdem er dieses Amt ausübt. Er hat Vorschläge für die Internationalisierung des Brennstoffkreislaufs unterbreitet. Das könnte helfen, die iranische Atomkrise ein wenig auf einen anderen Pfad zu bringen. Er hat es auf dem Gipfel in Bukarest geschafft, Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder zu Bestandteilen der Philosophie innerhalb der NATO zu machen. Im Grunde genommen erinnert er dort an eine Diskussion der 60er- und 70er-Jahre, die sich aus dem Harmel-Bericht ergab. Man hat auf der einen Seite immer wieder über Sicherheit diskutiert und auf der anderen Seite über Abrüstung als Instrument für Kooperation. Ich kann Sie, die gesamte Bundesregierung, nur ermuntern, darüber auch weiterhin zu diskutieren. Für die einzelnen Ministerien würde sich das lohnen. Die Bundesregierung ist da insgesamt auf einem guten Weg. ({2}) Wir brauchen eine neue Abrüstungskultur. Wir, die Bundestagsabgeordneten, sind gemeinsam dieser Meinung, auch wenn es vielleicht die eine oder andere unterschiedliche Auffassung über den Weg gibt. Wir als Sozialdemokratische Partei stehen für diese gemeinsame Abrüstungskultur ein. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Winfried Nachtwei hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hat das Bundeskabinett die Antwort auf die Große Anfrage der Grünen zur nuklearen Abrüstung beschlossen. Üblich ist, dass man diese Antwort direkt zugestellt bekommt. Bis zur Minute haben wir sie nicht bekommen. Ich sage ausdrücklich: Dies ist ein parlamentsunfreundlicher Akt. ({0}) Der Untersuchungsbericht der US-Luftwaffe ist im Hinblick auf die Sicherheitsmängel, die festgestellt wurden, in der Tat beunruhigend. Dieser Untersuchungsbericht hat daran erinnert, was der Auslöser war: Sechs Atomsprengköpfe waren im vorigen August 36 Stunden lang außer Kontrolle; sie waren sozusagen Irrläufer. Außerdem wird in diesem Bericht der Blick auf etliche andere Vorfälle gerichtet, die es in diesem Zusammenhang gegeben hat. Diese Sicherheitsfrage betrifft nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Europäer und Deutschen. Wie bereits angesprochen worden ist, lagern in Büchel in der Eifel in der Nähe einer Rollbahn Atomwaffen. Über das Internet sind Informationen darüber mittlerweile leicht zu bekommen. Ich habe mit der Frage der Atomwaffen seit inzwischen 40 Jahren zu tun. Anfangs war dies der Fall, als ich Soldat in einer deutschen Atomwaffeneinheit war; die Pershing-Ia war damals auf unseren heutigen Verbündeten Polen gerichtet. Man kann durchaus sagen: Es ist fantastisch, was sich seitdem geändert hat. Unser Mechanismus im Kopf damals war die totale Verdrängung, nach dem Motto: Wenn es losgeht, ist sowieso alles aus. Ich muss sagen: Bei mir hat es erst ein paar Jahre später gefunkt; erst dann habe ich wahrgenommen, dass dieses Land mit Atomwaffenlagern und mit Atomwaffenträgern vollgestellt war. Da ist mir deutlich geworden, was für ein organisierter Wahnsinn das war. „Atomare Heimatverteidigung“ wurde vorbereitet und geplant. Eine andere Erfahrung, die ich gemacht habe, betraf die systematische Verdrängung, die sich hinter der Geheimhaltung versteckte. Ich selbst habe in einem Feuerwehrausschuss mitbekommen, dass die Atomwaffenlager - im Umfeld von Münster gab es zwei - in den Katastrophenplanungen einfach kein Thema waren. Ist diese Haltung überwunden? Ich habe da große Zweifel. Dass die großen Atomwaffenarsenale aus Westeuropa inzwischen zum größten Teil verschwunden sind, ist sehr erfreulich. Aber es hat sich einiges gehalten. Erstens: die gnadenlose Verdrängung. Ich habe wirklich den Eindruck: Mittlerweile wissen wir mehr über Atomwaffenlagerstätten in Russland - dort sind zum Teil Deutsche - als über Atomwaffenlagerstätten im eigenen Land. Es ist absurd. ({1}) Zweitens. Die Rechtfertigungen waren schon damals schwach und sehr problematisch; sie hatten - bei aller ethischen Fragwürdigkeit - aber immer noch eine gewisse Plausibilität. Heutzutage sind sie noch schwächer. Herr Staatssekretär, Sie haben hier von „glaubwürdiger Abschreckung“ geredet: Wen wollen Sie mit diesen taktischen Atomwaffen denn abschrecken? ({2}) Das ist wirklich Unsinn. Gott sei Dank haben Sie diesen Teil Ihrer Rede vorgelesen. Wenn Sie an dieser Stelle frei gesprochen hätten, dann hätten Sie das niemals so gesagt. ({3}) Stichwort „bündnispolitisch notwendig“: Seit 2005 ist das US-Atomwaffendepot Ramstein geräumt. Nach diesen Waffen kräht heute kein Hahn mehr. Man erinnere sich außerdem an die Signale aus der US-Administration, darauf könne schon längere Zeit verzichtet werden. Nicht einmal diese Signale werden aufgenommen. Ihre Haltung ist Unsinn. Ich erspare mir, einen deutlicheren Ausdruck zu verwenden. In Wirklichkeit schadet dieses Festhalten an der nuklearen Teilhabe - das ist heute besonders wichtig festzuhalten -, dem deutschen Eintreten für eine glaubwürdige Nichtverbreitungspolitik. ({4}) Unsere Erfahrung im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ ist, dass dieses Festhalten immer wieder einen Makel hinsichtlich eines glaubwürdigen Eintretens für die Nichtverbreitung darstellt. Hinzu kommen die ethische und die völkerrechtliche Ebene. Bundeswehrsoldaten dürfen selbstverständlich keine Waffen einsetzen, die unterschiedslos wirken und die vor allem Zivilsten treffen. Deshalb dürfen sie auch keine Antipersonenminen einsetzen. ({5}) In der Taschenkarte „Humanitäres Völkerrecht“, die vom Bundesverteidigungsministerium herausgegeben wird - Herr Staatssekretär, Sie haben uns vor wenigen Tagen die Ausgabe 2008 zugesandt; vorher gab es nur die Ausgabe 2006 -, sind die verbotenen Kampfmittel aufgeführt. Dort steht drin, dass der Einsatz von Atomwaffen für Bundeswehrsoldaten verboten ist. ({6}) Was heißt das im Klartext? Diesen Einsatz zu üben, ist rechtswidrig. Wer solche Übungen anordnet, handelt noch rechtswidriger. ({7}) Ich habe den Minister vor einer Woche aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen: null. Er wird von Journalisten gefragt: null. Dies ist ein Kopf-in-den-Sand-Stecken vor eminent wichtigen rechtlichen Fragen. Im Rahmen der Inneren Führung verlangen wir von den Soldaten, dass sie sich rechtmäßig verhalten. So liederlich wie Sie mit dem Recht umzugehen, schadet der Inneren Führung. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssten zum Schluss kommen.

Winfried Nachtwei (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002743, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich komme dann zum Schluss. Es ist schon mehrfach gesagt worden: Die taktischen Atomwaffen sind ein Relikt des Kalten Krieges. Im Bereich der Chemiewaffen machen wir die Erfahrung, dass es dort erfolgversprechend weitergeht. Die Bundesrepublik unterstützt wirksam Chemiewaffenvernichtungsanlagen in Russland wie sonst kein anderer. Dies ist ein wirklich gutes Beispiel dafür, wie man bei den taktischen Atomwaffen weitermachen kann. Das wäre ein wichtiger Schritt zur weiteren nuklearen Abrüstung, um von uns aus wieder etwas mehr Schwung in die nukleare Nichtverbreitung hineinzubringen. Wer dieser Position auf der Veranstaltung in Büchel am 30. August Rückhalt geben will, der sollte das tun. Das kann - nicht alle können physisch anwesend sein, aber möglichst viele - in der einen oder anderen Form geschehen. Danke schön. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Eckart von Klaeden das Wort für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Die Redner der geschätzten Opposition tun ja gerade so, als sei in Fragen der Abrüstungspolitik in den letzten Jahren, insbesondere seit dem Ende des Kalten Krieges, nichts geschehen. Ich will darauf hinweisen, dass wir in Deutschland und in Europa Abrüstungsschritte in einem erheblichen Umfang unternommen haben. Die Mitgliedstaaten der NATO haben seit Anfang der 90er-Jahre die Zahl der substrategischen Nuklearwaffen in Europa um mehr als 85 Prozent reduziert, gegenüber „Spitzenzeiten“ des Kalten Krieges sogar um 95 Prozent. Was im Hinblick auf Ramstein vorhin angeführt worden ist, ist ein Zeichen dafür, dass die NATO-Allianz das, was an Nuklearwaffen notwendig ist, auf ein Mindestmaß reduziert; das unterstützen wir ausdrücklich. Dies folgt dem strategischen Konzept, das die Mitglieder des Bündnisses im Konsens beschlossen haben und zu dem sich auch die Bundesregierung im Weißbuch bekannt hat. Ich hatte deswegen vom Kollegen Mützenich auch ein Bekenntnis zu dem Dreiklang unserer Sicherheitspolitik, unserer Nuklearpolitik erwartet: zum Ersten Abrüstung und Rüstungskontrolle, zum Zweiten Raketenabwehr - diesem Teil hat der Außenminister beim NATO-Gipfel zugestimmt - und zum Dritten die nukleare Teilhabe, die als ein nicht mehr so wichtiges, aber dennoch notwendiges Element unserer Sicherheitspolitik im Weißbuch bezeichnet wird. Es nützt der Glaubwürdigkeit des Außenministers und auch unseren gemeinsamen Abrüstungsinitiativen wenig, wenn im Bündnis der Eindruck entsteht, als habe der Außenminister in seiner Fraktion nicht die notwendige Unterstützung für eine Politik, für die er im Bündnis eintritt. Dass die Lagerung von Nuklearwaffen in Europa, mögen es auch noch so wenige sein, höchsten Sicherheitsstandards genügen muss, ist, so glaube ich, eine Selbstverständlichkeit. Denn wir müssen damit rechnen, dass auch Terroristen in Europa versuchen könnten, in den Besitz von Nuklearwaffen zu kommen oder Anschläge gegen deren Lagerstätten zu verüben. Aber die eigentliche Frage ist doch - eine Antwort darauf habe ich nun wiederum bei der FDP vermisst -, ob man unter veränderten Umständen nach wie vor der Ansicht ist oder nicht mehr der Ansicht ist, dass wir am Grundsatz der nuklearen Teilhabe festhalten sollten. Wer wie Sie, Herr Kollege Westerwelle, den Abzug unterschiedslos aller Nuklearwaffen aus Deutschland fordert, stellt auch die nukleare Teilhabe und die gültige NATOStrategie infrage. Das sollte man, wie ich finde, dann aber auch sagen. ({0}) - Von Ihnen wird dies konsequent vorgetragen. Aber wie gesagt, man muss dann die Frage beantworten, wie man zur gültigen Nuklearstrategie der NATO steht. ({1}) Ich bin der Ansicht, dass wir, auch wenn die Notwendigkeit der Abschreckung in den letzten Jahrzehnten nach dem Ende des Kalten Krieges erfreulicherweise abgenommen hat, zur Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger nach wie vor auf eine nukleare Abschreckungskomponente angewiesen sind. Der offenkundigen Nuklearisierung Indiens und Pakistans ist weltweit eine beschleunigte Proliferation der Nukleartechnologie gefolgt. Wir haben - darüber diskutieren wir in diesem Hause immer wieder - mit Nordkorea und dem Iran zwei Staaten, die im Hinblick auf die Nukleartechnologie vor dem Überschreiten der Schwelle stehen oder diese bereits überschritten haben. Der geografische Fokus der nuklearen Bedrohung hat sich für die NATO in Richtung Asien sowie Nah- und Mittelost verlagert. Vor diesem Hintergrund wurden bedeutende und von uns unterstützte Abrüstungsschritte möglich. Die Bedeutung der Nuklearwaffen hat sich in diesem neuen Sicherheitsumfeld geändert. Die Abhängigkeit der NATO von Nuklearwaffen hat sich erfreulicherweise weiter reduziert. Aber wir werden doch gerade vor dem Hintergrund dieser neuen Gefahren nicht darauf verzichten können, dem fundamentalen Zweck der Nuklearwaffen im Bündnis nachzukommen. Dieser ist ein eminent politischer, nämlich Frieden zu bewahren und Kriege zu verhindern sowie den politischen, strategischen, militärischen Erfolg - wie immer Sie es auch nennen wollen - von jemandem, der mit dem Einsatz von Nuklearwaffen rechnet oder sie in das Kalkül zieht, so weit zu minimieren, dass es dazu nicht kommt. ({2}) Wir hören doch von Ihrer Fraktion, der FDP, immer wieder die nachvollziehbaren und von mir auch gar nicht infrage gestellten Bekenntnisse zum Existenzrecht Israels einerseits und die ablehnende Äußerung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad andererseits. Jetzt zählen Sie doch einfach einmal die Fakten zusammen: das iranische Raketenprogramm, das iranische Nuklearprogramm und schließlich die ständigen Drohungen des iranischen Präsidenten gegen Israel. ({3}) - Ich erkläre es Ihnen, Herr Westerwelle. Vor diesem Hintergrund ist ja leider das Szenario nicht unwahrscheinlich, dass der Iran irgendwann Israel mit Nuklearwaffen bedrohen könnte. Wenn wir in einer ähnlichen Situation wie im ersten Irak-Krieg, als Saddam Hussein Raketen auf Israel geschossen hat, Abwehrraketen an Israel liefern würden und der Iran daraufhin erklären würde, wir würden zur Kriegspartei, dann müssten wir eine Antwort auf eine solche strategische Bedrohung haben. Auf solche, leider nicht völlig unwahrscheinliche Gefahren müssen wir uns dann einrichten ({4}) und in unsere Sicherheitskalkulation mit einbeziehen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Elke Hoff spricht jetzt für die FDP-Fraktion. ({0})

Elke Hoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003771, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Staatssekretär hat eben den Begriff „Gespensterdebatte“ benutzt. ({0}) Wir diskutieren hier über ein Thema, das wirklich der Ernsthaftigkeit bedarf. Es ist gut und wichtig, dass wir hier und heute diese Aktuelle Stunde durchführen. Diese Diskussion zeigt nämlich, dass es im Deutschen Bundestag für die These von Herrn von Klaeden keine Mehrheiten mehr gibt. ({1}) Lieber Rolf, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Ich finde, du hast die Haltung deiner Fraktion mit sehr klaren Worten dargestellt. Die Unionskollegen sollten einmal innehalten und sich fragen, ob das, was sie hier argumentativ vortragen, wirklich den politischen Willen des Deutschen Bundestages widerspiegelt. Ich bin sehr gespannt darauf. Herr von Klaeden, ich schätze Sie als außenpolitischen Fachmann wirklich sehr. Auch ich bedauere, dass der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung angesichts dieses Themas allein auftritt. Ich hätte mir gewünscht, dass auch ein Vertreter des Auswärtigen Amtes auf der Rednerliste gestanden hätte. ({2}) Die Dinge sind nämlich eng miteinander verzahnt, und das Problem bedarf einer Antwort aus beiden Bereichen. ({3}) - Die Dinge sind miteinander vernetzt; vielen Dank, Kollege Nachtwei. Keiner der Redner hat in irgendeiner Form die Frage beantworten können - Herr von Klaeden, auch Sie nicht -, wer mit der nuklearen Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland abgeschreckt werden soll. Ich halte es geradezu für einen Affront gegenüber unseren Freunden in Israel, eine solche argumentative Hilfskonstruktion aufzubauen, ({4}) obwohl die nukleare Teilhabe aus einer Zeit stammt, in der sich die Bedrohung aus der Blockkonfrontation ergab. Selbstverständlich müssen wir über die strategische Ausrichtung unserer Sicherheitspolitik reden und uns immer wieder neu ausrichten. Mit dieser Verknüpfung haben Sie sich nach meiner Meinung aber einen Bärendienst erwiesen. Das überzeugt niemanden. ({5}) Solange die Frage, wer heute abgeschreckt werden soll, nicht beantwortet werden kann, müssen wir, die verantwortlichen Politiker im Deutschen Bundestag, uns fragen, ob wir es unseren Bürgerinnen und Bürgern weiterhin zumuten können, dass sich Atomwaffen auf unserem Territorium befinden. ({6}) Wir müssen uns doch fragen, ob es nicht viel besser ist, an dieser Stelle über ernsthafte Abrüstungsinitiativen zu reden. Wir haben den Atomwaffensperrvertrag zwar gezeichnet, handeln zurzeit aber nicht vertragskonform. Es ist ja nicht so, dass auf NATO-Ebene keine Gesprächsbereitschaft vorhanden ist. Sowohl der NATO-Generalsekretär als auch Mitglieder der NATO, insbesondere die Vereinigten Staaten, haben gesagt: Es ist okay, wenn Deutschland das Thema auf die Tagesordnung setzen will. Wir können darüber diskutieren. Lieber Kollege Nachtwei, das war übrigens auch schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung der Fall. Wenn Deutschland seine Glaubwürdigkeit in Sachen Abrüstungspolitik bewahren will, wäre es doch ein Leichtes, dieses Thema auf die NATO-Tagesordnung zu setzen, um dann konstruktiv und mit Blick in die Zukunft darüber diskutieren zu können. ({7}) Das erwarten wir von der Bundesregierung. ({8}) Herr von Klaeden, Sie haben eben gesagt, wir würden Antworten schuldig bleiben. Ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie uns als Teil der Bundesregierung gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner eine Antwort hätten geben können. ({9}) Sie sind zurzeit in der Regierungsverantwortung und müssen uns deswegen zeigen, dass Ihre Gründe schlüssig sind. Noch einmal zurück zum Thema Sicherheit: Herr Staatssekretär, Sie haben eben behauptet, dass wir über dieses Thema im Ausschuss debattiert hätten. Wir haben es am Rande der Sitzung nur sehr kurz angesprochen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir mehr Zeit gehabt hätten, um über diese Dinge zu diskutieren. Ich wünsche mir, dass unserer Bevölkerung glaubhaft versichert wird, dass die Lagerung, die zurzeit noch stattfindet, sicher ist und die Bundesregierung alles in ihrer Macht Stehende dazu beiträgt, die Sicherheit zu gewährleisten. Ich wünsche mir aber auch, dass die Regierung gleichzeitig das klare Signal gibt - hier ist der Bundesaußenminister gefordert -, dass wir bereit sind, uns in Sachen Abrüstung international an die Spitze zu stellen, und zwar außerhalb der Sonntagsreden und Konferenzen, mit ganz konkreten Maßnahmen innerhalb der NATO. Ich wünsche mir, dass wir unsere Auffassung auf den Tisch legen. Ich sehe dafür eine Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag. Werden Sie sich untereinander einig. Ich denke, dann kann man über alles reden. Herzlichen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Uta Zapf spricht jetzt für die SPD-Fraktion.

Uta Zapf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002582, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe manchmal das Gefühl, dass wir an Gedächtnisschwund leiden. ({0}) Im Jahre 2005 gab es schon einmal einen FDP-Antrag; das wissen Sie selbstverständlich. ({1}) Über ihn ist damals nicht abgestimmt worden, weil die Legislaturperiode zu Ende war. Sie haben dann wiederum einen Antrag eingebracht. Am 25. Januar 2006 gab es einen Antrag der Linken. Über ihn haben wir hier und im Ausschuss mehrfach diskutiert. Am 7. März 2006 gab es einen Antrag der Grünen. Beide sind abgelehnt worden. Jetzt steht noch der Antrag von der FDP auf der Tagesordnung. Außer in dieser Aktuellen Stunde werden wir uns, denke ich, noch in einer anderen Plenardebatte damit auseinandersetzen müssen. Denn hier haben sich ganz viele dafür ausgesprochen, endlich einmal über die NATO-Strategie und über den Abzug der Atomwaffen aus Europa nachzudenken. In diesem Zusammenhang muss auch seriös über die Möglichkeiten der Abrüstung in der Welt insgesamt diskutiert werden. Im Übrigen hat diese Koalition am 8. November 2006 in einem Antrag formuliert, dass „neue Impulse zur Reduzierung substrategischer Nuklearwaffen in Europa seitens der NATO sinnvoll“ sind. Über Waffen im Zusammenhang mit der NATO diskutieren wir doch im Moment. Der Dreiklang, der hier genannt wurde, Herr von Klaeden, wirkt auf mich im Moment wie ein Missklang. Darüber muss im Rahmen einer neuen Diskussion über die NATO-Strategie gesprochen werden. Diese steht an und wird unter Umständen bis 2009 auf der Tagesordnung gewesen sein. Das Europäische Parlament hat in 2006 den Abzug gefordert. Das belgische Parlament hat ebenfalls in 2006 eine Resolution dazu beschlossen. Es gibt ein europäisches Land, das erfolgreich war in der Forderung, diese Waffen von seinem Territorium zu entfernen: Griechenland. Manchmal ist eine weitere historische Erinnerung ganz wichtig. Erinnern wir uns einmal daran, was die Bundesregierung 1989 gemacht hat. Sie hat von den Alliierten verlangt, die Kurzstreckenwaffen aus Europa abzuziehen. Wie wir wissen, war diese Forderung erfolglos. Liebe Freunde, wir haben - manchmal parteiübergreifend - im Deutschen Bundestag im Zusammenhang mit dem Nichtverbreitungsvertrag immer wieder dieselben Forderungen gemeinsam beschlossen. Auch die NATO hat bis zum Jahre 2000 unterstützt, was die Überprüfungskonferenz in dem Jahr gefordert hat. Sie hat die 13 Schritte, die zur totalen Abrüstung führen sollen, begrüßt. Einer dieser 13 Schritte ist, diese taktischen Atomwaffen von der Welt zu entfernen. Herr Mützenich hat recht: Natürlich wird das ohne Russland überhaupt nicht möglich sein. Aber dazu muss eben auch ein Impuls gegeben werden; dieser darf nicht einseitig sein. Es hat immer wieder Impulse in der Diskussion über die NATO-Doktrin gegeben. Ich erinnere daran, wie viel Prügel Außenminister Fischer eingesteckt hat, als er versucht hat, „no first use“ in der NATO durchzusetzen. Er hat es nicht geschafft. Auch Herr Struck hat die Themen Waffen und nukleare Teilhabe eingebracht. Auch er ist nicht gerade freundlich empfangen worden. Aber ich finde, wir haben angesichts der veränderten Lage eine große Verantwortung, unsere Strategien zu überdenken; offensichtlich steht Proliferation bzw. Nichtverbreitung im Moment im Vordergrund. Es kann doch nicht sein - so hat es sich hier jetzt angehört -, dass wir mit Atomwaffen gegen potenzielle Bedrohung durch Atomwaffen, Terroristen oder militärische Überlegenheiten angehen. Wir würden uns selber töten. Lassen Sie sich einmal von einem Wissenschaftler vorrechnen, welche Schäden für die gesamte Umwelt und Umgebung auch nur eine ganz unbedeutende Auseinandersetzung mit atomaren Waffen verursachen würde. Wir sind gut beraten, uns wieder mehr der Abrüstung zuzuwenden, um andere mitzunehmen oder davon abzuhalten, ihrerseits atomar aufzurüsten. Je länger wir auf der Abschreckung bestehen und je stärker sich unsere Strategien - wie die der Amerikaner - an präemptiven nuklearen Schlägen orientieren, desto reizvoller wird es für andere, wie Iran und Libyen - das haben wir gesehen -, sich diese Waffe auch zuzulegen, weil sie meinen, mit ihr besser geschützt zu sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist auch an unseren Koalitionspartner ein starker Appell. Ich kann in keiner Weise das unterschreiben, was hier mit großer Selbstgewissheit über die NATO gesagt worden ist. Wir sind gut beraten, wenn wir eine internationale, aber auch eine nationale Initiative für weitere Abrüstung und für eine Veränderung der NATO-Strategie starten. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Freiherr zu Guttenberg hat für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort.

Karl Theodor Guttenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003543, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Um mit einer sich anbahnenden Legendenbildung aufzuräumen: Wir alle, auch die CDU/CSU, teilen die Zielsetzung einer nuklearwaffenfreien Welt. ({0}) Nun schwappt einmal mehr eine friedensbewegte Welle durch unser Land. Herr Westerwelle, dabei schwappen Sie munter mit. ({1}) Das kann man auch mit guten Gründen tun. Ich teile nicht alle Argumente, die unser Geburtstagskind Mützenich vorgetragen hat, aber sie liefern eine gute und intellektuell saubere Begründung. Damit begibt man sich nicht auf das gleiche Niveau wie die Linkspartei. Das ist auch unter Ihrer Würde, Herr Westerwelle. Man kann das auch anders machen. ({2}) Man sollte auch nicht auf der Welle des Populismus reiten. Ansonsten ist man irgendwann ebenso ungesichert wie die Waffen in Büchel. Das ist die eigentliche Frage, der wir heute nachzugehen haben. Diese Sicherheitslücke ist tatsächlich mehr als bedauerlich. Sie muss abgestellt werden und wird wohl auch abgestellt. Vor diesem Hintergrund kann man auch über anderes sprechen. Aber die Frage ist, ob man diese Dinge in einer Weise miteinander vermengt, die dazu führt, dass die Frage des Wie, also wie wir zu dem gemeinsam geteilten Ziel einer nuklearfreien Welt kommen, im Grunde ad absurdum geführt wird. Gerade aber auf das Wie kommt es an. Dazu kann ich nur sagen: Die nukleare Teilhabe ist Mittel zum Zweck. Dieser Konnex ist in der Tat wichtig. Nukleare Teilhabe sichert Mitsprache. Diese Mitsprache geht jedoch dahin, dass wir uns irgendwann in einer nuklearfreien Welt bewegen können. Und ohne wird es nicht funktionieren. Es ist schon interessant, wie sich mancher profilbedachte Lautsprecher in diesen Tagen nicht mehr erinnert, wie er selbst in der Regierungsverantwortung gehandelt hat. ({3}) Ich habe es möglicherweise aus dem Gedächtnis verloren, dass in den sieben Jahren der Vorgängerregierung auch nur einer oder eine einmal die nukleare Teilhabe infrage gestellt hätte. ({4}) - Wer hat denn bitte die nukleare Teilhabe öffentlich infrage gestellt? Wer von den FDP-Außenministern hat jemals die nukleare Teilhabe öffentlich infrage gestellt? ({5}) - Das ist möglicherweise für alle etwas zu lange her, das kann schon sein. Herr Westerwelle, Sie sind dann wahrscheinlich der Erste, der im ersehnten, angestrebten Amte sofort, unverzüglich und mit entsprechender Verve darangehen wird, diese Ziele unter plötzlicher Entdeckung des Unilateralismus - leider an der NATO vorbei umzusetzen. Dazu kann ich nur sagen: Das ist pure Träumerei. Es ist ein unseriöser Ansatz, wenn wir uns mit dieser Frage so beschäftigen, wie Sie sich heute damit beschäftigen. ({6}) Es sind überhaupt jene, die sonst immer laut und zu Recht nach Multilateralismus rufen, die plötzlich den Unilateralismus neu für sich entdecken, weil in dieser Frage nichts erreicht werden kann, ohne die Strukturen der NATO zu nutzen. Es ist für uns schon eine wichtige Frage, ob man das Bündnis für diese gemeinsame Zielsetzung nutzen kann. Dann muss man aber auch ein Stück weit Bündnisverantwortung und Bündnissolidarität zeigen. Natürlich ist die Frage berechtigt: Nutzen uns die Waffen in Büchel noch etwas? Weitere Fragen wären: Wohin müssten sie verbracht werden? Was ist mit ihrem Bedrohungspotenzial? Aber mit der Art und Weise, wie Sie Ihre Forderung vortragen, werden Sie bei unseren amerikanischen Bündnispartnern nichts, aber auch gar nichts erreichen. In den USA wird diese Debatte zwar noch schüchtern und für uns alle viel zu leise geführt, aber sie wird geführt. ({7}) Wenn man aber so auftritt und solche Gründe anführt wie Sie, dann wird sich auch der neue Präsident der USA bei diesem Thema nicht bewegen. Es ist auch eine Frage des Stils, wie man hier vorgeht. ({8}) Glauben Sie denn, dass ein Abzug der Atomwaffen aus Deutschland allein unser Land sicherer machen würde? Wissen Sie, was passieren würde, wenn wir diese Waffen an einen anderen Ort, den wir eher als unsicherer erachten, verbringen würden? Ist das ein großartiger Erfolg? ({9}) Ist das ein Beitrag zu unserer Sicherheit? Ist das etwas, was unserer Zielsetzung entspricht? Ich glaube, nein. Das ist eher ein bemerkenswerter Beitrag zur immanenten Entsolidarisierung der NATO. Das ist ein „großartiger“ Beitrag, Herr Westerwelle, der ganz in der Tradition der Außenminister Ihrer Partei steht! In meinen Augen müssen wir das Thema Abrüstung angehen, indem wir die NATO und die Strukturen der NATO nutzen. Dort müssen wir unser Gewicht deutlich machen; wir müssen es uns aber auch bewahren. Die NATO ist der Ort, an dem über Abrüstung gesprochen werden muss. Unsere Zielsetzung ist eine atomwaffenfreie Welt. Dieses Ziel werden wir aber nicht erreichen, wenn wir in der Art und Weise vorgehen, wie Sie es getan haben. Vielen Dank. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute über die US-Atomwaffenlager, speziell über das im Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz. In einer US-Studie ist von gravierenden Sicherheitsmängeln bei der Lagerung von Atomwaffen die Rede. Das eigentliche Problem sind aber die Atomwaffen selbst und die werden in dieser Studie leider nicht erwähnt. Ich freue mich, dass alle drei Oppositionsfraktionen den Abzug der Atomwaffen fordern. Ich freue mich auch, dass sogar die rheinland-pfälzische Landesregierung ihren Abzug fordert. Mich ärgert aber der billige Populismus, ja die Verhöhnung der Menschen, die bei diesem Thema vor allem bei der SPD, aber auch bei der FDP Einzug gehalten haben. Wenn Herr Westerwelle und Herr Brüderle sagen, diese Waffen seien ein Überbleibsel aus dem Kalten Krieg, dann haben sie objektiv gesehen recht. In diesem Zusammenhang ist aber die Frage erlaubt: Wo waren Sie denn, als die Friedensbewegung diese Forderung bereits vor Jahrzehnten aufgestellt hat? Wo waren Sie damals? ({0}) - Der Kalte Krieg ist seit mittlerweile 18 Jahren vorbei, Herr Westerwelle; das wissen Sie genauso gut wie ich. Wo waren Sie in den letzten zehn Jahren? ({1}) In den letzten zehn Jahren haben Sie die Friedensinitiative in Büchel nicht ein einziges Mal unterstützt. Herr Brüderle war jahrelang stellvertretender Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Was hätte er in diesem Amt nicht alles für die Umsetzung dieser Forderung tun können! Nichts hat er in diesem Sinne getan. Er hat der Friedensbewegung immer die Auskünfte verweigert. ({2}) Es ist erwähnt worden, dass Rheinland-Pfalz jahrzehntelang der Flugzeugträger der NATO war; das ist richtig. Das ist eine Formulierung der Friedensbewegung. Politiker von CDU und FDP waren in diesem Bundesland jahrzehntelang in Regierungsverantwortung. Sie haben dieses Bundesland hochgerüstet und militaristisch geprägt. Auch Kurt Beck lässt heute keine Gelegenheit aus, in den USA für den Erhalt der USStandorte in Rheinland-Pfalz zu werben. Das macht seine jetzige Forderung nach Abzug der Atomwaffen schlicht und einfach unglaubwürdig. Ich fordere einen Verzicht auf die nukleare Teilhabe. Folgen Sie den Beispielen Kanadas und Griechenlands! Diese beiden Länder haben den Verzicht auf die nukleare Teilhabe beschlossen und werden seit diesem Beschluss allerdings nicht atomar erpresst, wie es uns die Herren von Guttenberg und von Klaeden von der CDU/CSU weismachen wollen. Vor zwei Jahren haben Sie alle, Kolleginnen und Kollegen, dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik zugestimmt. Zu diesem Zeitpunkt hätten Sie die Frage des Atomwaffenabzugs ansprechen können, hätten Sie die Frage der nuklearen Teilhabe ansprechen können. Sie haben zugestimmt, dass es Atomwaffen auf deutschem Boden gibt, weil Sie die Tornadopiloten für den Einsatz, für den Abwurf der Atomwaffen, ausbilden wollten. Deshalb glaubt Ihnen von der Friedensbewegung niemand, dass Sie ehrlich für den Abzug dieser Waffen eintreten. Einzig die Partei Die Linke und die Friedensbewegung sind glaubhaft in ihrer Forderung nach Verzicht auf Mitsprache bei der Verfügung über Atomwaffen, in ihrer Forderung nach dem Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland und in ihrer Forderung nach einer atomwaffenfreien Zone.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Ich komme zum Ende. - Herr Westerwelle, wenn Sie es wirklich ernst meinen, dann lassen Sie sich am 30. August in Büchel blicken, wo die Friedensinitiative Westpfalz gegen diese Waffen demonstrieren will. ({0}) - Auf mich brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen. Aber ich wäre erfreut, wenn Sie sich dort sehen lassen würden. Das wäre ein Stück Glaubwürdigkeit. Danke schön. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Rolf Kramer hat jetzt das Wort für die SPD.

Rolf Kramer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003570, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden über bis zu 20 Atomwaffen, die möglicherweise noch in Büchel gelagert sind. Ich stelle mir vor, wir hätten diese Diskussion in den 60er-Jahren, in den 70er-Jahren, in den 80er-Jahren geführt: Wir alle wären vor lauter Hurra an die Decke gesprungen, wir hätten es als riesengroßen Erfolg gefeiert, dass nur noch so wenige Atomwaffen dort gelagert werden. - Man muss man sich immer wieder klarmachen, worüber man redet. Wir haben in den fast 20 Jahren seit dem Ende des Kalten Krieges einen großen Weg zurückgelegt in Richtung weniger Atomwaffen, zumindest in Europa, in Deutschland. Wir alle sollten froh sein, dass ein Großteil der taktischen Atomwaffen nicht mehr in Europa gelagert wird. Wir sprechen heute über Sicherheitsmängel bei der Lagerung der Atomwaffen. Jenseits jeder Diskussion muss klar sein, dass Sicherheitsmängel abgestellt werden müssen. Herr Nachtwei hat darauf hingewiesen, dass er seinen Dienst als Soldat in einer Einheit versehen hat, die mit Atomwaffen ausgerüstet war. Ich selbst durfte in einer Fla-Rak-Einheit meinen Dienst ableisten. Wir haben geübt, die Städte im Umkreis von 100 bis 200 Kilometern mit Atomwaffen zu belegen. Einige wenige - ich gehörte dazu - haben damals darüber nachgedacht und gesagt: Es kann nicht der richtige Weg sein, das eigene Territorium mit Atomwaffen zu belegen, sprich: es zu zerstören. Vor dem Hintergrund dessen, dass der Kalte Krieg seit etwa 20 Jahren vorbei ist, müssen wir immer wieder darüber nachdenken, ob die Nuklearstrategie der NATO so, wie sie angelegt ist, noch sinnvoll ist. Wer in das NATO-Handbuch aus dem Jahr 1999 schaut, sieht, dass in diesem Bereich große Fortschritte zu verzeichnen sind. Ich glaube, es war Verteidigungsminister Volker Rühe, der nach dem Ende des Kalten Krieges ausgeführt hat, dass Deutschland „von Freunden umzingelt“ ist und dass wir natürlich unsere Strategie ändern müssen. Wir haben, obwohl uns der Feind abhandengekommen ist, noch immer Tornadoflugzeuge in Büchel, die üben, wie man Atomwaffen abwirft. ({0}) Die militärische Notwendigkeit, den Einsatz solcher Waffen zu üben, ist nicht mehr gegeben. Auch erschließt sich mir und den Mitgliedern meiner Fraktion die politische Sinnfälligkeit dessen nicht. Deshalb müssen wir unsere Strategie ändern. Wir sind für einen weiteren drastischen Abbau der vorhandenen Atomwaffen. Diese Diskussion - darauf ist hingewiesen worden - ist überhaupt nicht neu. Bei der Diskussion über das Weißbuch haben wir schon darüber gesprochen. Ein wichtiges Argument, das auch hier immer wieder gebracht wurde, ist, dass die Teilhabe an Planungsprozessen hinsichtlich der Atomwaffen davon abhängig ist, ob wir in Deutschland über Atomwaffenträger verfügen und mit ihnen üben. Mein Kollege Hans-Peter Bartels hat im Februar letzten Jahres eine Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, die in diese Richtung ging. Er fragte nämlich danach, wie viele Staaten der NATO Trägersysteme zur Verfügung stellen. Die Antwort lautete: Es sind acht. - Die nächste Frage war, wie viele Länder der NATO an den Planungsprozessen teilnehmen. Die Antwort war: Bis auf Frankreich alle. - Frankreich ist im NATO-Russland-Rat und nimmt vor diesem Hintergrund auch an den Planungen teil. Mir scheint das Argument, dass wir nur durch die Trägersysteme unser Gewicht in den NATO-Gremien einbringen können, also sehr schwach zu sein. ({1}) Andere NATO-Länder verfügen nicht über Trägersysteme und nehmen trotzdem an den Planungsprozessen teil. Man sollte die Diskussion vielleicht auch ein wenig gelassen führen; denn ab dem Jahre 2013 werden die Tornados ausgephast. Es gibt dann kein Nachfolgesystem; denn die Eurofighter, die eingeführt werden, sind dafür nicht gedacht. Es wird auch nicht mehr geübt werden. Dieses Problem löst sich also mit der Zeit. Uns wäre es aber lieb, wenn man dieses Problem ganz schnell lösen könnte. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Ernst-Reinhard Beck spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Ernst Reinhard Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003497, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gleich vorneweg: Sollten die Ergebnisse in der amerikanischen Studie tatsächlich richtig sein, dann müssten die dort aufgeführten Mängel von den Amerikanern umgehend und schnell beseitigt werden. Ich glaube, darüber sind wir uns völlig einig. ({0}) Es kann nicht sein, dass in Deutschland stationierte Nuklearwaffen nur unzulänglich gesichert sind. Es wäre in der Tat fatal und nicht erträglich, wenn davon aufgrund mangelhaften Schutzes keine Gefahr für irgendwelche Gegner, sondern für unsere eigene Bevölkerung ausginge. In diesem Bericht steht, dass die Anlagen durch Wehrpflichtige, die nur neun Monate lang ausgebildet wurden, gesichert seien. Wir haben eine Wehrpflicht von neun Monaten; das scheint den Verfassern bekannt zu sein. Ich möchte jetzt nicht über Qualität reden, aber ich möchte unsere Wehrpflichtigen in Schutz nehmen; denn nach ihrer Grundausbildung können sie in der Tat Wachdienst leisten. Den Verweis auf eine Wehrpflicht, die dafür vielleicht generell nicht geeignet ist, halte ich schlichtweg für eine Zumutung. Unsere Soldaten leisten hier einen guten Dienst, und sie sichern den äußeren Bereich ab. ({1}) Für den inneren Bereich sind die Amerikaner zuständig. Das ist so. Herr Kollege Kramer, ich gebe Ihnen recht, dass wir das in aller Ruhe diskutieren sollten. Ich kann Ihnen aber die Sicherheit nicht ganz geben. Auch nach 2013 halten wir Tornados vor, die nuklearwaffenfähig sind. Von daher läuft das 2013 nicht aus. Meine sehr geehrten Damen und Herren, es kann einfach nicht sein, dass wir aufgrund eines Mängelberichts den Abzug der Nuklearwaffen durch die Amerikaner fordern, weil die Waffen angeblich unsicher bei uns gelagert sind. Wenn wir zu dieser Forderung kommen und der Auffassung sind, dass wir auf amerikanische und sonstige Nuklearwaffen auf unserem Boden verzichten wollen, weil sich die Dinge geändert haben, dann kann dies doch nur das Ergebnis einer sicherheitspolitischen und einer NATO-strategischen Diskussion sein, an deren Ende wir sagen: Ja, das gesamte Szenario hat sich geändert. Deshalb brauchen wir weder die nukleare Teilhabe noch - im Bereich der Abschreckung - die taktischen Atomwaffen, die mit Flugzeugen transportiert werden. Diese Diskussion vermisse ich. Die Diskussion jetzt ist im Grunde sehr punktuell auf die Sicherheitsfragen statt auf das Grundsätzliche abgestellt. Ich meine trotzdem, feststellen zu müssen, dass die NATO-Strategie der Abschreckung nach wie vor Gültigkeit hat, liebe Frau Kollegin Hoff. Sie haben gefragt, wen wir eigentlich abschrecken. Abschreckung ist zunächst einmal ein abstrakter Begriff. Ich kann jemanden abschrecken, der direkt vor mir steht, aber ich kann auch gegenüber potenziellen Gefahren abschreckend wirken. Es gibt eine riesige Menge an Literatur über die Strategie der Abschreckung. Wenn Sie dieses Thema vereinfachen, wie es auch der Kollege Westerwelle getan hat - er hat sich darüber lustig gemacht und gesagt, dass wir noch im Ost-West-Konflikt seien und keine Ahnung hätten, was eigentlich passiert ist -, dann blenden Sie aus, welche tatsächlichen Gefährdungen bestehen. Sind die iranische Nuklearrüstung, die Atombombe von Nordkorea und der Reaktor in Syrien etwa nicht real? Richtig ist aber - ich glaube, das hat der Kollege Mützenich vorhin im richtigen Kontext getan -, dass wir über all diese Gefährdungen sprechen und sie in den richtigen Zusammenhang stellen müssen. Das gilt übrigens auch für die russischen Nuklearwaffen und Nuklearreaktoren, die noch ungesichert irgendwo im Eismeer liegen. Diese ganzen Bereiche müssen wir mit einbeziehen, statt uns punktuell auf Büchel zu konzentrieren. ({2}) Ernst-Reinhard Beck ({3}) Wir sind - um das ganz klar zu sagen - für Abrüstung. Wir sind für eine Politik der nuklearen Abrüstung und der Nichtverbreitung. Die Kollegin Zapf hat zu Recht gesagt, dies seien zwei Seiten derselben Medaille. Ziel muss aber nicht nur die weltweite Abschaffung der Nuklearwaffen, sondern die weltweite Ächtung und Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen sein. Dies müsste, glaube ich, das Fernziel sein. Wir sind leider noch nicht so weit. ({4}) - Richtig. Wir haben schon erste Schritte unternommen. Auch darauf ist bereits hingewiesen worden. 95 Prozent der Nuklearwaffen sind bereits aus Deutschland abgezogen worden, lieber Kollege Nachtwei. ({5}) Ich meine, der Abzug der US-Atomwaffen wäre zum jetzigen Zeitpunkt falsch. Denn im Kern geht es um die Mitsprache Deutschlands im Bündnis auf gleicher Augenhöhe. Deshalb können wir jetzt noch nicht darauf verzichten. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Gerd Höfer spricht jetzt für die SPDFraktion.

Gerd Höfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002679, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Aktuellste an der heutigen Debatte ist die Meldung in der Memminger Zeitung vom gestrigen Tage, die den Spiegel-Online-Bericht über Sicherheitsmängel bei der Lagerung von Atomwaffen aufgegriffen hat. Es war mir durchaus klar, dass sich daraus eine Aktuelle Stunde entwickeln kann, die nichts mehr mit der Sicherheit der Lagerung zu tun hat, sondern sich mit den politischen Dimensionen von Atomwaffen insgesamt beschäftigt. In meinem Wahlkreis gab es ein Atomwaffenlager. Es befand sich auf einer Wiese; es verfügte über Wachturm und Scheinwerfer. Das friedliche Bild wurde durch Schafherden ergänzt, die dort das Gras abgeweidet haben. Die Menschen in einer benachbarten Kleinstadt haben sich immer gewundert, warum dort nur 30 Amerikaner stationiert gewesen sind. Der äußere Ring wurde durch Deutsche bewacht; der innere sah ganz anders aus. Insofern kann mit Sicherheit bezweifelt werden, dass dort Sicherheitsrisiken bei der Lagerung bestanden haben. Es ist aber schon fast ein Pawlow’scher Reflex: Wenn von Atomwaffen die Rede ist, dann stehen für die Menschen zunächst die Dimension und der Schrecken der militärischen Möglichkeiten von Atomwaffen im Vordergrund. Es wird aber übersehen, dass die Atomwaffen - über die militärische Bedeutung hinaus - heute auch eine politische Stärke - in Anführungszeichen - bewirken. Das hängt damit zusammen, dass Staaten, die über Atomwaffen oder Trägerraketen verfügen - auch wenn es nur eine einzige ist -, in ihrem politischen Gewicht plötzlich anders beurteilt werden. Das wurde deutlich, als sich abzeichnete, dass der eine oder andere Staat - sei es Südafrika, Israel, Pakistan oder Indien - im internationalen Kontext und in der Frage, wie man mit diesen Staaten umgehen bzw. verhandeln soll, einen Bedeutungszuwachs erlebte. Das ist ebenso pervers wie die Drohung mit dem Einsatz von Atomwaffen. Als letzter Redner hat man es natürlich am schwersten. Dennoch wage ich eine Zusammenfassung: Es ist klar, dass kein Mitglied des Bundestages für Atomwaffen als Ultima Ratio eintritt, im Gegenteil. Wir streiten darüber, auf welchem Weg wir das, was bislang bei der Abrüstung erreicht wurde, fortführen können. Die spannende Frage ist, ob die nukleare Teilhabe, wie sie hier beschrieben wurde - ich will das nicht wiederholen -, einen Weg weist oder ob der Verzicht auf die nukleare Teilhabe in der Bundesrepublik Deutschland den Weg, den wir gemeinsamen gehen wollen, verstärkt oder schwächt. Das ist nicht nur eine akademische Frage, sondern eine Frage der Chemie. Wir haben viel erlebt und hatten große Hoffnungen. Als die Administration Clinton kam, herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung im Deutschen Bundestag. Viele waren der Meinung, dass sich die amerikanische Außenpolitik ändern wird. Tatsächlich hat sie sich nicht so viel geändert. Nur der Ton wurde angenehmer. Ich wage vorauszusagen: Egal wie die kommende Wahl in den USA ausgeht, an bestimmten Dingen wird sich nichts ändern. Daher schlussfolgere ich, dass man über die Mitgliedschaft in der NATO und die nukleare Teilhabe versuchen sollte, die Dinge auf einen Weg zu bringen, den die NATO-Partner gemeinsamen gehen können. ({0}) Viele verkennen: Die zur Verfügung stehenden Trägerflugzeuge stehen unter NATO-Kommando und nicht unter dem Kommando des Inspekteurs der Luftwaffe. Das erleichtert zwar die ganze Sache nicht, hindert uns aber in keiner Weise daran, den Verhandlungsweg zu beschreiten. Wir brauchen ein wirksameres Kontrollregime als bislang. Denn wie ist es möglich, dass unter Beobachtung aller, die für die Nichtverbreitung sind, auf einmal Staaten demonstrativ zeigen, dass sie Atomwaffen haben? Wie haben diese Staaten es geschafft, die Technologie zu erwerben, zum Erstaunen aller Völker Atombombentests durchzuführen und schließlich Mittelstreckenraketen erfolgreich zu testen? Das Kontrollregime, das dies eigentlich verhindern sollte, ist also nicht ausreichend. Die Rolle der Wirtschaft, die das ermöglicht hat, muss in diesem Zusammenhang ebenfalls geklärt werden. Fazit: Die heutige Debatte hat sich gelohnt. Wir sollten weiterhin über den Weg streiten, und zwar nicht übermorgen, sondern morgen, so bald wie möglich. Herzlichen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit ist die Aktuelle Stunde beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister des Auswärtigen zu den Ergebnissen der Afghanistan-Konferenz in Paris Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Weiterhin ist verabredet, die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/9685 sowie des Auswärtigen Ausschusses auf Drucksache 16/9711 zu den Anträgen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Entwicklung in Afghanistan zusammen mit diesem Tagesordnungspunkt als Zusatzpunkte 2 und 3 aufzurufen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann wird so verfahren. Ich rufe auch die Zusatzpunkte 2 und 3 auf: ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy, Marieluise Beck ({1}), Volker Beck ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Entwicklung in Afghanistan - Strategien für eine wirkungsvolle Aufbauarbeit kohärent umsetzen - Drucksachen 16/8887, 16/9685 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Christian Ruck Hellmut Königshaus Hüseyin-Kenan Aydin ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Auswärtigen Ausschusses ({3}) zu dem Antrag der Abgeordneten Jürgen Trittin, Ute Koczy, Kerstin Müller ({4}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Staatsaufbau in Afghanistan - Pariser Konferenz zur kritischen Überprüfung und Kurskorrektur des Afghanistan-Compacts nutzen - Drucksachen 16/9428, 16/9711 Berichterstattung: Abgeordnete Eckart von Klaeden Dr. Werner Hoyer Dr. Norman Paech Kerstin Müller ({5}) Zwischen den Fraktionen ist verabredet, im Anschluss an die Regierungserklärung eineinhalb Stunden zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich erteile das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung dem Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier. ({6})

Dr. Frank Walter Steinmeier (Minister:in)

Politiker ID: 11004167

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf die Botschafterin Afghanistans begrüßen, die diese Debatte von der Tribüne verfolgt. ({0}) Vor einigen Wochen bekam der zivile Leiter unseres Wiederaufbauteams in Faizabad Besuch von den Dorfältesten und dem Mullah aus einem Gebirgsdorf in Badakhshan, dem nordöstlichsten Teil Afghanistans. Drei Tage waren die Männer unterwegs: zu Fuß, mit Eseln und das letzte Stück im Sammeltaxi. Sie fragen sich sicherlich: Wofür drei Tage? Diese Abordnung aus dem Dorf kam bei unserem Wiederaufbauteam an und bat um Unterstützung beim Bau einer Jungen- und Mädchenschule. Der Leiter des Wiederaufbauteams wunderte sich, dass die Delegation für die knapp 120 Kilometer Wegstrecke drei Tage brauchte. Die Dorfältesten erwiderten darauf, dass vor zwei Jahren die gleiche Reise noch weit über eine Woche gedauert hätte. Mittlerweile gebe es allerdings auf der Hälfte der Strecke eine neue Straße. Bald werde die Straße wohl auch das Dorf erreichen. Dann öffne sich für das Dorf die Welt. Das sei auch der Grund ihres Kommens. Das Dorf brauche die Hilfe beim Bau der Schule, so der Mullah, „weil wir jetzt endlich eine Zukunft haben, und darauf müssen wir unsere Kinder vorbereiten“. Meine Damen und Herren, das ist in der Tat nur eine Dorfgeschichte aus dem Pamir-Gebirge, aber sie führt uns schnurstracks ins Zentrum dieser Debatte, die wir heute führen. Viel zu oft verlieren wir uns bei unseren leidenschaftlichen Diskussionen um Mandate und Obergrenzen. Zu oft verlieren wir dabei den Blick, worum es im Kern in Afghanistan geht. Es geht im Kern um zwei Dinge: erstens um die Zukunft dieses Landes und zweitens und immer noch um unsere eigene Sicherheit. ({1}) Die Menschen in diesem Dorf glauben an eine bessere Zukunft. Das Entscheidende ist: Sie wissen, dass diese Zukunft am Ende von ihnen selbst gestaltet werden muss. Sie kämpfen für ihre Schule. Sie kämpfen für ein besseres Leben ihrer Kinder. Wir reichen ihnen dabei im Grunde genommen nur die helfende Hand. ({2}) Öffnung zur Welt, Zukunft für Kinder - davon jedenfalls träumen die afghanischen Dorfleute, von denen ich berichtet habe, und sie drücken damit aus, was die Hoffnung der übergroßen Mehrheit der Menschen in Afghanistan ist. Solange diese Hoffnung lebendig ist, werden, so bin ich sicher, die Taliban keine Chance haben. Jeder Brunnen, jede Schule, jeder Kilometer Straße ist ein kleiner Sieg. ({3}) Die Afghanen - viele von Ihnen, meine Damen und Herren, waren inzwischen dort - sind ganz ohne Zweifel ein stolzes, freiheitsliebendes Volk. Das kann jeder spüren, der mit ihnen spricht. Aber es sind auch Menschen, die nicht vergessen haben, in welches Elend sie von den Taliban gestürzt worden sind. Diese Art Steinzeit-Islam ist für die Menschen in ihrer ganz übergroßen Mehrheit keine Zukunftsverheißung. ({4}) Deshalb ist ziviler Wiederaufbau nicht nur irgendein Randaspekt unseres Engagements in Afghanistan, sondern er steht im Mittelpunkt. Hier entscheidet sich, ob die Hoffnung die Oberhand behält oder ob die Angst zurückkehrt. Meine Damen und Herren, was ich hier von dem Gebirgsdorf in Badakhshan schildere, das ist schon lange kein Einzelfall mehr. Kai Eide, der neue Sondergesandte des Generalsekretärs der Vereinten Nationen in Afghanistan, hat im Rahmen der kürzlich in Paris stattgefundenen Konferenz berichtet, dass mittlerweile in 32 000 Dörfern in Afghanistan Entwicklungsprojekte erfolgreich umgesetzt worden sind. Nach dem Sturz der Taliban - ich habe hierüber bereits berichtet, aber ich möchte daran erinnern - gab es so gut wie keine Gesundheitsversorgung in Afghanistan. Mittlerweile haben 80 Prozent der Bevölkerung Zugang zu basismedizinischer Versorgung. Das Schulsystem - Sie wissen es - war damals faktisch zusammengebrochen. Heute gehen 6 Millionen Kinder in Afghanistan zur Schule, 30 000 Lehrer wurden ausgebildet, 3 500 Schulen aufgebaut oder wiederaufgebaut. 8 Millionen Minen wurden geräumt, 13 000 Kilometer Straßen gebaut oder repariert. Die Menschen gründen inzwischen wieder Unternehmen. Die Wirtschaft entwickelt sich auf niedrigstem Niveau - zugegeben -, aber sie entwickelt sich in den Teilen des Landes, in denen die Sicherheitslage besser ist, auf niedrigem Niveau stetig fort - und das alles in sieben Jahren. Ich finde, das ist trotz aller Schwierigkeiten, die wir vor uns haben - diese Schwierigkeiten sind gewaltig -, eine Leistung, auf die wir miteinander ein bisschen stolz sein dürfen. ({5}) Aber wir sollten, wie ich finde, nicht nur auf uns stolz sein. Das, was vorangekommen ist, ist entscheidend denjenigen Menschen in Afghanistan zu verdanken, die von diesem Wiederaufbauwillen geprägt sind. Sie brauchen weiterhin die Unterstützung unserer Soldaten, Polizisten, Diplomaten und zivilen Wiederaufbauhelfer. Ich will diese Gelegenheit gerne nutzen, um all denen zu danken, die sich für eine friedliche Zukunft Afghanistans engagieren. Ich danke ihnen für den Mut, mit dem sie sich leidenschaftlich und - ich weiß, auch viele von Ihnen haben es gesehen - manchmal unter Entbehrungen dafür einsetzen, dass die Kinder in Afghanistan eine Zukunft haben. ({6}) Ich will an dieser Stelle auch meinen Kabinettskollegen Heidemarie Wieczorek-Zeul, Wolfgang Schäuble und Franz Josef Jung für die gute Zusammenarbeit danken, ohne die all das, was ich hier berichten konnte, nicht möglich gewesen wäre. ({7}) Meine Damen und Herren, trotz dieser eindrucksvollen Fortschritte sehen viele Bürgerinnen und Bürger den Afghanistan-Einsatz - ich weiß das - mit großer Skepsis. Sie selber sehen sich in Ihren Wahlkreisen auch kritischen Fragen ausgesetzt. Die Politik steht nicht nur unter Begründungs-, sondern manchmal sogar unter Rechtfertigungszwang. Ich glaube, wir dürfen uns diesem auch nicht entziehen, weil die Bürger einen Anspruch darauf haben, dass wir unseren Afghanistan-Einsatz - und zwar das gesamte Engagement - immer wieder auf Erfolg, auf Wirksamkeit und auf Effizienz hin hinterfragen. Wir brauchen klare Ziele, und wir brauchen beständige Erfolgskontrolle. Wir müssen uns kritisch selbst prüfen, welche Erwartungen im kulturellen und politischen Kontext Afghanistans realistisch sind. Darauf haben viele von Ihnen und darauf habe ich in meinen Reden in den vergangenen Monaten immer wieder hingewiesen. Gerade wenn es um die Gesundheit und um das Leben von Soldaten und zivilen Wiederaufbauhelfern geht, dann kann es kein einfaches „Weiter so“ geben. Deshalb hat sich auch die Bundesregierung seit der letzten Mandatsdebatte im vergangenen Herbst intensiv bemüht, und zwar gemeinsam mit ihren Partnern, kritisch Bilanz zu ziehen. Die Afghanistan-Konferenz in Paris vor wenigen Tagen war aus meiner Sicht bei diesem Bemühen eine wichtige Zwischenetappe. Ich darf Ihnen sagen, dass der Vertreter von UNAMA, der Vereinten Nationen in Afghanistan, in dieser Pariser Konferenz eine Bestandsaufnahme zur Umsetzung des Afghanistan-Compact von London erstellt hat. Diese Analyse, diese Bestandsaufnahme haben wir in die Schlussfolgerungen im Abschlusskommuniqué der Pariser Konferenz übernommen. Was heißt das? 85 Staaten und internationale Organisationen waren vertreten, 20 Milliarden Dollar Wiederaufbauhilfe - eine wahrlich stolze Summe - sind zugesagt worden. Wir selbst hatten 140 Millionen Euro zugesagt. Für die Zeit von 2008 bis 2010 stellen wir insgesamt 420 Millionen Euro zur Verfügung. Die Pariser Konferenz war aber auch deshalb ein Erfolg, weil die internationale Gemeinschaft und die afghanische Regierung sich auf einen Kurs verständigt haben, für den wir - Sie wissen das - schon im vergangenen Jahr intensiv geworben haben. Insofern ist der Strategiewechsel, den Claudia Roth - sie ist nicht hier - oder Winfried Nachtwei - er ist hier - fordern, schon lange im Gange. Dazu braucht heute nicht aufgerufen zu werden. ({8}) Ich glaube, dass die Richtung in der Afghanistan-Politik, wie wir sie jetzt eingeschlagen haben, richtig ist. Aber alle haben recht, die sagen: Wir dürfen uns dabei nicht verzetteln, sondern wir müssen uns auf die wesentlichen Probleme konzentrieren, das heißt, die Eigenverantwortung der Afghanen stärken. Unser oberstes Ziel muss sein und bleiben, dass Afghanistan sich mittelfristig selbst helfen kann. ({9}) Ich will vier zentrale Herausforderungen nennen, die auch Kai Eide in seinem Vortrag in Paris betont hat: Erstens. Die Reform der afghanischen Sicherheitskräfte, gerade auch der Polizei, muss beschleunigt werden. Zweitens. Korruption und Schattenwirtschaft müssen mit mehr Nachdruck bekämpft werden. Auch das war eine Forderung von Kai Eide. Drittens. Die Investitionen beim Wiederaufbau, jetzt ganz besonders in zwei Bereichen, nämlich bei der Stromversorgung und - das ist die neue Priorität bei UNAMA - vor allen Dingen bei der landwirtschaftlichen Entwicklung, reichen bei Weitem nicht aus. ({10}) Viertens. Die Drogenbekämpfung wird nur dann erfolgreich sein können, wenn die Bauern echte ökonomische Alternativen haben, und genau darum müssen wir uns mehr kümmern als in der Vergangenheit. ({11}) Wir wissen - darin sind wir uns vielleicht sogar einig -, dass die Fortschritte in diesen vier Bereichen auch ganz wesentlich von der afghanischen Regierung und von der Verwaltung dort abhängen. Immerhin hat die afghanische Regierung mit der Nationalen Afghanischen Entwicklungsstrategie jetzt einen eigenen Plan zum Wiederaufbau des Landes vorgestellt. Das macht nicht nur das größere Maß an Eigenverantwortlichkeit sichtbar, das die afghanische Regierung für sich in Anspruch nimmt, sondern das ist auch Ausdruck von wachsendem Selbstbewusstsein, das Afghanistan braucht. Ich freue mich über beides, weil wir genauso beides erreichen wollen. ({12}) Es trifft zu - auch das war Gegenstand der Gespräche auf der Pariser Konferenz zu Afghanistan -, dass wir von der afghanischen Regierung mehr Elan bei der Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit sowie bei der Beachtung und Wahrung von Menschenrechten erwarten. Die afghanische Regierung hat dazu - das darf ich Ihnen versichern in Paris eine erfreulich deutliche Selbstverpflichtung abgegeben, eine Selbstverpflichtung, die der afghanische Außenminister, wie ich gesehen habe, in Interviews in deutschen Zeitungen wiederholt hat, eine Selbstverpflichtung, an der wir die Regierung messen werden. ({13}) Wer Afghanistan kennt - viele von Ihnen sind da gewesen -, der weiß: Der Wiederaufbau wird noch längere Zeit dauern, und er wird auch eine militärische Absicherung auf längere Sicht brauchen. Ohne ein sicheres Umfeld wird der zivile Wiederaufbau nicht vorankommen. Mit anderen Worten: Wo es keine Sicherheit gibt, da wächst die Angst, und wo die Angst wächst, da stirbt die Hoffnung. Aus diesem Grund wird unsere militärische Präsenz weiter notwendig sein, eine Präsenz, die zum Ziel hat - das ist das Entscheidende -, sich eines Tages selbst überflüssig zu machen. ({14}) Das wird gelingen, wenn wir es schaffen, genügend afghanische Polizisten und Soldaten auszubilden, die dann gut motiviert für die Sicherheit im eigenen Land sorgen können. Das ist der Grund dafür, weshalb wir 2009 über 400 europäische Polizisten im Rahmen der EUPOL-Mission als Ausbilder nach Afghanistan entsenden wollen. Das sind immerhin mehr als doppelt so viele, wie heute der EUPOL-Mission zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wollen wir auch weiterhin EUPOL mit bilateralen Polizeiprojekten unterstützen. Wir arbeiten in der Polizeiausbildung mittlerweile auch mit den USA zusammen. Wir haben mehrere Hundert Polizisten gemeinsam ausgebildet. In Masar-i-Sharif entsteht eine neue Polizeiakademie, die ebenfalls helfen soll, die zivile Polizeiausbildung in Afghanistan voranzubringen. Es reicht nicht, die Polizei in Afghanistan auszubilden. Wir müssen uns auch stärker um die Ausbildung der afghanischen Armee kümmern. Wir werden die Zahl der Ausbilder- und Mentorenteams, der sogenannten OMLTs, erhöhen; das wissen Sie. Wir werden Ausbildungseinrichtungen wie die Logistikschule in Kabul in Zukunft ebenfalls stärker unterstützen. In dieser Debatte geht es um den zivilen Wiederaufbau, aber nachdem wir gestern die Obleute informiert haben, möchte ich es hier wiederholen: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir die Obergrenze für das ISAF-Mandat von 3 500 auf 4 500 Soldaten erhöhen wollen, zum Ersten deshalb, weil wir, wie gesagt, stärker in Ausbildung investieren wollen, zum Zweiten, um mehr Spielraum beim Kontingentwechsel zu haben, und zum Dritten, weil wir uns auf die Begleitung der Präsidentschaftswahlen, die im Jahre 2009 in Afghanistan stattfinden, vorbereiten wollen,. Das Ganze wird einhergehen mit einer weiteren Absenkung der OEF-Obergrenze auf dann 800 Soldaten. Damit sinkt die Obergrenze bei OEF in zwei Jahren immerhin um 1 000 Soldaten. Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, was aus meiner Sicht im Mittelpunkt unseres Engagements in Afghanistan steht: die Zukunft dieses Landes und natürlich unsere eigene Sicherheit. Letztlich ist entscheidend zu berücksichtigen, dass beides zusammenhängt. Wir müssen verhindern, dass Afghanistan wieder zu einem Rückzugsraum international tätiger Terroristen wird. Das wird aber langfristig nur gelingen, wenn dieses Land eine gute Zukunft hat, wenn es Nahrung, Zugang zu Strom und Wasserversorgung gibt und Schulen sowie Radiostationen und vieles andere mehr errichtet werden. Wir müssen Umstände schaffen, unter denen die Menschen zur Wahl gehen können. Schließlich müssen wir Umstände schaffen, in denen sich der Getreideanbau mehr lohnt als der Mohnanbau. ({15}) Ich komme zum Schluss: Ich will an einen längeren Afghanistan-Aufsatz im Magazin der Süddeutschen Zeitung von Dietmar Herz, der erst vor wenigen Wochen erschienen ist, erinnern. Er spannt darin - ich sehe, viele haben ihn gelesen - einen weiten Bogen von Alexander dem Großen über den Mongolenherrscher Timur Leng bis hin zur sowjetischen Besatzung Afghanistans und sagt: Jeder hat sich an diesem Land die Zähne ausgebissen. Das ist aber natürlich nicht der Schluss dieses Artikels; vielmehr weist Dietmar Herz darauf hin, was dieses Mal in Afghanistan anders ist. Die deutschen Soldaten kommen eben nicht als Eroberer ins Land, sondern sie haben ein Konzept, „das zusammen mit den Afghanen als gleichberechtigten Partnern das Land sichern, stabilisieren und“ - darum geht es ja in dieser Debatte - „aufbauen“ sollte. Das ist unser Ansatz; dazu stehen wir. Die Menschen verbinden mit unserem Einsatz, dass es für sie und ihre Kinder wieder aufwärtsgeht. Hierin liegt eine Chance, die wir nicht verspielen dürfen. Dafür, meine Damen und Herren, tragen wir, wie ich denke, nach wie vor gemeinsam Verantwortung. Herzlichen Dank. ({16})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich dem Kollegen Dr. Werner Hoyer das Wort. ({0})

Dr. Werner Hoyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000967, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich danke Ihnen, Herr Außenminister Steinmeier, dafür, dass Sie heute diese Regierungserklärung abgegeben haben. Dies war in der letzten Woche nicht möglich, weil natürlich der Europäische Rat und das Votum in Irland im Vordergrund standen. Heute ist in der Tat die letzte Chance, noch vor der Sommerpause über Afghanistan zu debattieren, und ich glaube, es tut dem Deutschen Bundestag sehr gut, dass wir diese Gelegenheit nutzen. ({0}) Ich finde es auch sehr gut, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir weiß Gott nicht nur Rückschläge und Misserfolge in Afghanistan zu verzeichnen haben, sondern dass wir gerade dann, wenn es um die ganz konkrete Lebenssituation der Menschen geht, auch Erfolge verzeichnen können. Vielleicht erzählen wir unseren Bürgerinnen und Bürgern zu wenig darüber. ({1}) Meine Damen und Herren, diesem Lob an die Bundesregierung wegen der Ermöglichung dieser Debatte möchte ich allerdings eine klare Kritik hinterherschicken: Es gibt offensichtlich ein großes Informationsdefizit hier im Hause. Wir tragen als Parlament die entscheidende Verantwortung für die Sicherheit und den Auftrag unserer Soldaten und darüber hinaus vieler Polizisten, ziviler Wiederaufbauhelfer, Diplomaten usw. Allerdings werden wir über strategische Weichenstellungen in der Afghanistanpolitik des Bündnisses nicht informiert. Das ist ein Zustand, der auf Dauer nicht haltbar ist, meine Damen und Herren. Es ist für uns und unser Ansehen nicht gut, wenn wir über die Flure des Capitols in Washington laufen und dort von Kollegen auf Fakten und Berichte angesprochen werden, die diese wie selbstverständlich haben, wir hier allerdings nicht; ich komme darauf zurück. ({2}) - Ich komme ganz konkret darauf zurück, kann es aber auch gerne vorziehen, Herr Kollege. Ich werde gleich danach etwas zur Notwendigkeit sagen, für Afghanistan klare Ziele - auch Subziele - sowie Zielerreichungsstrategien zu definieren. Wenn das Bündnis in Bukarest, wie man so hört, angeblich genau das getan hat, was wir seit langem einfordern - wir haben noch nicht einmal das Recht auf Einsicht in ein solches Dokument, und von daher wissen wir immer noch nicht, welches die in der NATO konsentierten Ziele sind -, dann fällt es mir als stellvertretendem Vorsitzenden meiner Fraktion sehr schwer, dafür zu sorgen, dass meine Fraktion beim nächsten Mal zustimmt. Deswegen müssen wir das Verfahren in diesem Punkt deutlich ändern. ({3}) Das ist der Hintergedanke der Bemerkung von eben. Meine Damen und Herren, wir müssen über die Ziele sprechen. Eben hat der Minister gesagt: Ja, wir müssen irgendwann dazu kommen, gehen zu können, weil in Afghanistan etwas Selbsttragendes entstanden ist. - Meiner Auffassung nach müssen wir bei der Definition unserer Ziele im Bündnis mit einem großen Schuss Demut zu Werke gehen. Wir werden bei weitem nicht das erreichen können, was wir uns idealiter für Afghanistan vorstellen. Denn wenn wir das nicht tun, besteht die Gefahr, dass wir uns eines Tages übernehmen, dass wir vielleicht scheitern oder dass wir dort auf Jahrzehnte militärisch gebunden sind, und dann wird es mit der Zustimmung der Bevölkerung verdammt schwierig werden. Deswegen: Karten auf den Tisch! Was ist in Bukarest vereinbart worden? Vielleicht werden Sie uns damit sehr glücklich machen. Meine Damen und Herren, mein Kollege Königshaus wird auf den Kern des Afghanistan-Compact und auf die Vereinbarung von Paris noch im Detail eingehen. Ich muss mich hier zum Schluss auf zwei Aspekte konzentrieren. Erstens. Die Bundesregierung hat gestern die Obleute des Auswärtigen und des Verteidigungsausschusses unter Geheim und anschließend sofort die Öffentlichkeit über die Presse darüber informiert, dass man ab Oktober 1 000 zusätzliche Soldaten für Afghanistan braucht. Meine Damen und Herren, wir Liberalen haben unsere Haltung zu den Afghanistan-Mandaten immer sehr verantwortlich, besonnen und konstruktiv wahrgenommen. ({4}) - Das ist so, und das wird auch so bleiben. - Aber, meine Damen und Herren, einen Blankoscheck stellen wir deswegen noch lange nicht aus. ({5}) Die Bundesregierung wird etwas präziser begründen müssen, wie sie zum Beispiel jetzt auf die Zahl von 1 000 Soldaten kommt. Das Ganze ist ja keine Lotterie; vielmehr muss eine Überlegung dahinterstehen. Dies gilt erst recht, da direkt gesagt wurde: Wir wollen die Erhöhung gar nicht gleich, sondern irgendwann einmal nutzen. - Ich habe für Flexibilitätsforderungen sehr viel Verständnis. Nur, der Übergang zu einem Vorratsmandat vollzieht sich relativ leicht, und deswegen müssen wir präzise argumentieren. In diesem Zusammenhang muss man ferner sehen: Da nach der Übernahme der Quick-Reaction-Force-Aufgaben ganz konkrete und brennende Sicherheitsfragen auch im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten zu beantworten sind, frage ich mich, warum diese Erhöhung so dringend nötig ist, obwohl sie erst im Oktober vorgenommen werden soll. Ich stelle mir die Frage, ob wir nicht, wenn sie so dringend ist, eigentlich erwarten müssten, dass die Bundesregierung auf das Parlament zukommt und sagt: Wir können nicht in die Sommerpause gehen, ohne für eine Verstärkung der Truppen gesorgt zu haben. - Dieser Widerspruch bedarf noch der Aufklärung. Die Argumentation des Bundeswehr-Verbandes ist mir da ausgesprochen einleuchtend. Nachdem die Parlamentsarmee durch zwei Bundesverfassungsgerichtsurteile nach Klagen der liberalen Fraktion gestärkt worden ist, sollten wir auf gar keinen Fall Abstriche an den Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments machen. ({6}) Sie haben Fortschritte angesprochen. Wir sind uns natürlich darüber im Klaren, dass wir auch Defizite haben. Sie haben das Thema Korruption angesprochen. Da muss auch die Regierung Karzai in die Pflicht genommen werden. Das werden wir sehr genau beobachten. Bei der Frage der Drogenbekämpfung haben wir überhaupt keinen Fortschritt erzielt. Ich sage Ihnen - auch als Volkswirt -: Ich habe ein bisschen Bedenken, ob die alternativen Produktionen am Ende funktionieren können. Hier haben wir noch echte konzeptionelle Probleme zu bewältigen. Letztes Wort. Es stellt sich die große Frage, wie die Weltpolitik zu Beginn des Jahres 2009 aussehen wird. Entscheidend ist, was aus den Reden des russischen Präsidenten Medwedew wird und wer amerikanischer Präsident wird. Ohne eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Iran, mit Pakistan, mit Russland, mit China und wahrscheinlich auch mit Indien werden wir unser Problem in Afghanistan auf Dauer vermutlich nicht bewältigen und das Ziel, dass etwas Selbsttragendes entsteht, nicht erreichen können. Deswegen ist mir völlig klar, dass am Ende ohne eine Dialogbereitschaft unseres wichtigsten Partners, unseres wichtigsten Verbündeten, im Hinblick auf diese Länder in Afghanistan langfristig nichts Erfreuliches stattfinden wird. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Andreas Schockenhoff, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Andreas Schockenhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002053, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherheit und Entwicklung sind in Afghanistan zwei Seiten einer Medaille. Gestatten Sie auch mir einen Satz zur Sicherheit, bevor ich über die Entwicklungsfortschritte in Afghanistan spreche. Unser Verteidigungsminister hat gestern vorgeschlagen, im nächsten ISAF-Mandat die Obergrenze um 1 000 Soldaten zu erhöhen. Wir werden darüber im Oktober ausführlich debattieren. Wir haben den politischen Auftrag erteilt, für Frieden und Sicherheit in Afghanistan zu sorgen, auch militärisch. Aus diesem Auftrag leiten die Militärplaner und die Sachverständigen ihre Anforderungen ab. Wenn diese nun anhand von Einsatzerfahrungen zu dem Schluss gekommen sind, dass sie zur erfolgreichen Erledigung des Auftrags mehr Soldaten, eine andere Ausrüstung oder mehr Spielraum brauchen, um mit Reservekräften auf künftige GefahrenDr. Andreas Schockenhoff situationen flexibel reagieren zu können, dann müssen sie all dies erhalten. Lieber Kollege Hoyer, das heißt nicht, dass am Tag der Abstimmung im Deutschen Bundestag sofort 1 000 Soldaten mehr nach Afghanistan geschickt werden. Wir wissen, dass dort im nächsten Jahr Wahlen sind. Wir wissen, dass es zu bestimmten Situationen kommen kann, in denen die Risiken größer werden. Ein flexibleres, für 14 Monate geltendes Mandat ist darauf die richtige Antwort. Es kann nicht sein, dass wir als Parlament am militärischen Bedarf für den politischen Auftrag vorbeimandatieren und damit die Auftragserfüllung erschweren. Wir alle kennen den Grundsatz: Keine Entwicklung ohne Sicherheit und keine Sicherheit ohne Entwicklung. Die gleichzeitige Absenkung der Obergrenze bei OEF halten wir für vertretbar, zumal seit langem weniger als 300 Soldaten eingesetzt sind. Wichtig ist dabei, dass die 100 KSK-Soldaten weiterhin im Mandat bleiben. Das ist bündnispolitisch ein wichtiges Signal. Ich begrüße ausdrücklich nicht nur, dass Außenminister Steinmeier dies für die SPD mitträgt, sondern auch, dass er dies für unverzichtbar hält. Die Konferenz von Paris war die sechste in einer Abfolge von Afghanistan-Konferenzen, auf denen sich die internationale Gemeinschaft gemeinsam mit Afghanistan kontinuierlich ihrer Beiträge zum Wiederaufbau versichert, aber auch ihre Ziele mit dem Erreichten abgleicht. Unser Ziel ist klar und seit seiner ersten Formulierung 2001 gleichbleibend aktuell: ein Afghanistan, das für seine Sicherheit selbst sorgen kann und damit keine Bedrohung mehr für unsere Sicherheit darstellt. Mit dieser Zielsetzung haben wir uns in einem von 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zerstörten Land und angesichts der Sabotage durch Taliban und Aufständische keine leichte Aufgabe gestellt, vor allem eine langwierige Aufgabe, die Geduld und Ausdauer erfordert. Wir haben in den letzten sieben Jahren schon beachtliche Fortschritte erzielt: die Talibanherrschaft beendet, demokratische Institutionen geschaffen, die Lebenssituation der Menschen verbessert, Grundversorgung und Zugang zu Bildung - auch für Mädchen - sichergestellt. Aber wir haben unser Ziel bei weitem noch nicht erreicht. Deswegen wächst bei einigen die Ungeduld. Aber wir müssen realistisch sein. Vor sieben Jahren war Afghanistan ein Failed State und die wichtigste Operations- und Trainingsbasis des internationalen Terrorismus. Ich möchte noch einmal die Zeitachse aufzeigen. Mit der ersten Konferenz auf dem Petersberg im Dezember 2001 haben wir uns verpflichtet, uns am Friedensprozess zu beteiligen und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. Damit sind wir aus eigenem Sicherheitsinteresse eine substanzielle Bindung eingegangen, die wir auf Folgekonferenzen immer wieder erneuert haben. Der Minister hat daran erinnert. In Weiterentwicklung des Afghanistan-Compact von London hat die Regierung Karzai nun in Paris zwei neue, auch für uns verbindliche Strategiepapiere vorgelegt: die Nationale Entwicklungsstrategie und den Strategischen Fünfjahresplan zur Verbesserung der Regierungsverantwortung bis 2013. Das Fernziel wird mit 2020 angegeben, wenn Afghanistan in eine „stabile, islamische, konstitutionelle Demokratie in Frieden mit sich und seinen Nachbarn“ umgewandelt sein soll. Bis dahin liegt noch ein großer Berg Arbeit vor uns. Um ihn erfolgreich abzutragen, ist es notwendig, das bisher Geleistete zu überprüfen, gegebenenfalls zu verstärken, um nicht wieder zurückzufallen. In letzter Zeit überwiegt der Eindruck, die Lage habe sich eher verschlechtert, obwohl Milliarden von Hilfsgeldern fließen und Tausende von Soldaten und zivilen Helfern im Einsatz sind. Die Zahl der Anschläge ist gestiegen, auch im Norden. Wir haben bei allen drei Säulen des Afghanistan-Compact neben den Fortschritten auch Fehlentwicklungen zu verzeichnen: bei der Sicherheit, bei der guten Regierungsführung sowie bei der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Wir hören von wachsender Korruption, von Schattenwirtschaft und einer stockenden Entwicklung im Privatsektor. Für die schwierige Aufgabe, Afghanistan wieder aufzubauen und lebensfähig zu machen, brauchen wir neben der langfristigen Perspektive auch realistische Teilziele, die wir laufend überprüfen müssen. Zwei Signale gehen von der Konferenz in Paris aus: Erstens. Die internationale Gemeinschaft steht zu ihrem Engagement in Afghanistan. Afghanistan selbst und seine Führungseliten sind zunehmend bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Zweitens. Wir können aus Afghanistan dann wieder heraus, wenn wir mit unserer Mission erfolgreich waren. Ob es uns möglich sein wird, die politische Verantwortung an die afghanische Regierung schon 2013 zu übergeben, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es unser Ziel. Das heißt dann aber auch, dass wir in den nächsten fünf Jahren dringend weitere Fortschritte erzielen müssen. ({0}) Wir werden in Afghanistan keine Westminster-Demokratie errichten können, aber wir können eine funktionierende Verwaltung und selbsttragende Sicherheitsstrukturen aufbauen. Das bedeutet die Einsatzfähigkeit der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei. Daher begrüße ich die im Mai von der EU beschlossene überfällige Verdopplung der Einsatzstärke von EUPOL, aber auch das zusätzliche verstärkte deutsche Engagement beim Aufbau der Polizei. Ich sehe Handlungsbedarf bei der regionalen Kooperation. Afghanistan grenzt an Pakistan, Iran, Turkmenistan, Usbekistan und Tadschikistan. Alle Entwicklungskonzepte zielen darauf ab, Afghanistan dabei zu unterstützen, mit seinen Nachbarn tragfähige Beziehungen aufzubauen. Deswegen müssen die diplomatischen, sicherheitspolitischen, aber auch die handelspolitischen Beziehungen, die Afghanistan eingeht, weiter gestärkt werden. Ganz besonders wichtig ist eine gute Kooperation mit Pakistan; dies ist wichtig nicht nur für die Sicherheit in der schwierigen Grenzregion. Denn Afghanistan importiert zwei Drittel seiner Nahrungsmittel aus Pakistan. Der Wiederaufbau der afghanischen Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung sind von zentraler Bedeutung für die Ernährungssicherheit der Bevölkerung. Schätzungsweise 7 Millionen Afghanen sind von Hunger bedroht. Eine gute regionale Kooperation ist ebenfalls wichtig für den Kampf gegen den Rauschgifthandel, der nur in Zusammenarbeit mit den Transitländern funktioniert. Die Beseitigung der Drogenwirtschaft ist ein Querschnittthema durch alle drei Säulen des Compact und damit auch der Schlüssel zum Erfolg. Wir sehen zwar Erfolge in neuen opiumfreien Provinzen; aber die Anbaufläche und der Ernteertrag wachsen weiter. Im letzten Jahr wurden 8 200 Tonnen Opium geerntet, Rohstoff für 93 Prozent des weltweit konsumierten Heroins. Davon profitieren die Taliban mit 100 Millionen Dollar für ihre Kriegskasse. Diese unglaublichen Zahlen steigen stetig. Dies muss ebenso wie die wachsende Korruption konsequenter bekämpft werden. ({1}) Wenn vor allem die schlechte Sicherheitslage Ursache für die florierende Opiumwirtschaft ist - über die Hälfte des Schlafmohns wird allein in der Provinz Helmand angebaut -, dann muss dort die Durchsetzungsfähigkeit der Zentralregierung und der jeweiligen Provinzregierungen besonders gestärkt werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ressortübergreifend müssen wir auch hier in Berlin analysieren, wie viel Geld wir für Afghanistan haben, welche Prioritäten wir setzen und wie wir bis 2013 und darüber hinaus vorgehen. Gestatten Sie mir abschließend eine etwas kritische Anmerkung: Ich habe manchmal den Eindruck, als machten sich BMZ und AA gegenseitig Konkurrenz in der Entwicklungszusammenarbeit ({2}) oder als schöben AA und BMI bei EUPOL die Verantwortung hin und her. Der sogenannte Comprehensive Approach muss eben auch hier in Berlin verwirklicht werden. Wenn wir dann das, was wir dort neben dem militärischen Engagement leisten, nämlich die zivilen Beiträge, in der Kommunikation besser herausstellen, dann werden wir auch in der deutschen Öffentlichkeit eine höhere Akzeptanz für unseren Einsatz in Afghanistan erreichen. Ich bedanke mich. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Oskar Lafontaine, Fraktion Die Linke. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man den Tenor der bisherigen Reden zusammenfasst, dann ist das Ziel unserer Politik, den Menschen in Afghanistan zu helfen ({0}) und gleichzeitig die Sicherheitslage in Deutschland und überhaupt auf der Welt zu verbessern. ({1}) Ich habe zunächst keine Veranlassung, in Zweifel zu ziehen, dass das die Absicht der Politik ist. Welche Gründe gäbe es dafür, dies in Zweifel zu ziehen? Wenn man das, was der Herr Bundesaußenminister hier vorgetragen hat - auf diese Rede möchte ich im Besonderen eingehen -, zusammenfasst, dann müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass wir auf gutem Wege sind und dass sich die Lebenssituation in Afghanistan deutlich verbessert. ({2}) Das wäre, unpolemisch formuliert, die Zusammenfassung seiner Rede. Nun hat der Bundesaußenminister die Süddeutsche Zeitung zitiert; ich zitiere sie auch. Sie hat heute ganz anders kommentiert und darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung, wenn es um Afghanistan geht, mit der Wahrheit nicht herausrückt, dass sie vielmehr versucht, die Dinge besser darzustellen, als sie in Wirklichkeit sind, und dass sie, insbesondere was die militärischen Einsätze angeht, nicht bereit ist, der Bevölkerung die Wahrheit zu sagen. Daher muss heute auch darüber gesprochen werden. ({3}) Ich möchte zunächst, um zu belegen, was die Süddeutsche Zeitung analysiert hat, den Vortrag des Bundesaußenministers noch einmal kurz Revue passieren lassen, um deutlich zu machen, wie sehr man sich selbst täuschen und die Dinge falsch darstellen kann. Zunächst war im Zentrum seines Vortrages das Wort „Wiederaufbau“. Wenn man das Wort „Wiederaufbau“ hört, dann hat man natürlich eine bestimmte Vorstellung. Aber derjenige, der die Situation in Afghanistan kritisch sieht, denkt natürlich an Krieg, an militärische Einsätze und an die Verwüstungen, die dort angerichtet werden. Es ist merkwürdig, dass diese Worte in einem solchen Vortrag überhaupt nicht gefallen sind, sondern völlig ausgeblendet wurden. Der Wiederaufbau auf der einen Seite wurde erwähnt, aber die ständig zunehmende Zerstörung auf der anderen Seite mit keinem einzigen Wort. So kann man sich eben selbst täuschen. ({4}) Das setzt sich in seinem Vortrag fort. Wer wäre nicht stolz darüber, dass 8 Millionen Minen geräumt worden sind? Wer würde das nicht massiv begrüßen? Aber während Sie dies hier vorgetragen haben, haben wir uns natürlich die Frage gestellt: Wie viele Bomben sind inzwischen wieder gefallen? Welche Qualität hat die Munition? Sind es Streubomben? Ist es Munition mit Uranerzen verseucht usw.? Kein Wort darüber! Es existieren schreckliche Berichte über das, was immer noch in Afghanistan läuft. Wie kann man in einem solchen Vortrag lediglich darüber reden, dass 8 Millionen Minen geräumt wurden? Auch hieran ist ganz eindeutig zu erkennen, wie sehr man sich bemüht, die Situation nicht zur Kenntnis zu nehmen. Bei der Beschreibung der Lage betreibt man eine der Sache überhaupt nicht angemessene Schönfärberei; so muss ich es leider nennen. ({5}) Der Bundesaußenminister hat von Schwierigkeiten gesprochen. Jeder stellt sich die Frage, was er mit „Schwierigkeiten“ meint. Unsereinem fällt natürlich gleich ein, dass sich die Bundesregierung weigert, die genaue Zahl der Opfer anzugeben. Dann fällt einem ein, dass internationale Organisationen von Tausenden von zivilen Toten im letzten Jahr ausgehen. Ist es angemessen, angesichts dessen von „Schwierigkeiten“ zu sprechen? Ist das nicht völlig unangemessen? ({6}) Ich hatte schon ein Problem damit, als jemand während des Jugoslawien-Kriegs immer wieder von Kollateralschäden gesprochen hat. In solchen Auseinandersetzungen ist die Sprache verräterisch. In der Sprache wird deutlich, dass man sich weigert, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Jetzt will ich eine Formulierung aufgreifen, die das deutlich unterstreicht. Herr Bundesaußenminister, Sie haben gesagt, bei unseren Bemühungen würde sich entscheiden, „ob die Hoffnung die Oberhand behält oder ob die Angst zurückkehrt“. Sie sehen, ich habe mitgeschrieben. Ich habe mich gefragt: Meint er das wirklich so? Meint er wirklich, man könne in Afghanistan derzeit darüber sprechen, „ob die Hoffnung die Oberhand behält oder ob die Angst zurückkehrt“? Ich glaube, diese Worte richten sich selbst. ({7}) - Herr Kollege Struck, Ihre Formulierung, das sei dummes Zeug, ist so unqualifiziert, dass Sie sich schämen sollten. ({8}) Sie sollten sich wirklich schämen. Manchmal ist es wirklich schwierig, Ihrem Niveau zu folgen, Herr Kollege Struck. ({9}) Ich wiederhole: Sie haben gesagt, die Hoffnung solle die Oberhand behalten und die Angst werde vielleicht zurückkehren. Wie viel Angst ist derzeit in Afghanistan? Davon zu sprechen, dass in einem Land, in dem der Krieg tobt, in dem Tausende Menschen ums Leben kommen, die Angst vielleicht zurückkehren könne, zeigt doch, dass Sie sich weigern, die Wirklichkeit in diesem Land zur Kenntnis zu nehmen. Das ist wirklich nicht nachvollziehbar. ({10}) Es ist nicht nachvollziehbar, was hier vorgetragen wurde. Ich zitiere Sie nur und konfrontiere Sie mit Fakten. Um das Ganze abzurunden, möchte ich darauf hinweisen, dass an einem Tag, an dem überall in der Presse zu lesen ist, dass das Militärische aufgestockt wird, Sie hier formuliert haben: Die militärische Präsenz muss noch eine Zeit lang bleiben, sich aber „überflüssig“ machen. Auch hier haben Sie das Gegenteil von dem gesagt, was zurzeit diskutiert wird. Obwohl es um eine Aufstockung geht, sprechen Sie davon, dass sich das Militärische „überflüssig“ machen soll. Winston Churchill hat ein solches Vorgehen einmal mit dem ihm eigenen Zynismus beschrieben. Er hat gesagt: Im Krieg ist die Wahrheit so kostbar, dass sie nie anders als mit einer Leibwache von Lügen auftreten sollte. An dieses Zitat Churchills wurde ich bei den Vorträgen erinnert, die ich hier gehört habe. Wenn man in Afghanistan weiterkommen will, darf man die Wirklichkeit in Afghanistan nicht völlig ausblenden. ({11}) Wir stellen gar nicht in Abrede, dass man die Lebenssituation der Menschen in Afghanistan verbessern möchte, dass dies das Ziel ist. Ob man dies erreichen kann, indem man Kampftruppen dort hinschickt und den Umfang der militärischen Einsätze weiter steigert, ist aber fraglich. Das ist doch die Wahrheit. Unsere Fraktion ist der Auffassung, dass man mit der Ausweitung militärischer Einsätze beide Kernziele total verfehlt: weder verbessert man die Lebenssituation der Menschen in Afghanistan noch erhöht man die Sicherheit in Deutschland oder sonst irgendwo. ({12}) Wann endlich begreifen Sie, dass die sogenannten humanitären Interventionen nicht nur als Begriff eine Unmöglichkeit darstellen, sondern mittlerweile auch im Ergebnis? Leute, die viel öfter als Sie, Herr Struck, in Afghanistan waren, sagen, dass die Irakisierung Afghanistans in vollem Gang ist, sich die Sicherheitslage immer weiter verschlechtert und die Zahl der Opfer steigt. Angesichts dessen ist das, was Sie hier bieten, schlicht und einfach eine Täuschung der Öffentlichkeit. Auf diesem Weg kommen wir in keinem Fall weiter, wenn wir Afghanistan helfen und die Lage in Deutschland verbessern wollen. ({13}) In der Presse wird die Argumentation der Bundesregierung, dass die Aufstockung der Beteiligung an ISAF mit einer gleichzeitigen Reduktion der Truppen einhergeht, die für „Operation Enduring Freedom“ zur Verfügung gestellt werden, als Trickserei bezeichnet. Ich beziehe mich hier auf einen Artikel in der Frankfurter Rundschau. Dort wird erläutert, warum das Trickserei ist. Die Regierung verweist darauf, dass man beim Kampfeinsatz reduziert - das klingt ja sehr gut -, aber die zivile Hilfe aufstockt. Wäre das so, würde das jeder sofort unterschreiben. In dem Artikel wird dargestellt, warum das in Wirklichkeit Trickserei ist. Denn in dieser Zahl sind nie Streitkräfte zur Verfügung gestellt worden. Hier wird, wenn man so will, schlicht und einfach ein Popanz aufgebaut. In Wirklichkeit geht es um ein systematisches Aufstocken der Kontingente. Nichts anderes ist der Fall. Die vielen zivilen Organisationen haben völlig recht, wenn sie sagen: Zivile Hilfe und militärische Mittel stehen in überhaupt keinem Verhältnis. Wir brauchen eine Verstärkung der zivilen Hilfe, und wir müssen die militärischen Einsätze deutlich zurückfahren. ({14}) Positiv möchte ich würdigen, dass mein Vorredner zumindest an drei Stellen die Situation nicht schöngefärbt hat. Der Kollege der CDU/CSU-Fraktion sprach immerhin von der Zunahme der Korruption und davon, dass der Opiumanbau nicht zurückgegangen ist, sondern sich weiter verstärkt. Beides kann nicht unser Ziel sein. Er sprach auch davon, dass sich die Lage eher verschlechtert habe. Das war zumindest ein realistischer Ansatz, um die Situation in Afghanistan zu schildern. Wenn es wirklich um neue Straßen, Schulen, Brunnen und Gesundheitsversorgung ginge, wer würde hier darüber diskutieren, ob das notwendig und unterstützenswert sei? Darüber diskutieren wir hier nicht. Sie haben in Ihrem Beitrag angesprochen, dass dieses Land seit 25 Jahren Krieg hat. Es geht nicht nur um die Taliban. Es geht auch um die Verbrecher, die jetzt in der Regierung sitzen, die sich ebenfalls schlimmer Verbrechen schuldig gemacht haben und mit westlicher Unterstützung aufgerüstet wurden, sodass sie ihre Verbrechen begehen konnten. ({15}) Das kann man doch nicht alles völlig ausblenden. Die jetzige Debatte zeigt ganz deutlich, dass Ihre Politik überhaupt nicht erfolgreich sein kann; denn Sie gehen von einer falschen Analyse aus. Es ist menschlich verständlich, wenn man das, was unangenehm ist, verdrängt. Es ist menschlich verständlich, wenn man das Scheitern der Politik völlig ausblendet. Das Scheitern der Politik für uns besteht in Folgendem: Die Zahl der zivilen Opfer nimmt immer weiter zu; das ist unabhängig davon, ob Sie die Opferzahlen angeben oder nicht. Da das der Fall ist, kann man nicht von Wiederaufbau in Afghanistan sprechen. ({16}) Der beste Wiederaufbau und die beste Verbesserung der Lebenssituation dort bestünde darin, dass man das Sterben der Menschen verhindert. ({17}) - „Wie“ hat hier jemand dazwischengerufen. Das will ich Ihnen sagen: ({18}) Mit Kampfeinsätzen und mit Bomben werden Sie das Sterben der Menschen niemals verhindern. Lösen Sie sich von diesem Irrtum, und sagen Sie insbesondere den Menschen in Deutschland die Wahrheit, damit sie zu einem richtigen Urteil kommen können. ({19}) Ich sehe hier einige Kollegen - auch aus den Regierungsfraktionen -, die sich dieser Schönfärberei verweigern. Ich möchte Ihnen den Respekt unserer Fraktion aussprechen. ({20}) Ich möchte Ihnen sagen, was wir vorschlagen. Wir sind für zivile Entwicklungszusammenarbeit. ({21}) Wir halten militärische Interventionen für den verkehrten Weg, um das Leben der Menschen zu verbessern und dem Frieden in der Welt zu dienen. ({22})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Professor Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Herr Lafontaine, als Sie gesprochen haben, habe ich mich gefragt, von welchem Lande Sie eigentlich reden. Ich kann Ihnen nur sagen: Fahren Sie doch einmal in dieses Land. Gert Weisskirchen ({0}) ({1}) Schauen Sie sich dort doch bitte einmal um. Ich weiß, Herr Lafontaine, dass es Ihnen peinlich wäre, wenn Sie hinfahren würden, weil Sie erleben könnten, dass Schülerinnen und Schüler jetzt überhaupt erstmals wieder die Chance haben, in Primarschulen zu gehen. 75 Prozent aller Jungen und 60 Prozent aller Mädchen, die die Primarschulreife haben, können nun in die Schule gehen. Diese Tatsachen bringen das von Ihnen vorgetäuschte Bild völlig durcheinander. ({2}) Ich möchte Sie darum bitten, nach Afghanistan zu fahren. Sie müssen dann das überprüfen, was Sie hier erzählen. Das würde ein ganz anderes Bild von einem ganz anderen Land ergeben, als Ihre Rhetorik glauben macht. ({3}) Das ist die Wirklichkeit in diesem Land. Herr Lafontaine, gehen Sie heute Abend in die sächsische Landesvertretung. Um 19 Uhr werden dort afghanische Künstlerinnen, die seit einem Jahr in einem Zentrum für zeitgenössische Kunst studieren und arbeiten dürfen, ihre Bilder zeigen. Das durften sie vorher nicht. ({4}) Jetzt können sie es. Angesichts dieser Bilder, Herr Lafontaine, werden Sie sehen, dass seit dem Ende der Talibandiktatur Frauen zum ersten Mal eine Chance haben, ihre eigenen Fähigkeiten und ihre eigene Kreativität zu zeigen und darzustellen. ({5}) Das ist ein Zeichen von künstlerischer und bürgerschaftlicher Freiheit. Diese wäre gefährdet, wenn Ihre Reden dazu führen würden, dass die Taliban zurückkehren. Das wollen wir nicht. ({6}) Gerade dann, wenn es ernst wird, muss gelten: Wir werden unsere Verpflichtungen einhalten. Lieber Kollege Lafontaine, Verpflichtungen einhalten heißt in diesem Fall ganz einfach und ganz schlicht: Freiheit und Selbstbestimmung können in diesem Land nur dann erreicht und stabilisiert werden, wenn es ein gewisses Maß an Sicherheit gibt. Diese kann von dem eigenen Land gegenwärtig nicht gewährleistet werden, sondern muss, mandatiert vom Weltsicherheitsrat der UNO, von der internationalen Staatengemeinschaft garantiert werden. Ansonsten kann es keine stabile Entwicklung Afghanistans geben. Das ist der völkerrechtliche Auftrag, den wir haben und den wir auch erfüllen. Daran werden wir festhalten. ({7}) Noch eine andere Sache: 85 Staaten dieser Erde - die Pariser Konferenz hat das gezeigt - haben sich in Paris darauf verständigt, dass der Afghanistan-Compact weiterentwickelt werden soll und dass in den nächsten Jahren 20 Milliarden Dollar bis 2013 zur Verfügung gestellt werden. Der Außenminister hat ausschließlich für die zivile Entwicklung dieses Landes 420 Millionen Euro allein aus der Bundesrepublik Deutschland zugesichert. Davon muss man reden. Es ist unsere Aufgabe dafür zu sorgen, dass der zivile Aufbau gelingt. Er kann nur gelingen, wenn wir diese 85 Staaten in ihrer Würde respektieren. Sie stellen sich gegen 85 Staaten dieser Erde, Herr Lafontaine. ({8}) Auf der Pariser Konferenz - schauen Sie sich einmal die Dokumente an - wurde eine schnörkellose, nüchterne und selbstkritische Bilanz gezogen. Die Regierung Karzai hat zum Beispiel mit den beiden vom Kollegen Schockenhoff schon genannten Strategiepapieren deutlich gemacht, dass sie selber einen Strategiewechsel vollzieht und dass sie zusammen mit der Weltbank eine nationale Entwicklungsstrategie erarbeitet. Mit diesem eigenständigen Beitrag hat sie den Afghanistan-Compact von 2008 selbst ausgestaltet. Die afghanische Regierung geht auch selbstkritisch mit ihren eigenen Fähigkeiten um. Sie hat klar gesagt: Wir haben Fehler gemacht. Das sagen auch wir. Wir wissen doch, dass Afghanistan nicht vorankommen kann, wenn nur militärische Mittel eingesetzt werden. ({9}) Militärische Komponenten sind nur dann tragfähig, wenn sie dazu beitragen, dass sich dieses Land zivil und friedlich entwickeln kann. Nur dafür brauchen wir Armeen, für nichts, aber auch gar nichts anderes. ({10}) In den nächsten fünf Jahren wird das Unabhängige Direktorat für lokale Regierungsführung Mittel zur Verfügung stellen, damit eines der Hauptprobleme der afghanischen Regierung - dass sie die Macht konzentriert und zentralisiert; das ist ein erheblicher Mangel - gelöst werden kann. Das Land soll in Zukunft von unten erneuert werden. Das ist ein Strategiewechsel, der zur Folge haben wird, dass sich das Land von unten verändert. Die Kommunen, Distrikte und Provinzen werden im nächsten Jahr ihre eigenen Körperschaften wählen. Lieber Kollege Lafontaine, in diesem Zusammenhang möchte ich sagen: Vor uns liegt eine wichtige Aufgabe. Im Jahre 2009 müssen wir unseren Beitrag leisten, dass in Afghanistan friedliche, faire und freie Wahlen abgehalten werden können. ({11}) Gert Weisskirchen ({12}) Das ist eine der zentralen Aufgaben der internationalen Staatengemeinschaft. Liebe Kollegin Beck, da wir in den nächsten Tagen zur Parlamentarischen Versammlung der OSZE nach Astana fahren: Ich fände es gut, wenn die OSZE ihre Dienste zur Verfügung stellen könnte, damit die internationale Staatengemeinschaft ihren Beitrag dazu leisten kann, dass diese Wahlen frei und fair vonstatten gehen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um zu helfen, dass dieses Land - das in einer gefährlichen Situation ist, das sich in einer Region befindet, in der es ständig von außen bedroht ist - eine Chance bekommt, sich weiterzuentwickeln. Das ist unsere Aufgabe. Vor diesem Hintergrund war die Pariser Konferenz von einem großen Erfolg gekrönt. Der Außenminister hat dazu beigetragen, dass die Pariser Konferenz, auf der sehr selbstkritisch Position bezogen wurde, überhaupt hat stattfinden können. Vielen Dank, Herr Außenminister! ({13})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einem Punkt haben Sie recht, Herr Lafontaine: Der Bundesaußenminister hat eine sehr schönfärberische Rede gehalten. ({0}) Das macht Ihre Rede aber nicht wahrheitsgetreuer. Denn Sie haben die Schönfärberei nur gespiegelt, also Schwarzmalerei betrieben. ({1}) Der Irrtum, dem Sie unterliegen, ist ein Irrtum, über den Sie vielleicht noch einmal nachdenken sollten. Er besteht meines Erachtens in Ihrer Vorstellung, dass dort Krieg herrscht - es gab dort übrigens schon 6 500 Tote, nicht 1 000 Tote, wie Sie sagten; ({2}) ich betone: jeder dieser 6 500 Toten ist ein Toter zu viel - liege daran, dass die internationale Gemeinschaft dort präsent sei. Das ist der Grundirrtum, dem Sie aufgeses- sen sind. Oskar Lafontaine [DIE LINKE]: Muss ich mir so einen Quatsch wirklich anhören?) Darüber muss man gar nicht spekulieren. Was ist eigentlich geschehen, als der Kalte Krieg, der in Afghanistan heiß ausgefochten wurde, zu Ende war? Auch in diesem Punkt muss ich Sie leider belehren: Die Finanzierung der Nordallianz erfolgte nicht durch die USA. Die USA haben die Taliban bezahlt, die Nordallianz ist von den Russen bezahlt worden. In Ihrer Partei gibt es einige Leute, die das genau wissen. ({3}) Als der Kalte Krieg, der in Afghanistan heiß ausgefochten wurde, zu Ende war und man das Land sich selbst überlassen hat, hat dort 15 Jahre lang der brutalste Krieg stattgefunden, ein Krieg mit Exzessen, mit Massenmord etc., der so schlimm war, dass die Menschen die Herrschaft der Taliban in den ersten Jahren sogar ein Stück weit als Befriedung empfunden haben. Es ist ein Grundirrtum, zu denken, dass in Afghanistan Krieg herrsche, weil auf der Basis eines Mandats der Vereinten Nationen der Versuch gemacht wird, dieses Land, das durch Verantwortungslosigkeit, durch Intervention anderer Mächte und durch eigene Unzulänglichkeit in einen Krieg geraten ist, wiederaufzubauen. In Afghanistan haben wir keine Irakisierung, wir haben das Gegenteil von Irakisierung. ({4}) Es geht um den Versuch, die Herrschaft des Rechts wiederherzustellen. Dies gleichzusetzen mit einer völkerrechtlich nicht gedeckten Intervention wie im Irak, ist ein Grundfehler. Damit redet man im Übrigen den IrakKrieg schön. ({5}) Warum war das, was der Bundesaußenminister gesagt hat, schönfärberisch? Ich hätte mir gewünscht, lieber Frank-Walter Steinmeier, dass Sie sich die Selbstkritik, die auf der Afghanistan-Konferenz geübt worden ist, zu eigen gemacht hätten. Auf der Konferenz konnten Sie das zugegebenermaßen nicht leisten, weil Sie nur drei Minuten Redezeit hatten ({6}) im Gegensatz zu Laura Bush, die für eine bekannte NGO zehn Minuten über die Fortschritte im Bildungswesen Afghanistans reden durfte. Lesen Sie einmal nach, was die Überprüfung der Fortschritte gemäß dem Compact ergeben hat: Die Opiumproduktion habe ein alarmierendes Ausmaß angenommen. Die Korruption nehme nicht ab, sie wachse. Die legale Wirtschaft stehe auf einer unsicheren Grundlage. Von all dem haben wir heute wenig gehört. ({7}) Zum anderen war es schönfärberisch, als Sie Leistungen in Aussicht gestellt haben, die bereits zugesagt worden sind. So ist es nicht wahr, dass Deutschland zusätzlich 140 Millionen Euro zur Verfügung stellt - diese Mittel stehen bereits im Haushalt. Auch ist es bis heute nicht so, dass die Ankündigung, die Polizei aufzubauen - wofür wir übrigens seit 2004 zuständig sind; das sage ich im Hinblick auf uns beide -, umgesetzt worden wäre. Tatsächlich ist es so, dass die Feldjäger der Bundeswehr in Afghanistan mehr Polizeiausbildung betreiben, als Polizisten es tun. Das ist die Realität. ({8}) Ich finde, es hätte dieser Debatte gut getan, wenn die Regierung die real existierenden Defizite beim zivilen Aufbau benannt hätte. ({9}) Ich bin beileibe nicht der Auffassung, dass man Euro für Euro gegenüberstellen müsse, dass man argumentieren könne, es sei ein Missverhältnis, dass der TornadoEinsatz 100 Millionen Euro kostet, während für zivile Hilfe lediglich 140 Millionen Euro bereitgestellt würden. Solche Vergleiche sind falsch. Aber es muss Sie doch umtreiben, dass es offensichtlich keinerlei Probleme bereitet, das Bundeswehrmandat um 1 000 auf 4 500 Soldatinnen und Soldaten aufzustocken, während in Afghanistan gerade einmal 255 zivile Aufbauhelfer aus Deutschland tätig sind. Das sind sehr wenige; so viele bräuchte man allein an Polizisten. Mit diesem Missverhältnis haben viele Leute ein Problem. Es ist richtig: Afghanistan wird militärisch nicht zu gewinnen sein. Aber wenn Afghanistan militärisch nicht zu gewinnen ist, muss es uns doch umtreiben, dass immer dann, wenn ein militärisches Erfordernis da ist - und das muss man im Hinblick auf die 1 000 zusätzlichen Soldatinnen und Soldaten nicht einmal bestreiten -, wir sofort „liefern“ können, während es Jahre dauert, bis die Defizite im Zivilen, beim Aufbau der Polizei, endlich abgebaut werden. ({10}) Seit zwei Jahren rede ich davon, dass bei der Ausbildung der Polizei Defizite bestehen. Seit zwei Jahren versprechen Sie uns, Abhilfe zu schaffen. Doch es passiert nichts. ({11}) Mit unseriöser Kritik an der Afghanistan-Politik trägt man zur Lösung des Problems nicht bei. Sie wollen, dass die Opposition die deutschen Auslandseinsätze nach Möglichkeit mitträgt. Nun können Sie die Vorschläge der Opposition, selbst wenn wir das Gleiche wollen, was Sie zumindest versprechen, ablehnen. Natürlich können Sie uns trotzdem um Zustimmung bitten. Sie können auch sagen: Uns interessiert nicht wirklich, was diese kleinen Oppositionsfraktionen dazu sagen. Sie haben aber ein Problem: Wenn in einer Demokratie keine Akzeptanz für einen solchen sinnvollen - das betone ich Einsatz an dieser Stelle mehr besteht - auch von Militär -, dann wird dieser Einsatz zu Ende sein. Das ist das Problem, vor dem Sie stehen. Deswegen müssen Sie die realen Defizite im Zivilen nicht nur thematisieren und hinterfragen, sondern endlich abbauen. Darum geht es uns im Kern, wenn wir von einem Strategiewechsel sprechen. Sie kündigen ihn seit zwei Jahren an, aber er findet nicht statt. Ich kann das auch anhand des militärischen Bereichs beschreiben: Sie reduzieren jetzt die Stärke der OEF. Bisher waren 260 Marinesoldaten am Horn von Afrika eingesetzt. Die Gesamtzahl wollen Sie jetzt von 1 400 auf 800 reduzieren. Welch ein Fortschritt! Haben Sie auch nur einen Tag lang mit den Amerikanern darüber gesprochen, ob es nicht sinnvoll ist, die Ausbildung der afghanischen Armee endlich der NATO und damit der ISAF zu überantworten? Haben Sie den Amerikanern an dieser Stelle konkrete Vorschläge und Angebote gemacht? Mir ist davon nichts bekannt. Das ist der Kernpunkt, weshalb ich sage: Im Zivilen wie im Militärischen verfehlen Sie genau das, was notwendig wäre, um Afghanistan zu stabilisieren. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Trittin.

Jürgen Trittin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003246, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. Ich zitiere ungern Soldaten, in diesem Fall zitiere ich aber Ulrich Kirsch vom Bundeswehr-Verband. Er hat Ihnen ins Stammbuch geschrieben: Man müsste gleichzeitig mit dem Mandat für die Bundeswehr ein Zivilmandat formulieren, in dem die zivilen Aufgaben so klar aufgeschrieben werden wie die unsrigen im militärischen Mandat. Der Mann hat Recht, und wir können das nur nachdrücklich unterstreichen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist wichtig, dass im Mittelpunkt der heutigen Diskussion der zivile Aufbau steht. Die Paris-Konferenz zur Zukunft Afghanistans war in der Tat ein Schritt in die richtige Richtung, und zwar vor allem aus zwei Gründen: erstens weil die afghanische Regierung nach einem wirklich beachtenswerten internen Entscheidungsprozess ihre eigenen Vorstellungen zu einer nationalen Entwicklungsstrategie vorgelegt und damit eindrucksvoll ihren Willen zur Eigenverantwortlichkeit unterstrichen hat, und zweitens weil die Konferenz tatsächlich der Versuch war, eine ehrliche Bestandsaufnahme der Erfolge, der Probleme und der Herausforderungen bei der bisherigen Aufbauarbeit in Afghanistan zu machen. Herr Trittin, so wichtig es ist, die Defizite anzusprechen - ich glaube nicht, dass wir Entwicklungspolitiker uns um diese Diskussion drücken -, so wichtig ist auch das, was schon gesagt wurde, dass es nämlich ganz entscheidend darauf ankommt, der deutschen Öffentlichkeit auch die Leistungen und Erfolge der vielen zivilen Aufbauhelfer, unserer Soldaten und vieler anderer - auch die der deutschen Steuerzahler - zu dokumentieren. Hier kann und muss man bei allem, was deutlich wird - auch wenn man hinfährt -, sagen: Unser Einsatz ist sinnvoll und zeigt Wirkung. ({0}) Zu den eindrucksvollen Beispielen, die schon genannt wurden - zum Beispiel im Bildungsbereich, im Gesundheitsbereich und bei der Minenräumung -, möchte ich noch einige Dinge anführen, die vielleicht weniger bekannt, aber genauso wichtig sind. Wir haben zum Beispiel konkrete Erfolge beim Aufbau der staatlichen Institutionen in Afghanistan. Von den afghanischen Ministerien werden Mittel in Höhe von 77 Millionen Euro jährlich direkt dafür genutzt, konkrete Projekte umzusetzen. Das ist zehnmal so viel wie vor fünf Jahren. Dadurch wird deutlich, dass wir auch beim Aufbau der Kapazitäten weiterkommen. Ein anderes Beispiel: Mit deutscher Hilfe wurde die Investitionsagentur AISA eingerichtet. Sie wird bis zum Ende dieses Jahres 550 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Ich nenne ein weiteres Beispiel. Mit unserer Hilfe wurde die erste Mikrokreditbank in Kabul eröffnet. Das hat im Land eine Investitionswelle initiiert, die vor allem den kleinen Leuten zugute kommt. Mit Darlehen zwischen 130 und 1 300 Euro werden neue Existenzgrundlagen für Teppichknüpferinnen, Gemüseverkäufer und Automechaniker geschaffen. Das trägt zum Aufbau eines Mittelstandes und zur Armutsbekämpfung bei. Ein weiterer Bereich ist die Wasserversorgung. 2,5 Millionen Menschen in Kabul, Herat und Kunduz profitieren jeden Tag ganz konkret von dem, was wir in der Entwicklungszusammenarbeit geleistet haben. Ich nenne ein Letztes: Wir machen auch etwas, das uns im Kulturbereich viel Ehre und Sympathie in ganz Afghanistan einbringt. Wir führen zum Beispiel ein Projekt zur Sanierung der Altstadt in Herat durch und helfen beim Zusammensetzen der zerstörten Buddha-Statuen von Bamian. Das alles zusammen ergibt ein ganz anderes Bild der Wertschätzung der Afghanen für unsere Arbeit, als es Herr Lafontaine dargestellt hat. Untersuchungen der FU Berlin haben ergeben, dass 72 Prozent der Afghanen unser Engagement - vor allem im Sicherheitsbereich begrüßen. Das macht deutlich, wie sehr die Afghanen unsere Arbeit wertschätzen. ({1}) Wir erleben aber auch täglich, dass der zivile Wiederaufbau in Afghanistan Feinde hat und dass es eine Minderheit gibt, die mit Gewalt verhindern will, dass Demokratie, Menschen- und Bürgerrechte dauerhaft Zukunft haben. Deswegen brauchen wir für den Wiederaufbau eine entsprechende Sicherheitsstruktur mit einer funktionierenden afghanischen Armee, Justiz und Polizei. Es gab zwar die eine oder andere Schwierigkeit beim Polizeiaufbau, auch bei EUPOL - damit haben wir uns bereits befasst -, aber ich verstehe nicht, Herr Trittin, dass Sie einfach leugnen, wie viele Tausende von Soldaten wir inzwischen in Afghanistan ausgebildet haben und dass eine Verdoppelung der Zahl der deutschen Polizeikräfte als Ausbilder in Afghanistan vorgesehen ist. Das sollte man der Ehrlichkeit halber an dieser Stelle hinzufügen. Sonst tut man nämlich den Polizisten, die in Afghanistan Dienst tun, Unrecht. ({2}) In Afghanistan steht viel auf dem Spiel, nicht nur für die Afghanen selbst, unsere Soldaten und die zivilen Aufbauhelfer, sondern wegen der Lage in einer sehr explosiven Region Afghanistans auch für unsere eigene Sicherheitspolitik und unsere eigenen Sicherheitsinteressen. Deswegen sind wir es den Bürgern in Afghanistan, aber auch unseren eigenen Bürgern schuldig, die Defizite und die Herausforderungen, vor denen wir noch stehen, anzusprechen. Mit der Abstimmung der zahllosen Geberländer und Institutionen im zivilen Bereich untereinander, mit der Entwicklung in der Drogenwirtschaft und mit der Sicherheitslage können wir nicht zufrieden sein. Aber die einzig mögliche Antwort darauf besteht darin, mit unseren Erfolgen im Rücken die Herausforderungen anzugehen. Das gilt zum Beispiel auch für die Drogenbekämpfung. Was in Laos, in weiten Teilen Pakistans und auch in Thailand gelungen ist - übrigens auch durch deutsche Entwicklungszusammenarbeit -, das ist auch in Afghanistan möglich, nämlich eine erfolgreiche Drogenbekämpfung zu organisieren, wenn man bereit ist, den Dingen konsequent auf den Grund zu gehen. Man muss die Menschen in die Lage versetzen, auch ohne Drogenanbau ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, zum Beispiel durch Rehabilitierung der alten Bewässerungssysteme und den Wiederaufbau der Infrastruktur. Man muss auch deutlich machen, dass man nicht nur die Kleinen bestraft, sondern auch die großen Drogenbarone nicht ungeschoren davon kommen lässt. Entscheidend ist, dass wir stärker als bisher die afghanische Regierung und die afghanischen Entscheidungsträger in die Pflicht nehmen und versuchen, die Nachbarstaaten wie Pakistan in unsere Strategien einzubeziehen, und dass es uns gelingt, den vielstimmigen Chor der Geber auch international besser untereinander abzustimmen. Dabei denke ich besonders an die Weltbank und an den wichtigsten Geber, die Vereinigten Staaten, aber ich denke auch an uns. Trotz der großen Fortschritte, die die am zivilen Aufbau in Afghanistan beteiligten deutschen Ressorts gemacht haben, bleibt es eine Daueraufgabe, möglichst konkret unser Ziel zu verfolgen. Wir brauchen konkrete Planungs- und Zielvorgaben für einen überschaubaren Zeitraum, die von allen Ressorts gemeinsam eingehalten werden. In diesem Zusammenhang halte ich es für sinnvoll, dass das im kommenden Herbst zu beschließende Afghanistan-Mandat auch eine Zwischenbilanz der zivilen Leistungen und neDr. Christian Ruck ben weiteren militärischen zivile Vorhaben mit konkreten Zielvorgaben und Verantwortlichkeiten beinhaltet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Ruck, darf ich Sie an Ihre Zeit erinnern?

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl, ich bin gleich so weit. ({0}) Ich bin dagegen, dass man militärische und zivile Ausgaben gegeneinander aufwiegt und ausspielt. Wir dürfen keine Zweifel an der Sicherheit unserer Soldaten aufkommen lassen und an ihr sparen. Das können wir nicht verantworten. Nun wird viel Geld zur Verfügung gestellt: 21 Milliarden Euro bis 2010. Hier muss eine qualitative Umsetzung erfolgen. Wir sind jedenfalls jederzeit bereit, über eine weitere Aufstockung der Haushaltsmittel für Afghanistan zu reden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, Sie reden auf Kosten Ihrer Kolleginnen und Kollegen.

Dr. Christian Ruck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001893, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ein Schlusssatz, Frau Präsidentin. Für uns sind die Anstrengungen im militärischen Bereich nichts anderes als die unverzichtbare Absicherung des eigentlichen Ziels, nämlich der dauerhaften Stabilisierung der jungen Demokratie in Afghanistan. Wir müssen sie in die Lage versetzen, in möglichst naher Zukunft die Aufgabe, dass die Bürger in Frieden und Freiheit leben, zu erfüllen. Das liegt auch im vitalen deutschen Interesse. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Hellmut Königshaus, FDP-Fraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Trittin, Oskar Lafontaine hat noch in einem weiteren Punkt recht: Der Kollege Dr. Schockenhoff hat eine erfrischende Rede gehalten. Er hat insbesondere die Probleme, die die Reibereien zwischen dem BMZ und dem Auswärtigen Amt betreffen, sehr klar beschrieben. Ich glaube, darin liegt in der Tat ein großes Problem. ({0}) Er hat außerdem gesagt, dass Sicherheit und Aufbau zwei Seiten ein und derselben Medaille seien. Damit hat er natürlich recht. Er hat dabei eines, glaube ich, nicht richtig deutlich gemacht: Es sind zwar zwei Seiten ein und derselben Medaille, aber sie stehen im Verhältnis von Mittel zu Zweck. Wir sind dort militärisch engagiert, weil wir aufbauen wollen, und nicht umgekehrt. Das muss man sich vor Augen führen. ({1}) Afghanistan braucht unsere Hilfe. Die Afghanen vertrauen darauf, dass wir unser Versprechen halten, wenn es um den Aufbau einer stabilen und korruptionsfreien Verwaltung, einer funktionierenden Polizei, von Schulen usw. geht. Das enorme Interesse, das die Afghanen an unseren Aufbaubemühungen haben, ist schon daran zu erkennen, dass die afghanische Botschafterin bis eben an der Debatte teilgenommen hat und dass das afghanische Fernsehen die Ergebnisse der Konferenz in Paris live übertragen hat. Das zeigt, welch große Hoffnungen darauf ruhen. Ich bin mir aber sicher, dass die Afghanen über die im Fernsehen übertragenen Ergebnisse der Afghanistan-Konferenz enttäuscht sind. Diese Konferenz wäre eine gute Gelegenheit gewesen, sich mit der Situation in Afghanistan grundsätzlich auseinanderzusetzen, und zwar ohne die zwanghafte Verengung auf Sicherheitsfragen. Sie hätte Anlass gegeben, sich mit der Rolle der afghanischen Regierung näher zu befassen, insbesondere in der Drogenwirtschaft. Diese Chance wurde auf der Konferenz erneut vertan, obwohl sicherlich einige Probleme im Zusammenhang mit dem Drogenanbau festgestellt wurden. ({2}) Herr Minister Steinmeier, Sie selbst haben gesagt, dass es ein „Weiter so“ in Afghanistan nicht geben dürfe und dass es nun vor allem um den Aufbau gehe. Warum zeigt sich dann aber die Bundesregierung gerade bei den Hilfszusagen so knauserig? Wir Liberale fordern seit langem - Herr Trittin, ich glaube, hier besteht Übereinstimmung - eine Erhöhung der Mittel für Afghanistan, beispielsweise durch Umschichtung. Verschiedene Seiten haben gerade die Bedeutung dieses Landes unterstrichen. Wir wissen sicherlich, dass Geld allein nicht die Lösung ist; das ist klar. Aber im Vergleich zu den Leistungen, die etwa Kanada sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich erbringt, ist das, was wir leisten, relativ gesehen viel zu gering. Meine Damen und Herren, ich habe mir vor Ort ein Bild von der Lage gemacht. Jeder Entwicklungshelfer, mit dem ich gesprochen habe, hat mir erklärt, dass er sofort mehr Geld in die laufenden Projekte einspeisen könnte. Die Behauptung der Entwicklungsministerin, mehr Geld könne man in dem Land nicht einsetzen, ist schlichtweg falsch. ({3}) Der Bedarf in dem Land ist vorhanden. Es gibt Erfolge - sie werden ja immer wieder wie ein Mantra vorweg getragen -, aber es gibt sie nur punktuell, es sind nicht genug, und vor allem werden die Projekte nicht schnell genug umgesetzt. Das Land braucht mehr Projekte, vor allem in der Fläche, auf dem Land, dort, wo noch nichts von Aufbau und Fortschritt zu spüren ist. Geben wir doch die nötigen Mittel, damit der Aufbau endlich bei den Menschen auf dem Land direkt ankommt! Nur damit tragen wir zu einer Stabilisierung der Lage bei. Es ist ja nicht so, dass wir für den Aufbau kein Geld hätten. Es gibt genügend Geld im Haushalt. Der Haushalt des BMZ ist der einzige, der kontinuierlich wächst. Darüber hinaus geben wir immer noch - ich möchte das nicht wiederholen - überdurchschnittlich viel Geld in Ländern aus, die dieses Geld nicht mehr brauchen. ({4}) Hier müssen Sie kämpfen, Herr Außenminister. Wir wissen ja, dass Sie manchmal auf dem falschen Bein kämpfen; das konnten wir kürzlich erleben. Sie müssen sich einmal mit Frau Wieczorek-Zeul über diese Frage auseinandersetzen. Wenn sie gut drauf ist, lässt sie Sie zumindest ausreden. Heute scheint sie gut drauf zu sein. ({5}) Der zivile Aufbau ist im Übrigen auch der Schlüssel zur Drogenbekämpfung, über die wir gerade gesprochen haben. Die Drogenwirtschaft ist ein Teil der wirtschaftlichen Basis des Terrors. Dadurch wird nicht nur die Sicherheit unserer Soldaten und Helfer, sondern auch der Aufbau selbst bedroht. Die Menschen in Afghanistan haben im Moment gar keine alternativen Einkommensmöglichkeiten. Wir müssen sie ihnen schaffen, aber mit vernünftigen Projekten, die die Strukturen berücksichtigen, und nicht mit irgendwelchen illusionären Projekten, für die es gar keinen Markt gibt; Stichwort Rosenöl und Ähnliches. Des Weiteren müssen wir dafür sorgen, dass die Polizeimission endlich vorankommt. Hierüber haben wir heute im Ausschuss wieder eine Auseinandersetzung erlebt. Der Innenminister sagte, damit habe er nichts zu tun, EUPOL sei eine Angelegenheit des Außenministers. Egal, wer intern dafür zuständig ist: Sorgen Sie dafür, dass das endlich vorankommt. Wir haben doch dort die Verpflichtung übernommen. ({6}) Anders als der Kollege Lafontaine sage ich: Wir müssen mehr für die Sicherheit unserer Entwicklungshelfer tun. Dafür, Herr Verteidigungsminister, brauchen wir mehr Soldaten, gerade in der Fläche, damit sie in der Not schnell Hilfe erhalten können. Ich bin, offen gesagt, enttäuscht darüber, dass Sie offenbar nicht beabsichtigen, die durch die Heraufsetzung der Mandatsobergrenze genehmigten zusätzlichen Soldaten für diese Zwecke einzusetzen. Das ist enttäuschend. Darüber sollten Sie noch einmal nachdenken. Wir dürfen uns nicht vormachen, dass, wie das oft gesagt wird, Afghanistan schon auf dem richtigen Weg sei. Die Bundesregierung unterliegt einem Irrtum, wenn sie das glaubt. Sie, Herr Bundesaußenminister, haben gestern gesagt, Sie hätten offenbar eine andere Wahrnehmung von der Situation unserer Aufbauhelfer als ich. Da haben Sie recht. Aber ich glaube, dass in dem Fall ich die richtigere Auffassung habe, ({7}) und zwar deshalb, weil ich mit den Leuten fernab der Feldlager gesprochen habe. Sprechen Sie mit denen! Dann werden Sie hören, dass nicht alles das, was Ihnen vom BMZ oder vom Bundesverteidigungsministerium mitgeteilt wird, tatsächlich die volle Wahrheit ist, die volle Realität darstellt. Meine Damen und Herren, auch wenn es Probleme gibt, dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren. Wir müssen die afghanische Regierung in die Pflicht nehmen. Und wir müssen etwas mehr Geld in die Hand nehmen. Dann werden wir in Afghanistan zum Erfolg kommen. Ich danke Ihnen. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Christel RiemannHanewinckel, SPD-Fraktion.

Christel Hanewinckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000802, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich sehr gefreut, dass es der afghanischen Botschafterin möglich war, heute zumindest einen Teil der Debatte mitzuverfolgen. Im Rahmen eines Gesprächs, das wir gestern in der Arbeitsgruppe Menschenrechte der SPD-Bundestagsfraktion geführt haben, hat sie sich sehr deutlich zu dem, was wir heute verhandeln, und zum Einsatz der internationalen Schutztruppe geäußert. Darauf komme ich später zu sprechen. Entwicklung nach kriegerischen Auseinandersetzungen ist immer nur möglich, wenn es Hoffnung, Vertrauen und ein Mindestmaß an Sicherheit gibt. Und eines kommt ohne das andere nicht aus. ({0}) Deutschland hat sich wiederholt verpflichtet, Afghanistan bei der Herstellung und bei der Wahrung von Sicherheit, vor allem aber auch beim Aufbau des Landes zu unterstützen. Ohne Sicherheit ist das Wachsen von Demokratie nicht möglich, ohne Sicherheit haben Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen überhaupt keine Chance, ohne Sicherheit werden Frauen weiterhin diskriminiert und der häuslichen und traditionellen Gewalt in Afghanistan ausgesetzt, ohne Sicherheit bleibt die Müttersterblichkeit extrem hoch, und ohne Sicherheit werden permanent Menschenrechte verletzt. Erfahrungen und Erlebnisse aus 30 Jahren Krieg in Afghanistan müssen durch die Erfahrung abgelöst werden, dass das Zusammenleben gemeinsam zu gestalten ist. Neben die Hoffnung auf eine gute Zukunft muss das Erleben eines sich verändernden Gemeinwesens treten. ({1}) Es stellt sich die Frage, ob die Afghanen das nicht alleine tun können bzw. was Deutschland dazu tun kann. Mein erster Punkt ist, dass Deutschland durch die Beteiligung an der ISAF-Mission einen wichtigen Beitrag für die innere und äußere Sicherheit in Afghanistan leistet und weiterhin leisten muss. Deutschland kann durch ein umfassendes Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit zur Entwicklung der afghanischen Zivilgesellschaft und eben auch der staatlichen Strukturen beitragen. Mit dem Auftrag von ISAF wird ein politisches und kein militärisches Ziel verfolgt. Vielleicht müssen wir das ständig wiederholen, damit es die, bei denen es noch nicht angekommen ist, endlich begreifen. ({2}) Ich sage es noch einmal: Unsere Aufgabe lautet, Afghanistan bei der Herstellung und Wahrung von Sicherheit und beim Aufbau des Landes zu unterstützen. So zwiespältig es auch sein mag - ich wiederhole es -, ohne ein Mindestmaß an Sicherheit können wir und auch die Nichtregierungsorganisationen in Afghanistan keine Aufbauarbeit leisten. Das gilt auch und gerade in Zeiten, in denen sich die Sicherheitslage verschlechtert. Die Botschafterin sagte gestern sehr deutlich und unmissverständlich in dem Gespräch: Wenn die ISAF-Truppen abziehen, sind die Taliban in weniger als 24 Stunden da. ({3}) Das heißt - das wissen wir eigentlich alle -, dass damit jegliche Entwicklung, jedes Aufwachsen von Demokratie abgeschnitten wird. Wer das nicht begreifen will, sollte nicht immer nur mit einer Frau aus Afghanistan reden, sondern auch mit anderen, die nicht nur das Leben dort kennen, sondern sich auch engagieren, um die Demokratisierung in Afghanistan voranzubringen. ({4}) Wir müssen akzeptieren, dass Entwicklung und Sicherheit in Afghanistan einander bedingen. Das sehen auch die Nichtregierungsorganisationen so. Ich will stellvertretend für andere an dieser Stelle „medica mondiale“ nennen. „medica mondiale“ ist eine Nichtregierungsorganisation, die sich seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bereichen für die Rechte von Frauen in Afghanistan einsetzt. „medica mondiale“ hat Erfahrungen auch in anderen Ländern, die in einer Nachkriegssituation dabei sind, eine Zivilgesellschaft aufzubauen und die Rechte von Frauen zu stärken. Erst in der vergangenen Woche hat uns eine Vertreterin dieser Organisation berichtet, dass afghanische Frauen eindringlich vor einem zu frühen Abzug der internationalen Schutztruppe warnen. Ich bin schon der Meinung, dass diese das besser wissen müssen als manche hier im Parlament. Deshalb bin ich sehr dafür, dass wir diese Warnung der Frauen ernst nehmen. ({5}) Ich möchte noch einmal die Botschafterin, Frau Professor Dr. Maliha Zulfacar, zitieren. Sie hat gestern gesagt: „Die Entwicklung Afghanistans ist kein Projekt, sondern ein Prozess.“ Wir als Mitglieder des Deutschen Bundestags können wohl auch für das geeinte Deutschland feststellen: Das Zusammenwachsen war und ist kein Projekt für eine Legislaturperiode gewesen, das mit einem einzigen Titel im Haushalt auskommt, sondern es war und ist ein Prozess, der erhebliche Mittel gebraucht hat und noch immer braucht. ({6}) Inzwischen dauert der Prozess 18 Jahre. Ich möchte sagen, dass wir in Deutschland vieles geschafft haben, vieles verändert haben, und doch erfahren wir tagtäglich, was noch zu tun ist. Ich behaupte: Es ist wesentlich leichter und es ist schneller möglich, Straßen zu bauen und Häuser zu sanieren, als Menschen für die Demokratie zu begeistern und für das Mitmachen zu gewinnen. Das sind unsere Erfahrungen in Deutschland. Afghanistan hat Krieg und Zerstörung von Strukturen, Land und Menschen hinter sich und hat eine junge Generation, auf die alle setzen. Diese junge Generation aber ist mit Gewalt groß geworden. Die jungen Menschen müssen lernen und erfahren, dass es andere Arten des Zusammenlebens und des gemeinsamen Aufbauens gibt als die, mit einer Flinte in der Hand bzw. mit Gewalt und Macht durchzusetzen, was der Einzelne oder die Gruppe will. Die afghanische Botschafterin hat uns um etwas gebeten. „Gebt uns Chancen!“ hat sie gesagt, und ich füge hinzu: Vor allem in Zeiten, in denen es schwierig ist; dann erst recht, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf der Geberkonferenz in Paris hat man sich dazu deutlich geäußert und eine wichtige Zäsur gesetzt. Man hat nämlich Bilanz über das gezogen, was die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland mit der Unterstützung für Afghanistan bisher erreicht haben. Man hat vor allem aber auch deutlich gemacht, dass die internationale Gemeinschaft und Afghanistan selbst immer wieder zu Veränderungen bereit sein müssen; es war also eine kritische Bilanzierung. Es gibt enorme Herausforderungen, die die afghanische Regierung mit unserer Unterstützung in den kommenden Jahren zu bewältigen hat. Dazu gehören insbesondere die Verwirklichung der Verfassung, der Aufbau funktionierender Institutionen und die Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit. Am Beispiel der Frauen lässt sich das sehr gut deutlich machen. Noch immer erleben mehr als 80 Prozent der Frauen in Afghanistan Missbrauch und Gewalt. Wenn sie häusliche Gewalt oder Zwangsverheiratung anzeigen wollen, werden sie zum Teil von Richtern diskriminiert. Unter Umständen verfügen sie nicht über die notwendige Bildung, um ihre Rechte überhaupt zu kennen. Staatliche Institutionen und Behörden setzen das Recht, das in der Verfassung garantiert ist, nicht um. Deshalb überlagern noch immer Gewohnheitsrechte geltendes Recht. Leider kommt es dann oft zu massiven Menschenrechtsverletzungen. Deshalb ist es gut, dass auch in den Regierungsverhandlungen zwischen Deutschland und Afghanistan Frauenrechte und Genderfragen ein zentrales Thema waren und die entsprechenden finanziellen Mittel bereitgestellt wurden. Denn auch in Afghanistan ist ohne die Frauen kein guter Staat zu machen. Ich komme zum Schluss. - Im nächsten Jahr finden in Afghanistan die nächsten freien Wahlen statt. Deutsch18154 land und die internationale Gemeinschaft werden auch mit Blick darauf weiterhin zur Stabilisierung Afghanistans beitragen. Aber die afghanische Regierung muss die volle Verantwortung für den Aufbau ihres Landes übernehmen. Die Regierungsverhandlungen haben gezeigt, dass Afghanistan offensichtlich dazu bereit ist. Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam mit Afghanistan zu tragfähigen und nachhaltigen Lösungen kommen. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Ute Koczy, Bündnis 90/Die Grünen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um die Ergebnisse der AfghanistanKonferenz am 12. Juni. Ich sage: Aus einer solchen internationalen Konferenz zur Unterstützung Afghanistans hätte man mehr machen müssen. Mit einem solchen Ereignis hätte man wirklich mehr an Ergebnissen erreichen müssen. Die Bundesregierung hat es verpasst, zusammen mit den anderen Gebern tatsächlich einen Kurs- und Strategiewechsel einzuleiten. Sie hat es verpasst, dieses Ereignis zu nutzen, um in der deutschen Bevölkerung um Verständnis für die Widrigkeiten und Probleme bei der Aufbauarbeit Afghanistans zu werben. Sie hat es auch verpasst, eine ehrliche Bilanz zu ziehen. Es waren wohl Anklänge davon zu finden - keine Frage -, aber die Erwartungen an Paris waren hoch, und zwar deswegen, weil die Situation in Afghanistan instabil ist, weil sich die Sicherheitslage verschlechtert hat, weil die Opiumproduktion gestiegen ist, weil die Wirtschaft instabiler wird, weil die Korruption zunimmt, weil die Hilfen unzureichend wirken, weil die Hilfen schlecht ankommen, weil Frauenrechte zurückgedrängt werden, weil - ja, auch das - viele Fehler gemacht worden sind. Und dann das: Zu all diesen Themen eine eintägige Konferenz mit drei Minuten Redezeit für die Präsidenten und Minister! Dabei war doch etwas Bemerkenswertes passiert. Von afghanischer Seite wurde eine nationale Entwicklungsstrategie vorgelegt. Dieser Vorschlag der afghanischen Regierung zur künftigen Ausrichtung des Aufbaus basiert ja auf den Millenniumsentwicklungszielen, denen wir uns verschrieben haben und die von uns allen geschätzt werden. Damit werden ja Möglichkeiten an die Hand gegeben, Strategien zur Armutsbekämpfung zu nutzen. Die Afghanen haben sich jetzt am Afghanistan Compact orientiert, der ja drei Kernziele umfasst: erstens Sicherheit, zweitens Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie drittens wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Die afghanische Regierung hat in Eigenverantwortung Vorschläge vorgelegt. Damit hat sie Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft übernommen. Das hätte man noch mehr würdigen müssen; denn wenn man sich fragt, ob das denn der Bevölkerung hier klar und deutlich gesagt worden ist bzw. ob wenigstens darauf hingewiesen worden ist, muss man zu dem Schluss kommen: Nein, das ist nicht geschehen. Ich finde, da ist eine Chance verpasst worden. ({0}) Lassen Sie mich nun zu den beiden Punkten wirtschaftliche Entwicklung und Bildung etwas sagen. Rufen wir uns ins Gedächtnis, dass Deutschland einstmals die Führung in der Frage der wirtschaftlichen Entwicklung übernommen hat. Insofern ist auch diese Frage eng mit dem deutschen Engagement verknüpft. Ja, es gibt Fortschritte. Es braucht aber zugleich einen langen Atem; denn wir müssen erkennen, die Zielmarken, die wir uns im Afghanistan Compact in London gesetzt haben, waren unrealistisch bzw. zu ehrgeizig. Noch sind nämlich über 7 Millionen Menschen in Afghanistan von Hunger bedroht. Jetzt kommen noch drastische Preissteigerungen hinzu. Deswegen, so sagen wir, ist die Unterstützung des Aufbaus der Landwirtschaft enorm wichtig. Die ländliche Bevölkerung, die Männer und Frauen auf den Dörfern müssen überleben können. Hier muss sofort durch Not- und Übergangshilfe sowie durch Verstärkung der ländlichen Infrastruktur geholfen werden. Man muss wissen: Von den geschätzten 7,9 Millionen Hektar Ackerland werden nur 2,7 Millionen Hektar bewässert. Das heißt, es gibt Möglichkeiten, man nutzt sie nur zu wenig. Gleichzeitig können nur 20 Prozent der Bevölkerung auf das öffentliche Stromnetz zugreifen. Das alles sind Herausforderungen, denen man mit entsprechenden Maßnahmen umgehend und massiv begegnen müsste. Dafür braucht es noch mehr Mittel, dafür braucht es mehr Geld. ({1}) Nun zum Thema Bildung und Capacity für Frauen und Männer. Deutschland trägt mit dazu bei, dass die ehrgeizigen Ziele des Bildungsministeriums umgesetzt werden. Aber zugleich ist leider festzuhalten, dass es Regionen gibt, in denen Mädchen mit Steinen beworfen werden, wenn sie zur Schule gehen, dass Schulgebäude zerstört werden und dass es an weiblichen Lehrkräften mangelt, um Mädchen und Frauen zu unterrichten. Meine Damen und Herren, das deutsche Engagement in Afghanistan hängt von der Glaubwürdigkeit und von der Legitimation ab, die in der Öffentlichkeit durch den Nachweis der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit hergestellt wird. Ich finde, die Konferenz hätte gute Möglichkeiten geboten, die Wirksamkeit mehr in den Vordergrund zu stellen. Diese Chance ist verpasst worden. Ich wage zu behaupten, dass uns dies in der anstehenden Diskussion über die Frage, wie wir mit dem geplanten Aufwuchs der Zahl an Soldaten umgehen sollen, auf die Füße fallen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Ute Koczy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003788, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Schade, ich finde, man hätte mehr tun können. Danke. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Nach dieser Regierungserklärung zu der Pariser Schaufensterveranstaltung ({0}) kann ich nur sagen: Ich habe nichts anderes erwartet. Seit Jahren reden sich die Bundesregierungen und die Mehrheit hier im Bundestag die sich seit 2003 massiv verschlechternde Lage in Afghanistan schön. Ich denke dabei beileibe nicht nur an die sogenannte Sicherheitslage. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, UNDP, stellt in seinem jüngsten Bericht fest, dass in Afghanistan als fünftärmstem Land der Welt seit 2004 ein deutlicher Rückschritt zu verzeichnen ist: Die Lebenserwartung ist auf 43 Jahre gesunken; über 6 Millionen Menschen haben nicht genügend zu essen; 50 Prozent der unter Fünfjährigen sind untergewichtig. Das ist kein Wunder bei einem Preisanstieg von zuletzt 70 Prozent bei Brot und Mehl. Dass 99 Prozent der Waren auf dem Kabuler Markt Importwaren sind, kennzeichnet den katastrophalen Zustand der heimischen Wirtschaft. Auch auf dem Gebiet, mit dem sich der Bundesaußenminister immer so gerne brüstet, ist kein Licht am Horizont zu sehen. Die Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen ist um 5 Punkte auf 23,7 Prozent gesunken. Den Grund dafür hat der französische Präsident während der Pariser Konferenz genannt: Wir lassen uns nicht von Terroristen einschüchtern. Wir bleiben so lange, bis wir gewonnen haben. - So denkt auch die Bundesregierung. Dieser Satz zeigt zweierlei. Erstens: die völlige Realitätsverweigerung vor dem Charakter des afghanischen Widerstandes. Wie oft muss man noch sagen, dass die Afghanen Fremdherrschaft schon immer abgelehnt haben und dass sie sie auch immer erfolgreich abgeschüttelt haben? Zweitens macht der Satz deutlich, dass die westlichen Politiker in den Kategorien Sieg und Niederlage denken und damit der militärischen Logik folgen, anstatt sich um politische Lösungen zu bemühen. ({1}) Deutlicher als der jüngst aus dem Amt geschiedene ISAF-Oberbefehlshaber McNeill kann man es doch nicht machen. Auf seiner letzten Pressekonferenz nannte er die Zahl der Soldaten, die für eine militärische Aufstandsbekämpfung nötig seien: 400 000. Ähnliche Zahlen hört man auch von russischen Generälen, die ihre eigenen Erfahrungen gemacht haben. Das ist doch wohl ein indirektes Signal an die Politik, und im Klartext heißt das: Lasst euch endlich etwas Intelligenteres einfallen, als hier noch 500 und dort noch 1 000 Soldaten in einen Krieg zu schicken, der nicht zu gewinnen ist. Und was tut die deutsche Regierung? Genau dieses. Und sie tut noch etwas: Sie stellt stets mit großem Stolz die Erfolge in ihrem Verantwortungsbereich, dem Regionalkommando Nord, heraus. Sie verschweigt jedoch, dass sie sich die relative Ruhe - im Vergleich mit dem Süden und Osten des Landes - schlicht und einfach erkauft. Unsere ISAF-Kommandeure haben sich mit Warlords wie dem Gouverneur Ata in Masar-i-Scharif arrangiert. Das pfeifen die Spatzen im Norden von den Dächern, und das Motto lautet: Wir mischen uns nicht in deine schmutzigen Geschäfte ein, du darfst deine Willkürherrschaft ausüben, Statthalter und Milizen einsetzen, deine eigenen Steuern eintreiben. Dafür sorgst du dafür, dass wir nicht allzu sehr belästigt werden. Damit komme ich zu dem Nachwuchsjournalisten und Studenten Pervez Kambakhsh. Dieser Fall bündelt die tatsächliche Situation nach sieben Jahren vorgeblichen Aufbaus rechtsstaatlicher Strukturen wie in einem Brennglas. Er steht zugleich als Beispiel für den Gesamtzustand des Landes, den die Bundesregierung mit herbeigeführt hat. Kambakhsh hat nichts anderes gemacht, als sein Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit nach der afghanischen Verfassung in Anspruch zu nehmen. Das ist ihn teuer zu stehen gekommen. Unter den Augen des deutschen Regionalkommandos in Masar-i-Scharif wurde er im Machtbereich des Gouverneurs Ata verhaftet und zum Tode verurteilt, weil er kritische Koraninterpretationen aus dem Internet mit seinen Kommilitonen diskutieren wollte. Nun wartet er seit Wochen in Haft auf die Entscheidung des Appellationsgerichts in Kabul. Und was tut die Bundesregierung? - Sie duckt sich weg und opfert den jungen Mann auf dem Altar der NATO-Bündnissinteressen. ({2}) Ich nenne das feige und zynisch. Sie will die Fiktion aufrechterhalten, es gebe in Afghanistan eine unabhängige und souveräne Regierung. Wir alle hier im Plenarsaal wissen es besser, auch wenn es nicht alle zugeben. Die 87 Prozent der Deutschen, die nach der jüngsten Umfrage die Entsendung der Eingreiftruppe und die Aufstockung des Bundeswehrkontingents ablehnen, wissen es auch. Ich hoffe deswegen sehr auf eine rege Beteiligung von Abgeordneten aus allen Fraktionen an den Demonstrationen am 20. September in Stuttgart und Berlin. Das Motto wird sein: Bundeswehr raus aus Afghanistan! ({3}) Damit können Sie zeigen, dass Sie den Willen der Bevölkerung endlich ernst nehmen. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Der nächste Redner ist der Kollege Eckart von Klaeden, CDU/CSU-Fraktion.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Bericht des Gemeinsamen Koordinierungs- und Überwachungsrats, der auf der Pariser Unterstützungskonferenz für Afghanistan vorgelegt worden ist, zeigt meiner Ansicht nach ein realistisches Bild der Entwicklung in Afghanistan. Licht und Schatten liegen eng beieinander. Der Bericht gibt uns die Möglichkeit, unsere Politik neu zu justieren und eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Sosehr wir uns davor hüten sollten, uns an den Erfolgen besoffen zu reden, so sehr sollten wir uns von den Misserfolgen auch nicht entmutigen lassen. Vielleicht liegt der schwierige Teil der Arbeit in Afghanistan noch vor uns, nämlich der, der mit dem Aufbau der Staatlichkeit verbunden ist. Die Bestandsaufnahme zeigt meiner Ansicht nach auch, dass Erfolg in Afghanistan möglich ist. Der Kollege Trittin hat eben einen Angehörigen des Bundeswehr-Verbandes mit dem Wunsch zitiert, für den zivilen Aufbau ähnlich detaillierte Mandate wie für den militärischen Einsatz haben zu wollen. Man muss diesem Vertreter des BundeswehrVerbandes sagen, dass so etwas nicht möglich ist, weil der Aufbau einer Zivilgesellschaft unglaublich viel schwieriger ist als der Bau einer Kaserne. Gerade die Tatsache, dass solche Beschreibungen des zivilen Teils unseres Mandats nicht möglich sind, entspricht auf einem höheren Niveau dem altbekannten Argument, dass sich die Lage in Afghanistan nicht allein militärisch verbessern lässt. Wir sind jetzt an dem Punkt angelangt, wo wir die Balance zwischen Fördern und Fordern finden müssen. Einerseits dürfen wir die afghanische Regierung mit dem, was wir von ihr verlangen, nicht überfordern, andererseits müssen wir unsere Förderung so justieren, dass sie nicht zu weiterer Abhängigkeit, sondern schrittweise zu immer mehr Unabhängigkeit, also zu der berühmten Hilfe zur Selbsthilfe, führt. Dabei müssen wir uns selber zugestehen, dass es nicht nur in Afghanistan, sondern auch auf unserer Seite Defizite gibt. Für diese Defizite kann man aber keine bestimmten Verantwortlichen benennen. Wir lernen erst nach und nach, mit der Herausforderung, mit der wir in Afghanistan konfrontiert sind - mit der Aufgabe, einen Staat aufzubauen -, umzugehen. Diese Herausforderung begegnet uns in verschiedenen Einsätzen, bei verschiedenen Aufgaben: im Kosovo, in Bosnien-Herzegowina, in Palästina und jetzt eben auch in Afghanistan. Es ist aber schon ein großer Erfolg, dass wir heute wesentlich genauer wissen, was in Afghanistan zu tun ist. Das begründet die Hoffnung, dass Erfolg tatsächlich möglich ist. Was brauchen wir dafür? Wir brauchen Sicherheit, den politischen Willen und die Führungskompetenz der afghanischen Regierung, die Schaffung der nötigen institutionellen Voraussetzungen, eine bessere Koordinierung zwischen den afghanischen und den ausländischen Akteuren, angemessene Kapazitäten sowie einen kalkulierbaren finanziellen Mittelzufluss. Wenn wir die Geschehnisse der letzten Monate verfolgen, so müssen wir feststellen, dass die Entwicklung in Afghanistan auf der Kippe steht. Von Kollegen ist die Verschlechterung der Sicherheitslage schon angesprochen worden. Allein während der Pariser Konferenz ist es zu 187 von ISAF registrierten Sicherheitsvorfällen gekommen, 114 davon waren Schusswechsel, 35 Sprengstoffanschläge, es gab 35-mal indirekten Beschuss durch Mörser und Raketen sowie drei sonstige Vorfälle. Die Taliban stellen zudem ihre Strategie um. Wir haben drei spektakuläre Anschläge beobachten müssen: einen auf das „Serena“-Hotel, den zweiten auf die Truppenparade in Kabul und den dritten auf das Gefängnis in Kandahar. Das zeigt uns, dass wir insbesondere bei dem Aufbau der afghanischen Sicherheitseinrichtungen, also der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei, unsere Bemühungen verstärken müssen. Deshalb ist es ausdrücklich zu begrüßen, dass es jetzt zu der von Deutschland und dem Auswärtigen Amt forcierten und in der EU beschlossenen Verdoppelung des EUPOL-Einsatzes in Afghanistan kommt. Defizite liegen eben auf beiden Seiten: mangelnde Erfahrung und andere besondere Schwierigkeiten auf der afghanischen Seite und zum Teil zu geringer Mitteleinsatz auf unserer Seite. Dass aber ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Sicherheit in Afghanistan und der Entwicklung des Landes besteht, kann man in großer Deutlichkeit an der Entwicklung der Drogenökonomie im Land erkennen. Denn dort, wo die Sicherheitslage durch den Einsatz von ISAF und OEF sowie durch den nachfolgenden Einsatz von afghanischer Polizei und afghanischer Armee verbessert worden ist, ist der Drogenanbau nachhaltig zurückgegangen. Er konzentriert sich zunehmend auf die Provinzen, in denen die Sicherheitslage besonders schlecht ist. Allein diese Entwicklung straft die Linkspartei Lügen. Wir können feststellen, dass sich die Zahl der drogenfreien Provinzen von sechs auf 13 mehr als verdoppelt hat. ({0}) Das heißt, es besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Sicherheit auf der einen und der Entwicklung des Landes auf der anderen Seite. ({1}) Wir müssen also den eingeschlagenen Weg fortsetzen. Aber wir müssen auch die Monate nach der Sommerpause nutzen, um aus der Pariser Konferenz und den angesprochenen Berichten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Es ist bei Weitem nicht zu spät, aber auch hohe Zeit. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Parlamentarischen Staatssekretärin Karin Kortmann.

Karin Kortmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003161

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Außenminister! Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister! Liebe EntParl. Staatssekretärin Karin Kortmann wicklungsministerin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Was bleibt am Ende einer Debatte zu sagen, wenn man die vorletzte Rednerin ist und der Kopf schon voller Zahlen, Fakten, Anschuldigungen und Belobigungen ist? Es bleibt eine klare Perspektive: Wir alle wollen, dass der Aufbau in Afghanistan weiterhin erfolgreich vonstatten geht. Unsere Arbeit in den letzten sechseinhalb Jahren ist erfolgversprechend. Rückschläge gibt es zwar immer, aber wir alle sind von dem Willen geprägt - das wurde auf der Pariser Konferenz deutlich -, den Afghanen und Afghaninnen zur Seite zu stehen. Ohne sie wird es keinen Frieden, von dem wir alle profitieren, geben. Insofern, Herr Außenminister, kommt diese Regierungserklärung zur richtigen Zeit. Ich hätte sie mir allerdings schon letzte Woche gewünscht. Sie zeigt, welchen großen Erfolg die Bundesregierung beim Wiederaufbau Afghanistans verzeichnen kann. Herzlichen Dank dafür. ({0}) Wir halten im Parlament keine Reden für uns, sondern wir richten sie an diejenigen, die wir von unserer Arbeit in Afghanistan überzeugen wollen. Da jetzt neue Besuchergruppen auf der Tribüne Platz nehmen, möchte ich gerne drei Beispiele nennen, die verdeutlichen, was wir in Afghanistan auf dem Gebiet des zivilen Aufbaus tun. Als ich vor einigen Jahren das erste Mal in Afghanistan war, habe ich eine Schule besucht. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit zeichnet sich besonders durch ihr Know-how auf dem Gebiet der Schulprojekte aus. Unser Schwerpunkt liegt dementsprechend auf dem Aufbau eines Schulwesens. Bei den Schulen handelt es sich nicht immer um Gebäude aus Stein und Holz. Manchmal sind sie auch aus Lehm gebaut, und manchmal findet der Unterricht sogar in Zelten statt. Es ist wichtig, dass wir immer mehr Kinder und Jugendliche erreichen, die aus dem Analphabetentum der Talibanherrschaft heraus wollen und die einen großen Bildungshunger haben. Bereits heute hat jedes fünfte schulpflichtige Kind die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Als ich das erste Mal eine solche Schule besuchte, traf ich auf fünf Lehrerinnen, die - mit einer Burka verhüllt zusammen mit dem Schulleiter dort saßen und uns das Schulkonzept vorstellen wollten. Als sie auf unsere Bitte hin die Burka gelüftet haben, sahen wir, dass es sich bei diesen Lehrerinnen um Mädchen und junge Frauen im Alter von 14, 16 und 17 Jahren handelte. Sie sind es, die sich für das Bildungssystem in Afghanistan engagieren. Diese Mädchen wurden entweder von ihren Vätern abends zu Hause unterrichtet - unter der Talibanherrschaft war es ihnen nämlich nicht möglich, zur Schule zu gehen - oder sie hatten während ihres Exils im Iran die Möglichkeit, eine Schulausbildung zu absolvieren. Diese jungen Frauen - wir bilden weitere junge Frauen für diese Aufgabe aus - versuchen heute, in Klassen von 50, 70 oder manchmal sogar 100 Schülern Bildung zu vermitteln. Wir sind dabei eine der führenden Nationen, die führende Nation weltweit. Wir sind für den Aufbau von Schulen, die Gestaltung von Entwicklungsprogrammen, die Curricula-Entwicklung und auch für Lehrerinnenund Lehrergehälter zuständig. Bildungsminister Atmar sagte uns am Montag und Dienstag letzter Woche bei den Regierungsverhandlungen, wie wichtig es ist, dass Deutschland so frühzeitig in diesen Bereich eingestiegen ist und heute ein Programm umsetzt, das sich weltweit sehen lassen kann. Dazu sage ich, Herr Lafontaine: Die Art und Weise, wie wir den zivilen Aufbau begehen, sollten Sie beklatschen. ({1}) Ein zweites Beispiel. Christel Hanewinckel hat davon gesprochen, wie wichtig es ist, die Frauenförderung zu unterstützen. Eines der hervorragendsten Projekte, die wir ganz früh in der Entwicklungszusammenarbeit begonnen haben, war der Aufbau eines Frauensenders namens Radio Zora. Radio Zora hat den Frauen, die unter der Burka verhüllt waren, wieder eine Stimme gegeben, hat ihnen die Möglichkeit gegeben, über den Äther mitzuteilen, was ihnen inhaltlich wichtig ist, mit welchen Sorgen und Problemen Frauen in Afghanistan zu tun haben - von Kindererziehung, Einkaufsmöglichkeiten, Problemen mit dem Mann bis hin dazu, dass man sich einfach etwas vorgelesen hat, weil viele Frauen nicht lesen können. Damit will man Frauen wieder eine Stimme geben, ihnen ihre Rechte zurückgeben, ihnen das Empowerment geben, dass sie vollständige Mitglieder der Gesellschaft sind; das hat Christel Hanewinckel eben eindrucksvoll beschrieben. Dieses Projekt zeigt auch, dass wir mit diesen Dingen zur Unterstützung beitragen können. Ein drittes Beispiel ist die Wasserversorgung. Kabul ist eine Stadt, die ursprünglich für 500 000 Einwohner konzipiert worden ist und heute 3,5 Millionen bis 4 Millionen Einwohner hat; keiner weiß es genau, weil die Menschen dorthin strömen, wo sie glauben, am ehesten Hilfe zu bekommen, nämlich in den Städten. Dort sind wir in der Wasserversorgung tätig. Dies ist schwer; es ist nicht einfach. Wir haben Mittel bereitgestellt, damit 850 000 Menschen wieder sauberes Wasser bekommen. Wir unterstützen sie darin, dass sie nicht an Flussläufen ihre Tiere tränken, die Wäsche waschen und Wasser entsorgen, wodurch Keime übertragen und Gesundheitsrisiken hervorgerufen werden. Das sind drei Beispiele; ich könnte viele mehr nennen. Deswegen ist es falsch, zu sagen: Das Glas ist halb leer. Es ist vielmehr halb voll. Nach sechseinhalb Jahren können wir eine gute Bilanz ziehen. Ich war vor drei Wochen bei der Parlamentarischen Versammlung der Westeuropäischen Union und habe das Afghanistan-Konzept der Bundesregierung vorgestellt. Man hat uns dafür gratuliert, dass Deutschland den Ansatz hat, den Aufbau mit vier Ressorts zu gestalten - mit einem gemeinsamen Ziel, aber in getrennter Verantwortung. Dies funktioniert, und es ist eben nicht so, Herr Königshaus und Herr Schockenhoff, dass sich die Ministerien gegenseitig behindern. Im Gegenteil, sie stimmen ihre Hilfeleistungen aufeinander ab und zeigen damit eine erfolgreiche Zusammenarbeit, die viel Aufmerksamkeit und Lob verdient. ({2}) Nach den Regierungsverhandlungen auf der ParisKonferenz sagten Finanzminister Ahady und Erziehungsminister Atmar: Würden alle Staaten so aufgestellt sein wie der deutsche, dann wären wir längst viele Schritte weiter. - Wir befinden uns in einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Deswegen war die ParisKonferenz so wichtig. Sie war erfolgreich. Danke, Herr Minister! Das haben Sie klasse gemacht. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Erika Steinbach, CDU/CSU-Fraktion.

Erika Steinbach-Hermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002808, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir stehen im siebten Jahr des Wiederaufbaus von Afghanistan. Die internationale Gemeinschaft hat seinerzeit in Afghanistan eingegriffen, um die Gewaltherrschaft der Taliban zu beenden; wir alle erinnern uns daran. Jahrzehnte des Krieges hatten in Afghanistan zu unvorstellbaren Zerstörungen nicht nur an Sachen, sondern auch an den Seelen der Menschen geführt. Das Land war zerrüttet, ein ganzes Volk wirklich traumatisiert. Es gab keine wirkliche Zentralgewalt mehr. Gesetze waren absolut bedeutungslos. Zahlreiche bewaffnete Gruppen und Splittergruppen kämpften gegeneinander. In der alltäglichen Gewalt in Afghanistan wurden mehr als 400 000 Kinder getötet. Mehr als 5 Millionen Menschen - das ist ein Drittel der Bevölkerung - lebten in riesigen Flüchtlingslagern in Pakistan und im Iran; das muss man sich noch einmal vor Augen führen. Mit dem Erfolg der Mudschaheddin eskalierte die Menschenrechtskrise ein weiteres Mal. Folter und Vergewaltigungen waren nun an der Tagesordnung. Der Staatengemeinschaft geht es darum, den Menschen in Afghanistan so lange zu helfen, bis sie das Land nach ihren eigenen Maßstäben friedlich weiterentwickeln können und die Fähigkeiten dazu im Lande entwickelt haben. Der Staatengemeinschaft und natürlich auch uns in Deutschland geht es nicht zuletzt darum, eine Brutstätte des Terrorismus, von der auch unser Land bedroht ist, dauerhaft auszuschalten. Inwieweit war das internationale Engagement erfolgreich? Die heutigen Debattenbeiträge haben gezeigt, dass wir alle uns das fragen. Bei der Betrachtung der Realität gibt es nichts zu beschönigen; dieser Auffassung bin auch ich. Die Gesellschaft für bedrohte Völker mahnt dieser Tage an, dass Menschenrechte und Wiederaufbau in Afghanistan noch immer in Gefahr sind. Die deutschen Aufbauhelfer stehen vor ungeheuren Herausforderungen und Problemen. Die neu aufgestellte afghanische Armee und die neu aufgestellte afghanische Polizei können derzeit noch keine eigenständige, zusätzliche Sicherheit bieten. Das ist so; wir wissen das. Die Milizen örtlicher Machthaber sind noch nicht alle entwaffnet und aufgelöst. Kaum gehindert terrorisieren Kriegsfürsten die Zivilbevölkerung; auch das ist uns bekannt. Sie entführen Frauen und Mädchen. Und in Teilen der Justiz bestimmt immer noch Willkür das Handeln. Es gibt aber auch Positives, das zur Realität gehört. Neben diesen Defiziten gibt es deutlich erkennbare Erfolge, die wir nicht einfach vergessen dürfen: Anders als vor 2001 gibt es keine systematischen Menschenrechtsverletzungen durch afghanische Behörden mehr. Das bestätigen uns durch die Bank die internationalen Menschenrechtsorganisationen. Auf der Habenseite ist zu verbuchen: Demokratisch legitimierte staatliche Strukturen konnten inzwischen aufgebaut werden, was ein mühsamer Prozess war; Schulen wurden errichtet - darauf ist schon hingewiesen worden -; Millionen von Kindern gehen heute wieder in die Schule, und zwar auch Mädchen, für die das zuvor absolut undenkbar war; in den Art. 6 und 7 der afghanischen Verfassung von 2004 sind der Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde fest verankert; die afghanischen Gesetze verbieten Menschenrechtsverletzungen, und die Pressefreiheit ist ebenfalls in die afghanische Verfassung eingegangen. Der wichtigste Indikator für den Fortschritt ist für mich aber die Tatsache, dass über 5 Millionen afghanische Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt sind, 1 Million allein aus Deutschland, wo sie Zuflucht gesucht hatten. Für mich gibt es keinen besseren Beleg für das Vorhandensein von Hoffnung als die Zahl der Rückkehrwilligen und der Zurückgekehrten. Die Gesellschaft für bedrohte Völker mahnt gerade deshalb völlig zu Recht die Umsetzung des AfghanistanPaktes an. Sie sagt, für die internationale Gemeinschaft gebe es keine vernünftige Alternative. Das ist richtig; denn ein Rückzug von Truppen oder eine schrittweise Verringerung der Aufbauhilfe hätte am Ende nur Chaos und weitere schwere Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan zur Folge. Sie wissen es und ich weiß es auch, dass es vielen Menschen in diesem Land am liebsten wäre, wenn Deutschland sein Engagement in Afghanistan einstellen würde, und zwar lieber heute als morgen. Das wäre aber sowohl aufgrund der Menschenrechtssituation in Afghanistan als auch aus innenpolitischen Gründen ein kardinaler Fehler, einerseits weil eine neue Flüchtlingswelle auch Deutschland erreichen würde und andererseits weil - darüber muss sich jeder im Klaren sein - die Terrorbedrohung in Deutschland und anderen Ländern dann wieder erheblich steigen würde. Unser gemeinsames Ziel muss sein, die Sicherheit zu stabilisieren und die Einhaltung der Menschenrechte zu gewährleisten. Das kann aber nur gelingen, wenn wir in unseren Bemühungen jetzt nicht nachlassen. Wir dürfen im wahrsten Sinne des Wortes die Flinte nicht einfach ins Korn werfen. Die Ergebnisse der Pariser Afghanistan-Konferenz sind ein Schritt in die richtige Richtung. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion. ({0})

Detlef Dzembritzki (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003109, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich finde, heute war für die Diskussion über Afghanistan ein guter Tag im Parlament. Denn zum ersten Mal haben wir ausführlich und unabhängig von den Mandaten, die wir hier zu erteilen haben, über die Politik der Bundesregierung, des Parlaments und der internationalen Gemeinschaft gesprochen. Das ist an sich schon ein Wert. Denn wir sollten keine Angst vor Informationen haben, sondern alle Informationen, die uns zur Verfügung stehen, in die Öffentlichkeit tragen. Gerade ein Parlament ist dazu bestens geeignet. Unsere kanadischen Kolleginnen und Kollegen haben das mit dem Manley-Bericht und mit der offensiven Diskussion in der Öffentlichkeit gezeigt. Statt einer Minderheit stimmt nun eine Mehrheit der Afghanistan-Politik der kanadischen Regierung zu. Die Regierung hat die Unterstützung der Bevölkerung. Deswegen sollten wir uns nicht scheuen, die Öffentlichkeit auch über Kritisches und über Probleme zu informieren. Denn wir sind doch nicht dort, weil es einfach ist, sondern wir sind dort, weil wir gebraucht werden. ({0}) Deswegen finde ich diese Diskussion wichtig. Nun haben wir im Parlament erlebt - es war nicht überraschend -, dass sich die Kollegen, die bei Herrn Lafontaine geklatscht haben, in gewisser Weise der Realität verweigern. Sie wollen nicht akzeptieren, welche Probleme dort tatsächlich zu lösen sind. Als der Vorschlag gemacht wurde, Oskar Lafontaine möge doch einmal nach Afghanistan reisen, dachte ich: Einer der großen Erfolge und der wesentliche Unterschied zum Irak ist, dass Sie mit Linienmaschinen nach Kabul fliegen können. Sie können ins Reisebüro gehen und einen Flug buchen. In der Regel fliegt man über Dubai oder Delhi. Das läuft alles nach Fahrplan; das können Sie machen. Sie können auch innerhalb Afghanistans zum Beispiel von Kabul nach Herat fliegen. Das alles geht mit Maschinen, die nicht auf der schwarzen Liste stehen, sondern seriös sind. ({1}) Machen Sie das doch einmal! Dann werden Sie erleben, dass dieses Land dabei ist, gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen. Nun ist der Kollege Trittin nicht mehr anwesend. Als er - sicherlich aufgrund der Oppositionsverpflichtung oder des Oppositionsrituals - meinte, den Außenminister kritisieren zu müssen, fiel mir ein ehemaliger Kollege ein, der mir immer, wenn ich versuchte, Gutmensch zu sein, ironisch sagte: Tu nichts Gutes, dann widerfährt dir nichts Böses. - Der Außenminister hat sich nun für eine internationale Konferenz, für eine Bestandsaufnahme, die im Wesentlichen unseren Vorstellungen entsprach, eingesetzt. Frau Kollegin Koczy, wir hatten dank Ihrer Initiative vor der Konferenz in Paris die Möglichkeit, uns zu positionieren und unsere Bedenken, aber auch unsere Erwartungen zu formulieren. Ich kann feststellen, dass zum Beispiel der Bericht des Gemeinsamen Koordinierungs- und Überwachungsrates quasi Bestandteil der Erklärung der internationalen Konferenz zur Unterstützung Afghanistans geworden ist, veröffentlicht im Namen der drei Kovorsitzenden, Präsident Sarkozy, Präsident Karzai und Generalsekretär Ban Ki-moon. Darin wird festgehalten, dass gerade im Bereich der Gesundheitsversorgung, der Bildung und der Infrastruktur Erfolge zu sehen sind. Aber er zeigt auch, dass wir immer noch gewaltige Herausforderungen zu meistern haben, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit und Rechtsdurchsetzung, Effizienz des Regierungshandelns, Entwicklung, Wachstum des Privatsektors sowie persönliche Sicherheit aller Bürger Afghanistans. Wir stimmen diesen überzeugenden Schlussfolgerungen zu. Ich finde, dass es ein beachtliches Ergebnis war, die afghanische Regierung, aber auch die internationale Gemeinschaft weiterhin zu verpflichten, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Ich halte es allerdings für notwendig, auch diese Konferenz als Prozess zu sehen, als einen Schritt von mehreren Schritten. Nun müssen wir schauen, wie die Koordination und Kooperation im internationalen Bereich mit der afghanischen Regierung weiterhin zu verbessern ist, wie Parallelstrukturen abzubauen sind, wie Kohärenz herzustellen ist und wie mit einer vernünftigen Ressourcenplanung umgegangen werden kann und muss. Auch die Diskussion über die in Afghanistan eingesetzten 5 000 Soldaten und 400 Polizisten könnten wir in einem völlig anderen Licht führen, wenn wir wüssten, welcher Personalbestand und welche materiellen Ressourcen tatsächlich notwendig sind, damit in Afghanistan 80 000 Armeeangehörige voll einsatzfähig sind. Wir wollen nicht nur wissen, was zu tun ist, damit dort 140 000 Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen, die einen ausreichenden Ausbildungsstand haben, um Schreiben und Lesen zu vermitteln, sondern wir wollen auch, dass dies auf der Grundlage eines noch zu schaffenden Bildungssystems geschieht. Wir müssen uns vornehmen, hier weiterhin für Kontinuität zu sorgen und immer wieder zu evaluieren, was tatsächlich geschehen ist. Auch die heutige Diskussion hat gezeigt: Wir müssen sicherstellen, dass die Hilfe in allen Regionen Afghanistans ankommt. Im Augenblick ist die Situation wie folgt: In den Regionen, in denen PRTs sind, ist das Engagement besonders groß; die PRTs mancher Länder können zusätzlich sogar noch zivile Hilfe leisten. Dort, wo dies nicht so ist, werden allerdings schon wieder Reduktionen vorgenommen. Wenn man sich die Landkarte Afghanistans ansieht, stellt man fest, dass es auch Regionen gibt, in denen überhaupt nichts getan wird. Hier muss die internationale Gemeinschaft aktiv werden, vielleicht auch im Rahmen des nationalen Aufbau- und Entwicklungsplans. Jeder Mann und jede Frau in Afghanistan muss spüren, dass etwas unternommen wird und dass sich die Situation bessert. ({2}) Auch die regionale Zusammenarbeit spielt eine Rolle. Insbesondere nach den Wahlen in Pakistan sollte man gemeinsam mit den neuen Verantwortungsträgern, zum Beispiel in Peschawar, überlegen, wie man abgesehen vom militärischen Engagement, mehr Hilfe und mehr Zusammenarbeit in dieser Region ermöglichen kann. Ich glaube, das sind große Chancen, die wir nutzen müssen. Denn ohne eine vernünftige regionale Zusammenarbeit - im Zweifel muss man auch versuchen, in dieser Region mit traditionellen Strukturen für Versöhnung und Verständigung zu sorgen - wird man die friedliche Entwicklung Afghanistans nicht sicherstellen können. ({3}) Man muss zur Kenntnis nehmen, dass beide Aspekte voneinander abhängig sind. Ich finde es gut, dass wir heute über dieses Thema diskutieren. Unabhängig von den Mandaten sollten wir in Zukunft, auch zur Information der Öffentlichkeit, regelmäßig im Parlament über die Fortschritte und die Erfolge in Afghanistan diskutieren. Vielen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich schließe die Debatte. Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9692. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Entschließungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über Zusatzpunkt 2. Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Entwicklung in Afghanistan - Strategien für eine wirkungsvolle Aufbauarbeit kohärent umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9685, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/8887 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? Diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Beim Zusatzpunkt 3 geht es um die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Staatsaufbau in Afghanistan - Pariser Konferenz zur kritischen Überprüfung und Kurskorrektur des Afghanistan Compacts nutzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9711, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9428 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Die Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen damit zum Tagesordnungspunkt 3: Fragestunde - Drucksachen 16/9683, 16/9740 Hierzu mache ich Ihnen folgenden Verfahrensvorschlag: Die Zeitplanung für den heutigen Nachmittag ist aus bekannten Gründen hinreichend gründlich explodiert. Mit Rücksicht auf anderweitige Verpflichtungen und Termine im weiteren Verlauf des Tages scheint es mir zweckmäßig, aber auch auskömmlich, wenn wir die Dauer der Fragestunde auf eine Stunde begrenzen. ({0}) Im Übrigen bin ich angesichts der Zahl der Fragen, die schon jetzt freiwillig zur schriftlichen Beantwortung angemeldet sind, sogar zuversichtlich, dass wir mit dieser Zeit auskommen werden und dennoch all denjenigen, die hier sind, Gelegenheit geben können, ihre Fragen zu stellen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich stelle dazu einen breiten Konsens im Hause fest. Dann ist das so beschlossen. Zu Beginn der Fragestunde kommen wir zu den dringlichen Fragen auf Drucksache 16/9740. Sie betreffen den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin Kerstin Müller auf: Wie stellt sich in Simbabwe die Sicherheitslage für den Oppositionsführer Morgan Tsvangirai dar, der aus Angst vor gewaltsamen Übergriffen in die niederländische Botschaft in Harare geflohen ist? Bitte schön, Herr Staatsminister.

Not found (Gast)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Müller, in Abänderung der ursprünglich vorbereiteten Antwort kann ich sagen, dass ich eben in den Tickermeldungen gelesen habe, dass Herr Tsvangirai die niederländische Botschaft in Harare verlassen hat ({0}) - so lauten die Presseinformationen - und angekündigt hat, eine Presseerklärung über das weitere Vorgehen abzugeben. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, hat an die Machthaber in Harare appelliert, von Gewalt und Einschüchterung als Mitteln der Politik abzulassen und Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen die Menschenrechte geachtet werden und eine wirtschaftliche Entwicklung möglich wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Frau Kollegin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung für den Fall, dass Mugabe am ursprünglichen Wahltermin, dem kommenden Freitag, sich auch ohne Stichwahl zum Sieger erklären wird, die Regierung Mugabe nicht anerkennen, wie es auch die USA heute angekündigt haben?

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Wir haben schon im Vorfeld gesagt, dass die angesetzte Stichwahl eine Farce ist. Nachdem Herr Mugabe sich bis jetzt nicht bewegt hat und auf kritische Stimmen nicht eingegangen ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass seine Regierung anerkannt werden könnte.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Werden Sie mit dieser Position im Vorfeld der Wahl auf die europäischen Partner zugehen? Es könnte ja ein Signal an Mugabe sein, wenn im Vorfeld klargemacht wird, dass wir seine Regierung in diesem Fall nicht anerkennen werden.

Not found (Gast)

Wir führen zurzeit Gespräche auf der europäischen Ebene, mit welchen Maßnahmen die Europäische Union den Vorgängen in Simbabwe begegnen kann. Ich denke, diese Position wird eine Grundlage dafür sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Müller auf: Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus dem jüngsten VN-Sicherheitsratsbeschluss zu Simbabwe, und sieht sie kurzfristig weitere Lösungsansätze zur Deeskalation in Simbabwe?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung begrüßt die Präsidenzielle Erklärung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 23. Juni 2008, in der die Gewalt in Simbabwe verurteilt wird. Nicht zuletzt die Zustimmung Südafrikas zu dieser Erklärung zeigt einen Stimmungswandel innerhalb der afrikanischen Staaten. Die zur zweiten Runde der Stichwahl am 27. Juni 2008 bereits angereisten Wahlbeobachter der Afrikanischen Union und der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft, SADC, haben sich selbst ein Bild von der Lage im Lande machen können. Sie haben die Gewalt gegenüber Anhängern der Opposition, aber auch gegenüber einfachen Bürgern kritisiert. Das sehen wir insgesamt positiv. Wir haben den Eindruck, dass sich Europa und die USA sowie die Afrikanische Union und die Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft in der Simbabwe-Frage auf eine gemeinsame Position zubewegen. Deeskalation bleibt nur dann möglich, wenn man im Gespräch bleibt. Die Bundesregierung unterstützt daher die Ansätze in der Region, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, wie es auch der Präsident Südafrikas, Mbeki, vorgeschlagen hat. Tsvangirai hat die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit nicht von vornherein ausgeschlossen. Tsvangirai hat, wie eben schon erwähnt, unter den gegenwärtigen Umständen seine Kandidatur bei der Wahl am 27. Juni 2008 zurückgezogen. Die aktuellen Äußerungen Mugabes zeigen, dass Mugabe an der Stichwahl - wenn man das überhaupt so nennen kann - mit ihm als einzigem Kandidaten festhält. Eine solche „Stichwahl“ zum jetzigen Zeitpunkt entspricht aus Sicht der Bundesregierung in keiner Hinsicht demokratischen Prinzipien; sie ist - ich habe es vorhin schon erwähnt - eine Farce. Die Bundesregierung fordert einen demokratisch legitimierten Politikwechsel. Dazu sind Wahlen erforderlich, die unter freien und fairen Rahmenbedingungen stattfinden. Eine Verschiebung der Wahlen ist daher unabdingbar. Eine Regierung der nationalen Einheit ohne Mugabe wäre wünschenswert. Ihre vorrangige Aufgabe wäre dann allerdings die Vorbereitung fairer Wahlen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Frau Kollegin Müller.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, diese Resolution des UN-Sicherheitsrates enthält weder Vorschläge für Maßnahmen noch irgendeine Verurteilung Mugabes. Ich kann deshalb überhaupt nicht nachvollziehen, dass die Bundesregierung hier von einem Sinneswandel der afrikanischen Partner ausgeht. Wie gedenkt die Bundesregierung Druck auf den südafrikanischen Präsidenten Mbeki und die Staatschefs der SADC auszuüben - beispielsweise bei dem anstehenden G-8-Gipfel in Japan? Die Bundeskanzlerin hat immer wieder betont, dass Afrika auch dort ein Kernthema ist.

Not found (Gast)

Noch einmal: Wir haben festzustellen, dass sich eine gewisse Bewegung ergeben hat. Auch die von uns sicherlich nicht befürwortete Vorgehensweise des südafrikanischen Präsidenten hat das in den letzten Tagen gezeigt. Andere haben sich ebenfalls bewegt, und es finden weiterhin Gespräche statt. Wir werden auf allen diplomatischen Kanälen versuchen, darauf einzuwirken, dass entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden, wie ich das vorhin ausgeführt habe. Auch der G-8-Gipfel könnte möglicherweise eine Gelegenheit dafür bieten.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine zweite Zusatzfrage. - Noch einmal: Mein Eindruck ist ganz klar, dass vor allen Dingen Mbeki in Südafrika mit Samthandschuhen angepackt wird. Das gilt auch für die SADC, die sogar noch finanziell unterstützt wird. Kerstin Müller ({0}) Nach den Einschätzungen von Experten, die heute von Mitgliedern Ihrer Fraktion im Ausschuss geäußert worden sind, könnte man Mugabe durch Sanktionen der umliegenden Länder innerhalb weniger Wochen - ein bis zwei Wochen - zu einer Umkehr zwingen. Wann ändern die Bundesregierung und die EU endlich ihre Haltung, indem sie einen entsprechenden Druck auch auf die Nachbarstaaten ausüben?

Not found (Gast)

Frau Müller, ich darf noch einmal sagen, dass wir eine Bewegung haben feststellen können, auch bei dem südafrikanischen Präsidenten. Sie reicht aber nicht aus. Gerade auf der europäischen Ebene sind wir mit den Partnern in der Europäischen Union dabei, zu überlegen, welche Möglichkeiten es gibt, auf die Regierung in Simbabwe einzuwirken. Es ist notwendig, dass zuerst aus Afrika bzw. aus der Region selbst heraus Druck auf Herrn Mugabe herbeigeführt wird. Vielleicht ist es möglich, dass wir uns diesbezüglich in dieser Woche in Brüssel verständigen können.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt keine weiteren Zusatzfragen. Ich bedanke mich für die Beantwortung. Wir kommen jetzt zu den übrigen Fragen für die heutige Fragestunde, die in der Ihnen bekannt gemachten Reihenfolge aufgerufen werden. Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Hier ist der Parlamentarische Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Beantwortung erschienen. Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Hofreiter können wir in Ermangelung seiner Anwesenheit - ({0}) - Entschuldigung. Ich bitte um Nachsicht. ({1}) Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Hofreiter auf: Bei welchen Sachfragen besteht bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs in Sachen Fahrgastrechte unter den beteiligten Bundesministerien noch kein Einvernehmen, und wann kann mit der Vorlage eines Referentenentwurfs gerechnet werden?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Hofreiter, meine Antwort lautet: Inzwischen besteht unter den beteiligten Ministerien Einvernehmen über die grundsätzliche Ausgestaltung des Fahrgastrechtegesetzes. Der Referentenentwurf wird noch im Juni 2008, also in dieser Woche, an die Ressorts und sodann an die beteiligten Kreise versandt werden. Er geht dann selbstverständlich auch den im Bundestag vertretenen Fraktionen zu.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage, Herr Kollege Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich danke auch für die nette Ansage am Anfang. Mir ist im politischen Bereich schon vieles vorgeworfen worden, aber Unauffälligkeit eigentlich noch nie. Das freut mich also.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Sie sehen, dass man in seiner politischen Biografie immer wieder mit Überraschungen rechnen muss. ({0})

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wie gesagt: Es freut mich, dass immer wieder etwas Neues dabei ist. Sehr geehrter Herr Staatssekretär, mich freut auch Ihre Nachricht. Angesichts der Tatsache, dass es jetzt eine Einigung gibt, würde mich einfach interessieren, wie die Einigung ausschaut. Wären Sie in der Lage, kurz die wichtigsten Punkte darzustellen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Hofreiter, ich kann Ihnen dazu Folgendes sagen: Es gibt gewisse Gepflogenheiten. Dazu gehört, dass die beteiligten Ressorts als Erste Informationen bekommen. Dafür bitte ich um Verständnis. Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass sich der Referentenentwurf sehr eng an die europäische Verordnung für Fahrgastrechte, die Sie sicherlich kennen, anlehnt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage, Herr Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dann ist es umso spannender, festzustellen, dass manches - zum Beispiel, dass man sich auf eine Stunde statt einer halben Stunde geeinigt hat - schon in der Zeitung zu lesen war. Wenn das schon Vertreter der Regierungsfraktionen via Pressemitteilungen an die Zeitungen weitergeben konnten und diese Pressemitteilungen auch auf der Homepage von Regierungsfraktionen zu finden sind, dann sind Sie sicherlich in der Lage, das hier zu referieren. Wenn man es an die Regierungsfraktionen weitergeben konnte oder wenn in Ihrem Ministerium nicht dichtgehalten wird, dann können Sie es auch dem Hohen Hause zur Kenntnis geben.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Würden Sie das als Frage ansehen, Herr Präsident?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ja. ({0})

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Hofreiter, wie vorsichtig man mit Pressemeldungen sein muss, sehen Sie an der gestrigen Meldung, als die gesamte Presse meinte, Beck habe in der SPD-Fraktionssitzung seinen Rücktritt angekündigt. Ich war in der betreffenden Sitzung anwesend, ebenso wie Herr Krüger und Frau Gleicke. ({0}) - Das war nicht so. Insofern muss man mit solchen Mitteilungen sehr vorsichtig umgehen. Entweder hat der Informant nicht richtig zugehört, oder der Redakteur hat möglicherweise nicht richtig recherchiert. Ich kann als Mitglied der Bundesregierung keine Garantie dafür übernehmen, was meine Kolleginnen und Kollegen aus der Regierungskoalition nach außen mitteilen. Daraus, dass der Referentenentwurf - wie ich eben ausgeführt habe - sehr eng an die europäische Verordnung für Fahrgastrechte angelehnt ist, können Sie aber schließen, um welche Zeiten es geht, nämlich bis 60 Minuten und über 60 Minuten. Jetzt sind Sie sicherlich sehr zufrieden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Jedenfalls werden Sie, Herr Kollege Hartenbach, sicherlich sehr zufrieden sein, wenn ich Ihnen ausdrücklich versichere, dass ich Ihre Stellungnahme nun auch als Antwort auf die gestellte Frage im Sinne der Geschäftsordnung betrachte.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Ich bedanke mich sehr herzlich, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Kollegin Maisch wollte dazu noch eine Zusatzfrage stellen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, Sie haben von 60 Minuten gesprochen. Geht die Bundesregierung also davon aus, dass bei einer Verspätung unter 60 Minuten - zum Beispiel bei 58 Minuten - dem Fahrgast kein Schaden entstanden ist, für den er zu entschädigen wäre?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Verehrte Frau Maisch, es ist in der Tat so, dass dadurch kein Schaden entstanden ist. Im Nahverkehr ist das etwas anders, wie Sie wissen. Aber darüber können wir uns später unterhalten. Seien Sie beruhigt: Nächste Woche haben Sie den Referentenentwurf auf dem Tisch. Ich muss mich korrigieren, Herr Präsident: ab 60 Minuten und ab 120 Minuten. Das habe ich eben falsch dargestellt. Ich bitte auch Herrn Hofreiter um Nachsicht.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Großzügigkeit scheint heute Nachmittag kaum noch überboten werden zu können. Jetzt werden wir sehen, ob sich das auch bei der nächsten Frage bestätigt. Wir kommen zu Frage 21: Wie bewertet die Bundesregierung die Erfahrungen der bisherigen außergerichtlichen Schlichtung im Bereich der Fahrgastrechte, und wie gedenkt die Bundesregierung die außergerichtliche Schlichtung gesetzlich zu regeln?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Meine Antwort lautet wie folgt: Die Erfahrung mit der Schlichtungsstelle Mobilität sind im Bereich des Eisenbahnverkehrs positiv, da Streitigkeiten erfolgreich durch die Schlichtungsstelle Mobilität beigelegt werden. Weitere Einzelheiten über die gesetzliche Verankerung der Schlichtung werden Gegenstand der bevorstehenden Ressortabstimmungen über den Referentenentwurf sein.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Hofreiter.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben darauf hingewiesen, dass die Einzelheiten im Referentenentwurf dargelegt werden. Können Sie uns etwas näher erläutern, wie das im Detail ausschauen wird, oder geht auch das erst an die Regierungsfraktionen und dann an die übrigen Ministerien?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wie soll das im Detail ausschauen? Wir haben schon jetzt die Schlichtungsstelle Mobilität, die Ende 2009 ausläuft. - Damit nehme ich die Frage von Frau Maisch vorweg. Sind Sie damit einverstanden? ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Unter Aufrechterhaltung der Zusatzfragen können wir so verfahren. Ich rufe damit Frage 22 auf: Wie bewertet die Bundesregierung eine verkehrsträgerübergreifende außergerichtliche Schlichtung im Bereich der Fahrgastrechte, und wie soll die außergerichtliche Schlichtung finanziert werden?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wie Sie wissen, läuft die Schlichtungsstelle Mobilität Ende 2009 aus. Damit endet die Förderung. Wir stellen uns eine Schlichtungsstelle - ähnlich dem Ombudsmann im Versicherungswesen - vor, die von allen Verkehrsträgern - Schiene, Luft - gemeinsam getragen wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das heißt, sie wird von beteiligten Unternehmen und nicht mehr von einer unabhängigen Stelle getragen.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das ist eine unabhängige Stelle. Ich habe von einem Ombudsmann gesprochen. Das ist eine Stelle, die zwar von den Unternehmen finanziert wird, die aber unabhängig ist und frei entscheiden kann. Wir haben ja - - Danach können Sie noch fragen; das ist besser.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Innovationskraft dieser Veranstaltung nimmt ständig zu. Jetzt regt die Regierung schon die Fragen an, die die Kollegen gegebenenfalls stellen können. ({0}) Frau Kollegin Maisch, möchten Sie die Frage stellen, die der Kollege Hartenbach am liebsten beantworten möchte?

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Herr Präsident. - Was der Staatssekretär gerne möchte, kann ich von hier aus nicht genau sehen. Ich möchte jedenfalls eine Antwort auf folgende Frage haben: Wird der VCD, der bislang die Schlichtung verantwortlich mitgetragen hat, weiterhin eine wichtige Rolle im Rahmen des neuen Modells spielen, wenn es denn eine Art Ombudsmann gibt?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Maisch, diese Frage kann ich Ihnen weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Wir werden dies noch prüfen und ausgestalten. Auch hier werden die beteiligten Ressorts noch ein Wort mitreden.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Gibt es weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Maisch hatte, glaube ich, noch eine Frage.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Danach hatte ich gerade gefragt.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Das hat sich also erledigt. Vielen Dank. - Man kann nie wissen, Herr Präsident.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hartenbach, Sie haben das, was gefragt wurde, einschließlich dessen, was vielleicht hätte gefragt werden können, so erschöpfend beantwortet, dass es keinen Raum mehr für Zusatzfragen gab.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Mein Herz ist voll. Ich könnte unglaublich viel antworten.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das habe ich befürchtet. Wir bleiben beim Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich rufe die Frage 23 des Kollegen Beck ({0}) auf: Welche der folgenden Positionen zu der von der Europäi- schen Kommission beabsichtigten neuen Rahmenrichtlinie für einen umfassenden Schutz vor Diskriminierung ist die gültige und auch in Brüssel vertretene Position der Bundesregierung: a) die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales berichtete Position, nach der die Bundesregierung der Initiative „ablehnend“ gegenübersteht ({1}), b) die ablehnende Haltung der Bundes- kanzlerin, die laut FAZ vom 13. Juni 2008 beim Kommis- sionspräsidenten José Manuel Barroso gegen ein solches Vorhaben interveniert hat, oder c) die abwartend-neutrale Haltung, die mir die Bundesministerin der Justiz im Nachtrag zu der Fragestunde am 28. Mai 2008 in einem Schreiben vom 11. Juni 2008 mitgeteilt hat - „Die Bundesregierung möchte sich derzeit dazu nicht äußern, sondern wird insgesamt Stellung nehmen, wenn die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorlegt“ -, und wie beurteilt die Bundesregierung die Vorschläge in der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Mai 2008 zu den Fortschritten in Bezug auf Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung in der EU mit der Vorgangsnummer 2007/2202({2}) - Kriterien, Maßnahmen - im Einzelnen ({3})? Bitte, Herr Staatssekretär.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Beck, soll ich alles vorlesen, wonach Sie gefragt haben?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nein.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Okay, Herr Präsident. ({0}) Die genannten Positionen zu der neuen, auf uns zukommenden Antidiskriminierungsrichtlinie geben in der Tat die Haltung der Bundesregierung zutreffend wieder. Die Bundesregierung steht dem Vorhaben einer neuen Antidiskriminierungsrichtlinie sehr skeptisch gegenüber. Dies hat sie gegenüber der Kommission deutlich gemacht. Ihre endgültige Haltung zu den konkreten Vorschlägen der Kommission will die Bundesregierung erst festlegen, wenn diese Vorschläge vorliegen. Zu Ihrer Frage nach der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 20. Mai hat die Frau Ministerin Ihnen bereits am 11. Juni schriftlich mitgeteilt: Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen, dass das Europäische Parlament sich in seiner Sitzung vom 20. Mai 2008 mehrheitlich für eine umfassende neue Antidiskriminierungsrichtlinie mit einem breiten horizontalen Ansatz, der alle Merkmale und möglichst alle Lebensbereiche erfasst, ausgesprochen hat. Diese Auffassung des Europäischen Parlaments teilt die Bundesregierung nicht. Ende des Zitats.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das sorgt zumindest für Klarheit. Sie müssen aber vielleicht der Bundesjustizministerin erklären, warum Sie mir gerade das glatte Gegenteil geantwortet haben.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Nein, das habe ich eben nicht gesagt.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie hat gesagt: Die Bundesregierung möchte sich dazu zurzeit nicht äußern, sondern wird erst Stellung nehmen, wenn die EU-Kommission Vorschläge für eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie vorlegt. Nun sagen Sie: Die Vorschläge, die das Europäische Parlament in der Sache macht, lehnt die Bundesregierung ab. Es scheint also nicht nur innerhalb der Bundesregierung, sondern auch im Bundesjustizministerium verschiedene Auffassungen bezüglich der Haltung der Bundesregierung zu geben. Das finde ich interessant. Welche Auffassung vertritt denn die Bundesregierung im Einzelnen zu den Vorschlägen, die in der Entschließung des Europäischen Parlaments gemacht wurden, insbesondere zu den Punkten 34 bis 38?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Beck, ich habe Ihnen eben mitgeteilt, wie wir uns verhalten haben und verhalten werden. Zu den einzelnen Punkten werden wir dann eine abgestimmte Stellungnahme der Bundesregierung abgeben, wenn wir soweit sind.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Welchen rechtlichen Änderungsbedarf beim Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz würde denn die Bundesregierung sehen, nähme man die Forderung des Europäischen Parlaments ernst, was die Bundesregierung offensichtlich nicht tut? Würde die Bundesregierung überprüfen, ob sich daraus Änderungsbedarf für das Zivilrecht ergibt, angesichts der Tatsache, dass wir in Deutschland bereits horizontal umgesetzt haben, obwohl uns womöglich erst die kommende Richtlinie dazu zwingen würde?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Präsident, das ist eine neue Baustelle. Es geht hier um das bereits in Kraft gesetzte AGG. Herr Beck fragt, wie wir uns verhielten, wenn wir die Rügen, die die Europäische Kommission ausgesprochen hat, ernst nähmen. Wir nehmen alle Rügen ernst. Das hat nichts mit der neuen Antidiskriminierungsrichtlinie zu tun, zu der die Hauptfrage gestellt wurde.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es tut mir leid, von Rügen habe ich überhaupt nicht gesprochen. Ich habe nicht gefragt, was Sie sowieso umsetzen müssen, weil Sie mit Ihrem Gesetz vier Vertragsverletzungsverfahren am Hals haben, sondern ich habe gefragt, was wir tun müssten, wenn die Forderungen des Europäischen Parlaments, die sich auf die Richtlinie beziehen - das sind vier Ziffern in der etwas länglichen Resolution; diese habe ich in der Grundfrage zitiert, weshalb es möglich sein wird, sie nachzulesen -, Richtlinienrecht würden. Gäbe es dann einen Umsetzungsbedarf - und, wenn ja, welchen - für den deutschen Gesetzgeber beim AGG, um beurteilen zu können, ob die Haltung der Bundesregierung, das abzulehnen, was uns vielleicht gar nichts abverlangt, überhaupt einen rationalen Kern hat? Um diese Frage beurteilen zu können, bräuchte man diese Rechtsauskunft vom zuständigen Bundesjustizministerium, das ja rechtlich immer gut gewappnet ist und uns deshalb das erschöpfend beantworten kann.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wir sind rechtlich immer gut gewappnet. Da haben Sie recht. Sie dürften aber auch wissen, dass heute nicht Fragen an das Bundesjustizministerium, sondern Fragen an die Bundesregierung beantwortet werden. Die Bundesregierung hat diesbezüglich noch keine abgestimmte Haltung. Wenn die Bundesregierung eine abgestimmte Haltung hat, dann werden Sie diese erfahren.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe nicht nach der Haltung der Bundesregierung, sondern nach der rechtlichen Umsetzung gefragt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck, nachdem ich schon eine dritte Zusatzfrage in der sprichwörtlichen Großzügigkeit, die mir nachgesagt wird, zugelassen habe, möchte ich es mit dieser ohnehin ja offenkundig vorläufigen Auskunft der Bundesregierung zu der gestellten Frage 23 gerne bewenden lassen. ({0}) Manches spricht für die Vermutung, dass wir auf das Thema zurückkommen werden. Ich bedanke mich bei Herrn Hartenbach für die Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen. Präsident Dr. Norbert Lammert Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Hier steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Kressl zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 24 und 25 des Abgeordneten Koppelin werden schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 26 des Abgeordneten Schäffler auf: Trifft es zu, dass die Liquiditätslinie der Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur GmbH gegenüber der IKB Deutsche Industriebank AG in Höhe von 500 Millionen Euro erst nach Bekanntwerden der IKB-Krise im August 2007 voll ausgeschöpft wurde, und inwieweit hat das Bundesministerium der Finanzen hierauf Einfluss genommen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Präsident! Herr Kollege Schäffler, es ist richtig, dass das für die IKB gültige und mit dem BMF abgestimmte Limit für Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB im Monat August 2007 voll ausgeschöpft wurde. Auf den Abschluss dieses Geschäfts hat das BMF keinen Einfluss genommen. Insofern darf ich Sie auf die Antworten, die ich bereits in der vorletzten Sitzungswoche gegeben habe, verweisen. Es trifft nicht zu, dass das mit dem BMF abgestimmte Limit für Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB erstmalig im Monat August 2007 voll ausgeschöpft wurde. Je nach Marktlage und gebotenen Konditionen hat die Finanzagentur auch in der ersten Hälfte des Jahres 2007 sowie in den Vorjahren das Limit für Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB hin und wieder voll bzw. nahezu voll ausgeschöpft.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön, Herr Schäffler.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der zweite Teil meiner Frage bezog sich darauf, ob das Finanzministerium auf die Ausschöpfungen Einfluss genommen hat.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, ich fürchte, Sie haben mir nicht zugehört; denn ich habe gesagt, das BMF habe darauf keinen Einfluss genommen und Sie dazu auch noch auf meine Antwort auf die gleiche Frage in der vorletzten Sitzungswoche verwiesen.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gut, dann will ich etwas anderes in diesem Zusammenhang fragen. Trifft es zu, dass die IKB innerhalb der letzten zwei Monate ausstehende Forderungen verkauft bzw. abgetreten hat, und, wenn ja, an wen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, Sie wissen - auch das haben wir hier mehrfach erörtert -, dass ich zu Einzelheiten, die die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der IKB betreffen, hier im Plenum nichts sagen darf. Insofern muss ich Sie auch bei dieser Frage leider wieder auf diesen rechtlichen Umstand hinweisen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zur Frage 27 des Kollegen Schäffler: Trifft es zu, dass die Geschäftsführer der Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur GmbH sich gegen eine Verlängerung bzw. gegen eine volle Ausschöpfung dieser Liquiditätslinie ausgesprochen haben, und steht das Ausscheiden der Geschäftsführer der Finanzagentur GmbH zum 31. Dezember 2007 bzw. zum 30. April 2008 in einem Zusammenhang hiermit?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Nein, die Unterstellung in Ihrer Frage trifft nicht zu. Die Aufrechterhaltung des Limits für Geldanlagen der Finanzagentur bei der IKB erfolgte vielmehr in enger Absprache mit der Geschäftsführung der Finanzagentur. Das Ausscheiden der Geschäftsführer steht dementsprechend nicht im Zusammenhang mit der IKB-Transaktion.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Schäffler.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben in Ihrer Antwort auf eine andere Frage von mir darauf hingewiesen, dass die Kreditlinie aus besicherten und unbesicherten Linien bestand. Wie hoch war der Bereich der unbesicherten Kreditlinien der Finanzagentur an die IKB?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, zuerst müssen Sie mir erlauben, dass ich darauf hinweise, dass der Begriff Kreditlinie nicht stimmt, weil eine Kreditlinie fachlich etwas anderes ist. ({0}) - Ich mache das nicht aus Besserwisserei, sondern weil das fachliche Hintergründe hat. Deswegen ist mir das wichtig. - Kreditlinien können Sie einfach anfordern. In diesem Fall geht es um ein mit dem BMF abgestimmtes Limit zur Ausschöpfung von unbesicherten Anlagen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie haben auf eine andere Frage geantwortet, dass das sowohl aus besicherten als auch aus unbesicherten Anlagen bestand. Jetzt sagen Sie mir, dass es ausschließlich unbesicherte sind. Ist das richtig?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, wir hatten schon das letzte Mal sehr ausführlich darüber gesprochen. Sie müssen zwischen dem Limit, das es für Geldanlagen gibt und das mit dem BMF abgestimmt wird, und der Entscheidung der Finanzagentur, welche Formen von Anlagen sie trifft, welche nicht in Absprache mit dem BMF, sondern in eigener Verantwortung der Finanzagentur erfolgen, unterscheiden. Das Limit, das mit dem BMF abgestimmt ist - es ist öffentlich bekannt, dass wir in diesem Fall von 500 Millionen Euro reden -, gibt Freiraum für die Ausschöpfung von unbesicherten Anlagen in diesem Bereich.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Wir kommen zu den Fragen 28 und 29. Den Kollegen Thiele habe ich aber nicht im Saal gesehen. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Frage 30 des Kollegen Gerhard Schick und die Frage 31 der Kollegin Veronika Bellmann werden schriftlich beantwortet, die Fragen 32 und 33 der Kollegin Höll ebenfalls. Auch die Fragen 34 und 35 der Kollegin Gesine Lötzsch werden schriftlich beantwortet, sodass wir am Ende dieses Geschäftsbereiches sind. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die eingereichten Fragen 36 bis 38 sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Da kann ich die gleiche Lage melden. Die eingereichten Fragen 39 bis 44 sollen alle schriftlich beantwortet werden. Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Großmann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 45 des Kollegen Lutz Heilmann auf: Wieso hat die Bundesregierung am 11. Juni 2008 auf meine schriftliche Frage 65 auf Bundestagsdrucksache 16/9554 geantwortet, dass es bezüglich der ursprünglich für Ende 2007 angestrebten Unterzeichnung des deutsch-dänischen Staatsvertrages zum geplanten Bau einer festen Fehmarnbelt-Querung „noch Abstimmungen und formaler Prüfungen“ bedarf und ein „Termin für die Unterzeichnung … daher noch nicht feststehe“, während der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen laut Pressebericht vom 18. Juni 2008 und somit nur eine Woche später sagte: „Der Entwurf eines Staatsvertrages liege vor und solle vor der Sommerpause des Parlaments von der deutschen und dänischen Regierung paraphiert werden“, und treffen die Aussagen von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen zu, sodass der Staatsvertrag also in den nächsten Wochen paraphiert werden wird?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Heilmann, es gilt weiterhin die Antwort der Bundesregierung vom 11. Juni 2008 auf Ihre schriftliche Frage. Zurzeit kann weder ein konkreter Paraphierungs- noch ein Unterzeichnungstermin genannt werden. Diese Termine sind abhängig von den noch laufenden Abstimmungen und formalen Prüfungen. Im Lichte der bisherigen Abstimmungen wird eine Unterzeichnung noch im Laufe des Sommers angestrebt. Die Bundesregierung ist an einer baldigen Unterzeichnung des Staatsvertrags sowie dessen Ratifizierung interessiert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte schön.

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, mir liegen die Kieler Nachrichten von gestern vor. Darin wird die Staatssekretärin im Kieler Wirtschaftsministerium, Karin Wiedemann, zitiert. Danach laufen die Abstimmungen auf Hochtouren. Nach Äußerungen von Herrn Austermann bzw. der Landesregierung laufen die Vorbereitungen für die Unterzeichnung auf Hochtouren und wird der Vertrag nächsten Montag, in fünf Tagen, tatsächlich unterzeichnet. Seit letzter Woche ist Sommer, und demnach liegt Montag, der 30. Juni, im Sommer und damit in dem von Ihnen genannten Zeitraum. Deshalb meine ganz konkrete Frage: Steht im Terminkalender des Bundesverkehrsministers oder eines seiner Staatssekretäre innerhalb der nächsten zwei Wochen ein Treffen mit der dänischen Verkehrsministerin oder einem ihrer Stellvertreter? Wenn ja, an welchem Tag ist dieses Treffen geplant? Ist dabei vielleicht sogar beabsichtigt, den Staatsvertrag schon zu unterzeichnen? Ich bitte Sie, die erste Teilfrage eindeutig mit Ja oder Nein zu beantworten.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Auf eine Frage mit Ja oder Nein zu antworten, ist, wie Sie wissen, so eine Sache. Das würde voraussetzen, dass Sie eine einfache Frage gestellt haben. Für die Frage haben Sie aber schon sehr viel Zeit gebraucht. Deshalb will ich Ihnen lieber differenzierter antworten. Vielleicht muss ich einmal erläutern, was es bedeutet, wenn man einen Staatsvertrag verhandelt, paraphiert - im Grunde braucht man ihn nicht einmal zu paraphieren und unterzeichnet: Eine solche Verhandlung ist ein iterativer Prozess. Man sitzt an einem Tisch, man geht wieder auseinander. In diesem Fall verhandeln die beiden Verkehrsministerien. Entwürfe von Verträgen müssen ressortabgestimmt werden. Die Ressortabstimmung hat in diesem konkreten Fall ergeben, dass wir gegenüber der dänischen Seite weitere Präzisierungswünsche haben. Das haben wir auf den Weg gebracht. Die Dänen ihrerseits haben uns einige Änderungswünsche vorgelegt. Das wird jetzt sowohl auf dänischer Seite wie auch auf unserer Seite geprüft. Ich weiß nicht, wann die Prüfung abgeschlossen ist. Eine Paraphierung würde eine vertragsförmliche Prüfung durch das Auswärtige Amt voraussetzen. Sie dauert ungefähr eine Woche. Vor dem Unterschreiben muss man eine sprachenförmliche Untersuchung vornehmen. Das heißt, es muss vom Sprachendienst geprüft werden, ob die Exemplare in den beiden Sprachen juristisch exakt übereinstimmen. Dazu braucht man normalerweise vier Wochen. Nach diesen Informationen können Sie sich die Frage selbst beantworten. Wenn wir die Verhandlung über die beiden ausgetauschten Ergänzungs- oder Änderungswünsche abschließen können, wenn dieser Status erreicht ist, könnte ungefähr eine Woche später die Paraphierung stattfinden. Die Dänen legen aber gar keinen Wert darauf. Dann folgt die Unterzeichnung. Wenn Sie die Fristen für alles das zusammenrechnen, stellen Sie fest, dass die Unterzeichnung nicht mehr im Juli stattfinden wird. Von daher ist meine Antwort nach wie vor richtig: Wir gehen davon aus, dass die Unterzeichnung im Sommer stattfindet. Aber ich glaube nicht, dass wir es schaffen, die Unterzeichnung vor der sogenannten dänischen Sommerpause, also noch im Juli, durchzuführen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Frage?

Lutz Heilmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003766, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja, ich habe noch eine weitere Frage. - Es hieß seitens des Verkehrsministeriums auf bisherige Fragen immer, dass noch Abstimmungen und formale Prüfungen notwendig seien, dass - um ganz korrekt zu zitieren - eine Reihe inhaltlicher und formaler Abstimmungen erforderlich sei. Mich würde Folgendes interessieren: Was genau wird geprüft? Waren die Kosten des Brückenbauwerks und die Prognosen Gegenstand dieser Abstimmung?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Heilmann, Sie wissen, dass es absolut nicht üblich ist, während solcher Vertragsverhandlungen öffentlich über Details zu sprechen. Ich kann Sie nur bitten, abzuwarten, bis der zu paraphierende Entwurf vorliegt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Frage 46 des Kollegen Rainder Steenblock wird schriftlich beantwortet. Das gilt auch für die Fragen 47 und 48 des Kollegen Peter Hettlich. Ich rufe nun die Frage 49 des Kollegen Volker Beck ({0}) auf: Inwiefern - Konditionen am Parkplatz Hauptbahnhof, Rabatte der DB AG oder als öffentliches Unternehmen - profitiert die DB Rent GmbH im Wettbewerb davon, dass sie Tochter der zu 100 Prozent im Bundesbesitz befindlichen DB AG ist, und welche Initiativen ergreift die Bundesregierung auf europäischer Ebene, damit man Tariftreue und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Ausschreibungsverfahren verbindlich vorschreiben kann?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Herr Kollege Beck, der erste Teil Ihrer Frage betrifft einen Sachverhalt, der in die unternehmerische Zuständigkeit der Deutschen Bahn AG bzw. deren Tochter DB Rent fällt. Er kann deshalb auch vor dem Hintergrund der Umsetzung des Beschlusses des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vom 27. Juni 1996 von der Bundesregierung nicht beantwortet werden. Ich bitte daher um Verständnis, dass die Bundesregierung zur konkreten Ausschreibung keine Auskunft geben kann. Ihre Frage enthält aber auch einen allgemeinen Teil, auf den ich gerne eingehe. Die DB AG hat in ihren Gesprächen mit dem Bund immer darauf hingewiesen, dass Konzerntöchter bei der Zuweisung von Unternehmenskrediten so behandelt werden, als hätten sie ein branchenübliches Rating. Ich glaube, das ist ganz wichtig, weil das auch die Frage nach Beihilfen betrifft. Nun zum zweiten Teil Ihrer Frage nach Initiativen der Bundesregierung auf europäischer Ebene zur Durchsetzung von Tariftreue und sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung in Ausschreibungsverfahren. Hier gilt Folgendes: Im Hinblick auf das EuGH-Urteil zur Rechtssache „Rüffert“ - Sie wissen, was gemeint ist prüft das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales derzeit, ob Initiativen der Bundesregierung auf europäischer Ebene insbesondere zur Änderung der Entsenderichtlinie ergriffen werden sollen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Deutsche Bahn AG der DB Rent bei Zurverfügungstellung von Parkmöglichkeiten am Hauptbahnhof Berlin Sonderkonditionen einräumt, die sie anderen Bewerbern oder Kunden nicht anbieten würde, bzw. würden andere Interessenten überhaupt ein Vertragsangebot der Deutschen Bahn AG zum dauerhaften Parken von Wagen im Bereich des Hauptbahnhofs Berlin bekommen, um gegebenenfalls Fahrdienste in der Mitte Berlins anbieten zu können?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich kann Ihnen dazu, wie ich schon bei der Beantwortung Ihrer Frage sagte, keine Antwort geben, weil es sich um unternehmerische Daten und Fakten handelt, die mir nicht vorliegen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Weitere Zusatzfrage?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also, die Regierung kann es nicht ausschließen. - Die zweite Frage, die ich zu diesem Punkt habe, lautet: Werden der Deutschen Bahn AG - das müssten Sie eigentlich abstrakt wissen - und ihren Töchtern Sonderkonditionen gegenüber privatwirtschaftlichen Unternehmen beim An- oder Verkauf von Automobilen und dergleichen eingeräumt? Das könnte sich ja auch auf die Wettbewerbssituation der jeweiligen Unternehmen auswirken.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Auch das ist eine Frage, die nur das Unternehmen selbst beantworten kann. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Es gibt eine Zusatzfrage der Kollegin Menzner.

Dorothee Menzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003808, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich habe folgende Zusatzfrage: Wie können Sie gewährleisten, dass Bereiche des DBKonzerns, der ja noch komplett in öffentlicher Hand ist, die nicht der Daseinsvorsorge gemäß Art. 87 e des Grundgesetzes dienen, nicht mit Steuermitteln subventioniert werden?

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Frau Menzner, Ihre Frage beginnt mit einer falschen Darstellung. Die DB AG ist nicht im Besitz der öffentlichen Hand, sondern eine Aktiengesellschaft, die nach unternehmerischen Gesichtspunkten gemäß Aktienrecht geführt wird.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Zusatzfrage des Kollegen Fricke.

Otto Fricke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003530, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, der Kollege Beck hat nach der DB Rent gefragt. Ich möchte in dem Zusammenhang nicht nach dem konkreten Verhandlungsvorgang fragen, sondern nur danach, ob Sie ausschließen können, dass die Bundesregierung weitere Verträge mit der DB Rent hat, und insbesondere, dass Ihr Haus irgendwelche Verträge mit der DB Rent hat.

Achim Großmann (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000735

Ich bin über weitere Verträge zwischen der DB Rent und meinem Haus nicht informiert. Von daher müsste ich Ihnen auf diese Frage schriftlich antworten. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Hiermit zugesagt. - Weitere Fragen liegen nicht vor. Die Fragen 50 und 51 der Kollegin Veronika Bellmann und des Kollegen Lutz Heilmann werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Das Präsidium stellt mit Genugtuung fest, dass seine Einschätzung des angemessenen und auskömmlichen Zeitbedarfs für die Fragestunde offenkundig zutreffend war. Ich bedanke mich für Ihre Mitwirkung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages zur allgemeinen Überraschung auf morgen, Donnerstag, den 26. Juni 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.