Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/20/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt - Drucksache 16/9588 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Schäuble das Wort. ({1})

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist hoch. Deutschland und Europa sind in das Fadenkreuz des Netzwerks des internationalen Terrorismus gerückt. Das ist die unerfreuliche Nachricht nach einem Bericht von Europol über die Bedrohung durch den Terrorismus. Im vergangenen Jahr sind in Europa 201 Terrorismusverdächtige verhaftet worden. Wer sich Internetbotschaften - in der Regel mit deutschen Untertiteln und einer hohen Professionalität erstellt - anschaut, in denen Anleitungen formuliert sind, wie man Anschläge und Selbstmordattentate durchführt und Selbstmordattentäter anwirbt, der weiß, dass wir nicht von Kleinigkeiten reden, sondern einer ernsten Bedrohung ausgesetzt sind. Diese Bedrohungslage hat den Verfassungsgesetzgeber vor zwei Jahren veranlasst - eine Mehrheit von über zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und Bundesrates hat dies beschlossen -, dem Bundeskriminalamt für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus auch eine polizeiliche Gefahrenabwehrbefugnis zu übertragen, ergänzend zu den polizeilichen Gefahrenabwehrbefugnissen der Länderpolizeien. Diese Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers setzen wir mit diesem Gesetzentwurf um; wir füllen sie aus. Es geht nicht darum - und ich finde, dieser Aspekt ist in der öffentlichen Debatte gelegentlich ein wenig zu kurz gekommen -, dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse zu verschaffen, sondern es geht darum, dem Bundeskriminalamt eine neue Aufgabe zu übertragen, ({0}) die bisher ausschließlich die Polizeien der Länder haben. Und wenn man dem Bundeskriminalamt die Aufgabe polizeilicher Gefahrenabwehr überträgt, dann muss man ihm dafür natürlich auch die gesetzlichen Instrumente zur Verfügung stellen, über die die Länderpolizeien seit 50 Jahren verfügen. ({1}) Es geht also nicht um neue Befugnisse, sondern es geht um eine neue Aufgabe angesichts einer neuen Bedrohung. Dabei gilt die Systematik des Grundgesetzes: In jeden grundrechtlich geschützten Bereich darf nur unter engen tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen eingegriffen werden, und zwar in der Regel nur aufgrund einer unabhängigen richterlichen Entscheidung. Das ist bei allen klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr so, insbesondere bei der Wohnungsdurchsuchung und bei der Kontrolle von Kommunikation unter engen Voraussetzungen: Eingriff ins Post- und Fernmeldegeheimnis, Wohnraumüberwachung. Das Bundeskriminalamt bekommt, wenn dieser Gesetzentwurf angenommen wird, diese Instrumente in der Redetext gleichen Weise: enge tatbestandliche Voraussetzungen, Entscheidung eines unabhängigen Richters. Auch der Schutz des Kernbereichs, der nach unserem Grundgesetz absolut ist, wird in diesem Gesetzentwurf in der bewährten Weise verwirklicht, nämlich so, dass in dem Augenblick, in dem die Möglichkeit entsteht, dass Informationen, die etwa durch Fernmeldekontrolle oder durch Wohnraumüberwachung anfallen, kernbereichsrelevant sein können, nur noch mit technischen Mitteln aufgezeichnet werden darf und dass ein unabhängiger Richter und niemand sonst zu entscheiden hat, ob der Kernbereich tatsächlich verletzt ist. In diesem Fall muss das Material gelöscht werden. Dieses Löschen muss transparent sein, das heißt, es muss überwacht werden können, damit sichergestellt ist: Der Kernbereich wird nicht verletzt. Das alles ist nichts Neues, sondern es entspricht der bewährten Rechtstradition unseres Verfassungsstaates. Dieser Verfassungsstaat schützt seine Bürgerinnen und Bürger. Er späht sie nicht aus. ({2}) Die technische Entwicklung geht weiter. Wir haben in den letzten Jahren eine lange Debatte darüber gehabt, ob die neue Kommunikationsform Voice over IP mit neuen Formen der Verschlüsselung unter die Regeln der klassischen Telekommunikationsüberwachung fällt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Entscheidungen bestätigt, dass die klassischen Regeln der Telekommunikationsüberwachung auch für die neue Kommunikationstechnologie Voice over IP gelten. Das wird in diesem Gesetzentwurf klargestellt. Das ist aber nichts Neues. Neu in diesem Gesetzentwurf ist die Onlinedurchsuchung. Die hat sich in den letzten Jahren entwickelt, wiederum durch die technische Entwicklung, durch das Entstehen neuer Kommunikationsformen, nicht durch irgendwelche Überlegungen von Sicherheitsbehörden oder Parlamentariern. Der Bundesgerichtshof hat, wie ich finde, richtigerweise entschieden, dass der ursprüngliche Ansatz der verantwortlichen Sicherheitsbehörden und auch der Bundesanwaltschaft - ich sage es ohne jede Kritik -, das Ganze als analoge Anwendung der Rechtsgrundlagen für Telekommunikationsüberwachung und der damit verbundenen Voraussetzungen zu interpretieren, nicht zulässig ist, sondern dass man dafür eine eigene gesetzliche Grundlage braucht; nicht mehr und nicht weniger. Diese gesetzliche Grundlage versuchen wir mit diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal zu schaffen. Diejenigen, die gesagt haben, das sei verfassungsrechtlich überhaupt nicht zulässig, haben nicht recht. Auch das Bundesverfassungsgericht hat bei einem Urteil über ein nordrhein-westfälisches Landesgesetz bestätigt: Unter den engen Voraussetzungen der Eingriffe in das Post- und Fernmeldegeheimnis ist auch die Onlinedurchsuchung möglich. Auch dort gilt im Übrigen der Schutz des Kernbereichs in derselben Weise. Das durch Onlinedurchsuchungen entstehende Material wird nach der Systematik des Gesetzentwurfs zunächst einmal durch zwei Beamte des Bundeskriminalamtes, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt haben muss, dahin gehend geprüft, ob es überhaupt kernbereichsrelevant sein könnte. In dem Augenblick, in dem sich herausstellt, dass diese Möglichkeit besteht, muss dieses Material genau wie bei der Wohnraumüberwachung oder der Telekommunikationsüberwachung dem unabhängigen Richter, der diese Maßnahme anordnet, vorgelegt werden. Nur er entscheidet, ob es verwendet werden darf oder nicht. Bei allen Meinungsunterschieden, bei allem politischen Streit sollten wir deswegen aufhören, aus Anlass dieses Gesetzentwurfs oder anderer Debatten den Eindruck zu erwecken, dieser freiheitliche Verfassungsstaat sei ein Staat, der seine Bürger rechtswidrig überwacht. Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Sicherheitsorgane haben diese Diffamierung nicht verdient. ({3}) Wir regeln in diesem Gesetzentwurf das Zeugnisverweigerungsrecht und die privilegierten Rechte von bestimmten Berufsgruppen in der Weise, wie sie seit Jahrzehnten in der Rechtsprechung und in der Strafprozessordnung geregelt sind, und in derselben Weise, wie sie übrigens ausdrücklich auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich in ständiger Rechtsprechung immer wieder darauf hingewiesen, dass etwa Zeugnisverweigerungsrechte für privilegierte Berufsgruppen aufgrund ihres Ausnahmecharakters bestimmte Voraussetzungen erfordern. Deswegen ist in der ständigen Rechtsprechung zu § 53 der Strafprozessordnung das Zeugnisverweigerungsrecht des Geistlichen immer an die Voraussetzung geknüpft, dass er einer öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaft angehört. Um diese Ausnahme, diese Privilegierung zu begründen, muss die Verlässlichkeit der Organisation einigermaßen gewährleistet sein. Auch das ist nichts Neues, sondern es ist die klassische Form. Angesichts neuer tatsächlicher Entwicklungen in den Debatten mit Bezugnahme auf § 53 Strafprozessordnung und auf die Rechtsprechung zu dieser Vorschrift schreiben wir das in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf lediglich fest. Noch einmal: Wir brauchen im Hinblick auf Gefahren des internationalen Terrorismus die zusätzliche Gefahrenabwehr durch das Bundeskriminalamt. Ich halte die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers für richtig und notwendig. Wir nehmen den Ländern übrigens keinerlei Zuständigkeit. Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamts kommt ergänzend zu der Zuständigkeit der Länderpolizeien und der Landeskriminalämter hinzu; sie ist additiv. Wenn das Bundeskriminalamt seine Zuständigkeit als gegeben ansieht, muss es in jedem Einzelfall - so sieht es § 4 a in Art. 1 des Gesetzentwurfs vor - unverzüglich die Länder informieren und jede Maßnahme im Benehmen mit den zuständigen Länderpolizeien durchführen. Dass die gegenseitige Unterrichtung, die Zusammenarbeit, gegeben ist, ist über jeden Zweifel erhaben. Wir haben das GTAZ, das im Alltag gut funktioniert. Wir haben die gemeinsame Antiterrordatei. Wir haben bei der Großaktion im vergangenen Jahr, die zu der Verhaftung der drei Tatverdächtigen im Sauerland geführt hat, gesehen, dass die Sicherheitsbehörden der Länder und des Bundes - Polizeien, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern - vertrauensvoll und verlässlich zusammenarbeiten ({4}) und dass die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten, auch internationalen Nachrichtendiensten, ebenfalls notwendig und vertrauensvoll ist. Hätten wir die Hinweise von Partnerdiensten nicht bekommen, wären wir zu dem Vorgehen gar nicht in der Lage gewesen. Ich will doch noch einmal daran erinnern: Die Tatverdächtigen, die im Sauerland verhaftet wurden, hatten 600 Liter Wasserstoffperoxid gebunkert. Dazu muss man wissen, dass 3 Liter dieses Materials vor zwei Jahren für den Sprengstoffanschlag auf einen Bus in London verwendet worden sind, der verheerende Auswirkungen hatte. Die 200-fache Menge dieses Materials war im Sauerland gebunkert. Das war eine große Gefahr für die Sicherheit unseres Landes und für die Bürgerinnen und Bürger, die in Deutschland leben. Die Realisierung dieser Gefahr ist verhindert worden. Deswegen sage ich: Wir reden nicht von Kleinigkeiten, wir reden von einer ernsten Bedrohung. Wir sind ein sicheres Land. Unsere Sicherheitsbehörden haben jeden Anspruch auf Respekt und Unterstützung. Sie haben jeden Anspruch darauf, per Gesetz Instrumente an die Hand zu bekommen, damit sie zu jeder Zeit und bei jeder Bedrohung nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz handeln. Genau das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfs. Ich bitte um Zustimmung. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Gisela Piltz, Fraktion der FDP. ({0})

Gisela Piltz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003667, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir Liberale bekennen uns zu einem starken und effektiven Bundeskriminalamt. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BKA. Nach dem, was Sie gesagt haben, Herr Bundesinnenminister, müssen wir das offensichtlich umso mehr, als sie es geschafft haben, auf einer aus Ihrer Sicht völlig unzureichenden Gesetzesgrundlage eine wirklich hervorragende Arbeit zu leisten. Ich glaube, das ist des Dankes des ganzen Parlaments wert. ({0}) Wir wollen, dass sich die Mitarbeiter auch in Zukunft auf das konzentrieren, was sie können, und nicht auf das, was sie nach diesem Entwurf tun sollen. Bei dieser Gelegenheit nur eine kurze Anmerkung am Rande. Mir ist völlig schleierhaft, warum das BKA in diesem Jahr 27 Millionen Euro weniger bekommt, wenn es denn alle die zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen soll. Leider reicht meine Redezeit nicht aus, ({1}) um jeden einzelnen der §§ 20 a bis 20 x in Art. 1 Ihres Entwurfs vorzulesen und zu bewerten. Dabei müsste man das eigentlich einmal tun und sich jeden Vorschlag auf der Zunge zergehen lassen. Ich muss allerdings vor den Nebenwirkungen warnen; denn die Kost ist für jeden, der Grundrechte achtet, unbekömmlich. Es bleibt ein bitterer Nachgeschmack. Ich will stattdessen aus der Begründung zitieren: Neben den polizeilichen Standardbefugnissen werden dem BKA besondere Mittel der Datenerhebung sowie die Möglichkeit der Ausschreibung zur Polizeilichen Beobachtung und der Rasterfahndung zur Verfügung gestellt. Insbesondere erhält das BKA die Befugnis zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme ({2}). Auch erhält das BKA durch den Entwurf Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation, zur Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten sowie zum Einsatz von technischen Mitteln zur Identifizierung und Lokalisation von Mobilfunkendgeräten, die auch bereits in etlichen Polizeigesetzen der Länder vorgesehen sind. Ebenfalls enthalten ist eine Befugnis zur Wohnraumüberwachung. Dies ist nur die Kurzzusammenfassung der wesentlichen Schwerpunkte des Gesetzentwurfs. Es ist, wie ich finde, eine beeindruckende Liste, aber auch eine erschreckende Liste. ({3}) Ein Best-of? Nein, eher ein Worst-of aus 16 Polizeigesetzen ({4}) - je lauter Sie werden, desto schlechter wird es ({5}) und zur Krönung noch ein paar weitere Befugnisse wie die zur heimlichen Onlinedurchsuchung oder die zur sogenannten Quellen-TKÜ. Ich habe in den letzten Tagen verschiedentlich gehört, es sei das modernste Polizeigesetz. Bei mir ist es nicht Mode, die Eingriffsintensität in die Grundrechte dadurch zu erhöhen, dass eine Kompetenz an die andere gereiht wird. Ich hoffe, dass das auch noch abgeschwächt wird. Es ist richtig, dass Terrorismus bekämpft werden muss. Aber wenn wir Terroristen nachgeben, indem wir die Freiheit einschränken, machen wir uns zu deren Erfüllungsgehilfen. ({6}) Ein wehrhafter Rechtsstaat ist vonnöten, aber nicht ein Staat mit der Lizenz zum Erstschlag auf vagen Verdacht. Das ist aber genau das, was Sie hier tun. „Die Freiheit ist ein Gut, das alle anderen Güter zu genießen erlaubt“ - so hat es Montesquieu formuliert. Ohne Freiheit ist Sicherheit ein leeres Wort. Wegen dieses Gesetzentwurfs und vieler anderer Dinge, die Sie hier im Deutschen Bundestag in den letzten Jahren vorgelegt haben, ist es aber fast nicht mehr möglich, von der Freiheit Gebrauch zu machen. Denn wir leben mittlerweile in einem Staat, in dem jeder Gefahr läuft, unter Verdacht zu geraten. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. ({7}) - Lautstärke ersetzt keine Argumentation; das wissen Sie. ({8}) Mit dem Gesetzentwurf zum BKA-Gesetz führt die Große Koalition - ich betone: dazu gehört immer noch die SPD ({9}) eine Sicherheitspolitik fort, bei der jeder zum Verdächtigen werden kann. Wenn Sie jetzt wieder protestieren, dann empfehle ich Ihnen einmal die Lektüre Ihres Gesetzentwurfes. In sechs Artikeln wollen Sie durch Einfügen und Ändern von knapp 40 Paragrafen das BKA zu einer Überwachungsbehörde von bislang nicht vorstellbarem Ausmaß umgestalten. Dabei - das ist auch beachtlich - schaffen Sie es, fast genauso viele Verfassungsgrundsätze mit Füßen zu treten. Es wird Sie nicht erstaunen, dass ich auf § 20 k - da geht es um die heimliche Onlinedurchsuchung - eingehen möchte. Im Februar hat das Verfassungsgericht entschieden, dass dieses Instrument nur unter Beachtung hoher Hürden angewendet werden dürfe. Wir sind nach wie vor der Ansicht, dass das Instrument weder erforderlich ist, noch dass der schwerwiegende Eingriff in die Grundrechte, der damit einhergeht, im Verhältnis zum möglichen Nutzen steht. Das gilt vor allen Dingen, wenn man bedenkt, dass viele Festplatten bis zu zwei Jahren in Polizeibehörden vor sich hinmodern, weil Personal fehlt. Ich finde, Sie sollten erst einmal den Personalmangel bekämpfen, bevor Sie neue Gesetze machen. ({10}) Aber wenn Sie staatlicherseits in Computersysteme einbrechen und das Privateste vom Privaten online an das BKA oder demnächst vielleicht auch noch an das Bundesverwaltungsamt übermitteln wollen, dann muss es doch das Mindeste sein, dass Sie die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachten. Aber nein, gerade das tun Sie nicht, Herr Innenminister. Bis zu drei Tage darf ohne richterlichen Beschluss jede Datei auf den Festplatten online kopiert werden. Dann sollen zwei BKA-Beamte prüfen, ob die Intensität der Kernbereichsverletzung so gering wie möglich geblieben ist. Herr Minister, ist das nicht ein bisschen so, wie wenn Sie Fröschen den Auftrag erteilen, einen Teich trockenzulegen? ({11}) Sie glauben doch nicht im Ernst, dass BKA-Beamte das unabhängig prüfen können. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Sie können auch nicht glauben, dass Sie damit den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung tragen. Sie haben selber gesagt, Sie würden für den Schutz des Kernbereichs sorgen. Dazu möchte ich nur sagen, dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass es „bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System praktisch unvermeidbar ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, bevor ihr Kernbereichsbezug bewertet werden kann“. Ich wiederhole das gerne noch einmal: „bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System“. Warum aber findet sich der nur für solche Fälle anwendbare sogenannte zweistufige Kernbereichsschutz in Ihrem Gesetzentwurf auch bei der sogenannten QuellenTKÜ? Er findet sich auch für den Lauschangriff - ausgerechnet für den Lauschangriff, bei dem das Verfassungsgericht ganz klar gesagt hat, dass der Kernbereich ein absolutes Tabu ist. Der Kernbereichsschutz ist off limits; das wissen wir alle. Sie halten sich nicht daran, und das verstehe ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht. Ich persönlich bin jetzt sehr gespannt auf den Beitrag der SPD-Fraktion. Sagen Sie heute Ja oder sagen Sie Nein oder sagen Sie Jein - so konsequent wie in den letzten zwei Jahren zu fast allem, was in der Innenpolitik passiert? Ich finde es sehr spannend, Herr Kollege Wiefelspütz, wie Sie am Dienstag um 13 Uhr auf einer Pressekonferenz sagen können, dass Ihre Fraktion das nicht mitmacht, und um 15 Uhr genau dieselbe SPDFraktion dem Gesetzentwurf einfach so zustimmt. Das müssen Sie nicht nur uns erklären, sondern auch den Wählerinnen und Wählern. Das ist keine konsequente Politik, sondern ein Schlingerkurs. ({12}) Auch im Fernsehen konnte ich es heute Morgen wieder sehen. Sie haben gesagt, Sie sind nicht zum Abnicken da; Sie meinen, Sie können in der Fraktion etwas abnicken, aber nicht im Deutschen Bundestag. Auch das müssen Sie mir erklären. Ich bin gespannt auf Ihre Erklärung. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Minister Schäuble, es ist doch eigentümlich, was denkbare Koalitionspartner Ihrer Partei oder auch unserer Partei im Deutschen Bundestag für einen Unfug erklären können. ({0}) Bitte, Herr Schäuble, nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis: Bei uns in der Großen Koalition ist vielleicht die Stimmung nicht immer gut, aber die Ergebnisse stimmen, und sie sind nur zwischen uns möglich. ({1}) Wir reden heute über das wichtigste Sicherheitsgesetz in dieser Wahlperiode. Was - da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Schäuble - in den vergangenen Monaten durch mancherlei hektische Diskussionsbeiträge von diesem und jenem ({2}) in diesen und jenen Reihen vielleicht nicht immer richtig wahrgenommen worden ist: Wir reden über ein ganz normales Polizeigesetz. ({3}) Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, wie es amtlich heißt, ist ein Gesetz, wie wir es in allen 16 Bundesländern haben. Ein vergleichbares Gesetz gibt es auch für die Bundespolizei. Deswegen ist die hier und dort zum Teil spektakuläre Debatte, wie ich finde, völlig überzogen. Neu an diesem Gesetz ist ausschließlich die Onlinedurchsuchung, über die noch zu reden sein wird. Die Vorlage, die von der Bundesregierung, von Herrn Schäuble und Frau Zypries, erarbeitet worden ist, ist eine gute Vorlage. Wir haben als Abgeordnete den Anspruch, aus einer guten Vorlage, Herr Grindel, ein sehr gutes Gesetz zu machen. Das wird uns gelingen. Wir haben den Anspruch, das qualifizierteste Polizeigesetz zu machen, das es in Deutschland gibt. Diesen Anspruch werden wir verwirklichen, weil wir in dieses Gesetz, Herr Stadler, die sehr anspruchsvolle, aber, wie ich finde, sehr wichtige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der letzten drei, vier Jahre millimetergenau übernehmen. ({4}) - Herr Wieland, wenn Sie das nicht gelesen haben, hören Sie doch bitte einmal zu! Wir werden die Rechtsprechung zum großen Lauschangriff, zur Rasterfahndung, zur präventiven Telefonüberwachung und zur Onlinedurchsuchung übernehmen. ({5}) Das ist der Anspruch. Sie können sich gerne mit intelligenten Beiträgen beteiligen, Herr Wieland; aber sie müssen dann auch Qualität haben. Wir haben das mit eingebaut. Wir werden im Laufe der Beratungen an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch Verbesserungen einfügen können. Jedes Gesetz, das hier in erster Lesung beraten wird, wird im Laufe der Beratungen verändert. Das werden keine sehr grundsätzlichen Veränderungen sein - der Gesetzentwurf ist verfassungskonform -, aber an der einen oder anderen Stelle wird es Präzisierungen geben können und müssen. Ich glaube sagen zu dürfen, dass der internationale Terrorismus für Deutschland natürlich ein Thema ist. Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA sind auch eine Zäsur in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Ich denke, wir haben in Deutschland unseren Weg gefunden, diesen Herausforderungen strikt rechtsstaatlich zu begegnen, ({6}) mit Augenmaß ({7}) und mit Verstand. Das ist eine Linie, die schon Rot-Grün begonnen hat ({8}) und die wir in der jetzigen Koalition fortsetzen. Herr Wieland, wir in Deutschland leben in einem außerordentlich qualifizierten Rechtsstaat. ({9}) Ich kenne kein anderes Land, in dem der Grundrechteschutz einen solch hohen Stellenwert hat wie in unserem Land. Ich kenne kein anderes Land, das ein Gericht wie das Bundesverfassungsgericht hat. Ich kenne kein Land, das wie wir eine Vorschrift analog dem Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes hat, nach dem staatliche Maßnahmen, die die Grundrechte der Bürger verletzen, durch unabhängige Gerichte überprüft werden können. Wir haben eine hohe Qualität an Rechtsstaatlichkeit. Es ist nie ein Streit in diesem Hause gewesen, dass auch Terrorismus ausschließlich mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft wird. Wir führen keinen Krieg gegen Terrorismus, sondern wir begegnen Straftätern mit den Mitteln des Strafrechtes und des Polizeirechtes sowie mit unabhängigen Gerichten. Das ist unser Weg in Deutschland. ({10}) Wir reden heute über eine zivile Maßnahme, nämlich über ein Polizeigesetz, das höchsten Anforderungen genügen wird.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Ströbele möchte eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte schön, Herr Ströbele, aber möglichst lang. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben zutreffend die Zeit der rot-grünen Koalition angesprochen. Der 11. September 2001 liegt inzwischen fast sieben Jahre zurück. Brauchen wir dieses neue Gesetz, weil wir in den Jahren 2004, 2005 - also unter Rot-Grün - in Deutschland unsicher gelebt haben? Oder was ist Neues passiert, dass wir jetzt dieses BKA-Gesetz brauchen? ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Ströbele, wir haben in Deutschland eine ausgesprochen bewährte Sicherheitsarchitektur. ({0}) Sie ist föderal und dezentral, und sie ist nach meiner Auffassung besser als die Sicherheitsarchitektur in den meisten Ländern. Wenn ich in den USA, in Großbritannien oder in Frankreich war, komme ich immer wieder - ich sage das ohne Überheblichkeit - erleichtert nach Deutschland zurück, weil wir nach meiner Auffassung hier freier, rechtsstaatlicher und auch sicherer leben. Herr Ströbele, die Bürger in Berlin leben - ich sage das ohne Überheblichkeit - sicherer als die Bürger in Paris, London oder New York. Das ist eine große Leistung unseres Landes. ({1}) Die Möglichkeit muss aber bestehen - Herr Ströbele, daran haben Sie unter Rot-Grün mitgewirkt -, dass diese Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt werden kann. Wir werden hier keinen Paradigmenwechsel zulassen. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Deshalb werden wir mit Augenmaß diese Architektur weiterentwickeln. ({2}) Die Föderalismusreform hat die Verfassungsänderung ermöglicht. Im Jahre 2004 haben wir darüber diskutiert. ({3}) Herr Ströbele, Sie wissen, dass wir das damals gemacht haben. Heute setzen wir die Ergebnisse um. Das ist weit weniger spektakulär, als in Diskussionen gelegentlich gesagt wird. Es ist eine maßvolle und kluge Weiterentwicklung unserer bewährten Sicherheitsarchitektur. Dass wir im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus eine Bundeszuständigkeit ergänzend haben sollten, halte ich für sinnvoll. Das ist ein SPD-Projekt gewesen. Seien Sie mir bitte nicht böse, Herr Ströbele, wenn ich sage: Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, dass das, was wir im Jahre 2008 im Bereich der Sicherheitspolitik machen, auf Fundamenten beruht, die wir unter Rot-Grün gelegt haben. Die Sicherheitspolitik der SPD ist seit vielen Jahren eine Politik der Kontinuität und des Augenmaßes. Das, was wir heute machen, hat Fundamente, die vor drei, vier oder fünf Jahren gelegt wurden. Sie waren mit dabei. Manchmal haben Sie sich aber in eine Nische zurückgezogen und haben den Eindruck erweckt, als wären Sie nicht dabei. Das ist ganz typisch für Sie, Herr Ströbele. Ihr Verhalten ist für mich kein Maßstab. Diese Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur halte ich für sinnvoll und zeitgemäß. Davor muss niemand Sorge und Angst haben. Ich glaube, dass die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eher gewachsen ist. Ich glaube auch, dass die Freiheit in diesem Land nicht weniger geworden ist, sondern ebenfalls gewachsen ist. Deswegen muss ich mich wirklich über manche verzerrenden Absurdistan-Debatten vonseiten von Frau Piltz wundern. Sie leben nicht in Deutschland; Sie leben in „Absurdistan“, liebe Frau Piltz. Deswegen sind Ihre Debattenbeiträge fern jeder Realität, sehr verehrte Kollegin. ({4}) Ich will noch einige wenige Sätze zur Onlinedurchsuchung sagen. Wir haben den Anspruch, millimetergenau umzusetzen, was vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Onlinedurchsuchung vorgegeben wird. Das wird gelingen; da bin ich sehr zuversichtlich. Dann wird am Schluss im Oktober ein Gesetz verabschiedet werden können, das höchsten rechtsstaatlichen Maßstäben gerecht wird, das die Sicherheitsarchitektur unseres Landes weiterentwickelt und ein Stückchen mehr Freiheit und Sicherheit für unsere Bürger bringen wird. Schönen Dank für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des BKA-Gesetzes soll angeblich der Terrorabwehr dienen. Ich sage „angeblich“; denn durch die gesamte sogenannte Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung zieht sich wie ein roter Faden das Bestreben, Grundrechte zu schleifen, um die allumfassende Überwachung der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Die Koalition will dem Bundeskriminalamt erlauben, Videokameras in Privatwohnungen zu installieren und heimlich Onlinedurchsuchungen von Computern vorzunehmen. Es sind eben nicht nur Terroristen, die von diesem Gesetz betroffen sind, sondern wir alle, sämtliche Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes. ({0}) Dieser Entwicklung werden wir Linke uns auf der Straße und hier im Parlament entschieden entgegensetzen. ({1}) Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach darauf hingewiesen, dass jeder Bürger - auch ein Verdächtiger einen Anspruch darauf hat, im Kernbereich seines Privatlebens von staatlichen Eingriffen verschont zu bleiben. Von diesem Grundrecht lässt das BKA-Gesetz kaum noch etwas übrig; denn wer heimlich in Wohnungen eindringt, um Videokameras in Wohn- und Schlafzimmern anzubringen, legt es förmlich darauf an, im Privatleben anderer Menschen herumzuschnüffeln. Ausdrücklich sollen sogenannte Kontakt- und Begleitpersonen ausgeforscht werden, wobei diese Begriffe im Gesetzentwurf nicht klar und eindeutig definiert sind. Auch Personen, die in Kontakt zu Betroffenen stehen, sollen, wie gesagt, in Verdacht geraten. Das Gleiche gilt für die Onlinedurchsuchung. Das BKA soll Virenprogramme, sogenannte Trojaner, in Privatcomputer einschleusen können, um sämtliche Daten von Festplatten zu kopieren. Das reicht von Urlaubsfotos bis zu Liebesbriefen, von der Steuererklärung bis hin zu intimen Dingen. Die BKA-Beamten sollen selbst entscheiden, was hiervon als privat zu betrachten ist, und nur im Zweifel ein Gericht einschalten. Die Kontrolleure sollen sich selbst kontrollieren. Das ist wirklich ein absurdes Unterfangen. Ohne uns, kann ich da nur sagen. ({2}) Bei einer normalen Hausdurchsuchung weiß der Betroffene von der Maßnahme und kann sich juristisch dagegen wehren. Bei der heimlichen Onlinedurchsuchung gilt das nicht. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer hat in der letzten Woche in der Süddeutschen Zeitung Folgendes gesagt - ich zitiere -: Beim heimlichen Sammeln von Beweisen bin ich nur noch Objekt. Die Betroffenen können sich oft gar nicht dagegen wehren, weil sie davon nichts wissen und es vielleicht nie erfahren. Sie haben keine Ahnung, was mit ihnen passiert. … Es ist höchste Zeit für Überlegungen, wie das rechtsstaatlich wieder einzufangen ist. Doch statt die ausufernden Überwachungsgesetze wieder rechtsstaatlich einzufangen, will die Koalition sie weiter ausbauen. Es soll sogar auf richterliche Genehmigungen verzichtet werden, wenn das BKA es besonders eilig hat, Wohnungen zu verwanzen. Auch Berufsgruppen mit besonderem Zeugnisverweigerungsrecht stehen im Visier. Journalisten, Mediziner und Rechtsanwälte können abgehört, gefilmt und Opfer von Onlinedurchsuchungen werden, sodass auch Informanten, Patienten und Klienten ihre Privatsphäre verlieren. Von der Behauptung, diese Maßnahmen würden vom BKA nur noch höchst selten ergriffen, lassen wir jedenfalls uns nicht beschwichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass die Ermittlungsbehörden ihre Rechte eher überplanmäßig ausschöpfen. Ich erinnere daran, dass Deutschland schon heute Weltmeister beim Abhören ist. ({3}) Ich betone, dass die Fraktion Die Linke nichts dagegen hat, dass gegen Straftäter ermittelt wird. Wir bestehen aber darauf, dass die normalen rechtsstaatlichen Standards gelten. Wir sagen: Die bestehenden Gesetze reichen aus, um gegen Täter und dringend Tatverdächtige vorzugehen. Wir brauchen keine neuen Gesetze. ({4}) Die heimlichen Spitzelmaßnahmen, die das BKA durchführen soll, werden ergänzt durch den Ausbau des BKA zu einer nationalen Superpolizeibehörde, die im Vorfeld möglicher Straftaten ermittelt. Per sogenanntem Selbsteintrittsrecht soll das BKA die Bürger anstelle der Länderpolizeien bzw. ergänzend observieren, kontrollieren, in Gewahrsam nehmen oder Platzverweise gegen sie aussprechen können. ({5}) Was da geschaffen wird, ist eine geheim ermittelnde Staatspolizei. Das ist nun wirklich das Allerletzte, was wir brauchen können. ({6}) Ich will noch ein paar Worte zur SPD sagen, die meiner Meinung nach heute eine absolut lächerliche Vorstellung gibt. Erst täuscht sie großmäulig vor, den Innenminister Schäuble stoppen zu wollen, gibt dann aber, wie so oft in ihrer Geschichte, klein bei. Dieser Gesetzentwurf ist im Kabinett einstimmig beschlossen worden, mit den Stimmen aller Minister. Jetzt hören wir, dass nachgebessert werden soll. Das halte ich für ein sehr durchsichtiges, taktisches Manöver; denn es gibt bei diesem schlechten Gesetz nichts nachzubessern. ({7}) Wenn es so ist, dass Terroristen unsere Demokratie gefährden, dann kann ihnen überhaupt nichts Besseres passieren, als dass die Bundesregierung ihnen diese Arbeit abnimmt, indem sie den Überwachungsstaat Schritt für Schritt weiter ausbaut und die Demokratie in diesem Land selbst preisgibt. Deswegen fordern wir von der Linken: Das Gesetz muss weg. Wir werden auf jeden Fall dagegen stimmen. Danke. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wolfgang Wieland, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste Frage muss doch lauten: Brauchen wir dieses Gesetz? ({0}) Hat das BKA bisher nur Däumchen gedreht und Kaffee getrunken, Herr Kollege Hofmann? Sind uns die Terroristen auf der Nase herumgetanzt? Hat der Bundesinnenminister, der inzwischen seit zweieinhalb Jahren im Amt ist, angesichts einer riesigen Sicherheitslücke nur zugesehen? Das hat er natürlich nicht getan. Dieses Gesetz ist aus Sicherheitsgründen so notwendig wie ein Kropf. Es schafft neue Unsicherheiten durch Überzentralisierung und ein unkoordiniertes Nebeneinander von Bundespolizei und Länderpolizeien. ({1}) Vor allem schafft dieses Gesetz aber - und das ist das Schlimme - eine neue Art von Polizei, die gleichzeitig Ihr neuer Geheimdienst ist. ({2}) Ich rede nicht von Geheimpolizei, schon gar nicht von geheimer Staatspolizei - wirklich nicht. Die haben wir nicht, und die werden wir auch nicht bekommen. Aber wir bekommen ein Bundeskriminalamt, das alles kann, was auch das Bundesamt für Verfassungsschutz kann, aber keinerlei parlamentarischer Kontrolle unterliegt: keine G-10-Kommission, kein Parlamentarisches Kontrollgremium. Man kann sicher darüber streiten, ob diese Form der Kontrolle funktioniert. Der Innenausschuss kann das nicht leisten. Das wissen Sie doch auch. ({3}) Man bringt hier eine Monsterbehörde auf den Weg. Wir werden uns noch alle die Augen reiben. Das ist meine Prophezeiung. Wir hören von Präsident Ziercke und anderen immer wieder den schönen Satz: Niemand hat die Absicht, ein deutsches FBI zu schaffen. ({4}) Aber genau das wird am Ende stehen. Sie wollen, dass wir uns heute auf diesen Weg begeben. Der Bundesinnenminister wäscht seine Hände in Unschuld: Ich folge doch nur einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts. Das klingt, als hätte er damit gar nichts zu tun, als hätten die Union und er diesen Auftrag im Rahmen der Föderalismuskommission nicht selbst formuliert. Sie wollen es. Sie wollen die jahrzehntealte föderale Balance in unserem Staat aus den Angeln heben und nicht zur Kenntnis nehmen, dass wir in diesem Bereich gut aufgestellt waren und sind. Denn wenn Sie es zur Kenntnis nähmen, müssten Sie begründen, warum wir dieses neue Gesetz brauchen. ({5}) Das BKA wird nun nicht nur von dem Konzert mit den Länderpolizeien, sondern auch von der Generalbundesanwältin abgekoppelt. ({6}) - Natürlich ist es so. Es ist nur noch vom Benehmen die Rede; da wird gar nichts notwendig sein. ({7}) Das BKA kann bestimmen, wann es informiert. Es kann auch bestimmen, wann und ob es die Generalbundesanwältin überhaupt informiert. ({8}) - Nein, genau das ist gewollt. Man will sich doppelt befreien und doppelt entgrenzen. Man will ins Vorfeld. Die schlimmsten Visionen aus den 70er-Jahren, die damals noch gestoppt werden konnten, sollen jetzt umgesetzt und wahr werden. Wenn es so kommt, ist das ein ganz trauriger Tag für die Bürgerrechte in diesem Land. ({9}) Wir haben schon vieles über die Befugnisse gehört. Alles „Worst of“ - Kollegin Piltz hat es zum Teil schon gesagt -: Schleierfahndung, Rasterfahndung, IMSICatcher, Wanze außerhalb der Wohnung und innerhalb der Wohnung, Spähangriff aus der Wohnung, staatliche Peepshow und Onlinedurchsuchungen, wobei das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal eins zu eins umgesetzt ist. Das alles wird kommen. Dann wird gesagt, man schütze die Berufsgeheimnisträger. Auch dies stimmt nicht. Lesen Sie § 20 c Abs. 3: Bei Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder sogar für das Staatsganze hat niemand mehr ein Auskunftsverweigerungsrecht. Wir als Parlamentarier nicht, der Strafverteidiger nicht und der Geistliche nicht. Das ist eine Art Gleichbehandlung im Unrecht; das ist grotesk. Sie haben hier tatsächlich Absurdistan auf den Tisch gelegt, Herr Kollege Wiefelspütz. ({10}) Das legen Sie hier vor und sagen: Wir schaffen ja gar nichts Neues. Natürlich schaffen Sie etwas Neues. Die Kompetenzen, die die Länderpolizeien in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Geiselnahmen, zum Teil haben - keine Länderpolizei hat alle Kompetenzen, die hier vorgeschlagen werden -, sollen jetzt die tägliche Arbeit des BKA werden. Die Gefahr des internationalen Terrorismus wird - da brauche ich kein Schwarzseher zu sein - die nächsten 20 Jahre bestehen. Das heißt, das BKA wird mit diesem ganzen Instrumentarium arbeiten können; es soll auch arbeiten. Das verändert die Polizeiarbeit grundsätzlich. Polizei wird nicht mehr Ländersache, sondern Bundessache sein. Das schafft eine völlig neue Qualität von Polizeiarbeit. Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat vor nunmehr 30 Jahren das Folgende über den damaligen BKA-Präsidenten Horst Herold geschrieben - ich zitiere -: … mutet es wie ein blutiger Treppenwitz an, daß es die Polizisten sind, die als letzte an einem Großen Entwurf basteln. Sie wollen uns ein Neues Atlantis der allgemeinen Inneren Sicherheit bescheren, einen sozialdemokratischen Sonnenstaat, … gelenkt und gesteuert von den allwissenden und aufgeklärten Hohepriestern des Orakels von Wiesbaden. Diese Vorstellung ist nicht nur makaber, sondern auch lächerlich. Wie vor ihr andere und rühmlichere Menschheitsträume wird Dr. Herolds Utopie … ein klägliches Ende nehmen. Ersetzen wir Dr. Herold durch Dr. Schäuble und prophezeien: Dieser Anlauf zu einem allgegenwärtigen, allzuständigen und allwissenden BKA wird ebenfalls ein klägliches Ende nehmen. Tun wir alles, dass es so kommt! ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Wolfgang Bosbach, CDU/CSUFraktion. ({0})

Wolfgang Bosbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002632, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst vielleicht einige wenige Anmerkungen zu dem, was in der bisherigen Debatte gesagt worden ist. Frau Kollegin Piltz, das Gesetz soll Ihrer Auffassung nach das Recht auf einen Erstschlag aufgrund vagen Verdachts geben. Das ist bösartig. Sie sollten einmal das, was Sie hier kritisieren, mit den Polizeigesetzen der Länder, in denen die FDP politische Verantwortung trägt, vergleichen. ({0}) Ein Beispiel: die akustische und optische Wohnraumüberwachung. Ist sie in Nordrhein-Westfalen zulässig? Selbstverständlich ist sie zulässig, ({1}) und zwar aus guten Gründen. Die FDP denkt auch gar nicht daran, das zu ändern. ({2}) Dass Sie aber das, was Sie der Landespolizei in Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität zugestehen, dem Bundeskriminalamt zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus verweigern wollen, das ist geradezu politisch unanständig. ({3}) Herr Kollege Ströbele, Sie haben gerade gefragt - das war keine rhetorische Frage, sondern sie war ernst gemeint -: Was hat sich eigentlich von Rot-Grün zur Großen Koalition geändert? Herr Wiefelspütz, auf diese Frage hätten Sie auch kürzer antworten können. ({4}) Wir haben jetzt einen Innenminister, der die Verfassung ernst nimmt. Genau das hat sich geändert. ({5}) Die Onlinedurchsuchung ist nicht von Wolfgang Schäuble eingeführt worden. Die Onlinedurchsuchung ist vom Innenminister einer rot-grünen Bundesregierung eingeführt worden. ({6}) Wolfgang Schäuble will sie auf eine verfassungsrechtlich sichere Grundlage stellen. Genau das hat sich geändert. ({7}) Frau Kollegin Jelpke, Sie sagten, Deutschland sei Weltmeister beim Abhören. Hier irren Sie. Wir waren einmal Weltmeister beim Abhören. Diesen Staat haben wir aber Gott sei Dank abgeschafft. ({8}) Auf deutschem Boden gab es einmal einen totalitären Überwachungsstaat. Für die politischen Verhältnisse trugen damals diejenigen die Verantwortung, die Ihre politischen Vorbilder sind und die Sie heute noch anhimmeln. So etwas darf sich nicht wiederholen. ({9}) Es lohnt sich, auf den Kollegen Wieland einzugehen. Wir sind politische Konkurrenten, und wir haben in vielen Fragen unterschiedliche Auffassungen. Aber zumindest bemühen Sie sich redlich, sich argumentativ mit dem Grund dieses Gesetzes auseinanderzusetzen. ({10}) Es ist notwendig, die Frage „Warum?“ zu stellen. Warum? Wir dürfen die Bedrohungslage nicht dramatisieren. Wir dürfen die Bedrohungslage aber auch nicht bagatellisieren. Wir haben in unserer Geschichte bereits bittere Erfahrungen mit dem Kampf gegen den Terroris18038 mus gemacht. Aber der heutige Kampf gegen den internationalen Terrorismus unterscheidet sich fundamental vom Kampf gegen den RAF-Terror der 70er- und 80erJahre. Ich will nur drei Punkte nennen: Erstens. Es wird nicht selten gesagt, bislang habe der Terrorismus einen Bogen um Deutschland geschlagen. Das ist falsch. Durch den RAF-Terror der 70er- und 80er-Jahre haben insgesamt 34 Menschen ihr Leben verloren. 34 Menschen sind Opfer des RAF-Terrors geworden. Wir haben uns damals redlich bemüht, die Menschen, die in Gefahr waren, so gut es ging zu schützen. 34 Mal ist es uns nicht gelungen. Durch den internationalen Terrorismus der letzten Jahre sind bereits über 50 Deutsche ums Leben gekommen, unter anderem auch am 11. September 2001. Es ist schlicht falsch, zu behaupten, dass noch keine Deutschen Opfer dieses Terrors geworden sind. Zweitens. Sieben Anschläge haben wir in der Bundesrepublik Deutschland vereiteln können, oder sie sind fehlgeschlagen. Es ist grober Unfug, zu behaupten, dass wir dieses Gesetz nicht brauchen, da diese Zahl ja belege, dass wir auf der sicheren Seite sind. Manche Attentate sind nur deshalb gescheitert, weil wir pures Glück hatten. Dass die geplanten Kofferbombenanschläge von vor zwei Jahren gescheitert sind, war kein Ermittlungserfolg der Polizeibeamten, sondern das lag am handwerklichen Ungeschick der Bombenbauer. ({11}) Gott sei Dank waren sie ungeschickt! Dass wir sie später gefasst haben - Stichwort: Trikot von Michael Ballack mit der Nummer 13 -, verdanken wir der Videoüberwachung, also einer Maßnahme, die Sie ständig bekämpfen. ({12}) Dritter Punkt. Warum ist die Lage heute eine andere als in den 70er- und 80er-Jahren? Im Visier der Terroristen von damals standen die Spitzen von Staat und Gesellschaft: Politiker, hohe Militärs und Wirtschaftsführer. Der Staat hat sich darum bemüht, sie zu schützen. Der Terror von heute hat Soft Targets, weiche Ziele, im Visier, sodass die gesamte Bevölkerung in Gefahr ist. Den Terroristen ist es im Grunde egal, wer ums Leben kommt. Eine möglichst große Zahl von Menschen mit möglichst geringem Aufwand zu töten, das ist das Ziel. Das macht die Abwehr dieser terroristischen Bedrohung natürlich wesentlich schwieriger als die Abwehr des Terrors der 70er- und 80er-Jahre. Wir haben es darüber hinaus mit einem völlig neuen Tätertyp zu tun. Die RAF-Terroristen wollten davonkommen. Sie wollten nicht gefasst werden. Heute haben wir es mit Selbstmordattentätern zu tun. Täter, die bereit sind, sich selbst zu töten, um andere zu ermorden, kann man nicht mit den Mitteln des Strafrechts von der Tatbegehung abhalten. Selbst die Todesstrafe - ich bin ein entschiedener Gegner der Todesstrafe ({13}) hätte überhaupt keine abschreckende Wirkung auf diejenigen, die bereit sind, zu sterben, um andere zu ermorden. Deswegen ist es so wichtig - nur darum geht es bei diesem Gesetz -, dass wir die Rechtslage der Bedrohungslage anpassen. Dem Terroristen genügt es, einmal Erfolg zu haben, der Staat muss bei der Gefahrenabwehr immer erfolgreich sein. Dass wir uns dabei streng an die Grenzen der Verfassung halten müssen, ist selbstverständlich; darüber muss man mit uns nicht diskutieren. Das Gesetz ist kein Allheilmittel; das würde der Bundesinnenminister nie behaupten. Die Polizei braucht die notwendige personelle Ausstattung. Es kann nicht sein, dass wir der Polizei ständig neue Aufgaben auferlegen und gleichzeitig Personal abbauen. Deswegen hat das jedenfalls der Bund in den letzten Jahren nicht getan, ganz im Gegenteil. Ich füge hinzu: Schon unter Rot-Grün ist damit begonnen worden, die Personalausstattung deutlich auszubauen. ({14}) Wir brauchen auch die notwendige technische Ausstattung. Ich sage jetzt etwas, bei dem der eine oder andere die Nase rümpfen wird; aber es hilft nichts, drum herumzureden. Wir ergreifen Maßnahmen, und natürlich kann man immer fragen: Ist das wirklich notwendig? Ein Beispiel: Wir sind alle Vielflieger. Wir kennen das alle: Wir kommen an die Personenkontrolle und sehen, wie sich 80-jährige Duttträgerinnen verzweifelt an ihre Shampooflasche klammern, ({15}) wenn ihnen erklärt wird, dass sie das Shampoo nicht mit an Bord nehmen dürfen, weil daraus möglicherweise Sprengstoff hergestellt werden könnte. Gleichzeitig bringt es die zweitgrößte Industrienation der Erde nicht auf die Reihe, endlich flächendeckend abhörsicheren Digitalfunk einzuführen. ({16}) Das ist ein Unding, und das werden wir dank der Bemühungen von Wolfgang Schäuble und seinem Hause noch in dieser Wahlperiode ändern. ({17}) Personal und Technik sind aber nicht alles: Wir brauchen auch das notwendige rechtliche Instrumentarium. Wir wollen dem Bundeskriminalamt die Befugnisse geben, die die Landespolizeibehörden schon seit über 60 Jahren haben. Wir gehen darüber hinaus, das ist richtig, und zwar bei der Onlinedurchsuchung. Aber die geltende Rechtslage ist doch geradezu kurios: Wenn ein schweres Verbrechen geschehen ist, wenn ein Anschlag erfolgt ist und viele Opfer zu beklagen sind, dann hat das Bundeskriminalamt nach der Strafprozessordnung die Befugnisse, die die Polizeibehörden der Länder auch haben. Wenn es aber darum geht, eine terroristische Gefahr im Vorfeld abzuwehren, also zu verhindern, dass jemand sterben muss, darf das Bundeskriminalamt bis zur Stunde nichts. Wenn ein BKA-Beamter zum Zwecke der Gefahrenabwehr käme und sagen würde: „Herr Wieland, zeigen Sie mal Ihren Ausweis!“ - das ist eine der 24 Eingriffsbefugnisse -, dürften Sie sagen: Zeigen Sie mir doch erst mal Ihren! ({18}) Wir ändern die Rechtslage nicht aus lauter Jux und Tollerei, sondern aufgrund von ganz konkreten Vorkommnissen der letzten Jahre. Es kommt häufig vor, dass das Bundeskriminalamt Hinweise aus dem Ausland bekommt, dass ein Attentat in Deutschland bevorsteht. Wir wissen häufig nicht, wo dieser Anschlag realisiert werden soll. Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Bayern, wer soll da zuständig sein? Dann muss doch unser größtes Kriminalamt in der Lage sein - es rechtlich dürfen -, diese Gefahr abzuwehren. Darum geht es. Es geht nicht darum, ein deutsches FBI zu schaffen, bei dem der BKA-Beamte, wenn er am Tatort eintrifft, den örtlichen Polizisten beiseiteschiebt, den Fall an sich zieht und am Ende - das wissen wir aus den einschlägigen amerikanischen Spielfilmen - der Täter ohnehin vom Dorfsheriff überführt wird. ({19}) Es geht darum, dass das Bundeskriminalamt dann eine Befugnis bekommt, wenn die Zuständigkeit eines Landes nicht erkennbar ist. Wo kein Bundesland zuständig ist, kann man keine Zuständigkeit verdrängen. Ferner soll das BKA eingreifen dürfen, wenn ein Bundesland um Unterstützung und Hilfe bittet. In einem Punkt gehen wir darüber hinaus: bei der sogenannten Onlinedurchsuchung. Die Onlinedurchsuchung ist strittig. Genauso strittig war die Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung. Die Wortkaskaden, die heute gegen die Onlinedurchsuchung angeführt werden, kenne ich aus der Debatte über die Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung. ({20}) Sie bejubeln zu Recht, dass wir am 4. September letzten Jahres im Sauerland drei mutmaßliche Attentäter fassen konnten. Mann muss aber hinzufügen: dank der akustischen Wohnraumüberwachung, die Sie immer bekämpft haben. ({21}) Als die akustische Wohnraumüberwachung eingeführt wurde, hieß es, jetzt seien wir auf dem Weg in den Überwachungsstaat, demnächst könne kein Bundesbürger mehr sicher sein vor den Mikrofonen des Staates. Mittlerweile haben wir fast zehn Jahre Erfahrung. In den ersten drei Jahren - vor der einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Kernbereich - gab es im Schnitt 27 akustische Wohnraumüberwachungen. 2005 gab es sechs Überwachungen, 2006 waren es zwei. Ich sage Ihnen: Mit zwei Wohnraumüberwachungen im Jahr bei 46 Millionen Haushalten sind wir noch ein ganzes Stück von einem Überwachungsstaat entfernt. ({22}) Unsere Polizei geht sehr zurückhaltend mit neuen Eingriffsbefugnissen um. Wir stärken unseren Rechtsstaat und wollen ihn nicht aus den Angeln heben. Unsere Polizistinnen und Polizisten haben kein Misstrauen, sondern Vertrauen und unseren Dank verdient. Danke fürs Zuhören. ({23})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Max Stadler von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Streit zwischen der CDU/CSU und der SPD um das neue Gesetz über das Bundeskriminalamt ist ein deutliches Zeichen für die Handlungsunfähigkeit der Koalition in der Innenpolitik. ({0}) Allerdings hat diese Zerstrittenheit in dem speziellen Fall ihr Gutes: Jeder, der sich um den Schutz der Bürgerrechte sorgt, muss froh sein, wenn dieser Gesetzentwurf so am Ende nicht verabschiedet wird. ({1}) Wir sind allerdings skeptisch, ob der in dieser Woche neuerdings von Herrn Wiefelspütz formulierte Widerspruch der SPD wirklich ernst gemeint ist. Frau Justizministerin Zypries, es trifft sich gut, dass Sie der Debatte hier beiwohnen; denn Sie haben in der Öffentlichkeit monatelang mit Erfolg den Eindruck erweckt, als seien Sie eine entschiedene Gegnerin heimlicher Onlinedurchsuchungen von privaten Computern. Jetzt haben Sie im Kabinett einem Gesetzentwurf zugestimmt, der genau diese tief in die Privatsphäre eingreifende Maßnahme beinhaltet. Daher sind wir im Zweifel darüber, ob das, was die SPD macht, wirklich mehr als ein taktischer Widerstand ist. Herr Minister Schäuble, es geht hier keineswegs darum, wie bei einem Puzzle aus den verschiedenen Landespolizeigesetzen die dort formulierten Befugnisse zu einem BKA-Gesetz zusammenzufügen, sodass das Ganze nur eine Sammlung ohnehin bestehender Normen auf Bundesebene wäre. Es geht vielmehr um eine grundsätzliche Änderung des Sicherheitssystems, und zwar in einer Weise, die wir als FDP entschieden ablehnen. ({2}) Ich nenne Ihnen auch die Hauptgründe. Man könnte ja über viele Punkte sprechen. Frau Piltz hat unsere Kritik an der heimlichen Onlinedurchsuchung zu Recht schon erwähnt. Ich will mich hier jetzt auf drei Kerngesichtspunkte beschränken: Erstens. Die Polizei ist im Grundgesetz aus gutem Grunde als Ländersache definiert. Mit diesem Gesetzentwurf wird ohne Not in die bewährte Arbeit der Landeskriminalämter und der Landespolizeien eingegriffen. ({3}) Kompetenzstreitigkeiten und Reibungsverluste werden die Folge sein. Die Abgrenzungskriterien sind unscharf. Ich sage Ihnen: Das ist kein Sicherheitsgewinn, sondern ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der ausgezeichneten Arbeit der Landespolizeien. Das ist das, was Sie hier veranstalten. ({4}) Zweitens. Durch dieses Gesetz wird eine Fülle von Grundrechtseingriffen ohne ausreichende Begrenzung zugelassen. Lieber Kollege Wolfgang Bosbach, das ist eben keine einfache Übernahme von Vorschriften, die in den Ländern entsprechend definiert sind. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann erkennt man, dass das BKA Eingriffsbefugnisse erhält, für die die Voraussetzungen bei Weitem nicht so streng sind. Ich nenne als Beispiel den sogenannten Spähangriff, also die Videoüberwachung von Wohnungen. Jeder wird ja wohl zustimmen, dass das ein immenser Eingriff in die Privatsphäre bzw. sogar in die Intimsphäre ist. In Landespolizeigesetzen wird dafür immerhin die Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben verlangt. Das ist in Ihrem Entwurf des BKA-Gesetzes gerade nicht der Fall. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Sie hier Grundrechtseingriffe zulassen und keineswegs die bewährte Polizeirechtstradition übernehmen. ({5}) Wenn man sich zugleich vor Augen führt, dass das Bundeskriminalamt jetzt weit in den präventiven Bereich hinein tätig werden darf - das heißt, es wird dort vorbeugend tätig, wo noch gar keine konkreten Straftaten drohen -, und wenn man bedenkt, dass dieser Behörde Maßnahmen gestattet werden, die vom Typ her nachrichtendienstlicher Art sind, dann kommt man eben zu dem Ergebnis - das ist unsere Bewertung -: Sie schaffen eine Mischform von Polizei- und Nachrichtendienst und verstoßen damit zugleich in eklatanter Weise gegen den bewährten Grundsatz der Trennung von Polizeiarbeit und nachrichtendienstlicher Arbeit. Das ist unser zweiter Einwand. ({6}) Ich nenne drittens noch ein kleines, aber markantes Beispiel, wie Sie mit den Grundrechten der Bürgerinnen und Bürger umgehen. Wenn gegen eine Person heimlich vorgegangen und in die Grundrechte eingegriffen wird - das betrifft nicht nur Verdächtige, sondern auch viele andere Personen -, dann kann man zumindest erwarten, dass anschließend eine Benachrichtigung erfolgt, damit man sich gerichtlich zur Wehr setzen kann. ({7}) Nicht einmal das ist in Ihrem Gesetzentwurf sichergestellt. ({8}) Darin liegt ein eklatanter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes. ({9}) Die Liste der Kritikpunkte ließe sich beliebig fortsetzen. Ich komme zu dem Fazit: Die Koalition hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die bewährte Sicherheitsstruktur im föderalistischen Staatsaufbau zerstört, der keinen erheblichen Sicherheitsgewinn bringt, der aus dem Bundeskriminalamt eine Mischform zwischen Polizei und Nachrichtendienst macht und der in Teilen offenkundig verfassungswidrig ist. Wir stimmen dem Gesetzentwurf keinesfalls zu. ({10}) Ich komme zum Schluss. Herr Minister Schäuble, vor drei Wochen haben Sie in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing Ihre Vorstellungen der Sicherheitspolitik dargelegt. Dort hat am selben Tag der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, gesprochen. Er hat seinen sehr bemerkenswerten Vortrag mit einem bekannten Zitat des Philosophen Spinoza begonnen: „Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit.“ Zu diesem Staatszweck leistet Ihr Gesetzentwurf keinen Beitrag. ({11})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Frank Hofmann, SPD-Fraktion.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als zweiter Redner der SPD einige Punkte herausgreifen, die gerade von der Opposition angesprochen worden sind. Ich beginne mit der Frage, ob die Entwicklung einer Behörde wie dem BKA nicht auch davon abhängig ist, wie sich die Kriminalität entwickelt. Ein Blick zurück auf die Entwicklung des BKA zeigt: Im Zuge des RAF-Terrorismus in den 70er-Jahren wurde 1975 eine eigene Abteilung zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet. Als in den 80er-Jahren das DroFrank Hofmann ({0}) genproblem unserer Gesellschaft sichtbar wurde, wurde 1983 der erste Verbindungsbeamte nach Thailand geschickt. Heute haben wir fast auf der ganzen Welt Verbindungsbeamte. 1986 wurde die Abteilung Rauschgiftbekämpfung eingerichtet. Nach dem 11. September 2001 haben wir in Deutschland das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum eingerichtet. Im Bundeskriminalamt entstand eine Abteilung Internationale Koordinierung, weil die Globalisierung der Wirtschaft auch eine Globalisierung der Kriminalität nach sich gezogen hat. 2007 wurde die Antiterrordatei in Betrieb genommen. Die jetzt geplante Neuausrichtung des Bundeskriminalamts ist die Antwort auf die Herausforderungen und Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus. Der Gesetzgeber hat also schon immer die Sicherheitsarchitektur der Kriminalitätsentwicklung angepasst. Das ist gut so. Die Gefahr des internationalen Terrorismus - darin sind wir uns alle einig - darf nicht unterschätzt werden. Wenn wir seit 2001 sieben Terroranschläge in Deutschland verhindern konnten - darunter auch die zwei geplanten Kofferbombenanschläge auf die Regionalbahnzüge der Deutschen Bahn 2006 -, dann müssen wir wissen: Wir haben auch Glück gehabt. Es lag nicht nur daran, Herr Ströbele, dass Rot-Grün das Richtige getan hat, sondern wir haben auch Glück gehabt. Aber auf Glück alleine will ich mich nicht verlassen. ({1}) Im Verfassungsschutzbericht 2007 wird der islamistische Terrorismus als eine der größten Gefahren für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland angesehen. Wir können nicht davon ausgehen, dass das morgen anders ist. Der internationale Terrorismus ist im Herzen Europas angekommen. Wir dürfen nicht immer nur den Blick auf die USA und die Anschläge vom 11. September 2001 richten. Schauen Sie sich die Attentate in Madrid an. Schauen Sie sich an, was in London passiert ist. Daran sieht man, dass der Terrorismus in Europa angekommen ist und wie schwer diese Anschläge waren. ({2}) Hier wurde die Frage gestellt - Herr Wieland, Sie haben es angesprochen -: Braucht das BKA für diesen Bereich eine Gefahrenabwehrkompetenz? Das BKA ist zentraler Ansprechpartner für alle Polizeien des Auslandes. Wenn ein Hinweis auf eine terroristische Gefahr aus dem Ausland kommt, dann erreicht er zuerst das Bundeskriminalamt. Aber die Polizei aus dem Ausland erwartet, dass das BKA dann auch handeln kann. Bis heute kann das BKA nicht handeln. Jede kleine Polizeidienststelle könnte eine Personenüberprüfung oder Observation vornehmen, nicht aber das BKA. Das wollen wir ändern, und zwar mit der eigenständigen Terrorabwehrkompetenz. ({3}) Wir geben dem BKA die Instrumente, die es braucht, um der terroristischen Bedrohung effektiv begegnen zu können. Dabei ändern wir - davon bin ich überzeugt nichts an den grundsätzlichen Zuständigkeiten der Länderpolizeien für die Gefahrenabwehr. Diese Aufgabenteilung im föderalen System ist für uns wichtig und wertvoll. Das BKA ist verpflichtet, darüber zu informieren, wenn es im Bereich der Gefahrenabwehr tätig wird. Ansonsten möchte ich lieber auf die praktische Zusammenarbeit zwischen den Polizeien schauen. Ich glaube, hier hat sich in den letzten 30 Jahren sehr viel getan. Meine Befürchtungen sind, dass sich Differenzen ergeben könnten, wenn es darum geht, wer die Ermittlungserfolge als seine eigenen verkaufen darf. ({4}) Ich habe Angst, dass die Politiker eher darüber streiten, wer als Erstes in die Medien kommt, was möglicherweise negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Polizeien hat. Diese Eifersüchteleien sind für eine gedeihliche Zusammenarbeit der Polizeien eher schädlich. Aber die Polizei selbst ist anders aufgestellt als in den 70er-Jahren. Ich kenne die Befürchtungen, dass es zu Doppelzuständigkeiten kommen könnte, weil die Länder und das BKA zuständig sind. In den 70er-Jahren kam es bei der Schleyer-Fahndung gerade zu diesem Problem der Doppelzuständigkeit. Wer sich mit der Geschichte des deutschen Terrorismus beschäftigt hat, der weiß auch, dass es damals den sogenannten Höcherl-Bericht gab. Darin wird ausgeführt, dass die Doppelzuständigkeit zu den bekannten Fehlern geführt hat. ({5}) Wir sollten jetzt einmal schauen, wie das damals im Sauerland war und wie viele Polizeien da zusammengearbeitet haben. Herr Stadler, in den letzten 30 Jahren hat sich die Zusammenarbeit der Polizeien sehr stark geändert, weil sie sich ändern musste, weil sich die Kriminalität weiterentwickelt hat. Die Polizeien haben dazugelernt, sie kennen sich besser, und sie arbeiten besser zusammen. Sie haben auch dadurch, dass die Angehörigen des höheren Dienstes der Polizei gemeinsam ausgebildet werden, eine völlig andere Struktur als noch in den 60er- oder 70er-Jahren. Ich glaube, dass heute die Zusammenarbeit keine Ausnahme mehr wie in den 70erJahren ist, sondern tägliche Routine. Deswegen habe ich keine Angst vor Doppelzuständigkeiten. ({6}) Was wir in diesem Bereich auch brauchen, ist eine Evaluierung. Wir brauchen möglicherweise auch für den neuen Bereich der Onlinedurchsuchung eine Evaluierung und eine Befristung. Ich bin sehr gespannt, was die Sachverständigen, die wir meines Wissens im September einladen wollen, zu diesem Bereich sagen werden. Ich komme zu den Heimlichkeiten der polizeilichen Maßnahmen. Natürlich sind diese Maßnahmen heimlich. Frank Hofmann ({7}) Müssen sie heimlich sein oder könnte man die Durchsuchungen auch offen durchführen? Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir dann, wenn die Polizei die Durchsuchungen offen durchführen würde, nie an die Hintermänner herankämen. Es gäbe nur einzelne Erfolge. Wir hätten beispielsweise keine Möglichkeit, verschlüsselte Festplatten zu knacken. Nur online ist es möglich, über die Verschlüsselung hinwegzukommen und Informationen zu erhalten. Deswegen ist es wichtig, dass wir Onlinedurchsuchungen erlauben. Trotz der Heimlichkeit solcher Durchsuchungen gibt es eine Benachrichtigungspflicht, damit der Bürger weiß, dass bei ihm etwas gemacht wurde. Nun kann es Fälle geben, in denen verdeckte Ermittler im Einsatz sind und deswegen eine Benachrichtigung selbst nach ein, zwei Jahren noch nicht möglich ist. Darüber entscheidet nach dem Gesetzentwurf ein Richter und nicht die Verwaltung selbst. Nach fünf Jahren soll die Benachrichtigungspflicht ganz entfallen. Dazu habe ich einen Vorschlag: In solchen Fällen müssen wir, das Parlament, darauf achten, ob das Instrument insgesamt ausgehebelt wird oder nicht. Ich möchte als Gesetzgeber wissen, wie die Benachrichtigung erfolgt ist. Darüber sollten wir diskutieren; denn Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes muss weiterhin Bestand haben. ({8}) Sie haben von Schleifen der Grundrechte, Kahlschlag bei den Grundrechten, Überwachungsstaat, Rasterfahndung, Wohnraumüberwachung und Deutschland als Weltmeister bei der Telefonüberwachung gesprochen. Wissen Sie eigentlich - das dürfte auch in der Bevölkerung weitgehend unbekannt sein -, wie viele Rasterfahndungen das BKA in den letzten zehn Jahren durchgeführt hat? Ganze zwei Rasterfahndungen gab es. ({9}) Dieses Instrument gibt es seit langer Zeit. Die Polizei wartet nicht darauf, dass wir ihr Instrumente zur Verfügung stellen, um dann mit Heerscharen irgendwo einzudringen. Laut BKA, das ich gestern angerufen habe - ich wollte es ganz genau wissen -, hat es von 2001 bis zum zweiten Quartal 2007 sieben Wohnraumüberwachungen durchgeführt, also im Schnitt eine Wohnraumüberwachung pro Jahr. Wie kommen Sie angesichts dessen dazu, von einem Überwachungsstaat zu reden? ({10}) Stellen Sie sich einmal vor, die Polizei ginge genauso vor wie Sie bei der Beurteilung! Die Polizei muss ihre Annahmen auf Tatsachen stützen, wenn sie das Recht auf Gefahrenabwehr in Anspruch nehmen will. Sie hingegen stützen sich nicht auf Tatsachen, sondern vermuten nur. So wie Sie darf die Polizei nicht arbeiten. ({11}) Noch eine kurze Bemerkung zum Trennungsgebot. Das Trennungsgebot ist uns weiterhin wichtig. Aber es stellt kein Informationsverbot dar. Dort, wo man zusammenarbeiten muss, müssen wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Das werden wir in diesem Fall auch tun. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Problem ansprechen. Das ist das geeignete Verfahren im Bereich der Onlinedurchsuchung. Schon bei den Durchsuchungen, die bereits durchgeführt werden, und zwar nicht online, muss die Polizei den Kernbereichsschutz gewährleisten. Das macht sie mit eigenen Mitteln. Das Bundesverfassungsgericht sagt, dass wir hierfür ein geeignetes Verfahren brauchen. Ich habe das Bundeskriminalamt gefragt, wie das Gesetz gestaltet werden soll. Die Antwort lautete: Wir wollen für das geeignete Verfahren einen oder mehrere Richter haben, die entscheiden, was kernbereichsrelevant ist oder nicht. Die Richter sagen dazu: So viele Leute haben wir nicht. Ich habe dann den Bundesdatenschutzbeauftragten gefragt: Herr Schaar, können Sie das nicht übernehmen? Er hat geantwortet: Nein, wir wollen in diesem Bereich nicht dabei sein, sondern quasi von oben draufschauen. Er will es also auch nicht machen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.

Frank Hofmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002682, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Es bleibt deshalb nichts anderes übrig - so lautet der Vorschlag -, als diesen Bereich mit zwei BKA-Beamten zu besetzen. Ich denke, wir können in der Sachverständigenanhörung hier noch wesentlich weiterkommen. Insgesamt bin ich davon überzeugt: Wir sind auf einem guten Weg. Wir werden ein Gesetz verabschieden, das der SPD-Position, Sicherheitspolitik mit Augenmaß zu betreiben, Rechnung trägt. Wir werden nach dieser Plenardebatte die Sachverständigenanhörung vorbereiten und das Vorhaben im September/Oktober zu einem guten Abschluss bringen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Ulrich Maurer, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulrich Maurer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003805, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt sich, welchen politischen Wirkmechanismen solche unseligen Gesetze unterliegen. Ich fand die Rede des Kollegen Wiefelspütz sehr erhellend. Er hat sie mit einer geradezu devoten politischen Liebeserklärung an die Adresse des Herrn Innenministers und seines Koalitionspartners begonnen. Das war etwas Neues auf dem Heiratsmarkt: Bleibt bei uns, geht nicht mit der FDP! Die zickige SPD ist doch verlässlich im Umfallen, wenn es um solche Eingriffe geht. - Das war die Eingangsbotschaft des Kollegen Wiefelspütz. Das haben wir sehr wohl notiert. Das ist damit vergolten worden, dass der Kollege Bosbach Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ordentlich getunkt hat. Ihre Leidensfähigkeit scheint grenzenlos zu sein. ({0}) Ich will etwas in aller Deutlichkeit ansprechen, was in dieser Debatte nicht zur Sprache gekommen ist. Sie berufen sich bei Ihren Eingriffen in die Grundrechte auf eine Bedrohungslage, die Sie wesentlich durch Ihre eigenen außenpolitischen und militärpolitischen Fehlentscheidungen herbeigeführt haben. ({1}) Das muss in diesem Kontext schon einmal angesprochen werden. Das tut außer uns leider niemand. ({2}) - Das sieht die Bevölkerung etwas anders als die Mehrheit, die sich hier versammelt hat. - Sie haben dieses Land zur Kriegspartei eines asymmetrischen Krieges gemacht. Diese Bedrohungslage, die Sie selber mit herbeigeführt haben, ist für Sie der Anlass, um in die Verfassung einzugreifen. Das schreibe ich Ihnen ins Stammbuch. ({3}) Wenn der Herr Kollege Bosbach meint - das ist ja ein beliebtes Muster -, die DDR bemühen zu müssen, dann will ich Ihnen eines in aller entwaffnenden Offenheit sagen: Ratio Ihrer Gesetze, die Sie hier vorlegen, ist, dass der Zweck die Mittel heiligt. ({4}) - Doch, es ist die Ratio Ihres Gesetzes, dass die Bekämpfung des erklärten Staatsfeindes die Reduzierung der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger erlaubt. Da befinden Sie sich in einer unseligen deutsch-deutschen Tradition, von der wir uns gelöst haben. ({5}) - Sie befinden sich genau in dieser Tradition. - Es war eine bewusste Entscheidung der Mütter und Väter des Grundgesetzes, es war eine Lehre aus der deutschen Geschichte, eine föderale Polizei haben zu wollen, nicht haben zu wollen den Einsatz der Bundeswehr im Innern, nicht haben zu wollen eine zentralisierte Staatspolizei. Diese Richtungsentscheidung, die aus der deutschen Geschichte resultiert, bringen Sie heute Schritt für Schritt zu Fall. Das sind verfassungsgefährdende Bestrebungen. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christian Ströbele, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Auch ich fange mit dem Bundesinnenminister an ({0}) und frage mich: Müssen Bundesinnenminister eigentlich so sein, dass sie alle paar Wochen in den Deutschen Bundestag kommen und dem Parlament die Aufgabe zuweisen wollen, neue Sicherheitsgesetze und Sicherheitsinstitutionen unter Inkaufnahme der Einschränkung der Bürgerrechte einzuführen? Ist es nicht eigentlich Aufgabe eines Bundesinnenministers, der als Verfassungsminister die Aufgabe hat, die Verfassung zu wahren und zu schützen, Freiheitsrechte in diesem Land auszudehnen und zu sichern? Hätte das Land nicht einmal einen Bundesinnenminister verdient, der in den Bundestag kommt und sagt: Ich habe die Dutzende von Sicherheitsgesetzen der letzten Jahrzehnte evaluieren lassen und eine ganze Reihe gefunden, die überflüssig und gefährlich sind und die nicht passen, wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung, die erst jüngst verabschiedet worden ist und von der man inzwischen sagen kann, dass wir durch den Telekom-Skandal etwas Neues gelernt haben, und jetzt ändern wir etwas und tun etwas für die Bürger und die Freiheitsrechte, indem wir das längst überfällige Datenschutzgesetz neu schaffen und den Datenschutz in das Grundgesetz aufnehmen? ({1}) Das Land hat einen solchen Bundesinnenminister verdient und nicht einen Bundesinnenminister, der seine Aufgabe immer nur in der Einschränkung von Freiheitsrechten sieht. ({2}) Dieser Bundesinnenminister bringt uns eine Flut von immer neuen Gesetzen. ({3}) Heute ist es das BKA-Gesetz, und wie ich höre, befindet sich ein Gesetzentwurf zum Bundesamt für Verfassungsschutz in der Pipeline. Es wird immer so weitergehen. Die entscheidende Frage ist, ob eine Notwendigkeit für diese Einschränkung der Bürgerrechte, für mehr Sicherheitsgesetze besteht. Drei Kollegen - insbesondere von der SPD, aber auch Herr Bosbach - haben sich bemüht, in diesem Zusammenhang Beispiele zu bringen. Sie haben gesagt - und da ist ja etwas Richtiges dran -, zumindest einmal scheint ein Anschlag nur deshalb nicht stattgefunden zu haben weil - ich sage das ganz vorsichtig - wir Glück gehabt haben. Aber, Herr Bosbach und Herr Hofmann, Sie machen den zweiten Schritt nicht. Nehmen Sie doch einmal das BKA-Gesetz: Hätten wir nicht auch dann Glück haben müssen, wenn es das BKA-Gesetz damals schon gegeben hätte? ({4}) Hätte der Anschlag verhindert werden können, wenn es die Videoüberwachung von Wohnungen oder die Onlinedurchsuchungen schon gegeben hätte? Auf diese Frage können Sie nur eine Antwort geben: Nein. ({5}) Denn die vermutlichen Täter, die jetzt Beschuldigten, sind den Behörden nach dem damaligen Erkenntnisstand überhaupt nicht aufgefallen. Sie standen gar nicht im Fokus des Interesses der Behörden. ({6}) Das heißt, Sie können nicht mit einem einzigen Beispiel belegen - und Sie müssten eine ganze Kaskade von Beispielen bringen -, dass diese erneute Einschränkung der Freiheitsrechte in Deutschland notwendig ist. Ich meine, der eigentliche Hintergrund dieses Gesetzentwurfs ist eine Philosophie, die wir allerdings nicht teilen: nämlich dass der Staat über die Bürger möglichst viel, am besten alles wissen soll, damit er möglichst im Vorhinein ein abweichendes Verhalten einschätzen und dann eingreifen kann. Wir wollen einen Staat, der das Selbstbestimmungsrecht und nicht das Fremdbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger schützt. ({7}) Wir wollen Gesetze, die garantieren, dass die Bürgerinnen und Bürger auch in Bezug auf Informationen über sich selbst in erster Linie selbst entscheiden können und nicht der Staat. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In den letzten Wochen und Monaten haben die Kritiker des BKA-Gesetzes zu Recht scharfe Kritik formuliert. Da war die Rede von „Ignoranz gegenüber den Grundrechten“, einem „deutschen FBI“, der „totalen Überwachung“, einem „schwarzen Tag für die Menschenrechte“, einem „Tabubruch“ und einem „Sammelsurium der Grausamkeiten“. Diese Äußerungen stammten nicht ausschließlich von Oppositionspolitikern und Datenschützern; sie kamen auch aus dem Lager der Koalition. Der Bundesinnenminister zeigte sich jedoch vor zwei Wochen in diesem Parlament über alle Zweifel erhaben. Das Einzige, was ihm während der Befragung der Bundesregierung einfiel, war, den internationalen Terrorismus zu beschwören. Diesmal musste er dafür herhalten, dass das BKA Befugnisse zur Gefahrenabwehr bekommt. Die gibt es aber bereits in den Ländern; sie sind also zentral gar nicht notwendig. Mit dem neuen BKA-Gesetz verändern Sie ohne Not die Sicherheitsstruktur dieses Landes und kreieren eine Superbehörde mit Machtbefugnissen, die zukünftig nur sehr schwer demokratisch zu kontrollieren sein werden. Einwände, die aus meiner Sicht absolut berechtigt sind, verunglimpfen Sie als Verunsicherung der Bevölkerung. Sie machen es sich sehr einfach, Herr Minister. Eigentlich sind Sie es, der die Menschen in diesem Land beunruhigt. ({0}) Kaum ein Wochenende vergeht, ohne dass Sie vor unsichtbarem Terror warnen. Wie definieren Sie „Gefahren des internationalen Terrorismus“? Diese Frage lassen Sie in Ihren Äußerungen unbeantwortet, und sie bleibt auch in diesem Gesetzentwurf offen. Die Gefahren sind abstrakt; aber das BKA-Gesetz erlaubt konkrete Maßnahmen. Mir ist in den letzten Monaten immer deutlicher geworden, weshalb Ihre Sicherheitsstrategien immer größeren Widerstand entfachen. Ihrer vermeintlichen Sicherheitsarchitektur fehlt jegliches - zumindest für die Öffentlichkeit sichtbares Fundament. Ihre geschürte Angst vor dem sogenannten internationalen Terrorismus entbehrt derzeit einer wirklich konkreten Grundlage. Es scheint vielmehr, als wollten Sie sich in einer ganz anderen Rolle sehen. Was schert Sie Ihre Verantwortung als deutscher Verfassungsminister? Sie wären doch viel lieber der deutsche Heimatschutzminister. Gerade weil Sie konkrete Kritik an diesem Gesetzentwurf zurückweisen und Ihre Gefolgsleute in der Union auf eine möglichst schnelle Verabschiedung drängen, will ich einige der wesentlichen Einwände noch einmal benennen: Das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten wird erheblich ausgehöhlt. Der Willkür werden damit Tür und Tor geöffnet. Erstmals seit dem Ende der NS-Diktatur werden einer Sicherheitsbehörde die Kompetenzen eines Nachrichtendienstes und polizeiliche Befugnisse zugestanden. Völlig unverdächtige Personen werden den Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt, ohne je davon zu erfahren und ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können. Wurden bisher die akustischen und videotechnischen Überwachungsmaßnahmen noch unterbrochen, wenn der Kernbereich der privaten Lebensführung betroffen war, wird jetzt alles automatisch abgehört und gefilmt. Eventuell wird erst nach Sichtung gelöscht. Das Gleiche gilt für die Bundestrojaner der Onlinedurchsuchung. Künftig wird der Präsident des BKA befugt sein, solche Einsätze für eine Dauer von drei Tagen zu kontrollieren, ohne einen Richter zurate ziehen zu müssen. Seit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren streiten wir über den Einsatz von V-Leuten. Dem Innenminister fällt nichts Besseres ein, als auch dem BKA den Einsatz solcher oft zweifelhafter Mittelsmänner zu gestatten. Glauben Sie wirklich, Herr Minister, dass Sie auf diesem Wege gerichtsverwertbare Informationen erhalten werden? Die Angst vor Verbrechen wie dem am 11. September 2001 ist längst nicht mehr so groß wie noch vor vier oder fünf Jahren. Es sind andere Sorgen, die die Menschen in diesem Land umtreiben. Der internationale Terrorismus ist für die Bevölkerung inzwischen ein nachgeordnetes Problem. Das sollten Sie einsehen. Ich kann Ihnen aber noch einen nicht ganz ernst gemeinten Tipp für eine Sicherheitslücke geben. Vor zwei Tagen erreichte uns die beunruhigende Nachricht, dass Kaffeemaschinen eines bestimmten Herstellers nicht mehr sicher seien: Hackern sei es möglich, die Einstellung für die Zubereitung entscheidend zu verändern. Bei dieser eklatanten Sicherheitslücke sollten Sie sich darüber Gedanken machen, inwieweit sich der internationale Terrorismus dieses Vakuum im System zunutze machen kann. ({1}) Um jetzt wieder ernst zu werden: Die sogenannte Sicherheitsarchitektur bedroht schon längst den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Onlinedurchsuchungen, die das Recht auf Privatsphäre unterwandern, sind dafür das beste Beispiel. Der bisherige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat dazu treffend formuliert - ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom 11. Juni dieses Jahres -: Der Computer ist bei vielen ein ausgelagerter Teil des Körpers oder jedenfalls ein ausgelagertes Tagebuch. Die vom Staat zu schützenden Innenräume werden andere - aber der Mensch braucht diese Innenräume. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die in dem heute in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf vorgesehene Novellierung des BKA-Gesetzes ist die notwendige und längst überfällige Umsetzung der mit der Föderalismusreform I geschaffenen neuen, ganz dezidierten und selektiven Befugnisse des Bundes, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen. Wenn es nach der Union gegangen wäre - daraus möchte ich keinen Hehl machen -, hätten wir diesen Gesetzentwurf schon wesentlich früher in das gesetzgeberische Verfahren eingebracht. Es war der Wunsch des Bundesjustizministeriums und des Koalitionspartners, erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Landesverfassungsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen abzuwarten. ({0}) Wir haben dies getan, und wir haben die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar ganz dezidiert in diesen Gesetzentwurf eingearbeitet. ({1}) Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Opposition auch durchaus einmal überspitzt Kritik an der Regierung und an der Großen Koalition übt. Aber so, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wie Sie hier auch heute wieder aufgetreten sind, ist es vollkommen unbotmäßig und in jeder Form überzogen. ({2}) Das Bild eines Überwachungsstaates oder eines Staates à la George Orwell zu malen, in dem jeder überwacht wird, in dem jeder ausgespäht wird, ist vollkommen überzogen und unangebracht; es wird der tatsächlichen Bedrohungssituation auch nicht gerecht. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir als Bund die Kompetenz zur Schaffung dieses Gesetzes seit dem 1. September 2006 haben. Seit dem 1. September 2006 sind fast zwei Jahre vergangen. In diesen zwei Jahren hätten wir durchaus ganz unmittelbar Gegenstand von terroristischen Angriffen werden können; nur knapp sind wir dem entgangen. Der geplante Angriff der Terrorgruppe aus dem Sauerland ist bereits erwähnt worden. Von vielen Kreisen, insbesondere leider Gottes vor allem auch von der Opposition ist dieses Gesetz skandalisiert worden Stephan Mayer ({3}) ({4}) und vollkommen überzogen dargestellt worden. Wir brauchen als Bund und das BKA braucht als Bundespolizeibehörde die Kompetenz, die Gefahren des internationalen Terrorismus zu bekämpfen. ({5}) Diese Gefahren sind auch nicht geringer geworden. In dem Gesetzentwurf wird eine wohlausgewogene und sachgerechte Abwägung zwischen den berechtigten Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und den Sicherheitsansprüchen des Staates getroffen. In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar ist ganz klar zum Ausdruck gekommen, dass insbesondere die Onlinedurchsuchung rechtmäßig ist. ({6}) Die Onlinedurchsuchung ist unter ganz strengen Bedingungen verfassungsgemäß, und diese strengen Bedingungen sind entsprechend in den Gesetzentwurf eingearbeitet worden. ({7}) Experten gehen davon aus, dass es im Jahr maximal eine einstellige Anzahl von Anwendungen der Möglichkeit der Onlinedurchsuchung geben wird. Bei über 30 Millionen Haushalten in Deutschland ist es vollkommen überzogen und eine Hybris, zu behaupten, dass hier ein Überwachungsstaat aufgebaut wird, Frau Kollegin Jelpke, in dem jeder Leserbrief und jede Steuererklärung ab sofort für den Staat offenkundig ist, wenn es im Jahr maximal eine einstellige Anwendungszahl geben wird. ({8}) Dies ist in keiner Weise sachgerecht und wird in keiner Weise der tatsächlichen Bedrohungssituation gerecht. ({9}) Wir haben insbesondere die strengen Vorgaben des Verfassungsgerichts eingearbeitet. Die Onlinedurchsuchung wird nur dann zulässig sein, wenn ganz konkrete Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter vorliegen. Es wird einen Richtervorbehalt geben. Auch ich bin der Meinung, dass die Eilfallkompetenz unerlässlich ist. Dies entspricht der Systematik und dem Zweck des Polizeirechts. Wir bewegen uns hier auf dem Feld des Polizeirechts und auf dem Feld der Gefahrenabwehr. Ob man dem von Otto Depenheuer kreierten Begriff des Feindstrafrechts anhängt oder nicht, eines ist klar: Die Gefahren des internationalen Terrorismus haben ganz neue Herausforderungen für den Staat und für die staatlichen Sicherheitsbehörden geschaffen. Bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus hilft uns das beste repressive Strafrecht nichts, weil die insbesondere islamistisch geprägten Terroristen und potenziellen Terroristen sich vom repressiven Strafrecht in keiner Weise abschrecken lassen. Wir brauchen für den Bereich der Gefahrenabwehr und den präventiven Bereich Regelungen und Befugnisse, die im Vorfeld dafür sorgen, dass es erst gar nicht zu einem Anschlag in Deutschland kommt. Herr Kollege Ströbele, natürlich ist uns allen klar, dass selbst nach der hoffentlich baldigen Verabschiedung dieses Gesetzes nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass Anschläge in Deutschland verübt werden. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass terroristische Anschläge in Deutschland verübt werden, dann weitaus geringer ist, wenn wir dem Bundeskriminalamt die Befugnisse geben, die es braucht, um potenzielle Angriffe auf Deutschland zu verhindern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte auch darauf hinweisen - das halte ich für ganz entscheidend -, dass wir uns beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern eins zu eins an die von uns erst vor kurzem verabschiedeten Regelungen zur StPO gehalten haben. Berufsgeheimnisträger dürfen natürlich auch nicht absolut sakrosankt sein. Wenn ein Strafverteidiger, ein Abgeordneter, aber insbesondere ein Geistlicher, ein Seelsorger, in ein terroristisches Netzwerk mit eingebunden ist, dann muss er auch zum Gegenstand von Überwachungsmaßnahmen werden können. ({10}) - Sehr verehrter Herr Kollege Benneter, gerade die im Sommer 2006 versuchten Kofferbombenattentate sind doch ein Beispiel dafür, wie Terroristen erst hier in Deutschland radikalisiert wurden. Von wem wurden sie radikalisiert? Von Imamen. Ich möchte hier keine Pauschalierung vornehmen, aber es gibt in Deutschland leider Gottes Imame, die teilweise ganz bewusst hier stationiert wurden, um willfährige Personen, zum Teil Jugendliche, zu radikalisieren. Der Staat darf sich doch gegenüber diesen Imamen, gegenüber solchen - in Anführungszeichen - Geistlichen nicht taub stellen. ({11}) Deswegen haben wir vorgesehen, den Schutz nur solchen seelsorgerisch tätigen Geistlichen zu gewähren, die einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehören. Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen im gesetzgeberischen Bereich geschaffen haben. Meiner Meinung nach sollten wir insbesondere die Finger davon lassen, das Gesetz zu befristen. Es macht meines Erachtens keinen Sinn, erst einmal zwei Jahre abzuwarten, wie das Gesetz funktioniert. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wird in den nächsten zwei Jahren Stephan Mayer ({12}) nicht zu einem Abschluss kommen. Deswegen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, werden wir die Befugnisse, die dieses Gesetz eröffnet, auch über die nächsten zwei Jahre hinaus noch benötigen. In dem Sinne stellt der Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen dar. Ich hoffe, dass wir diese möglichst bald abschließen, um den fleißigen Beamtinnen und Beamten im BKA die notwendigen Befugnisse, Kompetenzen und Instrumente, die sie für ihre wichtige Arbeit brauchen, an die Hand zu geben. Herzlichen Dank. ({13})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Klaus Uwe Benneter, SPD-Fraktion.

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir schaffen mit dem BKA-Gesetz Neues in neuer Qualität. ({0}) Wir haben zwar schon ein BKA-Gesetz und ein Bundespolizeigesetz, aber in der neuen Zusammenstellung stellt dieses Gesetz schon einen Quantensprung für die Zusammenfassung polizeilicher Befugnisse auf zentraler Bundesebene dar; das sei zugestanden. Denn fast alle darin aufgenommenen polizeilichen Befugnisse betreffen Heimliches - ein in dieser Ballung schon unheimlicher Instrumentenkasten. Dennoch: Wir wollten dieses Gesetz, und wir brauchen dieses Gesetz. ({1}) Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, auf deren Drängen endlich eine ausschließliche und zentrale Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes für die Abwehr von Gefahren durch den internationalen Terrorismus beschlossen wurde. Das steht in der Verfassung; dieses muss jetzt mit Leben gefüllt und umgesetzt werden. Um nichts anderes geht es. Nur so ist das Bundeskriminalamt in der Lage, seinem nunmehr verfassungsmäßigen Auftrag nachzukommen und sich verfassungsgemäß zu verhalten. Nach den Anschlägen des 11. September ist klar geworden: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus darf nicht allein in die Zuständigkeit der Länder fallen. Eine ausschließliche Länderkompetenz bringt nämlich ein verwirrendes Hin und Her mit sich, und am Ende stellt man dann doch fest, dass es am besten wäre, das BKA mit einzuschalten. Herr Kollege Wieland, als das beschlossen wurde, waren Sie, wenn ich mich richtig erinnere, Berliner Justizsenator und müssten das eigentlich hautnah mitbekommen haben. Im Gegensatz zu dem, was Sie hier ausgeführt haben, müssen Sie wissen, wie notwendig eine solche zentrale BKA-Kompetenz geworden ist. Keiner darf und will die Gefahren, die uns durch Terroristen drohen, kleinreden oder verharmlosen. Das sind keine Peanuts. Auch wenn die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zum Glück noch relativ abstrakt ist und hoffentlich noch lange abstrakt bleibt, bleibt es eine reale Bedrohung, auf die wir uns um unserer Freiheit willen, Herr Stadler, einstellen müssen. Wir können uns da nicht drücken. Herr Maurer, es geht hier um unsere Werte. Dieser Bedrohung unterliegen wir nicht wegen unserer Politik, sondern weil unsere Werte angegriffen werden und wir sie verteidigen. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wieland?

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte. Beim Kollegen Wieland immer.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Kollege Benneter, weil Sie die Situation des 11.09. und die Ereignisse danach ansprachen: Erinnere ich mich richtig, dass bei den vielen Maßnahmen, die dann im Bundestag beschlossen wurden - Stichwort: Otto-Kataloge -, eine Forderung, nämlich die nach der Initiativermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes, bewusst nicht umgesetzt wurde, weil Richtervereinigungen, Anwaltsvereine und Bürgerrechtsorganisationen genau dies nicht wollten ({0}) - die Grünen sowieso nicht, die Liberalen auch nicht und vor der Gefahr warnten, dass die Polizei dann immer handeln könne und es im Grunde keine Eingriffsvoraussetzung mehr gebe? Das schaffen Sie jetzt. Deshalb müssen Sie jetzt erklären und begründen - bitte tun Sie das! -, ob das heißt, dass wir von 2001 bis heute eine Sicherheitslücke hatten, und warum diese ganzen Erfolge, von denen die Rede war, möglich geworden sind, obwohl wir all das, was heute auf dem Tisch liegt, nicht gehabt haben. Das BKA war fleißig, hörten wir gerade. Wie denn eigentlich, wenn es gehindert war, zu agieren, wie wir gleichzeitig hören? Klären Sie das einmal auf, und sagen Sie uns, warum wir dieses Gesetz brauchen! ({1})

Klaus Uwe Benneter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003503, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte stehen bleiben, Herr Kollege! ({0}) Vielleicht brauche ich auch ein bisschen länger, um Ihnen das zu erklären. ({1}) Ihnen muss klar werden, dass es in den ganzen Verfahren und Ermittlungen, die seit 2001 durch die Länderpolizeien stattgefunden haben, immer wieder notwendig war, die koordinierende und konzentrierende Funktion des Bundeskriminalamtes - dafür haben wir ja schon längst ein Bundeskriminalamt - einzusetzen. ({2}) In dieser Situation hat sich herausgestellt, dass es zur Kompetenzabgrenzung und zur Kompetenzklarstellung notwendig ist, dem Bundeskriminalamt hier eine klare Kompetenz zuzuweisen. Sonst hätten wir nicht im Grundgesetz diese ausschließliche Kompetenzzuweisung für das Bundeskriminalamt vorgenommen. Das ist der Grund. - Jetzt können Sie sich wieder setzen. ({3}) Wir als Gesetzgeber müssen dem Bundeskriminalamt die Mittel und Möglichkeiten an die Hand geben, Herr Kollege Wieland, und die Befugnisse einräumen, damit es als jetzt zuständige Zentralpolizei die Gefahren durch den internationalen Terrorismus rechtsstaatlich einwandfrei rechtzeitig - mindestens unmittelbar, besser einen Schritt im Voraus - abwehren kann. Wir als Gesetzgeber haben die im Grundgesetz verankerte Schutzpflicht gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern. Diese Verantwortung müssen wir wahrnehmen; keiner kann sie uns abnehmen. Da können wir, Herr Stadler, nicht sagen: Igittigitt! Deshalb gehört zu der neuen Kompetenzübertragung, dass das BKA genau die Befugnisse erhält, die unsere Länderpolizeien schon seit Jahrzehnten erfolgreich und rechtmäßig bei der Terrorabwehr anwenden, nicht schon seit 50 oder gar 60 Jahren, wie Herr Bosbach meinte, aber immerhin doch schon sehr lange. Herr Wieland, auch Sie haben sie damals schon als Justizsenator in Berlin vorgefunden. ({4}) Der Bundesinnenminister hat in seinen ursprünglichen Entwurf aus den in den Länderpolizeigesetzen längst vorhandenen heimlichen Befugnissen alles hineingepackt, was hineinzupacken war, und das Ganze sozusagen als Sahnehäubchen mit der Onlinedurchsuchung garniert. ({5}) Wir, die Sozialdemokraten im Parlament und in der Regierung, und nicht Herr Schäuble waren es - das sage ich an die Adresse von Herrn Bosbach; er scheint schon gegangen zu sein -, die verhindert haben, dass dem Bundestag mit der ursprünglich beabsichtigten Regelung zur Onlinedurchsuchung eine verfassungswidrige Vorschrift vorgelegt wurde. ({6}) Wir haben verlangt, dass die Karlsruher Entscheidung abgewartet wird. Wir haben durchgesetzt, dass jetzt eine Vorschrift aufgenommen wird, die den Karlsruher Vorgaben entspricht. ({7}) Und wir haben klargestellt und durchgesetzt, dass es kein heimliches Eindringen in Wohnungen gibt, um einen dort befindlichen Computer zu infiltrieren. ({8}) Mit der Zusammenfassung eines bisher schon in Länderpolizeigesetzen gebräuchlichen Instrumentensammelsuriums von heimlichen polizeilichen Maßnahmen ist mir erschrekkend klar geworden, dass Polizeiarbeit heute offensichtlich fast immer nur verdeckt stattfindet, jedenfalls dann, wenn Polizei Gefahren abwehrt. ({9}) Mein Kollege Wiefelspütz hat zwar vorhin von der bewährten Sicherheitsarchitektur gesprochen. Dennoch hat mich diese Tatsache erschreckt. Es stellen sich mir die Fragen: Warum ist das so? Muss das so sein? Wollten wir nach den Erfahrungen in der Nazizeit nicht auf immer verhindern, dass die Polizei zu einer Geheimpolizei werden kann? ({10}) Bringen uns der internationale Terrorismus oder auch die organisierte Kriminalität heute dazu, unsere grundlegenden Prinzipien nach und nach über Bord zu werfen? ({11}) Es ist unser Anspruch und es muss unser Anspruch bleiben: Im demokratischen Rechtsstaat übt im Innern allein die Polizei das staatliche Gewaltmonopol aus. Weil dem so ist, muss im demokratischen Rechtsstaat immer auch der Grundsatz gelten: Die Polizei tritt ihren Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich offen gegenüber. ({12}) Das geheime Auftreten, das geheime Vorgehen, ist nicht polizeitypisch, darf nicht polizeitypisch werden und muss im demokratischen Rechtsstaat immer die Ausnahme bleiben. ({13}) Das hat nichts mit Blauäugigkeit und Hasenherzigkeit zu tun. ({14}) Das sind Grundsätze, die wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen, um ein klares Bild von Regel und Ausnahme zu behalten. Wenn wir diese Grundsätze vor Augen haben und diese demokratische Sensibilität behalten, dann sind wir auch gefeit vor den abwegigen Ansichten eines Otto Depenheuer. Dieser im Gefolge des unsäglichen Carl Schmitt daherfabulierende Staatsrechtler missbraucht heute die Terrorgefahr, um zwischen Verfassungsrecht und Kriegsvölkerrecht einen asymmetrischen Krieg und einen permanenten Ausnahmezustand zu definieren. Ein solches Kriegsgespinst soll es dann rechtfertigen, das Militär im Innern einzusetzen und alle geltenden Verfassungsprinzipien außer Kraft zu setzen. Herr Schäuble, Sie beklagen sich oft, Sie seien wieder einmal missverstanden worden. Wenn Sie hier klarstellen würden, dass ein Depenheuer für Sie nicht als Vordenker taugt, dann würden Sie selbst helfen, solche Missverständnisse künftig zu vermeiden. ({15}) Erst dann könnten Sie vielleicht zu dem Verfassungsbollwerk werden, zu dem Sie hier der Kollege Bosbach - zu Unrecht - stilisieren wollte. Wegen dieser weitreichenden Befugnisübertragung ist diese Neuregelung eines der sensibelsten Gesetzesvorhaben in der laufenden Wahlperiode, eines, das uns alle vor neue Herausforderungen stellt. Wir müssen uns dabei nichts vormachen: Viele der Ermittlungsbefugnisse, die die Länderpolizeien längst haben und längst gebrauchen und die wir nun auf das BKA übertragen, sind mit weitreichenden Grundrechtseingriffen verbunden. Davon war schon die Rede. Das ist nicht nur bei der Onlinedurchsuchung so. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch Telekommunikationsüberwachung, akustische und visuelle Wohnraumüberwachung, Rasterfahndung und Einsatz verdeckter Ermittler. Hier wird klar: Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit hat sich infolge der Terrorgefahren in Richtung Sicherheit verändert. Das sind schleichende Erosionsprozesse auch als Folge gesellschaftlicher Gleichgültigkeit. Aber gerade deshalb müssen wir immer wieder auf unsere demokratischen Grundlagen pochen. Die Regel ist offenes und transparentes staatliches Handeln. Die Heimlichkeit, das Verdeckte, muss die Ausnahme bleiben; sie bedarf einer besonderen Rechtfertigung. Deshalb gilt: Alle heimlichen Grundrechtseingriffe verlangen, dass der Betroffene sich zumindest im Nachhinein gegen eine solche Ermittlungsmaßnahme zur Wehr setzen kann. Dass der Staat neue Möglichkeiten nutzt und auf neue Gefährdungslagen mit neuen Instrumenten reagiert, ist grundsätzlich sinnvoll und notwendig. Wir müssen dabei immer im Auge behalten, was wir mit solchen neuen Instrumenten schützen und verteidigen wollen. Das sind unsere Freiheit und die mit ihr verbriefte Verfassung unseres Gemeinwesens. Beides darf nicht Opfer des Terrors, aber auch nicht Opfer der Terrorbekämpfung werden. ({16}) Denn dann hätte der Terror seine Ziele auch noch mit unserer Hilfe erreicht. Das dürfen und das werden wir nicht zulassen. ({17})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 16/9588 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 9 auf: 28 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen sofort wirksam senken - Drucksachen 16/7745, 16/8264 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Andreae ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Energiekosten senken - Mehr Netto für die Verbraucher - Drucksache 16/9595 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke werden wir später namentlich abstimmen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort. ({2})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass staatlich verordnete Energiepreise und Sozialtarife ordnungspolitisch der falsche Weg sind, um einkommensschwachen Haushalten zu helfen. Wir können nicht an jeder Stelle einzeln anfangen, zu strukturieren. Die grundsätzliche Position ist, dass der soziale Ausgleich bei uns über Sozialtransfers, über das Steuersystem stattfindet und nicht bei einzelnen Gütern ansetzt. Der Strompreis - wie übrigens auch andere Energiepreise - hat sich zu einer ganz erheblichen Belastung der Privathaushalte - das ist ein großes Problem - und natürlich auch der mittelständischen Betriebe, der Industrie entwickelt. Jede Umschichtung, die wir innerhalb der Unternehmen vornehmen würden, würde sich jeweils bei anderen niederschlagen. Man darf sich nichts vormachen: Wenn wir die Unternehmen etwa dazu bewegen oder gar zwingen würden, die entsprechenden Tarife in bestimmten Bereichen zu senken, dann würden sie in anderen Bereichen steigen. Das ist aus unserer Sicht der falsche Weg. Im Übrigen müssten wir darüber dann auch natürlich bei Lebensmitteln oder in anderen Bereichen nachdenken, in denen die Preisentwicklung leider Gottes ähnlich ist wie bei Energie. Schon der Grundgedanke ist aus unserer Sicht falsch angelegt. Deswegen sind wir gegen diesen Ausgleich, aber auch deshalb, weil wir im Bereich des Arbeitslosengeldes II für die wirklich Bedürftigen im Rahmen des Existenzminimums entsprechende Ausgleichsfunktionen vorgesehen haben. Stromkosten werden über das Arbeitslosengeld II ausgeglichen. Die Heizkosten werden zusätzlich ausgeglichen über die Kosten der Unterkunft. Gesetzesänderungen dazu liegen zurzeit dem Bundesrat vor. Die soziale Ausgleichsfunktion des Staates erfolgt über Steuern, Abgaben und Sozialtransfers. Dies ist keine Aufgabe der Unternehmen, die in einem möglichst harten Wettbewerb untereinander stehen und stehen sollten. Dies gilt vor allen Dingen für den Energiebereich, in dem wir noch erheblichen Nachholbedarf beim Wettbewerb haben. Wenn hier also Änderungsbedarf, was den Strompreis angeht, besteht, dann müssen wir ihn - das werden wir in diesem Herbst tun - etwa dann mit berücksichtigen, wenn es um Anpassungen beim Arbeitslosengeld II geht. Das wird sich ja in den Untersuchungen niederschlagen, die zurzeit im Hinblick auf etwaige Anpassungen angestellt werden. Ich will ganz klar sagen - das ist meine Grundüberzeugung -, dass wir uns schon wieder ausschließlich mit einer Bevölkerungsgruppe beschäftigen - die ist natürlich betroffen -, darüber hinaus aber vergessen, dass nicht nur diejenigen, die Sozialtransfers erhalten, die ganz wenig haben und deshalb vom Staat unterstützt werden müssen, zu leiden haben. Von dem Problem „Mehr netto in der Tasche für den Verbraucher, seine Familie und die Kinder“ sind heute in erster Linie die ganz normalen Arbeitnehmerschichten betroffen. Um die kümmern wir uns allesamt in diesem Haus nach meinem Eindruck leider Gottes viel zu wenig. ({0}) Hier muss umgesteuert werden. Deshalb begrüße ich diese Diskussion. Wir müssen die Gruppe der Menschen stärker unterstützen, die kein ALG II erhalten, die kein BAföG mehr bekommen, die kein Wohngeld erhalten, deren Kosten der Unterkunft nicht übernommen werden, die vielmehr mit täglicher Arbeit das Einkommen für ihre Kinder, ihre Familie und sich selbst erwirtschaften. ({1}) An dieser Gruppe geht man auch mit diesem Antrag glatt vorbei. Ich finde, wir müssen überlegen, wie wir denen helfen können. Wenn wir darüber nachdenken, stoßen wir auf Maßnahmen, zum Beispiel im Energiebereich, die nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch unsinnig sind. Wenn man die sicheren und funktionierenden Kernkraftwerke in Deutschland vorzeitig vom Netz nimmt, muss man sich nicht wundern, dass der Preis steigt. ({2}) - Da zeigt es sich wieder. Herr Kelber, ich will Ihnen und Ihren Kollegen einmal sagen: Sie dürfen nicht bei jeder Gelegenheit ohne Rücksicht auf Verluste für Entscheidungen plädieren, die die Preise erhöhen, und anschließend so tun, als würden Sie alles tun, um die Energiepreise für die Verbraucher zu senken. ({3}) Durch Ihre Politik, durch Ihre Festlegungen verteuern Sie die Energie für die Normalbürger und die Industrie in unserem Land. Das ist die Wirklichkeit. ({4}) Ich will Ihnen eine Möglichkeit aufzeigen, wie wir die ganzen Vorschläge unter einen Hut bringen können: Wenn wir die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern, dann wird das bei den Unternehmen zu erheblichen Entlastungen führen. Wir sind nicht der Meinung, dass sich das im Aktienkurs und in Dividendenausschüttungen niederschlagen sollte. Lassen Sie uns doch einmal gemeinsam mit den Unternehmen über folgende Möglichkeit sprechen: Wir verlängern die Laufzeit der Kernkraftwerke - das betrifft die Grundlastenergie -, und im Gegenzug erhält jeder Haushalt in unserem Land die ersten 500 Kilowattstunden Kernenergiestrom zum verbilligten Grundlastpreis. ({5}) Laurenz Meyer ({6}) Dafür bin ich. Darüber sollten wir diskutieren. ({7}) Damit hätten wir den Vorteil weitergegeben, und alle hätten etwas davon. Darüber können wir jederzeit diskutieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, sofort. Ich möchte aber den Gedanken zu Ende führen. ({0}) - Was heißt hier „schämen“? Sie müssen sich schämen, weil Sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Wenn unsere Kernkraftwerke wirklich unsicher sind, dann müssen sie heute abgeschaltet werden, nicht morgen, nicht übermorgen, sondern heute. ({1}) - Da klatschen sogar die Grünen. - Wenn die Kernkraftwerke bis 2015 laufen können, dann können sie auch bis 2020 laufen. Alle in der Welt denken so. Nur ein paar Versprengte in diesem Haus denken immer noch anders. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Meyer, ist Ihnen bekannt, dass es den Verbrauchern nicht zugute kommt, wenn der Atomstrom billig ist? Ist Ihnen bekannt, dass sich der Strompreis an der Leipziger Börse einpendelt? Ist Ihnen bekannt, dass das teuerste Kraftwerk momentan den Strompreis bestimmt? Ihr Vorschlag, Kernkraftwerke länger laufen zu lassen, würde nur dazu führen, dass die großen Energiekonzerne mehr Geld in der Tasche haben. Das würde ihre Gewinne erhöhen. Ihren Vorschlag, dass sie davon etwas abgeben sollen, haben sie im Übrigen schon zurückgewiesen. ({0}) Ist Ihnen bekannt, dass der Strompreis an der Leipziger Börse gemacht wird und die Unternehmen schon gesagt haben, dass sie auf keinen Fall einen Ausgleich zahlen wollen? ({1})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich spreche hier für meine Fraktion und vertrete meine Position. Natürlich ist mir das bekannt. Weil wir nicht wollen, dass sich eine Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke ausschließlich in den Aktienkursen und in den Dividenden niederschlägt, wollen wir mit den Unternehmen zum Beispiel über die Möglichkeit reden, dass den Haushalten verbilligter Strom im Grundlastbereich angeboten wird, weil die Unternehmen diesen Strom verbilligt erzeugen können. Ob die Unternehmen dazu nicht bereit sind? Die Unternehmen werden schon zu Zugeständnissen bereit sein. Es ist ökonomisch und ökologisch sinnvoll, so vorzugehen. ({0}) Ich wundere mich im Übrigen darüber, wie viele überall in der Welt, die ursprünglich gegen Kernenergie waren - auch aus der Fachrichtung der Grünen -, inzwischen der Meinung sind, dass wir es uns unter dem Klimagesichtspunkt ökologisch überhaupt nicht leisten können, uns diesen Weg zu verschließen. ({1}) Hier wird gesagt, man müsse die Strom- und Gaspreisaufsicht wieder einführen. Auch das ist aus unserer Sicht falsch. Wir wollen die Preissteigerung, die in diesen Bereichen stattfindet, hinterher nicht auch noch staatlich sanktioniert dastehen lassen. Vielmehr wollen wir eine scharfe Kontrolle durch das Kartellamt, so wie wir sie jetzt beschlossen haben. Genau den Weg müssen wir gehen. Wir dürfen die Preise nicht durch den Staat legitimieren, sondern wir müssen kontrollieren, und zwar in der Beweislastumkehr. Das ist überaus wichtig. Ich kann - sicher in unserem gemeinsamen Interesse - das Kartellamt nur auffordern, sich die anstehenden Preiserhöhungen insbesondere im Gasbereich sehr genau anzusehen. Denn sonst wird die Legitimation für unsere Beschlüsse hier nicht vorhanden sein. Wenn die Preise um etwa 25 Prozent steigen sollen, muss man genau hinschauen und sich beweisen lassen, was davon unbedingt notwendig ist und was nicht. Es geht auch um die Regulierung der Netzentgelte. Wir haben inzwischen 20 Prozent zugunsten der Verbraucher eingespart. Es geht um die Entflechtung von Netz, Erzeugung und Vertrieb. Es geht um die Erleichterungen für Verbraucher beim Anbieterwechsel. Es geht um Anreizregulierung und erleichterte Netzanschlüsse für neue Kraftwerke. Dazu sage ich an die Adresse der Grünen - Ihre Kollegen sagen zum Teil sehr vernünftige Sachen im Wirtschaftsausschuss -: Auch Sie wollen mehr Wettbewerb in den Energiebereichen. ({2}) Wenn Sie das wollen, Frau Höhn, wie können dann im Landesverband, zum Beispiel in meinem Wahlkreis, wo ein Kohlekraftwerk von 21 Stadtwerken gebaut werden soll, um mehr Wettbewerb im Erzeugungsbereich, wo es am dringendsten notwendig ist, zu schaffen, Ihre Leute dagegen sein, obwohl dadurch zusätzlicher Wettbewerb entstehen würde? Laurenz Meyer ({3}) ({4}) Sie können doch nicht nur mit kleinen Öfchen Wettbewerb gegen große Kraftwerke veranstalten. Dann haben Sie doch ganz unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen und werden nie zu richtigem Wettbewerb kommen. Deswegen müssen wir hier zusätzliche Einheiten haben. Wir müssen auch zusätzliche unabhängige und preisgünstige Kraftwerkskapazitäten schaffen. Wir müssen die Netze ausbauen, damit die entsprechenden Wirkungen erzeugt werden können. Ich will Ihnen noch eines sagen: Viele bei Ihnen setzen darauf - auch das müssen wir den Verbrauchern in Deutschland sagen -, mithilfe von Gaskraftwerken in großer Zahl die entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung stellen zu können, weil sie Kohle und Kernenergie nicht wollen. Wir sind uns doch alle einig, dass der Anteil der regenerativen Energien bis 2020 30 Prozent betragen soll. Aber es muss doch noch die Frage geklärt werden, wo die restlichen 70 Prozent herkommen sollen. ({5}) Dieses Problem werden Sie nicht nur mithilfe von Gaskraftwerken lösen können. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass auch das sofort zu zusätzlichen Belastungen für die Verbraucher führt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Zeil?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, bitte.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Meyer, Sie haben in der Auseinandersetzung mit den Anträgen viel Nachdenkenswertes und Richtiges gesagt und darauf hingewiesen, was man nicht tun sollte. Jetzt wäre es ganz spannend, wenn Sie dem Verbraucher, den Sie gerade angesprochen haben, sagen würden, warum Sie zum Beispiel bestimmte ganz einfache Dinge nicht tun. Ich denke zum Beispiel an das Thema Pendlerpauschale. Dazu liegen Vorschläge auf dem Tisch. Warum wird in der Koalition, nachdem die Verfassungswidrigkeit ohnehin schon festgestellt worden ist, nicht umgehend und sofort gehandelt, damit beim Bürger einmal etwas ankommt?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Lieber Kollege Zeil, Ihre berechtigten Interessen im bayerischen Landtagswahlkampf in allen Ehren. ({0}) - Das ist sicher richtig. Ich bin der Meinung - ich will ganz umfassend auf den Kern Ihrer Frage eingehen und nicht nur auf einzelne Details -, dass wir uns zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einführung des Emissionshandels den ganzen Bereich der Steuer- und Abgabenlasten, die wir auf den Energiesektoren haben, einmal anschauen sollten, um herauszufinden, inwieweit es hier zu Neuordnungen kommen muss. Wenn ich jetzt sehe, dass wir mit dem Instrument der Emissionszertifikate zugunsten der Umwelt und des Klimas in der Zukunft noch ganz erheblich steuern wollen, dann müssen wir diesen Steuerungspunkt als Ersatz und als neue zentrale Aufgabe nehmen und einen Teil der bisherigen Steuerungsfunktionen überdenken. Dazu gehören auch die Punkte, die Sie genannt haben. Sie müssen natürlich insgesamt vom System her vernünftig sein. Die Steuerungsfunktion darf nicht ausgehebelt werden. Über die Energiepreise, die beim Verbraucher ankommen - ich meine jetzt nicht die staatlich verordneten Energiepreise -, müssen im Markt Akzente gesetzt werden, die zur Folge haben, dass sich die Verbraucher in ihrem eigenen Interesse ökonomisch und ökologisch sinnvoll verhalten. ({1}) - Das ist nicht der Fall. Wir werden uns mit dem Thema Emissionszertifikate relativ kurzfristig beschäftigen müssen; das steht unmittelbar bevor. Darüber muss unbedingt auch im Zusammenhang mit den Lösungsansätzen auf europäischer Ebene diskutiert werden. Ich will an dieser Stelle hinzufügen - diese Information hat mich erst heute Morgen erreicht -: Wir müssen umso dringender über diese Themen diskutieren, als man sich auf europäischer Ebene Gedanken darüber macht, die aus der Versteigerung der Emissionszertifikate erzielten Einnahmen zunächst Brüssel zukommen und von dort verteilen zu lassen, statt sie den nationalen Ökonomien zuzuführen, die dann die Belastungen ihrer Bürger durch Umschichtungen reduzieren könnten. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir dürfen es uns nicht so einfach machen, wie es die FDP getan hat, und mal eben ein paar Punkte zur Mehrwertsteuer etc. isoliert aufschreiben. Mit Sicherheit ist auch die Antwort, die die Linke gegeben hat, nicht richtig. Das gilt, was das grundsätzliche System betrifft, sowohl im Hinblick auf die Arbeitslosengeld-II-Empfänger - darauf habe ich hingewiesen - als auch für alle übrigen Bürger. Wir müssen für alle Bevölkerungsgruppen Entlastungen schaffen. ({2}) Mehr Netto für die normalen Arbeitnehmer und die Durchschnittsverdiener, ({3}) das ist die Aufgabe, die wir bewältigen müssen. ({4}) Laurenz Meyer ({5}) Man darf sich dabei aber nicht nur auf einzelne Gruppen konzentrieren und dann ökonomisch unsinnige Vorschläge machen. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für die FDP-Fraktion. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Wir haben gerade bei Herrn Meyer gehört, dass er viel geredet, aber eigentlich nichts gesagt hat. ({0}) Herr Meyer, wenn ich mich recht erinnere, dann sind Sie und dann ist die Union immer noch Teil dieser Bundesregierung. 50 Prozent der Grundlaststromerzeugung erfolgen in Deutschland in kerntechnischen Anlagen. Diese Bundesregierung hat zu verantworten, dass die Kernkraftwerke in Deutschland vorzeitig abgeschaltet werden sollen. ({1}) - Diese Bundesregierung hat nicht dazu beigetragen, dass dieser unsinnige Beschluss zurückgezogen wird. ({2}) Sie erwecken den Eindruck, als seien Sie in der Opposition. Nein, die Union trägt eine Mitverantwortung für diesen Unsinn. ({3}) Aus dieser Verantwortung lassen wir Sie nicht heraus. Natürlich wäre es richtig, die Erzeugung von Strom in kerntechnischen Anlagen weiterzuführen. ({4}) Tun Sie nicht immer so, als würden Sie das, was beschlossen wurde, gerne ändern. Wenn dem aber so ist, ändern Sie es! ({5}) [CDU/CSU]: Wie denn? - Ulrich Kelber [SPD]: Sie zeigen alle Anzeichen einer Strahlenkrankheit!) Ich finde es sehr interessant, dass die Bundeskanzlerin in ihrer gestrigen Regierungserklärung die Kernenergie mit keinem Wort erwähnt hat. ({6}) Sie hat nur von Energieeffizienz und von der Förderung erneuerbarer Energien gesprochen. ({7}) Beides ist richtig. ({8}) Aber das kann nicht alles sein. Denn wir stehen vor ernsthaften Problemen; das wissen Sie. Auch der Bundeswirtschaftsminister hat dieser Tage erkannt, dass aufgrund der hohen Energiepreise große wirtschaftliche Verwerfungen einschließlich eines Rückgangs unseres Wirtschaftswachstums durch den anhaltend hohen Ölpreis drohen. Sollte der durchschnittliche Ölpreis in diesem Jahr 120 Dollar pro Barrel betragen, könnte uns das 1,2 Prozent unseres Wirtschaftswachstums kosten bzw. den Verlust der entsprechenden Zahl von Arbeitsplätzen bedeuten. Das hängt ursächlich miteinander zusammen. ({9}) Herr Meyer hat den Eindruck erweckt, als könne die Bundesregierung, was die aktuellen Ereignisse und die weltwirtschaftlichen Verwerfungen angeht, überhaupt nichts tun. Wenn wir die Welt verändern wollen, dann müssen wir allerdings bei uns selbst anfangen, die notwendigen Veränderungen herbeiführen und die vorhandenen Probleme lösen. Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen Folgendes vergegenwärtigen - ich nenne nur ein paar Zahlen, Herr Meyer -: Steuern und Abgaben machen 40 Prozent des Strompreises aus. Beim Gas sind es 30 Prozent. Der Liter Sprit kostet derzeit, kurz vor den Ferien, 1,60 Euro; knapp 1 Euro davon sind Steuern. ({10}) Und dann tun Sie so, als hätte diese Bundesregierung mit den Belastungen nichts zu tun! Jetzt soll die Lkw-Maut angehoben werden; das bedeutet für das Speditionsgewerbe eine Mehrbelastung von 850 Millionen Euro. ({11}) Sie versprechen eine Teilkompensation; aber letzten Endes bleiben Mehrkosten, die die Verbraucher an der Supermarktkasse zahlen. ({12}) Die Kanzlerin hat gestern verkündet, dass es für sie nicht infrage komme, dass der Staat Steuern senkt, um die Energiepreise zu reduzieren. Das gleicht einer Politik der Volksverdummung. ({13}) In den letzten zehn Jahren sind Steuern und Abgaben nämlich um mehr als 100 Prozent in die Höhe getrieben worden. Von 1998 bis heute sind die Belastungen bei Strom, Gas, Sprit um 10 Milliarden Euro gewachsen. Herr Meyer, wie können Sie als Mitglied der Regierungskoalition dann behaupten, Sie könnten das nicht ändern? Das ist wirklich schwach. ({14}) Ich finde es bezeichnend, dass Sie auf den Antrag, den wir vorgelegt haben, überhaupt nicht eingegangen sind. ({15}) - Da waren Sie schon am Ende mit Ihrem Latein. - Wir haben in unserem Antrag ganz klar zum Ausdruck gebracht: Die FDP möchte einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Energie - Energie ist ein Grundbedürfnis der Bevölkerung - oder, alternativ, eine Senkung der Ökosteuer. Das ist ein sehr konkretes Anliegen. Wir haben Ihnen auch Vorschläge zur Senkung der Stromsteuer gemacht; das macht mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr aus. Wir haben in diesem Jahr erstmals Einnahmen aus dem Emissionshandel, aus der Auktionierung von 10 Prozent der Emissionszertifikate. Erwartet werden - man staune! - bis zu 1 Milliarde Euro. ({16}) Was machen Sie mit diesen Einnahmen? Wir haben beantragt, dass diese Einnahmen direkt zur Senkung der Stromsteuer verwendet werden ({17}) und weder in Brüssel landen noch in neuen Förderkategorien dieser unsäglich agierenden Bundesregierung. Die Bundesregierung ist bei den Energiekosten der größte Preistreiber. Das muss man geißeln! ({18}) Wir haben in unserem Antrag ausführlich dargestellt, wie wir uns eine Wettbewerbsförderung vorstellen: Wir möchten, dass mehr Kraftwerke gebaut werden. Wir wollen einen breiten Energiemix und keine ideologische Energiepolitik. ({19}) Zurückhaltung des Staates bei Steuern und Abgaben wäre die größte soziale Tat. Eine Entlastung allein der Hartz-IV-Empfänger reicht nicht aus. Es geht uns um alle Bürger, gerade um diejenigen, die wenig Geld verdienen und ohne staatliche Transfers auskommen müssen. ({20})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kurth?

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, bitte.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Frau Kopp, ist Ihnen bekannt, dass sich der Rohölpreis seit Anfang dieses Jahrtausends verzwölffacht hat und dass wir nach der Einschätzung mancher Analysten in den nächsten zwei Jahren mit einer weiteren Verdoppelung rechnen müssen? Wie können Sie angesichts der epochalen Neubewertungen an den Energiemärkten wegen sinkender Ölförderung zu der Schlussfolgerung kommen, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz einer solchen Verteuerung des Öls wird entgegenwirken können? ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich erlaube mir als FDP-Politikerin keinerlei Vorhersage, was die künftige Entwicklung des Ölpreises betrifft. ({0}) - Ganz ruhig! Ich habe ausdrücklich gesagt, dass sich diese Preise in der Weltwirtschaft derzeit weiter nach oben entwickeln. Das ist überhaupt keine Frage. Öl und Gas werden auch in Zukunft knappe Güter sein. Wir haben allen Grund, diese Ressourcen möglichst zu schonen und möglichst weit weg von der Nutzung dieser Energiequellen zu kommen. Ressourcenschonung ist angesagt. ({1}) Auch deshalb sagen wir: Wir brauchen in der nationalen Energiepolitik und in der europäischen Energiepolitik ein entsprechendes Konzept, durch das wir Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit sicherstellen. Genau deshalb können wir auch nicht auf die weitere Nutzung der Kerntechnologie für die Gewinnung von Grundlaststrom verzichten, was Sie ja wollen. Das halten wir für völlig illusorisch. Deshalb war es vollkommen berechtigt, dass ich das eben auch noch einmal gesagt habe. ({2}) In diesem Hause gibt es nun von jeder weiteren Fraktion Vorschläge dafür, wie hier Sondertarife eingeführt werden sollen, um die Strompreise nach unten zu regulieren. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, die ersten 500 kWh im Jahr pro Kopf durch die Energiekonzerne kostenlos zu vergeben. ({3}) - Von den Linken. - Das ist absolut illusorisch; denn es ist doch völlig klar, dass die Kosten für solcherlei Geschenke an einen bestimmten Bevölkerungsteil auf die übrigen Preise umgelegt werden. Das kann überhaupt nicht Sinn einer solchen Politik sein. Lieber Herr Kelber, auch im Vorschlagsrepertoire der SPD befinden sich Sozialtarife. ({4}) - Über Vernunft kann man sich kräftig streiten. ({5}) Ich sehe in Ihrer Energiepolitik keinerlei vernünftige Ansätze. ({6}) Die Linken wollen verpflichtende Sozialtarife. ({7}) Darüber kann man eigentlich gar nicht diskutieren. Daneben wollen Sie das Verbot von Stromsperrungen und viele Dinge mehr. Das alles ist eine wirkliche Volksverdummung. Ich wiederhole es: Sie als Bundesregierung müssen sich ans Portepee fassen und fragen lassen, wie Sie durch die Dinge, die Sie beeinflussen können, die Kostenspirale nach oben aufhalten wollen. Es geht darum, welche zusätzlichen Lasten wir den Bürgern national aufbürden. Sie müssen eine Antwort darauf haben, wie Sie diese Lasten in den Griff bekommen wollen. Sie legen ständig neue Förderprogramme auf und verlängern die Geltungsdauer bestehender Fördertatbestände durch zusätzliche Gesetzgebungen immer weiter. Dadurch schrauben Sie die Belastungen der Bürger zum Teil über Jahrzehnte nach oben. Das ist zum Scheitern verurteilt; denn das geht gerade zulasten der Normalbürger, die das nicht mehr bezahlen können. Fragen Sie doch einmal die Bürger und insbesondere Familien mit kleinen Kindern. Die können nur bedingt Strom sparen und haben möglicherweise nicht das Geld, sich neue Elektrogeräte zu kaufen. Das kann es doch nicht sein! ({8}) - Herr Kelber, auf der anderen Seite schlägt die Regierung dann auch noch zu und erhöht die Mehrwertsteuer, die Abgaben und die Überwälzungskosten. ({9}) Das nennen Sie sozial. Sie machen tatsächlich eine unsoziale Energiepolitik zulasten der Bürger in diesem Land. ({10}) Genau das will die FDP nicht. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, mit dem eine konkrete Entlastung der Bürger vorgesehen ist, weil wir die Entwicklung nicht weiter treiben lassen können. Das, was wir in diesem Land politisch beeinflussen können, wollen wir gestalten. Wir fordern Sie auf, die Bürger endlich zu entlasten und nicht immer weiter an dieser Preis-, Abgaben- und Steuerschraube zu drehen. Ich schaue noch einmal besonders in Richtung der Union und sage ihr: Sie können nicht weiter so agieren und regieren, indem Sie die Wirtschaft und die Verbraucher ständig weiter belasten und nicht versuchen, dies zu ändern. Es hat doch keinen Zweck, dass Sie sich hier hinstellen und sagen, was Sie sich wünschen. Sie müssen hier konkretes Regierungshandeln an den Tag legen. Ich meine, hier ist auch die Bundeskanzlerin in besonderer Weise gefragt, dafür zu sorgen, dass es in Zukunft einen breiten Energiemix gibt und dass der Staat darauf verzichtet, durch die hohen Energiepreise weiterhin bei den Bürgern abzukassieren. Vielen Dank. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rolf Hempelmann.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Thema der Debatte ist ausgesprochen wichtig - ich denke, das ist unumstritten - und hat uns diese Woche schon mehrfach in anderen Zusammenhängen beschäftigt. Ich glaube, wir alle in diesem Hause wollen einen Beitrag dazu leisten, dass Energiekosten sowohl für Privathaushalte mit geringen Einnahmen als auch für andere - darin stimme ich ausdrücklich den Rednern der Union zu - gesenkt werden. Es ist, denke ich, sehr suggestiv und insofern wenig glaubwürdig, zu behaupten, dass diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen bisher keine Beiträge zu diesem Thema geleistet hätten. ({0}) Zunächst einmal ist festzustellen, dass die heute vorgelegten Konzepte nicht denen entsprechen, die wir verfolgen wollen. Das gilt zum Beispiel für die Wiedereinführung der Strom- und Gaspreisaufsicht, weil diese auch in der Vergangenheit nicht zu dem Ergebnis geführt hat, das Sie sich davon versprechen. Denn die Aufsicht hat letztlich nur den Vertriebskostenanteil prüfen können. Das führt dazu, dass suggeriert wird, es gäbe sozu18056 sagen ein staatliches Gütesiegel für einen bestimmten Preis; in Wirklichkeit hat der Staat aber aufgrund der Marktsituation gar nicht die Möglichkeit dazu. Deswegen brauchen wir andere Konzepte. Dazu gehört an erster Stelle, den Menschen ehrlich zu sagen, wie sich der Preis zusammensetzt. ({1}) Es wird - gerade auch von der FDP - immer wieder darauf hingewiesen, dass 40 Prozent des Preises von staatlicher Seite verursacht sind. Dabei wird aber verschwiegen, dass große Anteile davon nicht als staatliche Einnahmen anzusehen sind, sondern dass dafür bestimmte Leistungen erbracht werden. Wenn zum Beispiel Konzessionsabgaben gezahlt werden, dann verbergen sich dahinter zum Beispiel Wegerechte und Leistungen der Kommunen. ({2}) Insofern ist es richtig, dass die Ausgaben für diese Leistungen Bestandteil des Strom- bzw. Gaspreises sind. Für andere Bestandteile wie die Mehrwertsteuer gilt, dass sie auch auf andere Güter erhoben werden; insofern sind sie nicht streitig. Deswegen sollte man keine Nebelkerzen werfen. Richtig ist aber: Es bleiben einige Punkte, über die man immer wieder strittig diskutieren kann und mit denen man sich erneut befassen kann, wenn es um die Weiterentwicklung von Instrumenten - der Emissionshandel ist bereits angesprochen worden - geht. Dazu müssen wir bereit sein, und wir sind es auch, um zu erkennen, inwieweit möglicherweise in Zukunft ein Teil der Belastungen verzichtbar ist, weil wir neue Instrumente geschaffen haben.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe damit gerechnet.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Es ist immer gut, wenn auch im politischen Alltag Verlässlichkeit besteht. Herr Kollege Hempelmann, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in einem durchschnittlichen Drei-PersonenHaushalt mit einer Stromrechnung von 62 Euro im Monat allein 10 Euro davon auf die Mehrwertsteuerbelastung und 6 Euro auf die Ökosteuer - sprich: Stromsteuer - zurückzuführen sind? Ich frage mich, ob man dabei von Peanuts sprechen kann. Schließlich kommen noch viele weitere Belastungen hinzu. Sind Sie bereit, damit aufzuhören, das ständig herunterzuspielen, und sich dieser Frage zu stellen? ({0})

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe den Begriff Peanuts nicht benutzt; ich habe noch nicht einmal von Erdnüssen gesprochen. Vielmehr habe ich gleich am Anfang festgestellt, dass das Thema sehr wichtig ist und dass wir gemeinsam das Ziel verfolgen müssen, die Energiekosten für die Bürgerinnen und Bürger zu senken. Darauf werde ich gleich näher eingehen. Aber wer suggeriert, dass alle Kosten, die staatlich induziert sind, überflüssig seien, täuscht die Bürger. Sie haben sich doch gerade selbst dagegen gewehrt, die Bürger zu täuschen. Vieles davon ist völlig unumstritten, egal in welcher Fraktion man nachfragt. Das gilt beispielsweise für die Anteile für erneuerbare Energien und Kraft-Wärme-Kopplung. Das wird von allen Fraktionen getragen, ebenso wie die Mehrwertsteuer. Die Höhe ist möglicherweise bei dem einen oder anderen strittig, aber der Sache nach kann man, denke ich, kein einzelnes Produkt von der Mehrwertsteuererhebung ausnehmen. Insofern bin ich dafür, die Preisbestandteile offenzulegen und den Bürger aufzuklären, wie sich der Preis zusammensetzt. Ich halte das für ein berechtigtes Anliegen. Das haben wir auch gerade im Gesetzentwurf zur Öffnung des Mess- und Zählwesens entsprechend durchgesetzt. Die Aufgabe ist es, Kosten zu senken, aber dafür zu sorgen, dass die Menschen bei möglicherweise sinkenden Energieverbräuchen ihren Komfort, ihren Lebensstandard halten können. Daran haben wir gearbeitet. Wir haben ein CO2-Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, mit dem Gebäude so saniert werden können, dass weniger Energie verbraucht wird. Das nützt dem Klima, entlastet aber auch die Portemonnaies der Menschen. Wir haben mit dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm dafür gesorgt, dass erneuerbare Energien im Bereich der Wärmeversorgung ihren Platz finden. Das heißt, dass wir mehr Unabhängigkeit von den ganz sicher steigenden Öl- und Gaspreisen erreichen. Wir haben beim Mess- und Zählwesen dafür gesorgt, dass die Menschen über intelligente Zähler in die Lage versetzt werden, ihre Verbräuche zu erkennen und zu sehen, welches die Stromfresser sind, sodass sie dann entsprechend handeln können. Sie haben aber recht - das macht die Sache durchaus komplex -, dass wir dann den Menschen, die es nicht alleine schaffen, helfen müssen, die notwendigen Investitionen zu tätigen, um zum Beispiel stromfressende Geräte durch moderne, energiesparende Geräte zu ersetzen. Auch dafür gibt es entsprechende Töpfe, zum Beispiel Marktanreizprogramme. Aber das kann und muss man natürlich entsprechend ausweiten. ({0}) Wir wünschen uns, dass die Unternehmen hier ein Stück weit von dem Verkauf von Mengen an Kilowattstunden wegkommen. Das ist ein veraltetes Geschäftsmodell. Wir wollen, dass die Unternehmen ihr Geld verdienen, indem sie den Kunden Energiedienstleistungen mit möglichst wenig Energieverbrauch, mit wenig Kilowattstunden verkaufen. Das Contracting, das Bilden von Verträgen mit den Kunden, macht nicht nur Sinn bei Großunternehmen als Partnern, sondern auch beim Einzelkunden und bei einzelnen Haushalten. Das muss die Ziellinie sein. Ich denke, dass wir eine Reihe von Dingen auf den Weg gebracht haben, die uns diesem Ziel ein Stück näherbringen. Stichwort Sozialtarife. Sicherlich ist es irreführend, wenn das Wort „Sozialtarif“ für all das benutzt wird, was zurzeit in den Fraktionen an Überlegungen existiert. Auch das ist ein hochkomplexes Thema. In einer großen Fraktion wie der SPD-Fraktion ist es in der Tat so, dass Gedanken aus allen Richtungen zusammengetragen werden. Manche verdienen ganz klassisch den Begriff Sozialtarif, andere aber gehen eher in eine andere Richtung. Ich kann Ihnen heute sagen, dass es von der Tendenz her in unserer Fraktion so aussieht - wir führen dazu gerade Fachgespräche mit Betroffenen -, dass die Unternehmen, eingeleitet zum Beispiel durch die Veränderungen beim Mess- und Zählwesen, durch ihre Tarifstruktur Anreize dafür schaffen, dass tatsächlich alle, nicht nur bestimmte Bürgerinnen und Bürger, sparsam mit Energie umgehen. Ein effizienter Umgang mit Energie soll also belohnt werden. Möglich ist - das hat sich aus Gesprächen mit Unternehmen entwickelt -, dass man entweder auf die Grundgebühr verzichtet, sie senkt oder etwa die ersten 500 Kilowattstunden günstiger anbietet, weil das ein Anreiz sein kann, mit Energie sparsam umzugehen. ({1}) Wir werden dazu Vorschläge vorlegen, die der Komplexität dieses Themas gerecht werden. Schwarz-WeißMalerei macht keinen Sinn. In diesem Sinne wünsche ich uns gute Beratungen. Die Anträge müssen wir leider ablehnen, weil sie zu kurz greifen und der Komplexität nicht gerecht werden. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Oskar Lafontaine. ({0})

Oskar Lafontaine (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002715, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Übereinstimmend wurde in diesem Hause festgestellt, dass die Energiepreise in den letzten Jahren davongelaufen sind. Die Zahlen zu Beginn dieses Jahres kennen die meisten: Der Strompreis hat sich um rund 25 Prozent erhöht, die Benzinpreise um ein Drittel, und der Ölpreis hat sich verdoppelt. Konkret sieht das so aus, dass sich viele nicht mehr das Leben leisten können, das sie sich in den Jahren davor geleistet haben. Im letzten Winter haben mir Händler erzählt, dass sie Leute haben frieren sehen, weil sie sich kein Öl leisten konnten. Auch im letzten Jahr haben mir Händler berichtet, dass immer mehr Kunden ihre Rechnungen für Öl über Kredite begleichen. Das ist eine beängstigende Entwicklung. Wenn man gleichzeitig hört, dass beispielsweise immer mehr Haushalten der Strom abgestellt wird, weil die Rechnungen nicht mehr bezahlt werden, dann kann man das nicht mehr nur auf das Thema Angebot und Nachfrage reduzieren. Hier geht es um Menschen, Haushalte, Eltern mit Kindern. Deswegen müssen wir irgendetwas unternehmen. ({0}) Das Bedauerliche an dieser Debatte ist wieder einmal, dass alle in der Analyse, dass die Preise zu hoch sind, übereinstimmen, dass aber, wenn man die Regierungsmehrheit fragt, was denn geschehen soll, keine Bereitschaft erkennbar ist, sich auf irgendeine Maßnahme zu einigen, es sei denn, man reduziert das auf die Tatsache, dass nun die Entscheidung getroffen wurde - das begrüßen wir -, die Heizkosten beim Wohngeld zu berücksichtigen. Aber das ist nur eine minimale Lösung. Wir brauchen eine wirklich durchgreifende Lösung. Sie mögen mit unseren Anträgen nicht einverstanden sein. Aber unsere Position ist - das möchte ich deutlich sagen -: Wenn Sie Anträge einbringen, die zu einer Verbesserung der Situation der Haushalte führen, werden wir ihnen zustimmen; denn wir sind nicht der Meinung, dass das, was wir vortragen, der Weisheit letzter Schluss sein muss. ({1}) Das gilt auch für die Anträge der FDP. Dabei möchte ich nur auf einen Sachverhalt hinweisen. Aus Erfahrung wissen wir, dass steuerliche Ermäßigungen nicht unbedingt über die Preise weitergegeben werden. Es wäre zu klären, wie wir sicherstellen können, dass beispielsweise eine Reduktion der Mehrwertsteuer beim Endverbraucher tatsächlich ankommt. Es gibt hinreichende Erfahrungen, dass das oft nicht der Fall ist. Ich sage das nur, um ein Sachargument in die Debatte einzuführen, und nicht, um Ihren Antrag abzuqualifizieren. Für uns geht es hier auch um eine grundsätzliche Frage. Was verstehen wir unter sozialer Marktwirtschaft? Ich habe heute wieder interessante Aufsätze und Interviews zu diesem Thema gelesen. Ich ermutige jeden, der das Wort „soziale Marktwirtschaft“ in den Mund nimmt, zu sagen, was er darunter versteht. Heute habe ich gelesen, dass das etwas mit Einstieg und Aufstieg zu tun habe. Ob damit etwas Brauchbares oder Verwertbares gesagt ist, weiß ich nicht. ({2}) Ich möchte für meine Fraktion festhalten: Für uns ist eine Marktwirtschaft dann sozial, wenn sie fallende Löhne sowie Monopol- bzw. Oligopolpreise verhindert. So einfach ist die Definition. ({3}) Fallende Löhne führen zu fallenden Renten und sinkenden sozialen Leistungen. Steigende Preise führen, wie wir es jetzt erleben, zu einer Verarmung der Bevölkerung. Weil Sie diesen Zusammenhang nicht herstellen, gab es im letzten Jahr die Entwicklung, dass die Löhne und Renten gefallen sind, während die Energiepreise gestiegen sind. Das führt zu einer systematischen Verarmung der Bevölkerung. Die Schuld daran trägt die Mehrheit dieses Hauses. So simpel ist der Zusammenhang. ({4}) Als hätte unsere verehrte Bundeskanzlerin mir heute ein Argument liefern wollen, hat sie in einem Interview zur sozialen Marktwirtschaft auf die Frage, was sie denn eigentlich bewirkt und erreicht habe, geantwortet: Weniger Staat ist ein Zugewinn an Freiheit für viele Bürger. Jetzt müssen Sie klatschen. Mit diesem Satz steht die verehrte Bundeskanzlerin in krassem Gegensatz zum Aufklärer Rousseau, der gesagt hat: Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das befreit. Nun stehen wir vor der schwierigen Frage, wer recht hat: Frau Merkel oder der Aufklärer Rousseau? Wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, sieht man: Überall dort, wo die Schwachen durch Gesetze nicht geschützt werden, werden sie in größere Schwierigkeiten kommen und ihr Leben immer weniger bewältigen können. ({5}) Frau Merkel hat überhaupt keine Kenntnis von den philosophischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft. Das ist der Punkt, über den wir hier reden. Solange man diesen Zusammenhang nicht sieht, sind viele Menschen in der Armutsfalle. Ich könnte sie auch Merkel-Falle nennen: auf der einen Seite Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns, auf der anderen Seite steigende Energiepreise. Dann wundern Sie sich auch noch, dass immer mehr Haushalte in Schwierigkeiten kommen. Warum erkennen Sie diese Zusammenhänge nicht? Aufgrund verfehlter Politik haben wir in Deutschland mit 25 Prozent einen riesigen Niedriglohnsektor, den größten aller Industriestaaten. Trotz wachsender Wirtschaft sind im letzten Jahr die Löhne und Renten in Deutschland gefallen. Mittlerweile gibt es laut eigenem Bericht 5,2 Millionen Haushalte mit 500 bis 900 Euro Nettoeinkommen. Was ist das denn für eine Lage? Die Kanzlerin hat vor ein paar Monaten gesagt: Deutschland hat Grund zur Zuversicht. Sie reden immer von Haushaltskonsolidierung. Es gibt viele Menschen, die darüber nachdenken, was damit gemeint sein könnte. Es gibt viele Haushalte, die froh wären, wenn sie von Haushaltskonsolidierungen reden könnten. Aber im Moment geraten viele Privathaushalte in immer größere Schwierigkeiten, weil sie aufgrund der Entwicklung der Löhne und Renten sowie der Preise nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben zu gestalten. Haushaltskonsolidierung aus Sicht der Ärmeren unserer Bevölkerung wäre vielleicht ein Thema, auch für die Mehrheit dieses Hauses. ({6}) Nun sind einige kurzfristige Maßnahmen zu treffen. Das Bedauerliche ist ja, dass hier herumgeredet, herumgeredet und noch einmal herumgeredet wird. ({7}) Wir könnten durch eine einzige Entscheidung die Probleme lösen. Nehmen wir doch nur einmal die Pendlerpauschale, mit der Sie von der CDU/CSU einen lächerlichen Zirkus aufführen. Man hat fast den Eindruck, als hätte sich die CDU mit der CSU abgesprochen, das Theater bis zur bayrischen Landtagswahl aufzuführen, wobei das Thema Pendlerpauschale immer wieder durch die CSU auf die Tagesordnung gesetzt wird und die CDU diese Forderung mit dem Hinweis auf die Haushaltskonsolidierung blockiert. Das ist unredlich. Kommen Sie endlich zu irgendeiner Entscheidung! Sagen Sie Ja, oder sagen Sie Nein! Das steht schon so in der Bibel. ({8}) Dasselbe gilt für die Sozialtarife. Dazu ist einiges von meinem Vorredner gesagt worden. Es gibt verschiedene Modelle. Auch hier würden wir sagen, Herr Kollege Hempel - ({9}) - Hempelmann, Entschuldigung. Jetzt können Sie überlegen, warum ich hier gestockt habe. Nun gut. ({10}) Das war nicht böse gemeint. Ich habe hier schlicht gestockt. - Sie haben eine Reihe von Fällen genannt. Wir würden jedes Modell mittragen, aber es nützt doch nichts, dass wir hier endlose Debatten führen und nichts, aber auch gar nichts geschieht. ({11}) Deshalb sagen wir: Sozialtarife sind eine Möglichkeit. Wir wären bereit, jeden Vorschlag zu akzeptieren, aber es geschieht nichts. An dieser Stelle wird immer wieder gesagt, wir hätten das Geld dazu nicht. Es ist aber für jeden, der das gutwillig überprüft, nachvollziehbar, dass das Geld selbstverständlich da ist. Eben ist von den Gewinnen aus dem Emissionshandel die Rede gewesen. Einer hat von 1 Milliarde Euro in diesem Jahr gesprochen. Das Öko-Institut hat ausgerechnet, dass in den nächsten vier Jahren Gewinne in Höhe von 35 Milliarden Euro anfallen. ({12}) Es mag richtig sein, dass nur die Hälfte dieser Summe anfällt. Das heißt aber, dass Geld da ist, um den MenOskar Lafontaine schen entgegenzukommen und ihre Lebenssituation zu verbessern. Warum tun Sie denn nichts? ({13}) Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuer. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Rechnungen. Viele haben ausgerechnet, dass allein die Mehreinnahmen aus der Mehrwertsteuer, die aus der Strompreisentwicklung resultieren, ausreichen würden, einen Einstieg in die Sozialtarife zu finanzieren. Warum tun Sie denn nichts? Warum kassieren Sie nur die Mehrwertsteuer und sind nicht bereit, Sozialtarife einzuführen und die Mehreinnahmen an die Menschen weiterzugeben? ({14}) Längerfristig - auch das möchte ich noch sagen - sind Strukturmaßnahmen zu ergreifen, um den Energiepreisanstieg durch nationalstaatliche Entscheidungen zumindest zu dämpfen. Wir schlagen dazu nach wie vor die Rekommunalisierung der Energieversorgung vor; denn wir wissen doch aus eigener Erfahrung, dass wir zu der Zeit, als wir in den Städten eine eigene Erzeugung hatten, solche Entscheidungen noch selbstständig treffen konnten. Das ist ein Zugewinn an Demokratie. Deshalb sind wir für die Rekommunalisierung der Energieversorgung. ({15}) Dass man bei den Netzen eine wie auch immer geartete stärkere staatliche Kontrolle braucht, versteht sich von selbst. Ich freue mich, dass innerhalb der SPD-Fraktion der Diskussionsprozess fortgeschritten ist und dass die Abqualifizierung durch den Bundesumweltminister, was die Verstaatlichung der Netze angeht, mittlerweile anderen Einsichten gewichen ist. Ich fasse zusammen: Die Entwicklung der Energiepreise ist für viele Haushalte - nicht für uns alle hier ein großes Problem. Ein Problem für diese Haushalte ist aber auch, dass wir uns zwar einig sind, dass das schlimm ist, dass die Koalition aber nicht in der Lage ist, irgendeine Entscheidung zu treffen. ({16})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden heute in der Tat über ein dramatisches Problem. Die Energiepreise steigen. Ich glaube, keiner von uns hätte vor einem Jahr voraussagen können, wie sich der Ölpreis entwickelt. Die Entwicklung in den letzten Monaten ist wirklich dramatisch. ({0}) Schauen Sie sich einmal den Verbraucherpreisindex vom Mai an! Er ist um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Mehr als die Hälfte davon ist auf den Anstieg der Energiepreise zurückzuführen. Das ist in der Tat dramatisch. Die entscheidende Frage ist: Was tun wir? Da nützen Schnellschüsse nichts, Herr Lafontaine; vielmehr ist entscheidend, dass man analysiert, was der Grund für diesen Preisanstieg ist. ({1}) Aus unserer Sicht - immer mehr Experten teilen unsere Ansicht - geht das Zeitalter des billigen Öls zu Ende, ({2}) und zwar deshalb, weil die Nachfrage auch in den nächsten Jahren dramatisch ansteigen wird und die Ölförderung an ihre Grenzen stößt. Wenn mittlerweile sogar die Internationale Energie-Agentur, die das bisher immer geleugnet hat, sagt, dass Angebot und Nachfrage immer weiter auseinanderklaffen werden - das heißt, das Angebot wird knapp sein und die Nachfrage wird steigen -, dann wissen doch alle, was das bedeutet: höhere Ölpreise auch in den nächsten Jahren. Wenn wir nicht gemeinsam die Gründe dafür analysieren, dann werden wir auch nicht zu den richtigen Lösungen kommen. ({3}) In diesem Zusammenhang muss ich feststellen, dass die FDP mit ihrer Antwort auf das Problem danebenliegt. Wenn Ihre einzige Antwort auf die versiegenden Ölquellen und die steigende Nachfrage Chinas nach Öl ist, in Deutschland die Steuern zu senken, dann bedeutet das in der Tat, Frau Kopp, dass Sie die Menschen für dumm verkaufen. Nicht die anderen, sondern Sie verkaufen die Menschen für dumm. ({4}) Wenn es nach Ihnen geht, dann dürfen die Leute noch einmal ganz kurz an die Tankstelle und ordentlich volltanken, bevor ihnen durch die nächste Preisexplosion sozusagen all das weggenommen wird, was Sie ihnen für kurze Zeit geschenkt haben. ({5}) Deshalb ist es keine Lösung, die Steuern zu senken. Die eigentliche Lösung des Problems ist es, endlich einmal auf Energieeinsparungen und erneuerbare Energien zu setzen. ({6}) Herr Lafontaine, ich habe mir Ihren Antrag genau angesehen. Die Preisaufsicht wieder an die Länder zu geben, ist auch keine ernsthafte Lösung. Die Länder hatten doch schon einmal die Aufsicht. Was war die Folge? Sie haben mit den jeweiligen Energiekonzernen verhandelt - übrigens mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen -, und am Ende haben die Energiekonzerne gesagt: Der hö18060 here Preis ist doch staatlich abgesegnet. Was wollt ihr eigentlich? - Das ist keine Lösung des Problems. Wir meinen, die Antwort auf die weitere Verknappung und Verteuerung der Energie heißt: weniger Energieverbrauch. ({7}) Mit Blick auf die weitere Entwicklung muss es doch heißen: Wir müssen das Öl verlassen, ehe es uns verlässt. Sonst geraten wir in eine Spirale, die wir nicht mehr aufhalten können. ({8}) Die Leute haben das verstanden. Vor wenigen Tagen ist in einer Umfrage im Morgenmagazin zu diesem Thema gefragt worden, was der Staat tun kann und was er tun sollte. An erster Stelle - 44 Prozent der Befragten haben das gesagt - stand die Antwort: Förderung von Energiespartechnologien. Das war die Antwort der Menschen - und sie tun auch schon etwas dafür: Sie fahren mehr mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften und verbringen ihren Urlaub öfter in der Nähe. Sie verändern ihren Lebensstil. Auch das gehört dazu. Es wird notwendig sein, mit weniger auszukommen, um diesem Preisdiktat zu entgehen. Wir müssen auch unseren Lebensstil ändern. ({9}) Wir brauchen eine Energiesparoffensive. Wir brauchen sie insbesondere - das stimmt - im Zusammenhang mit der Förderung von Haushalten mit kleinen Einkommen. Aber zu den sozialen Aspekten wird der Kollege Kurth gleich noch etwas sagen. Ich sage eindeutig und klar: Der Weg, den die Bundesregierung momentan einschlägt, ist der falsche. Sie haben beim IKEP, beim Integrierten Klima- und Energieprogramm, Investitionen in Energieeinsparungen - ich habe mehrfach Minister Glos dazu gehört - immer noch als Belastungen definiert. Das ist der falsche Ansatz. Investitionen in Energieeinsparung sind eine Entlastung und keine Belastung. Solange Sie das nicht verstanden haben, werden Sie zu den falschen Lösungen kommen. ({10}) Die Bundesregierung lässt die Verbraucher bei den steigenden Energiekosten im Stich. Sie lassen sie im Stich, wenn Kanzlerin Merkel auf EU-Ebene gegen sparsamere Autos ankämpft. Es ergibt sich keine Entlastung bei den Benzinkosten, wenn Sie weiterhin für die Spritschlucker Lobbyarbeit machen. ({11}) Sie lassen die Menschen im Stich, wenn Sie den Austausch von ineffizienten Nachtspeicherheizungen verzögern. Sie lassen die Menschen im Stich, weil Sie sie in eine Kostenfalle laufen lassen, aber ihnen keinen Ausweg anbieten. Sie lassen sie auch im Stich, wenn Sie zum Beispiel im Wärmebereich - Stichwort: Isolierung von Gebäuden - am Ende nur zu halbherzigen Lösungen kommen. Meine Damen und Herren, gerade für Haushalte mit kleinen Einkommen sind Dämmungen in den Mietwohnungen notwendig; denn der nächste kalte Winter kommt bestimmt. Wir können nicht damit rechnen, dass jeder Winter so warm wird, wie der letzte es war. Der letzte warme Winter war nämlich auch ein Grund dafür, dass das Problem nicht explodiert ist. Wenn der Winter kalt ist und dann noch die Heizkosten steigen, wird das Problem immer größer. ({12}) Konsequente Energiepolitik sieht anders aus. Deshalb sagen wir: Helfen Sie den Verbrauchern, indem Sie auf Energieeinsparungen und erneuerbare Energien setzen. Einfach nur „Steuern runter“ und „Preiskontrolle“, das sind keine Lösungen, mit denen das gravierende Problem, das uns auch in Zukunft begleiten wird, endlich gemeistert werden kann. Vielen Dank. ({13})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Fuchs für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Höhn, Sie sind es doch gewesen, die immer behauptet hat, dass der Benzinpreis bei 5 Euro liegen müsste. ({0}) - Bei 5 DM; das sind etwa 2,50 Euro. - Die Benzinpreise bewegen sich leider in diese Richtung. Sie haben auch alles dafür getan. Also tun Sie jetzt hier bitte nicht so, als würde es Sie fürchterlich schocken, dass es sich aufgrund der Politik der Ölländer so entwickelt! Wir müssen alles dafür tun, dass sich die Energiepreise so wenig wie möglich erhöhen; denn dieses Land hätte unter immer höheren Energiepreisen heftig zu leiden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das brauche ich jetzt nicht. ({0}) Ich habe mir das eben lange genug angehört. In meinem Wahlkreis gibt es ein Unternehmen der papierverarbeitenden Industrie. Ich meine die Firma Kimberly-Clark. Sie stellt Kleenex her; dieses Produkt kenDr. Michael Fuchs nen viele. Diese Firma hat nicht nur an vielen Orten in Deutschland, sondern auch in Nachbarländern Papierfabriken. In all diesen Fabriken stehen baugleiche Maschinen. Eine Maschine dieser Firma in Koblenz verbraucht im Jahr Strom in Höhe von 25 Millionen Euro. Die gleiche Maschine in Rouen in Frankreich verbraucht im Jahr Strom in Höhe von 17 Millionen Euro. Es wird nicht ewig dauern, bis Amerikaner in Dallas entscheiden, dass es sinnvoll wäre, die Maschine in Koblenz nach Rouen oder an einen anderen Ort in Frankreich zu verlagern. Was passiert dann, Herr Lafontaine? Dann wird es unsozial; denn dann gehen Arbeitsplätze verloren. Wir müssen mit einer vernünftigen Energiepolitik verhindern, dass in Deutschland Arbeitsplätze im mittelständischen Bereich verloren gehen, weil sie den Strom nicht mehr bezahlen können. ({1}) Das haben Sie nur nicht kapiert. In all Ihren Anträgen fordern Sie doch nichts anderes als Umverteilung von oben nach unten. Das machen wir sowieso. Sie reden von einem Armutsland. Ich glaube, in keinem anderen Land ist die Gesellschaft so reich und wohlhabend wie in Deutschland. Das wollen wir doch einmal festhalten. ({2}) Ich kann Ihr Gerede von der Armutsfalle einfach nicht mehr hören. Sie reden dieses Land schlecht und wissen genau, dass das Gegenteil richtig ist. ({3}) Ich sage Ihnen noch eines. Wenn Ihnen mit Ihrem Linkspopulismus nichts Besseres einfällt, als ständig Umverteilung zu fordern, dann erwähnen Sie bitte auch, dass 53 Prozent dieses Bundeshaushalts für Soziales, also für die von Ihnen geforderte Umverteilung, ausgegeben werden. Diese Regierung hat gerade beschlossen, das Wohngeld zum 1. Januar 2009 von 90 Euro auf 143 Euro anzuheben. Diese Maßnahmen haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Bitte nehmen Sie das alles einmal zur Kenntnis! Anscheinend geht es an Ihnen vorbei. Die Anträge, mit denen Sie uns hier nerven, kosten uns Zeit. In dieser Zeit können wir keine vernünftige Politik machen. Sie sollten das eigentlich wissen. Was all Ihre Forderungen nach Umverteilung angeht, muss man einmal erwähnen: Die 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit den höchsten Einkommen zahlen 53 Prozent der Steuern. Die 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit den höchsten Einkommen zahlen 83 Prozent der Steuern. ({4}) Das alles scheint Ihnen entgangen zu sein, weil es mit Ihrem Populismus nicht in Einklang zu bringen ist. Ich muss Ihnen noch ein paar andere Zahlen vorhalten. Vergleicht man die neuesten Strompreise in Europa, stellt man fest: In Deutschland kostet der Strom in einem Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 3 500 Kilowattstunden 21,48 Cent pro Kilowattstunde. In Frankreich kostet dieser Strom 12,18 Cent pro Kilowattstunde. Warum? Das ist ziemlich einfach - das wird Sie nicht wundern; denn Sie wissen es alle -: weil 87 Prozent des Stroms in Frankreich in Kernkraftwerken erzeugt werden. Was machen wir? Wir verteuern, verteuern und verteuern. ({5}) - Ich habe überhaupt nichts gegen erneuerbare Energien, Herr Kelber. Allerdings müssen die erneuerbaren Energien mit Maß gesehen werden: Sie werden unser Stromproblem nicht lösen. ({6}) 70 Prozent unseres Stroms werden nicht aus erneuerbaren Energien herstellbar sein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich unterbreche Sie ungern. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst von der Fraktion Die Linke?

Dr. Michael Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003531, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das tue ich mir erst recht nicht an. ({0}) Den kann ich nicht ernst nehmen; deswegen macht es keinen Sinn, sich eine Frage anzuhören. Er muss sich erst einmal mit seinen Aufsichtsräten bei Fichtel & Sachs auseinandersetzen und sollte mich hier in Ruhe lassen. Wir haben genau dieses Problem - ich sage es noch einmal deutlich -: Wir sind nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir in eine Falle laufen, wenn wir bei der Erzeugung von Strom nicht umdenken. Es wird allerhöchste Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die ganze Welt das anders sieht. Warum ist es so, dass wir in Deutschland anscheinend die Einzigen sind, die so technikfeindlich und so ängstlich sind? ({1}) Ich kann es nach wie vor nicht verstehen. Vielleicht hat Voltaire recht, Herr Lafontaine. Er hat nämlich einmal gesagt: Am Grunde eines Problems sitzt immer ein Deutscher. - Wahrscheinlich sind Sie das Problem. Noch einmal: Wenn wir nicht umdenken und nicht langsam, aber sicher zur Kernkraft zurückkommen, werden wir das Strompreisproblem nicht lösen. ({2}) Die einzige Chance, die wir haben, auch unter klimapolitischen Aspekten, die Strompreise für die Haushalte mit kleinen Einkommen einigermaßen bezahlbar zu halten, ist - da bin ich mit dem Kollegen Meyer einig - die Kernkraft; das muss immer wieder und überall deutlich gesagt werden. ({3}) Eines schönen Tages wird dieses Land diese Chance nutzen, auch wenn das dann, hoffentlich, eine andere Regierung organisiert. Wir haben mit der Bundesregierung vernünftig reagiert. Wir haben zum Beispiel die GWB-Novelle beschlossen. Sie ist zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten. Mit dieser Novelle haben wir eine Beweislastumkehr vorgenommen, um die Stromkonzerne zu zwingen, ihre Situation besser darzulegen. Außerdem haben wir dem Kartellamt die Möglichkeit gegeben, besser einzugreifen. Das ist auch notwendig. Wir müssen die vier Viertelmonopolisten in diesem Land schon sehr intensiv kontrollieren. Fazit: Wenn wir die Energiepreise im Griff behalten wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Gesamtenergiepolitik zu betreiben. Darin muss die Kernkraft eine Rolle spielen; sonst laufen uns die Preise davon. ({4}) Wer das nicht sagt, ist unredlich. Aber das kennen wir ja von Ihnen, Herr Lafontaine. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Fuchs, nachdem Sie den Blick auf die Realität verweigert und geleugnet haben, dass es in diesem Land tatsächlich Armut gibt, haben Sie sich auch noch auf die Umverteilung eingelassen und diese kritisiert. Ist Ihnen bekannt, Herr Fuchs, was das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung festgestellt hat? Es hat festgestellt, dass in dem von Ihnen so gelobten Aufschwung nur eine Gruppe tatsächlich profitiert hat, nämlich die Gruppe derer, die ihr Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen - sie haben im letzten Aufschwung über 20 Prozent Zuwachs erzielt -, ({0}) dass die Rentner an diesem Aufschwung überhaupt nicht partizipieren, sondern ein Minus haben, und dass die Arbeitnehmereinkommen in diesem Aufschwung um 1,4 Prozent gesunken sind. Angesichts dessen kann ich nur sagen: Es findet eine Umverteilung statt, ohne dass wir sie wollen, nämlich eine Umverteilung von unten nach oben. Deswegen haben wir auch das Problem, dass die Menschen ihre Stromrechnung und ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen können. Auf diesen Punkt haben Sie in Ihrer ganzen Rede nicht eine Silbe verwendet. ({1}) Sie haben sich als ein Lobbyist der Atomindustrie profiliert - das nehmen wir zur Kenntnis -, aber die Lösungen für die Menschen bleiben Sie schuldig. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist wohl Zeit, ein Zwischenresümee der Debatte zu ziehen. Nachdem ich Herrn Fuchs, Frau Kopp und Herrn Lafontaine gehört habe, muss ich sagen: Es ist wirklich erschütternd, in welcher Art und Weise Sie die grundlegenden Probleme - als einzige Rednerin hat Frau Höhn diese Probleme angesprochen - ignorieren. Wir befinden uns in einem epochalen Wandel. Wir befinden uns in einer fundamentalen Neubewertung sämtlicher Energiepreise an den Märkten. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen. Das betrifft nicht nur das Öl. Das Öl ist natürlich der wichtigste Rohstoff. Anderthalb Generationen haben ihn einfach so verschleudert. Auch die Preisindikatoren für alle anderen Energieträger - Steinkohle, Gas oder auch die von Ihnen so geliebte Kernenergie bzw. das dafür erforderliche Uran - zeigen nach oben. Deswegen gibt es nur eine Antwort, nämlich zu sparen und die erneuerbaren Energien auszubauen. Das kann gar nicht oft genug wiederholt werden, und das wiederholt fast nur unsere Fraktion. ({0}) Von wenigen Ausnahmen abgesehen, Herr Kelber, müssten eigentlich Sie alle, die Sie hier sitzen, von der Linken über die CDU/CSU bis zur FDP, jede Rede zur Energiepolitik erst einmal mit einer Entschuldigung gegenüber Bündnis 90/Die Grünen beginnen. ({1}) Vor zehn Jahren haben wir bereits mit einem ambitionierten Programm, das eine gezielte und berechenbare Steigerung der Energiepreise eingeschlossen hat ({2}) wir haben es leider nur in Teilen umsetzen können -, versucht, den von uns vorhergesehenen Anstieg der Energiepreise gezielt vorwegzunehmen. Wir hätten zehn Jahre für den Umbau Zeit gehabt. Jetzt müssen wir es innerhalb von zwei bis drei Jahren schaffen, eine Verdopplung oder gar Verdreifachung der Energiepreise zu verkraften. Das Problem kann angesichts dieser fundamentalen Grundwerte - Markus Kurth ({3}) - Die machen Sie auch nicht durch Ihr Geschrei weg. ({4}) - Seien Sie doch einmal still, und hören Sie zu! Der liebe Gott hat Ihnen zwei Ohren und einen Mund gegeben: also zweimal Zuhören und nur einmal Rufen. ({5}) Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir nun die Umstellung hin zu Energieeinsparungen dort beschleunigen müssen, wo die Not am größten ist, und diesen Umstellungsprozess deshalb in den Bereichen abfedern müssen, die davon am stärksten betroffen sind. Hier denke ich insbesondere an soziale Brennpunkte, an bestimmte Wohnviertel und -formen, wo der Heizenergieverbrauch nicht zu den günstigsten zählt. Wir müssen aber auch bestimmten Personenkreisen dabei helfen, sich energiesparendere Elektrogeräte zu kaufen. Vor diesem Hintergrund bin ich schon sehr enttäuscht über das Klimapaket der Bundesregierung. Warum haben Sie kein Programm zur energetischen Sanierung von Wohnungen in sozialen Brennpunkten aufgelegt? Warum haben Sie nicht - das war ja angedacht - ein Mietminderungsrecht für Mieter eingeführt, die in Wohnungen leben, die energetisch unzulänglich ausgestattet sind? Das wäre eine wichtige Anreizmöglichkeit gewesen. Warum machen Sie keine verpflichtenden Vorgaben für die Sanierung von Wohnungen im Altbaubestand? ({6}) Wir wissen doch, dass dort verstärkt sozial Schwächere wohnen. Was machen Sie im Bereich Mobilität, insbesondere im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs? In Dortmund, einer Stadt, in der die Grünen mitregieren, gibt es das bundesweit günstigste Sozialticket, und nicht in einer Stadt, in der die Linken mitregieren. Für den Betrag von 15 Euro, der im Regelsatz vorgesehen ist, kann man in Dortmund den öffentlichen Nahverkehr benutzen. ({7}) Es ist zwar völlig richtig, dass wir uns nicht nur auf Arbeitslosengeld-II-Bezieher konzentrieren sollten - von den Problemen der Energiepreissteigerung sind wesentlich breitere Schichten betroffen -, aber natürlich muss deren Regelsatz erhöht werden. Der Anteil für Haushaltsenergie jenseits der Heizkosten im Regelsatz beträgt nämlich nur knapp 22 Euro für einen Alleinstehenden. Ein Alleinstehender kann sich damit gerade einmal 1 000 Kilowattstunden Strom kaufen. Das reicht nicht aus. Hier muss zusätzlich nachgesteuert werden. Ich glaube, wir werden hier noch eine Reihe interessanter Diskussionen führen, ob das Ganze wirklich ohne Weiteres mit den Instrumenten des Marktes geregelt werden kann. So werden wir, wie ich denke, selbstverständlich auch über die Frage der Grundkontingentierung diskutieren. Wir werden uns auch der Frage nähern müssen - das prognostiziere ich; denn die Armut der einen ist der Überfluss der anderen -, wie wir Vielverbraucher sanktionieren, damit diese ihren Energieverbrauch senken. Abschließend möchte ich in die Diskussion werfen, dass zum Beispiel in Norwegen aus ökologischen Gründen eine Zusatzsteuer für Besitzer eines Porsche Cayenne erhoben wird. Dort kostet dieses Fahrzeug dadurch 52 000 Euro mehr. An diesem Hinweis sehen Sie, was im europäischen Ausland los ist. Wir sollten das einmal einbeziehen, um unsere Debatten hier zu bereichern. ({8}) Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beraten heute nicht zum ersten Mal das Thema „steigende Energiepreise“. Ich bin mir sicher, wir werden das heute auch nicht zum letzten Mal tun. Die Menschen erwarten eine Antwort der Politik, aber eine durchdachte. Sie erwarten keine Schnellschüsse oder gar Beschlüsse, die das Gegenteil von dem bewirken, was man sich unter einer guten Antwort vorstellt. Wenn die Menschen heute die Debatte verfolgt haben, werden sie an einer Stelle enttäuscht sein. Sie werden als Hauptantwort der bisherigen Redner von FDP und CDU/ CSU gehört haben: Atomenergie. Das hätten Sie auch ohne steigende Energiepreise eingeworfen. Auch die Rede von der Linkspartei, Herr Kollege Lafontaine, war zu 80 Prozent die Standardrede, mit ein, zwei Dingen garniert. Herr Fuchs, vielleicht wenigstens eine inhaltliche Entgegnung auf Ihren Beitrag: Wenn Sie die französischen Strompreise nennen, dann sollten Sie auch erwähnen, dass die französische Regierung davon spricht, dass über 100 Milliarden Euro Rückbaukosten noch nicht etatisiert sind. Das wird der Steuerzahler zahlen. Auch das Versicherungsrisiko zahlt der Steuerzahler in Frankreich, ebenso die zig Milliarden, einen zweistelligen Milliardenbetrag, für das Endlager. Es ist also alles subventioniert. Sie unterstützen heute eine Art Sozialtarif, den Sie sonst ablehnen. ({0}) Es gibt eine einzige Antwort auf steigende Energiepreise: weniger verbrauchen und auf die preisstabilen erneuerbaren Energien umstellen. Das sagen Ihnen alle Experten, die das Thema ohne eigene Lobbyinteressen verfolgen. ({1}) Da ist ein Punkt aber ganz wichtig: Die Energiepreise alleine, also der Markt, reichen nicht aus, den nötigen Impuls zu setzen. Es gibt viele Menschen in diesem Land, deren Einkommen nicht reicht, selber die Investitionen zu tätigen, die nötig sind, um weniger Energie zu verbrauchen. Das sind nicht nur Menschen, die arbeitslos sind, sondern das geht bis weit in die Mittelschicht hinein. Aus diesem Grund sind die Förderprogramme so wichtig. Deswegen ist es unglaublich, dass die FDP hier sagt, die Förderprogramme der Bundesregierung seien falsch und sie wolle sie nicht haben. Nein, diese Förderprogramme müssen ausgebaut werden, um den Menschen zu helfen, weniger Energie zu verbrauchen. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kelber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kopp, bitte.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Herr Kollege Kelber, Lobbyisten gibt es in allen Bereichen, ob bei der konventionellen Kraftwerksindustrie oder bei den erneuerbaren Energien. Da fallen mir viele ein, die reine Lobbyinteressen verfolgen. Das nur vorweg. Wollen Sie hier im Parlament wirklich sagen, dass der gesamte Strombedarf in Deutschland, insbesondere der Grundlaststrombedarf, allein durch erneuerbare Energien zu decken ist, und das vor dem Hintergrund, dass fast 100 Prozent des Grundlaststroms derzeit von Kernkraftwerken und von Kohlekraftwerken produziert werden?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gebe Ihnen eine zweigeteilte Antwort. Zu Ihrer ersten Bemerkung: Ich bin vor über 20 Jahren aus der Umweltbewegung in die Politik gegangen, und ich bin stolz darauf, seit 25 Jahren Lobbyist für die erneuerbaren Energien zu sein. ({0}) Ich bin halt unbezahlter Lobbyist; das unterscheidet mich von dem einen oder anderen. Zweiter Teil meiner Antwort: Ich schicke Ihnen gerne morgen - früher geht es leider nicht mehr - die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu, die deutlich macht, dass wir bis 2050 bereits 80 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien tätigen können und wenige Jahre später die vollständige Stromversorgung. ({1}) - Die Kosten werden in der Studie genannt. Sie werden überrascht sein. Tun Sie mir den Gefallen: Lesen Sie sie, zumindest die Zusammenfassung von drei Seiten bitte! ({2}) Unsere Hauptaufgabe ist, den Menschen zu helfen, die es nicht selber leisten können, weniger Energie zu verbrauchen und umzustellen. ({3}) Dann müssen wir aber auch darüber sprechen, dass wir bei schnell steigenden Energiepreisen soziale Härten abfedern müssen. Wir sind eigentlich seit zehn Jahren auf dem richtigen Weg. Kein anderes Land ist so gut vorbereitet auf den Prozess, weniger Energie zu verbrauchen und mehr erneuerbare Energien einzuführen. Aber die Geschwindigkeit, mit der jetzt die Energiepreise steigen, überfordert immer mehr Menschen. Deswegen müssen wir unsere Anstrengungen beschleunigen. Ich finde es unredlich, Kollege Lafontaine, wenn Sie eine Lösung wie die Erhöhung des Wohngelds, die 800 000 Haushalten helfen wird, als einen Minimalvorschlag abtun. Diesen 800 000 Haushalten wird im nächsten Jahr an einer bedeutenden Stelle geholfen. Deshalb war dieser Schritt wichtig. ({4}) Ich gehe kurz auf die beiden Anträge der Oppositionsparteien Linkspartei und FDP ein. Der Antrag der Linkspartei ist typisch. Sie haben in Ihrer Rede gesagt: Macht doch irgendetwas! - Nein, es muss das Richtige getan werden. Es ist eben nicht, wie bei anderen Themen, damit getan, dass die SPD über ein Thema diskutiert, die Linkspartei ein paar der Schlagworte aufnimmt und schnell einen Antrag mit namentlicher Abstimmung stellt. Sie waren einmal im Vorstand eines Stadtwerks. Den Vorschlag eines Sozialtarifs, den Sie machen, lehnen die Stadtwerke und die Verbraucherverbände aus einem einfachen Grund ab: Sie sagen, das würde die Stadtwerke schädigen und die großen Energiekonzerne würden die lukrativen Kunden abwerben. Deswegen haben wir einen anderen Vorschlag, und zwar einen, der wettbewerbsneutral ist und die Standorte fördert. Das unterscheidet das Durchdenken von einem schnellen Zur-Abstimmung-Stellen eines Antrags. ({5}) Zur FDP. Die FDP legt einen Antrag vor, mit dem sie verspricht, dass der Staat Milliarden an die Bürger zurückgibt, damit sie die Energiepreise länger zahlen können. Einiges Gute dazu hat Frau Kollegin Höhn gesagt. Sie geben natürlich keine Antwort darauf, woher der Staat die Milliarden nehmen soll. Aber viel schlimmer ist, dass durch den Antrag etwas ganz anderes erreicht würde: Es fließen nämlich nicht Milliarden vom Staat an die Bürger, sondern es würden Milliarden aus den Taschen der Bürger in die Taschen der großen Energiekonzerne fließen. ({6}) Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen. Alle Experten sagen, dass angesichts des Monopols in der Energieversorgung ein großer Teil des durch die Senkung der Energiesteuern eingesparten Geldes für höhere Gewinnmargen verwendet werden würde. Die Importpreise würden erhöht, und die Preise der vier großen Stromkonzerne, die einen Anteil von 90 Prozent an der Stromerzeugung haben, würden ebenfalls erhöht. Wenn Sie von der Senkung der sogenannten Ökosteuer sprechen - das ist der Teil der Stromsteuer, der damals erhöht wurde -, dann müssen Sie den Menschen auch sagen, dass dieser Teil vollständig als Zuschuss für die Rentenversicherung verwendet wird. Das heißt, nach dem FDP-Vorschlag würde dieser Zuschuss gekürzt werden. ({7}) Das hat zur Folge: niedrigere Nettolöhne aufgrund höherer Beiträge und niedrigere Renten. Sie haben heute also den Antrag vorgelegt, die Renten in Deutschland zu senken und die Rentenbeiträge zu erhöhen. ({8}) Das ist Inhalt des Antrags der FDP, der heute auf dem Tisch liegt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kelber, es gibt nun die Bitte des Kollegen Dr. Kolb um eine Zwischenfrage.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, bitte.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kelber, wären Sie erstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ökosteuer eine Steuer und keine Abgabe ist und deswegen nicht zweckgebunden im Bundeshaushalt verwendet werden kann? Wären Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich die bei der Verabschiedung der Ökosteuer erweckten Erwartungen, dass es zu einer deutlichen Absenkung des Rentenbeitrags kommt, nie erfüllt haben und dass sich zu keinem Zeitpunkt eine Entwicklung in die gewünschte Richtung ergeben hat? Eigentlich müssten wir heute bei einem Rentenbeitrag von deutlich unter 19 Prozent liegen, wenn es mit der Ökosteuer so funktioniert hätte, wie es damals in der Begründung beschrieben wurde. Wären Sie drittens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass in den letzten fünf Jahren der Bundeshaushalt vom Aufschwung mit Steuermehreinnahmen in Höhe von 110 Milliarden Euro profitiert hat und dass deswegen genügend Geld vorhanden ist? Die Frage ist nur, wofür man dieses Geld ausgibt. Sind Sie viertens nicht auch der Meinung, dass man zumindest den Rentnerhaushalten, die aufgrund Ihrer Politik - Sie stehen jetzt zehn Jahre in der Regierungsverantwortung - wiederholt reale Kaufkraftverluste zu erleiden hatten, helfen müsste, indem man ihnen bei den Energiekosten eine gezielte Entlastung zuteil werden lässt? Sind Sie mit Ihrer Politik nicht vollkommen falsch aufgestellt, und müssten Sie jetzt nicht anfangen, einen Kurswechsel einzuleiten, indem Sie den FDP-Anträgen zustimmen? ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lassen Sie mich einmal raten: Sie sind Jurist, oder? ({0}) Diesen Eindruck erwecken Sie nämlich mit Ihrer formalen Argumentation, es sei keine Abgabe, sondern eine Steuer. Wenn Sie eine bestimmte Summe bei einer Steuer einnehmen und genau diese Summe als Zuschuss an die Rentenversicherung geben, dann haben Sie politisch die Zweckbindung dieser Steuer erreicht. ({1}) Sie können das im Haushalt schwarz auf weiß nachlesen. Wenn Sie den Zuschuss senken wollen, dann wollen Sie die Rente senken. Ansonsten müssten Sie darlegen, aus welchem Topf Sie die Differenz bezahlen wollen. Aber bisher sprechen Sie nur von einer Senkung des Zuschusses, das heißt also weniger Rente und höhere Beiträge. Sie können nicht drum herumreden: Sie wollen die Renten senken und die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen. Das muss festgehalten werden. ({2}) Ich habe davon gesprochen, dass die meisten Experten sagen, eine Senkung würde nichts bringen, weil diese sofort zu Preissteigerungen durch die Energieversorger führen würde. Nehmen wir aber einmal an, die FDP hätte recht, ({3}) dass Steuersenkungen dazu führen, dass Benzin, Gas und Strom billiger werden. Dann wäre es aber für Deutschland gut gewesen, wenn es die FDP in der Regierung nie gegeben hätte. Dann würde nämlich der Liter Benzin in diesem Land 80 Cent kosten. Ich habe mir einmal eine Liste mit Mineralölsteuererhöhungen in Deutschland ausdrucken lassen. ({4}) Diese Steuer wurde 1950 mit Zustimmung der FDP eingeführt. ({5}) 1951, 1953, 1955, 1960, 1964 haben Sie sie erhöht. 1967 waren Sie an der Erhöhung nicht beteiligt, weil sie zu dieser Zeit nicht an der Regierung waren. 1972, 1973, 1981, 1985, 1986, 1987, 1988, 1989, zweimal 1991, 1993 und 1994 haben Sie die Mineralölsteuer erhöht. ({6}) 80 Prozent der heutigen Mineralölsteuer gehen zurück auf Erhöhungen, die mit FDP-Stimmen beschlossen wurden. Das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen. ({7}) Immer wenn Sie an der Regierung sind, erhöhen Sie die Steuern, und wenn Sie in der Opposition sind, dann versuchen Sie das Etikett „Steuersenkungspartei“ zu bekommen. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, und es ist für jeden durchschaubar. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der objektive Betrachter dieser Bundestagsdebatten ({0}) wird sich heute verwundert die Augen reiben. Meist debattieren wir in diesem Hohen Hause neue Regelungen und Gesetze, die zur Folge haben, dass die Energiepreise steigen. Heute beschweren sich zwei Fraktionen über die Frage, warum die Energiepreise so hoch sind. Es ist von Sozialtarifen die Rede. Im Antrag der Kommunisten dieses Hauses heißt es, ({1}) dass die Geringverdiener entlastet werden sollen. Beim Lesen dieses Antrags habe ich mir die Frage gestellt: Wer ist denn da gemeint? Die Leute, die Grundsicherung erhalten, und die Leute, die Arbeitslosengeld II erhalten, werden wohl nicht gemeint sein. Denn in beiden Fällen - sowohl bei der Grundsicherung als auch beim Arbeitslosengeld II - sind die Heizkosten im Rahmen der Mietabrechnung hinzuzurechnen und werden von der öffentlichen Hand erstattet. Ähnliches gilt für die neue Wohngeldregelung: Diejenigen, die aus der Grundsicherung herausfallen und kein Arbeitslosengeld II bekommen, können die Heizkosten in Anrechnung bringen. Diese können Sie also auch nicht meinen. Wen meinen Sie denn dann? Sie meinen wahrscheinlich diejenigen, die relativ gut verdienen, eine große Familie haben und eine große Wohnung haben müssen. Diejenigen, die eine größere Familie haben, werden bei uns weitgehend über das Steuerrecht entlastet. Wenn es nach der CSU geht, dann wird im neuen Steuerrecht der Freibetrag pro Person einer Familie auf 8 000 Euro erhöht. Das würde bedeuten, dass bis zu 32 000 Euro des Einkommens einer vierköpfigen Familie steuerfrei bleiben. Das ist Sozialpolitik, und dem gehen wir nach. ({2}) Lassen Sie mich bitte ein paar Dinge richtigstellen, damit wieder einigermaßen Sachlichkeit in die Debatte einkehrt. Es wurde vorhin behauptet, dass sich der Strompreis an der Börse in Leipzig bildet. Das stimmt aber nur zum Teil. Wir alle wissen, dass in Leipzig nur ein geringer Teil des Strompreises ermittelt wird. Der Preis für den weitaus größeren Teil des Stroms, der in Deutschland gehandelt wird, wird auf dem Markt frei vereinbart. Es ist es sehr wohl von größter Bedeutung, wie im Stromhandel die gesamten Kosten ermittelt werden. Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen, dass wir in den zurückliegenden Monaten erlebt haben, dass die Bundesnetzagentur zum ersten Mal erreicht hat, dass die Übertragungskosten für Strom reduziert wurden wenn auch gering, aber immerhin. Wir sollten diese Dinge nicht verschweigen. Vorhin wurde die Frage gestellt: Was ist denn zu tun, um die Energiekosten insgesamt wieder in einen Rahmen zu bringen, der für unsere Bürgerinnen und Bürger erträglicher ist? Ich möchte daran erinnern, dass diese Bundesregierung die Problematik des Energieeinsatzes sehr grundsätzlich und fundamental angeht. Wir haben das Marktanreizprogramm und das CO2-Minderungsprogramm aufgelegt, was natürlich zu erheblichen Einsparungen führt. Die Entkoppelung von wirtschaftlichem Wachstum und Energieverbrauch ist schon vor zehn Jahren gelungen. Das sind Fortschritte auf diesem Sektor. Ich sage das deswegen, weil sich der Energiepreis natürlich über Angebot und Nachfrage entwickelt. Wir brauchen von der linken Seite dieses Hauses überhaupt keine Nachhilfe, wenn es darum geht, wie sich die soziale Marktwirtschaft auf dem Energiesektor definiert. Ich habe mir von den Grünen über Jahre sagen lassen müssen, dass wir in Deutschland eine besonders schlechte Stromwirtschaft deswegen haben, weil wir im Strombereich extreme Überkapazitäten haben. ({3}) Die Überkapazitäten beim Strom sind weitgehend abgebaut. ({4}) In der jetzigen Situation müssten wir das Angebot eigentlich dringend erhöhen. ({5}) Wir brauchten dringend neue Player auf dem Markt. Merkwürdigerweise sind Investoren im Bereich der Stromproduktion in Deutschland aber relativ dünn gesät.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja, selbstverständlich. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass die Stromüberproduktion weitgehend abgebaut ist. Können Sie bestätigen, dass die letzte Statistik über Export und Import von Strom besagt, dass wir einen Nettoexportüberhang haben, der der Leistung von vier bis fünf Kraftwerken entspricht, wir also sehr viel mehr exportieren als importieren und wir in Deutschland nach wie vor über unsere Nachfrage hinaus Strom produzieren?

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann bestätigen, dass wir Strom exportieren. Allerdings ist das übers Jahr gerechnet marginal. ({0}) Meines Wissens exportieren wir nur 3 bis 4 Prozent des gesamten Stroms, der produziert wird. Frau Höhn, das Hauptproblem auf dem Stromsektor ist, dass wir zu wenig Produzenten haben. Vorhin wurde vorgeschlagen, die Rekommunalisierung der Stromerzeugung zu betreiben. ({1}) - Frau Höhn, ich beantworte immer noch Ihre Frage. ({2}) - Sie dürfen sitzen bleiben. - Herr Lafontaine hat vorhin gesagt, dass er eine Rekommunalisierung der Kraftwerke möchte. Lieber Herr Lafontaine, alle Stadtwerke können in Deutschland ein Kraftwerk bauen. Sie müssen es nur tun. Wenn man mit der Stromproduktion und dem Vertrieb von Strom wirklich so viel Geld verdienen kann, frage ich mich, warum die Stadt Saarbrücken nicht weitere Kraftwerke baut und betreibt. Warum haben wir denn nicht mehr Produzenten auf diesem Sektor? Diese Frage ist hochinteressant. ({3}) Wir müssen die Nachfrage nach Energie weiter begrenzen. Die Instrumente, die die Bundesregierung und die sie tragende Koalition beschlossen haben, sind richtig. Mit dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz sind wir mit Sicherheit auf dem richtigen Weg. So können Strom und Wärme weiterhin hocheffizient produziert werden. Wir sind auch insgesamt auf einem guten Weg. Eine übertriebene Preisgestaltung wird die Bundesnetzagentur, die vor kurzem aufgebaut wurde, verhindern. Ich habe das Gefühl, dass die Bundesnetzagentur relativ gut in Schwung kommt. Den Rest wird der Wettbewerb auf dem Markt regeln, wenn wir in diesem Haus die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Darum werden wir uns bemühen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort zu einer Kurzintervention erhält nun der Kollege Dr. Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Kelber, ich habe mich nach Ihrer Rede zu einer Kurzintervention gemeldet, weil das, was Sie gesagt haben, so nicht stehen bleiben kann. Sicher ist es wohlfeil, eine illustre Kette von Daten zu präsentieren und eine Verbindung zu Steuererhöhungen herzustellen. Ich will auf Folgendes hinweisen: Das Gros der Mineralölsteuererhöhungen wurde nach dem Jahr 1990 verabschiedet. Ich frage Sie: Können Sie sich noch erinnern, was damals war? Das war die Zeit der deutschen Einheit. Wir wollten die deutsche Einheit. Wir sind stolz darauf. Es war die SPD, namentlich ihr damaliger Spitzenkandidat Oskar Lafontaine, heute bei den Linken, die sich dieser Aufgabe von nationaler Bedeutung verweigert hat. ({0}) Wir wollten die deutsche Einheit und haben damals die Finanzierung ermöglicht. Dazu stehen wir auch heute noch. Ich denke, man kann das nicht aus dem Kontext herausreißen. Sie haben gesagt, dass wir die Renten senken wollten. Das ist eine Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. In keinem Abschnitt der bundesdeutschen Geschichte haben die Rentner in der Art an Kaufkraft verloren wie in den zehn Jahren SPD-Regierung, seitdem Sie an der Macht sind. ({1}) Sie haben darüber hinaus vor vier Jahren ein Gesetz für die Zukunft verabschiedet, das RentenversicherungsNachhaltigkeitsgesetz, mit dem das Niveau der Renten in Deutschland planmäßig noch einmal um 20 Prozent abgesenkt werden wird. Das sind Fakten. Das ist das Ergebnis einer SPD-Politik, die Sie mitzuverantworten haben. Hören Sie bitte auf, hier so zu tun, als wäre es die FDP, die den Rentnern in die Tasche greifen will. Das Gegenteil ist der Fall: Wir kümmern uns und haben aus diesem Grund heute unseren Antrag vorgelegt, um mindestens bei den Energiesteuern den Menschen etwas zurückzugeben und die Belastungen auszugleichen, die sie durch Sie erfahren haben. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Kelber, bitte.

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mir vorstellen, dass es weh tut, wenn man hier über die Mineralölsteuer spricht und der Redner der Regierung Ihnen nachweist, dass Sie an 80 Prozent der heutigen Mineralölsteuer bzw. an den Beschlüssen, sie zu erhöhen, beteiligt waren. ({0}) Man kann versuchen, sich in die Begründung zu flüchten, dass man das nach 1990 aufgrund bestimmter Kosten vorübergehend so gemacht hat. Aber ich habe Ihnen ja aufgezählt, an wie vielen dieser Erhöhungen - das ist die Mehrzahl - Sie außerhalb dieses Zeitraums bereits beteiligt waren. Sie haben in Ihren Regierungszeiten Spitzensteuerbelastungen in Deutschland zu verantworten. Nachdem Sie abgewählt waren, sind alle diese Steuerbelastungen auch im Bereich der Einkommensteuer gesenkt worden. ({1}) Als Sie die Regierung verließen, lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent; er ist auf 45 Prozent gesunken. Als Sie die Regierung verließen, lag der Eingangssteuersatz bei 25,9 Prozent; jetzt liegt er bei 15 Prozent. Sie sind die Steuererhöhungspartei hinsichtlich der Mineralölsteuer. Es ist unredlich, zu sagen, die 60 oder 55 Cent, die die FDP zu verantworten hat, seien gute Mineralölsteuererhöhungen gewesen und der kleine Rest, den die anderen gemacht haben, sei böse und zocke die Bürger ab. Das glaubt Ihnen doch niemand! ({2}) Zur Rente. Sie sprechen hier vom Nachhaltigkeitsfaktor, den wir eingeführt haben. Ich weiß nicht, ob Sie damals schon Mitglied des Bundestages waren. Der Nachhaltigkeitsfaktor hat den Demografiefaktor der FDP-Regierung ersetzt, der selbst bei den Kleinstrenten hineingeschnitten und sie unter Sozialhilfeniveau gedrückt hätte, und das ohne eine Grundsicherung im Alter, die es heute gibt. Sie oder zumindest Ihre Partei waren da in der Regierung. ({3}) Sie wollen die Steuern kürzen, mit denen wir heute einen großen Zuschuss zur Rentenversicherung zahlen. Zum ersten Mal in der Geschichte nehmen wir nicht Geld aus der Rentenversicherung für versicherungsfremde Leistungen heraus, sondern geben einen Steuerzuschuss hinein. Wenn Sie diese Steuer wegnehmen, dann nehmen Sie den Zuschuss weg. Das heißt, die Rentenbeiträge steigen. Wenn die Rentenbeiträge steigen, sinken die Renten. Das ist der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben. ({4}) Sie können ihn nicht verleugnen. ({5}) Sie waren damals, als Sie das gemacht haben, sogar Staatssekretär. Unglaublich!

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt darf ich Sie noch um Aufmerksamkeit für die beiden letzten Redner in dieser Debatte bitten. Zunächst hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Michael Müller. ({0})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein großes Nachrichtenmagazin hat diese Woche geschrieben: Die Debatte über die Energiepreiserhöhungen - über die Energiepreisexplosion muss man eigentlich sagen wird wahrscheinlich die Debatte der großen Vereinfacher. Leider hat das Blatt, wenn man einige der Beiträge hier hört, recht. Es ist in der Tat ein viel tiefer gehender Bruch, der sich im Augenblick vollzieht. Denn wir müssen begreifen: 150 Jahre lang waren billige Energie und billige Rohstoffe das Schmiermittel für Beschäftigung und Wohlstand. Jetzt ist diese Phase vorbei. Ich finde, da kann man nicht über Pflaster auf den Wunden diskutieren, sondern muss über die Ursachen und den Umbau reden. Das ist die eigentlich Herausforderung, die es jetzt gilt, zu bewerkstelligen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe zwar noch nicht viel gesagt, aber er kann, wenn er seine vorgefertigte Frage loswerden will, gerne fragen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr, Herr Kollege Fell.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Müller, Sie haben gerade gesagt, dass wir begreifen müssen, dass die Phase der billigen Energien vorbei ist und dass wir einen Umbruch in der Gesellschaft haben. Sie sprechen ja für die Bundesregierung. Deshalb frage ich Sie, ob Sie hierzu eine andere Meinung haben als die Bundesregierung insgesamt. Vor wenigen Wochen, am 28. Mai dieses Jahres, habe ich die Bundesregierung gefragt, von welchen Ölpreisprognosen sie ausgeht. Wir erinnern uns: An diesem Tag ist der Ölpreis auf über 135 Dollar pro Barrel hochgeschossen. Die Antwort der Bundesregierung auf meine Frage war, sie gehe für 2010 und 2020 von einem realen Ölpreis von etwa 53 bzw. 49 Dollar pro Barrel aus. Das sind absurde, weltfremde Annahmen, die nicht einmal mit der heutigen Realität übereinstimmen! Es kommt noch viel schlimmer: Sie sagten, dass sich diese Situation gerade weltweit verändert. Mir hat die Bundesregierung geantwortet, sie halte die weltweiten Ölreserven zur Deckung des projizierten Nachfragewachstums bis 2030 für ausreichend. Ich frage Sie: Kennt die Bundesregierung nicht die wissenschaftlichen Ergebnisse, die völlig andere Prognosen beinhalten? Warum nimmt die Bundesregierung die Probleme nicht wahr? Warum berufen Sie sich lediglich auf die Internationale Energieagentur in Paris, die noch im Jahre 2004 für 2008 einen Ölpreis von 22 Dollar pro Barrel prognostiziert hat? Heute beträgt er übrigens 140 Dollar pro Barrel. Angesichts der Antworten, die mir die Bundesregierung noch vor wenigen Tagen gegeben hat, frage ich mich: Wie absurd ist eigentlich die Betrachtungsweise der Bundesregierung? ({0})

Michael Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001561, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Kollege Fell, manche Fragen sollte man lieber nicht stellen. ({0}) Beispielsweise gibt es auch eine Aussage der Bundesregierung aus dem Jahre 2000 - damals war Jürgen Trittin Umweltminister -, in der es heißt, dass der Ölpreis nicht auf mehr als 35 Dollar steigen wird. ({1}) Seien Sie also bitte vorsichtig und zurückhaltend. Lassen Sie uns über die Fakten reden. Es gibt immer Punkte, in denen ich anderer Meinung bin als andere. Es wird auch in der Bundesregierung nie eine einheitliche Meinung geben. Ich möchte es einmal so auf den Punkt bringen: Kein Mitglied der Bundesregierung ist angesichts der steigenden Energie- und Rohstoffpreise nicht in Sorge. ({2}) Angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas sollten wir die parteitaktischen Spielchen lassen. Das bringt doch nichts. ({3}) Das bringt uns übrigens genauso wenig wie der Beitrag von Oskar Lafontaine, der sich permanent auf Willy Brandt beruft. Willy Brandt hat einmal gesagt: Erfolgreiche Politik setzt voraus, dass man auf der Höhe der Zeit ist. - Oskar Lafontaine ist aber nicht auf der Höhe der Zeit. ({4}) Er hat in seiner Rede nicht einmal über das Thema Ökologie geredet. Er hat nur über die Folgen geredet, nicht ein einziges Mal über die Ursachen. Er ist ein Politiker, der noch an die alte Philosophie eines grenzenlosen Wachstums glaubt. Sonst könnte er seine Positionen so überhaupt nicht vertreten. ({5}) Er ist von gestern, und das wird er auch bleiben; denn er ist nicht lernfähig. ({6}) Lassen Sie uns auf die Punkte zurückkommen, die heute relevant sind. Zu Beginn dieses Jahres betrug der Ölpreis pro Barrel an der New Yorker Börse 100 Dollar; jetzt sind es 139 Dollar. Vor dem Irak-Krieg lag der Ölpreis in 2003 übrigens bei 28 US-Dollar pro Barrel. Daran sieht man, dass er explosionsartig gestiegen ist. Hinzu kommt, dass das nicht nur bei Gas und Öl ein Problem ist. Bei fast jedem Rohstoff kam es zu exorbitanten Preiserhöhungen. Ich will nur drei Beispiele nennen: Der Preis für Kokskohle hat sich innerhalb eines Jahres von 98 auf 300 Dollar erhöht, der Preis für Eisenerz ist um 90 Prozent gestiegen und der für Feinerz um 68 Prozent. Ich kenne keinen wichtigen Rohstoff, dessen Preis sich seit dem Jahre 2000 nicht mindestens verdreifacht hat. Daraus muss man Schlussfolgerungen ziehen. Und das ist ein gewaltiges Umverteilungsprogramm; auch das sehen wir mit Sorge. Herr Meyer, Sie haben völlig recht: Von diesen Preiserhöhungen sind alle Menschen in der Gesellschaft betroffen. Aber natürlich gibt es manche, die davon überdurchschnittlich betroffen sind; darauf müssen wir reagieren. Nach einer Studie aus Nordrhein-Westfalen werden die unteren 20 Prozent der Bevölkerung durch die Erhöhung der Energiepreise mit 8,2 Prozent belastet - das ist der Anteil der Energiekosten an ihren durchschnittlichen Haushaltsausgaben -, bei den oberen 20 Prozent sind es nur 2,4 Prozent. Michael Müller ({7}) Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass hier eine gewaltige Umverteilung stattfindet. Darauf darf man nicht nur mit wenigen kleinen Korrekturen reagieren, sondern man braucht eine Strategie, die lautet: Der viel zu hohe Energieverbrauch muss massiv reduziert werden, und man muss in erneuerbare Energien umsteuern, um eine ökologische Orientierung unserer Wirtschaft herbeizuführen. Wir haben keine andere Chance. ({8}) Das eigentliche Problem ist, dass wir über das, was heute passiert, schon seit 30 Jahren Bescheid wissen, dass wir in den letzten 30 Jahren aber zu wenig getan haben. Das ist das eigentliche Problem, darüber müssen wir reden. Ich sage das auch mit Blick auf die FDP, die häufig genug den Wirtschaftsminister gestellt hat. ({9}) Zum hochgelobten Frankreich will ich nur sagen: Bei der Energieeffizienz liegt Frankreich weit hinter Deutschland, bei den erneuerbaren Energien erst recht. Woran liegt das? Frankreich hält an Strukturen fest, die nicht zukunftsfähig sind. ({10}) Frankreich hat zehnmal so viel Küste wie Deutschland, wäre ein ideales Land für Windenergie. Frankreich gewinnt aber nur ein Zehntel so viel Windenergie wie Deutschland. Warum? Weil Windräder die nicht abgeschriebenen Atomkraftwerke stören, die sich nur rechnen, wenn viel Energie verbraucht wird. Man will keine Konkurrenz; das ist der eigentliche Grund. ({11}) Das Wichtigste, was wir erreicht haben, ist, dass wir in Deutschland den Markt für erneuerbare Energien geöffnet haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der Vergangenheit noch mehr für die Energieeffizienz getan hätten. Nun muss das nachgeholt werden. Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen, die ich mit Sorge sehe. Herr Kurth, ich hätte es gut gefunden, wenn Sie einmal selbstkritisch eingestanden hätten: Wir Grüne haben bei der Ökosteuer das Prinzip der Aufkommensneutralität vertreten. - Sie haben das damals mit aller Härte durchgesetzt, obwohl sich ein nicht unerheblicher Teil des Bundestages dafür ausgesprochen hat, einen Teil des Aufkommens zur Stabilisierung des öffentlichen Nahverkehrs zu verwenden. Das wäre auch unter sozialen Gesichtspunkten richtig gewesen. Ich will auch nicht verhehlen: Unter Jürgen Trittin ist das Thema Energieeffizienz nicht mit der Priorität behandelt worden, die es verdient gehabt hätte. ({12}) - Ich sage ja: Wir alle sollten nicht selbstgerecht argumentieren. Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind groß. Die Veränderungen treffen unseren Wohlstand, sie werden sich auf die Weltwirtschaft auswirken, sie werden sich auf die Beschäftigung auswirken. Wir brauchten die gesamte Kreativität dieses Hauses, um neue Wege zu finden, die zu Wohlstand und Beschäftigung führen. ({13}) - Herr Kauder, ich bin sicher, dass Sie diesen Weg mitgehen werden. ({14}) Wir haben eine Chance, wenn die Bundesrepublik zum energie- und ressourceneffizientesten Land der Welt wird. Diese Vision sollten wir gemeinsam verwirklichen. ({15})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer heutzutage die Tankrechnung präsentiert bekommt, sagt sich häufig: Eigentlich wollte ich die Tankstelle nicht mitkaufen. ({0}) Die Nachzahlungen bei Strom und Gas bringen in vielen Haushalten das Budget aus dem Lot. Die jährliche Belastung eines durchschnittlichen dreiköpfigen Haushaltes stieg von 2000 bis heute von 1 300 Euro auf 2 200 Euro im Jahr. Nach Auskunft des Bundes der Energieverbraucher wird jährlich circa 800 000 Haushalten Strom bzw. Gas abgestellt. Hätte ein Wirtschaftsexperte vor zwei Jahren die aktuellen Energiepreise vorauszusagen gewagt, wäre er für verrückt erklärt worden. Ein Zusammenbruch der Weltwirtschaft wäre prognostiziert worden. Die Weltwirtschaft ist nicht zusammengebrochen; aber sie ächzt vernehmlich unter den Preisen. Zur weiteren Entwicklung der Preise haben die Kollegen bereits einiges gesagt. Ich will mich dem anschließen: Es ist naiv zu glauben, dass Energie wieder so billig wird wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen weiter steigende Energiepreise einkalkulieren. Was ist zu tun? Die FDP schlägt mit ihrem Antrag vor, die Energiesteuern zu senken. Ein toller Vorschlag, liebe Frau Kopp! Die Energiekonzerne würden sich freuen: Sie würden die Steuerersparnis dankend als Subvention vereinnahmen. Nach kürzester Zeit hätten wir wieder das alte Preisniveau. Wollen Sie die Steuern dann erneut senken? Die Preise würden abermals steigen. Irgendwann können Sie die Steuern nicht mehr senken. Was machen Sie dann? ({1}) Das wäre radikale Umverteilung zulasten der Verbraucher, zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Für uns Sozialdemokraten stehen nicht die Interessen der Energiekonzerne, sondern die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Vordergrund. Nun kommt die Linke mit einem Antrag. Sie wollen die Energieversorgungsunternehmen verpflichten, für Haushalte mit geringem Einkommen Sozialtarife einzuführen, die mindestens 50 Prozent unter dem günstigsten Tarif liegen. Das soll hier jetzt gesetzlich beschlossen werden. Ich sage: Genau das will die SPD-Fraktion nicht. Das wäre zum einen ein Freifahrtschein für Energieverschwendung. Zum anderen wäre das der sichere ökonomische Tod unserer Stadtwerke und damit ein sicherer Weg zu einer weiteren Marktkonzentration sowie zu größerer Marktmacht von wenigen EVUs mit dem Ergebnis zusätzlich steigender Preise. ({2}) Nein, das ist ein Populismuswahn. In diesem Populismuswahn verzapft die Linke den größten anzunehmenden Unfug. ({3}) Die Annahme Ihres Antrags würde ein Vernichtungsprogramm für kommunale Stadtwerke bedeuten; denn als Grundversorger bedienen sie häufig und in ganz starkem Maße einkommensschwache Haushalte. Das würden viele Stadtwerke nicht überleben. Lieber Kollege Lafontaine, begeben Sie sich in Saarbrücken doch einfach einmal in Ihre Stadtwerke und reden Sie vor Ort mit den Beschäftigten. Sie würden Ihnen genau das, was ich hier gesagt habe, auch erklären. Wenden Sie sich doch einfach einmal den Menschen zu. ({4}) Ist es von einer Partei denn eigentlich zu viel verlangt, statt hier über philosophische Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft zu fabulieren, auch einmal die Konsequenzen von Forderungen zu durchdenken? Sie haben hier gesagt, Sie würden irgendeine Lösung fordern. Wir fordern nicht irgendeine Lösung, die Unsinn ist und zur Vernichtung von Wettbewerb und Arbeitsplätzen führt, sondern der richtige Weg kann nur sein, eine vernünftige Lösung zu finden. Wir Sozialdemokraten diskutieren Lösungen, die auch den Normalverdienern zugutekommen; denn die Energiepreise liegen mittlerweile auf einem Niveau, das nicht nur den Einkommensschwächsten, sondern auch den Normalverdienern in großem Umfang zu schaffen macht. ({5}) Wir wollen eine mögliche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger aber mit dem Effizienzgedanken verbinden. Deshalb diskutieren wir darüber, dass eine bestimmte Energiemenge möglicherweise zu einem geringeren Preis abgegeben werden muss. Wer darüber hinaus verbraucht, zahlt dann mehr als jetzt. Wir wollen letztendlich Schluss mit einer Tarifgestaltung machen, bei der derjenige weniger zahlt, der mehr verbraucht. Energiesparen ist der beste Weg zu niedrigeren Ausgaben. Diesen Anreiz wollen wir geben. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hill?

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Hill, bitte. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Zöllmer, ich will es Ihnen nachsehen, dass Sie unseren Antrag in seiner Komplexität nicht komplett gelesen haben und dass Sie in Ihrem Beitrag nicht auf die Umweltmechanismen und all das, was damit zusammenhängt, eingegangen sind. Daneben besteht der Antrag ja aus vier Komponenten und nicht nur aus einer. Sie sagen, die SPD denke darüber nach. Mich würde jetzt einfach interessieren, wie lange Sie denn noch nachdenken wollen und wann Sie uns das Ergebnis Ihres Nachdenkprozesses präsentieren werden; denn die einkommensschwachen Haushalte haben jetzt und nicht erst in der nächsten Legislaturperiode das Problem. ({0})

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Hill, der Unterschied zwischen uns und der Linksfraktion ist, dass wir erst nachdenken und dann mit den Betroffenen reden. Im Moment tagt zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, bei der ich eigentlich auch sein müsste und die sich mit diesem Thema beschäftigt. Verschiedene Stadtwerke und der VKU wurden eingeladen. Mit ihnen gemeinsam diskutieren wir über mögliche Modelle. Das heißt, wir machen uns erst Gedanken und gehen dann an die Öffentlichkeit. Das unterscheidet uns fundamental von der Linkspartei. ({0}) Ich habe eben deutlich gemacht, dass wir gemeinsam mit den Stadtwerken eine Lösung suchen werden; denn die Stadtwerke als Grundversorger fürchten natürlich, dass sie allein die wirtschaftlichen Konsequenzen tragen müssen. Das darf und wird nicht so sein. Wir wollen eine wettbewerbsneutrale Lösung finden, mit der den Belangen der Stadtwerke Rechnung getragen wird. Wir brauchen die kommunalen Versorger, die wir nicht schwächen, sondern stärken wollen. Wir brauchen ein soziales Ressourcenmanagement, das die Herausforderungen unserer Zeit ernst nimmt und angemessene Antworten findet. An erster Stelle steht mehr Wettbewerb im Energiesektor. Er sorgt nicht für niedrige, aber für faire Preise. Die notwendigen Maß18072 nahmen dazu sind eingeleitet worden. Die Kolleginnen und Kollegen haben das bereits ausgeführt. Ich will nicht näher darauf eingehen. Wir haben den Wettbewerb in vielen Punkten erfolgreich gestärkt. In der letzten Woche haben wir ein Programm zur Energieeinsparung und zum Klimaschutz beschlossen. Wir nehmen das Problem ernst und arbeiten in vielen Punkten daran. Wir müssen als Große Koalition zu einer vernünftigen Regelung für das soziale Ressourcenmanagement kommen. Lieber Kollege Meyer, es geht uns nicht um Subventionen - das ist ein völlig falscher Zungenschlag in der Diskussion -, sondern um eine sachgerechte und vernünftige Lösung, die den Effizienzgedanken mit dem sozialen Gedanken verbindet. Darüber sollte auch die CDU/CSU-Fraktion noch einmal nachdenken. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Zum Tagesordnungs- punkt 28 stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energie- kosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen so- fort wirksam senken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8264, den An- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7745 ab- zulehnen. Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion Die Linke namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge- sehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh- lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Wir kommen zum Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9595 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be- schlossen. Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 29 auf: - Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Ein- beziehung der selbstgenutzten Wohnimmobilie 1) Ergebnis Seite 18074 A in die geförderte Altersvorsorge ({0}) - Drucksache 16/8869 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Einbeziehung der selbstgenutzten Wohnimmobilie in die geförderte Altersvorsorge ({1}) - Drucksachen 16/9274, 16/9449 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2}) - Drucksachen 16/9641, 16/9670 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Carl-Ludwig Thiele - Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 16/9642 Berichterstattung: Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme Carsten Schneider ({4}) Otto Fricke Dr. Gesine Lötzsch Alexander Bonde Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der FDP vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPDFraktion das Wort. ({5})

Dr. Hans Ulrich Krüger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003575, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die SPD tritt für die Förderung des Altersvorsorgesparens ein. ({0}) - Gut. Mit dem heute zu beschließenden Eigenheimrentengesetz - wir sprechen allerdings lieber von WohnRiester - fügen wir das Wohneigentum als weiteren Baustein in die Riester-Rente ein. Dadurch schließen wir eine Lücke. Neben der Geldrente wird künftig auch das mietfreie Wohnen im Alter staatlich gefördert. Damit kann für viele Menschen der Traum vom Leben in den eigenen vier Wänden wahr werden. ({1}) Die Riester-Rente wird dadurch noch attraktiver und die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zum privaten Altersvorsorgesparen weiter erhöht. Dies ist trotz des bereits erreichten hohen Verbreitungsgrades der RiesterRente deshalb wichtig, weil wir damit noch mehr Erwerbstätige ermuntern und ermutigen, sich auf ihre Zukunft im Alter ausreichend vorzubereiten. Das Eigenheimrentengesetz eröffnet demjenigen, der Wohneigentum erwerben möchte, verschiedene Fördermöglichkeiten. Künftig kann das in einem Altersvorsorgevertrag angesparte Vermögen ganz oder teilweise für den Kauf einer Wohnimmobilie entnommen werden, ohne dass eine Rückzahlungsverpflichtung besteht. Alternativ kann das angesparte Vermögen zu Beginn der Auszahlungsphase zur Entschuldung genutzt werden. Außerdem werden - das ist der Clou - laufende Sparund Tilgungsleistungen auf einen Bausparvertrag oder ein Baufinanzierungsdarlehen wie Altersvorsorgebeiträge staatlich gefördert. Die SPD hat auch darauf geachtet, dass neben dem Wohneigentum auch der Erwerb von Geschäftsanteilen von Wohnungsgenossenschaften förderfähig gemacht wird; denn auch durch genossenschaftliches Wohnen lassen sich die Wohnkosten im Alter reduzieren. Wir helfen damit gerade denjenigen Personen, die eben über kein großes Eigenkapital verfügen, und bieten ihnen die Möglichkeit der Absicherung im Alter. Das begrüße ich sehr. ({2}) Wie sehr sich die Förderung lohnt, lässt sich anhand eines bereits von dieser Stelle vorgetragenen, aber mit Recht zu wiederholenden Beispiels darstellen. Unterstellen wir eine Familie mit zwei Kindern, Vater und Mutter berufstätig, mit einem Einkommen von insgesamt 50 000 Euro. Diese Familie nimmt ein Darlehen von 40 000 Euro auf. Wenn sie das Darlehen nach 20 Jahren getilgt hat, hat die Familie aus eigenen Mitteln gut 24 000 Euro beigetragen, der Staat durch Zulagen knapp 16 000 Euro. Dieses Ergebnis von Riester kann sich wahrlich sehen lassen. ({3}) Für die SPD ist und war es entscheidend, dass wir eine gleichberechtigte Integration des Wohneigentums in die Riester-Rente erreicht haben. Das heißt, die Förderung in der Ansparphase erfolgt durch die Gewährung von Zulagen und Sonderausgabenabzug, und in der Auszahlungsphase erfolgt eine nachgelagerte Besteuerung. Nur diese Gleichstellung des Wohneigentums mit anderen Vorsorgeformen ermöglicht die echte Wahlfreiheit für Bürgerinnen und Bürger. Außerdem enthält das Eigenheimrentengesetz noch eine weitere wichtige Neuerung für die Riester-Rente. Künftig können auch Personen, die eine Rente wegen vollständiger Erwerbsunfähigkeit oder eine Versorgung wegen vollständiger Dienstunfähigkeit beziehen, eine Riester-Förderung für den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge erhalten. Das heißt, wir helfen hier einem Personenkreis, der aufgrund seines Schicksals ganz bestimmten Einschränkungen unterworfen und damit auch in besonderem Maße schutzbedürftig ist. Ferner haben die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen über den Gesetzentwurf Anregungen der Sachverständigen und Verbände aus der öffentlichen Anhörung aufgenommen. Hervorzuheben sind zwei Regelungen, durch die besondere Anreize auch für junge Sparer gesetzt werden, früh zu beginnen, damit die besten Ausgangsbedingungen für eine lückenlose Altersvorsorge geschaffen werden. Zum einen sehen wir bei der Wohnungsbauprämie eine Ausnahme von der Zweckbindung für Jugendliche unter 25 Jahren vor. Zum Vergleich: Es ist sicherlich richtig, dass wir mit dem Eigenheimrentengesetz eine Zweckbindung der Wohnungsbauprämie eingeführt haben, um eine zielgerichtete Verwendung der Fördermittel sicherzustellen. Richtig ist aber auch, zur Förderung der Sparneigung der Jugendlichen eine einmalige Ausnahme für sieben Jahre zuzulassen. ({4}) Zum anderen gestalten wir den Berufseinsteigerbonus bei der Riester-Rente attraktiver. Das heißt, der Bonus wird nicht in Höhe von 100, sondern in Höhe von 200 Euro gewährt, und zwar ebenfalls allen Jugendlichen bis zum Alter von 25 Jahren. Hervorzuheben ist, dass der Verbraucherschutz bei diesem Gesetz seinen ordnungsgemäßen Rang behält und verbraucherschutzrechtliche Aspekte hinreichend berücksichtigt wurden, vor allen Dingen bei den sogenannten Kombiprodukten im Bausparbereich. Durch die verpflichtende Angabe eines Gesamteffektivzinses des Bausparkombikredits wird nunmehr dem mündigen Verbraucher klar und nachhaltig vor Augen geführt, wie teuer, billig, preisgünstig oder maßgeschneidert diese Finanzierungsform für ihn ist. Schließlich und endlich wird die Kündigungsfrist bei Bausparverträgen im Fall eines Anbieterwechsels oder einer Kapitalentnahme auf drei Monate verkürzt. Das heißt, für Bausparverträge gelten dieselben Kündigungsfristen wie für andere Anlageprodukte. Mit der Riester-Rente haben wir eine umfassende Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge geschaffen. Mit dem Eigenheimrentengesetz ergänzen wir die bisherige Alterssparproduktpalette um das selbst genutzte Wohneigentum als eigenständige Form der Alterssicherung. Die Opposition wird das sicherlich anders sehen, aber das ist ein großer Erfolg der Großen Koalition, ein Erfolg, der das harte Ringen um tragfähige Kompromisse wert gewesen ist. Ich bedanke mich daher ausdrücklich bei den Berichterstatterkollegen der Union und den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums, die mit uns kompetent und vertrauensvoll zusammengearbeitet haben. Ich danke Ihnen. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, komme ich auf den Tagesordnungspunkt 28 zurück und gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen sofort wirksam senken“ bekannt: Abgegebene Stimmen 507. Mit Ja haben gestimmt 461, mit Nein 46. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 507; davon ja: 461 nein: 46 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Peter Altmaier Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Günter Baumann Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Clemens Binninger Renate Blank Peter Bleser Antje Blumenthal Wolfgang Börnsen ({1}) Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Thomas Dörflinger Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Anke Eymer ({2}) Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer ({3}) Dirk Fischer ({4}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({5}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Hans-Joachim Fuchtel Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Holger Haibach Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Ernst Hinsken Peter Hintze Christian Hirte Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Andreas Jung ({6}) Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({7}) Volker Kauder Eckart von Klaeden Jürgen Klimke Julia Klöckner Jens Koeppen Kristina Köhler ({8}) Manfred Kolbe Norbert Königshofen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Dr. Martina Krogmann Dr. Hermann Kues Dr. Karl Lamers ({9}) Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Ingbert Liebing Dr. Klaus W. Lippold Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({10}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Laurenz Meyer ({11}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Marlene Mortler Carsten Müller ({12}) Stefan Müller ({13}) Dr. Gerd Müller Hildegard Müller Bernd Neumann ({14}) Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Katherina Reiche ({15}) Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({16}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({17}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Annette Schavan Karl Schiewerling Norbert Schindler Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Ingo Schmitt ({18}) Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Ole Schröder Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Kurt Segner Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({19}) Lena Strothmann Michael Stübgen Hans Peter Thul Antje Tillmann Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({20}) Gerald Weiß ({21}) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Anette Widmann-Mauz Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({22}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Gregor Amann Rainer Arnold Ernst Bahr ({23}) Doris Barnett Dr. Hans-Peter Bartels Klaus Barthel Sabine Bätzing Dr. Axel Berg Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({24}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({25}) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Edelgard Bulmahn Marco Bülow Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Karin Evers-Meyer Annette Faße Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Peter Friedrich Iris Gleicke Renate Gradistanac Angelika Graf ({26}) Dieter Grasedieck Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({27}) Hubertus Heil Dr. Reinhold Hemker Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({28}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({29}) Frank Hofmann ({30}) Eike Hovermann Klaas Hübner Lothar Ibrügger Johannes Jung ({31}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Dr. h. c. Susanne Kastner Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Volker Kröning Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Helga Kühn-Mengel Ute Kumpf Christine Lambrecht Christian Lange ({32}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Dirk Manzewski Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Petra Merkel ({33}) Ulrike Merten Detlef Müller ({34}) Michael Müller ({35}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Johannes Pflug Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Gerold Reichenbach Dr. Carola Reimann Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix René Röspel Dr. Ernst Dieter Rossmann Michael Roth ({36}) Ortwin Runde Marlene Rupprecht ({37}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({38}) Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Silvia Schmidt ({39}) Renate Schmidt ({40}) Dr. Frank Schmidt Heinz Schmitt ({41}) Carsten Schneider ({42}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({43}) Swen Schulz ({44}) Ewald Schurer Frank Schwabe Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Dr. Rainer Tabillion Jörg Tauss Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({45}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({46}) Heidi Wright Uta Zapf Brigitte Zypries FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({47}) Uwe Barth Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Mechthild Dyckmans Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({48}) Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Joachim Günther ({49}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Michael Kauch Hellmut Königshaus Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Michael Link ({50}) Markus Löning Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Jan Mücke Detlef Parr Cornelia Pieper Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Hartfrid Wolff ({51}) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Volker Beck ({52}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Ekin Deligöz Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Hans Josef Fell Kai Gehring Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Dr. Anton Hofreiter Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({53}) Monika Lazar Nicole Maisch Kerstin Müller ({54}) Winfried Nachtwei Omid Nouripour Brigitte Pothmer Claudia Roth ({55}) Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Rainder Steenblock Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Josef Philip Winkler Nein DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Lutz Heilmann Cornelia Hirsch Inge Höger Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Monika Knoche Katrin Kunert Michael Leutert Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Dorothée Menzner Kornelia Möller Kersten Naumann Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({56}) Volker Schneider ({57}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Dr. Petra Sitte Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Alexander Ulrich Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann fraktionslose Abgeordnete Henry Nitzsche Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile das Wort dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion. ({58})

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade an dem Wortbeitrag des Kollegen Krüger gesehen, wie weit die Einigkeit in der Großen Koalition geht. Wir debattieren heute in zweiter und dritter Beratung über den Entwurf eines Eigenheimrentengesetzes, welches vom Kollegen Krüger permanent als Eigenheim-Riester-Gesetz bezeichnet wurde. Wenn sich die Große Koalition noch nicht einmal über die Überschrift eines Gesetzes einig ist, dann zeigt das, wie es um den Zustand in der Großen Koalition tatsächlich bestellt ist. ({0}) Es gibt keine kraftvollen Reformen mehr. Die Wirklichkeit sind Stillstand, Selbstbeschäftigung und Formelkompromisse. Das erleben wir auch bei diesem Gesetz. Mit dem Eigenheimrentengesetz wird der Eindruck erweckt, als würde damit der Weg zu mehr Wohneigentum in Deutschland geebnet. Aber dieses Gesetz kann überhaupt nicht die fortgefallene Eigenheimzulage kompensieren. Es ist unzureichend, ungenügend und ungeeignet, mehr Wohneigentum in nennenswertem Umfang in Deutschland zu schaffen. ({1}) Damit ignoriert die Große Koalition leider den Wunsch von 85 Prozent der Bevölkerung, die das Ziel haben, in den eigenen vier Wänden leben zu können. Das hier vorgelegte Eigenheimrentengesetz wird nicht zu einer nennenswerten Erhöhung der Wohneigentumsquote beitragen können. Das Fördervolumen von nur 20 Millionen Euro im ersten Jahr ist viel zu gering. Hinzu kommt die Tatsache, dass das Gesetz seine volle Wirkung erst nach 25 Jahren erreichen wird. Zudem - darauf hat auch mein Kollege Schäffler immer wieder hingewiesen - ist das Gesetz ein bürokratisches Monster. Es führt zu einem fiktiv geführten Kapitalanlagekonto, welches die Bürger überhaupt nicht verstehen können. ({2}) Wir unterhalten uns auf der einen Seite über Bürokratieabbau und Steuerreformen, aber alleine bei diesem Gesetz müssen wir feststellen, dass die Große Koalition 13 Paragrafen des Einkommensteuergesetzes ändert. Etwa 2 000 Wörter werden in das Einkommensteuergesetz eingefügt bzw. geändert. Allein die beiden neuen Paragrafen 92 a und 92 b enthalten 1 181 Wörter. ({3}) Wer von dieser Koalition noch einmal das Wort „Bürokratieabbau“ in den Mund nimmt, der redet anders, als er handelt. ({4}) - Ich kann das erklären: Mit dem Computer geht das inzwischen, aber dazu muss man natürlich gewisse Grundkenntnisse haben. ({5}) - Wenn ich gefragt werde, wie das geht, dann kann ich das nachher gern erklären. Grundsätzlich halten wir für richtig, dass das Wohneigentum gefördert wird. Aber die größte Schwachstelle dieses Gesetzentwurfs liegt in der Problematik der nachgelagerten Besteuerung. ({6}) Im Zusammenhang mit den anderen Gesetzen, die geschaffen werden, um Kapital zu bilden, erhält man im Alter Kapitalzuflüsse. Wenn Zuflüsse erfolgen, kann man eine Steuer auf diese erheben, und die Steuer kann aus dem Kapitalzufluss bestritten werden. Das ist beim Eigenheimrentengesetz komplett anders, weil zum Zeitpunkt der Besteuerung, im Alter, überhaupt kein Geld fließt. Es wird eine fiktive Einnahme unterstellt, die in Wirklichkeit nicht erzielt wird. Wenn dieses fiktive Einkommen einer Besteuerung unterzogen wird, dann kann das dazu führen, dass jemand im Jahr der Fälligkeit aufgrund der Steuerlast nur noch ein Einkommen unterhalb seines Existenzminimums erhält. Das halte ich für verfassungswidrig. Entsprechende Fragen dazu sind bislang nicht überzeugend beantwortet worden. ({7}) Deshalb haben wir als FDP in den Beratungen vorgeschlagen, im Rahmen des Eigenheimrentengesetzes von der nachgelagerten Besteuerung abzusehen. Die Besteuerung sollte durch eine niedrigere Förderung in der Ansparphase ersetzt werden. Dann kann man von der Besteuerung zum Zeitpunkt des Zuflusses, also im Alter, absehen. Die Förderung wäre einfach und transparent, und es könnte auf das bürokratische Monster eines fiktiven Kapitalanlagekontos verzichtet werden. Die Akzeptanz in der Bevölkerung würde steigen, weil man dann tatsächlich wüsste, was man erwirbt und wie sich das über die ersten Jahre entwickelt. ({8}) - Auch die Grünen unterstützen dies. - Bei der Annahme einer solchen Regelung könnte man den Umfang dieses Gesetzes um mehr als die Hälfte, wenn nicht sogar um zwei Drittel eindampfen. Das wäre ein wirklicher Bürokratieabbau. Wohneigentum ist ein Eckpfeiler der liberalen Gesellschaftsordnung. Wohneigentum verschafft den Bürgerinnen und Bürgern Freiheit und Unabhängigkeit im privaten Bereich. Die Bürger müssen zwar auf Konsum verzichten, aber dafür erwerben sie Eigentum, und damit erwerben sie Sicherheit. Zudem ist Wohneigentum ein wesentliches Element der Altersvorsorge. Im Durchschnitt vermeiden Rentnerhaushalte, die über selbstgenutztes Eigentum verfügen, 500 Euro Kaltmiete im Monat. Das macht sich im Alter bemerkbar. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass Umfragen zufolge 85 Prozent der Deutschen eigenen Wohnraum als eine ideale und erstrebenswerte Altersvorsorge betrachten. Als FDP setzen wir uns schon seit Jahren für mehr Teilhabe der Bevölkerung an den Werten unseres Landes ein. Deshalb ist es gelungen, in den Jahren von 1992 bis 2003 die Wohneigentumsquote von 39 auf 43 Prozent zu steigern. In den neuen Bundesländern - das war wegen ihres Hintergrunds aus der Zeit vor der deutschen Einheit besonders wichtig - ist die Wohneigentumsquote sogar um 30 Prozent gestiegen. 1,5 Millionen Haushalte haben zusätzlich Eigentum erwerben können. Bei einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,2 Personen pro Haushalt wohnen jetzt 3,3 Millionen mehr Menschen in selbstgenutztem Eigentum. Das halten wir für den richtigen Weg, und dieser Weg sollte weitergegangen werden. ({9}) Aber wir Deutschen bilden bei der Wohneigentumsquote im europäischen Vergleich nahezu das Schlusslicht. In Spanien wohnen 86 Prozent der Bevölkerung in den eigenen vier Wänden, in Irland 83 Prozent, in Großbritannien sind es 70 Prozent, in Österreich 57 Prozent und in Frankreich immerhin 56 Prozent. Der Trend zur Steigerung der Wohneigentumsquote in unserem Land darf nach Auffassung der FDP nicht abbrechen. Deshalb ist es beängstigend - auch für die Wirtschaft -, dass in diesem Jahr die Zahl der Baugenehmigungen unter 200 000 liegt. Das ist nicht gut für die Wirtschaft unseres Landes. Das ist auch nicht gut mit Blick auf die Möglichkeiten, Eigentum zu erwerben. ({10}) Wir brauchen allerdings Ansparvorgänge. Amerika erlebt gerade, was passiert, wenn privates Wohneigentum ohne Eigenkapital finanziert werden soll. Die Folge ist die Subprime-Krise. Es ist gut, dass in Deutschland etwa 30 Prozent Eigenkapital vorhanden sind, wenn Wohneigentum erworben wird. Dieser Weg muss gestärkt werden. Deshalb halten wir die Einschränkung der Bausparförderung an dieser Stelle nicht für geeignet, wenn in unserem Lande mehr Wohneigentum erworben werden soll. ({11}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Forderung nach einer vereinfachten Förderung beinhaltet. Wir wünschen uns, dass dieser Antrag eine breite Zustimmung - der anderen Oppositionsfraktionen, aber möglicherweise auch der Union oder Einzelner in der Union - findet. Denn ursprünglich hat die Union dieses Modell selbst einmal vertreten. Und es darf ja wohl nicht sein, dass die Argumentation der CDU/CSU ausschließlich der Logik von Karl Valentin folgt, der einmal gesagt hat: „Mögen hätten wir schon wollen, doch dürfen haben wir uns nicht getraut.“ Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Union, geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie doch auch einmal Vorschlägen zu, die Sie in der Sache für richtig halten. Denn so, wie dieses Gesetz angelegt ist, wird es nicht dafür sorgen, dass in Deutschland nennenswert mehr Wohneigentum geschaffen wird und Bürokratie in Deutschland endlich abgebaut wird. Herzlichen Dank. ({12})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der nächste Redner ist der Kollege Eduard Oswald für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Eduard Oswald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001663, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, lieber Kollege Carl-Ludwig Thiele, so ist das mit der Koalition. Eine Koalition setzt immer Kompromisse voraus. ({0}) Wir als Union haben natürlich viele Zugeständnisse gemacht, um zu einer Lösung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Bürgerinnen und Bürger zu kommen. Ich räume ein, es ist nicht so einfach gewesen, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt habe. Aber mit dem Eigenheimrentengesetz setzt die Große Koalition ein Signal für mehr Wohneigentum. Wir sind überzeugt, dass die Wohneigentumsbildung mit diesem Gesetz kräftigen Rückenwind erhält. Mit diesem Gesetz zeigen wir auch politische Handlungsfähigkeit. Wir schaffen zumindest im Ansatz einen Ersatz für die Eigenheimzulage, die aus Gründen der Haushaltskonsolidierung Ende 2006 auslaufen musste. Familien und jungen Menschen, die sich ein Haus oder eine Wohnung zulegen wollen, geben wir mit diesem Gesetz eine neue Unterstützung an die Seite. Eine aktuelle Umfrage hat erst wieder bestätigt, dass 61 Prozent der Deutschen eine eigene Wohnimmobilie für die beste Altersvorsorge halten. Diesem eindeutigen Votum der Bevölkerung wird nun Rechnung getragen. Mit diesem Gesetz wird auch bestätigt, dass das Bausparen als millionenfach bewährter Weg zur Bildung von Eigenkapital und zur sicheren zinsgünstigen Wohnungsbaufinanzierung einen ganz wesentlichen Beitrag zur Altersvorsorge mit Wohneigentum leistet. ({1}) Angespartes Riester-Vermögen kann zukünftig vollständig und ohne Rückzahlungsverpflichtung für den Erwerb einer Immobilie genutzt werden. Kollege Krüger hat auf diese Punkte im Detail hingewiesen. Die Tilgungsleistungen für Darlehen zum Erwerb oder zum Bau selbstgenutzten Wohneigentums werden wie Sparleistungen bei geförderten Altersvorsorgeverträgen bewertet und gefördert. Die jährliche staatliche Förderung kann zur zusätzlichen Darlehenstilgung genutzt werden. Die Grundzulage beträgt jährlich 154 Euro, die Kinderzulage 185 Euro pro Kind. Für 2008 oder später geborene Kinder gibt es eine erhöhte Zulage von 300 Euro pro Jahr. Zugleich erhöhen wir den im Gesetz vorgesehenen Berufseinsteigerbonus von 100 Euro auf 200 Euro und das Auszahlungshöchstalter vom 21. auf das 25. Lebensjahr. Somit können Studenten ebenso wie nicht studierende junge Menschen in der Berufsausbildung in den Genuss der Förderung kommen. Im Kern geht es darum, dass Spar- und Tilgungsleistungen für selbstgenutztes Wohneigentum die gleiche steuerliche Förderung erhalten wie die bestehenden Riester-Produkte, also Rentenversicherungen, Bank- und Fondssparverträge, mit denen Geldvermögen für eine zusätzliche Rente im Alter gebildet wird. ({2}) Das geförderte Kapital soll nachgelagert, also mit Beginn des Ruhestands, versteuert werden. Wir machen keinen Hehl daraus, dass gerade dies für die Union ein zentrales Problem war. ({3}) Wir haben in der Koalition intensiv auch über die Frage der Wohnungsbauprämie gesprochen. Sie soll künftig nur noch gewährt werden, wenn das angesparte Kapital in Wohnimmobilien investiert wird. Bisher kann es nach Ablauf der Sperrfrist von sieben Jahren für andere Zwecke verwendet werden. Das Wohnungsbauprämiengesetz wird damit stärker auf wohnungswirtschaftliche Maßnahmen ausgerichtet. Die vorgesehene Einschränkung bei Verwendung der Wohnungsbauprämie wird nicht auf junge Menschen ausgedehnt, die bei Vertragsabschluss jünger als 25 Jahre sind. Die Wichtigkeit, junge Menschen zum Sparen anzuregen, ist angesichts der demografischen Entwicklung und der Erfahrungen mit der US-Immobilienkrise von weitreichender Bedeutung. ({4}) Für unsere Fraktion ist Wohneigentum Gesellschaftspolitik. Für uns ist das Grundrecht, Eigentum zu bilden, es auch zu vererben, elementarer Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft. So wie wir Leistungswillen fördern, unterstützen wir die Vermögensbildung. Viele Menschen verzichten auf Konsum, um sich die eigenen vier Wände leisten zu können. Wohneigentum setzt Vermögensbildung voraus und fördert das öffentliche wie persönliche Denken und Handeln in langfristigen Zeiträumen. Sparen und Investieren, Bewahren und Vererben sind Verhaltensweisen, die Wohlstand ermöglichen. ({5}) Die Förderung der Eigentumsbildung liegt auch deswegen im Interesse des Gemeinwohls. Wir wollen möglichst vielen Menschen die Möglichkeit eröffnen, Wohneigentum zu erwerben. Mit dieser Form der Wohneigentumsbildung setzen wir auch unsere traditionell konservative deutsche Baufinanzierungskultur fort. Die amerikanische Finanzierungsform kann uns jedenfalls nicht als Vorbild dienen. ({6}) Wir hoffen, dass dieses Gesetz auch der Wohnungsund Bauwirtschaft Rückenwind geben wird; denn dies ist dringend notwendig. Die Genehmigungszahlen im Wohnungsbau sind gegenüber 2006 um 27 Prozent zurückgegangen. Bei Eigenheimen betrug der Einbruch sogar 35 Prozent. In vielen Teilen Deutschlands ist die Situation so, dass bezahlbarer Wohnraum bereits knapp geworden ist. Wir wissen, die Zahl der Haushalte steigt weiter, und zwar mindestens noch eine Dekade. Gerade junge Menschen bekommen bei der familiengerechten Wohnungsversorgung Probleme. Wir sind überzeugt, dass mit diesem Eigenheimrentengesetz - so steht es auf dem Gesetzentwurf; das ist der eigentliche Titel, auch wenn außerhalb dieses Parlaments manches anders formuliert wird - durch eine verbesserte Einbeziehung von selbstgenutzten eigenen Wohnimmobilien und selbstgenutzten Genossenschaftswohnungen in die steuerlich geförderte Altersvorsorge weitere wirksame Anreize für eine zusätzliche private Altersvorsorge geschaffen werden. Damit vergrößert sich insgesamt das Angebot an steuerlich begünstigten Altersvorsorgemodellen, die es dem Förderberechtigten erlauben, aus verschiedenen, steuerlich gleichermaßen geförderten Vorsorgeformen das für den Einzelnen genau Passende auszuwählen. Das Ziel der Förderung ist es, das durch die gesetzliche Rente gelegte Fundament zu verstärken und gleichzeitig das Versorgungsniveau der Begünstigten zusätzlich zu erhöhen. Nachdem wir gemeinsam einen Kompromiss gefunden haben, sage ich, auch wenn ich sonst ein Freund von Karl Valentin bin: Jetzt müssen wir dieses Gesetz verabschieden. Etwas Besseres können wir in dieser Großen Koalition nicht erreichen. ({7}) Es ist ein Gesetz, das für die Verbraucher notwendig ist. Es dient der Eigentumsbildung. Nachdem wir uns schon so angestrengt haben, Kollege Krüger, sollten wir es jetzt auch verabschieden. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort für die Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das System der Riester-Rente ist der Einstieg in die Privatisierung und Individualisierung der Rentenversicherung. Das lehnen wir als Linke ab. ({0}) Damit wird die Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich weiter vorangetrieben. Zukünftige Rentnergenerationen werden aus einem wachsenden Teil von Rentnern mit kärglichen Renteneinkommen und einem privilegierten kleinen Teil von Rentnern mit guter Absicherung bestehen. Die Zeitschrift Finanztest hat im letzten November ermittelt, dass der Abschluss eines Riester-Vertrages erst ab einem Bruttomonatseinkommen von 1 900 Euro zu einer Aufbesserung der Alterseinkünfte führt. Wer weniger verdient, erleidet reale Einkommensverluste im Lebensverlauf. Sie oder er landet am Ende bei der Altersgrundsicherung, mit der dann die Riester-Rente verrechnet wird. Das heißt im Klartext: Ein Leben lang umsonst gespart, im Alter trotzdem arm und auf staatliche Hilfe angewiesen! Ich zitiere einmal Norbert Blüm: Das ist die Riester-Hilfe für den Staatshaushalt, finanziert von denen, die eine geringe Rente, nämlich unterhalb der Höchstgrenze der Grundsicherung, haben. Er hat damit recht - leider. ({1}) Aber selbst für Menschen mit einem höheren Monatseinkommen erweist sich die Riester-Rente als Mogelpackung. Fachleute und Presse machen darauf aufmerksam, dass bei der Riester-Rente höchst unfair kalkuliert wird. Der Mechanismus der Riester-Rente und die Nachbesteuerung sorgen dafür, dass rein rechnerisch die gewährten staatlichen Zuschüsse erst nach circa 20 Jahren der Rentnerin oder dem Rentner zugute kommen. ({2}) Dank der von der Regierung beschlossenen schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre müsste sie oder er also mindestens 87 Jahre alt werden, um etwas von den Zuschüssen zur Riester-Rente zu haben. Nun lag im Jahr 2007 die durchschnittliche Lebenserwartung für Neugeborene um über fünf Jahre darunter. Für die Angehörigen der anderen Generationen ist sie noch niedriger. Hinzu kommt: Je geringer das Einkommen ist, umso geringer ist in Deutschland auch die Lebenserwartung der Menschen. 44 Prozent aller RiesterSparerinnen und -Sparer sind Geringverdiener mit einem Jahreseinkommen von unter 20 000 Euro. Im Durchschnitt wird diese Gruppe daher nicht von der RiesterRente profitieren. Von der staatlichen Förderung hat sie nichts. Es stellt sich natürlich die Frage: Wer profitiert dann? Das ist ganz eindeutig zu beantworten: die privaten Versicherungskonzerne. Sie bekommen 25 Prozent von den Risikoüberschüssen, also von den Beträgen, die dank des Jonglierens mit Sterbetafeln unterm Strich übrig bleiben. Ist die Riester-Rente also ein Erfolgsmodell ohne Wenn und Aber, wie Sie von der Koalition uns weismachen wollten? Mitnichten! Die Riester-Rente ist ein Skandal. Ihr Konzept, die Riester-Rente nun mit der Förderung des Wohneigentums zu kombinieren, knüpft nahtlos daran an. ({3}) Das Eigenheimrentengesetz soll jetzt kräftigen Rückenwind für die Eigentumsbildung bringen; Herr Oswald hat es noch einmal bestätigt. Es soll kurzfristig wirken. Wunderbar! Sie beklagen den Einbruch beim Häuserbau. Wer hat denn die Eigenheimzulage gestrichen, sodass es zu diesem Einbruch kam? Wer hat denn dieses Gesetz verabschiedet? ({4}) Es ist skurril, was Sie hier bieten. Man muss einmal die Zahlen vergleichen. Die Eigenheimzulage verursachte 2004 Steuermindereinnahmen - über alle Gebietskörperschaften hinweg - in Höhe von knapp 7,2 Milliarden Euro. Demgegenüber kalkulieren Sie beim Eigenheimrentengesetz mit einer vollen Jahreswirkung in Höhe von 940 Millionen Euro, also nicht einmal 1 Milliarde Euro. Die volle Wirkung entfaltet sich - das kommt ja schrittweise - allerdings erst in 25 Jahren. Für das nächste Jahr planen Sie immerhin schon mit ganzen 20 Millionen Euro. Und das soll dann den Boom in der Bauwirtschaft auslösen? ({5}) Im Vergleich dazu war mit der damaligen Eigenheimförderung mit ihren klaren Einkommensgrenzen und der sonstigen Ausgestaltung wenigstens eine soziale Ausrichtung verbunden. Ihr Wohn-Riester hingegen ist in erster Linie ein Förderprogramm für die Versicherungswirtschaft. ({6}) Wie sonst ist es zu erklären, dass Sie auch Kombinationsmöglichkeiten aus tilgungsfreiem Darlehen und einem Bausparvertrag mit in die Förderung einbeziehen? Es macht ja nun wirklich keinen Sinn, parallel zu einem Kredit zu sparen, da der Kreditzins in der Regel höher als der Sparzins ist. Diese Finanzierungskombinationen sind für diejenigen, die das nutzen wollen, überhaupt nicht zu durchblicken und in vielen Fällen nachteilig. In die gleiche Richtung weist auch, dass Sie die wohnungswirtschaftliche Zweckbindung der Wohnungsbauprämie für Jüngere aufgehoben haben. Unwirtschaftliche Produkte werden durch Subventionen für junge Menschen attraktiv gemacht. Das ist doch eigentlich Betrug. ({7}) Bei Ihrem eigentumsfixierten Ansatz blenden Sie völlig die Risiken aus, die mit der Einbeziehung von Wohneigentum in die Altersvorsorge verbunden sind. Angesichts der Turbulenzen auf den Immobilienmärkten und der demografischen Entwicklung ist nicht sichergestellt, dass Wohneigentum überhaupt einmal oder werterhaltend verkauft werden kann. Hierfür sprechen immer mehr Gründe: Es gibt steigende Mobilitätsanforderungen, und die Notwendigkeit altersgerechten Wohnens nimmt zu. Das wird oftmals in frühen Lebensphasen nicht so beachtet. Verbraucherschützer warnen deshalb davor, tatsächlich Wohn-Riester zu nutzen. Während Sie hier jetzt Wohneigentum als die beste Altersvorsorge verkaufen, haben Sie an anderer Stelle den Schutz des Wohneigentums längst unterhöhlt. ({8}) Hier liegt der Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II. Da wir uns darüber im Ausschuss schon intensiv unterhalten haben, bringe ich Ihnen jetzt einmal ein Beispiel. Eine 55-jährige Frau hat 30 Jahre gearbeitet. Sie hat 1995 als Mutter von zwei Kindern mit staatlicher Förderung und Eigenmitteln von über 80 000 DM ihr Haus in Eigenverantwortung als Alterssicherung gebaut. Die Kinder sind zwischenzeitlich erwachsen und ausgezogen. Das selbstgenutzte Haus hat eine Wohnfläche von 102 Quadratmetern auf einem 776 Quadratmeter großen Grundstück. Seit 2005 ist sie Bezieherin von Hartz IV, also ALG II. Nach langem Kampf bekommt sie nunmehr Leistungen der Grundsicherung und angemessene Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 663 Euro. Ihre laufenden Wohnkosten betragen circa 500 Euro monatlich. Sie hat die Wahl, entweder von 163 Euro zu leben und weiter ihr Haus zu unterhalten oder zuzusehen, wie die Bank ihr Haus kassiert, weil die Verbindlichkeiten nicht weiter beglichen werden können. Nach ihrem letzten Rentenbescheid kann sie eine Rente von 520 Euro erwarten. Erzählen Sie doch nicht, dass Wohneigentum ohne jedes Wenn und Aber eine gute Form der Alterssicherung ist, wenn solche Fälle im Gesetz noch nicht einmal richtig geklärt sind. ({9}) Es bleibt als Fazit: Es gab und gibt keine Notwendigkeit, das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung abzusenken. Selbst die Berechnungen der Versicherungswirtschaft haben gezeigt, dass es möglich ist, zum früheren Rentenversicherungssystem zurückzukehren und dabei das ursprüngliche Niveau zu halten. Dies würde im Jahre 2030 einen Beitragssatz von 25,2 Prozent erforderlich machen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Ende. - Unter der Bedingung, dass ein solcher Beitragssatz paritätisch aufgeteilt würde, also auch die Arbeitgeber ordentlich daran beteiligt würden, wäre eine solidarische gesetzliche Rentenversicherung tatsächlich möglich.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin! ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es gibt keine bessere Alternative für ein würdevolles Leben im Alter als eine solche Regelung. Für diese treten wir ein. Ich danke Ihnen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächste hat Christine Scheel für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich halte es für richtig, dass geklärt wird, wie mit solchen Fällen, die Frau Dr. Höll jetzt gerade beispielhaft genannt hat, umgegangen wird. Ich halte es allerChristine Scheel dings für unverantwortlich, zu suggerieren, wir könnten in Zukunft ohne private und betriebliche Altersvorsorge auskommen. ({0}) - Die Debatte darüber, welche Beitragserhöhungen für die Arbeitnehmer, aber auch auf Arbeitgeberseite damit verbunden sind, hatten wir hier schon des Öfteren bei der Rentendiskussion; denn wir alle wissen, welche verheerenden Beschäftigungswirkungen das hätte. Deswegen will ich diese Debatte an dieser Stelle nicht weiterführen. Auch ich finde, dass die Idee, selbstgenutztes Wohneigentum in die private Altersvorsorge zu integrieren, richtig ist ({1}) und dass dies der Lebensrealität vieler Bürgerinnen und Bürger entspricht. ({2}) Die Umfragen zeigen, dass 80 Prozent sich wünschen, ihren Ruhestand im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung verbringen zu können, und für viele Menschen die selbstgenutzte Wohnimmobilie bei der zusätzlichen Altersvorsorge an erster Stelle steht. Das ist so. Der Kollege von der FDP, Herr Thiele, hat es angesprochen, und ich teile diese Auffassung. Wir Grünen haben, weil das so ist, bei der Einführung der Riester-Rente damals zusammen mit der SPD eine Öffnung für Wohneigentum durchgesetzt. Wir haben allerdings darüber hinaus ein Altersvorsorgekontokonzept entwickelt, das eine unkomplizierte Wohneigentumsförderung enthält. Vorgesehen ist, dass das Finanzierungskapital für selbstgenutztes Wohneigentum vollständig steuerfrei aus diesem Altersvorsorgekonto entnommen und wieder eingelegt werden kann. Alternativ kann man eine um 30 Prozent abgesenkte Förderung zum Beispiel zur Tilgung eines Bauspardarlehens wählen. Eine nachgelagerte Besteuerung findet nicht statt. Das ist, glaube ich, der Dreh- und Angelpunkt, an dem wir uns innerhalb der Opposition mit der FDP einig sind. ({3}) - Auch mit vielen in der Union, vielleicht auch mit manchen in der SPD. ({4}) Aber leider ist es ja nun einmal anders. Wir hatten ein schönes, einfaches Konzept. Und was ist passiert? Es gibt einen Gesetzentwurf der Großen Koalition, in dem das leider nicht mehr einfach ist, sondern völlig anders. ({5}) Daran haben auch die parlamentarischen Beratungen im Finanzausschuss und in anderen Ausschüssen wenig geändert. Die Große Koalition nimmt eine Menge Geld in die Hand, etwa 1 Milliarde Euro, und schafft eine hochkomplizierte, sehr verwaltungsaufwendige und sehr kostenintensive Regelung. Das ist das Ergebnis, und das bedauern wir sehr. Bei der öffentlichen Expertenanhörung, bei der wir alle anwesend waren - wir haben das auch noch einmal nachgelesen -, war von einem kaum verständlichen, bürokratischen Moloch die Rede. Noch problematischer war aber die Einschätzung der Experten, dass die Bürgerinnen und Bürger den Wohn-Riester zwar durchaus nutzen werden, aber nur weil sie die Konsequenzen, die mit der nachgelagerten Besteuerung des Wohneigentums auf sie zukommen, eigentlich nicht absehen können. Trotz dieser warnenden Stimmen hat die Große Koalition an der nachgelagerten Besteuerung festgehalten, auch wenn es eine Option gibt. Aber Fakt ist, dass dann sehr viele im Alter Steuern zahlen, obwohl ihnen keine liquiden Mittel zufließen, aus denen sie die Steuern bezahlen können. Das ist sehr schwer vermittelbar, und es kann in einzelnen Fällen letztendlich zur finanziellen Überforderung führen. Allerdings - das ist das Schwierige - ist es so, dass diese Problemfälle erst in 20 bis 30 Jahren auftreten werden. Auch insoweit ist diese Eigenheimrente ein typischer Koalitionskompromiss, wie wir ihn kennen: Die Probleme werden in die Zukunft verlagert. ({6}) Das heißt, man hat jetzt ein Gesetz, aber die Probleme, die daraus entstehen können, tauchen erst in der Zukunft auf. Da sagen wir: So geht es nicht. ({7}) Es muss ein klares Konzept auf den Tisch, mit dem keine Probleme für die Zukunft verbunden sind. Es wird argumentiert, die große Komplexität beim Wohn-Riester entstehe aus der Komplexität der RiesterFörderung selbst. Ich kann dem nur zustimmen; es ist so. Aber es ist doch der falsche Weg, auf eine sehr komplizierte Regelung eine noch kompliziertere Regelung draufzusetzen. ({8}) Stattdessen müsste man überlegen, ob man das ganze Projekt nicht entbürokratisiert, weniger kompliziert macht und ein bisschen mehr öffnet. Ich glaube, dass es auch in der Union viele für den richtigen Weg hielten, eine einfache, flexible Lösung für die zusätzliche Altersvorsorge zu schaffen, sie für alle Bürgerinnen und Bürger zu öffnen und damit die gesamte Altersvorsorgeförderung unter einem Dach zusammenzuführen. Das wäre eine vernünftige Lösung, die wir von grüner Seite vorgeschlagen haben. Wir hoffen, dass wir in den nächsten Monaten mehr Unterstützung von Ihrer Seite in dieser Sache bekommen werden. ({9}) Ich will nicht verhehlen, dass die Ausschussberatungen einige Verbesserungen gebracht haben. Wir bewerten immer sehr differenziert die einzelnen Punkte. Es gibt durchaus Entscheidungen, die wir für richtig halten. Ich nenne den verdoppelten Berufseinsteigerbonus; denn es macht Sinn für junge Leute, frühzeitig mit dem Sparen zu beginnen. Auch die vereinfachte Berechnung der Effektivzinsen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist eine richtige Entscheidung. Wir begrüßen es auch, dass die Riester-Sparenden ihre Mitteilungen weiterhin in Papierform erhalten. Auch wenn wir im Computerzeitalter leben, hat nicht jeder einen Internetanschluss. Es gibt zwar einige - wenn auch wenige - positive Entwicklungen im Detail. Aber insgesamt bleibt die Kritik der Grünen voll und ganz bestehen: Die gute Idee „Wohneigentum im Alter“ wird schlecht umgesetzt. Die Chance zur Vereinfachung wurde leider vertan. Sie schaffen ohne Not einen neuen Bürokratiemoloch. Man hätte es leicht besser machen können. Wir werden uns heute enthalten, weil wir zwar die Grundidee richtig finden, aber die Umsetzung für falsch halten. Danke schön. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl. ({0})

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in unserer Gesellschaft inzwischen unbestritten, dass es der beste Weg zu einer sicheren Altersvorsorge ist, diese auf mehreren Säulen aufzubauen. Es ist auch klar, dass die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin die erste und wichtigste Säule der Altersvorsorge bleibt, dass aber der ergänzende Bereich immer wichtiger wird. Die Menschen erwarten natürlich, dass hierfür die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden. Einen wichtigen Beitrag dazu hat die Riester-Rente geleistet, die 2001 eingeführt worden ist. Am Anfang war sie heftig umstritten, aber inzwischen wird sie nicht nur von den Experten, sondern - Gott sei Dank - auch von den Menschen akzeptiert. Die letzte uns bekannte Zahl besagt nämlich, dass 11 Millionen Menschen einen Riester-Vertrag abgeschlossen haben. Frau Höll, bitte erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auf Ihre Rede zurückzukommen. Die Art und Weise, wie Sie die zusätzliche Altersvorsorge denunziert haben, halte ich für unverantwortlich. ({0}) Wer Menschen Angst vor Altersarmut macht und gleichzeitig den Weg, sich zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen, kaputtredet, der handelt nicht nur politisch inkorrekt, sondern auch unverantwortlich. Ich kann aus Ihren Äußerungen nur schließen, dass Sie Politik ausschließlich mit der Angst der Menschen machen wollen. Das kann nicht unser gemeinsamer Weg hier sein. ({1}) Ich will ganz kurz die Grundprinzipien der RiesterFörderung erläutern, weil sich daraus in der logischen Konsequenz die Regelungen für die Eigenheimförderung ergeben. Das Grundprinzip ist, dass der Staat in der Ansparphase in einem erheblichen Umfang, entweder steuerlich oder mit direkten Hilfen, den Aufbau der Altersvorsorge mit Grundzulagen und Kinderzulagen unterstützt und die sich später ergebenden Altersleistungen der sogenannten nachgelagerten Besteuerung unterwirft. Die im Rahmen dieses Gesetzes geregelte Förderung der Eigenheimrente passt in dieses Konzept im Grundsatz genau hinein. In allen Säulen der Altersvorsorge halten wir uns an die gleichen Prinzipien und Grundlinien; denn es macht überhaupt keinen Sinn, die Regeln zu ändern. Das würde es nach meiner Überzeugung nicht einfacher, sondern verwirrender machen. ({2}) Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht die verbesserte Einbeziehung von selbstgenutztem Eigentum und von selbstgenutzten Genossenschaftswohnungen in die RiesterRente. Es ist wichtig, deutlich zu machen: Bisher gehörte die Bildung von Wohneigentum nicht zu den unmittelbar begünstigten Anlageprodukten. Für viele Bürgerinnen und Bürger - das ist schon gesagt worden stellt aber das Wohneigentum im Alter eine der Geldrente vergleichbare Möglichkeit der individuellen Altersvorsorge dar. Das berücksichtigen wir nun in diesem Gesetz. Zum einen kann steuerlich gefördertes Altersvorsorgekapital zukünftig besser für eine wohnungswirtschaftliche Verwendung genutzt werden; die Kolleginnen und Kollegen haben schon beschrieben, auf welche Weise. Zum anderen fördern wir so Tilgungsleistungen für ein Darlehen zur Anschaffung oder Herstellung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie. Wir haben uns gleichzeitig entschieden, den Kreis derer, die diese Unterstützung nutzen können, möglichst weit zu fassen. Deshalb ist die ausdrücklich gute Entscheidung, wie ich finde, gefallen - dies ist schon erwähnt worden -, auch Anteile an Genossenschaftswohnungen in die Möglichkeit der Altersvorsorge und der staatlichen Förderung dieser Ansparungen hineinzunehmen. Die Einbeziehung der selbstgenutzten WohnimmoParl. Staatssekretärin Nicolette Kressl bilie ist so ausgestaltet - ich habe es schon erwähnt -, dass die bisherige Systematik erhalten bleibt und die bestehenden Verfahrensstrukturen - auch das gehört dazu parallel und sofort genutzt werden können. Wir haben - das soll nicht unerwähnt bleiben; dies habe ich bei einigen Rednerinnen und Rednern, glaube ich, überhört - gleichzeitig die Möglichkeit eingebaut, bei der Besteuerung den „schnelleren Weg“ zu wählen. Es gibt nämlich ein einmaliges Recht der Wahl zwischen der nachgelagerten jährlichen Besteuerung - dies ist die eine Möglichkeit - und einer sofortigen Einmalbesteuerung des Kapitals, das angespart worden ist. Insofern gibt es ein Stück mehr Freiheit für die Menschen; denn die persönliche, individuelle Besteuerungssituation ist natürlich während der Rente unterschiedlich. Diese kann dann bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden. Die Entscheidung dafür, dass dieser Gesetzentwurf verabschiedet wird, ist also eine grundlegende Weichenstellung für die Altersvorsorge durch Wohneigentum. Wir ergänzen - auch das soll nicht unerwähnt bleiben - weitere Punkte, nämlich dass es im Rahmen der Grundzulage einen zusätzlichen einmaligen Bonus von 200 Euro für alle Menschen gibt, die jünger als 25 Jahre sind und sich für eine Riester-Förderung entscheiden. Ich halte das für einen wichtigen finanziellen Anreiz gerade für junge Leute, die sich zwar oft genug - das spürt man in persönlichen Gesprächen - Sorgen über ihre Rente später machen, aber gleichzeitig sich noch nicht entscheiden, so früh wie möglich Geld anzulegen. Je früher sie das tun, desto effizienter ist dies. Deshalb ist die Verwendung von Steuermitteln für diesen Anreiz richtig angelegt. Das ist ein guter Weg, um ein Stück Motivation zu erreichen. ({3}) - Da ich höre, dass Sie das schon wieder denunzieren, will ich es noch einmal deutlich machen: Ich halte es für wichtig, zu überlegen, wie wir Steuermittel einsetzen. An dieser Stelle sind sie gut eingesetzt. Wir unterstützen im Übrigen in diesem Zusammenhang die langfristige Vorsorge der Menschen für ihr Alter. Ich will noch einen Punkt ansprechen. Wir verändern die Wohnungsbauprämie. Wir reduzieren ihre Verwendung auf die wirkliche Verwendung im wohnungswirtschaftlichen Sinn. In diesem Zusammenhang haben die Fraktionen allerdings gesagt: Wir wollen junge Leute bei der Überlegung: „Weiß ich schon jetzt, ob ich bauen will?“ davon abhalten, aufgrund dieser Zweckbindung nicht auf diese Art und Weise zu sparen. Deshalb haben wir uns entschieden, für Menschen unter 25 Jahren Öffnungen einzubauen. Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz die notwendigen Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge verbessern. Jetzt muss es noch durch die Entscheidung der Menschen, darin zu investieren, unterstützt werden. Das können wir alle auf den Weg bringen, indem wir für dieses Gesetz in der Öffentlichkeit werben. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Barbara Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Staatssekretärin, Ihre Behauptung, die Linke betreibe unverantwortliche Politik, weise ich hiermit strikt zurück. Diesen Vorwurf müssen Sie sich schon selbst ans Revers heften. Sie erzählen den Menschen doch seit Jahren, die gesetzliche Rentenversicherung sei nicht in der Lage, ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen. Sie haben die Beiträge für die Arbeitgeber abgesenkt, und zwar auf Kosten einer Beitragserhöhung aufseiten der Arbeitnehmer. Und dann sagen Sie ihnen noch, dass möglichst viel privat vorgesorgt werden muss. Das lehnen wir ab. Wir geben den Menschen Hoffnung. Wir zeigen ihnen einen Weg in die Zukunft. Wir haben ein Konzept und zeigen auf, dass eine paritätische Finanzierung möglich ist, dass es möglich ist, Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen einzubeziehen. Wir zeigen, dass eine gesetzliche Altersversicherung durchsetzbar ist, die ein würdevolles Leben im Alter ermöglicht. ({0}) Herr Oswald hat vorhin das Recht auf die Bildung von Eigentum betont. Diesbezüglich stimme ich Ihnen zu. Die Menschen haben aber auch das Recht, dass ihre Arbeit anständig bezahlt wird; denn das ist die Voraussetzung, um überhaupt fürs Alter vorsorgen zu können. Das heißt, sie haben ein Recht auf Mindestlohn. Dieses Recht müssen Sie erst einmal gewährleisten. Ich muss erst einmal Arbeit haben und ordentlich bezahlt werden, damit ich Eigentum bilden kann. Wir haben Konzepte, die zukunftsweisend sind, Sie hingegen nicht. Sie geben staatliche Mittel nicht in die gesetzliche Rentenversicherung, sondern finanzieren ({1}) mit Steuergeldern letzten Endes doch nur die Versicherungswirtschaft. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kressl, bitte.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrte Frau Kollegin Höll, wer Ihre Rede gerade gehört hat, hat ganz sicher vergeblich nach irgendeinem Ansatz für ein Konzept gesucht. Alle hier haben gehört, dass Sie ausschließlich Punkt für Punkt erklärt haben, was nicht geht. Sie haben Ihre Interven18084 tion durch Ihre Rede selbst ad absurdum geführt. Das muss ich nicht weiter erläutern. Ich will noch einmal deutlich machen, dass die Regierungsfraktionen ein Konzept haben. Wir wollen, dass junge Menschen für sich selbst vorsorgen, und bieten dafür staatliche Unterstützung an. Wir wollen gerade den jungen Leuten die Möglichkeit bieten, so früh wie möglich in eine „unterstützende Säule“ der Altersvorsorge zu investieren. Ein Beweis dafür, dass dieser Weg gut ist - sofern es überhaupt eines Beweises bedarf -, ist die Tatsache, dass sich 11 Millionen Menschen für diesen Weg entschieden haben. Ich finde, die Menschen können manchmal besser beurteilen, was gut ist, als wir, die wir hier im Bundestag über die Theorie diskutieren. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Olav Gutting hat jetzt das Wort für die CDU/CSU. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz zur Linken in diesem Hause glaubt die Union nicht, dass Eigentum etwas Schlechtes ist und man die Menschen davor schützen muss. ({0}) Wir in der Union glauben, dass Eigentum, insbesondere Wohneigentum, etwas Gutes ist. Wir wollen die Menschen beim Erwerb dieses Eigentums unterstützen. ({1}) Die Integration der selbstgenutzten Wohnimmobilie in die staatlich geförderte private Altersvorsorge ist ein wichtiger Baustein. Mit dem Eigenheimrentengesetz vergrößern wir das Angebot staatlich geförderter Altersvorsorgemodelle und beenden die Diskriminierung der Wohnimmobilie gegenüber anderen Formen der Altersvorsorge. Natürlich ist die Eigenheimrente kein vollwertiger Ersatz für die weggefallene Eigenheimzulage. Diesen Anspruch hat dieses Gesetz auch nicht. Mit diesem Gesetz setzen wir aber ein Signal. Ich bin davon überzeugt, dass von diesem Eigenheimrentengesetz ein Impuls für Investitionen im Baubereich ausgehen wird. ({2}) Es ist ein wichtiger Schritt, dass nunmehr die Anschaffung, die Herstellung und die Entschuldung von selbstgenutztem Wohneigentum wieder eine Förderung erfährt. Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Union uns ein unbürokratischeres Modell zur verbesserten Einbeziehung der Immobilie in die Altersvorsorge gewünscht hätten. Hierzu hätten wir aber von der nachgelagerten Besteuerung abweichen müssen. Wenn wir die selbstgenutzte Immobilie im Rahmen der Riester-Rente fördern, was wir jetzt tun, und steuersystematisch stringent vorgehen wollen, dann können wir dies eigentlich nur über die nachgelagerte Besteuerung, über das Wohnförderkonto tun. In den Beratungen konnten wir an wichtigen Stellen dieses Gesetzentwurfes deutliche Verbesserungen erreichen. ({3}) Hervorzuheben ist die schon mehrmals angesprochene Ausnahmeregelung bei der Zweckbindung von Wohnungsbauprämien für unter 25-Jährige. ({4}) Der Anreiz zum Sparen ist gerade für junge Menschen wichtig. Wir haben vorhin schon gehört: Die US-Immobilienkrise hat gezeigt, dass die Vergabe von Krediten für Immobilien ohne das Vorhandensein von genügend Eigenkapital definitiv der falsche Weg ist. ({5}) Wir haben in Deutschland mit fast 32 Millionen Bausparverträgen ein funktionierendes System der Eigenkapitalbildung. ({6}) Mit der von uns erreichten Privilegierung von jungen Menschen bei der Wohnungsbauprämie haben wir es geschafft, einen bereits seit Jahren gut funktionierenden Anreiz zu bewahren, um junge Menschen zum Sparen anzuregen. Wir haben damit die Grundidee des Bausparens gestärkt. Denn ohne ausreichende Neuabschlüsse funktioniert das Bausparsystem nicht. Die Zuteilung von Bausparverträgen, also die Auszahlung, ist unter anderem vom Geldeingang und von der Zahl der abgeschlossenen Verträge abhängig. Mehr Neuzugänge bedeuten schnellere Zuteilung, mehr Mittel zum Wohnungsbau, mehr Bautätigkeit und damit bessere Aussichten für die Bauwirtschaft. ({7}) Wir konnten auch in einem weiteren Punkt eine deutliche Verbesserung erzielen. So ist es gelungen, den vorgesehenen Berufseinsteigerbonus von 100 Euro auf 200 Euro zu verdoppeln und den Altersrahmen bei diesem Bonus von 21 auf 25 Lebensjahre anzuheben. Auch das ist ein unmissverständliches Signal an junge Menschen, bereits in einem frühen Lebensabschnitt mit dem Sparen zu beginnen und an die Altersvorsorge zu denken. ({8}) Denn fehlende Ansparungen in jungen Jahren können durch die inzwischen entgangenen Zulagen und vor allem durch den Zinseszinseffekt später nicht mehr aufgeholt werden. Man kann natürlich immer noch mehr fordern. Die Kritiker des Gesetzentwurfes halten die Fördersätze für zu bescheiden. Darüber kann man streiten. Aber Fakt ist - das haben die Berechnungen gezeigt -, dass Darlehensnehmer bei Inanspruchnahme dieser Förderung durch das Eigenheimrentengesetz fast fünf Jahre eher ihr finanziertes Eigentum ihr Eigen nennen können als ohne diese Förderung. Sie sind fünf Jahre früher entschuldet, fünf Jahre früher im Eigenheim. Das ist ein Wort. ({9}) Zusammenfassend darf man sagen: Dieses Gesetz kann die Eigenheimzulage nicht ersetzen, aber es ist ein wichtiger Impuls für die Bauwirtschaft. Es wird mehr Menschen in Deutschland in die Lage bringen, sich ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. Als Berichterstatter darf ich mich an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der Koalition und mit dem Ministerium bedanken. Hierfür ein herzliches Dankeschön! Ich möchte sagen: Es lohnt sich, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen. ({10})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Sören Bartol das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Sören Bartol (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Koalitionsvertrag hatten wir die Integration der Immobilie in die staatlich geförderte Altersvorsorge festgeschrieben. CDU/CSU favorisierten das Modell Sofa, meine Fraktion das Modell Kanapee. Aus beidem hervor ging der Entwurf des wenig klangvollen, dafür inhaltlich überzeugenden Eigenheimrentengesetzes, den wir hier und heute in zweiter und dritter Lesung behandeln. Mit diesem Gesetz wird es uns gelingen, das selbstgenutzte Wohneigentum als gleichberechtigtes Element der Riester-Rente zu etablieren. Indem der Kauf oder Bau, die Entschuldung einer Wohnung oder eines Hauses sowie der Erwerb - auch das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen - von Genossenschaftsanteilen in die Riester-Förderung aufgenommen werden, erhöhen wir die Attraktivität der Altersvorsorge und schreiben die Geschichte des Erfolgsmodells Riester-Rente fort. Dieses Modell wird heute von mehr als 11 Millionen Menschen in Deutschland in Anspruch genommen; damit hat sich die Zahl der Riester-Verträge in den letzten zwei Jahren nahezu verdoppelt. Allein im ersten Quartal dieses Jahres sind 570 000 Neuverträge abgeschlossen worden; die Frau Staatssekretärin hat das gerade schon gesagt. Diese Zahl möchte ich an dieser Stelle noch einmal all denen entgegenhalten, die immer wieder das Argument ins Feld führen, die Riester-Rente sei zu kompliziert und werde nicht angenommen. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. ({0}) Festzuhalten bleibt: Die Zahl der Bundesbürger, die private Altersvorsorge betreiben, nimmt stetig zu. Schon jetzt haben 72,7 Prozent der Deutschen im erwerbsfähigen Alter eine private Altersvorsorge. Das ist eine gute und wichtige Entwicklung. Insgesamt, meine Damen und Herren, wird dieses Gesetz dazu beitragen, die mit 43 Prozent im Vergleich zu anderen EU-Staaten relativ geringe Eigentumsquote in Deutschland zu erhöhen. Die Erhöhung der Eigentumsquote ist ein wichtiger, wenn auch sicher nicht der einzige Schritt zur Verhinderung von Altersarmut. Denn wenn man keine Miete zahlen muss - oder im Fall der Genossenschaftsanteile nur eine geringe Miete -, ist das ein großer Beitrag zu mehr Sicherheit im Alter. Natürlich ist das Eigenheimrentengesetz auch eine positive Nachricht für unsere Bauwirtschaft, die in den letzten Jahren die Folgen des Bevölkerungsrückgangs, aber auch - das ist unbestritten - den Wegfall der Eigenheimzulage zu verkraften hatte. Wie schon vom CO2-Gebäudesanierungsprogramm, mit dem alleine im Jahr 2007 mehr als 200 000 Häuser und Wohnungen energieeffizient saniert oder neu errichtet werden konnten und das sich als wahrer Jobmotor für Bau und Handwerk erwiesen hat, werden auch von diesem Gesetz Impulse für Umsatz und Beschäftigung ausgehen. Dass der zusätzlichen privaten Vorsorge vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine immer größere Bedeutung zukommen wird, ist unbestritten; das ist von meinen Vorrednern bereits gesagt worden. Aufgabe der Politik muss hierbei sein, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Genau das haben wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf getan. Wie von den Berichterstattern der beiden beteiligten Fraktionen schon gesagt wurde, ist das Eigenheimrentengesetz auch ein Beleg für die gute Zusammenarbeit in der Großen Koalition - sie ist zwar nicht immer ganz einfach, kommt aber zu Ergebnissen - und für eine Finanz- und Wohnungspolitik, die sowohl die Gegenwart als auch die Zukunft im Blick hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Otto Bernhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003037, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ausgangspunkt dieser Debatte ist der Tatbestand, dass über 80 Prozent der Deutschen gerne eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus hätten, bisher aber nur etwa die Hälfte diesen Wunsch realisieren konnte. ({0}) Wir wissen, dass wir damit in Europa ganz weit unten stehen. Andere Länder wie Spanien und Irland haben be18086 reits Eigentumsquoten von 80 Prozent erreicht. Dieses Gesetz soll ein Beitrag sein, um diesem Ziel in Deutschland näher zu kommen. Wir fördern den privaten Wohnungsbau seit Bestehen der Bundesrepublik. Lange Zeit war § 7 b des Einkommensteuergesetzes das Stichwort, später § 10 e. Im Jahre 1996 haben wir mit der Eigenheimzulage einen ganz großen Wurf gemacht. Sie führte letztlich dazu, dass eine Normalfamilie, bestehend aus vier Personen - so die Statistik, heute wäre das leider keine Normalfamilie mehr -, Zuschüsse in einer Größenordnung von 22 500 Euro bekam. Das war natürlich ein toller Beitrag. ({1}) In den Koalitionsverhandlungen haben wir festgestellt, dass die Eigenheimzulage die teuerste Einzelsubvention im Haushalt ist und pro Jahr Belastungen von bis zu 10 Milliarden Euro verursacht. Als die Große Koalition die Verantwortung übernahm, stand das Ziel der Haushaltssanierung ganz weit oben. Es hat nach wie vor eine große Bedeutung. Allerdings sind wir bereits ein Stück vorangekommen. Deshalb haben wir zwei Punkte in den Koalitionsvertrag aufgenommen: das Auslaufen der Eigenheimzulage und die Einbeziehung der privat genutzten Immobilie in die staatlich geförderte Altersvorsorge. Unsere Diskussion hat gezeigt, dass mit Ausnahme der Linken alle Fraktionen dieses Hauses die Auffassung vertreten, dass die privat genutzte Immobilie ein sehr wichtiges - nach Meinung der Mehrheit der Deutschen sogar das wichtigste - Instrument der Altersvorsorge ist. Es ist vernünftig, zu planen, die eigene Wohnung bis 65 abzubezahlen, sodass man dann keine Kaltmiete mehr, sondern nur noch Nebenkosten zahlen muss. Dieses Konzept müssen wir unterstützen. ({2}) Es gab bei den Auseinandersetzungen zwei kritische Punkte. Schon meine beiden Kollegen haben in ihren Reden auf diese beiden Punkte aufmerksam gemacht. Der erste Streitpunkt war, dass wir keine Notwendigkeit sahen, das Gesetz über das Prämienbausparen zu verändern. Wir meinen, das Prämienbausparen ist ein tolles Instrument, es ist einer der Gründe für die solide Hausfinanzierung in Deutschland. Die Sozialdemokraten hatten gute Argumente - sie konnten sich dabei auf den Bundesrechnungshof stützen -: Es geht hier um öffentliche Förderung, und die sollte auf wohnwirtschaftliche Zwecke konzentriert werden. Das ist ein Standpunkt, den man gut vertreten kann. Mit dem Kompromiss, den wir gefunden haben - bis 25 bleibt es bei der bisherigen Regelung und wenn man älter ist, wird auf wohnwirtschaftliche Zwecke begrenzt -, können beide leben. Denn es ist natürlich schwierig, einem 16-Jährigen, der zu sparen anfängt, zu sagen: Du darfst damit nur eine Wohnung erwerben. - Ab 25 sieht man das anders. Ich gebe zu, dass der zweite Streitpunkt, die Frage der nachgelagerten Besteuerung, schwieriger ist. Die nachgelagerte Besteuerung gehört zur privaten Altersvorsorge; da haben Sie recht. Aber sie passt nicht zur Immobilie; da haben wir recht. Wir haben uns auf einen Kompromiss geeinigt, der - das gebe ich zu - unter dem Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus nicht der beste sein mag. ({3}) Beim Eintritt in den Ruhestand kann nun eine Einmalzahlung von 30 Prozent erfolgen. Auch dies ist ein Kompromiss, mit dem man leben kann, auch wenn wir uns weniger Bürokratie gewünscht hätten. Ich sage aber für meine Fraktion: Mit beiden Kompromissen können wir gut leben. Wir sollten nicht den Fehler machen, dieses Gesetz nach außen als schlecht zu verkaufen. Es ist ein gutes Gesetz. Wir haben gute Kompromisse gefunden. Dieses Gesetz ist ein Beitrag zur Stärkung der privaten Altersvorsorge. Es verdient breite Zustimmung in diesem Hause. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen CDU/CSU und SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Eigenheimrentengesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9641, die genannten Gesetzentwürfe, Drucksachen 16/8869, 16/9274 und 16/9449, zusammenzuführen und als Entwurf eines Eigenheimrentengesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenommen bei Zustimmung durch die Große Koalition, Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/9648. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung im übrigen Haus. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der nachträglichen SicheVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt rungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht - Drucksache 16/6562 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/9643 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb Jörg van Essen Jerzy Montag Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte spricht Bundesministerin Brigitte Zypries.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung über den Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung steht, ist nicht einfach. ({0}) Es geht um die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Straftäter, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden sind. Das sind junge Menschen, die in sehr jungen Jahren eine Straftat begangen haben und dann, wenn sie entlassen werden sollen, natürlich längst aus dem Jugendlichenalter heraus sind. Die Sicherungsverwahrung bedeutet für die Betroffenen einen schwerwiegenden Freiheitseingriff. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass wir die Allgemeinheit wirksam vor Schwerststraftätern schützen müssen. Deswegen haben wir lange und auch kontrovers über diesen Gesetzentwurf diskutiert. Wir waren uns aber einig, dass wir bei ganz wenigen jugendlichen Straftätern - quasi als Ultima Ratio - auch diese Möglichkeit der Sicherungsverwahrung brauchen. Es war uns immer klar: Eine Sicherungsverwahrung für junge Menschen ist ein sehr viel schärferer Eingriff, als dies bei Erwachsenen der Fall ist, weil man bei der Prognose hinsichtlich der Entwicklung junger Menschen sagt, dass sie sich auch ändern können. Deswegen haben wir Zweierlei getan: Zum einen haben wir die Hürden ausgesprochen hoch gesetzt, zum anderen haben wir geregelt, dass die Zeitabstände zwischen den Überprüfungen geringer als bei der normalen Sicherungsverwahrung sind. Hier wird künftig immer schon nach einem Jahr überprüft, ob die Angebote, die in den Haftanstalten gemacht werden, wahrgenommen wurden und auch gefruchtet haben; denn natürlich werden all diese Täter, für die eine Sicherungsverwahrung festgelegt wurde, weiter therapiert bzw. werden ihnen Therapieangebote gemacht. Ihnen wird also die Möglichkeit gegeben, Einfluss auf die Prognoseentscheidung zu nehmen. ({1}) - Jetzt komme ich erst einmal zu den Hürden, Herr Kollege. Wir haben besonders hohe Hürden definiert: Erstens muss der Täter zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verurteilt worden sein, zweitens muss es sich bei der Tat um ein Gewaltverbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit gehandelt haben - das heißt mit anderen Worten: Vermögensdelikte und Ähnliches scheiden aus -, drittens ist die Sicherungsverwahrung nur möglich, wenn diese Taten zu einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung bei dem Opfer geführt haben, und viertens muss die Wahrscheinlichkeit bzw. Prognose bestehen - diese muss durch Gutachten belegt sein -, dass der Täter nach seiner Entlassung wieder solche Straftaten begehen wird. Nun gibt es Kritik an diesem Gesetzentwurf. Es gibt sie von der einen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen viel zu hoch angesetzt sind, und es gibt sie von der anderen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen viel zu niedrig angesetzt sind. Die einen sagen, die Sicherungsverwahrung sei generell nichts für Jugendliche und dürfe es für sie gar nicht geben, die anderen sagen, wir müssten sie schon bei sehr viel weniger schweren Delikten und geringeren Strafen zulassen. ({2}) Auch hier ist es so, wie das bei den Gesetzentwürfen im Bereich der Justiz, die wir hier beraten, in der Regel der Fall ist: Es gibt Kritik von beiden Seiten, und der Gesetzentwurf geht in der Regel in der Mitte durch. ({3}) Damit zeigt sich, dass wir das gefunden haben, was der Abgeordnete Benneter mit Recht die „goldene Mitte“ nennt. Vielen Dank für die Hilfe. ({4}) Deswegen glaube ich, dass das richtig ist. Es ist wichtig, dass wir reagieren können, wenn es erforderlich ist. Wir wissen aus den Bundesländern, dass es Einzelfälle gibt, in denen es zum Schutze der Opfer und zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist, sicherzustellen, dass die entsprechenden Täter nicht wieder die Möglichkeit haben, andere zu vergewaltigen oder andere schwerste Straftaten an Personen zu begehen. Wie gesagt: Ich weiß um die Schwierigkeit dieses Projektes. Die Tatsache, dass wir lange darüber disku18088 tiert haben, zeigt Ihnen, dass wir die Debatte durchaus ernst genommen haben. Ich danke für die konstruktive Diskussion innerhalb der Koalition und hoffe, dass wir dieses schwierige Projekt mit der Abstimmung heute zu einem guten Abschluss bringen werden. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Jörg Essen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000495, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin Zypries, ich danke Ihnen für den nachdenklichen Ton, den Sie bei diesem Thema angeschlagen haben. Ich glaube, das ist auch angemessen. Ich hätte mir gewünscht, dass auch die abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss in diesem Ton durchgeführt worden wären. Ich werde mich bemühen, das in dieser Debatte genauso zu tun wie Sie. Das Thema, zu dem wir zu entscheiden haben, ist in vielfältiger Form mit verfassungsrechtlichen Fragen, aber auch mit Fragen der Menschenrechte verknüpft. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind mehrere Verfahren anhängig. Der Gerichtshof wird in wenigen Wochen dazu verhandeln. Da ich die Eilbedürftigkeit der heutigen Entscheidung nicht sehe, hätte ich mir gewünscht, dass wir die Entscheidung zunächst abgewartet hätten, um zu wissen, welche Konsequenzen für uns daraus folgen. ({0}) Wenn man bei der verfassungsrechtlichen Prüfung bleibt, dann muss man auch auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es eine Ultima-RatioEntscheidung ist, jemanden in Sicherungsverwahrung zu bringen. Ist es das wirklich noch? Die Entwicklung in den zehn Jahren von 1996 bis 2006 zeigt, dass die Zahl der Sicherungsverwahrten in Deutschland allein in diesem Zeitraum von 176 auf 375 gestiegen ist. Das ist ein Anstieg um 125 Prozent. Insofern stellt sich die Frage, ob das wirklich noch eine Ultima-Ratio-Entscheidung ist. Den zweiten Punkt, der für mich besonders wichtig ist, hat das Bundesverfassungsgericht auch angesprochen, nämlich die Frage der Prognosesicherheit, die insbesondere im Zusammenhang mit Jugendlichen von Bedeutung ist. Sie kann manchmal sehr leicht zu beantworten sein, wenn jemand, der zu einer Jugendstrafe verurteilt worden ist, zum Zeitpunkt der Verurteilung vielleicht 20 Jahre alt war, eine acht- oder neunjährige Haftstrafe verbüßt hat und dann, wenn sich die Gutachter mit ihm befassen müssen, um die 30 ist. Dann wird sich im Regelfall keine andere Situation darstellen als bei anderen Erwachsenen im Strafvollzug. Wie aber stellt sich die Situation dar, wenn jemand sehr früh mit 14 oder 15 Jahren unmittelbar nach Erreichen der Strafmündigkeit eine schwere Straftat begangen hat, für längere Zeit in Jugendhaft gekommen ist und dann beurteilt werden muss? In diesem Fall sind wir auf eine sichere Prognose angewiesen; denn für einen Jugendlichen ist die Entscheidung, dass er in Sicherungsverwahrung kommt, sehr schwerwiegend. Für meine persönliche Entscheidung war in diesem Zusammenhang ein Gespräch sehr wichtig, das ich mit einem der renommiertesten Sachverständigen für Gerichtspsychiatrie geführt habe, der mir gesagt hat, er könne eine solche Entscheidung in einer solchen Konstellation in aller Regel nicht verantwortungsvoll treffen. Seine Begründung leuchtet, glaube ich, ein. Er sagt, dieser Jugendliche sei schon sehr früh in Strafhaft gekommen und habe nie unter normalen Umständen gelebt; deshalb sei die Prognose fast oder ganz unmöglich. In einer solchen Konstellation sollte eine Entscheidung für die Sicherungsverwahrung auch nicht getroffen werden. ({1}) Ich glaube, wir sollten noch eine zweite Kontrollüberlegung anstellen. Wir können bald das 100-jährige Jubiläum des Jugendrechts in Deutschland feiern, das sich außerordentlich bewährt hat. Es muss nachdenklich machen, dass in den fast 90 Jahren seit Bestehen des Jugendrechts in Deutschland das Thema der Sicherungsverwahrung für Jugendliche nie diskutiert worden ist, und zwar, wie ich finde - mein bisheriger Beitrag hat das auch deutlich gemacht -, aus guten Gründen. Es gibt auch keine äußeren Gesichtspunkte, die uns nahelegen, die Sicherungsverwahrung für Jugendliche einzuführen. Denn die Situation hat sich nicht geändert. Es gibt keinen dramatischen Anstieg von Mordtaten Jugendlicher, um nur dieses Beispiel zu nennen. Deshalb ist die Entscheidung meiner Fraktion klar und eindeutig: Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Aber ich will noch einen zweiten Gedanken anfügen. Wir haben in den letzten zehn Jahren sechs Neuregelungen im Bereich der Sicherungsverwahrung durchgeführt. Es war sehr eindrucksvoll, was der von der SPD benannte Sachverständige, der von mir sehr geschätzte ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer, vorgetragen hat. Er hat uns gemahnt, uns das Thema noch einmal vorzunehmen, zu einer Bereinigung zu kommen, die Dinge zu glätten und vernünftige Regelungen zu finden. Ich habe mit Interesse gehört, Frau Ministerin, dass Ihr Parlamentarischer Staatssekretär gesagt hat, die Bundesregierung arbeite daran. Das ist eine Aufgabe für uns alle. ({2}) - Leider nicht. Deswegen spreche ich sie ausdrücklich an, Herr Kollege. Wir brauchen hier dringend eine Bereinigung, eine Zusammenführung der verschiedenen Regelungen. Wir jedenfalls legen darauf größten Wert. ({3}) Der Grund dafür ist, dass wir wissen, dass wir eine Verantwortung gegenüber den Opfern haben. Auch diese sehen wir und werden deshalb verantwortlich entscheiden. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächster spricht für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege Jürgen Gehb.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Institut der Sicherungsverwahrung ist ein Mittel, zu dem der Gesetzgeber sicherlich nicht gerne greift. Nun kommt es nicht darauf an, ob wir unsere Aufgaben gerne wahrnehmen oder nicht. ({0}) Die Gewährleistung des Schutzes vor Verurteilten, die selbst nach Verbüßung einer langjährigen Freiheitsstrafe immer noch für Leib, Leben, Gesundheit und sexuelle Selbstbestimmung anderer eine erhebliche Gefahr darstellen, ist ein überragendes Gemeinwohlinteresse. Die Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, ist eine Aufgabe des Staates, ob er sie gerne macht oder nicht. Welches Mittel wir anwenden, um die Gesellschaft zu schützen, ist dem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen. Bei Erwachsenen und Heranwachsenden, die nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden, kennen wir seit langem die Rechtsfigur der Sicherungsverwahrung: die originäre Sicherungsverwahrung, die mit dem Schuldspruch und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung, bei der sich der Richter nicht sicher ist, ob das jetzt schon zu entscheiden ist, aber sich die Entscheidung bis zur Entlassung des Strafgefangenen vorbehält, und schließlich als bisherigen Höhepunkt, wenn man das so will, oder auch Schlusspunkt die nachträgliche Sicherungsverwahrung. ({1}) Sämtliche damit verbundenen verfassungsrechtlichen Fragen, Probleme und Implikationen sind inzwischen in Literatur und Rechtsprechung nachgerade ausgepaukt. Ob es um Vertrauensschutz geht, um Rückwirkung, echte Rückwirkung, unechte Rückwirkung, Menschenwürde, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Alles ist entschieden. Selbst wenn man nicht allzu fleißig ist, kann man das im Urteil des BGH vom 15. April dieses Jahres mit Verweis auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Herr Nešković, namentlich auch die vom 5. Februar 2004 und vom 10. Februar 2004, nachlesen. All das ist im 109. Band auf Seite 133 f. oder auf Seite 233 f. abgedruckt. Nun wird uns der Großmeister der Vorlesekunst, Herr Nešković von den Linken, gleich mit lauter Stimme und entsprechender Betonung, ohne seinen Blick auch nur ein Jota vom Manuskript wegzubewegen, um den Blickkontakt zum Auditorium zu suchen, vortragen, dass der Grundsatz ne bis in idem noch nie ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht geprüft worden ist. Herr Nešković, es muss eine lässliche Sünde sein, wenn das Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Allgemeinen und auch in den besonderen Fällen für verfassungsgemäß hält und es weiß Gott übersehen haben sollte, dass es außer dem Art. 103 Abs. 2 des Grundgesetzes, nulla poena sine lege, noch den Abs. 3 des gleichen Artikels, ne bis in idem, gibt. Aber Sie werden uns das gleich erklären. ({2}) Nun schließen wir eine weitere Lücke. Es geht um Regelungen für Straftäter, die nach Jugendstrafrecht bestraft werden. Das ist etwas anderes als Sicherungsverwahrung für Jugendliche. Deswegen war die heutige Presseerklärung, verehrte Frau Ministerin, mit der Überschrift „Bundestag verabschiedet nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht“ ein bisschen verfänglich. ({3}) Wer die Begriffe nicht genau kennt, kann natürlich auch in der Diskussion nicht bestehen. Das ist deshalb ein großer Unterschied, weil es sich zwar zum Zeitpunkt der Verurteilung um einen Jugendlichen handelt, aber er zum Zeitpunkt, in dem es um die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung geht, mindestens 21 Jahre alt ist; damit haben wir eine sehr hohe Hürde eingebaut. Die Union hätte sich als Voraussetzung auch eine Anlasstat vorstellen können, die mit fünf Jahren bestraft wird. Aber wir haben uns in der Koalition auf mindestens sieben Jahre geeinigt. Sieben Jahre bekommen Sie in Deutschland vor einer Jugendgerichtskammer für Taten, die denen des Hannibal Lecter in „Das Schweigen der Lämmer“ nicht nur in nichts nachstehen, sondern in einzelnen Fällen sogar weit darüber hinausgehen. ({4}) Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich Beispiele nennen soll oder nicht; denn man setzt sich schnell dem Vorwurf aus, den Boulevard und die niedrigen Instinkte zu bedienen. Ich will es dennoch tun, weil Herr van Essen eben gesagt hat, es bestehe kein Handlungsbedarf. Wir haben momentan in Bayern den Fall eines Täters, der nach dem Jugendstrafrecht zu zehn Jahren Haft wegen folgender Tat verurteilt worden ist: Er hat völlig ohne Anlass ein wildfremdes Mädchen beim Joggen im Wald abgefangen, es mit Bremskabeln an einem Ast bestia18090 lisch erwürgt, anschließend ihr Geschlechtsteil entblößt und auf die Leiche bis zum Samenerguss onaniert. Das ist nur ein Fall aus der Kriminalgeschichte. Es gibt noch viel schlimmere. Herr van Essen, da Sie sagten, es bestehe im Moment kein Anlass: Dieser Mann droht demnächst entlassen zu werden, wenn wir heute nicht den vorliegenden Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Ich möchte nicht mit den Eltern eines weiteren Opfers diskutieren, ob die Prognose unsicher war oder nicht. Natürlich ist jede Prognoseentscheidung mit Unsicherheit behaftet. Das hat das Bundesverfassungsgericht bei seinen Prüfungen wiederholt eingeräumt. Aber es ist nicht so, dass der Schließer oder der Gefängnisdirektor mal eben sagt: Das Bürschchen in Zelle 3 dürfen wir, glaube ich, nicht entlassen. Nun kommt die nächste hohe Hürde. Die Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird von einem Gericht in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern nach Einholung sachverständiger Gutachten in einem allen rechtsstaatlichen Kautelen gerecht werdenden forensischen Verfahren getroffen, wenn kein vernünftiger Zweifel mehr übrig bleibt und das Maß der Gewissheit, dass der betreffende Mann gefährlich ist, so hoch ist, dass man nach Abwägung aller Gesichtspunkte sagt: Den Mann können wir nicht mehr auf die Menschheit loslassen. Dieses Prozedere wird nicht nur nach den ersten sieben Jahren durchgeführt. Nein, meine Damen und Herren, anders als bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Erwachsene wird dieses Prozedere bei Jugendlichen jedes Jahr durchgeführt, um festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der einmal angeordneten Sicherungsverwahrung weiter bestehen. Wer wie Herr Montag vor dem Hintergrund dieser hohen Anforderungen, die wir uns selber gesetzt haben, in der vorgestrigen Sitzung des Rechtsausschusses davon spricht, dass man im Grunde alle möglichen Taten, zu denen ein Hang besteht, zum Anlass für eine Sicherungsverwahrung nehmen könne, übersieht völlig, dass das nur bei bestialischen Tötungsdelikten gilt. Wer noch eineinhalb draufsetzt und bei Berufung auf nur einen Sachverständigen - Herr Nešković, Sie werden das in den vier Minuten, wenn Sie ein bisschen schneller vorlesen, wahrscheinlich ansprechen; Sie haben sich aber die Auffassung dieses Sachverständigen zu eigen gemacht die Menschen glauben machen will, der Gesetzgeber sei auf dem besten Weg, die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung ohne jede Anlasstat zuzulassen, verrät entweder ein hohes Maß an Mangel jeglichen Sachverstandes - hinter dem Schutzschild der Ahnungslosigkeit kann man sich am besten verbergen - oder ein noch höheres Maß an bösartiger, verleumderischer Energie. Tertium non datur: Eine dritte Möglichkeit sehe ich für diese Auffassung nicht. Vielen Dank, meine lieben Kolleginnen und Kollegen. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Wolfgang Nešković spricht jetzt für die Linke. ({0})

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries! Vor mehr als 50 Jahren schrieb ein amerikanischer Autor eine Kurzgeschichte mit dem Titel Minority Report. Die Geschichte handelt davon, dass eine Abteilung der Washingtoner Polizei mit angeblich verlässlichen hellseherischen Fähigkeiten noch nicht geschehene Morde vorhersieht, die Täter im Vorfeld ermittelt und bereits vor dem Verbrechen in Verwahrung nimmt. Nun schrieb das Bundesministerium der Justiz einen Gesetzentwurf, nach dem die Strafgerichte künftig schwere Straftaten junger Menschen vorhersehen und die Täter auf unbestimmte Zeit wegsperren sollen. Fiktion und Realität nähern sich an. ({0}) In der Kurzgeschichte und im Gesetzentwurf schlägt das zwischen Freiheit und Sicherheit schwingende Pendel nur in eine Richtung aus, das ist die Richtung der Sicherheit. Die Gerichte werden künftig mithilfe von Sachverständigen entscheiden müssen, ob junge Menschen mit hoher Wahrscheinlichkeit furchtbare Verbrechen verüben können. ({1}) Hier liegt das Grundproblem des Konzeptes der Sicherungsverwahrung. Die Gerichte werden vor eine fast nicht lösbare Aufgabe gestellt. Es ist aus wissenschaftlicher Sicht kaum möglich, eine verlässliche Prognose über die künftige Begehung schwerwiegender Straftaten abzugeben. Jeder Mensch ist und bleibt Träger von Chance und Risiko; deshalb bleiben seine Wege letztlich unergründlich. Für junge Menschen gilt dies umso mehr. Schließlich ist ihre Lebensgeschichte erst kurz, und ihre Persönlichkeitsentwicklung dauert noch an. Weiter kommt erschwerend hinzu, dass die Situation des Strafvollzugs, in der die Prognose erfolgt, eine Kunstwelt ist, die keine belastbaren Prognosen bezüglich des Verhaltens in Freiheit ermöglicht. Dessen sind Sie sich im Grunde bewusst. Sie sind sich auch dessen bewusst, dass Sie gerade bei Jugendlichen für die Gefährlichkeitsprognose auf den Schutzwall der Voraussetzung der neuen Tatsachen verzichten. Sie wissen auch, welch verheerende Folgen es für die Prognosebasis hat, dass sich die Gutachter im Regelfall nur auf eine einzige Anlasstat stützen können. Sie haben deshalb ein schlechtes Gewissen. Das schlechte Gewissen hat Sie dazu getrieben, unter anderem die hohe Siebenjahreshürde für die Anlassverurteilung aufzustellen. Das ist aber ein fauler Ablasshandel. Ein ungeeignetes und in der Folge ungerechtes Instrument wird nicht dadurch geeignet und gerecht, dass es weniger Menschen ungerecht der Freiheit beraubt. Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn es weniger Menschen trifft. Führen Sie die mit gutem Grund eingeführte Befristung der Jugendstrafe nicht dadurch ad absurdum, dass Sie eine unbefristete Maßregel auf sie folgen lassen. Es bedeutet einen unerträglichen Widerspruch, wenn ein Jugendlicher für eine tatsächlich begangene Straftat wie die, die Sie geschildert haben, und mag sie noch so scheußlich sein, höchstens zehn Jahre Jugendstrafe erhalten kann, für eine aber noch gar nicht begangene Straftat lebenslanges Wegsperren befürchten muss. ({2}) Verlangen Sie von unserem Rechtsstaat nicht, mit gespaltener Zunge zu sprechen! Er wird sich daran verschlucken. ({3}) Deswegen: Stimmen Sie dem Entschließungsantrag meiner Fraktion zu! Meine Fraktion fordert die Einsetzung einer Expertenkommission, ({4}) die sich einmal die grundsätzliche Frage stellt, wie wir mit dem Institut der Sicherungsverwahrung insgesamt umgehen. Das haben die Sachverständigen gefordert, aber Sie ignorieren sie. Das ist typisch für Ihre Politik. Dann kann es eine vertretbare Lösung für den Rechtsstaat geben. Die eingangs erwähnte Kurzgeschichte verdankt im Übrigen ihren Namen der Tatsache, dass einige der Hellseher Minderheitenvoten verfasst haben, die geheim geblieben sind. Die Wahrheit ist: Die Hellseher sind sich über die Zukunft gar nicht einig. Wie die Gutachter in einem Fall der Sicherungsverwahrung, so verfügen auch sie in Wahrheit nur über Annahmen zu dieser Zukunft, und wie bei der Sicherungsverwahrung wurden die Menschen in dieser Kurzgeschichte lediglich aufgrund von Annahmen in die Verwahrung genommen. Die Begabteste der Hellseherinnen verschafft einem der Verfolgten dann die nötige Einsicht zu seiner Zukunft mit einem einzigen Satz: Du hast die Wahl. - Erkennen auch Sie an, dass junge Menschen immer die Wahl haben, das Gute oder das Schlechte zu tun. Niemand kann diese Wahl mit ausreichender Sicherheit vorhersehen. Auch Sie haben jetzt die Wahl. Machen Sie guten Gebrauch davon! Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf ab! Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Jerzy Montag für das Bündnis 90/Die Grünen.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Justizministerin Zypries! Heute ist ein guter Tag, um einmal darüber nachzudenken, wie sich das Rechtsinstitut der Sicherungsverwahrung in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren entwickelt hat. Schauen wir uns die Zahlen an: 1995 befanden sich in Deutschland 183 Personen in Sicherungsverwahrung. 2000 waren es 219 Personen, 2006 401, 2007 415. Mit Stichtag zum 30. November 2007 waren 424 Personen in Sicherungsverwahrung. Von denjenigen, die im Jahre 2006 in Sicherungsverwahrung untergebracht worden sind, sind knappe 20 Prozent, Herr Gehb, nicht wegen Gewalttätigkeiten - Mord, Totschlag -, sondern wegen Diebstahl, Betrug oder Untreue in Sicherungsverwahrung gekommen. ({0}) - Ich habe gesagt: Heute ist ein guter Tag, um sich über die Sicherungsverwahrung insgesamt zu unterhalten. Die Sicherungsverwahrung in Deutschland ist nicht auf einem guten Weg, sondern auf einem schlechten. ({1}) Es wäre ganz sinnvoll - deswegen haben wir Grüne heute unseren Entschließungsantrag eingebracht -, wenn die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen und die praktischen Auswirkungen der Sicherungsverwahrung umfassend untersuchen und dann eine entsprechende Bilanz vorlegen würde, ehe wir zu einer weiteren Ausweitung der Sicherungsverwahrung kommen. Denn die Sicherheitslage in Deutschland, meine Damen und Herren, ist nicht so, dass wir in 2008 mehr als doppelt so viele Menschen wie in 1995 in Sicherungsverwahrung nehmen müssten. ({2}) Jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf: Um wen geht es? In der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie auf Seite 9 - ich zitiere: Denn es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sich in Einzelfällen bereits zum Zeitpunkt des ursprünglichen Urteils erhebliche Hinweise auf eine hohe künftige Gefährlichkeit zeigen. Hierbei geht es um ganz wenige Jugendliche, bei denen schon kurze Zeit nach der Tat - nach einer wie der von Ihnen beschriebenen oder einer noch schlimmeren Tat - zur Diskussion steht, wie es am Ende mit ihnen weitergeht. ({3}) Vergleichen Sie jetzt einmal die Situation der wenigen nach allgemeinem Strafrecht verurteilten Heranwachsenden mit der jener Jugendlichen, für die hier eine Regelung getroffen werden soll. Bei den Heranwachsenden kennen wir den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. In den Fällen, in denen das Gericht unsicher ist, bringt es dies auch zum Ausdruck. In diesen Fällen weiß der Verurteilte, was ihm drohen kann. Deswegen steht im Gesetz, dass er nur bei neuen, nachträglichen Tatsachen - dabei ist ja eine eigene Einflussmöglichkeit gegeben Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković eventuell in acht oder zehn Jahren in die Sicherungsverwahrung gebracht werden kann. Diese Heranwachsenden kommen bis zum 27. Lebensjahr in eine sozialtherapeutische Anstalt, damit sie Gelegenheit haben, selber daran mitzuwirken, nicht in Sicherungsverwahrung zu kommen. Den Jugendlichen, um die es jetzt geht, soll aber weder ein Signal gegeben werden, dass sie in Sicherungsverwahrung kommen könnten, noch die Gelegenheit, dem in einer Sozialtherapie entgegenzuwirken. Das bedeutet: Wenn ein Jugendlicher ab jetzt die formalen Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung erfüllt, dann wird er bis zum letzten Tag seiner Haft nicht sicher sein, ob eine Sicherungsverwahrung verhängt werden wird oder nicht. Es stellt sich die Frage, ob sie aufgrund neuer oder alter Tatsachen verhängt wird. Sie drehen ein einziges Wörtchen um: In § 66 b StGB und in § 106 des Jugendgerichtsgesetzes steht: werden nach einer Verurteilung … Tatsachen erkennbar … In diesem Gesetzentwurf steht: sind nach einer Verurteilung … Tatsachen erkennbar … „Werden“ wird zu „sind“. Damit will ich schließen. Warum diese Änderung? In großer Offenheit schreiben Sie in der Begründung dazu Folgendes: Dabei ist der Wortlaut ({4}) so gefasst, dass für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ausnahmslos und stets erhebliche „neue“ Tatsachen vorauszusetzen sind, die sich aus der Entwicklung während des Vollzugs ergeben … Ergo: Sie behandeln die Jugendlichen nach diesem Gesetz, wenn man bei der Idee der Sicherungsverwahrung bleibt, mehrfach auch noch schlechter als die Heranwachsenden. Alleine schon deswegen muss dieses Gesetz abgelehnt werden. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Joachim Stünker hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Joachim Stünker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003244, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Montag, bei Ihren fulminanten Ausführungen hat mir eines gefehlt: auch einmal einen Gedanken an die Opfer zu verwenden. ({0}) Man stelle sich vor: Der Staat entlässt sehenden Auges einen jungen, aber erwachsenen Menschen nach zehn Jahren Strafverbüßung - Gutachter haben zuvor bestätigt, dass diese Person gefährlich ist; diese Person hat aus sexuellen Gründen schwerste Tötungsdelikte begangen; man geht davon aus, dass diese Person, wenn sie wieder in Freiheit ist, bei passender Gelegenheit wieder straffällig wird -, weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Irgendwann danach begeht er erneut eine solche Straftat. Ich verweise auf das Beispiel mit dem Opfer im Wald, das Herr Gehb genannt hat. Frau Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass wir uns die Regelung, die wir Ihnen hier vorschlagen, nicht leicht gemacht haben. Aus unserem Gesetzentwurf ergibt sich, dass wir alle Sicherheitsvorkehrungen eingebaut haben, um zu verhindern, dass irgendjemand, bei dem sich Rückfälligkeit nicht mit Sicherheit prognostizieren lässt, in Sicherungsverwahrung genommen wird. Dieses Verfahren ist nicht so, wie es Herr Kollege van Essen hier vorgetragen hat. Der entsprechende Täter hat eine Jugendstrafe verbüßt, die länger war als sieben Jahre. Er hat aus sexuellem Anlass ein schwerstes Gewaltdelikt, meistens ein Tötungsdelikt, begangen. In der Haft ist er in Sozialtherapie gewesen. Die Sozialtherapeuten sagten am Ende: Es tut uns leid; wir haben auch nach zehn Jahren nicht herausgefunden, wo diese Persönlichkeitsstörung eigentlich sitzt; wir müssen davon ausgehen, dass er, wenn er in Freiheit kommt, das Gleiche wieder tun wird. Die Möglichkeit, eine Sicherungsverwahrung anzuordnen, besteht nur dann - hier liegt Ihr Denkfehler, Herr van Essen -, wenn ein Gericht, eine erfahrene Jugendstrafkammer, eine Kammer, für die Schwurgerichtssachen zum täglich Brot gehören, die sich mit diesen Verfahren also genau auskennt - sie muss zwei weitere Sachverständige hinzuziehen; sie muss diese Person noch einmal begutachten -, neu verhandelt hat und zu dem Ergebnis kommt: Jawohl, sie ist noch gefährlich. Sicherungsverwahrung kann also nicht angeordnet werden, wenn dieses Gericht zu dem Ergebnis kommt: Wir können es nicht beurteilen; es gibt keine sichere Prognose. Dann gilt der Zweifelssatz. Wenn Zweifel bestehen, kann man keinen Schuldspruch fällen - Herr van Essen, das wissen Sie ganz genau -; das geht einfach nicht. Gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann man sich im Wege der Revision wenden. Der Bundesgerichtshof kann diese Entscheidung überprüfen. Ich habe solche Verfahren in meinem - wie ich immer sage - vorigen Leben als Richter häufig geführt; ich war jahrelang Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer. Ich kann nur sagen: Es ist leider so - wir wünschen uns etwas anderes -, dass es voll schuldfähige Personen mit Persönlichkeitsstörungen gibt, die nicht so krankhaft sind, dass sie zu verminderter Schuldfähigkeit oder Schuldunfähigkeit führen; dann hätten wir die Möglichkeit der Unterbringung. Ich meine, daher ist das, was wir Ihnen hier vorschlagen, verantwortbar. Ich bitte Sie um Zustimmung. Man muss hinzufügen: Nach Anordnung der Sicherungsverwahrung muss Jahr für Jahr überprüft werden, ob sich eine Veränderung ergeben hat. Wir schlagen Ihnen also keine leichte Regelung vor; das ist überhaupt keine Frage. Ich glaube, es ist aber eine Regelung, die im Interesse der Sicherheit der Menschen in unserem Land und auch der Täter - auch ihnen tut man keinen Gefallen, wenn man sie wieder in die Freiheit entlässt und sie die nächste Straftat begehen - ist. Schönen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einfüh- rung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Ver- urteilungen nach Jugendstrafrecht. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- sache 16/9643, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/6562 anzunehmen. Ich bitte diejeni- gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltun- gen! - Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Bera- tung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Wer für diesen Gesetzentwurf stimmen möchte, möge sich erheben. - Die Gegenstim- men! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf in der dritten Beratung und Schlussabstimmung mit dem gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent- schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9649? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Der Ent- schließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abge- lehnt. Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9650? - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Entschließungsantrag gegen die Stimmen von Bünd- nis 90/Die Grünen, FDP und großen Teilen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der Koalition bei einer Ent- haltung aus der Fraktion Die Linke abgelehnt. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 a und den Tagesordnungspunkt 31 b sowie Zusatzpunkt 10 auf: 31 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck ({0}), Dr. Uschi Eid, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Zur Lage der Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern - Drucksachen 16/2084, 16/2800 - b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ({1}) zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Den 17. 5. als offiziellen Tag gegen Homophobie begehen - Drucksachen 16/5291, 16/9366 Berichterstattung: Abgeordnete Holger Haibach Angelika Graf ({3}) Michael Leutert Volker Beck ({4}) ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen weltweit sicherstellen - Yogyakarta-Prinzipien unterstützen - Drucksache 16/9603 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen Anfrage vor. Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann soll so verfahren werden. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns in dieser Debatte mit der Menschenrechtssituation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender weltweit. Wenn man ins Internet schaut oder die Tagespresse Revue passieren lässt, sieht man, wie vielfältig die Verfolgung und die Beeinträchtigungen der Menschenrechte dieser Gruppe weltweit leider sind, auch auf unserem Kontinent. Im Oktober 2007 verbietet der Bürgermeister von Vilnius in Litauen eine Demonstration von Schwulen und Lesben. Das ist ein Beispiel von vielen aus osteuropäischen Staaten, in denen die Versammlungsfreiheit nicht respektiert wird. Es gab im Mai die Entscheidung des obersten Berufungsgerichts in Ankara, das die Homosexuellenorganisation Lambda Istanbul verboten hat. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Organisation geht in die Berufung. Das ist meines Erachtens ein alarmierendes Signal aus diesem Land. In Moldawien wurden in diesem Jahr ebenfalls Demonstrationen von Schwulen und Lesben verboten. Es kam zu erheblichen Gewalttätigkeiten, wobei die Demonstranten nicht ordnungsgemäß von der Polizei ge18094 Volker Beck ({0}) schützt worden sind. Das Europäische Parlament hat sich hierüber sehr besorgt geäußert. In diesem Monat hat die UNO bei ihrer Unterorganisation UNAIDS auf Initiative der Länder Ägypten, Jamaika und Simbabwe drei Homosexuellengruppen von einem entsprechenden Kongress ausgeschlossen. Vor wenigen Wochen wurden zwei Spanier in Gambia wegen ihrer Homosexualität verhaftet. Das alles sind nur Beispiele dafür, dass weltweit die Menschenrechte von Schwulen und Lesben noch nicht garantiert und noch nicht gewährleistet sind. Was die bürgerlichen und politischen Freiheiten angeht, ist das oftmals auch in osteuropäischen Ländern der Fall. Weltweit, insbesondere in den afrikanischen und islamischen Ländern, gibt es leider auch ganz fundamentale Menschenrechtsverletzungen; dort stehen die homosexuellen Handlungen selbst unter Strafe. In über 80 Ländern sind einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen strafbar. In über sieben Ländern steht darauf die Todesstrafe. Die Antwort der Bundesregierung hierauf finde ich beachtlich. Mir sind aus den letzten Jahren leider eine Reihe von Exekutionen von Homosexuellen in Ländern wie Iran und Saudi-Arabien bekannt; der Bundesregierung offensichtlich nicht. Ich finde, da sollte man genauer hinschauen. Solche Todesurteile sollten nämlich Anlass für Demarchen sein. Diesen Menschen sollte man im Rahmen einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik helfen, indem man sich bemüht, sie zu retten, und gegebenenfalls auch bereit ist, sie in Deutschland aufzunehmen. ({1}) Sozusagen als ganz klassisches Gegenbild, als Gegenentwurf zur realen Menschenrechtssituation von Lesben und Schwulen auf dieser Welt, wurden im Jahre 2006 unter Mary Robinson, der ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, die Yogyakarta-Prinzipien entworfen. Aus diesen geht hervor - das ist eine gute Handlungsanleitung für jeden Politiker -, dass es in jedem Menschenrechtsbereich - ich nenne zum Beispiel das Recht auf Gesundheit, das Recht auf einen fairen Prozess, das Recht auf Leben, das Recht auf bürgerliche und politische Rechte - spezifische Aspekte gibt, die bei einer Menschenrechtsgarantie für Lesben und Schwule zu berücksichtigen sind. Auf diese Aspekte muss man leider immer wieder aufmerksam machen, weil es immer irgendein Land auf der Welt gibt, wo sie zumindest punktuell nicht gewährleistet sind. Ich finde es sehr gut, dass uns die entsprechende Studie, die mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes gedruckt wurde, weil es bisher keine amtliche Übersetzung dieser Studie ins Deutsche gab, von der HirschfeldEddy-Stiftung zur Verfügung gestellt wird. Dabei handelt es sich, wie ich glaube, um ein wichtiges Arbeitsmaterial. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung sich die skandinavischen Staaten, Tschechien und andere Länder zum Vorbild nehmen und dieses Dokument zur Grundlage ihrer Menschenrechtspolitik für die genannte Gruppe machen würde. Leider hat die Bundesregierung in einer Antwort auf die entsprechende Anfrage einer anderen Fraktion geantwortet, sie halte das lediglich für einen wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft. Ich glaube, hier geht es um mehr als einen Beitrag der Zivilgesellschaft. Hier wird durchbuchstabiert, wie Menschenrechte für diese Gruppe wirklich aussehen müssen. ({2}) Ob wirkliche Menschenrechtspolitik betrieben wird, erweist sich letztlich immer daran, ob die Rechte jeder Minderheit in einer Gesellschaft, seien es die Bahai im Iran oder in Ägypten, seien es die Homosexuellen in Afrika oder jüdische oder christliche Minderheiten in islamischen Ländern, geschützt werden. Umgekehrt kann man am Umgang mit diesen Minderheitenrechten sehen, wie es um die Menschenrechtslage insgesamt bestellt ist. Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Neben der dramatischen Lage, die auf der Welt bei diesem Thema herrscht, gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Am 31. Mai 2008 hat die Organisation Amerikanischer Staaten einstimmig das Thema „Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern“ auf ihre Agenda gehoben. Damit ist die weltweit zweite regionale Organisation bei diesem Thema engagiert. Ich finde, das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Initiative von Brasilien, die vor einigen Jahren im Menschenrechtsrat in Genf gescheitert ist, noch einmal aufgegriffen wird. Die Bundesrepublik Deutschland sollte da zwar nicht eine Leader-Rolle übernehmen, aber wir sollten, wenn sich engagierte Länder aus der Dritten Welt, die ein ähnliches Menschenrechtsverständnis wie wir haben, an die Spitze stellen, alles tun, um sie dabei zu unterstützen.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

So könnte es gelingen, dass eines Tages die Menschenrechte von Lesben und Schwulen nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch tatsächlich überall anerkannt werden. Vielen Dank für Ihre Geduld. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Holger Haibach spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem hat der Kollege Beck sicherlich recht: Natürlich hat der Umgang einer Gesellschaft mit Minderheiten eine große Aussagekraft darüber, wie eine Gesellschaft sich insgesamt zum Thema Menschenrechte stellt. Dass natürlich besonders Gruppen, die sich nicht im Mainstream einer Gesellschaft befinden, auf Schwierigkeiten stoßen, und das besonders in Ländern, in denen es um die Menschenrechtssituation ohnehin problematisch bestellt ist, ist in diesem Hause, wie ich glaube, auch unstrittig. Deswegen ist es nicht nur eine Frage von Regierungshandeln - natürlich auch das -, sondern darüber hinaus auch eine Frage der Mentalität der gesamten Bevölkerung in einem Land, die darüber entscheidet, ob eine Gruppe wie zum Beispiel Schwule, Lesben, Transgender, Intersexuelle in einer Gesellschaft leben kann. Wir brauchen in unserer eigenen Geschichte nicht sehr weit zurückzugehen, um festzustellen, dass auch in zivilisierten Ländern durchaus Dinge geschehen sind, die wir heute gerne ungeschehen machen würden, wenn wir es denn könnten. Nichtsdestoweniger noch einmal zurück zum Thema Mentalitäten. Ich halte es für wichtig, dass Regierungshandeln - Handeln unserer Bundesregierung und anderer Regierungen - dieses Thema aufnimmt und da einen Schwerpunkt setzt. Ich halte es aber für mindestens genauso wichtig, dass wir insgesamt dafür sorgen, dass eine Mentalität, wie sie sich hoffentlich in unserem Land herausgebildet hat, im Zusammenhang mit diesem Thema auch in andere Länder getragen wird. Ich kann mich noch gut an eine Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erinnern, wo der russisch-orthodoxe Patriarch erklärt hat, die Parade in Moskau, an die der Kollege Beck, wie ich in meiner letzten Rede so schön gesagt habe, noch schmerzliche Erinnerungen haben dürfte, sei ungefähr so gewesen, als habe man für Diebstahl Werbung gemacht. Was mich persönlich noch mehr erschüttert hat als die Tatsache, dass er, ein Kirchenführer, ein Führer einer christlich-orthodoxen Kirche, das gesagt hat, war, dass von den etwa 150 anwesenden Kolleginnen und Kollegen - die meisten kamen aus Osteuropa, den Kaukasus-Staaten und Russland - etwa 100 lautstark und anhaltend applaudiert haben. Ich finde, diese Geisteshaltung darf von diesem Haus nicht unterstützt werden. ({0}) Richtig ist auch, dass Diskriminierung in sehr unterschiedlicher Art und Form stattfinden kann. Es kann sein, dass diese Gruppe in einem Land „nur“ gesellschaftlich nicht sehr angesehen ist. Es kann sein, dass der Staat duldet, dass Verfolgung stattfindet. Es kann aber auch sein, dass der Staat - darauf hat der Kollege Beck zu Recht hingewiesen - sogar Strafmaßnahmen gegenüber Menschen mit einer solchen Lebensweise ergreift. Wir haben mit dem Menschenrechtsausschuss Usbekistan und Turkmenistan besucht, zwei Länder, in denen das so ist. Die Antwort, die man dann immer bekommt, ist, dass es nicht der jeweiligen Lebensweise entspricht, eine solche Einstellung zu haben. Selbst wenn es so wäre: Es gibt internationale Verträge, es gibt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, an die sich auch Staaten halten müssen, die eine andere Lebensweise haben. So einfach ist das an dieser Stelle. ({1}) Mir fällt in letzter Zeit immer mehr auf, dass es viele Länder gibt, in denen Homosexuelle, Transgender, Intersexuelle, wenn sie sich denn dazu bekennen können, für Dinge angeklagt werden, die mit ihrer sexuellen Orientierung eigentlich nichts zu tun haben. Wir stellen insgesamt bei Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, fest, dass ein Vorwand gesucht wird. Aber bei dieser Gruppe sieht das manchmal ein bisschen aus wie eine moderne Form von Hexenjagd. Für uns ergibt sich daraus die Frage: Was können wir tun? Ich denke, der vorliegende Antrag, der sich mit den weltweiten Prinzipien beschäftigt - insgesamt beraten wir heute über drei Anträge -, zeigt einige wichtige Dinge auf. Wir werden das sicherlich sehr intensiv im Ausschuss diskutieren. Aber wir sollten eben auch schauen, welche Möglichkeiten wir innerhalb unserer eigenen Gremien haben. Ich finde den Hinweis auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in diesem Zusammenhang ausgesprochen wichtig. Der Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ist für viele Menschen, besonders aus den osteuropäischen Staaten, aus dem Kaukasus-Raum und aus Russland, die letzte Möglichkeit, ihr Recht einzuklagen und zu erstreiten. Dass der Gerichtshof große Probleme hat, haben wir hier mehr als einmal festgestellt. Auch dass wir alles tun müssen, damit der Gerichtshof wieder arbeitsfähig wird, haben wir hier gemeinschaftlich festgestellt. Aber das gilt besonders für solche Gruppen, die in ihren eigenen Ländern marginalisiert sind; denn sie werden am Ende noch viel weniger die Möglichkeit haben, sich an irgendeine Stelle in ihrem Land zu wenden. Die Menschen in Ländern, deren Justizsystem von vornherein nicht auf Unabhängigkeit und rechtsstaatlichen Prinzipien basiert, brauchen diesen Gerichtshof; denn er ist ihre letzte Hoffnung. ({2}) Ich will mich nicht davor drücken, auch über den Antrag zu sprechen, der den Tag gegen Homophobie betrifft. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen. Das hat aber nichts mit unserer grundsätzlichen Einstellung zu tun, sondern mit der Frage nach den Mitteln, die ich vorhin schon einmal aufgeworfen habe. Ich habe das letzte Mal vorgelesen - ich verzichte deshalb jetzt darauf -, welche internationalen Feiertage, Gedenktage und Erinnerungstage an dem Tag der damaligen Debatte stattfanden. Man ist über die Menge überrascht. Würde man noch nationale Feier- und Gedenktage hinzunehmen, würde die Liste wesentlich länger werden. Ich weiß, dass Symbole an der einen oder anderen Stelle notwendig sind. Aber der inflationsartige Ge18096 brauch von Symbolen würde der Sache nicht gerecht werden. Deswegen halten wir dieses Vorgehen nicht für den richtigen Weg. Nichtsdestoweniger ist es wichtig, dieses Ziel zu verfolgen. Ich komme zum Schluss. Ich habe vorhin zufällig ein Buch mit dem Titel „Solidarität, die ankommt“ von Peter Hesse, einem Christdemokraten, in die Hand bekommen. Auf der Rückseite des Buches stehen zwei Sätze, die ich in diesem Zusammenhang für sehr erwägenswert halte: Die Entwicklung unseres globalen Dorfes zu einer Gemeinschaft, in der alle Menschen friedlich und würdevoll als „Einheit in Vielfalt“ in einer Balance leben können, ist eine Vision. Es ist aber auch eine Notwendigkeit, wenn die Lebensform „Mensch“ sich nicht selbst vernichten oder ihre geistigen Werte verlieren will. Ich glaube, das fasst zusammen, warum wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen. Herzlichen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen ist der nächste Redner für die FDP-Fraktion.

Burkhardt Müller-Sönksen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003818, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns alle darin einig, dass wir Politikerinnen und Politiker gegen Menschenrechtsverletzungen jeglicher Art vorgehen müssen. Das bedeutet natürlich auch eine klare Ablehnung von Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt gegen Transgender, Bisexuelle, Schwule und Lesben. Aus diesem Grunde haben wir vor kurzem zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen einen Änderungsantrag zum Antrag zur Einführung eines offiziellen Tages gegen Homophobie eingebracht, der die Problematik der Homophobie geografisch erweitert. Uns ging es vor allem darum, festzuhalten, dass nicht nur in Polen, sondern auch in vielen anderen Ländern - ich nenne nur Rumänien und die baltischen Staaten - ein bedrückendes Klima der Intoleranz gegenüber Homosexuellen herrscht. ({0}) Leider wurde dieser Antrag von Ihnen, den Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, abgelehnt. Als Partei der Bürgerrechte treten wir natürlich für den Grundgedanken der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und deren Würdigung ein. Dazu gehört auch, die Rechte von Transgendern, Bisexuellen, Lesben und Schwulen in allen gesellschaftlichen Bereichen weltweit durchzusetzen. In diesem Sinne haben die Liberalen Internationalen auf ihrem 55. Kongress vor gut einem Monat eine Resolution verabschiedet, in der die liberalen Parteien von über 60 Ländern aufgerufen werden, Initiativen gegen die Diskriminierung von Homosexuellen zu ergreifen. Die Liberalen im Deutschen Bundestag begrüßen diese Resolution sehr, in der es vor allem um die politische Arbeit gegen staatliche Verfolgung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung geht. Zentral ist auch die Forderung nach dem Schutz Homosexueller vor Diskriminierung durch Dritte. Die Resolution ist vor allem als Signal in den Ländern wichtig, in denen es alles andere als selbstverständlich ist, sich für die Grundrechte Homosexueller einzusetzen. Hier gibt es auch für einige liberale Parteien noch einiges zu tun. Diese selbstkritischen Worte will ich in die eigene Familie senden. Wenn ich es mir recht überlege, hört sich ein „Tag gegen …“ per se nicht positiv an. Diese Formulierung ist einfach negativ. In der Bezeichnung des Tages, den die Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen am 17. Mai einführen wollen, steht auch noch ein Fremdwort. Mit dem Wort „Homophobie“ kann der normale Bürger aber nur schwerlich die Nachricht verbinden, dass es eigentlich um den Einsatz für das hohe Gut der Menschenrechte geht. Auch deshalb stehen wir der Einführung eines neuen Gedenktages kritisch gegenüber und sind nicht wirklich davon überzeugt, dass damit Besserungen in der Sache erreicht werden können. Außerdem gibt es bereits - bestens in Deutschland eingeführt - den Christopher Street Day. Wir fänden es konstruktiver, würden wir uns weltweit auf einen CSD einigen, anstatt einen neuen Gedenktag einzuführen. Meine Damen und Herren, die FDP im Deutschen Bundestag setzt eher auf politische Initiativen, um sich für die Rechte von Transgendern, Bisexuellen, Lesben und Schwulen stark zu machen, als auf das Begehen von offiziellen Tagen. Wir haben in der letzten Wahlperiode mit dem Ergänzungsgesetz das bislang weitgehendste Gesetz zur Rechtsstellung von eingetragenen Lebenspartnern vorgelegt. Wir sehen aber immer noch eine Übermacht an Pflichten für die Paare im geltenden Lebenspartnerschaftsrecht. Wesentliche Rechtsbereiche wie zum Beispiel das Steuer-, Beamten- und Ausländerrecht bergen noch sehr viele unzureichende Regelungen. Auch ein weiteres Recht ist noch nicht durchgesetzt: das gemeinsame Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartner. Dieses Recht ist auf die Stiefkindadoption reduziert, was ganz klar hinter den gesellschaftlichen Entwicklungen zurückbleibt. Auch beim Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner muss und wird das Kindeswohl an erster Stelle stehen. Ende Mai hat die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag in Form eines Antrages auf eine weitere Schwachstelle in einem deutschen Gesetz hingewiesen: Wir haben einen Antrag zur „Reform des Transsexuellengesetzes für ein freies und selbstbestimmtes Leben“ eingebracht. In einigen bisherigen Regelungen des Transsexuellengesetzes gibt es schwerwiegende Grundrechtsverstöße, die unbedingt korrigiert werden müssen, wie zum Beispiel die Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die Voraussetzung der dauernden Fortpflanzungsfähigkeit und die geschlechtsanpassende Operation. Sie sehen, es bleibt auch in Deutschland noch viel zu tun. Natürlich sind wir in vielen Bereichen weiter als in anderen Ländern. Um auch dort Fortschritte in der Durchsetzung der Menschenrechte von Transgendern, Bisexuellen, Lesben und Schwulen zu erreichen, braucht es noch eine Menge Geduld, Aufklärungsarbeit und politischen Druck. Aber zum Glück gibt es von fachlicher Seite immer wieder Unterstützung. Vor zwei Jahren haben zahlreiche internationale namhafte Menschenrechtsexpertinnen und -experten eine systematische Gesamtschau auf die Menschenrechtsgewährleistung für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender erarbeitet - ich darf auf die Ausführungen des Kollegen Beck verweisen; er hat es schon erwähnt -: die Yogyakarta-Prinzipien, verabschiedet im November 2006. Jeder Mensch muss ein selbstbestimmtes Leben führen können - ob er schwul, lesbisch, bisexuell oder transsexuell ist. Dafür haben wir uns immer sehr stark eingesetzt, und das werden wir auch weiter tun. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht Angelika Graf für die SPD-Fraktion. ({0})

Angelika Graf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002662, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weltweit sind Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung Strafverfolgung und Diskriminierung ausgesetzt. Das hat die Große Anfrage der Grünen bestätigt. Um diesen Zustand zu ändern, muss die deutsche Politik klare Signale senden - innerhalb Deutschlands, in Europa, aber auch in der Welt. Denn nur eine Politik, die nicht diskriminiert, kann ein glaubwürdiger Botschafter gegen Homophobie in der Gesellschaft und international sein. Es gibt weltweit Fortschritte, aber auch Rückschläge bei der Entwicklung der Menschenrechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgendern; Kollege Beck hat bereits darauf hingewiesen. Deutschland war unter anderem mit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft unter der rot-grünen Bundesregierung ein Vorreiter in der Welt für mehr Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Das hat nicht nur die konkrete Lebenssituation von schwulen und lesbischen Paaren erheblich verbessert. Wir haben damit in die Gesellschaft auch das Signal ausgesandt, dass der Staat gleichgeschlechtliche Paare als Teil unserer Gesellschaft anerkennt, sie respektiert und ihnen einen Rechtsrahmen für ihre Partnerschaft anbietet. ({0}) Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Staat, der zu Benachteiligung, Ausgrenzung und Verfolgung ganz klar Nein sagt, damit Toleranz und Akzeptanz in der Gesellschaft stärkt. Wir haben im Kampf gegen Homophobie auch in Deutschland noch längst nicht alle Ziele erreicht. Gewalt gegen Schwule und Lesben ist in unserer Gesellschaft weiterhin ein Thema. Nicht ohne Grund ist das diesjährige Motto des Berliner CSD der Hass gegen Schwule, Lesben und Transgender. Denn leider ist homophobe Gewalt immer noch alltäglich, insbesondere in sozialen Brennpunkten unserer Städte. Gegen Homophobie müssen wir vorgehen, vor allem durch Aufklärung bei Jugendlichen. Hier sind insbesondere die für den Bereich Bildung zuständigen Bundesländer gefragt, die Integrationspolitik, aber auch unsere Bundesfamilienministerin, die das Thema Homophobie bei Jugendlichen ansprechen und anpacken muss. ({1}) Von einer wirklichen Gleichstellung sind wir in Deutschland noch weit entfernt. Eine Hauptursache dafür ist, dass das damals von Rot-Grün eingebrachte Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz im Bundesrat gescheitert ist. ({2}) - Ein Skandal. Da gebe ich Ihnen recht. ({3}) Der Europäische Gerichtshof hat darauf hingewiesen, dass die Schlechterbehandlung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten in der Hinterbliebenenversorgung eine willkürliche Benachteiligung ist. Meiner Ansicht nach besteht auch in vielen weiteren Punkten Handlungsbedarf. Die SPD setzt sich dafür ein, dass die Benachteiligungen ausgeräumt werden. Den gleichen Pflichten in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft müssen endlich auch gleiche Rechte folgen. Im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes setzen wir uns für die Gleichstellung aller Bundesbeamten ein. Bei der Reform der Erbschaftsteuer sind wir schon ein Stück weiter, denke ich; hoffe ich zumindest. Hier stehen die Chancen meines Erachtens gut, dass wir die bisherigen Nachteile grundsätzlich ausräumen können. Ich kann in diesem Zusammenhang nur an unseren Koalitionspartner appellieren, den Widerstand gegen die Beseitigung der Nachteile endlich aufzugeben. ({4}) Es nützt der Institution Ehe überhaupt nichts, wenn Sie eingetragene Lebenspartnerschaften schlechter stellen. ({5}) Aufgabe der Politik ist es, willkürliche Benachteiligungen abzuschaffen. Diesen Kurs hat die SPD auch in der Großen Koalition beibehalten und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz durchgesetzt. Dabei haben wir die Benachteiligung wegen der sexuellen Orientierung nicht nur, wie von der EU vorgeschrieben, im arbeits18098 Angelika Graf ({6}) rechtlichen, sondern darüber hinaus auch im zivilrechtlichen Teil untersagt. Das war ein harter Kampf. Das wissen alle, die daran beteiligt waren. Wir haben damit deutlich gemacht, dass eine Schlechterstellung von Schwulen und Lesben in Deutschland nicht hingenommen wird, weder im Arbeitsleben noch bei Vertragsabschluss. Wir haben außerdem deutlich gemacht, dass Diskriminierung keine Rangordnung und keine Hierarchie kennt. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, dass das Europäische Parlament mit den Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion, der Grünen und der Liberalen den Schutz vor Benachteiligung europaweit ausweiten möchte, auch für das Merkmal sexuelle Orientierung. Wir haben uns dafür bei Kommissionspräsident Barroso eingesetzt und freuen uns, dass die EU-Kommission dieses Votum nicht ignoriert hat und einen entsprechenden Richtlinienentwurf fertigt. ({7}) Damit würde eine Angleichung der Antidiskriminierungsvorschriften in der EU auf deutschem Niveau erfolgen. Deutschland wäre Vorbild für Europa. Ich habe vorhin schon über die in diesem sensiblen Themenbereich nötige Vorbildfunktion gesprochen. Die Antidiskriminierungsstelle spielt hierbei meiner Ansicht nach eine wichtige Rolle. Ich bedauere deshalb ausdrücklich die unglücklichen und missverständlichen Äußerungen der Leiterin dieser Stelle, Frau Dr. Köppen, in der FAZ. ({8}) Nach meiner Auffassung ist es Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle, den Diskriminierten entgegenzukommen und ihre Interessen wahrzunehmen. ({9}) Das macht man nicht dadurch, dass man sich trotz nachweislich ausgebliebener Prozessflut Vorbehalte der deutschen Wirtschaft öffentlich zu eigen macht, die sich gegen die Ausweitung der EU-Richtlinie und eine Anpassung an das - wohlgemerkt - deutsche Niveau richten. ({10}) Für mich steht fest: Eine Politik, die Schwule und Lesben zum Sündenbock für Probleme wie den Geburtenrückgang verantwortlich macht - man lese nur die Leserbriefseiten mancher Zeitungen -, sorgt für ein Klima der Intoleranz und befördert Gewalt gegen sexuelle Minderheiten. Letztlich befördert eine solche Politik auch Menschenrechtsverletzungen. ({11}) Das Zusammenspiel von Politik und gesellschaftlichen Auswirkungen wird besonders deutlich sichtbar, wenn es um das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit geht. Der Kollege Beck hat darauf schon hingewiesen. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass es uns in der Großen Koalition gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zugunsten des weltweiten Rechts auf Meinungs- und Pressefreiheit zu verabschieden. Das war gestern der Fall. Darüber freue ich mich ausdrücklich. ({12}) Das Recht, gegen Benachteiligungen die Stimme zu erheben, ist nur ein Teil, wenn es um gleiche Rechte geht. Bundesregierung und Bundestag müssen sich meiner Ansicht nach weiterhin vehement - so wie es in der Vergangenheit der Fall war - mit einem klaren Nein zu Benachteiligung, Ausgrenzung und Gewalt aufgrund sexueller Orientierung positionieren. Da sind wir uns, denke ich, alle einig. Es gibt viele konkrete Punkte, an denen man arbeiten kann und muss. Ein Teil dieser konkreten Punke steht in dem Entschließungsantrag, den Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, vorgelegt haben. Wir werden uns mit ihm und den anderen Punkten, die Sie in Ihren Anträgen aufgeschrieben haben, sicherlich noch ausführlich im Ausschuss beschäftigten. Zum Schluss noch einen Satz zu der Forderung nach einem offiziellen Tag gegen Homophobie in Deutschland am 17. Mai. Einerseits ist sich, denke ich, sicherlich kaum noch jemand von der heutigen jungen Generation - ich spreche ausdrücklich von der jungen Generation der Symbolik dieses Datums bewusst. ({13}) Was § 175 des Strafgesetzbuches bedeutet hat, wissen die Älteren und die schwul-lesbische Community, aber andere Menschen wissen es meist nicht. Ich glaube, das kann man mit einem Gedenktag nicht reparieren. Ich bedauere es, dass das niemand mehr weiß. Auf der anderen Seite teile ich die Einschätzung des Kollegen Haibach. Es gibt viele internationale Gedenktage, ohne dass diese Tage ein deutsches Pendant haben. Heute ist zum Beispiel der Weltflüchtlingstag. Bei der Forderung nach einem internationalen oder europäischen Tag gegen Homophobie haben Sie mich persönlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, voll auf Ihrer Seite; da bin ich anderer Meinung als Kollege Haibach. Aber eine deutsche Entsprechung halte ich aus den vorgetragenen Gründen für nicht zielführend und lehne dies deshalb ab. ({14}) Deswegen werden wir diesem Antrag von Ihnen nicht zustimmen. ({15})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Barbara Höll hat jetzt das Wort für die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diskriminierung und Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ist ein Unrecht genau wie Rassismus. Wir haben die Apartheid in Südafrika überwinden können. Wir werden auch die Homophobie überwinden. Diese Worte schrieb der Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu zum Geleit des kürzlich erschienenen Buches Sexuelle Vielfalt erlernen. Wenn wir heute über die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgendern sprechen, tun wir dies im Wissen um die aktuellen Diskriminierungen und Verfolgungen. In vielen Teilen der Welt werden Menschen drangsaliert, verhaftet, gefoltert oder gar ermordet, weil sie anders lieben. Allein in sieben Staaten droht ihnen die Todesstrafe, in 80 lange Haftstrafen und selbst in einigen Ländern der EU ist es ihnen verwehrt, zu demonstrieren. Grundlegendste Bürger- und Menschenrechte werden Lesben, Schwulen und Transsexuellen vorenthalten, weil sie anders sind. Der Kampf gegen diese Diskriminierungen ist international. Im Jahr 2006 setzten sich Expertinnen und Experten im indonesischen Yogyakarta zusammen. Sie durchleuchteten die Menschenrechte unter dem Blickwinkel sexueller und geschlechtlicher Diskriminierung und formulierten Prinzipien, die die Bürgerrechte sowie die sozialen Rechte für Lesben, Schwule und Transgender stärken sollen. Auf meine Anfrage an die Bundesregierung, wie sie die Yogyakarta-Prinzipien bewertet, antwortete sie mir überraschend positiv. Die Regierung versicherte, dass sie sich auf internationaler Ebene seit Jahren konsequent gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten einsetzt. Gut, aber ich sage Ihnen: Sie als Bundesregierung und wir als Bundesrepublik werden natürlich umso glaubwürdiger und können umso besser international agieren und mehr Gewicht erlangen, je besser die Situation im eigenen Lande ist. ({0}) Deshalb muss man bei der Diskussion über Diskriminierungen in anderen Ländern auch immer hier ins Land schauen. ({1}) Es gibt nicht ein bisschen Gleichheit. Die eingetragene Partnerschaft muss endlich mit der Ehe gleichgestellt werden. Lesben und Schwule sind gleiche Staatsbürger. Deshalb gibt es keinen Grund, sie im Steuerrecht, im Erbrecht und im Adoptionsrecht ungleich zu behandeln; das aber tun wir. ({2}) Ein Fall wie der Maruko-Fall, in dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesregierung aufgefordert hat, sie möge doch endlich die Diskriminierung von Lesben und Schwulen beenden, erhöht natürlich nicht unser Gewicht auf der internationalen Ebene, wenn wir andere Staaten bewegen wollen, auf diesem Gebiet etwas zu unternehmen. Es gibt Nachbesserungsbedarf im Asylrecht und im Flüchtlingsrecht. Der Status muss vielfach immer noch vor Gericht erkämpft werden. Dort heißt es dann sogar noch: Diejenigen, die sich in anderen Staaten offen als schwul zu erkennen geben, hätten das ja nicht tun müssen. Dann wären sie auch nicht verfolgt worden. ({3}) Das ist doch absurd. Dagegen müssen wir etwas tun. ({4}) Wir müssen bei uns selbst anfangen, und das können wir auch. Frau Graf, leider ist in Rheinland-Pfalz, wo Herr Beck Ministerpräsident ist, im Beamten- und Versorgungsrecht noch keine Angleichung erfolgt. Im Berliner Abgeordnetenhaus hat der Rechtsausschuss am Mittwoch auf Initiative der Linken ({5}) - das geschah übrigens in Zusammenarbeit mit der SPD und mit Unterstützung aller Fraktionen; das will ich hervorheben - entschieden, das sogar rückwirkend zu machen. Es wäre schön, wenn das in allen Bundesländern geschehen könnte. ({6}) Nun noch kurz zum Antrag, einen Gedenktag zu begehen. Man muss sich einmal vergegenwärtigen: Von diesem Pult in diesem Hohen Hause hätte ich das Wort „schwul“ im Jahre 1987 noch nicht einmal in den Mund nehmen dürfen. Dann hätte Frau Präsidentin sagen müssen, dass das verboten ist, da das kein parlamentarischer Sprachgebrauch ist. Inzwischen ist das erlaubt. 1994 ist der § 175 des Strafgesetzbuches aufgehoben worden; das ist gut. Aber die Menschen, die damals aufgrund dieses Paragrafen bestraft wurden, sind heute noch nicht rehabilitiert. Hier besteht noch Handlungsbedarf. Deshalb unterstützen wir diesen Antrag, der an die Diskriminierung erinnern und das Problem der Homophobie, das in unserer Gesellschaft immer noch verbreitet ist, ins Bewusstsein rücken soll. Ich danke Ihnen. ({7})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/9651 soll zur federfüh- renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus- wärtigen Ausschuss und den Ausschuss für die Ange- legenheiten der Europäischen Union überwiesen wer- den. - Damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschus- ses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Den 17.5. als offiziellen Tag gegen Homophobie begehen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- empfehlung auf Drucksache 16/9366, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5291 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustimmung der Großen Ko- alition, bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grü- nen und der Linken und bei Enthaltung der FDP ange- nommen. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9603 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein- verstanden. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c auf: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie - Drucksache 16/3440 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0}) - Drucksache 16/9644 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({1}) Christine Lambrecht Wolfgang Nešković b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie - Drucksache 16/3439 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2}) - Drucksache 16/9646 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({3}) Christine Lambrecht Wolfgang Nešković c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 23. November 2001 über Computerkriminalität - Drucksache 16/7218 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4}) - Drucksache 16/9645 Berichterstattung: Abgeordnete Siegfried Kauder ({5}) Dirk Manzewski Wolfgang Nešković Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie liegen ein Änderungsantrag des Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor. Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich sehe, dass Sie auch damit einverstanden sind. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Siegfried Kauder ({6}), Helga Lopez, Jörg van Essen, Wolfgang Nešković, Jerzy Montag und Brigitte Zypries. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornografie. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9644, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/3440 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen, bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung von FDP und Linken angenommen. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9646, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/3439 in der Ausschussfassung anzunehmen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache 16/9652? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Opposition und Gegenstimmen der Koalition abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9653. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von Linken und FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarates vom 23. November 2001 über Computerkriminalität. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9645, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7218 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen. ({7}) - Können wir den Witz bitte zu Protokoll nehmen, damit ich ihn auch erfahre? ({8}) - Das haben Sie gut gemacht. Das kann natürlich niemand ausschlagen. ({9}) - Ich habe gelesen, man kann auch in Tracht kommen. ({10}) Nichtsdestotrotz würde ich jetzt gerne Tagesordnungspunkt 33 aufrufen: Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Verbraucherschutz beim Telefonmarketing verbessern - Callcenter erhalten - Drucksache 16/8544 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({11}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Wiederum wird interfraktionell vorgeschlagen, die Reden zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen Dr. Günter Krings, Dirk Manzewski, Hans-Michael Goldmann, Karin Binder, Nicole Maisch und Brigitte Zypries. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8544 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen. Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Juni 2008, 13 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.