Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen. - Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Bericht zur Welternährungslage - Globale Ernährungssicherung durch nachhaltige Entwicklung und Agrarwirtschaft.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für besondere Aufgaben,
Dr. Thomas de Maizière.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat den genannten Bericht heute in der Tat
beschlossen. Er ist unter Beteiligung international renommierter Fachleute zustande gekommen.
Der Bericht umfasst zwei Teile: eine Ursachenanalyse
und Handlungsempfehlungen. Die Ursachen der globalen Nahrungsmittelpreissteigerung können in kurzfristige und längerfristige Ursachen unterteilt werden.
Zu den kurzfristigen Ursachen: Wir hatten weltweit
wetterungsbedingte Produktionsausfälle, insbesondere
im Getreidebereich. Die steigenden Rohölpreise verteuern die Agrarproduktion; die Weltbank schätzt den Einfluss steigender Energiepreise auf die Preissteigerung
bei Agrarrohstoffen auf circa 15 Prozent. Die Lagerbestände nehmen ab, wir haben den niedrigsten Stand seit
30 Jahren. Die Entwicklung auf den Finanzmärkten zeigt
Wirkung: Vor dem Hintergrund der Finanzmarktkrise
werden Finanzanlagen in Agrarrohstoffe interessant.
Viele Länder, insbesondere starke Exportländer, haben
Exportzölle und -beschränkungen eingeführt. Die von
der Nahrungsmittelkrise besonders betroffenen Staaten
verfügen nicht über Haushaltsreserven und soziale
Sicherheitsnetze.
Zu den langfristigen Ursachen: Die qualitative Nachfrage nach Lebensmitteln hat sich verändert. Ein Beispiel: Der Pro-Kopf-Fleischkonsum hat sich in China in
den letzten 15 Jahren verdoppelt. Das globale Bevölkerungswachstum wirkt sich aus: Die Weltbevölkerung
wächst jährlich um etwa 80 Millionen Menschen. Daraus ergibt sich ein Mehrbedarf an Lebensmitteln von
etwa 1,6 Prozent. In vielen Entwicklungsländern wurde
der Agrarsektor in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt. Die Nachfrage nach Agrarrohstoffen für die
Bioenergieerzeugung wächst. Global betrachtet werden
zwar auf nur 1,7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Pflanzen für die Bioenergieerzeugung angebaut,
regional kommt es jedoch zu einer Nutzungskonkurrenz,
wie das Beispiel Mexiko zeigt.
An dieser Stelle möchte ich sagen, dass Preissteigerungen auch Chancen bieten: Die Bauern erzielen höhere
Erlöse, und Entwicklungsländer erzielen durch den
Export höhere Einkünfte. Insofern ist diese Entwicklung
nicht ausschließlich negativ zu betrachten. Das Ausmaß
und die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die Armen sind in bestimmten Regionen aber besorgniserregend. Die Versorgungslage hat sich insoweit verschärft.
Es wird eine Menge getan. In dem Bericht wird das im
Einzelnen ausgeführt.
Wir halten weitere kurzfristige und mittelfristige
Maßnahmen für erforderlich:
Weil das Problem akut ist, muss kurzfristig Nahrungsmittelhilfe geleistet werden. Die Bundesregierung hat
ihre finanzielle Unterstützung um 23 Millionen Euro erhöht. Diese Nahrungsmittelhilfe muss allerdings auf
wirkliche Krisensituationen begrenzt bleiben, und wir
müssen darauf achten, dass das Geld bei den Betroffenen
ankommt. Wir müssen zweitens darauf achten, dass die
Grundlagen für einen verbesserten Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln - ich nenne Saatgut, Düngemittel und Technik - geschaffen werden, damit die
Ernte des nächsten Jahres nicht gefährdet wird.
Die Bundesregierung fordert die betroffenen Länder
auf, ihre Exportbeschränkungen aufzuheben, und wird
sich im Kreise der EU und der G 8 dafür einsetzen. Wir
möchten, dass die Doha-Runde in diesem Jahr abgeschlossen wird, um den internationalen Handel bei
Redetext
Agrarexporten zu begünstigen. Wir müssen die Haushalts- und Zahlungsbilanzungleichgewichte in der Welt
bekämpfen.
Langfristig wollen wir das Frühwarnsystem verbessern, damit man nicht überrascht wird. Institutionelle
und rechtliche Rahmenbedingungen in den Entwicklungsländern müssen verbessert werden. Dazu gehören
Maßnahmen zur Gewährleistung und Verbesserung der
Rechtssicherheit, zum Aufbau effizienter Verwaltungsstrukturen und zur Schaffung von Markt- und Preistransparenz. Schließlich wollen wir die landwirtschaftliche
Produktion steigern. Die internationale Gebergemeinschaft ist gefordert, mit Zuschüssen und Krediten - mit
klaren Zielvorgaben für die Reduktion von Hunger und
Armut - die Investitionen in die Landwirtschaft und in
die ländliche Entwicklung zu fördern.
Die Agrarforschung muss intensiviert werden. Dazu
gehört ein verstärkter Dialog über Chancen und Grenzen
einer verantwortungsvollen Nutzung der Grünen Gentechnik. Die Bundesregierung wird einen Forschungsrat
Bioökonomie bei der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften einrichten. Wir wollen Nutzungskonkurrenzen vermeiden. Wir wollen also einen verantwortungsbewussten Ausbau der Bioenergie, aber unter der
Bedingung verbindlicher Nachhaltigkeitsstandards und
unter der Vermeidung von Nutzungskonkurrenzen, das
heißt insbesondere eine Konzentration auf die Biokraftstoffe der zweiten Generation. Die Agrarpolitik soll stärker an den Märkten orientiert werden. Die Klimaschutzpolitik und die Biodiversitätspolitik spielen bei der
langfristigen Ursachenbekämpfung eine entscheidende
Rolle.
Ich darf abschließend feststellen, dass wir mit diesem
Papier natürlich nicht alle Probleme lösen, aber eine, wie
wir meinen, zuverlässige und seriöse Beschreibung der
Ursachen bieten und Handlungsempfehlungen für die
Zukunft geben. Mit dieser Strategie wird die Bundesregierung, wird die Bundeskanzlerin morgen auf dem Europäischen Rat und im Juli beim G-8-Gipfel in Japan
ihre Position vertreten.
Vielen Dank, Herr Minister. - Es haben sich nun zahlreiche Kollegen gemeldet. Ich verlasse mich auf Frau
Klöckner, die mir als Schriftführerin alle Wortmeldungen in der entsprechenden Reihenfolge aufgeschrieben
hat. Wir fangen mit Kollegen Bleser von der CDU/CSUFraktion an.
({0})
Zunächst einmal herzlichen Dank und Gratulation zugleich dafür, dass sich die Bundesregierung als eine der
ersten auf der Welt mit dieser zentralen Frage unserer
Zukunft beschäftigt und das Thema auf dem G-8-Gipfel
in Japan vertieft zur Sprache bringen will. Ich habe
einige Fragen, zu denen ich von Ihnen gern Antworten
hätte, insbesondere zu folgender Frage: Welche Möglichkeiten zur Steigerung des Potenzials sehen Sie
angesichts wachsender Bevölkerung - das haben Sie ja
richtig geschildert -, angesichts zunehmenden Flächenbedarfs für Infrastruktur und gleichzeitig veränderten Ernährungsverhaltens der Menschen sowie vor dem Hintergrund, dass auch Wasser zunehmend ein begrenzter
Faktor sein wird?
Herr Abgeordneter Bleser, ich habe ja eingangs vorgetragen, dass wir ein jährliches Wachstum der Weltbevölkerung in Höhe von ungefähr 80 Millionen Menschen, ein Nachfragewachstum in Höhe von 1,6 Prozent
und in den Entwicklungsländern einen Produktivitätsfortschritt von nur 1 Prozent haben. Diese Kluft zeigt,
dass wir ein Problem haben. Dies berücksichtigt noch
nicht einmal veränderte Ernährungsgewohnheiten in vielen Staaten, etwa eine zweite warme Mahlzeit, und vieles andere mehr.
Wie lässt sich das Problem lösen? Zunächst sind die
vernachlässigten Anbauflächen zu reaktivieren; das gilt
insbesondere für viele Entwicklungsländer. Aufgrund
der Anreizsysteme musste man sich nicht auf die landwirtschaftlichen Flächen konzentrieren. Es liegt im Interesse der Entwicklungsländer, dies zu ändern. Der Produktivitätsfortschritt kann und muss erhöht werden. Wir
wollen die Forschung verbessern. Ich habe bewusst einen Satz zur Grünen Gentechnik gesagt; in diese Richtung zielt ja eventuell auch Ihre Frage. Ich glaube in der
Tat, dass man zunächst mit klassischen Methoden, Saatforschung und Ähnlichem, dazu beitragen kann, Pflanzen zu züchten, die in trockenen Gebieten besser wachsen als bisher. Als Bundesregierung glauben wir, dass in
einem Dialog über Chancen und Grenzen auch die
Grüne Gentechnik eine Rolle spielen sollte.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ulrike Höfken.
Vielen Dank für Ihren Bericht. Auch der Weltagrarbericht mit dem schönen Kürzel IAASTD hat sich dieser
Frage angenommen. In dem Bericht wird davon ausgegangen, dass eben nicht die Quantität, sondern die ungerechte Verteilung der weltweit zur Verfügung stehenden
Lebensmittel der Grund dafür ist, dass 850 Millionen
Menschen hungern. Auch die Konflikte in vielen Ländern tragen dazu bei. Ein weiterer Grund ist die europäische Agrarpolitik.
Sie haben gerade auf die Grüne Gentechnik verwiesen. In dem Weltagrarbericht findet in diesem Punkt eine
Abgrenzung statt. Es heißt darin, dass eine nachhaltige,
umweltverträgliche und bäuerliche Landwirtschaft die
einzig dauerhafte Lösung für die Welternährungsprobleme sei. Ich frage Sie: Inwieweit werden Sie diesen
Bericht auch in Bezug auf die G 8 einbeziehen? Inwieweit werden Sie dem andauernden Kampf einzelner
Konzerne, zum Beispiel Monsanto, Bayer und BASF,
um die Vormachtstellung auf den Weltmärkten durch Patente Einhalt gebieten? Inwieweit werden Sie daraus
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister für besondere AufgabenBundesminister Dr. Thomas de Maizière
Schlussfolgerungen für unsere Politik in diesem Bereich
ziehen, zum Beispiel in Bezug auf die EU-Patentrichtlinien?
Frau Abgeordnete, als ich in die Schule gegangen bin,
habe ich gelernt: Wenn die Zahl der Menschen auf der
Welt auf 2 Milliarden angewachsen ist, dann können die
Menschen nicht mehr ernährt werden. - Inzwischen ist
diese Zahl überschritten. Aber trotz Hungersnöten gibt
es für die Welternährung viel mehr Chancen und Reserven, als wir noch vor 20 oder 30 Jahren vermutet haben.
Es gibt keine einfache Ursache. Das, was Sie beschrieben haben, ist zwar ein Element, aber es ist eben
nicht das einzige Element. Deswegen sind die Konsequenzen, mit denen das Ziel verfolgt wird, die Welternährung zu sichern, nicht eindimensional. Vielmehr
brauchen wir einen Ansatz, der verschiedene Elemente
miteinander verbindet. Wir brauchen in bestimmten Ländern, wie Sie es gesagt haben, kleinbäuerliche Strukturen mit eng begrenzter Wertschöpfung und regionalen
Kreisläufen; das ist wahr. Aber wenn wir nur das hätten,
würden wir damit die Welternährungskrise nicht lösen.
Wir brauchen den Welthandel. Wir brauchen den Zugang von Nahrungsmitteln aus Entwicklungsländern in
unsere Regionen, sonst werden diese Länder nie Exportchancen bekommen; das gehört dazu. Wir brauchen
echte Produktivitätsfortschritte. Es hilft also nur ein
Bündel von Maßnahmen, um diese Krise zu lösen.
Dazu gehören auch Wettbewerbsstrukturen. Natürlich
sind wir gegen Monopolstrukturen, von welcher Firma
auch immer. Deswegen glauben wir, dass Wettbewerbsstrukturen durch einen erfolgreichen Abschluss der
Doha-Runde, wenn er denn zustande kommt, gefördert
und nicht behindert werden. Die europäische Landwirtschaftspolitik hat dazu ihren Beitrag geleistet und Exportsubventionen abgebaut. Es gibt keinerlei Restriktionen für den Import von Produkten aus den ärmsten
Ländern der Welt. Man kann zwar sagen, dass das noch
nicht reicht, und das kritisieren. Aber der Weg, den die
europäische Politik auch mit Blick auf die Welternährungskrise eingeschlagen hat und weiterhin verfolgt, ist
richtig.
Die nächste Frage hat die Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan.
Herr Bundesminister, das allgemeine Lob auf die
Bundesregierung haben wir inzwischen zur Kenntnis genommen. Ich möchte anfügen, wie sehr ich es bedauere,
dass Bundesernährungsminister Seehofer seine Teilnahme am Ernährungsgipfel der FAO in Rom sehr kurzfristig abgesagt hat, was meines Erachtens für die internationale Staatengemeinschaft kein gutes Zeichen
gewesen ist.
Ich freue mich über Ihre Ausführungen zur Grünen
Gentechnik. Dennoch möchte ich nachfragen, in welcher
Weise die Bundesregierung diesen Worten zur Grünen
Gentechnik konkrete Taten folgen lassen wird, in welcher Weise sie die Forderung der afrikanischen Länder
nach einer zweiten grünen Revolution auch durch praktisches Handeln unterstützt und dafür sorgt, dass sie neue
Produkte, die sie entwickelt haben, auch tatsächlich nach
Deutschland bzw. in die EU importieren dürfen und in
welcher Weise sie sich darum bemüht, die Ausbildungssituation der Ärmsten in diesen Ländern, nämlich der
Bauern, zu verbessern, damit auch sie aus den Erkenntnissen, die in modernen Industriestaaten im Bereich der
Landwirtschaft gewonnen worden sind, Nutzen ziehen
können.
Frau Abgeordnete, zunächst einmal Folgendes: Man
könnte sich durchaus wundern, warum gerade ich mich
hier zu diesem Thema äußere.
({0})
Das liegt daran, dass dieses Thema in seiner Gesamtheit
ein Thema ist, für das nicht allein der Landwirtschaftsminister oder Bundesministerin Wieczorek-Zeul zuständig
ist, sondern das auch die Bereiche Forschung, Wirtschaft
und Außenpolitik betrifft. Das, was ich vorgetragen
habe, ist ein Gemeinschaftswerk.
Bundesministerin Wieczorek-Zeul hat auf der internationalen Konferenz, von der die Rede war, die Position
der Bundesregierung vertreten, auch im Namen von
Bundesminister Seehofer. Auf vielen internationalen
Konferenzen ist es so, dass ein Mitglied der Bundesregierung die Position der Bundesregierung insgesamt
vertritt. Es kann aber schon bei der nächsten Konferenz
umgekehrt sein: dass Herr Seehofer die Position von
Frau Wieczorek-Zeul vertritt.
Was die Grüne Gentechnik angeht, so habe ich im Bericht ganz bewusst eine bestimmte Formulierung gewählt; ich habe sie gerade bereits wiederholt. Ich will es
etwas deutlicher sagen: Die Begeisterung für die Grüne
Gentechnik ist nicht bei allen Mitgliedern der Bundesregierung gleich ausgeprägt.
({1})
Das, was ich vorgetragen habe, ist die gemeinsame Position der Bundesregierung; das ist alles, was ich an dieser
Stelle sagen kann. Denn wir vertreten hier wie immer die
geschlossene Position der Bundesregierung.
({2})
Zur Ausbildungshilfe. Im Bericht wurde darauf hingewiesen, dass die Beratungshilfe vor Ort verstärkt werden soll. Das gilt nicht nur für die Beratung der Regierungen, sondern auch für die Beratung der Landwirte,
der Genossenschaften, die dort arbeiten, und in anderen
Bereichen. Das ist ein Teil der Maßnahmen, die wir anregen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Dr. Kirsten
Tackmann.
Vielen Dank, Herr Bundesminister, für Ihren Bericht.
Nicht nur Horst Seehofer war nicht in Rom, sondern
auch Frau Merkel.
({0})
Andere Staatspräsidenten und Staatschefs haben den
Weg dorthin allerdings gefunden. Insofern ist dieser Kritikpunkt vielleicht nicht ganz unwichtig. Nichtsdestotrotz begrüßen wir es sehr, dass diese Angelegenheit hier
und heute Thema ist.
Sie hatten vorhin gesagt, die Agrarpolitik müsse sich
stärker am Markt orientieren. In der Analyse, die Sie
vorgetragen haben, fehlte mir allerdings ein wichtiges
Argument: Was den Weltmarkt betrifft, sind - neben vielen anderen Aspekten, in denen ich Ihre Analyse teilen
würde - vor allen Dingen die Spekulationen bei den
Agrarrohstoffen und Bodenpreisen ein Teil des großen
Problems. Spricht das nicht gerade dagegen, die Lage
jetzt durch Exportoffensiven und ähnliche Maßnahmen
noch weiter zu erschweren?
Die Analyse des Weltagrarrates ist bereits erwähnt
worden, und auf der FAO-Konferenz wurde das genaue
Gegenteil empfohlen, nämlich die Stärkung der lokalen
Märkte. Außerdem ist die Rolle der Frauen bei der Suche nach einer Lösung des Welthungerproblems zu berücksichtigen. Es handelt sich dabei vor allem um ein
Problem der Vor-Ort-Produktion und der Verteilung der
Lebensmittel, nicht in erster Linie um das Problem, dass
nicht genug Lebensmittel zur Verfügung stehen. Wie beurteilt die Bundesregierung diese Strategie? Wie könnte
sie hinsichtlich der Verteilung der Mittel für die Entwicklungshilfe und die Entwicklungszusammenarbeit
gegebenenfalls agieren?
Frau Abgeordnete, die Reisepläne der Bundeskanzlerin möchte die Bundesregierung schon selbst bestimmen. Übrigens habe ich angesichts der Äußerungen Ihrer
Fraktion in der Vergangenheit eher die Tendenz verspürt,
dass sie lieber nicht so viel reisen sollte.
({0})
Wie auch immer: Sie wird zum EU-Rat und nach Japan
reisen; auch dort wird über dieses Thema diskutiert werden. Sie haben recht: Etliche Regierungschefs waren in
Rom, aber nicht die Regierungschefs aller EU-Staaten.
Zu Ihrer Frage; ich habe eingangs bereits erwähnt,
dass im Bericht eine entsprechende Passage zu finden
ist. Ja, es stimmt: Im Rahmen der Finanzmarktkrise in
den Vereinigten Staaten ist von Finanzinvestoren Geld
investiert worden, in Öl, aber auch in Agrarrohstoffe. Es
ist wahr: Sowohl beim Ölpreis auch als bei den Agrarpreisen gibt es einen gewissen spekulativen Anteil. Wir
haben uns bemüht, herauszubekommen, wie hoch dieser
Anteil sein könnte. Die Experten, mit denen wir gesprochen haben, haben uns gesagt: Wir wissen es nicht genau, das kann man nur schätzen. Ohnehin weiß man
nicht, wie sich die kurzfristigen und die langfristigen Ursachen für Preiserhöhungen konkret auswirken. Bestimmte Preise sind gestiegen, andere nicht, wieder andere sind gleich geblieben. Der Schweinefleischpreis ist
weltweit gleich geblieben, der Zuckerpreis ist gesunken,
der Preis für Öle und Getreide ist gestiegen. Warum das
so ist, kann wahrscheinlich niemand beurteilen.
Die Frage ist: Was kann man machen? Die Antwort
lautet: relativ wenig. Mit keinem Mittel der Welt kann
man internationale Investoren davon abhalten, da zu
investieren, wo sie eine hohe Rendite erwarten. In der
Regel profitieren wir übrigens davon in der weltweiten
Wirtschaft, in der Globalisierung, in der wir uns befinden. Natürlich müssen Überhitzungen vermieden werden; das wird jetzt beim Öl passieren. Wenn jetzt allerdings die Hauptexportländer - fünf, sechs Länder
produzieren 50 Prozent des Getreides der Welt - aus
Sorge, dass sie ihre eigene Bevölkerung nicht satt bekommen, unabgestimmt Exportbeschränkungen erlassen, zerstört das natürlich den Markt. Deswegen sollen
Maßnahmen zum Abbau von Exportbeschränkungen
dazu führen, dass der Spekulationsanteil geringer wird.
Was die Frauen angeht, habe ich schon eingangs erwähnt, dass insbesondere die Entwicklungsländer funktionierende ländliche Wirtschaftskreisläufe brauchen.
Diese Wirtschaftskreisläufe müssen wiederbelebt werden. Das geänderte Ernährungsverhalten hängt auch damit zusammen, dass mehr Menschen in der Stadt wohnen. In der Stadt ist das Ernährungsverhalten offenbar
anders als auf dem Land: Es wird mehr Fleisch gegessen, es werden mehr Eiweißprodukte gegessen. Nun
kann die Bundesregierung die Menschen nicht dazu bewegen, wieder aufs Land zu ziehen. Wir wollen aber den
Zuzug in die Stadt, weil es auf dem Land keine Arbeit
gibt, vermindern, indem wir regionale Kreisläufe in den
ländlichen Gebieten wieder befördern. Das hilft auch
den Frauen, die dann in der Landwirtschaft arbeiten können.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Dr. Peter Jahr.
Herr Minister, ich bin der Bundesregierung sehr
dankbar, dass sie sich mit dem Thema Welternährung
beschäftigt. Das ist ganz wichtig; denn zu dieser Problematik gibt es zurzeit viele Wahrheiten. Ich verspreche
mir vom Beginn dieser Debatte, dass die Enden wieder
zusammengeführt werden.
Es könnte so einfach sein! Steigende Preise bedeuten
ja nicht nur, dass der Verbraucher mehr bezahlen muss,
sie können ja auch bedeuten, dass der Landwirt mehr beDr. Peter Jahr
kommt. Das ist - Sie haben das schon gesagt - eine
Chance für eine regional angepasste Landwirtschaft in
den Entwicklungsländern.
Meine Fragen, die sich daran anschließen, sind: Sollte
sich die Entwicklungspolitik, die Entwicklungshilfe der
Bundesregierung nicht noch mehr auf die Entwicklung
einheimischer, regional angepasster Landwirtschaft in
den Entwicklungsländern konzentrieren?
Zweitens. Sind Sie mit mir der Auffassung, dass es
dabei nicht nur um Geld geht, sondern dass man dabei
auch über einen Know-how-Transfer sprechen muss,
dass man Menschen und Methoden austauschen muss?
Sie haben darauf hingewiesen, dass es dabei auch um die
Sicherung der politischen Stabilität in diesen Ländern
geht. Wir wissen ja: Die Landwirtschaft findet unter
freiem Himmel statt. Das Wichtigste, was der Bauer
braucht, sind politische Stabilität und Frieden.
Herr Abgeordneter, ich kann alle Fragen mit Ja beantworten. Frau Wieczorek-Zeul hat heute schon gesagt,
dass der Schwerpunkt in diese Richtung verlagert werden soll. Das geht aber nicht allein, das muss im Dialog
mit den Entwicklungsländern passieren, dazu brauchen
wir Partner. Von besonderer Bedeutung sind dabei die
internationalen Organisationen, die in den Entwicklungsländern arbeiten: die FAO, die europäischen Banken, die international und regional tätigen Banken.
Wir können uns auch vorstellen, bestimmte Maßnahmen mit Auflagen zu verbinden. So kann man gegebenenfalls mit Nahrungsmittelgutscheinen operieren, damit die arme Bevölkerung an die Nahrungsmittel kommt
und sich nicht Zwischenhändler, von denen man nicht
genau weiß, wie ihre Interessenlagen sind, die Taschen
vollstopfen.
All das finden Sie in dem Bericht. Das geht aber nur
Schritt für Schritt. Es gibt ärmste Länder, die unter den
Regeln der Good Governance ganz gut dastehen, leider
gibt es aber eben auch den umgekehrten Fall. Deswegen
muss das mit einer Mischung aus Fördern und Fordern
verbunden werden. Frau Wieczorek-Zeul hat das vor.
Das Wort zur nächsten Frage hat die Kollegin
Cornelia Behm.
Mit Befremden musste ich vor circa zwei Stunden bei
der Vorstellung des Berichts des Weltagrarrates durch
den Co-Chair, Herrn Herren, feststellen, dass sich die
Bundesregierung an der Erstellung dieses Berichts im
Gegensatz zu zahlreichen anderen - auch europäischen Regierungen nicht beteiligt hat.
Meine Frage lautet nun, inwieweit die Bereitschaft
der Bundesregierung besteht, sich noch vor dem G-8Gipfel mit diesem aus meiner Sicht sehr wichtigen und
sehr weitsichtigen Bericht auseinanderzusetzen, damit
vor dem G-8-Gipfel gegebenenfalls noch Anregungen
aus diesem Bericht in die Position der Bundesregierung
einfließen können.
Die Bundesregierung wird sich mit allen zusätzlichen
und interessanten Berichten und Informationen befassen auch vor dem G-8-Gipfel.
Dies ist ja nun keine in Stein gemeißelte Position, anhand derer man die Probleme in den nächsten zehn Jahren abarbeitet, sondern das ist eine Positionsbestimmung
verbunden mit einer Ursachenbeschreibung und Handlungsempfehlung. Diese werden immer an unsere neuen
Erkenntnisse angepasst.
Zu den gerade erwähnten zusätzlichen und interessanten Informationen mag auch gerne dieser Bericht gehören, den ich persönlich allerdings nicht kenne.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Karl Addicks.
Danke, Herr Präsident. - Herr Bundesminister, Sie
haben uns gerade ein Maßnahmenbündel genannt, mit
dem Sie auf die derzeitige Krise reagieren wollen. Dazu
möchte ich Sie fragen: Wie, durch welche Arbeitsteilung
und mit welchem Zeithorizont wollen Sie die vorgeschriebenen Maßnahmen konkret umsetzen?
Daran sind ja verschiedene Ressorts beteiligt. Ich
sehe hier jetzt eine Vertreterin des Landwirtschaftsministeriums und den Kanzleramtsminister. Vertreter des
BMZ zum Beispiel kann ich hier auf der Regierungsbank im Moment aber nicht erblicken. Das scheint mir
ein schlechtes Zeichen hinsichtlich der Umsetzung dieser Maßnahmen zu sein.
Ich habe noch eine weitergehende Frage: Wie sollen
Maßnahmen auf multilateraler Ebene umgesetzt werden,
mit deren Vereinbarung Sie in Rom gerade im Grunde
genommen gescheitert sind?
Ich bin mir sicher, dass sich Frau Wieczorek-Zeul
heute sehr gut durch mich vertreten fühlt. Das muss sie
durch ihre Anwesenheit oder die Anwesenheit eines Parlamentarischen Staatssekretärs nicht noch zusätzlich unterstreichen. Wir arbeiten hier sehr gut zusammen.
Zur Umsetzung im Einzelnen. In der Langfassung des
Berichts finden Sie die entsprechenden Schritte dargestellt. Wir unterstützen die Initiative des UN-Generalsekretärs in diesem Zusammenhang. Durch die verschiedenen Ressorts sind wir auf den internationalen Foren
vertreten. Jedes Ressort trägt hier einen Teil der Verantwortung. Deswegen bedarf es keiner weiteren organisatorischen Veränderung. Wir arbeiten gut zusammen. Jeder fühlt sich innerhalb seiner Ressortverantwortung
dieser gemeinsamen Handlungsempfehlung verpflichtet.
Die nächste Frage hat der Kollege Johannes Röring
von der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Staatsminister, plant die Bundesregierung vor
dem Hintergrund der auch von Ihnen geschilderten stark
wachsenden Nachfrage nach Agrarrohstoffen für Nahrung und Energie eine Umschichtung der Entwicklungshilfemittel zugunsten der Steigerung der Agrarproduktion in den Entwicklungsländern und der Entwicklung in
den ländlichen Räumen?
Die Antwort ist: Ja. In meinen Unterlagen steht die
genaue Zahl. Ich habe im Kopf, dass wir 500 Millionen
Euro umschichten - wir stellen sie also nicht zusätzlich
zur Verfügung -, um für diese Maßnahmen zusätzliche
Mittel bereitzustellen.
Innerhalb der Etats der Bundesregierung und auch innerhalb des Etats des BMZ wird also umgeschichtet. Im
Etat des BMZ wurde der Grundbeitrag für das Welternährungsprogramm auf 23 Millionen Euro festgelegt.
Eine zusätzliche, den Gesamthaushalt belastende Haushaltssumme ist aber nicht vorgesehen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Thilo Hoppe.
Herr Minister, ich möchte zunächst betonen, dass es
sehr gut und begrüßenswert ist, dass sich die Regierung
um einen ressortübergreifenden kohärenten Ansatz bemüht. Ich habe am Welternährungsgipfel in Rom teilgenommen, auf dem Ministerin Wieczorek-Zeul eine bemerkenswerte Rede gehalten und ganz besonders die
entwicklungsschädliche Dimension der Agrarexportsubventionen angeprangert hat.
Gleichzeitig aber hat sich Deutschland dafür eingesetzt, dass die Exporterstattungen für Schweinefleisch
- auch für den Export nach Afrika - wieder eingeführt
werden. Wie passt das zusammen? Ist dieses Kohärenzproblem in der Bundesregierung diskutiert worden?
Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis möchte ich gerne
noch die Antwort zu der Frage vorhin präzisieren.
Bitte schön.
Die Bundesregierung wird alleine in diesem Jahr im
Rahmen ihrer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
insgesamt 500 Millionen Euro in die Ernährungssicherung in Entwicklungsländern investieren. Mit diesen
Neuzusagen trägt die Bundesregierung dazu bei, die unmittelbare Versorgung der Familien, die sich heute in einer besonderen Krise befinden, sicherzustellen. Die Bereiche ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und
soziale Sicherungssysteme werden kurzfristig noch stärker in den Fokus rücken.
Das ist die Antwort auf die eben gestellte Frage. Sie
können das auf Seite 30 des Berichts zur Welternährungslage nachlesen. Ich habe das vorhin auf die
Schnelle nicht gefunden.
Zu Ihrer Frage: Das Verhalten der Bundesregierung
ist immer konsistent und in sich stimmig.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin Marlene Mortler.
Sehr geehrter Herr Minister, in dem landwirtschaftlichen Berufsstand gibt es seit vielen Jahren ein sehr erfolgreiches Programm zum Praktikantenaustausch mit
den osteuropäischen Ländern. Plant die Bundesregierung Ähnliches - Stichwort: Wissens- und Technologietransfer - vor allem mit Asien und Afrika? Das würde
ich sehr begrüßen.
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung unterstützt in
der Tat insbesondere die Ausbildung von Fachkräften
vor Ort. Dieser Wissens- und Technologietransfer soll
durch gemeinsame Projekte vertieft werden. Insbesondere die Erfahrung aus den von Ihnen genannten gemeinsamen Projekten mit osteuropäischen Staaten soll
genutzt werden, soweit die Übertragung auf Länder
Asiens und Afrikas sinnvoll ist. In diesem Zusammenhang soll auch die Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen verstärkt werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Bärbel Höhn.
Herr Minister, eben wurde bereits eine Frage nach
den Spekulationen gestellt, auf die Sie geantwortet haben, da könne man wenig machen. Problematisch sind
aber Spekulationen, wie sie an den Warenterminbörsen
besonders stark verbreitet sind. Deshalb wird - auch in
den USA - geprüft, inwieweit Kontrollen und Transparenzregeln, wie es sie bereits für die normalen Börsen
gibt, eingeführt werden können und ob man über eine
Umsatzsteuer die Spekulanten ein Stück vom Markt verdrängen kann.
Wie steht die Bundesregierung dazu, und wird sie
diese Frage, die auch international von Bedeutung ist,
auf dem G-8-Gipfel thematisieren?
Frau Abgeordnete Höhn, wir haben beim letzten G-8Gipfel, bei dem wir die Gastgeber waren, eine Initiative
zur Verbesserung der Transparenz auf den internationalen Finanzmärkten ergriffen. Wie Sie wissen, hielt sich
das Echo der G-8-Partner seinerzeit in überschaubaren
Grenzen. Das änderte sich schlagartig, als im Sommer
letzten Jahres die Finanzkrise offenbar wurde. Daraufhin
hat unsere Initiative ziemlich viel Unterstützung auch
durch die Briten und Amerikaner - interessanterweise
auch durch die amerikanische Industrie; der Bankensektor verhielt sich zunächst zögerlich - gefunden. Diese
Transparenzinitiativen setzen wir fort. Sie werden auch
Gegenstand des G-8-Gipfels sein.
Daran, ob die Einführung einer zusätzlichen internationalen Umsatzsteuer in diesem Zusammenhang hilfreich ist, habe ich allerdings meine Zweifel.
Wegen Zeitablaufs kann ich nur noch eine Frage zulassen.
Bitte, Kollegin Sibylle Pfeiffer.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, in vielen Entwicklungsländern besitzt der Staat oder besitzen
viele Feudalherren Land. Man kann das sehr wohl pachten. Der Pachtzins beträgt meistens Zweidrittel nicht des
Ertrags, sondern der kompletten Ernte. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu sehen, dass Frauen in der
ländlichen Entwicklung eine Hauptrolle spielen. Aber
der Landbesitz ist für Frauen in diesen Ländern sehr viel
schwieriger als für Männer. Das Erbrecht ist das entscheidende Thema. Frauen dürfen in der Regel nicht erben, so auch keinen Landbesitz. Teil von Good Governance ist - das ist der politische Wille -, den Menschen
Eigentum zukommen zu lassen. Auf diese Art und Weise
können wir die Eigenverantwortung der Menschen stärken. Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn wir über Landbesitz reden. Im Rahmen von Good Governance müssten
dafür entsprechende Strukturen - auch föderale - geschaffen werden. Ist auch dies Teil der Überlegungen der
Bundesregierung?
Im Rahmen von Good Governance wird darüber ein
Dialog geführt. Eine spezielle Aussage zum Landbesitz
lässt sich in dem Bericht zur Welternährungslage allerdings nicht finden. Ich will die Anregung aber gerne aufgreifen. Wir werden dies intensivieren und dem nachgehen. Natürlich muss man sehen, dass die Traditionen der
Länder bei den Eigentumsstrukturen unterschiedlich
sind. Diese Strukturen waren im Laufe der Jahrhunderte
in den einzelnen Regionen Deutschlands ebenfalls unterschiedlich. Es gab große und kleine Besitztümer. Auch
in Deutschland war die Erbfolge über Jahrhunderte unterschiedlich, mit verschiedenen Auswirkungen auf die
Landwirtschaftsstrukturen. Ich wage zu bezweifeln, dass
wir wissen können, welche Eigentumsstrukturen vor
dem Hintergrund jahrhundertealter Traditionen in den
verschiedenen Ländern richtig sind. Sicherlich wollen
wir, dass die Fläche demjenigen, der sie bewirtschaftet,
möglichst auch gehört; das ist wahr. Damit haben wir die
besten Erfahrungen gemacht. Das wollen wir unterstützen. In diesem Zusammenhang hilft das, was die Bundesregierung und andere im Bereich der Kleinkredite
tun. Kleinkredite dienen nicht nur dazu, Saatgut, Betriebsmittel und Ähnliches zu finanzieren, sondern eröffnen auch die Möglichkeit, den Grund und Boden zu erwerben, auf dem man wirtschaftet.
Konkrete Aussagen dazu finden Sie in dem Bericht
nicht. Aber das scheint mir ein wichtiger Punkt im Hinblick auf die Stabilität ländlicher Räume in Entwicklungsländern zu sein. Ich greife das deswegen gerne auf.
Gibt es noch Fragen zu anderen Themen in der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall.
Damit kommen wir zu sonstigen Fragen an die Bundesregierung.
Bitte schön, Herr Koppelin.
Ich habe eine Frage an Sie, Herr Bundesminister de
Maizière. In den letzten Tagen häufen sich Meldungen,
in denen es heißt - ich gebe die Tendenz wieder -, dass
Bundesminister Steinmeier vor einiger Zeit seinen beamteten Staatssekretär Tiemann damit beauftragt habe,
für das SPD-Wahlprogramm Themen zu sammeln, es
vorzubereiten und daran mitzuwirken. Nun weiß jeder,
der mit solchen Dingen zu tun hat, dass so etwas sehr
zeitaufwendig ist. Darf ich Sie fragen: Halten Sie es für
zulässig, dass ein beamteter Staatssekretär zumindest
nach der Medienlage seine Zeit überwiegend damit verbringt, das Wahlprogramm der SPD zu schreiben bzw.
dafür Themen zu sammeln und die Kanzlerkandidatur
von Bundesminister Steinmeier vorzubereiten, wie wir
ebenfalls den Medien entnehmen können? Sind Sie vielleicht bereit, ein Gespräch mit Staatssekretär Tiemann
über seine Arbeitsaufteilung zu führen?
Herr Abgeordneter Koppelin, in der Arbeitszeit von
Herrn Staatssekretär Tiemann ist das sicherlich nicht zulässig. In seiner Freizeit kann er machen, was er für richtig hält. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass
sich der Bundesaußenminister und sein Staatssekretär
anders verhalten, als ich es jetzt hier gesagt habe.
({0})
Bitte schön.
Ihre Aussage über die Freizeit überrascht mich etwas,
weil ich bisher davon ausgegangen bin, dass Staatssekre17790
täre ähnlich wie Bundesminister kaum noch Freizeit haben. Aber in dem Fall nehme ich das zur Kenntnis.
Es handelt sich bei der Person, die Sie ansprechen,
um einen beamteten Staatssekretär.
({0})
Dieser ist nach dem Beamtenrecht zu voller Hingabe an
den Dienstherren verpflichtet. Volle Hingabe muss sich
aber nicht auf 24 Stunden am Tag erstrecken. Ein bisschen Freizeit sollte auch ein beamteter Staatssekretär haben.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. - Ich beende die
Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/9553 Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Die Frage 1 des Kollegen Hans-Josef Fell soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär
Andreas Storm zur Verfügung.
Wir kommen zunächst zur Frage 2 der Kollegin
Cornelia Hirsch:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Ergebnissen des zweiten nationalen Bildungsberichtes 2008
insbesondere im Hinblick auf den deutschen Bildungsföderalismus?
Herr Präsident, ich beantworte die Frage der Abgeordneten Hirsch wie folgt: Der gemeinsame Bildungsbericht ist ein gutes Beispiel für das funktionierende Zusammenwirken von Bund und Ländern in der Bildung.
Er verdeutlicht die Notwendigkeit, zwischen Ländern
und Bund gemeinsame Ziele und Schlussfolgerungen zu
vereinbaren, die in der jeweiligen Zuständigkeit umgesetzt werden. Dies ist Gegenstand der Qualifizierungsinitiative für Deutschland. Der nun vorgelegte zweite
Bildungsbericht liefert der Bildungspolitik insbesondere
wichtige Informationen darüber, wie Einmündungsprozesse von der Schule in berufliche Ausbildung oder
Hochschule und von dort in den Arbeitsmarkt verlaufen.
Mit diesem Schwerpunkt ist der Bericht ein Beitrag für
die von den Regierungschefs von Bund und Ländern
vereinbarte Qualifizierungsinitiative. Sie zielt unter anderem darauf, die Übergänge zwischen den Bildungsbereichen zu erleichtern und Wege zum Aufstieg durch
Bildung auszubauen. Bund und Länder werden die im
zweiten nationalen Bildungsbericht genannten zentralen
Herausforderungen zum Anlass nehmen, um bereits eingeleitete Maßnahmen zu verstärken und neue Schwerpunkte zu setzen, um die Bildungsangebote weiter zu
verbessern und die Qualitätsentwicklung in den verschiedenen Bereichen des Bildungswesens auszubauen.
Nachfrage, Kollegin Hirsch?
Ja, besten Dank. - Meine erste Nachfrage lautet: Sie
haben gerade davon gesprochen, dass der Bildungsbericht ein Beispiel für die funktionierende Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern ist. Inwieweit deckt
sich das Ihrer Auffassung nach mit den Befunden, die in
diesem Bildungsbericht stehen? Er spricht beispielsweise von fast 80 000 Schulabbrecherinnen und Schulabbrechern, davon, dass fast zwei Drittel der Hauptschülerinnen und Hauptschüler keinen Ausbildungsplatz
finden, dass eine Kürzung der Mittel im Weiterbildungsbereich um 70 Prozent stattgefunden hat usw. usf. Man
könnte diese Liste noch lange fortsetzen. Inwieweit haben wir hier eine funktionierende Zusammenarbeit,
wenn doch offensichtlich die Befunde in diesem Bildungsbericht eher nahelegen, von einer Bildungsmisere
zu sprechen?
Frau Abgeordnete Hirsch, die beiden von Ihnen angesprochenen Themen sind Beispiele dafür, dass die Zusammenarbeit sowohl bei der Diagnose als auch bei der
Therapie hervorragend funktioniert. Wir haben beim
Thema „Schulabgänger ohne Abschluss“ festzustellen,
dass in den letzten Jahren zwar eine leichte Verbesserung
eingetreten ist, diese Verbesserung aber nicht ausreicht.
Deswegen haben die Kultusminister der Länder ebenso
wie die Bundesbildungsministerin in den letzten Monaten das Ziel formuliert, die Zahl der Schulabgänger ohne
Abschluss zunächst deutlich zu reduzieren und im Weiteren wenn möglich zu halbieren. Deshalb ist dieses eines der Schwerpunktthemen im nationalen Bildungsbericht. Sowohl die Länder als auch der Bund haben
bereits Maßnahmen eingeleitet, um die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss reduzieren zu können.
Das gilt in ähnlicher Weise für das Thema Weiterbildung. Hier ist der Bund bereits aktiv geworden, indem
das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf zur Einführung
einer Bildungsprämie im Zusammenhang mit der Vermögensbildung für Arbeitnehmer beschlossen hat, und
Bund und Länder beraten auf dem Weg zum Bildungsgipfel im Oktober weitere gemeinsame Aktivitäten zur
Stärkung der Weiterbildungsbeteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Hirsch.
Über das Stichwort „Bildungsgipfel“ - darauf bezieht
sich auch meine zweite Nachfrage - ist schon viel debattiert worden, aber immer nur als ein Schlagwort. Mich
würde interessieren: Wer ist in die Vorbereitung eingebunden? Was soll dort konkret passieren, und welche Ergebnisse erwartet man von diesem Gipfel? Bisher erscheint mir dieser geplante Bildungsgipfel eher als eine
medientechnisch vielleicht ganz sinnvolle Maßnahme,
aber es scheint mir doch mehr als fraglich zu sein, ob er
wirklich zur Verbesserung der Bildungssituation beiträgt.
Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundeskanzlerin und
die Ministerpräsidenten der Länder haben bei ihrer Tagung im Dezember vereinbart, in diesem Herbst eine
Qualifizierungsinitiative zu starten. Zur Vorbereitung
dieser gemeinsamen Qualifizierungsinitiative hat das
Bundeskabinett bereits im Januar die Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung verabschiedet, und nun bereiten Bund und Länder gemeinsam in den zuständigen
Gremien den Bildungsgipfel vor, der für die zweite Oktoberhälfte anberaumt ist. Im weiterem Prozess werden
selbstverständlich dann auch Akteure aus dem gesamten
Bildungswesen eine Rolle spielen, weil der Bildungsgipfel thematisch breit ausgerichtet sein wird.
Der Kollege Dr. Ilja Seifert hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, im Zusammenhang mit dem Bildungsgipfel, den Sie auch angesprochen haben und bei
dem nach Ihrer Aussage alle Bereiche der Bildung angemessen berücksichtigt werden sollen, würde mich schon
sehr interessieren, in welcher Weise dort die Frage der
Bildung von Menschen mit Behinderung eine Rolle spielen wird. Dieser Bereich ist in dem Bildungsbericht eher
unterbelichtet, und die Probleme der Sonderschulen, die
eher Aussonderungsschulen sind, sind ja hinreichend bekannt. Unter dem dreigliedrigen System gibt es immerhin sieben Sonderschulsysteme, also Aussonderungssysteme. Wird das Thema auf dem Bildungsgipfel eher in
Richtung inklusiver Bildung oder eher in Richtung weiterer Aussonderung behandelt werden?
Herr Abgeordneter Seifert, es ist zum jetzigen Zeitpunkt, etwa vier Monate vor dem Bildungsgipfel, natürlich noch zu früh, die konkrete Detailplanung für den geplanten Bildungsgipfel hier zu diskutieren, weil sie noch
erarbeitet wird. Ich gehe aber davon aus, dass das von
Ihnen angesprochene Thema sicherlich eine Rolle spielen wird. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Aus der im
nationalen Berichtungsbericht vorgenommenen Analyse
der Struktur der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss - im Jahr 2006 waren es 76 000 - geht hervor,
dass darunter allein 39 000 junge Menschen sind, die
Förderschulen besucht haben. Deshalb wird der Kreis
der Förderschüler bei der Frage nach weiteren bildungspolitischen Maßnahmen sicherlich besondere Aufmerksamkeit erfahren.
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Cornelia
Hirsch.
Wie hoch sollen die zusätzlichen finanziellen Mittel für
die Bildung sein, um die von der Bundeskanzlerin Dr. Angela
Merkel angestrebte „Bildungsrepublik Deutschland“ zu realisieren, und wie sollen diese zusätzlichen Mittel finanziert
werden?
Herr Präsident, ich beantworte die Frage wie folgt:
Die Bundeskanzlerin hat am 12. Juni 2008 in ihrer Rede
zum Festakt „60 Jahre Soziale Marktwirtschaft“ mit dem
Begriff von der „Bildungsrepublik Deutschland“ die
hohe politische Priorität und die gemeinsame bildungspolitische Verantwortung von Bund und Ländern hervorgehoben. Diese gemeinsame Verantwortung kommt
auch zum Ausdruck im Beschluss der Regierungschefs
von Bund und Ländern vom 19. Dezember 2007, eine
gemeinsame „Qualifizierungsinitiative für Deutschland“ zu konzipieren und im Herbst 2008 im Rahmen eines Treffens zu beschließen.
Zur Vorbereitung dieses „Bildungsgipfels“ findet zurzeit ein Abstimmungsprozess zwischen Bund und Ländern statt. Angaben zu den Mittelaufwendungen von
Bund und Ländern für die gemeinsame Qualifizierungsinitiative lassen sich bei derzeitigem Verhandlungsstand
und aufgrund der fortlaufenden Abstimmungen innerhalb und zwischen den Ländern zum jetzigen Zeitpunkt
noch nicht machen.
Haben Sie eine Nachfrage, Kollegin Hirsch?
Besten Dank. - Es hätte mich auch gewundert, wenn
Sie mir schon eine konkrete Zahl genannt hätten. Das ist
hier ja selten der Fall. Nichtsdestotrotz habe ich folgende
Nachfrage: Wenn man in den Bildungsbericht schaut,
stellt man beim Vergleich des Anteils der Bildungsausgaben am BIP der Jahre 2006 und 1995 - seitdem ist die
Situation nicht besser geworden - fest, dass im Prinzip
allein 13 Milliarden Euro fehlen, um wieder auf den
Stand von 1995 zu kommen. An dieser Stelle würde
mich schon interessieren, inwieweit diese Relation bei
den Überlegungen eine Rolle spielt. Dabei geht es nicht
einfach nur um 1 Milliarde Euro für den Hochschulpakt;
13 Milliarden Euro sind schon viel mehr. Selbst dann,
wenn diese Mittel gezahlt würden, hätten wir längst
noch kein ausfinanziertes Bildungssystem, sondern lediglich den Stand von 1995.
Frau Abgeordnete Hirsch, zu dem von Ihnen genannten Sachverhalt ist zweierlei zu bemerken.
Erstens. In der Tat ist die Quote, also der Anteil der
Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt, im Zeitraum von 1995 bis 2006 zurückgegangen; die absoluten
Ausgaben sind aber gestiegen. Wir liegen im internationalen Vergleich im Hinblick auf das Pro-Kopf-Leistungsniveau über dem OECD-Durchschnitt.
Zweitens. Ein wesentlicher Aspekt bei den Beratungen über einen Bildungsgipfel wird sicherlich sein, dass
wir die sogenannte demografische Rendite, also einen
sich theoretisch dadurch ergebenden Spielraum, dass in
den nächsten anderthalb Jahrzehnten in den meisten
Bundesländern rückläufige Schülerzahlen zu verzeichnen sein werden, in vollem Umfang nutzen müssen, um
die Qualität unseres Bildungssystems zu verbessern. Es
darf hier also keinesfalls zu Einsparungen kommen. Im
Gegenteil: Tendenziell muss mehr für die Bildung ausgegeben werden.
Zweite Nachfrage, bitte.
Hält die Bundesregierung das Sinken des Anteils der
Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt für mit der
von Ihnen gerade dargestellten hohen Priorität für Bildung vereinbar?
Ich habe versucht, zu verdeutlichen, dass die Quote
allein einen unzureichenden Aussagegehalt im Hinblick
auf die Qualität eines Bildungssystems hat. Die Bundesregierung misst der Weiterentwicklung des Bildungssystems aber eine sehr hohe Priorität bei. Deswegen sind
die Bildungsausgaben im Bundeshaushalt erhöht worden. Gegenstand der Beratungen über den Bildungsgipfel wird eine gemeinsame zusätzliche Anstrengung von
Bund und Ländern sein.
Dass das Bildungssystem eine hohe finanzpolitische
Priorität genießt, können Sie auch daran erkennen, dass
Bund und Länder gemeinsam einen Hochschulpakt geschlossen haben. Damit beteiligt sich allein der Bund mit
mehr als 1 Milliarde Euro an der Finanzierung der Hochschulen im Zeitraum bis 2010.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Storm.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen zur
Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 4 der Kollegin Ulrike
Höfken auf:
Welche Farben und grafischen Elemente möchte die Bundesregierung für die am 23. Mai 2008 angekündigte farbliche
Nährwertkennzeichnung auf Lebensmitteln vorsehen?
Wie Sie wissen, hat Herr Bundesminister Seehofer
bei der Vorstellung des „Leitfadens für erweiterte Nährwertinformationen auf vorverpackten Lebensmitteln“
nach dem vom Ministerium entwickelten „1 plus 4“-Modell angekündigt, dass er mit der betroffenen Wirtschaft
Gespräche darüber führen wird, ob es möglich wäre,
eine farbliche Unterlegung dieser Nährwertkennzeichnung zu schaffen. Die betreffenden Farben sind Grün,
Gelb und Rot. Ich denke, Schwarz, Blau und Weiß wären nicht so aussagekräftig, wie auch durch die entsprechende Umfrage bei uns herausgefunden worden ist.
Nachfrage, Frau Höfken.
Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung der
Deutschen Adipositas- Gesellschaft nach einem Werbeverbot für Junkfood und Softdrinks bei Kindern und Jugendlichen? Diese Forderung hat sie in einer Pressemitteilung vom 18. März noch einmal bekräftigt. Wird der
gerade vom Kabinett beschlossene Aktionsplan auch
verbindliche Werbebeschränkungen oder wieder nur
Selbstbeschränkungen, die sich nicht als wirksam erweisen, enthalten?
Wir haben darüber schon oft diskutiert. Wir sind der
Überzeugung, dass nicht Werbeverbote zum Ziel führen.
Vielmehr müssen wir umfassend aufklären. Das heißt,
dass wir Eltern, Lehrer sowie Kinder und Jugendliche
über gesunde Ernährung aufklären müssen. Dazu gibt es
verschiedene Projekte. Beispielsweise unterstützen wir
finanziell die Plattform Ernährung und Bewegung. Das
ist der Weg, der zum Ziel führen wird. Ähnliches gilt für
mehr Bewegung; denn wir wissen, dass Übergewicht
auch eine Folge mangelnder Bewegung ist.
Wir haben gerade auf europäischer Ebene eine Diskussion über Werbeverbote im Kinder- und Jugendfernsehen geführt. Dort ist entschieden worden, keine Werbeverbote auszusprechen, sondern dafür zu sorgen, dass
es zu wesentlich mehr Aufklärung kommt.
Demnächst werden wir uns noch einmal intensiv mit
dem nationalen Aktionsplan für bessere Ernährung und
Bewegung befassen. Dabei werden wir uns ganz gezielt
mit der Ernährung und Bewegung von Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen.
Zweite Nachfrage.
Ich darf wiederholen: Wird es im Aktionsplan eine
Werbeeinschränkung geben oder nicht?
Der Aktionsplan sieht keine Werbebeschränkung vor.
Dann kommen wir zur Frage 5 der Abgeordneten
Ulrike Höfken:
Wie setzt sich die von der Bundesregierung neu eingesetzte Arbeitsgruppe zur Nährwertkennzeichnung - bitte mit
Namen und Funktion - zusammen?
Zur Frage 5 der Kollegin Höfken kann ich Folgendes
sagen: Die für den Verbraucherschutz zuständigen Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren der Bundesländer haben den Beschluss gefasst,
dass eine Arbeitsgruppe sich mit der Frage der Nährwertkennzeichnung beschäftigen soll. Über die Zusammensetzung dieser Arbeitsgruppe kann ich zum jetzigen
Zeitpunkt aber noch nichts sagen. Die Verbraucherministerkonferenz hat am vergangenen Mittwoch stattgefunden. Wir sind zurzeit in Abstimmungsgesprächen mit
den Bundesländern darüber, wer an dieser Arbeitsgruppe
teilnehmen soll.
Nachfrage?
Ja. - Wird es verstärkte Forschungsaktivitäten, speziell des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und
Lebensmittel in Karlsruhe, zu diesem Themenbereich
geben?
Wir werden uns weiter sehr intensiv mit dem Thema
Ernährung beschäftigen, nicht nur in Karlsruhe, sondern
auch an anderen Stellen, der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung beispielsweise, und die Ergebnisse zusammenfassen. Auch dies ist Teil des nationalen Aktionsplans.
Zweite Nachfrage.
Wann werden die genaue Zusammensetzung und das
weitere Vorgehen bekannt gegeben?
Zur Arbeitsgruppe kann ich Ihnen jetzt wirklich
nichts Genaues sagen, weil wir noch in Abstimmungsgesprächen sind. Die Bundesländer haben den Wunsch
nach zügigem Vorgehen geäußert. Wir schließen uns
dem an. In einer Woche kann ich Ihnen vielleicht Genaueres dazu sagen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Heinen.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Rolf Schwanitz zur
Verfügung.
Es gibt zwei Fragen des Kollegen Dr. Seifert. Zunächst rufe ich die Frage 6 auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der
Landesärztekammer Hessen über die katastrophale Versorgung bzw. Assistenzsicherung für Schwerbehinderte während
ihres Krankenhausaufenthaltes ({0})?
Herr Präsident! Sehr geehrter Kollege Dr. Seifert!
Weil es einen engen Sachzusammenhang zwischen den
beiden Fragen gibt, würde ich sie gern gemeinsam beantworten. Ich habe das mit dem Kollegen Dr. Seifert
vorher schon besprochen.
Dann verfahren wir so, und ich rufe auch die Frage 7
des Kollegen Dr. Seifert auf:
Inwieweit sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, und was wird sie gegebenenfalls kurz- und mittelfristig
tun, um eine angemessene Versorgung von Menschen mit Behinderung während eines Krankenhausaufenthaltes zu gewährleisten?
Die Antwort lautet wie folgt:
Die stationäre Krankenhausversorgung umfasst sämtliche Leistungen, die im Einzelfall nach Art und
Schwere der Krankheit für die medizinisch notwendige
Versorgung des Patienten erforderlich sind. Dies umfasst
auch die zur akut-stationären Behandlung der Krankheit
erforderliche Krankenpflege. Die Leistungen, die außerhalb der medizinisch notwendigen Versorgungsleistung
der GKV liegen, werden von dem betroffenen Patienten
selbst bzw. von dem zuständigen Sozialleistungsträger
erbracht.
Die Bundesregierung wird sich in Gesprächen mit
den Beteiligten und Betroffenen dafür einsetzen, dass
gegebenenfalls bestehende Defizite bei der umfassenden
Versorgung von Schwerbehinderten im Krankenhaus
überwunden werden.
Nachfrage, Kollege Seifert? - Bitte.
Herr Staatssekretär, ich bin über das „gegebenenfalls“
etwas verwundert. Sie haben nach meinem Verständnis
zum Ausdruck gebracht, dass Sie Gespräche beginnen
wollen, wenn Defizite vorhanden sein sollten. Dass es
Defizite gibt, ist aber nun hinreichend oft dokumentiert
worden. Ich erinnere daran, dass im September vergangenen Jahres eine große Konferenz dazu stattgefunden
hat, bei der die Bundesbehindertenbeauftragte entsprechende Zusagen gemacht hat. Ich erinnere daran, dass
die Bundesärztekammer gerade jetzt wieder ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass für Menschen, die auf
eine regelmäßige Assistenz angewiesen sind, große Defizite im Krankenhausbereich bestehen, wenn sie wegen
einer akuten Erkrankung ins Krankenhaus eingeliefert
werden. Deshalb bitte ich noch einmal um eine Auskunft
dazu, worin Ihr Erkenntnisbedarf besteht.
Herr Abgeordneter Dr. Seifert, ich glaube, dass es zu
Beginn der Gespräche mit den Beteiligten Sinn macht,
zunächst noch einmal zu besprechen, welchen Umfang
diese Defizite haben und wie gravierend sie sind, und
natürlich auch auszuloten, wie man diese Defizite beheben kann. Die Probleme können ja sehr vielschichtiger
Natur sein. Sie können in die Richtung gehen, dass entsprechende Leistungen, die gemäß den sozialen Sicherungssystemen möglich wären, nicht gewährt werden. Es
könnte aber durchaus auch Resultat dieser Besprechung
sein, dass es gesetzgeberischen Handlungsbedarf gibt.
Dem Ergebnis möchte ich jetzt nicht vorgreifen.
Das Wort „gegebenenfalls“ soll den Sachverhalt also
nicht relativieren, sondern soll beschreiben, was zur
Sachverhaltsaufklärung und zum Ermitteln des Handlungsbedarfes erforderlich und sinnvoll ist.
Zusatzfrage, Herr Kollege Seifert.
Herr Staatssekretär, der Bedarf liegt doch auf der
Hand: Menschen, die regelmäßig Assistenz brauchen,
brauchen diese Assistenz selbstverständlich auch im
Krankenhaus, unabhängig davon, dass die Behandlungspflege von den dort pflegenden Mitarbeitern vorgenommen wird. Diese Tatsache ist relativ leicht überschaubar.
Insofern ist mir nicht klar, was Sie jetzt noch bei den Betroffenen erfragen wollen.
Aber wenn Sie das Verfahren schon so angelegt haben, können Sie mir doch wohl zumindest sagen, in welchem Zeitraum die Befragung der Betroffenen stattfinden soll und wann man mit einem Abschluss dieser
Fragerunde rechnen kann, sodass die von Ihnen gerade
ins Auge gefassten gesetzgeberischen und/oder Verwaltungsmaßnahmen sowie Weiteres eingeleitet werden
können.
Ich will zunächst noch einmal sagen - Sie können das
in der von mir gegebenen Antwort ja auch noch einmal
nachlesen -, dass sich das Wort „gegebenenfalls“ nicht
auf die Frage des Bedarfes bezieht. Dass dieser besteht,
das halte ich in der Tat für unstrittig.
Allerdings ist die Frage der Defizite und vor allem
auch die Frage der Schwere der Defizite - in Ihrer ersten
Frage ist die Schwere dieser Defizite ja mit einem sehr
starken Ausdruck belegt worden - in der Tat klärungsbedürftig und muss aus meiner Sicht auch Gegenstand dieser Gespräche sein. Ich gehe davon aus, dass die Gespräche unverzüglich aufgenommen werden; denn - in der
Sache sind wir uns ja einig - diesen Bedarfen muss auch
in einer akut-stationären Versorgungssituation im Krankenhaus entsprochen werden.
Weitere Zusatzfrage?
Ja. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich gehe davon aus, „unverzüglich“ bedeutet: noch vor der Sommerpause.
Können Sie mir auch sagen, mit wem Sie reden wollen? Ich denke zum Beispiel an Vertreter von ForseA
und anderer entsprechender Organisationen.
Könnten Sie vielleicht auch den Begriff „unverzüglich“ noch näher konkretisieren?
Herr Kollege Seifert, das kann ich natürlich jetzt
nicht, weil ich die entsprechende Terminplanung nicht
vor mir liegen habe. Klar ist aber, dass eine Vielzahl von
Gesprächsteilnehmern zu diesem Gespräch hinzugezogen wird. Es handelt sich natürlich um Betroffene - das
ist, wie ich denke, völlig klar -, aber auch um Vertreter
der Versicherungsträger und der Einrichtungen selbst,
also der Krankenhäuser; auch muss mit den Ländern gesprochen werden. Allein im Bereich der Versicherungsträger ist ja eine Vielzahl von Personen, die potenziell
beteiligt werden müssten, vorstellbar. Neben den Vertretern der Pflegeversicherung ist durchaus vorstellbar, dass
auch die der Unfallversicherungen und diejenigen, die
vom Rechtskreis des SGB XII erfasst werden, mit in dieses Gespräch integriert werden.
Darf ich zumindest noch nachfragen, Herr Staatssekretär, wo die Federführung für diesen komplizierten
Prozess liegen wird? Liegt die Federführung vielleicht
bei der Bundesbehindertenbeauftragten? Wenn nicht,
welche Rolle soll sie in diesem Prozess spielen?
Von der Sache her innerhalb der Bundesregierung
sehe ich außer meinem Haus, dem Bundesgesundheitsministerium, zuständig für SGB V und Pflegeversicherung, vor allen Dingen das BMAS in dem Bereich
SGB XII und Unfallversicherung zuständig; sie sind gemeinschaftlich beteiligt. Auch die Bundesbehindertenbeauftragte soll selbstverständlich beteiligt werden. Wir
werden gemeinsam mit dem BMAS die Gespräche aufnehmen; das ist so verabredet.
Für diejenigen, die nicht wissen, was mit dem BMAS
gemeint ist: Es handelt sich um das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales. So viel Zeit ist bei der Beantwortung der Fragen notfalls noch verfügbar.
Ich bedanke mich herzlich beim Kollegen Schwanitz
für die Beantwortung der Fragen.
Nun rufe ich den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes auf. Hier steht der Herr Staatsminister Gloser zur
Verfügung.
Ich rufe zunächst die Frage 8 des Kollegen Dr. Keskin
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die gegenwärtigen
Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien hinsichtlich einer klaren Einbindung Syriens in den Nahostfriedensprozess?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich darf wie folgt antworten: Die Bundesregierung hat sich stets für eine Beilegung des Konfliktes zwischen Israel und Syrien durch
Verhandlungen zwischen beiden Parteien ausgesprochen. Sie begrüßt deshalb die derzeit über türkische
Mittler geführten indirekten Gespräche ausdrücklich als
einen vertrauensbildenden Schritt in diese Richtung, der
auch auf den Nahostfriedensprozess positiv wirken
kann. Sie hat aus dem gleichen Grund für eine Teilnahme Syriens am Treffen in Annapolis geworben.
Zusatzfrage.
Ich finde es gut, weil die bisherigen Bemühungen, im
Nahen Osten Frieden zu sichern oder zu schaffen, unter
anderem deshalb gescheitert sind, weil Syrien in diesen
Friedensprozess nicht eingebunden war. Ich freue mich,
dass die Bundesregierung Syrien einbinden will. Die
Frage ist: Können Sie, Herr Staatssekretär, ein bisschen
konkretisieren, in welcher Form die Bundesregierung
diesen Prozess unterstützen will?
Ich habe in meiner Antwort erwähnt, dass wir ausdrücklich dafür geworben haben, dass Syrien in den
Annapolis-Prozess mit einbezogen wird. Das war ein
wichtiger Schritt; aber damit ist der Friedensprozess im
Nahen Osten noch nicht abgeschlossen. Wir erkennen jedoch, dass Syrien ein wichtiger Akteur ist, der seinen
Beitrag zu einer umfassenden Friedenslösung im Nahen
und Mittleren Osten leisten kann.
Weitere Zusatzfrage?
Danke sehr.
Die Frage 9 des Kollegen Beck wird schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Herausgeber
des Friedensgutachtens 2008, dass die „Rückkehr zu Krieg
und Gewaltpolitik gescheitert“ ({0}) und
daher europäische Politik auf die Wiederbelebung des Multilateralismus und der Rüstungskontrolle zu richten ist?
Ich darf wie folgt antworten, Herr Präsident: Unter
den neuen sicherheitspolitischen Bedingungen und Herausforderungen geht es mehr denn je darum, Sicherheit
auf der Grundlage gemeinsam definierter globaler Normen und im Wege der Zusammenarbeit zu schaffen.
Dies ist ein zentrales Thema und Anliegen der Rüstungskontrolle. Rüstungskontrolle zielt auf die vorausschauende Verhütung mit militärischen Mitteln ausgetragener
Konflikte. Die Bundesregierung setzt sich daher ausdrücklich dafür ein, den Themen Abrüstung und Rüstungskontrolle wieder den ihnen gebührenden Stellenwert zu geben. Ich erinnere an die vom Bundesminister
des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, und seinem norwegischen Amtskollegen angestoßene rüstungskontrollpolitische Initiative in der NATO, die zu einer
erfreulichen Wiederbelebung der Diskussion in diesem
zentralen Pfeiler der Sicherheitspolitik des Bündnisses
geführt hat.
Die europäische Sicherheitsstrategie und die europäische Strategie zur Bekämpfung der Proliferation, also
der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen,
stellen die Stärkung der multilateralen Übereinkünfte bewusst in den Mittelpunkt: durch Ausbau der Verifikations- und Durchsetzungsinstrumente, durch Stärkung
der Exportkontrollregime sowie durch Ausbau der internationalen Zusammenarbeit. Die Bundesregierung wird
auf diesem Weg entschlossen weitergehen.
Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatsminister, das höre ich alles sehr gerne, Günter Gloser, Staatsminister für Europa:
Das freut mich.
- mit voller Begeisterung. Ich entnehme Ihren Worten, dass die Bundesregierung das Friedensgutachten
ähnlich positiv bewertet, wie es die Fraktion der Linken
tut.
Meine Frage lautet: Auf Seite 7 des Friedensgutachtens wird für ein sogenanntes Avantgarde-Modell in der
Abrüstung plädiert. Das bedeutet, man muss nicht so
lange warten, bis alle mitmachen, sondern man kann selber vorangehen. Teilt die Bundesregierung diese Vorstellung?
Herr Abgeordneter, zum einen halten wir das Friedensgutachten für einen wichtigen Beitrag, weil es in der
öffentlichen Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Insofern haben wir dieses Gutachten begrüßt. Das heißt aber
nicht, dass wir alle darin enthaltenen Aussagen teilen.
Zum anderen glaube ich, dass es wichtig ist, gemeinsame Regeln und gemeinsame Standards zu finden, um
den Schritt in Richtung Rüstungskontrolle zu gehen.
Ihrer Antwort entnehme ich, dass Sie die Vorstellung
nicht teilen. - Ich möchte aber noch eine andere Frage
stellen: Auf Seite 9 des Friedensgutachtens wird der
Bundesregierung der Rat gegeben, hinsichtlich der Stationierung amerikanischer Atomwaffen in Deutschland
rechtlich gesehen allein voranzugehen. Hier bedarf es
- so das Friedensgutachten - einer Bitte oder einer Forderung der Bundesregierung, diese Waffen abzuziehen.
Nehmen Sie diesen Impuls des Friedensgutachtens auf?
Herr Abgeordneter, ich habe bereits gesagt, dass wir
dieses Gutachten ausgewertet haben und zu einer insgesamt positiven Einschätzung gekommen sind. Das heißt
aber nicht, dass wir allen Punkten zustimmen. Ich sage
noch einmal: Wenn wir auf dem Weg der Abrüstung vorangehen wollen, dann bedarf es der Zusammenarbeit
mit mehreren Staaten. In diesem Punkt reicht ein unilaterales Vorgehen nicht aus.
({0})
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Hier steht der Kollege Peter
Altmaier als Parlamentarischer Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Bevor ich die eingereichten Fragen aufrufe, nehme
ich die Gelegenheit gerne wahr, dem Kollegen Peter
Altmaier zu seinem heutigen 50. Geburtstag im Namen
des zwar spärlich vertretenen, aber gleichwohl repräsentativ besetzten Hauses herzlich zu gratulieren, verbunden mit allen guten Wünschen für die nächsten 50 Jahre.
({0})
Als Beitrag zur Humanisierung der Arbeitswelt hat
die Kollegin Gesine Lötzsch die Fragen 11 und 12 zur
schriftlichen Beantwortung vorgesehen.
Ich rufe die Frage 13 des Kollegen Hakki Keskin auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Einbürgerungstest,
der ab dem 1. September 2008 deutschlandweit gelten wird,
im Hinblick auf die Komplexität der Fragen, die teilweise detaillierte Geschichtskenntnisse erfordern?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich bedanke mich zunächst für die freundlichen Glückwünsche des Hohen
Hauses. Die Frage des Kollegen Keskin beantworte ich
wie folgt:
Mit der Entwicklung eines bundeseinheitlichen Einbürgerungstests kommen wir einem Auftrag des Gesetzgebers
nach, der im letzten Jahr beim Richtlinienumsetzungsgesetz die entsprechende Rechtsgrundlage geschaffen hat. Es
lag uns von Anfang an sehr viel daran, den Test so zu erarbeiten, dass er außerhalb jeder Kritik steht. Deshalb
haben wir das IQB, das Institut zur Qualitätsentwicklung
im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin, beauftragt, den kompletten Fragebogen zu erarbeiten. Er wird uns vertragsgemäß erst am 30. Juni 2008 im
Bundesinnenministerium überreicht werden.
Die Bundesregierung kann also jetzt noch nicht zu jeder einzelnen Frage des Einbürgerungstests Stellung
nehmen. Es ist allerdings sichergestellt, Herr Kollege
Keskin, dass sich die Fragen an dem bereits veröffentlichten Curriculum mit den Themenbereichen „Leben in
der Demokratie“, „Geschichte und Verantwortung“ sowie „Mensch und Gesellschaft“ orientieren. Für ihre Beantwortung sind detaillierte Geschichtskenntnisse nicht
erforderlich, und sie werden im Einbürgerungstest auch
nicht verlangt.
Im Übrigen werden die Einbürgerungsbewerber Gelegenheit haben, sich durch Einbürgerungskurse und auch
durch Selbststudium auf den Test vorzubereiten. Aus
diesem Grund werden wir die 310 Fragen, die erarbeitet
werden, veröffentlichen. So kann jeder Interessierte
diese Fragen zur Kenntnis nehmen und sich auf ihre Beantwortung vorbereiten.
Danke, Herr Staatssekretär. - Sie wissen, dass die
Einbürgerungszahlen insbesondere seit dem Inkrafttreten des neuen Einbürgerungsrechts im Jahr 2000 erheblich zurückgegangen sind, insbesondere bei denen, die
aus den Hauptanwerbestaaten nach Deutschland gekommen sind.
Was ist eigentlich die Intention dieses neuen Tests?
Ich höre eine ganze Menge Kritik vonseiten der Migrantenverbände. Aber selbst der Integrationsminister
Laschet aus Nordrhein-Westfalen hat sich dahin gehend
kritisch geäußert, dass diese Testfragen ziemlich schwer
zu beantworten seien. Was ist also die Intention? Wie
werden Sie diese Kritik berücksichtigen, und welche
Maßnahmen werden Sie unternehmen?
Herr Kollege Keskin, da Sie Parlamentarier sind und
dem Hohen Hause angehören, werden Sie wissen, dass
das Parlament selbst durch eine entsprechende Gesetzesänderung dafür gesorgt hat, dass in § 10 Abs. 1 Satz 1
Nr. 7 des Staatsangehörigkeitsgesetzes eine neue Einbürgerungsvoraussetzung geschaffen worden ist. Das betrifft den Nachweis von staatsbürgerlichen Kenntnissen.
Dieser Nachweis wird durch einen standardisierten Test
erbracht, der bundeseinheitlich sein wird, das heißt, er
gilt für alle 16 Bundesländer.
Insofern steht es der Bundesregierung nicht zu, eine
Entscheidung zu kritisieren, die das Parlament getroffen
hat. Wir sind für die Umsetzung zuständig. Wir geben
uns alle Mühe, dass die Umsetzung so erfolgt, dass Einbürgerungen nicht erschwert werden, dass allerdings
dem gesetzgeberischen Auftrag Rechnung getragen wird,
dass nur solche Personen eingebürgert werden, die über
ein Mindestmaß an staatsbürgerlichen Kenntnissen verfügen. Im Übrigen gibt es großzügige Ausnahmen für
Behinderte und altersbedingt Beeinträchtigte sowie für
Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Diese brauchen
selbstverständlich keinen Einbürgerungstest abzulegen.
Herr Staatssekretär, selbst wenn dieser Auftrag vom
Bundestag kommt, geht es darum, wie schwer die Beantwortung dieser Fragen ist oder in welcher Dimension die
Antworten zu formulieren sind. Sie sprechen von Mindestmaß; aber ich höre die Kritik, dass diese Fragen insbesondere von denjenigen, die die Bildungseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht besucht
haben, schwer zu beantworten sind. Mit anderen Worten:
Es ist jetzt die Aufgabe der Bundesregierung, zu prüfen,
inwieweit man einem solchen Test gerecht werden kann,
wenn es zugleich das Ziel der Bundesregierung ist, mehr
Einbürgerungen zu ermöglichen.
Herr Abgeordneter Keskin, ich bemühe mich nach all
meinen Möglichkeiten; aber es fällt mir nach wie vor
schwer, Ihre Kritik, dass diese Fragen zu kompliziert
seien und man es den Bewerbern zu schwer mache,
nachzuvollziehen. Denn, wie ich Ihnen eingangs sagte,
uns liegen die Fragen noch gar nicht vor. Diese werden
dem Bundesinnenministerium von dem Institut, das wir
beauftragt haben, bis Ende Juni vorgelegt. Dann werden
wir diese Fragen selbstverständlich noch einmal in aller
Ruhe und Besonnenheit anschauen und überprüfen. Da
wir aber das Institut beauftragt haben, sie auf der Grundlage des Curriculums zu erarbeiten, und da das Institut
von allen 16 Bundesländern getragen und finanziert
wird, gehen wir davon aus, dass diese Fragen sehr sorgfältig erarbeitet werden.
Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Lieber Herr Altmaier,
Sie haben in Ihrer Beantwortung der Nachfragen meines
Kollegen Keskin gesagt, dass es im letzten Jahr im Rahmen eines Richtlinienumsetzungsgesetzes eine Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes gegeben hat. Deshalb zwei Fragen: Wie können Sie sich zum einen
erklären, dass es in der vergangenen Woche vor allen
Dingen bei der SPD Unmut gegeben hat, dass das Parlament nicht beteiligt gewesen sei, insbesondere vor dem
Hintergrund, dass es auf der Innenministerkonferenz im
Mai 2006, soweit ich mich erinnern kann, Zustimmung
zur Einführung von Tests gegeben hat. Sie haben zum
Zweiten gesagt, dass dem BMI der Fragenkatalog am
30. Juni überreicht werden soll. Wie ist insoweit gewährleistet - daran besteht ja noch Kritik -, dass sich die
Volkshochschulen auf die Kurse für diejenigen, die sich
einbürgern lassen und diesen Test bestehen möchten,
vorbereiten können und diese Kurse von den Lehrerinnen und Lehrern der Volkshochschulen auch wirklich
entsprechend dem dann gültigen Test abgehalten werden
können?
Frau Kollegin Dağdelen, es ist Aufgabe der Bundesregierung, die Sachverhalte zu erläutern, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Insofern steht es mir nicht zu,
Zustimmung oder Kritik, die es bei den einzelnen Fraktionen geben mag, zu bewerten oder zu kommentieren.
Wir gehen davon aus, dass die Volkshochschulen genügend Zeit haben werden, diese Prüfungen durchzuführen, und die Prüfungsbewerber genügend Zeit haben
werden, sich auf diese Prüfungen vorzubereiten. Sobald
die Bundesregierung den Fragenkatalog offiziell beschlossen hat, wird er als Anhang veröffentlicht werden.
Jeder interessierte Bürger wird dann die Möglichkeit haben, die Fragen nachzulesen.
Die Prüfung ist mit einer Führerscheinprüfung vergleichbar: Sie können sich die Fragen vorher anschauen,
wissen aber nicht, welche Fragen im Einzelnen gestellt
werden. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass der
Katalog insgesamt 310 Fragen umfassen wird, dem einzelnen Bewerber aber nur 33 Fragen gestellt werden und
er lediglich eine mehr als die Hälfte dieser Fragen richtig
beantworten muss. Das heißt, die Anforderungen sind so
ausgelegt, dass auch ein Bewerber, der nicht auf jede
Frage die richtige Antwort weiß, eine Chance hat, den
Test zu bestehen. Der Test kann im Übrigen beliebig oft
wiederholt werden.
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Winkler auf:
Wie beabsichtigt die Bundesregierung in der Durchführungsverordnung zu den ab dem 1. September 2008 geltenden
Einbürgerungstests die Abgrenzung zu den Orientierungskursen nach § 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes zu regeln?
Herr Kollege Winkler, ich kann Ihre Frage wie folgt
beantworten: Der Einbürgerungstest und die Einbürgerungskurse nach § 10 Abs. 5 Staatsangehörigkeitsgesetz
sind selbstverständlich unabhängig von dem Orientierungskurs und dem Orientierungskurstest aufgrund von
§ 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes. Formal hat das eine
mit dem anderen nichts zu tun. Die Orientierungskurse
werden nach der Integrationskursverordnung vom Bund
organisiert und durchgeführt. Die Einbürgerungskurse
werden in die Zuständigkeit der Länder fallen, die auch
das Einbürgerungsverfahren durchführen. Wir bieten
den Ländern allerdings über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unsere Hilfe beim Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur an.
Der Besuch eines Orientierungskurses kann durchaus
dazu beitragen, die Aussichten auf ein erfolgreiches Bestehen des Einbürgerungstests zu erhöhen; denn die Inhalte, die wir im Orientierungskurs vermitteln, und die
Fragen, die im Einbürgerungstest enthalten sind, weisen
vielfältige Schnittstellen auf, sodass es nicht schadet,
wenn der Bewerber diese Kurse besucht. Ein großer Teil
derjenigen, die sich um eine Einbürgerung bewerben, hat
im Übrigen einen Anspruch auf Teilnahme an einem
Orientierungskurs. Sie haben also die Möglichkeit, an
solchen Kursen teilzunehmen.
Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär,
heißt das, dass der Einbürgerungstest auch nach erfolgreichem Abschluss des Integrationskurses inklusive
Orientierungskursstunden abgelegt werden muss?
Ja.
Darf ich noch eine Frage stellen? - Wie erfolgt bei
dem Einbürgerungstest, der zusätzlich stattzufinden hat,
die Abstimmung hinsichtlich der Fragen? Sie haben
eben gesagt, dass sich beides aufeinander bezieht. Der
Fragenkatalog wird aber von einem anderen Institut erarbeitet, nämlich von einem Institut der Humboldt-Universität. Wie findet zwischen dem BAMF und dem Institut
der Humboldt-Universität die Abstimmung hinsichtlich
der Curricula statt? Findet eine solche Abstimmung
überhaupt statt?
Das ist sehr leicht zu erklären und nachzuvollziehen.
Das Institut, das wir beauftragt haben, entwickelt diese
Fragen auf der Grundlage des Curriculums, das wir bereits veröffentlicht haben. Und das Curriculum ist auch
im Hinblick auf die Inhalte entwickelt worden, die im
Orientierungskurs vermittelt werden.
Der Besuch eines Orientierungskurses ist im Übrigen
nicht Voraussetzung für die Teilnahme am Einbürgerungstest. Auch eine Teilnahme am Einbürgerungskurs
ist keine Voraussetzung für die Absolvierung des Einbürgerungstests. Das muss der Bewerber selbst entscheiden.
Wir möchten allerdings denjenigen, die sich vorbereiten
möchten, die entsprechende Hilfestellung angedeihen
lassen. Aus diesem Grund gibt es vielfältige Möglichkeiten, auf die der Einzelne zurückgreifen kann.
Frau Kollegin Dağdelen.
Lieber Herr Altmaier, es ist begrüßenswert, dass Sie
den einbürgerungswilligen Menschen Hilfe angedeihen
lassen wollen. Inwiefern ist diese Hilfe aber von den finanziellen Möglichkeiten der Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber abhängig? Das heißt, wie viel kosten
die Einbürgerungskurse - ich weiß, dass sie nicht unbedingt Voraussetzung sind; aber letztendlich ist es eine
Stütze, vorher an den Kursen teilzunehmen -, und wie
viel kostet die Teilnahme am Test?
Die Einbürgerungskurse werden von den Bundesländern in eigener Verantwortung organisiert. Insofern kann
ich als Vertreter der Bundesregierung Ihnen diese Frage
nicht beantworten. Das müssen Sie die Bundesländer
fragen. Die Teilnahme am Einbürgerungstest wird
25 Euro kosten.
Nun rufe ich die Frage 15 des Kollegen Winkler auf:
Trifft es zu, dass Ausländerinnen und Ausländer, die an einer deutschen Schule schon mindestens einen Hauptschulabschluss bestanden haben, vom Einbürgerungstest befreit sind,
und wie wird in den Tests insofern auf bildungsfernere Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber Rücksicht genommen?
Auch diese Frage ist sehr einfach zu beantworten. Es
trifft zu, dass Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber, die einen deutschen Schulabschluss nachweisen können, den Einbürgerungstest nicht ablegen müssen, weil
wir davon ausgehen, dass ein solcher Schulabschluss nur
dann erworben werden kann, wenn man über die im Test
geforderten Kenntnisse verfügt. Das IQB, das Institut,
von dem ich gesprochen habe, hat im Übrigen die Testfragen an den Einbürgerungsbewerbern vergleichbaren
Gruppen erprobt, zum Beispiel an Teilnehmern von
Orientierungskursen und Schülern mit Migrationshintergrund. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Bewerber
nicht überfordert werden, sondern dass ein Bewerber, der
sich entsprechend vorbereitet, diese Fragen beantworten
kann.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ihre Einschätzung, dass die Frage einfach zu beantworten sei, zielt
hoffentlich nicht darauf ab, dass Ihnen anlässlich Ihres
Geburtstages aus Höflichkeit nur besonders einfache
Fragen gestellt werden. Es wäre mir lieber gewesen,
wenn Sie die Frage vollständig beantwortet hätten. Denn
Sie sind in Ihrer Beantwortung nur auf den ersten Teil
eingegangen, nämlich darauf, wie es mit denjenigen ist,
die einen Hauptschulabschluss oder einen anderen deutschen Schulabschluss haben. Was ist mit denen, die ihn
nicht erreicht haben, also ohne Schulabschluss sind? Das
war jetzt quasi noch ein Nachklapp zu meiner eingereichten Frage.
Ich stelle gleich eine Nachfrage: Haben Sie diese
Testfragen bezüglich des Niveaus mit dem Bundesministerium für Bildung und Forschung abgeglichen, das ja sicherlich Erfahrungswerte in diesem Bereich vorzuweisen hat?
Ich gehe davon aus, Herr Kollege Winkler, dass sich
aus dem Umstand, dass derjenige, der einen deutschen
Schulabschluss nachweisen kann, vom Einbürgerungstest befreit ist, naheliegend ergibt, dass derjenige, der ihn
nicht nachweisen kann, zunächst einmal nicht davon befreit ist; es sei denn, es gibt besondere Befreiungstatbestände. Diese haben wir in der Tat vorgesehen, insbesondere für Bewerber mit Behinderungen, Bewerber, die
aufgrund ihres Alters beeinträchtigt sind, sowie für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Dies sind ganz
wichtige Ausnahmen. Damit haben wir, glaube ich, den
Kreis der Personen hinreichend abgegrenzt.
Diejenigen, die nicht unter diese Kategorien fallen,
werden diesen Test in aller Regel ablegen. Es kommt
darauf an, ihn so zu organisieren, dass die Betreffenden
eine faire Chance haben. Nach allem, was ich von der
Vorbereitung weiß, vor allen Dingen von den Feldversuchen, die durchgeführt worden sind, ist dies auch der
Fall.
Möchten Sie eine noch anspruchsvollere Zusatzfrage
stellen? - Bitte schön, Herr Kollege Winkler.
Ja, wobei es mir lieber wäre, wenn die Qualität der
Fragen nicht von der Regierung, sondern vom Präsidium
des Hauses bewertet würde; das sei aber nur am Rande
bemerkt.
Ich habe noch eine letzte Frage. Herr Staatssekretär,
wie steht die Bundesregierung zu der vom Land BadenWürttemberg geäußerten Absicht - sie war ja in den
gleichen Veröffentlichungen in der Presse zu lesen, in
denen auf die Einbürgerungskurse rekurriert wurde -,
weiterhin Tests einzufordern, die eine Gesinnungsprüfung beinhalten und keine Wissensabfrage?
Herr Kollege Winkler, Sie werden verstehen, dass ich
mir Ihre Bewertung im Hinblick auf Gesinnungsprüfungen ausdrücklich nicht zu eigen mache.
Der Sachverhalt als solcher ist sehr leicht zu erklären.
Es geht um staatsbürgerliche Kenntnisse als neue Voraussetzungen für die Einbürgerung. Diese werden durch
einen bundeseinheitlichen Test geprüft.
Sache der Länder ist es, sich zu vergewissern, dass
die Bewerber keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgen. Wie sie dies feststellen, ist Sache der einzelnen Bundesländer. Da gibt es, wie Sie zu Recht angemerkt haben, unterschiedliche Vorgehensweisen. Das hat
die Bundesregierung aber nicht zu kommentieren.
Nun möchte Frau Dağdelen eine Zusatzfrage stellen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich möchte direkt an
Ihre Antwort anknüpfen, Herr Altmaier. Es gibt gemäß
Bundesgesetz bestimmte Voraussetzungen für die Einbürgerung, unter anderem die Regelanfrage beim Verfassungsschutz. Das möchte ich vorwegschicken, weil Sie
erklärt haben, dass die Länder die Aufgabe haben, die
Verfassungstreue der Einbürgerungsbewerberinnen und
-bewerber zu prüfen.
Anvisiertes Ziel war es, eine bundeseinheitliche Regelung für einen Einbürgerungstest zu schaffen, um so
zu vermeiden, dass verschiedene Bundesländer verschiedene Einbürgerungsfragebögen für Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber haben. Da aber Bayern und Baden-Württemberg an ihren Tests festhalten wollen, wird
das anvisierte Ziel der Bundesregierung bzw. der damalige Beschluss der Innenministerkonferenz nicht umgesetzt. Gibt es Pläne der Bundesregierung, mit den Innenministern der Länder das damals anvisierte Ziel
umzusetzen, eine Regelung für ganz Deutschland zu
schaffen? Schließlich geht es um die deutsche Staatsangehörigkeit, nicht um die baden-württembergische oder
bayerische.
Wir vermitteln in der Tat die deutsche Staatsangehörigkeit. Aber das im Staatsangehörigkeitsgesetz vorgeschriebene Einbürgerungsverfahren wird von den Bundesländern durchgeführt. Das ist nun einmal so.
Die Bundeseinheitlichkeit bezieht sich auf den Nachweis der entsprechenden staatsbürgerlichen Kenntnisse.
Hier werden wir mit diesem Test Einheitlichkeit erreichen. Das heißt, als Voraussetzung für die Einbürgerung
wird es nur die Fragen geben, die auf Bundesebene für
diesen Test entwickelt worden sind.
Darüber hinaus ist es Sache der Länder, zu entscheiden, wie sie sich Gewissheit über die Verfassungstreue
der Bewerber verschaffen wollen. Die Regelanfrage haben Sie erwähnt. Außerdem gibt es eine Reihe von In17800
strumentarien, die von den Ländern entwickelt worden
sind. Es war aber nie beabsichtigt, diese zu vereinheitlichen. Vorgesehen war nur, dass der Nachweis der staatsbürgerlichen Kenntnisse in einem einheitlichen Verfahren zu erfolgen hat.
Ich rufe nun die Frage 16 der Kollegin Dağdelen auf:
Inwieweit werden auch Einbürgerungsbewerberinnen und
-bewerber, die das deutsche Schulsystem durchlaufen haben,
dem vom Bundesministerium des Innern geplanten bundesweit einheitlichen Einbürgerungstest unterzogen, und sollte
dies der Fall sein, welche Kenntnisse werden über das in der
Schule vermittelte Wissen hinaus abgefragt?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber, die einen deutschen
Schulabschluss, also mindestens Hauptschulabschluss,
besitzen, müssen sich dem Einbürgerungstest nicht unterziehen. Das habe ich eben bereits auf die Frage des
Kollegen Winkler ausgeführt.
Zusatzfrage?
Herr Altmaier, Sie haben in Ihrer Antwort gesagt,
dass es für bestimmte Gruppen Befreiungstatbestände
gibt. Laut dem Bericht der Bundesbeauftragten über die
Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland
- wir werden über diesen Bericht morgen früh debattieren - haben 17,5 Prozent der ausländischen Jugendlichen keinen Schulabschluss gemacht. Wie wollen Sie
mit ihnen verfahren? Sie erfüllen keinen Befreiungstatbestand, sondern haben aus unterschiedlichen Gründen
einfach keinen Schulabschluss.
Die rechtliche Lage für diese Personen ist klar. Nach
dem Gesetz, das der Deutsche Bundestag verabschiedet
hat, müssen sie einen solchen Einbürgerungstest bestehen. Das ist unserer Auffassung nach auch möglich.
Viele der Personen, die Sie genannt haben, haben beispielsweise eine Führerscheinprüfung bestanden. Nach
allem, was mir an Kenntnissen vorliegt, kann man nicht
behaupten, dass dieser Einbürgerungstest schwieriger ist
als zum Beispiel eine Führerscheinprüfung.
Um die Verbindung zu einem aktuellen Thema herzustellen: Sie sagten, dass es nach dieser gesetzlichen Regelung für Jugendliche, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Schulabschluss machen konnten - zum Teil
aber hier geboren sind -, keine Ausnahmen geben wird.
Wird eine solche Regelung, die keine Ausnahmen kennt,
auch für Einbürgerungsbewerber gelten, deren Mitwirkung in der deutschen Fußballnationalmannschaft unerlässlich ist und die deshalb die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen?
({0})
Ich bitte um Verständnis, Frau Kollegin: Da der Sport
nicht zu meinen primären Zuständigkeiten im Bundesinnenministerium gehört, habe ich keine detaillierten
Kenntnisse über die aktuelle Zusammensetzung der
deutschen Fußballnationalmannschaft und über die von
den Spielern erworbenen Bildungsqualifikationen.
({0})
Herr Staatssekretär, Sie können aber doch sicherlich
ausschließen, dass der Einbürgerungstest in solchen Fällen in der Halbzeitpause zwischen den beiden Spielhälften absolviert werden muss.
({0})
Das, Herr Präsident, kann ich ausschließen.
Gut. - Damit ist offenkundig ein Großteil der Besorgnisse ausgeräumt.
Ich rufe jetzt die Frage 17 der Kollegin Dağdelen auf:
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Zusammenarbeit zwischen der NPD und der Forza Nuova - Italien -, und inwieweit ist der Bundesregierung das Vorhaben
der besagten Parteien bekannt, gemeinsam ein Zeltlager im
Sommer 2008 auf Zypern in Kooperation mit griechischen
und zyprischen Neofaschisten zu organisieren?
Meine Antwort lautet: Die NPD und die Forza Nuova,
FN, sind Mitglieder der Europäischen Nationalen Front,
der ENF, und beide unterhalten in dieser Eigenschaft seit
vielen Jahren Kontakte zueinander. Das ist der Bundesregierung bekannt.
In einer am 24. Oktober 2007 auf der Homepage der
FN veröffentlichten Pressemitteilung hat der Vorsitzende
der FN, Roberto Fiore, mit der NPD gemeinsam geplante Projekte für das Jahr 2008 öffentlich vorgestellt,
darunter auch ein Treffen mit griechischen und einheimischen Aktivisten auf Zypern. Dieses Vorhaben ist uns
also bekannt; das war ja Ihre Frage.
Ja. - Haben Sie vielleicht noch weitere Kenntnisse
über dieses Vorhaben? Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie
dazu noch etwas mehr sagen könnten, Herr Staatssekretär.
Ich glaube, dass ich Ihnen alles, was ich Ihnen hierzu
sagen kann, mitgeteilt habe. Da sich dieses Projekt noch
in der Planung befindet und bisher nicht durchgeführt
wurde, kann ich dazu keine weiteren konkreten Aussagen treffen.
Ist dieses Projekt, von dem Sie in einer Pressemitteilung vom 24. Oktober 2007 erfahren haben, für die Bundesregierung überhaupt von Interesse? Hat die Bundesregierung vor, sich tiefergehendes Wissen und genauere
Informationen darüber zu beschaffen?
Wie Sie wissen, Frau Kollegin Dağdelen, werden Parteien mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen vom Verfassungsschutz beobachtet. Im Rahmen dieser Beobachtung bemühen wir uns um alle einschlägigen und
wichtigen Informationen.
Nun rufe ich die Frage 18 der Kollegin Pau auf:
Ab wann und mit welcher Begründung wurden die antisemitisch motivierten Schändungen jüdischer Friedhöfe nicht
mehr in dem „Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch
Motivierte Kriminalität“ bzw. in der Vorgängerversion von
1992 „Polizeiliche Kriminalstatistik - Staatsschutz“ statistisch erfasst und bewertet?
Dieser Fragestellung liegt nach allem, was ich feststellen konnte, offenbar ein Missverständnis zugrunde.
Es ist nämlich so, dass antisemitisch motivierte Schändungen jüdischer Friedhöfe - darauf zielt Ihre Frage ab in der Vergangenheit nie als eigener Tatbestand im „Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Politisch Motivierte
Kriminalität“ - in guter deutscher Abkürzungstradition:
KPMD-PMK - erfasst worden sind, auch nicht im vorherigen und mit Wirkung zum 1. Januar 2001 durch Beschlussfassung der IMK eingestellten „Kriminalpolizeilichen Meldedienst - Staatsschutz“.
Das ist leicht zu erklären. Die Delikte, die mittels des
KPMD-PMK statistisch erfasst werden, orientieren sich
an dem im Einzelfall verletzten Straftatbestand. Bei Verletzung mehrerer Straftatbestände erfolgt die statistische
Erfassung nach dem Delikt, das mit der höchsten Strafandrohung bewehrt ist. Die antisemitisch motivierte
Schändung jüdischer Friedhöfe stellt gemäß Strafgesetzbuch aber kein eigenständiges Delikt dar. Vielmehr können je nach den Umständen des konkreten Einzelfalls
unterschiedliche, zum Teil auch mehrere Straftatbestände verletzt werden, in der Regel insbesondere Sachbeschädigung, gegebenenfalls verbunden mit Propagandadelikten, Volksverhetzung oder Störung der
Totenruhe. Das wird dann in der Statistik entsprechend
erfasst.
Herr Staatssekretär, wenn nie unter dem Vorzeichen
oder Attribut „antisemitisch“ erfasst wurde, was an
Straftaten unterschiedlichster Ausprägungen auf jüdischen Friedhöfen passiert ist, stellt sich mir die Frage,
auf welcher Grundlage Herr Adolf Diamant sein Buch
Geschändete Jüdische Friedhöfe in Deutschland - 1945
bis 1999 geschrieben hat, in dem er insbesondere für die
Jahre 1995 und 1996 Auskünfte vom BMI zitiert, bis
zum einzelnen Friedhof in der jeweiligen Stadt genau. Er
meint, diese Informationen, auch was die Motivation für
die Straftat betrifft, vom Bundesministerium des Innern
- natürlich von den damals Verantwortlichen - bekommen zu haben.
Ihre Frage bezog sich auf die entsprechende Rubrik
des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes; das habe ich
exakt beantwortet. Dort werden Straftaten erfasst. Bei
den Schändungen handelt es sich allerdings nicht um einen einheitlichen Straftatbestand, sondern um unterschiedliche Straftatbestände.
Selbstverständlich haben wir im Rahmen der Tätigkeit der Landeskriminalämter seit jeher versucht, uns einen Überblick über die jüdischen Friedhöfe, die geschändet worden sind, zu verschaffen. So steht zum
Beispiel in einer Aufschlüsselung, dass in den Jahren
2002 bis 2007 insgesamt 267 jüdische Friedhöfe geschändet worden sind - eine erschreckende Zahl, die
sehr bedauerlich ist. Ich nehme an, dass der von Ihnen
zitierte Autor über diese Informationen verfügt hat.
Mich würde trotzdem interessieren, wo genau und
nach welchen Kriterien Schändungen von jüdischen
Friedhöfen erfasst werden. Das frage ich auch vor dem
Hintergrund, dass mir die Bundesregierung am 27. Dezember des vergangenen Jahres in ihrer Antwort auf
meine Kleine Anfrage zu antisemitisch motivierten
Schändungen von jüdischen Friedhöfen geschrieben hat,
ich möge mich wegen der genauen Aufschlüsselung bitte
an die Bundesländer, an die Landeskriminalämter wenden. Das heißt, dass Sie nicht in der Lage sind, mir außer
der Gesamtzahl etwas zu sagen.
Ja. Das hängt mit der Verteilung der Zuständigkeiten
im föderalen Bundesstaat zusammen. Es handelt sich um
Erhebungen der Länder. Ich kann Ihnen die Zahl, die ich
Ihnen genannt habe, gerne für die Jahre 2002 bis 2007
aufschlüsseln. Wir sind aber leider nicht imstande, sie
beispielsweise regional aufzuschlüsseln. Insofern müssen Sie sich in der Tat an das jeweilige Bundesland wenden.
Sevim DaðdelenSevim Dağdelen
Nun möchte die Kollegin Enkelmann Ihnen eine
Frage stellen.
Herr Staatssekretär, wie diesem Buch offenkundig zu
entnehmen ist, gibt es trotz allem eine Art Gesamtstatistik. Erfassen Sie diese Gesamtstatistik? Gibt es Meldungen aus den Ländern, die Sie sozusagen zusammentragen? Das wäre ja nicht unwichtig, um bestimmte
Entwicklungen nachvollziehen zu können. Irgendwoher
müssen die Zahlen ja kommen.
Natürlich, die Zahlen kommen von den Landeskriminalämtern. Sie müssen aber wissen, dass diese Erhebungen von den Landeskriminalämtern in eigener Regie
durchgeführt werden und dass die Landeskriminalämter
die Definitionshoheit über die Bewertung der jeweiligen
Straftat haben. Auch das ist etwas, worauf wir von Bundesseite aus keinen Einfluss haben.
Damit sind wir am Ende der Fragen zu diesem Geschäftsbereich. Herr Kollege Altmaier, ich bedanke mich
sehr und wünsche Ihnen für den verbleibenden Tag noch
ähnlich angenehme und gemütliche Beschäftigung zur
angemessenen Feier Ihres heutigen Geburtstages.
Die zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen eingereichten Fragen 19 und 20 der Kollegin Veronika Bellmann und die Frage 21 des Kollegen
Dr. Gerhard Schick werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Für die
Beantwortung der Fragen steht der Kollege Schauerte
zur Verfügung.
Die Fragen 22 und 23 des Kollegen Hill werden
schriftlich beantwortet, die Frage 24 des Kollegen
Ströbele ebenfalls.
Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Enkelmann auf:
Wie vereinbart die Bundesregierung den Armutsbegriff
des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie Hartmut Schauerte, wonach
es in Deutschland „bis auf wenige Ausnahmen nahezu keine
Armut“ gebe ({0}), mit den Angaben im Entwurf des aktuellen
Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung, laut
dem die Armutsrisikoquote in der Bundesrepublik Deutschland von 1998 bis 2005 von 12 auf 18 Prozent gestiegen ist
({1})?
Herr Präsident! Frau Kollegin Enkelmann, die Antwort lautet: Der Entwurf des aktuellen Armuts- und
Reichtumsberichts der Bundesregierung verwendet das
Konzept der relativen Einkommensarmut.In Deutschland gilt nach dieser offiziellen Definition als armutsgefährdet, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren
Einkommens verfügt. Dies sind nach der international
vergleichbaren EU-Statistik etwa 13 Prozent der Bürger.
Sollten Bürger ein Einkommen unter dieser Schwelle
haben, so haben sie in der Regel Anspruch auf Leistungen nach SGB II oder SGB XII. Diese Leistungen garantieren das soziokulturelle Existenzminimum, durch das
über die physische Existenzsicherung, also den Grundbedarf wie notwendige Nahrung, Kleidung oder Unterkunft, hinaus die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
sichergestellt wird. Somit sorgt der Sozialstaat dafür,
dass niemand in Deutschland eine existenzielle Notlage
im Sinne von absoluter oder primärer Armut erfährt. Auf
diese Aussage im aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, nämlich
ich, hingewiesen. Durch das Zitat wird das verdeutlicht:
Würde man Armut als echte Notlage verstehen, in
der eine Person um ihren Lebensunterhalt fürchten
muss, dann gäbe es in Deutschland bis auf wenige
Ausnahmen nahezu keine Armut.
Da Sie in Ihrer Frage auch einen Prozentsatz erwähnt
haben, wonach etwa 18 Prozent der Bevölkerung dem
Armutsrisiko unterliegen - mit steigender Tendenz -,
darf ich in diesem Zusammenhang darauf verweisen,
dass diese Untersuchung auf einer Stichprobengröße - es
geht um die erfassten Haushalte - von 11 500 Haushalten beruht. Die im Rahmen eines Mikrozensus erfasste
Stichprobe, bei dem ein Anteil von 15 Prozent ermittelt
wurde, umfasst demgegenüber 315 000 Haushalte.
({0})
Zusatzfrage, Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, ich beziehe mich auf Ihren Beitrag im Tagesspiegel, in dem Sie sich unter der Überschrift „Deutschland rechnet sich arm“ zu diesem Thema
äußern. Sie schreiben dort unter anderem:
Wer als Alleinlebender 781 Euro oder weniger
netto verdient, gilt in Deutschland als armutsgefährdet. Das ist - gemessen an internationalen Standards - ein respektables Einkommen.
Halten Sie 781 Euro angesichts der Höhe der Lebenshaltungskosten, die deutlich angestiegen sind, und der dramatisch steigenden Stromkosten nach wie vor für ein
respektables Einkommen?
Im internationalen Zusammenhang: Ja. In Deutschland - darauf habe ich hingewiesen - reicht dieses Einkommen - so ist es definiert -, um über den Grundbedarf
hinaus auch die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu
ermöglichen.
Ich möchte ergänzend bemerken: Mit diesem Artikel
habe ich auf eine systematische Problematik hinweisen
wollen, was mir sehr wichtig ist. Die Definition der Armut - danach ist jemand arm, wenn er weniger als
60 Prozent des Durchschnitts verdient - orientiert sich
am durchschnittlichen Einkommen in Deutschland, einer
mathematisch und nicht nach dem Bedarf abgeleiteten
Größe. Das kann zu fatalen Ergebnissen führen. Man
muss sich das einmal klarmachen: Wenn alle Millionäre
Deutschland verlassen würden, sänke das durchschnittliche Einkommen in Deutschland deutlich, und darum
hätten wir deutlich weniger Arme. Ich könnte ein anderes Beispiel nennen: Wenn Bill Gates mit seinen Einnahmen in Milliardenhöhe nach Deutschland ziehen würde,
stiege das durchschnittliche Einkommen in Deutschland,
darum hätten wir dann statistisch gesehen einige Hunderttausend Arme mehr in Deutschland. Das ist die Konsequenz einer solchen mathematischen Durchschnittsbildung. Mit meinem Artikel wollte ich darauf hinweisen.
Es ist nötig, einmal über diese Definition nachzudenken
und die Menschen nicht zu verhetzen und sie in der einen oder anderen Sachlage in Sorge zu treiben.
Frau Enkelmann.
Herr Staatssekretär, erschrecken Sie jetzt nicht selber
über die Kälte Ihrer Aussagen? Es geht hier nicht um
Statistik und Mathematik, sondern um ganz reale Probleme von Menschen in diesem Land. Darauf hat im
Übrigen der Bundespräsident gestern in seiner Berliner
Rede hingewiesen. Er hat unter anderem gesagt:
Gerade die Armut von Kindern - die meist eine lebenslang nachwirkende Benachteiligung hinsichtlich ihrer Chancen bedeutet - dürfen wir nicht dulden. Sie ist ein Skandal.
Darin muss ich dem Bundespräsidenten ausdrücklich
recht geben.
({0})
Wie erklären Sie sich den Widerspruch Ihrer Aussage
zur Aussage des Bundespräsidenten gestern?
Frau Enkelmann, ich darf Sie darauf hinweisen, dass
ich diesen Bundespräsidenten seinerzeit sogar gewählt
habe
({0})
und dass ich ihm insofern schon viel früher recht gegeben habe, wie auch in dieser Frage. Ich gebe dem Bundespräsidenten mit dieser Feststellung recht.
Meine nachdenkliche Berichterstattung bezieht sich
im Prinzip auf das, was Sie mit Zahlen machen. Sie verhetzen mit statistischen Zahlen Menschen.
({1})
- Ich habe gerade darauf hingewiesen, dass es im gleichen Zusammenhang auch einen Bericht der Bundesregierung gibt, der von 15 Prozent spricht. Ich habe auch
darauf hingewiesen, wie solche Prozentzahlen zustande
kommen. Das gehört genauso zu einer vernünftigen und
verantwortungsvollen Diskussion über Armut in Deutschland wie der Hinweis, dass es im Einzelfall wirklich bittere Armut gibt.
({2})
Die Bundesregierung ist aber nicht der Meinung, dass
die Armutsentwicklung in Deutschland in einer Weise
skandalisiert werden muss, wie es der eine oder andere
politisch versucht.
({3})
- Nein. Ich darf noch einmal in aller Ruhe darauf eingehen. Der Bundespräsident hat mit Recht auf Probleme
bei der Kinderarmut hingewiesen. Die Bundesregierung
ist einschließlich der Diskussion über Kindergeldfragen
und Möglichkeiten zusätzlicher Hilfen für kinderreiche
Familien sehr intensiv mit diesem Thema befasst. Wir
sehen uns in engem Schulterschluss mit dem, was der
Bundespräsident angemahnt hat.
Nun hat die Kollegin Dağdelen noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen,
dass Armut eine mathematische Größe sei und sich das
Durchschnittseinkommen in Deutschland entsprechend
ändert, wenn Reiche zuziehen oder abwandern. Stimmen
Sie mir zu, dass es im vorliegenden Armutsbericht eigentlich nicht um das Durchschnittseinkommen, sondern
um das Medianeinkommen geht, in dessen Berechnung
die Einkommen von Ausreisenden und Einreisenden
nicht einbezogen werden?
Frau Kollegin, ich habe nicht davon gesprochen, dass
Armut ein Problem des mathematischen Durchschnitts
ist. Ich wollte vielmehr darauf hinweisen, dass man sie
nicht zu einem solchen Problem machen darf. Es kommt
darauf an, den Einzelfall zu berücksichtigen, statt durch
Durchschnittswerte den Blick für die Wirklichkeit zu
verstellen.
Ich habe mich auf Durchschnittswerte bezogen, die in
dem nicht abgestimmten Armutsbericht, der vorzeitig
veröffentlicht wurde, enthalten sind und die Sie gerne
aufgreifen, wie Ihre Frage beweist. Diesem Irrtum wollte
ich entgegenwirken
({0})
und auf die Betroffenen im Einzelfall verweisen; man
darf sich nicht hinter statistischen Angaben verstecken.
Das ist der Ansatz meines Artikels. Insofern halte ich ihn
nach wie vor für sehr geeignet, diese Diskussion zu befruchten.
({1})
Jeder kann hier fragen, was er will, und umgekehrt
kann jeder antworten, was er will. Das lässt in dem einen
wie in dem anderen Fall gelegentlich Wünsche offen,
wenn ich mir diese streng überparteiliche Bemerkung erlauben darf.
({0})
Nun hat Frau Kollegin Pau Gelegenheit zu einer Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, weil Sie keine Durchschnittszahlen
bewerten wollen - was ich im Übrigen gut verstehe -,
stelle ich eine ganz konkrete Frage. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat gerade kritisiert, dass der
Arbeitslosengeld-II-Regelsatz für Kinder und Jugendliche zu niedrig ist und in Armut führt. Halten Sie einen
Tagessatz von 4,17 Euro pro Kind für ausreichend, oder
meinen Sie, dass ein Kind, das 4,17 Euro pro Tag zur
Verfügung hat, arm ist?
Wir haben genau diese Frage aufgegriffen. In der Vergangenheit wurde festgelegt - statistisch vom Durchschnittsverbrauch abgeleitet -, dass ein Kind 60 Prozent
des Regelsatzes eines Erwachsenen erhält.
({0})
So werden die Versorgung und Finanzierung von Kindern bisher bewertet. Die Bundesregierung ist intensiv
dabei, umzudenken, weil wir an einem solchen Durchschnittswert nicht festhalten können. Ein Kind ist nämlich teurer als 60 Prozent des Regelsatzes für einen Erwachsenen.
({1})
Nun versuchen wir im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten, dieses Verhältnis im Sinne der Kinder sowie
ihrer Chancen und Potenziale zu verbessern.
({2})
Die Frage 26 des Kollegen Fell wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich bedanke mich beim Kollegen Schauerte.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt steht zur Beantwortung
der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 27 des Kollegen Gehrcke auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die im Friedensgutachten 2008 zitierte Ankündigung des Direktors der Europäischen Verteidigungsagentur, 2008 müsse „Europas Jahr der
Rüstung“ werden ({0})?
Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Kollege, Ihre
Frage beantworte ich wie folgt: Die zitierte Aussage des
Hauptgeschäftsführers der Europäischen Verteidigungsagentur, EDA, bezog sich wohl auf die Aktivitäten speziell dieser Agentur im Jahr 2008 und nicht auf Rüstung
im Sinne einer europäischen Aufrüstung. Obwohl sich
die Bundesregierung nicht in der Exegese einzelner
Satzbausteine von Äußerungen der Mitarbeiter europäischer Institutionen ergeht, verstehe ich die Intention
dieser Sätze so, dass die Aufgabe der Europäischen Verteidigungsagentur in der Verbesserung der innereuropäischen Rüstungszusammenarbeit besteht, um die Ressourcen gemeinsam besser nutzen zu können. Nachdem
sich die Europäische Verteidigungsagentur in den Vorjahren auf andere Themen wie die gemeinsame Sicherheitsforschung konzentriert hat, will sie sich nun stärker
mit der Förderung und Verbesserung der innereuropäischen Rüstungszusammenarbeit befassen. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Aktivitäten der
Europäischen Verteidigungsagentur sowohl von der
Bundesregierung als auch von den anderen 25 beteiligten Mitgliedstaaten unterstützt werden.
Eben waren wir bei der Armut. Nun reden wir im Zusammenhang mit der Rüstung über den Reichtum. Kennt
die Bundesregierung den Auftrag des Lenkungsausschusses der Europäischen Verteidigungsagentur, eine
europäische Rüstungsstrategie zu erarbeiten und diese
im November vorzulegen, und, wenn ja, was wären aus
Sicht der Bundesregierung wesentliche Bestandteile einer solchen europäischen Rüstungsstrategie?
Herr Kollege, die Europäische Verteidigungsagentur
hat bereits im Zusammenhang mit der sogenannten
Long-Term Vision, der Langzeitvision, für die Entwicklung der europäischen Strukturen Hinweise gegeben und
strategische Überlegungen angestellt. Diese sind von der
Frage geprägt, wie wir auch auf diesem Feld mit den
Geldmitteln, die uns der Steuerzahler zur Verfügung
stellt, sparsam umgehen können. Wir wollen auf europäischer Ebene einen möglichst hohen Effizienzgrad der
Investitionen erreichen, wenn es um Fragen nach unserer
eigenen Sicherheit geht. Die Bundesregierung kennt
nicht nur die Arbeit des Lenkungsausschusses der EDA.
Sie ist vielmehr sehr daran interessiert, die Synergieeffekte zu nutzen und zu fördern.
Abgesehen davon, dass ich Ausgaben für Rüstung für
hinausgeschmissenes und falsch eingesetztes Geld halte,
wie Sie wissen: Können Sie mir sagen, auf welchen gesetzlichen Grundlagen und mit welchen zu erwartenden
Kosten die Europäische Verteidigungsagentur Politik betreibt? Sie war Bestandteil des Vertrages von Lissabon,
der nun erledigt ist.
Lieber Kollege, beiden Bewertungen, die Sie in Ihrer
Frage vorgenommen haben, möchte ich widersprechen.
Ich mache sie mir nicht zu eigen.
Erstens. Es bleibt Ihnen überlassen, wie Sie die Sicherheit unseres Landes und der Europäischen Union organisieren wollen. Ich denke schon, dass wir hier sinnvolle Investitionen in Material und Personal brauchen.
Was den anderen Aspekt betrifft: Der Lissabonner
Vertrag ist nicht tot. Der Lissabonner Vertrag hat durch
die irische Abstimmung ein Problem bekommen. Ich
empfehle Ihnen, die Regierungserklärung der Frau Bundeskanzlerin morgen im Plenum zu verfolgen und mit zu
debattieren. Wir sind alle aufgerufen, den Geist und den
Inhalt des Lissabonner Vertrags weiterhin erfolgreich zu
befördern. Die im Zusammenhang mit den Beratungen
des Lissabonner Vertrags geschaffene, sich aber auf europäischer Rechtsgrundlage befindende Europäische
Verteidigungsagentur ist eine Organisation, deren Haushalt sich nicht über die Kommission, sondern über Beiträge der Nationalstaaten finanziert. Insofern ist die parlamentarische Einbindung und die Verpflichtung zur
Darstellung der Arbeit, der Ergebnisse und der Verwendung der Mittel Aufgabe insbesondere der nationalen
Regierungen. Die Bundesregierung kommt dieser Aufgabe durch Information und Berichterstattung sowie
Einflussnahme auf die Arbeit der EDA in großem Umfang nach. Wir sind sehr froh, dass unser Land bei dieser
wichtigen europäischen Agentur nun durch den neuen
Hauptgeschäftsführer, Herrn Weis, präsent ist. Dadurch
können wir deutlich machen, dass uns am Erfolg dieser
Organisation liegt.
Wir kommen zur Frage 28 der Kollegin Petra Pau:
Wie oft hat die Luftwaffe der Bundeswehr seit dem 1. Januar 2007 den Flughafen Lübeck zu welchen Zwecken genutzt, und wie oft wurde in dem gleichen Zeitraum der Flughafen Lübeck von AWACS-Maschinen der NATO überflogen
bzw. zu Landeanflügen genutzt?
Sehr geehrte Frau Kollegin Pau, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Luftwaffe hat den Flugplatz Lübeck-Blankensee vom 1. Januar 2007 bis zum 16. Juni
2008 insgesamt fünfmal angeflogen, davon viermal mit
Hubschraubern oder Flächenflugzeugen der Flugbereitschaft der Bundeswehr im Personentransport und einmal
mit einer Transall des Lufttransportgeschwaders 61 für
ausländische Militärattachés. Darüber hinaus nutzt das
Lufttransportgeschwader 63 in Hohn im Rahmen der
Ausbildung den Flugplatz Lübeck zur Übung von Instrumentenanflügen und Durchstartverfahren ohne Landung
mit dem Luftfahrzeug C-160 Transall.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage: Nach den mir derzeit
vorliegenden Informationen wurden in dem von Ihnen
angefragten Zeitraum vier Übungsanflüge von AWACSLuftfahrzeugen der NATO, dreimal in 2007 und einmal
in 2008, durchgeführt. Ergänzend darf ich dazu mitteilen, dass diese Übungsanflüge grundsätzlich mit dem
Flugplatz Lübeck abgesprochen und von diesem genehmigt werden und der ständigen Kontrolle der Flugsicherung unterliegen.
Frau Kollegin, Sie haben eine Nachfrage?
Ja. - Danke, Herr Staatssekretär. Bei diesem Flugplatz handelt es sich um einen Flugplatz, der in einer
sehr umstrittenen Genehmigungssituation ist, unter anderem deshalb, weil die ersten Häuser der Anwohner
550 Meter vom Ende der Start- und Landebahn entfernt
sind und im Zwischenraum zwischen Start- und Landebahn und diesen Häusern eine Gasleitung liegt. Insofern
stellt sich mir die Frage, welche Bedingungen auch
rechtlicher Art erfüllt sein müssen, um solche Flüge
überhaupt - auch Anflüge - an einem solchen Flugplatz
zu genehmigen. Welche rechtlichen Grundlagen bestehen hier, bzw. welche Prüfungsverfahren müssen hier
eingehalten werden, um die Bevölkerung vor eventuellen Unglücken zu schützen?
Frau Kollegin, da es sich hier nicht um eine militärische Liegenschaft handelt, sondern um einen Zivilluftverkehrsplatz, der nur in einigen Fällen von militärischen Luftfahrzeugen angeflogen wird, dann allerdings
wie bei zivilen Fluggesellschaften nach zivilrechtlichen
Grundsätzen, kann ich Ihnen über die Genehmigungsfrage und die Punkte, die Sie ansprechen, keine Auskunft erteilen. Wir gehen davon aus - es gibt keinerlei
Hinweise, die dem widersprechen würden -, dass die
Flugbetriebserlaubnis für diesen Flugplatz besteht und
wir deswegen auf der Grundlage einer gesicherten rechtlichen Situation, wie zivile Fluggesellschaften auch, diesen Flugplatz nutzen können.
Eine weitere Nachfrage.
Es stellt sich mir trotzdem die Sinnfrage, warum gerade auf einem so kleinen zivilen Flugplatz Landean17806
flugübungen der AWACS, welche tatsächlich ein anderes Gewicht haben und eine andere Lärmbelästigung
hervorrufen, stattfinden und warum man solche Anflüge
nicht generell auf militärischem Gebiet versucht.
Ich nehme gern zur Kenntnis, dass sich für Sie die
Sinnfrage stellt.
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]:
Uns gelegentlich auch!
Die Frage nach Sinn und Unsinn stellt sich tatsächlich
auch uns ab und an im Leben.
({0})
- Soweit es um die Anflüge von Bundeswehrflugzeugen
geht, sind diese bei den wenigen Fällen, die ich genannt
habe, alles andere als bedrohlich, auch in der subjektiven
Wahrnehmung.
Außerdem ist es schon notwendig, dass militärische
Flugzeuge den Anflug an Plätze, die Ausweichplätze
sein können, ab und an üben und sich deswegen auch bei
zivilen Flugplätzen mit An- und Abflug vertraut machen, aber in dem sehr geringen zahlenmäßigen Ausmaß, das ich Ihnen für den Flugplatz Lübeck gerade dargelegt habe.
Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen
Heilmann.
Herr Staatssekretär, ich bin Lübecker, und ich kenne
die Verhältnisse aus eigenem Erleben. Deswegen muss
ich ganz einfach einmal nachhaken. Ich halte fest: Bürgerinnen und Bürger aus der direkten Umgebung des
Flughafens Lübeck haben mehrmals Anflugübungen
vierstrahliger AWACS-Maschinen vom Typ Boeing 707320B beobachtet. Von diesen Anflugübungen gibt es
auch eine Menge Fotos. Handmessungen der Bürgerinnen und Bürger haben ergeben, dass bei den Anflugübungen ein ohrenbetäubender Lärm von 117 dB entstanden ist. Ich verstehe nicht, warum bei einer ausreichenden Anzahl von vorhandenen Militärflughäfen derartige Übungen dort in Lübeck stattfinden müssen.
Deshalb meine Nachfrage: Hält die Bundesregierung
es angesichts der unglaublichen Lärmbelästigung der
Bürgerinnen und Bürger für vertretbar und verantwortbar, solche Anflugübungen über dicht besiedeltem Gebiet durchzuführen? Militärflughäfen liegen bekanntermaßen in wesentlich dünner besiedelten Regionen.
Warum wird den Menschen vor Ort diese Belastung zugemutet, zumal auch die Gefahr von Kollisionen besteht? Meine Nachfrage zielt auf Ihre konkrete Position
dazu.
Herr Kollege, ich bin sehr gern bereit, auch Hinweise
auf subjektive Eindrücke aufzunehmen, aber ich wäre
Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, wenn Sie in der Diskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern noch einmal die
Zahlen nennen würden: drei Anflüge im Jahr 2007 und
ein Anflug im Jahr 2008. Diese Zahlen fügen sich nicht
ganz in das Bild, das Sie hier vermitteln.
Wir kommen jetzt zur Frage 29 des Kollegen Lutz
Heilmann:
Gehört der Flughafen Lübeck zu den derzeit fünf eingerichteten Low Flying Areas, LFAs, die die generelle Nutzung
von Flügen im Höhenbereich bis zu 75 Metern über Grund erlauben, und bis zu welcher Minimalhöhe über Grund sind
AWACS-Tiefflüge/-Landeanflüge über bewohntem Gebiet an
einem zivilen Flugplatz erlaubt, der in einem Stadtgebiet mit
über 200 000 Einwohnern wie Lübeck liegt?
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Der Flugplatz Lübeck liegt nicht innerhalb eines der sogenannten Tieffluggebiete. Für Tiefflüge mit strahlgetriebenen militärischen Luftfahrzeugen gilt in Deutschland eine Mindesthöhe von 1 000 Fuß - das sind circa
300 Meter über Grund -, über Städten mit mehr als
100 000 Einwohnern 2 000 Fuß; das sind circa
600 Meter über Grund. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf eine vorherige Fragestunde, in der Frau
Kollegin Pau im Hinblick auf Schwerin eine entsprechende Frage gestellt hat; auch da haben wir über die
Mindestflughöhe gesprochen.
Tiefflüge mit Luftfahrzeugen der NATO vom Typ
E-3A - das ist die militärische Bezeichnung für das
AWACS-Flugzeug des Typs Boeing 707-200 werden in
Deutschland nicht durchgeführt. Landeanflüge an zivilen Flugplätzen sind generell bis zu der für das jeweilige
Anflugverfahren vorgeschriebenen Höhe zulässig, soweit durch den Flugplatzbetreiber oder die örtliche Flugsicherung keine restriktivere Regelung erfolgt.
Herr Heilmann, Sie haben eine Nachfrage. Bitte
schön.
Eine Nachfrage habe ich selbstverständlich. - Mit den
AWACS-Maschinen werden Anflugübungen durchgeführt. Könnten diese AWACS-Maschinen auf dem Flughafen Lübeck überhaupt landen? Die dortige Landebahn
ist, wie gesagt, 2 100 Meter lang. Nach meinem Kenntnisstand können dort nicht alle Flugzeugtypen landen.
Es kann einmal der Fall eintreten, dass einem Piloten ein
Fehler unterläuft und er ganz einfach landen muss. Ist
eine gefahrlose Landung dieser Riesenflieger in Lübeck
überhaupt möglich?
Gemäß flugbetrieblicher Regelungen der NATO dürfen militärische Luftfahrzeuge von diesem Typ, sofern
sie ein maximales Startgewicht von 147 Tonnen haben,
an Flugplätzen mit einer Startbahnlänge von unter
7 000 Fuß - das sind 2 133 Meter - nicht starten sowie,
außer bei einer Luftnotlage, nicht landen. Das heißt, sie
dürfen nur bei einer Luftnotlage landen.
({0})
- Frau Präsidentin, wenn Sie es mir gestatten: Frau Kollegin, ich finde, über Luftnotlagen braucht man nicht zu
lachen. Es können Situationen auftreten, in denen es
schon notwendig ist, dass Flugzeuge an den Boden kommen.
({1})
Ich bin sehr erstaunt, dass Frau Kollegin Enkelmann sich
einen Spaß daraus macht, über diese Fragen zu reden.
Die Ausbildung der Soldaten und der Piloten - ({2})
- Frau Präsidentin, ich glaube, ich bin jetzt an der Reihe.
Durch das Mikrofon haben Sie genügend Lautstärke.
Vielleicht meldet sich Frau Enkelmann zu einer Zwischenfrage.
Ich will nicht provozieren, dass sie sich dazu meldet.
Zuhören reicht mir schon.
Wissen Sie, diese Übungsanflüge werden nicht aus
Spaß und Freude gemacht. Eine gute fliegerische Ausbildung von Piloten gehört zum Auftrag sowohl ziviler
als auch militärischer Flugzeugbesatzungen. Deswegen
sind solche Übungsanflüge notwendig - Punkt.
Es gibt eine weitere Nachfrage des Kollegen
Schneider.
Herr Staatssekretär, Sie sagten eben, wir gingen hier
etwas leicht mit einer Notsituation um. Sie haben erklärt,
dass man nach den NATO-Vorschriften auf dieser Bahn
nicht landen darf, außer in einer Notsituation. Nun frage
ich mich, was dieses AWACS-Flugzeug überhaupt über
einer Landebahn zu suchen hat, auf der es nicht landen
darf. Da muss ich einfach einmal feststellen: Sie führen
eine Notsituation doch erst herbei. Würde diese Übung
nicht gemacht, dann könnte eine Notsituation nicht entstehen. Ich frage Sie ganz konkret: Warum benutzen Sie
für solche Anflugübungen keine Landebahnen, auf denen das Flugzeug tatsächlich landen darf, wenn eine
Notsituation eintritt, ohne dass eine Gefährdung für das
Personal besteht? Ich muss Ihnen deutlich sagen, dass
ich Ihren Hinweis auf unser Lachen in diesem Zusammenhang völlig unangebracht finde; denn Sie bringen
hier die Piloten in Gefahr.
Herr Kollege, das scheint wohl ein Versuch von Dialektik zu sein. Das beginnt schon damit, dass Sie behaupten, ich hätte im Plural gesprochen. Ich habe mich
nicht mit Ihrem Lachen - im pluralischen Sinne -, sondern nur mit dem von Frau Kollegin Enkelmann auseinandergesetzt. Falls auch Sie gelacht haben sollten,
nehme ich Sie gerne in die Runde derer auf, die ich kritisiere.
Sie müssen sich schon der Mühe unterziehen, sich mit
den Abläufen und Anforderungen auseinanderzusetzen,
und zur Kenntnis nehmen, dass es sich hierbei gerade
nicht um Landungen handelt.
Soweit es um Landungen in einer realen Notlage
geht: Sie wissen, dass das Ganze immer sehr großzügig
berechnet wird, um Spielräume zu haben. Hier nenne
ich eine Startbahnlänge von 7 000 Fuß, umgerechnet
2 133 Meter. Der Flugplatz Lübeck-Blankensee hat eine
verfügbare Startbahnlänge von 2 102 Metern, sodass
eine Notlandung oder eine normale Landung zulässig
und auch möglich wäre.
Es geht hierbei aber nicht um Landungen, sondern um
Anflugübungen. Sie werden daraus unschwer erkennen,
dass hier keinerlei Gefährdung eintritt und dass es ein
abgestimmtes Verfahren ist. Sie können davon ausgehen:
Wenn sich daraus Gefährdungen ergeben würden, würden diese Übungen, gerade bei den hohen Anforderungen der Luftsicherheit, so nicht stattfinden.
Allerdings sind das jetzt Detailfragen, die den Zivilluftverkehr betreffen, die ich an eine andere Stelle zu
richten bitte. Ich kann das für das Bundesministerium
der Verteidigung nur für den militärischen Bereich beantworten.
Jetzt hat sich Frau Pau gemeldet.
Herr Staatssekretär, ich möchte an Ihre letzte Antwort
anknüpfen. Wenn die Bundesregierung bei der Prüfung
von Umständen - ich habe das geschildert: eine Gasleitung in unmittelbarer Nähe des Endes der Start- und
Landebahn, das erste Wohnhaus in 500 Metern Entfernung von dieser Start- und Landebahn - zu dem Schluss
käme, dass es nicht sinnvoll wäre, unter Berücksichtigung der hypothetischen Möglichkeit, dass doch einmal
eine Notlage eintritt, solche Landeanflüge durchzuführen, hätte die Bundesrepublik oder die Bundesregierung
dann die Möglichkeit, ihren NATO-Partnern die Nutzung einiger Flugplätze oder dieses speziellen zivilen
Flughafens für Anflugübungen zu untersagen und, wenn
ja, auf welcher Grundlage?
Nachdem solche Anflüge nach den Regeln der Zivilluftfahrt abzuwickeln sind - Anmeldung beim Flughafen, Genehmigung -, ist diese Möglichkeit grundsätzlich
gegeben. Ich möchte aber im Übrigen um Verständnis
bitten, Frau Kollegin Pau. Ich müsste spekulieren, wenn
ich mich zu der von Ihnen angesprochenen Problematik
äußern sollte. Ich kann sie nicht bewerten, weil das eine
Angelegenheit ist, die im zivilverkehrlichen Bereich zu
klären ist. Wenn es zivilverkehrsrechtlich entsprechende
Hinweise gäbe, würde sich selbstverständlich auch das
Militär - das schließt Flugzeuge der NATO-Partner und
anderer Partner im Rahmen von Bündnissen ein - daran
zu halten haben.
Herr Heilmann, wir kommen jetzt zu Ihrer Frage 30:
Könnte eine AWACS-Maschine bei einem MTOW - maximales Startgewicht - von circa 147 Tonnen auf dem Flughafen Lübeck-Blankensee mit einer verfügbaren Start-/Landestrecke von 2 100 Metern gefahrlos landen und wieder
starten?
Ich bitte um Entschuldigung für die kleine Verzögerung jetzt. Ich hatte übersehen, dass noch eine Frage zu
beantworten ist. - Wie ich sehe, habe ich die zweite
Frage aber schon beantwortet. Ich habe auf die rechtlichen Regelungen hingewiesen und dahin korrigiert, dass
die verfügbare Startbahnlänge nach meinen Unterlagen
2 102 Meter beträgt.
Herr Heilmann.
Herr Staatssekretär, aufgrund Ihrer Ausführungen
muss ich nachhaken. Ich möchte das ganz genau wissen,
um den Betroffenen das dann auch ganz genau sagen zu
können.
Ich halte also einmal fest: Die Anflugübungen - egal
wie ich zu militärischen Fragen stehe - wären gut und
gern auch an Militärflughäfen anderenorts in Deutschland möglich, wo man nicht korinthenkackerisch auf
2 Meter Unterschied abstellen müsste.
Meine konkrete Frage lautet: Sind Ihnen die Gefährdung, die wir in unseren Fragen heute schon deutlich gemacht haben, und die Beeinträchtigungen zum Beispiel
durch Lärm, die die Bürgerinnen und Bürger im Umfeld
des Flughafens erleiden - es handelt sich um ein recht
großes Dorf; ich kenne es genau; es geht ja auch nicht
nur um die drei AWACS-Anflüge in 2007, sondern es
gibt dort auch Linienverkehr; all das muss man ja summieren -, schlichtweg egal? Könnten Sie nicht auch sagen: Solche Anflugversuche bzw. Tests finden nicht in
Mir ist die Intention Ihrer Frage nicht ganz klar. Alle
über die drei Anflüge hinausgehenden Anflüge beziehen
sich ja wohl auf zivile Anflüge. Dazu kann ich nichts sagen, weil das nicht in meinen Zuständigkeitsbereich
fällt.
Nun zu den drei genannten Anflügen in 2007: Mir
scheint es noch einmal notwendig, klarzumachen, dass
sich Ihre Frage auf Flugzeuge, die ihr maximales Startgewicht von 147 Tonnen voll ausgeschöpft haben, bezogen hat, während ansonsten das Gewicht von Flugzeugen stark variiert. Das Gewicht von Flugzeugen hängt
nämlich im Wesentlichen von der Schwere der Ladung
und der Menge des Treibstoffes, den sie mit sich führen,
ab.
Übungsanflüge im Rahmen des aktuell zulässigen
Luftfahrzeuggewichts sind jedoch zulässig. Ich kann
jetzt keine Aussage dazu machen, ob dort auch Zivilflugzeuge gleicher Größe oder gleichen Gewichts fliegen. Bei den Militärflugzeugen wurden allerdings die
Regeln und Vorschriften eingehalten. Die Übungsanflüge von Flugzeugen der Luftwaffe und der NATOPartner wurden zudem auf eine sehr große Zahl von
Flugplätzen verteilt. Das hat damit zu tun, dass man insbesondere die Belastung, die zweifelsohne schon allein
durch den Lärm hervorgerufen wird, dadurch gering halten möchte, dass man sie auf möglichst viele Flugplätze
in unserem Land verteilt und nicht einzelne besonders in
Anspruch nimmt.
Ich stehe nicht an, mich bei dieser Gelegenheit bei der
Bevölkerung dafür zu bedanken, dass grundsätzlich Akzeptanz herrscht, dass militärischer und ziviler Flugverkehr in unserem Land notwendig ist und auch zukünftig
durchgeführt werden muss.
Herr Heilmann, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Ja. - Herr Staatssekretär, Sie sind im Verteidigungsministerium tätig. Ich bin dagegen im Verkehrsausschuss
dieses Hohen Hauses tätig und kümmere mich dort für
die Fraktion Die Linke insbesondere um den Fluglärm.
Sie haben wahrscheinlich keine Kenntnis darüber - vielleicht sollten Sie sich das einmal anlesen -, welche Auswirkungen insbesondere Fluglärm auf Menschen hat. Es
handelt sich - ich hatte es Ihnen vorgelesen - um Lärmbelastungen von bis zu 117 dB. Vielleicht hätte ich
einmal ein Gerät mitbringen sollen, um Ihnen zu verdeutlichen, wie laut 117 dB sind.
Vor diesem Hintergrund und angesichts der Tatsache,
dass man diese Anflugübungen auch über militärischen
Flughäfen durchführen kann, die nicht über so dicht besiedeltem Gebiet und damit in dieser Beziehung günstiger liegen, noch einmal meine Frage: Ist es Ihnen egal,
dass den Menschen in Lübeck über die Beeinträchtigung
durch den Linienverkehr, die die Bewohner dort haben
und die sowohl vom Gesichtspunkt des Lärms als auch
dem der Gefährdung, die durch die ungünstige Situation
am Flughafen Lübeck herrscht, hervorgerufen wird, weitere Beeinträchtigungen zugemutet werden? Diese Frage
können Sie mit Ja oder mit Nein beantworten.
Diese Frage werde ich nicht beantworten; denn sie
zeugt nicht von einem Interesse an einer sachorientierten
Diskussion, sondern zeugt von dem Versuch, ziemlich
einfache Polemik loszuwerden.
Lieber Herr Kollege, Flugzeuge machen natürlich
Lärm. Das weiß ich, auch ohne Berichterstatter im Verkehrsausschuss zu sein, und das weiß jeder. Sie knüpfen
daran die Frage, inwieweit man die Belastungen für die
Bevölkerung gering halten kann. Natürlich müssen wir
alle daran arbeiten. Ich kann Ihnen auch aufgrund meines Wissens als Abgeordneter sagen, dass Ihre Vorstellung, dass um militärische Flugplätze herum niemand
wohnt, genauso wenig zutrifft wie die Behauptung, es
hätte sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht Erhebliches in der Lärmreduzierung getan. Wenn ich richtig informiert bin, hat dieses Haus gesetzliche Grundlagen dafür geschaffen, und zwar erst vor kurzem; ich
glaube, wir haben in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz verabschiedet.
({0})
Ich stelle anheim, Herr Kollege, dass Sie über diese
Fragen noch einmal im zuständigen Verkehrsausschuss
beraten. Ich kann Ihnen jedenfalls bei solchen polemischen und pauschalen Angriffen leider nicht mit Antworten dienen, die auf der gleichen Ebene sind. Das versage ich mir.
Die Kollegin Pau mit einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ganz sachlich: Richtig ist, dass
auch militärisch genutzte Flughäfen und Gelände natürlich nicht bevölkerungslos sind. Wir denken nur an die
noch nicht abgeschlossene Auseinandersetzung um die
Nutzung des sogenannten Bombodroms in der KyritzRuppiner Heide, wo sich die Bürgerinnen und Bürger
gegen eine militärische Nutzung eines zweifellos bis zu
einem bestimmten Zeitpunkt militärisch genutzten Areals
wehren. Aber ich möchte in dieser Debatte noch etwas
lernen, und deswegen wüsste ich gern, ob es in Bezug
auf militärische Anflüge und Flugübungen, auch auf
zivilen Flughäfen, besondere Festlegungen zum Lärmpegel gibt; denn ohne Zweifel rufen diese schweren Maschinen, über die wir hier reden, in den sehr geringen
Flughöhen natürlich eine besondere Lärmbelastung hervor. Gibt es hier festgelegte Grenzwerte, insbesondere
für den Anflug auf zivile Flughäfen, oder nicht?
Frau Kollegin, ich bedanke mich für die sachliche
Frage. Allerdings muss ich bei der genauen Darlegung
der Lärmschutzbestimmungen passen. Ich kann Ihnen
nur sagen, dass wir in diesen Fällen der Nutzung von zivilen Flugplätzen den zivilen Lärmschutzvorschriften
unterliegen. Das heißt, militärische Flugzeuge, die einen
größeren Lärm verursachen - außer im Fall von Notlandungen oder unmittelbar notwendigen Landungen, von
denen wir hier nicht reden -, müssen sich diesen Vorschriften unterwerfen.
Ergänzend, schon um die Dimension der Ausgangsfragestellung etwas zu relativieren, weise ich darauf hin,
dass wir die dafür vorgesehenen zivilen Flugplätze in einem Umfang von insgesamt circa fünf bis zehn Tagen
pro Jahr nutzen. Die meisten Übungsanflüge und -landungen finden regelmäßig auf den militärischen Flugplätzen - Geilenkirchen, Köln, Laage, Nordholz, Nörvenich, Büchel, Spangdahlem, Ramstein und Manching statt; das ist - wenn auch von mir jetzt zahlenmäßig
nicht ganz genau bezifferbar - der weitaus größere Teil
von Übungsanflügen und -landungen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Jan Mücke auf:
Zu welchen rechtlichen Aspekten wurden bislang im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
BMVBS, Prüfungen durchgeführt, die im Zusammenhang mit
dem Bauvorhaben „Neubau des Verkehrszuges Waldschlößchenbrücke“ in Dresden einschließlich aller bislang hierzu
diskutierten Alternativvarianten stehen oder sich darauf beziehen, und welche Ergebnisse hatten diese Prüfungen jeweils?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege, ich
kann Ihnen folgende Antwort geben: Die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hinsichtlich des Baus der Waldschlößchenbrücke durchgeführten Prüfungen rechtlicher Aspekte beziehen sich
ausschließlich auf Förder- und Finanzierungsfragen,
soweit für das Vorhaben Bundesmittel eingesetzt werden. Nach dem zur Umsetzung der Föderalismusreform
erlassenen Entflechtungsgesetz stehen dem Freistaat
Sachsen in den Jahren 2007 bis 2013 jährlich 87,678 Millionen Euro für erforderliche Investitionen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu. Der
Freistaat Sachsen hat dem Bund jährlich über die Verwendung der erhaltenen Beträge zu berichten. Wird danach abschließend festgestellt, dass Beträge im Berichtsjahr nicht zweckgerecht verwendet wurden, wird die
Zuweisung an das jeweilige Land um den fehlverwendeten Betrag gekürzt und dieser Betrag auf die anderen
Länder verteilt.
Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat ferner die Möglichkeit des Einsatzes
von Bundesfinanzhilfen im Rahmen der Städtebauförderung geprüft. Danach können Städtebauförderungsmittel
auch für den Mehraufwand eingesetzt werden, der sich
bei kommunalen Straßenbauvorhaben daraus ergibt, dass
das Verkehrsbauwerk in einer an das Stadtbild angepassten Weise ausgeführt wird.
Sie haben die Möglichkeit zur ersten Nachfrage, Herr
Mücke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, ich beziehe mich auf eine Frage, die ich
in der letzten Fragestunde gestellt habe. Es ging dabei
nicht so sehr um Aspekte der Förderung und Finanzierung, sondern um die Verwendbarkeit von Unterlagen,
die zum jetzt gültigen Planfeststellungsbeschluss für die
Waldschlößchenbrücke vorhanden sind, für ein Alternativprojekt, nämlich für den Waldschlößchentunnel.
Ich hatte in der letzten Fragestunde Ihrer Kollegin
Frau Staatssekretärin Roth die Frage gestellt, ob es seitens des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung Prüfungen gegeben habe, dass Unterlagen dieses Planfeststellungsbeschlusses im Rahmen eines neuen Planfeststellungsverfahrens für einen Waldschlößchentunnel verwandt werden können. Ihre
Kollegin hat dazu ausgeführt, dass solche Prüfungen
nicht erfolgt seien.
Professor Weber, einer der Initiatoren des Tunnelbauprojekts, sagte in den Dresdner Neuesten Nachrichten
vom 4. Juni dieses Jahres - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
Ich bleibe bei meiner Darstellung, dass Peter
Lames, Prof. Michael Kinze und mir am 2. April im
Bundesverkehrsministerium gesagt wurde, dass die
Fertigstellung eines Elbtunnels etwa zwei Jahre
nach dem geplanten Fertigstellungstermin der
Waldschlößchenbrücke möglich wäre und in einem
neuen Planfeststellungsverfahren Teile des bereits
durchgeführten wiedergenutzt werden könnten.
Ich habe jetzt ein intellektuelles Problem. Auf der einen Seite steht die Aussage Ihrer Kollegin, dass eine
Prüfung dieser Frage im Ministerium nicht erfolgt sei.
Auf der anderen Seite gibt es die öffentliche Verlautbarung von Herrn Professor Weber, dass genau diese Prüfung erfolgt sei und dass dazu am 2. April in Ihrem
Hause eine Besprechung stattgefunden habe. Deswegen
habe ich die Frage gestellt, ob es denn eine solche Prüfung gegeben hat und zu welchem Ergebnis man bei dieser Prüfung gekommen ist.
Ich bin gerne bereit, Ihnen aus Ihrem intellektuellen
Dilemma zu helfen, Herr Kollege Mücke. Sie vermischen hier ein wenig zwei Fragen, die man aber sehr
stark voneinander trennen muss.
Sie fragen zum einen nach der rechtlichen Prüfung.
Diese Frage haben Frau Kollegin Roth und gerade auch
ich beantwortet. Zum anderen gibt es eine Frage, die den
Informationsaustausch mit Bürgerinnen und Bürgern,
mit Abgeordneten, mit Bürgermeistern und mit Landräten betrifft. Ich führe an jedem Tag drei bis vier solcher
Gespräche in unserem Hause. Bei diesen Informationsgesprächen wird immer die Frage aufgeworfen, was man
unter Umständen weiter benutzen könne. Sie können
sich bei Ihrer Frage keinesfalls auf eine rechtliche Prüfung unseres Hauses, sondern nur - ich habe eben noch
mit Staatssekretär Lütke Daldrup gesprochen, der das
von Ihnen erwähnte Gespräche geführt hat - auf ein Informationsgespräch beziehen.
Der Kollege Lütke Daldrup hat darauf hingewiesen,
dass es auch bei der Brückenlösung einen Tunnelvorlauf
gibt und dass deshalb Teile der Planungen von den zuständigen Stellen - wir sind dafür nicht zuständig - verwendet werden können. Es handelt sich also um eine
ganz normale Mitteilung, die man mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen kann.
Herr Mücke, haben Sie eine weitere Nachfrage?
Ja, ich habe noch eine Nachfrage. - Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass ein Planfeststellungsbeschluss für
eine Brücke nicht ohne Weiteres als Planfeststellungsbeschluss für einen Tunnel verwendet werden kann. Nach
dem Verwaltungsverfahrensgesetz zieht jede Planänderung ein neues Planfeststellungsverfahren nach sich. Insofern ist für mich sehr fraglich, mit welcher Berechtigung Ihr Kollege Lütke Daldrup die Aussage getroffen
hat - er muss vorher eine Prüfung vorgenommen haben,
sonst könnte er in einem solchen Gespräch keine diesbezügliche Äußerung machen -, dass Teile dieses Planfeststellungsbeschlusses wiederverwendet werden können
und dass sich das Bauvorhaben deswegen lediglich um
zwei Jahre verzögern würde. Insofern muss es ja eine
Prüfung gegeben haben. Dann habe ich wieder mein altes Problem, dass Ihre Kollegin Frau Roth gesagt hat,
dass eine solche Prüfung nicht stattgefunden hat, Sie mir
aber jetzt sagen, dass Herr Lütke Daldrup den Vertretern
der Bürgerinitiative offensichtlich genau diese Auskunft
gegeben hat. Das war ja kein zwangloses Gespräch. Ich
kann ja auch nicht einfach in ein Ministerium gehen und
mit einem Staatssekretär ein zwangloses Gespräch führen. Dieses Gespräch hatte ja einen konkreten Sinn,
nämlich dass ich damit öffentlich argumentieren kann.
Ich gehe davon aus, dass dem eine Prüfung vorausgegangen ist. Ich glaube kaum, dass ein Staatssekretär der
Bundesregierung leichtfertig Aussagen trifft, ohne dass
er den Sachverhalt genau geprüft hat.
Herr Mücke, Sie versuchen jetzt, mir das Wort im
Munde herumzudrehen. Das finde ich nicht besonders
fair; ich merke es aber.
Ich sage Ihnen noch einmal: Es hat eine rechtliche
Prüfung durch unser Ministerium zu zwei Fragen im
Rahmen der finanziellen Fördermöglichkeiten stattgefunden. Auf der einen Seite ging es um den Einsatz von
GVFG-Mitteln, die wir den Ländern nach der Änderung
des Grundgesetzes pauschal zur Verfügung stellen, wobei die Länder uns gegenüber aber die Nachweispflicht
haben, ob diese Mittel zutreffend und den Richtlinien
entsprechend eingesetzt werden, und zum anderen um
den Einsatz von Städtebaufördermitteln bei Verkehrsprojekten. Ich glaube, das habe ich Ihnen ausreichend erläutert.
Bei einem solchen Gespräch über das weitere Prozedere gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie sagen:
„Ich sage Ihnen jetzt überhaupt nichts und gebe die
Frage in das Ministerium“, oder Sie sagen - wenn Sie
eine beruflich erfolgreiche Zeit als Baudezernent hinter
sich haben -, dass man davon ausgehen kann, dass,
wenn ein Tunnelzulauf für eine Brücke gebaut werden
muss, Teile dessen, was man im planerischen Vorfeld gemacht hat, weiterverwendet werden können. Damit ist
keine Prüfung verbunden. So etwas zu sagen, ist, wie ich
Ihnen eben sagte, aus der Erfahrung eines langjährigen
erfolgreichen Baudezernenten durchaus möglich. Wenn
Sie sich die Situation und den Trassenverlauf anschauen
- das Vorhaben findet ja auf der gleichen Trasse statt -,
dann müssten eigentlich auch Sie mir zustimmen - vielleicht erst nach der Fragestunde; aber letztlich müssen
Sie mir zustimmen.
({0})
Jetzt sind wir bei der Frage 32 des Kollegen Mücke:
Wer nahm aufseiten des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung an dem am 2. April 2008 mit Vertretern des Fachrats Dresdner Welterbe geführten Gespräch
teil, und welche konkreten Aussagen wurden in diesem Gespräch vonseiten des BMVBS gegenüber diesen Vertretern
zur Thematik „Neubau des Verkehrszuges Waldschlößchenbrücke“ in Dresden einschließlich aller bislang hierzu diskutierten Alternativvarianten getroffen?
Da geht es im Grunde genommen um das, worüber
wir zwei uns schon unterhalten haben. Am 2. April
führte der Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Dr. Engelbert Lütke
Daldrup ein Gespräch mit Vertretern des Vereins „Bürgerbegehren Tunnelalternative am Waldschlößchen
e. V.“, die zum Teil dem Fachrat Dresdner Welterbe angehören. Das Gespräch kam auf Initiative des Vereins
zustande und diente ausschließlich dem Informationsaustausch.
Die Fragen 33 und 34 des Kollegen Peter Hettlich
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 35 des Kollegen Anton
Hofreiter aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Stand der eisenbahnrechtlichen Anreizregulierung vor dem Hintergrund der
Teilkapitalprivatisierung der Deutschen Bahn AG, DB AG,
und wie gedenkt die Bundesregierung die Informationsrechte
und Eingriffsrechte der Bundesnetzagentur gegenüber der
Deutschen Bahn AG zu stärken, weil im Moment die Bundesnetzagentur nicht über ausreichend gesetzlich geregelte Informations- und Eingriffsrechte im Bereich der eisenbahnrechtlichen Anreizregulierung verfügt?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Kollege
Dr. Hofreiter, die Bundesnetzagentur hat am 21. Mai
2008 den Bericht zur Anreizregulierung im Eisenbahnbereich vorgelegt, der jetzt von der Bundesregierung
sorgfältig geprüft wird. Es gibt also bislang keine Anreizregulierung. Bisher prüft die Bundesnetzagentur, ob
die Betreiber der Schienenwege § 14 Abs. 4 des Allgemeinen Eisenbahngesetzes einhalten, nämlich die Entgelte so zu bemessen, dass die ihnen insgesamt für die
Erbringung der Pflichtleistungen entstehenden Kosten
zuzüglich einer Rendite, die am Markt erzielt werden
kann, ausgeglichen werden. Für die Überprüfung der
Einhaltung dieser Vorschriften steht der Bundesnetzagentur der Katalog der Eingriffsrechte gegen Eisenbahninfrastrukturunternehmen in § 14 c AEG zur Verfügung,
also das Recht auf Betreten der Geschäfts- und Betriebsräume sowie das Recht auf Einsicht in Bücher, Geschäftspapiere, Dateien und sonstige Unterlagen. Hier
müssen Auskünfte gegeben, Nachweise erbracht und
Hilfsdienste geleistet werden.
Herr Hofreiter, eine Nachfrage?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, könnten Sie auch gleich die zweite Frage
beantworten, weil sie in einem engen Zusammenhang
mit der ersten Frage steht?
Gerne.
Dann rufe ich jetzt die Frage 36 des Kollegen Anton
Hofreiter auf:
Inwieweit hält die Bundesregierung es für sachgerecht,
dass die DB Netz AG festlegt, wem Verspätungsminuten angelastet und damit Zahlungspflichten auferlegt werden, und
erscheint es nicht angezeigt, diese Kompetenz auf unabhängige Dritte zu übertragen?
Ich weiß noch nicht genau, wie viele Nachfragen daraus folgen sollen. Es können maximal vier sein.
Nach § 21 Abs. 1 der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung hat der Betreiber der Schienenwege
seine Entgelte für die Pflichtleistungen so zu gestalten,
dass sie durch leistungsabhängige Bestandteile den Eisenbahnverkehrsunternehmen und den Betreibern der
Schienenwege Anreize zur Verringerung von Störungen
und zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Schienen17812
netzes geben. Die Grundsätze hierzu sind in den Schienennetz-Benutzungsbedingungen festgelegt. Die Aufsicht hierüber hat die Bundesnetzagentur.
Wir kommen zur ersten Nachfrage des Kollegen
Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die Beantwortung der Fragen. Sie haben
gesagt, dass sich die Eingriffsrechte der Bundesnetzagentur aus § 14 c AEG ergeben. Wie erklärt sich die
Bundesregierung, dass es trotzdem ständig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Bundesnetzagentur und DB AG kommt, weil die DB AG der Bundesnetzagentur die Informationen verweigert? Wie gedenkt das
Bundesverkehrsministerium als Vertreter des Alleineigentümers, des Bundes, damit umzugehen, dass ein Unternehmen gegen „unsere“ Behörde klagt?
Mir ist nicht bekannt, dass aus Anlass des § 14 c AEG
geklagt wird. Es ist aber klar, dass sie miteinander streiten. Das ist in einem Rechtsstaat nicht ungewöhnlich.
Die Bundesnetzagentur, die kontrolliert, bezieht Position. Das Unternehmen kann selbstverständlich eine andere Meinung haben und diese auch äußern. Wenn ich
das richtig sehe, hat die DB AG bei den gerichtlichen
Verhandlungen aber meistens - ich will keine Prozentzahlen nennen - den Kürzeren gezogen.
Wenn die Bundesnetzagentur uns signalisieren würde,
dass das Allgemeine Eisenbahngesetz an dieser Stelle
verbessert werden müsste - derartige Bestrebungen
kenne ich nicht -, dann müssten wir im parlamentarischen Raum darüber reden. Denken Sie an die Anreizregulierungen, die es noch nicht gibt. Es könnte sein, dass
wir das AEG in diesem Zusammenhang noch einmal anfassen müssen.
Ich bin für Vorschläge offen. Wenn sich die Probleme
manifestieren und die Bundesnetzagentur uns entsprechende Hinweise gibt, bin ich dafür, dass wir uns das im
parlamentarischen Raum anschauen.
Herr Hofreiter, Ihre zweite Nachfrage.
Welche Position nimmt die Bundesregierung zur Anreizregulierung im Eisenbahnmarkt ein? In der letzten
Sitzung des Unterausschusses haben wir über diesen
Punkt relativ ausführlich debattiert. Dabei konnte man
den Eindruck gewinnen, dass die Bundesregierung der
Anreizregulierung sehr negativ gegenübersteht. Mich
würde interessieren, ob das die Position des Hauses, der
Bundesregierung oder Ihre persönliche Meinung ist.
Wenn Sie sich an das Gespräch erinnern, wissen Sie
sicherlich auch, dass noch kein konkreter Vorschlag für
die Anreizregulierung vorliegt. Man hat über ein Formelpaket gesprochen. Selbst für einen in Mathematik
geprüften Abiturienten wie mich war es schwierig, den
Sachverhalt nachzuvollziehen. Wir haben aber, wie ich
finde, sehr gut herausgearbeitet, dass eine solche Anreizregulierung Vorteile, aber auch Nachteile mit sich bringen würde. Die Vorteile: Über einen Anreiz wird das
Eisenbahninfrastrukturunternehmen gehalten, gute Qualität abzuliefern. Der Nachteil: Weil wir eine sehr hohe
Qualität wollen, kann der Druck auf das Unternehmen
unter Umständen dergestalt wachsen, dass der Bund mit
Haushaltsmitteln einspringen muss. Das wäre der Fall,
wenn die Grenzen im Preis-Cap-Verfahren zu eng gesetzt würden.
Ich glaube, dass die Anreizregulierung der richtige
Weg ist, wir aber für die Umsetzung noch ein bisschen
Zeit brauchen. Wir betreten schließlich Neuland.
Sie haben eine weitere Nachfrage, Herr Hofreiter. Bitte sehr.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der DB AG ein
vertrauliches Gutachten von McKinsey vorliegt - „Regulierungsmanagement“ genannt -, das vor allen Dingen
folgende Ziele formuliert: in die Grundelemente des Regulierungsrahmens eingreifen, Aktionspläne zur faktenbasierten Beeinflussung von Entscheidungsträgern entwickeln, Verschiebung des weiteren Wettbewerbs?
Wenn man dieses McKinsey-Gutachten in der Gesamtheit betrachtet, dann könnte man es fast für das
Drehbuch dessen, was man in letzter Zeit beim Unterausschuss erlebt hat, halten. Entnimmt die Bundesregierung
oder das Verkehrsministerium ihre bzw. seine Aussagen
zur Beeinflussung von Entscheidungsträgern sozusagen
diesem Gutachten, oder ist das reiner Zufall?
Ich glaube nicht, dass ich jetzt für die Bundesregierung sprechen kann, aber für unser Haus: Ich kenne das
Gutachten nicht.
Sie haben noch eine Nachfrage.
Sind Sie sich ganz sicher, dass Sie das Gutachten
nicht kennen? Es kommt nämlich aus Ihrem Haus.
Ich bin mir ganz sicher. Ich habe eine sehr gute Festplatte. Es kann sein, dass es auf Arbeitsebene vorhanden
ist. Ich kenne es jedenfalls nicht. Die politische Leitung
kennt es nicht. Ich habe es nicht gesehen.
({0})
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 19. Juni 2008, 9 Uhr, ein.
Ich schließe die Sitzung.