Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/28/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Kabinett hat gestern die Strategie der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit beschlossen. Ausgangspunkt dieser Strategie sind die Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys, den wir gemeinsam mit dem Bundesforschungsministerium auf den Weg gebracht haben. Dieser belegt: Ein Aufwachsen in Gesundheit ist für viele Kinder selbstverständlich, aber längst nicht für alle. Entscheidend für ein gesundes Aufwachsen ist, in welcher Familie und unter welchen Bedingungen Kinder aufwachsen. So haben Kinder aus sozial schwächeren Familien oft eine deutlich schlechtere Gesundheit als Kinder von Bessergestellten. Es wird deutlich, dass sich Kinder aus sozial schwächeren Familien in der Regel schlechter und ungesünder ernähren. Sie treiben seltener Sport und nehmen seltener Vorsorgeuntersuchungen wahr. Sie zeigen verstärkt psychische Auffälligkeiten und haben deutlich mehr Erfahrungen mit Gewalt. Grundsätzlich nehmen chronische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen an Bedeutung zu. Die Gesundheit der Kinder ist nicht nur eine Angelegenheit des Bundesgesundheitsministeriums, sie betrifft viele Politikfelder. Deshalb hat die Bundesregierung beschlossen, das, was in den verschiedenen Bereichen, etwa im Bundesforschungsministerium, im Bundesministerium für Familie, im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, im Bundesgesundheitsministerium und auch im Arbeitsministerium, an Aktivitäten erfolgt, zu einer gemeinsamen Strategie zusammenzufassen, sodass ressortübergreifend Maßnahmen zur Verbesserung der Kindergesundheit auf den Weg gebracht werden. Unsere Strategie zielt darauf ab, durch gemeinsame Anstrengungen die Gesundheitsressourcen von Kindern und deren Familien zu stärken. Wir wollen die Bedingungen für ein gesundes Aufwachsen verbessern. Wir wissen: Wenn in der Kindheit die Grundlagen dafür geschaffen werden, sich gesund zu ernähren und gesund aufzuwachsen, wirkt dies bis ins Erwachsenenalter hinein. Wir wissen auch: Gesunde Kinder lernen besser. Gesunde Kinder haben später bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz. Sie haben insgesamt bessere Bedingungen in ihrem weiteren Lebenslauf. Das, was wir in der Strategie festlegen, ist das, was die Bundesregierung auf Bundesebene anstoßen kann. Diese Strategie muss von Aktivitäten der Länder und Kommunen und aller anderen, die hier Verantwortung übernehmen, begleitet werden. Die wichtigsten Felder sind erstens der Ausbau von Prävention und Gesundheitsförderung, zweitens die Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit, drittens die Minderung gesundheitlicher Risiken und viertens die sorgfältige Analyse der Entwicklung und die Ermittlung der Risiko- und Schutzfaktoren. Ich will hier einige Beispiele nennen. Erstens. Es geht um Maßnahmen, die vor allen Dingen in den Lebenswelten der Kinder ergriffen werden müssen. Wenn wir Kinder erreichen wollen, müssen wir in die Kindergärten, die Schulen und die Stadtviertel gehen. Wir müssen frühzeitig informieren, aber auch Beratungsangebote für Eltern und Erzieherinnen und Erzieher bereithalten. Wir wollen auch durch den Nationalen Aktionsplan Gesunde Ernährung und Bewegung eine Reihe von Projekten auf den Weg bringen. Zweitens. Wir wollen die Impfrate bei Kindern erhöhen, weil Impfen der beste Schutz vor vielen übertragbaren Krankheiten ist. Redetext Drittens. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche Nein zu Suchtmitteln sagen. Viertens. Wir wollen darauf hinwirken, dass das Angebot an Kindervorsorgeuntersuchungen zu 100 Prozent wahrgenommen wird. Deshalb werden wir die Krankenkassen verpflichten, mit Ländern und Kommunen zusammenarbeiten. Ziel dieser Zusammenarbeit ist, das Einladungssystem zu verbessern und dafür zu sorgen, dass alle Kinder die angebotenen Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Fünftens. In Kürze werden wir eine zusätzliche Kindervorsorgeuntersuchung einführen, die psychische Risiken stärker berücksichtigt. Sechstens. Wir wollen das Gesundheitsmonitoring ausbauen. Wir wissen nämlich, dass wir die Rahmenbedingungen für ein gesundes Aufwachsen der Kinder nur schaffen können, wenn wir Erkenntnisse darüber haben, wie Risiken entstehen, und die Maßnahmen evaluiert werden, die geeignet sind, Risiken zu minimieren bzw. zu beseitigen. Wir werden dieses Ziel zwar nicht für alle Kinder erreichen können, aber denjenigen, bei denen eine Änderung des Lebensstils möglich ist, wollen wir mit guten Rahmenbedingungen helfen. Vielen Dank.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Ich bitte, zunächst Fragen zu diesem Themenbereich zu stellen. - Nach Eingang der Wortmeldungen hat zunächst Kollegin Eichhorn das Wort.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, am 19. Dezember 2007 haben Bundeskanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten auf dem Kindergipfel beschlossen, dass Vorsorgeuntersuchungen besser und engmaschiger gestaltet und die Inhalte der Vorsorgeuntersuchungen weiterentwickelt werden sollen. Im Beschluss der Bundesregierung zur Förderung der Kindergesundheit, den Sie vorgetragen haben, wird auch die Verbesserung der Früherkennungsuntersuchungen angeführt. Inwieweit betrifft die Verbesserung nicht nur die Untersuchungsintervalle, sondern auch die Überarbeitung der Richtlinie zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, speziell im Hinblick auf Kindesmisshandlungen und -vernachlässigungen, wie es beim Kindergipfel beschlossen worden ist?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Die Veränderungen im Bereich der Früherkennung betreffen beide Bereiche. Der Gemeinsame Bundesausschuss wurde beauftragt, die Richtlinie zu überarbeiten. Es soll deutlich werden - das ist bereits entsprechend formuliert -, dass die Ärzte verpflichtet sind, bei den Vorsorgeuntersuchungen auf Anzeichen für physische oder psychische Vernachlässigungen zu achten und zu prüfen, ob das Kindeswohl gefährdet ist. Die Vorsorgeuntersuchungen sollen aber auch generell überarbeitet werden. Dabei wird geprüft, ob sie noch dem aktuellen Erkenntnisstand und den heutigen Anforderungen entsprechen. Das Gewicht soll stärker auf die psychische Gesundheit gelegt werden. Die Frage der Entwicklung eines Kindes soll stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel soll gefragt werden, ob es Entwicklungsverzögerungen beim Sprachverhalten oder Merkmale für psychische Auffälligkeiten gibt. Außerdem sollen die Intervalle überprüft werden. Die erste Entscheidung, die in diesem Zusammenhang getroffen wurde, ist die Einführung der Vorsorgeuntersuchung U7a im dritten Lebensjahr, die der Gemeinsame Bundesausschuss beschlossen hat. Im Rahmen dieser zusätzlichen Vorsorgeuntersuchung werden sowohl die physische als auch die psychische Entwicklung getestet. Es geht dabei zum Beispiel um das Sprachverständnis, aber auch das Sehen und andere Wahrnehmungsfähigkeiten werden getestet. Das ist der erste Schritt; die Arbeit daran geht weiter.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Zusatzfrage, bitte schön.

Maria Eichhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000449, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, bis wann wird das wirksam? Wann wird das vollzogen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Die U7a ist vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossen als Teil der Vorsorge. Das wird uns vorgelegt und von uns abschließend geprüft. So bald als möglich wird unser Brief mit der Genehmigung rausgehen. Wir haben ein selbstverwaltetes Gesundheitssystem. Daher kann der Staat nicht festlegen, welche Leistungen bzw. Untersuchungen die gesetzlichen Krankenversicherungen anzubieten haben. Der Staat kann nur sagen: Wir möchten, dass die Intervalle verkürzt werden, und wir möchten, dass die Untersuchungen vom Inhalt her verändert werden. Die U7a wird zügig eingeführt werden. Außerdem wurde beschlossen, dass das Kindeswohl bei den Vorsorgeuntersuchungen beachtet werden muss.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollegin Gesine Lötzsch das Wort.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Ministerin, Sie haben dargestellt, dass es zwischen der Gesundheit von Kindern und der sozialen Lage ihrer Familien einen sehr engen Zusammenhang gibt. Sie haben betont, dass Sie sich auf die Maßnahmen konzentrieren wollen - das ist ja auch logisch -, die auf der Bundesebene entschieden werden können. Zu dem, was auf der Bundesebene entschieden werden kann und muss, gehört aus unserer und aus meiner Sicht die Höhe des Regelsatzes von Hartz IV für Kinder. Denn niemand wird der Feststellung widersprechen können, dass der Regelsatz von Hartz IV für Kinder nicht ausreicht, ein Kind gesund und ausgewogen zu ernähren. Darum möchte ich gerne wissen, ob es zu Ihrem Maßnahmeplan, den Sie hier in Teilen vorgeDr. Gesine Lötzsch tragen haben, gehört, unverzüglich dafür zu sorgen, dass der Regelsatz von Hartz IV für Kinder angehoben wird.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin Lötzsch, Sie wissen, dass im Herbst die Entscheidung über die Anpassung des Existenzminimums, auch des Existenzminimums von Kindern ansteht. In diesem Zusammenhang werden, wenn es nötig ist, auch Entscheidungen über die Höhe der Hartz-IVRegelsätze getroffen. Das ist kein Aktionsprogramm, um diejenigen zu unterstützen, die vor Ort Projekte auf den Weg bringen, damit Kinder gleiche Gesundheitschancen haben. Es verbessert vielmehr die Rahmenbedingungen - die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen arbeiten immer wieder daran -, damit gute Chancen entstehen, dass Menschen, die keine Arbeit haben, Arbeit finden und beschäftigt werden. Wir haben auch besondere Maßnahmen auf den Weg gebracht, die bewirken sollen, dass niemandem, dass keiner Familie aufgrund eines geringen Einkommens eine Grundsicherung gezahlt werden muss. Kinderzuschläge sollen hier einen Ausgleich schaffen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Frau Kollegin.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Kurze Nachfrage: Sie haben darauf verwiesen, dass die Bundesregierung plant, im Herbst über die Höhe der Existenzsicherung zu entscheiden. Daher frage ich noch einmal ganz konkret nach, damit es kein Ausweichen gibt. Das Forschungsinstitut für Kinderernährung hat festgestellt und vorgerechnet, dass der jetzige Hartz-IVSatz nicht für eine gesunde Ernährung für Kinder ausreicht. Sind Sie mit mir der Meinung, dass dieser Satz angehoben werden muss?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Ich habe gesagt, dass die Datenlage im Herbst zur Verfügung stehen wird und dass wir dann aufgrund der Datenlage entscheiden werden. ({0}) Auch wenn zum Teil andere Forderungen aufgestellt werden: Wir wollen, dass erst die Datenlage ermittelt wird und wir dann entscheiden, was notwendig ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun Kollege Peter Friedrich.

Peter Friedrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003754, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, vielen Dank. - Frau Ministerin, die Strategie der Bundesregierung enthält eine ganze Fülle von Maßnahmen. Es fällt auf, dass das Thema Präventionsgesetz an erster Stelle steht. Wenn man sich die Ziele anschaut, ist offensichtlich, dass diese Ziele nur in Settingmaßnahmen erreicht werden können, indem man die gesamte Lebenswelt der Kinder erreicht und nicht nur Ausschnitte daraus behandelt. Ist es aus diesem Grund aus Ihrer Sicht notwendig, dass man auch die Träger von Prävention - sprich: die Sozialversicherungsträger - dazu bringt, gemeinsam solche Settingmaßnahmen zu unterstützen? Muss das nicht ein zentraler gesetzgeberischer Schritt sein, um die Strategie erfolgreich umsetzen zu können?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Selbstverständlich ist das notwendig. Die Bundesregierung muss ressortübergreifend agieren und versuchen, die Projekte, die von den verschiedenen Ministerien auf den Weg gebracht werden, zu bündeln, damit sie effizienter sind. Das kann man auf die Leistungen und Projekte, die durch die Sozialversicherungsträger gefördert werden, übertragen. Es fällt auf, dass zum Beispiel die Krankenkassen heute zwar sehr viel mehr in Prävention investieren, aber nur 5 Prozent dieser Mittel - sie betragen über 230 Millionen Euro - in lebensweltbezogene Ansätze und Projekte fließen. Deswegen ist die Zielsetzung eine Bündelung. Ein Teil dieser Gelder, und zwar von allen Sozialversicherungsträgern - Krankenkassen, Rentenversicherung, Pflegeversicherung und Unfallversicherung -, die sich an der Prävention nachhaltig beteiligen können, sollten gebündelt in lebensweltbezogenen Projekten eingesetzt werden. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass wir in dieser Legislaturperiode ein entsprechendes Gesetz zur Förderung von Prävention und Gesundheitsvorsorge verabschieden werden. Wir sind derzeit in den Abstimmungen mit dem Koalitionspartner.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Kollege Harald Terpe hat nun das Wort.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, im Bericht wird konstatiert, dass Fehlernährung und Übergewicht von Kindern und Jugendlichen in nicht unerheblichem Maße auf übermäßigem Verzehr ungesunder und insbesondere zuckerhaltiger Lebensmittel beruhen; das wird als ein Grund für ihr Übergewicht angeführt. Warum stemmt sich die Bundesregierung weiterhin gegen eine entsprechende Kennzeichnung, beispielsweise eine Ampelkennzeichnung, die den Verbrauchern die Entscheidung, welche Lebensmittel gesund und welche ungesund sind, erleichtern würde?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Der Bundesregierung geht es nicht darum, zu sagen, man müsse nicht kennzeichnen. In dieser Diskussion wird vielmehr nach einer Lösung für eine effektive Kennzeichnung von Lebensmitteln gesucht, die sicherstellt, dass der Verbraucher bzw. die Verbraucherin sofort erkennt, in welchem Lebensmittel zum Beispiel schädliche Stoffe enthalten sind. Das Problem aller Kennzeichnungen ist: Allein durch eine Kennzeichnung kann man noch keine ausgewogene Ernährung gewährleisten. Wir müssen einen Weg finden, der Bevölkerung zu vermitteln und Eltern zu beraten, was gesunde Ernährung ist und wie eine ausgewogene Ernährung aussieht. Manche Eltern glauben beispielsweise, dass kalziumhaltige Produkte, weil sie oft angepriesen werden, gut für ihre Kinder sind. Es ist ja nicht so, dass Eltern etwas kaufen, von dem sie glauben, dass es für ihre Kinder nicht gut ist. Vielmehr kaufen sie bestimmte Produkte, weil sie glauben, dass sie gut für ihre Kinder sind. Bei manchen Lebensmitteln wird aber nicht angegeben, beispielsweise wie viel Zucker in ihnen enthalten ist. Diese Diskussion geht weiter. Das hat auch Kollege Seehofer, dessen Ressort für diesen Bereich zuständig ist, gesagt. Es kommt darauf an, Kompetenzen zu vermitteln und diejenigen, die in Stadtteilen, Kindergärten oder Schulen arbeiten - ein Beispiel ist das Projekt „Gesunde Schule“ -, zu beraten, wie man sich richtig ernährt. Einige Maßnahmen haben wir bereits auf den Weg gebracht. Wir wollen zum Beispiel Vater-Mutter-KindKuren. Dabei handelt es sich um exemplarische Angebote. Eltern und Kinder - meistens sind es leider die Mütter und ihre Kinder; denn es gibt noch zu wenige Väter, die sich hier beteiligen - lernen gemeinsam, ihre Ernährung umzustellen und ihr Verhalten zu ändern; manche von ihnen entwickeln richtig Spaß daran, sich zu bewegen, und treten in einen Sportverein ein. Darauf müssen wir Wert legen. Gerade im Hinblick auf das Thema Ernährung kommt es nicht nur darauf an, dass Produkte gekennzeichnet werden, sodass man erkennen kann, wie viel Zucker, Fett, Nährstoffe usw. in ihnen enthalten sind, sondern es geht vor allem auch um die Frage: Wie bereitet man eine ausgewogene und vollwertige Mahlzeit zu, und was kann man selbst tun, um das eigene Ernährungsverhalten umzustellen? Das ist das Problem, vor dem die meisten Menschen stehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, Herr Kollege.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich stimme mit Ihnen überein, dass es eine Vielzahl von Einflussmöglichkeiten gibt, die auch wahrgenommen werden muss; das haben Sie gerade dargestellt. Dazu gehört sicherlich auch die Kompetenzsteigerung. Ich möchte aber auf meine Frage zurückkommen: Sind Sie wie ich der Meinung, dass eine sinnvolle und einfache Kennzeichnung von Lebensmitteln als „gesund“ oder „ungesund“, also ohne Nanogramm- oder Milligrammangaben und ohne chemische Angaben, eine wirksame Anfangsmaßnahme wäre?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Wenn eine solche Kennzeichnung dazu beiträgt, dass die Menschen schneller erkennen können, ob sie ihre Nahrung falsch zusammensetzen, ja. Mir liegt aber im Moment noch kein Vorschlag vor, der dies gewährleisten könnte.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, noch einmal Kollege Terpe. Dann ist aber der Nächste dran.

Dr. Harald Terpe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003854, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, sind Ihnen entsprechende Ergebnisse oder Erfahrungen anderer europäischer Länder bekannt?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Über dieses Thema wird sehr breit diskutiert, auch im Kreis der EU-Gesundheitsminister. In allen Bereichen gibt es positive und negative Erfahrungen. Da das Essverhalten bzw. das Ernährungsverhalten auch in manchen Ländern, in denen es eine Kennzeichnung gibt, nicht umgestellt werden konnte, sage ich: Lassen Sie uns in Ruhe darüber diskutieren. Ich bin nicht prinzipiell dagegen. Ich bin dafür, dass wirklich sinnvolle Maßnahmen, wie Sie es genannt haben, ergriffen werden. Allerdings möchte ich den Ergebnissen des gegenwärtigen Diskussionsprozesses nicht vorgreifen. Momentan wird nämlich vonseiten der Verbraucherschützer im Ausschuss für Ernährung beraten, ob es Wege gibt, um den Menschen sozusagen schon auf den ersten Blick deutlich zu machen: Finger weg, das ist nicht gut für dich. Wenn wir eine solche Möglichkeit gefunden haben, sind wir einen Schritt weiter.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun ist Kollege Jürgen Koppelin an der Reihe.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, dieses Programm werden Sie natürlich nur durchsetzen können - das ist jedenfalls mein Eindruck -, wenn die Länder und Kommunen mit eingebunden sind. Das haben Sie ja auch angedeutet. Ich darf Sie fragen: Inwieweit sind die Länder, die kommunalen Spitzenverbände und andere Organisationen - Sie haben die Ministerien genannt, die daran beteiligt waren während des Entwurfs dieses Konzeptes in die Gespräche mit eingebunden gewesen? Nach meinem Eindruck werden am Ende die Kommunen das Konzept vor Ort umsetzen müssen, daher möchte ich Sie fragen: Haben Sie einmal die finanziellen Belastungen für die Kommunen durch die Umsetzung dieses Programms abgeschätzt?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Es ist eine originäre Aufgabe der Kommunen, die Daseinsvorsorge zu gestalten. Zur originären Aufgabe der Kommunen gehört zum Beispiel auch der öffentliche Gesundheitsdienst. Daneben gehört es zur originären Aufgabe von Kommunen und Ländern, präventiv tätig zu sein, weil sie auch dafür verantwortlich sind, dass die Menschen, die in einer Kommune oder einem bestimmten Land leben, gute Bedingungen vorfinden und gleiche Chancen haben. Wir haben festgestellt, dass Kinder aus sozial schwachen Familien oder aus Familien mit Migrationshintergrund nicht die gleichen Chancen haben, gesund aufzuwachsen, und wir wissen seit der PISA-Studie, dass das Auswirkungen auf die Erfolge in der Schule hat. Insofern muss man umsteuern. Wir haben hier das festgelegt, was durch die verschiedenen Ministerien und vor allen Dingen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung initiiert wurde. Wenn Sie vor Ort sind, dann werden Sie sehen, dass sich die Kommunen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und auch bestimmte Krankenkassen in Kombination daran beteiligen und die Menschen unterstützen. Sie sagen - nehmen Sie als Beispiel den Deutschen Olympischen Sportbund -: Wir sorgen dafür, dass jeden Tag ein Übungsleiter in der Schule ist und dass alle Kinder jeden Tag eine halbe bis eine ganze Schulstunde lang ein Bewegungsangebot erhalten, wodurch wir ein gesünderes Aufwachsen fördern. Wir streben an, dass wir die geplanten Maßnahmen im Aktionsplan Gesunde Ernährung und Bewegung noch vor der Sommerpause im Kabinett beschließen können. Seit dem letzten Jahr, seitdem also die Eckpunkte vorliegen, sind sie mit den Kommunen, den Spitzenverbänden und vielen anderen beraten worden. Die Ergebnisse dieser Beratungen und die Anregungen der Beteiligten sind mit eingeflossen. Gemeinsam mit den Kommunen wird das, was wir hier regeln, zum Teil auch schon geleistet. Nehmen Sie als Beispiel das Bundesprogramm „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“, das von der Kollegin von der Leyen entwickelt wurde. Dabei geht es um aufsuchende Hilfen im Bereich des Kinderschutzes. Daneben führen wir gemeinsam mit den Kommunen auch andere Maßnahmen im Bereich „Nein zu Alkohol“ durch, zum Beispiel das Projekt HaLT, also Hart am Limit. Hier müssen immer beide Seiten aktiv werden. Zum einen muss gemeinsam mit den Kommunen dafür gesorgt werden, dass die gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden, dass also beispielsweise das günstigste Getränk in Diskotheken alkoholfrei ist, und vieles mehr. Zum anderen muss es aber auch Aktivitäten mit den Jugendlichen selbst geben, zum Beispiel in Form von Gesprächen. Ich kann das, was die Kommunen machen, nicht beziffern, aber ich hätte gerne, dass hier nicht nur der Bund seine Verantwortung wahrnimmt - er finanziert eine ganze Menge -, sondern dass das auch für die Kommunen und Länder gilt. Nur dann - es soll eine gemeinsame Strategie und Aufgabe sein - ist es überhaupt berechtigt, auch die Sozialversicherungsträger mit ihrem entsprechenden Anteil einzubinden.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, dann frage ich noch einmal. Das Konzept, das das Kabinett verabschiedet hat, müssen die Länder und Kommunen umsetzen. Inwieweit sind die Länder in die Erarbeitung dieses Konzeptes eingebunden gewesen, bevor das Kabinett darüber entschieden hat?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Bevor das Kabinett entschieden hat, haben die Länder das Konzept nicht beraten. Die in der Strategie enthaltenen einzelnen Aktionen sind zum Teil mit den Ländern beraten worden und werden mit den Ländern entwickelt. Die Länder haben hier auch ihre Aufgaben. Ich nenne hier auch einmal die stärkere Einbindung der Krankenkassen, um zu erreichen, dass möglichst 100 Prozent aller Kinder an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen. Hier wird es auf Länderebene Rahmenvereinbarungen geben müssen, in denen Krankenkassen und Länder gemeinsam erklären, wie dies erreicht werden kann. Die gesamten Suchtprojekte führen wir gemeinsam mit den Ländern oder den Kommunen durch. Ich habe eben das Bundesprogramm „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ genannt. Dieses kann nur im Zusammenwirken mit den Ländern und Kommunen und nicht allein auf der Bundesebene funktionieren. Hier müssen nämlich viele Entscheidungen getroffen werden. Das ist die Strategie. Wir müssen uns fragen, wie wir die Maßnahmen, die wir ergreifen, bündeln können. Denn wir hoffen, aus der Bündelung der Aktivitäten eine größere Schlagkraft zu erhalten. Mit dieser Strategie gehen wir auch in die Länder und Kommunen. Ich hoffe, dass die Abgeordneten diese Aufstellung der Maßnahmen und Möglichkeiten in ihre Wahlkreise zurücktragen und sich vor Ort dafür einsetzen, dass die Kompetenzen gebündelt werden, damit die Kinder in der jeweiligen Stadt, Gemeinde oder Region gute Chancen haben, gesund aufzuwachsen. In einer Gesellschaft, in der die Menschen immer länger leben, haben die Kinder, die heute geboren werden, gute Chancen, 100 Jahre alt zu werden. Ich möchte - dafür müssen wir die Grundsteine legen -, dass die Kinder die Chance erhalten, dieses hohe Alter so gesund wie möglich zu erreichen. Vor allen Dingen muss alles dafür getan werden, dass für ihre Chancen auf ein gutes Leben nicht die Herkunft oder der Geldbeutel der Eltern entscheidend sind. Mit den Kommunen, in denen wir die Projekte fördern, werden wir entsprechende Diskussionen führen. Aber da es jetzt eine Aufstellung gibt, welche Maßnahmen wir durchführen und wie wir sie durch die Bündelung von Kompetenzen effizienter gestalten wollen, sind wir bei diesem Punkt einen entscheidenden Schritt weiter.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt ist Kollegin Martina Bunge an der Reihe.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Frau Ministerin, Sie haben gestern an Ihren Koalitionspartner, die CDU/CSU-Fraktion, appelliert, ein Präventionsgesetz nicht weiter zu blockieren. Sehen Sie das umfangreiche Maßnahmenpaket in der Umsetzung gefährdet, wenn das Präventionsgesetz nicht in dieser Legislaturperiode kommt?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Vielleicht darf ich so antworten: Es wäre viel effizienter, wenn es kommt.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe noch eine Nachfrage.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte.

Dr. Martina Bunge (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003743, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich sprach von dem umfangreichen Maßnahmenpaket. Zugestandenermaßen haben Sie - für mich sehr erfreulich - auch die psychische Gesundheit als Maßnahmeziel miteinbezogen, aber vor allem in Bezug darauf, psychische Erkrankungen besser zu erkennen und zu behandeln. Gibt es für Sie keine Möglichkeiten, psychischen Erkrankungen vorzubeugen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Doch. Wir machen das, was auch jenseits des Präventionsgesetzes möglich ist. Dabei stützen wir uns auf die Diskussion mit Kinder- und Jugendärzten, aber auch mit dem Bundesausschuss darüber, wie die Früherkennung gestaltet werden soll. Dazu gehören die Forschungsaktivitäten des BMBF, dem 15 Millionen Euro für die Erforschung von Krankheiten und die speziellen Risiken für Kinder zur Verfügung stehen. Oftmals gibt es Zusammenhänge mit allergischen Reaktionen oder psychischen Erkrankungen. Manchmal kommt ein ganzes Bündel zusammen. Das alles wird durch die Bundesregierung bzw. die verschiedenen Ressorts auf den Weg gebracht. Des Weiteren sind die Projekte zu nennen, die wir über die BZgA durchführen. Wir haben - darauf lege ich sehr viel Wert - entschieden, das Gesundheitsmonitoring durchzuführen. Dazu erfolgt eine Berichterstattung aus den verschiedenen Ressorts, damit wir zu einer ausreichenden Datenlage kommen. Durch den KiGGS - den Kinder- und Jugendgesundheitssurvey - verfügen wir erstmals über umfassende Daten. Wir haben jetzt beschlossen, dass in diesem Jahr der nächste Drei-Jahres-Zeitraum dieser Studie beginnt. Dann haben wir 2011 die Möglichkeit, auszuwerten, was sich durch alle bestehenden Angebote geändert hat. Insofern werden wir alles tun, was möglich ist. Wir haben, wie Sie wissen, trotz der laufenden Haushaltskonsolidierung - auch im Suchtbereich - im letzten Jahr den Etat für Maßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für dieses Jahr erhöhen können. Noch besser wäre es, wenn ein Präventionsgesetz zustande kommt, durch das auch die Sozialversicherungsträger ihr Geld und ihre Kompetenzen bündeln, um gemeinsame Aktivitäten in den verschiedenen Lebenswelten unterstützen zu können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als Nächstes ist Kollegin Ekin Deligöz an der Reihe.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Sie haben in Ihrem Bericht angegeben, dass die Zahl der klimabedingten Atemwegserkrankungen gerade bei Kindern und Jugendlichen zunimmt. Gleichzeitig erleben wir aber, dass Sie in der Regierung relativ wenig machen, um das zu verhindern. Ich denke zum Beispiel an pflanzliche Treibstoffe, für die die Steuern erhöht werden. Die Informationen über defekte Rußfilter werden zurückgehalten. Von Tempolimits oder Effizienzstandards bei Pkws ist schon gar nicht mehr die Rede. Was wollen Sie tun, um glaubwürdig Maßnahmen zu ergreifen, damit die Zahl der Atemwegserkrankungen real zurückgehen kann?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Die Bundesregierung beabsichtigt, im Juni das Klimaschutzpaket zu verabschieden, das derzeit noch beraten wird. ({0}) Wie Sie wissen, erfolgt noch eine Abwägung der einzelnen Maßnahmen. Konkret macht das Umweltministerium Folgendes: Zu den Auswirkungen von Klimaveränderungen und veränderten Umweltbedingungen auf die gesundheitlichen Risiken von Kindern werden Forschungsprogramme aufgelegt, damit wir auch hier über mehr Daten verfügen, als es heute der Fall ist, und gezielt handeln können. Das eine kommt also im Juni, was ja nicht mehr so lange hin ist; in der nächsten Woche ist schon Juni. Daher sollten wir abwarten, was dann entschieden werden wird. Sie werden sehen, dass diese Bundesregierung eine ganze Menge auf den Weg bringt, um den Herausforderungen durch die Klimaveränderungen zu begegnen und wirksame Maßnahmen einzuleiten. Im internationalen Vergleich stehen wir hier gar nicht schlecht da.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben die Beantwortung meiner Frage ein bisschen auf das Umweltministerium abgeschoben. Daher frage ich noch einmal nach: Daten sind schön und gut. Aber wir haben in diesem Bereich eigentlich keine Erkenntnisdefizite - wir wissen sehr viel und verfügen über Zahlen und Statistiken -, sondern wir haben Handlungsdefizite. Was werden Sie in Ihrem Haus tun, um diesen Krankheiten vorzubeugen?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Noch einmal: Wir beraten das Klimapaket und werden im Juni darüber entscheiden und es dann auch vorstellen. Darin sind Maßnahmen enthalten. Die Weltgesundheitsorganisation hat in diesem Jahr den Zusammenhang zwischen Klima und Gesundheit als eines ihrer Themen auf den Weg gebracht. In unserem Hause können wir in Zusammenarbeit mit dem Umweltministerium Überlegungen anstellen, wie sich Klimaveränderungen und veränderte Umweltbedingungen auf die Häufigkeit von Allergien, Asthma und anderen Erkrankungen auswirken und wo auf diesem Felde gegengesteuert werden muss. Dies ist keine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern hier müssen wir an die Wurzel herangehen und versuchen, Umweltbedingungen zu schaffen, die diese Krankheiten nicht auslösen. Der Klimaschutz verlangt ein gemeinsames Vorgehen; das kann nicht allein vom Bundesgesundheitsministerium auf den Weg gebracht werden, zumal nicht über die gesetzliche Krankenversicherung.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Dagmar Enkelmann, Sie sind an der Reihe.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, nach Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Koppelin hätte ich Sie gern nach der Finanzausstattung der Kommunen gefragt. Dies verkneife ich mir; darüber werden wir sicherlich noch an anderer Stelle diskutieren. ({0}) - Frau Schmidt, Sie kennen sich da möglicherweise nicht aus. Fragen Sie Kommunalpolitiker. ({1}) ({2}) - Dann wissen Sie, wie die Situation ist und was man den Kommunen an Aufgaben tatsächlich noch übertragen kann. Herr Präsident, das war aber jetzt nicht mein Thema. Ich komme zu den Vorsorgeuntersuchungen zurück. Sie, Frau Ministerin, hatten über verpflichtende Einladungen gesprochen. Wäre es nicht sinnvoller, mit den Kassen auch darüber zu reden, dass Vorsorgeuntersuchungen zum Beispiel direkt in den Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen vorgenommen werden? Ich muss sagen, dass man in der DDR damit gute Erfahrungen gemacht hat.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Als ich Kind war, fanden diese Untersuchungen auch in den Schulen statt. Dies ist eine gemeinsame Aufgabe, und die Kassen sind zur Kooperation verpflichtet. Solche Punkte können in Rahmenvereinbarungen gelöst werden. Dabei geht es darum, ob der öffentliche Gesundheitsdienst diese durchführt oder ob niedergelassene Ärzte dafür bezahlt werden. Im Bereich der Zahnprophylaxe wurden beispielsweise solche Verabredungen getroffen. Die Frage ist also, wie es organisiert wird. Die Tatsache, dass gerade im öffentlichen Gesundheitsdienst in den letzten Jahren sehr viel eingespart worden ist, führt heute zu einer Reihe von Engpässen. Die Kassen können hier in Kooperation mit den Kommunen und den Ländern dafür sorgen, dass möglichst alle Kinder erreicht werden und an Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen werden. Anderes können die Krankenkassen nicht tun; sie können nicht das Wächteramt des Staates übernehmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Elke Reinke hat jetzt das Wort.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung, um den Gesundheitszustand von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern?

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Auch das geht nur durch die Förderung lebensweltbezogener Aktivitäten. Man kann viele Programme zur Prävention auflegen. Wir sehen allerdings an der Verteilung der Gelder, dass mit vielem, was heute angeboten wird, vor allen Dingen diejenigen erreicht werden, die sich schon entschieden haben, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Die Projekte, die wir mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchführen, werden so konzipiert, dass sie sich auch an Menschen mit Migrationshintergrund wenden, die viele Fragen haben. Dazu gehört eine Vereinfachung der Darstellung. Eine lebensweltbezogene Prävention muss in den Kitas, in den Schulen im Stadtteil ansetzen. Dabei muss ermittelt werden: Welches sind die Haupthindernisse? Wie schaffen wir es, die Menschen zu erreichen? Am besten ist es, die Eltern und die Kinder zu erreichen, damit man gemeinsam lernt. Wir wollen mit den Projekten die lebensweltbezogene Prävention voranbringen. Wir werden allerdings mit keiner noch so schönen Broschüre, mit keiner noch so schönen Präventionskampagne etwas erreichen, wenn wir nicht die Menschen in den Stadtteilen, in den Regionen finanziell unterstützen, die bereit sind, Projekte zu initiieren, um sowohl Kinder mit Migrationshintergrund als auch Kinder aus sozial schwachen Familien direkt anzusprechen. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Deswegen liegt unser Schwerpunkt bei lebensweltbezogenen Präventionsangeboten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Letzte Nachfrage; dann sind die 30 Minuten vorüber.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Das hört sich wieder so an, als ob die Verantwortung, vor Ort Möglichkeiten zu finden, den Ländern und Kommunen zugeschoben werden soll. Es gibt im Bundesrat aber keine Vorstellung, wie man da Unterstützung zukommen lassen kann.

Ulla Schmidt (Minister:in)

Politiker ID: 11002019

Frau Kollegin, jeder muss die Verantwortung übernehmen, die er da, wo er sich befindet, hat. Es ist nicht die Verantwortung der Bundesgesundheitsministerin bzw. der Bundesregierung, sich konkret im Stadtteil an die Kitas zu wenden. Die Frage ist, wie man die Dinge organisiert. Die Bundesregierung will zum Beispiel mit dem Aktionsplan „Gesunde Ernährung und Bewegung“ diejenigen fördern, die vor Ort solche Präventionsprojekte auf den Weg bringen. Wir engagieren uns auch im Rahmen der „Gesunden Schule“ und der „Bewegten Schule“. Wir begleiten viele Maßnahmen finanziell. Allerdings wissen die Verantwortlichen vor Ort am besten, was in ihrem Stadtteil auf den Weg gebracht werden muss, um diejenigen zu erreichen, die wir erreichen wollen. Da nützen keine zentralen Planungen, da nützen allenfalls Angebote - auch finanzielle Angebote -, damit die, die Projekte durchführen wollen, dies auch tun können. Ich kann die Kommunen und die Länder nicht aus der Verantwortung entlassen, die sie für die Daseinsvorsorge, für die Bildungschancen der Bevölkerung und für vieles mehr haben. Wir können nur gemeinsam etwas erreichen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. - Ich beende die Befragung und rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/9248, 16/9297 Zu Beginn rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen, Drucksache 16/9297, auf, zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn. Ich gebe Herrn Kollegen Beck das Wort zu einem Geschäftsordnungsantrag.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir sehen, dass uns das Bundesministerium der Finanzen Rede und Antwort stehen will. Wir meinen aber, dass der Themenkomplex, um den es bei der dringlichen Frage 1 geht - es geht darum, was, wenn die Speicherfristen im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung ausgedehnt werden, mit den Daten passiert, die die Telekommunikationsdiensteanbieter bereithalten müssen -, vom Bundesinnenministerium zumindest mitbeantwortet werden muss. Wir stellen daher den Antrag, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble zur Beantwortung dieser Frage herbeizuzitieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Koppelin.

Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001180, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, auch wir sind der Auffassung, dass das Bundesinnenministerium, der Bundesinnenminister die Frage beantworten soll. Insofern unterstützen wir den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen, den Bundesinnenminister bzw. einen Vertreter des Bundesinnenministeriums herbeizuzitieren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Grund.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Es liegt im Ermessen der Bundesregierung, in ihrem Geschäftsverteilungsplan festzulegen, welches Ministerium die Frage beantwortet. Die Frage der Kollegin Stokar von Neuforn ist so formuliert, dass sie vom Bundesfinanzministerium zu beantworten ist; insoweit ist die Zuordnung sachlich richtig. Ich widerspreche daher für die Koalition diesem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Wir unterstützen den Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen. Wir sind der Auffassung: Zu diesem Thema gehört der Minister her.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. ({0}) - Frau Kollegin, bitte schön. So viel Zeit haben wir.

Iris Gleicke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000687, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube auch, dass wir so viel Zeit haben. Ich bitte darum, im Zusammenhang mit der Abstimmung die Beschlussfähigkeit festzustellen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den Herrn Bundesinnenminister zur Beantwortung der ersten dringlichen Frage herbeizurufen. Wer stimmt für diesen Antrag? Wer stimmt dagegen? - Damit ist der Antrag angenommen. Ich setze die Beantwortung dieser dringlichen Frage aus, bis der Herr Innenminister anwesend ist. ({0}) - Ich frage zurück, ob das in Ihrem gemeinsamen Interesse liegt. ({1}) Ich will Sie nur darauf hinweisen: Die Beantwortung dieser dringlichen Frage ist ausgesetzt, bis der Innenminister kommt. Wir könnten mit der Beantwortung anderer Fragen fortfahren. Wir können natürlich auch eine Unterbrechung herbeiführen. Wenn Sie Lust haben, einen Kaffee zu trinken, können Sie dem Antrag der Kollegin Gleicke zustimmen. Wer stimmt für den Antrag der Kollegin Gleicke? ({2}) - Die Kollegin Gleicke hat mir zugerufen, dass sie den Antrag zurücknimmt. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse ({3}) Wir können somit erfreulicherweise unsere Arbeit fortsetzen, was ich begrüße. ({4}) Es wird gerade festgestellt, wo der Innenminister ist, ob er im Land, in Berlin oder woanders ist. - Mir wird gerade mitgeteilt, dass der Minister entschuldigt sei. Er ist auf dem Weg nach Israel. Ich frage die parlamentarischen Geschäftsführer, ob sie ernsthaft darauf bestehen, dass die Sitzung so lange unterbrochen wird, bis der Herr Minister hier erschienen ist. Das scheint mir nicht besonders geschäftsführend zu sein. Deswegen mache ich Ihnen noch einmal den - ich denke: angemessenen - Vorschlag, die Beantwortung dieser dringlichen Frage auszusetzen und mit den dringlichen Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend fortzufahren. Zur Beantwortung dieser Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung. Sind Sie mit diesem Verfahren einverstanden? Ich höre keine Einwände. Dann verfahren wir so, oder? Wir sind uns einig: Wir behandeln zunächst die dringlichen Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Hermann Kues zur Verfügung. Die dringliche Frage 2 hat Dagmar Enkelmann gestellt: Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der am Montag vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlichten Untersuchung des Prognos-Instituts, wonach jedes sechste Kind in Deutschland in Armut lebt? Ich bitte Herrn Staatssekretär Kues, die Frage zu beantworten.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Die Antwort lautet folgendermaßen: Die Bundesregierung misst der Bekämpfung und Vermeidung von Armutsrisiken von Familien und Kindern unverändert eine überaus hohe Priorität bei. Das Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen im BMFSFJ, für das die in der Frage angesprochene Untersuchung erstellt wurde, hat in seinem am 28. April 2008 veröffentlichten Arbeitsbericht eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, mit welchen Maßnahmen die wirtschaftliche Stabilität von Familien im Lebensverlauf gesichert und Armutsrisiken von Familien und Kindern vermieden werden können. Des Weiteren wird der 3. Armuts- und Reichtumsbericht ausführlich Auskunft darüber geben, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung Einkommensarmut allgemein und gezielt bei Familien und Kindern bekämpft. Frau Bundesministerin von der Leyen hat deutlich gemacht, dass sie insbesondere im Ausbau der Kindertagesbetreuung, in der Weiterentwicklung des Kinderzuschlags sowie in einer stärker nach der Zahl der Kinder gestaffelten Erhöhung des Kindergeldes wirksame familienpolitische Maßnahmen zur Bekämpfung von Kinderarmut bzw. von Armutsrisiken der Familien sieht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das war aber eine kurze Antwort. Meine erste Nachfrage, Herr Staatssekretär, lautet: Wie erklärt sich die Bundesregierung die unterschiedlichen Angaben zum Ausmaß von Kinderarmut? Im Bericht von UNICEF und in der Prognos-Studie wird davon gesprochen, dass jedes sechste Kind betroffen ist, im Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung steht aber, jedes achte Kind sei von Armut betroffen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Wie ich eben schon angedeutet habe, gibt es bislang keinen Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, sondern es gibt einen Entwurf, ({0}) der zwischen den Ressorts abgestimmt wird. Wenn das erfolgt ist, werden die Zahlen abgeglichen. Es gibt teilweise unterschiedliche Zahlen - das kann ich jetzt schon sagen -, weil unterschiedliche Erhebungen vorgenommen worden sind. Die Bundesregierung wird aber insgesamt das Datenmaterial zwischen den Ressorts abstimmen und dann konkrete Vorschläge machen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage?

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich möchte in meiner zweiten Nachfrage zu den Maßnahmen kommen, weil, wie ich denke, darüber zu reden ist. Beide Untersuchungen, sowohl der Armuts- und Reichtumsbericht als auch die UNICEF-Studie, machen deutlich, dass bestimmte Personengruppen besonders betroffen sind, also Kinder mit Migrationshintergrund, Kinder von Alleinerziehenden und auch Kinder von Hartz-IV-Empfängern. Kinder aus diesen Familien sind in besonderem Maße von Armut betroffen. Welche Maßnahmen hat die Regierung wenigstens angedacht - ganz vorsichtig ausgedrückt -, was schwebt Ihnen vor, und was müsste gemacht werden?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Zunächst einmal muss man sagen, dass der Bericht in einer Umwälzungsphase der Bundesrepublik entstanden ist. Wir hatten bis zum Jahr 2005 einen sehr starken Anstieg der Arbeitslosenzahl. Seit zwei Jahren haben wir dort eine erhebliche Veränderung, um das ausdrücklich einmal zu sagen. Dennoch bleiben die Armutsrisiken gleich. Wir sind in der Tat der Auffassung, dass - Sie haben das angesprochen - beispielsweise Kinder von Alleinerziehenden, Kinder von Kinderreichen und Kinder mit Migrationshintergrund in besonderer Weise betroffen sind. Es gibt überall Lösungsansätze, und es sind teilweise schon Maßnahmen auf den Weg gebracht worden, etwa im Hinblick auf Alleinerziehende. Wir werden wesentlich mehr für Kinderbetreuung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun müssen - wir sind schon dabei -, damit Alleinerziehende die Chance haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Sie müssen eine faire Chance bekommen, um selbst für sich verantwortlich sein zu können. Für kinderreiche Familien haben wir unter anderem den Kinderzuschlag auf den Weg gebracht. Man kann sich überlegen, ob man den weiter ausbaut. Das sind erste Schritte. Die Maßnahme gibt es schon länger, aber wir haben sie weiter entwickelt. Jetzt muss man die Wirkung abwarten. Was die Migranten betrifft, so dient alles, was wir zum Thema Integration überlegt haben, dazu, dass Migranten eine faire Möglichkeit bekommen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Alles, was in Sachen Sprachförderung auf den Weg gebracht worden ist, sind letztlich vorbeugende Maßnahmen gegen die spätere Armut von Familien, von Eltern und Kindern. Der Kerngedanke ist: Kinder sind nicht von vornherein arm, sondern die Eltern verdienen zu wenig, haben also ein zu geringes Einkommen, um ihre Familie tatsächlich zu ernähren.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Enkelmann hat eine dritte Nachfrage.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin Schmidt hat eben in der Befragung der Bundesregierung gesagt, dass die Bundesregierung erst den Existenzminimumsbericht abwarten will, um zu prüfen, ob der Regelsatz für Kinder aus Hartz-IV-Familien angepasst wird. Halten Sie die Zahlen, die gegenwärtig auf dem Tisch liegen, nicht für ausreichend, um zu sagen: „Es muss jetzt schnellstens gehandelt werden; wir können nicht den nächsten Bericht abwarten“?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Nein. Ich glaube nicht, dass das zielgerichtet wäre. Uns liegen Zahlen vor, wonach die Zahl der unter 15-jährigen Kinder in Hartz-IV-Familien rückläufig ist. Das heißt: Wenn man sich Gedanken über Lösungsansätze macht, dann muss man sich gezielt anschauen, wo die Probleme sind und was die eigentlichen Ursachen sind, Stichwort - es ist eben gefallen - „Alleinerziehende“. In Paarfamilien sieht es ungleich besser aus, wie wir wissen. Dort, wo es einen Migrationshintergrund gibt, und bei Kinderreichen muss tatsächlich etwas getan werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Zimmermann, bitte.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Ich habe eine Nachfrage. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen der Kinderarmut und der Chancenungleichheit von Kindern in unserer Gesellschaft, in unserem Land?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ja. Ich glaube, dass es diesen Zusammenhang gibt. Auch deswegen sagen wir sehr bewusst, dass wir alles dafür tun müssen - im Bereich der frühkindlichen Bildung ist in den letzten Jahren zwar einiges, aber längst noch nicht genug passiert; sie muss viel stärker gefördert werden -, dass jedes Kind spätestens zum Zeitpunkt der Einschulung eine faire Chance erhält. In der Tat gibt es insofern einen Zusammenhang: Wenn zu Beginn des Lebens Chancenungleichheit besteht, dann ist die Gefahr größer, dass man später einem Armutsrisiko ausgesetzt ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Höll hat sich zu einer Nachfrage zu Wort gemeldet.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, wie schon erwähnt wurde, geht aus dem Bericht eindeutig hervor, dass es bei Familien mit mehreren Kindern ein besonderes Armutsrisiko gibt. Warum wurde nicht bereits in den vergangenen Jahren das Kindergeld ab dem dritten oder vierten Kind erhöht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Sie wissen, dass wir uns verständigt haben, den neuen Existenzminimumsbericht abzuwarten. Dieser Bericht wird präzise Zahlen beinhalten. Darauf wird man reagieren müssen. Das hat Konsequenzen für das steuerliche Existenzminimum. Das ist das eine. Konsequenzen wird es aber auch für alle sozialhilferechtlichen Regelungen geben. Außerdem wird die Frage zu beantworten sein, wie mit denen umgegangen werden soll, die weder vom Steuerfreibetrag profitieren noch zu den Hartz-IV-Empfängern gehören. Es sei hinzugefügt: Das, was ein Kind in einem Hartz-IV-Haushalt bekommt, ist ungleich mehr - ungefähr ein Drittel - als das, was ein Kind, das knapp oberhalb der von uns definierten Armutsgrenze lebt, vom Staat zur Verfügung gestellt bekommt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Reinke stellt die letzte Nachfrage hierzu.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sie sagten, der Kinderzuschlag solle weiterentwickelt werden. Ich frage noch einmal, weil ich bisher noch keine schlüssige Antwort bekommen habe. Der Kinderzuschlag sollte ausgeweitet werden, und das sollte 500 000 Kinder betreffen. Sie haben für eine Senkung auf insgesamt 250 000 Kinder gesorgt. Jetzt frage ich mich: Wie kommt man dazu, die Zahl der Berechtigten zu senken, wenn man es weiterentwickeln will? Das kann ich jetzt nicht nachvollziehen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Diese Frage habe ich jetzt nicht verstanden. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kurz und präzise!

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Genau! - Der Kinderzuschlag soll - das haben Sie vorhin erwähnt - weiterentwickelt werden. Es wurde auch schon behauptet: Er ist weiterentwickelt worden. Es wurde eine Zahl genannt: 500 000 Kinder sollten von dem Kinderzuschlag profitieren. Dann wurde die Zahl auf 250 000 gesenkt. Nun frage ich mich, worin die Weiterentwicklung für die Anspruchsberechtigten liegt.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ausgangspunkt ist der alte Kinderzuschlag gewesen, damit werden zurzeit rund 100 000 Kinder erreicht, nämlich mit einer einheitlichen Einkommensgrenze für Alleinerziehende von 600 Euro und für Paare von 900 Euro. Außerdem haben wir die Berücksichtigung von Zuverdiensten verändert. Statt 70 Prozent werden nur noch 50 Prozent pro Euro entzogen. Die Zahl 500 000 zusätzliche Kinder ist einmal genannt worden im Zusammenhang mit der Umsetzung aller möglichen Elemente einer Reform. Wir gehen davon aus, dass wir mit den jetzt geplanten Reformschritten zunächst insgesamt nur 240 000 Kinder erreichen werden. Wie viele es tatsächlich sein werden, muss die Entwicklung nicht zuletzt am Arbeitsmarkt zeigen Dann wird man Bilanz zu ziehen haben. Die Ministerin ist der Auffassung - das habe ich schon gesagt -, dass man dann auch sehen muss, ob man den Kinderzuschlag nochmals weiterentwickelt, gerade wenn man etwas für die Familien tun will, die durch Kinderreichtum gekennzeichnet sind.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen damit zur nächsten dringlichen Frage, nämlich der dringlichen Frage 3 der Kollegin Höll: Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse und politischen Handlungsempfehlungen des am Montag, dem 26. Mai 2008, vorgestellten UNICEF-Berichts zur Lage der Kinder in Deutschland im Vergleich zu den Ergebnissen und Schlussfolgerungen aus dem Entwurf des 3. Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung vom 19. Mai 2008? Herr Parlamentarischer Staatssekretär.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich will auf die Frage der Abgeordneten Höll gern eingehen. Einiges habe ich bei der Beantwortung der Zusatzfragen schon aufgegriffen. Die Bekämpfung und Vermeidung von Armutsrisiken ist für uns von ganz großer Wichtigkeit. Der UNICEFBericht gibt keine politischen Handlungsempfehlungen, sondern enthält eine differenzierte und den unterschiedlichen Lebenslagen von Kindern angemessene Betrachtung der Situation von Kindern in Deutschland. Vor allen Dingen wird deutlich gemacht, dass Armut mehrdimensional zu sehen ist. Diese Betrachtungsweise wird, wie ich eben schon gesagt habe, auch im 3. Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung geteilt. Zu den politischen Schlussfolgerungen aus dem vorgelegten Armuts- und Reichtumsbericht wird sich die Bundesregierung erst dann äußern, wenn das Abstimmungs- und Beratungsverfahren abgeschlossen ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke. - Herr Staatssekretär, Sie haben zu Recht darauf verwiesen, dass das Problem der Armut mehrdimensional ist. Es hat aber auf alle Fälle - das ist ganz wichtig - einen finanziellen Aspekt. Deshalb möchte ich darauf zurückkommen. Ihnen ist wie mir bekannt, dass das Kindergeld auf der Grundlage des steuerfrei zu stellenden Existenzminimums von Kindern berechnet wird. Bei all den Eltern, die über kein Einkommen oder ein nur sehr geringes Einkommen verfügen, kann nichts steuerfrei gestellt werden. Das ist die einzige Gruppe, die eine tatsächliche Sozialleistung bekommt. Allerdings liegt die Sozialleistung, also das Kindergeld, unter dem, was man zur Abdeckung des Existenzminimums von Kindern braucht. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen, warum Sie in der bisherigen Diskussion das Kindergeld oftmals als eine familienpolitische Maßnahme, zudem als die teuerste, bezeichnen. Auf einen Großteil des Kindergeldes haben die Eltern einen Rechtsanspruch. Das steht ihnen zu, ob das nun jedem von uns passt oder nicht; das steht nicht zur Disposition. In dem Sinne, denke ich, darf man das nicht als familienpolitische Maßnahme bezeichnen und nicht zu der Schlussfolgerung kommen, dass irgendjemand das Recht hätte, das Kindergeld in seiner Höhe zu begrenzen. Wir wissen seit dem letzten Bericht zum Existenzminimum, dass wir mit einer sehr knappen Berechnung dessen, was das Existenzminimum ausmacht, schon an der Grenze des Zulässigen sind.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich teile diese Auffassung nicht. Das steuerliche Existenzminimum ist das eine. Der Staat hat keinen Anspruch darauf, auf diese Summe Steuern zu erheben. Der Gedanke steckt dahinter. Das andere ist, dass im Zusammenhang mit Sozialhilfe - ich sage es einmal allgemein - aufgrund der Einkommens- und Verbrauchsstatistik eine Kinderkomponente festgelegt wird. Dann gibt es die Gruppe derer, für die das Kindergeld in besonderer Weise relevant ist. Das sind diejenigen, die vom Steuerfreibetrag nicht profitieren, aber auch nicht zur Gruppe der Hartz-IV-Empfänger zählen. Das sind in der Regel Geringverdiener, die sich, wenn Sie so wollen, oberhalb der von uns so definierten Armut befinden. Das sind diejenigen, die vom Kindergeld tatsächlich profitieren. Von daher ist vielleicht erklärbar, dass die Ministerin gesagt hat: Darum müssen wir uns in besonderer Weise kümmern, wenn der Bericht zum Existenzminimum vorliegt. Es gibt also drei Gruppen, die man auseinanderhalten muss. Wenn Sie von bedürftigen Kindern sprechen und das automatisch mit der Situation von Hartz-IV-Empfängern verbinden, haben Sie die Gruppe der Geringverdiener nicht im Blick. Von daher glaube ich schon, dass man darüber reden muss. Das ist auch eine der Überlegungen, die die Ministerin angestellt hat.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, meine zweite Nachfrage. Genau vor dem Hintergrund, den wir beide jetzt versucht haben zu erörtern, stellt sich die Frage, warum die Regierung einerseits einen Teil der finanziellen Leistungen, die über das Kindergeld erbracht werden, zur Disposition stellt, um die Infrastruktur für Kinder auszubauen - das bedeutet, dass Familien mit Kindern ihre eigene Infrastruktur finanzieren müssen, obwohl viele Familien auf 5 oder 10 Euro mehr pro Monat und pro Kind angewiesen sind -, und andererseits nicht offensiv den Spielraum zur Erhöhung des Sozialleistungsanteils genau für die Gruppen, die Sie beschrieben haben - sprich: Kinder, deren Eltern von Hartz IV leben bzw. ein geringes Einkommen haben und für die das Kindergeld eine Sozialleistung darstellt -, ausnutzt, um so den konkreten Bedürfnissen von Kindern Rechnung zu tragen. Das könnte durch Erhöhung des Kinderzuschlages oder konsequenterweise auch durch eine Aufstockung der entsprechenden Hartz-IV-Beträge geschehen.

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich hinreichend klar ausgedrückt habe bzw. ob es richtig angekommen ist. Ich habe ausdrücklich gesagt: Im Rahmen von Hartz IV leistet der Staat ohnehin einen höheren finanziellen Beitrag für Kinder ({0}) als bei denjenigen, die nicht vom Freibetrag profitieren, also nur das Kindergeld bekommen. Das ist ohnehin jetzt schon so. Wenn Sie also nach bedürftigen Kindern fragen und diese mit Kindern von Hartz-IV-Empfängern gleichsetzen, reden Sie nicht über die Kinder von Geringverdienern. Die Ministerin sagt ja, dass wir, wenn die Daten vorliegen - so sieht ja der abgesprochene Fahrplan aus -, uns sehr genau überlegen müssen, wo wir einen Akzent setzen. Sie hat ja ausdrücklich gesagt, dass sie gerne eine Staffelung nach Kinderzahl möchte. Diesen Vorschlag wird sie dann wahrscheinlich einbringen. Wenn es so weit ist - der Fahrplan sieht jetzt aber erst einmal die Abgabe des Existenzminimumberichts vor -, werden die Konsequenzen daraus gezogen. So lange wird man warten müssen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nachfragegelegenheit für Kollegin Zimmermann.

Sabine Zimmermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003869, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Was, glauben Sie, ist der Grund dafür, dass die Kinderarmut in Deutschland so drastisch zugenommen hat? Welche Politik ist dafür verantwortlich? Was haben Sie falsch gemacht?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Das ist für mich keine Glaubensfrage, sondern es gibt ja nun hinreichende Analysen, die sich mit den Ursachen von Kinderarmut beschäftigen. Ich habe diese eben auch schon beschrieben. Eine Ursache dafür ist das Auseinanderbrechen von Beziehungen, wenn sich zum Beispiel Eheleute trennen und dann ein Partner zum Alleinerziehenden wird. Hier entstehen Armutsrisiken. Daraus ergeben sich große Probleme im Hinblick auf die Versorgung von Kindern. Der zweite ganz wichtige Grund war die bisher unzureichende Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Wir haben ja ein riesiges Programm auf den Weg gebracht, von dem alle Länder und Kommunen profitieren. Ausdrücklich sage ich auch, dass ein weiterer Kern des Problems die über viele Jahre gestiegene Zahl der Arbeitslosen war. Seit 2005 haben wir immerhin 1,6 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Wenn Menschen in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, bedeutet das im Grunde immer auch, dass damit Familien ein Stück weit aus der Armut herauskommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Enkelmann, bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, dass die Bundesregierung Schlussfolgerungen aus den erschreckenden Zahlen zur Kinderarmut ziehen will, sobald die Abstimmung in der Bundesregierung erfolgt ist. Blickt man auf den Zustand der Bundesregierung, stellt sich für mich die Frage: Passiert das noch vor der nächsten Bundestagswahl?

Dr. Hermann Kues (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002709

Ich glaube, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Aus vielen der Ursachen, die ich eben beschrieben habe, haben wir bereits Konsequenzen gezogen, völlig unabhängig vom Armuts- und Reichtumsbericht. Ich nenne noch einmal das Kernthema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“: Da ist in den letzten Jahren so viel passiert wie seit Jahrzehnten nicht. Das wird ja allgemein anerkannt, egal wo Sie hingehen. Das wird im Prinzip auch von Ihren Parteikollegen anerkannt. Zum einen lässt sich also sagen: Es ist schon eine ganze Menge auf den Weg gebracht worden. Auf die anderen Fragen antworte ich: Der Zeitplan ist präzise abgestimmt. Ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass er entsprechend abgearbeitet wird. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit ist die dringliche Frage 3 beantwortet. Ich komme noch einmal auf den Vorgang im Zusammenhang mit der dringlichen Frage 1 zurück. Mir wurde jetzt ein Telefax vorgelegt, das alle Fraktionen erhalten haben, also auch die Fraktionen, die heute den Antrag gestellt haben, den Minister herbeizuzitieren. Darin wird mitgeteilt, dass Herr Minister Schäuble sein Fernbleiben entschuldigt. Die Fraktion der Grünen wusste also seit gestern, dass der Minister, den sie heute per Überfallbeschluss herbeizitieren wollte, nicht anwesend sein kann. ({0}) Ich erbitte eine freundliche Stellungnahme des zuständigen Parlamentarischen Geschäftsführers zu diesem eigentümlichen Vorgang.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ich finde es auch eigentümlich, dass Sie hier jemanden zur Stellungnahme im Plenum zitieren. Ich weiß nicht, auf welcher geschäftsordnungsrechtlichen Grundlage Sie das machen. Aber es liegt mir natürlich fern, den Präsidenten hier zu kritisieren, während er die Sitzung leitet, weil sich das nach unserer Geschäftsordnung nicht gehört. Üblicherweise ist es so, dass die Geschäftsführer der Großen Koalition uns in der Geschäftsführerrunde am Dienstag mitteilen, wer sich für die Plenarsitzungen entschuldigt hat. Das ist uns dann auch präsent. Dass uns gestern auf Arbeitsebene noch ein Fax erreicht hat, ist mir nicht zur Kenntnis gelangt. ({0}) Sonst hätte ich selbstverständlich den Antrag hier nicht gestellt. In der Sache ging es uns darum - dem Petitum kommt die Bundesregierung jetzt ja auch nach -, dass uns der Vertreter eines Ressorts, das für Abhörtätigkeit und dergleichen zuständig ist, hier Rede und Antwort steht. Der einzige sachliche Grund, das Bundesfinanzministerium verwalte die Aktien, macht, auch wenn Nicolette Kressl von sehr vielem sehr viel versteht, es nicht zu dem kompetentesten Ressort für die Beantwortung der Frage, die Silke Stokar hier als dringliche Frage eingereicht hat. Wenn jetzt aber Frau Zypries und Herr Bergner uns zu dem Thema Rede und Antwort stehen, ist dem Petitum unserer Fraktion damit Genüge getan.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wollte meine Rückfrage nur als Überleitung dafür benutzen, dass wir jetzt die dringliche Frage 1 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn erneut aufrufen, nachdem wir ihre Beantwortung zurückgestellt hatten. Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung angesichts des Umstandes, dass die Deutsche Telekom AG offensichtlich länger als ein Jahr die Verbindungsdaten von Telefonaten ihrer führenden Mitarbeiter mit Journalisten ausgewertet haben soll ({0})? Die Regierung, die ja darüber entscheidet, wer auf eine Frage antwortet, hat nun Gelegenheit, die dringliche Frage zu beantworten. Kollegin Kressl beginnt, und danach werden entweder Frau Zypries oder Herr Bergner zusätzlich Stellung nehmen.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass für die gesamte Bundesregierung klar ist, dass die in dem zitierten Artikel enthaltenen Vorwürfe so schnell wie möglich aufgeklärt werden müssen. Das ist nicht nur ein gemeinsames Interesse der Bundesregierung, sondern es ist auch im Sinne unseres Demokratieverständnisses. Wir wissen - Sie wahrscheinlich auch -, dass die Deutsche Telekom das dazu Erforderliche unternommen hat. Sie hat die Unterlagen, aus denen sich die Verdachtsmomente ergeben, an die Staatsanwaltschaft übergeben und zugleich selbst eine Kölner Anwaltskanzlei mit einer unabhängigen Untersuchung der Vorfälle beauftragt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Will noch jemand von der Regierungsbank zusätzlich Stellung nehmen? ({0}) - Also auf Nachfrage. - Bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es reicht nicht aus, dass angesichts dieses ungeheuren Datenschutzskandals des Telekommunikationsunternehmens, das über die Telefondaten von Millionen von Bürgern verfügt, meine Frage in dieser Art und Weise beantwortet wird. Ich hatte nach dem Handlungsbedarf der Bundesregierung gefragt. Sie haben geantwortet: Die Telekom tut das Erforderliche. Ich bin dankbar, dass die Ministerin, die für die Vorratsdatenspeicherung die Verantwortung trägt, jetzt die Beantwortung übernimmt. Meine konkrete Frage: Geht die Bundesregierung nach diesem Skandal davon aus, dass die rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten im Telekommunikationsgesetz und im Bundesdatenschutzgesetz ausreichen, um solche Datenschutzskandale zu verhindern, also um eine abschreckende Wirkung zu entfalten?

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Frau Abgeordnete, ich weise zunächst darauf hin, dass der Vorfall bei der Deutschen Telekom, der auf Betreiben der Deutschen Telekom an die Staatsanwaltschaft gegeben wurde und nunmehr in dem Verfahren aufgeklärt wird, das unsere Rechtsordnung dafür vorsieht, mit der Vorratsdatenspeicherung gar nichts zu tun hat; denn dieser Vorfall liegt weit vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Insofern ist der Schluss von dem einen auf das andere für meine Begriffe unzulässig. Vielmehr geht es - wenigstens nach Zeitungsberichten - ganz offenbar darum, dass Kommunikation festgestellt wurde. Wozu oder ob sie verwendet wurde, wissen wir noch nicht. Es handelt sich, wenigstens soweit der Fall bekannt ist, auf alle Fälle um einen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis, und das ist als strafrechtliche Norm im deutschen Strafrecht geregelt. Was am Ende davon übrig bleibt, wird die Staatsanwaltschaft zu klären haben. Dazu kann die Bundesregierung im Moment nichts sagen. Jetzt geht es erst einmal darum, zu ermitteln: Wer hat etwas getan, was wurde definitiv getan, und wer trägt dafür die Verantwortung?

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Weitere Nachfrage? - Bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage. Ich habe den Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung hergestellt, weil meiner Meinung nach der skandalöse Vorgang bei der Telekom Beleg genug dafür ist, dass dieses Unternehmen derzeit insgesamt nicht sensibel mit Daten umgeht. Im Zusammenhang mit dem Datenschutzskandal bei Lidl ist von einem Mitglied der Bundesregierung, nämlich Herrn Seehofer, damals ins Spiel gebracht worden, dass wir in Deutschland vielleicht einen etwas besseren Arbeitnehmerdatenschutz brauchen. Da wir im Moment wöchentlich Skandale im Datenschutzbereich haben, dazu meine Frage: Wann wird die Bundesregierung ein

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Frau Kollegin, da es um den Datenschutz geht ({0}) und wir uns zu einer kollektiven Beantwortung der Fragen entschlossen haben, übernehme ich jetzt die Antwort. Zunächst einmal mache auch ich, wie die Kollegin Zypries, darauf aufmerksam, dass das Ermittlungsverfahren im Moment noch läuft und wir mit weitgehenden Schlussfolgerungen zurückhaltend sein sollten, bis entsprechende Ermittlungsergebnisse und Gerichtsentscheidungen vorliegen. Gleichwohl sind wir durch die Sachverhalte, die hier zutage getreten sind, beunruhigt. Sie machen uns deutlich, dass man - bei aller berechtigten Aufmerksamkeit hinsichtlich des Datenschutzes bei staatlichem Handeln - gut beraten ist, das Handeln privatrechtlicher Unternehmen mit mindestens der gleichen Aufmerksamkeit zu beobachten und Regelungsbedarf dort mit der gleichen Aufmerksamkeit zu identifizieren. Eine Bewertung, inwieweit wir es hier tatsächlich mit einem Sachverhalt zu tun haben, der Regelungslücken im Arbeitnehmerdatenschutz aufzeigt, würde ich im Moment für verfrüht halten. Ich mache darauf aufmerksam, dass es einvernehmliche Vereinbarungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über bestimmte Kontrollregularien bei Verwendung von dienstlichen Telefonen und anderem geben kann, die anders zu bewerten sind als eine verdeckte oder geheime Ausspionierung. Ich sage noch einmal: Uns beunruhigt der Sachverhalt, das, was bisher über die Medien mitgeteilt worden ist. Aber bereits jetzt über Gesetzgebungsbedarf zu befinden, halte ich für verfrüht.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort zu einer Nachfrage hat Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Für die Frage, wie wir auf diesen Skandal reagieren, spielt nicht allein eine Rolle, ob in einem Strafverfahren strafrechtliche Schuld individuell in der Weise zuordenbar ist, dass sie zu einer strafrechtlichen Verurteilung von Tätern führt. Denn unabhängig davon, ob diese Beweise gelingen - was in einem Rechtsstaat, auch wenn eine Straftat zweifelsfrei vorliegt, nicht in jedem Fall garantiert werden kann -, gibt es Handlungsbedarf, wenn unstrittig feststeht, dass von der Telekom Telekommunikationsdaten an eine externe Firma weitergegeben wurden zum Zwecke des Abgleichs, ob Telefonkontakte zu bestimmten Personen, in dem Fall Journalisten, vorliegen. Für mich stellt sich damit die Frage: Welche Unternehmen in unserem Land nehmen Aufträge an, die den systematischen Bruch des Telekommunikationsgeheimnisses beinhalten? Das in Rede stehende Unternehmen, die Detektei, hat den Auftrag der Telekom angenommen, aus Telekommunikationsdatenbeständen Informationen herauszufiltern. Diesem Unternehmen hätte aber von Volker Beck ({0}) Anfang an klar sein müssen, dass es solche Daten überhaupt nicht entgegennehmen darf, weil schon das allein eine Straftat ist. Auch diejenigen, die diese Daten weitergeben, begehen eine Straftat. Die Bundesregierung muss klären, welche Unternehmen bei uns solche Aufträge annehmen, und muss die Frage beantworten, wie man allen Beteiligten im Rechtsverkehr klarmachen kann, dass Verträge über solche rechtswidrigen Aufträge nicht abgeschlossen werden dürfen. Frau Ministerin, ich sehe übrigens schon einen Zusammenhang mit der Vorratsdatenspeicherung. Denn je mehr Datenbestände vorhanden sind, umso größer wird die Gefahr, dass es neben einem gesetzesmäßigen Gebrauch der Daten auch zu einem entsprechenden Missbrauch der Daten - wie bei der Telekom - kommen kann. Ich frage Sie, an welche Präventionsmechanismen die Bundesregierung denkt, um die Daten der Bürgerinnen und Bürger, die auf Vorrat gespeichert werden, vor solchem Missbrauch zukünftig tatsächlich zu schützen. Auf Treu und Glauben kann man dies bei Telekommunikationsanbietern vom Schlage der Deutschen Telekom offensichtlich nicht mehr machen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Ministerin.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass ich die pauschalen Verdächtigungen und Anschuldigungen, die Sie hier vorgebracht haben, nicht für richtig halte. Aufgrund eines Vorfalls bei der Telekom sollte man nicht so tun, als seien bei diesem Unternehmen die Daten generell nicht mehr sicher. Der Vorstand der Telekom bemüht sich sehr, aufzuklären und festzustellen, was da tatsächlich passiert ist. Man muss einfach konzedieren, dass es überall dort, wo Menschen handeln, zu Fehlverhalten kommen kann. Wenn wir von vornherein wüssten, welche Firmen und Personen rechtswidrige Aufträge annehmen, dann wären wir in Deutschland bei der Strafverfolgung ein gutes Stück weiter. Leider ist dies aber nicht so. Denn Firmen und Personen, die auf solche rechtswidrige Weise handeln, melden sich nicht bei uns. Wir können also erst handeln, wenn wir Kenntnis von einer Straftat erhalten und die Ermittlungsbehörden ihre Arbeit tun. Ich will Ihre Fragen aber gerne zum Anlass nehmen, einmal zu überlegen, in welcher Form weitere Kontrollen eingeführt werden können. Sie wissen, dass die Datenschutzbeauftragten der Länder dafür zuständig sind, private Unternehmen zu kontrollieren. Der Kollege Bergner wird entsprechende Anregungen gerne in die Konferenz der Datenschutzbeauftragten mitnehmen. Unabhängig davon werden wir anhand dieses Falles sicherlich mit den Datenschutzbeauftragten diskutieren, wie Kontrollen - vielleicht auch in Form von Zufallskontrollen - verstärkt werden können. Ich sage ganz offen: Wie in jedem anderen Fall gilt auch in diesem Fall, dass man nicht meinen sollte, ein umfängliches Regelwerk auf den Weg bringen zu müssen, nur weil einmal etwas in 50 Jahren passiert ist. Zu dieser Feststellung sind wir bei Punkten, die in den Zuständigkeitsbereich des Ministers des Innern fallen, des Öfteren gekommen. Das gilt für solche Fälle wie den vorliegenden ganz genauso.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön, Frau Ministerin. Nachdem die dringlichen Fragen beantwortet sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 16/9248 in der üblichen Reihenfolge auf. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die Fragen 1 und 2 des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Die Beantwortung erfolgt durch den Parlamentarischen Staatssekretär Christian Schmidt. Ich rufe die Frage 3 der Abgeordneten Petra Pau auf: Trifft es zu, dass am Freitag, dem 16. Mai 2008, in dem Zeitraum von circa 9.25 Uhr bis 9.40 Uhr zwei Jagdflugzeuge der Bundeswehr das Stadtgebiet Schwerin - Ortsteil Carlshöhe - und das EU-Vogelschutz-Habitat mehrmals überflogen haben, und, wenn ja, warum - bitte auch gesetzliche Grundlage, Auftrag und auftraggebende Stelle angeben - geschah dies?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Die Überprüfung des militärischen Flugbetriebs hat ergeben, dass am 16. Mai 2008 zwischen 9.21 Uhr und 9.24 Uhr Ortszeit zwei Kampfflugzeuge der Bundeswehr im Rahmen eines Ausbildungsfluges Randbereiche der Stadt Schwerin überflogen haben. Die Flüge wurden in Übereinstimmung mit den flugbetrieblichen Bestimmungen und dem im fliegenden Verband erteilten Flugauftrag durchgeführt. Tiefflüge mit strahlgetriebenen Kampfflugzeugen sind auf Grundlage des § 30 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz grundsätzlich über dem gesamten Bundesgebiet mit Ausnahme von Großstädten mit mehr als 100 000 Einwohnern, Kernkraftwerken sowie in Flugplatzkontrollzonen und Flugbeschränkungs- und Luftsperrgebieten zulässig. Dies gilt auch für Flüge über der Stadt und der Region Schwerin, da dort keine Flugbeschränkungsgebiete eingerichtet sind. Das Überfliegen von Nationalparks, Naturparks und Natur- und Landschaftsschutzgebieten durch Luftfahrzeuge der Bundeswehr ist auch im Tiefflug zulässig. Dies ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Luftverkehrsgesetz, wonach die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge frei ist, soweit sie nicht durch das Luftverkehrsgesetz und die zur Durchführung dieses Gesetzes erlassenen Rechtsvorschriften beschränkt wird. - So weit meine Antwort, Frau Kollegin.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Gelegenheit zur Nachfrage, Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die ausführliche Klarstellung der Rechtslage. Wie viele Beschwerden zu Tiefflügen im Randbereich der Landeshauptstadt Schwerin im letzten Jahr sind Ihnen bekannt geworden?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, mir sind aktuell keine weiteren Beschwerden bekannt. Ich werde aber veranlassen, dass Ihnen die Antwort auf diese Frage, bezogen auf den Zeitraum des letzten Jahres, schriftlich nachgereicht wird. Weitere Vorfälle sind mir nicht bekannt. Ich möchte allerdings noch festhalten, dass bei diesem konkreten Flug die Mindesttieffluggrenze nicht unterschritten worden ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollegin Pau.

Petra Pau (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003206, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herzlichen Dank auch für diese Auskunft. - Wir wissen ja, dass manchmal Beschwerden abgeschickt werden, weil die gefühlte Flughöhe vielleicht tiefer war, als sie tatsächlich war. Dazu noch eine Nachfrage: Habe ich Sie richtig verstanden, dass nach EU-Habitat-Richtlinie zum Beispiel auch ausgewiesene Vogelschutzgebiete im Tiefflug überflogen werden dürfen, oder gibt es dort Einschränkungen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Da gibt es grundsätzlich keine Einschränkungen. Soweit Flüge im Besonderen in Sperrgebieten stattfinden, sind Einschränkungen möglich. Wenn Sie mir, Frau Kollegin, über Ihre Zusatzfrage etwas hinausgehend, eine Antwort auf die Frage nach den Mindestflughöhen gestatten, dann mag das etwas zur Aufklärung beitragen: Bei Flügen mit strahlgetriebenen Kampfflugzeugen ist bei Tage generell eine Mindestflughöhe von 1 000 Fuß über Grund, also von circa 300 Meter, über dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und in Ausnahmefällen im Rahmen eines äußerst begrenzten Kontingents von 500 Fuß über Grund, von circa 150 Meter, einzuhalten. Dies war hier nicht der Fall; ein solches Kontingent wurde nicht in Anspruch genommen. Da wäre sicherlich auch in Betracht zu ziehen, dass es sich um eine Habitat-Region handelt. Diese Tiefstflüge sind in der Zeit von Montag bis Freitag zwischen 30 Minuten vor Sonnenaufgang - jedoch nicht vor 7 Uhr Ortszeit - und 30 Minuten nach Sonnenuntergang - jedoch nicht später als 17 Uhr Ortszeit - zulässig. Während des Zeitraums vom 1. Mai bis 31. Oktober sind Flüge unterhalb von 1 500 Fuß über Grund, das heißt unterhalb von circa 450 Meter, zwischen 12.30 Uhr und 13.30 Uhr Ortszeit, also in der Mittagszeit, generell verboten. Ich erlaube mir, darauf hinzuweisen, dass in unserem Lande bei diesen Fragen eine erhebliche Regelungsdichte in Umsetzung des Luftverkehrsgesetzes erkennbar ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Danke schön. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Kai Gehring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, werden schriftlich beantwortet. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 6 der Kollegin Cornelia Hirsch, Fraktion Die Linke, wird ebenso schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Jörg Rohde auf: Wird die Bundesregierung für den Fall, dass sich herausstellen sollte, dass der Anwendungsbereich der für den Juni zu erwartenden Antidiskriminierungsrichtlinie der Europäischen Kommission über das hinausgeht, was in der Bundesrepublik Deutschland für Menschen mit Behinderung bereits durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, geregelt wurde, weiterhin der neuen Richtlinie nicht zustimmen? Die Frau Ministerin ist anwesend und wird die Frage beantworten. Bitte schön.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Für die Bundesregierung antworte ich, dass wir nur wissen, dass die Europäische Kommission diesen für den Juni angekündigten Richtlinienvorschlag zurückgezogen hat, und dass wir unsere Haltung zu diesem Richtlinienvorschlag dann festlegen werden, wenn er vorliegt. Ehrlich gesagt, kann ich Ihnen dazu im Moment nichts sagen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, vielen Dank für die Antwort. Ich versuche schon in meiner Tätigkeit im Ausschuss für Arbeit und Soziales, der Bundesregierung dazu eine Antwort zu entlocken. Wir hatten eine erste Stellungnahme über aktuelle Vorhaben auf europäischer Ebene. Dabei wurde das Vorhaben der Kommission bewertet, und es stellte sich heraus, dass die Bundesregierung dem ablehnend gegenübersteht. Das hat mich zu der Nachfrage veranlasst. Bisher habe ich nur ausweichende Antworten bekommen. Zwischenzeitlich hat aber das Europäische Parlament am 21. Mai ein Votum gefasst, sodass jetzt klarer wird, worum es geht, nämlich um die Diskriminierung von Behinderten im nichtberuflichen Bereich. Damit ist auch klar, was die Europäische Kommission will und was sie von Deutschland bei der Umsetzung erwartet. Jetzt geht meine Frage an die Bundesregierung und damit an Sie, Frau Ministerin: Geht die Regelung, die von Europa gewollt wird, über das hinaus, was in Deutschland bereits Gesetz ist? Wenn das nicht der Fall ist, hätten wir ein argumentatives Problem, warum wir auf europäischer Ebene dagegen wären. ({0}) Wenn es darüber hinausgeht, wäre für mich die Antwort natürlich klar; denn dann wären wir dagegen. Wir wollen ja nicht, dass Europa uns diskriminiert. Vielleicht gebe ich Ihnen erst einmal die Gelegenheit, die Frage zu beantworten, ob die Regelungen darüber hinausgehen.

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Ich kann es Ihnen nicht sagen, Herr Abgeordneter. Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass ich mit dem zuständigen Kommissar Špidla darüber ein allgemeines Gespräch geführt habe. Dabei hat er mir nicht gesagt, welche Regelungen er nun eigentlich vorschlagen will. Meine Mitarbeiter haben mir aufgeschrieben, dass wir ursprünglich davon ausgegangen sind, dass es sich nur um das Merkmal der Behinderung handele. Es sei aber nicht abschätzbar, worum es tatsächlich gehe. Gerüchten zufolge überlege die Kommission jetzt auch andere Regelungen. - Sie sehen also, dass dies für uns nicht greifbar ist. Deswegen bitte ich Sie um Nachsicht, wenn ich sage: Wir legen unsere Haltung dann fest, wenn wir wissen, was tatsächlich vorgeschlagen wird. Dann wird auch feststehen, wer innerhalb der Bundesregierung für die Umsetzung federführend ist.

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Dann noch einmal die konkrete Nachfrage: Verstehe ich Sie richtig, dass die Bundesregierung im Moment eine Festlegung vermeidet - bisher war die Haltung ablehnend - und wartet, was aus Brüssel kommt? Die Signale zeigen eindeutig, in welche Richtung es geht. Zumindest das Europäische Parlament hat eine Richtung vorgegeben. Durch Gespräche mit verschiedenen Vertretern und auch mit den Franzosen, die uns im Ausschuss für Arbeit und Soziales die Marschrichtung für den 1. Januar 2009 schon vorgegeben haben, ist klar geworden, dass die Diskussionsgrundlage in Europa der kleinste gemeinsame Nenner ist. Es geht um Behinderung im nichtberuflichen Bereich. Damit ist das Thema relativ genau eingegrenzt. Man könnte prüfen, ob es in Deutschland dazu Regelungsbedarf gibt. Würden Sie wenigstens eine Prüfung auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und der Gespräche der verschiedenen Abgeordneten der verschiedenen Parlamente einleiten?

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Ich glaube nicht, dass die Bundesregierung eine Prüfung einleiten wird, ob es einen Regelungsbedarf gibt, Behinderte im zivilrechtlichen Bereich besserzustellen, weil wir, wenigstens nach allem, was ich weiß, hier keinen Bedarf sehen. Die Belange der Behinderten werden mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz erfasst, das sich auch auf das Zivilrecht bezieht. Mir sind, ehrlich gesagt, keine Fälle bekannt, in denen darüber hinausgehend auch nur Beschwerden vorliegen. Ich weiß nicht, ob irgendjemand aus der Bundesregierung dazu etwas beitragen kann. Sie wissen, dass ich die Letzte bin, die Diskriminierungen in diesem Lande zulassen würde. Von daher können Sie davon ausgehen, dass wir uns weiter dafür einsetzen werden, dass hier niemand diskriminiert wird, und dass wir alles dafür tun werden, dass das nicht der Fall ist.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine Nachfrage des Kollegen Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, Ihre Antwort lässt mich ähnlich verwirrt zurück wie Herrn Rohde. Ich war kürzlich auf Einladung der europäischen liberalen Fraktion in Brüssel. Sie steht bekanntlich an der Spitze einer Bewegung im Europäischen Parlament, die für die Ausweitung des Diskriminierungsschutzes im Zivilbereich auf alle Kriterien eintritt. Der Diskriminierungsschutz wird also nicht nur auf das Kriterium Behinderung bezogen, sondern auch auf die Kriterien sexuelle Identität, Religion und Alter. Im Prinzip geht es darum, den gesamten Kriterienkatalog, den wir auf nationaler Ebene im Bereich des Arbeitsrechts schon haben - wir haben das zivilrechtlich im AGG geregelt -, auch auf europäischer Ebene zur Anwendung zu bringen. Der Richtlinienschutz, der bezüglich der Kriterien ethnische Herkunft und Geschlecht besteht, soll auf die übrigen Kriterien ausgedehnt und europarechtlich geregelt werden. Ein Mitarbeiter von Herrn Špidla hat in dieser Anhörung gesagt, es liege allein an der Bundesregierung, dass ein entsprechender Richtlinienentwurf nicht vorgelegt werden könne. In der Debatte, die wir in diesem Parlament kürzlich darüber geführt haben, haben wir gesagt, dass wir es begrüßen würden, wenn die Bundesregierung die Entschließung des Europäischen Parlaments zur Grundlage ihrer Verhandlungsposition machen würde, wenn sie dafür eintreten würde, dass alle Diskriminierungsgründe gleichermaßen im Zivilrecht Berücksichtigung finden würden. Es macht nämlich keinen Sinn, Diskriminierung nach dem einen Kriterium zuzulassen und Diskriminierung nach einem anderen Kriterium zu verbieten. Diese Position entspricht unserer gemeinsamen Philosophie. Ist die Bundesregierung bereit, ihren Widerstand aufzugeben? Ist sie bereit, hier öffentlich zu erklären, dass sie keinen Widerstand leisten würde, wenn die Kommission der Aufforderung des Europäischen Parlaments, diesbezüglich Pläne auszuarbeiten, nachkäme? Wir wissen, was das EP gesagt hat. Ist die Bundesregierung bereit, die Entschließung des Europäischen Parlaments zu unterstützen und sie zur Grundlage ihrer Politik im Europäischen Rat zu machen? Welche Position nimmt die Bundesregierung bei dieser Thematik im Europäischen Rat ein?

Brigitte Zypries (Minister:in)

Politiker ID: 11003870

Herr Abgeordneter, ich bedanke mich zunächst dafür, dass Sie mir diese Information über Ihre Gespräche in Brüssel gegeben haben. Ich würde mir wünschen, dass allein die Tatsache, dass die Bundesregierung eine bestimmte Auffassung vertritt, auch in anderer Angelegenheit dazu führt, dass die Kommission Abstand von bestimmten Vorhaben nimmt, zum Beispiel von dem Vorhaben, uns zu verklagen. Weil das in anderen Fällen nicht so ist, habe ich Zweifel, dass die Erkenntnisse, die Sie in Brüssel gewonnen haben, den Tatsachen entsprechen. Die Bundesregierung hat nie in irgendeiner Form offiziellen Widerstand geleistet. Wir werden gar nicht weiter gefragt. Herr Špidla war hier und hat allgemeine Gespräche geführt. Die Kommission fragt uns aber nicht, welche Entwürfe sie vorlegen soll. Wer das glaubt, überschätzt das Ganze deutlich. Ich bin auf jeden Fall nicht gefragt worden. Ich habe mit Herrn Špidla keine konkreten Gespräche darüber geführt. Wir haben nur sehr allgemein darüber geredet, was eventuell möglich wäre. Er hat sich aber nicht festgelegt. Aus eigener Anschauung kann ich daher gar nichts dazu sagen. Da mir die Entschließung des Europäischen Parlaments gerade nicht vorliegt, kann ich mich dazu nicht weiter äußern. Ich reiche das aber gerne schriftlich nach.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung. Die Fragen 8 und 9 des Kollegen Kurth werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 10 und 11 der Kollegin Zimmermann. Die Frage 12 wird nunmehr auch schriftlich beantwortet, da die Kollegin Haßelmann den Plenarsaal gerade verlassen hat. Die Frage 13 der Kollegin Hirsch wird ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Elke Reinke, Fraktion Die Linke, auf: Ist der Bundesregierung bekannt, unter welchen Voraussetzungen Reisekosten für Nichtleistungsbeziehende, die bei der zuständigen Agentur für Arbeit ihrer monatlichen Meldepflicht nachkommen müssen, übernommen werden, und wie schätzt die Bundesregierung die Tatsache ein, dass Menschen, die von der Agentur keine Leistungen erhalten, Reisekosten bis 6 Euro selbst tragen müssen? Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben das Wort.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Antwort lautet wie folgt: Für Arbeitslose, die kein Arbeitslosengeld beziehen, gibt es keine den Vorschriften für den Bezug von Arbeitslosengeld entsprechende allgemeine Meldepflicht nach § 309 SGB III; das gilt nur für Leistungsbezieher. Dementsprechend können Nichtleistungsbezieherinnen und -beziehern in diesem Zusammenhang auch keine Reisekosten entstehen.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich würde gern nachfragen, wenn Sie es gestatten, Herr Präsident.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte, Frau Kollegin.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Es ist leider in der letzten Zeit vermehrt vorgekommen, dass Einladungen verschickt wurden, woraufhin man sich melden muss. Man hat also die Pflicht, sich bei der Agentur zu melden. Dadurch entstehen Kosten. Darauf bezieht sich meine Frage. Es muss doch eine Möglichkeit geben, die entstandenen Fahrtkosten - seien es auch 5,99 Euro - zu erstatten. Diese Menschen erhalten keine Bezüge. Von Geld, das man nicht hat, kann man keine Fahrtkosten bezahlen. Ich kann es Ihnen schriftlich geben; diese Einladungen werden verschickt. Es mag sein, dass es dieses Gesetz gibt, aber man hält sich nicht daran. Ich weiß nicht, wie wir da weiter verfahren sollen. In letzter Zeit wird sogar vermehrt darauf gedrängt, dass man sich alle vier Wochen meldet. Dadurch wird das schon zu einem Problem.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Frau Reinke, auch Nichtleistungsbezieher bekunden ein Interesse, vermittelt zu werden. Ich glaube, es ist gute Praxis, von Zeit zu Zeit zu prüfen, ob das Interesse, vermittelt zu werden, noch besteht, und darüber zu sprechen, ob man eine Eingliederungs-, Qualifizierungsoder Trainingsmaßnahme anbieten kann. Das geschieht über diesen Weg. Diese Nichtleistungsbezieher sind eingeladen, an einem aktiven Prozess der Integration in den Arbeitsmarkt oder des Bauens einer Brücke teilzunehmen.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist wichtig, dass die Menschen einbezogen werden und diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente in Anspruch nehmen dürfen. Es ist sehr schön, das zu hören; das unterstütze ich. Den Menschen entstehen aber trotzdem Kosten, die irgendwie gedeckt werden müssen. Wie soll man das bezahlen, wenn man keine Einnahmen hat?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Es besteht die Möglichkeit, dass die Agentur für Arbeit sowohl bei Arbeitslosen als auch bei von Arbeitslosigkeit bedrohten Nichtleistungsbeziehern die Reisekosten im Zusammenhang mit Fahrten zur Berufsberatung und -vermittlung übernimmt, wenn sie zuvor der Kostenübernahme zugestimmt hat. Die Bundesagentur für Arbeit, der die Umsetzung der Arbeitsförderung obliegt, hat zur Wahrung eines angemessenen Verhältnisses von Leistungszweck und Verwaltungsaufwand festgelegt, dass Leistungen bis zur Höhe von 6 Euro grundsätzlich nicht gewährt werden. Allerdings kann ausnahmsweise davon abgesehen werden, wenn sich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Antragstellers besonders nachhaltig vom Durchschnitt der Arbeitslosen unterscheiden. Dies dürfte bei Nichtleistungsbezieherinnen und -beziehern, bei denen keine Hilfebedürftigkeit vorliegt, regelmäßig nicht der Fall sein. Eine weitere Ausnahme liegt vor, wenn absehbar ist, dass dem AntragstelParl. Staatssekretär Franz Thönnes ler innerhalb eines kürzeren Zeitraums wiederholt Aufwendungen entstehen, die jeweils für sich die Bagatellgrenze unterschreiten. Damit beschreibe ich schlichtweg, dass eine Kostenübernahme im Einzelfall durchaus möglich ist, dass aber nach dem Ermessen geprüft werden muss. Wenn jemand nicht hilfebedürftig ist, weil er in einer Bedarfsgemeinschaft lebt, die über ein ausreichendes Einkommen verfügt, ist es im Einzelfall möglich - schließlich handelt es sich um Gelder der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler -, zu sagen: Das Familieneinkommen reicht aus, um die Kosten zu bestreiten. Es kann aber auch ein Fall eintreten, bei dem das nicht so ist. Dann - das habe ich gerade beschrieben - kann es angemessen sein, die Reisekosten zu übernehmen. Ich glaube, dass aufgrund dieser Bandbreite eine vernünftige Regelung - jeweils der Lebenssituation angepasst - gefunden werden kann.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zur Frage 15 der Kollegin Reinke: Wie beurteilt die Bundesregierung die in jüngster Zeit gängige Praxis, dass Nichtleistungsbeziehende in Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit gedrängt werden und dabei ihre Zusatztätigkeit - geringfügige Beschäftigung etc. - aufgeben müssen oder diese nur behalten können, wenn sie freiwillige Eigenbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, dafür aber nicht mehr als arbeitslos/arbeitsuchend geführt werden und somit aus der Erwerbslosenstatistik fallen?

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Die Antwort lautet wie folgt: Soweit die Bundesagentur für Arbeit alle Arbeitslosen unabhängig von einem Leistungsbezug in die Vermittlungsbemühungen einbezieht und deren Vermittlungssituation durch die Teilnahme an einer Maßnahme der aktiven Arbeitsförderung zu verbessern versucht, entspricht dies den gesetzlichen Regelungen und arbeitsmarktpolitischen Zielen der Bundesregierung. Es ist Aufgabe der Bundesagentur für Arbeit, für einen Ausgleich am Arbeitsmarkt zu sorgen. Angesichts der hohen Zahl an offenen Stellen sind alle Arbeitslosen in die Vermittlungsbemühungen einzubeziehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Kollegin Reinke.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es ist begrüßenswert, dass die arbeitsmarktpolitischen Instrumente auch für diese Personengruppe gelten. Aber in der letzten Zeit werden über 50-Jährige, die diese Instrumente mehr als zehn Jahre nicht in Anspruch nehmen konnten - sie sind von der Agentur nicht berücksichtigt worden -, sich aber immer bemüht haben, plötzlich zu diesen Gesprächen eingeladen. Dann wird ihnen sehr oft gesagt: Sie müssen ein Bewerbungstraining machen. Wenn Sie das nicht machen, fliegen Sie aus der Statistik. - Ich frage Sie: Ist das sinnstiftend? Den Menschen, die einen Nebenjob haben, wird häufig das Angebot gemacht: Gehen Sie zu Ihrem Rententräger und zahlen Sie Ihre Rentenbeiträge selbst. Dann werden Sie aus unserer Statistik gestrichen. Wenn Sie das nicht tun, müssen Sie das Bewerbungstraining machen. - Hier dreht man sich im Kreis. Ich kann Ihnen sagen: Das ist kein Einzelfall.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Ich werde mit dem letzten Teil Ihrer Fragestellung bzw. Ihrer Beschreibung beginnen. Die Konstruktion der Aufrechterhaltung der Nebenbeschäftigung unter der Bedingung, dass freiwillig Eigenbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung gezahlt werden und der Status der Arbeitslosigkeit entfällt, ist nicht nachvollziehbar. Hier besteht aus unserer Sicht kein Zusammenhang. Ich bin gerne bereit, das gemeinsam mit Ihnen am jeweiligen Einzelfall zu überprüfen und zu überlegen, wie man hier helfen kann. Der zweite Punkt. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber wir diskutieren hier im Parlament darüber, wie positiv die in den letzten Jahren stattgefundene Integration älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt ist und dass es uns gelungen ist, viele Menschen aus der Arbeitslosigkeit zu holen und ihnen und ihren Familien wieder eine Perspektive zu geben. Der Beschäftigungsaufwuchs - es handelt sich um ein Plus von gut 630 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - wird zu mehr als der Hälfte von den über 50-Jährigen getragen. Wir sind sehr froh darüber, dass die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik hier greifen. Wir sind auch sehr froh darüber, dass die vielen Initiativen, die von den Gewerkschaften, den Arbeitgeberverbänden und sogar einzelnen Abgeordneten ergriffen werden, dazu beigetragen haben, dass sich einzelne Unternehmer wieder darauf besinnen, Ältere zu beschäftigen und ihre Kompetenzen und Fähigkeiten erfolgreich zu nutzen. Wir sind stolz darauf, dass wir die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen seit dem Jahr 2000 von circa 38 Prozent auf jetzt rund 52,2 Prozent erhöhen konnten. Das alles sind Nachweise dafür, dass sich unsere Integrationsaktivitäten lohnen. Deswegen sage ich Ihnen: Ja, es ist richtig und wichtig, die Älteren einzuladen. Man muss untersuchen, welche Defizite vorhanden sind. Es geht darum, das vorhandene Beschäftigungsangebot mit dem Nachfragepotenzial zusammenführen, damit die Menschen wieder in Beschäftigung kommen. Deswegen ist es gut, so vorzugehen. Ich glaube, dass sich diese Erfolgsstrategie mittlerweile im Land herumgesprochen hat. Niemand kann sagen: Das alles kommt ganz plötzlich. - Wir wollen, dass die Älteren ihren Platz im Beschäftigungssystem haben. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Noch eine Nachfrage? - Bitte.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das sehe ich wie Sie: Selbstverständlich sollen die Älteren mit einbezogen werden. Aber ich kritisiere die Vorgehensweise. Es geht nämlich nicht nur, sondern unter anderem um Ältere. Es geht auch um jüngere Menschen, die keinen Nebenjob haben. Mein Eindruck ist, dass man versucht, sie aus der Statistik zu drängen. Ich habe das Gefühl, dass man im Vorfeld der anstehenden Wahlen eine Verbesserung der Statistik vorweisen will, um sagen zu können: Wir haben die Erwerbslosigkeit gesenkt. - Das ist der Eindruck, den ich habe. Ich denke, dass hier noch Redebedarf besteht. Ich hoffe, dass wir uns darüber demnächst einmal ausführlicher austauschen können.

Franz Thönnes (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002818

Das, was Sie gesagt haben, ist Ihre Einschätzung. Aber ich frage Sie: Wie soll die Bundesagentur für Arbeit denn verfahren? Es gehört zu ihrer Aufgabe, Arbeitslose zu vermitteln und vor dem Hintergrund des vielfältigen Angebots von Trainings- und Qualifizierungsmaßnahmen zu untersuchen, welche Chancen sie haben. Vermittlungsfähig ist nur derjenige, der der Arbeitsagentur zur Verfügung steht. Es ist gut, wenn jemand eine Nebenbeschäftigung hat. Sie darf aber nicht dazu führen, dass die Vermittlungsfähigkeit beeinträchtigt wird. Wenn jemand, weil er einer Nebenbeschäftigung nachgeht, nicht an Qualifizierungs-, Trainings- oder Eingliederungsmaßnahmen teilnehmen kann, hemmt dies seine Chance auf Eingliederung in den Arbeitsmarkt. In einem solchen Fall muss man dieser Person sagen: Nimm an diesen Maßnahmen teil, damit du eine Perspektive hast, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Ich kann die Eindrücke, die Sie gerade geschildert haben, jetzt nicht widerlegen. Wenn Sie mir sagen, wo das, was Sie beschrieben haben, geschehen ist, kann ich dem nachgehen. Ich will deutlich sagen: Angesichts gut 1 Million offener Stellen sind all unsere Aktivitäten darauf gerichtet, die Menschen, die keine Arbeit haben, in Arbeit zu bringen. Dazu dienen die vielfältigen Programme für Ausbildung und Arbeit, die bereits aufgelegt worden sind und an denen mittlerweile 400 000 bis 450 000 Menschen teilnehmen können. Unser Ziel ist, zu integrieren. Die Zahlen der letzten Monate stimmen uns sehr zuversichtlich. Sie machen uns nicht zufrieden, aber sie spornen uns an. Deswegen werden wir daran festhalten, die Menschen aktiv einzugliedern und ihnen Perspektiven zu geben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth zur Verfügung. Ich rufe die Frage 16 des Kollegen Heinrich Kolb, FDP-Fraktion, auf: Ist es zutreffend, dass auf der Bundesautobahn 3 im Tunnel bei Hösbach zeitweise - so zum Beispiel am 13. Mai 2008 eine Blockabfertigung des Verkehrs erfolgt? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Danke, Herr Präsident. - Herr Dr. Kolb, mit Ihrer Erlaubnis würde ich gerne beide Fragen zusammen beantworten, da sie einen Tatbestand betreffen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann rufe ich auch Frage 17 des Kollegen Heinrich Kolb auf: Wenn ja, wer ordnet diese Maßnahme jeweils an, und nach welchen Kriterien erfolgt die Anordnung?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ja, das, was Sie festgestellt haben, ist zutreffend. In der Einhausung Hösbach - wie auch in anderen Tunneln - kam und kommt es zur Vermeidung von Staus im Tunnelbereich oder zu deren schnellen Auflösung gelegentlich zu Blockabfertigungen, auch am 13. Mai 2008. Sie haben gefragt, wer das anordnet. Als zuständige Straßenverkehrsbehörde hat die Autobahndirektion Nürnberg eine entsprechende generelle verkehrsbehördliche Anordnung erlassen. Ihre automatische Umsetzung erfolgt in der Weise, dass der die angeschlossenen Tunnel - so auch den in Hösbach - steuernde Zentralrechner in der Verkehrs- und Betriebszentrale Nürnberg über Sensoren den jeweils aktuellen Betriebszustand im jeweiligen Tunnelbereich erfasst und im Falle eines beginnenden Staus den Zufluss in den Tunnel über vorhandene Wechsellichtzeichen oder Verkehrsbeeinflussungsanlagen reduziert oder, bei anhaltendem Verkehr, kurzzeitig auch unterbricht. So kommt es dann zu diesen sogenannten Blockabfertigungsmaßnahmen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Kollege Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ist nach dem, was Sie gesagt haben, damit zu rechnen, dass solche Blockabfertigungen auf Dauer vorkommen können, oder hängt das nur damit zusammen, dass hinter dem Tunnel noch Baumaßnahmen stattfinden? Kann man also davon ausgehen, dass es mit Ende der Bauarbeiten auch keine Blockabfertigung auf diesem Abschnitt mehr geben wird?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Dr. Kolb, so ist es. Durch die Baumaßnahmen auf der A 3 wird der Verkehr zum Teil beeinträchtigt; insbesondere im Bereich des Tunnels kommt es dann zu Staus. Sie wissen ja, dass wir gemäß einer EU-Richtlinie hinsichtlich der Tunnelsicherheit darauf achten müssen, dass Staus im Tunnelbereich vermieden werden.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Danke, Herr Präsident. - Haben Sie Zahlen darüber vorliegen, wie oft es in den zurückliegenden Wochen bzw. Monaten zu einer Blockabfertigung auf diesem Abschnitt gekommen ist?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Dr. Kolb, wir haben damit gerechnet, dass Sie diese Frage stellen. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2007 - bis zum Umlegen des Verkehrs - gab es in Richtung Frankfurt an 170 Tagen Blockabfertigungen. Ich will auch auf die aktuelle Zahl eingehen, die für Sie wichtig ist: Am 13. Mai 2008 gab es aufgrund der Markierungsarbeiten ebenfalls Blockabfertigungen. Seit Beginn dieses Jahres fanden in Richtung Frankfurt an 27 Tagen Blockabfertigungen statt - das ist aus meiner Sicht nicht sehr viel -, in Richtung Nürnberg sogar nur an 16 Tagen. Ich will anmerken: Dies geschieht aus Sicherheitsgründen. Im Tunnelbereich haben wir besondere Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Bei allem Verständnis dafür, dass man sich als Autofahrer vielleicht darüber ärgert, muss die Sicherheit Vorrang vor dem schneller fließenden Verkehr haben.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Dr. Kolb.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mir war der Begriff „Blockabfertigung“ bis dato gänzlich unbekannt. Sie haben gesagt, dass es in Deutschland weitere Tunnel gibt, in denen Blockabfertigungen stattfinden. Es ist also durchaus eine gängige Maßnahme. Wo gibt es sie sonst noch?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Dr. Kolb, in der Regel findet die Blockabfertigung bei Baumaßnahmen statt, wenn Situationen eintreten, die normalerweise zu Staus führen. Im Übrigen haben wir den EU-Auflagen entsprechend die Lichtsignale genau deshalb, um einschreiten zu können. Welchen Sinn hat der ganze technische Aufbau, wenn wir nicht - unabhängig von Bauarbeiten - dann einschreiten können, wenn es im Interesse der Sicherheit der Menschen darauf ankommt? Insofern sind wir, glaube ich, hinsichtlich der Tunnelsicherheit in unserem Land auf einem sehr guten Stand. Ich freue mich, dass wir bisher so wenige Unfälle in diesem Bereich zu verzeichnen hatten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun haben wir mit der Blockabfertigung eine neue Vokabel gelernt. Herzlichen Dank! Wir kommen damit zur Frage 18 des Kollegen Jan Mücke von der FDP-Fraktion: Inwieweit wurde - in Kenntnis der Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Karin Roth, auf meine Frage vom 8. Mai 2008 ({0}) sowie der Tatsache, dass darin nicht nach Zuständigkeiten gefragt wurde, sondern danach, ob die angesprochenen Prüfungen tatsächlich stattfanden - im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung geprüft, ob Teile des abgeschlossenen Planfeststellungsverfahrens „Neubau des Verkehrszuges Waldschlösschenbrücke“ in Dresden im Rahmen eines für die derzeit diskutierte Untertunnelung des Elbtals notwendig werdenden Planänderungsverfahrens genutzt werden könnten, und zu welchen Ergebnissen ist man diesbezüglich gekommen? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Mücke, aufgrund der alleinigen Zuständigkeit des Freistaates Sachsen und der Landeshauptstadt Dresden bezogen auf diese Frage wurde im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung nicht geprüft, ob Teile des abgeschlossenen Planfeststellungsverfahrens zum Neubau des Verkehrszuges Waldschlösschenbrücke in Dresden im Rahmen eines für die derzeit diskutierte Untertunnelung des Elbtals notwendigen Planänderungsverfahrens genutzt werden könnten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Kollege Mücke.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, diese Frage hat einen ernsten Hintergrund. Sie kennen vielleicht die Bürgerinitiative, die zurzeit einen neuen Bürgerentscheid anstrebt. Diese Bürgerinitiative - vertreten durch Herrn Professor Weber - behauptet öffentlich, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unter Federführung und im Auftrag von Herrn Staatssekretär Lütke Daldrup eine entsprechende Prüfung vorgenommen habe und dass die Experten im Verkehrsministerium mit der Prüfung der Verwendbarkeit von Teilen des Planfeststellungsbeschlusses für eine Brücke auch für den Bau eines Tunnels befasst waren. Nach Ihrer eben vorgetragenen Antwort hat es eine solche Prüfung nicht gegeben. Die Behauptung, die durch die Bürgerinitiative aufgestellt wurde, entspricht demnach nicht der Wahrheit. Habe ich Sie richtig verstanden?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ich weiß nicht, was die Bürgerinitiative im Detail behauptet. Aber ich stehe zu meiner Antwort auf Ihre Frage.

Jan Mücke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003813, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Heißt das, dass die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt geprüft hat, ob Teile des Planfeststellungsbeschlusses für den Bau einer Brücke auch für den Bau eines Tunnels verwandt werden können?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Die Bundesregierung hat sich nicht in die Planfeststellungsverfahren eingemischt. Wir sind nicht dazu befugt.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Peter Hettlich werden schriftlich beantwortet. Wir kommen damit zur Frage 21 der Kollegin Bärbel Höhn: Welche CO2-Einsparung wollte die Bundesregierung im Rahmen ihres integrierten Klima- und Energiepaketes durch die Maßnahme erreichen, Mietern ein Recht zur Mietminderung einzuräumen, wenn ihre Heizkosten infolge der ungenügenden energetischen Sanierung der Mietwohnung überhöht sind, und durch welche kompensatorischen Maßnahmen soll die Lücke geschlossen werden, die dadurch entsteht, dass diese Maßnahme nun nicht umgesetzt werden wird? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Kollegin Höhn, die Antwort der Bundesregierung lautet wie folgt: Gegenstand der Beschlüsse von Meseberg ist die Prüfung, ob energetische Sanierung und die Ausschöpfung weiterer Energieeinsparpotenziale bei vermieteten Mehrfamilienhäusern bei einem gravierenden Verstoß gegen eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Einhaltung eines energetischen Standards bzw. zur Nachrüstung durch eine prozentuale Kürzung in der Heizkostenverordnung beschleunigt werden können. Eine konkrete Einsparvorgabe ist darin noch nicht vorgegeben. Auch das Verfahren selbst ist noch nicht abgeschlossen. Es wird zurzeit noch geprüft.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin Höhn, bitte schön.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin, wir haben jetzt über die Frage gesprochen, inwieweit Mieter das Recht haben sollen, in ihren Mietwohnungen Dämmmaßnahmen zu verlangen und so eine CO2-Einsparung zu erreichen. Der Kollege Hettlich hatte danach gefragt, wie Sie damit umgehen, dass verpflichtende Maßnahmen für Ein- und Zweifamilienhäuser aus der EnEV ausgenommen werden. Das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz soll nur noch auf Neubauten und nicht auf Altbauten angewandt werden. Damit brechen Ihnen im Gebäudebereich drei dicke Maßnahmen weg. Was erwartet Ihr Ministerium überhaupt noch an CO2-Einsparungen im Gebäudebereich, wenn von den Maßnahmen, die Sie vornehmen wollten, eigentlich nicht mehr viel übrig geblieben ist?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Meine liebe Kollegin Höhn, Sie beurteilen das jetzt im Hinblick auf die Maßnahmen, die zurzeit diskutiert werden. Das Paket der Bundesregierung zum Integrierten Energie- und Klimaprogramm ist, wie Sie wissen, noch nicht abgeschlossen. Daher schlage ich vor, den Beschluss der Bundesregierung abzuwarten, der demnächst erfolgen wird. Dann werden Sie dies politisch bewerten können.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Eine weitere Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wir stellen fest, dass im Gebäudebereich fast nichts passiert. Ich komme nun zum Verkehrsbereich. Hier gibt es Diskussionen um die Maut und die Kfz-Steuer; die Themen Tempolimit und Dienstwagenprivileg wollen Sie nicht anpacken. Außerdem blockiert die Bundesregierung die CO2-Reduktionsmaßnahmen der EU. Welche CO2-Einsparmaßnahmen wollen Sie denn im Verkehrsbereich umsetzen, um vielleicht das kompensieren zu können, was Sie im Gebäudebereich nicht erreichen? Gibt es überhaupt eine einzige Maßnahme im Verkehrsbereich, mit der Sie CO2-Emissionen reduzieren?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Liebe Kollegin Höhn, ich verstehe ja, dass Sie gern vor Beschlussfassung durch das Kabinett wissen wollen, was wir im Gesamtpaket für den Verkehrsbereich vorsehen. Aber ich bitte Sie, sich noch ein bisschen zu gedulden, bis die Bundesregierung das Gesamtpaket geschnürt haben wird. Dann werden wir über die Fakten im Einzelnen reden können. Ich möchte Ihnen das jetzt nicht vorab mitteilen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Damit kommen wir zur Frage 22 des Abgeordneten Anton Hofreiter: Wie ist der aktuelle Sachstand bei der vom Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vor nunmehr fast einem Jahr vorgeschlagenen Einrichtung einer Pilotstrecke zur Fahrradmitnahme im ICE, und über welche greifbaren Ergebnisse der Verhandlungen mit der Deutschen Bahn AG kann die Bundesregierung berichten? Bitte schön, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In den Gesprächen mit der Deutschen Bahn AG konnte eine Zusage zur Einrichtung einer Pilotstrecke zur Fahrradmitnahme im ICE bislang nicht erreicht werden. Es besteht aber Einvernehmen darüber, dass die Situation für die Radfernreisenden verbessert werden soll. Die Deutsche Bahn AG wird hierzu zeitnah Vorschläge unterbreiten.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Herr Hofreiter, bitte schön.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Könnte die sehr geehrte Frau Staatssekretärin die zweite Frage auch gleich beantDr. Anton Hofreiter worten? Ich würde dann die Nachfragen en bloc stellen, da beide Fragen in einem engen Zusammenhang stehen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Dann rufe ich auch die Frage 23 auf: Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, ob die zur Ausschreibung gelangten HGV-Triebzüge der Deutschen Bahn AG für die Fahrradmitnahme ausgerüstet sein werden, und was hat die Bundesregierung gegebenenfalls dazu beigetragen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Diese Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung ist an Ausschreibungsvorgängen der DB AG nicht beteiligt und hat deshalb auch keinen Einfluss genommen.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Jetzt haben Sie Gelegenheit zu zwei bis vier Nachfragen. Es müssen ja nicht vier sein.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident. Wenn die Antworten erschöpfender wären, könnte man sich auch manche Nachfrage ersparen. Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie, nachdem mehr als ein Jahr vergangen ist, seit Herr Tiefensee öffentlichkeitswirksam angekündigt hat - das ist zitierbar -, dass es eine Fahrradmitnahme im ICE zumindest als Pilotversuch geben wird, in Ihren Gesprächen mit der DB AG noch immer nicht zu einem Abschluss gelangt sind? Offensichtlich tanzt die DB AG dem Minister auf der Nase herum. Deshalb die Frage: Wie lange will sich der Minister dieses Verhalten eines zu 100 Prozent bundeseigenen Unternehmens noch gefallen lassen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Kollege Dr. Hofreiter, ich habe gerade deutlich gemacht, dass wir wollen, dass man bei Bahnfernreisen das Fahrrad mitnehmen kann. Die DB AG wird zeitnah Vorschläge dazu unterbreiten. Im ICE ist eine Fahrradmitnahme allerdings nicht ganz so einfach, weil dafür technische Vorkehrungen getroffen werden müssen. Deshalb sind wir mit der DB AG hier immer noch im Gespräch.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hätte noch eine Nachfrage. Es gibt im Zusammenhang mit der Fahrradmitnahme im Fernverkehr eine EGVerordnung; das ist Verordnung Nr. 1371/2007, wenn ich es richtig im Kopf habe. Wie gedenkt die Bundesregierung durchzusetzen, dass sich die DB AG an Recht und Gesetz hält?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Dr. Hofreiter, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, die EU-Richtlinien einzuhalten. Deshalb gehen Sie bitte davon aus, dass wir das auch tun. Ob die Fahrradmitnahme im ICE ermöglicht werden muss oder ob sie in anderer Weise erfolgen kann, muss geklärt werden. Deshalb finden ja Gespräche mit der DB AG zu diesem Thema statt.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Könnten Sie einen dezenten Hinweis geben, wie Sie sicherzustellen gedenken, dass diese EG-Verordnung eingehalten wird?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Dr. Hofreiter, die Vorschriften, die es gibt - oder geben wird -, gelten nicht nur für die DB AG, sondern für alle Unternehmen, die Schienenverkehr anbieten. Selbstverständlich werden wir auch bei der DB AG die Vorschriften umsetzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur nächsten Nachfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, das war keine Antwort auf meine Frage. Ich habe nicht gefragt, ob, sondern wie Sie sicherzustellen gedenken, dass die Vorschriften eingehalten werden. Dass man sich in Deutschland an die Gesetze zu halten hat, darüber müssen wir in diesem Hause hoffentlich nicht streiten, auch wenn man beim Bahnverkehr manchmal einen anderen Eindruck bekommt. Noch einmal: Meine Frage war wie, nicht ob.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Dr. Hofreiter, ich habe gerade erklärt, dass die DB AG Vorschläge machen wird, wie sie eine Fahrradmitnahme im Fernverkehr realisieren will.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit sind Ihre Nachfragemöglichkeiten erschöpft. Wir kommen zur Frage 24 des Kollegen Dr. Edmund Peter Geisen: Inwieweit sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit der Zulassung von Fahrzeugen zur Ausübung der imkerlichen Tätigkeit als landwirtschaftliche Fahrzeuge, um die hohen Betriebskosten eines Imkers vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen der Branche zu senken?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Geisen, Sie wissen, dass es eine Fahrzeug-Zulassungsverordnung gibt. Die Bedingungen, die darin aufgeführt sind, müssen erfüllt sein. Das gilt nicht nur für die Verwendung des Fahrzeugs; hinzutreten muss, dass das Fahrzeug zum Beispiel einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb gehört. Die zuständigen Landesbehörden müssen dann im Einzelfall prüfen, ob Fahrzeuge zur imkerlichen Tätigkeit die Bedingungen für die Zulassungsfreiheit landwirtschaftlicher Fahrzeuge erfüllen; dann ist nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung eine Ausnahme von der Zulassungspflicht möglich. Dann könnte das auch für Imkerfahrzeuge gelten. Die Landesbehörden sind also für den Einzelfall zuständig und haben Möglichkeiten, dies unter den beschriebenen Bedingungen zu regeln.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, bitte.

Dr. Edmund Peter Geisen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003757, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, soweit mir bekannt ist, haben alle Haupterwerbsimker nicht die Möglichkeit, ihre Fahrzeuge als landwirtschaftliche Fahrzeuge anerkennen zu lassen. Diese Möglichkeit haben sehr wohl diejenigen, die als Landwirte die Imkerei als Nebenerwerb betreiben. Wie wir alle wissen, leisten die Imker insbesondere in den Bereichen Natur, Landwirtschaft, Umwelt und Ökologie einen unschätzbaren Beitrag für die Gesellschaft. Wir sollten den Haupterwerbsimkern die Möglichkeit geben, ihre Wirtschaftsfahrzeuge steuerlich zu entlasten. Sehen Sie eine Möglichkeit? Könnten Sie andeuten, wie das hinzubekommen wäre?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Herr Dr. Geisen, wie ich ausgeführt habe, haben die Landesbehörden im Einzelfall einen Spielraum. Bei einer generellen Öffnung gilt es zwei Dinge zu berücksichtigen. Auf der einen Seite müssen die technischen Vorgaben erfüllt werden. Das tun wahrscheinlich die meisten Fahrzeuge. Auf der anderen Seite müssen sie - darauf haben Sie hingewiesen - einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb gehören. Ich werde gerne prüfen lassen, inwieweit hier eine Öffnung möglich ist. Aber wie gesagt, die Landesbehörden haben im Einzelfall die Möglichkeit, Fahrzeuge zur imkerlichen Tätigkeit mit einer Ausnahmegenehmigung steuerlich freizustellen. Vielleicht ist das der bessere Weg. Ich will mit meinem Hinweis auf die Landesbehörden zeigen, wie man im Einzelfall bei den wenigen Imkern, die nicht als land- oder forstwirtschaftlicher Betrieb arbeiten, vielleicht einen Weg finden kann. Ich gehe davon aus, dass man dies ohne eine große Änderung der entsprechenden Verordnung machen kann. Ich stimme Ihnen jedenfalls zu, dass die Aufgabe, die die Imker erfüllen, von großem Wert ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Sie verzichten. Danke schön. Ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung. Die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 27 und 28 des Kollegen Jürgen Koppelin. Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Rainder Steenblock auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Äußerungen des Bundesministers Sigmar Gabriel im Vorfeld einer Wahlkampfveranstaltung am 15. Mai 2008 im schleswig-holsteinischen Oldenburg, das geplante Verkehrsprojekt einer Brücke über den Fehmarnbelt sei eine „bekloppte Idee“ und er frage sich, „was ausgerechnet einen Landesminister wie Herrn Austermann dazu veranlasst, hier dänische Interessen zu vertreten“? Das Wort zur Beantwortung hat der Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Herr Kollege Steenblock, die Antwort der Bundesregierung ist kurz und einfach: Die Bundesregierung wird ihre Verpflichtungen gemäß der am 29. Juni 2007 vereinbarten gemeinsamen Absichtserklärung erfüllen. Wie Sie wissen, handelt es sich um eine gemeinsame Absichtserklärung über einen Vertrag über eine feste Fehmarnbelt-Querung, die unter anderem eine Umweltverträglichkeitsprüfung, eine Finanzregelung und eventuell Mautgebühren vorsieht. Wir befinden uns in den Beratungen. Ich kann dazu nichts weiter sagen, als dass die Beratungen laufen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage nur sehr unvollständig beantwortet. Ich habe gefragt, was die Bundesregierung von der Äußerung des Bundesministers Sigmar Gabriel hält, dass die Fehmarnbelt-Querung eine „bekloppte Idee“ sei. So hat er es im Kommunalwahlkampf laut Presse wörtlich gesagt. Ihre Antwort überzeugt mich nicht so ganz. Ich hätte gerne ein paar Gründe gewusst, warum der Umweltminister dieser Republik, der aus meiner Sicht ein sehr ehrenwerter Mann ist, die FehmarnbeltQuerung als „bekloppte Idee“ bezeichnet. Ich teile seine Auffassung; denn hier sollen Steuergelder in Milliardenhöhe regelrecht verbrannt werden. Hat seine Äußerung etwas damit zu tun, dass vielleicht die jetzige hocheffiziente Verkehrsverbindung mit einer Fähre über den Fehmarnbelt ökologisch viel sinnvoller im Vergleich zu einer Brücke ist, über die einst 9 000 Autos fahren sollen und für die knapp 6 Milliarden Euro verbaut werden sollen? Meine Frage, um das noch einmal deutlich zu machen, lautet: Resultiert vielleicht die Auffassung des Umweltministers, dass das eine „bekloppte Idee“ ist, aus ökologischen Gründen und der adäquaten Fährverbindung?

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Entschuldigung, ich kann nur auf Ihre Frage antworten. Sie haben gefragt, wie die Bundesregierung das beurteilt. Ich habe jetzt die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben. Insofern kann ich Ihre Aussage, die Sie eben gemacht haben, nicht teilen. Ich habe exakt die Auffassung der Bundesregierung wiedergegeben. Es kann sein, dass Ihnen diese nicht passt - das ist in Ordnung -, aber Sie können nicht sagen, dass ich die Meinung der Bundesregierung nicht wiedergegeben hätte.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie brauchen sich gar nicht mit mir zu streiten, Sie sollen bloß die Frage beantworten, die ich gerade gestellt habe, nämlich ob das vielleicht damit zu tun hat, dass die Fährverbindung über den Fehmarnbelt die ökologischere Variante ist und dass diese ökologischere Variante bei dem Umweltminister dieses Landes eine gewisse Nachdenklichkeit erzeugt hat, was das Verbrennen von Steuerngeldern durch die Autobrücke betrifft. Das war meine Frage.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Trotz Ihrer sehr intensiv vorgetragenen Nachfrage habe ich Ihre Frage schon beantwortet. Vielleicht passt Ihnen das nicht. Es ist nicht exakt, was Sie sagen; denn die Position, die ich hier wiederzugeben habe, ist die Antwort der Bundesregierung. Die Antwort der Bundesregierung - das wiederhole ich - lautet: Die Bundesregierung wird ihre Verpflichtung gemäß der gemeinsamen Vereinbarung erfüllen. Punkt. Aus. - Wie ich das im Einzelnen ökologisch bewerte, ergibt sich aus den Beratungen, die wir durchführen. Dazu gehören die Umweltverträglichkeitsprüfung, die Finanzregelung und die Gesamtabwägung. Im Augenblick findet genau dieser Prozess statt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat der Kollege Hofreiter das Wort.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es geht um die Beantwortung der Nachfrage. Die Nachfrage lautete: Ist die Fährverbindung ökologischer als die Brücke? Darauf kann man jetzt antworten.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Die Antwort ist noch einmal: Wir warten jetzt das Verfahren ab. Dazu gehört auch die Umweltverträglichkeitsprüfung. Dann werden wir sehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Nachfrage stellt nun die Kollegin Silke Stokar von Neuforn.

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, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte vorausschicken, dass ich diese Nachfrage als ein Kind der Insel Fehmarn stelle. Ich bin dort groß geworden, meine Eltern wohnen nach wie vor in Puttgarden. Meine erste Nachfrage: Prüft die Bundesregierung auch die Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Tourismus auf der Insel Fehmarn? Meine zweite Nachfrage: Teilt die Bundesregierung -

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

So funktioniert das nicht. Sie haben nur die Möglichkeit zu einer Nachfrage. Hätten Sie das weggelassen, hätte es vielleicht funktionieren können.

Michael Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001561

Wenn Sie unser Haus fragen, so kann ich Ihnen sagen, dass wir natürlich vor allem die ökologischen Aspekte prüfen werden. Dazu gehören die FFH-Frage, die Frage, wie es sich mit den Mündungsströmungen verhält, und vieles andere mehr. Das werden wir sehr sorgfältig prüfen, und unser Ministerium wird dazu eine Stellungnahme abgeben. Wenn ich hier für die Bundesregierung antworte, dann heißt das nicht, dass unser Haus keine Position hätte. Wir haben eine, die wir in dieses Verfahren einbringen. Zu den anderen Fragen: Es ist selbstverständlich, dass die anderen Ministerien solche Fragen wie die Wirtschaftlichkeit und die Vertretbarkeit für den Tourismus prüfen. Sie werden natürlich auch prüfen, wie es mit den vom Europäischen Parlament festgelegten transeuropäischen Netzen aussieht. Es gibt also eine Vielzahl von Fragen, die im Zusammenhang mit dieser Absichtserklärung, die wir unterzeichnet haben, geprüft werden müssen. Im Übrigen finde ich, ein bisschen mehr Gelassenheit wäre angebracht.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatssekretär. Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes auf. Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Dr. Ilja Seifert werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 32 und 33 des Kollegen Roland Claus. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Vizepräsidentin Petra Pau Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Marieluise Beck ({0}) werden ebenfalls schriftlich beantwortet. Auch die Frage 38 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Volker Beck ({1}) auf: Hat die Bundesregierung nach den jüngsten Ausschreitungen in Italien gegen Roma an die italienische Regierung appelliert, die Vorfälle aufzuklären, besseren Schutz der Roma zu gewährleisten und Maßnahmen gegen die gravierende Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung gegenüber Roma in Italien vorzunehmen, und, wenn nein, plant die Bundesregierung, dies gegenüber der italienischen Regierung noch zu tun? Zur Beantwortung dieser Frage steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung. Herr Gloser, Sie haben das Wort.

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Bundesregierung hat die Ausschreitungen gegen Roma, die Mitte Mai im Raum Neapel erfolgt sind, mit Sorge beobachtet. Sie begrüßt es, dass die italienische Regierung eine Reihe von Maßnahmen hinsichtlich der Deeskalation der Situation und der Aufklärung von begangenen Straftaten eingeleitet hat. Die Bundesregierung verweist auch auf Äußerungen des italienischen Innenministers, Roberto Maroni, der die gegen Sinti und Roma gerichteten Ausschreitungen verurteilt hat und angekündigt hat, dass sich die italienische Regierung gegen jegliche Gewalt und gegen jede Form von Kriminalität wenden werde. Vor diesem Hintergrund sieht die Bundesregierung keinen Anlass, darüber hinausgehende Appelle an die italienische Regierung zu richten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, das betrübt mich etwas. Ich glaube nämlich, dass gerade das Zitat, auf das Sie zu Recht verwiesen haben, das Dilemma bei dem Ansatz zeigt, den die italienische Regierung im Umgang mit diesem sozialen Konflikt verfolgt. Es geht eben nicht nur um die Frage der Eindämmung von Kriminalität und von Straftaten; dahinter liegt vielmehr ein massives Problem von Vorurteilen und sozialer Diskriminierung. Wenn man das nicht löst, wird man auch der Oberflächenphänomene der gewalttätigen Eruption nicht Herr werden. Deshalb fände ich es schon sinnvoll, dass man unter europäischen Partnern auch darüber einmal spricht. Ansonsten wird sich die Situation für Roma in Italien weiter verschärfen. Dieses Problem haben wir ja nicht bloß situativ in Neapel erlebt. Wir haben vor einigen Monaten ähnliche Dinge in Rom gesehen. Man kann nicht sagen: Das liegt an einem Bericht über eine fiktive Straftat, wodurch so etwas ausgelöst worden ist. Offensichtlich gibt es da ein tiefer liegendes soziales Problem, das nicht gelöst ist.

Not found (Gast)

Herr Beck, ich gebe Ihnen Recht: Das ist ein tiefer liegendes Problem. Man schaue sich einfach einmal an, wie viele rumänische Staatsbürger seit dem Beitritt Rumäniens in die Europäische Union, nach Italien gekommen sind. Ich stelle jetzt keine Vermutungen darüber an, wie viele von ihnen sich legal in Italien aufhalten; schließlich besteht generell Freizügigkeit. Wer sich allerdings länger als drei Monate im Ausland aufhält, braucht eine entsprechende Anmeldebescheinigung. Ich glaube, man sollte die italienische Regierung nicht nur auf die eine Schiene setzen und behaupten, sie suche ausschließlich nach Wegen, wie Kriminalität verhindert werden kann. Die italienische Regierung hat ausdrücklich gesagt, dass sie dieses Problems Herr werden muss, und zwar gerade deshalb, weil sich Roma und Sinti gezielt und sehr konzentriert dort angesiedelt haben. Insofern glaube ich, dass die Italiener sowohl die eine als auch die andere Seite erkannt haben und hier Lösungen finden wollen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In Italien sprechen wir nicht von Sinti. Das ist ein deutsches Volk aus der Gruppe der Roma. Sie sind in Italien überwiegend nicht anzutreffen. Es geht in diesem Fall um Roma. Mich interessiert schon: Hat die Bundesregierung irgendwelche Erkenntnisse darüber, dass die italienische Regierung bereit ist, das Problem der Diskriminierung von Roma in Italien anzugehen? Wenn ja, welche Erkenntnisse haben Sie darüber, welche Instrumente die italienische Regierung dabei ergreifen will?

Not found (Gast)

Was Ihre detaillierte Frage angeht, so habe ich insoweit keine Erkenntnisse. Ich weiß aber, dass die italienische Regierung dieses Problem erkannt hat und dass es nicht mit einseitigen Maßnahmen gelöst werden kann. Wenn Lösungen gefunden werden, dann müssen sie auch mit europäischem Recht vereinbar sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Herr Staatsminister. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner zur Verfügung. Ich rufe die Frage 40 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn auf: Wie will die Bundesregierung bei der in Planung befindlichen zentralen Abhöreinrichtung ({0}) gewährleisten, dass - wie es nach den Grundsätzen des geltenden Datenschutzrechts geboten ist - keine zentrale Speicherung von Daten stattfindet?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Ich beantworte die Frage wie folgt: In dem geplanten Kompetenz- und Servicezentrum für Telekommunikationsüberwachung soll keine Speicherung von Daten in einer gemeinsamen Datei der beteiligten Behörden stattfinden; vielmehr verbleibt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die Daten bei den jeweils zuständigen Behörden. Die rechtliche Trennung kann durch technische Vorkehrungen sichergestellt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär Bergner, ich habe eine Nachfrage. Ich bezog mich in meiner Frage nicht nur auf das Schreiben von Herrn Hanning, sondern auch auf einen SpiegelBericht. Meine Frage geht ganz konkret dahin, ob Sie mir noch etwas erläutern können. Ich zitiere aus einer Stellungnahme des BMI betreffend die Aufbauorganisation für diese spezielle Abhörzentrale: „Aufgrund der politischen Sensibilität einer neuen deutschen ‚Überwachungsbehörde‘ erscheint ein schrittweises Vorgehen“ zur Umsetzung „angezeigt.“ Sie haben jetzt den ersten Schritt genannt. Ich will nicht weiter zitieren, um die Frau Präsidentin nicht überzustrapazieren, sondern nur sagen: Darin ist ferner deutlich geworden, dass in den nächsten Schritten auch der BND beteiligt werden soll. Es findet sich die Aussage: Letztendlich prüft das BMI, eine gleiche Behörde wie die NSA in Amerika zu schaffen. Meine Frage: Können Sie mir die nächsten Schritte zur Schaffung einer neuen deutschen Überwachungsbehörde hier einmal im Detail erläutern?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Frau Kollegin Stokar, hinter uns liegt eine intensive Diskussion im Innenausschuss, deren wichtigste Ergebnisse Sie eigentlich von dieser Art von Fragestellung abhalten sollten. Sie wissen, dass es sich nicht um eine zentrale Abhöreinrichtung handelt, sondern dass der Begriff „Rechenzentrum“ zur Beschreibung der geplanten Einrichtung wohl eher zutreffend ist. Es geht um die Zusammenfassung von Technik, die im Sinne der Effizienz der TKÜ notwendig ist, aber nicht um die Zusammenfassung von Befugnissen. Insofern verbietet sich auch jeder Vergleich mit zentralen Abhöreinrichtungen, wie sie beispielsweise in den USA oder in Großbritannien betrieben werden. Was nun das schrittweise Vorgehen betrifft: Sie wissen, auch aus der Diskussion des Innenausschusses - ich wiederhole sie gern -, dass wir es schon für sinnvoll halten, eine solche technische Dienstleistung so offen zu gestalten, dass sie bei vorhandenem Interesse außerhalb des Geschäftsbereichs des BMI auch anderen Bundesbehörden bzw. entsprechenden Landesbehörden zur Verfügung stehen kann. Dies ist eine Möglichkeit, über die in der Zukunft befunden werden muss. Wir gehen jetzt davon aus, dass wir zunächst dieses Servicezentrum aufbauen und darüber hinaus gewissermaßen das Konzept des Kompetenzzentrums zum Abschluss bringen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie wissen sehr genau, dass der Innenausschuss nichtöffentlich tagt. Ich finde es besonders toll, dass Sie eine zentrale Abhöreinrichtung hier als neues „Servicezentrum“ verkaufen wollen. Ich glaube nicht, dass dieser Sprachgebrauch zur Klärung des Sachverhalts beiträgt. Meine konkrete Frage: Ist es richtig, dass die Bundesregierung plant, ganze Abteilungen im BKA, im Bundesamt für Verfassungsschutz, im BSI und später im BND aufzulösen und auch Personal räumlich zusammenzufassen - also neben der Schaffung eines gemeinsamen Computerzentrums -, und dass vom BMI durch kw-Vermerke bereits Schritte zur Auflösung der ITAbteilungen in den einzelnen Sicherheitsbehörden eingeleitet wurden?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Frau Kollegin, ich lege noch einmal Wert darauf, dass der von Ihnen immer wieder verwandte Begriff der Abhörzentrale irreführend ist, ({0}) da es sich um eine Zusammenfassung von technischen Einrichtungen handelt, diese aber nicht mit einer entsprechenden Zusammenfassung von Kompetenzen verbunden ist. Die Kompetenzen werden weiterhin von den einzelnen Zentralbehörden, im Geschäftsbereich des BMI also BKA, Bundespolizei und Bundesamt für Verfassungsschutz, in eigener Zuständigkeit und eigener Verantwortung wahrgenommen. Dass für den Aufbau einer solchen technischen Serviceeinrichtung natürlich auch entsprechende personalwirtschaftliche Vorkehrung getroffen werden muss, ist klar. Dass dies unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Haushaltssparsamkeit steht und dass das Personal, das hier nun im Bundesverwaltungsamt konzentriert wird, möglichst an anderer Stelle eingespart werden soll, ist haushaltspolitisch sinnvoll. Dafür existieren auch entsprechende Pläne.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 41 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn wurde zurückgezogen. Damit kommen wir zur Frage 42 des Kollegen Wolfgang Wieland: Welche konkreten Telekommunikationsüberwachungsaufgaben soll das im Aufbau befindliche „Service- und Kompetenzzentrum für die Telekommunikationsüberwachung“ ({0}) übernehmen, und wie will die Bundesregierung die Einhaltung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Geheimdiensten sicherstellen?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Herr Kollege Wieland, meine Antwort auf Ihre Frage lautet wie folgt: Zur Bündelung der technischen TKÜEinrichtungen und des technisch-wissenschaftlichen Fachpersonals im Geschäftsbereich des BMI wird zum einen ein Servicezentrum TKÜ beim Bundesverwaltungsamt eingerichtet. Dieses Servicezentrum TKÜ errichtet und betreibt eine hochmoderne TKÜ-Technik im Wesentlichen für die Überwachung der Mobil- und Festnetztelefonie, E-Mail-, DSL- und weiterer Datendienste. Dabei funktioniert es als reiner IT-Dienstleister, also als Technikpool, ohne eigenständige Befugnisse - ich wiederhole jetzt, was ich schon Frau Stokar zu erläutern versuchte - zur Auswertung oder Nutzung der im Servicezentrum TKÜ aufgezeichneten Überwachungsdaten. Die Auswertung und Nutzung der Inhalte von TKÜMaßnahmen verbleiben bei den Sicherheitsbehörden auf der Basis ihrer bestehenden Ermächtigungsgrundlagen. Zur Bündelung des technisch-wissenschaftlichen Fachpersonals wird zum anderen ein Kompetenzzentrum eingerichtet, um den strategischen Herausforderungen der TKÜ zu begegnen. Bei den strategischen Herausforderungen handelt es sich zum Beispiel um die Beobachtung der Entwicklung der Telekommunikationstechnik und der Konzeption daran angepasster Überwachungstechnik, aber auch um organisatorische Umgestaltung wie zum Beispiel die Reduktion der Zahl der TKÜ-Ansprechpartner für die TK-Industrie. Dem Gedanken eines Dienstleistungszentrums folgend wird das Kompetenzzentrum TKÜ organisatorisch beim Bundesverwaltungsamt angesiedelt. Die Kompetenzen der TKÜ-Bedarfsträger werden durch noch zu konzipierende Arbeits- und Projektgruppen in das Kompetenzzentrum TKÜ eingebracht. So wird sichergestellt, dass die Anforderungen der Bedarfsträger an zeitgemäße TKÜ-Technik jederzeit bekannt sind. Das Kompetenzzentrum TKÜ befindet sich derzeit noch in der Konzeptionsphase, in der Leistungsspektrum und Aufgaben abschließend festgelegt werden. Durch die vorgesehene strikte Trennung zwischen technisch-wissenschaftlichen Aufgaben, die im Kompetenzzentrum TKÜ wahrgenommen werden, und der inhaltlichen Auswertung der TKÜ-Daten durch Ermittler des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des BKA oder der Bundespolizei ist sichergestellt, dass an dem Prinzip der organisatorischen Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten festgehalten wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Herr Staatssekretär, nun haben Sie selber in dem Schreiben an die Innenministerkonferenz, in dem Sie dieses Thema als Besprechungspunkt angemeldet haben, geschrieben, dass ein Vorteil des Ganzen sei, dass das TKÜ-Fachpersonal dadurch eine räumlich und organisatorisch enge Zusammenarbeit habe. Wenn also das Personal vor Ort eng zusammenarbeitet, wie wollen Sie dann verhindern, dass bei dieser Gelegenheit auch über den Inhalt der Tätigkeit, über das, was dieses Personal in Erfahrung bringt, geredet wird, dass man sich darüber austauscht? Welche Vorstellungen haben Sie, um die Personen voneinander abzuschotten?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Die Zusammenarbeit und die entsprechende Kompetenzsteigerung im Service- und Kompetenzzentrum beziehen sich auf die technischen Leistungen, also sowohl auf angemessene Reaktionen auf Entwicklungen in der Telekommunikationstechnik als auch auf eine angemessene Wahrnehmung technischer Möglichkeiten, die sich im Bereich der Überwachungstechnik ergeben. Wie Sie wissen, haben wir es hier mit einem sehr dynamischen Entwicklungsfeld zu tun. Allein die Innovationsdichte in diesem Sektor ist sehr groß. Der Grundgedanke der Zusammenfassung in einer Service- und Kompetenzstelle beruht darauf, dass die Einzelbehörden mit der Verfolgung einer so dynamischen Entwicklung in diesem Technikfeld überfordert würden, wenn diese Aufgabe aufgesplittet bei verschiedenen Behörden wahrgenommen werden müsste. Das ist der eigentliche Grund für die Zusammenfassung und auch dafür, dass man diese beiden Zentren beim Bundesverwaltungsamt aufbauen möchte. Es geht nicht um Datenaustausch, und es geht auch nicht darum, die organisatorische Trennung der Ermittlungsbehörden in irgendeiner Weise aufzuheben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank. - Herr Staatssekretär, Sie haben heute im Innenausschuss - das kann man ja sagen - erklärt, dass diese neue Behörde, die von Ihnen - in Anführungsstrichen - nur als Überwachungsbehörde - Dr. Christoph Bergner, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister des Innern: Nicht einmal das! Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das liegt mir hier schriftlich vor. Ich darf es einmal zitieren: Aufgrund der politischen Sensibilität einer neuen deutschen - in Anführungszeichen „Überwachungsbehörde“ erscheint ein schrittweises Vorgehen zur Umsetzung unter enger Einbindung der Länder angezeigt. Das klingt doch deutlich danach: Wir wollen etwas tun, was Misstrauen erregt. Deshalb gehen wir häppchenweise vor und passen auf, dass niemand es als das benennt, was es einmal sein soll, nämlich als Überwachungsbehörde. Ich frage jetzt nach dem Personal dieser neuen deutschen - in Anführungszeichen - „Überwachungsbehörde“. Sie haben erklärt, Sie wollten dort mit neuen Leuten ganz neu anfangen und die entsprechenden Stellen ausschreiben. Aber Sie haben die Frage nicht beantworten können, warum die Personen, die diese Arbeit bisher geleistet haben, zum Beispiel für das Bundeskriminalamt oder für das Bundesamt für Verfassungsschutz, von ihren Aufgaben entbunden und als sogenanntes kw-Personal, also Personal, das auf Stellen sitzt, die in Zukunft wegfallen, überflüssig werden sollen. Was ist denn der Sinn von Neueinstellungen auf der einen Seite und der Funktionsentbindung derer, die diese Arbeit bisher geleistet haben, auf der anderen Seite?

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Erstens. Herr Kollege Wieland, schon aus Ihrer Fragestellung wird deutlich, dass die Bündelung der Kompetenzen beim Bundesverwaltungsamt in der öffentlichen Wahrnehmung natürlich mit dem Risiko von Missverständnissen behaftet sein kann, die wir vermeiden wollen. Aus diesem Grunde sind wir im Zuge dieses Aufbaus von vornherein an Transparenz über das eigentliche Profil und das eigentliche Anliegen dieser Einrichtung interessiert. Aus diesem Grunde hat sich unser Haus bereits im März mit einem Brief an die einschlägigen Ausschüsse und mit einer Information an die Parlamentarier gewandt. Wir haben also ein großes Interesse daran, dass eben nicht ein Bild entsteht, das sich an Behörden wie in den Vereinigten Staaten oder in Großbritannien orientiert, die unter anderen rechtlichen Voraussetzungen arbeiten. Der zweite Punkt. Was die personalwirtschaftlichen Konsequenzen des Aufbaus einer solchen technischen Bündelungseinrichtung angeht, so ist es nicht ungewöhnlich, dass, wegen eingeschränkter Mobilität, aber zum Teil auch wegen der Erforderlichkeit spezifischer Kenntnisse, an dem einen Ort - Sie wissen, dass wir es mit verschiedenen Standorten zu tun haben; das Bundesverwaltungsamt ist in Köln - Stellen wegfallen und an dem anderen Ort Stellen ausgeschrieben werden. Dies ist, glaube ich, ein ganz normaler Vorgang und sollte jedenfalls kein weitergehendes Misstrauen bei Ihnen wecken. Denn es ist nun einmal so: Wenn man bei an mehreren Stellen lokalisierten Behörden Kapazitäten aufbaut, muss das personalwirtschaftlich angemessen umgesetzt werden. Wir reden im Übrigen über eine relativ kleine Zahl von Stellen; auch das muss einmal gesagt sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir haben damit die Zeit, die uns für die Fragestunde zur Verfügung steht, ausgeschöpft. Ich beende die Fragestunde. Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Berichte aus den Unterlagen der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, über vertrauliche Gespräche, die Gregor Gysi 1979/80 als DDR-Rechtsanwalt mit Mandanten geführt hat Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Maria Michalk für die Unionsfraktion. ({0})

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will am Anfang dieser Aktuellen Stunde feststellen, dass es inzwischen wohl kaum noch jemanden gibt, dem unbekannt ist, welcher Mittel sich die SED-Diktatur bedient hat, um alles gesellschaftliche Leben in der DDR unter Kontrolle zu haben und zu halten. Parteien und Massenorganisationen wurden gleichgeschaltet. Betriebe produzierten auf Anweisung. Den dadurch selbstverschuldeten Versorgungsmangel erwiderte die Bevölkerung mit Hamsterkäufen. So drehte sich die Spirale, bis das Wirtschaftssystem kaputt war. An den Folgen arbeiten wir noch heute. ({0}) Dass die SED im gesellschaftlichen Leben alles im Griff hatte, damit fanden sich nach und nach viele Bürger ab. Die spätere Generation kannte - außer durch Berichte im Westfernsehen, durch Medien, die in bestimmte Regionen durchdrangen, jedoch nicht ins Tal der Ahnungslosen, nach Dresden, wo wir viel Kultur hatten, aber kein ARD und kein ZDF - nichts anderes; sie kannte den Begriff der Freiheit eigentlich nicht. So haben sich die Menschen zunehmend auf ihr privates Leben konzentriert. Sie haben Nischen gesucht und gefunden und waren persönlich sehr glücklich. Es ist mir wichtig, dass wir das zu Beginn dieser Debatte noch einmal feststellen. Es menschelte auch in der DDR. Nach und nach wusste jeder, dass, wenn irgendwo eine Versammlung, ein Gespräch oder eine andere Gelegenheit war, zu der Menschen zusammenkamen, immer ein Dritter, Vierter oder Zehnter mit im Raum war, der sich nicht outete, wie wir immer gesagt haben; deshalb der schöne Ausspruch: „Horch und Guck“ ist mit dabei. Obwohl ich aus Bautzen komme und 1989 durch die Öffnung des Stasigefängnisses in Bautzen die unermessliche Tragik dieses Systems, das, was den Menschen angetan worden ist, erlebt habe, habe ich das ganze Ausmaß dieses Bespitzelungssystems erst richtig begriffen, als ich 1990, damals in der Volkskammer, die Handlungsorientierung, sprich: die Aktenanweisung, im Grunde genommen Dienstanweisung, des Herrn Mielke gesehen habe, der im Auftrag der SED als oberster Stasimann zu organisieren hatte, wie man IMs rekrutiert, wie man Menschen bespitzelt und wie man Menschen bei der Stange hält. Ein Problembewusstsein dafür, dass hier in die intimsten Sphären der Menschen eingedrungen wurde, gab es nicht. Diese Erkenntnis wurde total ausgeblendet. Der Mensch war Objekt. Haargenau wurde beschrieben - dies kann auch heute noch jedermann nachlesen -, was ein IM, ein angehender IM oder ein auf Probe handelnder IM anzustellen hatte, um Menschen für die Arbeit des Stasisystems zu gewinnen: Diese wurden erpresst und letztendlich - auch dieser Ausdruck wurde immer wieder verwendet - weichgekocht. Leider müssen wir auch feststellen, dass sich viele freiwillig in den Dienst dieses Apparates gestellt haben, weil es Geschenke und etwas zu verdienen gab. Ich will hier ein kurioses Ereignis erwähnen: Noch im Herbst 1990 fragte ein alter Herr am Postschalter nach, warum er keine Überweisung mehr bekommen würde. Dies zeigt die ganze Komik und Dramatik. In jedem Fall kann man aber feststellen, dass es sich um ein Unrechtssystem handelte. Es ist traurig, feststellen zu müssen, dass jemand, der in einem frei gewählten Parlament sitzt - ich meine Herrn Gysi -, in der Tradition fortfährt, die wir all die Jahre beobachten konnten, nämlich nur das zuzugeben, was schwarz auf weiß nachgewiesen wurde. ({1}) Eine Aufarbeitung findet durch die Partei, die diesen Schlamassel verursacht hat, nicht statt. ({2}) Deshalb war es richtig, in diesem Parlament für das vereinte Deutschland ein Gesetz zu verabschieden, in dem geregelt ist, wie man dieses Unrechtssystem nach rechtsstaatlichen Kriterien aufarbeitet. Es ist gut, dass wir die Stasi-Unterlagen-Behörde und ein Stasi-Unterlagen-Gesetz haben. Das aktuelle Ereignis, über das wir in dieser Aktuellen Stunde diskutieren, zeigt, wie gut es war, dass wir Kriterien gefunden haben, um das Geschehene zu bewerten. Manche meinten damals, dass es nicht gut ist, die „Krake Stasi“ in das vereinte Deutschland mitzunehmen, weil dies uns blockieren würde. Aber das Gegenteil ist der Fall: 19 Jahre nach dem Fall der Mauer und nach 19 Jahren Aufarbeitung stellen wir fest, dass es richtig war, strenge Zugangskriterien zu schaffen und Mechanismen zu entwickeln, wie wissenschaftliche und mediale Aufarbeitung erfolgen soll. Ich erwähne § 32 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, auf den sich das Verwaltungsgericht Berlin beruft.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Michalk, kommen Sie bitte zum Schluss.

Maria Michalk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das Gericht hat sehr eindeutig die Richtigkeit dieser Dokumente bestätigt. Das Faktum, dass Herr Gysi einen Tag vor der Verhandlung seine Berufung zurückzieht, ist ein Beweis dafür, dass es richtig ist, die Aufarbeitung weiter konsequent durchzuführen und die maßgeblichen Dokumente zu bewerten. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Christoph Waitz das Wort. ({0})

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gregor Gysi macht uns seit Jahren vor, wie sich alle verdächtigen Mitarbeiter der Staatssicherheit verhalten. ({0}) Es wird alles geleugnet. Wenn Beweise auftauchen, wird nur das zugegeben, was längst aktenkundig und bewiesen ist. ({1}) Die Zeitungen zitieren übereinstimmend aus den Stasiakten von Robert Havemann. Gregor Gysi war der Anwalt von Havemann. Thomas Erwin war Gast im Hause Havemann und traf dort auf Gysi. Gysi nahm Erwin mit dem Auto nach Berlin zurück. In der Akte steht dazu: „Der IM nahm Erwin mit in die Stadt.“ Eine andere Person war im Auto nicht anwesend. Das Gesprächsprotokoll von der Autofahrt landete umgehend bei der Staatssicherheit. Gregor Gysi habe willentlich und wissentlich an die Stasi berichtet. Das sagte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler. Dieser Schluss ist in Anbetracht der Aktenlage auch in meinen Augen notwendig und zulässig. ({2}) Der 19-jährige Thomas Erwin geriet infolge dieses Berichtes in die Fänge der Staatssicherheit. Er wird im Stasiuntersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen inhaftiert. Er bleibt Monate in Haft und wurde später in die Bundesrepublik abgeschoben - vermutlich nachdem er freigekauft wurde. So weit, so klar. Unklar ist mir jedoch, warum es so lange gedauert hat, bis die Informationen zu Gregor Gysi als IM-Unterlagen eingestuft und als solche von der BStU herausgegeben wurden. Hat sich die Bewertung der Akten erst jetzt so dramatisch gewandelt? Dies wäre ein erstaunlicher Vorgang, waren doch ähnliche VorChristoph Waitz gänge im Zusammenhang mit dem Wirken von Gregor Gysi schon seit längerem bekannt. Die Gründe und Hintergründe der Neubewertung dieser Aktenmaterialien sind klärungsbedürftig. Wir alle beobachten sehr genau, wie der Kollege Gysi mit den Vorwürfen gegen seine Person umgeht. Er spricht von „bösartigen“ Behauptungen, die „frei von Kenntnis“ erfolgten. Da wird Oskar Lafontaine vorgeschickt, der von „Angriffen“ gegen Gysi spricht und den Kopf von Frau Birthler fordert. ({3}) Da wird die Linkspartei bemüht, sich hinter den Fraktionsvorsitzenden zu stellen. Gregor Gysi gibt nur das zu, was schon bekannt ist. Er dreht, verdreht und windet sich. Dabei ist die Aktenlage aus meiner Sicht schlicht und ergreifend erdrückend. ({4}) Die FDP-Fraktion fordert Gregor Gysi und die Linkspartei auf: Machen Sie Schluss mit dem unsinnigen Versteckspiel und klären Sie öffentlich die Rolle Ihres Fraktionsvorsitzenden im Unrechtssystem der DDR! Herr Gysi, suchen Sie ({5}) den Ausgleich mit denjenigen, denen Sie in Ihrer Rolle als Anwalt geschadet haben, und entschuldigen Sie sich für das, was Sie getan haben! ({6}) Beteiligen Sie sich durch die Offenlegung Ihrer Akten an der Aufarbeitung des Unrechts! Meine Damen und Herren, Altbundespräsident Gustav Heinemann hat einmal gesagt: Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst. Es geht heute nicht darum, mit dem Finger nur auf Gregor Gysi und die Linkspartei zu zeigen. Es geht vielmehr um eine konsequente und unbeeinflusste Aufarbeitung des SED-Unrechts und um Aufklärung darüber, wo und in welchem Umfang die SED und die Staatssicherheit das Leben von Bürgerinnen und Bürgern in Ost- und Westdeutschland beeinflusst, manipuliert und teilweise ruiniert und zerstört haben. ({7}) Bei diesen Bemühungen um Aufarbeitung stößt man sehr schnell an Grenzen. Die FDP-Bundestagsfraktion hat zweimal vergeblich bei der Bundesregierung angefragt, wie viele ehemalige Stasimitarbeiter in den Bundesministerien und den nachgeordneten Behörden tätig sind. Die Bundesregierung hat die Auswertung der relevanten Personalakten für „praktisch nicht leistbar“ gehalten. Ich meine, sie hat es auch einfach nicht gewollt. Dabei musste die Bundesregierung auf meine Nachfrage einräumen, dass ein auch heute noch aktiver Abteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen als „IM Konrad“ für die Stasi spioniert hat. ({8}) Mit dem „IM Helene“ gibt es einen weiteren aktuellen Fall im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, der aus meiner Sicht von besonderer Bedeutung ist. Wir können uns ausmalen, dass diese Mitarbeiter nicht nur ihren Amtseid gebrochen und wissentlich und willentlich der Bundesrepublik Deutschland geschadet haben. Sie sind auch heute noch als unentdeckte Inoffizielle Mitarbeiter einem erheblichen Erpressungspotenzial ausgesetzt. Sie können auch heute noch von feindlichen Geheimdiensten erpresst und angeworben werden. Ich halte beide Fälle nur für die Spitze des Eisbergs. Daher fordert die FDP-Fraktion von der Bundesregierung nun endlich Aufklärung und eine fundierte Aufarbeitung der sogenannten West-IMs im Ministerialapparat. ({9}) Aber auch an uns geht der Krug nicht vorbei. Denn die Antwort auf die Frage, in welchem Umfang Bundestagsabgeordnete im Zeitraum von 1949 bis 1989 wissentlich und willentlich mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, gehört auch für uns auf die Tagesordnung. ({10}) Der Einwand, dass die Archivbestände der Birthler-Behörde keine Differenzierung von Tätern und Opfern der Staatssicherheit ermöglichten, ist unbegründet. Es genügt ein einfacher Gang in die Außenstellen der BirthlerBehörde, um sich ein besseres Bild machen zu können. Gregor Gysi ist der Anlass der heutigen Aktuellen Stunde. Er muss Grund für uns sein, die Aufarbeitung des SED-Unrechts und seiner Konsequenzen bis zum heutigen Tag weiter zu intensivieren. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Jörg Tauss das Wort. ({0})

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Natürlich besteht die spannende Frage, lieber Kollege Waitz, warum Ihre Partei diese Forderung nicht während ihrer damaligen Regierungszeit gestellt hat, sondern erst heute; das ist aber ein Thema für sich. Dann hätten wir vielleicht ein paar Probleme weniger. Heute ist der Ticker voll mit Meldungen über Oskar Lafontaine. Ich sehe hier viele Mitglieder der PDS bzw. der Nachfolgepartei sitzen. Ich vermisse in der Tat Herrn Gysi und Herrn Lafontaine, die beiden Betroffenen. ({0}) Ich halte es für skandalös, dass beide hier kneifen. Nun gut, von Lafontaine sind wir es gewohnt, dass er immer kneift, wenn es darauf ankommt. Von Lafontaine sind wir diesen Stil gewohnt. Als es für ihn damals im Saarland unbequem wurde, hat er die Pressegesetze verschärft. Jetzt wird Frau Birthler unangenehm. Daher fordert heute Herr Lafontaine von der Kanzlerin - er sollte sich einmal über die gesetzlich geregelte Unabhängigkeit der Stellung von Frau Birthler informieren -, sie möge Frau Birthler absetzen. Das ist bizarr. Diejenigen, von denen heute die Ticker mit Meldungen überquellen, kneifen und weigern sich, an dieser Debatte teilzunehmen. Das ist für sie bequem. Aber, wie gesagt, wir Sozialdemokraten kennen das von Lafontaine. Ihr hingegen lernt ihn gerade kennen, wie ich es auf dem Parteitag gehört habe. ({1}) Heute gab es zusätzlich von Herrn Gysi den gelungenen Versuch, mit einer Reihe von juristischen Finten und Verfügungen, die Berichterstattung in den Medien über das, was Frau Birthler gesagt hat und worüber wir heute diskutieren, zu verhindern. Auch dazu kann ich nur sagen: Das ist eine schöne Haltung zu Demokratie und Pressefreiheit. ({2}) - Da kommt er ja gerade. Das finde ich ganz prima. Dann können wir die Diskussion ja fortsetzen. Herzlich willkommen, Herr Lafontaine. Wir haben zu Ihnen gerade schon die richtigen Worte gefunden. Frau Birthler hat gesagt, Gysi habe der Stasi „willentlich und wissentlich“ zugearbeitet. Gysi erklärte, er „überlege noch“, juristische Schritte zu ergreifen. Zwischenzeitlich ist er zumindest gegen die Medien juristisch vorgegangen. Ich kann nur sagen: Das, was Frau Birthler festgestellt hat, ergibt sich aus der logischen Bewertung aller Unterlagen und der Zeugen, über die schon gesprochen worden ist. Dafür muss man noch nicht einmal ein Jurist sein: Das ergibt sich aus der Aktenlage. ({3}) Es wäre an dieser Stelle gut, lieber Herr Gysi, dass Sie Ihren Kettenhund Lafontaine zurückziehen ({4}) und an dieser Stelle klar sagen: Jawohl, ich stelle dar, was damals meine Rolle war. ({5}) Ich glaube, damit würden Sie der Demokratie dieses Landes - das sollten Sie im Übrigen auch aus Achtung vor sich selbst tun - einen besseren Dienst erweisen, als Sie dies mit Ihren Beiträgen auf Ihrem Parteitag in Cottbus oder sonst wo getan haben, um dies in aller Klarheit zu sagen. ({6}) Ich will bei dieser Gelegenheit auch wegen der unsäglichen Attacken Lafontaines auf Frau Birthler sagen: Die Arbeit der BStU hinsichtlich der Aufarbeitung ist überaus positiv. Sie ist auch ein Beleg dafür, dass es unter rechtsstaatlichen Aspekten und unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte möglich ist, die Situation des Unrechtsstaates DDR und die Tätigkeit der Stasi, die Schwert und Schild der SED, also der Vorgängerpartei der Linken, war, darzustellen. Sie haben sich bis heute nicht von der Vergangenheit distanziert. Sie sagen lediglich, dass das alles fast 20 Jahre her ist. Sie können aber nicht vor der Geschichte kneifen. 20 Jahre sind kein Argument und keine Rechtfertigung dafür, sich der eigenen Geschichte auch im persönlichen Bereich zu entziehen. ({7}) Ich war als Forschungspolitiker einige Male an der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes beteiligt. Ich kann nur sagen, dass mit diesem Gesetz das von uns verfolgte Ziel, eine politische und historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes unter den Bedingungen eines freiheitlichen Rechtsstaates und unter Wahrung von Persönlichkeitsrechten zu ermöglichen, voll erreicht worden ist. Wir können an dieser Stelle auf die Arbeit der Behörde und auf Frau Birthler, die diese Arbeit leistet, stolz sein. Ich sage in aller Deutlichkeit für die SPD-Fraktion: Ich stehe hinter Frau Birthler und der Art, wie sie diese Arbeit leistet. ({8}) Der Versuch, sie daran zu hindern, ist auch der Versuch, die Bewältigung der DDR-Vergangenheit zu hintertreiben. Man muss sich nicht darüber wundern, dass viele Jugendliche in den alten und in den neuen Bundesländern immer wieder sagen, sie hätten keine Ahnung von dem, was damals geschehen ist. Genau deshalb muss die Arbeit fortgeführt werden. Oskar Lafontaine verweist, wie gesagt, immer darauf, all das seien olle Kamellen und die Mauer sei vor fast 20 Jahren gefallen. Dazu habe ich etwas gesagt. Aber, Herr Lafontaine, man kann aus Ihren Bemerkungen noch etwas anderes schlussfolgern. Man hat den Eindruck, Sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen, und Sie wüssten nicht nur ökonomisch, wo es langgehe. Aber Ihre Parteifreunde kommen aus einem Staat, der, unbeeinflusst von der Globalisierung, geschützt durch eine Weltmacht hinter Mauern und Stacheldraht, all das realiJörg Tauss sieren konnte, was Sie heute in Ihrem Wolkenkuckucksheim auf Ihren Parteitagen formulieren. Dieser Staat ist pleitegegangen. Sie wollen vertuschen, was vor 20 Jahren in der DDR der Fall war. ({9}) Im Übrigen gilt das, was der Deutsche Bundestag - das ist in einer Drucksache aus der 13. Wahlperiode festgehalten - klar festgestellt hat: Dr. Gregor Gysi - darüber waren wir uns mit großer Mehrheit einig - hat für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik gearbeitet. Das ist als erwiesen festgestellt worden. ({10}) Diese erwiesene Feststellung werden wir auch heute von Ihnen nicht vertuschen lassen. ({11})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Die Linke hat nun Dr. Gregor Gysi das Wort. ({0})

Dr. Gregor Gysi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000756, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was Sie heute hier mit der Debatte bieten, ist ein trauriges Schauspiel ({0}) und zeigt das enge Zusammenwirken der Bundesbeauftragten Frau Birthler mit gegnerischen und konkurrierenden Parteien der Linken. ({1}) Seit Jahren versuchen Sie mit allen Mitteln, mich zu beschädigen, um meine Partei zu treffen. ({2}) Es zeigt sich aber immer wieder, dass Sie frei von Kenntnissen und zumindest oftmals nur böswillig reagieren. ({3}) Vom Leben eines Anwalts in der DDR haben Sie schlicht und einfach keine Ahnung. ({4}) Nachdem ich die Verteidigung und Vertretung von Robert Havemann übernommen hatte, ({5}) habe ich Folgendes erreicht: Gegen ihn wurde kein Strafverfahren mehr durchgeführt; es gab keine Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen mehr. Nicht einmal Ordnungsstrafen wurden noch gegen ihn ausgesprochen. Der gegen ihn vorher verhängte Hausarrest wurde aufgehoben. ({6}) Der Verkauf eines weiteren Hauses auf seinem Grundstück an einen IM konnte durch mich verhindert werden. Robert Havemann konnte sogar an Feierlichkeiten zur Befreiung des faschistischen Zuchthauses Brandenburg mit Erich Honecker teilnehmen, was damals ein in westdeutschen Medien Erstaunen auslösendes, herausragendes Ereignis war. ({7}) Nennen Sie mir andere Abgeordnete des Bundestages, die sich für Robert Havemann so eingesetzt haben wie ich und diesbezüglich so viel erreicht haben. ({8}) Der Stern schilderte einen Fall, in dem ein angeblicher IM Gespräche mit der Staatssicherheit geführt haben soll, obwohl er in Wirklichkeit zu dieser Zeit auf einer Theaterbühne stand, also gar nicht mit der Staatssicherheit sprechen konnte. Hierzu erklärte die Bundesbeauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheit, dass sie Diskrepanzen zwischen dem Akteninhalt und tatsächlichen Begebenheiten nicht untersuchen dürfe. ({9}) Die Behörde sei auch nicht befugt, Unterlagen zu bewerten, und auch nicht, Wahrheitsfeststellungen zu treffen. Das alles können Sie in Nr. 16/2008 des Stern auf Seite 135 nachlesen. Bei mir aber versuchte der Bundesbeauftragte bzw. die Bundesbeauftragte seit Jahren Gegenteiliges, das heißt, den Vergleich von Akteninhalt und tatsächlichen Begebenheiten, Bewertungen der Unterlagen und vermeintliche Wahrheitsfeststellungen. ({10}) Sie unterstellen mir, dass ich die Staatssicherheit über Robert Havemann im Oktober 1979 direkt informiert hätte. ({11}) Sie wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Staatssicherheit sich erst im September 1980 entschied, meine Eignung als IM zu prüfen. Welcher Schwachsinn, wenn ich schon längst mit ihr zusammengearbeitet hätte. ({12}) 1986 stellte die Staatssicherheit endgültig durch Beschluss fest, dass ich als IM nicht infrage käme, ({13}) weil ich - nun wörtlich - „zur Aufklärung und Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeit nicht geeignet“ war. Die Staatssicherheit versuchte nicht einmal, mich anzuwerben. ({14}) Sie wollen auch nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Staatssicherheit anschließend gegen mich eine operative Personenkontrolle zu meiner Überwachung eröffnete, unter anderem wegen meiner Kontakte zu Mitarbeitern der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, wegen meiner Kontakte zu westdeutschen Journalisten, wegen meiner Kontakte zu ehemaligen Mandanten, das heißt zu Dissidenten, deren Verfahren bereits abgeschlossen waren oder die die DDR schon verlassen hatten, zum Beispiel zu Rudolf Bahro. Wegen so bedeutender Dissidenten wie Robert Havemann und Rudolf Bahro hatte ich in deren Auftrag regelmäßig Gespräche mit Mitarbeitern der Abteilung „Staat und Recht“ des Zentralkomitees der SED. Sie haben bis heute nicht begriffen, dass diese Partei in der DDR die führende Rolle spielte. ({15}) Sie haben nicht begriffen, dass ich deshalb nur über diese Kontakte und nicht über ein Kreisgericht als Rechtsanwalt versuchen konnte, für beide Mandanten das zu erreichen, was sie wollten und was zum Teil auch gelang Robert Havemann war zum Zeitpunkt des Endes der DDR bereits gestorben. Ich hatte ihn bis zu seinem Tod vertreten. Rudolf Bahro hat auch nach der Wende meinen anwaltlichen Einsatz mehrfach und ausdrücklich gewürdigt. ({16}) In der DDR entschied das ZK der SED, wen es über solche Gespräche wie die mit mir informierte. Das galt auch hinsichtlich der Staatssicherheit. Hätte ich versucht, parallele Beziehungen zur Staatssicherheit aufzubauen, hätten die Mitarbeiter der Abteilung Staat und Recht des ZK der SED die Gespräche mit mir beendet. ({17}) Wozu sollte ich das riskieren? Sie begreifen nicht, dass ich schon damals so souverän war wie heute. ({18}) Ich hatte Gespräche mit dem Zentralkomitee, der führenden Kraft der DDR. Ich brauchte keine Kontakte zur Staatssicherheit. Sie waren gar nicht nötig, entsprachen weder meinem Stil noch meiner Würde. Aus den Unterlagen ergibt sich klar, dass die Staatssicherheit mich überwachte, mich nicht mochte. Das nützt mir bei Ihnen gar nichts, weil Sie sich sehnlichst das Gegenteil wünschen. ({19}) Ich weiß nicht, inwieweit Ihre wiederholten, mich persönlich diffamierenden Attacken in den letzten Jahren meiner Gesundheit geschadet haben. ({20}) Aber eines weiß ich: So schaffen Sie letztlich weder mich noch die Linke. ({21})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Thomas Strobl das Wort. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 1. Ausschuss des Deutschen Bundestages überprüft die Abgeordneten auf eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR. Diese Überprüfung nach § 44 c des Abgeordnetengesetzes ist grundsätzlich freiwillig. Lediglich dann, wenn der 1. Ausschuss mit einer Zweitdrittelmehrheit das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für den Verdacht einer Stasiverstrickung feststellt, erfolgt die Überprüfung auch ohne Zustimmung des Betroffenen. Bereits in der 12. und 13. Wahlperiode sind gegen den heutigen Fraktionsvorsitzenden der Linken Dr. Gregor Gysi ohne dessen Zustimmung zwei Verfahren durchgeführt worden. Fast ist man geneigt, zu sagen: natürlich ohne dessen Zustimmung. ({0}) Thomas Strobl ({1}) Denn bis heute hat Kollege Gysi nichts zur Aufklärung der ihm zur Last gelegten Vorwürfe beigetragen, sich nicht einmal von der Staatssicherheit öffentlich distanziert. Das finde ich bemerkenswert. ({2}) Auf der Grundlage der Expertisen der Stasi-Unterlagen-Behörde, der akribischen Prüfung und Bewertung der beim damaligen Bundesbeauftragten aufgefundenen Dokumente sowie der zahlreichen Stellungnahmen Gysis selbst hat der 1. Ausschuss im Mai 1998 eine - ich zitiere - „inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik als erwiesen festgestellt“. ({3}) Wörtlich - ich darf in diesem Zusammenhang aus der entsprechenden Drucksache zitieren - lautete damals das Urteil des Ausschusses: Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen. Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Er hat als Anwalt international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten geschützt, nicht etwa seine Mandanten vor der DDRDiktatur. ({4}) Anders gesagt: Er hat seine Mandanten in gemeiner Weise an die Staatssicherheit verraten. Das ist für einen Anwalt eine Schande. ({5}) In diesem Zusammenhang möchte ich nebenbei bemerken, dass Dr. Gregor Gysi, was eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der DDR betrifft, in der Fraktion Die Linke kein Einzelfall sein dürfte. So haben sich seit Beginn dieser Wahlperiode im Deutschen Bundestag insgesamt 141 Abgeordnete freiwillig auf eine Stasitätigkeit überprüfen lassen; darunter befand sich genau ein einziges Mitglied der Fraktion Die Linke. Auch das ist eine Schande. ({6}) Im Bericht des 1. Ausschusses ist auch das Verhältnis Gysis zu seinem damaligen Mandanten Robert Havemann untersucht worden. Gysi übernahm die anwaltliche Vertretung Havemanns, der im Zweiten Weltkrieg nur knapp der Vollstreckung eines Todesurteils der Nationalsozialisten entgangen war und dann in den 60er-Jahren von der SED aus der Humboldt-Universität vertrieben und schließlich durch Hausarrest und Kontaktverbot in der DDR in die Isolation gezwungen wurde. Der Ausschuss sah es als erwiesen an, dass der heutige Fraktionsvorsitzende der Linken im Zeitraum von Ende 1979 bis 1982 personenbezogene Informationen über seinen Mandanten an den Staatssicherheitsdienst weitergegeben hat. Der Bruch des Anwaltsgeheimnisses ist in unserem Rechtsstaat eine schwere Straftat und wird entsprechend bestraft. ({7}) Aber an Gemeinheit und Niedertracht kaum zu übertreffen ist es, einen Mandanten, der unter einer brutalen Diktatur für die Freiheit des Denkens eintritt, an den Geheimdienst ebendieser Diktatur zu verraten. Das ist mehr als eine Schande. Das ist infam und niederträchtig. ({8}) Havemann war indessen nur das prominenteste Opfer, nicht aber der einzige Mandant, den Gysi an die Staatssicherheit verraten hat. Dabei wurde Gysi vom Ministerium für Staatssicherheit eine - ich zitiere - „umsichtige und parteiliche Erfüllung“ der ihm gestellten Aufgaben bescheinigt, und er wurde von seinem Führungsoffizier Lohr für seine - ich zitiere - „Zuverlässigkeit und eine hohe Einsatzbereitschaft“ gelobt. ({9}) Ebenso wie Havemann von Gysi verraten wurde, erging es dem Oppositionellen Rudolf Bahro, um ein weiteres Beispiel zu nennen. So wurde in einem Stasivermerk über ein Gespräch Gysis ausgeführt - ich zitiere aus dem Bericht des 1. Ausschusses -: Er persönlich - also Gysi … halte Leute wie BAHRO für unverbesserliche Feinde des Sozialismus, die man besser rechtzeitig versuchen solle, in die BRD abzuschieben, da eine ideologische Umerziehung unmöglich sei. … Des weiteren gab er der Hoffnung Ausdruck, daß eine gerichtliche Hauptverhandlung, falls eine solche stattfindet, nur „in ganz kleinem Rahmen“ durchgeführt wird und nicht aus „falschem Demokratieverständnis“ ein größerer Prozeß stattfindet. Thomas Strobl ({10}) So das Mandanten-Anwalt-Verhältnis aus Sicht des Rechtsanwaltes Dr. Gysi. Es ist eine Schande. ({11}) Man reibt sich bei der Lektüre dieser Zeilen verwundert die Augen und fragt sich erstaunt, wie Herr Gysi, der nach Auffassung des 1. Ausschusses des Deutschen Bundestages ein Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war und unter gemeinstem, ja liederlichstem Verrat seiner Mandanten Informationen an die Repressionsorgane der DDR weitergab, Abgeordneter, ja Vorsitzender einer Fraktion im Deutschen Bundestag werden konnte. ({12})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Strobl, das Zeichen am Pult zeigt Ihnen, dass Sie Ihre Redzeit bereits eine Minute überschritten haben. ({0})

Thomas Strobl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003243, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme gleich zum Ende, Frau Präsidentin. Das Ziel der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes unter Einbindung von Dr. Gysi war nämlich kein geringeres als die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR, falls notwendig auch durch ihre brutale Zerschlagung oder die Vertreibung und Verschleppung ihrer Angehörigen in Gefängnisse. Ich sage es klipp und klar: Wer solche Sauereien begangen hat, ist als Volksvertreter diskreditiert. Der Abgang ist überfällig. ({0}) Ziehen Sie die notwendigen Konsequenzen - Sie, Herr Kollege Dr. Gysi, ganz persönlich und Sie in der Fraktion Die Linke ganz links in diesem Hause! ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Wolfgang Wieland das Wort.

Wolfgang Wieland (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003863, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als jemand, der selber seit 30 Jahren als Anwalt tätig ist - gleicher Jahrgang wie der Kollege Gysi - und das Glück hatte, diesen Beruf nie unter den Bedingungen einer Diktatur ausüben zu müssen, neige ich wahrlich nicht zur Selbstgerechtigkeit. Ich lasse mir aber auch nicht sagen, dass ich, weil ich nicht unter dieser Diktatur gelebt habe, nicht in der Lage bin, zu beurteilen, was ein Anwalt in der DDR tun durfte oder nicht. ({0}) Hier ist wahrlich nicht alles beliebig. Wenn der Mandant das weiß und ihn beauftragt hat, kann und muss der Anwalt auch mit dem Teufel reden. Das gehört zum Job. Es muss aber Folgendes klar sein: Er tut das im Auftrag und im Interesse des Mandanten und handelt nicht im Auftrag des Teufels. Hier muss Klarheit herrschen. Diese fehlt bei Gysi. ({1}) Dass wir hier kein neutrales Gremium sind, brauchte uns der Kollege nicht zu sagen. Hier geht es auch um parteipolitische Interessen. Das ist doch gar keine Frage. Ich gebe auch zu, dass die Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit oft aufgeregt vonstattenging, was aus Sicht der Opfer auch völlig verständlich ist. Wie sollten sie da emotionslos sein? Das alles erklärt, warum es Schwierigkeiten im Umgang mit der Wahrheit gibt und warum es für den Einzelnen schwierig ist, ehrlich zu sein. Das kann aber niemals entschuldigen, dass man bis zum heutigen Tag ein Lügengebäude aufrechterhält, das im Übrigen gerade implodiert. Das tut Gysi bis zum heutigen Tag mit seiner Kette von Prozessen und seinem ständigen Versuch, die Kolportage dessen, was wir hier sagen, durch die Medien zu verhindern. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtes hat er noch eine Chance gehabt, umzudenken. Er hat sie wiederum verstreichen lassen. ({2}) Die Aktenlage ist widerleglich, aber man muss sie begründbar widerlegen. Ein Zitat des MfS-Majors Günter Lohr vom 27. November 1980: So bewies er in der bisherigen Zusammenarbeit Zuverlässigkeit und eine hohe Einsatzbereitschaft, als er den Rechtsbeistand im Prozeß gegen Bahro übernahm und im Verfahren gegen Robert Havemann wegen Verstoßes gegen das Devisengesetz unter strenger Einhaltung der Konspiration über geplante Aktivitäten, über das weitere Vorgehen von Verbindungspersonen, Ziele und Absichten über die Rechtslagen und ihre Folgen berichtete. Die Zielstellung besteht darin, dass der Kandidat nach Abstimmung mit dem MfS … Pläne, Absichten und Vorhaben des Havemann, seiner Familienmitglieder, seines Freundes- und Bekanntenkreises im Rahmen seiner anwaltlichen Aufgaben in Erfahrung bringt mit dem Ziel, diese für eine positive Beeinflussung, operative Nutzung bzw. für Zersetzungsmaßnahmen zu nutzen. Es steht dort ebenfalls: Der Kandidat soll mündlich, durch Handschlag, verpflichtet werden und den Decknamen „Notar“ erhalten. Das hat die Stasi zu Papier gebracht. Nun hat sich Gregor Gysi hier hingestellt und gesagt, dass fünf, sechs Jahre später festgestellt wurde, dass er als IM nicht geeignet war. Das ist überhaupt kein Widerspruch und widerlegt nicht, dass er zunächst zugearbeitet und tatsächlich einen eklatanten Mandanten- und Parteiverrat begangen hat. Dafür spricht alles. Seine bisherige Verteidigungslinie war, es seien nur Vieraugengespräche gewesen, die abgehört worden sein könnten, und es könnte jemand Unterlagen aus seinem Anwaltsbüro gestohlen haben. ({3}) Zu dieser bisherigen Verteidigungslinie zitiere ich das Verwaltungsgericht Berlin. Es hat Folgendes gesagt - das ist die neue Qualität -: Nach alledem handelt es sich bei diesem Vorbringen zur Überzeugung der Kammer um eine nicht glaubhafte bloße Schutzbehauptung. Ich wiederhole: „eine nicht glaubhafte bloße Schutzbehauptung“. ({4}) Diese Aussage des Verwaltungsgerichtes ist durch die Berufungsrücknahme, die Gysi selber vorgenommen hat, bestandskräftig geworden. Was wollen Sie denn eigentlich? Sie stellen sich hier hin und sagen, dass alles sei für Ihren Parteitag getimt gewesen. Dabei ist es Sache von Herr Gysi, wann er seine Berufung zurücknimmt. Er hätte das vor einem Jahr tun können; er hätte sie gar nicht einzulegen brauchen. ({5}) Es ist völlig durchsichtig, wie Sie sich verhalten. Als Nächstes wurde Marianne Birthler angegriffen. Gysi sagte, sie werde als Archivarin bezahlt und führe sich wie eine Art Polizeiermittlerin auf. Ich sage: Sie hätten es gerne, wenn die Stasi-Unterlagen-Behörde nur ein Teil des Bundesarchivs wäre. Darauf arbeiten Sie hin. Noch ist es aber eine aktive Aufklärungsbehörde. ({6}) Wenn sie diesen Aufgaben nachkommt, ist sie nicht zu kritisieren. Das Verwaltungsgericht hat dazu festgestellt, dass die Behörde berechtigt - das Gericht sagt: „sogar verpflichtet“ - sei, die Unterlagen an das Nachrichtenmagazin Der Spiegel herauszugeben. Sie musste aufgrund der Gesetzeslage so handeln. ({7}) Fazit: Gregor Gysi selber hat einmal als Begründung dafür, dass die SED nicht aufgelöst, sondern weitergeführt wurde - zunächst als SED/PDS, heute als Linkspartei -, gesagt: Die Geschichte braucht eine Anlaufstelle, eine Adresse; deswegen können wir nicht einfach verschwinden. Die Geschichte braucht aber keine Schutzbehauptungen. Sie braucht vor allem die Wahrheit. Eine Parole aus dem Prag des Jahres 1968 lautete: „Die Wahrheit ist revolutionär.“ Sie verändert die Wirklichkeit und lässt sich durch niemanden auf Dauer unterdrücken, schon gar nicht durch Gregor Gysi. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Stephan Hilsberg das Wort. ({0})

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Glauben Sie mir, dass es mir nicht leichtfällt, zu diesem Thema zu sprechen, obwohl ich mich in meiner politischen Biografie viel mit Staatssicherheit auseinandergesetzt habe. Es fällt mir schwer, meine Gedanken und erst recht meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Ich werde das auch gar nicht richtig können. Ich werde versuchen, bei dem Thema ruhig zu bleiben, weil über einen solch schwierigen Sachverhalt nur in Ruhe diskutiert werden kann. Aber es ist unerträglich, in welcher Art und Weise diese Partei - Die Linke und insbesondere ihr Frontmann Gregor Gysi - nach wie vor versucht, uns zu belügen und zu betrügen und die Öffentlichkeit zu täuschen. Das ist in jeder Hinsicht unerträglich, und zwar nicht nur für die Opfer, sondern für jeden, der ein solches Schicksal miterlebt hat. ({0}) Es geht, wie gesagt, nicht nur um die Opfer. Es geht um Aufklärung. Wir werden die Zukunft nicht gewinnen können, ohne uns ein den Sachverhalten angemessenes Bild von den Fakten zu machen, die die DDR bestimmt haben. Dazu gehört die konspirative Machtausübung des Ministeriums für Staatssicherheit, die untrennbar mit der Stabilität verbunden ist, die die DDR bis 1989 besaß. Wie schwer einem die Aufklärung gemacht wird, zeigt der Beitrag des Kollegen Gysi aufs Neue. Wir sind nicht die Einzigen, die davon betroffen sind. Jedes Mal, wenn jemand versucht, die Wahrheit und seine eigenen Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen, wenn Betroffene bzw. ehemalige Opfer des Staatssicherheitsdienstes wie Erwin Thomas oder jetzt Erwin Klingenstein äußern, dass Gregor Gysi vermutlich IM gewesen sei, werden sie von Gregor Gysi mit Gerichtsverfahren überzogen. Gregor Gysi hat eine ungeheure Kampagnenaktivität entfaltet, um zu verhindern, dass irgendjemand in diesem Deutschland sagt, was tatsächlich der Fall war, nämlich dass Gregor Gysi mit dem Ministerium für Staatssicherheit aufs Allerengste zusammengearbeitet hat. ({1}) Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Bundestag damit beschäftigt. Wir waren es der friedlichen Revolution und vor allem den Bürgern schuldig, Aufklärung darüber zu leisten, inwieweit die Hinterlassenschaft der konspirativen Tätigkeit für die Staatssicherheit in den heutigen Bundestag hineinreicht. Wir hatten niemals das Recht, einem Abgeordneten, der unter den Bedingungen der Demokratie frei gewählt ist, das Mandat abzusprechen, wie es in einigen Landesparlamenten versucht wurde. Ich habe das auch immer für richtig gehalten. Aber wir hatten die Pflicht - der sind wir auch nachgekommen -, über die tatsächlichen Hintergründe aufzuklären. Wir haben uns mit Abgeordneten aus den verschiedensten Parteien beschäftigt. Es war kein Zufall, dass die meisten der Abgeordneten, die mit der Staatssicherheit zu tun hatten, in den Reihen der damaligen PDS zu finden sind. Ich will nicht alle Namen aufzählen, die an dieser Stelle eine Rolle gespielt haben. Dazu gehört auch Gregor Gysi. Wir haben uns lange und auf rechtsstaatliche Weise absolut fair und sehr intensiv mit der Staatssicherheit und der Aktenlage Gregor Gysis beschäftigt. Wir haben uns dafür ein eigenes Verfahren gegeben, das wir wohlabgewogen haben. Wir haben uns dafür Zeit genommen und die gesamten Unterlagen studiert. Die Dokumente füllen Bände, glauben Sie mir. Die Liste derjenigen, die Gregor Gysi bespitzelt hat, liest sich wie ein Who’s Who der DDR-Opposition. Nicht alle, aber doch sehr viele sind darunter. Anschließend haben wir ein Urteil gefällt, das Gregor Gysi nie akzeptiert hat. Das ist sein gutes Recht. Wir haben erst mit Zweidrittelmehrheit im Immunitätsausschuss und dann mit der großen Mehrheit der Bundestagsabgeordneten festgestellt, dass wir die Tätigkeit von Gregor Gysi für die Staatssicherheit der ehemaligen DDR als erwiesen ansehen. Dabei geht es gar nicht um die Betitelung, ob er nun IM war oder nicht; das spielt überhaupt keine Rolle. Die entscheidende Frage lautet: Wie ist sein Verhältnis zur Staatssicherheit zu bewerten? Das hat auch nichts mit seiner anwaltlichen Tätigkeit zu tun, sondern einzig und allein damit, wie eng er mit den Mitarbeitern der Staatssicherheit zusammengearbeitet hat. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass es über Jahre enger im Grunde genommen gar nicht ging. Zum Schluss haben wir eine politische Bewertung vorgenommen, wozu wir auch verpflichtet gewesen waren. Sie findet sich in der Bundestagsdrucksache 13/10893. Dort heißt es, der Ausschuss habe „eine inoffizielle Tätigkeit des Abg. Dr. Gregor Gysi … als erwiesen festgestellt.“ Weiter heißt es: Dr. Gysi hat in dieser Zeit - es geht um die 70er- und 80er-Jahre nachweislich … unter verschiedenen Decknamen dem MfS inoffiziell zugearbeitet. Dort steht, dass er von der Abteilung XX geführt wurde, der Abteilung, die für PUT und PID zuständig war, für Politische Untergrundtätigkeit und Ideologische Diversion, womit natürlich sämtliche Oppositionellen gemeint waren. Zum Schluss heißt es dort: Dr. Gregor Gysi hat in der Zeit seiner inoffiziellen Tätigkeit Anweisungen seiner Führungsoffiziere über die Beeinflussung seiner Mandanten ausgeführt und über die Erfüllung seiner Arbeitsaufträge berichtet. Er hat sich hierauf nicht beschränkt, sondern auch eigene Vorschläge an das MfS herangetragen. Dr. Gysi hat seine herausgehobene berufliche Stellung als einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR genutzt, um als Anwalt auch international bekannter Oppositioneller die politische Ordnung der DDR vor seinen Mandanten zu schützen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat er sich in die Strategien des MfS einbinden lassen, selbst an der operativen Bearbeitung von Oppositionellen teilgenommen und wichtige Informationen an das MfS weitergegeben. ({2}) Auf diese Erkenntnisse war der Staatssicherheitsdienst zur Vorbereitung seiner Zersetzungsstrategien dringend angewiesen. Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame - jetzt kommt es Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hilsberg, schauen Sie bitte auf die Uhr.

Stephan Hilsberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000904, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gestatten Sie mir, auch wenn die Redezeit etwas überzogen ist, eine kurze Bemerkung zum Schluss. Abgesehen davon, dass Gregor Gysi dreimal versucht hat, dieses Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu verhindern - was ihm nicht gelungen ist -, bleibt eines festzuhalten: Wir haben uns damals dazu durchgerungen, dieses Verfahren durchzuführen, und können uns, wie ich glaube, nach wie vor dazu bekennen. Es ist schwer und zeigt Belastendes, nicht nur für Sie als Partei, in deren Reihen sich auch Opfer befinden. Es zeigt, wie schwer die Verdrängungsarbeit sein muss, so etwas immer wieder wegzutun, umzuwerten und dem sogar noch einen humanen Anstrich zu geben. Tun Sie sich den Gefallen und gehen Sie in sich! Sie täten sich selbst, Ihrem Gewissen und der deutschen Öffentlichkeit einen großen Gefallen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat der Kollege Stephan Mayer das Wort.

Stephan Mayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kollegen! Es ist schon schauderhaft und abscheulich, mit welcher Chuzpe und mit welchem Zynismus der Abgeordnete - ich möchte ihn gar nicht als Kollegen bezeichnen - Gregor Gysi am Rednerpult des Deutschen Bundestages freiweg behauptet, er sei ein großer Gegner der Stasi gewesen und niemand habe in der ehemaligen DDR so viel für Robert Havemann getan wie er. Dies ist eine Verhöhnung und Missachtung der Tausende von Opfern, die in der ehemaligen DDR gedemütigt, physisch und psychisch gefoltert wurden, unter anderen sein ehemaliger Mandant Robert Havemann. ({0}) So viel Bescheidenheit und so viel Zurückhaltung ist man an sich von dem Abgeordneten Gysi gar nicht gewohnt, dass er sich zunächst einmal in die letzte Reihe setzt, dann seinen Redetext abliest, was man ebenfalls nicht gewohnt ist, und anschließend sofort wieder verschwindet. Wenn Herr Gysi Rückgrat hätte, würde er sich in die erste Reihe setzen und zuhören, was wir ihm zu sagen haben. Ehrlichkeit erfordert Mut, und die Wahrheit ist manchmal hart; aber es ist höchste Zeit, dass der Abgeordnete Gysi endlich Verantwortung übernimmt, dass er sich endlich der Verantwortung stellt. ({1}) Die Berichte der Birthler-Behörde aus den Jahren 2004 und 2005 lassen keinen Zweifel, dass Gysi Informeller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR war. Gysi ist es - das ist erwiesen -, der mit Thomas Erwin - der später den Namen Klingenstein annahm - am 3. Oktober 1979 von Grünheide mit dem Auto nach Berlin fuhr, und es ist auch bekannt, dass die Informationen, um die es geht, durch einen gezielten IMEinsatz bekannt wurden, also nicht aus einer Telefonabhöraktion im Hause Havemann stammen können. Damit steht unzweifelhaft fest, dass diese Informationen der Informelle Mitarbeiter Gregor Gysi an seinen Führungsoffizier weitergeleitet haben muss. Da hilft keine Nonchalance, da hilft keine Showmasterattitüde. Es ist offenkundig, dass Gregor Gysi tief in das Unrechtsregime der DDR verstrickt war. Er hat Mandanten verraten. Auf Parteienverrat steht in Deutschland eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Bereits 1998 hat der Ausschuss für Wahlprüfung und Immunität in einem Bericht festgestellt - mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Abgeordneten -, dass erwiesen ist, dass Dr. Gregor Gysi als Informeller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR tätig war. Auch in dem Gutachten der Gauck-Behörde von 1995 wird dargestellt, dass Gregor Gysi offenkundig unter den Decknamen Gregor, Lothar oder auch Sputnik dem MfS zugearbeitet hat. Wie schon erwähnt: Der Führungsoffizier von der Stasi hat die Zuverlässigkeit und die hohe Einsatzbereitschaft seines IM sehr gelobt. Damit steht fest, dass Gregor Gysi wissentlich und willentlich das Ministerium für Staatssicherheit unterrichtet hat, seinen Mandanten Robert Havemann der Stasi ausgeliefert hat. Es ist ein besonderes Stück Sarkasmus, dass Gysi, als er ein Jahr nach der besagten Autofahrt im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen zu Thomas Klingenstein gesagt hat: So sieht man sich wieder. Dies zeigt, welch Geistes Kind Gregor Gysi ist. Es ist höchste Zeit, dass Gregor Gysi für seine Missetaten Verantwortung übernimmt. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte deutlich machen, dass Gregor Gysis Verhalten leider Gottes auch für die heutige Linke exemplarisch ist. Die Birthler-Behörde hat zutage gefördert, dass mindestens 7 der 53 Kolleginnen und Kollegen der Fraktion der Linken Informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit waren. ({3}) Der - wenn auch mit einem schlechten Ergebnis - wiedergewählte Bundesvorsitzende der Linken, Klaus Ernst - auch er hat den Plenarsaal bereits verlassen -, hat in der vergangenen Woche wortwörtlich gesagt: „Es bestehen zum Teil noch die alten PDS-Strukturen.“ Die Linke ist die Nachfolgepartei der PDS, die PDS wiederum ist die Nachfolgepartei der SED, einer Partei, die ein brutales, menschenverachtendes Regime, ein Unrechtsregime aufrechterhalten hat. Es ist höchste Zeit, dass dafür endlich die Verantwortung übernommen wird. Wir können den Abgeordneten Dr. Gregor Gysi nur auffordern, endlich die Verantwortung zu übernehmen, seine politischen Ämter niederzulegen und, mindestens genauso wichtig, seine Zulassung als Rechtsanwalt zurückzugeben. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege CarlChristian Dressel das Wort. ({0})

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als unerträglich empfand ich das Verhalten der beiden Vorsitzenden der sogenannten Linksfraktion und ihres Hofstaats zu Beginn dieser Debatte, ({0}) hier aufzutauchen, auf den hinteren Rängen links Platz zu nehmen und nach dem Wortbeitrag des Abgeordneten Gregor Gysi diesem folgend den Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu verlassen. ({1}) Einen solchen Klamauk in dieser Aktuellen Stunde, in der es um einen der Vorsitzenden der Linksfraktion geht, aufzuführen, stellt in meinen Augen eine Verhöhnung nicht nur des Deutschen Bundestages, sondern des Parlamentarismus insgesamt dar. ({2}) Lachen Sie nicht so töricht, meine Damen und Herren von der Linksfraktion! Hören Sie sich an, was Sie betrifft, und sagen Sie bitte Ihren Fraktionsvorderen, dass sie anwesend sein sollten, wenn es um ihre eigene Vergangenheit geht. Es muss aber nicht die weitere Vergangenheit sein. Wenn ich in einer Tickermeldung lese, dass der Kovorsitzende der sogenannten Linksfraktion, Herr Oskar Lafontaine, fordert, Frau Merkel solle Frau Birthler als Behördenchefin abziehen ({3}) - klatschen Sie nur, Frau Jelpke! -, dann zeigt das für mich, wes Geistes Kind Sie sind. ({4}) Der Beauftragte für die Stasi-Unterlagen wird nach § 35 Abs. 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes auf Vorschlag der Bundesregierung vom Deutschen Bundestag gewählt. ({5}) Das heißt, der Vorsitzende der sogenannten Linksfraktion verlangt nichts anderes, als dass die Kanzlerin dort eingreift, wo das Parlament gesprochen hat. Ein sauberes Demokratieverständnis ist das! ({6}) Historisch lässt sich das gut in die Situation Ende 2006 einreihen, als der Deutsche Bundestag in breitem parlamentarischen Konsens das Stasi-Unterlagen-Gesetz beschlossen hat. Jetzt fällt Ihnen Ihr damaliger Änderungsantrag auf die Füße, der zum Ziel hatte, mit dem Auslaufen der damaligen Frist die Überprüfungsmöglichkeiten zu beenden. Sie wollen Schlussstriche und Freisprüche. Aber das macht die übergroße Mehrheit des Deutschen Bundestages nicht mit. ({7}) Sie handeln ausschließlich aus eigenem Interesse. ({8}) Die Causa Gysi bestätigt die Richtigkeit der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Sie bestätigt aber auch, dass Ihnen Ihre Tricks wie die fortlaufende Umbenennung Ihrer Partei und eine um sich greifende Ostalgie nichts nutzen, die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Kollege Mayer hat Herrn Ernst laut Süddeutscher Zeitung vom 27. Mai mit den Worten zitiert - man könnte ihn häufiger zitieren -: Die alten PDS-Strukturen bestehen fort. - Sehr wahr! In Abwandlung eines Spruchs Ihres Frontmanns Lafontaine: Sie sind an diesem Tag ganz besonders die Partei von Gregor Gysi. Sie verklären noch immer die kommunistische Diktatur in der DDR. ({9}) Sie haben sich nur in den wenigsten Punkten von Ihrer Vergangenheit distanziert. ({10}) Wie sehr die Wahrheit dieser Erblast auf Ihnen lastet, macht diese Debatte deutlich. Wenn wir einen Ausflug ins Internet unternehmen, dann sehen wir, dass Sie bei Ihrer Internetpräsenz von einem Gründungsparteitag der sogenannten Linken sprechen. Die Vergangenheit davor ist ausgeblendet und ist nur noch in den Onlinearchiven von WASG und PDS zugänglich. Dort erfährt man genauso wie auf der Website oder im offiziellen Lebenslauf von Gregor Gysi, dass er seit 1989 Vorsitzender der PDS gewesen sei. Meine Damen und Herren, vom 16./17. Dezember 1989 bis zum 4. Februar 1990 nannten Sie Ihre Partei noch SED/PDS. Das versucht Herr Gysi geschichtsklitternd aus seinem Lebenslauf zu tilgen. Das ist bezeichnend für Sie in der sogenannten Linkspartei insgesamt. ({11}) Dass und inwieweit Herr Gysi willentlich und wissentlich für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet hat, hat der Deutsche Bundestag ausdrücklich festgestellt, und er hat seine Schutzbehauptungen gewürdigt. Wenn er jetzt mit Klagen und Anträgen auf einstweilige Verfügung um sich wirft, dann zeigt das seine Meinung von der Pressefreiheit. Ich kann nur wiederholen, was Frau Birthler gesagt hat: Herr Gysi hat erwiesenermaßen willentlich und wissentlich für das Ministerium für Staatssicherheit gearbeitet. Herr Gysi

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Dr. Dressel, achten Sie bitte auf das Zeichen vor Ihnen.

Dr. Carl Christian Dressel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- danke, ich bin schon beim vorletzten Satz -, der nicht da ist - wir sind es gewohnt, auch in seiner Abwesenheit zu verhandeln -: Wenn Sie noch eine Spur von Charakter haben, dann ziehen Sie die Konsequenzen, legen Sie Ihre politischen Mandate nieder, geben Sie Ihre Anwaltszulassung zurück, und nehmen Sie aus Ihrer soDr. Carl-Christian Dressel genannten Linksfraktion diejenigen gleich mit, für die erwiesenermaßen dasselbe gilt! Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun die Kollegin Beatrix Philipp das Wort. ({0})

Beatrix Philipp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002750, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist mir ein besonderes Bedürfnis, zu Beginn meiner Ausführungen Herrn Hilsberg ganz ausdrücklich für seine bemerkenswerten und beeindruckenden Worte zu danken. ({0}) Wer Herrn Hilsberg kennt, der weiß, dass er in vielen Gremien schmerzlich vermisst wird. Ich möchte das ausdrücklich hier am Anfang meiner Ausführungen sagen. Ich weiß natürlich, dass sein Appell, der zu unterstreichen ist, sicherlich ungehört verhallen wird. Herr Dr. Dressel hat den Auftritt und den Abgang von Herrn Gysi als Klamauk bezeichnet. Dem ist eigentlich nicht viel hinzuzufügen, aber ich möchte doch noch sagen: Si tacuisses … Das gilt natürlich für Herrn Gysi. Angesichts all der Opfer und deren Familien ist es ein Hohn, was sich Herr Dr. Gysi hier geleistet hat. Wer die Staatssicherheit zum Zeugen für seine Unschuld bemühen muss, ist weit gesunken. Das ist ein Schlag in das Gesicht aller, ({1}) die die Staatssicherheit auf dem Gewissen hat. Wer bis jetzt auch nur ansatzweise am Ergebnis der Arbeit des Immunitätsausschusses gezweifelt hat, dürfte nach diesem Auftritt sicher sein, dass das Ergebnis ein richtiges gewesen ist. ({2}) Es gehört auch dazu, zu sagen, dass Herr Havemann mehrfach erklärt hat, dass er einem Anwalt seines Vertrauens nicht zumuten könne, für ihn tätig zu werden. Herr Gysi war ein Element der Scheinjustiz. Auch das ist heute ganz eindeutig klar geworden. Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum ich immer bedrückter und ärgerlicher werde, je länger diese Aktuelle Stunde dauert. Ich weiß jetzt auch, woran das liegt: Es ist der Kontext, in dem das stattfindet, es ist die unerträgliche Dreistigkeit, mit der die ehemaligen Stasioffiziere heute auftreten, ({3}) es ist die unverständliche Debatte über die Klarnamen im Rahmen einer Ausstellung, es ist die mangelnde Abgrenzung manch demokratischer Partei von SED, PDS, Linken - oder wie sie sich gerade nennen - und deren Umwerbung. Das macht mir Sorgen, und das regt mich fürchterlich auf. ({4}) Die Hoffnung, dass die Menschen das vergessen, darf nicht Wirklichkeit werden. Deswegen ist die Aktuelle Stunde heute richtig. ({5}) Mich regt noch etwas auf: Das sind die handelnden Personen, die mit ihrem Verhalten immer wieder den Beweis dafür liefern, und zwar bis in die letzten Minuten vor dieser Aktuellen Stunde, dass sie die Werkzeuge des MfS immer noch sehr wohl zu nutzen wissen. Dazu gehört Herr Gysi ebenfalls. Dafür hat er eben einen Beweis geliefert. Da wird bis in die letzten Minuten vor dieser Aktuellen Stunde in mannigfachen Anläufen und auf verschiedenen Wegen und mit unterschiedlichem Ergebnis versucht, Fakten zu leugnen, Fakten umzudeuten, Menschen unter Druck zu setzen, zu verhindern, dass die Wahrheit ans Licht kommt, bis es überhaupt nicht mehr anders geht. Das heißt heute hier: Man versucht, zu verhindern, dass Herr Erwin - jetzt Herr Klingenstein - aussagen kann. Er würde untermauern, was der Immunitätsausschuss 1998 als erwiesen festgestellt hat. Da werden von dieser Stelle aus immer wieder hohe politische und moralische Ansprüche formuliert - natürlich an die Adresse der anderen. Da werden Menschenrechte eingefordert. Das heißt heute hier: Erst ein Gericht musste urteilen, dass die Schweigepflicht des Rechtsanwalts, auf die Herr Gysi sich immer wieder beruft, allein dem Schutz des Mandanten und nicht dem Schutz des Anwalts dient. Da meint man doch, der gesunde Menschenverstand würde einen verlassen. ({6}) Da wird versucht, ausgetüftelt juristisch zu argumentieren. Schon 1998 hat der Immunitätsausschuss Gysis inoffizielle Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit festgestellt, worüber hier schon mehrfach berichtet wurde. Es wird immer wieder so getan, als wenn das eigentlich nicht so ganz richtig wäre. Deswegen wird auch jeder, der dies als Tatsache behauptet, sofort mit drastischen juristischen Sanktionen überzogen. Diese Reihe ließe sich beliebig fortsetzen, etwa mit dem heutigen Tickerdienst. Die absolute Spitzenmeldung dort ist nicht, dass Herr Gysi zurücktreten muss, sondern dass der Rücktritt von Frau Birthler gefordert wird. Das schlägt eigentlich dem Fass den Boden aus. ({7}) Und: Herr Lafontaine fordert das. Wer noch ein bisschen mit seinem Gedächtnis unterwegs ist, der denkt vielleicht: Das ist eine alte Verbundenheit zu Herrn Honecker. Die hat es nämlich zweifellos einmal gegeben. Auch das sollte man an dieser Stelle nicht vergessen. Wer Herrn Gysi in den letzten Jahren hier erlebt hat, der hat sich vielleicht einen Augenblick darüber gewundert, dass das Zurückziehen dieser Berufung eigentlich sehr ruhig, fast klammheimlich passiert ist. Es ist schon ein bemerkenswerter Vorgang, dass sogar die taz am 22. Mai titelte - ich zitiere -: „Gregor, gib’s doch endlich zu!“ ({8}) Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Wenn man jetzt über Konsequenzen reden würde, würde man den Rahmen einer Aktuellen Stunde sprengen. Aber man kann nach diesen Feststellungen eigentlich nicht zur Tagesordnung übergehen. ({9}) Nach wie vor stehen wir alle in der Verantwortung - gerade den Opfern der SED-Diktatur gegenüber -, Aufarbeitung so weit wie möglich und noch intensiver als bisher weiterzubetreiben. Darauf hat auch Herr Waitz hingewiesen. Die Arbeit der Birthler-Behörde ist dabei ebenso unverzichtbar wie die Fortführung und Intensivierung der Arbeit der automatisierten virtuellen Rekonstruktion der vorvernichteten Stasi-Unterlagen im Fraunhofer-Institut, hier in diesem Hause als „Schnipselmaschine“ bekannt. Meine Damen und Herren, meine Fraktion wird allen Störmanövern, die jetzt schon zu bemerken sind und von denen wir jetzt schon wissen, entgegenwirken - egal, aus welcher Ecke und von welcher Seite sie kommen. Vielen Dank. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 29. Mai 2008, 9 Uhr, ein. Die Sitzung ist geschlossen.