Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt
- Drucksache 16/9588 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Bundesminister Wolfgang Schäuble das Wort.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist
hoch. Deutschland und Europa sind in das Fadenkreuz
des Netzwerks des internationalen Terrorismus gerückt.
Das ist die unerfreuliche Nachricht nach einem Bericht
von Europol über die Bedrohung durch den Terrorismus.
Im vergangenen Jahr sind in Europa 201 Terrorismusverdächtige verhaftet worden. Wer sich Internetbotschaften - in der Regel mit deutschen Untertiteln und einer
hohen Professionalität erstellt - anschaut, in denen Anleitungen formuliert sind, wie man Anschläge und
Selbstmordattentate durchführt und Selbstmordattentäter
anwirbt, der weiß, dass wir nicht von Kleinigkeiten reden, sondern einer ernsten Bedrohung ausgesetzt sind.
Diese Bedrohungslage hat den Verfassungsgesetzgeber vor zwei Jahren veranlasst - eine Mehrheit von über
zwei Dritteln der Mitglieder des Bundestags und Bundesrates hat dies beschlossen -, dem Bundeskriminalamt
für die Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus auch eine polizeiliche Gefahrenabwehrbefugnis
zu übertragen, ergänzend zu den polizeilichen Gefahrenabwehrbefugnissen der Länderpolizeien. Diese Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers setzen wir mit
diesem Gesetzentwurf um; wir füllen sie aus.
Es geht nicht darum - und ich finde, dieser Aspekt ist
in der öffentlichen Debatte gelegentlich ein wenig zu
kurz gekommen -, dem Bundeskriminalamt neue Befugnisse zu verschaffen, sondern es geht darum, dem Bundeskriminalamt eine neue Aufgabe zu übertragen,
({0})
die bisher ausschließlich die Polizeien der Länder haben.
Und wenn man dem Bundeskriminalamt die Aufgabe
polizeilicher Gefahrenabwehr überträgt, dann muss
man ihm dafür natürlich auch die gesetzlichen Instrumente zur Verfügung stellen, über die die Länderpolizeien seit 50 Jahren verfügen.
({1})
Es geht also nicht um neue Befugnisse, sondern es geht
um eine neue Aufgabe angesichts einer neuen Bedrohung.
Dabei gilt die Systematik des Grundgesetzes: In jeden
grundrechtlich geschützten Bereich darf nur unter engen
tatbestandsmäßigen gesetzlichen Voraussetzungen eingegriffen werden, und zwar in der Regel nur aufgrund
einer unabhängigen richterlichen Entscheidung. Das ist
bei allen klassischen Instrumenten der polizeilichen Gefahrenabwehr so, insbesondere bei der Wohnungsdurchsuchung und bei der Kontrolle von Kommunikation unter engen Voraussetzungen: Eingriff ins Post- und
Fernmeldegeheimnis, Wohnraumüberwachung.
Das Bundeskriminalamt bekommt, wenn dieser Gesetzentwurf angenommen wird, diese Instrumente in der
Redetext
gleichen Weise: enge tatbestandliche Voraussetzungen,
Entscheidung eines unabhängigen Richters.
Auch der Schutz des Kernbereichs, der nach unserem Grundgesetz absolut ist, wird in diesem Gesetzentwurf in der bewährten Weise verwirklicht, nämlich so,
dass in dem Augenblick, in dem die Möglichkeit entsteht, dass Informationen, die etwa durch Fernmeldekontrolle oder durch Wohnraumüberwachung anfallen, kernbereichsrelevant sein können, nur noch mit technischen
Mitteln aufgezeichnet werden darf und dass ein unabhängiger Richter und niemand sonst zu entscheiden hat,
ob der Kernbereich tatsächlich verletzt ist. In diesem
Fall muss das Material gelöscht werden. Dieses Löschen
muss transparent sein, das heißt, es muss überwacht werden können, damit sichergestellt ist: Der Kernbereich
wird nicht verletzt. Das alles ist nichts Neues, sondern es
entspricht der bewährten Rechtstradition unseres Verfassungsstaates. Dieser Verfassungsstaat schützt seine Bürgerinnen und Bürger. Er späht sie nicht aus.
({2})
Die technische Entwicklung geht weiter. Wir haben in
den letzten Jahren eine lange Debatte darüber gehabt, ob
die neue Kommunikationsform Voice over IP mit neuen
Formen der Verschlüsselung unter die Regeln der klassischen Telekommunikationsüberwachung fällt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen jüngsten Entscheidungen bestätigt, dass die klassischen Regeln der
Telekommunikationsüberwachung auch für die neue
Kommunikationstechnologie Voice over IP gelten. Das
wird in diesem Gesetzentwurf klargestellt. Das ist aber
nichts Neues.
Neu in diesem Gesetzentwurf ist die Onlinedurchsuchung. Die hat sich in den letzten Jahren entwickelt,
wiederum durch die technische Entwicklung, durch das
Entstehen neuer Kommunikationsformen, nicht durch irgendwelche Überlegungen von Sicherheitsbehörden
oder Parlamentariern. Der Bundesgerichtshof hat, wie
ich finde, richtigerweise entschieden, dass der ursprüngliche Ansatz der verantwortlichen Sicherheitsbehörden
und auch der Bundesanwaltschaft - ich sage es ohne jede
Kritik -, das Ganze als analoge Anwendung der Rechtsgrundlagen für Telekommunikationsüberwachung und
der damit verbundenen Voraussetzungen zu interpretieren, nicht zulässig ist, sondern dass man dafür eine eigene gesetzliche Grundlage braucht; nicht mehr und
nicht weniger. Diese gesetzliche Grundlage versuchen
wir mit diesem Gesetzentwurf zum ersten Mal zu schaffen.
Diejenigen, die gesagt haben, das sei verfassungsrechtlich überhaupt nicht zulässig, haben nicht recht.
Auch das Bundesverfassungsgericht hat bei einem Urteil
über ein nordrhein-westfälisches Landesgesetz bestätigt:
Unter den engen Voraussetzungen der Eingriffe in das
Post- und Fernmeldegeheimnis ist auch die Onlinedurchsuchung möglich. Auch dort gilt im Übrigen der Schutz
des Kernbereichs in derselben Weise. Das durch Onlinedurchsuchungen entstehende Material wird nach der
Systematik des Gesetzentwurfs zunächst einmal durch
zwei Beamte des Bundeskriminalamtes, von denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt haben
muss, dahin gehend geprüft, ob es überhaupt kernbereichsrelevant sein könnte. In dem Augenblick, in dem
sich herausstellt, dass diese Möglichkeit besteht, muss
dieses Material genau wie bei der Wohnraumüberwachung oder der Telekommunikationsüberwachung dem
unabhängigen Richter, der diese Maßnahme anordnet,
vorgelegt werden. Nur er entscheidet, ob es verwendet
werden darf oder nicht.
Bei allen Meinungsunterschieden, bei allem politischen Streit sollten wir deswegen aufhören, aus Anlass
dieses Gesetzentwurfs oder anderer Debatten den Eindruck zu erwecken, dieser freiheitliche Verfassungsstaat
sei ein Staat, der seine Bürger rechtswidrig überwacht.
Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Sicherheitsorgane haben diese Diffamierung nicht verdient.
({3})
Wir regeln in diesem Gesetzentwurf das Zeugnisverweigerungsrecht und die privilegierten Rechte von
bestimmten Berufsgruppen in der Weise, wie sie seit
Jahrzehnten in der Rechtsprechung und in der Strafprozessordnung geregelt sind, und in derselben Weise, wie
sie übrigens ausdrücklich auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich in ständiger Rechtsprechung
immer wieder darauf hingewiesen, dass etwa Zeugnisverweigerungsrechte für privilegierte Berufsgruppen
aufgrund ihres Ausnahmecharakters bestimmte Voraussetzungen erfordern. Deswegen ist in der ständigen
Rechtsprechung zu § 53 der Strafprozessordnung das
Zeugnisverweigerungsrecht des Geistlichen immer an
die Voraussetzung geknüpft, dass er einer öffentlichrechtlichen Religionsgemeinschaft angehört. Um diese
Ausnahme, diese Privilegierung zu begründen, muss die
Verlässlichkeit der Organisation einigermaßen gewährleistet sein. Auch das ist nichts Neues, sondern es ist die
klassische Form. Angesichts neuer tatsächlicher Entwicklungen in den Debatten mit Bezugnahme auf § 53
Strafprozessordnung und auf die Rechtsprechung zu dieser Vorschrift schreiben wir das in der Begründung zu
diesem Gesetzentwurf lediglich fest.
Noch einmal: Wir brauchen im Hinblick auf Gefahren
des internationalen Terrorismus die zusätzliche Gefahrenabwehr durch das Bundeskriminalamt. Ich halte die
Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers für richtig
und notwendig.
Wir nehmen den Ländern übrigens keinerlei Zuständigkeit. Die Zuständigkeit des Bundeskriminalamts
kommt ergänzend zu der Zuständigkeit der Länderpolizeien und der Landeskriminalämter hinzu; sie ist additiv.
Wenn das Bundeskriminalamt seine Zuständigkeit als
gegeben ansieht, muss es in jedem Einzelfall - so sieht
es § 4 a in Art. 1 des Gesetzentwurfs vor - unverzüglich
die Länder informieren und jede Maßnahme im Benehmen mit den zuständigen Länderpolizeien durchführen.
Dass die gegenseitige Unterrichtung, die Zusammenarbeit, gegeben ist, ist über jeden Zweifel erhaben. Wir haben das GTAZ, das im Alltag gut funktioniert. Wir haben
die gemeinsame Antiterrordatei.
Wir haben bei der Großaktion im vergangenen Jahr,
die zu der Verhaftung der drei Tatverdächtigen im Sauerland geführt hat, gesehen, dass die Sicherheitsbehörden
der Länder und des Bundes - Polizeien, Bundeskriminalamt, Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern - vertrauensvoll und verlässlich zusammenarbeiten
({4})
und dass die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten, auch internationalen Nachrichtendiensten, ebenfalls
notwendig und vertrauensvoll ist. Hätten wir die Hinweise von Partnerdiensten nicht bekommen, wären wir
zu dem Vorgehen gar nicht in der Lage gewesen.
Ich will doch noch einmal daran erinnern: Die Tatverdächtigen, die im Sauerland verhaftet wurden, hatten
600 Liter Wasserstoffperoxid gebunkert. Dazu muss man
wissen, dass 3 Liter dieses Materials vor zwei Jahren für
den Sprengstoffanschlag auf einen Bus in London verwendet worden sind, der verheerende Auswirkungen
hatte. Die 200-fache Menge dieses Materials war im
Sauerland gebunkert. Das war eine große Gefahr für die
Sicherheit unseres Landes und für die Bürgerinnen und
Bürger, die in Deutschland leben. Die Realisierung dieser Gefahr ist verhindert worden.
Deswegen sage ich: Wir reden nicht von Kleinigkeiten, wir reden von einer ernsten Bedrohung. Wir sind ein
sicheres Land. Unsere Sicherheitsbehörden haben jeden
Anspruch auf Respekt und Unterstützung. Sie haben jeden Anspruch darauf, per Gesetz Instrumente an die
Hand zu bekommen, damit sie zu jeder Zeit und bei jeder Bedrohung nur im Rahmen von Verfassung und Gesetz handeln. Genau das ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfs. Ich bitte um Zustimmung.
({5})
Das Wort hat nun Kollegin Gisela Piltz, Fraktion der
FDP.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir Liberale bekennen uns zu einem starken und effektiven Bundeskriminalamt. Wir bedanken uns an dieser
Stelle bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des
BKA. Nach dem, was Sie gesagt haben, Herr Bundesinnenminister, müssen wir das offensichtlich umso mehr,
als sie es geschafft haben, auf einer aus Ihrer Sicht völlig
unzureichenden Gesetzesgrundlage eine wirklich hervorragende Arbeit zu leisten. Ich glaube, das ist des Dankes des ganzen Parlaments wert.
({0})
Wir wollen, dass sich die Mitarbeiter auch in Zukunft
auf das konzentrieren, was sie können, und nicht auf das,
was sie nach diesem Entwurf tun sollen.
Bei dieser Gelegenheit nur eine kurze Anmerkung am
Rande. Mir ist völlig schleierhaft, warum das BKA in
diesem Jahr 27 Millionen Euro weniger bekommt, wenn
es denn alle die zusätzlichen Aufgaben wahrnehmen
soll.
Leider reicht meine Redezeit nicht aus,
({1})
um jeden einzelnen der §§ 20 a bis 20 x in Art. 1 Ihres
Entwurfs vorzulesen und zu bewerten. Dabei müsste
man das eigentlich einmal tun und sich jeden Vorschlag
auf der Zunge zergehen lassen. Ich muss allerdings vor
den Nebenwirkungen warnen; denn die Kost ist für jeden, der Grundrechte achtet, unbekömmlich. Es bleibt
ein bitterer Nachgeschmack.
Ich will stattdessen aus der Begründung zitieren:
Neben den polizeilichen Standardbefugnissen werden dem BKA besondere Mittel der Datenerhebung
sowie die Möglichkeit der Ausschreibung zur Polizeilichen Beobachtung und der Rasterfahndung zur
Verfügung gestellt. Insbesondere erhält das BKA
die Befugnis zum verdeckten Eingriff in informationstechnische Systeme ({2}).
Auch erhält das BKA durch den Entwurf Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation,
zur Erhebung von Verkehrs- und Nutzungsdaten sowie zum Einsatz von technischen Mitteln zur Identifizierung und Lokalisation von Mobilfunkendgeräten, die auch bereits in etlichen Polizeigesetzen
der Länder vorgesehen sind. Ebenfalls enthalten ist
eine Befugnis zur Wohnraumüberwachung.
Dies ist nur die Kurzzusammenfassung der wesentlichen
Schwerpunkte des Gesetzentwurfs.
Es ist, wie ich finde, eine beeindruckende Liste, aber
auch eine erschreckende Liste.
({3})
Ein Best-of? Nein, eher ein Worst-of aus 16 Polizeigesetzen
({4})
- je lauter Sie werden, desto schlechter wird es ({5})
und zur Krönung noch ein paar weitere Befugnisse wie
die zur heimlichen Onlinedurchsuchung oder die zur sogenannten Quellen-TKÜ. Ich habe in den letzten Tagen
verschiedentlich gehört, es sei das modernste Polizeigesetz. Bei mir ist es nicht Mode, die Eingriffsintensität in
die Grundrechte dadurch zu erhöhen, dass eine Kompetenz an die andere gereiht wird. Ich hoffe, dass das auch
noch abgeschwächt wird.
Es ist richtig, dass Terrorismus bekämpft werden
muss. Aber wenn wir Terroristen nachgeben, indem wir
die Freiheit einschränken, machen wir uns zu deren Erfüllungsgehilfen.
({6})
Ein wehrhafter Rechtsstaat ist vonnöten, aber nicht ein
Staat mit der Lizenz zum Erstschlag auf vagen Verdacht.
Das ist aber genau das, was Sie hier tun.
„Die Freiheit ist ein Gut, das alle anderen Güter zu
genießen erlaubt“ - so hat es Montesquieu formuliert.
Ohne Freiheit ist Sicherheit ein leeres Wort. Wegen dieses Gesetzentwurfs und vieler anderer Dinge, die Sie
hier im Deutschen Bundestag in den letzten Jahren vorgelegt haben, ist es aber fast nicht mehr möglich, von der
Freiheit Gebrauch zu machen. Denn wir leben mittlerweile in einem Staat, in dem jeder Gefahr läuft, unter
Verdacht zu geraten. Das hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.
({7})
- Lautstärke ersetzt keine Argumentation; das wissen
Sie.
({8})
Mit dem Gesetzentwurf zum BKA-Gesetz führt die
Große Koalition - ich betone: dazu gehört immer noch
die SPD ({9})
eine Sicherheitspolitik fort, bei der jeder zum Verdächtigen werden kann. Wenn Sie jetzt wieder protestieren,
dann empfehle ich Ihnen einmal die Lektüre Ihres Gesetzentwurfes. In sechs Artikeln wollen Sie durch Einfügen und Ändern von knapp 40 Paragrafen das BKA zu
einer Überwachungsbehörde von bislang nicht vorstellbarem Ausmaß umgestalten. Dabei - das ist auch beachtlich - schaffen Sie es, fast genauso viele Verfassungsgrundsätze mit Füßen zu treten.
Es wird Sie nicht erstaunen, dass ich auf § 20 k - da
geht es um die heimliche Onlinedurchsuchung - eingehen möchte. Im Februar hat das Verfassungsgericht entschieden, dass dieses Instrument nur unter Beachtung
hoher Hürden angewendet werden dürfe. Wir sind nach
wie vor der Ansicht, dass das Instrument weder erforderlich ist, noch dass der schwerwiegende Eingriff in die
Grundrechte, der damit einhergeht, im Verhältnis zum
möglichen Nutzen steht. Das gilt vor allen Dingen, wenn
man bedenkt, dass viele Festplatten bis zu zwei Jahren in
Polizeibehörden vor sich hinmodern, weil Personal fehlt.
Ich finde, Sie sollten erst einmal den Personalmangel bekämpfen, bevor Sie neue Gesetze machen.
({10})
Aber wenn Sie staatlicherseits in Computersysteme
einbrechen und das Privateste vom Privaten online an
das BKA oder demnächst vielleicht auch noch an das
Bundesverwaltungsamt übermitteln wollen, dann muss
es doch das Mindeste sein, dass Sie die Vorgaben des
Bundesverfassungsgerichts beachten. Aber nein, gerade das tun Sie nicht, Herr Innenminister. Bis zu drei
Tage darf ohne richterlichen Beschluss jede Datei auf
den Festplatten online kopiert werden. Dann sollen zwei
BKA-Beamte prüfen, ob die Intensität der Kernbereichsverletzung so gering wie möglich geblieben ist. Herr
Minister, ist das nicht ein bisschen so, wie wenn Sie Fröschen den Auftrag erteilen, einen Teich trockenzulegen?
({11})
Sie glauben doch nicht im Ernst, dass BKA-Beamte das
unabhängig prüfen können. Das kann doch nicht Ihr
Ernst sein. Sie können auch nicht glauben, dass Sie damit den Vorgaben des Verfassungsgerichts Rechnung
tragen.
Sie haben selber gesagt, Sie würden für den Schutz
des Kernbereichs sorgen. Dazu möchte ich nur sagen,
dass das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass
es „bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System praktisch unvermeidbar ist, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, bevor ihr Kernbereichsbezug bewertet werden kann“. Ich wiederhole das
gerne noch einmal: „bei dem heimlichen Zugriff auf ein
informationstechnisches System“.
Warum aber findet sich der nur für solche Fälle anwendbare sogenannte zweistufige Kernbereichsschutz in
Ihrem Gesetzentwurf auch bei der sogenannten QuellenTKÜ? Er findet sich auch für den Lauschangriff - ausgerechnet für den Lauschangriff, bei dem das Verfassungsgericht ganz klar gesagt hat, dass der Kernbereich ein
absolutes Tabu ist. Der Kernbereichsschutz ist off limits;
das wissen wir alle. Sie halten sich nicht daran, und das
verstehe ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht.
Ich persönlich bin jetzt sehr gespannt auf den Beitrag
der SPD-Fraktion. Sagen Sie heute Ja oder sagen Sie
Nein oder sagen Sie Jein - so konsequent wie in den
letzten zwei Jahren zu fast allem, was in der Innenpolitik
passiert? Ich finde es sehr spannend, Herr Kollege
Wiefelspütz, wie Sie am Dienstag um 13 Uhr auf einer
Pressekonferenz sagen können, dass Ihre Fraktion das
nicht mitmacht, und um 15 Uhr genau dieselbe SPDFraktion dem Gesetzentwurf einfach so zustimmt. Das
müssen Sie nicht nur uns erklären, sondern auch den
Wählerinnen und Wählern. Das ist keine konsequente
Politik, sondern ein Schlingerkurs.
({12})
Auch im Fernsehen konnte ich es heute Morgen wieder sehen. Sie haben gesagt, Sie sind nicht zum Abnicken da; Sie meinen, Sie können in der Fraktion etwas
abnicken, aber nicht im Deutschen Bundestag. Auch das
müssen Sie mir erklären. Ich bin gespannt auf Ihre Erklärung.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Dieter Wiefelspütz, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Herr Minister Schäuble, es ist doch eigentümlich, was denkbare Koalitionspartner Ihrer Partei oder
auch unserer Partei im Deutschen Bundestag für einen
Unfug erklären können.
({0})
Bitte, Herr Schäuble, nehmen Sie doch einmal zur
Kenntnis: Bei uns in der Großen Koalition ist vielleicht
die Stimmung nicht immer gut, aber die Ergebnisse stimmen, und sie sind nur zwischen uns möglich.
({1})
Wir reden heute über das wichtigste Sicherheitsgesetz
in dieser Wahlperiode. Was - da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, Herr Schäuble - in den vergangenen Monaten durch mancherlei hektische Diskussionsbeiträge
von diesem und jenem
({2})
in diesen und jenen Reihen vielleicht nicht immer richtig
wahrgenommen worden ist: Wir reden über ein ganz
normales Polizeigesetz.
({3})
Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt, wie es
amtlich heißt, ist ein Gesetz, wie wir es in allen 16 Bundesländern haben. Ein vergleichbares Gesetz gibt es
auch für die Bundespolizei. Deswegen ist die hier und
dort zum Teil spektakuläre Debatte, wie ich finde, völlig
überzogen. Neu an diesem Gesetz ist ausschließlich die
Onlinedurchsuchung, über die noch zu reden sein wird.
Die Vorlage, die von der Bundesregierung, von Herrn
Schäuble und Frau Zypries, erarbeitet worden ist, ist eine
gute Vorlage. Wir haben als Abgeordnete den Anspruch,
aus einer guten Vorlage, Herr Grindel, ein sehr gutes Gesetz zu machen. Das wird uns gelingen. Wir haben den
Anspruch, das qualifizierteste Polizeigesetz zu machen,
das es in Deutschland gibt. Diesen Anspruch werden wir
verwirklichen, weil wir in dieses Gesetz, Herr Stadler,
die sehr anspruchsvolle, aber, wie ich finde, sehr wichtige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der
letzten drei, vier Jahre millimetergenau übernehmen.
({4})
- Herr Wieland, wenn Sie das nicht gelesen haben, hören
Sie doch bitte einmal zu! Wir werden die Rechtsprechung zum großen Lauschangriff, zur Rasterfahndung,
zur präventiven Telefonüberwachung und zur Onlinedurchsuchung übernehmen.
({5})
Das ist der Anspruch. Sie können sich gerne mit intelligenten Beiträgen beteiligen, Herr Wieland; aber sie müssen dann auch Qualität haben.
Wir haben das mit eingebaut. Wir werden im Laufe
der Beratungen an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch Verbesserungen einfügen können. Jedes Gesetz, das hier in erster Lesung beraten wird, wird im
Laufe der Beratungen verändert. Das werden keine sehr
grundsätzlichen Veränderungen sein - der Gesetzentwurf ist verfassungskonform -, aber an der einen oder
anderen Stelle wird es Präzisierungen geben können und
müssen.
Ich glaube sagen zu dürfen, dass der internationale
Terrorismus für Deutschland natürlich ein Thema ist.
Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA
sind auch eine Zäsur in der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland gewesen. Ich denke, wir haben
in Deutschland unseren Weg gefunden, diesen Herausforderungen strikt rechtsstaatlich zu begegnen,
({6})
mit Augenmaß
({7})
und mit Verstand. Das ist eine Linie, die schon Rot-Grün
begonnen hat
({8})
und die wir in der jetzigen Koalition fortsetzen.
Herr Wieland, wir in Deutschland leben in einem
außerordentlich qualifizierten Rechtsstaat.
({9})
Ich kenne kein anderes Land, in dem der Grundrechteschutz einen solch hohen Stellenwert hat wie in unserem
Land. Ich kenne kein anderes Land, das ein Gericht wie
das Bundesverfassungsgericht hat. Ich kenne kein Land,
das wie wir eine Vorschrift analog dem Art. 19 Abs. 4
des Grundgesetzes hat, nach dem staatliche Maßnahmen,
die die Grundrechte der Bürger verletzen, durch unabhängige Gerichte überprüft werden können.
Wir haben eine hohe Qualität an Rechtsstaatlichkeit.
Es ist nie ein Streit in diesem Hause gewesen, dass auch
Terrorismus ausschließlich mit den Mitteln des Rechtsstaates bekämpft wird. Wir führen keinen Krieg gegen
Terrorismus, sondern wir begegnen Straftätern mit den
Mitteln des Strafrechtes und des Polizeirechtes sowie
mit unabhängigen Gerichten. Das ist unser Weg in
Deutschland.
({10})
Wir reden heute über eine zivile Maßnahme, nämlich
über ein Polizeigesetz, das höchsten Anforderungen genügen wird.
Kollege Ströbele möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön, Herr Ströbele, aber möglichst lang.
({0})
Herr Kollege Wiefelspütz, Sie haben zutreffend die
Zeit der rot-grünen Koalition angesprochen. Der
11. September 2001 liegt inzwischen fast sieben Jahre
zurück. Brauchen wir dieses neue Gesetz, weil wir in
den Jahren 2004, 2005 - also unter Rot-Grün - in
Deutschland unsicher gelebt haben? Oder was ist Neues
passiert, dass wir jetzt dieses BKA-Gesetz brauchen?
({0})
Lieber Herr Kollege Ströbele, wir haben in Deutschland eine ausgesprochen bewährte Sicherheitsarchitektur.
({0})
Sie ist föderal und dezentral, und sie ist nach meiner
Auffassung besser als die Sicherheitsarchitektur in den
meisten Ländern. Wenn ich in den USA, in Großbritannien oder in Frankreich war, komme ich immer wieder
- ich sage das ohne Überheblichkeit - erleichtert nach
Deutschland zurück, weil wir nach meiner Auffassung
hier freier, rechtsstaatlicher und auch sicherer leben.
Herr Ströbele, die Bürger in Berlin leben - ich sage das
ohne Überheblichkeit - sicherer als die Bürger in Paris,
London oder New York. Das ist eine große Leistung unseres Landes.
({1})
Die Möglichkeit muss aber bestehen - Herr Ströbele,
daran haben Sie unter Rot-Grün mitgewirkt -, dass diese
Sicherheitsarchitektur weiterentwickelt werden kann.
Wir werden hier keinen Paradigmenwechsel zulassen.
Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Deshalb werden
wir mit Augenmaß diese Architektur weiterentwickeln.
({2})
Die Föderalismusreform hat die Verfassungsänderung
ermöglicht. Im Jahre 2004 haben wir darüber diskutiert.
({3})
Herr Ströbele, Sie wissen, dass wir das damals gemacht
haben. Heute setzen wir die Ergebnisse um. Das ist weit
weniger spektakulär, als in Diskussionen gelegentlich
gesagt wird. Es ist eine maßvolle und kluge Weiterentwicklung unserer bewährten Sicherheitsarchitektur. Dass
wir im Bereich der Bekämpfung des Terrorismus eine
Bundeszuständigkeit ergänzend haben sollten, halte ich
für sinnvoll. Das ist ein SPD-Projekt gewesen.
Seien Sie mir bitte nicht böse, Herr Ströbele, wenn
ich sage: Ich lege großen Wert darauf, festzustellen, dass
das, was wir im Jahre 2008 im Bereich der Sicherheitspolitik machen, auf Fundamenten beruht, die wir unter
Rot-Grün gelegt haben. Die Sicherheitspolitik der SPD
ist seit vielen Jahren eine Politik der Kontinuität und des
Augenmaßes. Das, was wir heute machen, hat Fundamente, die vor drei, vier oder fünf Jahren gelegt wurden.
Sie waren mit dabei. Manchmal haben Sie sich aber in
eine Nische zurückgezogen und haben den Eindruck erweckt, als wären Sie nicht dabei. Das ist ganz typisch für
Sie, Herr Ströbele. Ihr Verhalten ist für mich kein Maßstab.
Diese Weiterentwicklung unserer Sicherheitsarchitektur halte ich für sinnvoll und zeitgemäß. Davor muss niemand Sorge und Angst haben.
Ich glaube, dass die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland in den letzten Jahrzehnten eher gewachsen ist. Ich
glaube auch, dass die Freiheit in diesem Land nicht weniger geworden ist, sondern ebenfalls gewachsen ist.
Deswegen muss ich mich wirklich über manche verzerrenden Absurdistan-Debatten vonseiten von Frau Piltz
wundern. Sie leben nicht in Deutschland; Sie leben in
„Absurdistan“, liebe Frau Piltz. Deswegen sind Ihre Debattenbeiträge fern jeder Realität, sehr verehrte Kollegin.
({4})
Ich will noch einige wenige Sätze zur Onlinedurchsuchung sagen. Wir haben den Anspruch, millimetergenau umzusetzen, was vom Bundesverfassungsgericht im
Zusammenhang mit der Onlinedurchsuchung vorgegeben wird. Das wird gelingen; da bin ich sehr zuversichtlich. Dann wird am Schluss im Oktober ein Gesetz
verabschiedet werden können, das höchsten rechtsstaatlichen Maßstäben gerecht wird, das die Sicherheitsarchitektur unseres Landes weiterentwickelt und ein Stückchen mehr Freiheit und Sicherheit für unsere Bürger
bringen wird.
Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Entwurf des BKA-Gesetzes soll angeblich der Terrorabwehr
dienen. Ich sage „angeblich“; denn durch die gesamte
sogenannte Sicherheitspolitik dieser Bundesregierung
zieht sich wie ein roter Faden das Bestreben, Grundrechte zu schleifen, um die allumfassende Überwachung
der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
Die Koalition will dem Bundeskriminalamt erlauben,
Videokameras in Privatwohnungen zu installieren und
heimlich Onlinedurchsuchungen von Computern vorzunehmen. Es sind eben nicht nur Terroristen, die von diesem Gesetz betroffen sind, sondern wir alle, sämtliche
Einwohnerinnen und Einwohner dieses Landes.
({0})
Dieser Entwicklung werden wir Linke uns auf der Straße
und hier im Parlament entschieden entgegensetzen.
({1})
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach darauf
hingewiesen, dass jeder Bürger - auch ein Verdächtiger einen Anspruch darauf hat, im Kernbereich seines
Privatlebens von staatlichen Eingriffen verschont zu
bleiben. Von diesem Grundrecht lässt das BKA-Gesetz
kaum noch etwas übrig; denn wer heimlich in Wohnungen eindringt, um Videokameras in Wohn- und Schlafzimmern anzubringen, legt es förmlich darauf an, im
Privatleben anderer Menschen herumzuschnüffeln. Ausdrücklich sollen sogenannte Kontakt- und Begleitpersonen ausgeforscht werden, wobei diese Begriffe im Gesetzentwurf nicht klar und eindeutig definiert sind. Auch
Personen, die in Kontakt zu Betroffenen stehen, sollen,
wie gesagt, in Verdacht geraten.
Das Gleiche gilt für die Onlinedurchsuchung. Das
BKA soll Virenprogramme, sogenannte Trojaner, in Privatcomputer einschleusen können, um sämtliche Daten
von Festplatten zu kopieren. Das reicht von Urlaubsfotos
bis zu Liebesbriefen, von der Steuererklärung bis hin zu
intimen Dingen. Die BKA-Beamten sollen selbst entscheiden, was hiervon als privat zu betrachten ist, und
nur im Zweifel ein Gericht einschalten. Die Kontrolleure
sollen sich selbst kontrollieren. Das ist wirklich ein absurdes Unterfangen. Ohne uns, kann ich da nur sagen.
({2})
Bei einer normalen Hausdurchsuchung weiß der Betroffene von der Maßnahme und kann sich juristisch dagegen wehren. Bei der heimlichen Onlinedurchsuchung
gilt das nicht. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter
Winfried Hassemer hat in der letzten Woche in der Süddeutschen Zeitung Folgendes gesagt - ich zitiere -:
Beim heimlichen Sammeln von Beweisen bin ich
nur noch Objekt. Die Betroffenen können sich oft
gar nicht dagegen wehren, weil sie davon nichts
wissen und es vielleicht nie erfahren. Sie haben
keine Ahnung, was mit ihnen passiert. … Es ist
höchste Zeit für Überlegungen, wie das rechtsstaatlich wieder einzufangen ist.
Doch statt die ausufernden Überwachungsgesetze
wieder rechtsstaatlich einzufangen, will die Koalition sie
weiter ausbauen. Es soll sogar auf richterliche Genehmigungen verzichtet werden, wenn das BKA es besonders
eilig hat, Wohnungen zu verwanzen. Auch Berufsgruppen mit besonderem Zeugnisverweigerungsrecht stehen
im Visier. Journalisten, Mediziner und Rechtsanwälte
können abgehört, gefilmt und Opfer von Onlinedurchsuchungen werden, sodass auch Informanten, Patienten
und Klienten ihre Privatsphäre verlieren. Von der Behauptung, diese Maßnahmen würden vom BKA nur
noch höchst selten ergriffen, lassen wir jedenfalls uns
nicht beschwichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass die Ermittlungsbehörden ihre Rechte eher überplanmäßig ausschöpfen. Ich erinnere daran, dass Deutschland schon
heute Weltmeister beim Abhören ist.
({3})
Ich betone, dass die Fraktion Die Linke nichts dagegen hat, dass gegen Straftäter ermittelt wird. Wir bestehen aber darauf, dass die normalen rechtsstaatlichen
Standards gelten. Wir sagen: Die bestehenden Gesetze
reichen aus, um gegen Täter und dringend Tatverdächtige vorzugehen. Wir brauchen keine neuen Gesetze.
({4})
Die heimlichen Spitzelmaßnahmen, die das BKA
durchführen soll, werden ergänzt durch den Ausbau des
BKA zu einer nationalen Superpolizeibehörde, die im
Vorfeld möglicher Straftaten ermittelt. Per sogenanntem
Selbsteintrittsrecht soll das BKA die Bürger anstelle der
Länderpolizeien bzw. ergänzend observieren, kontrollieren, in Gewahrsam nehmen oder Platzverweise gegen sie
aussprechen können.
({5})
Was da geschaffen wird, ist eine geheim ermittelnde
Staatspolizei. Das ist nun wirklich das Allerletzte, was
wir brauchen können.
({6})
Ich will noch ein paar Worte zur SPD sagen, die meiner Meinung nach heute eine absolut lächerliche Vorstellung gibt. Erst täuscht sie großmäulig vor, den Innenminister Schäuble stoppen zu wollen, gibt dann aber, wie
so oft in ihrer Geschichte, klein bei. Dieser Gesetzentwurf ist im Kabinett einstimmig beschlossen worden,
mit den Stimmen aller Minister. Jetzt hören wir, dass
nachgebessert werden soll. Das halte ich für ein sehr
durchsichtiges, taktisches Manöver; denn es gibt bei diesem schlechten Gesetz nichts nachzubessern.
({7})
Wenn es so ist, dass Terroristen unsere Demokratie
gefährden, dann kann ihnen überhaupt nichts Besseres
passieren, als dass die Bundesregierung ihnen diese Arbeit abnimmt, indem sie den Überwachungsstaat Schritt
für Schritt weiter ausbaut und die Demokratie in diesem
Land selbst preisgibt. Deswegen fordern wir von der
Linken: Das Gesetz muss weg. Wir werden auf jeden
Fall dagegen stimmen.
Danke.
({8})
Das Wort hat nun Wolfgang Wieland, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die erste
Frage muss doch lauten: Brauchen wir dieses Gesetz?
({0})
Hat das BKA bisher nur Däumchen gedreht und Kaffee
getrunken, Herr Kollege Hofmann? Sind uns die Terroristen auf der Nase herumgetanzt? Hat der Bundesinnenminister, der inzwischen seit zweieinhalb Jahren im Amt
ist, angesichts einer riesigen Sicherheitslücke nur zugesehen? Das hat er natürlich nicht getan. Dieses Gesetz ist
aus Sicherheitsgründen so notwendig wie ein Kropf. Es
schafft neue Unsicherheiten durch Überzentralisierung
und ein unkoordiniertes Nebeneinander von Bundespolizei und Länderpolizeien.
({1})
Vor allem schafft dieses Gesetz aber - und das ist das
Schlimme - eine neue Art von Polizei, die gleichzeitig
Ihr neuer Geheimdienst ist.
({2})
Ich rede nicht von Geheimpolizei, schon gar nicht von
geheimer Staatspolizei - wirklich nicht. Die haben wir
nicht, und die werden wir auch nicht bekommen. Aber
wir bekommen ein Bundeskriminalamt, das alles kann,
was auch das Bundesamt für Verfassungsschutz kann,
aber keinerlei parlamentarischer Kontrolle unterliegt:
keine G-10-Kommission, kein Parlamentarisches Kontrollgremium. Man kann sicher darüber streiten, ob diese
Form der Kontrolle funktioniert. Der Innenausschuss
kann das nicht leisten. Das wissen Sie doch auch.
({3})
Man bringt hier eine Monsterbehörde auf den Weg. Wir
werden uns noch alle die Augen reiben. Das ist meine
Prophezeiung.
Wir hören von Präsident Ziercke und anderen immer
wieder den schönen Satz: Niemand hat die Absicht, ein
deutsches FBI zu schaffen.
({4})
Aber genau das wird am Ende stehen. Sie wollen, dass
wir uns heute auf diesen Weg begeben. Der Bundesinnenminister wäscht seine Hände in Unschuld: Ich
folge doch nur einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts. Das klingt, als hätte er damit gar nichts zu tun, als
hätten die Union und er diesen Auftrag im Rahmen der
Föderalismuskommission nicht selbst formuliert. Sie
wollen es. Sie wollen die jahrzehntealte föderale Balance in unserem Staat aus den Angeln heben und nicht
zur Kenntnis nehmen, dass wir in diesem Bereich gut
aufgestellt waren und sind. Denn wenn Sie es zur Kenntnis nähmen, müssten Sie begründen, warum wir dieses
neue Gesetz brauchen.
({5})
Das BKA wird nun nicht nur von dem Konzert mit den
Länderpolizeien, sondern auch von der Generalbundesanwältin abgekoppelt.
({6})
- Natürlich ist es so. Es ist nur noch vom Benehmen die
Rede; da wird gar nichts notwendig sein.
({7})
Das BKA kann bestimmen, wann es informiert. Es kann
auch bestimmen, wann und ob es die Generalbundesanwältin überhaupt informiert.
({8})
- Nein, genau das ist gewollt.
Man will sich doppelt befreien und doppelt entgrenzen. Man will ins Vorfeld. Die schlimmsten Visionen aus
den 70er-Jahren, die damals noch gestoppt werden konnten, sollen jetzt umgesetzt und wahr werden. Wenn es so
kommt, ist das ein ganz trauriger Tag für die Bürgerrechte in diesem Land.
({9})
Wir haben schon vieles über die Befugnisse gehört. Alles „Worst of“ - Kollegin Piltz hat es zum Teil schon
gesagt -: Schleierfahndung, Rasterfahndung, IMSICatcher, Wanze außerhalb der Wohnung und innerhalb
der Wohnung, Spähangriff aus der Wohnung, staatliche
Peepshow und Onlinedurchsuchungen, wobei das Urteil
des Bundesverfassungsgerichtes nicht einmal eins zu
eins umgesetzt ist. Das alles wird kommen.
Dann wird gesagt, man schütze die Berufsgeheimnisträger. Auch dies stimmt nicht. Lesen Sie § 20 c Abs. 3:
Bei Gefahr für Leib, Leben, Freiheit oder sogar für das
Staatsganze hat niemand mehr ein Auskunftsverweigerungsrecht. Wir als Parlamentarier nicht, der Strafverteidiger nicht und der Geistliche nicht. Das ist eine Art
Gleichbehandlung im Unrecht; das ist grotesk. Sie haben
hier tatsächlich Absurdistan auf den Tisch gelegt, Herr
Kollege Wiefelspütz.
({10})
Das legen Sie hier vor und sagen: Wir schaffen ja gar
nichts Neues. Natürlich schaffen Sie etwas Neues. Die
Kompetenzen, die die Länderpolizeien in Ausnahmefällen, zum Beispiel bei Geiselnahmen, zum Teil haben
- keine Länderpolizei hat alle Kompetenzen, die hier
vorgeschlagen werden -, sollen jetzt die tägliche Arbeit
des BKA werden. Die Gefahr des internationalen Terrorismus wird - da brauche ich kein Schwarzseher zu
sein - die nächsten 20 Jahre bestehen. Das heißt, das
BKA wird mit diesem ganzen Instrumentarium arbeiten
können; es soll auch arbeiten. Das verändert die Polizeiarbeit grundsätzlich. Polizei wird nicht mehr Ländersache, sondern Bundessache sein. Das schafft eine völlig
neue Qualität von Polizeiarbeit.
Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger hat vor
nunmehr 30 Jahren das Folgende über den damaligen
BKA-Präsidenten Horst Herold geschrieben - ich
zitiere -:
… mutet es wie ein blutiger Treppenwitz an, daß es
die Polizisten sind, die als letzte an einem Großen
Entwurf basteln. Sie wollen uns ein Neues Atlantis
der allgemeinen Inneren Sicherheit bescheren, einen sozialdemokratischen Sonnenstaat, … gelenkt
und gesteuert von den allwissenden und aufgeklärten Hohepriestern des Orakels von Wiesbaden.
Diese Vorstellung ist nicht nur makaber, sondern
auch lächerlich. Wie vor ihr andere und rühmlichere Menschheitsträume wird Dr. Herolds Utopie
… ein klägliches Ende nehmen.
Ersetzen wir Dr. Herold durch Dr. Schäuble und prophezeien: Dieser Anlauf zu einem allgegenwärtigen, allzuständigen und allwissenden BKA wird ebenfalls ein
klägliches Ende nehmen. Tun wir alles, dass es so
kommt!
({11})
Das Wort hat nun Wolfgang Bosbach, CDU/CSUFraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst
vielleicht einige wenige Anmerkungen zu dem, was in
der bisherigen Debatte gesagt worden ist. Frau Kollegin
Piltz, das Gesetz soll Ihrer Auffassung nach das Recht
auf einen Erstschlag aufgrund vagen Verdachts geben.
Das ist bösartig. Sie sollten einmal das, was Sie hier kritisieren, mit den Polizeigesetzen der Länder, in denen
die FDP politische Verantwortung trägt, vergleichen.
({0})
Ein Beispiel: die akustische und optische Wohnraumüberwachung. Ist sie in Nordrhein-Westfalen zulässig? Selbstverständlich ist sie zulässig,
({1})
und zwar aus guten Gründen. Die FDP denkt auch gar
nicht daran, das zu ändern.
({2})
Dass Sie aber das, was Sie der Landespolizei in Nordrhein-Westfalen zur Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität zugestehen, dem Bundeskriminalamt zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus verweigern
wollen, das ist geradezu politisch unanständig.
({3})
Herr Kollege Ströbele, Sie haben gerade gefragt - das
war keine rhetorische Frage, sondern sie war ernst gemeint -: Was hat sich eigentlich von Rot-Grün zur Großen Koalition geändert? Herr Wiefelspütz, auf diese
Frage hätten Sie auch kürzer antworten können.
({4})
Wir haben jetzt einen Innenminister, der die Verfassung
ernst nimmt. Genau das hat sich geändert.
({5})
Die Onlinedurchsuchung ist nicht von Wolfgang
Schäuble eingeführt worden. Die Onlinedurchsuchung
ist vom Innenminister einer rot-grünen Bundesregierung
eingeführt worden.
({6})
Wolfgang Schäuble will sie auf eine verfassungsrechtlich sichere Grundlage stellen. Genau das hat sich geändert.
({7})
Frau Kollegin Jelpke, Sie sagten, Deutschland sei
Weltmeister beim Abhören. Hier irren Sie. Wir waren
einmal Weltmeister beim Abhören. Diesen Staat haben
wir aber Gott sei Dank abgeschafft.
({8})
Auf deutschem Boden gab es einmal einen totalitären
Überwachungsstaat. Für die politischen Verhältnisse trugen damals diejenigen die Verantwortung, die Ihre politischen Vorbilder sind und die Sie heute noch anhimmeln. So etwas darf sich nicht wiederholen.
({9})
Es lohnt sich, auf den Kollegen Wieland einzugehen.
Wir sind politische Konkurrenten, und wir haben in vielen Fragen unterschiedliche Auffassungen. Aber zumindest bemühen Sie sich redlich, sich argumentativ mit
dem Grund dieses Gesetzes auseinanderzusetzen.
({10})
Es ist notwendig, die Frage „Warum?“ zu stellen. Warum? Wir dürfen die Bedrohungslage nicht dramatisieren. Wir dürfen die Bedrohungslage aber auch nicht bagatellisieren. Wir haben in unserer Geschichte bereits
bittere Erfahrungen mit dem Kampf gegen den Terroris18038
mus gemacht. Aber der heutige Kampf gegen den internationalen Terrorismus unterscheidet sich fundamental
vom Kampf gegen den RAF-Terror der 70er- und 80erJahre.
Ich will nur drei Punkte nennen:
Erstens. Es wird nicht selten gesagt, bislang habe der
Terrorismus einen Bogen um Deutschland geschlagen.
Das ist falsch. Durch den RAF-Terror der 70er- und
80er-Jahre haben insgesamt 34 Menschen ihr Leben verloren. 34 Menschen sind Opfer des RAF-Terrors geworden. Wir haben uns damals redlich bemüht, die Menschen, die in Gefahr waren, so gut es ging zu schützen.
34 Mal ist es uns nicht gelungen. Durch den internationalen Terrorismus der letzten Jahre sind bereits über
50 Deutsche ums Leben gekommen, unter anderem auch
am 11. September 2001. Es ist schlicht falsch, zu behaupten, dass noch keine Deutschen Opfer dieses Terrors geworden sind.
Zweitens. Sieben Anschläge haben wir in der Bundesrepublik Deutschland vereiteln können, oder sie sind
fehlgeschlagen. Es ist grober Unfug, zu behaupten, dass
wir dieses Gesetz nicht brauchen, da diese Zahl ja belege, dass wir auf der sicheren Seite sind. Manche Attentate sind nur deshalb gescheitert, weil wir pures Glück
hatten. Dass die geplanten Kofferbombenanschläge von
vor zwei Jahren gescheitert sind, war kein Ermittlungserfolg der Polizeibeamten, sondern das lag am handwerklichen Ungeschick der Bombenbauer.
({11})
Gott sei Dank waren sie ungeschickt! Dass wir sie später
gefasst haben - Stichwort: Trikot von Michael Ballack
mit der Nummer 13 -, verdanken wir der Videoüberwachung, also einer Maßnahme, die Sie ständig bekämpfen.
({12})
Dritter Punkt. Warum ist die Lage heute eine andere
als in den 70er- und 80er-Jahren? Im Visier der Terroristen von damals standen die Spitzen von Staat und Gesellschaft: Politiker, hohe Militärs und Wirtschaftsführer.
Der Staat hat sich darum bemüht, sie zu schützen. Der
Terror von heute hat Soft Targets, weiche Ziele, im
Visier, sodass die gesamte Bevölkerung in Gefahr ist.
Den Terroristen ist es im Grunde egal, wer ums Leben
kommt. Eine möglichst große Zahl von Menschen mit
möglichst geringem Aufwand zu töten, das ist das Ziel.
Das macht die Abwehr dieser terroristischen Bedrohung
natürlich wesentlich schwieriger als die Abwehr des Terrors der 70er- und 80er-Jahre.
Wir haben es darüber hinaus mit einem völlig neuen
Tätertyp zu tun. Die RAF-Terroristen wollten davonkommen. Sie wollten nicht gefasst werden. Heute haben
wir es mit Selbstmordattentätern zu tun. Täter, die bereit
sind, sich selbst zu töten, um andere zu ermorden, kann
man nicht mit den Mitteln des Strafrechts von der Tatbegehung abhalten. Selbst die Todesstrafe - ich bin ein entschiedener Gegner der Todesstrafe ({13})
hätte überhaupt keine abschreckende Wirkung auf diejenigen, die bereit sind, zu sterben, um andere zu ermorden. Deswegen ist es so wichtig - nur darum geht es bei
diesem Gesetz -, dass wir die Rechtslage der Bedrohungslage anpassen. Dem Terroristen genügt es, einmal
Erfolg zu haben, der Staat muss bei der Gefahrenabwehr
immer erfolgreich sein. Dass wir uns dabei streng an die
Grenzen der Verfassung halten müssen, ist selbstverständlich; darüber muss man mit uns nicht diskutieren.
Das Gesetz ist kein Allheilmittel; das würde der Bundesinnenminister nie behaupten.
Die Polizei braucht die notwendige personelle Ausstattung. Es kann nicht sein, dass wir der Polizei ständig
neue Aufgaben auferlegen und gleichzeitig Personal abbauen. Deswegen hat das jedenfalls der Bund in den
letzten Jahren nicht getan, ganz im Gegenteil. Ich füge
hinzu: Schon unter Rot-Grün ist damit begonnen worden, die Personalausstattung deutlich auszubauen.
({14})
Wir brauchen auch die notwendige technische Ausstattung. Ich sage jetzt etwas, bei dem der eine oder andere die Nase rümpfen wird; aber es hilft nichts, drum
herumzureden. Wir ergreifen Maßnahmen, und natürlich
kann man immer fragen: Ist das wirklich notwendig? Ein
Beispiel: Wir sind alle Vielflieger. Wir kennen das alle:
Wir kommen an die Personenkontrolle und sehen, wie
sich 80-jährige Duttträgerinnen verzweifelt an ihre
Shampooflasche klammern,
({15})
wenn ihnen erklärt wird, dass sie das Shampoo nicht mit
an Bord nehmen dürfen, weil daraus möglicherweise
Sprengstoff hergestellt werden könnte. Gleichzeitig
bringt es die zweitgrößte Industrienation der Erde nicht
auf die Reihe, endlich flächendeckend abhörsicheren
Digitalfunk einzuführen.
({16})
Das ist ein Unding, und das werden wir dank der Bemühungen von Wolfgang Schäuble und seinem Hause noch
in dieser Wahlperiode ändern.
({17})
Personal und Technik sind aber nicht alles: Wir brauchen auch das notwendige rechtliche Instrumentarium. Wir wollen dem Bundeskriminalamt die Befugnisse geben, die die Landespolizeibehörden schon seit
über 60 Jahren haben. Wir gehen darüber hinaus, das ist
richtig, und zwar bei der Onlinedurchsuchung. Aber die
geltende Rechtslage ist doch geradezu kurios: Wenn ein
schweres Verbrechen geschehen ist, wenn ein Anschlag
erfolgt ist und viele Opfer zu beklagen sind, dann hat das
Bundeskriminalamt nach der Strafprozessordnung die
Befugnisse, die die Polizeibehörden der Länder auch haben. Wenn es aber darum geht, eine terroristische Gefahr
im Vorfeld abzuwehren, also zu verhindern, dass jemand
sterben muss, darf das Bundeskriminalamt bis zur
Stunde nichts. Wenn ein BKA-Beamter zum Zwecke der
Gefahrenabwehr käme und sagen würde: „Herr Wieland,
zeigen Sie mal Ihren Ausweis!“ - das ist eine der
24 Eingriffsbefugnisse -, dürften Sie sagen: Zeigen Sie
mir doch erst mal Ihren!
({18})
Wir ändern die Rechtslage nicht aus lauter Jux und
Tollerei, sondern aufgrund von ganz konkreten Vorkommnissen der letzten Jahre. Es kommt häufig vor,
dass das Bundeskriminalamt Hinweise aus dem Ausland
bekommt, dass ein Attentat in Deutschland bevorsteht.
Wir wissen häufig nicht, wo dieser Anschlag realisiert
werden soll. Berlin, Nordrhein-Westfalen oder Bayern,
wer soll da zuständig sein? Dann muss doch unser größtes Kriminalamt in der Lage sein - es rechtlich dürfen -,
diese Gefahr abzuwehren. Darum geht es. Es geht nicht
darum, ein deutsches FBI zu schaffen, bei dem der
BKA-Beamte, wenn er am Tatort eintrifft, den örtlichen
Polizisten beiseiteschiebt, den Fall an sich zieht und am
Ende - das wissen wir aus den einschlägigen amerikanischen Spielfilmen - der Täter ohnehin vom Dorfsheriff
überführt wird.
({19})
Es geht darum, dass das Bundeskriminalamt dann eine
Befugnis bekommt, wenn die Zuständigkeit eines Landes nicht erkennbar ist. Wo kein Bundesland zuständig
ist, kann man keine Zuständigkeit verdrängen. Ferner
soll das BKA eingreifen dürfen, wenn ein Bundesland
um Unterstützung und Hilfe bittet.
In einem Punkt gehen wir darüber hinaus: bei der sogenannten Onlinedurchsuchung. Die Onlinedurchsuchung ist strittig. Genauso strittig war die Einführung
der akustischen Wohnraumüberwachung. Die Wortkaskaden, die heute gegen die Onlinedurchsuchung angeführt werden, kenne ich aus der Debatte über die Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung.
({20})
Sie bejubeln zu Recht, dass wir am 4. September letzten
Jahres im Sauerland drei mutmaßliche Attentäter fassen
konnten. Mann muss aber hinzufügen: dank der akustischen Wohnraumüberwachung, die Sie immer bekämpft
haben.
({21})
Als die akustische Wohnraumüberwachung eingeführt
wurde, hieß es, jetzt seien wir auf dem Weg in den Überwachungsstaat, demnächst könne kein Bundesbürger
mehr sicher sein vor den Mikrofonen des Staates.
Mittlerweile haben wir fast zehn Jahre Erfahrung. In
den ersten drei Jahren - vor der einschlägigen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Kernbereich - gab es im Schnitt 27 akustische Wohnraumüberwachungen. 2005 gab es sechs Überwachungen, 2006
waren es zwei. Ich sage Ihnen: Mit zwei Wohnraumüberwachungen im Jahr bei 46 Millionen Haushalten sind
wir noch ein ganzes Stück von einem Überwachungsstaat entfernt.
({22})
Unsere Polizei geht sehr zurückhaltend mit neuen
Eingriffsbefugnissen um. Wir stärken unseren Rechtsstaat und wollen ihn nicht aus den Angeln heben. Unsere
Polizistinnen und Polizisten haben kein Misstrauen, sondern Vertrauen und unseren Dank verdient.
Danke fürs Zuhören.
({23})
Das Wort hat nun Max Stadler von der FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Streit zwischen der CDU/CSU und der SPD um
das neue Gesetz über das Bundeskriminalamt ist ein
deutliches Zeichen für die Handlungsunfähigkeit der
Koalition in der Innenpolitik.
({0})
Allerdings hat diese Zerstrittenheit in dem speziellen
Fall ihr Gutes: Jeder, der sich um den Schutz der Bürgerrechte sorgt, muss froh sein, wenn dieser Gesetzentwurf so am Ende nicht verabschiedet wird.
({1})
Wir sind allerdings skeptisch, ob der in dieser Woche
neuerdings von Herrn Wiefelspütz formulierte Widerspruch der SPD wirklich ernst gemeint ist. Frau Justizministerin Zypries, es trifft sich gut, dass Sie der Debatte
hier beiwohnen; denn Sie haben in der Öffentlichkeit
monatelang mit Erfolg den Eindruck erweckt, als seien
Sie eine entschiedene Gegnerin heimlicher Onlinedurchsuchungen von privaten Computern. Jetzt haben Sie im
Kabinett einem Gesetzentwurf zugestimmt, der genau
diese tief in die Privatsphäre eingreifende Maßnahme
beinhaltet. Daher sind wir im Zweifel darüber, ob das,
was die SPD macht, wirklich mehr als ein taktischer Widerstand ist.
Herr Minister Schäuble, es geht hier keineswegs darum, wie bei einem Puzzle aus den verschiedenen Landespolizeigesetzen die dort formulierten Befugnisse zu
einem BKA-Gesetz zusammenzufügen, sodass das
Ganze nur eine Sammlung ohnehin bestehender Normen
auf Bundesebene wäre. Es geht vielmehr um eine grundsätzliche Änderung des Sicherheitssystems, und zwar
in einer Weise, die wir als FDP entschieden ablehnen.
({2})
Ich nenne Ihnen auch die Hauptgründe. Man könnte
ja über viele Punkte sprechen. Frau Piltz hat unsere Kritik an der heimlichen Onlinedurchsuchung zu Recht
schon erwähnt. Ich will mich hier jetzt auf drei Kerngesichtspunkte beschränken:
Erstens. Die Polizei ist im Grundgesetz aus gutem
Grunde als Ländersache definiert. Mit diesem Gesetzentwurf wird ohne Not in die bewährte Arbeit der Landeskriminalämter und der Landespolizeien eingegriffen.
({3})
Kompetenzstreitigkeiten und Reibungsverluste werden
die Folge sein. Die Abgrenzungskriterien sind unscharf.
Ich sage Ihnen: Das ist kein Sicherheitsgewinn, sondern
ein ungerechtfertigtes Misstrauen gegenüber der ausgezeichneten Arbeit der Landespolizeien. Das ist das, was
Sie hier veranstalten.
({4})
Zweitens. Durch dieses Gesetz wird eine Fülle von
Grundrechtseingriffen ohne ausreichende Begrenzung
zugelassen. Lieber Kollege Wolfgang Bosbach, das ist
eben keine einfache Übernahme von Vorschriften, die in
den Ländern entsprechend definiert sind. Wenn man etwas genauer hinschaut, dann erkennt man, dass das BKA
Eingriffsbefugnisse erhält, für die die Voraussetzungen
bei Weitem nicht so streng sind.
Ich nenne als Beispiel den sogenannten Spähangriff,
also die Videoüberwachung von Wohnungen. Jeder wird
ja wohl zustimmen, dass das ein immenser Eingriff in
die Privatsphäre bzw. sogar in die Intimsphäre ist. In
Landespolizeigesetzen wird dafür immerhin die Abwehr
einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben verlangt. Das ist in Ihrem Entwurf des BKA-Gesetzes gerade nicht der Fall. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Sie
hier Grundrechtseingriffe zulassen und keineswegs die
bewährte Polizeirechtstradition übernehmen.
({5})
Wenn man sich zugleich vor Augen führt, dass das
Bundeskriminalamt jetzt weit in den präventiven Bereich hinein tätig werden darf - das heißt, es wird dort
vorbeugend tätig, wo noch gar keine konkreten Straftaten drohen -, und wenn man bedenkt, dass dieser Behörde Maßnahmen gestattet werden, die vom Typ her
nachrichtendienstlicher Art sind, dann kommt man eben
zu dem Ergebnis - das ist unsere Bewertung -: Sie
schaffen eine Mischform von Polizei- und Nachrichtendienst und verstoßen damit zugleich in eklatanter Weise
gegen den bewährten Grundsatz der Trennung von Polizeiarbeit und nachrichtendienstlicher Arbeit. Das ist unser zweiter Einwand.
({6})
Ich nenne drittens noch ein kleines, aber markantes
Beispiel, wie Sie mit den Grundrechten der Bürgerinnen
und Bürger umgehen. Wenn gegen eine Person heimlich
vorgegangen und in die Grundrechte eingegriffen wird
- das betrifft nicht nur Verdächtige, sondern auch viele
andere Personen -, dann kann man zumindest erwarten,
dass anschließend eine Benachrichtigung erfolgt, damit
man sich gerichtlich zur Wehr setzen kann.
({7})
Nicht einmal das ist in Ihrem Gesetzentwurf sichergestellt.
({8})
Darin liegt ein eklatanter Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4
des Grundgesetzes.
({9})
Die Liste der Kritikpunkte ließe sich beliebig fortsetzen. Ich komme zu dem Fazit: Die Koalition hat einen
Gesetzentwurf vorgelegt, der die bewährte Sicherheitsstruktur im föderalistischen Staatsaufbau zerstört, der
keinen erheblichen Sicherheitsgewinn bringt, der aus
dem Bundeskriminalamt eine Mischform zwischen Polizei und Nachrichtendienst macht und der in Teilen offenkundig verfassungswidrig ist. Wir stimmen dem Gesetzentwurf keinesfalls zu.
({10})
Ich komme zum Schluss. Herr Minister Schäuble, vor
drei Wochen haben Sie in der Akademie für Politische
Bildung in Tutzing Ihre Vorstellungen der Sicherheitspolitik dargelegt. Dort hat am selben Tag der Präsident
des Bundesverfassungsgerichts, Professor Papier, gesprochen. Er hat seinen sehr bemerkenswerten Vortrag
mit einem bekannten Zitat des Philosophen Spinoza begonnen: „Der Zweck des Staates ist in Wahrheit die Freiheit.“ Zu diesem Staatszweck leistet Ihr Gesetzentwurf
keinen Beitrag.
({11})
Das Wort hat nun Frank Hofmann, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte als zweiter Redner der SPD einige Punkte herausgreifen, die gerade von
der Opposition angesprochen worden sind. Ich beginne
mit der Frage, ob die Entwicklung einer Behörde wie
dem BKA nicht auch davon abhängig ist, wie sich die
Kriminalität entwickelt.
Ein Blick zurück auf die Entwicklung des BKA
zeigt: Im Zuge des RAF-Terrorismus in den 70er-Jahren
wurde 1975 eine eigene Abteilung zur Terrorismusbekämpfung eingerichtet. Als in den 80er-Jahren das DroFrank Hofmann ({0})
genproblem unserer Gesellschaft sichtbar wurde, wurde
1983 der erste Verbindungsbeamte nach Thailand geschickt. Heute haben wir fast auf der ganzen Welt Verbindungsbeamte. 1986 wurde die Abteilung Rauschgiftbekämpfung eingerichtet.
Nach dem 11. September 2001 haben wir in Deutschland das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum eingerichtet. Im Bundeskriminalamt entstand eine Abteilung
Internationale Koordinierung, weil die Globalisierung
der Wirtschaft auch eine Globalisierung der Kriminalität
nach sich gezogen hat.
2007 wurde die Antiterrordatei in Betrieb genommen.
Die jetzt geplante Neuausrichtung des Bundeskriminalamts ist die Antwort auf die Herausforderungen und Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus. Der
Gesetzgeber hat also schon immer die Sicherheitsarchitektur der Kriminalitätsentwicklung angepasst. Das ist
gut so.
Die Gefahr des internationalen Terrorismus - darin
sind wir uns alle einig - darf nicht unterschätzt werden.
Wenn wir seit 2001 sieben Terroranschläge in Deutschland verhindern konnten - darunter auch die zwei geplanten Kofferbombenanschläge auf die Regionalbahnzüge der Deutschen Bahn 2006 -, dann müssen wir
wissen: Wir haben auch Glück gehabt. Es lag nicht nur
daran, Herr Ströbele, dass Rot-Grün das Richtige getan
hat, sondern wir haben auch Glück gehabt. Aber auf
Glück alleine will ich mich nicht verlassen.
({1})
Im Verfassungsschutzbericht 2007 wird der islamistische Terrorismus als eine der größten Gefahren für die
innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland angesehen. Wir können nicht davon ausgehen, dass das morgen anders ist. Der internationale Terrorismus ist im
Herzen Europas angekommen. Wir dürfen nicht immer
nur den Blick auf die USA und die Anschläge vom
11. September 2001 richten. Schauen Sie sich die Attentate in Madrid an. Schauen Sie sich an, was in London
passiert ist. Daran sieht man, dass der Terrorismus in
Europa angekommen ist und wie schwer diese Anschläge waren.
({2})
Hier wurde die Frage gestellt - Herr Wieland, Sie haben es angesprochen -: Braucht das BKA für diesen Bereich eine Gefahrenabwehrkompetenz? Das BKA ist
zentraler Ansprechpartner für alle Polizeien des Auslandes. Wenn ein Hinweis auf eine terroristische Gefahr aus
dem Ausland kommt, dann erreicht er zuerst das Bundeskriminalamt. Aber die Polizei aus dem Ausland erwartet, dass das BKA dann auch handeln kann. Bis heute
kann das BKA nicht handeln. Jede kleine Polizeidienststelle könnte eine Personenüberprüfung oder Observation vornehmen, nicht aber das BKA. Das wollen wir
ändern, und zwar mit der eigenständigen Terrorabwehrkompetenz.
({3})
Wir geben dem BKA die Instrumente, die es braucht,
um der terroristischen Bedrohung effektiv begegnen zu
können. Dabei ändern wir - davon bin ich überzeugt nichts an den grundsätzlichen Zuständigkeiten der Länderpolizeien für die Gefahrenabwehr. Diese Aufgabenteilung im föderalen System ist für uns wichtig und
wertvoll. Das BKA ist verpflichtet, darüber zu informieren, wenn es im Bereich der Gefahrenabwehr tätig wird.
Ansonsten möchte ich lieber auf die praktische Zusammenarbeit zwischen den Polizeien schauen. Ich glaube,
hier hat sich in den letzten 30 Jahren sehr viel getan.
Meine Befürchtungen sind, dass sich Differenzen ergeben könnten, wenn es darum geht, wer die Ermittlungserfolge als seine eigenen verkaufen darf.
({4})
Ich habe Angst, dass die Politiker eher darüber streiten,
wer als Erstes in die Medien kommt, was möglicherweise negative Auswirkungen auf die Zusammenarbeit
der Polizeien hat. Diese Eifersüchteleien sind für eine
gedeihliche Zusammenarbeit der Polizeien eher schädlich. Aber die Polizei selbst ist anders aufgestellt als in
den 70er-Jahren.
Ich kenne die Befürchtungen, dass es zu Doppelzuständigkeiten kommen könnte, weil die Länder und das
BKA zuständig sind. In den 70er-Jahren kam es bei der
Schleyer-Fahndung gerade zu diesem Problem der Doppelzuständigkeit. Wer sich mit der Geschichte des deutschen Terrorismus beschäftigt hat, der weiß auch, dass es
damals den sogenannten Höcherl-Bericht gab. Darin
wird ausgeführt, dass die Doppelzuständigkeit zu den
bekannten Fehlern geführt hat.
({5})
Wir sollten jetzt einmal schauen, wie das damals im
Sauerland war und wie viele Polizeien da zusammengearbeitet haben. Herr Stadler, in den letzten 30 Jahren hat
sich die Zusammenarbeit der Polizeien sehr stark geändert, weil sie sich ändern musste, weil sich die Kriminalität weiterentwickelt hat. Die Polizeien haben dazugelernt, sie kennen sich besser, und sie arbeiten besser
zusammen. Sie haben auch dadurch, dass die Angehörigen des höheren Dienstes der Polizei gemeinsam ausgebildet werden, eine völlig andere Struktur als noch in
den 60er- oder 70er-Jahren. Ich glaube, dass heute die
Zusammenarbeit keine Ausnahme mehr wie in den 70erJahren ist, sondern tägliche Routine. Deswegen habe ich
keine Angst vor Doppelzuständigkeiten.
({6})
Was wir in diesem Bereich auch brauchen, ist eine
Evaluierung. Wir brauchen möglicherweise auch für
den neuen Bereich der Onlinedurchsuchung eine Evaluierung und eine Befristung. Ich bin sehr gespannt, was
die Sachverständigen, die wir meines Wissens im September einladen wollen, zu diesem Bereich sagen werden.
Ich komme zu den Heimlichkeiten der polizeilichen
Maßnahmen. Natürlich sind diese Maßnahmen heimlich.
Frank Hofmann ({7})
Müssen sie heimlich sein oder könnte man die Durchsuchungen auch offen durchführen? Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir dann, wenn die Polizei die
Durchsuchungen offen durchführen würde, nie an die
Hintermänner herankämen. Es gäbe nur einzelne Erfolge. Wir hätten beispielsweise keine Möglichkeit, verschlüsselte Festplatten zu knacken. Nur online ist es
möglich, über die Verschlüsselung hinwegzukommen
und Informationen zu erhalten. Deswegen ist es wichtig,
dass wir Onlinedurchsuchungen erlauben.
Trotz der Heimlichkeit solcher Durchsuchungen gibt
es eine Benachrichtigungspflicht, damit der Bürger
weiß, dass bei ihm etwas gemacht wurde. Nun kann es
Fälle geben, in denen verdeckte Ermittler im Einsatz
sind und deswegen eine Benachrichtigung selbst nach
ein, zwei Jahren noch nicht möglich ist. Darüber entscheidet nach dem Gesetzentwurf ein Richter und nicht
die Verwaltung selbst. Nach fünf Jahren soll die Benachrichtigungspflicht ganz entfallen. Dazu habe ich einen
Vorschlag: In solchen Fällen müssen wir, das Parlament,
darauf achten, ob das Instrument insgesamt ausgehebelt
wird oder nicht. Ich möchte als Gesetzgeber wissen, wie
die Benachrichtigung erfolgt ist. Darüber sollten wir diskutieren; denn Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes muss
weiterhin Bestand haben.
({8})
Sie haben von Schleifen der Grundrechte, Kahlschlag
bei den Grundrechten, Überwachungsstaat, Rasterfahndung, Wohnraumüberwachung und Deutschland als
Weltmeister bei der Telefonüberwachung gesprochen.
Wissen Sie eigentlich - das dürfte auch in der Bevölkerung weitgehend unbekannt sein -, wie viele Rasterfahndungen das BKA in den letzten zehn Jahren durchgeführt hat? Ganze zwei Rasterfahndungen gab es.
({9})
Dieses Instrument gibt es seit langer Zeit. Die Polizei
wartet nicht darauf, dass wir ihr Instrumente zur Verfügung stellen, um dann mit Heerscharen irgendwo einzudringen. Laut BKA, das ich gestern angerufen habe - ich
wollte es ganz genau wissen -, hat es von 2001 bis zum
zweiten Quartal 2007 sieben Wohnraumüberwachungen
durchgeführt, also im Schnitt eine Wohnraumüberwachung pro Jahr. Wie kommen Sie angesichts dessen
dazu, von einem Überwachungsstaat zu reden?
({10})
Stellen Sie sich einmal vor, die Polizei ginge genauso
vor wie Sie bei der Beurteilung! Die Polizei muss ihre
Annahmen auf Tatsachen stützen, wenn sie das Recht
auf Gefahrenabwehr in Anspruch nehmen will. Sie hingegen stützen sich nicht auf Tatsachen, sondern vermuten nur. So wie Sie darf die Polizei nicht arbeiten.
({11})
Noch eine kurze Bemerkung zum Trennungsgebot.
Das Trennungsgebot ist uns weiterhin wichtig. Aber es
stellt kein Informationsverbot dar. Dort, wo man zusammenarbeiten muss, müssen wir die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Das werden wir in diesem Fall auch
tun. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Problem ansprechen. Das ist das geeignete Verfahren im Bereich der Onlinedurchsuchung. Schon bei den Durchsuchungen, die bereits durchgeführt werden, und zwar
nicht online, muss die Polizei den Kernbereichsschutz
gewährleisten. Das macht sie mit eigenen Mitteln. Das
Bundesverfassungsgericht sagt, dass wir hierfür ein geeignetes Verfahren brauchen. Ich habe das Bundeskriminalamt gefragt, wie das Gesetz gestaltet werden soll. Die
Antwort lautete: Wir wollen für das geeignete Verfahren
einen oder mehrere Richter haben, die entscheiden, was
kernbereichsrelevant ist oder nicht. Die Richter sagen
dazu: So viele Leute haben wir nicht. Ich habe dann den
Bundesdatenschutzbeauftragten gefragt: Herr Schaar,
können Sie das nicht übernehmen? Er hat geantwortet:
Nein, wir wollen in diesem Bereich nicht dabei sein,
sondern quasi von oben draufschauen. Er will es also
auch nicht machen.
Herr Kollege, Sie müssen zum Ende kommen.
Es bleibt deshalb nichts anderes übrig - so lautet der
Vorschlag -, als diesen Bereich mit zwei BKA-Beamten
zu besetzen. Ich denke, wir können in der Sachverständigenanhörung hier noch wesentlich weiterkommen.
Insgesamt bin ich davon überzeugt: Wir sind auf einem guten Weg. Wir werden ein Gesetz verabschieden,
das der SPD-Position, Sicherheitspolitik mit Augenmaß
zu betreiben, Rechnung trägt. Wir werden nach dieser
Plenardebatte die Sachverständigenanhörung vorbereiten und das Vorhaben im September/Oktober zu einem
guten Abschluss bringen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat nun Ulrich Maurer, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man fragt
sich, welchen politischen Wirkmechanismen solche unseligen Gesetze unterliegen. Ich fand die Rede des Kollegen Wiefelspütz sehr erhellend. Er hat sie mit einer geradezu devoten politischen Liebeserklärung an die
Adresse des Herrn Innenministers und seines Koalitionspartners begonnen. Das war etwas Neues auf dem Heiratsmarkt: Bleibt bei uns, geht nicht mit der FDP! Die zickige SPD ist doch verlässlich im Umfallen, wenn es um
solche Eingriffe geht. - Das war die Eingangsbotschaft
des Kollegen Wiefelspütz. Das haben wir sehr wohl notiert. Das ist damit vergolten worden, dass der Kollege
Bosbach Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ordentlich getunkt hat. Ihre Leidensfähigkeit
scheint grenzenlos zu sein.
({0})
Ich will etwas in aller Deutlichkeit ansprechen, was in
dieser Debatte nicht zur Sprache gekommen ist. Sie berufen sich bei Ihren Eingriffen in die Grundrechte auf
eine Bedrohungslage, die Sie wesentlich durch Ihre eigenen außenpolitischen und militärpolitischen Fehlentscheidungen herbeigeführt haben.
({1})
Das muss in diesem Kontext schon einmal angesprochen
werden. Das tut außer uns leider niemand.
({2})
- Das sieht die Bevölkerung etwas anders als die Mehrheit, die sich hier versammelt hat. - Sie haben dieses
Land zur Kriegspartei eines asymmetrischen Krieges gemacht. Diese Bedrohungslage, die Sie selber mit herbeigeführt haben, ist für Sie der Anlass, um in die Verfassung einzugreifen. Das schreibe ich Ihnen ins
Stammbuch.
({3})
Wenn der Herr Kollege Bosbach meint - das ist ja ein
beliebtes Muster -, die DDR bemühen zu müssen, dann
will ich Ihnen eines in aller entwaffnenden Offenheit sagen: Ratio Ihrer Gesetze, die Sie hier vorlegen, ist, dass
der Zweck die Mittel heiligt.
({4})
- Doch, es ist die Ratio Ihres Gesetzes, dass die Bekämpfung des erklärten Staatsfeindes die Reduzierung
der Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger erlaubt.
Da befinden Sie sich in einer unseligen deutsch-deutschen Tradition, von der wir uns gelöst haben. ({5})
- Sie befinden sich genau in dieser Tradition. - Es war
eine bewusste Entscheidung der Mütter und Väter des
Grundgesetzes, es war eine Lehre aus der deutschen Geschichte, eine föderale Polizei haben zu wollen, nicht haben zu wollen den Einsatz der Bundeswehr im Innern,
nicht haben zu wollen eine zentralisierte Staatspolizei.
Diese Richtungsentscheidung, die aus der deutschen Geschichte resultiert, bringen Sie heute Schritt für Schritt
zu Fall. Das sind verfassungsgefährdende Bestrebungen.
({6})
Das Wort hat nun Christian Ströbele, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich fange mit dem Bundesinnenminister an
({0})
und frage mich: Müssen Bundesinnenminister eigentlich
so sein, dass sie alle paar Wochen in den Deutschen
Bundestag kommen und dem Parlament die Aufgabe zuweisen wollen, neue Sicherheitsgesetze und Sicherheitsinstitutionen unter Inkaufnahme der Einschränkung der
Bürgerrechte einzuführen? Ist es nicht eigentlich Aufgabe eines Bundesinnenministers, der als Verfassungsminister die Aufgabe hat, die Verfassung zu wahren und
zu schützen, Freiheitsrechte in diesem Land auszudehnen und zu sichern? Hätte das Land nicht einmal einen
Bundesinnenminister verdient, der in den Bundestag
kommt und sagt: Ich habe die Dutzende von Sicherheitsgesetzen der letzten Jahrzehnte evaluieren lassen und
eine ganze Reihe gefunden, die überflüssig und gefährlich sind und die nicht passen, wie zum Beispiel die Vorratsdatenspeicherung, die erst jüngst verabschiedet worden ist und von der man inzwischen sagen kann, dass wir
durch den Telekom-Skandal etwas Neues gelernt haben,
und jetzt ändern wir etwas und tun etwas für die Bürger
und die Freiheitsrechte, indem wir das längst überfällige
Datenschutzgesetz neu schaffen und den Datenschutz in
das Grundgesetz aufnehmen?
({1})
Das Land hat einen solchen Bundesinnenminister verdient und nicht einen Bundesinnenminister, der seine
Aufgabe immer nur in der Einschränkung von Freiheitsrechten sieht.
({2})
Dieser Bundesinnenminister bringt uns eine Flut von
immer neuen Gesetzen.
({3})
Heute ist es das BKA-Gesetz, und wie ich höre, befindet
sich ein Gesetzentwurf zum Bundesamt für Verfassungsschutz in der Pipeline. Es wird immer so weitergehen.
Die entscheidende Frage ist, ob eine Notwendigkeit
für diese Einschränkung der Bürgerrechte, für mehr
Sicherheitsgesetze besteht. Drei Kollegen - insbesondere von der SPD, aber auch Herr Bosbach - haben sich
bemüht, in diesem Zusammenhang Beispiele zu bringen.
Sie haben gesagt - und da ist ja etwas Richtiges dran -,
zumindest einmal scheint ein Anschlag nur deshalb nicht
stattgefunden zu haben weil - ich sage das ganz vorsichtig - wir Glück gehabt haben. Aber, Herr Bosbach und
Herr Hofmann, Sie machen den zweiten Schritt nicht.
Nehmen Sie doch einmal das BKA-Gesetz: Hätten wir
nicht auch dann Glück haben müssen, wenn es das
BKA-Gesetz damals schon gegeben hätte?
({4})
Hätte der Anschlag verhindert werden können, wenn es
die Videoüberwachung von Wohnungen oder die Onlinedurchsuchungen schon gegeben hätte? Auf diese
Frage können Sie nur eine Antwort geben: Nein.
({5})
Denn die vermutlichen Täter, die jetzt Beschuldigten,
sind den Behörden nach dem damaligen Erkenntnisstand
überhaupt nicht aufgefallen. Sie standen gar nicht im Fokus des Interesses der Behörden.
({6})
Das heißt, Sie können nicht mit einem einzigen Beispiel
belegen - und Sie müssten eine ganze Kaskade von Beispielen bringen -, dass diese erneute Einschränkung der
Freiheitsrechte in Deutschland notwendig ist.
Ich meine, der eigentliche Hintergrund dieses Gesetzentwurfs ist eine Philosophie, die wir allerdings nicht
teilen: nämlich dass der Staat über die Bürger möglichst
viel, am besten alles wissen soll, damit er möglichst im
Vorhinein ein abweichendes Verhalten einschätzen und
dann eingreifen kann. Wir wollen einen Staat, der das
Selbstbestimmungsrecht und nicht das Fremdbestimmungsrecht der Bürgerinnen und Bürger schützt.
({7})
Wir wollen Gesetze, die garantieren, dass die Bürgerinnen und Bürger auch in Bezug auf Informationen über
sich selbst in erster Linie selbst entscheiden können und nicht der Staat.
({8})
Das Wort hat nun Gert Winkelmeier.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In
den letzten Wochen und Monaten haben die Kritiker des
BKA-Gesetzes zu Recht scharfe Kritik formuliert. Da
war die Rede von „Ignoranz gegenüber den Grundrechten“, einem „deutschen FBI“, der „totalen Überwachung“, einem „schwarzen Tag für die Menschenrechte“, einem „Tabubruch“ und einem „Sammelsurium
der Grausamkeiten“.
Diese Äußerungen stammten nicht ausschließlich von
Oppositionspolitikern und Datenschützern; sie kamen
auch aus dem Lager der Koalition.
Der Bundesinnenminister zeigte sich jedoch vor zwei
Wochen in diesem Parlament über alle Zweifel erhaben.
Das Einzige, was ihm während der Befragung der Bundesregierung einfiel, war, den internationalen Terrorismus zu beschwören. Diesmal musste er dafür herhalten,
dass das BKA Befugnisse zur Gefahrenabwehr bekommt. Die gibt es aber bereits in den Ländern; sie sind
also zentral gar nicht notwendig.
Mit dem neuen BKA-Gesetz verändern Sie ohne Not
die Sicherheitsstruktur dieses Landes und kreieren eine
Superbehörde mit Machtbefugnissen, die zukünftig nur
sehr schwer demokratisch zu kontrollieren sein werden.
Einwände, die aus meiner Sicht absolut berechtigt sind,
verunglimpfen Sie als Verunsicherung der Bevölkerung.
Sie machen es sich sehr einfach, Herr Minister. Eigentlich sind Sie es, der die Menschen in diesem Land beunruhigt.
({0})
Kaum ein Wochenende vergeht, ohne dass Sie vor unsichtbarem Terror warnen.
Wie definieren Sie „Gefahren des internationalen
Terrorismus“? Diese Frage lassen Sie in Ihren Äußerungen unbeantwortet, und sie bleibt auch in diesem Gesetzentwurf offen. Die Gefahren sind abstrakt; aber das
BKA-Gesetz erlaubt konkrete Maßnahmen. Mir ist in
den letzten Monaten immer deutlicher geworden, weshalb Ihre Sicherheitsstrategien immer größeren Widerstand entfachen.
Ihrer vermeintlichen Sicherheitsarchitektur fehlt jegliches - zumindest für die Öffentlichkeit sichtbares Fundament. Ihre geschürte Angst vor dem sogenannten
internationalen Terrorismus entbehrt derzeit einer wirklich konkreten Grundlage. Es scheint vielmehr, als wollten Sie sich in einer ganz anderen Rolle sehen. Was
schert Sie Ihre Verantwortung als deutscher Verfassungsminister? Sie wären doch viel lieber der deutsche Heimatschutzminister.
Gerade weil Sie konkrete Kritik an diesem Gesetzentwurf zurückweisen und Ihre Gefolgsleute in der Union
auf eine möglichst schnelle Verabschiedung drängen,
will ich einige der wesentlichen Einwände noch einmal
benennen:
Das Gebot der Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten wird erheblich ausgehöhlt. Der Willkür
werden damit Tür und Tor geöffnet. Erstmals seit dem
Ende der NS-Diktatur werden einer Sicherheitsbehörde
die Kompetenzen eines Nachrichtendienstes und polizeiliche Befugnisse zugestanden.
Völlig unverdächtige Personen werden den Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt, ohne je davon zu erfahren und ohne sich dagegen zur Wehr setzen zu können.
Wurden bisher die akustischen und videotechnischen
Überwachungsmaßnahmen noch unterbrochen, wenn
der Kernbereich der privaten Lebensführung betroffen
war, wird jetzt alles automatisch abgehört und gefilmt.
Eventuell wird erst nach Sichtung gelöscht. Das Gleiche
gilt für die Bundestrojaner der Onlinedurchsuchung.
Künftig wird der Präsident des BKA befugt sein, solche Einsätze für eine Dauer von drei Tagen zu kontrollieren, ohne einen Richter zurate ziehen zu müssen.
Seit dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren streiten wir über den Einsatz von V-Leuten. Dem Innenminister fällt nichts Besseres ein, als auch dem BKA den
Einsatz solcher oft zweifelhafter Mittelsmänner zu gestatten. Glauben Sie wirklich, Herr Minister, dass Sie auf
diesem Wege gerichtsverwertbare Informationen erhalten werden?
Die Angst vor Verbrechen wie dem am 11. September
2001 ist längst nicht mehr so groß wie noch vor vier oder
fünf Jahren. Es sind andere Sorgen, die die Menschen in
diesem Land umtreiben. Der internationale Terrorismus
ist für die Bevölkerung inzwischen ein nachgeordnetes
Problem. Das sollten Sie einsehen.
Ich kann Ihnen aber noch einen nicht ganz ernst gemeinten Tipp für eine Sicherheitslücke geben. Vor zwei
Tagen erreichte uns die beunruhigende Nachricht, dass
Kaffeemaschinen eines bestimmten Herstellers nicht
mehr sicher seien: Hackern sei es möglich, die Einstellung für die Zubereitung entscheidend zu verändern. Bei
dieser eklatanten Sicherheitslücke sollten Sie sich darüber Gedanken machen, inwieweit sich der internationale Terrorismus dieses Vakuum im System zunutze machen kann.
({1})
Um jetzt wieder ernst zu werden: Die sogenannte Sicherheitsarchitektur bedroht schon längst den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung. Onlinedurchsuchungen, die das Recht auf Privatsphäre unterwandern,
sind dafür das beste Beispiel. Der bisherige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer,
hat dazu treffend formuliert - ich zitiere aus der Süddeutschen Zeitung vom 11. Juni dieses Jahres -:
Der Computer ist bei vielen ein ausgelagerter Teil
des Körpers oder jedenfalls ein ausgelagertes Tagebuch. Die vom Staat zu schützenden Innenräume
werden andere - aber der Mensch braucht diese Innenräume.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat nun Stephan Mayer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die in dem heute
in erster Lesung zu beratenden Gesetzentwurf vorgesehene Novellierung des BKA-Gesetzes ist die notwendige und längst überfällige Umsetzung der mit der
Föderalismusreform I geschaffenen neuen, ganz dezidierten und selektiven Befugnisse des Bundes, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
Wenn es nach der Union gegangen wäre - daraus
möchte ich keinen Hehl machen -, hätten wir diesen Gesetzentwurf schon wesentlich früher in das gesetzgeberische Verfahren eingebracht. Es war der Wunsch des
Bundesjustizministeriums und des Koalitionspartners,
erst das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Landesverfassungsschutzgesetz in Nordrhein-Westfalen abzuwarten.
({0})
Wir haben dies getan, und wir haben die Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Februar ganz
dezidiert in diesen Gesetzentwurf eingearbeitet.
({1})
Ich habe durchaus Verständnis dafür, dass die Opposition auch durchaus einmal überspitzt Kritik an der Regierung und an der Großen Koalition übt. Aber so, meine
sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, wie Sie hier auch heute wieder aufgetreten sind,
ist es vollkommen unbotmäßig und in jeder Form überzogen.
({2})
Das Bild eines Überwachungsstaates oder eines Staates à
la George Orwell zu malen, in dem jeder überwacht
wird, in dem jeder ausgespäht wird, ist vollkommen
überzogen und unangebracht; es wird der tatsächlichen
Bedrohungssituation auch nicht gerecht.
Ich habe schon darauf hingewiesen, dass wir als Bund
die Kompetenz zur Schaffung dieses Gesetzes seit dem
1. September 2006 haben. Seit dem 1. September 2006
sind fast zwei Jahre vergangen. In diesen zwei Jahren
hätten wir durchaus ganz unmittelbar Gegenstand von
terroristischen Angriffen werden können; nur knapp sind
wir dem entgangen. Der geplante Angriff der Terrorgruppe aus dem Sauerland ist bereits erwähnt worden.
Von vielen Kreisen, insbesondere leider Gottes vor allem auch von der Opposition ist dieses Gesetz skandalisiert worden
Stephan Mayer ({3})
({4})
und vollkommen überzogen dargestellt worden. Wir
brauchen als Bund und das BKA braucht als Bundespolizeibehörde die Kompetenz, die Gefahren des internationalen Terrorismus zu bekämpfen.
({5})
Diese Gefahren sind auch nicht geringer geworden. In
dem Gesetzentwurf wird eine wohlausgewogene und
sachgerechte Abwägung zwischen den berechtigten
Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger und den Sicherheitsansprüchen des Staates getroffen.
In dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
27. Februar ist ganz klar zum Ausdruck gekommen, dass
insbesondere die Onlinedurchsuchung rechtmäßig ist.
({6})
Die Onlinedurchsuchung ist unter ganz strengen Bedingungen verfassungsgemäß, und diese strengen Bedingungen sind entsprechend in den Gesetzentwurf eingearbeitet worden.
({7})
Experten gehen davon aus, dass es im Jahr maximal
eine einstellige Anzahl von Anwendungen der Möglichkeit der Onlinedurchsuchung geben wird. Bei über
30 Millionen Haushalten in Deutschland ist es vollkommen überzogen und eine Hybris, zu behaupten, dass hier
ein Überwachungsstaat aufgebaut wird, Frau Kollegin
Jelpke, in dem jeder Leserbrief und jede Steuererklärung
ab sofort für den Staat offenkundig ist, wenn es im Jahr
maximal eine einstellige Anwendungszahl geben wird.
({8})
Dies ist in keiner Weise sachgerecht und wird in keiner
Weise der tatsächlichen Bedrohungssituation gerecht.
({9})
Wir haben insbesondere die strengen Vorgaben des
Verfassungsgerichts eingearbeitet. Die Onlinedurchsuchung wird nur dann zulässig sein, wenn ganz konkrete
Gefahren für überragend wichtige Rechtsgüter vorliegen. Es wird einen Richtervorbehalt geben. Auch ich bin
der Meinung, dass die Eilfallkompetenz unerlässlich ist.
Dies entspricht der Systematik und dem Zweck des Polizeirechts. Wir bewegen uns hier auf dem Feld des Polizeirechts und auf dem Feld der Gefahrenabwehr.
Ob man dem von Otto Depenheuer kreierten Begriff
des Feindstrafrechts anhängt oder nicht, eines ist klar:
Die Gefahren des internationalen Terrorismus haben
ganz neue Herausforderungen für den Staat und für die
staatlichen Sicherheitsbehörden geschaffen. Bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus hilft uns das
beste repressive Strafrecht nichts, weil die insbesondere
islamistisch geprägten Terroristen und potenziellen Terroristen sich vom repressiven Strafrecht in keiner Weise
abschrecken lassen. Wir brauchen für den Bereich der
Gefahrenabwehr und den präventiven Bereich Regelungen und Befugnisse, die im Vorfeld dafür sorgen, dass es
erst gar nicht zu einem Anschlag in Deutschland kommt.
Herr Kollege Ströbele, natürlich ist uns allen klar,
dass selbst nach der hoffentlich baldigen Verabschiedung dieses Gesetzes nicht mit hundertprozentiger Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass Anschläge in
Deutschland verübt werden. Aber ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Wahrscheinlichkeit, dass terroristische Anschläge in Deutschland verübt werden, dann
weitaus geringer ist, wenn wir dem Bundeskriminalamt
die Befugnisse geben, die es braucht, um potenzielle Angriffe auf Deutschland zu verhindern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
auch darauf hinweisen - das halte ich für ganz entscheidend -, dass wir uns beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern eins zu eins an die von uns erst vor kurzem verabschiedeten Regelungen zur StPO gehalten haben.
Berufsgeheimnisträger dürfen natürlich auch nicht absolut sakrosankt sein. Wenn ein Strafverteidiger, ein Abgeordneter, aber insbesondere ein Geistlicher, ein Seelsorger, in ein terroristisches Netzwerk mit eingebunden ist,
dann muss er auch zum Gegenstand von Überwachungsmaßnahmen werden können.
({10})
- Sehr verehrter Herr Kollege Benneter, gerade die im
Sommer 2006 versuchten Kofferbombenattentate sind
doch ein Beispiel dafür, wie Terroristen erst hier in
Deutschland radikalisiert wurden. Von wem wurden sie
radikalisiert? Von Imamen. Ich möchte hier keine Pauschalierung vornehmen, aber es gibt in Deutschland leider Gottes Imame, die teilweise ganz bewusst hier stationiert wurden, um willfährige Personen, zum Teil
Jugendliche, zu radikalisieren. Der Staat darf sich doch
gegenüber diesen Imamen, gegenüber solchen - in Anführungszeichen - Geistlichen nicht taub stellen.
({11})
Deswegen haben wir vorgesehen, den Schutz nur solchen seelsorgerisch tätigen Geistlichen zu gewähren, die
einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehören.
Ich glaube, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen
im gesetzgeberischen Bereich geschaffen haben. Meiner
Meinung nach sollten wir insbesondere die Finger davon
lassen, das Gesetz zu befristen. Es macht meines Erachtens keinen Sinn, erst einmal zwei Jahre abzuwarten, wie
das Gesetz funktioniert. Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus wird in den nächsten zwei Jahren
Stephan Mayer ({12})
nicht zu einem Abschluss kommen. Deswegen, meine
lieben Kolleginnen und Kollegen von der SPD, werden
wir die Befugnisse, die dieses Gesetz eröffnet, auch über
die nächsten zwei Jahre hinaus noch benötigen. In dem
Sinne stellt der Gesetzentwurf eine gute Grundlage für
die weiteren Beratungen dar. Ich hoffe, dass wir diese
möglichst bald abschließen, um den fleißigen Beamtinnen und Beamten im BKA die notwendigen Befugnisse,
Kompetenzen und Instrumente, die sie für ihre wichtige
Arbeit brauchen, an die Hand zu geben.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat nun Klaus Uwe Benneter, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir schaffen mit dem BKA-Gesetz Neues in neuer Qualität.
({0})
Wir haben zwar schon ein BKA-Gesetz und ein Bundespolizeigesetz, aber in der neuen Zusammenstellung stellt
dieses Gesetz schon einen Quantensprung für die Zusammenfassung polizeilicher Befugnisse auf zentraler
Bundesebene dar; das sei zugestanden. Denn fast alle darin aufgenommenen polizeilichen Befugnisse betreffen
Heimliches - ein in dieser Ballung schon unheimlicher
Instrumentenkasten. Dennoch: Wir wollten dieses Gesetz, und wir brauchen dieses Gesetz.
({1})
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren es, auf deren Drängen endlich eine ausschließliche
und zentrale Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes
für die Abwehr von Gefahren durch den internationalen
Terrorismus beschlossen wurde. Das steht in der Verfassung; dieses muss jetzt mit Leben gefüllt und umgesetzt
werden. Um nichts anderes geht es. Nur so ist das Bundeskriminalamt in der Lage, seinem nunmehr verfassungsmäßigen Auftrag nachzukommen und sich verfassungsgemäß zu verhalten.
Nach den Anschlägen des 11. September ist klar geworden: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus darf nicht allein in die Zuständigkeit der Länder fallen. Eine ausschließliche Länderkompetenz bringt
nämlich ein verwirrendes Hin und Her mit sich, und am
Ende stellt man dann doch fest, dass es am besten wäre,
das BKA mit einzuschalten. Herr Kollege Wieland, als
das beschlossen wurde, waren Sie, wenn ich mich richtig
erinnere, Berliner Justizsenator und müssten das eigentlich hautnah mitbekommen haben. Im Gegensatz zu
dem, was Sie hier ausgeführt haben, müssen Sie wissen,
wie notwendig eine solche zentrale BKA-Kompetenz
geworden ist.
Keiner darf und will die Gefahren, die uns durch Terroristen drohen, kleinreden oder verharmlosen. Das sind
keine Peanuts. Auch wenn die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus zum Glück noch relativ abstrakt ist und hoffentlich noch lange abstrakt bleibt,
bleibt es eine reale Bedrohung, auf die wir uns um unserer Freiheit willen, Herr Stadler, einstellen müssen. Wir
können uns da nicht drücken. Herr Maurer, es geht hier
um unsere Werte. Dieser Bedrohung unterliegen wir
nicht wegen unserer Politik, sondern weil unsere Werte
angegriffen werden und wir sie verteidigen.
({2})
Kollege Benneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Wieland?
Bitte. Beim Kollegen Wieland immer.
Vielen Dank. - Herr Kollege Benneter, weil Sie die
Situation des 11.09. und die Ereignisse danach ansprachen: Erinnere ich mich richtig, dass bei den vielen
Maßnahmen, die dann im Bundestag beschlossen wurden - Stichwort: Otto-Kataloge -, eine Forderung, nämlich die nach der Initiativermittlungskompetenz des Bundeskriminalamtes, bewusst nicht umgesetzt wurde, weil
Richtervereinigungen, Anwaltsvereine und Bürgerrechtsorganisationen genau dies nicht wollten
({0})
- die Grünen sowieso nicht, die Liberalen auch nicht und vor der Gefahr warnten, dass die Polizei dann immer
handeln könne und es im Grunde keine Eingriffsvoraussetzung mehr gebe? Das schaffen Sie jetzt. Deshalb
müssen Sie jetzt erklären und begründen - bitte tun Sie
das! -, ob das heißt, dass wir von 2001 bis heute eine
Sicherheitslücke hatten, und warum diese ganzen Erfolge, von denen die Rede war, möglich geworden sind,
obwohl wir all das, was heute auf dem Tisch liegt, nicht
gehabt haben. Das BKA war fleißig, hörten wir gerade.
Wie denn eigentlich, wenn es gehindert war, zu agieren,
wie wir gleichzeitig hören? Klären Sie das einmal auf,
und sagen Sie uns, warum wir dieses Gesetz brauchen!
({1})
Bitte stehen bleiben, Herr Kollege!
({0})
Vielleicht brauche ich auch ein bisschen länger, um Ihnen das zu erklären.
({1})
Ihnen muss klar werden, dass es in den ganzen Verfahren und Ermittlungen, die seit 2001 durch die Länderpolizeien stattgefunden haben, immer wieder notwendig
war, die koordinierende und konzentrierende Funktion
des Bundeskriminalamtes - dafür haben wir ja schon
längst ein Bundeskriminalamt - einzusetzen.
({2})
In dieser Situation hat sich herausgestellt, dass es zur
Kompetenzabgrenzung und zur Kompetenzklarstellung
notwendig ist, dem Bundeskriminalamt hier eine klare
Kompetenz zuzuweisen. Sonst hätten wir nicht im
Grundgesetz diese ausschließliche Kompetenzzuweisung für das Bundeskriminalamt vorgenommen. Das ist
der Grund. - Jetzt können Sie sich wieder setzen.
({3})
Wir als Gesetzgeber müssen dem Bundeskriminalamt
die Mittel und Möglichkeiten an die Hand geben, Herr
Kollege Wieland, und die Befugnisse einräumen, damit
es als jetzt zuständige Zentralpolizei die Gefahren durch
den internationalen Terrorismus rechtsstaatlich einwandfrei rechtzeitig - mindestens unmittelbar, besser einen
Schritt im Voraus - abwehren kann. Wir als Gesetzgeber
haben die im Grundgesetz verankerte Schutzpflicht gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern. Diese Verantwortung müssen wir wahrnehmen; keiner kann sie
uns abnehmen. Da können wir, Herr Stadler, nicht sagen:
Igittigitt!
Deshalb gehört zu der neuen Kompetenzübertragung,
dass das BKA genau die Befugnisse erhält, die unsere
Länderpolizeien schon seit Jahrzehnten erfolgreich und
rechtmäßig bei der Terrorabwehr anwenden, nicht schon
seit 50 oder gar 60 Jahren, wie Herr Bosbach meinte,
aber immerhin doch schon sehr lange. Herr Wieland,
auch Sie haben sie damals schon als Justizsenator in Berlin vorgefunden.
({4})
Der Bundesinnenminister hat in seinen ursprünglichen Entwurf aus den in den Länderpolizeigesetzen
längst vorhandenen heimlichen Befugnissen alles hineingepackt, was hineinzupacken war, und das Ganze
sozusagen als Sahnehäubchen mit der Onlinedurchsuchung garniert.
({5})
Wir, die Sozialdemokraten im Parlament und in der
Regierung, und nicht Herr Schäuble waren es - das sage
ich an die Adresse von Herrn Bosbach; er scheint schon
gegangen zu sein -, die verhindert haben, dass dem Bundestag mit der ursprünglich beabsichtigten Regelung zur
Onlinedurchsuchung eine verfassungswidrige Vorschrift
vorgelegt wurde.
({6})
Wir haben verlangt, dass die Karlsruher Entscheidung
abgewartet wird. Wir haben durchgesetzt, dass jetzt eine
Vorschrift aufgenommen wird, die den Karlsruher Vorgaben entspricht.
({7})
Und wir haben klargestellt und durchgesetzt, dass es
kein heimliches Eindringen in Wohnungen gibt, um einen dort befindlichen Computer zu infiltrieren.
({8})
Mit der Zusammenfassung eines bisher schon in
Länderpolizeigesetzen gebräuchlichen Instrumentensammelsuriums von heimlichen polizeilichen Maßnahmen ist mir erschrekkend klar geworden, dass Polizeiarbeit heute offensichtlich fast immer nur verdeckt
stattfindet, jedenfalls dann, wenn Polizei Gefahren abwehrt.
({9})
Mein Kollege Wiefelspütz hat zwar vorhin von der bewährten Sicherheitsarchitektur gesprochen. Dennoch hat
mich diese Tatsache erschreckt. Es stellen sich mir die
Fragen: Warum ist das so? Muss das so sein? Wollten
wir nach den Erfahrungen in der Nazizeit nicht auf immer verhindern, dass die Polizei zu einer Geheimpolizei
werden kann?
({10})
Bringen uns der internationale Terrorismus oder auch die
organisierte Kriminalität heute dazu, unsere grundlegenden Prinzipien nach und nach über Bord zu werfen?
({11})
Es ist unser Anspruch und es muss unser Anspruch
bleiben: Im demokratischen Rechtsstaat übt im Innern
allein die Polizei das staatliche Gewaltmonopol aus.
Weil dem so ist, muss im demokratischen Rechtsstaat
immer auch der Grundsatz gelten: Die Polizei tritt ihren
Bürgerinnen und Bürgern grundsätzlich offen gegenüber.
({12})
Das geheime Auftreten, das geheime Vorgehen, ist nicht
polizeitypisch, darf nicht polizeitypisch werden und
muss im demokratischen Rechtsstaat immer die Ausnahme bleiben.
({13})
Das hat nichts mit Blauäugigkeit und Hasenherzigkeit zu
tun.
({14})
Das sind Grundsätze, die wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen, um ein klares Bild von Regel und
Ausnahme zu behalten.
Wenn wir diese Grundsätze vor Augen haben und
diese demokratische Sensibilität behalten, dann sind wir
auch gefeit vor den abwegigen Ansichten eines Otto
Depenheuer. Dieser im Gefolge des unsäglichen Carl
Schmitt daherfabulierende Staatsrechtler missbraucht
heute die Terrorgefahr, um zwischen Verfassungsrecht
und Kriegsvölkerrecht einen asymmetrischen Krieg und
einen permanenten Ausnahmezustand zu definieren. Ein
solches Kriegsgespinst soll es dann rechtfertigen, das
Militär im Innern einzusetzen und alle geltenden Verfassungsprinzipien außer Kraft zu setzen.
Herr Schäuble, Sie beklagen sich oft, Sie seien wieder
einmal missverstanden worden. Wenn Sie hier klarstellen würden, dass ein Depenheuer für Sie nicht als Vordenker taugt, dann würden Sie selbst helfen, solche
Missverständnisse künftig zu vermeiden.
({15})
Erst dann könnten Sie vielleicht zu dem Verfassungsbollwerk werden, zu dem Sie hier der Kollege Bosbach
- zu Unrecht - stilisieren wollte.
Wegen dieser weitreichenden Befugnisübertragung ist
diese Neuregelung eines der sensibelsten Gesetzesvorhaben in der laufenden Wahlperiode, eines, das uns alle
vor neue Herausforderungen stellt. Wir müssen uns dabei nichts vormachen: Viele der Ermittlungsbefugnisse,
die die Länderpolizeien längst haben und längst gebrauchen und die wir nun auf das BKA übertragen, sind mit
weitreichenden Grundrechtseingriffen verbunden. Davon war schon die Rede. Das ist nicht nur bei der
Onlinedurchsuchung so. Ich nenne in diesem Zusammenhang auch Telekommunikationsüberwachung, akustische und visuelle Wohnraumüberwachung, Rasterfahndung und Einsatz verdeckter Ermittler.
Hier wird klar: Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit hat sich infolge der Terrorgefahren in Richtung
Sicherheit verändert. Das sind schleichende Erosionsprozesse auch als Folge gesellschaftlicher Gleichgültigkeit. Aber gerade deshalb müssen wir immer wieder auf
unsere demokratischen Grundlagen pochen. Die Regel
ist offenes und transparentes staatliches Handeln. Die
Heimlichkeit, das Verdeckte, muss die Ausnahme bleiben; sie bedarf einer besonderen Rechtfertigung.
Deshalb gilt: Alle heimlichen Grundrechtseingriffe
verlangen, dass der Betroffene sich zumindest im Nachhinein gegen eine solche Ermittlungsmaßnahme zur
Wehr setzen kann.
Dass der Staat neue Möglichkeiten nutzt und auf neue
Gefährdungslagen mit neuen Instrumenten reagiert, ist
grundsätzlich sinnvoll und notwendig. Wir müssen dabei
immer im Auge behalten, was wir mit solchen neuen Instrumenten schützen und verteidigen wollen. Das sind
unsere Freiheit und die mit ihr verbriefte Verfassung unseres Gemeinwesens. Beides darf nicht Opfer des Terrors, aber auch nicht Opfer der Terrorbekämpfung werden.
({16})
Denn dann hätte der Terror seine Ziele auch noch mit unserer Hilfe erreicht. Das dürfen und das werden wir nicht
zulassen.
({17})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 16/9588 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den
Tagesordnungspunkt 28 sowie Zusatzpunkt 9 auf:
28 Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Hans-Kurt Hill, Dr. Gesine Lötzsch,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen sofort wirksam senken
- Drucksachen 16/7745, 16/8264 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Andreae
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Energiekosten senken - Mehr Netto für die
Verbraucher
- Drucksache 16/9595 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion
Die Linke werden wir später namentlich abstimmen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
({2})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass staatlich verordnete Energiepreise und Sozialtarife ordnungspolitisch
der falsche Weg sind, um einkommensschwachen Haushalten zu helfen. Wir können nicht an jeder Stelle einzeln anfangen, zu strukturieren. Die grundsätzliche Position ist, dass der soziale Ausgleich bei uns über
Sozialtransfers, über das Steuersystem stattfindet und
nicht bei einzelnen Gütern ansetzt.
Der Strompreis - wie übrigens auch andere Energiepreise - hat sich zu einer ganz erheblichen Belastung der
Privathaushalte - das ist ein großes Problem - und natürlich auch der mittelständischen Betriebe, der Industrie
entwickelt. Jede Umschichtung, die wir innerhalb der
Unternehmen vornehmen würden, würde sich jeweils
bei anderen niederschlagen. Man darf sich nichts vormachen: Wenn wir die Unternehmen etwa dazu bewegen
oder gar zwingen würden, die entsprechenden Tarife in
bestimmten Bereichen zu senken, dann würden sie in anderen Bereichen steigen. Das ist aus unserer Sicht der
falsche Weg. Im Übrigen müssten wir darüber dann auch
natürlich bei Lebensmitteln oder in anderen Bereichen
nachdenken, in denen die Preisentwicklung leider Gottes
ähnlich ist wie bei Energie.
Schon der Grundgedanke ist aus unserer Sicht falsch
angelegt. Deswegen sind wir gegen diesen Ausgleich,
aber auch deshalb, weil wir im Bereich des
Arbeitslosengeldes II für die wirklich Bedürftigen im
Rahmen des Existenzminimums entsprechende Ausgleichsfunktionen vorgesehen haben. Stromkosten werden über das Arbeitslosengeld II ausgeglichen. Die
Heizkosten werden zusätzlich ausgeglichen über die
Kosten der Unterkunft. Gesetzesänderungen dazu liegen
zurzeit dem Bundesrat vor.
Die soziale Ausgleichsfunktion des Staates erfolgt
über Steuern, Abgaben und Sozialtransfers. Dies ist
keine Aufgabe der Unternehmen, die in einem möglichst
harten Wettbewerb untereinander stehen und stehen sollten. Dies gilt vor allen Dingen für den Energiebereich, in
dem wir noch erheblichen Nachholbedarf beim Wettbewerb haben. Wenn hier also Änderungsbedarf, was
den Strompreis angeht, besteht, dann müssen wir ihn
- das werden wir in diesem Herbst tun - etwa dann mit
berücksichtigen, wenn es um Anpassungen beim
Arbeitslosengeld II geht. Das wird sich ja in den Untersuchungen niederschlagen, die zurzeit im Hinblick auf
etwaige Anpassungen angestellt werden.
Ich will ganz klar sagen - das ist meine Grundüberzeugung -, dass wir uns schon wieder ausschließlich mit
einer Bevölkerungsgruppe beschäftigen - die ist natürlich betroffen -, darüber hinaus aber vergessen, dass
nicht nur diejenigen, die Sozialtransfers erhalten, die
ganz wenig haben und deshalb vom Staat unterstützt
werden müssen, zu leiden haben. Von dem Problem
„Mehr netto in der Tasche für den Verbraucher, seine Familie und die Kinder“ sind heute in erster Linie die ganz
normalen Arbeitnehmerschichten betroffen. Um die
kümmern wir uns allesamt in diesem Haus nach meinem
Eindruck leider Gottes viel zu wenig.
({0})
Hier muss umgesteuert werden. Deshalb begrüße ich
diese Diskussion. Wir müssen die Gruppe der Menschen
stärker unterstützen, die kein ALG II erhalten, die kein
BAföG mehr bekommen, die kein Wohngeld erhalten,
deren Kosten der Unterkunft nicht übernommen werden,
die vielmehr mit täglicher Arbeit das Einkommen für
ihre Kinder, ihre Familie und sich selbst erwirtschaften.
({1})
An dieser Gruppe geht man auch mit diesem Antrag glatt
vorbei. Ich finde, wir müssen überlegen, wie wir denen
helfen können.
Wenn wir darüber nachdenken, stoßen wir auf Maßnahmen, zum Beispiel im Energiebereich, die nicht nur
ökonomisch, sondern auch ökologisch unsinnig sind.
Wenn man die sicheren und funktionierenden Kernkraftwerke in Deutschland vorzeitig vom Netz nimmt,
muss man sich nicht wundern, dass der Preis steigt.
({2})
- Da zeigt es sich wieder. Herr Kelber, ich will Ihnen
und Ihren Kollegen einmal sagen: Sie dürfen nicht bei
jeder Gelegenheit ohne Rücksicht auf Verluste für Entscheidungen plädieren, die die Preise erhöhen, und anschließend so tun, als würden Sie alles tun, um die Energiepreise für die Verbraucher zu senken.
({3})
Durch Ihre Politik, durch Ihre Festlegungen verteuern
Sie die Energie für die Normalbürger und die Industrie
in unserem Land. Das ist die Wirklichkeit.
({4})
Ich will Ihnen eine Möglichkeit aufzeigen, wie wir
die ganzen Vorschläge unter einen Hut bringen können:
Wenn wir die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern, dann wird das bei den Unternehmen zu
erheblichen Entlastungen führen. Wir sind nicht der
Meinung, dass sich das im Aktienkurs und in Dividendenausschüttungen niederschlagen sollte. Lassen Sie uns
doch einmal gemeinsam mit den Unternehmen über folgende Möglichkeit sprechen: Wir verlängern die Laufzeit der Kernkraftwerke - das betrifft die Grundlastenergie -, und im Gegenzug erhält jeder Haushalt in unserem
Land die ersten 500 Kilowattstunden Kernenergiestrom
zum verbilligten Grundlastpreis.
({5})
Laurenz Meyer ({6})
Dafür bin ich. Darüber sollten wir diskutieren.
({7})
Damit hätten wir den Vorteil weitergegeben, und alle
hätten etwas davon. Darüber können wir jederzeit diskutieren.
Kollege Meyer, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Ja, sofort. Ich möchte aber den Gedanken zu Ende
führen.
({0})
- Was heißt hier „schämen“? Sie müssen sich schämen,
weil Sie den Leuten Sand in die Augen streuen. Wenn
unsere Kernkraftwerke wirklich unsicher sind, dann
müssen sie heute abgeschaltet werden, nicht morgen,
nicht übermorgen, sondern heute.
({1})
- Da klatschen sogar die Grünen. - Wenn die Kernkraftwerke bis 2015 laufen können, dann können sie auch bis
2020 laufen. Alle in der Welt denken so. Nur ein paar
Versprengte in diesem Haus denken immer noch anders.
({2})
Gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Meyer, ist Ihnen bekannt, dass es den
Verbrauchern nicht zugute kommt, wenn der Atomstrom
billig ist? Ist Ihnen bekannt, dass sich der Strompreis an
der Leipziger Börse einpendelt? Ist Ihnen bekannt, dass
das teuerste Kraftwerk momentan den Strompreis bestimmt? Ihr Vorschlag, Kernkraftwerke länger laufen zu
lassen, würde nur dazu führen, dass die großen Energiekonzerne mehr Geld in der Tasche haben. Das würde
ihre Gewinne erhöhen. Ihren Vorschlag, dass sie davon
etwas abgeben sollen, haben sie im Übrigen schon zurückgewiesen.
({0})
Ist Ihnen bekannt, dass der Strompreis an der Leipziger
Börse gemacht wird und die Unternehmen schon gesagt
haben, dass sie auf keinen Fall einen Ausgleich zahlen
wollen?
({1})
Ich spreche hier für meine Fraktion und vertrete
meine Position. Natürlich ist mir das bekannt. Weil wir
nicht wollen, dass sich eine Verlängerung der Laufzeit
der Kernkraftwerke ausschließlich in den Aktienkursen
und in den Dividenden niederschlägt, wollen wir mit den
Unternehmen zum Beispiel über die Möglichkeit reden,
dass den Haushalten verbilligter Strom im Grundlastbereich angeboten wird, weil die Unternehmen diesen
Strom verbilligt erzeugen können. Ob die Unternehmen
dazu nicht bereit sind? Die Unternehmen werden schon
zu Zugeständnissen bereit sein. Es ist ökonomisch und
ökologisch sinnvoll, so vorzugehen.
({0})
Ich wundere mich im Übrigen darüber, wie viele überall
in der Welt, die ursprünglich gegen Kernenergie waren
- auch aus der Fachrichtung der Grünen -, inzwischen
der Meinung sind, dass wir es uns unter dem Klimagesichtspunkt ökologisch überhaupt nicht leisten können,
uns diesen Weg zu verschließen.
({1})
Hier wird gesagt, man müsse die Strom- und Gaspreisaufsicht wieder einführen. Auch das ist aus unserer
Sicht falsch. Wir wollen die Preissteigerung, die in diesen Bereichen stattfindet, hinterher nicht auch noch
staatlich sanktioniert dastehen lassen. Vielmehr wollen
wir eine scharfe Kontrolle durch das Kartellamt, so
wie wir sie jetzt beschlossen haben. Genau den Weg
müssen wir gehen. Wir dürfen die Preise nicht durch den
Staat legitimieren, sondern wir müssen kontrollieren,
und zwar in der Beweislastumkehr. Das ist überaus
wichtig. Ich kann - sicher in unserem gemeinsamen Interesse - das Kartellamt nur auffordern, sich die anstehenden Preiserhöhungen insbesondere im Gasbereich
sehr genau anzusehen. Denn sonst wird die Legitimation
für unsere Beschlüsse hier nicht vorhanden sein. Wenn
die Preise um etwa 25 Prozent steigen sollen, muss man
genau hinschauen und sich beweisen lassen, was davon
unbedingt notwendig ist und was nicht.
Es geht auch um die Regulierung der Netzentgelte.
Wir haben inzwischen 20 Prozent zugunsten der Verbraucher eingespart. Es geht um die Entflechtung von
Netz, Erzeugung und Vertrieb. Es geht um die Erleichterungen für Verbraucher beim Anbieterwechsel. Es geht
um Anreizregulierung und erleichterte Netzanschlüsse
für neue Kraftwerke. Dazu sage ich an die Adresse der
Grünen - Ihre Kollegen sagen zum Teil sehr vernünftige
Sachen im Wirtschaftsausschuss -: Auch Sie wollen
mehr Wettbewerb in den Energiebereichen.
({2})
Wenn Sie das wollen, Frau Höhn, wie können dann im
Landesverband, zum Beispiel in meinem Wahlkreis, wo
ein Kohlekraftwerk von 21 Stadtwerken gebaut werden
soll, um mehr Wettbewerb im Erzeugungsbereich, wo es
am dringendsten notwendig ist, zu schaffen, Ihre Leute
dagegen sein, obwohl dadurch zusätzlicher Wettbewerb
entstehen würde?
Laurenz Meyer ({3})
({4})
Sie können doch nicht nur mit kleinen Öfchen Wettbewerb gegen große Kraftwerke veranstalten. Dann haben
Sie doch ganz unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen und werden nie zu richtigem Wettbewerb kommen.
Deswegen müssen wir hier zusätzliche Einheiten haben. Wir müssen auch zusätzliche unabhängige und
preisgünstige Kraftwerkskapazitäten schaffen. Wir
müssen die Netze ausbauen, damit die entsprechenden
Wirkungen erzeugt werden können.
Ich will Ihnen noch eines sagen: Viele bei Ihnen setzen darauf - auch das müssen wir den Verbrauchern in
Deutschland sagen -, mithilfe von Gaskraftwerken in
großer Zahl die entsprechenden Kapazitäten zur Verfügung stellen zu können, weil sie Kohle und Kernenergie
nicht wollen. Wir sind uns doch alle einig, dass der Anteil der regenerativen Energien bis 2020 30 Prozent betragen soll. Aber es muss doch noch die Frage geklärt
werden, wo die restlichen 70 Prozent herkommen sollen.
({5})
Dieses Problem werden Sie nicht nur mithilfe von Gaskraftwerken lösen können. Ich will Sie darauf aufmerksam machen, dass auch das sofort zu zusätzlichen Belastungen für die Verbraucher führt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Zeil?
Aber gerne.
Herr Kollege, bitte.
Kollege Meyer, Sie haben in der Auseinandersetzung
mit den Anträgen viel Nachdenkenswertes und Richtiges
gesagt und darauf hingewiesen, was man nicht tun sollte.
Jetzt wäre es ganz spannend, wenn Sie dem Verbraucher,
den Sie gerade angesprochen haben, sagen würden, warum Sie zum Beispiel bestimmte ganz einfache Dinge
nicht tun. Ich denke zum Beispiel an das Thema Pendlerpauschale. Dazu liegen Vorschläge auf dem Tisch. Warum wird in der Koalition, nachdem die Verfassungswidrigkeit ohnehin schon festgestellt worden ist, nicht
umgehend und sofort gehandelt, damit beim Bürger einmal etwas ankommt?
Lieber Kollege Zeil, Ihre berechtigten Interessen im
bayerischen Landtagswahlkampf in allen Ehren.
({0})
- Das ist sicher richtig.
Ich bin der Meinung - ich will ganz umfassend auf
den Kern Ihrer Frage eingehen und nicht nur auf einzelne Details -, dass wir uns zum Beispiel im Zusammenhang mit der Einführung des Emissionshandels den
ganzen Bereich der Steuer- und Abgabenlasten, die wir
auf den Energiesektoren haben, einmal anschauen sollten, um herauszufinden, inwieweit es hier zu Neuordnungen kommen muss. Wenn ich jetzt sehe, dass wir mit
dem Instrument der Emissionszertifikate zugunsten der
Umwelt und des Klimas in der Zukunft noch ganz erheblich steuern wollen, dann müssen wir diesen Steuerungspunkt als Ersatz und als neue zentrale Aufgabe nehmen
und einen Teil der bisherigen Steuerungsfunktionen
überdenken. Dazu gehören auch die Punkte, die Sie genannt haben. Sie müssen natürlich insgesamt vom System her vernünftig sein. Die Steuerungsfunktion darf
nicht ausgehebelt werden.
Über die Energiepreise, die beim Verbraucher ankommen - ich meine jetzt nicht die staatlich verordneten
Energiepreise -, müssen im Markt Akzente gesetzt werden, die zur Folge haben, dass sich die Verbraucher in ihrem eigenen Interesse ökonomisch und ökologisch sinnvoll verhalten.
({1})
- Das ist nicht der Fall. Wir werden uns mit dem Thema
Emissionszertifikate relativ kurzfristig beschäftigen
müssen; das steht unmittelbar bevor. Darüber muss unbedingt auch im Zusammenhang mit den Lösungsansätzen auf europäischer Ebene diskutiert werden.
Ich will an dieser Stelle hinzufügen - diese Information hat mich erst heute Morgen erreicht -: Wir müssen
umso dringender über diese Themen diskutieren, als
man sich auf europäischer Ebene Gedanken darüber
macht, die aus der Versteigerung der Emissionszertifikate erzielten Einnahmen zunächst Brüssel zukommen
und von dort verteilen zu lassen, statt sie den nationalen
Ökonomien zuzuführen, die dann die Belastungen ihrer
Bürger durch Umschichtungen reduzieren könnten.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir dürfen es
uns nicht so einfach machen, wie es die FDP getan hat,
und mal eben ein paar Punkte zur Mehrwertsteuer etc.
isoliert aufschreiben. Mit Sicherheit ist auch die Antwort, die die Linke gegeben hat, nicht richtig. Das gilt,
was das grundsätzliche System betrifft, sowohl im Hinblick auf die Arbeitslosengeld-II-Empfänger - darauf
habe ich hingewiesen - als auch für alle übrigen Bürger.
Wir müssen für alle Bevölkerungsgruppen Entlastungen
schaffen.
({2})
Mehr Netto für die normalen Arbeitnehmer und die
Durchschnittsverdiener,
({3})
das ist die Aufgabe, die wir bewältigen müssen.
({4})
Laurenz Meyer ({5})
Man darf sich dabei aber nicht nur auf einzelne Gruppen
konzentrieren und dann ökonomisch unsinnige Vorschläge machen.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gudrun Kopp für
die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Wir haben gerade bei Herrn Meyer gehört, dass er viel
geredet, aber eigentlich nichts gesagt hat.
({0})
Herr Meyer, wenn ich mich recht erinnere, dann sind Sie
und dann ist die Union immer noch Teil dieser Bundesregierung. 50 Prozent der Grundlaststromerzeugung
erfolgen in Deutschland in kerntechnischen Anlagen.
Diese Bundesregierung hat zu verantworten, dass die
Kernkraftwerke in Deutschland vorzeitig abgeschaltet
werden sollen.
({1})
- Diese Bundesregierung hat nicht dazu beigetragen,
dass dieser unsinnige Beschluss zurückgezogen wird.
({2})
Sie erwecken den Eindruck, als seien Sie in der Opposition. Nein, die Union trägt eine Mitverantwortung für
diesen Unsinn.
({3})
Aus dieser Verantwortung lassen wir Sie nicht heraus.
Natürlich wäre es richtig, die Erzeugung von Strom in
kerntechnischen Anlagen weiterzuführen.
({4})
Tun Sie nicht immer so, als würden Sie das, was beschlossen wurde, gerne ändern. Wenn dem aber so ist,
ändern Sie es!
({5}) [CDU/CSU]: Wie
denn? - Ulrich Kelber [SPD]: Sie zeigen alle
Anzeichen einer Strahlenkrankheit!)
Ich finde es sehr interessant, dass die Bundeskanzlerin in ihrer gestrigen Regierungserklärung die Kernenergie mit keinem Wort erwähnt hat.
({6})
Sie hat nur von Energieeffizienz und von der Förderung
erneuerbarer Energien gesprochen.
({7})
Beides ist richtig.
({8})
Aber das kann nicht alles sein. Denn wir stehen vor
ernsthaften Problemen; das wissen Sie.
Auch der Bundeswirtschaftsminister hat dieser Tage
erkannt, dass aufgrund der hohen Energiepreise große
wirtschaftliche Verwerfungen einschließlich eines Rückgangs unseres Wirtschaftswachstums durch den
anhaltend hohen Ölpreis drohen. Sollte der durchschnittliche Ölpreis in diesem Jahr 120 Dollar pro Barrel betragen, könnte uns das 1,2 Prozent unseres Wirtschaftswachstums kosten bzw. den Verlust der entsprechenden
Zahl von Arbeitsplätzen bedeuten. Das hängt ursächlich miteinander zusammen.
({9})
Herr Meyer hat den Eindruck erweckt, als könne die
Bundesregierung, was die aktuellen Ereignisse und die
weltwirtschaftlichen Verwerfungen angeht, überhaupt
nichts tun. Wenn wir die Welt verändern wollen, dann
müssen wir allerdings bei uns selbst anfangen, die notwendigen Veränderungen herbeiführen und die vorhandenen Probleme lösen.
Vor diesem Hintergrund möchte ich Ihnen Folgendes
vergegenwärtigen - ich nenne nur ein paar Zahlen, Herr
Meyer -: Steuern und Abgaben machen 40 Prozent des
Strompreises aus. Beim Gas sind es 30 Prozent. Der
Liter Sprit kostet derzeit, kurz vor den Ferien, 1,60 Euro;
knapp 1 Euro davon sind Steuern.
({10})
Und dann tun Sie so, als hätte diese Bundesregierung mit
den Belastungen nichts zu tun!
Jetzt soll die Lkw-Maut angehoben werden; das bedeutet für das Speditionsgewerbe eine Mehrbelastung
von 850 Millionen Euro.
({11})
Sie versprechen eine Teilkompensation; aber letzten
Endes bleiben Mehrkosten, die die Verbraucher an der
Supermarktkasse zahlen.
({12})
Die Kanzlerin hat gestern verkündet, dass es für sie
nicht infrage komme, dass der Staat Steuern senkt, um
die Energiepreise zu reduzieren. Das gleicht einer Politik
der Volksverdummung.
({13})
In den letzten zehn Jahren sind Steuern und Abgaben
nämlich um mehr als 100 Prozent in die Höhe getrieben
worden. Von 1998 bis heute sind die Belastungen bei
Strom, Gas, Sprit um 10 Milliarden Euro gewachsen.
Herr Meyer, wie können Sie als Mitglied der Regierungskoalition dann behaupten, Sie könnten das nicht
ändern? Das ist wirklich schwach.
({14})
Ich finde es bezeichnend, dass Sie auf den Antrag,
den wir vorgelegt haben, überhaupt nicht eingegangen
sind.
({15})
- Da waren Sie schon am Ende mit Ihrem Latein. - Wir
haben in unserem Antrag ganz klar zum Ausdruck gebracht: Die FDP möchte einen reduzierten Mehrwertsteuersatz auf Energie - Energie ist ein Grundbedürfnis
der Bevölkerung - oder, alternativ, eine Senkung der
Ökosteuer. Das ist ein sehr konkretes Anliegen. Wir haben Ihnen auch Vorschläge zur Senkung der Stromsteuer
gemacht; das macht mehr als 6 Milliarden Euro pro Jahr
aus.
Wir haben in diesem Jahr erstmals Einnahmen aus
dem Emissionshandel, aus der Auktionierung von
10 Prozent der Emissionszertifikate. Erwartet werden
- man staune! - bis zu 1 Milliarde Euro.
({16})
Was machen Sie mit diesen Einnahmen? Wir haben beantragt, dass diese Einnahmen direkt zur Senkung der
Stromsteuer verwendet werden
({17})
und weder in Brüssel landen noch in neuen Förderkategorien dieser unsäglich agierenden Bundesregierung.
Die Bundesregierung ist bei den Energiekosten der
größte Preistreiber. Das muss man geißeln!
({18})
Wir haben in unserem Antrag ausführlich dargestellt,
wie wir uns eine Wettbewerbsförderung vorstellen:
Wir möchten, dass mehr Kraftwerke gebaut werden. Wir
wollen einen breiten Energiemix und keine ideologische
Energiepolitik.
({19})
Zurückhaltung des Staates bei Steuern und Abgaben
wäre die größte soziale Tat. Eine Entlastung allein der
Hartz-IV-Empfänger reicht nicht aus. Es geht uns um
alle Bürger, gerade um diejenigen, die wenig Geld verdienen und ohne staatliche Transfers auskommen müssen.
({20})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Kurth?
Gerne.
Herr Kollege, bitte.
Danke. - Frau Kopp, ist Ihnen bekannt, dass sich der
Rohölpreis seit Anfang dieses Jahrtausends verzwölffacht hat und dass wir nach der Einschätzung mancher
Analysten in den nächsten zwei Jahren mit einer weiteren Verdoppelung rechnen müssen?
Wie können Sie angesichts der epochalen Neubewertungen an den Energiemärkten wegen sinkender Ölförderung zu der Schlussfolgerung kommen, dass ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz einer solchen Verteuerung des
Öls wird entgegenwirken können?
({0})
Ich erlaube mir als FDP-Politikerin keinerlei Vorhersage, was die künftige Entwicklung des Ölpreises betrifft.
({0})
- Ganz ruhig! Ich habe ausdrücklich gesagt, dass sich diese Preise in
der Weltwirtschaft derzeit weiter nach oben entwickeln.
Das ist überhaupt keine Frage. Öl und Gas werden auch
in Zukunft knappe Güter sein. Wir haben allen Grund,
diese Ressourcen möglichst zu schonen und möglichst
weit weg von der Nutzung dieser Energiequellen zu
kommen. Ressourcenschonung ist angesagt.
({1})
Auch deshalb sagen wir: Wir brauchen in der nationalen Energiepolitik und in der europäischen Energiepolitik ein entsprechendes Konzept, durch das wir Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit
sicherstellen. Genau deshalb können wir auch nicht auf
die weitere Nutzung der Kerntechnologie für die Gewinnung von Grundlaststrom verzichten, was Sie ja wollen.
Das halten wir für völlig illusorisch. Deshalb war es
vollkommen berechtigt, dass ich das eben auch noch einmal gesagt habe.
({2})
In diesem Hause gibt es nun von jeder weiteren Fraktion Vorschläge dafür, wie hier Sondertarife eingeführt
werden sollen, um die Strompreise nach unten zu regulieren. Es gibt zum Beispiel den Vorschlag, die ersten
500 kWh im Jahr pro Kopf durch die Energiekonzerne
kostenlos zu vergeben.
({3})
- Von den Linken. - Das ist absolut illusorisch; denn es
ist doch völlig klar, dass die Kosten für solcherlei Geschenke an einen bestimmten Bevölkerungsteil auf die
übrigen Preise umgelegt werden. Das kann überhaupt
nicht Sinn einer solchen Politik sein.
Lieber Herr Kelber, auch im Vorschlagsrepertoire der
SPD befinden sich Sozialtarife.
({4})
- Über Vernunft kann man sich kräftig streiten.
({5})
Ich sehe in Ihrer Energiepolitik keinerlei vernünftige
Ansätze.
({6})
Die Linken wollen verpflichtende Sozialtarife.
({7})
Darüber kann man eigentlich gar nicht diskutieren. Daneben wollen Sie das Verbot von Stromsperrungen und
viele Dinge mehr. Das alles ist eine wirkliche Volksverdummung. Ich wiederhole es: Sie als Bundesregierung
müssen sich ans Portepee fassen und fragen lassen, wie
Sie durch die Dinge, die Sie beeinflussen können, die
Kostenspirale nach oben aufhalten wollen. Es geht darum, welche zusätzlichen Lasten wir den Bürgern national aufbürden. Sie müssen eine Antwort darauf haben,
wie Sie diese Lasten in den Griff bekommen wollen.
Sie legen ständig neue Förderprogramme auf und verlängern die Geltungsdauer bestehender Fördertatbestände durch zusätzliche Gesetzgebungen immer weiter.
Dadurch schrauben Sie die Belastungen der Bürger
zum Teil über Jahrzehnte nach oben. Das ist zum Scheitern verurteilt; denn das geht gerade zulasten der Normalbürger, die das nicht mehr bezahlen können.
Fragen Sie doch einmal die Bürger und insbesondere
Familien mit kleinen Kindern. Die können nur bedingt
Strom sparen und haben möglicherweise nicht das Geld,
sich neue Elektrogeräte zu kaufen. Das kann es doch
nicht sein!
({8})
- Herr Kelber, auf der anderen Seite schlägt die Regierung dann auch noch zu und erhöht die Mehrwertsteuer,
die Abgaben und die Überwälzungskosten.
({9})
Das nennen Sie sozial. Sie machen tatsächlich eine unsoziale Energiepolitik zulasten der Bürger in diesem Land.
({10})
Genau das will die FDP nicht.
Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, mit dem eine
konkrete Entlastung der Bürger vorgesehen ist, weil wir
die Entwicklung nicht weiter treiben lassen können. Das,
was wir in diesem Land politisch beeinflussen können,
wollen wir gestalten. Wir fordern Sie auf, die Bürger
endlich zu entlasten und nicht immer weiter an dieser
Preis-, Abgaben- und Steuerschraube zu drehen.
Ich schaue noch einmal besonders in Richtung der
Union und sage ihr: Sie können nicht weiter so agieren
und regieren, indem Sie die Wirtschaft und die Verbraucher ständig weiter belasten und nicht versuchen, dies zu
ändern. Es hat doch keinen Zweck, dass Sie sich hier
hinstellen und sagen, was Sie sich wünschen. Sie müssen
hier konkretes Regierungshandeln an den Tag legen.
Ich meine, hier ist auch die Bundeskanzlerin in besonderer Weise gefragt, dafür zu sorgen, dass es in Zukunft
einen breiten Energiemix gibt und dass der Staat darauf
verzichtet, durch die hohen Energiepreise weiterhin bei
den Bürgern abzukassieren.
Vielen Dank.
({11})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rolf
Hempelmann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Thema der Debatte ist ausgesprochen wichtig
- ich denke, das ist unumstritten - und hat uns diese Woche schon mehrfach in anderen Zusammenhängen beschäftigt. Ich glaube, wir alle in diesem Hause wollen einen Beitrag dazu leisten, dass Energiekosten sowohl für
Privathaushalte mit geringen Einnahmen als auch für andere - darin stimme ich ausdrücklich den Rednern der
Union zu - gesenkt werden.
Es ist, denke ich, sehr suggestiv und insofern wenig
glaubwürdig, zu behaupten, dass diese Bundesregierung
und die sie tragenden Fraktionen bisher keine Beiträge
zu diesem Thema geleistet hätten.
({0})
Zunächst einmal ist festzustellen, dass die heute vorgelegten Konzepte nicht denen entsprechen, die wir verfolgen wollen. Das gilt zum Beispiel für die Wiedereinführung der Strom- und Gaspreisaufsicht, weil diese
auch in der Vergangenheit nicht zu dem Ergebnis geführt
hat, das Sie sich davon versprechen. Denn die Aufsicht
hat letztlich nur den Vertriebskostenanteil prüfen können. Das führt dazu, dass suggeriert wird, es gäbe sozu18056
sagen ein staatliches Gütesiegel für einen bestimmten
Preis; in Wirklichkeit hat der Staat aber aufgrund der
Marktsituation gar nicht die Möglichkeit dazu.
Deswegen brauchen wir andere Konzepte. Dazu gehört an erster Stelle, den Menschen ehrlich zu sagen, wie
sich der Preis zusammensetzt.
({1})
Es wird - gerade auch von der FDP - immer wieder darauf hingewiesen, dass 40 Prozent des Preises von staatlicher Seite verursacht sind. Dabei wird aber verschwiegen, dass große Anteile davon nicht als staatliche
Einnahmen anzusehen sind, sondern dass dafür bestimmte Leistungen erbracht werden. Wenn zum Beispiel Konzessionsabgaben gezahlt werden, dann verbergen sich dahinter zum Beispiel Wegerechte und
Leistungen der Kommunen.
({2})
Insofern ist es richtig, dass die Ausgaben für diese Leistungen Bestandteil des Strom- bzw. Gaspreises sind. Für
andere Bestandteile wie die Mehrwertsteuer gilt, dass sie
auch auf andere Güter erhoben werden; insofern sind sie
nicht streitig.
Deswegen sollte man keine Nebelkerzen werfen.
Richtig ist aber: Es bleiben einige Punkte, über die man
immer wieder strittig diskutieren kann und mit denen
man sich erneut befassen kann, wenn es um die Weiterentwicklung von Instrumenten - der Emissionshandel ist
bereits angesprochen worden - geht. Dazu müssen wir
bereit sein, und wir sind es auch, um zu erkennen, inwieweit möglicherweise in Zukunft ein Teil der Belastungen
verzichtbar ist, weil wir neue Instrumente geschaffen haben.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Kopp?
Ich habe damit gerechnet.
Es ist immer gut, wenn auch im politischen Alltag
Verlässlichkeit besteht.
Herr Kollege Hempelmann, sind Sie bereit, zuzugestehen, dass in einem durchschnittlichen Drei-PersonenHaushalt mit einer Stromrechnung von 62 Euro im Monat allein 10 Euro davon auf die Mehrwertsteuerbelastung und 6 Euro auf die Ökosteuer - sprich: Stromsteuer - zurückzuführen sind? Ich frage mich, ob man
dabei von Peanuts sprechen kann. Schließlich kommen
noch viele weitere Belastungen hinzu. Sind Sie bereit,
damit aufzuhören, das ständig herunterzuspielen, und
sich dieser Frage zu stellen?
({0})
Ich habe den Begriff Peanuts nicht benutzt; ich habe
noch nicht einmal von Erdnüssen gesprochen. Vielmehr
habe ich gleich am Anfang festgestellt, dass das Thema
sehr wichtig ist und dass wir gemeinsam das Ziel verfolgen müssen, die Energiekosten für die Bürgerinnen und
Bürger zu senken. Darauf werde ich gleich näher eingehen.
Aber wer suggeriert, dass alle Kosten, die staatlich induziert sind, überflüssig seien, täuscht die Bürger. Sie
haben sich doch gerade selbst dagegen gewehrt, die Bürger zu täuschen. Vieles davon ist völlig unumstritten,
egal in welcher Fraktion man nachfragt. Das gilt beispielsweise für die Anteile für erneuerbare Energien und
Kraft-Wärme-Kopplung. Das wird von allen Fraktionen
getragen, ebenso wie die Mehrwertsteuer. Die Höhe ist
möglicherweise bei dem einen oder anderen strittig, aber
der Sache nach kann man, denke ich, kein einzelnes Produkt von der Mehrwertsteuererhebung ausnehmen.
Insofern bin ich dafür, die Preisbestandteile offenzulegen und den Bürger aufzuklären, wie sich der Preis zusammensetzt. Ich halte das für ein berechtigtes Anliegen.
Das haben wir auch gerade im Gesetzentwurf zur Öffnung des Mess- und Zählwesens entsprechend durchgesetzt.
Die Aufgabe ist es, Kosten zu senken, aber dafür zu
sorgen, dass die Menschen bei möglicherweise sinkenden Energieverbräuchen ihren Komfort, ihren Lebensstandard halten können. Daran haben wir gearbeitet. Wir
haben ein CO2-Gebäudesanierungsprogramm aufgelegt, mit dem Gebäude so saniert werden können, dass
weniger Energie verbraucht wird. Das nützt dem Klima,
entlastet aber auch die Portemonnaies der Menschen.
Wir haben mit dem Integrierten Energie- und Klimaprogramm dafür gesorgt, dass erneuerbare Energien im
Bereich der Wärmeversorgung ihren Platz finden. Das
heißt, dass wir mehr Unabhängigkeit von den ganz sicher steigenden Öl- und Gaspreisen erreichen.
Wir haben beim Mess- und Zählwesen dafür gesorgt,
dass die Menschen über intelligente Zähler in die Lage
versetzt werden, ihre Verbräuche zu erkennen und zu sehen, welches die Stromfresser sind, sodass sie dann entsprechend handeln können. Sie haben aber recht - das
macht die Sache durchaus komplex -, dass wir dann den
Menschen, die es nicht alleine schaffen, helfen müssen,
die notwendigen Investitionen zu tätigen, um zum Beispiel stromfressende Geräte durch moderne, energiesparende Geräte zu ersetzen. Auch dafür gibt es entsprechende Töpfe, zum Beispiel Marktanreizprogramme.
Aber das kann und muss man natürlich entsprechend
ausweiten.
({0})
Wir wünschen uns, dass die Unternehmen hier ein
Stück weit von dem Verkauf von Mengen an Kilowattstunden wegkommen. Das ist ein veraltetes Geschäftsmodell. Wir wollen, dass die Unternehmen ihr Geld verdienen, indem sie den Kunden Energiedienstleistungen
mit möglichst wenig Energieverbrauch, mit wenig Kilowattstunden verkaufen. Das Contracting, das Bilden von
Verträgen mit den Kunden, macht nicht nur Sinn bei
Großunternehmen als Partnern, sondern auch beim Einzelkunden und bei einzelnen Haushalten. Das muss die
Ziellinie sein. Ich denke, dass wir eine Reihe von Dingen
auf den Weg gebracht haben, die uns diesem Ziel ein
Stück näherbringen.
Stichwort Sozialtarife. Sicherlich ist es irreführend,
wenn das Wort „Sozialtarif“ für all das benutzt wird, was
zurzeit in den Fraktionen an Überlegungen existiert.
Auch das ist ein hochkomplexes Thema. In einer großen
Fraktion wie der SPD-Fraktion ist es in der Tat so, dass
Gedanken aus allen Richtungen zusammengetragen werden. Manche verdienen ganz klassisch den Begriff Sozialtarif, andere aber gehen eher in eine andere Richtung.
Ich kann Ihnen heute sagen, dass es von der Tendenz
her in unserer Fraktion so aussieht - wir führen dazu gerade Fachgespräche mit Betroffenen -, dass die Unternehmen, eingeleitet zum Beispiel durch die Veränderungen beim Mess- und Zählwesen, durch ihre
Tarifstruktur Anreize dafür schaffen, dass tatsächlich
alle, nicht nur bestimmte Bürgerinnen und Bürger, sparsam mit Energie umgehen. Ein effizienter Umgang mit
Energie soll also belohnt werden. Möglich ist - das hat
sich aus Gesprächen mit Unternehmen entwickelt -, dass
man entweder auf die Grundgebühr verzichtet, sie senkt
oder etwa die ersten 500 Kilowattstunden günstiger anbietet, weil das ein Anreiz sein kann, mit Energie sparsam umzugehen.
({1})
Wir werden dazu Vorschläge vorlegen, die der Komplexität dieses Themas gerecht werden. Schwarz-WeißMalerei macht keinen Sinn. In diesem Sinne wünsche
ich uns gute Beratungen. Die Anträge müssen wir leider
ablehnen, weil sie zu kurz greifen und der Komplexität
nicht gerecht werden.
Vielen Dank.
({2})
Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der
Kollege Oskar Lafontaine.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Übereinstimmend wurde in diesem Hause festgestellt, dass die Energiepreise in den letzten Jahren davongelaufen sind. Die Zahlen zu Beginn dieses Jahres
kennen die meisten: Der Strompreis hat sich um rund
25 Prozent erhöht, die Benzinpreise um ein Drittel, und
der Ölpreis hat sich verdoppelt.
Konkret sieht das so aus, dass sich viele nicht mehr
das Leben leisten können, das sie sich in den Jahren davor geleistet haben. Im letzten Winter haben mir Händler
erzählt, dass sie Leute haben frieren sehen, weil sie sich
kein Öl leisten konnten. Auch im letzten Jahr haben mir
Händler berichtet, dass immer mehr Kunden ihre Rechnungen für Öl über Kredite begleichen. Das ist eine beängstigende Entwicklung.
Wenn man gleichzeitig hört, dass beispielsweise immer mehr Haushalten der Strom abgestellt wird, weil die
Rechnungen nicht mehr bezahlt werden, dann kann man
das nicht mehr nur auf das Thema Angebot und Nachfrage reduzieren. Hier geht es um Menschen, Haushalte,
Eltern mit Kindern. Deswegen müssen wir irgendetwas
unternehmen.
({0})
Das Bedauerliche an dieser Debatte ist wieder einmal,
dass alle in der Analyse, dass die Preise zu hoch sind,
übereinstimmen, dass aber, wenn man die Regierungsmehrheit fragt, was denn geschehen soll, keine Bereitschaft erkennbar ist, sich auf irgendeine Maßnahme zu
einigen, es sei denn, man reduziert das auf die Tatsache,
dass nun die Entscheidung getroffen wurde - das begrüßen wir -, die Heizkosten beim Wohngeld zu berücksichtigen. Aber das ist nur eine minimale Lösung. Wir
brauchen eine wirklich durchgreifende Lösung.
Sie mögen mit unseren Anträgen nicht einverstanden
sein. Aber unsere Position ist - das möchte ich deutlich
sagen -: Wenn Sie Anträge einbringen, die zu einer Verbesserung der Situation der Haushalte führen, werden
wir ihnen zustimmen; denn wir sind nicht der Meinung,
dass das, was wir vortragen, der Weisheit letzter Schluss
sein muss.
({1})
Das gilt auch für die Anträge der FDP. Dabei möchte ich
nur auf einen Sachverhalt hinweisen. Aus Erfahrung
wissen wir, dass steuerliche Ermäßigungen nicht unbedingt über die Preise weitergegeben werden. Es wäre zu
klären, wie wir sicherstellen können, dass beispielsweise
eine Reduktion der Mehrwertsteuer beim Endverbraucher tatsächlich ankommt. Es gibt hinreichende Erfahrungen, dass das oft nicht der Fall ist. Ich sage das nur,
um ein Sachargument in die Debatte einzuführen, und
nicht, um Ihren Antrag abzuqualifizieren.
Für uns geht es hier auch um eine grundsätzliche
Frage. Was verstehen wir unter sozialer Marktwirtschaft? Ich habe heute wieder interessante Aufsätze und
Interviews zu diesem Thema gelesen. Ich ermutige jeden, der das Wort „soziale Marktwirtschaft“ in den
Mund nimmt, zu sagen, was er darunter versteht. Heute
habe ich gelesen, dass das etwas mit Einstieg und Aufstieg zu tun habe. Ob damit etwas Brauchbares oder Verwertbares gesagt ist, weiß ich nicht.
({2})
Ich möchte für meine Fraktion festhalten: Für uns ist
eine Marktwirtschaft dann sozial, wenn sie fallende
Löhne sowie Monopol- bzw. Oligopolpreise verhindert.
So einfach ist die Definition.
({3})
Fallende Löhne führen zu fallenden Renten und sinkenden sozialen Leistungen. Steigende Preise führen, wie
wir es jetzt erleben, zu einer Verarmung der Bevölkerung. Weil Sie diesen Zusammenhang nicht herstellen,
gab es im letzten Jahr die Entwicklung, dass die Löhne
und Renten gefallen sind, während die Energiepreise gestiegen sind. Das führt zu einer systematischen Verarmung der Bevölkerung. Die Schuld daran trägt die
Mehrheit dieses Hauses. So simpel ist der Zusammenhang.
({4})
Als hätte unsere verehrte Bundeskanzlerin mir heute
ein Argument liefern wollen, hat sie in einem Interview
zur sozialen Marktwirtschaft auf die Frage, was sie denn
eigentlich bewirkt und erreicht habe, geantwortet: Weniger Staat ist ein Zugewinn an Freiheit für viele Bürger. Jetzt müssen Sie klatschen. Mit diesem Satz steht die
verehrte Bundeskanzlerin in krassem Gegensatz zum
Aufklärer Rousseau, der gesagt hat:
Zwischen dem Schwachen und dem Starken ist es
die Freiheit, die unterdrückt, und das Gesetz, das
befreit.
Nun stehen wir vor der schwierigen Frage, wer recht hat:
Frau Merkel oder der Aufklärer Rousseau? Wenn man
die Geschichte der Menschheit betrachtet, sieht man:
Überall dort, wo die Schwachen durch Gesetze nicht geschützt werden, werden sie in größere Schwierigkeiten
kommen und ihr Leben immer weniger bewältigen können.
({5})
Frau Merkel hat überhaupt keine Kenntnis von den philosophischen Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft.
Das ist der Punkt, über den wir hier reden. Solange man
diesen Zusammenhang nicht sieht, sind viele Menschen
in der Armutsfalle. Ich könnte sie auch Merkel-Falle
nennen: auf der einen Seite Verweigerung eines gesetzlichen Mindestlohns, auf der anderen Seite steigende
Energiepreise. Dann wundern Sie sich auch noch, dass
immer mehr Haushalte in Schwierigkeiten kommen. Warum erkennen Sie diese Zusammenhänge nicht?
Aufgrund verfehlter Politik haben wir in Deutschland
mit 25 Prozent einen riesigen Niedriglohnsektor, den
größten aller Industriestaaten. Trotz wachsender Wirtschaft sind im letzten Jahr die Löhne und Renten in
Deutschland gefallen. Mittlerweile gibt es laut eigenem
Bericht 5,2 Millionen Haushalte mit 500 bis 900 Euro
Nettoeinkommen. Was ist das denn für eine Lage? Die
Kanzlerin hat vor ein paar Monaten gesagt: Deutschland
hat Grund zur Zuversicht. Sie reden immer von Haushaltskonsolidierung. Es gibt viele Menschen, die darüber
nachdenken, was damit gemeint sein könnte. Es gibt
viele Haushalte, die froh wären, wenn sie von Haushaltskonsolidierungen reden könnten. Aber im Moment geraten viele Privathaushalte in immer größere Schwierigkeiten, weil sie aufgrund der Entwicklung der Löhne und
Renten sowie der Preise nicht mehr in der Lage sind, ihr
Leben zu gestalten. Haushaltskonsolidierung aus Sicht
der Ärmeren unserer Bevölkerung wäre vielleicht ein
Thema, auch für die Mehrheit dieses Hauses.
({6})
Nun sind einige kurzfristige Maßnahmen zu treffen.
Das Bedauerliche ist ja, dass hier herumgeredet, herumgeredet und noch einmal herumgeredet wird.
({7})
Wir könnten durch eine einzige Entscheidung die Probleme lösen. Nehmen wir doch nur einmal die Pendlerpauschale, mit der Sie von der CDU/CSU einen lächerlichen Zirkus aufführen. Man hat fast den Eindruck, als
hätte sich die CDU mit der CSU abgesprochen, das
Theater bis zur bayrischen Landtagswahl aufzuführen,
wobei das Thema Pendlerpauschale immer wieder durch
die CSU auf die Tagesordnung gesetzt wird und die
CDU diese Forderung mit dem Hinweis auf die Haushaltskonsolidierung blockiert. Das ist unredlich. Kommen Sie endlich zu irgendeiner Entscheidung! Sagen Sie
Ja, oder sagen Sie Nein! Das steht schon so in der Bibel.
({8})
Dasselbe gilt für die Sozialtarife. Dazu ist einiges
von meinem Vorredner gesagt worden. Es gibt verschiedene Modelle. Auch hier würden wir sagen, Herr Kollege Hempel - ({9})
- Hempelmann, Entschuldigung. Jetzt können Sie überlegen, warum ich hier gestockt habe. Nun gut.
({10})
Das war nicht böse gemeint. Ich habe hier schlicht gestockt. - Sie haben eine Reihe von Fällen genannt. Wir
würden jedes Modell mittragen, aber es nützt doch
nichts, dass wir hier endlose Debatten führen und nichts,
aber auch gar nichts geschieht.
({11})
Deshalb sagen wir: Sozialtarife sind eine Möglichkeit.
Wir wären bereit, jeden Vorschlag zu akzeptieren, aber
es geschieht nichts. An dieser Stelle wird immer wieder
gesagt, wir hätten das Geld dazu nicht. Es ist aber für jeden, der das gutwillig überprüft, nachvollziehbar, dass
das Geld selbstverständlich da ist. Eben ist von den Gewinnen aus dem Emissionshandel die Rede gewesen. Einer hat von 1 Milliarde Euro in diesem Jahr gesprochen.
Das Öko-Institut hat ausgerechnet, dass in den nächsten
vier Jahren Gewinne in Höhe von 35 Milliarden Euro
anfallen.
({12})
Es mag richtig sein, dass nur die Hälfte dieser Summe
anfällt. Das heißt aber, dass Geld da ist, um den MenOskar Lafontaine
schen entgegenzukommen und ihre Lebenssituation zu
verbessern. Warum tun Sie denn nichts?
({13})
Dasselbe gilt für die Mehrwertsteuer. In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Rechnungen. Viele
haben ausgerechnet, dass allein die Mehreinnahmen aus
der Mehrwertsteuer, die aus der Strompreisentwicklung
resultieren, ausreichen würden, einen Einstieg in die Sozialtarife zu finanzieren. Warum tun Sie denn nichts?
Warum kassieren Sie nur die Mehrwertsteuer und sind
nicht bereit, Sozialtarife einzuführen und die Mehreinnahmen an die Menschen weiterzugeben?
({14})
Längerfristig - auch das möchte ich noch sagen - sind
Strukturmaßnahmen zu ergreifen, um den Energiepreisanstieg durch nationalstaatliche Entscheidungen zumindest zu dämpfen. Wir schlagen dazu nach wie vor die
Rekommunalisierung der Energieversorgung vor;
denn wir wissen doch aus eigener Erfahrung, dass wir zu
der Zeit, als wir in den Städten eine eigene Erzeugung
hatten, solche Entscheidungen noch selbstständig treffen
konnten. Das ist ein Zugewinn an Demokratie. Deshalb
sind wir für die Rekommunalisierung der Energieversorgung.
({15})
Dass man bei den Netzen eine wie auch immer geartete stärkere staatliche Kontrolle braucht, versteht sich
von selbst. Ich freue mich, dass innerhalb der SPD-Fraktion der Diskussionsprozess fortgeschritten ist und dass
die Abqualifizierung durch den Bundesumweltminister,
was die Verstaatlichung der Netze angeht, mittlerweile
anderen Einsichten gewichen ist.
Ich fasse zusammen: Die Entwicklung der Energiepreise ist für viele Haushalte - nicht für uns alle hier ein großes Problem. Ein Problem für diese Haushalte ist
aber auch, dass wir uns zwar einig sind, dass das
schlimm ist, dass die Koalition aber nicht in der Lage ist,
irgendeine Entscheidung zu treffen.
({16})
Nun hat das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen die Kollegin Bärbel Höhn.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir reden heute in der Tat über ein dramatisches Problem. Die Energiepreise steigen. Ich glaube, keiner von
uns hätte vor einem Jahr voraussagen können, wie sich
der Ölpreis entwickelt. Die Entwicklung in den letzten
Monaten ist wirklich dramatisch.
({0})
Schauen Sie sich einmal den Verbraucherpreisindex vom
Mai an! Er ist um 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Mehr als die Hälfte davon ist auf den Anstieg
der Energiepreise zurückzuführen. Das ist in der Tat dramatisch.
Die entscheidende Frage ist: Was tun wir? Da nützen
Schnellschüsse nichts, Herr Lafontaine; vielmehr ist entscheidend, dass man analysiert, was der Grund für diesen Preisanstieg ist.
({1})
Aus unserer Sicht - immer mehr Experten teilen unsere
Ansicht - geht das Zeitalter des billigen Öls zu Ende,
({2})
und zwar deshalb, weil die Nachfrage auch in den nächsten Jahren dramatisch ansteigen wird und die Ölförderung an ihre Grenzen stößt. Wenn mittlerweile sogar die
Internationale Energie-Agentur, die das bisher immer
geleugnet hat, sagt, dass Angebot und Nachfrage immer
weiter auseinanderklaffen werden - das heißt, das Angebot wird knapp sein und die Nachfrage wird steigen -,
dann wissen doch alle, was das bedeutet: höhere Ölpreise auch in den nächsten Jahren. Wenn wir nicht gemeinsam die Gründe dafür analysieren, dann werden wir
auch nicht zu den richtigen Lösungen kommen.
({3})
In diesem Zusammenhang muss ich feststellen, dass
die FDP mit ihrer Antwort auf das Problem danebenliegt. Wenn Ihre einzige Antwort auf die versiegenden
Ölquellen und die steigende Nachfrage Chinas nach Öl
ist, in Deutschland die Steuern zu senken, dann bedeutet
das in der Tat, Frau Kopp, dass Sie die Menschen für
dumm verkaufen. Nicht die anderen, sondern Sie verkaufen die Menschen für dumm.
({4})
Wenn es nach Ihnen geht, dann dürfen die Leute noch
einmal ganz kurz an die Tankstelle und ordentlich volltanken, bevor ihnen durch die nächste Preisexplosion sozusagen all das weggenommen wird, was Sie ihnen für
kurze Zeit geschenkt haben.
({5})
Deshalb ist es keine Lösung, die Steuern zu senken. Die
eigentliche Lösung des Problems ist es, endlich einmal
auf Energieeinsparungen und erneuerbare Energien zu
setzen.
({6})
Herr Lafontaine, ich habe mir Ihren Antrag genau angesehen. Die Preisaufsicht wieder an die Länder zu geben, ist auch keine ernsthafte Lösung. Die Länder hatten
doch schon einmal die Aufsicht. Was war die Folge? Sie
haben mit den jeweiligen Energiekonzernen verhandelt
- übrigens mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen -,
und am Ende haben die Energiekonzerne gesagt: Der hö18060
here Preis ist doch staatlich abgesegnet. Was wollt ihr eigentlich? - Das ist keine Lösung des Problems.
Wir meinen, die Antwort auf die weitere Verknappung und Verteuerung der Energie heißt: weniger Energieverbrauch.
({7})
Mit Blick auf die weitere Entwicklung muss es doch heißen: Wir müssen das Öl verlassen, ehe es uns verlässt. Sonst geraten wir in eine Spirale, die wir nicht mehr aufhalten können.
({8})
Die Leute haben das verstanden. Vor wenigen Tagen
ist in einer Umfrage im Morgenmagazin zu diesem
Thema gefragt worden, was der Staat tun kann und was
er tun sollte. An erster Stelle - 44 Prozent der Befragten
haben das gesagt - stand die Antwort: Förderung von
Energiespartechnologien. Das war die Antwort der
Menschen - und sie tun auch schon etwas dafür: Sie fahren mehr mit dem Fahrrad, bilden Fahrgemeinschaften
und verbringen ihren Urlaub öfter in der Nähe. Sie verändern ihren Lebensstil. Auch das gehört dazu. Es wird
notwendig sein, mit weniger auszukommen, um diesem
Preisdiktat zu entgehen. Wir müssen auch unseren Lebensstil ändern.
({9})
Wir brauchen eine Energiesparoffensive. Wir brauchen sie insbesondere - das stimmt - im Zusammenhang
mit der Förderung von Haushalten mit kleinen Einkommen. Aber zu den sozialen Aspekten wird der Kollege
Kurth gleich noch etwas sagen.
Ich sage eindeutig und klar: Der Weg, den die Bundesregierung momentan einschlägt, ist der falsche. Sie
haben beim IKEP, beim Integrierten Klima- und Energieprogramm, Investitionen in Energieeinsparungen
- ich habe mehrfach Minister Glos dazu gehört - immer
noch als Belastungen definiert. Das ist der falsche Ansatz. Investitionen in Energieeinsparung sind eine Entlastung und keine Belastung. Solange Sie das nicht verstanden haben, werden Sie zu den falschen Lösungen
kommen.
({10})
Die Bundesregierung lässt die Verbraucher bei den
steigenden Energiekosten im Stich. Sie lassen sie im
Stich, wenn Kanzlerin Merkel auf EU-Ebene gegen sparsamere Autos ankämpft. Es ergibt sich keine Entlastung
bei den Benzinkosten, wenn Sie weiterhin für die Spritschlucker Lobbyarbeit machen.
({11})
Sie lassen die Menschen im Stich, wenn Sie den Austausch von ineffizienten Nachtspeicherheizungen verzögern. Sie lassen die Menschen im Stich, weil Sie sie in
eine Kostenfalle laufen lassen, aber ihnen keinen Ausweg anbieten. Sie lassen sie auch im Stich, wenn Sie
zum Beispiel im Wärmebereich - Stichwort: Isolierung
von Gebäuden - am Ende nur zu halbherzigen Lösungen
kommen. Meine Damen und Herren, gerade für Haushalte mit kleinen Einkommen sind Dämmungen in den
Mietwohnungen notwendig; denn der nächste kalte Winter kommt bestimmt. Wir können nicht damit rechnen,
dass jeder Winter so warm wird, wie der letzte es war.
Der letzte warme Winter war nämlich auch ein Grund
dafür, dass das Problem nicht explodiert ist. Wenn der
Winter kalt ist und dann noch die Heizkosten steigen,
wird das Problem immer größer.
({12})
Konsequente Energiepolitik sieht anders aus. Deshalb
sagen wir: Helfen Sie den Verbrauchern, indem Sie auf
Energieeinsparungen und erneuerbare Energien setzen.
Einfach nur „Steuern runter“ und „Preiskontrolle“, das
sind keine Lösungen, mit denen das gravierende Problem, das uns auch in Zukunft begleiten wird, endlich
gemeistert werden kann.
Vielen Dank.
({13})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Fuchs für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte
Frau Höhn, Sie sind es doch gewesen, die immer behauptet hat, dass der Benzinpreis bei 5 Euro liegen
müsste.
({0})
- Bei 5 DM; das sind etwa 2,50 Euro. - Die Benzinpreise bewegen sich leider in diese Richtung. Sie haben
auch alles dafür getan. Also tun Sie jetzt hier bitte nicht
so, als würde es Sie fürchterlich schocken, dass es sich
aufgrund der Politik der Ölländer so entwickelt! Wir
müssen alles dafür tun, dass sich die Energiepreise so
wenig wie möglich erhöhen; denn dieses Land hätte unter immer höheren Energiepreisen heftig zu leiden.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Das brauche ich jetzt nicht.
({0})
Ich habe mir das eben lange genug angehört.
In meinem Wahlkreis gibt es ein Unternehmen der papierverarbeitenden Industrie. Ich meine die Firma Kimberly-Clark. Sie stellt Kleenex her; dieses Produkt kenDr. Michael Fuchs
nen viele. Diese Firma hat nicht nur an vielen Orten in
Deutschland, sondern auch in Nachbarländern Papierfabriken. In all diesen Fabriken stehen baugleiche Maschinen. Eine Maschine dieser Firma in Koblenz verbraucht
im Jahr Strom in Höhe von 25 Millionen Euro. Die gleiche Maschine in Rouen in Frankreich verbraucht im Jahr
Strom in Höhe von 17 Millionen Euro. Es wird nicht
ewig dauern, bis Amerikaner in Dallas entscheiden, dass
es sinnvoll wäre, die Maschine in Koblenz nach Rouen
oder an einen anderen Ort in Frankreich zu verlagern.
Was passiert dann, Herr Lafontaine? Dann wird es unsozial; denn dann gehen Arbeitsplätze verloren.
Wir müssen mit einer vernünftigen Energiepolitik
verhindern, dass in Deutschland Arbeitsplätze im mittelständischen Bereich verloren gehen, weil sie den Strom
nicht mehr bezahlen können.
({1})
Das haben Sie nur nicht kapiert. In all Ihren Anträgen
fordern Sie doch nichts anderes als Umverteilung von
oben nach unten. Das machen wir sowieso. Sie reden
von einem Armutsland. Ich glaube, in keinem anderen
Land ist die Gesellschaft so reich und wohlhabend wie in
Deutschland. Das wollen wir doch einmal festhalten.
({2})
Ich kann Ihr Gerede von der Armutsfalle einfach nicht
mehr hören. Sie reden dieses Land schlecht und wissen
genau, dass das Gegenteil richtig ist.
({3})
Ich sage Ihnen noch eines. Wenn Ihnen mit Ihrem
Linkspopulismus nichts Besseres einfällt, als ständig
Umverteilung zu fordern, dann erwähnen Sie bitte auch,
dass 53 Prozent dieses Bundeshaushalts für Soziales,
also für die von Ihnen geforderte Umverteilung, ausgegeben werden. Diese Regierung hat gerade beschlossen,
das Wohngeld zum 1. Januar 2009 von 90 Euro auf
143 Euro anzuheben. Diese Maßnahmen haben wir gemeinsam auf den Weg gebracht. Bitte nehmen Sie das alles einmal zur Kenntnis! Anscheinend geht es an Ihnen
vorbei. Die Anträge, mit denen Sie uns hier nerven, kosten uns Zeit. In dieser Zeit können wir keine vernünftige
Politik machen. Sie sollten das eigentlich wissen.
Was all Ihre Forderungen nach Umverteilung angeht,
muss man einmal erwähnen: Die 10 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit den höchsten Einkommen
zahlen 53 Prozent der Steuern. Die 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit den höchsten Einkommen
zahlen 83 Prozent der Steuern.
({4})
Das alles scheint Ihnen entgangen zu sein, weil es mit
Ihrem Populismus nicht in Einklang zu bringen ist.
Ich muss Ihnen noch ein paar andere Zahlen vorhalten. Vergleicht man die neuesten Strompreise in Europa,
stellt man fest: In Deutschland kostet der Strom in einem
Haushalt mit einem jährlichen Verbrauch von 3 500 Kilowattstunden 21,48 Cent pro Kilowattstunde. In Frankreich kostet dieser Strom 12,18 Cent pro Kilowattstunde.
Warum? Das ist ziemlich einfach - das wird Sie nicht
wundern; denn Sie wissen es alle -: weil 87 Prozent des
Stroms in Frankreich in Kernkraftwerken erzeugt werden. Was machen wir? Wir verteuern, verteuern und verteuern.
({5})
- Ich habe überhaupt nichts gegen erneuerbare Energien,
Herr Kelber. Allerdings müssen die erneuerbaren Energien mit Maß gesehen werden: Sie werden unser Stromproblem nicht lösen.
({6})
70 Prozent unseres Stroms werden nicht aus erneuerbaren Energien herstellbar sein.
Herr Kollege, ich unterbreche Sie ungern. Gestatten
Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst von der
Fraktion Die Linke?
Das tue ich mir erst recht nicht an.
({0})
Den kann ich nicht ernst nehmen; deswegen macht es
keinen Sinn, sich eine Frage anzuhören. Er muss sich
erst einmal mit seinen Aufsichtsräten bei Fichtel &
Sachs auseinandersetzen und sollte mich hier in Ruhe
lassen.
Wir haben genau dieses Problem - ich sage es noch
einmal deutlich -: Wir sind nicht bereit, zur Kenntnis zu
nehmen, dass wir in eine Falle laufen, wenn wir bei der
Erzeugung von Strom nicht umdenken. Es wird allerhöchste Zeit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die ganze
Welt das anders sieht. Warum ist es so, dass wir in
Deutschland anscheinend die Einzigen sind, die so technikfeindlich und so ängstlich sind?
({1})
Ich kann es nach wie vor nicht verstehen. Vielleicht hat
Voltaire recht, Herr Lafontaine. Er hat nämlich einmal
gesagt: Am Grunde eines Problems sitzt immer ein
Deutscher. - Wahrscheinlich sind Sie das Problem.
Noch einmal: Wenn wir nicht umdenken und nicht
langsam, aber sicher zur Kernkraft zurückkommen,
werden wir das Strompreisproblem nicht lösen.
({2})
Die einzige Chance, die wir haben, auch unter klimapolitischen Aspekten, die Strompreise für die Haushalte mit
kleinen Einkommen einigermaßen bezahlbar zu halten,
ist - da bin ich mit dem Kollegen Meyer einig - die
Kernkraft; das muss immer wieder und überall deutlich
gesagt werden.
({3})
Eines schönen Tages wird dieses Land diese Chance nutzen, auch wenn das dann, hoffentlich, eine andere Regierung organisiert.
Wir haben mit der Bundesregierung vernünftig reagiert. Wir haben zum Beispiel die GWB-Novelle beschlossen. Sie ist zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten.
Mit dieser Novelle haben wir eine Beweislastumkehr
vorgenommen, um die Stromkonzerne zu zwingen, ihre
Situation besser darzulegen. Außerdem haben wir dem
Kartellamt die Möglichkeit gegeben, besser einzugreifen. Das ist auch notwendig. Wir müssen die vier Viertelmonopolisten in diesem Land schon sehr intensiv kontrollieren.
Fazit: Wenn wir die Energiepreise im Griff behalten
wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Gesamtenergiepolitik zu betreiben. Darin muss die Kernkraft
eine Rolle spielen; sonst laufen uns die Preise davon.
({4})
Wer das nicht sagt, ist unredlich. Aber das kennen wir ja
von Ihnen, Herr Lafontaine.
({5})
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun der Kollege Ernst.
Herr Kollege Fuchs, nachdem Sie den Blick auf die
Realität verweigert und geleugnet haben, dass es in diesem Land tatsächlich Armut gibt, haben Sie sich auch
noch auf die Umverteilung eingelassen und diese kritisiert. Ist Ihnen bekannt, Herr Fuchs, was das Institut für
Makroökonomie und Konjunkturforschung festgestellt
hat? Es hat festgestellt, dass in dem von Ihnen so gelobten Aufschwung nur eine Gruppe tatsächlich profitiert
hat, nämlich die Gruppe derer, die ihr Einkommen aus
Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen - sie haben im letzten Aufschwung über 20 Prozent Zuwachs erzielt -,
({0})
dass die Rentner an diesem Aufschwung überhaupt nicht
partizipieren, sondern ein Minus haben, und dass die Arbeitnehmereinkommen in diesem Aufschwung um
1,4 Prozent gesunken sind.
Angesichts dessen kann ich nur sagen: Es findet eine
Umverteilung statt, ohne dass wir sie wollen, nämlich
eine Umverteilung von unten nach oben. Deswegen
haben wir auch das Problem, dass die Menschen ihre
Stromrechnung und ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen
können. Auf diesen Punkt haben Sie in Ihrer ganzen
Rede nicht eine Silbe verwendet.
({1})
Sie haben sich als ein Lobbyist der Atomindustrie profiliert - das nehmen wir zur Kenntnis -, aber die Lösungen für die Menschen bleiben Sie schuldig.
({2})
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wohl Zeit, ein Zwischenresümee der Debatte zu
ziehen. Nachdem ich Herrn Fuchs, Frau Kopp und Herrn
Lafontaine gehört habe, muss ich sagen: Es ist wirklich
erschütternd, in welcher Art und Weise Sie die grundlegenden Probleme - als einzige Rednerin hat Frau Höhn
diese Probleme angesprochen - ignorieren. Wir befinden
uns in einem epochalen Wandel. Wir befinden uns in einer fundamentalen Neubewertung sämtlicher Energiepreise an den Märkten. Das muss man einmal zur Kenntnis nehmen.
Das betrifft nicht nur das Öl. Das Öl ist natürlich der
wichtigste Rohstoff. Anderthalb Generationen haben ihn
einfach so verschleudert. Auch die Preisindikatoren für
alle anderen Energieträger - Steinkohle, Gas oder auch
die von Ihnen so geliebte Kernenergie bzw. das dafür erforderliche Uran - zeigen nach oben. Deswegen gibt es
nur eine Antwort, nämlich zu sparen und die erneuerbaren Energien auszubauen. Das kann gar nicht oft genug
wiederholt werden, und das wiederholt fast nur unsere
Fraktion.
({0})
Von wenigen Ausnahmen abgesehen, Herr Kelber,
müssten eigentlich Sie alle, die Sie hier sitzen, von der
Linken über die CDU/CSU bis zur FDP, jede Rede zur
Energiepolitik erst einmal mit einer Entschuldigung gegenüber Bündnis 90/Die Grünen beginnen.
({1})
Vor zehn Jahren haben wir bereits mit einem ambitionierten Programm, das eine gezielte und berechenbare
Steigerung der Energiepreise eingeschlossen hat ({2})
wir haben es leider nur in Teilen umsetzen können -,
versucht, den von uns vorhergesehenen Anstieg der
Energiepreise gezielt vorwegzunehmen. Wir hätten zehn
Jahre für den Umbau Zeit gehabt. Jetzt müssen wir es innerhalb von zwei bis drei Jahren schaffen, eine Verdopplung oder gar Verdreifachung der Energiepreise zu verkraften. Das Problem kann angesichts dieser
fundamentalen Grundwerte - Markus Kurth
({3})
- Die machen Sie auch nicht durch Ihr Geschrei weg.
({4})
- Seien Sie doch einmal still, und hören Sie zu! Der liebe
Gott hat Ihnen zwei Ohren und einen Mund gegeben:
also zweimal Zuhören und nur einmal Rufen.
({5})
Wir stehen vor der Herausforderung, dass wir nun die
Umstellung hin zu Energieeinsparungen dort beschleunigen müssen, wo die Not am größten ist, und diesen Umstellungsprozess deshalb in den Bereichen abfedern
müssen, die davon am stärksten betroffen sind. Hier
denke ich insbesondere an soziale Brennpunkte, an bestimmte Wohnviertel und -formen, wo der Heizenergieverbrauch nicht zu den günstigsten zählt. Wir müssen
aber auch bestimmten Personenkreisen dabei helfen,
sich energiesparendere Elektrogeräte zu kaufen.
Vor diesem Hintergrund bin ich schon sehr enttäuscht
über das Klimapaket der Bundesregierung. Warum
haben Sie kein Programm zur energetischen Sanierung
von Wohnungen in sozialen Brennpunkten aufgelegt?
Warum haben Sie nicht - das war ja angedacht - ein
Mietminderungsrecht für Mieter eingeführt, die in Wohnungen leben, die energetisch unzulänglich ausgestattet
sind? Das wäre eine wichtige Anreizmöglichkeit gewesen. Warum machen Sie keine verpflichtenden Vorgaben
für die Sanierung von Wohnungen im Altbaubestand?
({6})
Wir wissen doch, dass dort verstärkt sozial Schwächere
wohnen.
Was machen Sie im Bereich Mobilität, insbesondere
im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs? In Dortmund,
einer Stadt, in der die Grünen mitregieren, gibt es das
bundesweit günstigste Sozialticket, und nicht in einer
Stadt, in der die Linken mitregieren. Für den Betrag von
15 Euro, der im Regelsatz vorgesehen ist, kann man in
Dortmund den öffentlichen Nahverkehr benutzen.
({7})
Es ist zwar völlig richtig, dass wir uns nicht nur auf
Arbeitslosengeld-II-Bezieher konzentrieren sollten
- von den Problemen der Energiepreissteigerung sind
wesentlich breitere Schichten betroffen -, aber natürlich
muss deren Regelsatz erhöht werden. Der Anteil für
Haushaltsenergie jenseits der Heizkosten im Regelsatz
beträgt nämlich nur knapp 22 Euro für einen Alleinstehenden. Ein Alleinstehender kann sich damit gerade einmal 1 000 Kilowattstunden Strom kaufen. Das reicht
nicht aus. Hier muss zusätzlich nachgesteuert werden.
Ich glaube, wir werden hier noch eine Reihe interessanter Diskussionen führen, ob das Ganze wirklich ohne
Weiteres mit den Instrumenten des Marktes geregelt
werden kann. So werden wir, wie ich denke, selbstverständlich auch über die Frage der Grundkontingentierung diskutieren. Wir werden uns auch der Frage nähern
müssen - das prognostiziere ich; denn die Armut der einen ist der Überfluss der anderen -, wie wir Vielverbraucher sanktionieren, damit diese ihren Energieverbrauch
senken.
Abschließend möchte ich in die Diskussion werfen,
dass zum Beispiel in Norwegen aus ökologischen Gründen eine Zusatzsteuer für Besitzer eines Porsche Cayenne erhoben wird. Dort kostet dieses Fahrzeug dadurch 52 000 Euro mehr. An diesem Hinweis sehen Sie,
was im europäischen Ausland los ist. Wir sollten das einmal einbeziehen, um unsere Debatten hier zu bereichern.
({8})
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat nun der Kollege Ulrich Kelber für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute nicht zum ersten Mal das
Thema „steigende Energiepreise“. Ich bin mir sicher, wir
werden das heute auch nicht zum letzten Mal tun. Die
Menschen erwarten eine Antwort der Politik, aber eine
durchdachte. Sie erwarten keine Schnellschüsse oder gar
Beschlüsse, die das Gegenteil von dem bewirken, was
man sich unter einer guten Antwort vorstellt.
Wenn die Menschen heute die Debatte verfolgt haben,
werden sie an einer Stelle enttäuscht sein. Sie werden als
Hauptantwort der bisherigen Redner von FDP und CDU/
CSU gehört haben: Atomenergie. Das hätten Sie auch
ohne steigende Energiepreise eingeworfen. Auch die
Rede von der Linkspartei, Herr Kollege Lafontaine, war
zu 80 Prozent die Standardrede, mit ein, zwei Dingen
garniert.
Herr Fuchs, vielleicht wenigstens eine inhaltliche
Entgegnung auf Ihren Beitrag: Wenn Sie die französischen Strompreise nennen, dann sollten Sie auch erwähnen, dass die französische Regierung davon spricht, dass
über 100 Milliarden Euro Rückbaukosten noch nicht etatisiert sind. Das wird der Steuerzahler zahlen. Auch das
Versicherungsrisiko zahlt der Steuerzahler in Frankreich, ebenso die zig Milliarden, einen zweistelligen
Milliardenbetrag, für das Endlager. Es ist also alles subventioniert. Sie unterstützen heute eine Art Sozialtarif,
den Sie sonst ablehnen.
({0})
Es gibt eine einzige Antwort auf steigende Energiepreise: weniger verbrauchen und auf die preisstabilen erneuerbaren Energien umstellen. Das sagen Ihnen alle
Experten, die das Thema ohne eigene Lobbyinteressen
verfolgen.
({1})
Da ist ein Punkt aber ganz wichtig: Die Energiepreise alleine, also der Markt, reichen nicht aus, den nötigen Impuls zu setzen. Es gibt viele Menschen in diesem Land,
deren Einkommen nicht reicht, selber die Investitionen
zu tätigen, die nötig sind, um weniger Energie zu verbrauchen. Das sind nicht nur Menschen, die arbeitslos
sind, sondern das geht bis weit in die Mittelschicht hinein. Aus diesem Grund sind die Förderprogramme so
wichtig. Deswegen ist es unglaublich, dass die FDP hier
sagt, die Förderprogramme der Bundesregierung seien
falsch und sie wolle sie nicht haben. Nein, diese Förderprogramme müssen ausgebaut werden, um den Menschen zu helfen, weniger Energie zu verbrauchen.
({2})
Herr Kollege Kelber, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kopp?
Ja, selbstverständlich.
Frau Kopp, bitte.
Vielen Dank. - Herr Kollege Kelber, Lobbyisten gibt
es in allen Bereichen, ob bei der konventionellen Kraftwerksindustrie oder bei den erneuerbaren Energien. Da
fallen mir viele ein, die reine Lobbyinteressen verfolgen.
Das nur vorweg.
Wollen Sie hier im Parlament wirklich sagen, dass der
gesamte Strombedarf in Deutschland, insbesondere der
Grundlaststrombedarf, allein durch erneuerbare Energien zu decken ist, und das vor dem Hintergrund, dass
fast 100 Prozent des Grundlaststroms derzeit von Kernkraftwerken und von Kohlekraftwerken produziert werden?
Ich gebe Ihnen eine zweigeteilte Antwort. Zu Ihrer
ersten Bemerkung: Ich bin vor über 20 Jahren aus der
Umweltbewegung in die Politik gegangen, und ich bin
stolz darauf, seit 25 Jahren Lobbyist für die erneuerbaren
Energien zu sein.
({0})
Ich bin halt unbezahlter Lobbyist; das unterscheidet
mich von dem einen oder anderen.
Zweiter Teil meiner Antwort: Ich schicke Ihnen gerne
morgen - früher geht es leider nicht mehr - die von der
Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zu, die deutlich
macht, dass wir bis 2050 bereits 80 Prozent der Stromversorgung aus erneuerbaren Energien tätigen können
und wenige Jahre später die vollständige Stromversorgung.
({1})
- Die Kosten werden in der Studie genannt. Sie werden
überrascht sein. Tun Sie mir den Gefallen: Lesen Sie sie,
zumindest die Zusammenfassung von drei Seiten bitte!
({2})
Unsere Hauptaufgabe ist, den Menschen zu helfen,
die es nicht selber leisten können, weniger Energie zu
verbrauchen und umzustellen.
({3})
Dann müssen wir aber auch darüber sprechen, dass wir
bei schnell steigenden Energiepreisen soziale Härten abfedern müssen. Wir sind eigentlich seit zehn Jahren auf
dem richtigen Weg. Kein anderes Land ist so gut vorbereitet auf den Prozess, weniger Energie zu verbrauchen
und mehr erneuerbare Energien einzuführen. Aber die
Geschwindigkeit, mit der jetzt die Energiepreise steigen,
überfordert immer mehr Menschen. Deswegen müssen
wir unsere Anstrengungen beschleunigen.
Ich finde es unredlich, Kollege Lafontaine, wenn Sie
eine Lösung wie die Erhöhung des Wohngelds, die
800 000 Haushalten helfen wird, als einen Minimalvorschlag abtun. Diesen 800 000 Haushalten wird im nächsten Jahr an einer bedeutenden Stelle geholfen. Deshalb
war dieser Schritt wichtig.
({4})
Ich gehe kurz auf die beiden Anträge der Oppositionsparteien Linkspartei und FDP ein. Der Antrag der
Linkspartei ist typisch. Sie haben in Ihrer Rede gesagt:
Macht doch irgendetwas! - Nein, es muss das Richtige
getan werden. Es ist eben nicht, wie bei anderen Themen, damit getan, dass die SPD über ein Thema diskutiert, die Linkspartei ein paar der Schlagworte aufnimmt
und schnell einen Antrag mit namentlicher Abstimmung
stellt. Sie waren einmal im Vorstand eines Stadtwerks.
Den Vorschlag eines Sozialtarifs, den Sie machen, lehnen die Stadtwerke und die Verbraucherverbände aus einem einfachen Grund ab: Sie sagen, das würde die Stadtwerke schädigen und die großen Energiekonzerne
würden die lukrativen Kunden abwerben.
Deswegen haben wir einen anderen Vorschlag, und
zwar einen, der wettbewerbsneutral ist und die Standorte
fördert. Das unterscheidet das Durchdenken von einem
schnellen Zur-Abstimmung-Stellen eines Antrags.
({5})
Zur FDP. Die FDP legt einen Antrag vor, mit dem sie
verspricht, dass der Staat Milliarden an die Bürger zurückgibt, damit sie die Energiepreise länger zahlen können. Einiges Gute dazu hat Frau Kollegin Höhn gesagt.
Sie geben natürlich keine Antwort darauf, woher der
Staat die Milliarden nehmen soll. Aber viel schlimmer
ist, dass durch den Antrag etwas ganz anderes erreicht
würde: Es fließen nämlich nicht Milliarden vom Staat an
die Bürger, sondern es würden Milliarden aus den Taschen der Bürger in die Taschen der großen Energiekonzerne fließen.
({6})
Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen. Alle Experten sagen, dass angesichts des Monopols in der Energieversorgung ein großer Teil des durch
die Senkung der Energiesteuern eingesparten Geldes für
höhere Gewinnmargen verwendet werden würde. Die
Importpreise würden erhöht, und die Preise der vier großen Stromkonzerne, die einen Anteil von 90 Prozent an
der Stromerzeugung haben, würden ebenfalls erhöht.
Wenn Sie von der Senkung der sogenannten Ökosteuer sprechen - das ist der Teil der Stromsteuer, der damals erhöht wurde -, dann müssen Sie den Menschen
auch sagen, dass dieser Teil vollständig als Zuschuss für
die Rentenversicherung verwendet wird. Das heißt, nach
dem FDP-Vorschlag würde dieser Zuschuss gekürzt werden.
({7})
Das hat zur Folge: niedrigere Nettolöhne aufgrund höherer Beiträge und niedrigere Renten. Sie haben heute also
den Antrag vorgelegt, die Renten in Deutschland zu senken und die Rentenbeiträge zu erhöhen.
({8})
Das ist Inhalt des Antrags der FDP, der heute auf dem
Tisch liegt.
Herr Kollege Kelber, es gibt nun die Bitte des Kollegen Dr. Kolb um eine Zwischenfrage.
Ja, bitte.
Herr Kollege Kelber, wären Sie erstens bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass die Ökosteuer eine Steuer und
keine Abgabe ist und deswegen nicht zweckgebunden
im Bundeshaushalt verwendet werden kann?
Wären Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass sich die bei der Verabschiedung der Ökosteuer erweckten Erwartungen, dass es zu einer deutlichen Absenkung des Rentenbeitrags kommt, nie erfüllt haben
und dass sich zu keinem Zeitpunkt eine Entwicklung in
die gewünschte Richtung ergeben hat? Eigentlich müssten wir heute bei einem Rentenbeitrag von deutlich unter
19 Prozent liegen, wenn es mit der Ökosteuer so funktioniert hätte, wie es damals in der Begründung beschrieben wurde.
Wären Sie drittens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass in den letzten fünf Jahren der Bundeshaushalt vom
Aufschwung mit Steuermehreinnahmen in Höhe von
110 Milliarden Euro profitiert hat und dass deswegen
genügend Geld vorhanden ist? Die Frage ist nur, wofür
man dieses Geld ausgibt.
Sind Sie viertens nicht auch der Meinung, dass man
zumindest den Rentnerhaushalten, die aufgrund Ihrer
Politik - Sie stehen jetzt zehn Jahre in der Regierungsverantwortung - wiederholt reale Kaufkraftverluste zu
erleiden hatten, helfen müsste, indem man ihnen bei den
Energiekosten eine gezielte Entlastung zuteil werden
lässt? Sind Sie mit Ihrer Politik nicht vollkommen falsch
aufgestellt, und müssten Sie jetzt nicht anfangen, einen
Kurswechsel einzuleiten, indem Sie den FDP-Anträgen
zustimmen?
({0})
Lassen Sie mich einmal raten: Sie sind Jurist, oder?
({0})
Diesen Eindruck erwecken Sie nämlich mit Ihrer formalen Argumentation, es sei keine Abgabe, sondern eine
Steuer. Wenn Sie eine bestimmte Summe bei einer
Steuer einnehmen und genau diese Summe als Zuschuss
an die Rentenversicherung geben, dann haben Sie politisch die Zweckbindung dieser Steuer erreicht.
({1})
Sie können das im Haushalt schwarz auf weiß nachlesen.
Wenn Sie den Zuschuss senken wollen, dann wollen
Sie die Rente senken. Ansonsten müssten Sie darlegen,
aus welchem Topf Sie die Differenz bezahlen wollen.
Aber bisher sprechen Sie nur von einer Senkung des Zuschusses, das heißt also weniger Rente und höhere Beiträge. Sie können nicht drum herumreden: Sie wollen die
Renten senken und die Rentenversicherungsbeiträge erhöhen. Das muss festgehalten werden.
({2})
Ich habe davon gesprochen, dass die meisten Experten sagen, eine Senkung würde nichts bringen, weil diese
sofort zu Preissteigerungen durch die Energieversorger
führen würde. Nehmen wir aber einmal an, die FDP
hätte recht,
({3})
dass Steuersenkungen dazu führen, dass Benzin, Gas
und Strom billiger werden. Dann wäre es aber für
Deutschland gut gewesen, wenn es die FDP in der Regierung nie gegeben hätte. Dann würde nämlich der Liter Benzin in diesem Land 80 Cent kosten.
Ich habe mir einmal eine Liste mit Mineralölsteuererhöhungen in Deutschland ausdrucken lassen.
({4})
Diese Steuer wurde 1950 mit Zustimmung der FDP eingeführt.
({5})
1951, 1953, 1955, 1960, 1964 haben Sie sie erhöht. 1967
waren Sie an der Erhöhung nicht beteiligt, weil sie zu
dieser Zeit nicht an der Regierung waren. 1972, 1973,
1981, 1985, 1986, 1987, 1988, 1989, zweimal 1991,
1993 und 1994 haben Sie die Mineralölsteuer erhöht.
({6})
80 Prozent der heutigen Mineralölsteuer gehen zurück
auf Erhöhungen, die mit FDP-Stimmen beschlossen
wurden. Das muss man an dieser Stelle einmal deutlich
sagen.
({7})
Immer wenn Sie an der Regierung sind, erhöhen Sie
die Steuern, und wenn Sie in der Opposition sind, dann
versuchen Sie das Etikett „Steuersenkungspartei“ zu bekommen. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, und
es ist für jeden durchschaubar.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier für
die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der objektive Betrachter dieser Bundestagsdebatten
({0})
wird sich heute verwundert die Augen reiben. Meist debattieren wir in diesem Hohen Hause neue Regelungen
und Gesetze, die zur Folge haben, dass die Energiepreise
steigen. Heute beschweren sich zwei Fraktionen über die
Frage, warum die Energiepreise so hoch sind. Es ist von
Sozialtarifen die Rede.
Im Antrag der Kommunisten dieses Hauses heißt es,
({1})
dass die Geringverdiener entlastet werden sollen. Beim
Lesen dieses Antrags habe ich mir die Frage gestellt:
Wer ist denn da gemeint? Die Leute, die Grundsicherung
erhalten, und die Leute, die Arbeitslosengeld II erhalten,
werden wohl nicht gemeint sein. Denn in beiden Fällen
- sowohl bei der Grundsicherung als auch beim
Arbeitslosengeld II - sind die Heizkosten im Rahmen
der Mietabrechnung hinzuzurechnen und werden von
der öffentlichen Hand erstattet. Ähnliches gilt für die
neue Wohngeldregelung: Diejenigen, die aus der Grundsicherung herausfallen und kein Arbeitslosengeld II bekommen, können die Heizkosten in Anrechnung bringen. Diese können Sie also auch nicht meinen.
Wen meinen Sie denn dann? Sie meinen wahrscheinlich diejenigen, die relativ gut verdienen, eine große Familie haben und eine große Wohnung haben müssen.
Diejenigen, die eine größere Familie haben, werden bei
uns weitgehend über das Steuerrecht entlastet. Wenn es
nach der CSU geht, dann wird im neuen Steuerrecht der
Freibetrag pro Person einer Familie auf 8 000 Euro erhöht. Das würde bedeuten, dass bis zu 32 000 Euro des
Einkommens einer vierköpfigen Familie steuerfrei bleiben. Das ist Sozialpolitik, und dem gehen wir nach.
({2})
Lassen Sie mich bitte ein paar Dinge richtigstellen,
damit wieder einigermaßen Sachlichkeit in die Debatte
einkehrt. Es wurde vorhin behauptet, dass sich der
Strompreis an der Börse in Leipzig bildet. Das stimmt
aber nur zum Teil. Wir alle wissen, dass in Leipzig nur
ein geringer Teil des Strompreises ermittelt wird. Der
Preis für den weitaus größeren Teil des Stroms, der in
Deutschland gehandelt wird, wird auf dem Markt frei
vereinbart. Es ist es sehr wohl von größter Bedeutung,
wie im Stromhandel die gesamten Kosten ermittelt werden.
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit sagen, dass
wir in den zurückliegenden Monaten erlebt haben, dass
die Bundesnetzagentur zum ersten Mal erreicht hat, dass
die Übertragungskosten für Strom reduziert wurden wenn auch gering, aber immerhin. Wir sollten diese
Dinge nicht verschweigen.
Vorhin wurde die Frage gestellt: Was ist denn zu tun,
um die Energiekosten insgesamt wieder in einen Rahmen zu bringen, der für unsere Bürgerinnen und Bürger
erträglicher ist? Ich möchte daran erinnern, dass diese
Bundesregierung die Problematik des Energieeinsatzes
sehr grundsätzlich und fundamental angeht. Wir haben
das Marktanreizprogramm und das CO2-Minderungsprogramm aufgelegt, was natürlich zu erheblichen Einsparungen führt. Die Entkoppelung von wirtschaftlichem
Wachstum und Energieverbrauch ist schon vor zehn Jahren gelungen. Das sind Fortschritte auf diesem Sektor.
Ich sage das deswegen, weil sich der Energiepreis natürlich über Angebot und Nachfrage entwickelt. Wir
brauchen von der linken Seite dieses Hauses überhaupt
keine Nachhilfe, wenn es darum geht, wie sich die soziale Marktwirtschaft auf dem Energiesektor definiert.
Ich habe mir von den Grünen über Jahre sagen lassen
müssen, dass wir in Deutschland eine besonders
schlechte Stromwirtschaft deswegen haben, weil wir im
Strombereich extreme Überkapazitäten haben.
({3})
Die Überkapazitäten beim Strom sind weitgehend abgebaut.
({4})
In der jetzigen Situation müssten wir das Angebot eigentlich dringend erhöhen.
({5})
Wir brauchten dringend neue Player auf dem Markt.
Merkwürdigerweise sind Investoren im Bereich der
Stromproduktion in Deutschland aber relativ dünn gesät.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höhn?
Ja, selbstverständlich.
({0})
Frau Höhn, bitte.
Herr Kollege, Sie haben eben gesagt, dass die Stromüberproduktion weitgehend abgebaut ist. Können Sie bestätigen, dass die letzte Statistik über Export und Import
von Strom besagt, dass wir einen Nettoexportüberhang
haben, der der Leistung von vier bis fünf Kraftwerken
entspricht, wir also sehr viel mehr exportieren als importieren und wir in Deutschland nach wie vor über unsere
Nachfrage hinaus Strom produzieren?
Ich kann bestätigen, dass wir Strom exportieren. Allerdings ist das übers Jahr gerechnet marginal.
({0})
Meines Wissens exportieren wir nur 3 bis 4 Prozent des
gesamten Stroms, der produziert wird.
Frau Höhn, das Hauptproblem auf dem Stromsektor
ist, dass wir zu wenig Produzenten haben. Vorhin wurde
vorgeschlagen, die Rekommunalisierung der Stromerzeugung zu betreiben.
({1})
- Frau Höhn, ich beantworte immer noch Ihre Frage.
({2})
- Sie dürfen sitzen bleiben. - Herr Lafontaine hat vorhin
gesagt, dass er eine Rekommunalisierung der Kraftwerke möchte. Lieber Herr Lafontaine, alle Stadtwerke
können in Deutschland ein Kraftwerk bauen. Sie müssen
es nur tun. Wenn man mit der Stromproduktion und dem
Vertrieb von Strom wirklich so viel Geld verdienen
kann, frage ich mich, warum die Stadt Saarbrücken nicht
weitere Kraftwerke baut und betreibt. Warum haben wir
denn nicht mehr Produzenten auf diesem Sektor? Diese
Frage ist hochinteressant.
({3})
Wir müssen die Nachfrage nach Energie weiter begrenzen. Die Instrumente, die die Bundesregierung und
die sie tragende Koalition beschlossen haben, sind richtig. Mit dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz sind wir
mit Sicherheit auf dem richtigen Weg. So können Strom
und Wärme weiterhin hocheffizient produziert werden.
Wir sind auch insgesamt auf einem guten Weg. Eine
übertriebene Preisgestaltung wird die Bundesnetzagentur, die vor kurzem aufgebaut wurde, verhindern. Ich
habe das Gefühl, dass die Bundesnetzagentur relativ gut
in Schwung kommt. Den Rest wird der Wettbewerb auf
dem Markt regeln, wenn wir in diesem Haus die richtigen Rahmenbedingungen setzen. Darum werden wir uns
bemühen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält nun der
Kollege Dr. Kolb.
Herr Kollege Kelber, ich habe mich nach Ihrer Rede
zu einer Kurzintervention gemeldet, weil das, was Sie
gesagt haben, so nicht stehen bleiben kann. Sicher ist es
wohlfeil, eine illustre Kette von Daten zu präsentieren
und eine Verbindung zu Steuererhöhungen herzustellen.
Ich will auf Folgendes hinweisen: Das Gros der
Mineralölsteuererhöhungen wurde nach dem Jahr 1990
verabschiedet. Ich frage Sie: Können Sie sich noch erinnern, was damals war? Das war die Zeit der deutschen
Einheit. Wir wollten die deutsche Einheit. Wir sind stolz
darauf. Es war die SPD, namentlich ihr damaliger Spitzenkandidat Oskar Lafontaine, heute bei den Linken, die
sich dieser Aufgabe von nationaler Bedeutung verweigert hat.
({0})
Wir wollten die deutsche Einheit und haben damals die
Finanzierung ermöglicht. Dazu stehen wir auch heute
noch. Ich denke, man kann das nicht aus dem Kontext
herausreißen.
Sie haben gesagt, dass wir die Renten senken wollten. Das ist eine Umkehrung der tatsächlichen Verhältnisse. In keinem Abschnitt der bundesdeutschen Geschichte haben die Rentner in der Art an Kaufkraft
verloren wie in den zehn Jahren SPD-Regierung, seitdem Sie an der Macht sind.
({1})
Sie haben darüber hinaus vor vier Jahren ein Gesetz
für die Zukunft verabschiedet, das RentenversicherungsNachhaltigkeitsgesetz, mit dem das Niveau der Renten
in Deutschland planmäßig noch einmal um 20 Prozent
abgesenkt werden wird. Das sind Fakten. Das ist das Ergebnis einer SPD-Politik, die Sie mitzuverantworten haben. Hören Sie bitte auf, hier so zu tun, als wäre es die
FDP, die den Rentnern in die Tasche greifen will. Das
Gegenteil ist der Fall: Wir kümmern uns und haben aus
diesem Grund heute unseren Antrag vorgelegt, um mindestens bei den Energiesteuern den Menschen etwas zurückzugeben und die Belastungen auszugleichen, die sie
durch Sie erfahren haben.
({2})
Herr Kollege Kelber, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich kann mir vorstellen, dass es weh tut, wenn man hier über die Mineralölsteuer spricht und der Redner der Regierung Ihnen
nachweist, dass Sie an 80 Prozent der heutigen Mineralölsteuer bzw. an den Beschlüssen, sie zu erhöhen, beteiligt waren.
({0})
Man kann versuchen, sich in die Begründung zu flüchten, dass man das nach 1990 aufgrund bestimmter Kosten vorübergehend so gemacht hat. Aber ich habe Ihnen
ja aufgezählt, an wie vielen dieser Erhöhungen - das ist
die Mehrzahl - Sie außerhalb dieses Zeitraums bereits
beteiligt waren.
Sie haben in Ihren Regierungszeiten Spitzensteuerbelastungen in Deutschland zu verantworten. Nachdem
Sie abgewählt waren, sind alle diese Steuerbelastungen
auch im Bereich der Einkommensteuer gesenkt worden.
({1})
Als Sie die Regierung verließen, lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent; er ist auf 45 Prozent gesunken. Als
Sie die Regierung verließen, lag der Eingangssteuersatz
bei 25,9 Prozent; jetzt liegt er bei 15 Prozent. Sie sind
die Steuererhöhungspartei hinsichtlich der Mineralölsteuer.
Es ist unredlich, zu sagen, die 60 oder 55 Cent, die die
FDP zu verantworten hat, seien gute Mineralölsteuererhöhungen gewesen und der kleine Rest, den die anderen gemacht haben, sei böse und zocke die Bürger ab.
Das glaubt Ihnen doch niemand!
({2})
Zur Rente. Sie sprechen hier vom Nachhaltigkeitsfaktor, den wir eingeführt haben. Ich weiß nicht, ob Sie
damals schon Mitglied des Bundestages waren. Der
Nachhaltigkeitsfaktor hat den Demografiefaktor der
FDP-Regierung ersetzt, der selbst bei den Kleinstrenten
hineingeschnitten und sie unter Sozialhilfeniveau gedrückt hätte, und das ohne eine Grundsicherung im Alter, die es heute gibt. Sie oder zumindest Ihre Partei waren da in der Regierung.
({3})
Sie wollen die Steuern kürzen, mit denen wir heute einen großen Zuschuss zur Rentenversicherung zahlen.
Zum ersten Mal in der Geschichte nehmen wir nicht
Geld aus der Rentenversicherung für versicherungsfremde Leistungen heraus, sondern geben einen Steuerzuschuss hinein. Wenn Sie diese Steuer wegnehmen,
dann nehmen Sie den Zuschuss weg. Das heißt, die Rentenbeiträge steigen. Wenn die Rentenbeiträge steigen,
sinken die Renten. Das ist der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben.
({4})
Sie können ihn nicht verleugnen.
({5})
Sie waren damals, als Sie das gemacht haben, sogar
Staatssekretär. Unglaublich!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt darf ich Sie
noch um Aufmerksamkeit für die beiden letzten Redner
in dieser Debatte bitten.
Zunächst hat das Wort für die SPD-Fraktion der Kollege Michael Müller.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein großes Nachrichtenmagazin hat diese Woche geschrieben:
Die Debatte über die Energiepreiserhöhungen - über die
Energiepreisexplosion muss man eigentlich sagen wird wahrscheinlich die Debatte der großen Vereinfacher. Leider hat das Blatt, wenn man einige der Beiträge
hier hört, recht. Es ist in der Tat ein viel tiefer gehender
Bruch, der sich im Augenblick vollzieht. Denn wir müssen begreifen: 150 Jahre lang waren billige Energie und
billige Rohstoffe das Schmiermittel für Beschäftigung
und Wohlstand. Jetzt ist diese Phase vorbei. Ich finde, da
kann man nicht über Pflaster auf den Wunden diskutieren, sondern muss über die Ursachen und den Umbau reden. Das ist die eigentlich Herausforderung, die es jetzt
gilt, zu bewerkstelligen.
({0})
Herr Kollege Müller, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Fell?
Ich habe zwar noch nicht viel gesagt, aber er kann,
wenn er seine vorgefertigte Frage loswerden will, gerne
fragen.
Bitte sehr, Herr Kollege Fell.
Herr Staatssekretär Müller, Sie haben gerade gesagt,
dass wir begreifen müssen, dass die Phase der billigen
Energien vorbei ist und dass wir einen Umbruch in der
Gesellschaft haben. Sie sprechen ja für die Bundesregierung. Deshalb frage ich Sie, ob Sie hierzu eine andere
Meinung haben als die Bundesregierung insgesamt.
Vor wenigen Wochen, am 28. Mai dieses Jahres, habe
ich die Bundesregierung gefragt, von welchen Ölpreisprognosen sie ausgeht. Wir erinnern uns: An diesem Tag
ist der Ölpreis auf über 135 Dollar pro Barrel hochgeschossen. Die Antwort der Bundesregierung auf meine
Frage war, sie gehe für 2010 und 2020 von einem realen
Ölpreis von etwa 53 bzw. 49 Dollar pro Barrel aus. Das
sind absurde, weltfremde Annahmen, die nicht einmal
mit der heutigen Realität übereinstimmen!
Es kommt noch viel schlimmer: Sie sagten, dass sich
diese Situation gerade weltweit verändert. Mir hat die
Bundesregierung geantwortet, sie halte die weltweiten
Ölreserven zur Deckung des projizierten Nachfragewachstums bis 2030 für ausreichend.
Ich frage Sie: Kennt die Bundesregierung nicht die
wissenschaftlichen Ergebnisse, die völlig andere Prognosen beinhalten? Warum nimmt die Bundesregierung
die Probleme nicht wahr? Warum berufen Sie sich lediglich auf die Internationale Energieagentur in Paris, die
noch im Jahre 2004 für 2008 einen Ölpreis von 22 Dollar pro Barrel prognostiziert hat? Heute beträgt er übrigens 140 Dollar pro Barrel. Angesichts der Antworten,
die mir die Bundesregierung noch vor wenigen Tagen
gegeben hat, frage ich mich: Wie absurd ist eigentlich
die Betrachtungsweise der Bundesregierung?
({0})
Lieber Kollege Fell, manche Fragen sollte man lieber
nicht stellen.
({0})
Beispielsweise gibt es auch eine Aussage der Bundesregierung aus dem Jahre 2000 - damals war Jürgen Trittin
Umweltminister -, in der es heißt, dass der Ölpreis nicht
auf mehr als 35 Dollar steigen wird.
({1})
Seien Sie also bitte vorsichtig und zurückhaltend. Lassen
Sie uns über die Fakten reden. Es gibt immer Punkte, in
denen ich anderer Meinung bin als andere. Es wird auch
in der Bundesregierung nie eine einheitliche Meinung
geben. Ich möchte es einmal so auf den Punkt bringen:
Kein Mitglied der Bundesregierung ist angesichts der
steigenden Energie- und Rohstoffpreise nicht in Sorge.
({2})
Angesichts der Ernsthaftigkeit dieses Themas sollten
wir die parteitaktischen Spielchen lassen. Das bringt
doch nichts.
({3})
Das bringt uns übrigens genauso wenig wie der Beitrag
von Oskar Lafontaine, der sich permanent auf Willy
Brandt beruft. Willy Brandt hat einmal gesagt: Erfolgreiche Politik setzt voraus, dass man auf der Höhe der Zeit
ist. - Oskar Lafontaine ist aber nicht auf der Höhe der
Zeit.
({4})
Er hat in seiner Rede nicht einmal über das Thema Ökologie geredet. Er hat nur über die Folgen geredet, nicht
ein einziges Mal über die Ursachen. Er ist ein Politiker,
der noch an die alte Philosophie eines grenzenlosen
Wachstums glaubt. Sonst könnte er seine Positionen so
überhaupt nicht vertreten.
({5})
Er ist von gestern, und das wird er auch bleiben; denn er
ist nicht lernfähig.
({6})
Lassen Sie uns auf die Punkte zurückkommen, die
heute relevant sind. Zu Beginn dieses Jahres betrug der
Ölpreis pro Barrel an der New Yorker Börse 100 Dollar;
jetzt sind es 139 Dollar. Vor dem Irak-Krieg lag der Ölpreis in 2003 übrigens bei 28 US-Dollar pro Barrel. Daran sieht man, dass er explosionsartig gestiegen ist.
Hinzu kommt, dass das nicht nur bei Gas und Öl ein Problem ist. Bei fast jedem Rohstoff kam es zu exorbitanten
Preiserhöhungen.
Ich will nur drei Beispiele nennen: Der Preis für
Kokskohle hat sich innerhalb eines Jahres von 98 auf
300 Dollar erhöht, der Preis für Eisenerz ist um
90 Prozent gestiegen und der für Feinerz um 68 Prozent.
Ich kenne keinen wichtigen Rohstoff, dessen Preis sich
seit dem Jahre 2000 nicht mindestens verdreifacht hat.
Daraus muss man Schlussfolgerungen ziehen. Und das
ist ein gewaltiges Umverteilungsprogramm; auch das sehen wir mit Sorge.
Herr Meyer, Sie haben völlig recht: Von diesen Preiserhöhungen sind alle Menschen in der Gesellschaft betroffen. Aber natürlich gibt es manche, die davon überdurchschnittlich betroffen sind; darauf müssen wir
reagieren. Nach einer Studie aus Nordrhein-Westfalen
werden die unteren 20 Prozent der Bevölkerung durch
die Erhöhung der Energiepreise mit 8,2 Prozent belastet
- das ist der Anteil der Energiekosten an ihren durchschnittlichen Haushaltsausgaben -, bei den oberen
20 Prozent sind es nur 2,4 Prozent.
Michael Müller ({7})
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass hier eine gewaltige Umverteilung stattfindet. Darauf darf man nicht
nur mit wenigen kleinen Korrekturen reagieren, sondern
man braucht eine Strategie, die lautet: Der viel zu hohe
Energieverbrauch muss massiv reduziert werden, und
man muss in erneuerbare Energien umsteuern, um eine
ökologische Orientierung unserer Wirtschaft herbeizuführen. Wir haben keine andere Chance.
({8})
Das eigentliche Problem ist, dass wir über das, was
heute passiert, schon seit 30 Jahren Bescheid wissen,
dass wir in den letzten 30 Jahren aber zu wenig getan haben. Das ist das eigentliche Problem, darüber müssen
wir reden. Ich sage das auch mit Blick auf die FDP, die
häufig genug den Wirtschaftsminister gestellt hat.
({9})
Zum hochgelobten Frankreich will ich nur sagen:
Bei der Energieeffizienz liegt Frankreich weit hinter
Deutschland, bei den erneuerbaren Energien erst recht.
Woran liegt das? Frankreich hält an Strukturen fest, die
nicht zukunftsfähig sind.
({10})
Frankreich hat zehnmal so viel Küste wie Deutschland,
wäre ein ideales Land für Windenergie. Frankreich gewinnt aber nur ein Zehntel so viel Windenergie wie
Deutschland. Warum? Weil Windräder die nicht abgeschriebenen Atomkraftwerke stören, die sich nur rechnen, wenn viel Energie verbraucht wird. Man will keine
Konkurrenz; das ist der eigentliche Grund.
({11})
Das Wichtigste, was wir erreicht haben, ist, dass wir
in Deutschland den Markt für erneuerbare Energien
geöffnet haben. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der
Vergangenheit noch mehr für die Energieeffizienz getan
hätten. Nun muss das nachgeholt werden.
Lassen Sie mich ein paar Punkte nennen, die ich mit
Sorge sehe. Herr Kurth, ich hätte es gut gefunden, wenn
Sie einmal selbstkritisch eingestanden hätten: Wir Grüne
haben bei der Ökosteuer das Prinzip der Aufkommensneutralität vertreten. - Sie haben das damals mit aller
Härte durchgesetzt, obwohl sich ein nicht unerheblicher
Teil des Bundestages dafür ausgesprochen hat, einen Teil
des Aufkommens zur Stabilisierung des öffentlichen
Nahverkehrs zu verwenden. Das wäre auch unter sozialen Gesichtspunkten richtig gewesen.
Ich will auch nicht verhehlen: Unter Jürgen Trittin ist
das Thema Energieeffizienz nicht mit der Priorität behandelt worden, die es verdient gehabt hätte.
({12})
- Ich sage ja: Wir alle sollten nicht selbstgerecht argumentieren.
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind
groß. Die Veränderungen treffen unseren Wohlstand, sie
werden sich auf die Weltwirtschaft auswirken, sie werden sich auf die Beschäftigung auswirken. Wir brauchten
die gesamte Kreativität dieses Hauses, um neue Wege zu
finden, die zu Wohlstand und Beschäftigung führen.
({13})
- Herr Kauder, ich bin sicher, dass Sie diesen Weg mitgehen werden.
({14})
Wir haben eine Chance, wenn die Bundesrepublik zum
energie- und ressourceneffizientesten Land der Welt
wird. Diese Vision sollten wir gemeinsam verwirklichen.
({15})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer heutzutage die Tankrechnung präsentiert bekommt,
sagt sich häufig: Eigentlich wollte ich die Tankstelle
nicht mitkaufen.
({0})
Die Nachzahlungen bei Strom und Gas bringen in vielen Haushalten das Budget aus dem Lot. Die jährliche Belastung eines durchschnittlichen dreiköpfigen Haushaltes
stieg von 2000 bis heute von 1 300 Euro auf 2 200 Euro
im Jahr. Nach Auskunft des Bundes der Energieverbraucher wird jährlich circa 800 000 Haushalten Strom bzw.
Gas abgestellt.
Hätte ein Wirtschaftsexperte vor zwei Jahren die aktuellen Energiepreise vorauszusagen gewagt, wäre er für
verrückt erklärt worden. Ein Zusammenbruch der Weltwirtschaft wäre prognostiziert worden. Die Weltwirtschaft ist nicht zusammengebrochen; aber sie ächzt vernehmlich unter den Preisen.
Zur weiteren Entwicklung der Preise haben die Kollegen bereits einiges gesagt. Ich will mich dem anschließen: Es ist naiv zu glauben, dass Energie wieder so billig
wird wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen weiter
steigende Energiepreise einkalkulieren.
Was ist zu tun? Die FDP schlägt mit ihrem Antrag
vor, die Energiesteuern zu senken. Ein toller Vorschlag,
liebe Frau Kopp! Die Energiekonzerne würden sich
freuen: Sie würden die Steuerersparnis dankend als Subvention vereinnahmen. Nach kürzester Zeit hätten wir
wieder das alte Preisniveau. Wollen Sie die Steuern dann
erneut senken? Die Preise würden abermals steigen. Irgendwann können Sie die Steuern nicht mehr senken.
Was machen Sie dann?
({1})
Das wäre radikale Umverteilung zulasten der Verbraucher, zulasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Für uns Sozialdemokraten stehen nicht die Interessen der
Energiekonzerne, sondern die Interessen der Verbraucherinnen und Verbraucher im Vordergrund.
Nun kommt die Linke mit einem Antrag. Sie wollen
die Energieversorgungsunternehmen verpflichten, für
Haushalte mit geringem Einkommen Sozialtarife einzuführen, die mindestens 50 Prozent unter dem günstigsten
Tarif liegen. Das soll hier jetzt gesetzlich beschlossen
werden. Ich sage: Genau das will die SPD-Fraktion
nicht. Das wäre zum einen ein Freifahrtschein für Energieverschwendung. Zum anderen wäre das der sichere
ökonomische Tod unserer Stadtwerke und damit ein sicherer Weg zu einer weiteren Marktkonzentration sowie
zu größerer Marktmacht von wenigen EVUs mit dem Ergebnis zusätzlich steigender Preise.
({2})
Nein, das ist ein Populismuswahn. In diesem Populismuswahn verzapft die Linke den größten anzunehmenden Unfug.
({3})
Die Annahme Ihres Antrags würde ein Vernichtungsprogramm für kommunale Stadtwerke bedeuten; denn
als Grundversorger bedienen sie häufig und in ganz starkem Maße einkommensschwache Haushalte. Das würden viele Stadtwerke nicht überleben. Lieber Kollege
Lafontaine, begeben Sie sich in Saarbrücken doch einfach einmal in Ihre Stadtwerke und reden Sie vor Ort mit
den Beschäftigten. Sie würden Ihnen genau das, was ich
hier gesagt habe, auch erklären. Wenden Sie sich doch
einfach einmal den Menschen zu.
({4})
Ist es von einer Partei denn eigentlich zu viel verlangt,
statt hier über philosophische Grundlagen der sozialen
Marktwirtschaft zu fabulieren, auch einmal die Konsequenzen von Forderungen zu durchdenken? Sie haben
hier gesagt, Sie würden irgendeine Lösung fordern. Wir
fordern nicht irgendeine Lösung, die Unsinn ist und zur
Vernichtung von Wettbewerb und Arbeitsplätzen führt,
sondern der richtige Weg kann nur sein, eine vernünftige
Lösung zu finden.
Wir Sozialdemokraten diskutieren Lösungen, die auch
den Normalverdienern zugutekommen; denn die Energiepreise liegen mittlerweile auf einem Niveau, das nicht
nur den Einkommensschwächsten, sondern auch den
Normalverdienern in großem Umfang zu schaffen macht.
({5})
Wir wollen eine mögliche Entlastung der Bürgerinnen
und Bürger aber mit dem Effizienzgedanken verbinden.
Deshalb diskutieren wir darüber, dass eine bestimmte
Energiemenge möglicherweise zu einem geringeren
Preis abgegeben werden muss. Wer darüber hinaus verbraucht, zahlt dann mehr als jetzt.
Wir wollen letztendlich Schluss mit einer Tarifgestaltung machen, bei der derjenige weniger zahlt, der mehr
verbraucht. Energiesparen ist der beste Weg zu niedrigeren Ausgaben. Diesen Anreiz wollen wir geben.
({6})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Hill?
Herr Hill, bitte.
({0})
Herr Kollege Zöllmer, ich will es Ihnen nachsehen,
dass Sie unseren Antrag in seiner Komplexität nicht
komplett gelesen haben und dass Sie in Ihrem Beitrag
nicht auf die Umweltmechanismen und all das, was damit zusammenhängt, eingegangen sind. Daneben besteht
der Antrag ja aus vier Komponenten und nicht nur aus
einer.
Sie sagen, die SPD denke darüber nach. Mich würde
jetzt einfach interessieren, wie lange Sie denn noch
nachdenken wollen und wann Sie uns das Ergebnis Ihres
Nachdenkprozesses präsentieren werden; denn die einkommensschwachen Haushalte haben jetzt und nicht erst
in der nächsten Legislaturperiode das Problem.
({0})
Herr Kollege Hill, der Unterschied zwischen uns und
der Linksfraktion ist, dass wir erst nachdenken und dann
mit den Betroffenen reden. Im Moment tagt zum Beispiel eine Arbeitsgruppe, bei der ich eigentlich auch sein
müsste und die sich mit diesem Thema beschäftigt. Verschiedene Stadtwerke und der VKU wurden eingeladen.
Mit ihnen gemeinsam diskutieren wir über mögliche
Modelle. Das heißt, wir machen uns erst Gedanken und
gehen dann an die Öffentlichkeit. Das unterscheidet uns
fundamental von der Linkspartei.
({0})
Ich habe eben deutlich gemacht, dass wir gemeinsam
mit den Stadtwerken eine Lösung suchen werden; denn
die Stadtwerke als Grundversorger fürchten natürlich,
dass sie allein die wirtschaftlichen Konsequenzen tragen
müssen. Das darf und wird nicht so sein. Wir wollen eine
wettbewerbsneutrale Lösung finden, mit der den Belangen der Stadtwerke Rechnung getragen wird. Wir brauchen die kommunalen Versorger, die wir nicht schwächen, sondern stärken wollen.
Wir brauchen ein soziales Ressourcenmanagement,
das die Herausforderungen unserer Zeit ernst nimmt und
angemessene Antworten findet. An erster Stelle steht
mehr Wettbewerb im Energiesektor. Er sorgt nicht für
niedrige, aber für faire Preise. Die notwendigen Maß18072
nahmen dazu sind eingeleitet worden. Die Kolleginnen
und Kollegen haben das bereits ausgeführt. Ich will nicht
näher darauf eingehen.
Wir haben den Wettbewerb in vielen Punkten erfolgreich gestärkt. In der letzten Woche haben wir ein Programm zur Energieeinsparung und zum Klimaschutz beschlossen. Wir nehmen das Problem ernst und arbeiten
in vielen Punkten daran. Wir müssen als Große Koalition
zu einer vernünftigen Regelung für das soziale Ressourcenmanagement kommen.
Lieber Kollege Meyer, es geht uns nicht um Subventionen - das ist ein völlig falscher Zungenschlag in der
Diskussion -, sondern um eine sachgerechte und vernünftige Lösung, die den Effizienzgedanken mit dem sozialen Gedanken verbindet. Darüber sollte auch die
CDU/CSU-Fraktion noch einmal nachdenken.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Zum Tagesordnungs-
punkt 28 stimmen wir ab über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie zu dem
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energie-
kosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen so-
fort wirksam senken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8264, den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7745 ab-
zulehnen.
Wir stimmen nun auf Verlangen der Fraktion Die
Linke namentlich über die Beschlussempfehlung ab. Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorge-
sehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. - Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? - Ich sehe, das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird
Ihnen später bekannt gegeben.1)
Wir kommen zum Zusatzpunkt 9. Interfraktionell wird
die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/9595
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich
sehe, das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Damit rufe ich den Tagesordnungspunkt 29 auf:
- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur verbesserten Ein-
beziehung der selbstgenutzten Wohnimmobilie
1) Ergebnis Seite 18074 A
in die geförderte Altersvorsorge ({0})
- Drucksache 16/8869 - Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur verbesserten Einbeziehung der selbstgenutzten Wohnimmobilie in die geförderte Altersvorsorge ({1})
- Drucksachen 16/9274, 16/9449 Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksachen 16/9641, 16/9670 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Carl-Ludwig Thiele
- Bericht des Haushaltsausschusses ({3})
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 16/9642 Berichterstattung:
Abgeordnete Jochen-Konrad Fromme
Carsten Schneider ({4})
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Alexander Bonde
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der FDP vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich sehe und höre
dazu keinen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner dem Kollegen Hans-Ulrich Krüger für die SPDFraktion das Wort.
({5})
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die SPD tritt für die Förderung des Altersvorsorgesparens ein.
({0})
- Gut. Mit dem heute zu beschließenden Eigenheimrentengesetz - wir sprechen allerdings lieber von WohnRiester - fügen wir das Wohneigentum als weiteren Baustein in die Riester-Rente ein. Dadurch schließen wir
eine Lücke. Neben der Geldrente wird künftig auch das
mietfreie Wohnen im Alter staatlich gefördert. Damit
kann für viele Menschen der Traum vom Leben in den
eigenen vier Wänden wahr werden.
({1})
Die Riester-Rente wird dadurch noch attraktiver und
die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger zum privaten Altersvorsorgesparen weiter erhöht. Dies ist trotz des
bereits erreichten hohen Verbreitungsgrades der RiesterRente deshalb wichtig, weil wir damit noch mehr Erwerbstätige ermuntern und ermutigen, sich auf ihre Zukunft im Alter ausreichend vorzubereiten.
Das Eigenheimrentengesetz eröffnet demjenigen, der
Wohneigentum erwerben möchte, verschiedene Fördermöglichkeiten. Künftig kann das in einem Altersvorsorgevertrag angesparte Vermögen ganz oder teilweise für
den Kauf einer Wohnimmobilie entnommen werden,
ohne dass eine Rückzahlungsverpflichtung besteht. Alternativ kann das angesparte Vermögen zu Beginn der
Auszahlungsphase zur Entschuldung genutzt werden.
Außerdem werden - das ist der Clou - laufende Sparund Tilgungsleistungen auf einen Bausparvertrag oder
ein Baufinanzierungsdarlehen wie Altersvorsorgebeiträge staatlich gefördert.
Die SPD hat auch darauf geachtet, dass neben dem
Wohneigentum auch der Erwerb von Geschäftsanteilen
von Wohnungsgenossenschaften förderfähig gemacht
wird; denn auch durch genossenschaftliches Wohnen
lassen sich die Wohnkosten im Alter reduzieren. Wir
helfen damit gerade denjenigen Personen, die eben über
kein großes Eigenkapital verfügen, und bieten ihnen die
Möglichkeit der Absicherung im Alter. Das begrüße ich
sehr.
({2})
Wie sehr sich die Förderung lohnt, lässt sich anhand
eines bereits von dieser Stelle vorgetragenen, aber mit
Recht zu wiederholenden Beispiels darstellen. Unterstellen wir eine Familie mit zwei Kindern, Vater und Mutter
berufstätig, mit einem Einkommen von insgesamt
50 000 Euro. Diese Familie nimmt ein Darlehen von
40 000 Euro auf. Wenn sie das Darlehen nach 20 Jahren
getilgt hat, hat die Familie aus eigenen Mitteln gut
24 000 Euro beigetragen, der Staat durch Zulagen knapp
16 000 Euro. Dieses Ergebnis von Riester kann sich
wahrlich sehen lassen.
({3})
Für die SPD ist und war es entscheidend, dass wir
eine gleichberechtigte Integration des Wohneigentums in
die Riester-Rente erreicht haben. Das heißt, die Förderung in der Ansparphase erfolgt durch die Gewährung
von Zulagen und Sonderausgabenabzug, und in der Auszahlungsphase erfolgt eine nachgelagerte Besteuerung.
Nur diese Gleichstellung des Wohneigentums mit anderen Vorsorgeformen ermöglicht die echte Wahlfreiheit
für Bürgerinnen und Bürger.
Außerdem enthält das Eigenheimrentengesetz noch
eine weitere wichtige Neuerung für die Riester-Rente.
Künftig können auch Personen, die eine Rente wegen
vollständiger Erwerbsunfähigkeit oder eine Versorgung
wegen vollständiger Dienstunfähigkeit beziehen, eine
Riester-Förderung für den Aufbau einer zusätzlichen Altersvorsorge erhalten. Das heißt, wir helfen hier einem
Personenkreis, der aufgrund seines Schicksals ganz bestimmten Einschränkungen unterworfen und damit auch
in besonderem Maße schutzbedürftig ist.
Ferner haben die Koalitionsfraktionen bei den Beratungen über den Gesetzentwurf Anregungen der Sachverständigen und Verbände aus der öffentlichen Anhörung
aufgenommen. Hervorzuheben sind zwei Regelungen,
durch die besondere Anreize auch für junge Sparer gesetzt
werden, früh zu beginnen, damit die besten Ausgangsbedingungen für eine lückenlose Altersvorsorge geschaffen
werden. Zum einen sehen wir bei der Wohnungsbauprämie eine Ausnahme von der Zweckbindung für Jugendliche unter 25 Jahren vor. Zum Vergleich: Es ist sicherlich
richtig, dass wir mit dem Eigenheimrentengesetz eine
Zweckbindung der Wohnungsbauprämie eingeführt haben, um eine zielgerichtete Verwendung der Fördermittel
sicherzustellen. Richtig ist aber auch, zur Förderung der
Sparneigung der Jugendlichen eine einmalige Ausnahme
für sieben Jahre zuzulassen.
({4})
Zum anderen gestalten wir den Berufseinsteigerbonus
bei der Riester-Rente attraktiver. Das heißt, der Bonus
wird nicht in Höhe von 100, sondern in Höhe von 200
Euro gewährt, und zwar ebenfalls allen Jugendlichen bis
zum Alter von 25 Jahren.
Hervorzuheben ist, dass der Verbraucherschutz bei
diesem Gesetz seinen ordnungsgemäßen Rang behält
und verbraucherschutzrechtliche Aspekte hinreichend
berücksichtigt wurden, vor allen Dingen bei den sogenannten Kombiprodukten im Bausparbereich. Durch die
verpflichtende Angabe eines Gesamteffektivzinses des
Bausparkombikredits wird nunmehr dem mündigen Verbraucher klar und nachhaltig vor Augen geführt, wie
teuer, billig, preisgünstig oder maßgeschneidert diese Finanzierungsform für ihn ist. Schließlich und endlich
wird die Kündigungsfrist bei Bausparverträgen im Fall
eines Anbieterwechsels oder einer Kapitalentnahme auf
drei Monate verkürzt. Das heißt, für Bausparverträge
gelten dieselben Kündigungsfristen wie für andere Anlageprodukte.
Mit der Riester-Rente haben wir eine umfassende
Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge geschaffen.
Mit dem Eigenheimrentengesetz ergänzen wir die bisherige Alterssparproduktpalette um das selbst genutzte
Wohneigentum als eigenständige Form der Alterssicherung. Die Opposition wird das sicherlich anders sehen,
aber das ist ein großer Erfolg der Großen Koalition, ein
Erfolg, der das harte Ringen um tragfähige Kompromisse wert gewesen ist. Ich bedanke mich daher ausdrücklich bei den Berichterstatterkollegen der Union und
den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums, die mit
uns kompetent und vertrauensvoll zusammengearbeitet
haben.
Ich danke Ihnen.
({5})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile,
komme ich auf den Tagesordnungspunkt 28 zurück und
gebe Ihnen das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energiekosten für Privathaushalte mit geringem Einkommen sofort wirksam senken“ bekannt: Abgegebene Stimmen 507. Mit Ja haben
gestimmt 461, mit Nein 46. Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 507;
davon
ja: 461
nein: 46
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Peter Altmaier
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Günter Baumann
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Clemens Binninger
Renate Blank
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Wolfgang Börnsen
({1})
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Thomas Dörflinger
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Anke Eymer ({2})
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Hartwig Fischer ({3})
Dirk Fischer ({4})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({5})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Hans-Joachim Fuchtel
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr
zu Guttenberg
Holger Haibach
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Andreas Jung ({6})
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({7})
Volker Kauder
Eckart von Klaeden
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({8})
Manfred Kolbe
Norbert Königshofen
Dr. Rolf Koschorrek
Hartmut Koschyk
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Dr. Martina Krogmann
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl Lamers ({9})
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Ingbert Liebing
Dr. Klaus W. Lippold
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({10})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Laurenz Meyer ({11})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Marlene Mortler
Carsten Müller
({12})
Stefan Müller ({13})
Dr. Gerd Müller
Hildegard Müller
Bernd Neumann ({14})
Michaela Noll
Dr. Georg Nüßlein
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Katherina Reiche ({15})
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({16})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({17})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Annette Schavan
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Ingo Schmitt ({18})
Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Ole Schröder
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Kurt Segner
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({19})
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({20})
Gerald Weiß ({21})
Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Anette Widmann-Mauz
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({22})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gregor Amann
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({23})
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Sabine Bätzing
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({24})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({25})
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Annette Faße
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Peter Friedrich
Iris Gleicke
Renate Gradistanac
Angelika Graf ({26})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({27})
Hubertus Heil
Dr. Reinhold Hemker
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({28})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({29})
Frank Hofmann ({30})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({31})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Dr. h. c. Susanne Kastner
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Volker Kröning
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Helga Kühn-Mengel
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange ({32})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Dirk Manzewski
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Petra Merkel ({33})
Ulrike Merten
Detlef Müller ({34})
Michael Müller ({35})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth ({36})
Ortwin Runde
Marlene Rupprecht
({37})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({38})
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Silvia Schmidt ({39})
Renate Schmidt ({40})
Dr. Frank Schmidt
Heinz Schmitt ({41})
Carsten Schneider ({42})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({43})
Swen Schulz ({44})
Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Dr. Rainer Tabillion
Jörg Tauss
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({45})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({46})
Heidi Wright
Uta Zapf
Brigitte Zypries
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({47})
Uwe Barth
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Mechthild Dyckmans
Ulrike Flach
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({48})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Hans-Michael Goldmann
Joachim Günther ({49})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Michael Link ({50})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Hartfrid Wolff ({51})
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Volker Beck ({52})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Ekin Deligöz
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Hans Josef Fell
Kai Gehring
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Dr. Anton Hofreiter
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({53})
Monika Lazar
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({54})
Winfried Nachtwei
Omid Nouripour
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({55})
Krista Sager
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Rainder Steenblock
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Josef Philip Winkler
Nein
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Lutz Heilmann
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Ulla Jelpke
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Monika Knoche
Katrin Kunert
Michael Leutert
Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothée Menzner
Kornelia Möller
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({56})
Volker Schneider
({57})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Dr. Petra Sitte
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
fraktionslose Abgeordnete
Henry Nitzsche
Wir fahren in der Debatte fort. Ich erteile das Wort
dem Kollegen Carl-Ludwig Thiele für die FDP-Fraktion.
({58})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade an dem
Wortbeitrag des Kollegen Krüger gesehen, wie weit die
Einigkeit in der Großen Koalition geht. Wir debattieren
heute in zweiter und dritter Beratung über den Entwurf
eines Eigenheimrentengesetzes, welches vom Kollegen
Krüger permanent als Eigenheim-Riester-Gesetz bezeichnet wurde. Wenn sich die Große Koalition noch
nicht einmal über die Überschrift eines Gesetzes einig
ist, dann zeigt das, wie es um den Zustand in der Großen
Koalition tatsächlich bestellt ist.
({0})
Es gibt keine kraftvollen Reformen mehr. Die Wirklichkeit sind Stillstand, Selbstbeschäftigung und Formelkompromisse. Das erleben wir auch bei diesem Gesetz.
Mit dem Eigenheimrentengesetz wird der Eindruck
erweckt, als würde damit der Weg zu mehr Wohneigentum in Deutschland geebnet.
Aber dieses Gesetz kann überhaupt nicht die fortgefallene Eigenheimzulage kompensieren. Es ist unzureichend, ungenügend und ungeeignet, mehr Wohneigentum
in nennenswertem Umfang in Deutschland zu schaffen.
({1})
Damit ignoriert die Große Koalition leider den Wunsch
von 85 Prozent der Bevölkerung, die das Ziel haben, in
den eigenen vier Wänden leben zu können. Das hier vorgelegte Eigenheimrentengesetz wird nicht zu einer nennenswerten Erhöhung der Wohneigentumsquote beitragen können. Das Fördervolumen von nur 20 Millionen
Euro im ersten Jahr ist viel zu gering. Hinzu kommt die
Tatsache, dass das Gesetz seine volle Wirkung erst nach
25 Jahren erreichen wird. Zudem - darauf hat auch mein
Kollege Schäffler immer wieder hingewiesen - ist das
Gesetz ein bürokratisches Monster. Es führt zu einem
fiktiv geführten Kapitalanlagekonto, welches die Bürger
überhaupt nicht verstehen können.
({2})
Wir unterhalten uns auf der einen Seite über Bürokratieabbau und Steuerreformen, aber alleine bei diesem Gesetz müssen wir feststellen, dass die Große Koalition
13 Paragrafen des Einkommensteuergesetzes ändert.
Etwa 2 000 Wörter werden in das Einkommensteuergesetz eingefügt bzw. geändert. Allein die beiden neuen
Paragrafen 92 a und 92 b enthalten 1 181 Wörter.
({3})
Wer von dieser Koalition noch einmal das Wort „Bürokratieabbau“ in den Mund nimmt, der redet anders, als er
handelt.
({4})
- Ich kann das erklären: Mit dem Computer geht das inzwischen, aber dazu muss man natürlich gewisse Grundkenntnisse haben. ({5})
- Wenn ich gefragt werde, wie das geht, dann kann ich
das nachher gern erklären.
Grundsätzlich halten wir für richtig, dass das Wohneigentum gefördert wird. Aber die größte Schwachstelle
dieses Gesetzentwurfs liegt in der Problematik der nachgelagerten Besteuerung.
({6})
Im Zusammenhang mit den anderen Gesetzen, die geschaffen werden, um Kapital zu bilden, erhält man im
Alter Kapitalzuflüsse. Wenn Zuflüsse erfolgen, kann
man eine Steuer auf diese erheben, und die Steuer kann
aus dem Kapitalzufluss bestritten werden. Das ist beim
Eigenheimrentengesetz komplett anders, weil zum Zeitpunkt der Besteuerung, im Alter, überhaupt kein Geld
fließt. Es wird eine fiktive Einnahme unterstellt, die in
Wirklichkeit nicht erzielt wird. Wenn dieses fiktive Einkommen einer Besteuerung unterzogen wird, dann kann
das dazu führen, dass jemand im Jahr der Fälligkeit aufgrund der Steuerlast nur noch ein Einkommen unterhalb
seines Existenzminimums erhält. Das halte ich für verfassungswidrig. Entsprechende Fragen dazu sind bislang
nicht überzeugend beantwortet worden.
({7})
Deshalb haben wir als FDP in den Beratungen vorgeschlagen, im Rahmen des Eigenheimrentengesetzes von
der nachgelagerten Besteuerung abzusehen. Die Besteuerung sollte durch eine niedrigere Förderung in der Ansparphase ersetzt werden. Dann kann man von der Besteuerung zum Zeitpunkt des Zuflusses, also im Alter,
absehen. Die Förderung wäre einfach und transparent,
und es könnte auf das bürokratische Monster eines fiktiven Kapitalanlagekontos verzichtet werden. Die Akzeptanz in der Bevölkerung würde steigen, weil man dann
tatsächlich wüsste, was man erwirbt und wie sich das
über die ersten Jahre entwickelt.
({8})
- Auch die Grünen unterstützen dies. - Bei der Annahme einer solchen Regelung könnte man den Umfang
dieses Gesetzes um mehr als die Hälfte, wenn nicht sogar um zwei Drittel eindampfen. Das wäre ein wirklicher
Bürokratieabbau.
Wohneigentum ist ein Eckpfeiler der liberalen Gesellschaftsordnung. Wohneigentum verschafft den Bürgerinnen und Bürgern Freiheit und Unabhängigkeit im privaten Bereich. Die Bürger müssen zwar auf Konsum
verzichten, aber dafür erwerben sie Eigentum, und damit
erwerben sie Sicherheit. Zudem ist Wohneigentum ein
wesentliches Element der Altersvorsorge. Im Durchschnitt vermeiden Rentnerhaushalte, die über selbstgenutztes Eigentum verfügen, 500 Euro Kaltmiete im Monat. Das macht sich im Alter bemerkbar. Deshalb ist es
auch nicht verwunderlich, dass Umfragen zufolge
85 Prozent der Deutschen eigenen Wohnraum als eine
ideale und erstrebenswerte Altersvorsorge betrachten.
Als FDP setzen wir uns schon seit Jahren für mehr Teilhabe der Bevölkerung an den Werten unseres Landes
ein. Deshalb ist es gelungen, in den Jahren von 1992 bis
2003 die Wohneigentumsquote von 39 auf 43 Prozent zu
steigern. In den neuen Bundesländern - das war wegen
ihres Hintergrunds aus der Zeit vor der deutschen Einheit besonders wichtig - ist die Wohneigentumsquote sogar um 30 Prozent gestiegen. 1,5 Millionen Haushalte
haben zusätzlich Eigentum erwerben können. Bei einer
durchschnittlichen Haushaltsgröße von 2,2 Personen pro
Haushalt wohnen jetzt 3,3 Millionen mehr Menschen in
selbstgenutztem Eigentum. Das halten wir für den richtigen Weg, und dieser Weg sollte weitergegangen werden.
({9})
Aber wir Deutschen bilden bei der Wohneigentumsquote im europäischen Vergleich nahezu das Schlusslicht. In Spanien wohnen 86 Prozent der Bevölkerung in
den eigenen vier Wänden, in Irland 83 Prozent, in Großbritannien sind es 70 Prozent, in Österreich 57 Prozent
und in Frankreich immerhin 56 Prozent. Der Trend zur
Steigerung der Wohneigentumsquote in unserem Land
darf nach Auffassung der FDP nicht abbrechen. Deshalb
ist es beängstigend - auch für die Wirtschaft -, dass in
diesem Jahr die Zahl der Baugenehmigungen unter
200 000 liegt. Das ist nicht gut für die Wirtschaft unseres
Landes. Das ist auch nicht gut mit Blick auf die Möglichkeiten, Eigentum zu erwerben.
({10})
Wir brauchen allerdings Ansparvorgänge. Amerika
erlebt gerade, was passiert, wenn privates Wohneigentum ohne Eigenkapital finanziert werden soll. Die Folge
ist die Subprime-Krise. Es ist gut, dass in Deutschland
etwa 30 Prozent Eigenkapital vorhanden sind, wenn
Wohneigentum erworben wird. Dieser Weg muss gestärkt werden. Deshalb halten wir die Einschränkung der
Bausparförderung an dieser Stelle nicht für geeignet,
wenn in unserem Lande mehr Wohneigentum erworben
werden soll.
({11})
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir haben einen Entschließungsantrag in den Deutschen Bundestag eingebracht, der die Forderung nach einer vereinfachten Förderung beinhaltet. Wir wünschen uns, dass
dieser Antrag eine breite Zustimmung - der anderen Oppositionsfraktionen, aber möglicherweise auch der
Union oder Einzelner in der Union - findet. Denn ursprünglich hat die Union dieses Modell selbst einmal
vertreten. Und es darf ja wohl nicht sein, dass die Argumentation der CDU/CSU ausschließlich der Logik von
Karl Valentin folgt, der einmal gesagt hat: „Mögen hätten wir schon wollen, doch dürfen haben wir uns nicht
getraut.“
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von
der Union, geben Sie sich einen Ruck! Stimmen Sie
doch auch einmal Vorschlägen zu, die Sie in der Sache
für richtig halten. Denn so, wie dieses Gesetz angelegt
ist, wird es nicht dafür sorgen, dass in Deutschland nennenswert mehr Wohneigentum geschaffen wird und Bürokratie in Deutschland endlich abgebaut wird.
Herzlichen Dank.
({12})
Der nächste Redner ist der Kollege Eduard Oswald
für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, lieber Kollege Carl-Ludwig Thiele, so ist das mit der
Koalition. Eine Koalition setzt immer Kompromisse voraus.
({0})
Wir als Union haben natürlich viele Zugeständnisse gemacht, um zu einer Lösung im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, der Bürgerinnen und Bürger zu
kommen. Ich räume ein, es ist nicht so einfach gewesen,
wie ich es mir ursprünglich vorgestellt habe. Aber mit
dem Eigenheimrentengesetz setzt die Große Koalition
ein Signal für mehr Wohneigentum. Wir sind überzeugt,
dass die Wohneigentumsbildung mit diesem Gesetz kräftigen Rückenwind erhält.
Mit diesem Gesetz zeigen wir auch politische Handlungsfähigkeit. Wir schaffen zumindest im Ansatz einen
Ersatz für die Eigenheimzulage, die aus Gründen der
Haushaltskonsolidierung Ende 2006 auslaufen musste.
Familien und jungen Menschen, die sich ein Haus oder
eine Wohnung zulegen wollen, geben wir mit diesem
Gesetz eine neue Unterstützung an die Seite. Eine
aktuelle Umfrage hat erst wieder bestätigt, dass 61 Prozent der Deutschen eine eigene Wohnimmobilie für die
beste Altersvorsorge halten. Diesem eindeutigen Votum
der Bevölkerung wird nun Rechnung getragen.
Mit diesem Gesetz wird auch bestätigt, dass das Bausparen als millionenfach bewährter Weg zur Bildung von
Eigenkapital und zur sicheren zinsgünstigen Wohnungsbaufinanzierung einen ganz wesentlichen Beitrag zur Altersvorsorge mit Wohneigentum leistet.
({1})
Angespartes Riester-Vermögen kann zukünftig vollständig und ohne Rückzahlungsverpflichtung für den Erwerb einer Immobilie genutzt werden. Kollege Krüger
hat auf diese Punkte im Detail hingewiesen. Die Tilgungsleistungen für Darlehen zum Erwerb oder zum Bau
selbstgenutzten Wohneigentums werden wie Sparleistungen bei geförderten Altersvorsorgeverträgen bewertet
und gefördert. Die jährliche staatliche Förderung kann
zur zusätzlichen Darlehenstilgung genutzt werden. Die
Grundzulage beträgt jährlich 154 Euro, die Kinderzulage
185 Euro pro Kind. Für 2008 oder später geborene Kinder gibt es eine erhöhte Zulage von 300 Euro pro Jahr.
Zugleich erhöhen wir den im Gesetz vorgesehenen
Berufseinsteigerbonus von 100 Euro auf 200 Euro und
das Auszahlungshöchstalter vom 21. auf das 25. Lebensjahr. Somit können Studenten ebenso wie nicht studierende junge Menschen in der Berufsausbildung in den
Genuss der Förderung kommen. Im Kern geht es darum,
dass Spar- und Tilgungsleistungen für selbstgenutztes
Wohneigentum die gleiche steuerliche Förderung erhalten wie die bestehenden Riester-Produkte, also Rentenversicherungen, Bank- und Fondssparverträge, mit denen Geldvermögen für eine zusätzliche Rente im Alter
gebildet wird.
({2})
Das geförderte Kapital soll nachgelagert, also mit Beginn des Ruhestands, versteuert werden. Wir machen
keinen Hehl daraus, dass gerade dies für die Union ein
zentrales Problem war.
({3})
Wir haben in der Koalition intensiv auch über die
Frage der Wohnungsbauprämie gesprochen. Sie soll
künftig nur noch gewährt werden, wenn das angesparte
Kapital in Wohnimmobilien investiert wird. Bisher kann
es nach Ablauf der Sperrfrist von sieben Jahren für andere Zwecke verwendet werden. Das Wohnungsbauprämiengesetz wird damit stärker auf wohnungswirtschaftliche Maßnahmen ausgerichtet.
Die vorgesehene Einschränkung bei Verwendung der
Wohnungsbauprämie wird nicht auf junge Menschen ausgedehnt, die bei Vertragsabschluss jünger als 25 Jahre
sind. Die Wichtigkeit, junge Menschen zum Sparen anzuregen, ist angesichts der demografischen Entwicklung
und der Erfahrungen mit der US-Immobilienkrise von
weitreichender Bedeutung.
({4})
Für unsere Fraktion ist Wohneigentum Gesellschaftspolitik. Für uns ist das Grundrecht, Eigentum zu bilden,
es auch zu vererben, elementarer Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft. So wie wir Leistungswillen fördern,
unterstützen wir die Vermögensbildung. Viele Menschen
verzichten auf Konsum, um sich die eigenen vier Wände
leisten zu können. Wohneigentum setzt Vermögensbildung voraus und fördert das öffentliche wie persönliche
Denken und Handeln in langfristigen Zeiträumen. Sparen und Investieren, Bewahren und Vererben sind Verhaltensweisen, die Wohlstand ermöglichen.
({5})
Die Förderung der Eigentumsbildung liegt auch deswegen im Interesse des Gemeinwohls. Wir wollen möglichst vielen Menschen die Möglichkeit eröffnen,
Wohneigentum zu erwerben. Mit dieser Form der
Wohneigentumsbildung setzen wir auch unsere traditionell konservative deutsche Baufinanzierungskultur fort.
Die amerikanische Finanzierungsform kann uns jedenfalls nicht als Vorbild dienen.
({6})
Wir hoffen, dass dieses Gesetz auch der Wohnungsund Bauwirtschaft Rückenwind geben wird; denn dies
ist dringend notwendig. Die Genehmigungszahlen im
Wohnungsbau sind gegenüber 2006 um 27 Prozent zurückgegangen. Bei Eigenheimen betrug der Einbruch sogar 35 Prozent. In vielen Teilen Deutschlands ist die Situation so, dass bezahlbarer Wohnraum bereits knapp
geworden ist. Wir wissen, die Zahl der Haushalte steigt
weiter, und zwar mindestens noch eine Dekade. Gerade
junge Menschen bekommen bei der familiengerechten
Wohnungsversorgung Probleme.
Wir sind überzeugt, dass mit diesem Eigenheimrentengesetz - so steht es auf dem Gesetzentwurf; das ist
der eigentliche Titel, auch wenn außerhalb dieses Parlaments manches anders formuliert wird - durch eine verbesserte Einbeziehung von selbstgenutzten eigenen
Wohnimmobilien und selbstgenutzten Genossenschaftswohnungen in die steuerlich geförderte Altersvorsorge
weitere wirksame Anreize für eine zusätzliche private
Altersvorsorge geschaffen werden. Damit vergrößert
sich insgesamt das Angebot an steuerlich begünstigten
Altersvorsorgemodellen, die es dem Förderberechtigten
erlauben, aus verschiedenen, steuerlich gleichermaßen
geförderten Vorsorgeformen das für den Einzelnen genau Passende auszuwählen. Das Ziel der Förderung ist
es, das durch die gesetzliche Rente gelegte Fundament
zu verstärken und gleichzeitig das Versorgungsniveau
der Begünstigten zusätzlich zu erhöhen.
Nachdem wir gemeinsam einen Kompromiss gefunden haben, sage ich, auch wenn ich sonst ein Freund von
Karl Valentin bin: Jetzt müssen wir dieses Gesetz verabschieden. Etwas Besseres können wir in dieser Großen
Koalition nicht erreichen.
({7})
Es ist ein Gesetz, das für die Verbraucher notwendig ist.
Es dient der Eigentumsbildung. Nachdem wir uns schon
so angestrengt haben, Kollege Krüger, sollten wir es
jetzt auch verabschieden. Ich bitte Sie, ihm zuzustimmen.
({8})
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat das Wort für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das System der Riester-Rente ist der Einstieg
in die Privatisierung und Individualisierung der Rentenversicherung. Das lehnen wir als Linke ab.
({0})
Damit wird die Spaltung der Gesellschaft in Arm und
Reich weiter vorangetrieben. Zukünftige Rentnergenerationen werden aus einem wachsenden Teil von Rentnern
mit kärglichen Renteneinkommen und einem privilegierten kleinen Teil von Rentnern mit guter Absicherung bestehen.
Die Zeitschrift Finanztest hat im letzten November
ermittelt, dass der Abschluss eines Riester-Vertrages erst
ab einem Bruttomonatseinkommen von 1 900 Euro zu
einer Aufbesserung der Alterseinkünfte führt. Wer weniger verdient, erleidet reale Einkommensverluste im
Lebensverlauf. Sie oder er landet am Ende bei der Altersgrundsicherung, mit der dann die Riester-Rente verrechnet wird. Das heißt im Klartext: Ein Leben lang umsonst gespart, im Alter trotzdem arm und auf staatliche
Hilfe angewiesen! Ich zitiere einmal Norbert Blüm:
Das ist die Riester-Hilfe für den Staatshaushalt, finanziert von denen, die eine geringe Rente, nämlich
unterhalb der Höchstgrenze der Grundsicherung,
haben.
Er hat damit recht - leider.
({1})
Aber selbst für Menschen mit einem höheren Monatseinkommen erweist sich die Riester-Rente als Mogelpackung. Fachleute und Presse machen darauf aufmerksam, dass bei der Riester-Rente höchst unfair kalkuliert
wird. Der Mechanismus der Riester-Rente und die Nachbesteuerung sorgen dafür, dass rein rechnerisch die gewährten staatlichen Zuschüsse erst nach circa 20 Jahren
der Rentnerin oder dem Rentner zugute kommen.
({2})
Dank der von der Regierung beschlossenen schrittweisen Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre
müsste sie oder er also mindestens 87 Jahre alt werden,
um etwas von den Zuschüssen zur Riester-Rente zu haben.
Nun lag im Jahr 2007 die durchschnittliche Lebenserwartung für Neugeborene um über fünf Jahre darunter.
Für die Angehörigen der anderen Generationen ist sie
noch niedriger. Hinzu kommt: Je geringer das Einkommen ist, umso geringer ist in Deutschland auch die Lebenserwartung der Menschen. 44 Prozent aller RiesterSparerinnen und -Sparer sind Geringverdiener mit einem
Jahreseinkommen von unter 20 000 Euro. Im Durchschnitt wird diese Gruppe daher nicht von der RiesterRente profitieren. Von der staatlichen Förderung hat sie
nichts.
Es stellt sich natürlich die Frage: Wer profitiert dann?
Das ist ganz eindeutig zu beantworten: die privaten Versicherungskonzerne. Sie bekommen 25 Prozent von den
Risikoüberschüssen, also von den Beträgen, die dank des
Jonglierens mit Sterbetafeln unterm Strich übrig bleiben.
Ist die Riester-Rente also ein Erfolgsmodell ohne Wenn
und Aber, wie Sie von der Koalition uns weismachen
wollten? Mitnichten! Die Riester-Rente ist ein Skandal.
Ihr Konzept, die Riester-Rente nun mit der Förderung
des Wohneigentums zu kombinieren, knüpft nahtlos daran an.
({3})
Das Eigenheimrentengesetz soll jetzt kräftigen Rückenwind für die Eigentumsbildung bringen; Herr Oswald
hat es noch einmal bestätigt. Es soll kurzfristig wirken.
Wunderbar! Sie beklagen den Einbruch beim Häuserbau.
Wer hat denn die Eigenheimzulage gestrichen, sodass es
zu diesem Einbruch kam? Wer hat denn dieses Gesetz
verabschiedet?
({4})
Es ist skurril, was Sie hier bieten.
Man muss einmal die Zahlen vergleichen. Die Eigenheimzulage verursachte 2004 Steuermindereinnahmen
- über alle Gebietskörperschaften hinweg - in Höhe von
knapp 7,2 Milliarden Euro. Demgegenüber kalkulieren
Sie beim Eigenheimrentengesetz mit einer vollen Jahreswirkung in Höhe von 940 Millionen Euro, also nicht einmal 1 Milliarde Euro. Die volle Wirkung entfaltet sich
- das kommt ja schrittweise - allerdings erst in
25 Jahren. Für das nächste Jahr planen Sie immerhin
schon mit ganzen 20 Millionen Euro. Und das soll dann
den Boom in der Bauwirtschaft auslösen?
({5})
Im Vergleich dazu war mit der damaligen Eigenheimförderung mit ihren klaren Einkommensgrenzen und der
sonstigen Ausgestaltung wenigstens eine soziale Ausrichtung verbunden. Ihr Wohn-Riester hingegen ist in
erster Linie ein Förderprogramm für die Versicherungswirtschaft.
({6})
Wie sonst ist es zu erklären, dass Sie auch Kombinationsmöglichkeiten aus tilgungsfreiem Darlehen und einem Bausparvertrag mit in die Förderung einbeziehen?
Es macht ja nun wirklich keinen Sinn, parallel zu einem
Kredit zu sparen, da der Kreditzins in der Regel höher
als der Sparzins ist. Diese Finanzierungskombinationen
sind für diejenigen, die das nutzen wollen, überhaupt
nicht zu durchblicken und in vielen Fällen nachteilig. In
die gleiche Richtung weist auch, dass Sie die wohnungswirtschaftliche Zweckbindung der Wohnungsbauprämie
für Jüngere aufgehoben haben. Unwirtschaftliche Produkte werden durch Subventionen für junge Menschen
attraktiv gemacht. Das ist doch eigentlich Betrug.
({7})
Bei Ihrem eigentumsfixierten Ansatz blenden Sie völlig
die Risiken aus, die mit der Einbeziehung von Wohneigentum in die Altersvorsorge verbunden sind. Angesichts der Turbulenzen auf den Immobilienmärkten und
der demografischen Entwicklung ist nicht sichergestellt,
dass Wohneigentum überhaupt einmal oder werterhaltend verkauft werden kann. Hierfür sprechen immer
mehr Gründe: Es gibt steigende Mobilitätsanforderungen, und die Notwendigkeit altersgerechten Wohnens
nimmt zu. Das wird oftmals in frühen Lebensphasen
nicht so beachtet. Verbraucherschützer warnen deshalb
davor, tatsächlich Wohn-Riester zu nutzen.
Während Sie hier jetzt Wohneigentum als die beste
Altersvorsorge verkaufen, haben Sie an anderer Stelle
den Schutz des Wohneigentums längst unterhöhlt.
({8})
Hier liegt der Zusammenhang mit dem Arbeitslosengeld II. Da wir uns darüber im Ausschuss schon intensiv
unterhalten haben, bringe ich Ihnen jetzt einmal ein Beispiel.
Eine 55-jährige Frau hat 30 Jahre gearbeitet. Sie hat
1995 als Mutter von zwei Kindern mit staatlicher Förderung und Eigenmitteln von über 80 000 DM ihr Haus in
Eigenverantwortung als Alterssicherung gebaut. Die
Kinder sind zwischenzeitlich erwachsen und ausgezogen. Das selbstgenutzte Haus hat eine Wohnfläche von
102 Quadratmetern auf einem 776 Quadratmeter großen
Grundstück. Seit 2005 ist sie Bezieherin von Hartz IV,
also ALG II. Nach langem Kampf bekommt sie nunmehr
Leistungen der Grundsicherung und angemessene Kosten der Unterkunft in Höhe von insgesamt 663 Euro. Ihre
laufenden Wohnkosten betragen circa 500 Euro monatlich. Sie hat die Wahl, entweder von 163 Euro zu leben
und weiter ihr Haus zu unterhalten oder zuzusehen, wie
die Bank ihr Haus kassiert, weil die Verbindlichkeiten
nicht weiter beglichen werden können. Nach ihrem letzten Rentenbescheid kann sie eine Rente von 520 Euro
erwarten.
Erzählen Sie doch nicht, dass Wohneigentum ohne jedes Wenn und Aber eine gute Form der Alterssicherung
ist, wenn solche Fälle im Gesetz noch nicht einmal richtig geklärt sind.
({9})
Es bleibt als Fazit: Es gab und gibt keine Notwendigkeit, das Niveau der gesetzlichen Rentenversicherung
abzusenken. Selbst die Berechnungen der Versicherungswirtschaft haben gezeigt, dass es möglich ist, zum
früheren Rentenversicherungssystem zurückzukehren und
dabei das ursprüngliche Niveau zu halten. Dies würde
im Jahre 2030 einen Beitragssatz von 25,2 Prozent erforderlich machen.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen.
Ich komme zum Ende. - Unter der Bedingung, dass
ein solcher Beitragssatz paritätisch aufgeteilt würde, also
auch die Arbeitgeber ordentlich daran beteiligt würden,
wäre eine solidarische gesetzliche Rentenversicherung
tatsächlich möglich.
Frau Kollegin!
({0})
Es gibt keine bessere Alternative für ein würdevolles
Leben im Alter als eine solche Regelung. Für diese treten wir ein.
Ich danke Ihnen.
({0})
Als Nächste hat Christine Scheel für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich halte es für richtig, dass geklärt wird, wie mit
solchen Fällen, die Frau Dr. Höll jetzt gerade beispielhaft genannt hat, umgegangen wird. Ich halte es allerChristine Scheel
dings für unverantwortlich, zu suggerieren, wir könnten
in Zukunft ohne private und betriebliche Altersvorsorge
auskommen.
({0})
- Die Debatte darüber, welche Beitragserhöhungen für
die Arbeitnehmer, aber auch auf Arbeitgeberseite damit
verbunden sind, hatten wir hier schon des Öfteren bei
der Rentendiskussion; denn wir alle wissen, welche verheerenden Beschäftigungswirkungen das hätte. Deswegen will ich diese Debatte an dieser Stelle nicht weiterführen.
Auch ich finde, dass die Idee, selbstgenutztes
Wohneigentum in die private Altersvorsorge zu integrieren, richtig ist
({1})
und dass dies der Lebensrealität vieler Bürgerinnen und
Bürger entspricht.
({2})
Die Umfragen zeigen, dass 80 Prozent sich wünschen,
ihren Ruhestand im eigenen Haus oder in der eigenen
Wohnung verbringen zu können, und für viele Menschen
die selbstgenutzte Wohnimmobilie bei der zusätzlichen
Altersvorsorge an erster Stelle steht. Das ist so. Der Kollege von der FDP, Herr Thiele, hat es angesprochen, und
ich teile diese Auffassung.
Wir Grünen haben, weil das so ist, bei der Einführung
der Riester-Rente damals zusammen mit der SPD eine
Öffnung für Wohneigentum durchgesetzt. Wir haben allerdings darüber hinaus ein Altersvorsorgekontokonzept
entwickelt, das eine unkomplizierte Wohneigentumsförderung enthält. Vorgesehen ist, dass das Finanzierungskapital für selbstgenutztes Wohneigentum vollständig
steuerfrei aus diesem Altersvorsorgekonto entnommen
und wieder eingelegt werden kann. Alternativ kann man
eine um 30 Prozent abgesenkte Förderung zum Beispiel
zur Tilgung eines Bauspardarlehens wählen. Eine nachgelagerte Besteuerung findet nicht statt. Das ist, glaube
ich, der Dreh- und Angelpunkt, an dem wir uns innerhalb der Opposition mit der FDP einig sind.
({3})
- Auch mit vielen in der Union, vielleicht auch mit manchen in der SPD.
({4})
Aber leider ist es ja nun einmal anders.
Wir hatten ein schönes, einfaches Konzept. Und was
ist passiert? Es gibt einen Gesetzentwurf der Großen
Koalition, in dem das leider nicht mehr einfach ist, sondern völlig anders.
({5})
Daran haben auch die parlamentarischen Beratungen im
Finanzausschuss und in anderen Ausschüssen wenig geändert. Die Große Koalition nimmt eine Menge Geld in
die Hand, etwa 1 Milliarde Euro, und schafft eine hochkomplizierte, sehr verwaltungsaufwendige und sehr kostenintensive Regelung. Das ist das Ergebnis, und das bedauern wir sehr.
Bei der öffentlichen Expertenanhörung, bei der wir
alle anwesend waren - wir haben das auch noch einmal
nachgelesen -, war von einem kaum verständlichen, bürokratischen Moloch die Rede. Noch problematischer
war aber die Einschätzung der Experten, dass die Bürgerinnen und Bürger den Wohn-Riester zwar durchaus
nutzen werden, aber nur weil sie die Konsequenzen, die
mit der nachgelagerten Besteuerung des Wohneigentums
auf sie zukommen, eigentlich nicht absehen können.
Trotz dieser warnenden Stimmen hat die Große Koalition an der nachgelagerten Besteuerung festgehalten,
auch wenn es eine Option gibt. Aber Fakt ist, dass dann
sehr viele im Alter Steuern zahlen, obwohl ihnen keine
liquiden Mittel zufließen, aus denen sie die Steuern bezahlen können. Das ist sehr schwer vermittelbar, und es
kann in einzelnen Fällen letztendlich zur finanziellen
Überforderung führen.
Allerdings - das ist das Schwierige - ist es so, dass
diese Problemfälle erst in 20 bis 30 Jahren auftreten werden. Auch insoweit ist diese Eigenheimrente ein typischer Koalitionskompromiss, wie wir ihn kennen: Die
Probleme werden in die Zukunft verlagert.
({6})
Das heißt, man hat jetzt ein Gesetz, aber die Probleme,
die daraus entstehen können, tauchen erst in der Zukunft
auf. Da sagen wir: So geht es nicht.
({7})
Es muss ein klares Konzept auf den Tisch, mit dem keine
Probleme für die Zukunft verbunden sind.
Es wird argumentiert, die große Komplexität beim
Wohn-Riester entstehe aus der Komplexität der RiesterFörderung selbst. Ich kann dem nur zustimmen; es ist so.
Aber es ist doch der falsche Weg, auf eine sehr komplizierte Regelung eine noch kompliziertere Regelung
draufzusetzen.
({8})
Stattdessen müsste man überlegen, ob man das ganze
Projekt nicht entbürokratisiert, weniger kompliziert
macht und ein bisschen mehr öffnet. Ich glaube, dass es
auch in der Union viele für den richtigen Weg hielten,
eine einfache, flexible Lösung für die zusätzliche Altersvorsorge zu schaffen, sie für alle Bürgerinnen und Bürger zu öffnen und damit die gesamte Altersvorsorgeförderung unter einem Dach zusammenzuführen. Das wäre
eine vernünftige Lösung, die wir von grüner Seite vorgeschlagen haben. Wir hoffen, dass wir in den nächsten
Monaten mehr Unterstützung von Ihrer Seite in dieser
Sache bekommen werden.
({9})
Ich will nicht verhehlen, dass die Ausschussberatungen einige Verbesserungen gebracht haben. Wir bewerten immer sehr differenziert die einzelnen Punkte. Es
gibt durchaus Entscheidungen, die wir für richtig halten.
Ich nenne den verdoppelten Berufseinsteigerbonus; denn
es macht Sinn für junge Leute, frühzeitig mit dem Sparen zu beginnen. Auch die vereinfachte Berechnung der
Effektivzinsen im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist eine richtige Entscheidung. Wir begrüßen es
auch, dass die Riester-Sparenden ihre Mitteilungen weiterhin in Papierform erhalten. Auch wenn wir im Computerzeitalter leben, hat nicht jeder einen Internetanschluss.
Es gibt zwar einige - wenn auch wenige - positive
Entwicklungen im Detail. Aber insgesamt bleibt die Kritik der Grünen voll und ganz bestehen: Die gute Idee
„Wohneigentum im Alter“ wird schlecht umgesetzt. Die
Chance zur Vereinfachung wurde leider vertan. Sie
schaffen ohne Not einen neuen Bürokratiemoloch. Man
hätte es leicht besser machen können.
Wir werden uns heute enthalten, weil wir zwar die
Grundidee richtig finden, aber die Umsetzung für falsch
halten.
Danke schön.
({10})
Das Wort hat jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist in unserer Gesellschaft inzwischen unbestritten,
dass es der beste Weg zu einer sicheren Altersvorsorge
ist, diese auf mehreren Säulen aufzubauen. Es ist auch
klar, dass die gesetzliche Rentenversicherung weiterhin
die erste und wichtigste Säule der Altersvorsorge bleibt,
dass aber der ergänzende Bereich immer wichtiger wird.
Die Menschen erwarten natürlich, dass hierfür die richtigen Rahmenbedingungen gesetzt werden.
Einen wichtigen Beitrag dazu hat die Riester-Rente
geleistet, die 2001 eingeführt worden ist. Am Anfang
war sie heftig umstritten, aber inzwischen wird sie nicht
nur von den Experten, sondern - Gott sei Dank - auch
von den Menschen akzeptiert. Die letzte uns bekannte
Zahl besagt nämlich, dass 11 Millionen Menschen einen
Riester-Vertrag abgeschlossen haben.
Frau Höll, bitte erlauben Sie mir, in diesem Zusammenhang auf Ihre Rede zurückzukommen. Die Art und
Weise, wie Sie die zusätzliche Altersvorsorge denunziert
haben, halte ich für unverantwortlich.
({0})
Wer Menschen Angst vor Altersarmut macht und gleichzeitig den Weg, sich zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen, kaputtredet, der handelt nicht nur politisch inkorrekt, sondern auch unverantwortlich. Ich kann aus Ihren
Äußerungen nur schließen, dass Sie Politik ausschließlich mit der Angst der Menschen machen wollen. Das
kann nicht unser gemeinsamer Weg hier sein.
({1})
Ich will ganz kurz die Grundprinzipien der RiesterFörderung erläutern, weil sich daraus in der logischen
Konsequenz die Regelungen für die Eigenheimförderung ergeben. Das Grundprinzip ist, dass der Staat in der
Ansparphase in einem erheblichen Umfang, entweder
steuerlich oder mit direkten Hilfen, den Aufbau der Altersvorsorge mit Grundzulagen und Kinderzulagen unterstützt und die sich später ergebenden Altersleistungen
der sogenannten nachgelagerten Besteuerung unterwirft.
Die im Rahmen dieses Gesetzes geregelte Förderung
der Eigenheimrente passt in dieses Konzept im Grundsatz genau hinein. In allen Säulen der Altersvorsorge
halten wir uns an die gleichen Prinzipien und Grundlinien; denn es macht überhaupt keinen Sinn, die Regeln
zu ändern. Das würde es nach meiner Überzeugung nicht
einfacher, sondern verwirrender machen.
({2})
Im Mittelpunkt dieses Gesetzes steht die verbesserte
Einbeziehung von selbstgenutztem Eigentum und von
selbstgenutzten Genossenschaftswohnungen in die RiesterRente. Es ist wichtig, deutlich zu machen: Bisher gehörte die Bildung von Wohneigentum nicht zu den unmittelbar begünstigten Anlageprodukten. Für viele Bürgerinnen und Bürger - das ist schon gesagt worden stellt aber das Wohneigentum im Alter eine der Geldrente vergleichbare Möglichkeit der individuellen Altersvorsorge dar. Das berücksichtigen wir nun in diesem
Gesetz.
Zum einen kann steuerlich gefördertes Altersvorsorgekapital zukünftig besser für eine wohnungswirtschaftliche Verwendung genutzt werden; die Kolleginnen und
Kollegen haben schon beschrieben, auf welche Weise.
Zum anderen fördern wir so Tilgungsleistungen für ein
Darlehen zur Anschaffung oder Herstellung einer selbstgenutzten Wohnimmobilie.
Wir haben uns gleichzeitig entschieden, den Kreis derer, die diese Unterstützung nutzen können, möglichst
weit zu fassen. Deshalb ist die ausdrücklich gute Entscheidung, wie ich finde, gefallen - dies ist schon erwähnt worden -, auch Anteile an Genossenschaftswohnungen in die Möglichkeit der Altersvorsorge und der
staatlichen Förderung dieser Ansparungen hineinzunehmen. Die Einbeziehung der selbstgenutzten WohnimmoParl. Staatssekretärin Nicolette Kressl
bilie ist so ausgestaltet - ich habe es schon erwähnt -,
dass die bisherige Systematik erhalten bleibt und die bestehenden Verfahrensstrukturen - auch das gehört dazu parallel und sofort genutzt werden können.
Wir haben - das soll nicht unerwähnt bleiben; dies
habe ich bei einigen Rednerinnen und Rednern, glaube
ich, überhört - gleichzeitig die Möglichkeit eingebaut,
bei der Besteuerung den „schnelleren Weg“ zu wählen.
Es gibt nämlich ein einmaliges Recht der Wahl zwischen
der nachgelagerten jährlichen Besteuerung - dies ist die
eine Möglichkeit - und einer sofortigen Einmalbesteuerung des Kapitals, das angespart worden ist. Insofern
gibt es ein Stück mehr Freiheit für die Menschen; denn
die persönliche, individuelle Besteuerungssituation ist
natürlich während der Rente unterschiedlich. Diese kann
dann bei der Entscheidung mitberücksichtigt werden.
Die Entscheidung dafür, dass dieser Gesetzentwurf
verabschiedet wird, ist also eine grundlegende Weichenstellung für die Altersvorsorge durch Wohneigentum.
Wir ergänzen - auch das soll nicht unerwähnt bleiben - weitere Punkte, nämlich dass es im Rahmen der
Grundzulage einen zusätzlichen einmaligen Bonus von
200 Euro für alle Menschen gibt, die jünger als 25 Jahre
sind und sich für eine Riester-Förderung entscheiden.
Ich halte das für einen wichtigen finanziellen Anreiz gerade für junge Leute, die sich zwar oft genug - das spürt
man in persönlichen Gesprächen - Sorgen über ihre
Rente später machen, aber gleichzeitig sich noch nicht
entscheiden, so früh wie möglich Geld anzulegen. Je früher sie das tun, desto effizienter ist dies. Deshalb ist die
Verwendung von Steuermitteln für diesen Anreiz richtig
angelegt. Das ist ein guter Weg, um ein Stück Motivation zu erreichen.
({3})
- Da ich höre, dass Sie das schon wieder denunzieren,
will ich es noch einmal deutlich machen: Ich halte es für
wichtig, zu überlegen, wie wir Steuermittel einsetzen.
An dieser Stelle sind sie gut eingesetzt. Wir unterstützen
im Übrigen in diesem Zusammenhang die langfristige
Vorsorge der Menschen für ihr Alter.
Ich will noch einen Punkt ansprechen. Wir verändern
die Wohnungsbauprämie. Wir reduzieren ihre Verwendung auf die wirkliche Verwendung im wohnungswirtschaftlichen Sinn. In diesem Zusammenhang haben die
Fraktionen allerdings gesagt: Wir wollen junge Leute bei
der Überlegung: „Weiß ich schon jetzt, ob ich bauen
will?“ davon abhalten, aufgrund dieser Zweckbindung
nicht auf diese Art und Weise zu sparen. Deshalb haben
wir uns entschieden, für Menschen unter 25 Jahren Öffnungen einzubauen.
Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz die notwendigen Rahmenbedingungen für die Altersvorsorge verbessern. Jetzt muss es noch durch die Entscheidung der
Menschen, darin zu investieren, unterstützt werden. Das
können wir alle auf den Weg bringen, indem wir für dieses Gesetz in der Öffentlichkeit werben.
Vielen Dank.
({4})
Zu einer Kurzintervention gebe ich das Wort der Kollegin Barbara Höll.
Frau Staatssekretärin, Ihre Behauptung, die Linke betreibe unverantwortliche Politik, weise ich hiermit strikt
zurück. Diesen Vorwurf müssen Sie sich schon selbst
ans Revers heften. Sie erzählen den Menschen doch seit
Jahren, die gesetzliche Rentenversicherung sei nicht in
der Lage, ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen. Sie haben die Beiträge für die Arbeitgeber abgesenkt, und zwar auf Kosten einer Beitragserhöhung aufseiten der Arbeitnehmer. Und dann sagen Sie ihnen
noch, dass möglichst viel privat vorgesorgt werden
muss. Das lehnen wir ab.
Wir geben den Menschen Hoffnung. Wir zeigen ihnen
einen Weg in die Zukunft. Wir haben ein Konzept und
zeigen auf, dass eine paritätische Finanzierung möglich
ist, dass es möglich ist, Arbeitnehmer und Arbeitgeber
gleichermaßen einzubeziehen. Wir zeigen, dass eine gesetzliche Altersversicherung durchsetzbar ist, die ein
würdevolles Leben im Alter ermöglicht.
({0})
Herr Oswald hat vorhin das Recht auf die Bildung
von Eigentum betont. Diesbezüglich stimme ich Ihnen
zu. Die Menschen haben aber auch das Recht, dass ihre
Arbeit anständig bezahlt wird; denn das ist die Voraussetzung, um überhaupt fürs Alter vorsorgen zu können.
Das heißt, sie haben ein Recht auf Mindestlohn. Dieses
Recht müssen Sie erst einmal gewährleisten. Ich muss
erst einmal Arbeit haben und ordentlich bezahlt werden,
damit ich Eigentum bilden kann.
Wir haben Konzepte, die zukunftsweisend sind, Sie
hingegen nicht. Sie geben staatliche Mittel nicht in die
gesetzliche Rentenversicherung, sondern finanzieren
({1})
mit Steuergeldern letzten Endes doch nur die Versicherungswirtschaft.
({2})
Frau Kressl, bitte.
Sehr geehrte Frau Kollegin Höll, wer Ihre Rede gerade gehört hat, hat ganz sicher vergeblich nach irgendeinem Ansatz für ein Konzept gesucht. Alle hier haben gehört, dass Sie ausschließlich Punkt für Punkt
erklärt haben, was nicht geht. Sie haben Ihre Interven18084
tion durch Ihre Rede selbst ad absurdum geführt. Das
muss ich nicht weiter erläutern.
Ich will noch einmal deutlich machen, dass die Regierungsfraktionen ein Konzept haben. Wir wollen, dass
junge Menschen für sich selbst vorsorgen, und bieten dafür staatliche Unterstützung an. Wir wollen gerade den
jungen Leuten die Möglichkeit bieten, so früh wie möglich in eine „unterstützende Säule“ der Altersvorsorge zu
investieren. Ein Beweis dafür, dass dieser Weg gut ist
- sofern es überhaupt eines Beweises bedarf -, ist die
Tatsache, dass sich 11 Millionen Menschen für diesen
Weg entschieden haben. Ich finde, die Menschen können
manchmal besser beurteilen, was gut ist, als wir, die wir
hier im Bundestag über die Theorie diskutieren.
({0})
Der Kollege Olav Gutting hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Im Gegensatz zur Linken in diesem Hause glaubt die
Union nicht, dass Eigentum etwas Schlechtes ist und
man die Menschen davor schützen muss.
({0})
Wir in der Union glauben, dass Eigentum, insbesondere
Wohneigentum, etwas Gutes ist. Wir wollen die Menschen beim Erwerb dieses Eigentums unterstützen.
({1})
Die Integration der selbstgenutzten Wohnimmobilie
in die staatlich geförderte private Altersvorsorge ist ein
wichtiger Baustein. Mit dem Eigenheimrentengesetz
vergrößern wir das Angebot staatlich geförderter Altersvorsorgemodelle und beenden die Diskriminierung der
Wohnimmobilie gegenüber anderen Formen der Altersvorsorge. Natürlich ist die Eigenheimrente kein vollwertiger Ersatz für die weggefallene Eigenheimzulage. Diesen Anspruch hat dieses Gesetz auch nicht. Mit diesem
Gesetz setzen wir aber ein Signal. Ich bin davon überzeugt, dass von diesem Eigenheimrentengesetz ein Impuls für Investitionen im Baubereich ausgehen wird.
({2})
Es ist ein wichtiger Schritt, dass nunmehr die Anschaffung, die Herstellung und die Entschuldung von selbstgenutztem Wohneigentum wieder eine Förderung erfährt.
Es ist kein Geheimnis, dass wir in der Union uns ein
unbürokratischeres Modell zur verbesserten Einbeziehung der Immobilie in die Altersvorsorge gewünscht
hätten. Hierzu hätten wir aber von der nachgelagerten
Besteuerung abweichen müssen. Wenn wir die selbstgenutzte Immobilie im Rahmen der Riester-Rente fördern,
was wir jetzt tun, und steuersystematisch stringent vorgehen wollen, dann können wir dies eigentlich nur über
die nachgelagerte Besteuerung, über das Wohnförderkonto tun.
In den Beratungen konnten wir an wichtigen Stellen
dieses Gesetzentwurfes deutliche Verbesserungen erreichen.
({3})
Hervorzuheben ist die schon mehrmals angesprochene
Ausnahmeregelung bei der Zweckbindung von Wohnungsbauprämien für unter 25-Jährige.
({4})
Der Anreiz zum Sparen ist gerade für junge Menschen
wichtig. Wir haben vorhin schon gehört: Die US-Immobilienkrise hat gezeigt, dass die Vergabe von Krediten
für Immobilien ohne das Vorhandensein von genügend
Eigenkapital definitiv der falsche Weg ist.
({5})
Wir haben in Deutschland mit fast 32 Millionen Bausparverträgen ein funktionierendes System der Eigenkapitalbildung.
({6})
Mit der von uns erreichten Privilegierung von jungen
Menschen bei der Wohnungsbauprämie haben wir es geschafft, einen bereits seit Jahren gut funktionierenden
Anreiz zu bewahren, um junge Menschen zum Sparen
anzuregen. Wir haben damit die Grundidee des Bausparens gestärkt. Denn ohne ausreichende Neuabschlüsse
funktioniert das Bausparsystem nicht. Die Zuteilung von
Bausparverträgen, also die Auszahlung, ist unter anderem vom Geldeingang und von der Zahl der abgeschlossenen Verträge abhängig. Mehr Neuzugänge bedeuten
schnellere Zuteilung, mehr Mittel zum Wohnungsbau,
mehr Bautätigkeit und damit bessere Aussichten für die
Bauwirtschaft.
({7})
Wir konnten auch in einem weiteren Punkt eine deutliche Verbesserung erzielen. So ist es gelungen, den vorgesehenen Berufseinsteigerbonus von 100 Euro auf 200 Euro
zu verdoppeln und den Altersrahmen bei diesem Bonus
von 21 auf 25 Lebensjahre anzuheben. Auch das ist ein
unmissverständliches Signal an junge Menschen, bereits
in einem frühen Lebensabschnitt mit dem Sparen zu beginnen und an die Altersvorsorge zu denken.
({8})
Denn fehlende Ansparungen in jungen Jahren können
durch die inzwischen entgangenen Zulagen und vor allem durch den Zinseszinseffekt später nicht mehr aufgeholt werden.
Man kann natürlich immer noch mehr fordern. Die
Kritiker des Gesetzentwurfes halten die Fördersätze für
zu bescheiden. Darüber kann man streiten. Aber Fakt ist
- das haben die Berechnungen gezeigt -, dass Darlehensnehmer bei Inanspruchnahme dieser Förderung
durch das Eigenheimrentengesetz fast fünf Jahre eher ihr
finanziertes Eigentum ihr Eigen nennen können als ohne
diese Förderung. Sie sind fünf Jahre früher entschuldet,
fünf Jahre früher im Eigenheim. Das ist ein Wort.
({9})
Zusammenfassend darf man sagen: Dieses Gesetz
kann die Eigenheimzulage nicht ersetzen, aber es ist ein
wichtiger Impuls für die Bauwirtschaft. Es wird mehr
Menschen in Deutschland in die Lage bringen, sich ihren
Traum vom Eigenheim zu verwirklichen.
Als Berichterstatter darf ich mich an dieser Stelle für
die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen aus der
Koalition und mit dem Ministerium bedanken. Hierfür
ein herzliches Dankeschön!
Ich möchte sagen: Es lohnt sich, diesem Gesetzentwurf heute zuzustimmen.
({10})
Jetzt hat Sören Bartol das Wort für die SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Im Koalitionsvertrag hatten wir die Integration der Immobilie in die staatlich geförderte Altersvorsorge festgeschrieben. CDU/CSU favorisierten das Modell Sofa, meine Fraktion das Modell Kanapee. Aus
beidem hervor ging der Entwurf des wenig klangvollen,
dafür inhaltlich überzeugenden Eigenheimrentengesetzes, den wir hier und heute in zweiter und dritter Lesung
behandeln. Mit diesem Gesetz wird es uns gelingen, das
selbstgenutzte Wohneigentum als gleichberechtigtes
Element der Riester-Rente zu etablieren.
Indem der Kauf oder Bau, die Entschuldung einer
Wohnung oder eines Hauses sowie der Erwerb - auch
das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen - von Genossenschaftsanteilen in die Riester-Förderung aufgenommen werden, erhöhen wir die Attraktivität der
Altersvorsorge und schreiben die Geschichte des Erfolgsmodells Riester-Rente fort. Dieses Modell wird
heute von mehr als 11 Millionen Menschen in Deutschland in Anspruch genommen; damit hat sich die Zahl der
Riester-Verträge in den letzten zwei Jahren nahezu verdoppelt. Allein im ersten Quartal dieses Jahres sind
570 000 Neuverträge abgeschlossen worden; die Frau
Staatssekretärin hat das gerade schon gesagt. Diese Zahl
möchte ich an dieser Stelle noch einmal all denen entgegenhalten, die immer wieder das Argument ins Feld führen, die Riester-Rente sei zu kompliziert und werde nicht
angenommen. Die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
({0})
Festzuhalten bleibt: Die Zahl der Bundesbürger, die
private Altersvorsorge betreiben, nimmt stetig zu. Schon
jetzt haben 72,7 Prozent der Deutschen im erwerbsfähigen Alter eine private Altersvorsorge. Das ist eine gute
und wichtige Entwicklung.
Insgesamt, meine Damen und Herren, wird dieses Gesetz dazu beitragen, die mit 43 Prozent im Vergleich zu
anderen EU-Staaten relativ geringe Eigentumsquote in
Deutschland zu erhöhen. Die Erhöhung der Eigentumsquote ist ein wichtiger, wenn auch sicher nicht der einzige Schritt zur Verhinderung von Altersarmut. Denn
wenn man keine Miete zahlen muss - oder im Fall der
Genossenschaftsanteile nur eine geringe Miete -, ist das
ein großer Beitrag zu mehr Sicherheit im Alter.
Natürlich ist das Eigenheimrentengesetz auch eine
positive Nachricht für unsere Bauwirtschaft, die in den
letzten Jahren die Folgen des Bevölkerungsrückgangs,
aber auch - das ist unbestritten - den Wegfall der Eigenheimzulage zu verkraften hatte.
Wie schon vom CO2-Gebäudesanierungsprogramm,
mit dem alleine im Jahr 2007 mehr als 200 000 Häuser
und Wohnungen energieeffizient saniert oder neu errichtet werden konnten und das sich als wahrer Jobmotor für
Bau und Handwerk erwiesen hat, werden auch von diesem Gesetz Impulse für Umsatz und Beschäftigung ausgehen.
Dass der zusätzlichen privaten Vorsorge vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine immer größere Bedeutung zukommen wird, ist unbestritten; das ist
von meinen Vorrednern bereits gesagt worden. Aufgabe
der Politik muss hierbei sein, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen. Genau das haben wir mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf getan.
Wie von den Berichterstattern der beiden beteiligten
Fraktionen schon gesagt wurde, ist das Eigenheimrentengesetz auch ein Beleg für die gute Zusammenarbeit in
der Großen Koalition - sie ist zwar nicht immer ganz
einfach, kommt aber zu Ergebnissen - und für eine Finanz- und Wohnungspolitik, die sowohl die Gegenwart
als auch die Zukunft im Blick hat.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Jetzt spricht der Kollege Otto Bernhardt für die CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ausgangspunkt dieser Debatte ist der Tatbestand, dass über 80 Prozent der Deutschen gerne eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus hätten, bisher aber
nur etwa die Hälfte diesen Wunsch realisieren konnte.
({0})
Wir wissen, dass wir damit in Europa ganz weit unten
stehen. Andere Länder wie Spanien und Irland haben be18086
reits Eigentumsquoten von 80 Prozent erreicht. Dieses
Gesetz soll ein Beitrag sein, um diesem Ziel in Deutschland näher zu kommen.
Wir fördern den privaten Wohnungsbau seit Bestehen
der Bundesrepublik. Lange Zeit war § 7 b des Einkommensteuergesetzes das Stichwort, später § 10 e. Im
Jahre 1996 haben wir mit der Eigenheimzulage einen
ganz großen Wurf gemacht. Sie führte letztlich dazu,
dass eine Normalfamilie, bestehend aus vier Personen
- so die Statistik, heute wäre das leider keine Normalfamilie mehr -, Zuschüsse in einer Größenordnung von
22 500 Euro bekam. Das war natürlich ein toller Beitrag.
({1})
In den Koalitionsverhandlungen haben wir festgestellt, dass die Eigenheimzulage die teuerste Einzelsubvention im Haushalt ist und pro Jahr Belastungen von
bis zu 10 Milliarden Euro verursacht. Als die Große Koalition die Verantwortung übernahm, stand das Ziel der
Haushaltssanierung ganz weit oben. Es hat nach wie vor
eine große Bedeutung. Allerdings sind wir bereits ein
Stück vorangekommen. Deshalb haben wir zwei Punkte
in den Koalitionsvertrag aufgenommen: das Auslaufen
der Eigenheimzulage und die Einbeziehung der privat
genutzten Immobilie in die staatlich geförderte Altersvorsorge.
Unsere Diskussion hat gezeigt, dass mit Ausnahme
der Linken alle Fraktionen dieses Hauses die Auffassung
vertreten, dass die privat genutzte Immobilie ein sehr
wichtiges - nach Meinung der Mehrheit der Deutschen
sogar das wichtigste - Instrument der Altersvorsorge ist.
Es ist vernünftig, zu planen, die eigene Wohnung bis 65
abzubezahlen, sodass man dann keine Kaltmiete mehr,
sondern nur noch Nebenkosten zahlen muss. Dieses
Konzept müssen wir unterstützen.
({2})
Es gab bei den Auseinandersetzungen zwei kritische
Punkte. Schon meine beiden Kollegen haben in ihren
Reden auf diese beiden Punkte aufmerksam gemacht.
Der erste Streitpunkt war, dass wir keine Notwendigkeit
sahen, das Gesetz über das Prämienbausparen zu verändern. Wir meinen, das Prämienbausparen ist ein tolles
Instrument, es ist einer der Gründe für die solide Hausfinanzierung in Deutschland. Die Sozialdemokraten hatten gute Argumente - sie konnten sich dabei auf den
Bundesrechnungshof stützen -: Es geht hier um öffentliche Förderung, und die sollte auf wohnwirtschaftliche
Zwecke konzentriert werden. Das ist ein Standpunkt,
den man gut vertreten kann. Mit dem Kompromiss, den
wir gefunden haben - bis 25 bleibt es bei der bisherigen
Regelung und wenn man älter ist, wird auf wohnwirtschaftliche Zwecke begrenzt -, können beide leben.
Denn es ist natürlich schwierig, einem 16-Jährigen, der
zu sparen anfängt, zu sagen: Du darfst damit nur eine
Wohnung erwerben. - Ab 25 sieht man das anders.
Ich gebe zu, dass der zweite Streitpunkt, die Frage der
nachgelagerten Besteuerung, schwieriger ist. Die nachgelagerte Besteuerung gehört zur privaten Altersvorsorge; da haben Sie recht. Aber sie passt nicht zur Immobilie; da haben wir recht. Wir haben uns auf einen
Kompromiss geeinigt, der - das gebe ich zu - unter dem
Gesichtspunkt des Bürokratieabbaus nicht der beste sein
mag.
({3})
Beim Eintritt in den Ruhestand kann nun eine Einmalzahlung von 30 Prozent erfolgen. Auch dies ist ein Kompromiss, mit dem man leben kann, auch wenn wir uns
weniger Bürokratie gewünscht hätten. Ich sage aber für
meine Fraktion: Mit beiden Kompromissen können wir
gut leben. Wir sollten nicht den Fehler machen, dieses
Gesetz nach außen als schlecht zu verkaufen. Es ist ein
gutes Gesetz. Wir haben gute Kompromisse gefunden.
Dieses Gesetz ist ein Beitrag zur Stärkung der privaten
Altersvorsorge. Es verdient breite Zustimmung in diesem Hause.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die von den Fraktionen CDU/CSU und SPD sowie von der Bundesregierung eingebrachten Entwürfe eines Eigenheimrentengesetzes.
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9641, die genannten Gesetzentwürfe, Drucksachen 16/8869, 16/9274 und 16/9449,
zusammenzuführen und als Entwurf eines Eigenheimrentengesetzes in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung angenommen bei Zustimmung durch die
Große Koalition, Gegenstimmen der Fraktion Die Linke
und Enthaltung bei Bündnis 90/Die Grünen und FDP.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Wer dem Gesetz zustimmen
will, möge sich bitte erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der FDP auf Drucksache
16/9648. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt bei Zustimmung durch die
Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen und Ablehnung im übrigen Haus.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 30 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Einführung der nachträglichen SicheVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
rungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht
- Drucksache 16/6562 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/9643 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Jürgen Gehb
Jörg van Essen
Jerzy Montag
Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin in dieser Debatte spricht Bundesministerin Brigitte Zypries.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren Kolleginnen und Kollegen! Die Entscheidung
über den Gesetzentwurf, der heute zur Abstimmung
steht, ist nicht einfach.
({0})
Es geht um die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Straftäter, die nach dem Jugendstrafrecht verurteilt worden sind. Das sind junge Menschen, die in sehr jungen Jahren eine Straftat begangen
haben und dann, wenn sie entlassen werden sollen, natürlich längst aus dem Jugendlichenalter heraus sind.
Die Sicherungsverwahrung bedeutet für die Betroffenen einen schwerwiegenden Freiheitseingriff. Auf der
anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass wir die
Allgemeinheit wirksam vor Schwerststraftätern schützen
müssen. Deswegen haben wir lange und auch kontrovers
über diesen Gesetzentwurf diskutiert. Wir waren uns
aber einig, dass wir bei ganz wenigen jugendlichen
Straftätern - quasi als Ultima Ratio - auch diese Möglichkeit der Sicherungsverwahrung brauchen. Es war uns
immer klar: Eine Sicherungsverwahrung für junge Menschen ist ein sehr viel schärferer Eingriff, als dies bei Erwachsenen der Fall ist, weil man bei der Prognose hinsichtlich der Entwicklung junger Menschen sagt, dass
sie sich auch ändern können.
Deswegen haben wir Zweierlei getan: Zum einen haben wir die Hürden ausgesprochen hoch gesetzt, zum anderen haben wir geregelt, dass die Zeitabstände zwischen den Überprüfungen geringer als bei der normalen
Sicherungsverwahrung sind. Hier wird künftig immer
schon nach einem Jahr überprüft, ob die Angebote, die in
den Haftanstalten gemacht werden, wahrgenommen
wurden und auch gefruchtet haben; denn natürlich werden all diese Täter, für die eine Sicherungsverwahrung
festgelegt wurde, weiter therapiert bzw. werden ihnen
Therapieangebote gemacht. Ihnen wird also die Möglichkeit gegeben, Einfluss auf die Prognoseentscheidung
zu nehmen.
({1})
- Jetzt komme ich erst einmal zu den Hürden, Herr Kollege.
Wir haben besonders hohe Hürden definiert: Erstens
muss der Täter zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verurteilt worden sein, zweitens muss es sich
bei der Tat um ein Gewaltverbrechen gegen das Leben,
die sexuelle Selbstbestimmung oder die körperliche Unversehrtheit gehandelt haben - das heißt mit anderen
Worten: Vermögensdelikte und Ähnliches scheiden aus -,
drittens ist die Sicherungsverwahrung nur möglich,
wenn diese Taten zu einer schweren seelischen oder körperlichen Schädigung bei dem Opfer geführt haben, und
viertens muss die Wahrscheinlichkeit bzw. Prognose bestehen - diese muss durch Gutachten belegt sein -, dass
der Täter nach seiner Entlassung wieder solche Straftaten begehen wird.
Nun gibt es Kritik an diesem Gesetzentwurf. Es gibt
sie von der einen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen viel zu hoch angesetzt sind, und es gibt sie von
der anderen Seite, die sagt, dass diese Voraussetzungen
viel zu niedrig angesetzt sind. Die einen sagen, die Sicherungsverwahrung sei generell nichts für Jugendliche
und dürfe es für sie gar nicht geben, die anderen sagen,
wir müssten sie schon bei sehr viel weniger schweren
Delikten und geringeren Strafen zulassen.
({2})
Auch hier ist es so, wie das bei den Gesetzentwürfen
im Bereich der Justiz, die wir hier beraten, in der Regel
der Fall ist: Es gibt Kritik von beiden Seiten, und der Gesetzentwurf geht in der Regel in der Mitte durch.
({3})
Damit zeigt sich, dass wir das gefunden haben, was der
Abgeordnete Benneter mit Recht die „goldene Mitte“
nennt. Vielen Dank für die Hilfe.
({4})
Deswegen glaube ich, dass das richtig ist.
Es ist wichtig, dass wir reagieren können, wenn es erforderlich ist. Wir wissen aus den Bundesländern, dass
es Einzelfälle gibt, in denen es zum Schutze der Opfer
und zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist, sicherzustellen, dass die entsprechenden Täter nicht wieder die Möglichkeit haben, andere zu vergewaltigen oder
andere schwerste Straftaten an Personen zu begehen.
Wie gesagt: Ich weiß um die Schwierigkeit dieses
Projektes. Die Tatsache, dass wir lange darüber disku18088
tiert haben, zeigt Ihnen, dass wir die Debatte durchaus
ernst genommen haben. Ich danke für die konstruktive
Diskussion innerhalb der Koalition und hoffe, dass wir
dieses schwierige Projekt mit der Abstimmung heute zu
einem guten Abschluss bringen werden.
({5})
Jetzt hat der Kollege Jörg van Essen für die FDPFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin Zypries, ich danke Ihnen für den nachdenklichen Ton, den Sie bei diesem Thema angeschlagen haben. Ich glaube, das ist auch angemessen. Ich
hätte mir gewünscht, dass auch die abschließenden Beratungen im Rechtsausschuss in diesem Ton durchgeführt
worden wären. Ich werde mich bemühen, das in dieser
Debatte genauso zu tun wie Sie.
Das Thema, zu dem wir zu entscheiden haben, ist in
vielfältiger Form mit verfassungsrechtlichen Fragen,
aber auch mit Fragen der Menschenrechte verknüpft. Vor
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind
mehrere Verfahren anhängig. Der Gerichtshof wird in
wenigen Wochen dazu verhandeln. Da ich die Eilbedürftigkeit der heutigen Entscheidung nicht sehe, hätte ich
mir gewünscht, dass wir die Entscheidung zunächst abgewartet hätten, um zu wissen, welche Konsequenzen
für uns daraus folgen.
({0})
Wenn man bei der verfassungsrechtlichen Prüfung
bleibt, dann muss man auch auf die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts hinweisen. Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass es eine Ultima-RatioEntscheidung ist, jemanden in Sicherungsverwahrung zu
bringen. Ist es das wirklich noch? Die Entwicklung in
den zehn Jahren von 1996 bis 2006 zeigt, dass die Zahl
der Sicherungsverwahrten in Deutschland allein in diesem Zeitraum von 176 auf 375 gestiegen ist. Das ist ein
Anstieg um 125 Prozent. Insofern stellt sich die Frage,
ob das wirklich noch eine Ultima-Ratio-Entscheidung
ist.
Den zweiten Punkt, der für mich besonders wichtig ist,
hat das Bundesverfassungsgericht auch angesprochen,
nämlich die Frage der Prognosesicherheit, die insbesondere im Zusammenhang mit Jugendlichen von Bedeutung ist. Sie kann manchmal sehr leicht zu beantworten
sein, wenn jemand, der zu einer Jugendstrafe verurteilt
worden ist, zum Zeitpunkt der Verurteilung vielleicht
20 Jahre alt war, eine acht- oder neunjährige Haftstrafe
verbüßt hat und dann, wenn sich die Gutachter mit ihm
befassen müssen, um die 30 ist. Dann wird sich im Regelfall keine andere Situation darstellen als bei anderen
Erwachsenen im Strafvollzug.
Wie aber stellt sich die Situation dar, wenn jemand
sehr früh mit 14 oder 15 Jahren unmittelbar nach Erreichen der Strafmündigkeit eine schwere Straftat begangen hat, für längere Zeit in Jugendhaft gekommen ist
und dann beurteilt werden muss? In diesem Fall sind wir
auf eine sichere Prognose angewiesen; denn für einen
Jugendlichen ist die Entscheidung, dass er in Sicherungsverwahrung kommt, sehr schwerwiegend.
Für meine persönliche Entscheidung war in diesem
Zusammenhang ein Gespräch sehr wichtig, das ich mit
einem der renommiertesten Sachverständigen für Gerichtspsychiatrie geführt habe, der mir gesagt hat, er
könne eine solche Entscheidung in einer solchen Konstellation in aller Regel nicht verantwortungsvoll treffen.
Seine Begründung leuchtet, glaube ich, ein. Er sagt, dieser Jugendliche sei schon sehr früh in Strafhaft gekommen und habe nie unter normalen Umständen gelebt;
deshalb sei die Prognose fast oder ganz unmöglich. In einer solchen Konstellation sollte eine Entscheidung für
die Sicherungsverwahrung auch nicht getroffen werden.
({1})
Ich glaube, wir sollten noch eine zweite Kontrollüberlegung anstellen. Wir können bald das 100-jährige Jubiläum des Jugendrechts in Deutschland feiern, das sich
außerordentlich bewährt hat. Es muss nachdenklich machen, dass in den fast 90 Jahren seit Bestehen des Jugendrechts in Deutschland das Thema der Sicherungsverwahrung für Jugendliche nie diskutiert worden ist,
und zwar, wie ich finde - mein bisheriger Beitrag hat das
auch deutlich gemacht -, aus guten Gründen.
Es gibt auch keine äußeren Gesichtspunkte, die uns
nahelegen, die Sicherungsverwahrung für Jugendliche
einzuführen. Denn die Situation hat sich nicht geändert.
Es gibt keinen dramatischen Anstieg von Mordtaten Jugendlicher, um nur dieses Beispiel zu nennen. Deshalb
ist die Entscheidung meiner Fraktion klar und eindeutig:
Wir werden dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Aber ich will noch einen zweiten Gedanken anfügen.
Wir haben in den letzten zehn Jahren sechs Neuregelungen im Bereich der Sicherungsverwahrung durchgeführt.
Es war sehr eindrucksvoll, was der von der SPD benannte Sachverständige, der von mir sehr geschätzte
ehemalige Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer,
vorgetragen hat. Er hat uns gemahnt, uns das Thema
noch einmal vorzunehmen, zu einer Bereinigung zu
kommen, die Dinge zu glätten und vernünftige Regelungen zu finden.
Ich habe mit Interesse gehört, Frau Ministerin, dass
Ihr Parlamentarischer Staatssekretär gesagt hat, die Bundesregierung arbeite daran. Das ist eine Aufgabe für uns
alle.
({2})
- Leider nicht. Deswegen spreche ich sie ausdrücklich
an, Herr Kollege. Wir brauchen hier dringend eine Bereinigung, eine Zusammenführung der verschiedenen
Regelungen. Wir jedenfalls legen darauf größten Wert.
({3})
Der Grund dafür ist, dass wir wissen, dass wir eine
Verantwortung gegenüber den Opfern haben. Auch diese
sehen wir und werden deshalb verantwortlich entscheiden.
Vielen Dank.
({4})
Als Nächster spricht für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Jürgen Gehb.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Institut der Sicherungsverwahrung ist ein Mittel, zu dem
der Gesetzgeber sicherlich nicht gerne greift. Nun
kommt es nicht darauf an, ob wir unsere Aufgaben gerne
wahrnehmen oder nicht.
({0})
Die Gewährleistung des Schutzes vor Verurteilten, die
selbst nach Verbüßung einer langjährigen Freiheitsstrafe
immer noch für Leib, Leben, Gesundheit und sexuelle
Selbstbestimmung anderer eine erhebliche Gefahr darstellen, ist ein überragendes Gemeinwohlinteresse. Die
Sicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, ist eine
Aufgabe des Staates, ob er sie gerne macht oder nicht.
Welches Mittel wir anwenden, um die Gesellschaft zu
schützen, ist dem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers überlassen.
Bei Erwachsenen und Heranwachsenden, die nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden, kennen wir seit
langem die Rechtsfigur der Sicherungsverwahrung: die
originäre Sicherungsverwahrung, die mit dem Schuldspruch und der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, die vorbehaltene Sicherungsverwahrung, bei der sich der Richter nicht sicher ist, ob das jetzt
schon zu entscheiden ist, aber sich die Entscheidung bis
zur Entlassung des Strafgefangenen vorbehält, und
schließlich als bisherigen Höhepunkt, wenn man das so
will, oder auch Schlusspunkt die nachträgliche Sicherungsverwahrung.
({1})
Sämtliche damit verbundenen verfassungsrechtlichen
Fragen, Probleme und Implikationen sind inzwischen in
Literatur und Rechtsprechung nachgerade ausgepaukt.
Ob es um Vertrauensschutz geht, um Rückwirkung,
echte Rückwirkung, unechte Rückwirkung, Menschenwürde, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Alles ist entschieden. Selbst wenn man nicht allzu fleißig ist, kann man
das im Urteil des BGH vom 15. April dieses Jahres mit
Verweis auf zahlreiche Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Herr Nešković, namentlich auch die
vom 5. Februar 2004 und vom 10. Februar 2004, nachlesen. All das ist im 109. Band auf Seite 133 f. oder auf
Seite 233 f. abgedruckt.
Nun wird uns der Großmeister der Vorlesekunst, Herr
Nešković von den Linken, gleich mit lauter Stimme und
entsprechender Betonung, ohne seinen Blick auch nur
ein Jota vom Manuskript wegzubewegen, um den Blickkontakt zum Auditorium zu suchen, vortragen, dass der
Grundsatz ne bis in idem noch nie ausdrücklich vom
Bundesverfassungsgericht geprüft worden ist. Herr
Nešković, es muss eine lässliche Sünde sein, wenn das
Bundesverfassungsgericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung im Allgemeinen und auch in den besonderen Fällen für verfassungsgemäß hält und es weiß Gott
übersehen haben sollte, dass es außer dem Art. 103
Abs. 2 des Grundgesetzes, nulla poena sine lege, noch
den Abs. 3 des gleichen Artikels, ne bis in idem, gibt.
Aber Sie werden uns das gleich erklären.
({2})
Nun schließen wir eine weitere Lücke. Es geht um
Regelungen für Straftäter, die nach Jugendstrafrecht bestraft werden. Das ist etwas anderes als Sicherungsverwahrung für Jugendliche. Deswegen war die heutige
Presseerklärung, verehrte Frau Ministerin, mit der Überschrift „Bundestag verabschiedet nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Jugendstrafrecht“ ein bisschen
verfänglich.
({3})
Wer die Begriffe nicht genau kennt, kann natürlich auch
in der Diskussion nicht bestehen. Das ist deshalb ein
großer Unterschied, weil es sich zwar zum Zeitpunkt der
Verurteilung um einen Jugendlichen handelt, aber er
zum Zeitpunkt, in dem es um die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung geht, mindestens
21 Jahre alt ist; damit haben wir eine sehr hohe Hürde
eingebaut. Die Union hätte sich als Voraussetzung auch
eine Anlasstat vorstellen können, die mit fünf Jahren bestraft wird. Aber wir haben uns in der Koalition auf mindestens sieben Jahre geeinigt. Sieben Jahre bekommen
Sie in Deutschland vor einer Jugendgerichtskammer für
Taten, die denen des Hannibal Lecter in „Das Schweigen
der Lämmer“ nicht nur in nichts nachstehen, sondern in
einzelnen Fällen sogar weit darüber hinausgehen.
({4})
Ich habe mir ernsthaft überlegt, ob ich Beispiele nennen soll oder nicht; denn man setzt sich schnell dem Vorwurf aus, den Boulevard und die niedrigen Instinkte zu
bedienen. Ich will es dennoch tun, weil Herr van Essen
eben gesagt hat, es bestehe kein Handlungsbedarf. Wir
haben momentan in Bayern den Fall eines Täters, der
nach dem Jugendstrafrecht zu zehn Jahren Haft wegen
folgender Tat verurteilt worden ist: Er hat völlig ohne
Anlass ein wildfremdes Mädchen beim Joggen im Wald
abgefangen, es mit Bremskabeln an einem Ast bestia18090
lisch erwürgt, anschließend ihr Geschlechtsteil entblößt
und auf die Leiche bis zum Samenerguss onaniert. Das
ist nur ein Fall aus der Kriminalgeschichte. Es gibt noch
viel schlimmere. Herr van Essen, da Sie sagten, es bestehe im Moment kein Anlass: Dieser Mann droht demnächst entlassen zu werden, wenn wir heute nicht den
vorliegenden Gesetzentwurf in zweiter und dritter Lesung verabschieden. Ich möchte nicht mit den Eltern
eines weiteren Opfers diskutieren, ob die Prognose unsicher war oder nicht. Natürlich ist jede Prognoseentscheidung mit Unsicherheit behaftet. Das hat das
Bundesverfassungsgericht bei seinen Prüfungen wiederholt eingeräumt. Aber es ist nicht so, dass der Schließer
oder der Gefängnisdirektor mal eben sagt: Das Bürschchen in Zelle 3 dürfen wir, glaube ich, nicht entlassen.
Nun kommt die nächste hohe Hürde. Die Entscheidung über die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung wird von einem Gericht in der Besetzung von drei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern
nach Einholung sachverständiger Gutachten in einem allen rechtsstaatlichen Kautelen gerecht werdenden forensischen Verfahren getroffen, wenn kein vernünftiger
Zweifel mehr übrig bleibt und das Maß der Gewissheit,
dass der betreffende Mann gefährlich ist, so hoch ist,
dass man nach Abwägung aller Gesichtspunkte sagt:
Den Mann können wir nicht mehr auf die Menschheit
loslassen. Dieses Prozedere wird nicht nur nach den ersten sieben Jahren durchgeführt. Nein, meine Damen und
Herren, anders als bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Erwachsene wird dieses Prozedere bei Jugendlichen jedes Jahr durchgeführt, um festzustellen, ob
die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der einmal angeordneten Sicherungsverwahrung weiter bestehen.
Wer wie Herr Montag vor dem Hintergrund dieser hohen Anforderungen, die wir uns selber gesetzt haben, in
der vorgestrigen Sitzung des Rechtsausschusses davon
spricht, dass man im Grunde alle möglichen Taten, zu
denen ein Hang besteht, zum Anlass für eine Sicherungsverwahrung nehmen könne, übersieht völlig, dass
das nur bei bestialischen Tötungsdelikten gilt. Wer noch
eineinhalb draufsetzt und bei Berufung auf nur einen
Sachverständigen - Herr Nešković, Sie werden das in
den vier Minuten, wenn Sie ein bisschen schneller vorlesen, wahrscheinlich ansprechen; Sie haben sich aber die
Auffassung dieses Sachverständigen zu eigen gemacht die Menschen glauben machen will, der Gesetzgeber sei
auf dem besten Weg, die Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung ohne jede Anlasstat zuzulassen,
verrät entweder ein hohes Maß an Mangel jeglichen
Sachverstandes - hinter dem Schutzschild der Ahnungslosigkeit kann man sich am besten verbergen - oder ein
noch höheres Maß an bösartiger, verleumderischer Energie. Tertium non datur: Eine dritte Möglichkeit sehe ich
für diese Auffassung nicht.
Vielen Dank, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.
({5})
Wolfgang Nešković spricht jetzt für die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries! Vor
mehr als 50 Jahren schrieb ein amerikanischer Autor
eine Kurzgeschichte mit dem Titel Minority Report. Die
Geschichte handelt davon, dass eine Abteilung der
Washingtoner Polizei mit angeblich verlässlichen hellseherischen Fähigkeiten noch nicht geschehene Morde
vorhersieht, die Täter im Vorfeld ermittelt und bereits
vor dem Verbrechen in Verwahrung nimmt. Nun schrieb
das Bundesministerium der Justiz einen Gesetzentwurf,
nach dem die Strafgerichte künftig schwere Straftaten
junger Menschen vorhersehen und die Täter auf unbestimmte Zeit wegsperren sollen. Fiktion und Realität nähern sich an.
({0})
In der Kurzgeschichte und im Gesetzentwurf schlägt das
zwischen Freiheit und Sicherheit schwingende Pendel
nur in eine Richtung aus, das ist die Richtung der Sicherheit. Die Gerichte werden künftig mithilfe von Sachverständigen entscheiden müssen, ob junge Menschen mit
hoher Wahrscheinlichkeit furchtbare Verbrechen verüben können.
({1})
Hier liegt das Grundproblem des Konzeptes der Sicherungsverwahrung. Die Gerichte werden vor eine fast
nicht lösbare Aufgabe gestellt. Es ist aus wissenschaftlicher Sicht kaum möglich, eine verlässliche Prognose
über die künftige Begehung schwerwiegender Straftaten
abzugeben. Jeder Mensch ist und bleibt Träger von
Chance und Risiko; deshalb bleiben seine Wege letztlich
unergründlich. Für junge Menschen gilt dies umso mehr.
Schließlich ist ihre Lebensgeschichte erst kurz, und ihre
Persönlichkeitsentwicklung dauert noch an. Weiter
kommt erschwerend hinzu, dass die Situation des Strafvollzugs, in der die Prognose erfolgt, eine Kunstwelt ist,
die keine belastbaren Prognosen bezüglich des Verhaltens in Freiheit ermöglicht. Dessen sind Sie sich im
Grunde bewusst. Sie sind sich auch dessen bewusst, dass
Sie gerade bei Jugendlichen für die Gefährlichkeitsprognose auf den Schutzwall der Voraussetzung der neuen
Tatsachen verzichten. Sie wissen auch, welch verheerende Folgen es für die Prognosebasis hat, dass sich die
Gutachter im Regelfall nur auf eine einzige Anlasstat
stützen können. Sie haben deshalb ein schlechtes Gewissen.
Das schlechte Gewissen hat Sie dazu getrieben, unter
anderem die hohe Siebenjahreshürde für die Anlassverurteilung aufzustellen. Das ist aber ein fauler Ablasshandel. Ein ungeeignetes und in der Folge ungerechtes Instrument wird nicht dadurch geeignet und gerecht, dass
es weniger Menschen ungerecht der Freiheit beraubt.
Unrecht bleibt Unrecht, auch wenn es weniger Menschen trifft. Führen Sie die mit gutem Grund eingeführte
Befristung der Jugendstrafe nicht dadurch ad absurdum,
dass Sie eine unbefristete Maßregel auf sie folgen lassen.
Es bedeutet einen unerträglichen Widerspruch, wenn ein
Jugendlicher für eine tatsächlich begangene Straftat wie
die, die Sie geschildert haben, und mag sie noch so
scheußlich sein, höchstens zehn Jahre Jugendstrafe erhalten kann, für eine aber noch gar nicht begangene
Straftat lebenslanges Wegsperren befürchten muss.
({2})
Verlangen Sie von unserem Rechtsstaat nicht, mit gespaltener Zunge zu sprechen! Er wird sich daran verschlucken.
({3})
Deswegen: Stimmen Sie dem Entschließungsantrag
meiner Fraktion zu! Meine Fraktion fordert die Einsetzung einer Expertenkommission,
({4})
die sich einmal die grundsätzliche Frage stellt, wie wir
mit dem Institut der Sicherungsverwahrung insgesamt
umgehen. Das haben die Sachverständigen gefordert,
aber Sie ignorieren sie. Das ist typisch für Ihre Politik.
Dann kann es eine vertretbare Lösung für den Rechtsstaat geben.
Die eingangs erwähnte Kurzgeschichte verdankt im
Übrigen ihren Namen der Tatsache, dass einige der Hellseher Minderheitenvoten verfasst haben, die geheim geblieben sind. Die Wahrheit ist: Die Hellseher sind sich
über die Zukunft gar nicht einig. Wie die Gutachter in einem Fall der Sicherungsverwahrung, so verfügen auch
sie in Wahrheit nur über Annahmen zu dieser Zukunft,
und wie bei der Sicherungsverwahrung wurden die Menschen in dieser Kurzgeschichte lediglich aufgrund von
Annahmen in die Verwahrung genommen. Die Begabteste der Hellseherinnen verschafft einem der Verfolgten
dann die nötige Einsicht zu seiner Zukunft mit einem
einzigen Satz: Du hast die Wahl. - Erkennen auch Sie
an, dass junge Menschen immer die Wahl haben, das
Gute oder das Schlechte zu tun. Niemand kann diese
Wahl mit ausreichender Sicherheit vorhersehen. Auch
Sie haben jetzt die Wahl. Machen Sie guten Gebrauch
davon! Lehnen Sie diesen Gesetzentwurf ab!
Vielen Dank.
({5})
Jetzt spricht Jerzy Montag für das Bündnis 90/Die
Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Justizministerin Zypries! Heute ist ein guter
Tag, um einmal darüber nachzudenken, wie sich das
Rechtsinstitut der Sicherungsverwahrung in den letzten
zehn bis fünfzehn Jahren entwickelt hat. Schauen wir
uns die Zahlen an: 1995 befanden sich in Deutschland
183 Personen in Sicherungsverwahrung. 2000 waren es
219 Personen, 2006 401, 2007 415. Mit Stichtag zum
30. November 2007 waren 424 Personen in Sicherungsverwahrung. Von denjenigen, die im Jahre 2006 in Sicherungsverwahrung untergebracht worden sind, sind
knappe 20 Prozent, Herr Gehb, nicht wegen Gewalttätigkeiten - Mord, Totschlag -, sondern wegen Diebstahl,
Betrug oder Untreue in Sicherungsverwahrung gekommen.
({0})
- Ich habe gesagt: Heute ist ein guter Tag, um sich über
die Sicherungsverwahrung insgesamt zu unterhalten.
Die Sicherungsverwahrung in Deutschland ist nicht auf
einem guten Weg, sondern auf einem schlechten.
({1})
Es wäre ganz sinnvoll - deswegen haben wir Grüne
heute unseren Entschließungsantrag eingebracht -, wenn
die Bundesregierung die gesetzlichen Grundlagen und
die praktischen Auswirkungen der Sicherungsverwahrung umfassend untersuchen und dann eine entsprechende Bilanz vorlegen würde, ehe wir zu einer weiteren
Ausweitung der Sicherungsverwahrung kommen. Denn
die Sicherheitslage in Deutschland, meine Damen und
Herren, ist nicht so, dass wir in 2008 mehr als doppelt so
viele Menschen wie in 1995 in Sicherungsverwahrung
nehmen müssten.
({2})
Jetzt zu Ihrem Gesetzentwurf: Um wen geht es? In
der Begründung zu Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie
auf Seite 9 - ich zitiere:
Denn es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass sich in
Einzelfällen bereits zum Zeitpunkt des ursprünglichen Urteils erhebliche Hinweise auf eine hohe
künftige Gefährlichkeit zeigen.
Hierbei geht es um ganz wenige Jugendliche, bei denen schon kurze Zeit nach der Tat - nach einer wie der
von Ihnen beschriebenen oder einer noch schlimmeren
Tat - zur Diskussion steht, wie es am Ende mit ihnen
weitergeht.
({3})
Vergleichen Sie jetzt einmal die Situation der wenigen
nach allgemeinem Strafrecht verurteilten Heranwachsenden mit der jener Jugendlichen, für die hier eine Regelung getroffen werden soll. Bei den Heranwachsenden
kennen wir den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung. In
den Fällen, in denen das Gericht unsicher ist, bringt es
dies auch zum Ausdruck. In diesen Fällen weiß der Verurteilte, was ihm drohen kann. Deswegen steht im Gesetz, dass er nur bei neuen, nachträglichen Tatsachen
- dabei ist ja eine eigene Einflussmöglichkeit gegeben Wolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
eventuell in acht oder zehn Jahren in die Sicherungsverwahrung gebracht werden kann.
Diese Heranwachsenden kommen bis zum 27. Lebensjahr in eine sozialtherapeutische Anstalt, damit sie
Gelegenheit haben, selber daran mitzuwirken, nicht in
Sicherungsverwahrung zu kommen.
Den Jugendlichen, um die es jetzt geht, soll aber weder ein Signal gegeben werden, dass sie in Sicherungsverwahrung kommen könnten, noch die Gelegenheit,
dem in einer Sozialtherapie entgegenzuwirken. Das bedeutet: Wenn ein Jugendlicher ab jetzt die formalen Voraussetzungen für eine Sicherungsverwahrung erfüllt,
dann wird er bis zum letzten Tag seiner Haft nicht sicher
sein, ob eine Sicherungsverwahrung verhängt werden
wird oder nicht. Es stellt sich die Frage, ob sie aufgrund
neuer oder alter Tatsachen verhängt wird. Sie drehen ein
einziges Wörtchen um: In § 66 b StGB und in § 106 des
Jugendgerichtsgesetzes steht:
werden nach einer Verurteilung … Tatsachen erkennbar …
In diesem Gesetzentwurf steht:
sind nach einer Verurteilung … Tatsachen erkennbar …
„Werden“ wird zu „sind“. Damit will ich schließen.
Warum diese Änderung? In großer Offenheit schreiben
Sie in der Begründung dazu Folgendes:
Dabei ist der Wortlaut ({4}) so gefasst, dass für
die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht ausnahmslos und stets erhebliche
„neue“ Tatsachen vorauszusetzen sind, die sich aus
der Entwicklung während des Vollzugs ergeben …
Ergo: Sie behandeln die Jugendlichen nach diesem
Gesetz, wenn man bei der Idee der Sicherungsverwahrung bleibt, mehrfach auch noch schlechter als die Heranwachsenden. Alleine schon deswegen muss dieses
Gesetz abgelehnt werden.
({5})
Joachim Stünker hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Montag, bei Ihren fulminanten Ausführungen hat
mir eines gefehlt: auch einmal einen Gedanken an die
Opfer zu verwenden.
({0})
Man stelle sich vor: Der Staat entlässt sehenden Auges einen jungen, aber erwachsenen Menschen nach
zehn Jahren Strafverbüßung - Gutachter haben zuvor bestätigt, dass diese Person gefährlich ist; diese Person hat
aus sexuellen Gründen schwerste Tötungsdelikte begangen; man geht davon aus, dass diese Person, wenn sie
wieder in Freiheit ist, bei passender Gelegenheit wieder
straffällig wird -, weil ihm nichts anderes übrig bleibt.
Irgendwann danach begeht er erneut eine solche Straftat.
Ich verweise auf das Beispiel mit dem Opfer im Wald,
das Herr Gehb genannt hat.
Frau Ministerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass
wir uns die Regelung, die wir Ihnen hier vorschlagen,
nicht leicht gemacht haben. Aus unserem Gesetzentwurf
ergibt sich, dass wir alle Sicherheitsvorkehrungen eingebaut haben, um zu verhindern, dass irgendjemand, bei
dem sich Rückfälligkeit nicht mit Sicherheit prognostizieren lässt, in Sicherungsverwahrung genommen wird.
Dieses Verfahren ist nicht so, wie es Herr Kollege van
Essen hier vorgetragen hat. Der entsprechende Täter hat
eine Jugendstrafe verbüßt, die länger war als sieben
Jahre. Er hat aus sexuellem Anlass ein schwerstes Gewaltdelikt, meistens ein Tötungsdelikt, begangen. In der
Haft ist er in Sozialtherapie gewesen. Die Sozialtherapeuten sagten am Ende: Es tut uns leid; wir haben auch
nach zehn Jahren nicht herausgefunden, wo diese Persönlichkeitsstörung eigentlich sitzt; wir müssen davon
ausgehen, dass er, wenn er in Freiheit kommt, das Gleiche wieder tun wird.
Die Möglichkeit, eine Sicherungsverwahrung anzuordnen, besteht nur dann - hier liegt Ihr Denkfehler,
Herr van Essen -, wenn ein Gericht, eine erfahrene Jugendstrafkammer, eine Kammer, für die Schwurgerichtssachen zum täglich Brot gehören, die sich mit diesen
Verfahren also genau auskennt - sie muss zwei weitere
Sachverständige hinzuziehen; sie muss diese Person
noch einmal begutachten -, neu verhandelt hat und zu
dem Ergebnis kommt: Jawohl, sie ist noch gefährlich.
Sicherungsverwahrung kann also nicht angeordnet werden, wenn dieses Gericht zu dem Ergebnis kommt: Wir
können es nicht beurteilen; es gibt keine sichere Prognose. Dann gilt der Zweifelssatz. Wenn Zweifel bestehen, kann man keinen Schuldspruch fällen - Herr van
Essen, das wissen Sie ganz genau -; das geht einfach
nicht. Gegen die Anordnung der Sicherungsverwahrung
kann man sich im Wege der Revision wenden. Der Bundesgerichtshof kann diese Entscheidung überprüfen.
Ich habe solche Verfahren in meinem - wie ich immer
sage - vorigen Leben als Richter häufig geführt; ich war
jahrelang Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer. Ich
kann nur sagen: Es ist leider so - wir wünschen uns etwas anderes -, dass es voll schuldfähige Personen mit
Persönlichkeitsstörungen gibt, die nicht so krankhaft
sind, dass sie zu verminderter Schuldfähigkeit oder
Schuldunfähigkeit führen; dann hätten wir die Möglichkeit der Unterbringung. Ich meine, daher ist das, was wir
Ihnen hier vorschlagen, verantwortbar. Ich bitte Sie um
Zustimmung. Man muss hinzufügen: Nach Anordnung
der Sicherungsverwahrung muss Jahr für Jahr überprüft
werden, ob sich eine Veränderung ergeben hat.
Wir schlagen Ihnen also keine leichte Regelung vor;
das ist überhaupt keine Frage. Ich glaube, es ist aber eine
Regelung, die im Interesse der Sicherheit der Menschen
in unserem Land und auch der Täter - auch ihnen tut
man keinen Gefallen, wenn man sie wieder in die Freiheit entlässt und sie die nächste Straftat begehen - ist.
Schönen Dank.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Einfüh-
rung der nachträglichen Sicherungsverwahrung bei Ver-
urteilungen nach Jugendstrafrecht. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 16/9643, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 16/6562 anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Handzeichen. - Die Gegenstimmen! - Die Enthaltun-
gen! - Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten Bera-
tung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Wer für diesen Gesetzentwurf
stimmen möchte, möge sich erheben. - Die Gegenstim-
men! - Die Enthaltungen! - Damit ist der Gesetzentwurf
in der dritten Beratung und Schlussabstimmung mit dem
gleichen Stimmverhältnis wie vorher angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Ent-
schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9649? -
Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Der Ent-
schließungsantrag ist gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und
FDP bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abge-
lehnt.
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/9650? -
Die Gegenstimmen! - Die Enthaltungen! - Damit ist der
Entschließungsantrag gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen, FDP und großen Teilen der Fraktion
Die Linke mit den Stimmen der Koalition bei einer Ent-
haltung aus der Fraktion Die Linke abgelehnt.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 31 a und den
Tagesordnungspunkt 31 b sowie Zusatzpunkt 10 auf:
31 a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Volker Beck ({0}), Dr. Uschi Eid, Kai Gehring,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Zur Lage der Menschenrechte von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgendern
- Drucksachen 16/2084, 16/2800 -
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe ({1}) zu dem Antrag
der Abgeordneten Volker Beck ({2}), Irmingard
Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Den 17. 5. als offiziellen Tag gegen Homophobie begehen
- Drucksachen 16/5291, 16/9366 Berichterstattung:
Abgeordnete Holger Haibach
Angelika Graf ({3})
Michael Leutert
Volker Beck ({4})
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck ({5}), Marieluise Beck ({6}), Alexander
Bonde, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Menschenrechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen
weltweit sicherstellen - Yogyakarta-Prinzipien
unterstützen
- Drucksache 16/9603 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Es liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu ihrer Großen Anfrage vor.
Verabredet ist, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann soll so
verfahren werden.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir beschäftigen uns in dieser Debatte mit der Menschenrechtssituation für Lesben, Schwule, Bisexuelle und
Transgender weltweit. Wenn man ins Internet schaut
oder die Tagespresse Revue passieren lässt, sieht man,
wie vielfältig die Verfolgung und die Beeinträchtigungen
der Menschenrechte dieser Gruppe weltweit leider sind,
auch auf unserem Kontinent.
Im Oktober 2007 verbietet der Bürgermeister von Vilnius in Litauen eine Demonstration von Schwulen und
Lesben. Das ist ein Beispiel von vielen aus osteuropäischen Staaten, in denen die Versammlungsfreiheit nicht
respektiert wird.
Es gab im Mai die Entscheidung des obersten Berufungsgerichts in Ankara, das die Homosexuellenorganisation Lambda Istanbul verboten hat. Das Urteil ist nicht
rechtskräftig. Die Organisation geht in die Berufung. Das ist meines Erachtens ein alarmierendes Signal aus
diesem Land.
In Moldawien wurden in diesem Jahr ebenfalls Demonstrationen von Schwulen und Lesben verboten. Es
kam zu erheblichen Gewalttätigkeiten, wobei die Demonstranten nicht ordnungsgemäß von der Polizei ge18094
Volker Beck ({0})
schützt worden sind. Das Europäische Parlament hat sich
hierüber sehr besorgt geäußert.
In diesem Monat hat die UNO bei ihrer Unterorganisation UNAIDS auf Initiative der Länder Ägypten, Jamaika und Simbabwe drei Homosexuellengruppen von
einem entsprechenden Kongress ausgeschlossen.
Vor wenigen Wochen wurden zwei Spanier in Gambia
wegen ihrer Homosexualität verhaftet.
Das alles sind nur Beispiele dafür, dass weltweit die
Menschenrechte von Schwulen und Lesben noch nicht
garantiert und noch nicht gewährleistet sind. Was die
bürgerlichen und politischen Freiheiten angeht, ist das
oftmals auch in osteuropäischen Ländern der Fall. Weltweit, insbesondere in den afrikanischen und islamischen
Ländern, gibt es leider auch ganz fundamentale Menschenrechtsverletzungen; dort stehen die homosexuellen
Handlungen selbst unter Strafe. In über 80 Ländern sind
einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen strafbar. In über sieben Ländern steht darauf
die Todesstrafe.
Die Antwort der Bundesregierung hierauf finde ich
beachtlich. Mir sind aus den letzten Jahren leider eine
Reihe von Exekutionen von Homosexuellen in Ländern
wie Iran und Saudi-Arabien bekannt; der Bundesregierung offensichtlich nicht.
Ich finde, da sollte man genauer hinschauen. Solche
Todesurteile sollten nämlich Anlass für Demarchen sein.
Diesen Menschen sollte man im Rahmen einer menschenrechtsorientierten Außenpolitik helfen, indem man
sich bemüht, sie zu retten, und gegebenenfalls auch bereit ist, sie in Deutschland aufzunehmen.
({1})
Sozusagen als ganz klassisches Gegenbild, als Gegenentwurf zur realen Menschenrechtssituation von Lesben
und Schwulen auf dieser Welt, wurden im Jahre 2006
unter Mary Robinson, der ehemaligen UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, die Yogyakarta-Prinzipien entworfen. Aus diesen geht hervor - das ist eine
gute Handlungsanleitung für jeden Politiker -, dass es in
jedem Menschenrechtsbereich - ich nenne zum Beispiel
das Recht auf Gesundheit, das Recht auf einen fairen
Prozess, das Recht auf Leben, das Recht auf bürgerliche
und politische Rechte - spezifische Aspekte gibt, die bei
einer Menschenrechtsgarantie für Lesben und Schwule
zu berücksichtigen sind. Auf diese Aspekte muss man
leider immer wieder aufmerksam machen, weil es immer
irgendein Land auf der Welt gibt, wo sie zumindest
punktuell nicht gewährleistet sind.
Ich finde es sehr gut, dass uns die entsprechende Studie, die mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes gedruckt wurde, weil es bisher keine amtliche Übersetzung
dieser Studie ins Deutsche gab, von der HirschfeldEddy-Stiftung zur Verfügung gestellt wird. Dabei handelt es sich, wie ich glaube, um ein wichtiges Arbeitsmaterial. Ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung sich die skandinavischen Staaten, Tschechien und
andere Länder zum Vorbild nehmen und dieses Dokument zur Grundlage ihrer Menschenrechtspolitik für die
genannte Gruppe machen würde. Leider hat die Bundesregierung in einer Antwort auf die entsprechende Anfrage einer anderen Fraktion geantwortet, sie halte das
lediglich für einen wichtigen Beitrag der Zivilgesellschaft. Ich glaube, hier geht es um mehr als einen Beitrag der Zivilgesellschaft. Hier wird durchbuchstabiert,
wie Menschenrechte für diese Gruppe wirklich aussehen
müssen.
({2})
Ob wirkliche Menschenrechtspolitik betrieben wird,
erweist sich letztlich immer daran, ob die Rechte jeder
Minderheit in einer Gesellschaft, seien es die Bahai im
Iran oder in Ägypten, seien es die Homosexuellen in
Afrika oder jüdische oder christliche Minderheiten in islamischen Ländern, geschützt werden. Umgekehrt kann
man am Umgang mit diesen Minderheitenrechten sehen,
wie es um die Menschenrechtslage insgesamt bestellt ist.
Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Neben der
dramatischen Lage, die auf der Welt bei diesem Thema
herrscht, gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Am 31. Mai
2008 hat die Organisation Amerikanischer Staaten einstimmig das Thema „Menschenrechte von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgendern“ auf ihre
Agenda gehoben. Damit ist die weltweit zweite regionale Organisation bei diesem Thema engagiert. Ich
finde, das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Initiative
von Brasilien, die vor einigen Jahren im Menschenrechtsrat in Genf gescheitert ist, noch einmal aufgegriffen wird. Die Bundesrepublik Deutschland sollte da
zwar nicht eine Leader-Rolle übernehmen, aber wir sollten, wenn sich engagierte Länder aus der Dritten Welt,
die ein ähnliches Menschenrechtsverständnis wie wir haben, an die Spitze stellen, alles tun, um sie dabei zu unterstützen.
Herr Kollege!
So könnte es gelingen, dass eines Tages die Menschenrechte von Lesben und Schwulen nicht nur auf dem
Papier stehen, sondern auch tatsächlich überall anerkannt werden.
Vielen Dank für Ihre Geduld.
({0})
Der Kollege Holger Haibach spricht jetzt für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einem hat
der Kollege Beck sicherlich recht: Natürlich hat der Umgang einer Gesellschaft mit Minderheiten eine große
Aussagekraft darüber, wie eine Gesellschaft sich insgesamt zum Thema Menschenrechte stellt. Dass natürlich
besonders Gruppen, die sich nicht im Mainstream einer
Gesellschaft befinden, auf Schwierigkeiten stoßen, und
das besonders in Ländern, in denen es um die Menschenrechtssituation ohnehin problematisch bestellt ist, ist in
diesem Hause, wie ich glaube, auch unstrittig.
Deswegen ist es nicht nur eine Frage von Regierungshandeln - natürlich auch das -, sondern darüber hinaus
auch eine Frage der Mentalität der gesamten Bevölkerung in einem Land, die darüber entscheidet, ob eine
Gruppe wie zum Beispiel Schwule, Lesben, Transgender, Intersexuelle in einer Gesellschaft leben kann. Wir
brauchen in unserer eigenen Geschichte nicht sehr weit
zurückzugehen, um festzustellen, dass auch in zivilisierten Ländern durchaus Dinge geschehen sind, die wir
heute gerne ungeschehen machen würden, wenn wir es
denn könnten.
Nichtsdestoweniger noch einmal zurück zum Thema
Mentalitäten. Ich halte es für wichtig, dass Regierungshandeln - Handeln unserer Bundesregierung und anderer
Regierungen - dieses Thema aufnimmt und da einen
Schwerpunkt setzt. Ich halte es aber für mindestens genauso wichtig, dass wir insgesamt dafür sorgen, dass
eine Mentalität, wie sie sich hoffentlich in unserem Land
herausgebildet hat, im Zusammenhang mit diesem
Thema auch in andere Länder getragen wird.
Ich kann mich noch gut an eine Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erinnern,
wo der russisch-orthodoxe Patriarch erklärt hat, die Parade in Moskau, an die der Kollege Beck, wie ich in meiner letzten Rede so schön gesagt habe, noch schmerzliche Erinnerungen haben dürfte, sei ungefähr so gewesen,
als habe man für Diebstahl Werbung gemacht. Was mich
persönlich noch mehr erschüttert hat als die Tatsache,
dass er, ein Kirchenführer, ein Führer einer christlich-orthodoxen Kirche, das gesagt hat, war, dass von den etwa
150 anwesenden Kolleginnen und Kollegen - die meisten kamen aus Osteuropa, den Kaukasus-Staaten und
Russland - etwa 100 lautstark und anhaltend applaudiert
haben. Ich finde, diese Geisteshaltung darf von diesem
Haus nicht unterstützt werden.
({0})
Richtig ist auch, dass Diskriminierung in sehr unterschiedlicher Art und Form stattfinden kann. Es kann
sein, dass diese Gruppe in einem Land „nur“ gesellschaftlich nicht sehr angesehen ist. Es kann sein, dass
der Staat duldet, dass Verfolgung stattfindet. Es kann
aber auch sein, dass der Staat - darauf hat der Kollege
Beck zu Recht hingewiesen - sogar Strafmaßnahmen gegenüber Menschen mit einer solchen Lebensweise ergreift. Wir haben mit dem Menschenrechtsausschuss Usbekistan und Turkmenistan besucht, zwei Länder, in
denen das so ist. Die Antwort, die man dann immer bekommt, ist, dass es nicht der jeweiligen Lebensweise
entspricht, eine solche Einstellung zu haben. Selbst
wenn es so wäre: Es gibt internationale Verträge, es gibt
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, an die
sich auch Staaten halten müssen, die eine andere Lebensweise haben. So einfach ist das an dieser Stelle.
({1})
Mir fällt in letzter Zeit immer mehr auf, dass es viele
Länder gibt, in denen Homosexuelle, Transgender, Intersexuelle, wenn sie sich denn dazu bekennen können, für
Dinge angeklagt werden, die mit ihrer sexuellen Orientierung eigentlich nichts zu tun haben. Wir stellen insgesamt bei Menschen, die sich für Menschenrechte einsetzen, fest, dass ein Vorwand gesucht wird. Aber bei dieser
Gruppe sieht das manchmal ein bisschen aus wie eine
moderne Form von Hexenjagd.
Für uns ergibt sich daraus die Frage: Was können wir
tun? Ich denke, der vorliegende Antrag, der sich mit den
weltweiten Prinzipien beschäftigt - insgesamt beraten
wir heute über drei Anträge -, zeigt einige wichtige
Dinge auf. Wir werden das sicherlich sehr intensiv im
Ausschuss diskutieren.
Aber wir sollten eben auch schauen, welche Möglichkeiten wir innerhalb unserer eigenen Gremien haben. Ich
finde den Hinweis auf den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in diesem Zusammenhang ausgesprochen wichtig. Der Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg ist für viele Menschen, besonders aus den osteuropäischen Staaten, aus dem Kaukasus-Raum und aus
Russland, die letzte Möglichkeit, ihr Recht einzuklagen
und zu erstreiten. Dass der Gerichtshof große Probleme
hat, haben wir hier mehr als einmal festgestellt. Auch
dass wir alles tun müssen, damit der Gerichtshof wieder
arbeitsfähig wird, haben wir hier gemeinschaftlich festgestellt. Aber das gilt besonders für solche Gruppen, die
in ihren eigenen Ländern marginalisiert sind; denn sie
werden am Ende noch viel weniger die Möglichkeit haben, sich an irgendeine Stelle in ihrem Land zu wenden.
Die Menschen in Ländern, deren Justizsystem von vornherein nicht auf Unabhängigkeit und rechtsstaatlichen
Prinzipien basiert, brauchen diesen Gerichtshof; denn er
ist ihre letzte Hoffnung.
({2})
Ich will mich nicht davor drücken, auch über den Antrag zu sprechen, der den Tag gegen Homophobie betrifft. Wir werden diesem Antrag nicht zustimmen. Das
hat aber nichts mit unserer grundsätzlichen Einstellung
zu tun, sondern mit der Frage nach den Mitteln, die ich
vorhin schon einmal aufgeworfen habe.
Ich habe das letzte Mal vorgelesen - ich verzichte
deshalb jetzt darauf -, welche internationalen Feiertage,
Gedenktage und Erinnerungstage an dem Tag der damaligen Debatte stattfanden. Man ist über die Menge überrascht. Würde man noch nationale Feier- und Gedenktage hinzunehmen, würde die Liste wesentlich länger
werden. Ich weiß, dass Symbole an der einen oder anderen Stelle notwendig sind. Aber der inflationsartige Ge18096
brauch von Symbolen würde der Sache nicht gerecht
werden. Deswegen halten wir dieses Vorgehen nicht für
den richtigen Weg. Nichtsdestoweniger ist es wichtig,
dieses Ziel zu verfolgen.
Ich komme zum Schluss. Ich habe vorhin zufällig ein
Buch mit dem Titel „Solidarität, die ankommt“ von Peter
Hesse, einem Christdemokraten, in die Hand bekommen. Auf der Rückseite des Buches stehen zwei Sätze,
die ich in diesem Zusammenhang für sehr erwägenswert
halte:
Die Entwicklung unseres globalen Dorfes zu einer
Gemeinschaft, in der alle Menschen friedlich und
würdevoll als „Einheit in Vielfalt“ in einer Balance
leben können, ist eine Vision. Es ist aber auch eine
Notwendigkeit, wenn die Lebensform „Mensch“
sich nicht selbst vernichten oder ihre geistigen
Werte verlieren will.
Ich glaube, das fasst zusammen, warum wir uns heute
mit diesem Thema beschäftigen.
Herzlichen Dank.
({3})
Der Kollege Burkhardt Müller-Sönksen ist der
nächste Redner für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sind uns alle darin einig, dass wir Politikerinnen und
Politiker gegen Menschenrechtsverletzungen jeglicher
Art vorgehen müssen. Das bedeutet natürlich auch eine
klare Ablehnung von Diskriminierung, Unterdrückung
und Gewalt gegen Transgender, Bisexuelle, Schwule
und Lesben.
Aus diesem Grunde haben wir vor kurzem zusammen
mit den Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen einen Änderungsantrag zum Antrag zur Einführung
eines offiziellen Tages gegen Homophobie eingebracht,
der die Problematik der Homophobie geografisch erweitert. Uns ging es vor allem darum, festzuhalten, dass
nicht nur in Polen, sondern auch in vielen anderen Ländern - ich nenne nur Rumänien und die baltischen Staaten - ein bedrückendes Klima der Intoleranz gegenüber
Homosexuellen herrscht.
({0})
Leider wurde dieser Antrag von Ihnen, den Kolleginnen
und Kollegen der Koalitionsfraktionen, abgelehnt.
Als Partei der Bürgerrechte treten wir natürlich für
den Grundgedanken der Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften und deren Würdigung ein.
Dazu gehört auch, die Rechte von Transgendern,
Bisexuellen, Lesben und Schwulen in allen gesellschaftlichen Bereichen weltweit durchzusetzen. In diesem
Sinne haben die Liberalen Internationalen auf ihrem
55. Kongress vor gut einem Monat eine Resolution verabschiedet, in der die liberalen Parteien von über
60 Ländern aufgerufen werden, Initiativen gegen die
Diskriminierung von Homosexuellen zu ergreifen.
Die Liberalen im Deutschen Bundestag begrüßen
diese Resolution sehr, in der es vor allem um die politische Arbeit gegen staatliche Verfolgung und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung geht.
Zentral ist auch die Forderung nach dem Schutz Homosexueller vor Diskriminierung durch Dritte. Die Resolution ist vor allem als Signal in den Ländern wichtig, in
denen es alles andere als selbstverständlich ist, sich für
die Grundrechte Homosexueller einzusetzen. Hier gibt
es auch für einige liberale Parteien noch einiges zu tun.
Diese selbstkritischen Worte will ich in die eigene Familie senden.
Wenn ich es mir recht überlege, hört sich ein „Tag gegen …“ per se nicht positiv an. Diese Formulierung ist
einfach negativ. In der Bezeichnung des Tages, den die
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Grünen am
17. Mai einführen wollen, steht auch noch ein Fremdwort. Mit dem Wort „Homophobie“ kann der normale
Bürger aber nur schwerlich die Nachricht verbinden,
dass es eigentlich um den Einsatz für das hohe Gut der
Menschenrechte geht. Auch deshalb stehen wir der Einführung eines neuen Gedenktages kritisch gegenüber
und sind nicht wirklich davon überzeugt, dass damit
Besserungen in der Sache erreicht werden können. Außerdem gibt es bereits - bestens in Deutschland eingeführt - den Christopher Street Day. Wir fänden es konstruktiver, würden wir uns weltweit auf einen CSD
einigen, anstatt einen neuen Gedenktag einzuführen.
Meine Damen und Herren, die FDP im Deutschen
Bundestag setzt eher auf politische Initiativen, um sich
für die Rechte von Transgendern, Bisexuellen, Lesben
und Schwulen stark zu machen, als auf das Begehen von
offiziellen Tagen. Wir haben in der letzten Wahlperiode
mit dem Ergänzungsgesetz das bislang weitgehendste
Gesetz zur Rechtsstellung von eingetragenen Lebenspartnern vorgelegt. Wir sehen aber immer noch eine
Übermacht an Pflichten für die Paare im geltenden Lebenspartnerschaftsrecht. Wesentliche Rechtsbereiche
wie zum Beispiel das Steuer-, Beamten- und Ausländerrecht bergen noch sehr viele unzureichende Regelungen.
Auch ein weiteres Recht ist noch nicht durchgesetzt:
das gemeinsame Adoptionsrecht für eingetragene Lebenspartner. Dieses Recht ist auf die Stiefkindadoption
reduziert, was ganz klar hinter den gesellschaftlichen
Entwicklungen zurückbleibt. Auch beim Adoptionsrecht
für gleichgeschlechtliche Partnerinnen und Partner muss
und wird das Kindeswohl an erster Stelle stehen. Ende
Mai hat die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag in
Form eines Antrages auf eine weitere Schwachstelle in
einem deutschen Gesetz hingewiesen: Wir haben einen
Antrag zur „Reform des Transsexuellengesetzes für ein
freies und selbstbestimmtes Leben“ eingebracht. In einigen bisherigen Regelungen des Transsexuellengesetzes
gibt es schwerwiegende Grundrechtsverstöße, die unbedingt korrigiert werden müssen, wie zum Beispiel die
Verpflichtung zur Ehelosigkeit, die Voraussetzung der
dauernden Fortpflanzungsfähigkeit und die geschlechtsanpassende Operation.
Sie sehen, es bleibt auch in Deutschland noch viel zu
tun. Natürlich sind wir in vielen Bereichen weiter als in
anderen Ländern. Um auch dort Fortschritte in der
Durchsetzung der Menschenrechte von Transgendern,
Bisexuellen, Lesben und Schwulen zu erreichen, braucht
es noch eine Menge Geduld, Aufklärungsarbeit und politischen Druck.
Aber zum Glück gibt es von fachlicher Seite immer
wieder Unterstützung. Vor zwei Jahren haben zahlreiche
internationale namhafte Menschenrechtsexpertinnen und
-experten eine systematische Gesamtschau auf die Menschenrechtsgewährleistung für Lesben, Schwule,
Bisexuelle und Transgender erarbeitet - ich darf auf die
Ausführungen des Kollegen Beck verweisen; er hat es
schon erwähnt -: die Yogyakarta-Prinzipien, verabschiedet im November 2006.
Jeder Mensch muss ein selbstbestimmtes Leben führen können - ob er schwul, lesbisch, bisexuell oder
transsexuell ist. Dafür haben wir uns immer sehr stark
eingesetzt, und das werden wir auch weiter tun.
Vielen Dank.
({1})
Jetzt spricht Angelika Graf für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Weltweit sind Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung Strafverfolgung und Diskriminierung ausgesetzt.
Das hat die Große Anfrage der Grünen bestätigt. Um
diesen Zustand zu ändern, muss die deutsche Politik
klare Signale senden - innerhalb Deutschlands, in
Europa, aber auch in der Welt. Denn nur eine Politik, die
nicht diskriminiert, kann ein glaubwürdiger Botschafter
gegen Homophobie in der Gesellschaft und international
sein.
Es gibt weltweit Fortschritte, aber auch Rückschläge
bei der Entwicklung der Menschenrechte von Schwulen,
Lesben, Bisexuellen und Transgendern; Kollege Beck
hat bereits darauf hingewiesen. Deutschland war unter
anderem mit der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft unter der rot-grünen Bundesregierung ein
Vorreiter in der Welt für mehr Akzeptanz von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Das hat nicht nur die
konkrete Lebenssituation von schwulen und lesbischen
Paaren erheblich verbessert. Wir haben damit in die Gesellschaft auch das Signal ausgesandt, dass der Staat
gleichgeschlechtliche Paare als Teil unserer Gesellschaft
anerkennt, sie respektiert und ihnen einen Rechtsrahmen
für ihre Partnerschaft anbietet.
({0})
Ich bin der festen Überzeugung, dass ein Staat, der zu
Benachteiligung, Ausgrenzung und Verfolgung ganz
klar Nein sagt, damit Toleranz und Akzeptanz in der Gesellschaft stärkt.
Wir haben im Kampf gegen Homophobie auch in
Deutschland noch längst nicht alle Ziele erreicht. Gewalt
gegen Schwule und Lesben ist in unserer Gesellschaft
weiterhin ein Thema. Nicht ohne Grund ist das diesjährige Motto des Berliner CSD der Hass gegen Schwule,
Lesben und Transgender. Denn leider ist homophobe
Gewalt immer noch alltäglich, insbesondere in sozialen
Brennpunkten unserer Städte. Gegen Homophobie müssen wir vorgehen, vor allem durch Aufklärung bei Jugendlichen. Hier sind insbesondere die für den Bereich
Bildung zuständigen Bundesländer gefragt, die Integrationspolitik, aber auch unsere Bundesfamilienministerin,
die das Thema Homophobie bei Jugendlichen ansprechen und anpacken muss.
({1})
Von einer wirklichen Gleichstellung sind wir in
Deutschland noch weit entfernt. Eine Hauptursache dafür ist, dass das damals von Rot-Grün eingebrachte
Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz im Bundesrat gescheitert ist.
({2})
- Ein Skandal. Da gebe ich Ihnen recht.
({3})
Der Europäische Gerichtshof hat darauf hingewiesen,
dass die Schlechterbehandlung eingetragener Lebenspartner gegenüber Ehegatten in der Hinterbliebenenversorgung eine willkürliche Benachteiligung ist. Meiner
Ansicht nach besteht auch in vielen weiteren Punkten
Handlungsbedarf. Die SPD setzt sich dafür ein, dass die
Benachteiligungen ausgeräumt werden. Den gleichen
Pflichten in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft
müssen endlich auch gleiche Rechte folgen.
Im Rahmen des Dienstrechtsneuordnungsgesetzes
setzen wir uns für die Gleichstellung aller Bundesbeamten ein. Bei der Reform der Erbschaftsteuer sind wir
schon ein Stück weiter, denke ich; hoffe ich zumindest.
Hier stehen die Chancen meines Erachtens gut, dass wir
die bisherigen Nachteile grundsätzlich ausräumen können. Ich kann in diesem Zusammenhang nur an unseren
Koalitionspartner appellieren, den Widerstand gegen die
Beseitigung der Nachteile endlich aufzugeben.
({4})
Es nützt der Institution Ehe überhaupt nichts, wenn Sie
eingetragene Lebenspartnerschaften schlechter stellen.
({5})
Aufgabe der Politik ist es, willkürliche Benachteiligungen abzuschaffen. Diesen Kurs hat die SPD auch in
der Großen Koalition beibehalten und das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz durchgesetzt. Dabei haben wir
die Benachteiligung wegen der sexuellen Orientierung
nicht nur, wie von der EU vorgeschrieben, im arbeits18098
Angelika Graf ({6})
rechtlichen, sondern darüber hinaus auch im zivilrechtlichen Teil untersagt. Das war ein harter Kampf. Das wissen alle, die daran beteiligt waren. Wir haben damit
deutlich gemacht, dass eine Schlechterstellung von
Schwulen und Lesben in Deutschland nicht hingenommen wird, weder im Arbeitsleben noch bei Vertragsabschluss. Wir haben außerdem deutlich gemacht, dass
Diskriminierung keine Rangordnung und keine Hierarchie kennt.
Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt, dass das Europäische Parlament mit den Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion, der Grünen und der Liberalen den
Schutz vor Benachteiligung europaweit ausweiten
möchte, auch für das Merkmal sexuelle Orientierung.
Wir haben uns dafür bei Kommissionspräsident Barroso
eingesetzt und freuen uns, dass die EU-Kommission dieses Votum nicht ignoriert hat und einen entsprechenden
Richtlinienentwurf fertigt.
({7})
Damit würde eine Angleichung der Antidiskriminierungsvorschriften in der EU auf deutschem Niveau erfolgen. Deutschland wäre Vorbild für Europa.
Ich habe vorhin schon über die in diesem sensiblen
Themenbereich nötige Vorbildfunktion gesprochen. Die
Antidiskriminierungsstelle spielt hierbei meiner Ansicht
nach eine wichtige Rolle. Ich bedauere deshalb ausdrücklich die unglücklichen und missverständlichen Äußerungen der Leiterin dieser Stelle, Frau Dr. Köppen, in
der FAZ.
({8})
Nach meiner Auffassung ist es Aufgabe der Antidiskriminierungsstelle, den Diskriminierten entgegenzukommen und ihre Interessen wahrzunehmen.
({9})
Das macht man nicht dadurch, dass man sich trotz nachweislich ausgebliebener Prozessflut Vorbehalte der deutschen Wirtschaft öffentlich zu eigen macht, die sich
gegen die Ausweitung der EU-Richtlinie und eine Anpassung an das - wohlgemerkt - deutsche Niveau richten.
({10})
Für mich steht fest: Eine Politik, die Schwule und
Lesben zum Sündenbock für Probleme wie den Geburtenrückgang verantwortlich macht - man lese nur die
Leserbriefseiten mancher Zeitungen -, sorgt für ein
Klima der Intoleranz und befördert Gewalt gegen
sexuelle Minderheiten. Letztlich befördert eine solche
Politik auch Menschenrechtsverletzungen.
({11})
Das Zusammenspiel von Politik und gesellschaftlichen Auswirkungen wird besonders deutlich sichtbar,
wenn es um das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit geht. Der Kollege Beck hat darauf schon
hingewiesen. Ich bin deshalb sehr froh darüber, dass es
uns in der Großen Koalition gelungen ist, einen gemeinsamen Antrag zugunsten des weltweiten Rechts auf Meinungs- und Pressefreiheit zu verabschieden. Das war
gestern der Fall. Darüber freue ich mich ausdrücklich.
({12})
Das Recht, gegen Benachteiligungen die Stimme zu
erheben, ist nur ein Teil, wenn es um gleiche Rechte
geht. Bundesregierung und Bundestag müssen sich meiner Ansicht nach weiterhin vehement - so wie es in der
Vergangenheit der Fall war - mit einem klaren Nein zu
Benachteiligung, Ausgrenzung und Gewalt aufgrund sexueller Orientierung positionieren. Da sind wir uns,
denke ich, alle einig. Es gibt viele konkrete Punkte, an
denen man arbeiten kann und muss. Ein Teil dieser konkreten Punke steht in dem Entschließungsantrag, den
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
vorgelegt haben. Wir werden uns mit ihm und den anderen Punkten, die Sie in Ihren Anträgen aufgeschrieben
haben, sicherlich noch ausführlich im Ausschuss beschäftigten.
Zum Schluss noch einen Satz zu der Forderung nach
einem offiziellen Tag gegen Homophobie in Deutschland am 17. Mai. Einerseits ist sich, denke ich, sicherlich
kaum noch jemand von der heutigen jungen Generation
- ich spreche ausdrücklich von der jungen Generation der Symbolik dieses Datums bewusst.
({13})
Was § 175 des Strafgesetzbuches bedeutet hat, wissen
die Älteren und die schwul-lesbische Community, aber
andere Menschen wissen es meist nicht. Ich glaube, das
kann man mit einem Gedenktag nicht reparieren. Ich bedauere es, dass das niemand mehr weiß. Auf der anderen
Seite teile ich die Einschätzung des Kollegen Haibach.
Es gibt viele internationale Gedenktage, ohne dass diese
Tage ein deutsches Pendant haben. Heute ist zum Beispiel der Weltflüchtlingstag. Bei der Forderung nach
einem internationalen oder europäischen Tag gegen
Homophobie haben Sie mich persönlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, voll auf Ihrer Seite;
da bin ich anderer Meinung als Kollege Haibach. Aber
eine deutsche Entsprechung halte ich aus den vorgetragenen Gründen für nicht zielführend und lehne dies deshalb ab.
({14})
Deswegen werden wir diesem Antrag von Ihnen nicht
zustimmen.
({15})
Barbara Höll hat jetzt das Wort für die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Diskriminierung und Verfolgung von Menschen
aufgrund ihrer sexuellen Orientierung ist ein Unrecht genau wie Rassismus. Wir haben die Apartheid in Südafrika überwinden können. Wir werden
auch die Homophobie überwinden.
Diese Worte schrieb der Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu zum Geleit des kürzlich erschienenen Buches Sexuelle Vielfalt erlernen. Wenn wir
heute über die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgendern sprechen, tun wir dies im Wissen um die aktuellen Diskriminierungen und Verfolgungen. In vielen Teilen der Welt werden Menschen drangsaliert, verhaftet,
gefoltert oder gar ermordet, weil sie anders lieben.
Allein in sieben Staaten droht ihnen die Todesstrafe, in
80 lange Haftstrafen und selbst in einigen Ländern der
EU ist es ihnen verwehrt, zu demonstrieren. Grundlegendste Bürger- und Menschenrechte werden Lesben,
Schwulen und Transsexuellen vorenthalten, weil sie anders sind.
Der Kampf gegen diese Diskriminierungen ist international. Im Jahr 2006 setzten sich Expertinnen und Experten im indonesischen Yogyakarta zusammen. Sie
durchleuchteten die Menschenrechte unter dem Blickwinkel sexueller und geschlechtlicher Diskriminierung
und formulierten Prinzipien, die die Bürgerrechte sowie
die sozialen Rechte für Lesben, Schwule und Transgender stärken sollen.
Auf meine Anfrage an die Bundesregierung, wie sie
die Yogyakarta-Prinzipien bewertet, antwortete sie mir
überraschend positiv. Die Regierung versicherte, dass sie
sich auf internationaler Ebene seit Jahren konsequent gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten einsetzt. Gut, aber ich sage Ihnen: Sie als Bundesregierung
und wir als Bundesrepublik werden natürlich umso
glaubwürdiger und können umso besser international
agieren und mehr Gewicht erlangen, je besser die Situation im eigenen Lande ist.
({0})
Deshalb muss man bei der Diskussion über Diskriminierungen in anderen Ländern auch immer hier ins Land
schauen.
({1})
Es gibt nicht ein bisschen Gleichheit. Die eingetragene
Partnerschaft muss endlich mit der Ehe gleichgestellt
werden. Lesben und Schwule sind gleiche Staatsbürger.
Deshalb gibt es keinen Grund, sie im Steuerrecht, im Erbrecht und im Adoptionsrecht ungleich zu behandeln; das
aber tun wir.
({2})
Ein Fall wie der Maruko-Fall, in dem der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesregierung
aufgefordert hat, sie möge doch endlich die Diskriminierung von Lesben und Schwulen beenden, erhöht natürlich nicht unser Gewicht auf der internationalen Ebene,
wenn wir andere Staaten bewegen wollen, auf diesem
Gebiet etwas zu unternehmen.
Es gibt Nachbesserungsbedarf im Asylrecht und im
Flüchtlingsrecht. Der Status muss vielfach immer noch
vor Gericht erkämpft werden. Dort heißt es dann sogar
noch: Diejenigen, die sich in anderen Staaten offen als
schwul zu erkennen geben, hätten das ja nicht tun müssen. Dann wären sie auch nicht verfolgt worden.
({3})
Das ist doch absurd. Dagegen müssen wir etwas tun.
({4})
Wir müssen bei uns selbst anfangen, und das können wir
auch.
Frau Graf, leider ist in Rheinland-Pfalz, wo Herr
Beck Ministerpräsident ist, im Beamten- und Versorgungsrecht noch keine Angleichung erfolgt. Im Berliner
Abgeordnetenhaus hat der Rechtsausschuss am Mittwoch auf Initiative der Linken
({5})
- das geschah übrigens in Zusammenarbeit mit der SPD
und mit Unterstützung aller Fraktionen; das will ich hervorheben - entschieden, das sogar rückwirkend zu machen. Es wäre schön, wenn das in allen Bundesländern
geschehen könnte.
({6})
Nun noch kurz zum Antrag, einen Gedenktag zu begehen. Man muss sich einmal vergegenwärtigen: Von
diesem Pult in diesem Hohen Hause hätte ich das Wort
„schwul“ im Jahre 1987 noch nicht einmal in den Mund
nehmen dürfen. Dann hätte Frau Präsidentin sagen müssen, dass das verboten ist, da das kein parlamentarischer
Sprachgebrauch ist. Inzwischen ist das erlaubt. 1994 ist
der § 175 des Strafgesetzbuches aufgehoben worden; das
ist gut. Aber die Menschen, die damals aufgrund dieses
Paragrafen bestraft wurden, sind heute noch nicht rehabilitiert. Hier besteht noch Handlungsbedarf. Deshalb
unterstützen wir diesen Antrag, der an die Diskriminierung erinnern und das Problem der Homophobie, das in
unserer Gesellschaft immer noch verbreitet ist, ins Bewusstsein rücken soll.
Ich danke Ihnen.
({7})
Damit schließe ich die Aussprache.
Der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/9651 soll zur federfüh-
renden Beratung an den Ausschuss für Menschenrechte
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
und Humanitäre Hilfe und zur Mitberatung an den Aus-
wärtigen Ausschuss und den Ausschuss für die Ange-
legenheiten der Europäischen Union überwiesen wer-
den. - Damit sind Sie, wie ich sehe, einverstanden. Dann
ist das so beschlossen.
Ich komme zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Den 17.5. als offiziellen Tag gegen Homophobie
begehen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 16/9366, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/5291
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist die
Beschlussempfehlung bei Zustimmung der Großen Ko-
alition, bei Gegenstimmen des Bündnisses 90/Die Grü-
nen und der Linken und bei Enthaltung der FDP ange-
nommen.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/9603 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 c
auf:
a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Fakultativprotokoll
vom 25. Mai 2000 zum Übereinkommen über
die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf
von Kindern, die Kinderprostitution und die
Kinderpornografie
- Drucksache 16/3440 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({0})
- Drucksache 16/9644 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({1})
Christine Lambrecht
Wolfgang Nešković
b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des
Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern
und der Kinderpornografie
- Drucksache 16/3439 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({2})
- Drucksache 16/9646 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({3})
Christine Lambrecht
Wolfgang Nešković
c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des
Europarats vom 23. November 2001 über
Computerkriminalität
- Drucksache 16/7218 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({4})
- Drucksache 16/9645 Berichterstattung:
Abgeordnete Siegfried Kauder ({5})
Dirk Manzewski
Wolfgang Nešković
Zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und
der Kinderpornografie liegen ein Änderungsantrag des
Bündnisses 90/Die Grünen sowie ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. - Ich
sehe, dass Sie auch damit einverstanden sind. Es handelt
sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Siegfried Kauder ({6}), Helga
Lopez, Jörg van Essen, Wolfgang Nešković, Jerzy
Montag und Brigitte Zypries.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die
Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern,
die Kinderprostitution und die Kinderpornografie. Der
Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9644, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 16/3440 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen, bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und bei Enthaltung von FDP und
Linken angenommen.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates der Europäischen Union zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornografie.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9646, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/3439 in
der Ausschussfassung anzunehmen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen.
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache
16/9652? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Opposition und
Gegenstimmen der Koalition abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Zustimmung der
Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/9653. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? - Gegenstimmen? - Enthaltungen? Der Entschließungsantrag ist bei Zustimmung von
Linken und FDP, Gegenstimmen der Koalition und Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Übereinkommen des Europarates vom 23. November 2001 über Computerkriminalität.
Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/9645, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7218 anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung der
Koalition und Ablehnung der Opposition angenommen.
({7})
- Können wir den Witz bitte zu Protokoll nehmen, damit
ich ihn auch erfahre?
({8})
- Das haben Sie gut gemacht. Das kann natürlich niemand ausschlagen.
({9})
- Ich habe gelesen, man kann auch in Tracht kommen.
({10})
Nichtsdestotrotz würde ich jetzt gerne Tagesordnungspunkt 33 aufrufen:
Beratung des Antrags der Abgeordneten HansMichael Goldmann, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, Mechthild Dyckmans, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Verbraucherschutz beim Telefonmarketing
verbessern - Callcenter erhalten
- Drucksache 16/8544 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({11})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Wiederum wird interfraktionell vorgeschlagen, die
Reden zu Protokoll zu geben. - Damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich um die Reden der Kolleginnen
und Kollegen Dr. Günter Krings, Dirk Manzewski,
Hans-Michael Goldmann, Karin Binder, Nicole Maisch
und Brigitte Zypries.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8544 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. - Damit sind Sie einverstanden. Dann ist es so beschlossen.
Wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. Juni 2008, 13 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.