Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich!
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Als Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die
Bundesregierung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Kabinett hat heute den Entwurf eines Gesetzes zur
Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
durch das Bundeskriminalamt beschlossen. Wir setzen
damit als Gesetzentwurf um, was wir als Verfassungsgesetzgeber in der Föderalismusreform I im Jahre 2006 in
das Grundgesetz eingefügt haben.
Abweichend von der bisherigen Ordnung unseres föderalen Sicherheitssystems, in dem die Polizeien der
Länder ausschließlich für die präventive polizeiliche Gefahrenabwehr zuständig sind - eine kleine Ausnahme ist
die Bundespolizei mit ihrem engen Bereich der Grenzkontrolle und der bahnpolizeilichen Aufgaben -, soll in
Zukunft auch das Bundeskriminalamt eine Gefahrenabwehrbefugnis zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus bekommen. Das war die Entscheidung
des Verfassungsgesetzgebers angesichts der schwerwiegenden Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus. Diese Entscheidung setzen wir mit diesem Gesetzentwurf um.
Wir haben bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfes
natürlich die Landespolizeigesetze, in denen bisher die
Aufgabe polizeilicher Gefahrenabwehr ausschließlich
geregelt wurden, zum Vorbild genommen und haben das,
was sich in den Gesetzen aller Bundesländer an gesetzlichen Instrumenten zur polizeilichen Gefahrenabwehr bewährt hat, in diesen Gesetzentwurf eingefügt. Wir haben
dabei neuere technische Entwicklungen und Entwicklungen in der Verfassungsdebatte berücksichtigt.
Aber wir haben das Rad nicht neu erfunden. Manche
haben in der öffentlichen Debatte um den Gesetzentwurf
nicht hinreichend berücksichtigt, dass der Bund bisher
keine polizeiliche Gefahrenabwehrbefugnis hatte. Deswegen gab es auch keine entsprechenden Verfahren. Ich
will daher zu einigen Punkten, die in der Debatte eine
Rolle gespielt haben, einige wenige Bemerkungen machen.
Wir haben in der Abgrenzung der Zuständigkeiten
zwischen Bundeskriminalamt und Landespolizeien bzw.
Landeskriminalämtern mit der Formulierung des § 4 a
des Gesetzentwurfes sichergestellt, dass den Landeskriminalämtern bzw. Landespolizeien keinerlei Befugnisse
genommen werden, sondern dass die Gefahrenabwehrbefugnis des Bundeskriminalamtes additiv hinzukommt,
sodass die Zusammenarbeit zwischen Bundeskriminalamt und Landespolizeien - die im Alltag, etwa im GTAZ,
reibungslos funktioniert - samt einer ständigen Unterrichtung gewährleistet ist.
All die polizeilichen Ermittlungsinstrumente, die die
Polizeien zur Gefahrenabwehr brauchen, etwa die Befragung von Personen oder Platzverweise sowie alle anderen Instrumente, die man zur polizeilichen Gefahrenabwehr auch braucht, haben wir in den Gesetzentwurf
gemäß den Auflagen unseres Grundgesetzes aufgenommen, wonach Eingriffe in grundgesetzlich geschützte
Bereiche nur unter strengen gesetzlichen Voraussetzungen und durch richterliche Entscheidungen im Einzelfall
erlaubt sind. Dieser Grundsatz wurde in diesem Gesetzentwurf umfassend berücksichtigt.
Ein Teil der Öffentlichkeit hat in diesem Zusammenhang überhaupt erst zur Kenntnis genommen, dass unser
Grundgesetz in Art. 13 die polizeiliche Gefahrenabwehr
höher bewertet als die repressive Strafverfolgung und das
Bundeskriminalamt bisher nur nach den Regeln der Strafprozessordnung tätig werden konnte. Der Gesetzentwurf
sieht dementsprechend vor, dass die Wohnraumüberwachung nach Art. 13 des Grundgesetzes zur GefahrenabRedetext
wehr eingesetzt werden kann. In den Landespolizeigesetzen ist das bereits entsprechend geregelt. Infolgedessen
haben wir diese Regelung in den Gesetzentwurf aufgenommen. Das entspricht der Erfahrung, die wir mit den
Landespolizeigesetzen gemacht haben. Das ist nichts
Überraschendes, sondern entspricht Art. 13 des Grundgesetzes. Überraschend war nur, dass man in der öffentlichen Debatte feststellen konnte, dass manch einer, der
sich in der Debatte zu Wort gemeldet hat, diesen Artikel
nicht kannte.
Wir haben klargestellt, dass die TKÜ - das betrifft
etwa die neue Kommunikationstechnologie Voice over
IP - den Regeln der Telekommunikation und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht. Das ist kein neues Ermittlungsinstrument, sondern eine Klarstellung.
Wir schaffen erstmals eine gesetzliche Grundlage für
Onlinedurchsuchungen. Dafür werden enge Voraussetzungen gelten. Diese Regelung ist notwendig geworden,
weil die von der früheren Bundesregierung eingeführte
Praxis einer analogen Anwendung der bestehenden gesetzlichen Regelungen vom Bundesgerichtshof als nicht
zureichend erklärt worden ist. Deswegen müssen wir
eine eigene gesetzliche Grundlage dafür schaffen. Das
ist unter engen Voraussetzungen möglich. Wir schützen
den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung, wie es
der Verfassung entspricht.
Bei der akustischen Überwachung, bei der Telekommunikationsüberwachung, schützen wir den Kernbereich folgendermaßen: Das Band darf weiterlaufen,
wenn der Kernbereich berührt sein könnte. Der anordnende Richter muss entscheiden, ob der Kernbereich berührt ist. Bejaht er dies, muss das Material unter Protokollierung vernichtet werden.
Bei der Onlinedurchsuchung haben wir dasselbe System. Die Onlinedurchsuchung muss durch den Präsidenten des Bundeskriminalamtes oder seinen Stellvertreter
beantragt werden, das zuständige Amtsgericht entscheidet. Wenn die Maßnahme angeordnet ist, wird das aufgekommene Material durch zwei beamtete Mitarbeiter des
Bundeskriminalamtes, von denen mindestens einer die
Befähigung zum Richteramt haben muss, gesichtet. Wenn
bei der ersten Sichtung der Eindruck entsteht, dass kernbereichrelevantes Material enthalten sein könnte, muss
das Material dem anordnenden Gericht genau wie bei
der Telekommunikationsüberwachung vorgelegt werden. Das entspricht unserem Grundgesetz. Diese Regelung ist deswegen ohne jeden Zweifel verfassungsrechtlich richtig und sachlich notwendig.
Eine letzte Bemerkung: Zur polizeilichen Gefahrenabwehr brauchen wir natürlich - wie immer - auch eine
Eilbefugnis. Deshalb kann bei Gefahr in Verzug der Präsident des Bundeskriminalamts die Maßnahme anordnen. Er muss unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeiführen. Erhält er nicht innerhalb von drei
Tagen eine richterliche Genehmigung, muss die Maßnahme beendet werden. Auch das entspricht den Regelungen zur polizeilichen Gefahrenabwehr in allen Landesgesetzen.
Dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger Baustein unserer Sicherheitsarchitektur. Er versetzt unsere Sicherheitsbehörden insgesamt verstärkt in die Lage, die Einhaltung
von Verfassung und Gesetz in diesem Land zu gewährleisten. Gesetze allein reichen nicht. Sie müssen auch
eingehalten werden. Der Staat muss garantieren, dass sie
eingehalten werden. In anderem Zusammenhang erleben
wir, wie notwendig es ist, dass staatliche Organe auf der
Grundlage von Verfassung und Gesetz die Einhaltung
von Gesetzen garantieren.
Herzlichen Dank.
Die erste Nachfrage zu diesem Bericht kommt von
der Kollegin Piltz.
Herr Innenminister, Sie wissen, dass das ein Thema
ist, mit dem wir uns schon lange inhaltlich auseinandersetzen. Insbesondere Ihre Argumentation zu den Onlinedurchsuchungen finde ich interessant. In der Tat sind
Onlinedurchsuchungen unter Rot-Grün veranlasst worden.
Aber ich kann mich gut erinnern, dass Sie mir vor anderthalb Jahren gesagt haben, sie bräuchten keine Rechtsgrundlage. Von daher ist jeder Fortschritt zu begrüßen,
auch wenn wir diese Maßnahme kritisch sehen.
Sie haben hier ausgeführt, dass dieser Entwurf zum
BKA-Gesetz einen Fortschritt für die polizeiliche Arbeit
bedeutet. Das ist aus Ihrer Sicht sicherlich richtig. Man
darf aber nicht verschweigen, dass es Ihnen gelungen ist,
alles, was in den 16 Polizeigesetzen vorgesehen ist, in einen Gesetzentwurf zusammenzukehren. Das Fazit lautet:
Mehr geht nicht. Denn nicht jedes Polizeigesetz der Länder beinhaltet alle diese Maßnahmen. Sie fassen jetzt alles in diesem Gesetzentwurf zusammen. Wir finden bemerkenswert, wie Sie das gemacht haben.
Meine Frage bezieht sich auf die Onlinedurchsuchungen. Wenn Sie eine heimliche Onlinedurchsuchung durchführen lassen, können Sie diese Daten nach § 20 v Ihres
Gesetzentwurfes an den Verfassungsschutz weitergeben; das ist da so geregelt. Damit umgehen Sie möglicherweise das Trennungsgebot, das in diesem Land immer noch gilt und aus unserer Sicht auch dringend gelten
muss, und zwar so, dass der Verfassungsschutz an Informationen aus einer heimlichen Onlinedurchsuchung
kommt, ohne dass er dafür eine eigene Rechtsgrundlage
hat. Ich würde Sie gerne fragen, wie Sie das mit den
rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbaren. Denn Sie haben keine Rechtsgrundlage dafür. Der Verfassungsschutz
braucht aus meiner Sicht eine Rechtsgrundlage, um Onlinedurchsuchungen durchzuführen oder an Erkenntnisse, die durch Onlinedurchsuchungen gewonnen wurden, zu kommen.
Frau Kollegin, wir haben in diesem Gesetzentwurf
- wie auch in allen anderen Gesetzen - den InformaBundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
tionsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden streng
geregelt. Es ist nicht so, dass das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten, das wir ja beachten und berücksichtigen, bedeutet, dass sich die Behörden nicht gegenseitig Informationen zur Verfügung
stellen können. Dann bräuchten wir keinen Verfassungsschutz. Wenn der Verfassungsschutz den Polizeien Informationen nicht zur Verfügung stellen dürfte - so lautet
Ihre Interpretation des Trennungsgebotes -, dann wäre
seine Arbeit umsonst, unnütz und hätte keinen Sinn.
Deswegen haben wir beispielsweise das GTAZ, das
ich vorher schon erwähnt habe. Ich rate Ihnen, es einmal
zu besuchen. Dann werden Ihre Albträume ein Stück
weit durch die Wirklichkeit widerlegt. Dort arbeiten die
Behörden auf der Grundlage geltender Gesetze zusammen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich, wie Sie in
Ihrer Frage behauptet haben, einmal gesagt habe, man
brauche für Onlinedurchsuchungen keine Rechtsgrundlage. Solch einen Unsinn kann ich niemals gesagt haben.
Das ist wirklich ausgeschlossen. Denn in unserem
Grundgesetz steht - ich habe es dabei -, dass man in
grundrechtlich geschützte Bereiche nur aufgrund eines
Gesetzes eingreifen darf. Das ist die Systematik unseres
Gesetzes.
Sie sagen, wir hätten uns aus den Polizeigesetzen der
Länder alles zusammengesucht. Die meisten Polizeigesetze haben ziemlich übereinstimmende Regelungen.
Mit einem haben Sie aber in der Tat recht - ich vermute,
dass Sie der Föderalismusreform I zugestimmt haben -:
({0})
- Nein? Dann war das ein Fehler; aber das ist Ihre Sache.
({1})
Der Verfassungsgesetzgeber hat gesagt, dass es sich um
eine besonders schwere Gefahr handelt. Sonst wäre er
nicht - mit Zustimmung des Bundesrates - entgegen der
Ordnung unseres Grundgesetzes, dass polizeiliche Gefahrenabwehr Sache der Länder und nicht des Bundes
ist, auf die Idee gekommen, zu sagen: Diese Gefahr ist
so schwerwiegend, dass auch das Bundeskriminalamt
zuständig sein muss.
Es geht nicht um Handtaschendiebstahl, sondern um
Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus.
Ein Gesetzentwurf, der die Instrumente der Landesgesetze, die man zur Abwehr der allgemeinen Kriminalität
hat, nicht auch zur Abwehr dieser Gefahr vorsehen
würde, würde der Verantwortung einer Bundesregierung
und eines Parlaments nicht gerecht werden.
Kollege Wieland hat die nächste Frage.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. Nach unserer Einschätzung werden wir eine Art deutsches FBI bekommen. Einige wollen das ja. Andere behaupten, dass das
nicht stimmt. Jedenfalls wird Polizei in diesem zentralen
Bereich nicht mehr Ländersache, sondern Bundessache
sein. Die Länder dürfen mitarbeiten. Einvernehmen ist
offenbar nicht notwendig, sondern nur Benehmen. Die
Generalbundesanwältin wird nach diesem Gesetzentwurf
nicht einmal mehr informiert; sie ist völlig außen vor.
Einzige Voraussetzung ist: Gefahr von grenzüberschreitendem Terrorismus. Diese Gefahr werden wir - das sage
ich, ohne Schwarzseher sein zu wollen - in den nächsten
20 Jahren täglich erleben. Das heißt, zunächst einmal ist
das BKA für alles in diesem Bereich zuständig.
Meine Frage in diesem Zusammenhang ist: Welche
Sicherheitslücke gab es denn bis zum heutigen Tage
bzw. gibt es bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes? Der
11. September 2001 ist mittlerweile fast sieben Jahre her,
und Sie sind im dritten Jahr Ihrer Amtszeit. Wie konnten
Sie es eigentlich verantworten, ohne diese Präventivbefugnisse Innenminister zu sein?
Daran anschließend: Wer soll das BKA eigentlich
kontrollieren? Die Nachrichtendienste werden - man
streitet darüber, ob das effektiv ist oder nicht - vom Parlamentarischen Kontrollgremium und dann, wenn sie abhören, sogar noch von der G-10-Kommission kontrolliert. Wer wird das BKA, dem ebenfalls das gesamte
nachrichtendienstliche Instrumentarium zur Verfügung
steht - es darf verdeckte Ermittler, V-Leute und das gesamte Spektrum der Nachrichtentechnik einsetzen -,
kontrollieren?
({0})
Herr Kollege Wieland, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, waren Sie einmal Mitglied einer Landesregierung.
({0})
Dann sollten Sie nicht völlig vergessen haben, dass nach
der Landesgesetzgebung die Landespolizeien auf der
Grundlage gesetzlicher Befugnisse die Aufgabe der polizeilichen Gefahrenabwehr wahrnehmen; das gilt auch im
Land Berlin. Wenn in grundgesetzlich geschützte Bereiche eingegriffen wird - das ist bei der Berliner Polizei
nicht anders als bei der baden-württembergischen Polizei, und das gilt in diesem engen Bereich der Gefahrenabwehr in Zukunft auch für das Bundeskriminalamt -,
dann ist dafür eine richterliche Genehmigung notwendig, die beantragt werden muss.
Sie haben übrigens - da Sie Anwalt sind, sollte ich
Ihnen das eigentlich nicht erklären müssen; aber Ihre
Äußerungen zeigen die Notwendigkeit, das dennoch zu
tun ({1})
nicht berücksichtigt, dass es einen Unterschied zwischen
Strafverfolgung und Gefahrenabwehr gibt.
({2})
Bei der Strafverfolgung hat die Staatsanwaltschaft die
Federführung; das war schon immer so. Bei der Gefahrenabwehr muss die Staatsanwaltschaft nicht informiert
werden, auch die Bundesanwaltschaft nicht. Insofern haben Sie hier etwas verwechselt. Es wäre hilfreich, wenn
Sie das im weiteren Verlauf dieser Debatte nicht mehr
verwechseln würden. Denn sonst könnten Sie den Eindruck erwecken, Sie wüssten nicht genau, wovon Sie reden. Das wäre doch furchtbar.
Wir reden jetzt nicht über die Strafverfolgung,
({3})
sondern ausschließlich über die Gefahrenabwehr. Ich
habe gerade noch einmal nachgeschaut, was der Verfassungsgesetzgeber in Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a des Grundgesetzes festgelegt hat. Dort heißt es: Der Bund hat die
ausschließliche Gesetzgebung über
die Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalpolizeiamt in
Fällen, in denen eine länderübergreifende Gefahr
vorliegt, die Zuständigkeit einer Landespolizeibehörde nicht erkennbar ist oder die oberste Landesbehörde um eine Übernahme ersucht.
Diese Vorgabe des Verfassungsgesetzgebers setzen wir
mit diesem Gesetzentwurf um. Der Verfassungsgesetzgeber hatte sicherlich gute Gründe, das so vorzuschreiben, egal wie die einzelnen Mitglieder des Bundestages
auch abgestimmt haben mögen.
Nun greifen dieselben Mechanismen, die bei der polizeilichen Gefahrenabwehr im Lande Berlin und in allen
anderen Bundesländern auch bereits seit Jahrzehnten angewandt werden. Somit sind alle Verdächtigungen, die
Sie hier insinuieren, im besten Fall durch mangelnde
Sorgfalt, wahrscheinlich aber - da man Ihnen keine
mangelnde Sorgfalt unterstellen kann - eher durch böse
Absicht zu erklären. Das ist nicht in Ordnung. Weil, Herr
Kollege Wieland, wir wirklich aufhören sollten, unsere
Bevölkerung zu verunsichern und unserer Bevölkerung
einzureden, dieser freiheitliche Rechtsstaat - in den engen Begrenzungen unserer Verfassung und der Handlungsmöglichkeiten seiner Organe, die notwendig sind,
um Sicherheit, Freiheit und Grundrechte zu schützen der bedrohe diese Freiheit.
({4})
Das ist eine Diffamierung, die die Institutionen unseres
Verfassungsstaates, der Bundesgesetzgeber und der Verfassungsgesetzgeber nicht verdient haben und die nicht
geeignet ist, diese Freiheit zu sichern, sondern eher, sie
zu gefährden.
({5})
Herr Wieland noch einmal.
Herr Minister, dass ich unsere freiheitliche Demokratie diffamiere, indem ich nach Kontrollmechanismen
frage, das ist Ihre Interpretation. Wenn auch ich Ihnen
einmal einen Rat geben darf: Sie sollten als Verfassungsminister mehr Gelassenheit an den Tag legen und die
Opposition weniger beschimpfen.
({0})
Die Sorge um die vielfältigen Eingriffsbefugnisse, die
in meiner Frage zum Ausdruck kam, habe nicht nur ich.
Es geht in diesem Zusammenhang um das Polizeirecht.
Allerdings muss noch nicht einmal eine Straftat vorliegen, und anders als in den Fällen, die Sie geschildert haben, handelt es sich hierbei nicht um Ausnahmefälle,
zum Beispiel um eine Geiselnahme in einem Bundesland, sondern um die tägliche Arbeit des BKA. Das ist
der große qualitative Unterschied.
Deswegen frage ich Sie jetzt noch einmal nach einem
Detail, nämlich nach dem Schutz der Berufsgeheimnisträger. Lese ich Ihren Entwurf richtig, dass nach § 20 c
Abs. 3 selbst Berufsgeheimnisträger im Fall von Gefahr
für Leib und Leben einer Person oder für die Sicherheit
des Staates nicht zur Verweigerung der Auskunft berechtigt sind und dass auch gegen Berufsgeheimnisträger
- und zwar gegen alle Berufsgeheimnisträger - verdeckte Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt werden
können? Wie wollen Sie das eigentlich begründen?
Herr Kollege Wieland, ich sage noch einmal: Wir setzen mit diesem Gesetzentwurf den Auftrag des Verfassungsgesetzgebers um. Wir müssen dem Auftrag von
Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 a Grundgesetz entsprechend dem
Bundeskriminalamt die gesetzlichen Instrumente für die
Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus
übertragen. Das ist die Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers.
Deswegen bleibe ich dabei, dass es nicht angemessen
ist - insbesondere für ein früheres Mitglied einer Landesregierung, das also Erfahrung mit der gesetzlichen
Grundlage polizeilicher Gefahrenabwehr haben muss -,
den Eindruck zu erwecken, als würde hier etwas Neues
geschaffen, was irgendwie in Richtung Überwachungsstaat geht. Die Verunsicherung der Bevölkerung - die in
Teilen der Bevölkerung Erfolgt hat, das ist wahr, sonst
bräuchten wir ja nicht darüber zu reden, die aber nicht
angemessen ist - muss aufhören! Dafür werbe ich. Ich
sage das entspannt, aber mit Entschiedenheit; es geht
schließlich um wichtige Dinge.
Es ist unsere gemeinsame Verpflichtung und Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die rechtsstaatlich verbürgte
Ordnung unseres Grundgesetzes die Polizei in die Lage
versetzt, das notwendige Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Wenn es für die Einhaltung von Gesetzen keine
gesamtstaatliche Organisation gibt, sind ausschließlich
die Länder zuständig. Jetzt haben wir in einem schmalen
Bereich eine ergänzende Zuständigkeit des Bundeskriminalamts. Wenn wir die nicht hätten, würde unsere Verfassung weniger geschützt werden. Darum geht es, und
das muss man mit der notwendigen Sorgfalt machen.
Was das Zeugnisverweigerungsrecht bestimmter Berufsgeheimnisträger angeht, nehmen wir bei unserer Gesetzgebung ausdrücklich Bezug auf die Regelungen des
§ 53 der Strafprozessordnung, insbesondere auf die
Rechtsprechung zu § 53 Strafprozessordnung. Insofern
schaffen wir auch hier nichts Neues, sondern knüpfen an
das an, was sich über Jahrzehnte bewährt hat und jahrzehntelang von niemandem in den Dunstkreis gerückt
worden ist, als wäre dies ein Staat, der nicht die Freiheit
seiner Bürger schützt.
Herr Kollege Stadler.
Herr Minister, ich bitte um Verständnis, dass wir von
der Opposition genau nachfragen. Es geht bei diesem
Gesetzentwurf ja nicht um den Bereich der Strafverfolgung, wo man einen klaren Anknüpfungspunkt hat, nämlich die begangene Straftat, die es aufzuklären gilt, sondern es geht um den Bereich der Gefahrenabwehr. Das
ist ein viel weiter gefasster Begriff, sodass die Gefahr,
dass Eingriffe uferlos erfolgen, sehr wohl gegeben ist.
Es ist gerade die Aufgabe des Gesetzgebers, die notwendigen Eingrenzungen vorzunehmen, wie beispielsweise im bayerischen Polizeiaufgabengesetz in Art. 11
geschehen. Die dortige Grundnorm bezieht sich auf konkret bestehende Gefahren. In § 4 a Ihres Entwurfes zur
Änderung des BKA-Gesetzes ist das nicht der Fall, da
reichen abstrakte Gefahren aus. Daher müssen wir im
Hinblick auf die einzelnen Maßnahmen genau nachfragen.
Ich möchte in Bezug auf das sogenannte Richterband
nachfragen. Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich herausgearbeitet, dass es einen Kernbereich der privaten Lebensführung gibt, der sich staatlicher Überwachung entzieht. Das ist die Grundposition, von der aus
man das Problem angehen muss. Nun ist es bei der Onlinedurchsuchung manchmal schwierig, von vornherein zu
wissen, ob die Daten, die man gerade ermittelt, dem
Kernbereich der privaten Lebensführung zuzurechnen
sind, sodass ihre Ermittlung unzulässig ist. Deswegen
hat das Bundesverfassungsgericht bei der Onlinedurchsuchung einen zweistufigen Schutz des Kernbereiches
der privaten Lebensführung zugelassen: dass in einer
zweiten Stufe aussortiert wird, was den Staat nichts angeht und unbedingt privat bleiben muss.
Wenn wir Ihren Entwurf richtig verstehen - ich bitte
Sie, mir zu bestätigen, ob das so ist -, wollen Sie nun
diesen zweistufigen Schutz des Kernbereichs, der eben
schwächer ist, als wenn man von vornherein gar nicht
erst in die Privatsphäre eindringen darf, auch auf den sogenannten großen und den sogenannten kleinen Lauschangriff übertragen.
Meine Frage lautet daher: Sind Sie mit uns der Meinung, dass sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung gerade nicht
ergibt, dass die Zweistufigkeit und damit schwächere
Form des Schutzes der Privatsphäre plötzlich auch hinsichtlich anderer Maßnahmen gelten soll?
Herr Kollege Stadler, zunächst einmal ist es richtig, es
gibt einen Unterschied zwischen Prävention und Repression.
Ich habe einleitend darauf hingewiesen und das Bundesverfassungsgericht hat dies in seinem Urteil zu dem
Verfassungsschutzgesetz von Nordrhein-Westfalen auch
bestätigt - dieses Gesetz, das von vornherein auf erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen ist, die
das Bundesverfassungsgericht auch so judiziert hat, was
nicht überraschend war, hat übrigens ein Parteifreund
von Ihnen verantwortet -, dass nach Art. 13 Grundgesetz
nicht nur zur Verfolgung von Straftaten, sondern auch
zur Verhinderung der Realisierung schwerer Gefahren,
also zur Gefahrenabwehr, unter engen Voraussetzungen
möglicherweise weitergehende Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche erlaubt werden können. Die
Verhinderung des Schadens ist nämlich noch wichtiger
als die strafrechtliche Ahndung des eingetretenen Schadens. Das ist die Systematik, die hinter Art. 13 Abs. 4
des Grundgesetzes steht. Darauf hat das Bundesverfassungsgericht noch einmal hingewiesen. Deswegen haben
wir das in dem Gesetzentwurf für das BKA-Gesetz auch
so umgesetzt.
Zu Ihrer Frage hinsichtlich der Zweistufigkeit komme
ich gleich anschließend. Zur Abwehr von Gefahren
durch den internationalen Terrorismus haben wir - nach
einem intensiven Diskussionsprozess mit den Ländern in § 4 a die Zusammenarbeit mit den Ländern verankert.
Diese Zusammenarbeit wollen wir ja nicht irgendwie belasten, sondern weiterhin so intensiv und fruchtbar halten, wie sie bisher Gott sei Dank gewesen ist. Ich bin ja
jemand, der die föderale Sicherheitsarchitektur immer
mit großem Nachdruck und großer Überzeugung verteidigt.
Aber natürlich sind die konkrete und abstrakte Gefahr
durch den internationalen Terrorismus ein Stück anders
als bei anderen Straftaten. Das liegt nun einmal in dem
Netzwerk begründet, mit dem uns der islamistische Terrorismus bedroht. In den letzten Monaten mussten wir
im Netz beispielsweise Videobotschaften mit deutschen
Untertiteln aus dem al-Qaida-Netzwerk zur Kenntnis
nehmen. Darin wurden in einer wirklich sehr konkreten
Weise schwere Gefahren angedroht. Diesen Netzwerkcharakter des internationalen Terrorismus haben wir
auch bei den Ermittlungen im Sauerland festgestellt, und
wir haben den Erfahrungsbericht der EG Zeit auch hinsichtlich dieses Punktes intensiv ausgewertet. Die Innenminister von Bund und Ländern, die Fachleute der Polizeien und auch der Verfassungsschutz von Bund und
Ländern haben sich mit all den Erfahrungen beschäftigt,
die in diesem umfangreichen Verfahren gemacht wurden.
Dem können wir nach unserer Überzeugung nicht anders als durch die Formulierung entsprechen, die wir
hinsichtlich der Aufgaben der Gefahrenabwehr in § 4 a
verwendet haben. Darin besteht übrigens Übereinstimmung mit den Ländern. Insofern glaube ich auch nicht,
dass es einen Widerspruch zum Bayerischen Polizeige17424
setz gibt. Ich befinde mich jedenfalls auch mit dem
bayerischen Kollegen Herrmann in großer Übereinstimmung.
({0})
- Ihr Kollege hat gerade auf das Bayerische Polizeigesetz Bezug genommen. Ich kann nur unterstreichen, dass
das ein sehr gutes Gesetz ist. Sie haben mir gesagt, ich
solle Sie loben und Ihnen zustimmen. Jetzt habe ich es
getan, aber das ist Ihnen auch wieder nicht recht. Was
soll ich denn noch machen?
Jetzt zur Zweistufigkeit. Herr Kollege Stadler, bei der
Telekommunikationsüberwachung haben wir die Regelung, die das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil
über das nordrhein-westfälische Gesetz ausdrücklich
bestätigt hat: Wenn der Kernbereich berührt sein kann,
dann muss bei einer Maßnahme, bei der nicht nur technisch aufgezeichnet wird, sondern auch jemand mithört,
das Mithören eingestellt werden. Es darf nur noch technisch aufgezeichnet werden. Das technisch Aufgezeichnete
muss dem anordnenden unabhängigen Richter vorgelegt
werden, der dann entscheidet, ob das kernbereichsrelevant ist.
Dann ist das unter Aufsicht und Protokollierung zu
vernichten oder auch nicht. Dies ist ausschließlich Sache
des Gerichts. Das haben wir nicht verändert; so steht es
im Gesetzentwurf.
Bei der Onlinedurchsuchung haben wir nun von vornherein nicht die Situation, dass möglicherweise ein Band
läuft und jemand mithört; sie läuft nur technisch ab. Deswegen wird das gesamte Material zunächst einmal durch
zwei Mitarbeiter des Bundeskriminalamts gesichtet, von
denen mindestens einer die Befähigung zum Richteramt
haben muss. Wenn bei der Telekommunikationsüberwachung die Situation eintritt, dass derjenige, der mithört,
das Gehörte für kernbereichsrelevant hält und sagt, er
dürfe nun nicht mehr mithören, dann läuft nur noch das
Band, und dieses Material muss dem anordnenden Richter vorgelegt werden. Insofern haben wir genau dasselbe
System: Sobald es kernbereichsrelevant sein kann, muss
der Richter, der die Maßnahme anordnen kann, darüber
entscheiden, ob es zu vernichten ist oder nicht. Insofern
haben Sie, glaube ich, den Gesetzentwurf richtig verstanden.
Ich habe noch Fragewünsche der Kollegin Pau, des
Kollegen Montag und der Kollegin Jelpke, die wir nur
dann berücksichtigen können, wenn sowohl die Fragen
als auch die Antworten etwas konzentrierter ausfallen,
was sich übrigens selbst bei Würdigung der komplizierten Materie mit Blick auf die Richtlinien unserer Fragestunde ohnehin empfiehlt.
({0})
Frau Kollegin Pau.
Herr Minister, ich habe zwei Fragen zu den personellen Konsequenzen, die sich aus der Umsetzung des Gesetzes ergäben, wenn es denn so beschlossen würde:
Erstens. Anfang des Jahres wurde berichtet, dass das
BKA 500 neue Stellen hauptsächlich aus dem Bereich
der Bundespolizei erhalten werde. Trifft diese Meldung
zu, und, wenn ja, inwieweit ist dies im Gesetz abgebildet, und welche Aufgabenbereiche sollen dadurch übernommen werden?
Zweitens. Wie soll das BKA die Vorfeldermittlungen
im Bereich des internationalen Terrorismus personell bewältigen? Das heißt, wie viele Beamtinnen und Beamte
mit welchen Kompetenzen werden benötigt, aus welchen Bereichen sollen sie kommen, und wo sollen sie,
wenn man dies heute schon sagen kann, angesiedelt werden?
Das ist heute nicht zu sagen, weil wir jetzt den Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen haben und ihn den
parlamentarischen Körperschaften übergeben, die ihn
nach den Regeln unseres Grundgesetzes beraten werden.
Wenn das Gesetz eines Tages beschlossen, verkündet
und in Kraft getreten sein sollte, wird der Haushaltsgesetzgeber daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen.
Herr Kollege Montag.
Danke, Herr Präsident. - Herr Minister, ich habe mich
gemeldet, weil ich im Zusammenhang mit der Beantwortung der Frage meines Kollegen Wieland die Überheblichkeit, mit der Sie dargestellt haben, der beste Jurist
hier im Hause zu sein, nicht unwidersprochen lassen
wollte.
({0})
Die Zeiten sind vorbei, Herr Minister, in denen wir so
mit uns umgehen lassen. Gehen Sie in dieser Frage nicht
den Weg Ihres Vorgängers; wohin dies führt, können wir
an Ihnen gerade feststellen.
Sie haben die Frage meines Kollegen Wieland nicht
beantwortet, weshalb ich sie wiederhole. Es geht darum,
ob es in den Jahren seit dem 11. September 2001 Vorfälle in Deutschland gegeben hat, die im Rahmen der
Prävention nicht gelöst werden konnten, weil die neuen
Zuständigkeiten des Bundeskriminalamtes nicht bestanden.
Als eigene Fragen schließe ich an: Im Hinblick auf
die Onlinedurchsuchung haben Sie sich jetzt darauf verständigt, nicht den bayerischen Weg zu gehen, obwohl er
ja, wie Sie sagen, angeblich so wunderbar ist, und nicht
in Wohnungen einzudringen, sondern diese Durchsuchung mittels technischer Möglichkeiten durchzuführen.
An welche technischen Möglichkeiten denken Sie und
Ihr Haus sowie das Bundeskriminalamt? Außerdem sagJerzy Montag
ten Sie, Sie hätten sich an die bewährten Eingriffsbefugnisse der Landespolizeien gehalten. Nun regeln Sie hier
die präventive Funktion der Polizei bei grenzüberschreitendem internationalen Terrorismus. Wozu braucht das
Bundeskriminalamt hierbei den Platzverweis?
Herr Kollege Montag, erstens habe ich keine Bemerkungen über die juristische Qualifikation von Mitgliedern dieses Hauses gemacht. Insofern müssen Sie irgendetwas falsch verstanden haben.
Zweitens. Meinen Vorgänger habe ich im politischen
Raum zum ersten Mal als Fraktionsvorsitzenden der
Fraktion Die Grünen erlebt, als er den Parlamentarischen
Geschäftsführer Fischer bei den Parlamentarischen Geschäftsführern der anderen Fraktionen eingeführt hat. Er
ist dann später zur SPD gegangen. Sie brauchen keine
Sorge zu haben: Ich habe meine Laufbahn nicht bei den
Grünen angefangen und werde sie nicht bei der SPD beenden.
({0})
Insofern können Sie völlig entspannt bleiben, was mich
anbetrifft.
Das bringt eine erhebliche Beruhigung in die Debatte.
Es wäre schön, wenn die Aufmerksamkeit für die Ausführungen des Ministers wiederhergestellt würde.
Herr Präsident, ich versuche, die Fragen zu beantworten, soweit es mir nach den Richtlinien für die Befragung der Bundesregierung möglich ist. - Deswegen will
ich nochmal sagen: Der Verfassungsgesetzgeber hat die
Entscheidung, dem Bundeskriminalamt eine Gefahrenabwehrbefugnis zu übertragen, nach meiner sicheren
Überzeugung nach sorgfältiger Erwägung getroffen. Jedenfalls hat sie Eingang ins Grundgesetz gefunden. Wie
alle Bestimmungen des Grundgesetzes ist auch diese
verbindlich. Sie bindet Gesetzgeber und Regierung, und
wir versuchen, sie umzusetzen.
In der Tat ist es wahr, dass wir Glück gehabt haben.
Wir haben bisher auch ohne diese Regelung Anschläge
vermeiden können. Bei den Kofferbomben hatten wir
Glück, dass sie nicht funktioniert haben. Im SauerlandFall haben wir unsere Aufgabe mit der EG Zeit in einer
ungeheuer aufwändigen Aktion in einem sehr bewährten
Verfahren der Kooperation bewältigt. Allerdings - das
muss man gleich hinzufügen, auch wenn Sie nicht danach gefragt haben - wäre das ohne die vertrauensvolle
Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten
überhaupt nicht möglich gewesen.
Drittens. Die Bundesanwaltschaft ist in solchen Verfahren immer relativ früh gebeten worden, ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren durchzuführen, damit das
Bundeskriminalamt eingeschaltet werden kann.
({0})
- Das war nicht meine Entscheidung. Ich habe damit
nichts zu tun. Herr Kollege Wieland, ich versuche gerade, die Frage des Kollegen Montag zu beantworten.
Wir kommen damit zu einem Bereich, den wir auch in
einem anderen Zusammenhang diskutieren. Um die Gefahrenabwehr leisten zu können - um mögliche Sprengstoffanschläge verhindern zu können, wurden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer
terroristischen Vereinigung eingeleitet -, ist es möglicherweise richtig, unter den engen Vorgaben unseres
Grundgesetzes entsprechende Regelungen der polizeilichen Gefahrenabwehr zu schaffen. Vielleicht war das ein
Grund für den Verfassungsgesetzgeber, Art. 73 des
Grundgesetzes um die Ziffer 9 a zu erweitern.
Frau Kollegin Jelpke.
Herr Minister, im Vorfeld des BKA-Gesetzes gab es
heftige Differenzen in der Koalition, aber auch zwischen
den Ländern. Wie ist nach dem Kabinettsbeschluss der
Stand der Dinge, was diese Differenzen angeht, und in
welchen Fragen bestehen sie noch? Nach dem Beitrag
des Kollegen Edathy im Frühstücksfernsehen zum Beispiel hat man den Eindruck, dass der Gesetzentwurf von
der Koalition nicht einheitlich getragen wird.
Frau Kollegin, wir befinden uns in der Regierungsbefragung. Ich berichte über die Kabinettssitzung. Darin
haben wir den Gesetzentwurf, den wir intensiv erarbeitet
und einvernehmlich vorbereitet haben, auch einvernehmlich beraten und beschlossen. Es gibt nicht die geringste Differenz unter den Mitgliedern der Bundesregierung.
({0})
Ich bitte um Nachsicht. In der Regierungsbefragung
geht es um die Berichterstattung aus der Kabinettssitzung. Es ist eine Frage gestellt worden, die beantwortet
wurde. Wie immer ist die Beurteilung, ob man mit diesen Antworten jeweils einverstanden ist, dem subjektiven Ermessen aller Beteiligten überlassen. Das ist nicht
weiter zu kommentieren.
Es gibt aber den Wunsch nach einer Frage an die Bundesregierung außerhalb des Themenbereichs, über den
gerade berichtet worden ist. Das sollten wir im Rahmen
der wenigen noch verfügbaren Sekunden der dafür
Präsident Dr. Norbert Lammert
vorgesehenen Zeit noch ermöglichen. Ich erteile dafür
dem Kollegen Rohde das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich frage die Bundesregierung: War in der Kabinettssitzung heute das
Filmförderungsgesetz ein Thema? War auch die Möglichkeit, blinde und sehbehinderte Menschen mit einzubeziehen, Teil der Beratungen? Immerhin werden dafür
Steuermittel ausgegeben. In den vorhandenen Richtlinien sind keinerlei Hinweise zu finden, ob Audiodeskription, also Hörfilme, besondere Berücksichtigung
finden. Wäre die Bundesregierung gegenüber Vorschlägen offen, zum Beispiel einen deutschen Filmpreis für
eine herausragende Einzelleistung Beste Audiodeskription zu vergeben oder im Rahmen der bereitgestellten
Mittel einen Teil des Budgets für die Audiodeskription
zur Verfügung zu stellen und bei größeren Produktionen
eine verpflichtende Vorschrift und bei kleineren Produktion eine Kannvorschrift zu erlassen?
Verehrter Herr Kollege Rohde, da es zunächst um die
Klärung der Frage geht, ob es überhaupt Gegenstand der
Kabinettsberatungen war,
({0})
erübrigt sich, glaube ich, im Augenblick die Spezifizierung, was alles Gegenstand einer zusätzlichen Preisverleihung sein könnte.
({1})
Frau Staatsministerin.
Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege, in der Tat
war das Filmförderungsgesetz Gegenstand der heutigen
Kabinettsberatungen. Wir sind einen entscheidenden
Schritt bei der Unterstützung des deutschen Films nach
vorne gekommen, der gerade in den letzten Jahren im internationalen Bereich enorm an Renommee gewonnen
hat. Zu der spezifischen Frage, ob solche Förderpreise
ausgelobt werden sollen, rege ich an, ein Gespräch mit
dem Staatsminister für Kultur und Medien zu führen.
Dann könnte ich Ihnen konkret antworten. Vielleicht
nennen Sie uns noch Förderpreiskriterien. Dann kann ich
auch darauf eingehen.
Wie zugesagt, beende ich damit den Tagesordnungspunkt 1, Befragung der Bundesregierung.
Die Fraktionen sind übereingekommen, heute eine
vereinbarte Debatte über das Thema Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom und Konsequenzen
durchzuführen. - Dazu stelle ich Einvernehmen fest.
Ich rufe die soeben aufgesetzte vereinbarte Debatte
als Zusatzpunkt 1 auf:
Vereinbarte Debatte
Bespitzelungsaffäre bei der Deutschen Telekom und Konsequenzen
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann können wir so
verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstem dem
Kollegen Dr. Jürgen Gehb, CDU/CSU-Fraktion, das
Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um gleich
Klarheit zu schaffen: Die Vorgänge bei der Deutschen
Telekom, über die wir heute debattieren, sind ein Skandal. Die möglicherweise massiven Gesetzesverstöße geben keinen Anlass, sie auch nur annähernd zu entschuldigen oder sogar zu rechtfertigen. Aber aus meiner Sicht
als Mitglied des Deutschen Bundestages besteht auch
kein Anlass zu hektischer Betriebsamkeit. Dies ist nicht
die Stunde des Gesetzgebers, sondern die Stunde der
Strafverfolgungsbehörden.
({0})
Ich finde, so wie wir jeden Hühnerdieb oder jeden
schweren Verbrecher mit rechtsstaatlichen Mitteln über
die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbehörden verfolgen, sollten wir das auch hier tun, um dann im Lichte
der Erkenntnisse zu prüfen, ob weitere gesetzgeberische
Maßnahmen erforderlich sind.
Wenn ich sehe, wie man mit diesem Thema umgeht,
wie man geradezu beißreflexartig um neue Gesetze
feilscht,
({1})
obwohl bereits alles gesetzlich geregelt ist, zum Beispiel
im Telekommunikationsgesetz, im Datenschutzgesetz
oder im Strafgesetzbuch, auch bezüglich der Sanktionen,
die bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe gehen oder sogar
zum Lizenzentzug führen, dann muss ich sagen: Natürlich kann man das noch zwei-, dreimal verbieten. Aber
dadurch wird es nicht besser. Man kann auch hineinschreiben: Die Gesetze sind einzuhalten.
({2})
Aber das nutzt nichts.
({3})
Deswegen ist es völlig fehl am Platz, nach weiteren Gesetzen zu rufen.
({4})
Viel wichtiger wäre es, vielleicht dafür Sorge zu tragen, wie man die Einhaltung solcher Gesetze sicherstellt.
Das ist allerdings immer dann schwierig, wenn es um individuelles Fehlverhalten geht. Wenn ich vom Kollegen
Volker Beck höre, der beste Datenschutz sei die Datenarmut,
({5})
dann kann ich nur sagen: Der beste Schutz vor Flugzeugabstürzen ist natürlich, keine Flugzeuge fliegen zu
lassen.
({6})
Wenn übermorgen oder in den nächsten Tagen in der
Charité ein Radiologe im Zusammenhang mit einer
Mammografie einer Frau sexistisch an den Busen fasst,
({7})
dann kann man auch nicht verlangen, dass die Mammograie eingestellt wird.
({8})
Mit solchen Forderungen kann man den Auswüchsen
nicht begegnen.
Sie reagierten eben so empfindlich, weil der Herr Innenminister eine Antwort gegeben hat, die Ihnen nicht
gefallen hat.
({9})
Ich will zum Abschluss etwas dazu sagen, wie man den
Innenminister angegangen ist. Es wundert mich nicht,
wenn so etwas aus dem Mund der Linken kommt; wenn
aber der Kollege Niebel die Bemühungen des Bundesinnenministers zur Klärung des Sachverhalts - jetzt gut
zuhören! - als Spitzel-Gipfel betrachtet und auch noch
sagt, wenn der Herr Bundesinnenminister einlade, werde
der Bock zum Gärtner gemacht, dann nähert er sich
langsam dem Niveau des Chefdemagogen Lafontaine,
({10})
der am Sonntag in der Sendung Anne Will gesagt hat,
wenn Herr Minister Schäuble eines Tages ins Saarland
komme und Herr Lafontaine Ministerpräsident sei, dann
werde man Herrn Schäuble vom Verfassungsschutz beobachten lassen.
Noch etwas anderes: Bisher war es immer so, dass die
Datenschützer den Staat als Verletzer des Datenschutzes,
als Big Brother, angesehen haben. Umso verwunderter
waren diese Herrschaften jetzt, dass es plötzlich ein privates Unternehmen ist. Obwohl diese Vorgänge zu einem Zeitpunkt stattgefunden haben, in dem das Gesetz
zur Vorratsdatenspeicherung noch gar nicht in Kraft war,
wird schon jetzt nach Aufhebung dieses Gesetzes gerufen. Meine Damen und Herren, diesen Gefallen werden
wir von der CDU/CSU und, wie ich glaube, auch unser
Koalitionspartner Ihnen nicht tun. Sie müssen sich schon
überlegen, wo Sie den Bösewicht suchen, ob bei der
staatlichen Macht oder bei privaten Unternehmen. Deswegen bleibt es bei der Vorratsdatenspeicherung. Jedenfalls wir werden das Gesetz nicht aufheben.
({11})
- Wir werden aufgehoben, das ist eine andere Frage.
Jeder wartet bei einer Rede von mir auf einen lateinischen Ausspruch.
({12})
Den will ich Ihnen nicht vorenthalten. Schon der römische Poet Juvenal hat gesagt: Quis custodiet ipsos custodes? Das heißt: Wer überwacht eigentlich die Wächter? - Das müssen wir gut prüfen, auch was die Telekom
betrifft.
Herr Kollege Gehb.
Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur,
hat heute gesagt, es werde eine Schwachstellenanalyse
durchgeführt. Die warten wir einmal ab. Wenn dann
Schwachstellen gefunden werden, dann müssen wir
überlegen, wie wir die Lücken schließen.
Herzlichen Dank.
({0})
Was immer hier vorgetragen werden soll, sollte in
Deutsch wie in Latein möglichst in der vorgesehenen
Redezeit erfolgen.
({0})
Frau Kollegin Piltz ist die nächste Rednerin für die
FDP-Fraktion.
({1})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir
fällt zu Ihrer Rede, Herr Gehb, eigentlich nur ein: Lieber
verlieren, als freiwillig klug werden. - Wenn das die Methode ist, nach der Sie hier Politik machen, dann weiß
ich nicht, wie wir das hier noch gut ein Jahr aushalten
sollen. Das war wirklich beschämend.
({0})
Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. - Sie,
die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Sie, die
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, und Sie, die
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, haben
den Datenschutz in diesem Hause in den vergangenen
Jahren doch eigentlich zum Abschuss freigegeben.
({1})
Das, was wir jetzt hier erleben, bei der Deutschen
Telekom, bei Lidl und bei anderen Discountern, ist auch
die erschreckende Folge einer grundrechtsfeindlichen
Politik, die Sie alle hier betrieben haben.
({2})
Deshalb ist es falsch, wenn nun Herr Kauder und Herr
Struck - Herr Gehb, auch Sie haben es versucht -, in seltener Einmütigkeit übrigens,
({3})
behaupten, das sei alles eine Sache der Justiz und nicht
der Politik. Das ist aus meiner Sicht völlig falsch. Es ist
nämlich Sache der Politik, wenn in unserem Land
manchmal mit persönlichen Daten wie mit Freibier umgegangen wird. Es ist Sache der Politik, wenn die Datenschutzgesetze nicht mit der modernen Technik mithalten. In den vergangenen zehn Jahren haben wir in
diesem Haus - das haben Sie gemeinsam zu verantworten - nichts, aber auch gar nichts daran geändert.
({4})
Herr Gehb, ich wünsche mir, dass gerade Sie als
CDU/CSU auch in anderen Bereichen mehr Gelassenheit an den Tag legen, insbesondere bei den Themen der
inneren Sicherheit. Da kann es Ihnen nicht schnell genug
gehen, da peitschen Sie hier Gesetzentwürfe durch. Das
ist Ihr Job, und daher müssen Sie sich dem hier auch
stellen.
({5})
Frau Kollegin Piltz, lassen Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Tauss zu?
Wenn Herr Tauss nicht dazwischenruft, sondern fragt,
immer gerne.
({0})
Wenn Sie mich zu Wort kommen lassen, dann muss
ich nicht dazwischenrufen. - Ich möchte zwei Dinge ansprechen. Verehrte Frau Kollegin, Sie haben eben dargestellt, dass in den letzten Jahren nichts geschehen sei.
Darf ich Sie zum einen daran erinnern, dass es beispielsweise Gesetze aus NRW waren, die für verfassungswidrig erklärt worden sind,
({0})
und zum anderen daran, dass wir in den letzten zehn Jahren etwa die EU-Richtlinie zum Datenschutz umgesetzt
haben, in der es um Videoüberwachung und an verschiedenen Stellen auch um eine Stärkung des Datenschutzes
ging? Ich wiederhole: Das ist innerhalb der letzten zehn
Jahre geschehen. Darf ich Sie einfach darauf aufmerksam machen, dass Ihre Aussage nicht ganz korrekt war?
Herr Kollege, meine Aussagen waren völlig korrekt.
Ich finde es schön, dass Sie mich indirekt auch noch bestätigen. Das habe ich mir von Ihnen im Deutschen Bundestag immer gewünscht.
({0})
Ich habe nämlich gemeint, dass sowohl Rot-Grün als
auch Schwarz-Rot behaupten, in den letzten Jahren etwas für den privaten Datenschutz getan zu haben.
({1})
Ganz im Gegenteil: Sie haben ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung beschlossen, nach dem alle Kommunikationsdaten für die Dauer von sechs Monaten gespeichert werden müssen.
({2})
Sie jedoch stellen sich hierhin und verkaufen das als etwas Positives für die Bürgerinnen und Bürger!
({3})
Herr Tauss, ich glaube, Sie leben in einer anderen Datenschutzwelt als ich.
({4})
Ich bin froh, dass ich in meiner lebe und nicht in Ihrer leben muss.
({5})
Aus meiner Sicht ist es Sache der Politik, dass sich
der Bundesinnenminister jetzt auf einmal als oberster
Datenschützer der Nation aufspielt. Herr Schäuble, dazu
kann ich nur sagen: Auch Sie haben die Saat gelegt, die
wir in den letzten Monaten ernten mussten.
Interessant finde ich auch, wie die Kolleginnen und
Kollegen, insbesondere der Union, damit umgehen. Herr
Uhl zum Beispiel hat gesagt, die Unternehmen sollten an
eine Art öffentlichen Pranger gestellt werden, damit sich
die Kunden ein Bild über den Konzern machen können;
das sei moderne Transparenz. Ehrlich gesagt, habe ich
jetzt begriffen, dass die CSU unter Menschenwürde etwas anderes versteht als ich. Ich freue mich darauf, dass
Sie bei der nächsten Verfehlung des BND Herrn Uhrlau
irgendwo an den Pranger stellen. Ich wünsche mir, dass
Sie sich mit der gleichen Vehemenz für die Anprangerung der Verfehlungen der Geheimdienste und nicht nur
der Unternehmen, in denen es um privaten Datenschutz
geht, einsetzen.
({6})
Datenmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Es ist ein
Angriff auf die Menschenwürde, aus der sich das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ableitet. Arbeitnehmerinnen werden in der Umkleide gefilmt. Es
wird Tagebuch darüber geführt, wie es einem geht, mit
wem man telefoniert, ob man glücklich ist oder nicht.
Videokameras nehmen alles auf. Vorstände werden in
der Telekommunikation überwacht, mit wem sie wann
gesprochen haben, wie lange und wie oft, wer ihnen eine
E-Mail geschickt hat und wie viele, wie lange sie sich
irgendwo aufgehalten haben - das lässt sich dadurch herausbekommen, dass man feststellt, wo das Handy eingeloggt war - und mit welchem Journalisten sie gesprochen haben. Überwacht wurden nämlich auch diejenigen
am anderen Ende der Leitung: Journalisten, Kunden,
Anwälte, Bürger, Mitarbeiter. Sie? Ich? Vielleicht wir
alle? Wer weiß!
({7})
Das erinnert mich ganz persönlich an Stasimethoden,
und das nicht nur, weil dort offensichtlich Stasimitarbeiter eingesetzt waren. Ich finde das sehr bedenklich.
({8})
Die Grundrechte werden auch dadurch eingeschränkt,
dass sich die Menschen aufgrund der Sorge vor dieser
Überwachung überhaupt nicht mehr trauen, mit ihren
Daten offen umzugehen. Das hat uns das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur heimlichen
Onlinedurchsuchung jüngst wieder ins Stammbuch geschrieben. Der Staat muss jetzt dafür Sorge tragen, dass
die Grundrechte geachtet werden, auch von der Wirtschaft, auch von den Arbeitgebern und auch gegenüber
Vorständen von Unternehmen. Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich ist auch Grundrechtsschutz, und das
nicht erst seit diesen Vorkommnissen.
({9})
Doch seit Jahren warten wir auf ein Datenschutzauditgesetz. Rot-Grün hat es nicht eingebracht, SchwarzRot auch nicht. Stattdessen haben Sie die Vorratsdatenspeicherung eingeführt - Herr Tauss, das haben Sie selber eben angesprochen -, erst die rot-grüne Regierung in
Brüssel, dann die schwarz-rote Regierung in Deutschland.
({10})
- Wenn Sie nicht wissen, wie Gesetze in Brüssel zustande kommen, dann kann ich Ihnen das hier jetzt auch
nicht erklären. Sie sitzen im Bundestag; da müssen Sie
schon wissen, wie das geht.
({11})
Stattdessen haben Sie die Fluggastdatenspeicherung
eingeführt, erst die rot-grüne Bundesregierung zusammen mit den USA, dann die schwarz-rote Regierung in
der EU. Sie haben faktisch das Bankgeheimnis abgeschafft.
({12})
Sie wollen eine elektronische Gesundheitskarte einführen. Sie haben auch schon elektronische Pässe eingeführt
und wollen dies auf die Personalausweise ausdehnen.
Wer so mit den Daten von Bürgerinnen und Bürgern
umgeht, muss sich nicht wundern, wenn es Unternehmen
ebenfalls an der Achtung von Grundrechten fehlt.
({13})
- Das entschuldigt in keiner Weise eines dieser Unternehmen. Die Fraktionen von Grünen, SPD und CDU in
diesem Hause können ihre Hände aber nicht in Unschuld
waschen. Nicht einmal jetzt dämmert bei Ihnen die Erkenntnis, dass der Datenschutz im nichtöffentlichen Bereich einen anderen rechtlichen Rahmen braucht. Sie haben ja selber gesagt, jetzt sei die Stunde der Justiz und
nicht die der Politik. Das haben Sie hier als erster Redner
bekannt. Wo bleibt denn das Datenschutzauditgesetz?
Wo bleibt denn die schon längst angemahnte Vorlage
zum Arbeitnehmerdatenschutz? Wo bleibt der Rechtsrahmen für RFID-Chips, die es in immer mehr Produkten gibt?
({14})
Warum nehmen Sie nicht endlich die Bedenken der Datenschützer hinsichtlich der Gesundheitskarte auf? Nichts davon kann ich erkennen. Das wäre aber die Aufgabe dieses Bundestages.
({15})
Es geht nicht nur um Gesetzesänderungen. Das, was
bei der Telekom passiert ist, verstößt schon gegen das
geltende Recht. Das ist überhaupt keine Frage. Es ist ein
Skandal, dass das passiert ist, was passiert ist.
({16})
Die Verantwortlichen haben sich selbstverständlich
strafbar gemacht.
({17})
Das ist gar keine Frage. Aber wir sind nicht die Justiz,
sondern die Politik. Wir müssen hier die Folgen für die
Politik diskutieren. Hier müssen Konsequenzen gezogen
werden. Das müssen Sie erkennen.
({18})
Diese Vorfälle zeigen nämlich überdeutlich, dass es
Handlungsbedarf gibt - sowohl im Hinblick auf eine Änderung der grundrechtsfeindlichen Politik als auch ganz
konkreten Handlungsbedarf. Wo dieser besteht, habe ich
Ihnen eben aufgezeigt.
Daher fordere ich alle Fraktionen in diesem Hause
auf, sich intensiv um den privaten Datenschutz zu kümmern. Das haben Sie bisher leider nicht getan.
Zum Schluss möchte ich einen Satz zitieren, den Herr
Prantl gestern in der Süddeutschen Zeitung geschrieben
hat:
Der Datenschutz schützt nämlich nicht abstrakte
Daten, sondern konkrete Bürger.
Das sollte der Auftrag an dieses Haus sein.
Herzlichen Dank.
({19})
Michael Bürsch ist der nächste Redner für die SPDFraktion.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist in der Tat ein sehr ernstes Thema, das aus meiner Sicht nicht nur die Wirtschaft betrifft, sondern weit
mehr. Das Ganze betrifft uns alle, auch die Politik,
wenngleich man zu Recht sagen kann, das Problem sei
zunächst einmal in der Wirtschaft entstanden.
Ein Kollege hat schon einen Vergleich zur SpiegelAffäre gezogen. Da bestehen sicherlich Unterschiede.
Damals hat der Staat Missbrauch betrieben. Daraus sind
auch Konsequenzen gezogen worden, was die Rechtsstaatlichkeit beim Umgang mit Daten angeht.
Jetzt haben wir - wenn man diesen Vergleich ziehen
will - nicht einen Abgrund von Landesverrat, sondern
einen Abgrund von Datenverrat. Die Frage ist, wie wir
jetzt gemeinsam einen Weg finden. Vielleicht können
wir schon heute ein paar Schlussfolgerungen ziehen, die
auf der Hand liegen, Herr Kollege Gehb. Das ist keine
Hektik, sondern erfolgt nach den Motiven In der Ruhe
liegt die Kraft und Gründlichkeit vor Schnelligkeit.
Ich nenne einmal fünf Feststellungen, die man zu diesem Zeitpunkt schon treffen kann.
Erstens. Bei der Telekom hat es - das ist auch nach ihren eigenen Angaben unbestritten - schwere Verstöße
gegen das Datenschutzgesetz gegeben. Die Telekom hat
sich im Bereich Datenschutz quasi zur rechtsfreien Zone
erklärt.
Zweitens. Alles spricht dafür, dass dies kein Einzelfall ist, sondern dass wir es womöglich mit der Spitze eines Eisbergs zu tun haben. Wir kennen den Fall Lidl.
Wir hören, dass die Bahn ebenfalls diese ominöse Berliner Agentur beauftragt hat. Ich nehme auch an, es wird
beileibe nicht nur die früheren öffentlichen Unternehmen angehen, sondern eine ganze Reihe der 5 000 Unternehmen im IT-Sektor.
Drittens. Zunächst ist sicherlich die Wirtschaft gefordert; das ist richtig. Aber alles spricht schon jetzt dafür das ist auch an den Innenminister gerichtet -, dass es
nicht genügt, auf die Selbstheilungskräfte und die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft zu setzen.
Das wird nicht genügen.
({0})
Viertens. Schon jetzt zeigt eine erste Analyse - Herr
Gehb, auch das hat nichts mit Hektik oder übertriebenem
Rufen nach Gesetzesänderungen zu tun, wie das so beliebt ist, wenn irgendwo etwas schiefgeht -, die man in
den ersten drei, vier oder fünf Tagen anstellen konnte,
wenn man ein bisschen juristisch geübt ist:
({1})
Es gibt wirklich Handlungsbedarf, den wir schon jetzt
festmachen können. Darüber, was im Einzelnen notwendig ist, werden wir uns verständigen müssen.
Die fünfte Feststellung: Es gilt der Grundsatz genauer
Betrachtung. Die Staatsanwaltschaft und die Gerichte
müssen ihre Arbeit machen. Angesichts des politischen
Schadens, der schon jetzt eingetreten ist, des riesigen
Vertrauensschadens, den die Telekom mit ihrem Verhalten auch uns in der Politik zugefügt hat, können wir aber
nicht zwei Jahre warten, bis ein Gericht entschieden hat,
sondern müssen klären: Was müssen wir schon jetzt ins
Auge fassen? Wofür müssen wir gemeinsam Lösungen
finden?
In Bezug auf Handlungsempfehlungen möchte ich dreierlei sagen. Ausgangspunkt ist: Was ist überhaupt passiert? Das ist keine Spökenkiekerei oder Kaffeesatzleserei; offensichtlich steht fest: Begonnen haben die
schweren kriminellen Handlungen, über die wir hier reden, am 20. Januar 2005, als im Vorstand der Telekom
zum wiederholten Male Klage darüber geführt wurde:
Warum gibt es alle möglichen Indiskretionen? Warum
gehen Informationen raus? - Dann hat der Vorstand oder
der Vorstandschef offensichtlich gesagt: Das muss sich
ändern. - Das ist auf die Arbeitsebene delegiert worden
nach dem Motto: Ich weiß von nichts. Es gibt keine
schriftliche Anweisung. Aber das Problem muss gelöst
werden. - Dann kommt am Ende eine Agentur in Berlin
ins Spiel, die sich in einem noch rechtsfreieren Raum bewegt als vielleicht die untere Ebene, die Arbeitsebene
der Telekom.
Das ist insofern nicht eine kriminelle Handlung eines
Telekom-Mitarbeiters. Wenn man dies unterstellt, wird
man sagen müssen: Es steckt dahinter doch System, das
wir so wirklich nicht bestehen lassen dürfen. Es kann
nicht sein, dass man sich für dumm erklärt und sagt: Es
soll alles legal sein, aber die Ausführung soll Ergebnisse
liefern.
Daraus erwachsen schon jetzt, finde ich, Handlungsempfehlungen, erstens im Bereich Sanktionen. Wenn
man genau hinschaut, wie die Sanktionen im Bereich des
Datenschutzes aussehen, dann stellt man fest: Sie sind
- darauf ist schon hingewiesen worden - unzulänglich.
Bei uns gibt es die überaus bescheidene Summe von
300 000 Euro, wenn es um Verletzung von Datenschutzregeln geht. Da ist ein Land wie Griechenland wesentlich weiter als wir. Da gab es gegen die Firma Vodafone
Verfahren vergleichbarer Art. Die Summen, um die es
dabei ging, waren 19 Millionen Euro in dem einen Fall
und 35 Millionen Euro in dem anderen Fall. Das zahlt
man nicht aus der Portokasse. Das tut weh. Insofern
steckt in der Sanktion wahrscheinlich auch ein didaktischer Wert.
({2})
Ein näherer Blick in die Gesetze zeigt, dass der wirklich harte Tatbestand des § 206 Strafgesetzbuch - Verletzung des Post- oder Fernmeldegeheimnisses - höchstwahrscheinlich für die Telekom selbst gilt, aber
wahrscheinlich nicht für die Dienstleister, für diesen
grauen Wirtschaftszweig, der sich da entwickelt hat, der
Arbeiten übernimmt, von denen am Ende niemand wissen will, wie etwas zustande gekommen ist; Hauptsache,
es gibt Ergebnisse. - Diese Branche, die offenbar ein
aufblühender Zweig im Wirtschaftsleben ist, hat keine
Regeln, jedenfalls keine harten Regeln, die die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses betreffen. Sonst existiert ja immerhin die hohe Strafandrohung von bis zu
fünf Jahren Freiheitsstrafe.
Es gilt also, sich mit der Frage zu befassen: Kann man
an den Sanktionen etwas ändern?
Zweitens. Eine Frage ist meines Erachtens in den letzten Tagen noch viel zu wenig thematisiert worden, nämlich: Wie können wir Kontrolle verbessern und verstärken?
Ihre bisherige Vorgehensweise, verehrter Innenminister,
ist in einer Zeitung, wie ich finde, sehr schön zusammengefasst worden. Es hieß, Sie hätten das Lenin-Prinzip offenbar umgedreht: Kontrolle ist gut - das müssen wir
vielleicht auch leisten -, aber Vertrauen in die Selbstheilung ist besser. - Das wird nicht funktionieren.
Deshalb werbe ich dafür, dass wir - die Andockstellen kann man schon jetzt finden - die Kontrollmöglichkeiten verbessern, dem Datenschutzbeauftragten deutlich verbesserte Möglichkeiten geben,
({3})
der Regulierungsbehörde deutlich bessere Kontrollmöglichkeiten geben. Auch die Datenschutzaufsicht muss
verbessert werden.
Drittens. Es muss ferner diskutiert werden - die
Durchführung ist dann allerdings nicht unsere Angelegenheit -, was der betriebliche Datenschutz kann und
darf. Offensichtlich ist das eine bisher relativ schwach
ausgebildete Institution. Das zeigt sich auch bei allem,
was in der Telekom wohl stattgefunden hat. Man kann
schon jetzt sagen: Der Datenschutzbeauftragte ist bei all
den Dingen, die seit 2005/2006 intensiv gelaufen sind,
und selbst bei der Aufklärung dessen, was ja offensichtlich schon länger als April/Mai dieses Jahres läuft, nicht
beteiligt gewesen. Daran wird deutlich: Der Datenschutzbeauftragte ist eher ein zahnloser Tiger, auch
wenn er dem Vorstand berichten darf. Aber das genügt
aus meiner Sicht nicht. Für ihn muss Kündigungsschutz
gelten, er muss direkten Zugang zu allen Vorgängen haben, und er muss alle Datenbewegungen wirklich kontrollieren können.
Nun zum Stichwort Vorratsdatenspeicherung. Bei ruhiger Betrachtungsweise gibt es, wie ich meine, schon einen Unterschied zwischen dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Bereich. Welche Barrieren sind doch
für die Ermittlungsbehörden bei der Vorratsdatenspeicherung aufgebaut worden: Es muss sich um schwere
Straftaten handeln, und es muss ein Richter darüber befinden, ob es geschehen darf. Bis zum Beweis des Gegenteils vertraue ich auf das rechtsstaatliche Vorgehen
und die Rechtstreue der deutschen Verwaltung bzw. des
öffentlichen Bereichs. Die Schwachstelle ist doch ganz
offensichtlich die Wirtschaft. An dieser Stelle müssen
wir ansetzen, indem wir zum Beispiel sicherstellen - das
ist meine erste Schlussfolgerung, Frau Piltz -, dass die
bei der Vorratsdatenspeicherung erhobenen Daten von
der Wirtschaft nicht missbraucht werden können. Der
Datenschutzbeauftragte schlug deshalb eben im Innenausschuss vor, ob die Daten nicht vielleicht separiert
werden können, nämlich die Verkehrs- und Geschäftsdaten, die zum Beispiel die Telekom für ihre Geschäfte
benötigt, von den Daten, die wir für die Kriminalitätsbekämpfung und die Verhinderung von Terrorismus brauchen.
Es gibt also verschiedene Ansatzpunkte. Ich möchte
in der Tat, dass diese mit allen Interessierten, also mit allen in diesem Hohen Hause vertretenen Fraktionen und
der Wirtschaft, gemeinsam bearbeitet werden. Hier muss
es zu einer konzertierten Aktion kommen. Anders können wir den riesigen Vertrauensschaden nicht kompensieren. Ich sehe in dem, was die Telekom gemacht hat,
eine wirklich nachhaltige Verletzung unseres Gesellschaftsvertrages. Wenn sich Unternehmen die Freiheit
nehmen, die Gesetze zu brechen, die wir alle uns auferlegt haben, dann wird dadurch der Gesellschaftsvertrag,
dem wir alle unterliegen, verletzt. Deshalb sehe ich uns
alle in der Pflicht, diesen Schaden gemeinsam zu beheben. Es geht hier also nicht um eine Frage der politischen oder gar parteipolitischen Auseinandersetzung;
denn gemeinsam können wir hier mehr erreichen.
In diesem Sinne: Gutes Schaffen!
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Telekom soll über einen längeren Zeitraum Mitarbeiter, Führungskräfte und Journalisten ausgespäht, abgehorcht und überwacht haben. Von einer Spitzelaffäre
ist die Rede. Andere vergleichen sie bereits mit der Spie17432
gel-Affäre in der alten Bundesrepublik in den 1960erJahren.
Inzwischen ist auch die Bahn AG in ähnliche Schlagzeilen geraten. Einige Kollegen vermuten sogar öffentlich, dass auch sie und weitere Abgeordnete im Visier
Mehdorns waren. Sollte das stimmen, dann hat der Bundestag ein sehr ernstes Problem; denn für beide, für die
Telekom und für die Bahn, trägt die Bundesregierung
eine besondere Verantwortung.
({0})
Zurück zur Telekom. Von einer Affäre ist die Rede.
Ich finde, so schreibt man einen Skandal klein. Nach
Lage der Dinge geht es nämlich um Verfassungsbruch,
und zwar mit Vorsatz und mindestens dreifach: Persönlichkeitsrechte wurden ausgehebelt, das Post- und Fernmeldegeheimnis wurde gebrochen, und die Pressefreiheit wurde attackiert. Umso erstaunter vernahm ich die
ersten Reaktionen der Bundesregierung: Die Telekom
und weitere Telekommunikationsunternehmen sollten
nach Berlin kommen und eine Selbstverpflichtung abgeben. Ja, was sollten diese denn sagen? Wir wollen das
Grundgesetz wieder lieb haben oder Ähnliches? Oder
worum sollte es bei dieser Selbstverpflichtung gehen?
Das ist doch Bundeskabarett der schlechtesten Art.
({1})
Inzwischen wurden weitere Stellungnahmen ausgetauscht. Von krimineller Energie ist die Rede und vom
berühmten Einzelfall. Aufklärung wird gefordert und
vor Schnellschüssen gewarnt. Die einen wollen schärfere Gesetze, andere wollen härtere Strafen. Wieder andere fordern mehr Datenschutzkontrollen. Das mag alles
sinnvoll sein;
({2})
aber - Kollege Gehb, in der Sache gebe ich Ihnen recht das geht am eigentlichen Problem vorbei.
Der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar,
hat übrigens vorgestern gesagt, er habe fünf Mitarbeiter
für 5 000 Telekommunikationsunternehmen. Er hat also
gar keine Chance, großflächig zu kontrollieren. Folglich
ist die Gefahr, beim Datenmissbrauch erwischt zu werden, sehr klein.
Sie wäre übrigens kaum größer, wenn Schaar 50 Mitarbeiter hätte, die sich um die Telekommunikationsbetriebe kümmern. Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Rechnung präsentieren: Nehmen wir einmal an, an einem Tag
telefonieren in Deutschland nur 50 Millionen Bürgerinnen und Bürger, und zwar nur einmal. Sie schicken zudem
je eine SMS und eine E-Mail ab. Wenn man Absender
und Empfänger addiert, fallen so an einem einzigen Tag
300 Millionen Sätze mit Verbindungsdaten an. Diese
wiederum sollen nun laut Gesetz für ein halbes Jahr auf
Vorrat gespeichert werden. Das heißt, binnen dieses halben Jahres kommen somit rund 60 Milliarden Datensätze
zusammen.
({3})
In Wirklichkeit sind es dreimal so viel. Aber allein diese
Zahl - 60 Milliarden - sollte uns ein Gefühl dafür geben:
Das alles ist nicht mehr kontrollierbar. Das eigentliche
Problem ist daher nicht der Missbrauch, sondern die
Vorratsdatenspeicherung selbst, und deshalb muss sie
vom Tisch.
({4})
Denn je mehr Daten erfasst werden, umso größer ist die
Gefahr, dass alles aus dem Ruder läuft.
Der einzig sichere Datenschutz ist und bleibt die Vermeidung von Daten.
({5})
Mit der Vorratsdatenspeicherung haben sich die Union
und die SPD für das Gegenteil entschieden. So wachsen
die Datenberge, und niemand darf sich wundern, wenn
daraus auch kriminelle Begehrlichkeiten wachsen. Nein,
eine falsche Politik ist der Kern des Telekom-Skandals.
({6})
Nun habe ich sehr wohl den Einwand des Kollegen
Bosbach und anderer gehört, die Telekom habe die Daten missbraucht, bevor die Vorratsdatenspeicherung zur
Pflicht wurde. Natürlich weiß ich auch, dass bereits vordem Verbindungsdaten gespeichert wurden,
({7})
unter anderem, weil die Telekom-Kunden natürlich ein
Recht auf eine transparente Rechnung haben.
({8})
Aber dieser geschäftliche Speichergrund entfällt im Zeitalter der Flatrate immer mehr. Umso mehr wäre die eigentlich spannende Frage: Wie kann man die Speicherung persönlicher Kommunikationsdaten minimieren,
statt sie zu maximieren?
({9})
Die Koalition hat sich mit der Vorratsdatenspeicherung
fürs Maximieren entschieden. Das ist das Gegenteil von
Bürger- und Datenschutz.
Die Koalition hat damit noch ein zweites Signal gesetzt, nämlich: Wir brauchen möglichst alles über jeden.
Rechtsstaatlich - das habe ich schon damals in der Debatte hier gesagt - rütteln Sie damit an der Unschuldsvermutung, weil auf diese Weise unterstellt wird, jede
und jeder ist ein potenzieller Krimineller oder Terrorist.
Auch Lidl hat übrigens so argumentiert: Alle sind potenzielle Ladendiebe; also wurden alle überwacht.
Genauso war auch die Denkweise bei der Telekom:
Im Zweifelsfall hat der Datenschutz zu weichen, allemal,
wenn es ums eigene Geschäft geht. Das ist letztlich dieselbe Haltung, die immer wieder in Äußerungen der
Unionsparteien, aber auch anderer zu finden ist, nämlich
wenn sie behaupten, dass Datenschutz eigentlich Täterschutz sei. Denn so legitimiert man Datenmissbrauch.
Datenschutz ist aber kein Täterschutz, sondern Persönlichkeitsschutz. Das hat das Bundesverfassungsgericht
mehrfach bekräftigt. Wenn es seiner eigenen Rechtsprechung treu bleibt, dann wird auch die Vorratsdatenspeicherung keinen Bestand haben.
({10})
Über 30 000 Bürgerinnen und Bürger haben in Karlsruhe
inzwischen dagegen geklagt. Auch ich gehöre zur Klagegemeinschaft.
Es geht im Übrigen aber um noch mehr. Im sogenannten Volkszählungsurteil hatte das Bundesverfassungsgericht betont: Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr
wissen oder nicht mehr wissen können, wer was über sie
weiß, sind nicht mehr souverän. Und wer nicht mehr
souverän ist, kann auch kein Souverän sein. Eine Demokratie ohne Souveräne aber ist undenkbar.
So urteilte das Bundesverfassungsgericht bereits vor
25 Jahren. Wer den Datenschutz aushöhlt, untergräbt die
Demokratie. Das war die mahnende Botschaft. Sie gilt
heute mehr denn je; denn noch nie war das technische
Überwachungspotenzial so groß wie heute im Zeitalter
der Handys, des Internets und der allgegenwärtigen
Videokameras.
({11})
Deshalb fordert die Linke auch: Wir brauchen endlich
ein neues und modernes Datenschutzrecht.
({12})
Das alte Datenschutzrecht folgt noch häufig den Spielregeln der Zeit, da mit dem Bleistift geschrieben und das
Dampfradio gehört wurde. Heute sind wir im 21. Jahrhundert, im Internet-Zeitalter. Es ist also höchste Zeit,
den Datenschutz den neuen Bedingungen anzupassen.
Unter diesen Bedingungen heißt Datenschutz für
mich übrigens nicht, rechtsstaatlich zu regeln, wie Daten
erfasst, gehortet und gehandelt werden können. Im Gegenteil: Moderner Datenschutz verlangt, rechtsstaatlich
zu regeln, wie das Erfassen, Horten und Handeln von
persönlichen Daten grundsätzlich minimiert werden
kann. Das wäre eine verantwortungsvolle Aufgabe des
Bundestages. Stattdessen werden immer mehr persönliche Daten erhoben und via EU und USA ins unkontrollierbare Nirwana verschickt. Dagegen ist der TelekomSkandal sogar noch ein Kavaliersdelikt. Das macht ihn
allerdings nicht besser. Aber es zeigt: Der politisch eingeschlagene Weg ist ein Irrweg.
({13})
Der leichtfertige und gefährliche Umgang mit persönlichen Daten von Staats wegen und in der Wirtschaft hat
leider eine Entsprechung in der Bevölkerung. Noch nie
wurde so leichtsinnig mit den eigenen Daten umgegangen wie heute. Prüfe jede und jeder selbst, wie viele PayCards er oder sie in Erwartung von Rabatten oder anderen Vorteilen mit sich herumträgt.
({14})
- Löblich, Herr Kollege.
({15})
Es wäre also eine wichtige Aufgabe der Politik
- nicht nur von uns beiden, Kollege Tauss -, viel mehr
über die Risiken und Nebenwirkungen dieser Karten und
der gedankenlosen Datenherausgabe und -weitergabe
aufzuklären.
({16})
Die Bundespolitik aber setzt das gegenteilige Signal.
Denn sie suggeriert, gegenüber der Sicherheit und für
Schnäppchen sei der Datenschutz zweitrangig. Das kann
nicht gut gehen, weil damit die Demokratie nicht reparierbar aufs Spiel gesetzt wird.
Deshalb habe ich am Anfang der Woche gesagt: Der
Telekom-Skandal ist ein Glücksfall; denn er kann erhellen,
({17})
welche Gefahren lauern, wenn wir dem Datenschutz
nicht endlich den Stellenwert einräumen, der ihm zukommt.
({18})
Davon sind wir aber weit entfernt. Also wünsche ich mir
etwas weniger Empörung über die Telekom und dafür etwas mehr bundespolitische Verantwortung insgesamt für
den Datenschutz und die Bürgerrechte.
Abschließend: Es ist höchste Zeit für eine neue Bürgerrechtsbewegung. Sie beginnt rund um den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. Dieser hatte sich am vergangenen Wochenende bundesweit mit dezentralen
Aktionstagen zu Wort gemeldet. Er folgt der Erkenntnis,
die ich hier unterstreichen will: Der beste Verfassungsschutz sind noch immer agile Bürgerinnen und Bürger.
Das war so, und das bleibt so.
({19})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Renate Künast das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eines
dürfen wir nicht vergessen: Es ist eine Frage der Grundeinstellung, wie wir mit den Daten der Bürgerinnen und
Bürger umgehen. Ist es eigentlich so, wie Herr Schäuble
es sieht, nämlich dass alle Bürgerinnen und Bürger potenziell Verdächtige sind? Oder gibt es ein Grundrecht
auf Privatheit und ein Selbstbestimmungsrecht bei den
eigenen Daten? Genau darum geht die heutige Debatte.
({0})
Die Auffassung von Herrn Schäuble führt eben dazu,
dass alles über jeden und das möglichst lange gespeichert wird. An der Stelle kann ich Ihnen nur sagen: Wer
das tut, schafft Gelegenheit, und Gelegenheit macht
Diebe.
({1})
Wir haben, wenn wir uns das jetzt einmal genauer ansehen, lange Zeit damit zu kämpfen gehabt, dass immer
gesagt wurde, der Datenschutz sei so eine Art lästiges
Hindernis bei der Verbrechensbekämpfung. An dieser
Stelle sehen wir, dass der Datenschutz gar nicht hoch genug bewertet werden kann in dieser digitalen Welt, in
der Sie mit jeder Karte, die Sie haben, und mit jeder Information, die Sie an Behörden und an die Wirtschaft geben, einen Beitrag dazu leisten, dass Ihre persönlichen
Daten einmal rund um den Globus gehen. Angesichts
dessen, dass so etwas bei der Telekom trotz toller Aufsicht über Jahre geschehen kann, dass Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter von Lidl ausgeforscht und gefilmt werden und möglicherweise die Deutsche Bahn - unter Bundesbeteiligung - ihre Kritiker ausspäht - auch das wäre
aufzuklären -, kann man nur eines sagen: Wir müssen
das Grundrecht auf Privatheit hochhalten und es in das
Grundgesetz aufnehmen.
({2})
Wir müssen dafür sorgen, dass möglichst wenige Daten
erhoben werden - nur diejenigen, die nötig sind, und für
die Dauer, für die dies nötig ist.
({3})
- Da kommen wir aber zu einem anderen Ergebnis,
selbst ohne Mammografie, Herr Gehb.
Ich sage Ihnen an dieser Stelle ganz klar: Die Regierung streut uns Sand in die Augen. Sie lenken von dem
Datenmissbrauch bei der Telekom und den Ursachen dafür ab, indem Sie auf der einen Seite verstärkte Sanktionen fordern. Auf der anderen Seite wollen Sie mit freiwilligen Selbstverpflichtungen arbeiten. Das reicht mir
aber nicht.
({4})
Freiwillige Selbstverpflichtung ist ungefähr so wie
weißer Schimmel, egal wie lang Sie das Wort noch machen. Trotzdem muss natürlich jede Firma dafür Sorge
tragen, dass sie die Gesetze einhält. Das wird - logisch auch die Aufgabe der Telekom sein.
({5})
Ich frage mich angesichts der Placeboeinladung, die
Herr Schäuble an die entsprechenden Unternehmen ausgesprochen hat, was der Sinn dieser Einladung war. Warum haben Sie, Herr Schäuble, sie nicht früher eingeladen? Ihre Aufgabe ist doch die Aufsicht der Unternehmen
beim Umgang mit Daten. Da ist doch vorher etwas schiefgelaufen; darauf will ich zurückkommen. Ich sage Ihnen
ganz klar: Es hat vorher einen Mangel an Kontrolle und
eine zu große Datensammelwut gegeben. Genau das
muss man abstellen.
({6})
Ihre Einladung wirkt ungefähr so: Nachdem es eine
allgemeine Empörung über Lidl, die Telekom und möglicherweise die Bahn gibt, wird Herr Schäuble jetzt vom
vehementen Datennutzer zu einer Art Wolf im Schafspelz.
({7})
- Gegen Grimms Märchen können Sie nichts haben. Herr Minister, Sie waren es doch, der das Gesetz zur
Vorratsdatenspeicherung gemacht hat, das die Telekom
quasi zur Schatzhüterin der Verbindungsdaten von Bürgerinnen und Bürgern gemacht hat. Ich sage Ihnen: Dieses Gesetz wird künftig dazu führen, dass Sie ungeheure
Datenberge haben werden - noch mehr, als Frau Pau es
vorgerechnet hat. Mit jeder weiteren Information und
Verbindung, die gespeichert werden, wird die Missbrauchsgefahr ganz stark steigen.
({8})
Herr Schäuble, Sie haben uns hier vorgemacht, dass
es eine Art Heiligenschrein gebe, in dem Millionen von
Verbindungsdaten lagern, und nur auserlesene Hohepriester hätten jemals wieder Zugang zu diesen Daten.
Wie wollen Sie eigentlich damit umgehen, dass es diese
Unzuverlässigkeit gegeben hat? Ich glaube, damit ist
Ihre Argumentation wie ein Kartenhaus zusammengefallen. Ich sage Ihnen: Die Vorratsdatenspeicherung muss
weg; denn sie ist eine Gelegenheit für Diebe.
({9})
Wir leben in einer digitalen Welt. Dabei ist eine Leitlinie
die richtige, nämlich die, Datenarmut herzustellen. Möglichst wenige Daten zu erheben und zu speichern, ist die
beste Prävention.
({10})
Herr Schäuble, wir alle wissen, dass das Bundesverfassungsgericht die Anwendung der Vorratsdatenspeicherung mit einer einstweiligen Anordnung beschränkt
hat. Lassen Sie uns nach dem Onlineurteil nicht auf die
nächste Ohrfeige aus Karlsruhe warten! Legen Sie an
dieser Stelle nicht weiter Hand an die Sicherheitsarchitektur, sondern sorgen Sie dafür, dass wir diese Daten
nicht erheben!
Ich will Ihnen sagen, warum wir als Grüne dieses
große Misstrauen hegen. Ich stelle mir das bildlich vor:
Telekom-Mitarbeiter wenden sich an einen Dienstleister
und vergeben dort Aufträge in sechsstelliger Höhe. Keiner der Beteiligten hatte offensichtlich die Sorge, dass es
irgendwelche Kontrollen gibt und dass das Ganze auffliegt.
({11})
- Jetzt liest Herr Schäuble tatsächlich Herrn van Essen
seine SMS vor.
({12})
Die Nummer ist gut. Das ist ein interessanter Fall von
Datenweitergabe.
({13})
Herr Schäuble, 3 000 Bürgerbeschwerden gingen
2007 beim Bundesdatenschutzbeauftragten ein, doppelt
so viele wie noch vor Jahren. Was tun Sie eigentlich, um
den Bundesdatenschutzbeauftragten mit entsprechendem
Personal auszustatten? Was tun Sie dafür, dass es so etwas wie Protokolle über den Zugriff auf Daten bei den
Telekommunikationsfirmen gibt? Was tun Sie dafür,
dass es wirklich eine effiziente und effektive Kontrolle
gibt? Auch da haben Sie versagt.
Datenmissbrauch ist kein Kavaliersdelikt. Wir haben
ein Recht auf Privatheit. Dies muss im Grundgesetz festgelegt werden. Der erste Schritt dazu ist: Weg mit der
Vorratsdatenspeicherung. Nur Aufräumen hilft hier
nichts.
({14})
Für die Bundesregierung hat nun der Bundesminister
des Innern, Dr. Wolfgang Schäuble, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau
Kollegin Künast, da Transparenz ein Mittel ist, um die
schwierige Frage zu beantworten: Wie können wir den
Notwendigkeiten des Schutzes von Grundrechten im
Allgemeinen und des Grundrechts auf informationelle
Selbstbestimmung - also Datenschutz - im Besonderen
Rechnung tragen?, will ich Ihnen nicht verschweigen,
womit wir uns gerade beschäftigt haben. Da Sie den
Wolf im Schafspelz mit Grimms Märchen in Verbindung
gebracht haben und wir Zweifel daran hatten, ob das zutreffend ist, haben wir nachgeforscht. Jetzt kann ich Ihnen sagen, dass das falsch ist.
({0})
Wie das meiste, was Sie gesagt haben, war auch das Zitat falsch.
({1})
Ich will Ihnen aber sagen, was richtig ist. Es stammt
aus Matthäus 7, Vers 15. Darin wird vor falschen Propheten gewarnt, die im Schafspelz daherkommen und inwendig reißende Wölfe sind.
({2})
So ist es. Genau so sind Sie mir gerade ein wenig vorgekommen.
({3})
Die Richtlinie der Europäischen Union, die umzusetzen die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist
- wir haben das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung
nicht aus Jux und Tollerei gemacht, sondern weil das
Vorgaben einer Richtlinie der Europäischen Union sind -,
stammt vom 15. März 2006. Solche Richtlinien werden
nicht als Schnellschüsse vorgelegt; da gibt es eine lange
Vorbereitung. Das heißt, sie ist schon zu der Zeit, als
Frau Künast ehrenwertes Mitglied der Bundesregierung
war, erarbeitet, vorbereitet und zur Entscheidung gebracht worden. Reden Sie doch nicht falsch Zeugnis gegenüber Ihrer eigenen Vergangenheit!
({4})
Eine weitere Bemerkung,
({5})
unabhängig von dem konkreten Fall, der sehr schlimm
ist. Herr Kollege Bürsch, in der Tat habe ich in dieser
Woche erklärt: Der Satz Vertrauen ist gut, Kontrolle ist
besser ist gefährlich. - Ich finde schon, dass eine freiheitliche Ordnung - ich habe das nicht im Zusammenhang mit dem Datenschutz gesagt, sondern das grundsätzlich gemeint - auch auf Vertrauen beruht. Wenn alles
nur mit Kontrolle geht, kommen wir zu einem totalen
Überwachungsstaat.
({6})
- Ich habe Ihnen auch zugehört. Ich versuche gerade, zu
erklären, warum ich diesen Satz gesagt habe. Freiheitliche Verfassungen leben von Voraussetzungen, die sie
selber nicht so leicht gewährleisten können. Dazu gehört
ein hinreichendes Maß an Vertrauen. Deswegen ist der
Schaden so groß, wenn das Vertrauen gerade auch durch
Verantwortungsträger und Eliten verletzt wird.
Wir haben Gesetze. Wo Menschen sind, wird gegen
Gesetze auch verstoßen. Frau Kollegin Piltz hat zu Recht
aus der Bibel zitiert: Wer unter Euch ohne Sünde ist,
werfe den ersten Stein. Frau Kollegin, Sie haben nur
den Fehler gemacht, anschließend Steine zu werfen.
Sind Sie sich wirklich sicher, dass Sie ohne Sünde
sind? Ich fürchte, nein, Frau Kollegin Piltz, Sie kommen
mir nämlich ziemlich menschlich vor.
({7})
- Nein, ich greife nur Ihr Zitat auf. Der Sinn einer Debatte besteht doch darin, dass man auf das eingeht, was
zuvor gesagt worden ist. Sonst macht eine Debatte
schließlich keinen Sinn. Auch das ist ein Teil von Kommunikation.
Ich möchte folgende Bemerkung machen, weil das in
der Debatte bisher noch nicht gesagt worden ist: Für die
Kontrolle der Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen ist nicht nur und nicht in erster Linie der Bundesbeauftragte für den Datenschutz zuständig;
({8})
da wären seine fünf Mitarbeiter völlig überfordert. Der
Vollzug der Gesetze ist gemäß Grundgesetz in der Regel
Sache der Länder. Die Bundesländer sind für die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen zuständig. Es gibt Verwaltungseinrichtungen, die versuchen,
die Einhaltung dieser Bestimmungen zu gewährleisten.
Trotzdem wird dagegen verstoßen.
Dieser Fall muss uns natürlich Anlass geben, darüber
nachzudenken, was man daraus lernen kann. Ich finde,
es war richtig, dass der Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, Dr. Beus, nach Bekanntwerden des Vorfalls in der vergangenen Woche die Vertreter der Branche zu einem Treffen eingeladen hat. Es ist gut, mit den
betroffenen Verbänden und Unternehmen - das sind die,
die es am besten wissen müssten - darüber zu reden, was
man tun kann, um die Wahrscheinlichkeit, dass gegen
solche Gesetze verstoßen wird, zu verringern. Ich kann
verstehen, dass manche Unternehmen gesagt haben, dass
sie im Augenblick nicht gemeinsam mit diesem Unternehmen auftreten möchten, sich lieber fernhalten. Es
bleibt ihnen allerdings nicht erspart, sich im Sinne einer
sachkundigen Beratung Gedanken darüber zu machen,
welche Konsequenzen zu ziehen sind. Kollege Bürsch,
wir müssen Konsequenzen ziehen. Es liegt viel Arbeit
vor uns.
({9})
Wir müssen mit den Betroffenen reden. Damit kann man
nicht schnell genug anfangen. Wir werden aber keinen
Schnellschuss machen.
In dem Gespräch haben wir verabredet, dass die Telekom, die mit der Beauftragung des früheren Bundesrichters Dr. Schäfer und anderen Maßnahmen wichtige
Schritte auf dem Weg zur eigenen Aufklärung unternommen hat, den anderen Unternehmen und den Verbänden
ihre Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Diese Erkenntnisse werden mit der Bundesnetzagentur, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem
Datenschutzbeauftragten erörtert. Danach werden wir im
Beratungsprozess vorangehen und die notwendigen Entscheidungsgrundlagen erarbeiten.
Es ist zu berücksichtigen, dass der Datenschutz bei Telekommunikationsunternehmen noch sensibler zu handhaben ist als bei anderen Unternehmen, die auch gegen
den Datenschutz verstoßen können, weil die Telekommunikationsunternehmen mit den vielen Daten umgehen
müssen. Nach der Architektur unseres Grundgesetzes
müssen wir den Schutz der Daten gewährleisten und den
Zugriff darauf rechtlich begrenzen, und zwar auch gegenüber staatlichen Sicherheitsorganen. Deswegen ist
dieses Thema besonders sensibel.
Zusätzliche institutionelle Vorkehrungen können getroffen werden. Der Gesetzgeber muss gegebenenfalls
Schlussfolgerungen ziehen. Das machen wir - zügig und
intensiv, aber sorgfältig. Daran wird gearbeitet.
Neben dem Spaß an den neuen Telekommunikationstechnologien gibt es auch eine große Besorgnis. Aufgrund des ungeheueren Fortschritts im Bereich der
Telekommunikationstechnologien gibt es viel mehr Kommunikation, übrigens auch im Reiseverkehr. Deswegen
sind fälschungssichere Ausweise wichtig. Am Flughafen
Frankfurt zum Beispiel starten und landen jährlich
40 Millionen Passagiere. Das Reiseaufkommen nimmt
ungeheuer zu. Das ist eine Frage der Mobilität, der Globalisierung und des technischen Fortschritts. Der Umfang
an Kommunikation nimmt enorm zu. Es ist hier ein Rechenspiel angebracht worden zu der Datenmenge, die
entsteht, wenn jeder täglich einen Telefonanruf tätigt,
eine SMS und eine E-Mail verschickt. Das ist ja wahr.
Auf der anderen Seite ist das Mehr an Daten eine
wichtige Grundlage unseres unglaublichen technischen,
wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts.
Wie sollen 6,5 Milliarden Menschen auf dieser Erde leben, wenn wir keinen technischen und wissenschaftlichen Fortschritt haben?
({10})
Trotzdem gibt es Probleme, an deren Lösung wir jeden
Tag arbeiten. - Herr Kollege Beck, ich rede ernsthaft
über wirklich grundlegende Probleme.
({11})
- Mobilität ist auch Kommunikation und Kommunikation zwischen Menschen.
({12})
Wir kommunizieren ja auch, manchmal fröhlich und
manchmal ernst. Auf jeden Fall bemühen wir uns.
Infolge von mehr Kommunikation entstehen mehr Daten. Demnächst werden wir vielleicht eine Debatte darüber führen, ob sichergestellt ist, dass die Banken mit
den Daten vernünftig umgehen. Die Daten sind notwendig, damit Sie wissen, wie viel Geld Sie auf Ihrem Konto
haben und wer darauf zugreift. Als Innenminister muss
ich sicherstellen - das ist meine, aber auch Ihre Aufgabe -, dass niemand auf Ihr Konto zugreift, der dazu
nicht befugt ist. Deswegen muss ich Ihnen beispielsweise
eine sichere Identifizierung ermöglichen. Auf der anderen Seite wird dann wiederum die Sorge geäußert, ob das
nicht übertrieben ist. Das ist ein Zielkonflikt, den wir
aushalten müssen.
Wir sollten es uns nicht zu leicht machen. Wir sollten
aber auch keine Debatte führen, die in der Öffentlichkeit
Verunsicherung erzeugt. Sonst beklagen wir diese anschließend und machen uns gegenseitig einen Vorwurf
daraus.
Natürlich ist es in der Menschheitsgeschichte - wir
haben die Bibel schon viel zitiert: seit Adam und Eva
und der Vertreibung aus dem Paradies - schon immer so
gewesen, dass jeder Fortschritt ambivalent ist. Er ist
Fluch und Segen zugleich. Der technische Fortschritt ist
ein großes Glück. Wir arbeiten daran, wir setzen auf Forschung und Innovation. Anders werden wir unseren
Platz in der globalisierten Welt nicht behalten können.
Aber wir müssen verantwortlich damit umgehen. Ängste
zu schüren, wird uns nicht in die Lage versetzen, verantwortlich Schlussfolgerungen zu ziehen und immer wieder aus auch schmerzlichen Erfahrungen zu lernen.
Die offene Gesellschaft beruht auf dem Wissen, dass
Fehler geschehen, aber auch auf der Bereitschaft, aus
Fehlern zu lernen, sie zu korrigieren und immer wieder
neu darüber zu diskutieren. Aber das Prinzip, Debatten
nach dem oberflächlichen Regelwerk von Political Correctness zu tabuisieren, bewirkt keinen Fortschritt, keine
Sicherheit, von Grundrechten nicht und auch nicht von
menschlicher Freiheit. Deswegen werbe ich für eine tabufreie Debatte, die sensibel ist und keine Ängste schürt,
sondern unsere Verantwortung als Mitglieder des höchsten Verfassungsorgans ernst nimmt.
({13})
Herr Minister, gestatten Sie am Ende Ihrer Redezeit
noch eine Zwischenfrage des Kollegen Bürsch?
Wenn Sie, Frau Präsidentin, am Ende der Redezeit
noch eine Zwischenfrage ermöglichen, dann gerne.
Natürlich. - Herr Dr. Bürsch, bitte sehr.
Ich möchte Ihnen, Herr Minister, Gelegenheit geben,
Ihren Gedanken fortzuführen. Alles verändert sich: der
technische Fortschritt, gesellschaftliche Entwicklungen.
Wäre es nicht logisch, wenn Sie Ihren Gedanken über
den technischen Fortschritt, dem wir Rechnung tragen
müssen, so fortführen, dass wir jetzt gemeinsam eine
Modernisierung des Datenschutzrechtes angehen sollten,
und zwar noch in dieser Legislaturperiode? Das Datenschutzrecht - da gebe ich manchen Rednern recht - ist
auf dem Stand von anno Tobak. Sollten wir Ihre richtige
Analyse dieser Zeit also nicht dazu nutzen, gemeinsam
eine Modernisierung anzugehen?
({0})
Sie wissen, dass mein Ministerium und ich mit Hochdruck daran arbeiten. Wir legen zum Beispiel einen Gesetzentwurf zum Scoring vor, weil wir das Problem bei
den Auskunfteien haben. Daran arbeiten wir intensiv.
({0})
Um die Chance, die Sie mir durch Ihre Zwischenfrage
- mit der Genehmigung der Präsidentin - eröffnet haben,
nicht exzessiv zu nutzen, sage ich nur Folgendes: Der
Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Herr Schaar, hat
gesagt, und zwar öffentlich, wir hätten zurzeit endlich
wieder einen Innenminister, dem der Datenschutz wichtig sei, bei seinen Vorgängern sei das nicht der Fall gewesen.
Herzlichen Dank.
({1})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg van Essen für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es hat mich natürlich gefreut, dass engagierte Christen
in der FDP den Christdemokraten Nachhilfe in Bibelkenntnis geben konnten. Das nur als Bemerkung vorweg.
Ich glaube, dass die Diskussion der letzten Tage, aber
auch der letzten Monate über die Fälle Lidl und jetzt Telekom zeigt, dass wir beim Datenschutz möglicherweise
einen Bereich vernachlässigt haben, der wieder in den
Fokus gehört, nämlich die Datennutzung durch Private.
Wir führen intensive Debatten über die Datennutzung
durch den Staat. Es gibt heftige Debatten darüber, ob Kameras auf Bahnhöfen aufgebaut werden dürfen und wie
lange die Aufnahmen gespeichert werden. Wir nehmen
es als ganz selbstverständlich hin, dass wir jedes Mal
dann, wenn wir tanken, gefilmt werden. Es interessiert
uns überhaupt nicht, was mit diesen Aufnahmen geschieht, welche Zeitspanne aufgenommen wird und wie
lange die Aufnahme gespeichert wird.
Ich glaube, eine der Lehren aus den letzten Tagen ist,
dass wir uns dem Datenschutz im privaten Bereich wieder sehr viel intensiver widmen müssen.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat dazu einen ganz hervorragenden Antrag eingebracht. Ich erhoffe mir, dass
wir dazu im Bundestag eine sachliche Debatte führen
werden.
Herr Kollege Bürsch, Sie haben in diesem Zusammenhang einige Vorschläge gemacht, die meine ausdrückliche Zustimmung finden. Mir hat Ihre Rede von
den vielen Reden, die wir bisher gehört haben, ganz besonders gut gefallen. Ich glaube, dass es sich lohnt, über
Ihre Vorschläge nachzudenken.
({1})
Ich habe wie Sie das Gefühl, dass wir im Bereich der
Sanktionen nachsteuern müssen. Wenn es tatsächlich so
ist, dass die beauftragten Firmen strafrechtlich nichts zu
befürchten haben - das haben Sie gesagt, und das ist
auch mein Gefühl -, dann müssen wir dieses Thema
selbstverständlich auf die Tagesordnung setzen. Ich
glaube auch, Sie haben zu Recht vorgetragen, dass wir
die Ausstattung im Bereich des Datenschutzes, insbesondere die der Datenschützer, verbessern müssen.
In einem Punkt bin ich völlig anderer Auffassung als
Frau Künast.
({2})
Es war wieder einmal typisch, dass die Grünen an dieser
Stelle nur nach dem Staat rufen. Ich hingegen teile die
Auffassung des Innenministers, dass hier zunächst einmal die Unternehmen Verantwortung tragen. Ein Unternehmen wie die Telekom steht zunächst einmal selbst in
der Verantwortung,
({3})
dafür zu sorgen, dass es sauber ist bzw. dass die Konsequenzen aus einer solchen Affäre gezogen werden.
({4})
Darüber hinaus müssen wir natürlich auch den anderen
Fragen, die hier aufgeworfen worden sind, nachgehen.
Wir als FDP haben, wie gesagt, einen entsprechenden
Antrag in den Deutschen Bundestag eingebracht.
({5})
Ich glaube, dass diese Debatte zum Anlass genommen
werden sollte, darüber nachzudenken, wie der Staat mit
dem Datenschutz umgeht. Wir sammeln immer mehr
Daten, und viele erwecken den Eindruck: Je mehr Daten
vorhanden sind, desto sicherer können wir in unserem
Land leben.
({6})
Das Gegenteil ist der Fall. Das hat spätestens der
11. September 2001 gezeigt. Alle Daten waren vorhanden, man hat sie aber nicht zusammenführen können.
Eine Konsequenz des uferlosen Sammelns von Daten ist,
dass ihre Zusammenführung immer schwieriger wird.
Deshalb denke ich, dass auch hier ein Nachdenken erforderlich ist.
({7})
An einem Thema, das auch Gegenstand der heutigen
Debatte war, wird das ganz besonders deutlich: an der
Vorratsdatenspeicherung. Als wir damals über dieses
Thema diskutiert haben, habe ich für meine Fraktion geredet und die Vorhersage gemacht, dass man mit diesem
Vorhaben vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern
wird. Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts ist ein erstes Anzeichen dafür, dass diese
Regelung so, wie sie verabschiedet wurde, nicht bestehen bleiben wird.
({8})
- Ja, das weiß ich. Ich habe mich sehr intensiv damit beschäftigt.
Deshalb lautet unsere Forderung - ich wiederhole
sie -: Mit der Vorratsdatenspeicherung muss schnellstmöglich Schluss sein. Wir fordern Sie auf, das Gesetz
zur Vorratsdatenspeicherung aufzuheben;
({9})
denn es fehlt schon die Grundlage. Irland hat nicht ohne
Grund Klage vor dem Europäischen Gerichtshof erhoben. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich im Hinblick auf die Fluggastdatenspeicherung festgestellt, dass
die rechtliche Grundlage für diese Maßnahme nicht ausreicht.
({10})
Deshalb ist schon jetzt klar, wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes ausfallen wird. Das heißt, diese
Richtlinie hat keine rechtliche Grundlage.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich möchte gerne zu Ende reden.
({0})
Hinzu kommt: Dass das Bundesverfassungsgericht
eine vorläufige Anordnung erlässt, macht deutlich, dass
hier etwas geregelt worden ist, das so keinen Bestand haben kann.
Ich komme zum Schluss. Die FDP-Bundestagsfraktion fordert die Koalitionsfraktionen mit Nachdruck auf,
das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung aufzuheben.
Das wäre ein wichtiger Schritt zu mehr Datenschutz in
unserem Land.
Vielen Dank.
({1})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Sebastian Edathy.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Vorkommnisse bei der Telekom, die nun bekannt geworden sind, sind vor allem eines: ein Vertrauensmissbrauch gegenüber den Millionen Kunden dieser Firma.
Millionen Bürgerinnen und Bürger sind davon ausgegangen, dass ihre Daten bei diesem Unternehmen in sicheren Händen sind.
Zunächst einmal - darauf ist zu Recht hingewiesen
worden - ist es Sache der Staatsanwaltschaft in Bonn,
die Aufklärung voranzutreiben und zu bewerten, gegen
welche rechtlichen Vorschriften verstoßen wurde: ob gegen das Bundesdatenschutzgesetz, gegen das Telekommunikationsgesetz oder gegen das Strafgesetzbuch. Ich
gebe dem Kollegen Gehb an einer Stelle ausdrücklich
recht: Wir als Gesetzgeber sind gut beraten, den Verlauf
dieser Ermittlungen abzuwarten. Ich halte nichts davon,
auf Gesetzesverstöße mit dem Reflex der Gesetzesänderung zu reagieren. Herr Gehb, ich hoffe, das gilt künftig
auch für das Jugendstrafrecht.
({0})
Denn als es zu Beginn dieses Jahres um dieses Thema
ging, haben wir bei Ihnen und Ihren Parteifreunden leider ein anderes Verhalten erlebt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kernproblem
scheint nicht notwendigerweise die Rechtslage zu sein,
sondern eine zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft vorhandene Gleichgültigkeit gegenüber der
Rechtslage.
({1})
Wer gewillt ist, gegen Gesetze zu verstoßen, wird sich
letztlich auch nicht durch eine Rechtsänderung
({2})
von der Verwirklichung dieses Willens abhalten lassen.
({3})
Ich habe übrigens gewisse Zweifel daran, ob wir solcher
Ignoranz mit Appellen zur Abgabe von Selbstverpflichtungen entgegenwirken können.
({4})
Jeder Bürger in diesem Land hat die selbstverständliche
Pflicht, sich an geltendes Recht zu halten. Dazu bedarf
es keiner Deklarationen.
All das hindert uns keineswegs daran, mit aller Sorgfalt - da bin ich mit dem Kollegen Bürsch einig - zu prüfen, ob die Rahmenbedingungen für die Beachtung des
Datenschutzes ausreichend sind. Lassen Sie mich drei
Aspekte ansprechen.
Erstens. Wie ist es um den betrieblichen Datenschutz
bestellt? Ist der Datenschutzbeauftragte hinreichend unabhängig, und ist er hinreichend wirkungsmächtig? Ist er
für seine Aufgaben hinreichend qualifiziert? Ist er, zumindest bei größeren Firmen, für die Wahrnehmung seiner Aufgaben abgestellt, oder ist das eine Nebentätigkeit, die er quasi ehrenamtlich erledigt? Sind die
gesetzgeberischen Vorschriften in diesem Bereich ausreichend?
Zweitens. Wie kann man, um auf den konkreten Fall
zu sprechen zu kommen, bei den Telekommunikationsdienstleistern sicherstellen, dass der Zugriff auf Datenverkehrsinformationen nicht unbemerkt bleibt? Wäre es
zum Beispiel sinnvoll, vorzuschreiben, dass interne Zugriffe auf Daten der Kunden automatisch protokolliert
werden,
({5})
damit sie vom betrieblichen Datenschutzbeauftragten
systematisch entdeckt werden können, damit man nicht
auf Zufälle angewiesen ist? Wäre es nicht eine Überlegung wert, zu einem System überzugehen, bei dem die
Daten prinzipiell verschlüsselt werden, um den Kreis der
potenziellen Personen, die Zugriff nehmen können,
möglichst klein zu halten? Wäre es nicht denkbar, vorzuschreiben, dass die Unternehmen Kunden, deren Daten
missbräuchlich verwendet worden sind, automatisch benachrichtigen müssen, damit sie ihre Interessen wahrzunehmen und ihr Recht gegebenenfalls gerichtlich durchzusetzen in der Lage sind?
Drittens. Wie ist es um die Arbeitsfähigkeit der datenschutzrechtlichen Aufsichtsbehörden bestellt? Der Bundesinnenminister hat zutreffend darauf hingewiesen,
dass die Länder mit in der Verantwortung stehen. Es geht
allerdings auch darum, das Amt des Bundesbeauftragten
für den Datenschutz als Aufsichtsamt ernst zu nehmen.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Schaar hat mitgeteilt,
dass er für den Bereich der Firmenüberprüfung gerade
einmal 6,8 Stellen zur Verfügung hat und dass diese Mitarbeiter auch die Beschwerden, die schriftlich eingehen,
bearbeiten müssen. Die Zahl der Beschwerden hat sich
in den Jahren von 2002 bis 2007 von 1 600 auf 3 200
verdoppelt, ohne dass das Personal aufgestockt worden
wäre. Wir sollten, wenn wir in Bälde über den Bundeshaushalt 2009 sprechen, beim Haushalt des Bundesinnenministeriums überlegen, wie wir im Konsens der
Fraktionen den Stellenpool beim Bundesdatenschutzbeauftragten aufstocken können.
Niemand wird ernsthaft die Forderung stellen, dass
die Mitarbeiter des Bundesdatenschutzbeauftragten gewissermaßen wöchentlich bei den Firmen auf der Matte
stehen. Aber wenn die Firmen davon ausgehen können,
dass eine Überprüfung praktisch nicht vorkommt, dann
ist das so, als wenn angekündigt wird, dass es keine Straßenbahnkontrolleure mehr gibt: Viele Passagiere würden
wegen des guten Gewissens weiterhin eine Fahrkarte
kaufen; aber die Zahl der Schwarzfahrer wird größer
sein, als wenn bekannt ist, dass, zumindest sporadisch,
Kontrollen stattfinden. Deshalb muss sichergestellt werden, dass Datenschutzkontrollen in den Firmen vorkommen können.
({6})
Mit diesen Fragen sollte sich der Deutsche Bundestag
in den kommenden Wochen und Monaten intensiv beschäftigen. Dabei sollte auch die Frage der Obergrenzen
für Bußgelder eine Rolle spielen. Es ist in der Tat zu hinterfragen, ob eine Grenze von 250 000 Euro, wie im Bundesdatenschutzgesetz vorgesehen, bzw. von 300 000 Euro,
wie im Telekommunikationsgesetz vorgesehen, ausreichend ist. Für eine kleinere Firma, für einen Mittelständler ist das sicherlich ein Batzen Geld; aber für die Telekom sind das, um das verruchte Wort in den Mund zu
nehmen, Peanuts. Ich glaube, es ist wesentlich, durch
eine verbesserte Prävention alles zu tun, um zu vermeiden, dass es überhaupt zu Datenmissbrauch kommt. Ein
Vergehen verhindern zu helfen, ist besser, als es strenger
zu ahnden, wobei sich beides nicht ausschließt.
Heute Morgen haben alle Fraktionen im Innenausschuss vereinbart, miteinander Gespräche über Veränderungen des Bundesdatenschutzgesetzes aufzunehmen.
Ich glaube, man sollte den Fall Telekom dabei nicht isoliert betrachten. Auch vor dem Hintergrund der Bespitzelung von Mitarbeitern durch die Firma Lidl ist es völlig gerechtfertigt, die Frage zu stellen, ob es noch
zeitgemäß und zu verantworten ist, dass wir durch das
geltende Gesetz zwar sicherstellen, dass öffentliche Stellen nicht nur Schadenersatz leisten müssen, sondern
auch Schmerzensgeld zu zahlen haben, wenn sie Datenmissbrauch betrieben haben, dass aber private Firmen
nur Schadensersatz zahlen müssen. Damit ist der Verkäuferin bei Lidl, deren Privatgewohnheiten ausgespäht
worden sind, im Zweifelsfall nicht geholfen. Diese Privilegierung von privaten Stellen gegenüber öffentlichen
Behörden bei Verstößen gegen das Bundesdatenschutzgesetz halte ich nicht für vertretbar.
({7})
Beim Thema Datenschutz geht es nach meinem Dafürhalten im Kern nicht um Parteipolitik. Es muss vielmehr um ein Anliegen gehen, dass jedem Demokraten
wichtig ist. Deswegen habe ich den herzlichen Wunsch
und die herzliche Bitte - auch vor dem Hintergrund einiger Beiträge heute -: Wir sollten uns hier im Bundestag
nicht gegenseitig absprechen, dass uns Datenschutz
wichtig ist.
({8})
Lassen Sie mir noch ein paar Sekunden Zeit, um folgenden Gedanken zu äußern: Wer die Vorratsdatenspeicherung für Zwecke der Strafverfolgung befürwortet, ist
deswegen noch lange kein Gegner von Datenschutz und
auch kein Feind der Achtung der Privatsphäre. Es ist gerade keine Missachtung der Privatsphäre, wenn der Staat
zum Beispiel bei der Ermittlung eines Terrorverdächtigen sicherstellt, die Telefonverbindungen der betreffenden Person in den letzten Wochen und Monaten überprüfen zu können, ohne diese Daten selber zu speichern.
Ich glaube, die Aussage, dass wir alles speichern und
überwachen müssen, ist genauso falsch, wie zu sagen,
dass wir in diesem Bereich auf alles verzichten können.
Wir brauchen einen Mittelweg. Wir brauchen eine Balance, durch die die Achtung der Sicherheitsinteressen
unseres Landes und zugleich die Achtung der Freiheitsund der Bürgerrechte der Menschen, die in diesem Land
leben, sichergestellt wird.
Danke schön.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Silke Stokar von
Neuforn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben es seit Tagen mit dem größten Datenschutzskandal
in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu
tun. Ich finde, dass wir in dieser Debatte im Parlament
relativ brav über Datenschutz und unsere unterschiedlichen Bewertungen diskutieren.
Lassen Sie mich noch einmal auf den Kern des Skandals zurückkommen. Hier ist mit großer krimineller Energie - anders kann man das nicht ausdrücken - gegen
die Pressefreiheit in unserem Lande und gegen das Recht
auf informationelle Selbstbestimmung vorgegangen
worden. Hintergrund war der sogenannte Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen. Es hat kein Schuldbewusstsein gegeben; das Bewusstsein dafür, dass DaSilke Stokar von Neuforn
tenschutz ein wichtiges Grundrecht unserer Gesellschaft
ist, fehlte. So langsam dämmert dem Konzern Telekom
offensichtlich, dass hier ein riesiger Vertrauensverlust
entstanden ist, der nicht ohne ökonomische Schäden
bleiben wird.
Herr Bundesinnenminister Schäuble hatte die Telekommunikationsunternehmen für Montag zu einem
Treffen eingeladen. Ich fand es schon ziemlich arrogant,
dass Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit sensiblen Kommunikationsdaten umgehen - sie sind einmal
privatisiert worden -, es nicht für nötig befunden haben,
der Einladung zum Thema Datenschutz Folge zu leisten.
({0})
Herr Bundesinnenminister Schäuble hat in seiner
Rede erklärt, er wolle aus dem Skandal lernen. Aber hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung hat er den Ablauf
falsch dargestellt. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass
wir hier im Parlament nach Art. 23 Grundgesetz gemeinsam - fraktionsübergreifend - unseren Vorbehalt gegenüber der Vorratsdatenspeicherung zum Ausdruck gebracht haben.
({1})
Es bedurfte des Wechsels hin zur Großen Koalition, damit dieser Vorbehalt unter dem Druck der CDU/CSU
wieder zurückgenommen werden konnte. Erst danach
hat Bundesjustizministerin Zypries auf europäischer
Ebene die in meinen Augen verfassungswidrige Vorratsdatenspeicherung auf den Weg gebracht. So waren der
Ablauf.
({2})
Was Herr Bundesinnenminister Schäuble aus dieser
Affäre lernen will, hat er uns heute vor dieser Debatte
verkündet, als es um das BKA-Gesetz ging. Wir haben
es hier mit einer Vertrauenskrise im Bereich Telekommunikation zu tun, und gleichzeitig reden wir über ein
BKA-Gesetz, mit dem der Staat zum ersten Mal - das ist
eigentlich ein krimineller Akt - die Rechtsgrundlage dafür schaffen will, sich selbst als Hacker betätigen und in
die Internetkommunikation der Bürgerinnen und Bürger
eindringen zu dürfen.
Es ist jetzt nicht nur die Stunde der Aufklärung durch
die Staatsanwaltschaft. Auch in Richtung der FDP, die
beim Datenschutz immer dann, wenn es um Privatunternehmen geht, etwas zurückhaltender wird
({3})
- bei Steuerhinterziehung tun Sie es auch -, sage ich:
Die Telekom ist kein normales Privatunternehmen. Sie
handelt im staatlichen Auftrag, und der Staat hat Anteile
an der Telekom. Die Telekom soll Aufträge im Zusammenhang mit der Gesundheitskarte bekommen. Ist Ihnen
eigentlich bekannt, dass das Telefonsystem des Bundestages und der Ministerien, der sogenannte Informationsverbund, und damit alle unsere Telefonate und E-Mails
über die Telekom gehen, von der wir heute wissen, wie
sie arbeitet? Ich sehe es als Aufgabe des Parlaments an
- das habe ich heute auch im Innenausschuss gesagt -,
hier Aufklärung zu betreiben, weil es darum geht, ob die
Telekommunikationsunternehmen - an erster Stelle die
Telekom - noch die für die Erledigung staatlicher Aufträge erforderliche Zuverlässigkeit aufweisen. Dies haben wir zu prüfen; das ist, Herr Kollege Gehb, nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft.
({4})
Die Vorschläge zu mehr Datenschutz sind hier genannt worden. Die grüne Fraktion fordert seit Jahren, das
Datenschutzaudit umzusetzen.
({5})
Wir werden das noch spezifizieren und verlangen, dass
Telekommunikationsunternehmen nicht vom Staat damit
beauftragt werden dürfen, Daten zu speichern, solange
es in diesem Verfahrensbereich kein staatliches Audit
gibt.
({6})
Meine Damen und Herren, ich habe nichts gegen
Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, wenn sie zwei Bedingungen erfüllen.
Frau Kollegin, denken Sie bitte an die Redezeit?
Frau Präsidentin, das ist mein letzter Satz. - Selbstverpflichtungen der Wirtschaft müssen sanktionenbewehrt sein; sie können nicht freiwillig sein. Die Standards einer Selbstverpflichtung unterliegen einer
staatlichen Kontrolle. Dann können wir über diesen
Punkt reden.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
({0})
Sie hatten vorhin schon den letzten Satz angekündigt.
Das einzig Gute an dieser Affäre ist: Datenschutz ist
wieder ein Wert in dieser Gesellschaft, und er sollte auch
ein Grundwert in unserer Verfassung werden.
Danke schön.
({0})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Martina
Krogmann für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir debattieren hier heute ein wirklich sensibles Thema. Deshalb ist es wichtig, dass wir alle gemeinsam auf unsere
Wortwahl achten. Frau Pau, Sie haben mehrfach gesagt,
die Telekom habe gegen Gesetze verstoßen und Mitarbeiter ausspioniert. Das ist erstens falsch, weil es einzelne Personen bei der Telekom waren - ich halte es für
ganz wichtig, darauf hinzuweisen -, und es ist zweitens
gefährlich, weil Sie dadurch automatisch alle über
200 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter Generalverdacht stellen und für die kriminelle Energie Einzelner
in Sippenhaft nehmen.
({0})
- Sie haben völlig recht, Frau Enkelmann, man darf es
nicht kleinreden. Darauf komme ich noch zu sprechen.
Aber man darf auch nicht alle Mitarbeiter und das gesamte Unternehmen unter Generalverdacht stellen; denn
auch damit richtet man Schaden an. Es war mir wichtig,
das zu betonen.
Worum muss es uns in der Debatte gehen? Wir sind
uns darin einig, dass es sich um einen ungeheuerlichen
Skandal handelt, weil einzelne Personen vorsätzlich und
systematisch gegen grundgesetzlich verankerte Bürgerrechte, das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit
und gegen den Datenschutz und die Datensicherheit verstoßen haben.
Deshalb besteht eine Dimension dieser Debatte in der
Frage, ob die bestehenden Gesetze ausreichen, um solche Rechtsverstöße zu unterbinden, oder ob wir noch
mehr dafür tun müssen, dass die bestehenden Gesetze
beachtet und angewandt werden. In der Bewertung
schließe ich mich ausdrücklich meinem Kollegen Jürgen
Gehb, Minister Schäuble und auch meinem Kollegen
Edathy an.
Ich möchte aber zum jetzigen Zeitpunkt der Debatte
noch einen anderen Punkt thematisieren, der meines Erachtens auch zur politischen Dimension dieses Skandals
gehört. Ich finde, dass wir uns auch im Deutschen Bundestag Gedanken darüber machen müssen, welche Folgen dieser Skandal für das Vertrauen und die Akzeptanz
der Bevölkerung hat, was unser Gemeinwesen und auch
die soziale Marktwirtschaft angeht. Denn wir müssen
leider zur Kenntnis nehmen, dass das nicht der erste
Rechtsbruch durch Einzelpersonen und Manager großer
Unternehmen ist. Es hat in letzter Zeit zu viele Skandale
gegeben.
Große Teile der Bevölkerung fragen sich inzwischen
zu Recht: Machen die da eigentlich, was sie wollen? Haben die den Bezug zur Realität, zu Recht und Gesetz inzwischen völlig verloren? Deshalb ist es wichtig, wie
wir darauf reagieren. Das ist aus meiner Sicht eine andere Dimension, die zu dieser Debatte gehört.
Es ist klar, dass wir damit einen schmalen Grat beschreiten und dass die Debatte nicht einfach ist. Es wäre
völlig falsch, pauschale Unternehmerschelte zu betreiben. Das wäre schädlich und würde unsere Gesellschaft
spalten. Wir dürfen es uns aber andererseits auch nicht
zu leicht machen und sagen: Ach, das ist nur ein Einzelfall, von Einzelnen begangen. Wenn wir das Problem so
angehen und es lapidar wegschieben, dann werden wir
selbst auch nichts dazu beitragen können, das notwendige Vertrauen wieder zu stärken.
({1})
Ich bin fest davon überzeugt - der Kollege Bürsch hat
das bereits in einem anderen Zusammenhang angesprochen -, dass wir das nur schaffen können, wenn auch die
Wirtschaft stärker als bisher ihren Teil dazu beiträgt.
Viele sind sich durchaus darüber im Klaren, dass auch
die Wirtschaft eine Bringschuld hat. Denn es liegt in ihrem ureigenen Interesse, das Vertrauen wieder zu stärken.
({2})
Ich bin mir aber nicht sicher, dass das schon in allen Teilen der Wirtschaft verstanden worden ist.
({3})
Das gilt besonders für die Telekommunikationsbranche
oder, um es noch weiter zu fassen, die Informations- und
Kommunikationsbranche, in der alle Unternehmen mit
sensiblen Daten und Fragen des Datenschutzes und der
Datensicherheit zu tun haben. Das ist im Übrigen eine
Kernfrage, wenn es darum geht, uns in der Informationsgesellschaft weiterzuentwickeln. Das werden wir nur
schaffen, wenn jeder Vertrauen in die Sicherheit seiner
eigenen Daten hat.
Wenn Vertreter der Branche - aber nicht der Deutschen Telekom -, die an dem Gespräch am vergangenen
Montag teilgenommen haben, immer noch lapidar sagen: Wieso, wir werden doch von der Bundesnetzagentur lizenziert, da müssen wir doch unser Sicherheitskonzept vorstellen, und die prüfen uns doch einmal im Jahr?,
dann reicht das nicht aus.
Es ist Schaden für alle entstanden. Das muss auch diesen Unternehmen klar sein, und sie müssen gemeinsam
handeln, um mehr Transparenz und Vertrauen in unser
System wiederherzustellen.
({4})
Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. Das Vertrauen zu
stärken, muss das gemeinsame Ziel von Wirtschaft und
uns im Deutschen Bundestag sein. Wir dürfen es nicht
einfach wegschieben. Jeder muss an seinem Platz etwas
tun. Wir müssen uns fragen, wie die Gesetze noch besser
eingehalten werden können. Die Führungspersonen in
der Wirtschaft müssen sich fragen, welchen Beitrag sie
leisten können, um das Vertrauen in unser Erfolgsmodell
soziale Marktwirtschaft, das die Grundfeste unseres erfolgreichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems darstellt, wieder zu stärken. Darum muss es uns gehen.
Vielen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Jörg Tauss für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Lieber Kollege van Essen, mir war
die von Ihnen geschilderte Tankstellenproblematik nie
gleichgültig.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Die Kollegin Stokar, der Kollege Fritz Rudolf Körper und ich haben uns damals
Abende damit herumgeschlagen, entsprechende Regelungen - 24-Stunden-Regelung bei der Bahn, eine Bahnhofsregelung und eine Regelung für öffentliche Plätze in das Datenschutzgesetz aufzunehmen. Liebe Frau
Piltz, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass
unsere Sensibilität in den letzten zehn Jahren viel größer
war, als dies bei Ihnen angekommen ist. Aber das können wir miteinander freundschaftlich klären.
Übrigens, Frau Künast, die Überlegungen des Kollegen Wiefelspütz, die Sie vorgetragen haben, halte ich für
interessant. Das, was das Bundesverfassungsgericht in
den letzten Jahren formuliert hat - Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Grundrecht auf Vertraulichkeit
und Grundrecht auf Integrität informationstechnischer
Systeme -, ist eine Überlegung wert. Darüber müssen
wir in diesem Zusammenhang sicherlich ebenfalls diskutieren.
Ich gebe der Kollegin Krogmann völlig recht: Die
Vorgänge bei der Telekom sind schockierend. Wir dürfen
das aber nicht kollektiv betrachten, sondern müssen
deutlich machen: Hier haben Einzelne kriminell gehandelt. Aber diese kriminellen Handlungen bzw. Vorgänge,
die in letzter Zeit in Unternehmen wie Lidl und Burger
King geschehen sind, müssen wir uns genau anschauen.
Kollege Gehb, die Koalitionsvereinbarung ist an dieser
Stelle völlig klar. Wir haben vereinbart: Das Datenschutzrecht bedarf vor dem Hintergrund der technischen
Entwicklungen der Überprüfung und an verschiedenen
Stellen der Überarbeitung und Fortentwicklung. Ich
glaube, an dieser Stelle sind wir in der Tat angelangt.
Frau Piltz, ich mag die FDP, wenn es um Bürgerrechte geht. Wenn es um Steuern geht, habe ich immer
ein Problem mit euch. Ihr wärt aber viel glaubwürdiger,
wenn ihr das, was verdienstvollerweise von vielen eurer
Kolleginnen und Kollegen vorangetrieben wird - ich
nenne ausdrücklich namentlich Frau LeutheusserSchnarrenberger -, aufgreifen würdet und aus dem Bundesrat viele Initiativen zum Datenschutz kämen, mit denen wir uns auseinandersetzen könnten. Das ist aber leider nicht der Fall. In der Tat teile ich die Auffassung
aller, die sagen: Lasst uns das als gemeinsames Projekt
und nicht gegeneinander, sondern miteinander verwirklichen.
Umso ärgerlicher sind daher solche Äußerungen wie
von Herrn Hans-Olaf Henkel. Er sagt mit Blick auf die
Telekom-Affäre, die deutsche Wirtschaft brauche von
der deutschen Politik keinen Nachhilfeunterricht in Moral und Ehtik. Ich glaube, die Arroganz, die hier zum
Ausdruck kommt, ermöglicht solche Vorgänge wie die
bei der Telekom erst. Wer Ethik, Moral und Geldeinsatz
für sich selbst gepachtet zu haben glaubt und für sich in
Anspruch nimmt, bei der Verfolgung eigener Interessen
über rechtliche, politische und gesellschaftliche Rahmenregelungen hinwegzugehen, der sagt so etwas wie
Herr Henkel. Das ist nicht akzeptabel.
Natürlich ist es immer problematisch, mit dem Finger
auf andere zu zeigen. Herr Kollege Uhl, wie Sie wissen,
haben wir schon Sprüche gehört - nicht von mir - wie
Datenschutz sei Täterschutz. Das wurde in diesem
Hause geäußert. Der Fall Telekom macht deutlich, dass
das Gegenteil der Fall ist. Die Einhaltung datenschutzrechtlicher Bestimmungen, die Gewährleistung
von IT-Sicherheit sowie die Verhinderung von kriminellen Verstößen gegen das Datenschutzgesetz sind bei der
Bekämpfung von Kriminalität notwendig. Die Bekämpfung von Missbräuchen des Datenschutzes bzw. Verstößen gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verhindert Kriminalität. Dies sollten wir uns künftig - in
Umkehrung von manchem, was wir hier gehört haben auf die Fahne schreiben.
Der zweite Spruch, der mich immer ärgert, ist - das
liest man gelegentlich in Leserbriefen der Bevölkerung;
wir haben zum Teil auch hier solche Debatten geführt -,
wer nichts zu verbergen habe, könne sich uneingeschränkt und getrost überprüfen lassen. Erstens halte ich
einen Menschen, der nichts zu verbergen hat, für abgrundtief langweilig. Mit dem würde ich nicht gerne etwas zu tun haben wollen. Das ist aber ein anderer Punkt.
Zweitens macht auch hier das Beispiel der Telekom
deutlich, dass die Mentalität, die in dem Spruch Wer
nichts zu verbergen hat, kann sich auch überwachen lassen zum Ausdruck kommt, sei er Aufsichtsrat, Journalist oder Verkäuferin bei Lidl oder wo auch immer, aufhören muss. Es gibt Dinge, die ein Mensch zu verbergen
hat, und wir müssen die Absicht dieses Menschen, etwas
zu verbergen, respektieren. Dies ist im Sinne des Bundesverfassungsgerichts, wie es heute bereits zutreffend
zitiert worden ist.
({1})
Ich glaube, es gibt einen gewissen Handlungsbedarf.
Verehrte Frau Kollegin Philipp, ich wende mich explizit
an Sie. Wir haben schon manche Diskussionen darüber
geführt, ob es Handlungsbedarf gibt oder nicht. Ich
nenne als Stichwort das Datenschutzaudit. Sie waren
bisher der Auffassung, ein Handlungsbedarf bestehe
nicht wirklich. Ich glaube, dass wir an dieser Stelle, an
der das Innenministerium zwar gearbeitet hat, aber mit
Rücksicht auf die Wirtschaft noch nicht so richtig in die
Puschen gekommen ist, miteinander etwas tun können.
Der Handlungsbedarf ist nun evident. Das können wir
gemeinsam in dieser Debatte feststellen.
Was wollen wir mit dem Auditgesetz? Wir wollen damit die Anständigen, die den Datenschutz zu einem
Wettbewerbsvorteil für sich machen wollen, belohnen.
Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Wir müssen
die Unternehmen stärken, die Datenschutz betreiben und
die mit den bei Ihnen gespeicherten Daten von Kundinnen und Kunden sensibel und vertraulich umgehen. Das
wäre das beste Signal, das wir im Zusammenhang mit
dem Telekom-Skandal aus diesem Haus senden könnten.
({2})
Was den EuGH angeht, so weiß ich nicht, worauf Ihre
Kenntnisse, Herr Kollege van Essen, beruhen. Ihr Wort
in Gottes Ohr, aber Irland - das müssen wir wissen klagt gegen die Vorratsdatenspeicherung, weil ihm die
drei Jahre nicht genug sind. Sie müssen an dieser Stelle
schon aufpassen, wen Sie bejubeln.
({3})
Wir haben gesagt, dass wir die Mindestzeit von sechs
Monaten umsetzen. Da gibt es mit Sicherheit Punkte,
über die man reden muss. Herr Kollege Gehb, wir beide
haben uns hier schon heftig miteinander über diese Frage
gestritten. Ich habe da meine Bauchschmerzen, aber, wie
gesagt, das ist eine Richtlinie. Wir sollten das gerade unter dem Gesichtspunkt der Telekom betrachten. Ich sage
das mit Blick auf den Kollegen Hartenbach und das Justizministerium. Dass es jetzt ausgerechnet die Telekom
war, die Verbindungsdaten zur Überwachung von Journalistinnen und Journalisten benutzt hat, wäre für mich
ein Hinweis darauf, die Frage, ob man die Verbindungsdaten von Journalisten im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung speichert, nochmals zu überprüfen.
Wir können hier feststellen: Der Telekom-Skandal
bietet auch eine Chance. Das sage ich als Bildungspolitiker. Ähnlich wie wir nach dem PISA-Schock das Ganztagsschulprogramm und vieles mehr in der Bildungspolitik auf den Weg gebracht haben, hilft uns der jetzige
Skandal vielleicht, nicht nur wieder eine Datenschutzdebatte zu führen - die wir in der Tat schon lange nicht
mehr hatten -, sondern den Datenschutz zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen, damit deutlich wird: Unterlassener Datenschutz ist Täterschutz.
In diesem Sinne können wir die Arbeit ganz gut bewältigen. Ich freue mich, wenn alle mitmachen.
Vielen Dank.
({4})
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Hans-Peter Uhl.
({0})
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Es wurde gefragt: Ist der Fall Telekom ein
Fall für die Justiz? Sicher ja. Es wurde gefragt: Ist er ein
Fall für die Politik, für uns, für das Parlament? Das wird
unvermeidlich sein. Davon gehe ich aus.
({0})
Ich finde es gut - Herr Tauss und Herr Bürsch haben
darüber geredet, und zwar aus meiner Sicht sehr zustimmend -, dass man über den Datenschutz ganz generell
und darüber sprechen sollte, ob wir mit dem Datenschutz
in unserer ganzen Gesellschaft richtig umgehen und wer
denn wirklich zu schützen ist. Da sehe ich eigentlich drei
Dimensionen. Erstens sehe ich die Dimension, dass die
Menschen vor sich selbst zu schützen sind. Wenn ich
sehe, wie Jugendliche im Internet chatten, intimste Daten von sich selber preisgeben - zur freien Verfügung für
jedermann - und sich selbst dadurch gefährden, dann
muss ich schon sagen: Man muss die Menschen vor sich
selbst, vor der Verletzung der eigenen Daten schützen.
Zweitens müssen wir die Menschen - das ist der Fall
Telekom - vor dem wirtschaftlichen Missbrauch schützen. Drittens - das ist nicht die Regel, sondern die absolute Ausnahme -: Wir müssen den Menschen vor dem
Staat schützen, weil es auch Missbrauch durch Vertreter
des Staates geben kann.
Wir sollten dieses Thema also in seiner ganzen
Dimension behandeln.
Aufgrund des Gesprächs von heute Vormittag habe
ich den Eindruck, dass die Telekom die Botschaft verstanden hat. Sie ist sehr bemüht, die Konsequenzen aus
den Vorgängen in ihrem Unternehmen zu ziehen. Sie hat
neue Konzepte entwickelt, zum Beispiel ein Sicherheitskonzept. Sie hat diejenigen, die sich etwas haben zu
Schulden kommen lassen, aus ihren Ämtern entlassen.
Dort ist also sehr viel getan worden, und es wird noch
mehr getan.
Was kann der Staat im Hinblick auf die Telekom oder
auf andere Unternehmen tun, die zum Teil durch ihre
Selbstgerechtigkeit auffallen? Ich glaube nicht, dass es
in der Telekommunikationsbranche ein einziges schwarzes Schaf und ansonsten nur weiße Lämmer gibt. Das
würde mich wundern; selten ist es so. Wir sollten zur
Kenntnis nehmen, dass allein bei der Telekom in einem
einzigen Jahr und nur beim Festnetzgebrauch 180 Milliarden Datensätze entstehen. Wer da auf die Idee kommt,
der Staat solle dafür zu sorgen, dass diese Datensätze
nicht missbraucht werden, der stellt dem Staat falsche
Aufgaben. Es kann also nur darum gehen, dass sich die
Unternehmen erst einmal eigenverantwortlich kontrollieren und kein Organisationsverschulden auf sich laden.
Die Unternehmen müssen selber dafür sorgen, dass mit
den Daten, die ihnen anvertraut wurden, zum Schutz der
Bürger richtig umgegangen wird.
Es stellt sich die Frage: Was macht der Staat? Der
Staat hat die Aufgabe, die Kontrolleure der Privatwirtschaft zu kontrollieren. Der Staat hat die Aufgabe, einzelne Schwerpunktaktionen zu starten. Viel mehr kann
er bei jährlich 180 Milliarden Datensätzen in einem einzigen Unternehmen gar nicht leisten.
Ich meine nicht, dass wir die Arbeit der Behörde von
Herrn Schaar um das Hundert- oder Tausendfache steigern, also Bürokratie bis zum Exzess produzieren sollten.
({1})
Herrn Schaars Behörde würde diese Kontrolle auch dann
nicht durchführen können. Wir werden über all diese
Dinge noch zu reden haben.
Wir sollten einen weiteren Gedanken weiterentwickeln: die Herstellung von mehr Transparenz. Wenn
man dafür sorgen würde, dass ein Telekommunikationsunternehmen massive Verstöße gegen den Datenschutz
im eigenen Haus bei der Bundesnetzagentur selbst melden muss, dann hätte das, glaube ich, eine generalpräventive Wirkung. Diese Wirkung wäre vielleicht stärker,
als 300 000 Euro, 500 000 Euro oder 3 Millionen Euro
Bußgeld. Das ist meine Einschätzung. Darüber werden
wir aber noch in Ruhe zu reden haben.
({2})
- Das eine schließt das andere nicht aus. Da haben Sie
vollkommen recht.
Ich möchte ein Wort noch zur Vorratsdatenspeicherung sagen. Frau Künast ist nicht mehr da. Sie marschiert sicherlich schon zur nächsten Kamera und sagt
wahrheitswidrig, dass sie die Vorratsdatenspeicherung
abschaffen will.
({3})
Sie wird dabei verschweigen, dass die Grünen in Berlin
und in Brüssel mit für die Grundlage, die EU-Richtlinie,
gesorgt haben.
({4})
Sie wird nicht sagen: Jawohl, wir Grünen haben einen
Fehler gemacht, als wir diese EU-Rechtsgrundlage geschaffen haben. Vielmehr wird sie nur sagen: Wir wollen
das abschaffen. Dabei haben Sie diese selber geschaffen
({5})
Herr van Essen, bitte lesen Sie sich die Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts noch einmal durch! Ich
glaube, dass Sie sich da etwas geirrt haben. Das Verfassungsgericht wird bei dem, was wir hier besprechen,
kein Thema sein.
Herr Kollege, Sie achten bitte auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss. - Die Telekommunikationsunternehmen benutzten für diese Missbräuche nur frische Daten und niemals die, die auf Vorrat ein halbes
Jahr zu speichern sind. So ist es, so war es, und so wird
es immer sein. Dieses Thema hat mit jenem Thema also
überhaupt nichts zu tun.
Das Verfassungsgericht hat nur zu bedenken gegeben,
dass Vorratsdatenspeicherung für Zwecke der Strafverfolgung problematisch sein kann, wenn die Straftat, um
die es geht, eine mindere ist. Wir reden hier von Terrorismusgefahren, Stichwort BKA-Gesetz. Um damit fertig zu werden, brauchen wir die Vorratsdatenspeicherung. Sie wird Bestand haben.
({0})
Nun hat der Kollege Uwe Küster das Wort für die
SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
möchte noch einmal auf das Feld zu sprechen kommen,
das Frau Krogmann dankenswerterweise erwähnt hat.
Wir spüren ein wachsendes Unwohlsein der Bevölkerung, der Menschen gegenüber unserer Wirtschaftsordnung. Das muss uns ernst stimmen.
Neben dem Spitzelskandal bei der Deutschen Telekom gab es kürzlich die Verletzung von Persönlichkeitsrechten bei Lidl, die von Siemens gezahlten Schmiergelder und die Affäre der gefügig gemachten Betriebsräte
bei VW. Wir haben die Raffgier von Spitzenverdienern
wie Herrn Zumwinkel, die nicht ihren Beitrag zu unserem Staatswesen leisten wollen.
({0})
Dies alles trägt zum negativen Image der Wirtschaftseliten bei.
Die von Herrn Müntefering aufgespießten Heuschrecken höhlen gesunde Unternehmen finanziell aus. In diesen Zusammenhang gehört auch die vor drei Wochen geäußerte Kritik des Bundespräsidenten an den
Finanzmonstern und den mangelnden Fähigkeiten der
Finanzindustrie. Grundgesetzlich verbriefte Rechte auf
Persönlichkeitsschutz und informationelle Selbstbestimmung werden in krimineller Form missachtet. Kriminelles Handeln und ungezügelte Raffgier müssen mit allen
Mitteln des Rechtsstaats benannt und bekämpft werden.
Andererseits lehnen wir eine primitive Kapitalismuskritik ab. Ebenso lehnen wir aber auch einen entfesselten
Kapitalismus, der zu nichts verpflichtet ist, ab.
({1})
Wir wollen eine Neubesinnung auf die soziale Marktwirtschaft mit ihren fortschrittlichen Elementen: die
ökologische Orientierung, die Verpflichtung zum nachhaltigen Wirtschaften und die sozialpartnerschaftliche
Verantwortung.
Wir haben wirksame Datenschutzbestimmungen zur
Sicherung von Persönlichkeitsrechten. Diese hat die
Telekom in krimineller Weise missachtet. Trotzdem bedarf das Datenschutzrecht einer Überprüfung, einer
Überarbeitung und einer Fortentwicklung. Die bisherigen Bußgelder sind für viele große Unternehmen wie die
Telekom Peanuts.
Auch Peanuts ist ein von den Großen unserer Wirtschaft geprägtes Unwort. Es verkennt die Bemühungen
unzähliger Arbeitnehmer, die sich für 1 000, 2 000 und
3 000 Euro im Monat krumm machen. Gleichzeitig gehen andere mit Milliarden um, als wären es Wischlappen.
Kommunikationsunternehmen müssen definierten Standards gerecht werden. An dieser Stelle möchte ich den
Gedanken von Sebastian Edathy noch einmal deutlich
aufnehmen. Datenschutz muss einer verpflichtenden
Qualitätssicherung unterliegen: Zugriff auf Daten nur
nach dem Mehraugenprinzip; Erstellung von Zugriffsprotokollen; automatische und sofortige Weiterleitung der
Zugriffsprotokolle an den Datenschutzbeauftragten des
Unternehmens; klare Definition von Verantwortlichkeiten. Überwachungskameras zur Sicherung eines Unternehmens sollen vor Dritten schützen und nicht die Mitarbeiter überwachen. Für die gesamte Privatwirtschaft
muss innerbetrieblicher Datenschutz etabliert werden,
der unabhängig von der Konzernleitung ist, die Verpflichtung festlegt, bei jedweden Ungereimtheiten externe
Kontrollinstanzen anzurufen, und die Bundes- und Landesdatenschutzbeauftragten stärker einbezieht. Datenschutz schützt nämlich nicht abstrakte Daten; Datenschutz schützt konkrete Bürger.
({2})
Es ist ein besseres Datenschutzbewusstsein in
Deutschland gefordert. Die jüngsten Ereignisse - nicht
nur bei der Telekom - zeigen, dass das Datenschutzbewusstsein und die Datenschutzkultur in der Wirtschaft
dringend verbessert werden müssen. Gestärkte Datenschutzaufsicht und schärfere Sanktionen müssen den
notwendigen Bewusstseinswandel fördern.
Wir erinnern die Topmanager an ihre Vorbildfunktion.
Wer Verantwortung hat, muss sich nicht nur ethisch einwandfrei verhalten, sondern auch vorbildlich handeln.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
glaube, dass die Kollegin Krogmann den richtigen Punkt
angesprochen hat. Der Vertrauensverlust für unser Wirtschaftssystem, für die Wirtschaft insgesamt ist eine der
Kernfolgen, mit denen wir uns hier beschäftigen müssen.
({0})
- Ja. - In einem ganz wichtigen Punkt stimme ich mit
dem Kollegen van Essen voll überein. Wenn ich das mit
meinen Worten ausdrücken darf: Wir als Staat dürfen
nicht den Versuch machen, den Unternehmen die Verantwortung dafür zu nehmen, dass in ihrem Bereich Gesetze eingehalten werden.
({1})
Wenn wir uns diesen Schuh anziehen würden, würden
wir dem Vorschub leisten, dass gesagt wird: Aber ihr
kontrolliert uns doch. Warum habt ihr das dann nicht gemerkt? - Damit wären wir wirklich auf dem Holzweg.
({2})
Die Schärfe der Gesetze muss die treffen, die die Gesetze brechen. Es geht doch nicht an, dass wir die Verantwortung dafür übernehmen, wenn in Unternehmen
die Gesetze gebrochen werden.
Transparenz und Öffentlichkeit solcher Vorgänge
- das hat der Kollege Uhl vorhin gesagt; das ist aber völlig falsch ausgelegt worden - sind eine der ganz wichtigen Voraussetzungen. Wenn von der Netzagentur ein
Bußgeld verhängt wird, ohne dass das jemand mitbekommt, dann macht das überhaupt keinen Sinn. Hier
wurde - auch vom Kollegen Bürsch - über die Verschärfung von Strafen gesprochen und davon, dass
300 000 Euro für die Telekom lächerlich sind. Das mag
richtig sein, aber der Wirklichkeit entspricht das nicht.
Die Telekom hat schon heute, ehe der Vorgang überhaupt zu Ende untersucht worden ist, die Höchststrafe;
({3})
denn der Verlust an Kunden, an Umsatz, an Vertrauen,
an Gewinn, den das Unternehmen haben wird, wird viel
höher sein als die Strafen, die in Griechenland jemals
verhängt werden können. Im Prinzip ist das der Punkt,
an dem angesetzt werden muss.
({4})
Wenn wir durch unsere Diskussion erreichen, dass in
der Bevölkerung wahrgenommen wird: Wer gegen Gesetze verstößt, gerade in Bereichen, in denen wir bestimmte Notwendigkeiten sehen, etwa in der Frage der
Datensammlung, der muss sich selbst bestraft sehen, und
zwar von den Kunden, dann wird das die größte Bedrohung sein, die die Vorstände und die Unternehmensleitungen sehen müssen.
Laurenz Meyer ({5})
Es sind schon konkrete Vorschläge gemacht worden.
Manche dieser Vorschläge hören sich zunächst gut an.
Aber lassen Sie uns bitte genau hinschauen, damit wir
nicht wegen der Telekom und des Fehlverhaltens von
Mitarbeitern der Telekom die gesamte deutsche Wirtschaft bis hin zum Mittelstand mit einem Geflecht von
Kontrollen und Bürokratie und damit auch Kosten überziehen.
({6})
Ich bitte wirklich darum, dass wir die Auswirkungen auf
die mittelständischen Unternehmen im Auge behalten.
Wir machen den Unternehmen gutgemeinte zusätzliche Auflagen. Ich habe mir das angeschaut. Ich bin technischer Laie in diesem Bereich.
({7})
- Das müssen gerade Sie sagen! Sie haben keinen besonders prägnanten Beitrag geleistet. Deswegen beschäftige
ich mich damit nicht.
({8})
Das war nicht besonders herausragend. Es waren die üblichen vorgestanzten Geschichten. Man hat gemerkt,
dass es Ihnen gar nicht um diesen Fall geht,
({9})
sondern darum, Ihre politische Linie beim BKA-Gesetz
zum Ausdruck zu bringen. Mehr hatten Sie doch gar
nicht im Sinn.
({10})
Es heißt, wir sollten das Sammeln von Daten Dritter
verringern. Aber an verschiedenen Stellen haben wir sogar noch zusätzliche Wünsche vorgetragen. Man hat all
die Daten doch gebraucht, um die Rechnungen erstellen
zu können oder um den automatischen Verlauf von Handytelefonaten überhaupt möglich zu machen. Jetzt
kommt ein Weiteres hinzu. Wir möchten, dass die Anbieter in Zukunft die Handynutzer bis auf fünf Meter genau orten können, und zwar nicht, um die Betroffenen zu
verfolgen,
({11})
sondern um zu erreichen, dass die Rettungsdienste in einem Notfall wirklich schnell genug bei denen sind, die
die Notruftaste bedient haben. Wir wollen das, und das
ist wirklich gutgemeint. Wir müssen zwar sicherstellen,
dass mit den Daten kein Missbrauch betrieben wird, dürfen an dieser Stelle aber nicht die Datenerhebung infrage
stellen. Es nutzt dem Betroffenen, wenn der Rettungsdienst im Notfall möglichst schnell dahin kommen kann.
Das kann Leben retten. Das wollen wir doch nicht infrage stellen, weil hier irgendwo Missbrauch betrieben
worden ist.
({12})
- Wir reden zum Beispiel davon, dass es möglich sein
soll, bis auf fünf Meter genau zu orten, also präziser, als
das heute möglich ist.
Lassen Sie mich zum letzten Punkt kommen. Woher
nehmen Sie, Frau Pau, eigentlich den Mut,
({13})
so einen Vortrag, wie Sie ihn eben hier gehalten haben,
zu bringen?
({14})
Sie reden von Überwachung, haben aber Vertreter des
größten Überwachungsstaates, den wir in Deutschland
im letzten Jahrhundert gehabt haben, in Ihrer eigenen
Fraktion sitzen.
({15})
Sie schaffen es nicht einmal, diese Überwacher aus Ihrer
eigenen Fraktion auszuschließen, reden aber anderen ins
Gewissen!
({16})
Woher nehmen Sie eigentlich den Mut?
({17})
Solange Sie nicht bei sich selber aktiv werden, kann ich
zu Ihrer Rede nur sagen: Das war an Dreistigkeit kaum
noch zu überbieten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns Verhältnismäßigkeit bei den Diskussionen der kommenden
Monate wahren, sowohl bei denen über das Sammeln
von Daten wie auch bei denen über die Konsequenzen,
die aus den aktuellen Vorfällen zu ziehen sind. Wir sollten uns daher bemühen, die zu treffen, die hier wirklich
Mist gebaut haben, und nicht das Land mit irgendwelchen neuen Vorschriften überziehen, die keiner will.
({18})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/9388, 16/9414 Entsprechend Nr. 10 Abs. 2 der Richtlinien für die
Fragestunde rufe ich zunächst die zugelassenen dringlichen Fragen für die heutige Fragestunde auf.
Diejenigen, die an der gerade stattgefundenen Debatte
beteiligt waren, sich aber mit dem nächsten Tagesordnungspunkt nicht weiter beschäftigen können oder wol17448
Präsident Dr. Norbert Lammert
len, bitte ich, möglichst zügig das Feld zu räumen. - Ich
bedanke mich.
Ich rufe zunächst den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Achim Großmann zur Verfügung. In diesen zwei dringlichen Fragen geht es um den Beteiligungsvertrag zwischen Bund und Deutscher Bahn AG.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Kollegin
Dr. Dagmar Enkelmann auf:
Inwiefern ergeben sich aus dem Entwurf des Beteiligungsvertrages zwischen Bund und Deutscher Bahn AG Möglichkeiten, mehr als einen Anteil von 24,9 Prozent der DB Mobility
Logistics AG an private Investoren zu verkaufen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Kollegin
Dr. Enkelmann, aus dem Vertragsentwurf ergeben sich
keine derartigen Möglichkeiten.
Zusatzfrage.
Herr Präsident! Der Vertragsentwurf liegt mir vor. Er
ist dem Parlament von Achim Großmann, Parlamentarischer Staatssekretär, zugeleitet worden. Wir haben in der
vergangenen Woche erfahren, dass der Kollege
Großmann in diese neue Gesellschaft wechseln soll. Das
ist möglicherweise der Grund, dass er jetzt nicht erkennen kann, dass weitere Privatisierungen vorgesehen sind.
Meine erste Frage wäre also, ob er in diese Gesellschaft wechselt.
Frau Kollegin Enkelmann, ich darf Sie mit meinem
demokratischen Verständnis konfrontieren. Ich bin von
den Bürgerinnen und Bürgern meines Wahlkreises
sechsmal direkt in den Deutschen Bundestag gewählt
worden und gehöre zu den Parlamentariern, die dieses
Mandat sehr ernst nehmen. Die Meldung, dass ich angeblich in den Vorstand einer Holding wechseln soll, ist
also nicht nur eine Zeitungsente, sondern widerspricht
auch meinem Verhalten während der letzten Jahre. Ich
habe mehrfach Angebote aus der freien Wirtschaft abgelehnt und bin und bleibe nach wie vor Abgeordneter des
Deutschen Bundestages.
Zweite Zusatzfrage, Frau Enkelmann.
Ich komme zurück zum Entwurf des Beteiligungsvertrages, genauer auf die §§ 7 und 8. Hier ist die Rede von
einer 75,1-prozentigen Beteiligung der DB AG an der
DB ML AG und von Mehrheitsbeteiligungen. Sie kennen ja den Text. Teilen Sie meine Bewertung, dass der
Wortlaut des Vertragsentwurfs zulässt, dass diese neue
Gesellschaft Tochtergesellschaften gründet, an denen sie
- so heißt es lediglich - nur eine Mehrheitsbeteiligung
hält, und damit die Möglichkeit besteht, dass diese Tochtergesellschaften ebenfalls kapitalprivatisiert werden,
also weitere Privatisierungen nicht ausgeschlossen sind?
Ich teile Ihre Auffassung insofern nicht - Sie greifen
übrigens der zweiten dringlichen Frage vor, in der Ihre
Kollegin genau das gefragt hat -, als wir als Bundesregierung ressortabgestimmt den Entwurf fortgeschrieben und an dieser Stelle präzisiert haben. Deshalb ist es
so, wie ich es vorhin sagte: Eine Interpretation Ihrer Art
lässt die neue Vertragsgestaltung nicht zu.
Herr Kollege Beck.
Nun bin ich in Sachen Bahnprivatisierung kein Fachmann. Aber aus Ihren Antworten ist mir nicht klar geworden, aus welcher konkreten Vorschrift des Beteiligungsvertrages sich nun rechtlich exakt ergibt, dass
nicht mehr als 24,9 Prozent privatisiert werden können.
Diese Vorschrift bitte ich uns jetzt vorzutragen.
Das mache ich gerne, Herr Kollege Beck, wenn Sie
die Stelle selber nicht gefunden haben. Der Entwurf liegt
Ihnen ja vor. Dort heißt es in § 7:
Der Erhalt des integrierten Konzerns und der
75,1-Prozent-Beteiligung der DB AG an der DB
ML AG wird als satzungsgemäßer Unternehmensgegenstand der DB AG festgeschrieben.
Ich glaube, eindeutiger kann man das nicht formulieren.
Herr Kollege Hofreiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, nachdem wir heute eine denkwürdige
Ausschusssitzung miterleben durften, in der genau dieser Beteiligungsvertrag abgesetzt wurde und in der wir
einen lebhaften Streit zwischen Ihnen und den beiden
verkehrspolitischen Sprechern der Regierungsfraktionen erleben durften, frage ich Sie jetzt: Dürfen wir Sie
hier so verstehen, dass der Beteiligungsvertrag abgeändert wird und die umstrittene Vorschrift, dass Tochterunternehmen der ML nur mehrheitlich im Besitz der ML
bleiben, gestrichen wird, oder in welcher Hinsicht soll
das verändert werden?
Herr Kollege Dr. Hofreiter, ich bin ein bisschen verwundert über die Frage, weil ich sie im Ausschuss schon
beantwortet habe. Aber ich will meine Antwort gerne in
Erinnerung bringen, auch für die Kolleginnen und Kollegen, die an der Ausschusssitzung nicht teilnehmen konnten. Wir haben die Passage bezüglich der Tochtergesellschaften im Entwurf des Beteiligungsvertrages - der
immer noch ein Entwurf ist, weil der Verkehrs- und der
Haushaltsausschuss sich am Freitag noch einmal damit
beschäftigen wollen - präzisiert und reden von einer
100-prozentigen Beteiligung, die satzungsgemäß sichergestellt werden muss.
Frau Kollegin Menzner.
Herr Staatssekretär, da drängt sich mir die Frage auf:
Über welches Stadium des Entwurfs reden wir hier überhaupt? Wir haben einen Entwurf mit Stand 30. Mai zugeleitet bekommen. Mir ist heute über den Haushaltsausschuss ein Entwurf mit Stand 2. Juni zugeleitet worden.
Ist das jetzt der letzte, oder werden wir in den nächsten
Tagen mit einem weiteren Entwurf konfrontiert? Wie bewerten Sie die Vermutung, dass das auch Unruhe in einem Unternehmen, das uns ja noch zu 100 Prozent gehört, bei den Mitarbeitern schaffen könnte?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht. Es geht darum, dass
wir im Bundestag in der letzten Woche in einem Antrag
beschlossen haben, dass der Beteiligungsvertrag dem
Parlament vorgelegt werden soll. Das haben wir vorige
Woche Freitag gemacht. Ungefähr eine Stunde nachdem
der Antrag hier mit deutlicher Mehrheit verabschiedet
worden ist, haben wir den Beteiligungsvertrag im Entwurfsstadium zugeleitet. Jetzt gibt es natürlich aus dem
Parlament - das ist so üblich; das war mit diesem Prozedere auch so gewollt - Anregungen und Fragen, die wir
zurzeit klären. Ich habe Ihnen schon heute Morgen im
Ausschuss gesagt, dass ich davon ausgehe, dass Sie einen ressortabgestimmten Entwurf im Laufe des morgigen Tages vorliegen haben, sodass der Verkehrsausschuss und der Haushaltsausschuss sich am Freitag mit
einem ressortabgestimmten Entwurf befassen können,
der dann hoffentlich schon Anregungen und Fragen des
Parlaments aufnimmt und klärt.
Ich rufe die dringliche Frage 2 der Kollegin Menzner
auf:
Wie erklärt die Bundesregierung die Tatsache, dass der
Entwurf eines Vertrages über die Beteiligung von Kapitalanlegern an den Verkehrs-, Logistik- und zugehörigen Dienstleistungsgesellschaften der Deutschen Bahn AG - Beteiligungsvertrag - nunmehr neben der 24,9-prozentigen Beteiligung
privater Geldgeber an der DB Mobility Logistics AG weitere
Beteiligungen privaten Kapitals an Gesellschaften des Deutsche-Bahn-Konzerns vorsieht, indem die vertragliche Vorgabe
zur Änderung der Satzung der Deutschen Bahn AG, DB, es
gestattet, Anteile an einzelne DB-Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Hälfte und Anteile an DB-Logistik- und Dienstleistungsgesellschaften in Gänze zu veräußern?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Im Beteiligungsvertrag verpflichtet sich die DB AG in §§ 7 und 8, die Aufrechterhaltung der 100-Prozent-Beteiligung der DB Mobility Logistics AG an den Eisenbahnverkehrs- und
Logistikunternehmen als satzungsgemäßen Unternehmensgegenstand der DB Mobility Logistics AG festzuschreiben.
Zusatzfrage.
Danke, ich habe eine Zusatzfrage. - Sie beziehen sich
auf den Entwurfsstand 2. Juni. Wie ist zu verstehen, dass
die Dienstleistungsunternehmen in dem § 7, den Sie
eben zitiert haben, nicht aufgeführt sind? Ist davon auszugehen, dass aus der Liste der Unternehmen, die unter
DB ML fallen werden, die Nichtlogistikunternehmen,
also die Dienstleistungsunternehmen, einer anderen Regelung unterliegen, die eine weitere Privatisierung beinhalten kann?
Der Beteiligungsvertrag regelt gemäß den Eckwerten,
die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, die Beteiligung an der DB Mobility Logistics AG. Was zu den Untergesellschaften gesagt worden ist, ist quasi eine Erläuterung, um sicherzustellen, dass die Philosophie des
Antrags der Koalition auch für die Untergesellschaften
gilt. Wir können aber nicht das gesamte Feld der Dienstleistungsgesellschaften regeln, an denen die DB AG teilweise nur mit Anteilen von wenigen Prozent beteiligt ist.
Zweite Zusatzfrage? - Bitte schön, Frau Menzner.
Herr Staatssekretär, es gibt sehr wohl Dienstleistungsgesellschaften, die zu 100 Prozent der DB AG gehören.
Sie beziehen sich jetzt ausdrücklich auf die Logistikunternehmen. Ist das so zu verstehen, dass zum Beispiel
die DB Dienstleistungen GmbH, die unter dem Dach der
DB ML zu finden sein wird, sehr wohl teilprivatisiert
werden könnte?
Wir regeln die Logistik-Holding und die in § 2 des
Allgemeinen Eisenbahngesetzes aufgeführten Untergesellschaften. Das ist der Regelungsbedarf, den wir mit
der DB AG haben. Alles andere ist Sache des Unternehmens. Im Übrigen gibt es sehr starke Gewerkschaften,
die eine klare Vorstellung davon haben, wie sich der
Konzern weiterentwickeln soll. Deshalb macht es keinen
Sinn, dass wir für jede Gesellschaft die Mehrheitsbeteiligung präzise formulieren. Das würde es unmöglich machen, den Konzern zu führen.
Kollege Hofreiter.
Es wird in der Öffentlichkeit so dargestellt, als seien
die jeweiligen Prozentsätze in Stein gemeißelt. Deshalb
frage ich Sie, Herr Staatssekretär, ob Sie mir zustimmen,
dass es jederzeit möglich ist, diesen Beteiligungsvertrag
im Einvernehmen zwischen beiden Vertragsparteien,
also zwischen der DB AG und der Bundesrepublik
Deutschland, zu ändern? Teilen Sie die Einschätzung,
dass es nach der Wahl - man weiß ja nicht, welche Konstellation danach an der Macht ist; Sie stehen ja bekanntermaßen bei 20 Prozent - jederzeit möglich wäre, den
Anteil Privater auf 49, 50 oder 75 Prozent zu erhöhen?
Wenn Sie auf das Grundgesetz abheben, dann teile ich
Ihre Auffassung. Gesetze ändern zu können, ist aber ein
Grundsatz der Demokratie. Gott sei Dank haben die
Wählerinnen und Wähler regelmäßig die Möglichkeiten,
neue politische Mehrheiten in den Deutschen Bundestag
zu wählen. Deshalb gibt es kein einziges Gesetz, das in
Stein gemeißelt ist.
Kollegin Enkelmann.
Herr Staatssekretär, abgesehen davon, dass die Linke
aus gutem Grund die Privatisierung abgelehnt hat, haben
wir die große Sorge, dass es bei einem Anteil der Privaten von 24,9 Prozent nicht bleibt, obwohl Sie versuchen,
uns diese Sorge zu nehmen.
Ich möchte Sie nun mit einer Aussage des neuen Personalvorstandes der Bahn, des ehemaligen Vorsitzenden
der Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, konfrontieren, die Obergrenze für eine Privatisierung liege für ihn
bei 49,9 Prozent. Wie bewerten Sie diese Aussage vor
dem Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion?
Sie haben sicherlich Verständnis dafür, dass sich die
Bundesregierung zu dieser Aussage nicht verhält. Ich
weiß nämlich nicht, ob das angeführte Zitat dem entspricht, was die betreffende Person wirklich gesagt hat.
({0})
Der Deutsche Bundestag ist Gesetzgeber, und wir
richten uns nach den Beschlüssen des Deutschen Bundestages. Danach muss sich auch der Personalvorstand
richten.
({1})
Kollege Scheuer.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass das
Argumentieren der Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion und der Grünen mit Prozentsätzen Kaffeesatzleserei ist? Seit ungefähr eineinhalb Jahren beschäftigen
wir Verkehrspolitiker uns tagtäglich im Verkehrsausschuss dezidiert mit ganz vielen Einzelfragen. Würden
Sie nach der Rede des Kollegen Gysi in der Debatte zur
Bahnreform am Freitag letzter Woche auch bestätigen,
dass wir, wenn die Linkspartei in Deutschland an die
Macht käme, zur ehemaligen Reichsbahn der DDR zurückkämen?
Ich kann Ihnen bestätigen, dass wir uns seit Januar
2006 - da darf ich Sie leicht korrigieren; da ist das
PRIMON-Gutachten vorgelegt worden - sehr ausführlich mit diesem Thema beschäftigen. Selbst wenn wir
jetzt keine Lösung finden würden, könnte nach der Bundestagswahl 2009 jede andere Lösung im Deutschen
Bundestag beschlossen werden. Das heißt, wir reden
jetzt über einen aus meiner Sicht sehr wichtigen Schritt;
denn aufgrund des Verfahrens, das wir jetzt gewählt haben, sind zum Beispiel die Tarifvertragsparteien in der
Lage, betriebsbedingte Kündigungen bis zum Jahre 2023
auszuschließen. Mir ist kein Unternehmen bekannt, in
dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einen derartigen Schutz genießen.
Kollege Beck.
Herr Großmann, ich habe den Eindruck, Sie versuchen, Ihren eigenen Kolleginnen und Kollegen weiterhin
Sand in die Augen zu streuen, damit sie nicht sehen, was
sie letzten Freitag beschlossen haben. Woher nehmen Sie
denn die Behauptung, dass der Deutsche Bundestag konstitutiv mitzureden hat, wenn die Bundesregierung im
Kabinett beschließt, der Vertrag solle geändert werden
und statt einer Privatisierung in Höhe von 24,9 Prozent
solle eine von 77,5 Prozent erfolgen? Was kann der Bundestag dann machen?
Er kann zwar die Regierung beschimpfen. Aber ansonsten haben Sie, die Koalition, dem Bundestag durch
das Verfahren, das Sie gewählt haben - es hätte ja nicht
so sein müssen; dies hätte ja gesetzlich geregelt werden
können -, alle Möglichkeiten der Intervention bei einer
weiteren Privatisierung aus der Hand genommen. Es ist
auch ein schwaches Argument, man solle SPD wählen,
um eine weitere Privatisierung zu verhindern und diese
Volker Beck ({0})
24,9 Prozent beizubehalten. Denn dies nützt nichts, solange sich die Regierung entschließen kann, sich gegen
die Meinung des Parlaments zu verbünden, wie sie es
übrigens - darüber haben wir vorhin diskutiert - in Brüssel in der Frage der Vorratsdatenspeicherung gemacht
hat. Dies wäre eine Regierungskonstellation, der man so
etwas ausdrücklich zutrauen kann.
Herr Kollege Beck, wir beide sind ja nun schon ein
paar Jährchen im Deutschen Bundestag. Ich glaube
nicht, dass es sich eine Regierung zur Gewohnheit machen kann, gegen das Parlament zu regieren. Ich habe
sehr großes Zutrauen zum Parlament und zu den jeweils
gewählten Regierungen.
({0})
Die nächste Frage stellt die Kollegin BullingSchröter.
Danke schön. - Ich komme jetzt zum Kaffeesatz. Ich
denke, dass dies auch die Wählerinnen und Wähler in
Passau interessiert.
Herr Staatssekretär, meine Frage: Die Dienstleistungs-GmbHs werden ja jetzt dem Markt übergeben;
eine wirtschaftliche Tätigkeit ist vorgesehen. Ich möchte
wissen, welchen Wert dann der konzerninterne Arbeitsmarkt hat; denn die GmbHs müssen sich ja im Rahmen
der Wirtschaftlichkeit rechnen.
({0})
- Ich frage detailliert zum Arbeitsmarkt. - Aus der betrieblichen Praxis weiß ich, dass es vor diesem Hintergrund keine Möglichkeiten der Versetzung mehr gibt.
Ich möchte daher von Ihnen den Wert des konzerninternen Arbeitsmarktes wissen.
Zunächst muss ich Ihrer Wertung widersprechen, dass
die Dienstleistungsgesellschaften dem freien Markt ausgesetzt würden - was immer Sie damit meinen. Wir führen den Status quo fort. Bereits jetzt ist es so, dass die
Dienstleistungsgesellschaften auf der einen Seite innerhalb des konzerninternen Arbeitsmarktes, aber auch innerhalb des integrierten Konzerns Aufgaben für jeweils
andere Töchter der DB AG übernehmen; das ist so und
das bleibt so. Sie müssen allerdings auf der anderen
Seite ihre Leistungen - dazu gibt es, wie Sie vielleicht
gelesen haben, eine entsprechende Formulierung im Beteiligungsvertrag - zu marktgerechten Konditionen anbieten. Das ist aber auch dann so, wenn wir nichts am
Status quo ändern. Von daher ist die Absicherung des integrierten Konzerns Voraussetzung dafür, dass viele
Dienstleistungen innerhalb der DB - ich hoffe, möglichst viele - von eigenen Gesellschaften erbracht werden können.
Hierzu gibt es keine weiteren Fragen.
Dann rufe ich nun den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen auf. Hierzu sind insgesamt
sechs dringliche Fragen vorgelegt worden, und zwar der
Kollegen Schäffler, Zeil und Thiele, die sich allesamt
mit den Unterstützungszahlungen des Bundes an die
Deutsche Industriebank AG und dem laufenden Verkaufsprozess beschäftigen.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 3 des Kollegen
Schäffler auf:
Wann wurden Mitglieder des Deutschen Bundestages erstmalig über die im Sommer 2007 erfolgte Zahlung der
Finanzagentur GmbH des Bundes an die Deutsche Industriebank AG, IKB, in Höhe von 500 Millionen Euro unterrichtet,
und gibt es weitere Zahlungen von Unternehmen oder Institutionen des Bundes an die IKB, über die die Mitglieder des
Deutschen Bundestages bisher nicht unterrichtet wurden?
Bitte schön, Frau Kollegin Kressl.
Sehr geehrter Kollege Schäffler, zu Fragen des
Bundesschuldenwesens unterrichtete das Bundesfinanzministerium das parlamentarische Gremium nach § 3
des Bundesschuldenwesengesetzes, umgangssprachlich
Bundesfinanzierungsgremium genannt. Die Gremiumsmitglieder und alle Sitzungsteilnehmer sind zur Geheimhaltung der ihnen dort gegebenen Informationen
nach § 3 Abs. 3 des Gesetzes verpflichtet.
Die heute über die Presse verbreiteten Informationen
und Spekulationen über Engagements der Finanzagentur
dürften auf einen Bruch dieser gesetzlichen Geheimhaltungspflicht beruhen, was ich persönlich bedauere. Ich
will das auch begründen. Es ist völlig legitim und in
Ordnung, dass es die Notwendigkeit zur Transparenz
und zur Kontrolle des Parlaments gegenüber der Bundesregierung gibt. Diese beruht in diesem Fall aber auch
darauf, dass die Verpflichtung zur Geheimhaltung eingehalten wird.
Die Fragen, die die IKB betreffen, hat das Finanzministerium schriftlich und auch mündlich am 29. Mai
2008 dem Bundesfinanzierungsgremium ausführlich beantwortet. Zu Einzelheiten der dort gegebenen Informationen möchte ich nicht nur nicht, sondern kann ich aus
den vorher angegebenen Gründen - die Geheimhaltungspflicht habe ich erwähnt - nicht Stellung nehmen.
Es ist mir aber wichtig, darauf hinzuweisen, dass es bei
der von Ihnen in der Frage angesprochenen Zahlungen
- das sage ich ausdrücklich - nicht um Stützungsmaßnahmen zugunsten der IKB geht, sondern um Anlagen,
die sich im Rahmen des Geschäftsbereichs der Finanzagentur bewegen.
Zusatzfrage, Herr Kollege Schäffler.
Frau Staatssekretärin, ich habe nicht von Stützungsmaßnahmen, sondern von Zahlungen gesprochen. Insofern ist es schon verwunderlich, dass Einlagen gehalten
wurden.
Ich frage Sie: Wer ist im Bundesfinanzministerium
für die Aufsicht der Finanzagentur persönlich zuständig?
Wann wurde die Leitung des Ministeriums, insbesondere
Minister Steinbrück, über das Geschäft mit der IKB informiert?
Herr Kollege Schäffler, man muss hier zwischen Kreditlimits und Anlagen unterscheiden. Kreditlimits werden
im Rahmen der Verantwortung des BMF abgesprochen
und liegen bei 500 Millionen Euro. Die Entscheidung
über die Anlagen selbst, nicht über die Frage der Kreditlimits, trägt die Finanzagentur in eigener Verantwortung.
Eine weitere Zusatzfrage?
Habe ich Sie richtig verstanden, dass der Finanzminister darüber, dass die Finanzagentur Einlagen in Höhe
von 500 Millionen Euro bei der IKB getätigt hat, nicht
informiert gewesen ist?
Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich habe darauf hingewiesen, dass die Entscheidung über die Einlage selbst nicht im BMF getroffen wurde.
({0})
Kollege Solms.
Frau Staatssekretärin, können Sie dann die Frage beantworten, wann der Finanzminister über diesen Finanzierungsvorgang informiert worden ist und ob er diesen
Vorgang gutgeheißen hat?
Herr Kollege Solms, ich persönlich habe im Moment
die Schwierigkeit, zu sagen, ab welchem Datum die Informationen dem Finanzminister - Sie haben nicht nach
dem Finanzministerium gefragt - zugänglich waren. Ich
werde das klären und Ihnen die Antwort schriftlich zukommen lassen.
Kollege Zeil.
Frau Staatssekretärin, anschließend daran frage ich
Sie: Welchen Sinn hatte die ursprüngliche Entscheidung,
wenn uns jetzt wieder über die Presse mitgeteilt wird,
dass diese Einlage zurückgezogen werden soll? Befürchten Sie nicht, dass eine Rückziehung zum jetzigen Zeitpunkt das falsche Signal ist?
Herr Kollege Zeil, ich weiß nicht, mittels welcher
Presseberichte Sie informiert worden sind.
({0})
- Lassen Sie mich doch bitte weiterreden. - Auf jeden
Fall kann ich Ihnen sagen, dass es nicht darum geht, die
Anlage zurückzuziehen. Sie läuft Ende Juni 2008 ganz
regulär aus und wird nicht verlängert.
({1})
Das ist etwas anderes als ein Zurückziehen. Ich kann
nicht bestätigen, dass es darum geht.
Herr Kollege Thiele, bitte.
Frau Staatssekretärin, wir diskutieren hier nicht zum
ersten Mal über die IKB. Ausgangspunkt der Diskussion
war eine Sondersitzung an einem Wochenende, nachdem
bekannt wurde, dass die IKB erhebliche Schwierigkeiten
hat. Die Kreditwirtschaft, das Finanzministerium, der Finanzminister, die Bankaufsicht und die Bundesbank
wurden tätig.
Es geht darum, dass 500 Millionen Euro als Festgeld
vergeben wurden. Dieses Festgeld wurde erst nach der
Krisensitzung vergeben. Finden Sie es verantwortungsvoll, dass einem Kreditinstitut öffentliche Gelder in der
Größenordnung von einer halben Milliarde Euro zu einem Zeitpunkt zur Verfügung gestellt wurden, als nicht
mehr sichergestellt werden konnte, dass das Kreditinstitut überhaupt in der Lage ist, das Geld innerhalb der
Laufzeit von einem Jahr zurückzuzahlen?
Herr Kollege Thiele, ich will auf den Unterschied
zwischen Kreditlimits und tatsächlich getätigten Anlagen hinweisen. In meiner Antwort auf die Frage des
Herrn Kollegen Schäffler habe ich schon darauf hingewiesen, dass das BMF die Entscheidung über das Liquiditätsmanagement an die Finanzagentur delegiert hat. Insofern habe ich diese Entscheidung nicht zu bewerten.
Ich will aber darauf hinweisen, dass das Zurückziehen
des Kreditlimits unserer Ansicht nach das falsche Signal
gewesen wäre. Es geht bei dieser Frage - das sage ich
ausdrücklich - nicht um die Anlage selbst.
Ich rufe die dringliche Frage 4 des Kollegen Schäffler
auf:
In welchem Umfang hält die Bundesregierung hinsichtlich
des Verkaufsprozesses der IKB weitere Garantien seitens des
Bundes für erforderlich, und hält die Bundesregierung an ihrer Erwartung eines Verkaufserlöses von 800 Millionen Euro
für den IKB-Anteil der KfW fest?
Herr Kollege Schäffler, zum laufenden IKB-Verkaufsprozess hat die Bundesregierung in der heutigen
Sitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages eingehend Stellung bezogen. Ich kann nicht sagen, ob die
Sitzung schon beendet ist oder die Information jetzt gerade weitergegeben wird.
Bei dem Verkauf sind Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse Dritter, der Bieter, betroffen. Sie haben explizit um Vertraulichkeit des Verfahrens gebeten. Insofern
muss ich noch einmal auf die rechtliche Lage bezüglich
der Verschwiegenheitspflichten hinweisen. Über die
rechtliche Bewertung dieser Pflicht haben wir in der
letzten Sitzung des Finanzausschusses detailliert debattiert.
Ich will aber auch darauf hinweisen, dass es im Interesse des Bundes und damit in unserem gemeinsamen
Interesse liegt, bei dem Verkauf das bestmögliche Ergebnis zu erzielen, und zwar sowohl, was den Verkaufserlös
anbetrifft, als auch, was die Zukunft der Mittelstandsbank anbelangt. Abgesehen von der rechtlichen Bewertung der Sachlage halte ich es aus politischer Sicht nicht
für angebracht, im Plenum des Bundestages Einzelheiten
der Verkaufsgespräche darzulegen.
Es ist aber völlig klar - das will ich hier deutlich machen -, dass die Bundesregierung den Haushaltsausschuss des Bundestages unter Maßgabe der Verschwiegenheitsverpflichtung, die ich angesprochen habe, über
den weiteren Fortgang des Verfahrens auf dem Laufenden halten wird.
Erste Zusatzfrage.
Ich möchte auf die Finanzagentur zurückkommen.
Diese Frage hat mittelbar sicherlich Auswirkungen auf
den Verkaufsprozess. Wer im Finanzministerium hat zu
welchem Zeitpunkt über das Geschäft der Finanzagentur
mit der IKB entschieden, und inwieweit ist das Geschäft
mit den gesetzlichen Grundlagen der Finanzagentur und
ihren Aufgaben, die Bedingungen für die Finanzierung
des Bundes nachhaltig zu verbessern und die Zinskostenbelastung mittelfristig zu senken - das steht auf der
Homepage der Finanzagentur -, vereinbar?
Herr Kollege Schäffler, ich bin mir nicht sicher, ob
ich mich zu unverständlich ausgedrückt habe, als ich
vorhin in der Beantwortung der Fragen von Herrn Thiele
schon zweimal darauf hingewiesen habe, dass die Entscheidung über die Anlage selbst nicht im Bundesfinanzministerium getroffen wurde.
Zweite Zusatzfrage, Kollege Schäffler.
Ich möchte noch einmal nachhaken. Es hat zu keinem
Zeitpunkt Einwirkungen des Bundesfinanzministeriums
auf die Anlageentscheidung der Finanzagentur - auf der
einen Seite, dass Geld investiert wird, und auf der anderen Seite, dass das Geld wieder zurückgezogen wird gegeben? Habe ich Sie da richtig verstanden?
Herr Kollege Schäffler, ich muss leider schon wieder
auf einen Punkt in Ihrer Frage hinweisen. Sie haben, obwohl ich es vorhin klargestellt habe, erneut unterstellt,
dass die Anlage zurückgezogen wird. Ich stelle noch einmal klar: Sie wird nicht zurückgezogen. Sie wird nach
ihrem regulären Ablauf nicht verlängert. Ich stelle noch
einmal klar: Die Anlageentscheidungen trifft die
Finanzagentur.
Kollege Solms.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es nicht für ein eklatantes Versagen der Fachaufsicht der Bundesfinanzagentur, wenn diese nicht in dem Moment einschreitet, in
dem sie erfährt, dass 500 Millionen Euro öffentliche
Gelder einer Bank zur Verfügung gestellt werden, die
sich in der Existenzkrise befindet?
Herr Kollege Solms, ich weise darauf hin, dass es
nicht um eine Finanzhilfe geht - das schwang in der
Frage mit -, sondern um eine reguläre Anlageentscheidung im Rahmen des Geschäftes der Finanzagentur.
({0})
- Ich nehme das auf, obwohl es keine Zusatzfrage ist.
Die Entscheidungen der Finanzagentur werden sicherlich in aller Verantwortung und mit allen Abwägungen getroffen. Mir ist wichtig, in dem Zusammenhang
deutlich zu machen - es schwang gerade in der informell
eingefügten Zwischenfrage mit -, dass wir die Anlage
ausdrücklich als nicht gefährdet ansehen. Sie wissen,
dass die Einlagen der IKB in einem durchaus schwierigen Prozess gesichert wurden.
Kollege Thiele.
Frau Staatssekretärin, die Subprime-Krise in den
USA hat mit dazu geführt, dass die IKB entsprechende
Probleme hatte und hat. Deshalb gilt bei vielen Bankbilanzen heute der Grundsatz: On the left is nothing
right, and on the right is nothing left. Wie kann man in
diesen Zeiten Gelder zur Verfügung stellen, ohne sicherzustellen, dass sie zurückgezahlt werden? Ich habe vorhin in meiner Frage nicht gesagt, dass das BMF das getan habe. Ich habe nur darauf hingewiesen, dass diese
Gelder zur Verfügung gestellt wurden. Sie waren durchaus gefährdet. Insofern würde mich interessieren, wie
Sie es bewerten, wenn zu einem solchen Zeitpunkt Gelder in dieser Größenordnung an eine Bank gegeben werden.
Herr Kollege Thiele, es wurden nicht Gelder an eine
Bank gegeben, sondern es handelte sich um eine reguläre Anlageentscheidung der Finanzagentur, die ich
- das sage ich ausdrücklich - nicht zu bewerten habe.
({0})
- Es mag sein, dass Sie das interessiert, aber ich sage
noch einmal: Es war eine Entscheidung der Finanzagentur, die ich für die Bundesregierung nicht zu bewerten
habe.
Ich will noch einmal betonen, dass die Bundesregierung ausdrücklich nicht davon ausgeht, dass dieses Geld
auf irgendeine Weise - ich sage es einmal umgangssprachlich - verloren ist.
Kollege Zeil.
Frau Staatssekretärin, halten Sie es mit Ihrer Aufgabe
als Finanzaufsicht für vereinbar, wenn Sie sagen, dass
Sie die Entscheidung nicht bewerten? Wenn hier von einem normalen Marktgeschäft die Rede ist, warum wird
das Engagement dann nicht verlängert?
Herr Kollege, auch in diesem Fall muss ich mich auf
die Antwort beziehen, die ich bereits auf Ihre erste Frage
gegeben habe. Ich habe deutlich gemacht, dass die Entscheidung, das Geld dort anzulegen, eine Entscheidung
der Finanzagentur war. Natürlich war auch die Entscheidung, diese Anlage nicht zu verlängern, eine Entscheidung der Finanzagentur.
Erlauben Sie mir noch eine kurze Anmerkung: Ich
kenne zwar die rechtlichen Zusammenhänge, aber das
BMF ist nicht die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Das wissen auch Sie.
({0})
Kollege Schick.
Frau Staatssekretärin, der Klarheit halber: Sie haben
ausgeschlossen, dass die Entscheidung für die Anlage
bei der IKB eine Entscheidung des Finanzministeriums
war. Sie haben aber nicht explizit ausgeschlossen, dass
es im Hinblick auf diese Anlage zu einer Einwirkung des
Finanzministeriums auf die Finanzagentur gekommen
sein könnte.
Herr Kollege, da die Finanzagentur ihre Entscheidungen im laufenden Geschäft trifft, gehe ich davon aus,
dass es keine Einwirkungen des Finanzministeriums gegeben hat.
({0})
Ich rufe nun die dringliche Frage 5 des Kollegen Zeil
auf:
Haben die verbliebenen Kaufinteressenten für die IKB die
Abschirmung des Risikos durch den Bund zur Bedingung für
einen Kauf gemacht, und, wenn ja, wird der Bund eine Ausfallbürgschaft übernehmen?
Herr Kollege Zeil, auch im Hinblick auf die Frage, inwieweit Kaufinteressenten Garantien und Bürgschaften
zur Bedingung eines Kaufes gemacht haben, muss ich
darauf hinweisen, dass es hierbei um Details der Kaufverhandlungen geht und ich angesichts der vorhin beschriebenen Verschwiegenheitspflichten nicht autorisiert
bzw. befugt bin, Ihnen dazu Einzelheiten zu nennen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, die derzeit abzudeckenden Risiken haben eine Höhe von 8,5 Milliarden Euro. Können
Sie bestätigen, wie hoch der Anteil der Risikoabdeckung
durch den Bund ist?
Herr Kollege, Sie haben Ihre Frage mit den Worten
Können Sie bestätigen eingeleitet. Würden Sie mir
bitte erläutern, was genau Sie damit gemeint haben?
Derzeit ist ein Risiko in Höhe von 8,5 Milliarden
Ja, in dem Prozess, den wir alle kennen.
- und zwar von allen Beteiligten: von der KfW, vom
Bund und von den Banken. Wie hoch ist derzeit der Anteil des Bundes an der Abschirmung des Risikos in Höhe
von 8,5 Milliarden Euro?
Es stellt sich die Frage, ob wir von tatsächlich eingetretenen Risiken sprechen.
Ich meine die Risikovorsorge.
Ich habe die entsprechende Zahl gerade nicht im
Kopf. Ich werde sie nachliefern.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Zeil, bitte.
Glauben Sie, dass ein Verkauf der IKB überhaupt
möglich ist, ohne die Risiken, über die wir jetzt sprechen, abzuspalten und zu versuchen, den guten Teil der
IKB zu verkaufen und für die sogenannten schlechten
Risiken eine andere Lösung zu finden?
Herr Kollege, um nicht immer sagen zu müssen, dass
ich das offiziell nicht bewerten kann - das kann ich allerdings in der Tat nicht -, möchte ich darauf hinweisen,
dass in der Öffentlichkeit und in der Presse schon seit
längerem eine Debatte darüber geführt wird, ob die IKB
in eine bad bank und in eine good bank aufgeteilt
werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass diese
Frage im weiteren Verlauf des Verkaufsprozesses eine
entscheidende Rolle spielt. Das hätte natürlich auch
Konsequenzen für die Debatte, die wir dann im Haushaltsausschuss des Bundestages zu führen hätten.
Was Ihre Fragen, wie der Verkaufsprozess derzeit verläuft und wer welche Bedingungen stellt, angeht, muss
ich Sie allerdings wiederum auf die Aussage verweisen,
die ich schon mehrmals getroffen habe.
Kollege Schäffler.
Frau Staatssekretärin, für den Verkaufsprozess ist
nicht ganz unerheblich, inwieweit Mittel bei der IKB angelegt wurden. Erhöht sich aus Sicht der Bundesregierung der Liquiditätsbedarf der IKB dadurch, dass die
Einlage über 500 Millionen Euro nicht mehr getätigt
bzw. nicht mehr verlängert wird? Erhöht sich dadurch
aus Ihrer Sicht die Schieflage der IKB?
Zusätzlich würde mich interessieren, zu welchem
Zinssatz die IKB diese Einlage verzinst hat.
Herr Kollege Schäffler, es ist auch im Rahmen der
Geschäftstätigkeit der IKB durchaus üblich, dass Anlagen getätigt und dann nicht etwa abgezogen, sondern
nicht verlängert werden.
Ich kann und darf hier nicht bewerten, was von anderen Partnern an Anlagen getätigt wird. Insofern ist es
schwer, die Gesamtsituation zu bewerten.
Auf jeden Fall will ich mit dieser Antwort deutlich
machen, dass es nicht so ist, dass - manchmal bekommt
man ja diesen Eindruck - die ganze Geschäftstätigkeit
der IKB von dieser Anlage der Finanzagentur abhängig
ist.
Und der Zinssatz?
Den Zinssatz weiß ich nicht auswendig; den bekommen Sie noch.
Schriftlich?
Ja, klar.
Kollege Thiele.
Frau Staatssekretärin, wir unterhalten uns zum x-ten
Mal über die IKB. Halten Sie es angesichts dessen nicht
für erstaunlich, dass von den 500 Millionen Euro öffentlicher Gelder, die bei der IKB angelegt wurden, erst seit
dieser Woche die Rede ist? Bisher haben weder der
Finanzminister noch Sie noch zuständige Beamte des
Finanzministeriums darüber gesprochen.
Herr Kollege Thiele, mit dieser Frage implizieren
auch Sie, dass es bei dieser Anlage um eine Finanzhilfe
gegangen sei. Das ist nicht so.
({0})
Diese Anlage ist nicht erst zu diesem Zeitpunkt vonseiten der Finanzagentur bei der IKB getätigt worden. Ich
will darauf hinweisen, dass es im Rückblick über mehrere Jahre regelmäßig Entscheidungen der Finanzagentur
gab, bei der IKB - ich nenne es einmal so - Anlagen zu
tätigen.
Die Grundsätze der Bundesschuldenverwaltung werden immer in einem bestimmten zeitlichen Rahmen im
Haushaltsausschuss besprochen. Es ist noch nie so gewesen, dass es Informationen über bestimmte einzelne
Anlagen gegeben hätte. Ich will noch einmal betonen:
Diese Anlage ist eine Anlage im Rahmen der regulären
Geschäftstätigkeit der Finanzagentur.
Die nächste Frage stellt Kollege Dr. Wissing.
Frau Staatssekretärin, nachdem in Sachsen eine
Summe von etwa 5 Milliarden Euro an Steuergeldern
verloren gegangen ist, hat dies zu personellen Konsequenzen geführt. Bekanntlich ist der Ministerpräsident
zurückgetreten.
Ich frage Sie: Ab welchem Betrag halten Sie personelle Konsequenzen auf Bundesebene für angezeigt?
Herr Kollege Wissing, ich habe nicht beobachten
können, ob Sie die ganze Zeit dabei waren. Daher sage
ich: Ich habe schon zu Beginn der Beantwortung der
dringlichen Fragen mehrmals darauf hingewiesen, dass
die Unterstellung, diese Anlage - die eine Anlage im
Rahmen der regulären Geschäftstätigkeit der Finanzagentur ist - sei eine verbotene Finanzbeihilfe, unzulässig ist. Insofern ist Ihre Frage, die sich an diese Unterstellung anschließt, nicht logisch.
Das war nicht die Frage. Ich habe gefragt: Ab welchem Betrag halten Sie personelle Konsequenzen auf
Bundesebene für angezeigt?
Herr Kollege Wissing, ich finde es kreativ, dass Sie
die verkappte Rücktrittsforderung, die wir mehrfach von
Ihnen gehört haben, jetzt mit einer bestimmten Schadenssumme in Zusammenhang zu bringen versuchen.
Weil das nichts, aber auch gar nichts mit einer fachlichen Beantwortung einer Frage zu tun hat, bin ich nicht
bereit, Ihnen dazu eine Zahl zu nennen.
Wir kommen jetzt zur dringlichen Frage 6 des Kollegen Martin Zeil, FDP:
Ist davon auszugehen, dass aufgrund der drohenden Aktionärsklagen eine Verschiebung der geplanten Kapitalerhöhung
notwendig wird, und, wenn ja, welche Auswirkungen würde
dies für die IKB und den Bund haben?
Herr Kollege, die Bundesregierung geht derzeit nicht
davon aus, dass es zu einer zeitlichen Verzögerung der
Kapitalerhöhung kommen wird.
Eine Zusatzfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, unabhängig davon, ob durch
diese Klagen die Kapitalerhöhung gestoppt werden
kann: Wie bewerten Sie angesichts dessen, dass jetzt ohnehin schon 45,5 Prozent im Besitz der KfW sind, die
das Thema beherrschende Stellung und die daraus resultierenden rechtlichen und auch haftungsmäßigen
Folgen?
Herr Kollege, wir haben über diese Frage ja schon im
Zusammenhang mit der letzten dringlichen Frage gesprochen. Sie wissen, dass bestimmte Voraussetzungen
dazu geführt haben, dass dieser hohe Kapitalanteil jetzt
vorhanden ist. Sie wissen aber auch - das hat der Minister im Ausschuss ebenfalls sehr deutlich gemacht -, dass
es hier nicht darum geht, diesen dauerhaft zu halten, sondern dass es das eindeutige Ziel der Bundesregierung ist,
die IKB zum Verkauf zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Am 6. Mai 2008 gab es ja eine Sitzung des Unterausschusses zum ERP-Sondervermögen. Darin hat der Vorsitzende, der Kollege Michelbach, die letzten Wochen
und Monate so bewertet, dass zu viel verschleiert worden ist. Er hat darauf hingewiesen, dass der Bundesrechnungshof beauftragt worden sei, den ganzen Vorgang zu
überprüfen. Ist Ihnen bekannt, ob dieser Bericht des
Bundesrechnungshofs bereits vorliegt?
Zur konkreten Frage: Nein.
Da der Eingang der Frage nicht ganz unkommentiert
stehen bleiben kann, will ich aber noch einmal deutlich
machen, dass die Bundesregierung sowohl zur Fördertätigkeit durch das ERP-Sondervermögen als auch zur allgemeinen Fördertätigkeit der KfW mehrfach sehr eindeutig Stellung genommen hat. Wie Sie sicherlich
wissen, wurde das Thema Fördertätigkeit durch das
ERP-Sondervermögen in einem Brief der Minister Glos
und Steinbrück klargestellt.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Schäffler.
Frau Staatssekretärin, für den Fall, dass die Bundesregierung nicht direkt, sondern vielleicht nur mittelbar eingewirkt hat, gibt es für die Finanzagentur doch sicherlich
Richtlinien, nach denen sie Gelder anlegen darf. Sind Ihnen diese Richtlinien bekannt? Können Sie sie dem Parlament zur Verfügung stellen?
Ich werde klären, in welcher Form wir sie Ihnen zur
Verfügung stellen können. Ich will aber auch ganz eindeutig sagen, dass das Finanzministerium davon ausgeht, dass sich die Finanzagentur selbstverständlich im
Rahmen dieser Richtlinien bewegt hat. Im Zweifel können wir dann ja auch einmal gemeinsam auf der Homepage der Finanzagentur nachschauen, ob sie dort nicht
sogar stehen.
({0})
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Thiele.
Frau Staatssekretärin, was wäre eigentlich mit den
500 Millionen Euro passiert, wenn die Zahlungsfähigkeit der IKB nicht sichergestellt worden wäre und wenn
die IKB ihre Geschäftstätigkeit wegen Illiquidität hätte
einstellen müssen?
Herr Kollege Thiele, wie Sie wissen - und wie ich es
vorhin schon angesprochen habe -, ist die Anlage der Finanzagentur bei der IKB keineswegs die einzige Anlage
gewesen. Sie wissen auch, dass bei der schwierigen Abwägung, von der Ihnen der Minister im Ausschuss bereits berichtet hat, ob es eine Insolvenz der IKB oder
Rettungsabschirmungen geben solle, immer auch auf die
Frage der Einlagen insgesamt geachtet worden ist. Insofern stellen Sie eine hypothetische Frage, die ich Ihnen
nicht beantworten kann.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Wissing.
Frau Staatssekretärin, der Bund haftet meines Wissens bei der Erfüllung der durch die Deutsche Finanzagentur wahrgenommenen Verpflichtungen für jedes Verschulden der Deutschen Finanzagentur und ihrer Mitarbeiter. Können Sie ausschließen, dass es zu einer solchen
Haftungsübernahme aufgrund eines Verschuldens der
Mitarbeiter der Finanzagentur kommt, und, wenn ja, warum gehen Sie davon aus, dass eine solche Haftungsübernahme hier auszuschließen sei?
Weil eine Haftungsübernahme, Herr Kollege, immer
voraussetzt, dass die Anlage gefährdet ist. Dass wir dies
ausdrücklich nicht so sehen, habe ich zu Beginn dieser
Fragerunde ebenfalls schon deutlich gemacht.
({0})
Eine Nachfrage ist nicht möglich.
Die nächste Frage stellt Kollege Dr. Schick.
Frau Staatssekretärin, hat bei den Überlegungen im
Finanzministerium hinsichtlich der Rettungsaktionen
für die IKB die Tatsache eine Rolle gespielt, dass Geld
des Bundes bei der IKB gefährdet sein könnte?
Herr Kollege Schick, ich war nicht bei allen Gesprächen dabei und kann Ihnen nur für den Bereich, über den
ich Kenntnisse habe, sagen: Nein.
Damit kommen wir zu den dringlichen Fragen 7 und
8 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele, die sich mit dem
gleichen Sachzusammenhang befassen.
Zunächst rufe ich die dringliche Frage 7 auf:
Welche Finanzhilfen sind in der Verantwortung des Bundesministeriums der Finanzen über Beteiligungen des Bundes
oder der Finanzagentur der IKB zur Verfügung gestellt worden?
Herr Kollege Thiele, hinsichtlich der Beteiligungen
des Bundes hat die KfW seit Ende Juli 2007 verschiedenste Maßnahmen zur Risikoabschirmung, die wir alle
bereits im Finanzausschuss besprochen haben, auf den
Weg gebracht, zum Beispiel den Eintritt der KfW in die
Liquiditätslinie der IKB gegenüber dem Conduit Rhineland zugunsten der IKB Deutsche Industriebank. Stützungsmaßnahmen anderer Bundesbeteiligungen sind nicht
bekannt. Dies entspricht dem, worüber wir vorhin einen
Dialog geführt haben.
Eine Nachfrage des Kollegen Thiele.
Ich möchte wissen, wie der Einlagensicherungsfonds
im Falle der Zahlungsunfähigkeit gewirkt hätte; denn
30 Prozent des haftenden Eigenkapitals wären, glaube
ich, weniger als 300 Millionen Euro gewesen, sodass die
Gefahr bestanden hätte, dass der Rest nicht hätte zurückbezahlt werden können. Können Sie das bestätigen?
Herr Kollege Thiele, der Einlagensicherungsfonds
hätte genau so gewirkt, wie es die Regeln vorsehen. Ich
halte diese Frage, wie ich eben schon ausgeführt habe,
weiterhin für hypothetisch, weil Sie ja wissen, dass es
die entsprechenden Abschirmungsmaßnahmen gibt.
Frau Staatssekretärin, können Sie die Wirkung des
Einlagensicherungsfonds noch einmal beschreiben? Ist
es zutreffend, dass der Einlagensicherungsfonds mit
30 Prozent des Kapitals der Bank haftet?
Sie beschreiben die grundsätzliche Wirkung richtig.
Eine weitere Frage des Kollegen Schäffler.
Wenn man die Anlageentscheidung kritisch beurteilt,
dann ist zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Verlängerung dieser Einlage das Individualrating der IKB
bei D gewesen ist, was nach meinem Dafürhalten ein
sehr schlechtes Rating ist. Sind Sie nicht der Auffassung,
dass eine Finanzagentur, die ja das Vermögen und insbesondere den Schuldendienst des Bundes optimieren
sollte, in solchen Anlageformen nichts zu suchen hat?
Herr Kollege Schäffler, ich glaube, das ist jetzt der
fünfte oder sechste Versuch, mich zu einer Bewertung zu
veranlassen. Ich habe Ihnen schon mitgeteilt, dass das
nicht ansteht, will aber deutlich machen, dass meines
Wissens - auch in diesem Punkt muss ich wegen der
Verschwiegenheitspflicht des Bundesschuldengremiums
sehr vorsichtig sein - der Bundesrechnungshof diesbezüglich keine Beanstandungen hat.
Die nächste Frage hat der Kollege Zeil.
Frau Staatssekretärin, uns bereitet auch die Frage
Sorge, inwieweit die gesamte Problematik die Fördertätigkeit der KfW und die KfW insgesamt in Gefahr
bringt. Uns ist gesagt worden, dass es eine Ausgleichsvereinbarung geben soll, die sicherstellt, dass die Fördertätigkeit ungeschmälert fortgesetzt werden kann; sie befinde sich aber noch in der Abstimmung. Ist bald mit
dieser Ausgleichsvereinbarung zu rechnen?
Herr Kollege, ich muss meine Antwort etwas differenzieren. Sie wissen, dass sich die Vereinbarung auf die Fördertätigkeit im Zusammenhang mit dem ERP-Sondervermögen bezieht. Darüber hinaus gibt es die allgemeine
Fördertätigkeit. Es geht nicht darum, ob die Fördertätigkeit beibehalten wird, sondern um die technische Ausgestaltung. Derzeit werden noch Gespräche zwischen den
beteiligten Häusern, vor allem dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Bundesfinanzministerium, geführt.
Ich gehe aber davon aus, dass in absehbarer Zeit ein Ergebnis erzielt wird.
Die nächste Frage hat der Kollege Dr. Wissing.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben ausgeführt, dass
Sie davon ausgehen, dass kein Verschulden seitens der
Handelnden bei der Finanzagentur vorliegt, weil gegenwärtig keine Gefährdung der Anlage gegeben ist. Trifft
es nicht vielmehr zu, dass man bei der Klärung des Verschuldens entscheidend auf den Zeitpunkt der Anlage
abstellen muss? Insofern kommt es nicht auf eine Expost-Betrachtung an, wie sie sich heute darstellt, sondern
auf den Zeitpunkt, zu dem die Anlageentscheidung getroffen worden ist. Ist es nicht möglich, dass zu diesem
Zeitpunkt eine erhebliche Gefährdung vorlag, sodass der
Rückschluss auf ein Verschulden durchaus zutreffend
ist?
Herr Kollege, ich teile Ihre Einschätzung nicht.
Wir kommen dann zur dringlichen Frage 8 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele:
Wann wurden die entsprechenden Hilfen jeweils zur Verfügung gestellt?
Herr Kollege, im Prinzip muss ich bei der Beantwortung Ihrer Frage auf die Antwort zur dringlichen Frage 7
verweisen. Sie müssen die Frage der Risikoabschirmungen, die wir im Finanzausschuss jeweils einzeln behandelt haben, gesondert betrachten. Sollte sich Ihre Frage
auf die viel diskutierte Anlage beziehen - das ist mir
nicht ganz klar -, dann muss ich noch einmal deutlich
machen, dass es nicht um Hilfen ging.
Eine Nachfrage, Herr Kollege Thiele.
Frau Staatssekretärin, um es auch den Zuhörern zu erklären: Der Bund nimmt auf der einen Seite Geld für die
Neuverschuldung auf. Auf der anderen Seite verfügt er
über Gelder, die er anlegt. Beides erfolgt über die Finanzagentur. Wenn die Finanzagentur für den Bund
500 Millionen Euro in Form einer Verlängerung, einer
Neuanlage oder einer Neuvereinbarung von Festgeldkonditionen für ein Jahr anlegt und die Gefahr der GeCarl-Ludwig Thiele
fährdung dieser Gelder besteht - was, wie mein Kollege
Schäffler ausgeführt hat, bei dem Rating der IKB durchaus gegeben war -, halten Sie es dann für verantwortbar,
dass die handelnden Personen die Steuergelder der Bürger durch die Anlage der Gelder bei der IKB gefährden
konnten?
Herr Kollege Thiele, ich habe bereits ausgeführt, dass
über diese Frage meines Wissens - ich verweise noch
einmal auf die Verschwiegenheitspflicht des Bundesschuldengremiums - diskutiert worden ist und dass mir
auch vom Bundesrechnungshof, der das zu bewerten hat,
keinerlei Kritik daran bekannt ist.
Eine Nachfrage, bitte schön.
Frau Staatssekretärin, von wann stammt denn die Bewertung des Bundesrechnungshofes? Der Vorgang ist
doch gerade erst öffentlich geworden.
Sehr geehrter Herr Kollege, wie ich in meiner allerersten Antwort ausgeführt habe, stellen die in den Zeitungen vorzufindenden Informationen einen Bruch der
Verschwiegenheitspflicht dar. Ich hatte das vorhin beschrieben. Es steht außer Frage, dass ich das nicht fortsetzen und Ihnen detaillierte Informationen über die infrage stehende Sitzung geben kann.
Gibt es weitere Fragen? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Behandlung der dringlichen Fragen beendet.
Wir kommen nun zu den Fragen auf Drucksache 16/9388 in der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 1 der Kollegin Silke
Stoker von Neuforn wird schriftlich beantwortet, ebenso
die Fragen 2 und 3 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann
aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Fragen 4 und 5 des
Kollegen Alexander Bonde werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Petra Pau auf:
Werden Personen, die in der Datei Gewalttäter Sport erfasst wurden, auch dann in dieser Datei weitergeführt, wenn
ein gegen sie laufendes Ermittlungsverfahren eingestellt
wurde oder mit einem Freispruch vor Gericht endete, und,
wenn ja, zu welchen Zwecken werden diese Daten weiterverwendet?
Herr Staatssekretär, bitte.
Frau Kollegin Pau, nach § 8 Abs. 3 des Bundeskriminalamtgesetzes sind die Daten zu löschen, wenn der Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen wurde, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn unanfechtbar
abgelehnt oder das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wurde und sich aus den Gründen der Entscheidung
ergibt, dass der Betroffene die Tat nicht oder nicht
rechtswidrig begangen hat, das heißt, wenn es sich um
einen sogenannten Freispruch erster Klasse handelt.
Wurde das Verfahren jedoch aus anderen Gründen
eingestellt, zum Beispiel weil die Beweise zwar für
einen hinreichenden Tatverdacht, nicht aber für eine Verurteilung ausgereicht haben, kann die Person weiter erfasst werden, wenn die Einstellung erfolgte und anzunehmen ist, dass der Betroffene in Zukunft Straftaten
begehen könnte. Die weitere Datenspeicherung wäre
dann zulässig, um die Begehung dieser Straftaten zu verhindern, wenn es sich also gewissermaßen um eine Einstellung zweiter Klasse handelte.
Eine Nachfrage, Frau Pau.
Herr Staatssekretär, zum zweiten Teil Ihrer Antwort:
Nach welchen Kriterien und auf welcher gesetzlichen
Grundlage wird die Weiterführung in der Datei Gewalttäter Sport entschieden, und in welchem Teil des entsprechenden Errichtungsgesetzes ist das geregelt?
Die Weiterführung wird, wie bereits aus meiner ersten
Antwort hervorgegangen ist, in Abhängigkeit davon vorgenommen, ob der Betroffene in Zukunft Straftaten
begehen könnte, deren Verhinderung eine weitere Speicherung in der Datei Gewalttäter Sport erforderlich
macht. Als Rechtsgrundlagen gelten die einschlägigen
Regelungen für die Anlegung solcher Dateien. Ich verweise auf §§ 8 und 9 des Bundeskriminalamtgesetzes.
Mich interessiert zweitens, wie die Einhaltung der
Aussonderungsprüffrist von zwei Jahren praktiziert wird
und ab wann diese läuft, insbesondere bezogen auf die
zweite Fallgruppe, aber auch auf diejenigen, welche einen Freispruch erster Klasse bekommen haben. Beginnt
die Aussonderungsprüffrist mit Einstellung des Ermittlungsverfahrens, mit dem Freispruch vor Gericht oder
schon mit dem Zeitpunkt der Erfassung?
Frau Kollegin, ich möchte Ihnen hierzu gerne schriftlich eine korrekte Auskunft geben. Ich sehe mich im
Moment nicht in der Lage, Ihnen eine Antwort auf Ihre
Frage nach der zweiten Kategorie zu geben.
Was die erste Kategorie betrifft, bin ich sicher, dass
der Vorgang mit der Einstellung des Verfahrens bzw. der
Nichteröffnung des Hauptverfahrens abgeschlossen ist
und die Löschung vorgenommen wird.
Wir kommen zur Frage 7 der Kollegin Pau:
Wer entscheidet nach welchen Richtlinien über die Löschung der Daten aus der Datei Gewalttäter Sport?
Nach § 11 Abs. 3 Bundeskriminalamtgesetz entscheidet hierüber die Polizeidienststelle, die die Daten gespeichert hat, als sogenannter Datenbesitzer. Grundlage für
die Entscheidung sind insbesondere § 8 und § 32 des
Bundeskriminalamtgesetzes.
Nachfrage?
Ja. - Herr Staatssekretär, wenn Daten aus der Datei
Gewalttäter Sport gelöscht werden, bedeutet dies automatisch, dass diese Löschmitteilung auch an die mit ihr
verbundenen Dateien geht? Das heißt, können die betroffenen Personen sicher sein, dass ihre Daten auch aus
diesen Dateien, wenn sie im Zusammenhang mit der Erfassung in der Datei Gewalttäter Sport aufgenommen
wurden, gelöscht werden?
Sofern es sich um nachgeordnete Dateien der Datei
Gewalttäter Sport handelt, ist die Löschung vollständig.
Weitere Nachfrage?
Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, dann interessiert mich zweitens noch, mit welchen Dateien von
Bund und Ländern diese Gewalttäterdatei verbunden ist
und ob Sie es für korrekt im Sinne der Zweckbindung
der Erhebung dieser Daten halten, dass Personen, welche
aus anderen Gründen in Polizeikontrollen kommen, sei
es eine Verkehrskontrolle, sei es eine Grenzkontrolle anlässlich einer Ausreise für einen Urlaub, also nicht wegen einer Sportveranstaltung, wiederum in diesen Dateien mit einer sogenannten Treffermeldung registriert
werden?
Ich habe die Rechtsgrundlagen bereits erwähnt, auf
denen die Aufnahme in die Datei Gewalttäter Sport
oder in entsprechende Dateien vorgenommen wird. Ich
will Sie darauf aufmerksam machen, dass sich die Datei
Gewalttäter Sport gerade bei sportlichen Großereignissen, wie wir sie im Jahr 2006 mit der Fußballweltmeisterschaft hatten, außerordentlich bewährt hat und
dass sich nicht von ungefähr jetzt im Vorfeld der Europameisterschaft die Schweiz und Österreich als Austragungsstaaten sehr um die Sicherheitspartnerschaften mit
der Bundesrepublik Deutschland bemühen, weil auf diesem Wege präventiv gewaltsame Ausschreitungen bei
Sportgroßveranstaltungen verhindert werden konnten.
Vor diesem Hintergrund ist mir nicht ganz klar, worauf
sich Ihre Frage mit der sogenannten Trefferregistrierung
bezieht. Ich will dem gern nachgehen, aber mir ist der
Bezugspunkt Ihrer Frage nicht klar.
({0})
Wir kommen zur Frage 8 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu treffen, um die zu erwartenden und laut Süddeutsche Zeitung vom
26. Mai 2008 ihr bekannten Probleme bei der Schulung von
Lehrerinnen und Lehrern an Volkshochschulen zu beheben,
die ab dem 1. September 2008 Interessierten Einbürgerungskurse anbieten werden, jedoch aufgrund der Planung von
Schulferien und des Nichtvorliegens der 300 möglichen Fragen für Einbürgerungstests in Vorbereitungsschwierigkeiten
geraten sind?
Frau Dağdelen, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung zu eigenen Maßnahmen hinsichtlich der auf Länderebene anzubietenden Einbürgerungskurse. Das für deren inhaltliche
Vorbereitung erforderliche Curriculum ist den zuständigen Länderverwaltungen seit Juni 2007 bekannt. Die
Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder hatte am 31. Mai/1. Juni 2007 in Berlin mit
dem Konzept Bundeseinheitliche Standards für das
Einbürgerungsverfahren auch die darin angelegte Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern gebilligt. Danach sorgt der Bund zum 1. September 2008 für einen
validen bundeseinheitlichen Einbürgerungstest. Dieser
kann unabhängig vom Besuch eines Einbürgerungskurses abgelegt werden. Der Bund bietet den Ländern außerdem für die technische Durchführung die Infrastruktur des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge an.
Die Länder sorgen ihrerseits dafür, dass auf der Basis
des oben genannten IMK-Beschlusses solche vorbereitenden Einbürgerungskurse angeboten werden. Die Teilnahme an solchen Kursen ist freiwillig.
Der Bundesregierung erschließt sich nicht, weshalb
von den Ländern mit der Planung ihrer Einbürgerungskurse betraute Anbieter, zum Beispiel Volkshochschulen, nicht in der Lage sein sollten, anhand eines ausforParl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
mulierten konkreten Curriculums den Lehrstoff für einen
60-Stunden-Kurs aufzubereiten und ab September 2008
Einbürgerungskurse anzubieten.
Ergänzend ist anzumerken, dass ein Großteil der Anbieter bereits im Auftrag des Bundesamts für Migration
und Flüchtlinge in dessen Integrationskursen erfolgreich
sogenannte Orientierungskurse von 45 Stunden zur gleichen Thematik durchführt. Einbürgerungskurse gezielt
nur auf die richtige Beantwortung prüfungsrelevanter
Multiple-Choice-Fragen auszurichten, liefe der Intention
des obengenannten IMK-Beschlusses entgegen, da dabei
auch staatsbürgerliches Verständniswissen und länderbezogene Kenntnisse zu vermitteln sind.
Nachfrage, Kollegin Dağdelen?
Ja. - Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass die
Bundesregierung davon ausgeht, dass die Volkshochschulen dafür verantwortlich sind, für an Einbürgerung
Interessierte 60-Stunden-Kurse anzubieten. Ich komme
aus Nordrhein-Westfalen, aus Bochum. Ende Juni beginnen dort die Sommerferien. Der Landesvorsitzende des
Volkshochschulverbandes in Nordrhein-Westfalen sagt,
dass nicht damit zu rechnen ist, dass die Lehrerinnen und
Lehrer, die dafür abgestellt werden, sich vorbereiten
können, weil ihnen die Fragen bisher noch nicht vorliegen. Ich möchte Sie gerne fragen: Wann gedenkt die
Bundesregierung den Lehrerinnen und Lehrern die betreffenden Fragen vorzulegen, damit sie sich auf diese
Kurse dementsprechend vorbereiten können, damit es ab
1. September nicht dazu kommt, dass Interessierte nur
deswegen daran gehindert werden, Einbürgerungsanträge zu stellen, weil es zeitlich nicht angemessen vorbereitet wurde?
Frau Kollegin Dağdelen, ich glaube, Ihre Fragestellung enthält zwei Missverständnisse.
Erstes Missverständnis. Sie fragen nach der Verantwortung der Bundesregierung. Ich darf noch einmal sagen: Der IMK-Beschluss, den ich bereits zitiert habe,
sieht insoweit eine Arbeitsteilung vor, als der Bund für
einen einheitlichen Einbürgerungstest und die Länder für
die darauf vorbereitenden Einbürgerungskurse sorgen.
Das heißt, die Gestaltung der Kursverantwortung liegt
bei den Ländern.
Zweites Missverständnis. Der Bund hat nicht die Aufgabe, diese Einbürgerungskurse als Vorbereitung auf ein
Multiple-Choice-Fragenraster durchzuführen - auch das
habe ich in der Beantwortung der Frage zum Ausdruck
zu bringen versucht -; vielmehr entwickelt der Bund ein
Rahmencurriculum. Das hat er in einem recht aufwändigen Verfahren in einer Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz, also unter Beteiligung der Länder, erarbeitet.
Nach diesem Rahmencurriculum sind entsprechende
Bildungsangebote vorzunehmen. Dieses Rahmencurriculum liegt seit langem vor. Auf dieser Basis können
Kurse gestaltet werden.
Im Übrigen gibt es - darauf habe ich auch in der Antwort aufmerksam gemacht - enge Beziehungen zu den
Orientierungskursen nach der Integrationskursverordnung. In dieser Hinsicht kann man auf didaktischen und
inhaltlichen Erfahrungen vorhandener Träger aufbauen.
Zweite Nachfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, eigentlich hätte ich
mehrere Nachfragen. Leider muss ich diese Problematik
in einer einzigen weiteren Nachfrage zusammenfassen.
Sie sagen, dass Sie für das einheitliche Testverfahren
und die Länder für die darauf vorbereitenden Einbürgerungskurse zuständig sind.
Dem IMK-Beschluss gingen der Gesinnungstest in
Baden-Württemberg und der Wer wird Millionär?-Fragebogen in Hessen voran. Die Situation war folgendermaßen: In 16 Bundesländern hatte man verschiedene
Einbürgerungsverfahren; deshalb wollte man eine bundeseinheitliche Regelung. Inwieweit wird gewährleistet,
dass die Kurse, deren Durchführung in der Länderverantwortung liegt, dem vom Bund vorgegebenen Curriculum entsprechen, damit man das, was vorher geschehen
war - zum Beispiel ein Rückgang der Anzahl der Einbürgerungen seit Inkrafttreten des Gesinnungstests in
Baden-Württemberg -, vermeidet?
Frau Kollegin Dağdelen, es wird Sie nicht überraschen, dass ich den Begriff Gesinnungstest in diesem
Zusammenhang zurückweise. Er entspricht jedenfalls
nicht meiner Einschätzung. Es hat in der Vergangenheit
unterschiedliche Versuche der Länder gegeben, als Voraussetzung für eine Einbürgerung gewissermaßen die
Verbundenheit mit dem Gemeinwesen der Bundesrepublik Deutschland zum Gegenstand einer Prüfung oder eines Tests zu machen, was von allen Beteiligten als sinnvoll betrachtet wurde. Es hat sich als vorteilhaft
herausgestellt, diesen Test bundeseinheitlich durchzuführen, um problematische Unterschiede zwischen den
Bundesländern auszuschalten.
Daher hat man sich mit den Ländern darauf verständigt, dass der Bund für ein einheitliches Rahmencurriculum sorgt und dass nach diesem Rahmencurriculum von
denjenigen, die dies für notwendig halten, entsprechende
Angebote gemacht werden können.
Insoweit ist dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit
Genüge getan. Aufgrund der Einheitlichkeit des Pools an
Prüfungsfragen ist auch sichergestellt, dass Einbürgerungstests innerhalb der Bundesländer nach einem vergleichbaren Verfahren vorgenommen werden.
Jetzt gibt es noch eine Frage der Kollegin Kornelia
Möller.
Ich möchte noch einmal nachfragen, um auch ganz sicher zu sein. Ihren Antworten habe ich entnommen, dass
es - anders als in der Süddeutschen Zeitung dargestellt kein Multiple-Choice-Verfahren geben wird.
Doch, es gibt ein Multiple-Choice-Verfahren. Der
Sinn eines vorbereitenden Kurses ist aber nicht, die Fragen gewissermaßen vorher abzutesten. Ein Vorbereitungskurs, dessen Besuch ja freiwillig ist, hat den Sinn,
demjenigen, der dies wahrnehmen will, die Gelegenheit
zu geben, sich mit dem Gemeinwesen und dem Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland vertraut zu machen. Dieser Kurs befähigt auch dazu, anschließend in
einem Multiple-Choice-Verfahren entsprechende Fragen zu beantworten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Nun kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Dagmar Wöhrl zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Rainder Steenblock
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung den Bericht des polnischen Abgeordneten Marcin Libicki, der am 27. Mai 2008
vom Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments angenommen wurde, und inwieweit folgt sie der Auffassung des
Petitionsausschusses, die geplante Ostseepipeline sei eine
ernsthafte Umweltbedrohung und ein alternativer Routenverlauf sei notwendig - insbesondere vor dem Hintergrund,
dass die Betreibergesellschaft Nord Stream angekündigt hat,
in Kürze einen Antrag auf Baugenehmigung bei der Bundesregierung zu stellen?
Vielen Dank. - Herr Kollege Steenblock, ich beantworte die Frage wie folgt: Der Bundesregierung ist der
vom Petitionsausschuss des Europäischen Parlaments
vorgelegte Bericht zu den Umweltauswirkungen der geplanten Ostseepipeline zwischen Russland und Deutschland bekannt. Nach Kenntnis der Bundesregierung wird
das Plenum des Europäischen Parlaments über den endgültigen Bericht erst im Juli 2008 beschließen. Der Beschluss wird zur Kenntnis genommen werden.
Erste Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, die in diesem Bericht genannten Umweltgefährdungen beziehen sich zu einem wesentlichen Teil auch auf die Munitionsaltlasten in der
Ostsee. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind dort ungefähr
100 000 Tonnen Munition versenkt worden. Die Trasse
der Ostseepipeline führt an ganz vielen Stellen durch die
Risikozonen dieser Munitionsaltlastengebiete.
Allerdings besteht das Problem, dass die USA und
Großbritannien sich bisher weigern, sämtliche Munitionsverklappungsgebiete zu veröffentlichen. Das ist ein
Risiko für diese - ja auch von der Bundesregierung unterstützte - Pipeline.
Deshalb frage ich Sie: Was wird die Bundesregierung
unternehmen, um auf die USA und Großbritannien
einzuwirken, diese Verklappungsgebiete für Munitionsaltlasten vollständig zu veröffentlichen, und sicherzustellen, dass diese Pipeline nicht durch Munitionsaltlastengebiete verläuft?
Herr Kollege Steenblock, die Umweltaspekte sind im
nationalen wie im völkerrechtlich festgelegten Verfahren
zu prüfen. Die Nord Stream AG ist natürlich verpflichtet, die entsprechenden Vorgaben strikt einzuhalten. lm
Rahmen der Überprüfungen im nationalen Genehmigungsverfahren wie im völkerrechtlichen Genehmigungsverfahren wie nach der Espoo-Konvention wird es
wichtige Erkenntnisse geben. In diesem Zusammenhang
sind ebenfalls wichtige Erkenntnisse zum Ökosystem zu
erwarten - gerade auch im Hinblick auf den Umgang mit
den in der Ostsee versenkten Munitionsaltlasten, die Sie
angesprochen haben. Diese Fragen werden im laufenden
Genehmigungsverfahren zu prüfen sein.
Zweite Nachfrage.
Meine Frage bezog sich allerdings in erster Linie darauf, was Sie tun, damit die USA und Großbritannien
diese Gebiete veröffentlichen.
Lassen Sie mich aber, weil Sie ja das Wirtschaftsministerium vertreten, eine zweite Frage stellen.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Matthias Kurth, und
der Direktor bei der EU-Generaldirektion Energie und
Verkehr, Herr Hilbrecht, fordern einen freien Zugang
Dritter zu den beiden Zuleitungen zur Ostseepipeline,
also OPAL und NEL. Sie stimmen mit mir sicherlich darin überein, dass auch für diese Pipeline das europäische
Wettbewerbsrecht gilt und die Regeln des Binnenmarktes einzuhalten sind. Deshalb frage ich Sie: Wie will die
Bundesregierung den freien Zugang zur geplanten Pipeline für unabhängige Gasversorger sicherstellen, und in
welcher Form wird die Bundesregierung die Einhaltung
dieser EU-Wettbewerbsregelung zur Bedingung machen,
wenn sie demnächst über den Bauantrag entscheidet?
Wie Sie wissen, Herr Kollege - Sie sind ja europapolitischer Sprecher Ihrer Fraktion -, ist dies nicht ein Projekt eines einzelnen Staates, sondern ein Projekt vieler
Staaten und als ein Vorhaben bei den transeuropäischen
Netzen ausgewiesen. In dem Rahmen werden auch diese
Fragen zu überprüfen sein.
Wir kommen zur Frage 10 der Kollegin Sevim
Dağdelen:
Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung bezüglich des in der Presse gemeldeten Vergleichs ({0}) zwischen dem Handyhersteller Nokia und der
nordrhein-westfälischen Landesregierung, die von ihrer Forderung nach Rückzahlung der gezahlten Subventionen inklusive Zinsen in Höhe von circa 60 Millionen Euro für das Werk
in Bochum abgerückt sei und eine Einigung mit Nokia über
die Rückzahlung von lediglich 30 Millionen Euro erzielt
habe, sofern die Bundesregierung diesem Vergleich zustimme?
Frau Kollegin Dağdelen, die Antwort lautet wie folgt:
Die in der Presse vermeldeten Informationen sind unzutreffend. Der Bundeswirtschaftsminister würde eine
Einigung zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und
Nokia grundsätzlich begrüßen, erwartet nach Abschluss
der Verhandlungen die Vorlage des Ergebnisses bezüglich der davon betroffenen Bundesmittel und würde im
Rahmen des rechtlich Möglichen an einer konstruktiven
Lösung mitwirken.
Bitte schön, eine Nachfrage.
Liebe Frau Wöhrl, hat die Bundesregierung oder das
Bundeswirtschaftsministerium Kenntnis vom Stand der
Verhandlungen, und inwieweit unterstützt die Bundesregierung die Überlegung, die Subventionsrückzahlung
von Nokia als Verhandlungssache anzugehen?
Wir vom Ministerium haben Kenntnis davon: Es sind
Vergleichsverhandlungen im Gange. Man versucht, sich
außergerichtlich zu einigen. Es ist noch keine Einigung
erzielt worden; es ist also noch kein Vergleich zustande
gekommen. Die Vergleichsverhandlungen sind noch
nicht abgeschlossen. Sobald die Verhandlungen abgeschlossen sind und es zu einem Vergleich gekommen ist,
wird die Bundesregierung auf der Basis dieses Vergleichs nach Recht und Gesetz prüfen, wie wir uns an
dem Verfahren weiter beteiligen.
Noch eine Nachfrage?
Ja, Herr Präsident. - Nach Recht und Gesetz zu prü-
fen, ist sehr begrüßenswert, vor allen Dingen vor dem
Hintergrund, dass die Subventionszahlungen von Bund
und Land 83 Millionen Euro betragen haben und die
Rückzahlungsforderung der Landesregierung Nord-
rhein-Westfalen bzw. des Wirtschaftsministeriums dort
in Höhe von 60 Millionen Euro nach den Pressemeldun-
gen, die Sie als unzutreffend bezeichnet haben, auf
30 Millionen Euro reduziert worden ist. Wie will denn
die Bundesregierung die öffentlichen Gelder - die Sub-
ventionen sind aus öffentlichem Eigentum bezahlt wor-
den - in voller Höhe zurückholen?
Wenn ich sozusagen noch eine zweite Halbfrage stel-
len darf: Mich würde auch interessieren, ob die Bundes-
regierung gedenkt, auf der Grundlage dieser Erfahrun-
gen mit Nokia in Bochum die Vergabebedingungen für
Subventionen noch einmal zu überprüfen oder zu verän-
dern. Denn nur mit der Schließung des Werks von Nokia
ist ja an die Bildoberfläche gekommen, dass nicht ge-
prüft worden ist, dass Auflagen nicht eingehalten wor-
den sind usw. usf.
Frau Kollegin Dağdelen, da Sie sich mit diesem Vor-
gang beschäftigt haben, wissen Sie auch, dass es sich
hierbei um GA-Fördermittel handelt. Bei GA-Fördermit-
teln entscheiden die Länder über den Einsatz. Ihnen ob-
liegt auch die Kontrolle, die Überwachung. So wird es
beim Einsatz von GA-Mitteln, die von der Bundesregie-
rung nachher aufgestockt werden, in Zukunft weiter
sein.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Die Fragen 11 bis 16 sollen schriftlich beantwortet
werden.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Ministeri-
ums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beant-
wortung steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Karin Roth zur Verfügung.
Es gibt eine ganze Reihe von Fragen zum Donauaus-
bau zwischen Straubing und Vilshofen. Ich rufe zunächst
die Frage 17 der Kollegin Eva Bulling-Schröter auf:
Wie bewertet die Bundesregierung angesichts des gelten-
den Bundestagsbeschlusses zum Donauausbau zwischen
Straubing und Vilshofen vom 7. Juni 2002, welcher einzig ei-
nen staustufenlosen Ausbau des Flusses durch die sogenannte
Ausbauvariante A vorsieht, folgende Aktivitäten des Freistaa-
tes Bayern: a) dass im Raumordnungsverfahren zum Donau-
ausbau auf Wunsch der Bayerischen Staatsregierung auch die
Varianten C/C 2,80 mit einer Staustufe und D 2 mit drei Stau-
stufen untersucht wurden, b) dass durch die Regierung Nieder-
bayern nach Abschluss des Verfahrens die Variante C/C 2,80
empfohlen wurde, wobei im Verfahren die Bundesanstalt für
Gewässerkunde, BfG, und die Bundesanstalt für Wasserbau,
BAW, als Prüfungsinstanzen beteiligt wurden?
Herr Präsident! Liebe Kollegin, ich beantworte Ihnen
Frage 17 gemäß den beiden Teilen wie folgt:
Ich beginne mit a): Das Raumordnungsverfahren un-
tersteht dem Landesrecht. Die Aussage, dass die
Bundesanstalt für Wasserbau und die Bundesanstalt für
Gewässerkunde beim Raumordnungsverfahren als Prü-
fungsinstanzen beteiligt wurden, ist nicht zutreffend.
Jetzt zu b): Die landesplanerische Beurteilung der Regierung von Niederbayern kommt zu dem Ergebnis, dass
nur die Variante C/C 2,80, das heißt ein Ausbau mit
flussregelnden Maßnahmen durch eine Staustufe, den
Erfordernissen der Raumordnung entspricht. Die Bundesregierung hat diese Einschätzung der Regierung von
Niederbayern nicht zu bewerten. Sie ist für ein künftiges
Planfeststellungsverfahren rechtlich nicht verbindlich.
Nachfrage?
Ja. - Frau Staatssekretärin, wie bewerten Sie denn die
Aktivitäten in Niederbayern? Der Bundestag hatte ja im
Jahre 2002 mit einer großen Mehrheit beschlossen, beim
Donauausbau die Variante A zu realisieren. Hier liegt ja
ein Widerspruch zu der Auffassung der Regierung von
Niederbayern vor. Wie bewerten Sie das?
Herr Präsident! Frau Kollegin, es ist so, dass das Land
Bayern, in dem Fall die Regierung von Niederbayern,
unabhängig vom Bund aktiv geworden ist. Das ist möglich, aber das spielt zur Beurteilung von unserer Seite
keine Rolle.
Zweite Nachfrage? - Nein.
Wir kommen zur Frage 18, ebenfalls von der Kollegin
Bulling-Schröter:
Wie bewertet die Bundesregierung angesichts des geltenden Bundestagsbeschlusses zum Donauausbau zwischen
Straubing und Vilshofen vom 7. Juni 2002, welcher einzig einen staustufenlosen Ausbau des Flusses vorsieht, die Tatsache, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee, im Juli 2007 einen
Förderantrag der Rhein-Main-Donau Wasserstraßen GmbH,
RMD, für eine variantenunabhängige Untersuchung des Ausbaus der Donau in diesem Abschnitt an die Europäische Kommission stellte, welche laut Bundesministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung Kosten von 33 Millionen Euro verursachen wird, obwohl die Bundesregierung aufgrund des
Bundestagsbeschlusses ausschließlich als Bauherr für die
Variante A zur Verfügung stehen kann?
Meine Antwort lautet wie folgt: Bundesverkehrsminister Tiefensee hat das Anliegen des Ausschusses für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung des Deutschen Bundestages unterstützt, einen Antrag auf Beteiligung an
den Planungskosten zum Donauausbau zwischen Straubing und Vilshofen bei der Europäischen Kommission
zu stellen. Diesen Antrag hat das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung am 20. Juli 2007 bei
der Kommission eingereicht. Mit den Ergebnissen der
Studie wollen Bund und Bayern die Entscheidung zum
Donauausbau wissenschaftlich untermauern und Voraussetzungen zur Beantragung eines Planfeststellungsverfahrens schaffen.
Nachfrage?
Ja. - Der Abschnitt zwischen Straubing und Vilshofen
wurde ja schon sehr oft untersucht. Es ist jetzt nicht das
erste Mal. Sie wissen sicherlich besser, wie oft er schon
untersucht wurde. Der gesamte Ausbau nach der
Variante A ohne Hochwasserschutz kostet 126 Millionen
Euro. Hierzu gibt es einen entsprechenden Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 2002. Jetzt soll noch ein Gutachten, und zwar ein variantenunabhängiges Gutachten,
erstellt werden, das 33 Millionen Euro kosten wird. Halten Sie diesen enormen Kostenaufwand gegenüber dem
Steuerzahler für vertretbar? Es geht immerhin um
33 Millionen Euro.
Herr Präsident! Liebe Kollegin, wir halten dies für
vertretbar, vor allen Dingen auch aufgrund des Beschlusses des Verkehrsausschusses. Insofern, glaube ich, kommen wir in der Sache nur weiter, wenn wir so verfahren.
Zweite Nachfrage?
Dem Verkehrsministerium ist ein Schreiben des damaligen bayerischen Umweltministers Werner Schnappauf
vom 2. Dezember 2004 bekannt, aus dem sich ergibt,
dass der Vorstand der Rhein-Main-Donau AG, Thomas
Barth, in Brandbriefen an die Minister Schnappauf,
Wiesheu und Huber und an die Staatskanzlei darum gebeten hat, die vorläufige Einstufung von Oberflächenwasserkörpern nach der europäischen Wasserrahmenrichtlinie beim Donauabschnitt Straubing-Vilshofen
- darüber sprechen wir ja gerade - so vorzunehmen, dass
sie dem Staustufenausbau dieses Abschnitts nicht entgegensteht. Der Abschnitt solle entgegen der tatsächlichen
Ausprägung nicht als natürliches Gewässer, sondern
als erheblich verändert ausgewiesen werden, um so
die geplanten Staustufen schon vorwegzunehmen.
Diesem Wunsch wurde natürlich prompt entsprochen.
Ich möchte gerne von Ihnen wissen, ob diese Vorgaben
mit den Aufgaben eines neutralen Planungsbüros in Einklang stehen.
Liebe Kollegin, bei der Frage des Donauausbaus geht
es ja um verschiedene Varianten. Nur das ist von unserer
Seite zu bewerten. Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass
die variantenunabhängige Untersuchung für uns alle ein
wichtiger Schritt ist, um zu klären - das ist bisher nicht
geschehen -, welche Varianten die besseren sind. Dazu
dienen die vorhandenen Untersuchungen, weitere müssen aber angestellt werden. Aufgrund der so gewonnenen Ergebnisse können wir dann zu Entscheidungen
kommen. Was in 2004 gemacht worden ist, ist für diese
Frage nicht relevant.
Ich habe eine Reihe von weiteren Fragen, zunächst
von der Kollegin Brunhilde Irber.
Frau Kollegin, Sie gestatten eine Nachfrage. Sie haben in der Beantwortung der ersten Frage von Frau
Bulling-Schröter gesagt, dass die Variante C/C 2,80, die
das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens der Regierung von Niederbayern ist, vom Bund nicht bewertet
wird. Heißt das, dass Sie dieses Ergebnis des Raumordnungsverfahrens auch in den weiteren Planungen nicht
berücksichtigen, und wird diese Variante in den angesprochenen Untersuchungen, die jetzt über die EU finanziert werden sollen, überhaupt weiterverfolgt?
Liebe Kollegin Irber, es gibt sehr viele Untersuchungen zur Donau, darunter das Raumordnungsverfahren
von Niederbayern. Wir werden natürlich alles berücksichtigen. Aber für die Frage, ob und in welcher Weise
ausgebaut wird, ist entscheidend, dass wir die variantenunabhängige Untersuchung machen. Sonst bräuchten
wir die Untersuchung nicht einzuleiten.
Insofern sind wir jetzt, glaube ich, einen Schritt weiter. Variantenunabhängig heißt, alles zu untersuchen,
um zu einem Ergebnis zu kommen, das vielleicht von
den bisherigen Varianten abweicht.
Die nächste Frage kommt von dem Kollegen Horst
Meierhofer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, Sie müssten
jetzt die variantenunabhängige Bewertung durchführen
bzw. die verschiedenen Varianten untersuchen, um sie
dann bewerten zu können. Aufgrund welches Auftrages
an das Verkehrsministerium oder an die Bundesregierung geschieht das? Soweit ich weiß, ist der letztgültige
Beschluss noch derjenige, dass man die Variante A ohne
Staustufen prüft. Deswegen weiß ich jetzt nicht, aus welchem Grund Sie das tun. Die wissenschaftliche Untermauerung, die Sie vorher angesprochen haben, scheint
nicht unbedingt der Grund sein zu müssen; denn an dieser Stelle der Donau hat sich aus meiner Sicht nichts geändert. Oder sehen Sie das anders?
Herr Kollege Meierhofer, ich habe in der Antwort auf
die Frage deutlich gemacht, dass es einen Beschluss des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
vom 4. Juli 2007 zu dieser Frage gibt. Diesen betrachten
wir als Arbeitsauftrag des Ausschusses, den wir annehmen. Aufgrund dessen leiten wir das Verfahren ein. Auf
der Grundlage dieses Beschlusses hat die Bundesregierung auch bei der Europäischen Kommission die Planungsmittel beantragt.
Die nächste Frage geht an den Kollegen Dr. Anton
Hofreiter.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, ist Ihnen das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes bekannt, in dem festgehalten wird,
dass der Bund der alleinige Bauherr ist, und ist Ihnen
bekannt, dass es einen entsprechenden Bundestagsbeschluss gibt? Es ist daher vollkommen irrelevant, was
der Verkehrsausschuss beschlossen hat, weil das Plenum
des Deutschen Bundestages einen Beschluss gefasst hat.
Außerdem kann man nicht von einem Beschluss des Verkehrsausschusses sprechen. Es gab vielmehr eine Bitte
der Frau Abgeordneten Blank und des Herrn Abgeordneten Scheuer.
Ist Ihnen also bekannt, dass es dieses Gutachten gibt
und einen Ihrem Handeln widersprechenden gültigen
Beschluss des Bundestages?
Herr Dr. Hofreiter, es gibt einen Beschluss des Bundestages zum Ausbau bezogen auf die Variante A. Wir
veranlassen jetzt eine variantenunabhängige Untersuchung, bei der das Ergebnis offen ist. Insofern handelt
die Bundesregierung nicht gegen den Beschluss des
Bundestages. Der Bundestagsbeschluss bleibt vielmehr
bestehen. Aber die weitere Untersuchung wird Näheres
zeigen. Sie ist also zur Erhellung des Tatbestandes sicherlich vernünftig.
Danke schön. - Nun eine Frage des Kollegen
Dr. Andreas Scheuer.
Frau Staatssekretärin, ich will mich zunächst beim
Kollegen Hofreiter bedanken. Aber ich muss schon sagen, dass es sich eher um eine Entscheidung des Verkehrsministers gehandelt hat, da er die verkehrspolitische Relevanz der Donau erkannt und damit die
Variantenunabhängigkeit in die Diskussion gebracht hat.
Frau Staatssekretärin, vielleicht könnten Sie ganz
kurz Auskunft geben, was den Begriff der Variantenunabhängigkeit betrifft. Die Verkehrspolitiker und das Verkehrsministerium machen sich sehr stark Gedanken, wie
ein Ausbau aufgrund der verkehrspolitischen Relevanz
der Donau unter Beachtung aller ökologischen Schutzmaßnahmen durchgeführt werden kann. Wir haben ein
Moderationsverfahren innerhalb der Europäischen
Union angestoßen. Die Kollegin Irber weiß, dass die auf
EU-Ebene zuständige Moderatorin in die Region eingeladen wurde. Können Sie bestätigen, dass durch die variantenunabhängige Untersuchung sichergestellt ist, dass
wir die Durchführungen aller ökologischen Schutzmaßnahmen anstreben und entsprechende Überlegungen anstellen?
Herr Kollege Dr. Scheuer, wir würden eine variantenunabhängige Prüfung nicht vornehmen, wenn wir nicht
der Auffassung wären, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, um zu prüfen, inwieweit die ökologischen
Belange bei der Donau zu berücksichtigen sind. Wir haben zwar schon sehr viele Gutachten. Aber auch Sie wissen, dass wir eine Einigung mit dem Freistaat Bayern
brauchen. Es geht von unserer Seite daher auch darum,
im Rahmen der variantenunabhängigen Untersuchung
gute Argumente für eine Ausbauvariante zu erhalten, die
nicht unbedingt diejenige Variante sein muss, die beispielsweise das Land Bayern oder in diesem Fall die Regierung von Niederbayern vorschlägt.
Danke. - Die nächste Frage geht an die Kollegin
Brunhilde Irber.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ich muss noch einmal nachfassen. Der Bundestagsbeschluss aus dem Jahre 2002 sah ausdrücklich vor, dass
die Variante A vom Bund weiter verfolgt werden soll.
Das impliziert, dass andere Varianten nicht weiter verfolgt werden sollen oder dürfen.
({0})
Deshalb frage ich Sie, wieso eine Variante, die vom
Freistaat Bayern als Ergebnis des Raumordnungsverfahrens ins Gespräch gebracht wurde, nun weiter geprüft
werden soll. Wie ist das mit dem bestehenden Bundestagsbeschluss vereinbar?
Liebe Kollegin Irber, genau das ist nicht der Fall; das
habe ich gerade deutlich gemacht. Eine variantenunabhängige Untersuchung heißt auch, dass sie unabhängig
von den Empfehlungen des Landes Bayern ist. Es geht
darum, eine Lösung unter Einbeziehung des Bundestagsbeschlusses zu finden, um dann die ökologischen Maßnahmen so zu organisieren, dass am Ende eine Möglichkeit für den Ausbau der Donau besteht.
Wir haben jetzt eine Frage des Kollegen Ernst
Hinsken.
Verehrte Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, zur
Kenntnis zu nehmen, dass ich die Verfahrensweise, die
die Bundesregierung momentan im Rahmen des Donauausbaus gewählt hat, voll und ganz unterstütze und für
die einzig richtige, vernünftige Verfahrensweise halte?
Zweitens. Ich möchte darauf verweisen - ({0})
Das war keine Frage, sondern eine Feststellung.
({0})
Nein, das war ein Eingangssatz.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bewusst, dass im Rahmen der Variante C/C 2,80 täglich 840 20-Tonnen-Lkws
weniger auf der Autobahn fahren würden und deren Ladung auf die Binnenwasserstraße Donau verfrachtet werden könnte und dass bei der Variante A nur eine Reduzierung um 220 Lkws erfolgen würde und umgekehrt die
Straßen zusätzlich belastet würden? Darüber hinaus
muss ich darauf verweisen
({0})
- ich bitte, nicht gestört zu werden; auch ich habe Sie reden lassen -, dass die Donau bei Variante C/C 2,80 an
290 Tagen nutzbar ist, während sie bei Variante A nur an
155 Tagen nutzbar ist, und dass sich - das ist das Letzte
in diesem Zusammenhang - zum Beispiel an den Uferstreifen zwischen Aicha und Straubing überhaupt nichts,
also weder durch eine Buhne noch durch sonst etwas,
ändert. Das, was die Variante C/C 2,80 beinhaltet, ist
also als umweltfreundlichste Lösung anzusehen.
({1})
Ich versuche, das zu beantworten, Herr Kollege
Hinsken: Als Grundlage dafür, was am Ende im Ministerium entschieden und dann dem Bundestag vorgelegt
wird, haben wir eine variantenunabhängige Untersuchung eingeleitet. Dieses Verfahren haben wir bei der
Europäischen Kommission angemeldet. Wir gehen davon aus, dass die Europäische Kommission die entsprechenden Mittel bereitstellt. Sie hat es schon beschlossen;
aber das Europäische Parlament muss noch zustimmen.
So sieht das Verfahren zurzeit aus. Wir sind im Moment
in der Situation, dass wir noch nicht handeln können,
weil wir noch nicht das Go vonseiten des Parlaments haben.
Die verkehrliche Seite ist das eine; es geht aber auch
um ökologische Fragen und um Fragen des Klimawandels, die wir berücksichtigen müssen. Da sind neue Aspekte aufgetaucht. Deshalb sind wir der Auffassung,
dass zusätzliche Untersuchungen notwendig sind, um
vor dem Hintergrund der Umweltverträglichkeit eine
entsprechende Variante vorzuschlagen. Wenn wir uns für
eine andere Variante als die, die im Bundestagsbeschluss
vorgesehen ist, entscheiden würden, müsste der Bundestag damit befasst werden. Aber das ist offen.
Es ist noch eine ganze Reihe von Fragen zu diesem
Komplex gestellt worden, die anschließend aufgerufen
werden. Deswegen und weil wir keine Zeit mehr haben,
lasse ich als letzte Zusatzfrage die von Frau Kotting-Uhl
zu. Denn ansonsten haben die anderen Fragesteller, die
sich auf die Fragestunde vorbereitet haben, keine
Chance mehr, zu Wort zu kommen. Ich bitte also darum,
keine Zusatzfragen mehr zu stellen. Wir werden in der
vorgesehenen Reihenfolge fortfahren.
Frau Kotting-Uhl, bitte.
Danke schön, Herr Präsident. Es ist ja unser aller Zeit,
die beansprucht wird.
Ich muss sagen, dass ich als Mitglied des Umweltausschusses, in dem ich einen anderen Umgang mit Beschlüssen des Bundestages gewohnt bin, etwas irritiert
bin. Ich möchte Sie fragen, ob dies im Verkehrsministerium die übliche Art ist, mit Bundestagsbeschlüssen umzugehen.
Herr Präsident! Liebe Kollegin, Sie gehen davon aus,
dass der Bundestagsbeschluss für uns nicht maßgebend
ist. Das ist falsch. Wir gehen mit dem Bundestagsbeschluss so um, wie es sein muss. Er ist für uns Grundlage. Er wurde von unserer Seite auch nicht verändert.
Wir brauchen aber zusätzliche variantenunabhängige
Untersuchungen. Diese werden jetzt eingeleitet. Am
Ende wird ein Ergebnis stehen, mit dem sich der Bundestag befassen wird. Das Ergebnis ist offen. Sie können
der Bundesregierung nicht unterstellen, dass sie den
Auftrag des Verkehrsausschusses nicht umsetzt.
({0})
Sie setzt diesen Beschluss um, aber das Ergebnis ist offen. Wir halten den Bundestagsbeschluss ein.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Brunhilde Irber
auf:
Hält die Bundesregierung die Rhein-Main-Donau-Gesellschaft, RMD, ein 100-prozentiges Tochterunternehmen der
RMD AG, die sich über ihre Gesellschafter Eon, LEW und
EnBW vollständig im Besitz privater Stromversorger und
Wasserkraftwerksbetreiber befindet und die zudem das Konzessionsrecht für die Stromnutzung an Staustufen der Donau
zwischen Straubing und Vilshofen besitzt, für geeignet, wesentliche Dienstleistungen - Koordination, Erstellung des Untersuchungsprogramms, Betreuung der geplanten Vorgaben für die sogenannte variantenunabhängige Untersuchung einer
staustufenfreien und einer staugestützten Ausbauvariante der
Donau im erwähnten Abschnitt zu erbringen?
Ihre beiden Fragen betreffen die RMD, die RheinMain-Donau-Gesellschaft. Ich möchte beide Fragen zusammen beantworten.
Dann rufe ich die Frage 20 der Abgeordneten Irber
auf:
Hält es die Bundesregierung für angemessen, dass das
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nicht an der Entscheidung über die Vergabe der Koordination der sogenannten variantenunabhängigen Untersuchung im Zusammenhang mit dem Donauausbau an die RMD
beteiligt war, das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung also darüber allein entschieden hat, und warum wurde oder hat sich das Bundesministerium für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit angesichts der Tatsache,
dass die Untersuchungen Teil der Vorarbeiten zur FFH-Verträglichkeitsuntersuchung - FFH: Flora-Fauna-Habitat - im
Zusammenhang mit einem Ausbau der Donau zwischen
Straubing und Vilshofen sind, nicht an der Auswahl der RMD
als Koordinator der sogenannten variantenunabhängigen Untersuchung beteiligt?
Entscheidungen sind noch nicht getroffen worden.
Zunächst bleibt die Entscheidung der Kommission über
den TEN-Zuschuss zur variantenunabhängigen Untersuchung abzuwarten.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, vier Nachfragen zu
stellen, Frau Irber. Sie müssen diese aber nicht ausschöpfen.
Frau Staatssekretärin, Sie haben einen transparenten
und offenen Prozess bei der Vergabe der Untersuchungsaufträge versprochen. Mich würde interessieren, wie dieser transparente Prozess aussehen soll. An welchem Tag
werden die Anträge und Untersuchungsprogramme offengelegt?
Sie haben einen Teil meiner zweiten Frage nicht beantwortet: Wie wird das Bundesumweltministerium beteiligt?
Liebe Kollegin Irber, zunächst zu Ihrer letzten Frage:
Es ist gar keine Frage, dass das Bundesumweltministerium beteiligt wird. Es ist beteiligt und wird auch weiterhin beteiligt sein.
Zum transparenten Verfahren: Ich habe Ihnen gesagt,
dass wir noch keine Entscheidung getroffen haben. Wir
setzen aber auch in diesem Zusammenhang auf ein transparentes Verfahren.
({0})
- Die Entscheidung treffen wir, nachdem die Kommission die TEN-Mittel zugesagt hat. Dann werden wir entscheiden, wie wir das organisieren. Dann werden wir das
Thema Transparenz aufnehmen.
Eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wann beginnt die RMD mit der
Ausschreibung und der Vergabe von Verträgen für
Dienstleistungen - sprich: Gutachten - im Zusammenhang mit den variantenunabhängigen Untersuchungen?
Frau Kollegin, das ist noch nicht entschieden. Ich
kann Ihnen dazu nichts sagen. Ich weiß nämlich nicht,
wann die Kommission entscheidet. Wir haben keinen
Fahrplan vorliegen.
({0})
- Das ist interessant. Da wissen Sie mehr als ich.
Ihre dritte Nachfrage, Frau Irber.
Wird im Juli mit einer Entscheidung der Kommission
und einer Vergabe der Aufträge durch die RMD gerechnet?
Frau Kollegin, ob die Kommission im Juli entscheidet, weiß ich nicht. Das wäre aber zu wünschen. Das
weitere Verfahren wird dann geklärt.
Ihre vierte Nachfrage.
Mich würde interessieren, ob im Zuge des aktuellen
Untersuchungsprogramms auch geschaut wird, ob die
unterschiedlichen Varianten zu Grundwasserveränderungen führen, vor allem bezogen auf das Stadtgebiet von
Deggendorf. Wenn Ja: Welche Szenarien werden zugrunde gelegt?
Liebe Kollegin Irber, weil das Thema Wasser und
Klimawandel auf der Tagesordnung steht, werden wir
natürlich entsprechende Untersuchungen durchführen
lassen. Ob diese Untersuchung durchgeführt werden
wird, weiß ich nicht. Ich werde Ihren Hinweis aber aufnehmen.
({0})
Jetzt hat der Kollege Dr. Andreas Scheuer eine Zusatzfrage.
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, ich bedanke
mich erst einmal dafür, dass Sie einen transparenten Prozess zugesagt haben. Ich möchte zur Kenntnis geben,
dass die EU-Koordinatorin Peijs in der Region war.
Frau Irber, Sie waren bei dem Punkt ja zugegen. Die
RMD hat den Bund Naturschutz definitiv eingeladen, an
diesem transparenten Prozess mitzuarbeiten. Das war
meine Nebenbemerkung.
Nun zu meiner Frage. Wenn Sie - wie vorhin bei der
Antwort auf die Frage des Kollegen Hinsken - von Klimawandel sprechen, glauben Sie dann, dass durch die
Verkehrsrelevanz der Donau - wenn die Donau unter
Berücksichtigung aller ökologischen Schutzmaßnahmen
als Verkehrsträger fit gemacht wird - ein Beitrag zur Reduzierung der Schadstoffausstoße auf dem Transportweg
Autobahn geleistet werden kann?
Herr Präsident! Lieber Kollege Scheuer, es ist gar
keine Frage: Die Binnenschifffahrt ist der umweltverträglichste Verkehrsträger. Wir müssen alles tun, damit
mehr Güter auf die Wasserstraßen bzw. auf die Schifffahrt umgeleitet werden. Insofern ist die Bundesregierung zurzeit nicht nur bezüglich der Donau, sondern
auch in anderen Bereichen sehr aktiv, um genau dieses
Ziel, mehr Klimaschutz, zu erreichen.
Die nächste Frage geht an den Kollegen Dr. Anton
Hofreiter.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, Sie sprachen von
einem fairen und transparenten Verfahren; gleichzeitig
sprachen Sie von der RMD. Ist Ihnen bekannt, dass es in
der Region keinen Beteiligten gibt, der auch nur annimmt, dass die RMD in der Lage ist, ein faires und
transparentes Verfahren zu organisieren?
({0})
Oder anders gefragt: Bedeutet die Aussage, dass es ein
faires und transparentes Verfahren gibt, dass der RMD
der Auftrag entzogen wird?
Herr Dr. Hofreiter, es ist mir bekannt, dass es Diskussionen über die RMD und deren Parteilichkeit gibt. Für
die Bundesregierung ist die RMD aufgrund unserer Verträge mit ihr ein Partner. Von daher werden die Entscheidungen, wie die RMD im Rahmen des Donauausbaus involviert ist oder sein wird, dann getroffen, wenn es so
weit ist. Es ist noch nicht so weit.
Die nächste Frage hat der Kollege Horst Meierhofer.
Frau Staatssekretärin, Sie haben darauf hingewiesen,
dass die Schifffahrt der umweltfreundlichste Verkehrsträger sei. Wie definieren Sie das? Definieren Sie das unter Berücksichtigung aller ökologischen Probleme, die
vielleicht durch die Schaffung eines neuen Kanals, durch
die Staustufen oder durch Einflüsse auf Ökosysteme einbezogen werden? Oder sehen Sie das erst so ab dem
Zeitpunkt, wenn der Fluss als Ökosystem bereits in die
Schranken gewiesen worden ist und dadurch unter Umständen alles ökologisch Negative bereits erfolgt ist?
Sprich: Ist es das Umweltfreundlichste, wenn schon ausgeteert oder ausbetoniert ist, oder definieren Sie das so
ab dem jetzigen Zeitpunkt? Wenn Sie wüssten, dass zum
jetzigen Zeitpunkt die Binnenschifffahrt der freundlichste Verkehrsträger ist, dann bräuchten Sie keine Untersuchung durchzuführen, sondern wüssten, dass es vernünftig ist, möglichst viele Staustufen zu bauen.
Herr Dr. Meierhofer, Sie unterstellen, dass ich das in
meiner Antwort nur auf die Donau bezogen habe. Ich
habe das generell gemeint. Das ist sehr wichtig und
stimmt auch. Es ist ganzheitlich betrachtet so. Sie können auch nachlesen, dass die Binnenschifffahrt der umweltverträglichste Verkehrsträger ist.
Natürlich ist es notwendig, bezogen auf den jeweiligen Fluss, also auf die jeweilige Bundeswasserstraße,
entsprechende Vorkehrungen zu treffen, damit diese
Umweltverträglichkeit zum Tragen kommt. Deshalb gibt
es unterschiedliche Wasserstraßen. Es gibt, wie Sie wissen, nicht nur staugeregelte Wasserstraßen. Insofern widerspricht meine Aussage, die ich generell gemeint habe,
nicht dem Anliegen, das wir hinsichtlich der Donau haben. Wir müssen nur klären, welches die beste Variante
ist.
Die nächste Frage geht an die Kollegin BullingSchröter.
Danke schön. - Ich habe gehört, dass Sie die Folgen
des Donauausbaus noch einmal unter klimarelevanten
Gesichtspunkten prüfen lassen möchten. So habe ich Sie
verstanden. Jetzt würde ich gerne von Ihnen wissen, ob
im Anhörungsverfahren des Umwelt- und Verkehrsausschusses in 2002 große Defizite bezüglich der Klimarelevanz angesprochen wurden. Ich war damals zugegen.
Ich weiß, dass damals sehr intensiv - es ging über mehrere Stunden - darüber diskutiert wurde. Ich kenne die
IPPC-Richtlinie und weiß natürlich, dass sehr viele Aspekte klimarelevant sind.
Mich würde außerdem interessieren, ob ich Sie richtig
verstanden habe, dass Sie den Verkehr mehr als bisher
vom Lkw auf das Schiff verlagern wollen. In den vertieften Untersuchungen wurde ausgeführt, dass verstärkt
von der Bahn auf das Schiff verlagert werden soll. Das
würde somit dem, was unter dem Gesichtspunkt der Klimarelevanz jetzt wichtig wäre, widersprechen.
Zunächst einmal geht es um die Verlagerung von der
Straße auf die Wasserstraße; das ist die wichtigste Maßnahme. Natürlich gab es schon damals Untersuchungen
zum Klima; das ist klar. Heute gibt es aber neue Erkenntnisse, die wir im Rahmen der variantenunabhängigen
Untersuchung aufbereiten wollen und die wir bewerten
müssen. Deshalb werden zu diesem Thema weitere Untersuchungen durchgeführt. Insofern ist der Beschluss
des Verkehrsausschusses im Hinblick auf diese Frage
von besonderer Wichtigkeit.
Eine Frage des Kollegen Hinsken.
Frau Staatssekretärin, sind Ihnen Aussagen von Experten bekannt, die zum Ausdruck bringen, dass der Verkehr in Ostbayern, wenn die Donau nicht bald ausgebaut
wird, nicht mehr bewerkstelligt werden kann und ganze
Gebiete im Verkehr ersticken werden?
In der Bundesrepublik gibt es das Problem, dass insbesondere beim Güterverkehr mit einem steigenden Verkehrsaufkommen zu rechnen ist. Von daher ist es sehr
wichtig, dass wir unsere Infrastruktur in allen Bereichen
ausbauen, auch und gerade die Wasserstraßen. Glücklicherweise wurden die Investitionen im Bereich der Bundeswasserstraßen erhöht. Das ist eine wichtige Voraussetzung für ihren Ausbau, nicht nur für den der Donau,
sondern auch für den anderer Wasserstraßen. Ziel der
Bundesregierung ist, dafür zu sorgen, dass die Wasser17470
straßen, zu denen auch die Donau gehört, in größerem
Umfang genutzt werden.
Uns verbleiben jetzt noch fünf Minuten. Zu diesem
Themenbereich liegen mir noch vier Fragen vor. Ich
muss also all diejenigen, die Fragen zu anderen Themen
haben, bitten, darauf zu warten, dass diese schriftlich beantwortet werden; denn zu einer mündlichen Beantwortung kommen wir heute nicht mehr.
Jetzt rufe ich die Frage 21 der Kollegin Kornelia
Möller auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass bei der Entscheidung über eine Variante des Donauausbaus im Abschnitt
Straubing-Vilshofen das Einvernehmen mit dem Land Bayern
erforderlich ist, und wie begründet sie ihre Position?
Liebe Kollegin Möller, auf die Frage, ob das Einvernehmen mit dem Land Bayern erforderlich ist, kann ich
zunächst einmal mit Ja antworten; das ist so.
Zum Ausbau der Donau sind seit 1921 zwischen dem
Bund, dem Freistaat Bayern und der Rhein-Main-Donau-Gesellschaft verschiedene Verträge geschlossen
worden. Diese sehen unter anderem vor, dass die wesentlichen technischen und finanziellen Grundlagen des
Donauausbaus, also auch die Variante des Donauausbaus, vom Bund und vom Freistaat Bayern einvernehmlich zu legen sind. Das ist in § 3 Abs. 1 des Donaukanalisierungsvertrags aus dem Jahre 1976 geregelt.
Im Übrigen bedarf der Planfeststellungsbeschluss, mit
dem eine Ausbauvariante genehmigt wird, nach § 14
Abs. 3 des Wasserstraßengesetzes in Verbindung mit
Art. 89 Abs. 3 des Grundgesetzes des Einvernehmens
der zuständigen Landesbehörde, soweit das Vorhaben
Belange der Landeskultur oder der Wasserwirtschaft berührt.
Eine Nachfrage, Kollegin Möller? - Nein.
Kollege Dr. Hofreiter hat noch eine Nachfrage.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, man hat das Gefühl, Sie tun alles, um den Eindruck zu erwecken, dass
der Bund eigentlich keinen Einfluss hat. Ist Ihnen das
Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages bekannt, in dem deutlich gemacht
wird, dass der Bund in der Frage, in welcher Form ausgebaut wird, die alleinige Entscheidungskompetenz hat? Ist
Ihnen dieses Gutachten bekannt: ja oder nein?
Herr Dr. Hofreiter, ich habe gerade sehr ausführlich
dargestellt, dass wir aufgrund gesetzlicher und vertraglicher Vorschriften sowie vor allen Dingen aufgrund des
Grundgesetzes ein Einvernehmen mit dem Freistaat
Bayern herzustellen haben. Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages
möchte ich nicht bewerten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Scheuer.
Frau Staatssekretärin, würden Sie bestätigen, dass das
Bundesverkehrsministerium bei all seinen Aktivitäten
und Kompetenzen und so auch in dieser Sache Wert darauf legt, die Betroffenen vor Ort in einem transparenten
Verfahren einzubinden, und das gerade im Gegensatz zu
dem steht, was der Kollege Hofreiter sagt: dass der Bund
zentralistisch entscheiden soll über eine Sache, die in der
Region ein Thema ist?
Herr Präsident! Herr Kollege Scheuer, es ist so, dass
wir als Bundesregierung an Gesetz und Verträge gebunden sind. Darüber hinaus gehört gerade zu diesem die
Donau betreffenden Verfahren die Einbeziehung der Betroffenen. Deshalb gibt es ja entsprechende Anhörungsverfahren. Insofern sind wir in einem demokratischen
Prozess, und darüber bin ich auch froh.
Die nächste Frage stellt die Kollegin BullingSchröter.
Frau Staatssekretärin, ich habe mit großem Interesse
Ihre Auslassungen
({0})
über das Einvernehmen gehört. Dann war der Bundestagsbeschluss von 2002 falsch; denn ein Einvernehmen
gab es damals noch nicht. Es ist des Öfteren der Fall,
dass auf Bundesebene Beschlüsse gefasst werden, für
die es kein Einvernehmen mit den Ländern gibt. Ich
möchte Sie gerne fragen: Hätte der Bundestag diesen
Beschluss damals nach Ihrer Meinung gar nicht fassen
dürfen?
Herr Präsident! Liebe Kollegin, der Bundestag kann
einen Beschluss fassen. Wenn der Freistaat Bayern mit
dem nicht einverstanden ist, wird kein Einvernehmen
hergestellt. Genau darüber reden wir: dass es einen Beschluss gibt, der mit dem Land Bayern
({0})
aber nicht realisierbar ist.
({1})
- Das gilt für alle Länder, wenn man entsprechende vertragliche Vorgaben hat. Das Grundgesetz gilt bekanntlich für alle, auch für die Länder. Das habe ich Ihnen gerade vorgelesen.
({2})
Insofern hat der Deutsche Bundestag eine Meinungsäußerung vonseiten des Bundes getätigt.
({3})
Das ist der Beschluss, der gilt. Für die Realisierung brauchen wir allerdings ein Einvernehmen mit dem Land.
Wenn das Land die Realisierung der Variante A nicht erlaubt bzw. diese nicht im Einvernehmen zu regeln ist,
müssen wir sehen, wie wir mit weiteren Argumenten variantenunabhängig die Bayerische Staatsregierung überzeugen.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin!
Die Zeit für die Fragestunde ist seit geraumer Weile
abgelaufen. Deswegen beende ich die Fragestunde jetzt.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 5. Juni 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.