Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
sehr herzlich zu unseren heutigen Beratungen. Wir beginnen heute mit der Aktuellen Stunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen FDP und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur vorgeschlagenen Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Dr. Werner Hoyer für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dies ist ein sehr guter Tag für unser Parlament, den
Deutschen Bundestag und die Bundeswehr: Das Bundesverfassungsgericht ist heute Morgen dem Antrag der
FDP-Fraktion in der AWACS-Frage auf ganzer Linie gefolgt. Es hat Recht gesprochen und die Rechte des Parlaments weiter gestärkt.
({0})
Das Bundesverfassungsgericht bleibt sich treu und
folgt der Linie früherer Entscheidungen zur AWACSFrage und zum NATO-Vertrag. Wir freuen uns aus vollem Herzen darüber. Dieses Urteil sollte uns aufrütteln
und ermuntern, auch unsererseits die Rechte des Parlaments zu achten, zu nutzen und zu stärken. Es geht um
mehr Parlamentsbeteiligung und nicht um weniger.
({1})
Die Union kann nun einen erheblichen Teil ihres Strategiepapiers einpacken;
({2})
denn es ist deutlich geworden, dass das Bundesverfassungsgericht eine Schwächung des Parlaments bei der
Beteiligung an Entscheidungen über Auslandseinsätze
der Bundeswehr nicht mittragen wird. Das ist eine sehr
gute und erfreuliche Entwicklung.
({3})
Die Debatte über das sogenannte neue strategische
Konzept der Union - man fragt sich, worin der Mehrwert gegenüber dem europäischen Konzept bestehen
soll, das wir hier gemeinsam begrüßt haben - ist nicht
sinnvoll und nicht zielführend. Ich halte sie sogar für gefährlich.
({4})
Ich denke, es ist gut, dass die Union von einem weitgefassten Sicherheitsbegriff ausgeht. In dem Papier
steht, dass im Grunde alle Ressorts von dem betroffen
sind, was man bei einem weitgefassten Sicherheitsbegriff zu beachten hat. Damit sind auch alle Spiegelreferate und -abteilungen des Bundeskanzleramtes im Spiel.
Natürlich bedarf es einer Koordinierung der Ressorts.
Dafür gibt es da drüben dieses große Amt, das sich mittlerweile zu einer riesigen Behörde ausgeweitet hat. Die
Institutionen sind also vorhanden. Das heißt: Wenn man
konstatiert, dass die Koordination des Regierungshandelns nicht ausreichend ist, ist das eine Frage der politischen Führung. Würde die Union zu diesem Befund
kommen, würden wir ihr sogar zustimmen.
({5})
Afghanistan ist ein gutes Beispiel: Der Verteidigungsminister spricht ständig von vernetzter Sicherheit, preist
das deutsche Konzept in Gesprächen mit seinen
Redetext
genervten NATO-Partnern als vermeintlich überlegen
an, in der Realität, also am Boden, passiert in Sachen
vernetzter Sicherheit aber nichts.
Eine bessere Koordinierung wäre wunderbar; deswegen darf das Bundeskanzleramt aber noch längst nicht
zum deutschen Weißen Haus werden.
({6})
Ein Nationaler Sicherheitsrat ist mit der verfassungsrechtlich gebotenen Balance zwischen Ressortprinzip
und Kanzlerprinzip einfach nicht vereinbar. Wenn der
Sicherheitsrat mehr machen dürfte als der Chef des Bundeskanzleramts oder die Bundeskanzlerin, dann würde
das, was in Art. 65 des Grundgesetzes steht, nicht mehr
gelten:
Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der
Politik … Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder
Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbstständig und unter eigener Verantwortung. Über Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bundesministern entscheidet die Bundesregierung …
als Kollegialorgan. Genau das wollen wir so bewahren.
({7})
Dass dies in Zeiten von Koalitionsregierungen ohnehin zum Rohrkrepierer werden würde, brauche ich hier
nicht weiter auszuführen. Auch wenn Amtsinhaber im
Bundeskanzleramt nach einigen Jahren tendenziell glauben, sie könnten über Wasser gehen - in diesem Fall
geht es ziemlich schnell -, wird aus einer Kanzlerdemokratie noch längst keine Präsidialdemokratie.
({8})
Oder geht es letztendlich um etwas anderes? Mein
Kollege Stadler wird noch darauf eingehen. Geht es um
die Vermischung von innerer und äußerer Sicherheit und
der Organe, die dafür zuständig sind, oder geht es um
eine Schwächung des Parlaments? All das ist mit uns Liberalen nicht zu machen.
({9})
Ein letztes Wort zur Raketenabwehr und zur Abrüstung. Neue Bedrohungen erfordern gegebenenfalls neue
Instrumente. Man darf da nicht blind sein, sondern muss
das unvoreingenommen und rational angehen,
({10})
und zwar gemeinsam mit unseren Partnern in der EU
und der NATO und auch gemeinsam mit unserem Partner Russland, wenn es denn irgendwie möglich ist. Denn
eines ist klar: Unverwundbarkeit löst bei demjenigen,
gegenüber dem man sich unverwundbar macht, Reaktionen aus, die letzten Endes zu einer weiteren Drehung der
Aufrüstungsspirale führen können. Genau das wollen
wir nicht. Die Zeit für Abrüstung und nicht für weitere
Aufrüstung ist gekommen.
({11})
Deswegen gehen wir dieses Thema dann, wenn die
Zeit gekommen ist, mit kühlem Verstand und rational an.
Gegenwärtig, am Tag der Amtseinführung des neuen
russischen Präsidenten, dem wir eine Chance geben und
dessen Worte wir ernst nehmen sollten, und wenige Monate vor der Entscheidung über die neue amerikanische
Regierung, erscheint eine solche Festlegung völlig unangemessen.
Vielen Dank.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Andreas
Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich möchte mich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dafür bedanken, dass Sie uns mit dieser
Aktuellen Stunde Gelegenheit geben, in der Öffentlichkeit unsere Überlegungen für eine Sicherheitsstrategie
für Deutschland darzustellen.
({0})
Ziel unseres Konzeptes ist es, über die wichtigen tagespolitischen Entscheidungen hinaus eine breite strategische Diskussion über die Sicherheitspolitik Deutschlands auszulösen. Denn was wir in Deutschland
brauchen und leider noch nicht haben, ist eine strategische Debattenkultur.
Wie wichtig sie ist, zeigen die Reaktionen auf unser
Papier. Wenn nur noch reflexartig auf Stichworte reagiert wird und Inhalte gar nicht mehr zur Kenntnis genommen werden, dann zeigt das, wie dringend erforderlich die Entwicklung einer solchen strategischen
Debattenkultur ist. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass
wir dafür einen Anlass geschaffen haben.
Am interessantesten sind die Reaktionen auf unseren
Vorschlag für einen Nationalen Sicherheitsrat. Man hat
den Eindruck, dass sich viele Leute überhaupt nicht die
Mühe gemacht haben, zunächst einmal zu lesen, was wir
zu diesem Stichwort vorschlagen.
Was also steht in unserem Papier?
({1})
- Ich sag es Ihnen gerne, Herr Gehrcke. - Wir sprechen
uns dafür aus, den Bundessicherheitsrat aufzuwerten.
Als politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum soll er die umfassende ressortübergreifende Analyse möglicher Bedrohungen für die innere
und äußere Sicherheit optimieren und den Einsatz aller
Katastrophenkräfte im Inland und im Ausland möglichst
wirksam koordinieren. Dann schreiben wir ganz bewusst
- Herr Hoyer, das zeigt, wie abwegig die Kritik ist -:
Unter Berücksichtigung der föderalen Kompetenzordnung … und der Zuständigkeiten der Ressorts
der Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden soll dadurch eine einheitlich politische Leitung und ein optimales Krisenmanagement im Inland wie im Ausland sichergestellt werden.
({2})
Tatsache ist, dass wir zwar gute Analysen in den jeweiligen Ressorts haben, aber keine ressortübergreifende
Analyse. Dieses Problem mangelnder Koordination tritt
übrigens am häufigsten zwischen dem Außenministerium und dem Entwicklungshilfeministerium auf.
({3})
Dass dieses Problem seit langem besteht, lieber Herr
Kollege Trittin, können doch weder Sie noch die SPD
bestreiten. Warum hätten sonst Sie im Oktober 1998 in
den Koalitionsvertrag von Rot-Grün Folgendes geschrieben:
Die neue Bundesregierung wird dem Bundessicherheitsrat seine ursprünglich vorgesehene Rolle als
Organ der Koordinierung der deutschen Sicherheitspolitik zurückgeben und hierfür die notwendigen Voraussetzungen schaffen.
Nichts anderes wollen wir mit unserem Vorschlag erreichen.
({4})
Dass wir einen dermaßen weiterentwickelten Bundessicherheitsrat jetzt „Nationalen Sicherheitsrat“ nennen,
hat damit zu tun, dass in diese Koordinierung auch die
Bundesländer einbezogen werden müssen. Sie sehen,
das hat nun wirklich überhaupt nichts mit dem Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten zu tun.
Wenn die Opposition - lieber Herr Hoyer, das muss
ich Ihnen sagen - unser Papier nicht richtig analysiert,
dann kann ich das nachvollziehen. Wenn aber die Spitze
des Auswärtigen Amtes nicht willens ist, dies zu tun
- das sage ich in aller Deutlichkeit, weil die Kritik des
Außenministers an der Sache völlig vorbeigegangen
ist -, dann zeigt das erst recht, wie notwendig eine
ressortübergreifende Analyse- und Koordinierungseinrichtung ist.
({5})
Ich will gerne auf einen anderen Punkt eingehen,
nämlich die Frage des Parlamentsvorbehaltes bei Bundeswehreinsätzen. Mit dem heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde der Parlamentsvorbehalt gestärkt, was wir ausdrücklich begrüßen. Die Missachtung
des Parlamentes durch Rot-Grün wurde durch das Bundesverfassungsgericht gerügt.
({6})
Wir wollen etwas anderes. Wir wollen bei einem
kurzfristigen Einsatz der Battle-Groups die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, die nach unserer Überzeugung mit der derzeitigen Fassung des Parlamentsvorbehaltes nicht gegeben ist, entsprechend anpassen. Die
Battle-Groups sind ein Vorläufer einer Europaarmee, für
die sich die SPD-Bundestagsfraktion - das ist kaum
wahrgenommen worden - in dieser Woche erneut ausgesprochen hat. Wer aber eine Europaarmee mit Bundeswehrsoldaten schaffen will, der muss das Parlamentsbeteiligungsgesetz erheblich stärker verändern, als wir es
jetzt vorschlagen. Wer unseren Vorschlag reflexartig ablehnt, gleichzeitig aber eine Europaarmee schaffen will,
der ist entweder nicht seriös oder hat das Konzept einer
Europaarmee nicht zu Ende gedacht.
Auch das zeigt: Wir brauchen eine breite inhaltliche
Diskussion. Reflexartiges Reagieren auf Stichworte, wie
das auch jetzt wieder der Fall gewesen ist, hat mit einer
strategischen Debattenkultur nichts zu tun und zeigt, woran wir auch im Deutschen Bundestag arbeiten müssen.
Deswegen empfehle ich Ihnen allen die ausführliche
Lektüre unseres Papiers Eine Sicherheitsstrategie für
Deutschland und dann eine unaufgeregte und sachgerechte Debatte.
Ich bedanke mich.
({7})
Nun hat das Wort die Kollegin Renate Künast für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, Herr Schockenhoff, dass Sie hier gerade ordentlich Nebelkerzen geworfen haben. Warum? Weil in
Wahrheit das Papier der CDU/CSU das Ziel hat, die bewährten Regeln und Kompetenzzuweisungen der inneren und äußeren Sicherheitspolitik, die es in dieser
Republik gibt, aufzuweichen und die Grenzen zu verwischen. Für Ihre Vorstellungen wird es im Deutschen
Bundestag keine Mehrheit geben.
({0})
In dem Papier steht gleich vorne - das muss ich zitieren -, dass sich die bisherige Trennung von äußerer und
innerer Sicherheit oder von Kriegszustand und Friedenszeit nicht mehr aufrechterhalten lässt.
({1})
- Doch, so steht es in Ihrem Papier.
({2})
Sie wollen die Bundeswehr im Innern einsetzen, wie Sie
das bei dem G-8-Gipfel in Heiligendamm gemacht haben. Sie wollen die Bundeswehr nicht mehr nur im Katastrophenfall oder als Nothilfe einsetzen, sondern Sie
wollen sie mit ihren Instrumenten immer mehr im Inneren einsetzen und ihr Polizeiaufgaben übertragen.
Sie wollen mit dem BKA-Gesetz die Grenzen zwischen Polizei und Geheimdiensten auflösen. Sie wollen
einen präventiven Sicherheitsstaat aufbauen. Außerdem
gehen Sie dieses Thema nicht auf europäischer Ebene
an, sondern national, obwohl Sie ein solches Vorgehen
gerade selbst kritisiert haben. Sie glauben, dass man Sicherheit im Wesentlichen national definieren kann. Sie
wollen die nationale Exekutive stärken, aber nicht dieses
Parlament.
({3})
Ich sage Ihnen ganz klar: Finger weg vom Parlamentsvorbehalt! Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
({4})
- Diese Fraktion hat sich verdient gemacht; das gebe ich
zu.
Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht
- Stichwort: AWACS-Einsatz - im Gegensatz zu dem,
was in Ihrem Papier steht, entschieden hat: im Zweifel
für die Beteiligung des Parlaments, nicht für die Exekutive. - Diese Klarstellung muss in den folgenden Debatten über dieses Thema berücksichtigt werden.
Ich sage Ihnen: Wir wollen die Sicherheitsstruktur
und die Sicherheitskultur in dieser Republik nicht ändern. Es gibt nach wie vor einen Freiheitsbegriff, der die
klare Ansage beinhaltet, dass die einzelnen Behörden im
Rahmen unserer Sicherheitsstruktur konkrete Aufgaben
haben. Wir wollen Gewaltenteilung bei der Entscheidungsfindung. Wir wollen zwischen außen und innen
unterscheiden. Wir wollen, dass über Einsätze der Bundeswehr im Parlament entschieden wird, und wir wollen
keinen präventiven Sicherheitsstaat aufbauen. Genau das
beabsichtigen Sie. Deshalb versuchen Sie, diese Unterschiede bei einigen Themen zu verwischen.
({5})
Wenn man sich Ihr Papier ansieht, dann stellt man darin eine wirklich bedrohliche Engführung fest.
({6})
- Herr Schockenhoff, auch bei Ihnen. - Was wir brauchen, um eine gemeinsame Politik machen zu können,
ist mehr Europäisierung. Wir brauchen an dieser Stelle
mehr parlamentarische Kontrolle. Wir wissen doch, welche Mühe wir mit der Aufklärung haben. Das PKG und
die Untersuchungsausschüsse beschäftigen sich mit der
Frage, wer eigentlich wo aktiv war.
Wir brauchen keinen Rückbau des Parlamentsvorbehalts. Während andere Länder - denken Sie nur an Italien oder Spanien - nach ihrem Irak-Desaster von
Deutschland lernen und aus ihren Armeen Parlamentsarmeen machen wollen, wollen Sie das bewährte deutsche Modell abschaffen.
({7})
- Doch. So ist es. - Wir brauchen eine Europäisierung
der Streitkräfte. Dabei sind allerdings mehr parlamentarische Kontrolle und mehr Transparenz notwendig, nicht
weniger.
Ich muss Ihnen sagen: Wenn man Ihre Art der Darstellung betrachtet, stellt man bei der Frage, wie Sie
Sicherheit definieren, eine weitere Engführung fest. Sie
sagen zum Beispiel, dass es beim Thema Energie letztlich nur um die Bildung strategischer Reserven, um die
Sicherung der Energieversorgung, um die Infrastruktur
usw. geht. Ich sage Ihnen: Wenn Sie in diesem Land tatsächlich Sicherheit schaffen wollen, dann müssen Sie einen sehr breiten Ansatz verfolgen und sich fragen: Wie
machen wir dieses Land unabhängiger von Öl- und Gasimporten? Hier müssten Sie eine radikale Politik machen. Indem Sie einen Nationalen Sicherheitsrat einrichten, werden Sie das nicht schaffen.
({8})
Da Sie gerade die Koalitionsvereinbarung von RotGrün erwähnt haben, sage ich Ihnen, warum ich die
Debatte über die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates für überflüssig halte. Sie haben das Wort „koordinieren“ benutzt.
({9})
Der Nationale Sicherheitsrat, den Sie vorschlagen, soll
aber nicht nur koordinieren, sondern, wie Herr Hoyer
schon gesagt hat, auch Entscheidungen treffen.
({10})
An dieser Stelle wollen Sie die Kabinettsstruktur und das
Prinzip der Ressortverantwortlichkeit aufheben. Das halRenate Künast
ten wir für einen Fehler. Denn unser System hat sich bewährt, nicht die Präsidialdemokratie der USA.
({11})
Zum Schluss möchte ich Ihnen folgende Bemerkung
mit auf den Weg geben: Niemand hindert die Regierung
daran, gemeinsam eine umfassende Analyse durchzuführen. Sie können Ihrer Kanzlerin und Ihrem Verteidigungsminister sagen, dass sie Sicherheitspolitik nicht so
verstehen sollten, als ginge es darum, eine Mauer zu
bauen, um sich gegenüber bestimmten Kabinettskollegen abzusichern. Sorgen Sie dafür, dass sie endlich eine
gemeinsame Analyse durchführen. Sie müssen sich mit
Fragen der Energie, der Sicherheit, der Entwicklung in
Afrika und der Bedrohung befassen
({12})
und dann ein gemeinsames Konzept entwickeln.
Das wird ein Nationaler Sicherheitsrat nie leisten
können; denn dazu braucht es mehr. Es braucht eine gute
Entwicklungshilfe, die Bekämpfung des Hungers, und
man muss anderen Staaten auf dem Gebiet der Energiepolitik behilflich sein. Ihr Vorschlag zur Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates nützt gar nichts. Sie
selbst haben übrigens gesagt, dass Schwarz-Rot diese
Aufgabe noch nicht erfüllt hat. Ihr Papier ist faktisch
eine Mangelanalyse.
({13})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Walter
Kolbow das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gleich zu Anfang ein Satz zur Koalition: Der Koalitionsvertrag ist sicherlich vom Positionspapier der Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion nicht berührt. Gleiches gilt für das Weißbuch, das wir 2006 auf
den Weg gebracht haben. Es ist das gute Recht unseres
Koalitionspartners, eigene Papiere zur parteipolitischen
Profilierung und zur Einnahme von Standpunkten vorzulegen, die in der Gesellschaft von Bedeutung sind.
({0})
Herr Kollege Schockenhoff, Sie haben in der Zeitschrift Internationale Politik geschrieben: „Streit erwünscht“. Wir lassen uns natürlich auch nicht aus dieser
von Ihnen erbetenen Streitgesellschaft entlassen. Nein,
wir begeben uns mitten hinein, auch hier im Parlament,
wo der Ort der Auseinandersetzung repräsentativ für unser ganzes Land ist.
({1})
Der Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung, der
schon angesprochen worden ist, hatte in der Tat die Reform und die Erweiterung des Bundessicherheitsrats
zum Ziel, um die für die Fragen der internationalen Politik zuständigen Fachressorts stärker zu koordinieren.
Deswegen war die logische Folge, das bisher nicht vertretene Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in den Rat zu integrieren.
Ich zitiere, was Herr de Maizière im Januar 2006 vor der
Bundesakademie für Sicherheitspolitik gesagt hat:
Der Bundessicherheitsrat wird sich allerdings künftig stärker als bisher mit sicherheitspolitischen Fragestellungen befassen. Es wird dabei darauf
ankommen, über das aktuelle Geschehen hinaus
solche Fragen ins Zentrum der Beratung zu rücken,
die für deutsche und europäische Sicherheitsinteressen von strategischer Bedeutung sind oder werden können.
Das ist Analyse und Koordination, aber - ich nehme das
auf, was Kolleginnen und Kollegen vor mir gesagt haben
- eben keine Entscheidung. Der heutige Bundessicherheitsrat entscheidet für die Bundesregierung lediglich in
Vorlagen, aber nicht abschließend. Dies ist bei Ihrer
Zielorientierung nicht klar ersichtlich. Distanzieren Sie
sich noch einmal von einer Revitalisierung des Bundessicherheitsrats zu einem Nationalen Sicherheitsrat à la
Vereinigte Staaten von Amerika! Sie entspricht nicht unserem Verfassungssystem und verstößt gegen die parlamentarische Einbindung sowie die Gewaltenteilung und
damit auch gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland.
({2})
Es mag eine politische Petitesse sein, dass sich der
Repräsentant des Bundeskanzleramts auf der 44. Münchener Sicherheitskonferenz mit „Bundessicherheitsberater“ anmeldet. Ich hinterfrage hier, ob unter den Autoren Ihres Papiers, mit denen wir authentisch und nicht
über Apparate diskutieren wollen, nicht welche federführend sind oder Einfluss ausüben, um sich selbst mehr
Bedeutung zu geben. Auch dies ist in der Gewaltenteilung parlamentarischem Zusammenwirken unzuträglich.
({3})
Meine Damen und Herren, natürlich hat Rot-Grün
- wir sind Ihnen dankbar, dass Sie das Verfassungsgericht angerufen haben - ({4})
- Ich sage Ihnen aus der Erfahrung von 28 Jahren im
Deutschen Bundestag und sieben Jahren als Parlamentarischer Staatssekretär gleich etwas zu dieser Frage. Regierungen sind häufig auch im bündnispolitischen Bereich schneller zum Handeln verpflichtet, als wir es
möglicherweise parlamentarisch nachholen oder überhaupt erreichen können. Dies darf aber nicht dazu führen, dass wir Fehler machen, wie wir sie bei der Entsendung von AWACS-Flugzeugen gemacht haben. Dass das
Bundesverfassungsgericht dies festgestellt hat, ruft nicht
nur zu Respekt auf, sondern künftig auch zur Beachtung,
meine Damen und Herren.
({5})
Wir fühlen uns dem, was das höchste Gericht gesagt hat,
verpflichtet. Als einer, der damals in der zweiten Reihe
der Bundesregierung stand, verbeuge ich mich vor dem
Bundesverfassungsgericht und sage: Ja, wir hätten es anders machen können - wenn wir es gewusst hätten.
Aber, Kolleginnen und Kollegen, wie war das 1994,
als das Bundesverfassungsgericht mit 4 : 4 Richterstimmen - ich sage es einmal flapsig - die NATO vom kollektiven Verteidigungssystem zum kollektiven Sicherheitssystem befördert hat und es damit erst ermöglicht
hat, dass sich die deutschen Streitkräfte in ein kollektives Sicherheitssystem zur Wahrung des Friedens - das
die NATO jetzt ist - einordnen können? Diese Fortentwicklung hat heute einen bemerkenswerten, einen markanten Aussageabschluss durch das Bundesverfassungsgericht gefunden.
({6})
Dies wird für uns künftig die Richtschnur sein.
Es muss aber auch für unseren Koalitionspartner die
Richtschnur sein, und zwar in der Frage, ob für internationale Einsätze der Bundeswehr ein UN-Mandat erforderlich ist.
({7})
Denn was mich an dem Strategiepapier am meisten beunruhigt, ist die Tatsache, dass in den Ausführungen
über die rechtlichen Grundlagen für einen Auslandseinsatz deutscher Soldaten von einem Verzicht auf ein UNMandat die Rede ist. Für die SPD ist das der absolut falsche Weg.
({8})
Es muss der höchsten internationalen Autorität, den Vereinten Nationen, vorbehalten bleiben, den Einsatz von
bewaffneten Streitkräften zur Erhaltung des Friedens zu
beschließen. Über diesen Punkt müssen wir mit der
CDU/CSU weiter diskutieren; ich bin sicher, wir schaffen das, lieber Andreas Schockenhoff.
Zum Abschluss, liebe Kolleginnen und Kollegen,
möchte ich sagen: Der Vorwurf, das parlamentarische
Verfahren sei im Krisenfall zu schwerfällig und daher
nicht praxistauglich, hat sich nicht erhärtet und ist durch
die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ad absurdum geführt. Es muss uns jetzt gelingen,
miteinander - auch mit der Regierung ({9})
parlamentarische Verfahren hinzubekommen, bei denen
die Rechte des Parlaments gewahrt werden, ohne dass
eine Überbordung der Regierung droht.
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.
Damit brächten wir dieses wichtige, aber heikle, in
der Bevölkerung immer wieder diskutierte - auch ablehnend eingeschätzte - Thema der Auslandseinsätze der
Bundeswehr auf einen guten repräsentativen und zugleich verfassungsrechtlich einwandfreien Weg. Das
sehe ich in Ihrer Vorlage leider nicht.
({0})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Norman Paech
für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dies ist
nicht nur deswegen eine historische Stunde, weil das
Bundesverfassungsgericht so geurteilt hat, sondern auch
deswegen, weil es, glaube ich, das erste Mal ist, dass die
Linke auf der Seite der Mehrheit des Hohen Hauses gegen die CDU/CSU redet.
({0})
Die Empörung über Ihre neue Sicherheitsstrategie ist
in allen Parteien außer der Ihren weit verbreitet, und sie
ist berechtigt. Schaut man allerdings genauer hin, so
sieht man, dass die meisten Punkte Ihres Strategiepapiers alte Hüte sind, gegen die die Linke schon lange
protestiert. Neu ist allerdings, dass Sie diese Punkte zu
einem Paket verschnürt haben, das hochexplosiv ist. Sie
setzen damit auf eine vollkommene Militarisierung der
Außenpolitik.
({1})
Sie fordern einen Nationalen Sicherheitsrat, obwohl
wir - darauf ist hingewiesen worden - bereits den Bundessicherheitsrat haben, in dem wir all die Punkte, die
Sie anmahnen, besprechen können. Sie machen weitere
Anleihen beim US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrat. Sie wollen offensichtlich die dort versammelte
Machtfülle und die gesamte Entscheidungskompetenz
auch für den Sicherheitsrat beim Bundeskanzleramt. Das
sprengt - das ist gesagt worden - den Rahmen unserer
Verfassung; denn sie geht von einer Trennung von Verteidigungsaufgaben - diese nimmt das Verteidigungsministerium wahr - und Außenpolitik - dafür ist das Außenministerium zuständig - aus. Wir haben kein
Präsidialsystem à la Bush, auch wenn Sie anscheinend
von so etwas träumen.
Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik hat Ihren Vorschlag vorweggenommen, als er vor
zwei Jahren erklärte, dass mit einem solchen Rat „im
Bundeskanzleramt tatsächlich ein eigenes Machtzentrum
heranwachsen“ würde und dass wir dann „die Verfassung ohnehin in wesentlichen Teilen überarbeiten müssten“. - Das will die Linke nicht, und das will wohl keiner in diesem Hohen Hause - außer Ihnen. Sie sprechen
davon, dass sich diese Überlegungen auf die nächste Legislaturperiode bezögen. Hoffentlich können Sie das
dann nicht mehr umsetzen.
({2})
Sie begründen Ihre Sicherheitsstrategie mit einer
Vielfalt neuer Risiken und Bedrohungen: internationaler
Terrorismus, Verbreitung von Massenvernichtungsmitteln, Klimawandel, Energiesicherheit und Ressourcenversorgung. Wir stimmen Ihnen ja zu, dass das alles
komplexe und sehr wichtige Probleme sind, deren Lösung von höchster Priorität ist. Ich frage Sie aber: Wie
soll die Bundeswehr den Klimawandel bewältigen, und
was hat sie überhaupt mit der Energiesicherheit und auch
der Ressourcenversorgung zu schaffen? - Diese Probleme müssen wir mit politischen Mitteln - mit Verhandlungen und Verträgen -, aber nicht mit dem Militär
lösen.
({3})
Schon 1992 wurde durch die Verteidigungspolitischen
Richtlinien des Verteidigungsministeriums - ich zitiere
jetzt auch diese - die „Aufrechterhaltung des freien
Welthandels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten
und Rohstoffen in aller Welt“ als Aufgabe der Bundeswehr definiert. Im April 1999 hat die NATO diese Strategie noch einmal wiederholt.
Sie haben sich immer gegen unseren Vorwurf der Militarisierung Ihrer Außenpolitik verwahrt. Das ist aber
genau das, was Sie tun und was wir heute wieder als Militarisierung kritisieren. Wenn Sie glauben, mit Ihrer
Politik nicht mehr zurande zu kommen, dann wollen Sie
Militär einsetzen. Die Linke hat die Lösung politischer
Aufgaben mit militärischen Mitteln immer abgelehnt,
und sie bleibt eindeutig bei ihrem Nein.
({4})
Um zum nächsten Punkt zu kommen: Sie benutzen
die internationale Terrorgefahr jetzt dazu, die Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit aufzuheben und sogar den Unterschied von Krieg und Frieden zu
beseitigen.
({5})
Frau Künast hat auch darauf hingewiesen. Das ist ungeheuerlich. Auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern
widerspricht eindeutig unserer Verfassung. Die Radikalität, mit der Sie die Grenzen von Krieg und Frieden jetzt
verwischen wollen, nur um die Bundeswehr in unseren
Städten und Gemeinden immer dann einsetzen zu können, wenn es Ihnen gefällt, ist abenteuerlich.
Dazu passt auch der dritte Angriff auf unsere Verfassung, nämlich die Anpassung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, wie Sie es nennen. Das bedeutet nichts
anderes, als die Bundeswehr am Parlament vorbei
schneller und vor allen Dingen ungestörter einsetzen zu
können. Das ist skandalös und eine Beschneidung des
Parlamentsrechts, welche wir insbesondere am heutigen
Tage überhaupt nicht akzeptieren können.
({6})
Ich komme zum Schluss. Es bleibt dabei: Eine Umwertung der Außenpolitik machen wir nicht mit. Die
Trennung von Außen- und Verteidigungspolitik muss erhalten bleiben. Bei diesen das Grundgesetz betreffenden
Fragen darf es kein Wackeln geben. Ich rate Ihnen: Begraben Sie Ihre Pläne, bevor Ihre Pläne Sie selbst begraben!
({7})
Nun hat der Kollege Eckart von Klaeden für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Zunächst darf ich der FDP-Fraktion ganz herzlich
zu ihrem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht gratulieren. Ich bitte um Verständnis, dass ich mich jetzt im
Weiteren den beiden mir gegenübersitzenden Fraktionen
zuwenden werde.
({0})
Die einen sind unsere Koalitionspartner im Bund, die anderen sind unsere neuen Koalitionspartner in Hamburg.
Deswegen können wir die Dinge ja ganz freundschaftlich besprechen.
({1})
Fühlen Sie sich bitte auch nicht angefasst, wenn ich Sie
an Ihre gemeinsame Vergangenheit in der Bundesregierung erinnere.
({2})
Jedes Mal, wenn wir nach den rechtlichen und institutionellen Konsequenzen Ihres damals sehr richtigen Regierungshandelns fragen, reagieren Sie pikiert. Sie haben
den Kosovo-Krieg - mit unserer Unterstützung - ohne
ein Mandat des Sicherheitsrates geführt,
({3})
und Sie haben die OEF ohne ein Mandat des Sicherheitsrates geführt. Wir setzen die Afghanistan-Operation auf
einer sicheren völkerrechtlichen Grundlage und auch unser Mandat im Kosovo fort.
({4})
Durch Ihre eigenen parteipolitischen Ausführungen stellen Sie die völkerrechtliche Grundlage Ihres damaligen
Regierungshandelns jetzt aber infrage. Das ist nicht sonderlich überzeugend.
({5})
Kommen wir zur Onlinedurchsuchung. Sie haben die
Onlinedurchsuchung aufgrund einer ministeriellen Anordnung durchgeführt. Als wir um eine rechtliche
Grundlage gebeten haben, hat es zunächst einer ganzen
Reihe interkoalitionärer Auseinandersetzungen bedurft,
bis man Sie davon überzeugen konnte, dass das, was Sie
in Ihrer Regierungszeit gemeinsam mit den Grünen umgesetzt haben, besser eine rechtliche Grundlage erhalten
sollte.
({6})
Es entspricht der verfassungsrechtlichen Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland, dass das Regierungshandeln auf der Grundlage der Verfassung und der vom Parlament zu verabschiedenden Gesetze beruht.
({7})
Wir wollen in der Tat institutionelle und rechtliche
Konsequenzen aus dem ziehen, was Sie richtig gemacht
haben, und Antworten auf die neuen Bedrohungen finden. Dabei spielen der erweiterte Sicherheitsbegriff
- also die Einbeziehung der Umwelt-, Entwicklungsund Justizpolitik -, aber auch das Ineinandergreifen von
äußerer und innerer Sicherheit eine wichtige Rolle. Denn
angesichts der Anschläge vom 11. September ist klar,
dass eine neue große Bedrohung heute nicht mehr von
Staaten, sondern von nichtstaatlichen Akteuren bzw.
transnationalen Terrorgruppen ausgeht.
Was wir zum Beispiel beim Einsatz der Bundeswehr
im Inneren fordern, entspricht dem, was die Bundeswehr
seit Jahrzehnten - auch zu Zeiten des Kalten Krieges geübt hat, nämlich die Abwehr von biologischen, chemischen oder atomaren Angriffen. Neu ist aber, dass wir
die Bundeswehr nicht nur auf staatliche Angriffe - diese
halten wir heute für unwahrscheinlich -, sondern auch
auf Angriffe von Terrorgruppen mit solchen Waffen vorbereiten wollen. Sie wollen auch die Angriffe von Terrorgruppen allein unter den Katastrophenbegriff des
Grundgesetzes subsumieren. Dabei biegen Sie das
Grundgesetz so lange, bis es bricht.
Bei der AWACS-Entscheidung war es genauso. Wir
haben uns für eine Anpassung der Parlamentsbeteiligung
ausgesprochen, damit die Rechte des Parlaments gewahrt bleiben können, aber gleichzeitig den Anforderungen einer zunehmenden Integration der Bundeswehr in
unsere Bündnisse in der EU und NATO bis hin zu einer
europäischen Armee Rechnung getragen wird. Sie aber
haben damals die Entscheidung getroffen, auf eine Parlamentsbeteiligung ganz zu verzichten.
Wenn das eine Ausnahme statt wie bei den von mir
angeführten Beispielen ein Muster wäre, dann würde ich
darüber hinweggehen. Aber ich finde, Sie sollten sich
mit etwas weniger Selbstgerechtigkeit auf die Debatte
über die institutionellen und rechtlichen Konsequenzen
Ihres eigenen damaligen Regierungshandelns einlassen.
({8})
In diesem Zusammenhang schlagen wir zum Beispiel
die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates vor.
Wir ziehen diese Bezeichnung dem Begriff Bundessicherheitsrat vor, weil es nicht nur ein Exportkontrollgremium, sondern ein politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum sein soll, in das auch
die Bundesländer einbezogen werden sollen.
Sie halten es für verfassungswidrig, dass in einem solchen Gremium Entscheidungen getroffen werden. In der
Bundesrepublik Deutschland hat es aber schon früher
eine ähnliche Praxis gegeben, nämlich als in den 70erJahren unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Helmuth
Schmidt der Bundessicherheitsrat de facto zu einem Nationalen Sicherheitsrat umgewandelt wurde, in dem
ebenfalls analysiert, koordiniert und entschieden worden
ist, zum Beispiel, als es bei der Schleyer-Entführung und
dem RAF-Terrorismus im Inland und der Entführung der
„Landshut“ im Ausland unter Kooperation arabischer
Terroristen - und zwar, wie wir heute wissen, mit der
Unterstützung der DDR - um das Ineinandergreifen innerer und äußerer Sicherheit gegangen ist.
Dieses Beispiel zeigt, dass es die Verknüpfung innerer
und äußerer Sicherheit, auf die wir uns nicht erst im
Ernstfall einstellen wollen, schon damals gegeben hat.
Sie haben völlig Recht, Frau Künast: Wir wollen vorsorgende Sicherheitspolitik. Das heißt, wir wollen das, was
wir schon erfahren haben und was zu antizipieren ist,
heute diskutieren, um in Ruhe die entsprechenden Konsequenzen daraus zu ziehen, statt erst dann zum Handeln
gezwungen zu werden, wenn es zu solchen Vorfällen gekommen ist.
Deswegen bitte ich um eine etwas seriösere Debatte.
Mit derselben Selbstgewissheit, die aus Ihren Beiträgen
spricht, dass nichts zu machen ist, ist unserer Fraktion
begegnet worden, als wir auf die Koordinations- und
Analysemängel beim NPD-Verbotsverfahren hingewiesen haben.
({9})
Sehen Sie sich Ihre eigenen Beiträge an! Damals ist es
- das sage ich ausdrücklich in Anführungsstrichen - bei
diesen Koordinations- und Analysemängeln „nur“ um
das Verbot der NPD gegangen. Ich möchte nicht erleben,
dass es auch dann wieder zu solchen Koordinations- und
Analysemängeln kommt, wenn es um Menschenleben
geht.
({10})
Für die FDP-Fraktion hat nun das Wort der Kollege
Dr. Max Stadler.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr von Klaeden, trotz Ihres Bemühens um eine
wirklich intelligente Herleitung dessen, was die Union in
ihrem Papier fordert, bleibe ich dabei: Ein Nationaler
Sicherheitsrat ist überflüssig, verfassungspolitisch verfehlt und verfassungsrechtlich mehr als bedenklich.
({0})
Sie haben allerlei Ausnahmesituationen angeführt - von
der Schleyer-Entführung bis zum NPD-Verbotsverfahren -,
die miteinander nichts zu tun haben und über die
schlichte Tatsache hinwegtäuschen könnten, dass die
Koordinierung ohnehin selbstverständliche Aufgabe einer Bundesregierung ist. Es bedarf also nicht eines
neuen Gremiums, das die politischen Achsen nur verschieben würde.
({1})
Ich stelle mir daher die Frage, wie die Union dazu
kommt, ein solches Papier jetzt in die Debatte einzubringen. Kollege Kolbow hat von parteipolitischer Profilierung gesprochen. Die Älteren unter uns - leider gehöre
auch ich dazu - werden sich noch an die Große Koalition
von 1966 erinnern. Diese war im dritten Jahr ihres
Bestehens ebenfalls tief zerstritten. Herr Strauß und Herr
Schiller inszenierten damals einen Streit über die D-MarkAufwertung. Dies wurde dann zu einem Wahlkampfthema. Wir haben die Sorge, dass die Debatte, die Sie
von der CDU/CSU nun begonnen haben, mehr ist als ein
vorgezogener Wahlkampf. Wir haben die Sorge, dass es
Ihnen um eine entscheidende innenpolitische Weichenstellung geht.
({2})
Denn Ihre Vorschläge stellen den wiederholten Versuch
dar, unsere bewährte Sicherheitsarchitektur auf den Kopf
zu stellen und bei der Abwehr terroristischer Gefahren
dem amerikanischen Vorbild zu folgen. Aber gerade bei
diesem Thema ist das der falsche Weg.
({3})
Wir von der FDP setzen dem unsere Verfassungstradition entgegen, von der Sie sich gerade verabschieden
wollen. Die FDP ist der Überzeugung: Der Rechtsstaat
ist wehrhaft, und es gibt keinen Anlass, rechtsstaatliche
Grundsätze aufzugeben.
({4})
Deswegen haben wir mit Sorge in Ihrem Entwurf nicht
nur Ihr ewiges Mantra gelesen, dass die Trennung von
äußerer und innerer Sicherheit überholt sei. Sie haben
vielmehr geschrieben, die Trennung von Kriegszustand
und Friedenszeit sei nicht länger aufrechtzuerhalten.
({5})
Das ist in Ihrem letzten Beschluss nicht mehr enthalten.
Die Formulierung fehlt in dem Papier. Aber der Duktus
des Papiers beruht genau auf dieser fehlerhaften Annahme.
({6})
Von dem Denkansatz, wir befänden uns in einem ständigen Kriegszustand, kommen Sie zu falschen Schlüssen.
Wir halten dagegen Folgendes fest: Erstens. Es bleibt
bei der Trennung der Aufgaben von Bundeswehr und
Polizei.
({7})
Die Bundeswehr ist keine Hilfspolizei im Inland.
({8})
Der bekannte Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio
hat im November in der Welt geschrieben, die Trennung
der Aufgaben von Polizei und Militär sei eine zivilisatorische Errungenschaft. An dieser Errungenschaft wollen
wir festhalten.
({9})
Zweitens. Wir halten an der strikten Trennung der
Aufgaben von Polizei und Nachrichtendiensten fest.
Drittens. Wir halten daran fest, dass es Eingriffe in die
Bürgerrechte nur bei konkreten Gefahrenlagen geben
darf.
({10})
Sie von der CDU/CSU sprechen dagegen in Ihrem
Papier davon, man müsse die Abwehrrechte gegen den
Staat, also die Grundrechte, anpassen. Nein, die Grundrechte sind nicht anzupassen, sondern zu bewahren. Das
ist unsere Aufgabe als Parlament.
({11})
- Es sind Ihre Formulierungen. Es tut mir leid, Herr
Schockenhoff, aber Sie haben von uns verlangt, Ihr Papier gründlich zu lesen. Das haben wir gemacht.
({12})
Das wendet sich nun gegen Sie.
Ich komme daher zu dem Ergebnis: Der Beschluss der
CDU/CSU-Fraktion enthält sowohl außenpolitisch als
auch insbesondere innenpolitisch eine falsche, ja eine
gefährliche Tendenz. Wir als FDP bleiben bei den bewährten Strukturen des Grundgesetzes.
({13})
Deshalb haben Ihre Vorschläge keine Chance auf Realisierung. Ich möchte Ihnen mit Udo Di Fabio sagen, der
es in der Welt auf den Punkt gebracht hat, als er formulierte:
Westen muss Westen bleiben. … Gerade deswegen
gilt: Sicherheit, aber in Freiheit.
({14})
Für die Bundesregierung hat nun Herr Staatsminister
Gernot Erler das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gehört zu den bewahrenswerten Teilen der politischen
Kultur in Deutschland, sich in Fragen der Außen- und
Sicherheitspolitik um Einigkeit zu bemühen, zumindest
um einen Grundkonsens über die Parteigrenzen hinweg.
Leider muss ich gleich zu Beginn feststellen: Das von
der CDU/CSU vorgelegte Papier zu einer Sicherheitsstrategie für Deutschland schert aus dieser guten Tradition aus. Ein Bemühen, einen solchen Grundkonsens zu
wahren, ist nicht zu erkennen. Vielmehr ist dies ein Text,
der eine Reihe von längst bekannten parteipolitischen
Vorstößen der CDU/CSU, die auch früher schon auf Ablehnung gestoßen sind, bündelt und neu verpackt auf den
Markt wirft. Die Verpackung verfehlt aber ihren Zweck.
Sie vermag nicht zu verbergen, dass die Kernforderungen der christdemokratischen Sicherheitsstrategie mit allen relevanten Referenztexten kollidieren, nämlich mit
dem Grundgesetz, also der deutschen Verfassung, mit
der verbindlichen europäischen Sicherheitsstrategie vom
Dezember 2003, mit dem Koalitionsvertrag vom November 2005 und mit dem im Oktober 2006 von dieser
Bundesregierung nach langer, ressortübergreifender Zusammenarbeit vorgelegten Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr.
Das zweite Kapitel der Sicherheitsstrategie beschreibt
fünf Herausforderungen und formuliert Ziele, denen
man, was die Überschriften angeht, nicht widersprechen
kann, nämlich Terrorismus bekämpfen, Proliferation
verhindern und Abrüstung voranbringen, Energie- und
Rohstoffversorgung sichern, die Folgen des Klimawandels bewältigen, Konflikte verhindern, eindämmen und
beilegen. Das Auffällige ist nur: Im dritten Kapitel zu
Konsequenzen für die deutsche Sicherheitspolitik finden
wir keinen einzigen konkreten Vorschlag, etwa im Bereich der Nonproliferation und Abrüstung - im Gegenteil: Es gibt eine voreilige Zustimmung zur Raketenabwehr -, keine einzige Idee zu einer verbesserten
Energiesicherheit unseres Landes,
({0})
nichts über Gefahrenabwehr beim Klimawandel und
schon gar nichts, was an die bisherige Politik der Bundesregierung im Bereich der Krisenprävention und der
vorausschauenden Friedenspolitik anknüpfen würde.
({1})
Das heißt aber nicht, dass es in diesem Abschnitt nicht
konkret würde. In Konsequenz der von Ihnen immer
wiederholten Behauptung, die bisherige Trennung von
innerer und äußerer Sicherheit lasse sich nicht länger
aufrechterhalten, wird eine Ausdehnung des Einsatzes
der Bundeswehr im Innern gefordert, ohne auch nur ein
Wort zu den Vorschriften des Grundgesetzes und zu den
einschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes
zu verlieren. Die herausgehobenen Passagen beim Stichwort „zivil-militärisches Instrumentarium zur Krisenbewältigung“ gelten der Fähigkeit, gewaltsame Konflikte
an ihrem Entstehungsort zu bewältigen, wobei man das
Land auf weitere, länger andauernde Einsätze der Bundeswehr vorbereiten müsse. Es gleitet schon ins Provokatorische ab, wenn es um die künftige Legitimation von
Auslandseinsätzen der Bundeswehr geht, die nicht mehr
ausdrücklich an ein Mandat der Vereinten Nationen gebunden sein sollen, sondern bereits bei Verfolgung der
Ziele der Charta der Vereinten Nationen als legitimiert
angesehen werden.
Dasselbe gilt für die angedachte Abschwächung des
Parlamentsvorbehalts für bewaffnete Auslandseinsätze,
wenn eine Entscheidung des Deutschen Bundestages
nicht rechtzeitig herbeigeführt werden könne. Als wisse
man nicht ganz genau, wie rasch solche Entscheidungen
nach all unserer Erfahrung hier im Deutschen Bundestag
herbeigeführt werden können, und als wisse man nicht,
dass das erst in der letzten Legislaturperiode überarbeitete Parlamentsbeteiligungsgesetz bei Gefahr im Verzug
sogar eine nachträgliche Parlamentsentscheidung möglich macht.
Was ist das eigentlich für eine Fantasie, die in Szenarien denkt, bei denen deutsche Soldaten innerhalb von
wenigen Stunden in lebensgefährliche Auslandseinsätze
geschickt werden können, obwohl doch bisher Konsens
darüber bestand, dass eine solche Entscheidung immer
nur eine allerletzte nach Austestung aller anderen Möglichkeiten zur Konfliktbewältigung sein darf?
({2})
Und das alles gipfelt dann in dem nun wirklich nicht
neuen Vorschlag eines Nationalen Sicherheitsrats als ein
beim Kanzleramt angesiedeltes politisches Analyse-,
Koordinierungs- und Entscheidungszentrum. Das ist
eine klare Entlehnung aus Präsidialsystemen, wie wir sie
in den Vereinigten Staaten und übrigens auch in der Russischen Föderation vorfinden, mit dem vollen Risiko der
Kollision mit dem im Grundgesetz verankerten Ressortprinzip und mit einer bewussten Abkehr von dem gerade
bei komplexen Sicherheitsfragen bewährten Prinzip der
horizontalen Ressortabstimmung zugunsten eines vertikalen, formalisierten, komplexen und absehbar schwerfälligeren Abstimmungsverfahrens, ohne dass Sie den
Mehrwert einer solchen Neuerung hier darzustellen versuchen.
Was haben wir also jenseits der Verpackung an Konkretem? Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen innerer und äußerer Sicherheit. Es führt zu Mehreinsatz der
Bundeswehr im Inland und weiteren und längeren Einsätzen der Bundeswehr im Ausland unter Abschwächung des Parlamentsvorbehalts und notfalls ohne direkte UN-Legitimation. Und all dies wird von einem
Dr. h. c. Staatsminister Gernot Erler
neuen Apparat namens Nationaler Sicherheitsrat straff
geführt. Wer das einordnen will, muss sich besinnen und
sich klarmachen, was alles nicht in diesem CDU/CSUSicherheitskonzept vorkommt.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die verbindliche EU-Sicherheitsstrategie von
Dezember 2003 formuliert folgende Grundsätze: Konfliktlösung durch Verhandlungen und durch vorausschauende Friedenspolitik, Prävention statt Intervention
und nur als letzte Möglichkeit den militärischen Einsatz,
Stärkung des Völkerrechts und der Vereinten Nationen,
Fortsetzung der vertragsgestützten Abrüstungspolitik
und entsprechend dem programmatischen Titel dieser
Strategie, „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“,
einen großen Schwerpunkt auf eine bessere Weltordnung
und auf mehr Entwicklungszusammenarbeit, praktisch
als Gefahrenabwehr im globalen Zusammenhang. Das
ist ein gutes Konzept, und das ist ein Konzept, an dem
wir festhalten sollten.
({3})
Die rot-grüne Bundesregierung hat das nicht nur getan, sondern sie hat es auch ergänzt, zum Beispiel mit
der erstmaligen Schaffung eines zivilen Friedensdienstes, mit dem Aufbau des Zentrums für Internationale
Friedenseinsätze, dem ZIF, das heute weltweit anerkannt
wird, und mit dem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ als
einen Versuch, die verschiedenen Kräfte der verschiedenen Ressorts eben für die Konfliktprävention zu mobilisieren.
Dieses Programm steht ausdrücklich im Koalitionsvertrag, der auch mehrfach auf die verbindliche europäische Sicherheitsstrategie Bezug nimmt. Nicht ein
einziges Wort aus diesem friedenspolitischen Gesamtprogramm einschließlich des darauf aufbauenden Weißbuches, das wir gemeinsam geschrieben haben, kommt
in der christdemokratischen Sicherheitsstrategie vor.
Übrigens, selbst im Analyseteil finden wir nicht einen
einzigen Hinweis auf die Rolle der Friedensforschung
und der Deutschen Stiftung Friedensforschung.
({4})
Dann zeigen Sie mir die Stelle.
Auf dieser Basis lässt sich der erwünschte Grundkonsens in der für unser Land so wichtigen Frage der internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik nicht bewahren und nicht fortentwikkeln. Sie scheren aus der in
Europa angelegten Spur aus. Sie haben eine Sicherheitsstrategie vorgelegt - eine sehr stark parteipolitisch orientierte. Es ist zwar eine, aber in dieser Form keine konsensfähige.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Trittin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
schon ein bezeichnender Vorgang, dass ein Vertreter der
Bundesregierung ein Papier einer diese Bundesregierung
tragenden Koalitionsfraktion hier in einer derart deutlichen Art und Weise abqualifiziert und diesem Papier das
bescheinigt, was es in der Tat darstellt, nämlich eine Abkehr von den Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung und vom gemeinsamen Verständnis von Sicherheitspolitik in diesem Hause.
({0})
Lieber Herr Schockenhoff, Sie kommen nicht mit
schlankem Leugnen dessen, was Sie selber aufgeschrieben haben, weg. Ich weiß, dass das in Ihren eigenen Reihen nicht nur Freunde gefunden hat. Sie haben hier gesagt: Wir machen eigentlich nur einen Vorschlag zu einer
besseren Koordinierung.
({1})
Ihr Kollege von Klaeden hat es korrekt zitiert: Sie wollen einen Nationalen Sicherheitsrat als politisches Analyse-, Koordinierungs- und Entscheidungszentrum. Deswegen ist der Vorwurf, Sie wollten das im Grundgesetz
verankerte Ressortprinzip aushebeln, völlig zutreffend.
Sie wollen, dass die Außenpolitik künftig vom Nationalen Sicherheitsrat gemacht wird, und Sie wollen, dass
das Außenministerium zum Grüßaugust bei den Vereinten Nationen degradiert wird. Das ist es, was in diesem
Papier steht.
({2})
Noch peinlicher ist - aber vielleicht hätten Herr von
Klaeden und Herr Polenz heute hier sonst gar nicht gesprochen -, dass Sie zwischen der vorletzten Fassung
und der letzten Fassung noch einmal schnell redigiert haben.
({3})
- „Und dann auch noch die falsche Fassung durchstechen!“, wie Herr Hoyer zu Recht sagt.
In der Tat haben Sie an dieser Stelle deutlich gemacht,
worum es bei diesem Papier geht: Es geht nicht um eine
neue Koordination einer Sicherheitspolitik; es geht auch
nicht um die Belebung einer Debattenkultur. Die Behauptung, dass sich die Trennung von innerer und äußerer Sicherheit oder von Kriegszustand und Friedenszeit
nicht länger aufrechterhalten lässt, verrät den wahren
Ungeist, der hinter diesem Papier steht.
({4})
Wissen Sie, woran ich mich sofort erinnert gefühlt
habe? An den ersten Satz der Politischen Theologie von
Carl Schmitt. Dort heißt es:
Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
Genau darum geht es Ihnen. Dadurch, dass Sie den
Kriegszustand als Normalzustand definieren, wollen Sie
den Ausnahmezustand in der Sicherheitspolitik zum Regelfall machen. Das ist in meinen Augen in der Tat etwas, was wir aufgrund der inneren Motive, die unserer
Verfassungsordnung zugrunde liegen, nicht akzeptieren
können: Es löst die Bindung staatlicher Gewalt an innerstaatliches Recht. Das ist völlig inakzeptabel.
({5})
Sie haben neben Carl Schmitt einen weiteren Ghostwriter - er sitzt jenseits des Atlantiks -, der die Vorstellung eines „war on terror“ verfolgt. Auch in diesem Fall
muss man das entsprechende Papier ganz ruhig lesen:
„… in Verfolgung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen …“. Das soll Grundlage für in diesem Gremium
entschiedene Einsätze sein.
({6})
Worauf hat sich der britische Premierminister berufen, als er in den Krieg gegen den Irak gezogen ist? Auf
genau dieses!
({7})
Das heißt, das, was Sie hier versuchen, ist in der Tat, bezogen auf Auslandseinsätze, nicht nur die Loslösung aus
dem System der Vereinten Nationen, sondern auch - und
zwar dadurch, dass Sie lediglich auf allgemeine Prinzipien abheben - die Loslösung von der völkerrechtlichen
Legitimierung von Auslandseinsätzen.
Schließlich und endlich zum Schluss: Wie vereinbaren Sie in diesem Zusammenhang Ihre Auffassung, dass
es richtig ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland an
der nuklearen Teilhabe festhält, mit Ihren Überlegungen
und Ihrem Anspruch, sich weiterhin gegen Proliferation
und die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einsetzen zu wollen?
({8})
Mit dieser Argumentation liefern Sie den
Ahmadinedschads auf dieser Welt sowie Politikern in
Brasilien und in Südafrika die Begründung für ihr Verhalten. Die fragen sich ja: Warum sollen wir anders behandelt werden als jene, die über die Technologie der
Wiederaufarbeitung und der Anreicherung verfügen und
für sich selber das Recht auf eine nukleare Endverteidigung im Rahmen der nuklearen Teilhabe in Anspruch
nehmen? Wenn Sie das ernst meinen, was Sie in diesem
Papier über Nichtverbreitung geschrieben haben, dann
müssen Sie auch Folgendes zur Kenntnis nehmen: Der
Kampf gegen Massenvernichtungswaffen und ihre Verbreitung gelingt nur, wenn die atomwaffenbesitzenden
Länder endlich abrüsten und Länder wie Deutschland
endlich von der nuklearen Teilhabe Abstand nehmen.
Alles andere hat mit Nichtverbreitungspolitik nichts zu
tun, sondern stellt vielmehr die Legitimation für Aufrüstung anderswo dar.
({9})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Rainer
Arnold.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eines muss man dem CDU/CSU-Papier schon zubilligen: Es hat einen roten Faden. Den roten Faden bildet
der Fehler, der sich über alle 13 Seiten zieht und der
darin liegt, dass Sie nicht reflektieren, ob die auf jeder
Sicherheitskonferenz zigmal formulierte These, Äußeres
und Inneres seien völlig vermischt, überhaupt stimmt.
Natürlich waren die Anschläge in New York mehr als
eine kriminelle Aktion. Natürlich ist in der globalen
Welt alles mit allem verbunden und vernetzt. Aber daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, mit den Gefahren
gehen wir besser um, wenn wir die Bereiche vermischen,
ist schlichtweg falsch. Wir müssen vielmehr genauer fragen: „Wer ist für was zuständig?“, weil Zuständigkeit
auch etwas mit Verantwortlichkeit zu tun hat. Wir müssen fragen: Wo müssen wir besser werden? Wenn wir
dann feststellen, dass wir mehr Polizei brauchen, darf die
Antwort nicht lauten, dass auch die Truppe für polizeiliche Aufgaben eingesetzt werden darf, sondern dann
müssen wir eben für mehr Polizei sorgen.
({0})
Wenn man die in Ihren Reden der letzten Jahre erhobenen Forderungen, Herr Schockenhoff, die Forderungen von Vertretern der CSU nach einer Heimatschutztruppe und die Forderung von Herrn Schäuble, im Falle
der Entführung eines Flugzeugs quasi das Kriegsrecht
anzuwenden, zusammennimmt, dann müssen Sie sich in
der Tat den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie ein wenig
zu stark auf Amerika schauen.
Es wäre schon gut, wenn Sie sich einmal die Frage
stellen, ob die amerikanische Sicherheitsstrategie die
Welt sicherer gemacht hat. Weiterhin sollten Sie sich die
Frage stellen, welchen Menschen mehr geholfen wurde:
den Menschen bei den Überflutungen im MississippiDelta von der amerikanischen Homeland Security oder
den Menschen in Deutschland an der Oder von unseren
hervorragenden Katastrophenschützern, hauptamtlichen
und ehrenamtlichen, und der Bundeswehr, die dabei gute
Amtshilfe - genau das ist es ja, was wir wollen - leistete.
({1})
Ganz schlimm finde ich allerdings den Punkt, dass ein
Parlamentarier in einer Frage, bei der es um Leben oder
Tod geht, auf die Idee kommt, seine Rechte freiwillig zu
beschneiden. Kein einziges Mitglied der Bundesregierung sagt, schnellere Entscheidungswege seien nötig,
sondern Parlamentarier wollen ihren Verfassungsauftrag
freiwillig ein Stück weit beschneiden!
({2})
Ich frage mich schon, was dahintersteckt. Sie sagen, Sie
hätten zwei Gründe.
Den ersten haben Sie schriftlich festgehalten, indem
Sie sagen, es gehe nicht schnell genug. Herr Schockenhoff,
diese Aussage ist falsch. Lesen Sie das Parlamentsbeteiligungsgesetz! Dann werden Sie feststellen, dass wir darin selbstverständlich implementiert haben, dass dann,
wenn Gefahr im Verzuge ist, die Regierung handeln darf
und das Parlament zunächst einmal nur zu informieren
ist,
({3})
es dann nachgelagert eine Entscheidung zu treffen hat
und selbstverständlich auch ein Rückholrecht hat. Das
alles wurde damals sehr intensiv diskutiert und präzise
geregelt.
Jetzt haben Sie ein zweites Argument - Europäisierung der Streitkräfte - nachgeschoben, vielleicht, weil
Sie ein wenig neidisch auf unsere Konferenz am Montag
geschaut haben.
({4})
Es ist ebenso falsch. Bei einer Europäisierung und vertieften Integration der Streitkräfte brauchen wir nicht
weniger parlamentarische Kontrolle, sondern mehr, weil
Integration weniger Transparenz bedeutet.
({5})
Deshalb ist dieses Argument ebenso falsch und die
Frage berechtigt: Was wollen Sie? Ich kann mir das nur
so erklären, dass Sie etwas anderes wollen: Sie wollen
aus dieser Parlamentsarmee, die das Verfassungsgericht
- ich sage: zu Recht - heute nochmals deutlich gestärkt
hat, eine Verfügungsmasse der Regierung machen. Das
ist Ihr Ansinnen; eine andere Erklärung gibt es nicht.
Dies wird mit den Sozialdemokraten und anderen in diesem Haus nicht gelingen.
Abschließend frage ich mich: Was wollen Sie eigentlich mit dem Papier insgesamt erreichen? Sie wissen,
dass Sie ein Papier vorlegen, das null Chance auf Realisierung hat, in keiner denkbaren Koalition in diesem
Haus.
({6})
Sie zerstören mit diesem Papier, wie vom Kollegen Erler
zu Recht angesprochen, den Grundkonsens in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das sage ich als Verteidigungspolitiker mit Blick auf die Soldaten. Für sie ist es
ganz besonders wichtig, dass sie spüren und sehen, dass
der Deutsche Bundestag hinter ihren schwierigen Einsätzen steht. Da frage ich mich: Was bezwecken Sie? Als
ich bei Herrn von Klaeden sehr genau zugehört habe, ist
mir ganz klar geworden, was Sie bezwecken. Herr von
Klaeden hat etwas sehr Unredliches gemacht: Er hat zunächst - auch wenn ich nicht weiß, was das mit innerer
oder äußerer Sicherheit und unserer aktuellen Debatte zu
tun hat - die mangelnde Koordination in der Frage des
Vorgehens gegen die NPD beschrieben. Ich akzeptiere,
dass man immer wieder darauf schauen muss, dass die
Ressorts gut koordiniert werden, wobei man auch sehen
muss, dass das Einbringen von unterschiedlichen Sichtweisen in der deutschen Politik eine Chance ist, Fehler
zu vermeiden. Aber die Koordination zu verbessern, ist
gut; soweit unterschreiben wir das. Wir sagen nicht, dass
man nichts ändern dürfe; wir müssen genau schauen, wo
man etwas ändern muss. Aber Herr von Klaeden hat
dann hinzugefügt: Wer jetzt diese Koordination - sprich:
dieses Papier; das meinte er damit - nicht umsetzt, der
trägt die Verantwortung, wenn in Zukunft in Deutschland etwas Schlimmes passiert. Das ist ein schlimmer
und inakzeptabler Vorwurf.
({7})
Das bedeutet, die Verantwortung für mögliche kritische
Situationen vorsorglich an andere zu delegieren. Wer so
mit den Sicherheitsrisiken in unserer Gesellschaft und in
unserem Land umgeht, der wird der gemeinsamen Verantwortung - so verstehe ich jede Koalition in einer
Demokratie - am Ende nicht gerecht.
Herzlichen Dank.
({8})
Für die Bundesregierung hat nun Herr Parlamentarischer Staatssekretär Christian Schmidt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin gleichermaßen erfreut und erstaunt darüber, wie
ein Papier der CDU/CSU-Fraktion zu einer Sicherheitsstrategie für Deutschland die Gemüter bewegt. Viele haben allerdings sicherlich gehofft - hier sitzen ja in allen
Fraktionen einige, die nicht ganz unerfahren in solchen
Diskussionen sind -, dass die Diskussion über dieses Papier nicht in die Breite, sondern in die Tiefe gehen
würde, dass man nicht so viele Stereotypen hören würde.
Auch ich habe das gehofft. Zumindest scheint es so, dass
ein aktuelles Thema zum richtigen Zeitpunkt aufgegriffen worden ist.
Ich bin erfreut, weil diese Bundesregierung schon immer die Auffassung vertreten hat, dass wir in Deutschland eine grundlegende sicherheitspolitische Debatte benötigen und offen darüber diskutieren müssen, ob wir
angesichts der Herausforderungen und auch Bedrohungen für die Sicherheit unseres Landes richtig aufgestellt
sind. Es ist schon angeklungen, dass der Eindruck
erweckt wird, als ob man sich hier zu einer Diskussion
treffen würde, aber keine Erfahrungen mit kritischen
Entscheidungen hätte. Dem ist nicht so. Die Kollegin
Künast hat ja einer Bundesregierung angehört, in der es
nach meiner Kenntnis keine Gegenstimmen gegen eine
Intervention im Kosovo gab. Übrigens, Kollege Erler,
war das eine humanitäre Intervention, die auf der Verfolgung der Ziele der Charta der Vereinten Nationen beruhte. Der damalige Verteidigungsminister Scharping
hat das hier dargestellt. Viele können sich an diese
Debatte noch erinnern; es wurden sogar Bilder gezeigt.
Damals gab es keinen Sicherheitsratsbeschluss.
Ich mache der früheren Bundesregierung und dem
Kollegen Erler - wir kennen uns schon aus der Zeit, als
wir noch nicht in der Bundesregierung waren, vom guten, kreativen Miteinander, bei dem wir eine gute Streitkultur hatten - nicht den Vorwurf, sie hätten versucht,
die Koordinaten des Völkerrechts zu verschieben. Ich
nehme ihr nämlich ab, dass sie damals ehrlich bemüht
waren, die Frage zu klären, wie eine Gefahr im Kosovo
verhindert werden kann. Es wundert mich aber schon,
wenn die Diskussion in dieser Form wiederkehrt.
Wir sollten darüber reden, dass wir Gott sei Dank
- leider erst sehr spät, nämlich in diesem Jahr - in völkerrechtlicher Hinsicht eine Entwicklung im Kosovo
eingeleitet haben, die uns hoffentlich in einiger Zeit die
Möglichkeit gibt, unsere militärische Präsenz zu reduzieren. Wir hoffen, dass die dort praktizierten Maßnahmen, die dem Gedanken einer vernetzten Sicherheitspolitik folgen - EULEX, also die europäische Mission
im zivilen, polizeilichen sowie Verwaltungsbereich -, erfolgreich sind und zeigen - das ist von vielen Rednern
betont worden; ich versuche, das Gemeinsame herauszuarbeiten; auch Kollege Kolbow hat das unterstrichen -,
dass es bei der Frage der Sicherheit nicht mehr um Soldaten auf der einen Seite und Verwaltung auf der anderen Seite geht, sondern darum, ein Konstrukt zu schaffen, bei dem die Elemente ineinandergreifen und das so
für Stabilität sorgt. Dies ist Teil der Politik der Bundesregierung.
({0})
Ich finde es erstaunlich, dass hier nur ein einziger
Vorschlag aus dem vorliegenden Papier aufgegriffen
worden ist. Ich habe fast den Eindruck, dass nicht jeder,
der hier geredet hat, das ganze Papier gelesen hat.
({1})
Kollege Arnold, die mir vorliegende Version des Papiers
hat übrigens 19 Seiten;
({2})
Sie haben von 13 Seiten gesprochen. Ich habe das ganze
Papier gelesen. So viel Zeit muss sein: Zeit zum Lesen
und Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Es ist allerdings erstaunlich, dass nur ein einziger Vorschlag aus
diesem Papier zum Gegenstand des Debatteninteresses
gemacht wird, nämlich - ich zitiere wörtlich aus der mir
vorliegenden Fassung Hierzu ist der Bundessicherheitsrat … aufzuwerten
und unter Nutzung bestehender Ressourcen mit einem handlungsfähigen Stab auszustatten …
Ich hätte mir schon gewünscht, dass die Gelegenheit
zu einer grundsätzlichen Erörterung der deutschen und
europäischen Sicherheitsinteressen genutzt worden
wäre. Die Bundesregierung bedauert, dass diese Gelegenheit schon vor eineinhalb Jahren bei der Veröffentlichung des Weißbuchs zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr von der Opposition nur sehr
zaghaft wahrgenommen wurde. Es handelt sich bei dem
Weißbuch um ein gutes Dokument, das jedem zur Lektüre empfohlen ist; es ist international durchaus gut aufgenommen worden.
In diesem Weißbuch stellen wir bereits im Kern
unsere nationale Sicherheitsstrategie dar. Der dort beschriebene Grundansatz, das Konzept der vernetzten
Sicherheit, ist richtig. Nur gemeinsam, in ressortübergreifenden Strukturen, auf internationaler Ebene und
durch engen Zusammenschluss in internationalen Organisationen sind wir den sicherheitspolitischen Herausforderungen gewachsen.
Entscheidungsprozesse setzen künftig eine noch engere
Integration politischer, militärischer, wirtschaftlicher,
humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher
Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraus. Dies gilt sowohl für die nationale als auch
für die internationale Ebene. Ich bedanke mich bei den
Autoren des Papiers dafür, dass sie den Zusammenhang
zwischen Stabilisierung durch Mittel der Entwicklungspolitik und Sicherheit sehr gut herausgearbeitet haben.
Ich denke, dass wir hierbei in vieler Hinsicht Fortschritte
auf nationaler und auf internationaler Ebene - insbesondere zuletzt auf der NATO-Konferenz in Bukarest - gemacht haben.
Die Bundesregierung ist der Meinung, dass im Hinblick auf asymmetrische Formen der Bedrohung, insbesondere auf terroristische Aktivitäten, die äußere Sicherheit nicht mehr trennscharf von der inneren Sicherheit
unterschieden werden kann.
({3})
Für all diejenigen, die diesen Satz hinterfragen, weise
ich darauf hin, dass er sinngemäß der Koalitionsvereinbarung, die die Grundlage für das Handeln dieser Bundesregierung ist - lieber Kollege Beck, auch Sie haben
sie sicherlich gelesen -, entnommen ist.
Wie man in einer solchen Analyse, die, wie ich es gelesen habe, dem Papier der CDU/CSU-Fraktion zugrunde gelegt wurde, eine Überbetonung des Militärischen erkennen will, ist für mich nicht nachvollziehbar.
Gerade das Gegenteil ist richtig. Wir müssen doch erkennen, dass wir heute nicht mehr in der Lage sind, allein - und noch nicht einmal vorrangig - mit militärischen Instrumenten Sicherheit zu gewährleisten. Wir
brauchen das gesamte zivile Kompetenzspektrum des
Staates wie auch zivile Akteure. Dies ist in alle sicherParl. Staatssekretär Christian Schmidt
heitspolitischen Betrachtungen einzubeziehen. Dann
kann man und darf man, auch ohne dass man sich dem
Verdacht aussetzt, man wolle grundlegende Strukturen
der Verfassung ändern - Di Fabio hat völlig recht -, über
die Strukturen der Koordination und der Kooperation intensiv reden. Ich meine, dass das Parlament hier eine
ganz wichtige Rolle spielen wird.
Auch ich schließe mich dem Dank an die FDP-Fraktion an, die nicht zum ersten Mal eine solche Entscheidungslinie des Bundesverfassungsgerichts mit veranlasst
hat. Ich darf darauf hinweisen: 1994, als die FDP Mitglied der Bundesregierung war, haben die damaligen
FDP-Minister im Kabinett - allerdings im Gegensatz zu
nachfolgenden Koalitionsregierungen - gegen den Beschluss, der dem Urteil von 1994 zugrunde lag, gestimmt, obwohl sie damals im Hinblick auf den AdriaEinsatz inhaltlich sehr wohl der Meinung waren, dass er
notwendig ist. Ihnen ging es um die Frage einer Legitimation im Rahmen unserer Verfassungsordnung. Dieser
Legitimation müssen und werden auch wir uns stellen.
Dass dies schwieriger werden wird, wenn wir ein europäisches Heer schaffen, eine europäische Armee haben
- denn dann entscheidet eben nicht allein der Deutsche
Bundestag, sondern dann entscheiden auch andere Parlamente; dann gibt es auch andere Interessen, über die wir
uns nicht stellen können; wir können uns nur neben sie
stellen -, steht auf einem anderen Blatt. Das ruft geradezu danach, diese Fragen auf der Grundlage von Positionspapieren weiterzuverfolgen und zu vertiefen.
Ich bedanke mich.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Winkelmeier.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Als ich am Wochenende die Informationen zum Nationalen Sicherheitsrat gelesen habe, da habe ich mich gefragt, wie sich eigentlich die Sicherheitslage in unserem
Lande seit 2005, seit 2006 oder seit 2007 verändert hat.
Ich musste natürlich sehr schnell feststellen: Die Sicherheitslage hat sich überhaupt nicht geändert. Also alles
nur ein PR-Gag von Herrn Dr. Schockenhoff? Leider
nicht. Herr Dr. Schockenhoff will schocken.
({0})
Er will mit der Angst der Menschen vor terroristischen
Anschlägen auf Stimmenfang gehen. Er will mit dem
Gedanken des Nationalen Sicherheitsrates verbriefte
Grundrechte unserer Verfassung leichter aushebeln können, indem Auslandseinsätze der Bundeswehr am Parlament vorbei beschlossen werden können.
Mich hat aber auch geschockt, dass die Union nach
seinen Aussagen bereits seit zwei Jahren an diesem Papier arbeitet - und das mit Zustimmung von Frau
Merkel, Herrn Schäuble und Herrn Jung. Das sind genau
diejenigen politisch Verantwortlichen, die einen Einsatz
der Bundeswehr im Innern präferieren und damit die
Militarisierung unseres Landes betreiben. Wir aber wollen kein vom Militär dominiertes Land.
({1})
Wenn der Abgeordnete Kolbow von Militarisierung
der Außenpolitik redet, so muss ich feststellen: Er hat
recht. Es gehört nicht zu den Aufgaben der Bundeswehr,
die Energiesicherheit oder die Rohstoffversorgung mit
militärischen Mitteln gegen andere Staaten zu erkämpfen. Aber genau dies steht im Weißbuch, das Sie ja, Herr
Kolbow, in Ihrer Fraktion, in der SPD, beschlossen haben. Da besteht ein Widerspruch in Ihren Aussagen.
({2})
Nun komme ich zur Aufhebung des Parlamentsvorbehalts. Wie Parlamentarier auf die Idee kommen können,
sich selbst und damit das Parlament schleichend zu entmachten,
({3})
indem sie den Parlamentsvorbehalt bzw. das Parlamentsbeteiligungsgesetz über den Nationalen Sicherheitsrat
aushebeln, will mir nicht in den Kopf. Gerade heute, wo
das Bundesverfassungsgericht seine AWACS-Entscheidung verkündet hat, sollten wir daran denken, dass die
Rechte des Parlaments eher gestärkt als geschwächt werden sollten.
Es droht aber nicht nur eine schleichende Entmachtung des Parlaments. So, wie der Sicherheitsrat angelegt
ist, droht auch eine Entmachtung von Teilen des Kabinetts. Initiativen, die auf eine Abschaffung oder Einschränkung des Parlamentsvorbehalts zielen, dürfen in
diesem Land nie eine politische Mehrheit bekommen.
Mit der Forderung nach einem Nationalen Sicherheitsrat, der sich auch um den Einsatz der Bundeswehr im Innern kümmern soll, will die CDU/CSU die Grenze zwischen äußerer und innerer Sicherheit überwinden. Damit
würden auch die Grenzen zwischen militärischen und
polizeilichen Aufgaben verwischt. Dazu kann ich nur sagen: Wehret den Anfängen! Ein militärischer Einsatz der
Bundeswehr im Innern führt in einen totalitären, militärischen und allgegenwärtigen Staat, und genau den will
ich nicht.
({4})
Nächster Redner ist der Kollege Gert Weisskirchen
für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Christian Schmidt, ich fand es sehr gut, dass Sie am
Ende Ihrer Rede das wesentliche Stichwort genannt haben - darum muss es uns allen gehen -: Legitimation.
Wenn das, was in Ihrem Papier steht, Realität würde,
würde die Legitimationsgrundlage der politischen Entscheidungen, die hier, in diesem Parlament, zu treffen
sind, erheblich geschwächt. Mehr noch: Sie würden eine
Verschiebung zugunsten der Exekutive vornehmen. Das
Gert Weisskirchen ({0})
halten wir aus verfassungsrechtlichen Gründen für problematisch. Ich sage Ihnen sogar: Das ist verfassungsrechtlich falsch. Dieser Weg kann von uns in diesem
Hause nicht gemeinsam gegangen werden.
({1})
Philip Bobbitt hat in seinem jüngsten Buch Terror
and Consent - dieses Buch kann ich nur empfehlen - zu
Recht auf die gegenwärtigen Herausforderungen für die
Staatsfähigkeit im Zeitalter der Globalisierung aufmerksam gemacht. Ich nenne nur die Stichwörter Dezentralisierung und Dysfunktionalität. Er schreibt, dass sich die
Angst in vielen Territorien dieser Erde ausbreitet, weil
die Staatsfunktionen nachlassen. All das trifft zwar zu,
daraus kann man aber nicht den Schluss ziehen, dass die
Sicherheitsarchitektur, insbesondere, was die Kompetenz zur Entscheidung über Krieg und Frieden anbetrifft,
zentralisiert und einem Organ überantwortet werden
muss. Das ist der falscheste Weg, den man gehen kann.
Ich kann Sie nur herzlich bitten: Nehmen Sie die Argumente, die hier quer durch alle Fraktionen vorgetragen
wurden, ernst! Überlegen Sie, ob der Weg, den Sie beschreiten wollen, nicht in die falsche Richtung führt, ob
Sie damit nicht den Charakter der Bundesrepublik
Deutschland, das, was dieses Land im Innersten ausmacht, und den Wertekonsens dieser Gesellschaft verändern würden! Das dürfen wir nicht zulassen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
({2})
Beim Stichwort „Nationaler Sicherheitsrat“ seien Sie
doch bitte einmal so nett und schauen Sie auf das Land,
das einen Nationalen Sicherheitsrat hat. Nehmen Sie einmal das Buch State of War von James Risen in die Hand.
Er hat sehr genau analysiert, wie die Entscheidungen in
den Jahren 2002 und 2003 zustande gekommen sind.
Wissen Sie, was in diesem Buch steht? Der Nationale Sicherheitsrat ist inflexibel, nicht kreativ und in hohem
Maße bürokratisch; er lässt von vornherein keine Alternativen zu; es wird nicht überlegt, ob man einen anderen
Weg als den Krieg gehen kann. Können Sie sich von den
empirischen Belegen nicht überzeugen lassen? Ehe Sie
solche Instrumente erfinden oder übernehmen, sollten
Sie anhand der Erfahrungen anderer Länder überprüfen,
ob diese Instrumente, die Sie in die Hand nehmen wollen, nicht genau das Gegenteil dessen provozieren, was
Sie wollen.
Der Nationale Sicherheitsrat in den USA hat mit seinem instrumentalen Charakter gezeigt, wie er benutzt
worden ist: dass die Entscheidungen nicht nur am Parlament vorbei, sondern auch am Kabinett und am Oval Office vorbei getroffen wurden. Kann das der Weg in die
Zukunft sein, den wir gehen wollen? Nein. Das, was dort
gezeigt worden ist, ist eine Überdimensionierung der
exekutiven Gewalt. Dieser Weg passt nicht in die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland.
({3})
Das Wichtigste ist doch - vielleicht lässt sich das aus
der Debatte lernen -, dass wir die Koordinatensysteme,
wo es nötig ist, neu definieren. Koordinierung ja, aber
kann denn Koordinierung nicht auch bedeuten, dass die
einzelnen Mitglieder der Regierung versuchen, ihre Beiträge besser aufeinander abzustimmen? Nehmen wir das
Beispiel Afghanistan. Da könnten wir beim zivilen Aufbau durch synergetisches Zusammenarbeiten zwischen
dem Entwicklungshilfe- und dem Innenministerium,
zum Beispiel hinsichtlich des Polizeiaufbaus, bessere
Ergebnisse erzielen als ein bürokratisches Institut, das
den wunderbaren Namen „Nationaler Sicherheitsrat“
trägt, aber am Ende nicht zu dem führt, was Sie vielleicht im Kopf haben, nämlich mehr Sicherheit zu produzieren. Sie würden damit nicht nur nicht mehr Sicherheit produzieren, sondern größere Unsicherheit. Das
kann nicht das Ziel christdemokratischer Politik sein.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort der
Kollege Ruprecht Polenz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich am Ende dieser Aktuellen Stunde noch
einmal vergegenwärtigt, was alles gesagt worden ist,
welche Vorwürfe gegenüber diesem Papier geäußert
worden sind, und vor allen Dingen wenn man das Papier
kennt und es gelesen hat ({0})
- das, was Gegenstand dieser Diskussion ist und die
Fraktion gestern verabschiedet hat -, dann kann man eigentlich nur zu dem Ergebnis kommen, dass diese Vorwürfe sich nur deshalb haben erheben lassen, weil Sie etwas in das Papier hineingelesen haben, das dort nicht
steht.
Es fiel auf, dass die Heftigkeit der Vorwürfe in einem
starken Gegensatz zu der Zahl an Zitaten stand, die Sie
aus dem Papier vorgetragen haben, um diese Vorwürfe
zu belegen, nämlich fast keine. Denn Sie hätten die Vorwürfe, die Sie erhoben haben, mit konkreten Zitaten aus
dem Papier nicht belegen können. Sie haben sich vielmehr etwas zusammengereimt, was Sie dort hineininterpretiert haben, um dann einen Popanz aufzubauen, auf
den Sie konzertiert einschlagen.
Wenn Sie sich das Papier anschauen - es wurde der
Vorwurf erhoben, man verabschiede sich jetzt hier von
einem breiten außenpolitischen Konsens, an dem uns in
der Tat gelegen sein muss -, dann finden Sie unter
Ziffer II - das ist ein wichtiger Schwerpunkt des Papiers -,
welche zentralen Herausforderungen wir für unsere Sicherheit sehen. Ich habe keinen Widerspruch dazu gehört, dass die Bekämpfung des Terrorismus und die
Frage der Proliferation, also der Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen, eine wichtige Rolle spielen, dass die Sicherung der Energie- und Rohstoffversorgung eine zunehmend sicherheitspolitische Bedeutung
bekommt, dass der Klimawandel dazu führen kann, dass
die Staaten in den gefährdeten Zonen, die schon jetzt unRuprecht Polenz
ter - ich nenne es einmal so - großem Regierungsstress
stehen, sich in der Gefahr befinden, zu Failed States zu
werden, was auch sicherheitspolitische Konsequenzen
hat, und auch nicht dazu, Herr Staatsminister, dass wir
sagen: Wir müssen versuchen, solchen Konflikten vorzubeugen, präventiv tätig zu werden; erst dann, wenn
das nicht gelingt, dürfen wir Maßnahmen der Konfliktbewältigung ergreifen. Ich glaube, in Bezug auf diese
Herausforderungen, auch wenn Sie sie anders formulieren würden, besteht Konsens. Wenn Sie das hier festgestellt hätten, hätten Sie aber natürlich einen erheblichen
Teil Ihrer Vorwürfe nicht mehr aufrechterhalten können.
Ich komme zu einem weiteren Punkt. Wir sind uns
auch darin einig, dass wir in Zukunft von einem erweiterten Sicherheitsbegriff ausgehen müssen, einem Sicherheitsbegriff, der mehr als das rein Militärische oder
Polizeiliche umfasst. Wenn es aber richtig ist, dass auch
Fragen des Umweltschutzes, der Wirtschafts- und Sozialentwicklung, der Armutsentwicklung und der Migration zu diesem Sicherheitsbegriff gehören, dann stellt
sich doch automatisch die Frage, wie wir es schaffen, die
Kenntnisse, die bisher in unterschiedlichen Ressorts der
Bundesregierung - nicht nur in Spiegelreferaten im
Kanzleramt - gesammelt werden, in eine gemeinsame
konsistente Analyse einfließen zu lassen.
Gerade heute haben wir im Auswärtigen Ausschuss,
als wir uns über das Verhältnis zwischen Russland und
Georgien unterhalten haben, festgestellt, dass die Lageanalyse, die uns das Verteidigungsministerium zur Verfügung gestellt hat, weil es Soldaten in einer Beobachtungsmission dorthin entsandt hat, und das, was uns von
Vertretern des Auswärtigen Amtes zu den gegenwärtigen
Spannungen zwischen Russland und Georgien vorgetragen wird, nicht ohne Weiteres zusammenpassen, um es
einmal so auszudrücken. Das ist ein eklatantes Beispiel
dafür, wie das Ergebnis ist, wenn eine Analyse nicht gemeinsam erstellt worden ist. Auch bei den Debatten, die
wir beispielsweise über Afghanistan führen, merken wir,
wie schwierig es ist, zu koordinieren und ein gemeinsames Lagebild hinsichtlich der Anstrengungen im Rahmen der Entwicklungshilfe, beim Polizeiaufbau und der
Tätigkeit der Bundeswehr vor Ort zu bekommen.
Wenn man sich also vornimmt, bei der Erstellung einer gemeinsamen Analyse besser zu werden, dann geht
es natürlich auch um die Koordinierung der Erkenntnisse. Es ist aber doch klar, lieber Herr Kollege Kolbow,
dass sich eine verbesserte Koordinierung auch im Entscheidungsprozess niederschlagen muss, sonst kann man
sich die ganze Übung sparen. Nichts anderes ist gemeint,
wenn gesagt wird: Der Bundessicherheitsrat soll in der
Analyse und in der Koordinierungs- und Entscheidungsfähigkeit gestärkt werden, wobei dies natürlich in der
Verantwortung der Ressorts durchgeführt wird. Das ergibt sich schon daraus, dass wir die Länder daran beteiligen wollen.
Ich komme nun zu dem, was Sie zum Bundeswehreinsatz gesagt haben. Das, was völkerrechtlich als Legitimationsgrundlage für den Einsatz der Streitkräfte festgehalten worden ist - aus Zeitgründen kann ich es Ihnen
nicht mehr vortragen, bitte lesen Sie die Stelle nach -,
entspricht den völkerrechtlichen Standards und auch der
bisherigen Praxis der Bundesrepublik Deutschland.
Wenn es um Multilateralität geht, dann müssen wir
noch einmal diskutieren, und zwar etwas intensiver als
heute,
({1})
was es bedeutet, wenn wir auf eine europäische Armee
hinsteuern - zurzeit haben wir die Battle-Groups -,
wenn wir uns also gegenseitig darauf verlassen, dass die
gemeldeten Streitkräfte im Falle einer europäischen Entscheidung zur Verfügung stehen. Wir müssen überlegen,
wie dann noch die Entscheidungsfreiheit des Parlaments,
die Parlamentsbeteiligung gesichert werden kann. Die
Multilateralität als solche hat eine Konsequenz für unsere Art der Parlamentsbeteiligung. Wir wollen sie jedoch nicht aufgeben, sondern sie auch unter den Bedingungen der Multilateralität sichern.
Vielen Dank.
({2})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Fritz Rudolf Körper für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zwei
Bemerkungen vorweg. Erstens. Für mich jedenfalls ist es
überraschend, dass an dieser Debatte kein einziger Innenpolitiker bzw. keine einzige Innenpolitikerin der
CDU/CSU-Fraktion teilnimmt. Ob das eine Disqualifizierung dieses Papiers darstellt, diese Bewertung überlasse ich Ihnen. Aber ich finde das nicht gut. Wenn man
einen fachlichen Diskurs will, dann müssen diese Fragen
erörtert werden.
({0})
Zweitens. Der Kollege Polenz hat gesagt, die Vorwürfe, die hier vorgebracht worden sind, seien auf die
mangelnde Lesefähigkeit des Redners oder der Rednerin
zurückzuführen. Da ich in Exegese ein bisschen geübt
bin, möchte ich aus Ihrem Papier zitieren. Auf Seite 3
heißt es:
({1})
Diese veränderte Bedrohungslage erfordert ein völlig neues Verständnis von Sicherheitspolitik. Da
diese terroristische Gewalt auch Staatsgrenzen
überschreitet und sich bewusst international organisiert und vernetzt,
({2})
lässt sich die bisherige Trennung von innerer und
äußerer Sicherheit
- jetzt kommt der Hammer oder in Kriegszustand und Friedenszeit nicht länger
aufrechterhalten.
Das steht in Ihrem Papier. Ich halte es für unverantwortlich und unmöglich, dies so aufzuschreiben.
({3})
Dieses Gedankengut ist mir sehr erinnerlich, auch aufgrund der Interviewlage - so möchte ich das einmal formulieren -, die vonseiten des Bundesinnenministers in
den vergangenen Monaten produziert und vielleicht sogar provoziert worden ist.
({4})
Die SPD-Bundestagsfraktion hat deutlich gemacht,
dass es mit ihr keinen Einsatz der Bundeswehr zur
Durchführung polizeilicher Maßnahmen im Inland geben wird.
({5})
Wir wollen keine Militarisierung unserer inneren Sicherheit.
({6})
Deshalb soll es bei der bisherigen Aufgabenteilung bleiben: Für die innere Sicherheit sind die Sicherheitskräfte
und die Kriminalpolizeien des Bundes und der Länder
verantwortlich, und für die äußere Sicherheit ist unsere
bewährte Bundeswehr verantwortlich. Diese Aufgabenteilung sollte auch in Zukunft gelten.
({7})
Jetzt möchte ich auf das Thema „Zivil- und Katastrophenschutz“ eingehen. Wer den Zivil- und Katastrophenschutz zukünftig fast ausschließlich auf dem Rücken der
Wehrpflichtigen „abwickeln“ will, der wird der Bedeutung dieser Aufgabe nicht gerecht und handelt unverantwortlich und nicht im Sinne der Wehrpflichtigen.
({8})
Man muss Ihr Papier genau lesen, um herauszufinden,
was dort im Grunde genommen steht.
Ich komme auf Ihre grundlegende Unterscheidung
zwischen Krieg und Frieden zurück. Nach meiner Auffassung besteht angesichts der aktuellen Lage kein
Grund, leichtfertig von dieser Unterscheidung abzurücken.
({9})
Herr Polenz, man muss sich die entsprechenden Texte
durchlesen.
({10})
Sie argumentieren, indem Sie auf die grenzüberschreitende Kriminalität Bezug nehmen, beispielsweise auf die
organisierte Kriminalität oder die Drogenkriminalität.
Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden. Unsere Sicherheitskräfte waren bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sehr erfolgreich. Andere europäische Länder wären froh, wenn sie so sicher wären wie
die Bundesrepublik Deutschland.
({11})
Außerdem verfügt Deutschland über gut ausgebildetes
Personal, und unsere Polizeiarbeit funktioniert gut. Hierbei spielt die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern eine wichtige Rolle. Ein Großteil des Personals ist
nämlich im Dienste der Länder.
Sowohl beim Zivil- und Katastrophenschutz als auch
bei der Kriminalitätsbekämpfung müssen wir uns im
Rahmen unseres föderalen Systems fortentwickeln. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass das Bundeskriminalamt zukünftig bestimmte Zuständigkeiten im Hinblick auf den Kampf gegen den internationalen
Terrorismus bekommt. Dieser Schritt sollte nicht von
den Ländern blockiert werden; denn er ist dringend notwendig.
({12})
Wer das Bundeskriminalamtgesetz kennt, der weiß,
({13})
dass es zu keiner Vermischung der Aufgaben von Kriminalpolizei und Nachrichtendiensten kommt. Wir stehen
fest zu unserem Trennungsgebot zwischen den Polizeien
von Bund und Ländern auf der einen Seite und den
Nachrichtendiensten auf der anderen Seite, die ihre spezifischen Aufgaben zu erfüllen haben. Dabei werden wir
sie unterstützen, weil wir die Aufgaben, die sie jeweils
erledigen, für notwendig halten.
Lieber Herr Polenz, ich richte mich noch einmal an
Sie, weil Sie gleichsam übrig geblieben sind.
Herr Kollege, denken Sie bitte an die Redezeit; sie ist
schon etwas überschritten.
Liebe Frau Präsidentin, ich bedanke mich herzlich. Herr Polenz, schauen Sie sich diesen Text noch einmal
an, und stecken Sie ihn am besten in den Papierkorb.
Dorthin gehört er.
Vielen Dank.
({0})
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Initiative zur nationalen
Stadtentwicklungspolitik.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Wolfgang Tiefensee.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute Morgen ist im Kabinett einer Initiative
zur nationalen Stadtentwicklungspolitik zugestimmt
worden. Ich mache dazu drei Vorbemerkungen:
Erstens. Nationale Stadtentwicklungspolitik bedeutet
nicht, dass wir uns auf nationaler Ebene gegenüber den
Ländern und Gemeinden abgrenzen. Vielmehr wollen
wir vertikal über alle Politikebenen der Städte und Gemeinden, der Länder, des Bundes und Europas hinweg
eine konzertierte Aktion starten, um den Herausforderungen gerecht zu werden, vor denen kleine und große
Städte stehen.
Zweitens. Stadtentwicklungspolitik bedeutet nicht
Abgrenzung gegenüber dem ländlichen Raum. In dieser
Initiative ist deutlich beschrieben, dass es um eine Verantwortungsgemeinschaft der kleinen, mittleren und großen Städte einerseits und den sie umgebenden ländlichen
Räumen und Regionen andererseits geht.
Drittens. Mit Politik meinen wir nicht, dass es allein
Aufgabe der Abgeordneten und Regierungen im engeren
Sinne ist, sich um die Städte zu kümmern. Im Gegenteil,
wir wenden uns mit dieser Initiative an alle diejenigen,
die aktiv mit der Entwicklung von kleinen, mittleren und
großen Städten zu tun haben.
Die Herausforderungen sind in dieser Initiative beschrieben: Städte und Gemeinden müssen immense Herausforderungen bewältigen, was ihre Wirtschaftskraft,
ihre Finanzen, den demografischen Wandel, soziale
Spannungen innerhalb von Stadtteilen und zwischen
Stadtteilen, den Klimaschutz, die Lebensqualität und die
Baukultur, also das gute Planen und Bauen, angeht. Wir
wollen dazu einen diskursiven Prozess mit allen Akteuren in Gang bringen. Deshalb haben wir bereits während
der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Initiative ergriffen, eine Charta zur nachhaltigen europäischen Stadt
verabschiedet und mit einer ersten Konferenz zur nationalen Stadtentwicklungspolitik im Juli vergangenen Jahres den Startschuss gegeben. In der Zwischenzeit sind
unzählige Projektbeschreibungen eingegangen, in denen
Städte und Gemeinden nachweisen, dass sie diesen Herausforderungen begegnen. Die Ergebnisse wollen wir
allen zugänglich machen, damit sie übertragen werden
können. Ziel ist es, die Verhältnisse in den Städten und
Gemeinden zu verbessern.
Wir haben zunächst fünf Handlungsfelder identifiziert, die jetzt in der Diskussion sind und wahrscheinlich
noch verändert bzw. erweitert werden: erstens die engagierte Stadt, die die Bürger einbezieht, zweitens die soziale Stadt, die für den sozialen Zusammenhalt steht,
drittens die nachhaltige Stadt, die auf Klimaschutz und
eine lebenswerte Umwelt auch für unsere nachfolgenden
Generationen setzt, viertens die kulturelle Stadt, die sich
der Tradition verpflichtet sieht, aber auch um qualitativ
gutes Planen und Bauen bemüht ist, und fünftens die kooperative Stadt, die die Zusammenhänge zwischen Stadt
und Region in den Vordergrund stellt.
Meine Damen und Herren, dieser Prozess, der in den
nächsten Jahren weiterlaufen wird, wird nicht nur durch
strategische Überlegungen unterstützt, sondern auch
durch erhebliche Finanzmittel des Bundes. Denken Sie
an den Städtebau, aber auch an die Infrastruktur, den Regionalverkehr und vieles anderes mehr. Wir wollen das
konzentrieren, es bündeln und die Mittel effektiver einsetzen. In diesem Sinne wollen wir uns mit den Akteuren
verständigen. Ich bin dankbar, dass wir uns gemeinsam
auf diesen Weg begeben, nicht zuletzt auch, um auf
europäischer Ebene mit einer einheitlichen, starken
Stimme aufzutreten.
Vielen Dank.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zunächst zu den Fragen, die diesen Themenbereich unmittelbar betreffen. Die erste Frage stellt
der Kollege Peter Hettlich.
Sehr geehrter Herr Minister, ich hatte vor gut zwei
Wochen die Ehre, in München am Bundeskongress Nationale Stadtentwicklung teilzunehmen. Mir ist aufgefallen, dass in den Zukunftswerkstätten das Thema „Stadt
und Verkehr“ nicht aufgetaucht ist. Jetzt kann man natürlich sagen, die städtische Mobilität sei schon im Grünbuch thematisiert worden. Aber sie ist ja von ganz zentraler Bedeutung dafür, wie es mit den Städten weitergeht.
Sie haben als Beispiel den Regionalverkehr genannt.
Auch über den Klimaschutz in der Stadt lässt sich ohne
Bezug auf das Thema Verkehr nicht diskutieren. Was für
Strategien haben Sie in diesem Bereich, und wie lassen
sich diese in die nationale Stadtentwicklungsstrategie
einbetten?
Herr Minister, bitte.
Ich habe die fünf Handlungsfelder beschrieben, unter
die man sowohl wirtschaftliche Fragen als auch Fragen
der Infrastruktur subsumieren kann. Wir haben uns auf
diese fünf Felder beschränkt; wir diskutieren aber auch
an anderer Stelle intensiv über den Verkehr, auch im
Hinblick auf den Klimaschutz.
Eines ist klar: Die Städte stehen vor der Herausforderung - Stichwort „demografische Entwicklung“ -, sich
auf eine neue Art der Mobilität insbesondere der Seniorinnen und Senioren, aber auch der Familien mit Kindern einstellen zu müssen. Hier gibt es neue Anforderungen, über die wir auch im Rahmen der nationalen
Stadtentwicklungspolitik diskutieren wollen. Insbesondere was den Verkehr selbst betrifft, ist mein Haus natürlich beteiligt. Es geht hierbei nicht nur um die Städte,
sondern auch um die ländlichen Räume.
Ich darf daran erinnern, dass wir recht bald darüber
diskutieren werden, wie wir unseren Schienenverkehr in
der Zukunft organisieren werden. Der Bund wird sich an
dieser Diskussion aktiv beteiligen und Gelder zur Verfügung stellen, damit der Verkehr sowohl in den Städten
als auch in der Verbindung von ländlichem Raum und
Stadt auch in Zukunft funktioniert.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Volkmar Vogel.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie sind in dem vorliegenden Bericht ausführlich auf die neuen Herausforderungen, vor denen wir stehen, eingegangen, insbesondere
darauf, dass Stadt und Umland gemeinsam entwickelt
werden müssen. Sie sprachen von den Herausforderungen der demografischen Entwicklung und damit natürlich auch davon, dass die Immobilienbewirtschaftung ein
neues Thema ist.
Meine Frage an Sie lautet: Inwieweit haben Sie darüber nachgedacht, innerhalb des Ministeriums eigene
Forschungskapazitäten aufzubauen, um sich mit diesem
Bereich zu beschäftigen? Diese Themen sind in der Zukunft sicherlich von größerer Bedeutung, als das in der
Vergangenheit der Fall war. Deshalb bedarf es mit Sicherheit der Bearbeitung im Ministerium.
Wenn ich Sie richtig verstehe, konzentrieren Sie sich
auf die Immobilienfrage, auf die Wohnungsfrage. Ist das
richtig?
Auf die Forschungskapazitäten Ihres Ministeriums,
insbesondere im Bereich der demografischen Entwicklung, und im Zusammenhang damit auf die Frage der
Immobilienbewirtschaftung. Sie sprachen ja die StadtUmland-Beziehungen an.
Im Hinblick auf die demografische Entwicklung und
damit auch im Hinblick auf Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft und die Beziehungen zwischen Stadt und
Umland ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, dem das Bundesamt für Bauwesen
und Raumordnung zugeordnet ist, prädestiniert, auf diesen Feldern nicht nur zu arbeiten, sondern auch zu forschen. Die Analyse erfolgt durch unsere Bundesanstalt.
Wir haben aber auch ganz konkret Projekte in Angriff
genommen, um herauszufinden, wie wir dem demografischen Wandel gerecht werden, ihm Herr werden können.
Dies gilt vor allen Dingen für den ländlichen Raum. Ich
sehe mich da im Schulterschluss mit meinem Kollegen
Seehofer. Ich sage immer scherzhaft: Schieben wir im
Kabinett die Schilder übereinander; dann haben wir einen Tiefenseehofer!
({0})
Genau so müssen wir Stadt und ländlichen Raum miteinander verbinden.
Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Wir haben über
die demografische Entwicklung im ländlichen Raum diskutiert und in diesem Zusammenhang über zwei Regionen in den neuen Bundesländern; ab 2009 kommen vielleicht Regionen in den alten Bundesländern hinzu. Wir
haben sie ganz besonders herausgestellt und den Auftrag
erteilt, zu erforschen, wie wir hier mit den Herausforderungen im ländlichen Raum umgehen. Das ist zum einen
das Stettiner Haff und zum anderen die Region Südharz/
Kyffhäuser.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Denjenigen unter uns, die eine DDR-Biografie haben, fällt bei Eggesin
und Torgelow eine ganze Menge ein. Dies ist eines der
Gebiete, die es ganz besonders schwer haben. Dort sind
rückläufige Bevölkerungszahlen zu verzeichnen; die
Zahl der Arbeitsplätze geht zurück, es gibt einen Aufwuchs an Arbeitslosen, und der Lebensbaum dort kehrt
sich um. Durch eine besondere Strategie ist es gelungen,
dass in Eggesin wieder ein großer Mittelständler Fuß gefasst hat, der Hunderte von Arbeitsplätzen schafft, diese
Region damit wieder zum Leben erweckt und ihr eine
hohe Lebensqualität zuführt. - Das ist nur ein Beispiel.
Andere ließen sich benennen.
Wir wollen in unserem Hause also sowohl eine Analyse vornehmen und Strategien dafür erarbeiten, wie wir
mit dem demografischen Wandel umgehen, als auch diesen Wandel durch ganz konkrete Projekte gestalten. Das
ist aber nur im Schulterschluss mit einer ganzen Reihe
von Kabinettskollegen möglich. Das ist nicht nur eine
Angelegenheit des Ministeriums für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung, sondern bedarf auch des Arbeitsministers genauso wie des Landwirtschaftsministers, des
Wirtschaftsministers oder des Finanzministers sowie der
Kollegen, die sich, wie „Schwester Agnes“, um die Sicherung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum
kümmern.
({1})
Ich weiß, dass es dazu auch Nachfragen von anderen
Kollegen gibt. Mir liegen aber noch jede Menge Wortmeldungen von Kolleginnen und Kollegen vor, denen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
ich zunächst gerne die Möglichkeit geben möchte, ihre
Fragen zu stellen. Ich bitte um Verständnis.
Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Heidrun
Bluhm.
Herr Minister Tiefensee, auch ich habe an den Konferenzen zur nationalen Stadtentwicklungspolitik teilgenommen. Meine erste Frage bezieht sich auf das Thema
der heutigen Kabinettssitzung, nämlich: Initiative zur
nationalen Stadtentwicklungspolitik. Was ist im Gegensatz zu dem, was wir bis gestern gemacht haben, das
Neue an diesen Leitsätzen der Bundesregierung, die Sie
auch der Presse bereits mitgeteilt haben? Das hat sich
mir noch nicht erschlossen.
Ich möchte gerne eine weitere Frage anschließen, die
sich aus Ihren Antworten ergeben hat. Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie jetzt mit der Forschung hinsichtlich des ländlichen Raums beginnen, dass Sie aber noch
nicht wissen, wie Sie mit dem ländlichen Raum - insbesondere in den neuen Bundesländern, die besonders von
der Entleerung ganzer Regionen betroffen sind - umgehen wollen?
({0})
Sie haben Torgelow und Eggesin genannt. Das ist mein
Bereich, in dem ich als Abgeordnete tätig bin.
Zu Ihrer ersten Frage, Frau Bluhm. Das Neue ist, dass
wir nicht nur auf der Ebene der Städte und Gemeinden
sowie ihrer Vereine und Verbände - also nicht nur auf
der Ebene der direkt Betroffenen - über die Hausforderungen der großen und kleinen Städte und der Gemeinden sowie des ländlichen Raumes diskutieren und nicht
nur dort Projekte in Angriff nehmen und auswerten wollen, sondern dass wir dies auf die nationale Ebene heben.
Das ist insofern neu, als dies zum einen - nach außen gerichtet - eine einheitliche Sprache gegenüber der Europäischen Union ermöglicht. Wir haben es dort mit Rußpartikel- und Lärmverordnungen zu tun, die das Handeln
in den Städten immer stärker direkt beeinflussen; wir
werden hier stärker als bisher auftreten müssen. Zum anderen glauben wir, dass wir - nach innen gerichtet - eine
institutionalisierte Plattform brauchen, auf der diese
Themen zur Diskussion gestellt werden, für die es eine
Benchmark zwischen den Städten und Gemeinden gibt,
damit das Rad nicht jedes Mal neu erfunden werden
muss. Das hat es in dieser Qualität bisher nicht gegeben
und gibt es nach meiner Kenntnis übrigens auch in den
anderen EU-Mitgliedstaaten nicht.
Mit unserer Initiative, über die Stadt des 21. Jahrhunderts zu diskutieren, haben wir während unserer Ratspräsidentschaft Neuland betreten. Mit der Verständigung
auf europäischer Ebene haben wir dazu beigetragen,
dass die Städte sowohl als Herausforderung als auch als
Wettbewerbsvorteil Europas gegenüber den USA und
Asien thematisiert worden sind.
Neu ist auch, sich auf Handlungsfelder zu konzentrieren und Projekte in Gang zu setzen, die wir auch zum
Teil finanzieren, um sie allen zugänglich zu machen.
Neu ist auch, dass wir uns mit allen Akteuren darum
kümmern, dass unsere Programme und die der Länder
möglichst zielgenau die Stelle erreichen, wo sie hingehören.
Ihre zweite Frage beantworte ich mit einem klaren
Nein. Wir forschen nicht erst seit heute, und wir wissen
nicht erst seit heute, was wir gegen den demografischen
Wandel und die damit verbundenen Herausforderungen
im ländlichen Raum zu tun haben. Wir wissen, was sich
in den letzten Jahren und Jahrzehnten bewegt hat und wo
gerade im ländlichen Raum die Schwierigkeiten liegen.
Wir müssen aber immer wieder neue Antworten darauf
finden.
Es ist schon eine Menge getan worden, damit ländliche Räume für junge, kreative Menschen und Familien
attraktiv bleiben, damit neue Bürgerinnen und Bürger
zuziehen und zur Stabilität der ländlichen Räume beitragen; das ist bekannt. Es gibt auch eine Fülle von Projekten, die die Länder in diesem Bereich in Gang setzen.
Notwendig ist eine neue Qualität der Übertragung der
guten Projekte auf die anderen Städte und Gemeinden.
Das erfolgt insbesondere dann, wenn man das Vorhaben
auf die nationale Ebene hebt. Das wollen wir mit dem
Stadtentwicklungskonzept erreichen.
Es sind viele Tatsachen bekannt. Auch die in
Deutschland vorhandenen Bewegungen sind bekannt.
Wir reagieren nicht erst heute, aber wir reagieren mit einer neuen Form der Kooperation über alle politischen
Ebenen hinweg.
Frau Kollegin Herlitzius, bitte.
Frau Präsidentin! Herr Minister, Sie haben mir ein
schönes Stichwort geliefert. Was die Bundesregierung an
dieser Stelle vorhat, hört sich zwar gut an, aber die Kommunen, die in unserem Staat eine sehr wichtige Funktion
in der Daseinsvorsorge haben, leiden vielerorts unter
großen finanziellen Problemen. Gibt es seitens Ihres Ministeriums Überlegungen, die kommunalen Finanzen auf
eine bessere Grundlage zu stellen, sie breiter aufzustellen bzw. auch steuerliche Änderungen vorzunehmen, damit die Kommunen die Aufgaben, die Sie gerade so
schön beschrieben haben, besser anpacken können?
Gestatten Sie mir einen kleinen Schlenker zu Ihrer
Homepage. Bei der nationalen Stadtentwicklungspolitik
ist der Umbau West gar nicht mehr enthalten. Heißt das,
es gibt ihn nicht mehr?
Zu Ihrer ersten Frage: Tatsächlich gehört die Frage
der soliden Finanzen zu den Herausforderungen, vor denen Städte und Gemeinden stehen. Es ist sicherlich eine
Frage der steuerlichen Rahmenbedingungen; dazu
gehört zum Beispiel, die Gewerbesteuer als einen wesentlichen Eckpfeiler der Finanzen in den Kommunen zu
erhalten. Dafür hat die Sozialdemokratie immer gestanden. Die Sozialdemokratie steht für diese wichtige Einnahmequelle.
({0})
Aber ein anderes Handlungsfeld ist noch viel wichtiger. Es stellt sich nämlich die Frage, ob wir in den Städten und Gemeinden für eine stabile Wirtschaftskraft sorgen und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, die zum
Beispiel dann entstehen, wenn Infrastruktur vorhanden
ist und die Wirtschaft insgesamt anspringt. Das geht bei
den Einkommensteuer- bzw. Gewerbesteuereinnahmen
los und endet bei der Frage, wie viel die Städte für die
Kosten der Unterkunft an diejenigen zahlen müssen, die
keine Arbeit haben und demzufolge auf Sozialtransfers
angewiesen sind.
Wir haben die erfreuliche Entwicklung zu verzeichnen, die zur Entlastung der Städte führt, dass die Wirtschaftskraft in den Städten wächst und weniger Sozialtransfers notwendig sind. Die Anzahl derjenigen, die auf
KdU angewiesen sind, sinkt. Die Anzahl derjenigen, die
über sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verfügen, steigt. Das war die Entwicklung der letzten zwei
Jahre.
Darüber hinaus haben wir, wie Sie wissen, nach der
Föderalismusreform I mit der Städtebauförderung ein direktes Instrument geschaffen, um den Städten auch finanziell unter die Arme zu greifen. Über 500 Millionen
Euro fließen in die Städte, und zwar über den allgemeinen Städtebauförderfonds, aus dem auch das Programm
Soziale Stadt gefördert wird, das wir im Jahr 2006 von
70 Millionen Euro pro Jahr auf 110 Millionen Euro aufgestockt haben. Wir haben uns auch um den städtebaulichen Denkmalschutz gekümmert.
Außerdem - damit komme ich zu Ihrer zweiten Frage haben wir die Programme Stadtumbau West und Stadtumbau Ost aufgestockt und neu ausgerichtet. Ich werde
nachprüfen, ob ein Hinweis auf den Stadtumbau West
auf der Homepage meines Ministeriums fehlt. Auf alle
Fälle ist das kein Indiz dafür, dass wir ihn nicht fortführen wollen, im Gegenteil. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dem Stadtumbau West, der, wie Sie wissen, eine
etwas andere Zielrichtung hat als der Stadtumbau Ost.
Während es bei Letzterem um den Abriss von Häusern
bzw. die Aufwertung und den Erhalt der alten Bausubstanz in den Innenstädten und im innenstadtnahen Raum
geht, geht es in den alten Bundesländern darum, Industrie- und Militärbrachen zu konvertieren und eine Stadtentwicklung in Gang zu setzen, die es erlaubt, einen
möglichst großen Nutzen mit diesen Flächen zu erzielen.
Das wird weiter fortgeführt. Wir planen sogar, den Stadtumbau Ost auf den Stadtumbau West im Bereich des
städtebaulichen Denkmalschutzes zu übertragen, ohne
allerdings Abstriche im Osten zu machen. Der fehlende
Hinweis auf der Homepage ist also kein Indiz dafür, dass
wir uns nicht mit dem Stadtumbau West befassen, im
Gegenteil.
Eine weitere Frage hat der Kollege Ernst Kranz.
Herr Minister, wir befinden uns gerade in der zweiten
Phase des Projektaufrufes, die bis Ende Juni dieses Jahres läuft. Ein zentraler Punkt ist die partnerschaftliche
Projektbeteiligung. Ich sehe das in Kontinuität zum Beispiel zu den Stadtentwicklungsprojekten im Rahmen des
Stadtumbaus Ost. Mich interessiert, welche neuen
Schwerpunkte Sie bei der partnerschaftlichen Anforderung an alle setzen, die an den Projekten mitarbeiten
wollen.
Wir haben gelernt, dass eine Voraussetzung für den
Stadtumbau Ost - genauso wie für das Projekt Soziale
Stadt - ein integriertes Stadtentwicklungs- oder Stadtteilentwicklungskonzept ist. Wir müssen mit einem solchen Konzept die Kommunen zwingen, über die Ressortgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten, damit wir von
einer eindimensionalen Sichtweise wegkommen. Mit
städtischen Problemen und Stadtteilproblemen darf sich
nicht nur derjenige befassen, der Sozialpolitik betreibt.
Genauso wenig dürfen Finanzprobleme nur Sache des
Kämmerers sein. Auch mit demografischen Fragen darf
sich nicht nur derjenige befassen, der für die Jugend sowie für Senioren und Seniorinnen zuständig ist.
Das ist leicht gesagt, aber diese horizontale Integration ist alles andere als selbstverständlich. Wir haben es
nach wie vor mit einer versäulten Verwaltung zu tun. Ich
sage das auch in Bezug auf das Kabinett. Unser Bestreben ist, mit dieser Plattform auch die Zusammenarbeit
zwischen den Ressorts zu verbessern. Das Bessere ist
der Feind des Guten. Wir wollen eine noch engere Zusammenarbeit; denn ich bin der Auffassung, dass die
Fragen, die im Zusammenhang mit der Stadtentwicklung
und dem ländlichen Raum stehen, zu den zentralen Fragen in den nächsten 10, 15 Jahren gehören werden. Bewältigen wir sie nicht, und zwar unter Beteiligung aller
Akteure, wie Sie es angesprochen haben, dann wird uns
das - mit Verlaub - ähnlich wie in Frankreich auf die
Füße fallen, wo man lange Zeit diesem Problem keine
Aufmerksamkeit geschenkt hat. Mittlerweile ist man in
Frankreich in Kooperation mit Deutschland dabei, viele
unserer Instrumente, insbesondere die partizipativen, zu
übernehmen, weil man sie für richtig hält. Das Neue ist
also ein vertikal integrierter Ansatz.
Sie haben völlig zu Recht die Kooperation zwischen
ländlichem Raum und Stadt angesprochen. Wir sprechen
von Verantwortungsgemeinschaften und haben sieben
Modellregionen identifiziert, die das exemplarisch vorführen wollen. Darunter sind große Städte wie Hamburg
genauso wie kleinere Bereiche. Wir wollen an dieser
Stelle deutlich machen: Es gibt keine Abgrenzung nach
dem Motto: Was geht mich fremdes Elend an? Was interessiert mich, dass sich deine Räume entleeren oder dass
die Städte die kreativen jungen Frauen verlieren? - Nein,
wir brauchen ein Zusammengehen. Das wächst aber
nicht von selbst. Das Ganze muss problematisiert werBundesminister Wolfgang Tiefensee
den. Wir müssen von der Nichtbeachtung wegkommen
und mit Benchmarks, also mit Projekten, die geglückt
sind, anderen vorführen: So geht es; kümmert euch darum!
Das ist der neue Ansatz auf nationaler Ebene. Er
greift das auf, was bereits auf städtischer Ebene und auf
Länderebene gemacht wird.
Die nächste Frage stellt der Kollege Hans-Michael
Goldmann.
Lieber Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister!
Ich finde das alles sehr spannend. Sie haben vor kurzem
einen Masterplan „Güterverkehr und Logistik“, ein sehr
umfangreiches Werk, vorgestellt. Sie haben angesprochen, dass Minister Seehofer mit anderen Ministerien
zusammen die Politik für den ländlichen Raum koordinieren will. Sie haben jetzt die Weiterentwicklung eines
Konzepts vorgestellt, die Initiative zur nationalen Stadtentwicklungspolitik. Wir in Papenburg entwickeln im
Moment ein Leitbild 2015, und im Landkreis Emsland
untersuchen wir die Auswirkungen des demografischen
Wandels auf unseren Landkreis. Ich frage mich, wann
ich Ihre Ergebnisse für die Arbeit vor Ort konkret nutzen
kann.
Sie haben erfreulicherweise die Übertragbarkeit von
Projektergebnissen und neue Formen der Kooperation
angesprochen. Wir brauchen, wenn überhaupt, dringend
und schnellstmöglich Ergebnisse aus allen Regionen
Deutschlands, die wir vor Ort nutzbar machen können.
Ich erinnere daran, dass es schon vor 1998, bevor ich in
den Bundestag kam, eine Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ gegeben hat. Das ist also kein neues
Thema. Es treibt mich die Sorge um, wie Kommunen
schnell auf die dramatischen Veränderungen reagieren
können, die, wie Sie wissen, ruck, zuck eintreten. Ganz
schnell muss man Kindergärten und Schulen schließen
und verliert damit die Infrastruktur, die eine ganze Stadt
trägt.
Wir haben eine Strategie, wie wir damit umgehen,
und wir haben konkrete Projekte.
({0})
Ich lade Sie herzlich ein, die konkreten Projekte in den
sieben Modellregionen oder auch in den zwei, die sich
speziell mit dem ländlichen Raum beschäftigen, anzuschauen und auf Übertragbarkeit auf das Emsland zu
überprüfen. Ich denke, dass das gehen könnte.
Ich habe eine weitere Verantwortung als Beauftragter
für die neuen Bundesländer. Ich behaupte, dass sich in
den neuen Ländern die Prozesse des demografischen
Wandels im Prinzip seit Anfang der 90er-Jahre wie in einem Brennglas abspielen. Man sieht, wie die Menschen
aus den ländlichen Regionen wegziehen, wie sich das
Verhältnis von Jung und Alt verändert, wie sich die Fragen einer neuen Arbeitsplatzgestaltung und einer
adäquaten Familienpolitik stellen. Auch die Finanzen
spielen eine Rolle. Dort ist vieles im Fluss, was man
durchaus übertragen kann. Wir wollen mit den konkreten
Projekten eine Handlungsanweisung geben, die übertragbar ist.
Auf der anderen Seite müssen wir uns aber auch langfristig eine Plattform, einen Marktplatz eröffnen, wo die
Probleme dauerhaft und langfristig diskutiert werden.
Ich lade Sie ein, sich konkret mit unseren Ergebnissen zu
beschäftigen und zu prüfen, ob das, was wir bereits vorgelegt haben, anwendbar ist. Ich habe zwei Beispiele herausgegriffen. Ich lade Sie auch ein, sich diesen Fragen
offensiv zu stellen.
Der demografische Wandel wird auf der einen Seite
dadurch bewältigt, dass man sich darauf einstellt, dass
wir weniger werden, dass wir älter werden und länger
- Gott sei Dank - gesund und selbstbestimmt leben,
auch in den Räumen, in denen der Rückgang der Bevölkerung extrem ist. Auf der anderen Seite muss man versuchen, eine Gegenstrategie zu entwickeln, die diesen
demografischen Wandel abfedert, wenn auch nicht umkehrt. Beides wollen wir nicht zuletzt auch mit dieser nationalen Stadtentwicklungspolitik leisten.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich habe noch drei weitere Fragen; die Zeit ist aber knapp geworden. Ich
möchte Sie daher bitten, kurz und präzise zu antworten.
Die nächste Frage stellt der Kollege Peter Hettlich.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Minister, ich
möchte noch einmal auf das Thema Stadt-Umland-Beziehungen kommen, weil auch das ein Thema in den
Workshops war. Es gibt hier Fehlanreize. So stellt die
Einkommensteuerzerlegung eine Kopfprämie dar, um
Leute vor die Tore der Stadt zu locken. Sie sind zwar
nicht der Finanzminister, aber ich frage Sie trotzdem:
Wird mit den Kollegen der anderen Ministerien diskutiert, wie man beispielsweise solche Fehlanreize in Zukunft vermeiden kann? Denn das ist aus meiner Sicht
eine der großen Triebkräfte, die dazu führen, dass immer
noch vor den Toren der Städte Wohngebiete ausgewiesen
werden, wodurch sich die Städte entleeren und weitere
Probleme entstehen.
({0})
Sie haben völlig recht mit Ihrer Bemerkung, dass ich
nicht der Finanzminister bin. So viel steht fest. Ich will
mich auch nicht in seine Belange einmischen. Nur so
viel: Dieses Thema und Fragen der Steuerpolitik werden
diskutiert. Ich will lieber auf meinem Feld bleiben und
deutlich machen, dass auch im Ministerium für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung Instrumentarien entwickelt
werden können, um den innerstädtischen Raum gegenüber der grünen Wiese zu bevorzugen.
Ich spreche die Änderung des Baugesetzbuches Anfang 2007 an, mit der wir die Nutzung von stadtinneren
Brachen gegenüber dem Speckgürtel außerhalb der
Städte wesentlich bevorzugt haben. Um nur ein Beispiel
zu nennen: Die Programme Stadtumbau West und Stadtumbau Ost verändern wir momentan so, dass man den
innerstädtischen Raum, also den Stadtkern, mit Geldern
des Stadtumbaus, die ursprünglich für den Abriss vorgesehen waren, erhalten und aufwerten kann. Auch das ist
eine Reaktion auf das zum Teil schräge und wettbewerbsverzerrende Verhältnis zwischen Region und Stadt.
Vielen Dank. - Die nächste Frage stellt der Kollege
Manfred Grund.
Vielen Dank. - Herr Minister, ich möchte auf die Forschungskapazitäten und Forschungskompetenzen zurückkommen, von denen Sie gesprochen haben und die
auch angefragt gewesen sind - Stichworte: demografische Entwicklung, Bewirtschaftung, Stadt-Umland-Beziehungen. Es ist auch eine Frage zur Organisationsstruktur. Gibt es Vorstellungen in Ihrem Hause, diese
Kapazitäten und Kompetenzen im Bundesbauamt bzw.
in der Bundesbauverwaltung zu bündeln? In welcher
Struktur werden sich in Zukunft diese Kapazitäten befinden?
Sie sind im Bereich Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in der Raumordnung gebündelt. Ich kann Ihnen ein
weiteres Konzept ankündigen: Sie werden bei den Leitlinien der Raumordnung diskutiert. Wir diskutieren zurzeit mit den Raumordnungsministern der Länder - dies
geschah unlängst auf der Bauministerkonferenz in Stuttgart - die Zielrichtung. Die Analyse- und Forschungskapazitäten sind in meinem Haus in den entsprechenden
Abteilungen und Institutionen gebündelt.
Danke. - Dann hat der Kollege Volkmar Vogel die
nächste Frage.
Nein.
Nein? - Dann ist nun Volker Beck dran.
Dass ich nicht Volkmar Vogel bin, steht ebenso fest
wie die Tatsache, dass der Bauminister nicht der Finanzminister ist.
Herr Vogel stand aber auf der Liste der Fragesteller,
und da er seine Frage nicht stellen will, haben Sie nun
das Wort, Herr Beck.
Das ist sehr freundlich, Herr Präsident. Ich bedanke
mich ausdrücklich. - Herr Minister, Sie haben vorhin die
Standpunkte der Sozialdemokratie zur steuerlichen Ausstattung der Kommunen betont. Nun möchte ich wissen,
ob dies darauf hindeutet, dass in Zukunft vorausgesetzt
werden darf, dass die Standpunkte der Bundesregierung
immer eins zu eins mit denen der Sozialdemokratie übereinstimmen. Oder spricht jeder Minister nur noch für
seine Partei? Oder gibt es noch eine kohärente Politik
der Bundesregierung in bestimmten Themenfeldern?
Und wenn ja, in welchen?
Sehr geehrter Herr Präsident, die Zeit reicht nicht aus,
um die kohärenten Felder aufzuzählen.
({0})
Sehr verehrter Herr Beck, erst einmal dürfen Sie davon
ausgehen, dass in dem Zeitraum von Oktober/November
2005 bis heute in einem ganz engen Schulterschluss der
Koalitionsfraktionen, also auch der Ministerinnen und
Minister am Kabinettstisch, die Projekte vorangetrieben
werden. - Das zum Ersten.
Zum Zweiten. In vielen dieser Vorhaben finden sich
natürlich auch Elemente wieder, die ganz besonders von
der Sozialdemokratie in den Vordergrund gestellt werden. Ich darf noch einmal betonen, dass bei der Finanzierung der Städte und Gemeinden der Frage der Gewerbesteuer und insbesondere der Frage der Stabilität der
Gewerbesteuer eine immense Bedeutung zukommt.
Wenn diese Einnahme wegbricht oder in eine andere
Einnahme konvertiert wird, dann droht ein solides Element der Finanzierung der Städte zu fehlen. Dem kann
in diesem Fall die Sozialdemokratie nicht zustimmen.
Aus diesem Grund habe ich dieses Feld erwähnt.
({1})
Lassen Sie mich ein weiteres Feld benennen, nämlich
das abgestimmte Konzept zur Stadtentwicklung und zur
Entwicklung der ländlichen Räume. Auch hier gibt es einen ganz engen Schulterschluss. Also, Ihre Vermutung
- sie klingt meiner Meinung aus Ihrer Frage heraus -,
dass es keine abgestimmte Politik gebe, ist nicht richtig.
Im Gegenteil: Wir sind sehr eng beieinander. Die Koalition und demzufolge auch die Ministerinnen und Minister verantworten die Politik gemeinsam in engem Schulterschluss.
({2})
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung? - Das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? - Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Vielen Dank, Herr Minister Tiefensee, für Ihre Bereitschaft, hier Rede und Antwort zu stehen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksache 16/9029 Die Fragen werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen.
Ich beginne mit dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe Frage 1 der Kollegin Ina Lenke - sie ist anwesend - auf:
Welche konkreten Maßnahmen will die Bundesministerin
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der
Leyen, zur Erweiterung der Väterkomponente ergreifen, und
werden diese eine Ausweitung der Bezugsdauer des Elterngeldes über zwölf Mütter- und zwei Vätermonate hinaus zur
Folge haben, oder sollen die Vätermonate innerhalb der jetzigen Elterngeldzeit und zulasten der Elternzeit der Mutter ausgeweitet werden?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Ich antworte auf die
Frage wie folgt: Zunächst einmal stellen wir fest, dass
Väter Zeit für ihr Kind wollen. Wir, das Ministerium,
wollen, dass ihnen dafür der Rücken gestärkt wird. Dazu
leistet die Väterkomponente des Elterngeldes schon
heute einen starken Beitrag. Lag nämlich der Anteil der
Väter in Elternzeit vor Einführung des Elterngeldes bei
nur 3,5 Prozent, so wurden im vierten Quartal 2007 bereits 12,4 Prozent aller Anträge von Vätern gestellt, und
dieser Anteil wird nach unserer Einschätzung weiter
steigen. Nach Umfragen will rund ein Viertel aller Väter
das Angebot nutzen. Knapp 40 Prozent dieser Väter haben dabei Ende 2007 für mehr als zwei Monate Elterngeld in Anspruch genommen. Nach Umfragen ist auch in
der Wirtschaft die Zustimmung zu einer zeitweiligen
Unterbrechung der Arbeit durch die Väter von 48 Prozent im Jahr 2006 auf nunmehr 61 Prozent gestiegen.
Trotz dieser Erfolge müssen wir feststellen, dass Väter nicht selten auf Vorbehalte treffen, wenn sie sich für
eine längere Elternzeit entscheiden möchten. Hier ist
eine weitere Unterstützung erforderlich. Das Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen hat eine
Ausweitung der Partnermonate in der nächsten Legislaturperiode vorgeschlagen. Wir werden die Umsetzung
dieses Vorschlags prüfen. Dafür ist es jetzt zunächst einmal wichtig - wir haben darüber auch heute Morgen im
Ausschuss mit der Ministerin diskutiert -, die Ergebnisse der derzeit laufenden Evaluation abzuwarten. Erst
wenn wir wissen, wie die Familien vom Elterngeld profitieren, können wir konkrete Maßnahmen planen. Die
Bundesregierung wird, wie schon länger beabsichtigt,
dem Deutschen Bundestag zum 1. Oktober dieses Jahres
einen umfassenden Bericht über die Auswirkungen des
Elterngeldes vorlegen.
Nachfrage? - Frau Lenke.
Herr Staatssekretär, ich verstehe überhaupt nicht,
wieso Sie bis Oktober warten. Frau von der Leyen hat in
der Presse gesagt, dass die Anzahl der Vätermonate ausgeweitet werden soll. Ich habe eine Frage, die alle künftigen Väter und Mütter interessiert. Derzeit können Mütter maximal zwölf Monate lang Elterngeld beziehen und
Väter maximal zwei Monate; das sind insgesamt 14 Monate. Soll die Anzahl der Vätermonate auf maximal vier
ausgedehnt werden können, sodass Mutter und Vater insgesamt maximal 16 Monate lang Elterngeld beziehen
können, oder soll das jetzt bestehende Maximum von
14 Monaten zwischen Vater und Mutter anders aufgeteilt
werden können? Soll es künftig maximal drei Vätermonate und elf Müttermonate geben?
Frau von der Leyen hat gesagt: Es soll eine Diskussion angestoßen werden. Ich denke, die Familienministerin selbst sollte diejenige sein, die dabei die Richtung
vorgibt. Sie brauchen auf nichts mehr zu warten. Sie
wissen ganz genau - Sie haben es eben selbst gesagt -:
Die Vätermonate waren in 2007 und sind auch in diesem
Jahr ein Erfolg. Ich würde gerne wissen, in welche Richtung das Familienministerium jetzt denkt.
Frau Lenke, ich habe es eben bereits gesagt: Es ist auf
der einen Seite richtig, dass wir die Väterbeteiligung
stärken wollen; auf der anderen Seite ist aber auch richtig, was der Vorschlag des Kompetenzzentrums für familienbezogene Leistungen - er war der Ausgangspunkt
für eine öffentliche Verlautbarung; über sämtliche Aspekte ist intensiv diskutiert worden, auch heute im Ausschuss - beinhaltet.
Wir sollten uns Zeit nehmen, bis uns die Auswertungen, wie das Elterngeld tatsächlich wirkt und wer davon
in welcher Weise wie profitiert - wir sind dabei, die entsprechende Datenbasis aufzubereiten -, im Einzelnen
vorliegen. Dann können wir auch über mögliche Varianten diskutieren. Dafür ist aber Voraussetzung, dass wir
beispielsweise präzisere Informationen darüber haben,
wie es sich mit der Erwerbstätigkeit vor der Geburt verhielt, welche Planungen zur Nutzung des Elterngeldes es
vor der Geburt gab und wie die weiteren Planungen und
Wünsche von Familien aussehen. Wir werden wie bisher
internationale Erfahrungen einbeziehen. Ich denke, diese
Zeit sollten wir uns, wie das immer gesagt worden ist,
nehmen. Das wäre ein folgerichtiges Vorgehen. Dann
wird man auch Überlegungen über die Ausgestaltung im
Einzelnen anstellen können.
Zweite Nachfrage, Frau Lenke, bitte.
Herr Staatssekretär, ich gehe nach dem, was Sie hier
erklärt haben, davon aus, dass es keine Ausweitung der
Bezugsdauer des Elterngeldes über die 14 Monate für
Väter und Mütter hinaus geben wird und dass sich die
Ministerin in dieser Legislaturperiode hierzu nicht mehr
äußern wird. Meine Frage lautet jetzt: Habe ich Ihre Antworten damit richtig interpretiert? Wenn nicht, wo sehen
Sie die Unterschiede zwischen dem, was ich eben gesagt
habe, und den beiden Antworten, die Sie mir gerade gegeben haben?
Frau Abgeordnete, Sie haben die Freiheit, die Situation so einzuschätzen, wie Sie wollen, und dann davon
auszugehen. Die Ministerin hat klar gesagt, dass sie davon ausgeht, dass in der nächsten Legislaturperiode die
Väterkomponente gestärkt werden muss. Über konkrete
Modelle - das ist immer eindeutig gesagt worden - kann
man dann reden, wenn die Daten, wer wie im Einzelnen
Elterngeld in Anspruch nimmt, vorliegen. Wir werden
das also tun, wenn wir die entsprechenden Auswertungen vorlegen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Astrid Klug zur Verfügung.
Es geht nun um die Frage 2 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Welche Inhalte und Ziele soll das vom Bundesminister für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Sigmar Gabriel,
angekündigte bilaterale Bioenergieabkommen mit Brasilien
haben, und wo soll das importierte Bioethanol konkret zum
Einsatz kommen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Frau
Kollegin Höhn, Ihre Frage nach einem bilateralen Bioenergieabkommen mit Brasilien beantworte ich wie folgt:
Das von Ihnen in Ihrer Frage angesprochene Abkommen
ist kein Bioenergieabkommen, sondern ein bilaterales
Energieabkommen mit Schwerpunkt bei erneuerbaren
Energien und Energieeffizienz. Das Energieabkommen
soll kommende Woche von der Bundeskanzlerin und
dem brasilianischen Präsidenten unterzeichnet werden.
Beide Vertragsparteien wollen mit dem Abkommen den
Politikdialog, den wissenschaftlichen und technologischen Austausch sowie die Beteiligung des privaten Sektors an gemeinsam entwickelten Initiativen fördern.
Zu den Bereichen der Zusammenarbeit gehören vor
allem die Energieeffizienz und erneuerbare Energien,
aber auch Projekte unter dem Clean-DevelopmentMechanism sowie die Gewinnung von Öl, Kohle und
Gas.
Im Rahmen des Energieabkommens soll auch ein
Dialog über die nachhaltige Produktion von Biotreibstoffen geführt werden, insbesondere über die Entwicklung von internationalen Standards und Zertifizierungssystemen. Bioenergie ist weder per se gut, noch ist sie
per se schlecht; vielmehr muss sich die Produktion von
Bioenergie an ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsstandards messen lassen.
Dieses Thema stand auch im Mittelpunkt der Gespräche, die Minister Gabriel letzte Woche in Brasilien geführt hat. Dabei hat der Bundesumweltminister gegenüber seiner brasilianischen Kollegin und gegenüber
Vertretern des brasilianischen Außenministeriums deutlich gemacht, dass Biokraftstoffe Teil der deutschen
Strategie zum Ausbau der erneuerbaren Energien sind
und auch bleiben, dass in Zukunft aber zur Erfüllung der
Biokraftstoffquote verwendete Biomasse nur akzeptiert
und angerechnet wird, wenn sie nachhaltig angebaut
wurde und eine deutlich positive Klimabilanz aufweist.
Dafür schaffen Deutschland und Europa die notwendigen Instrumente.
Sigmar Gabriel hat die brasilianischen Partner aufgerufen, an der Entwicklung von Nachhaltigkeitskriterien
und Zertifizierungssystemen mitzuwirken, und dafür im
Rahmen des Energieabkommens die Einrichtung einer
Arbeitsgruppe vorgeschlagen, die sehr zeitnah ihre Arbeit aufnehmen soll. Dieser Vorschlag wurde von den
Gesprächspartnern sehr positiv aufgenommen.
Die Abstimmung über die konkrete Formulierung des
Abkommens befindet sich derzeit in der Finalisierung.
Das Abkommen soll, wie gesagt, in der nächsten Woche
unterzeichnet werden.
Nachfrage? - Frau Höhn.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. Ich habe eine
Nachfrage. Minister Gabriel hat sich in Brasilien selber
und nach seiner Rückkehr hier dahin gehend geäußert,
dass die brasilianische Regierung im Grundsatz nachprüfbare Nachhaltigkeitskriterien für die Biomasseproduktion habe. Er ist dafür hart kritisiert worden, zum
Beispiel von dem Umweltexperten der brasilianischen
Bischofskonferenz, Roberto Malvezzi, der gesagt hat,
das sehe vollkommen anders aus: Für zusätzliche Plantagen würden durchaus Regenwälder abgeholzt, und zudem würden viele wie Sklavenarbeiter unter schlimmsten Bedingungen ausgebeutet. In den letzten Jahren habe
sich die Anbaufläche des wichtigen Grundnahrungsmittels Reis zugunsten von Zuckerrohr um die Hälfte reduziert. Dasselbe gelte für schwarze Bohnen; der Preis für
schwarze Bohnen habe sich in Sao Paulo in einem Jahr
um 168 Prozent erhöht. Außerdem vertreibe das Agrobusiness Indiostämme und Kleinbauern und drohe ihnen
sogar mit Mord und Terror.
Wie ist diese Äußerung des Umweltexperten der brasilianischen Bischofskonferenz mit den Äußerungen von
Minister Gabriel vereinbar, dass die Biomasse dort im
Grundsatz nachhaltig angebaut wird?
Sehr geehrte Frau Kollegin Höhn, wir haben uns vor
Ort davon überzeugt, dass Brasilien tatsächlich intensive
Anstrengungen unternimmt, um die Biomasse unter
nachhaltigen Bedingungen zu produzieren. Was das Zuckerrohr für die Bioethanolproduktion angeht, wurde
glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt, dass dies derzeit nicht auf Flächen des Regenwaldes stattfindet und
dass man dafür klare Regelungen geschaffen hat. Nichtsdestotrotz fehlt es in Brasilien natürlich an Kapazität, um
die gesetzlichen Regelungen, die dort geschaffen wurden, zu erfüllen und deren Einhaltung zu kontrollieren.
Wir haben den Brasilianern dabei auch für die Zukunft
Unterstützung angeboten. Das soll ebenfalls Thema des
weiteren Dialoges und der Gespräche im Rahmen der
Arbeitsgruppe sein.
Natürlich müssen, wenn wir den Import von nachhaltig produziertem Bioethanol unterstützen wollen, die Bedingungen nachvollziehbar und kontrollierbar sein. Das
ist Thema des Dialoges und der Gespräche in der Arbeitsgruppe. Nur wenn dies gewährleistet ist, kann in
Zukunft Bioethanol auch aus Brasilien auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden.
Zweite Nachfrage? - Frau Höhn.
Danke. - Ein wichtiger Punkt ist, dass eigentlich kein
Regenwald abgeholzt wird, um Zuckerrohrplantagen zu
schaffen, sondern Zuckerrohrplantagen dort entstehen,
wo vorher Weiden, Kaffeeplantagen oder auch Sojafelder waren, die sich bereits in den Regenwald hineingefressen haben. Im Prinzip ist das also ein Verschiebebahnhof. Deshalb ist die Frage entscheidend, ob alle
Pflanzen mit einbezogen werden, nicht nur die Pflanzen
- wie Zuckerrohr -, die unmittelbar zur Bioenergiegewinnung genutzt werden, sondern der gesamte Anbau;
denn nur so kann dieser Verschiebebahnhof verhindert
werden. Wird also auch zu den Kriterien der Arbeitsgruppe gehören, dass man eine Zertifizierung nicht nur
für Energiepflanzen, sondern für alle Pflanzen schafft,
und wird außerdem der Punkt Sklavenarbeit eine Rolle
spielen? Denn der eben zitierte Bischof sagte auch, Brasilien setze sich dafür ein, dass die Europäische Union
das Verbot von Sklavenarbeit nicht in den Katalog der
Nachhaltigkeitskriterien aufnimmt. Wie steht die Bundesregierung dazu?
Bei der Debatte über die Nachhaltigkeitskriterien und
die Entwicklung der europäischen Nachhaltigkeitsverordnung sollen nach unserer Ansicht - dafür engagieren
wir uns - nicht nur ökologische, sondern auch soziale
Kriterien eine Rolle spielen. Das ist auch in den Gesprächen von Bedeutung. Dazu gehört das Thema der indirekten Landnutzungsveränderung, der Verdrängung von
Landnutzung und der unterschiedlichen Landnutzungen
im Regenwald.
Vielen Dank. - Hans-Michael Goldmann hat eine
weitere Frage.
Frau Staatssekretärin, trifft es zu, dass Greenpeace
Brazil die Nachhaltigkeitsbemühungen bei dem Anbau
in dem Bereich, der hier angesprochen worden ist, ausdrücklich lobt und damit in einem klaren Gegensatz zu
Greenpeace Deutschland steht?
Wir haben vor Ort Gespräche mit lokalen und regionalen Umweltverbänden geführt, auch mit Vertretern
von Greenpeace. Die Vertreterin von Greenpeace hat
ausdrücklich bestätigt, dass zumindest derzeit in der
Bioethanolproduktion in Brasilien, was die Zerstörung
des Regenwaldes angeht, kein Problem gesehen wird.
Ich betone das Wort „derzeit“; denn dass das derzeit
nicht geschieht, heißt nicht, dass es nicht in der Zukunft
ein Problem werden kann. Deshalb engagieren wir uns
für die Nachhaltigkeitskriterien und für funktionierende
Zertifizierungssysteme.
Auch die Umweltverbände vor Ort haben darauf hingewiesen, dass Brasilien mehr Kapazitäten braucht, um
die positiven Gesetze, die es dort gibt, durchzusetzen
und vollziehen zu können.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier sollen die
Fragen 3 und 4 der Kollegin Hirsch schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Es ist vorgesehen, dass die Frage 5 des Kollegen Volker Beck ebenfalls schriftlich beantwortet wird. - Herr Beck, da Sie
anwesend sind, möchte ich Sie fragen, ob Ihre Frage
jetzt mündlich beantwortet werden soll.
({0})
- Gut.
({1})
- Das sieht man Ihnen aber nicht an.
({2})
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Klaus
Brandner zur Verfügung.
Die Frage 6 des Kollegen Ilja Seifert sowie die Fragen 7 und 8 der Kollegin Brigitte Pothmer sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Bodo Ramelow auf:
Welche Definition verwendet die Bundesregierung für den
bestehenden arbeitsrechtlichen Sonderstatus - dritter Weg für die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände, und trifft diese
Definition des Tendenzschutzes auch auf die bestehenden
Leiharbeiterfirmen der Kirchen zu?
Danke sehr, Herr Präsident. - Herr Abgeordneter
Ramelow, die Kirchen verfügen, wie Sie wissen, über
das sogenannte kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Dieses Recht hat seine Grundlage in Art. 140 des Grundgesetzes, der wiederum auf die Weimarer Reichsverfassung verweist. Danach können die Kirchen ihre
Dienstverfassung in bestimmten rechtlichen Grenzen
selbst regeln.
Das kirchliche Arbeitsrecht gilt für die sogenannte
verfasste Kirche, also für die eigentliche Kirchenorganisation, und für privatrechtliche Organisationen, die als
Wesens- und Lebensäußerung der Kirchen gelten - zum
Beispiel die Caritas und die Diakonie.
Nachfrage, Herr Kollege Ramelow? - Bitte.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich stelle diesen
Sonderstatus gar nicht infrage. Mir geht es eher um die
Abgrenzung der innerhalb des Sonderstatus angelegten
Arbeitsverhältnisse, die auch für Caritas und Diakonie
gelten. Wo nimmt die Bundesregierung diese Abgrenzung vor, wenn kirchliche Träger bzw. deren Tochteroder Enkelgesellschaften über Leiharbeitsverhältnisse
verfügen? Fällt das wiederum unter den dritten Weg?
Herr Kollege Ramelow, lassen Sie mich zunächst etwas zum dritten Weg sagen, basierend auf dem gerade
von mir angesprochenen verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, die demnach
berechtigt sind, dem Inhalt der in ihrem Bereich geschlossenen Arbeitsverträge das besondere Leitbild der
kirchlichen Dienstgemeinschaft zugrunde zu legen.
Die als sogenannter dritter Weg bezeichnete Regelung
der allgemeinen Beschäftigungsbedingungen, also eine
von einer mit Vertretern der Dienstgeber und Dienstnehmer besetzten Kommission beschlossene Dienstvertragsordnung bzw. arbeitsvertragliche Richtlinie, stellt nur
eine der möglichen Varianten zur Ausgestaltung kirchlicher und karitativer Arbeitsverhältnisse dar.
Auch die einseitige Festlegung der Arbeitsbedingungen durch den Dienstgeber oder der Abschluss tariflicher
Vereinbarungen mit Gewerkschaften wäre von dem
Selbstbestimmungsrecht erfasst. Zudem obliegt es der
Religionsgemeinschaft selbst, darüber zu befinden, inwieweit sie die rechtlich selbstständigen, im staatskirchlich-rechtlichen Sinn aber zu ihr gehörenden sozialen
Werke an dem Selbstbestimmungsrecht und damit auch
an den in diesem Rahmen getroffenen Regelungen teilhaben lässt.
({0})
Es ist also letztlich Bestandteil der Kirchenverfassung.
Sie fragen weiter nach den Leiharbeitsunternehmen.
Es existieren kirchliche Verleihunternehmen, die Leiharbeitnehmer unter anderem für die Bereiche Pflege, ambulante Dienste, Hauswirtschaft, Gebäudereinigung und
Haustechnik anbieten. Teilweise haben kirchlich-karitative Einrichtungen eigene Verleihunternehmen gegründet, was in der Regel dazu führt, dass nicht die in einem
kirchenrechtlichen Verfahren festgesetzten Arbeitsbedingungen gelten, sondern die in der Leiharbeitsbranche
üblichen Bedingungen. Im Kirchenbereich wird, wie Sie
wissen, als Ursache der Kostendruck im sozialen Sektor
aufgeführt. Man muss aber klar sagen, dass diejenigen
Bedingungen Anwendung finden, die in der Leiharbeitsbranche üblich sind.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Verstehe ich Sie richtig, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass, wenn kirchliche Träger als Leiharbeitsfirmen auftreten, die Standards der Leiharbeitsbranche anzuwenden sind?
Sie haben richtig verstanden, dass im Bereich der Verleihunternehmen, die gegründet worden sind, also in den
outgesourcten Bereichen, und die über den normalen
kirchlichen Beschäftigungsgrad hinaus Beschäftigung
organisieren, die branchenüblichen Regelungen Anwendung finden.
Dann kommen wir zur Frage 10 des Kollegen
Ramelow:
Würde angesichts des arbeitsrechtlichen Sonderstatus der
Kirchen - dritter Weg -, der sich aus dem Art. 140 des Grundgesetzes herleitet, ein Mindestlohn - gesetzlicher oder branchenspezifischer nach dem Entsendegesetz - aus Sicht der
Bundesregierung auch für Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände gelten?
Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Ramelow, im Rahmen der geplanten Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes haParl. Staatssekretär Klaus Brandner
ben Tarifvertragsparteien ihr Interesse daran bekundet,
Pflegetätigkeiten in der ambulanten und stationären Altenpflege in den Geltungsbereich des Gesetzes aufzunehmen. In dieser Branche sind, wie Sie wissen, auch
kirchliche Arbeitgeber tätig. Daher stellen sich im Rahmen der Prüfung, ob die Branche in den Geltungsbereich
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes aufgenommen werden soll, besondere Rechtsfragen im Zusammenhang mit
dem Sonderstatus der Kirchen. Ich muss Ihnen mitteilen,
dass die Prüfung, inwiefern die Anwendung konkret
stattfindet, noch nicht abgeschlossen ist.
Nachfrage, Herr Ramelow? - Bitte.
Herr Staatssekretär, Ihnen wird die Diskussion zwischen der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen,
AcU, und dem Verband diakonischer Dienstgeber in
Deutschland, VdDD, einerseits und andererseits zum
Beispiel der Diakonie in Bayern sicherlich bekannt sein.
Die Diakonie in Bayern hat sich ausdrücklich für Mindeststandards, für gesetzliche Mindestlöhne ausgesprochen und widerspricht damit den beiden kirchlichen Arbeitgeberverbänden.
Jetzt höre ich von Ihnen, dass die Prüfung noch nicht
abgeschlossen ist. Als jemand, der sowohl Christ ist als
auch den Sonderweg vom Grundsatz her für akzeptabel
und richtig hält - aber nicht dann, wenn er die Mindeststandards der gesamten Branche zerstört -, frage ich Sie,
ob im Rahmen der Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit, also dann, wenn Tarifverträge als allgemeinverbindlich erklärt werden sollen, nicht zumindest die Arbeitnehmerzahl im Rahmen dieses Sonderweges, der in
der Frage beschrieben worden ist und von Ihnen noch
einmal umrissen wurde, herausgerechnet werden müsste,
die bei der Errechnung der Halbdeckung zugrunde gelegt wird. Denn wer einen gesetzlichen Sonderstatus
nutzt, kann nicht anschließend gegen diejenigen ausgespielt werden, die die Mindeststandards nach Tarifverträgen abgesichert haben möchten.
Herr Abgeordneter Ramelow, ich habe Ihnen gesagt,
dass die Prüfung der Interessenbekundungen der Bereiche, die die Pflegedienstleistungen in den Geltungsbereich des Entsendegesetzes aufnehmen und zu einer
entsprechenden Mindestlohnregelung kommen wollen,
noch nicht abgeschlossen ist. Ich möchte Ihnen aus meiner Position sagen, dass es wichtig und richtig ist, dass
Mindeststandards, die gesetzlich vereinbart worden sind
und nicht rein kollektivrechtlicher Natur sind, auch im
kirchlichen Bereich Anwendung finden müssen.
Weitere Nachfrage? - Bitte.
Ich darf aber für heute festhalten, dass diejenigen Arbeitsverhältnisse, die es im Bereich der Leiharbeitsfirmen und im Bereich des sogenannten dritten Weges gibt,
nach der Auffassung der Bundesregierung mindestens
dem Standard der Leiharbeitsbranche unterliegen müssen?
Das ist richtig, Herr Abgeordneter Ramelow.
({0})
Danke schön, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Ursula Heinen zur Verfügung.
Die Fragen 11 und 12 der Kollegin Happach-Kasan
sollen schriftlich beantwortet werden.
Deswegen kommen wir zur Frage 13 des Kollegen
Dr. Edmund Peter Geisen:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass mit dem
Ende der Milchquote 2015 die milchproduzierenden Betriebe
in Deutschland gestärkt werden können, da sie von den bisherigen Milchquotenpreisen befreit werden und stärker von den
weltweiten Agrarmärkten profitieren können?
Kollege Geisen, ohne Frage würden bei einem Wegfall der Quotenregelung insbesondere Betriebe mit einem hohen Anteil an gepachteten Quoten und wachstumswillige Betriebe entlastet. Andererseits kommt die
Europäische Kommission nach den von ihr vorgelegten
Modellrechnungen zu dem Ergebnis, dass der Wegfall
der Quotenregelung einen Rückgang der Milcherzeugerpreise zur Folge hätte, wodurch die mit einer Quotenabschaffung verbundenen Mengen- und Kostenentlastungseffekte im Durchschnitt überlagert würden. Nicht zuletzt
deshalb verbindet die Bundesregierung ein Auslaufen
der Milchquotenregelung mit der Forderung nach einer
Flankierung durch gezielte struktur- und förderpolitische
Maßnahmen.
Eine Nachfrage, Kollege Geisen.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ist der Bundesregierung bekannt, dass die Milchviehhaltung an Standorten mit Dauergrünland sehr klimafreundlich ist, weil dadurch CO2-Senken erhalten werden, wo
sehr viel CO2 in Humus und Pflanzenmaterial gebunden
wird? Welche Maßnahmen der Bundesregierung sollen
ein Abwandern der Milchproduktion aus diesen Regionen verhindern?
Zweitens. Müsste die Milch- und Rindviehhaltung in
den Dauergrünlandregionen nicht verstärkt werden, weil
sie im Interesse des Klimaschutzes liegt? Welches Konzept hat die Bundesregierung diesbezüglich?
Lieber Kollege Dr. Geisen, Sie wissen, dass wir zurzeit in sehr intensiven Beratungsprozessen stehen. Auch
im Ministerium wird darüber gesprochen, welche Optionen wir im Bereich der Milchwirtschaft in Zukunft haben. Die Fragen, die Sie zu Recht angesprochen haben
und deren Bedeutung Sie hervorgehoben haben, gehören
zu den Fragen, über die diskutiert wird. Wir werden Sie
wie immer sehr zeitnah über die Ergebnisse informieren.
Zweite Nachfrage.
Ich habe gleich zwei Fragen gestellt. Die zweite Frage
lautete: Müsste die Milch- und Rindviehhaltung in den
Dauergrünlandregionen aufgrund des Klimaschutzeffektes nicht verstärkt werden? Ich habe nach einem Konzept
gefragt. Ich habe also zwei Fragen gestellt.
Herr Präsident! Lieber Kollege Dr. Geisen, meine
Antwort umfasste beide Fragen, die Sie gestellt haben.
Wir diskutieren über all dies sehr intensiv; das wissen
Sie. Wir besprechen diese Themen ja auch immer wieder
im Ausschuss. Wir werden zeitnah zu Ergebnissen kommen.
Eine weitere Frage des Kollegen Goldmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegin Staatssekretärin Heinen, Sie haben gesagt, dass Sie über das
alles sehr intensiv diskutieren. Ich habe eine einfache
Frage: Diskutieren Sie auf der Basis, dass wir 2015
keine Milchquote mehr haben?
Zunächst geht es darum, was heute, morgen und in
den nächsten Jahren passiert. Es ist klar, dass die Milchquote im Jahr 2015 ausläuft, so die Kommission keinen
anderen Vorschlag vorlegt. Sie kennen die Position der
Bundesregierung dazu. Ich hätte diese Position gerne
mündlich dargelegt, aber die Fragen der Kollegin
Happach-Kasan werden schriftlich beantwortet. Wir sagen, dass das Ganze mit einer vernünftigen strukturpolitischen Begleitung zu erfolgen hat.
Ich sage noch einmal ganz deutlich: Uns geht es darum, was heute und in den nächsten Jahren mit der
Milchwirtschaft und den Milchbauern passiert. Sie wissen, dass wir in Brüssel gegen die Quotenaufstockung
um 2 Prozent gekämpft haben, aber leider unterlegen
sind. Sie wissen, dass wir uns mit diesen Fragen befassen. Erst einmal geht es aber um den Health-Check, um
das, was heute ansteht, und nicht um das, was im
Jahr 2015 ansteht.
Jetzt kommen wir zur Frage 14 des Kollegen Geisen:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass ein staatliches
Mengenregulierungssystem wie die Milchquote künftig noch
kompatibel mit der marktwirtschaftlichen Weiterentwicklung
der Gemeinsamen Agrarpolitik in Europa ist?
Zu dieser Frage möchte ich grundsätzlich anmerken,
dass die Milchquote nach wie vor mit den Zielen der
Gemeinsamen Agrarpolitik vereinbar ist. Die Frage ist
vielmehr, ob und inwieweit ein Mengenregulierungssystem unter den sich abzeichnenden globalpolitischen
Rahmenbedingungen - Beispiele: weiterer Abbau des
Außenschutzes, Wegfall von Exporterstattungen - noch
wirksam zur Erreichung dieser Ziele beitragen kann und
ob das System unter diesen Bedingungen noch politische
Akzeptanz bei den EU-Mitgliedstaaten findet.
Nachfrage, Herr Geisen?
Vielen Dank, Herr Präsident. - Frau Staatssekretärin,
ist der Bundesregierung bekannt, dass ein Arbeitsplatz in
der Milchviehhaltung sehr hohe Investitionskosten in
Höhe von circa 500 000 bis 1 Million Euro erfordert, auf
langfristige Finanzierung bzw. Abschreibungen angelegt
ist und politischer Rahmenbedingungen bedarf, die langfristige Planungssicherheit geben? Wenn ja, zu welchem
Zeitpunkt können Sie den betroffenen Landwirten die
zukünftigen Rahmenbedingungen darstellen und klare
Aussagen dazu machen, oder können Sie schon jetzt
Hinweise geben?
Lieber Kollege Dr. Geisen, Sie wissen - ich muss
noch einmal auf das von vorhin zurückkommen -, dass
wir uns sehr intensiv mit diesen Fragen befassen. Uns ist
sehr wohl bewusst, dass die Milchquote im Jahr 2015
ausläuft. Wir haben gesagt: Wir möchten das mit strukturpolitischen Maßnahmen begleitet wissen. Sie wissen
darüber hinaus, dass die Milchwirtschaft in bestimmten
Regionen dazu beiträgt, dass sich Tourismus entwickeln
kann, dass es dort überhaupt noch eine Landwirtschaft
gibt und dass sich einige besondere Vorteile ergeben.
Wir diskutieren zurzeit in der Europäischen Kommission im Rahmen der Gesundheitsüberprüfung über die
Entwicklung der Milchwirtschaft. Am 20. Mai 2008 wird
es entsprechende Vorschläge geben. Diese Vorschläge
werden wir im Detail besprechen und darüber diskutieren. Wir sind sehr froh, dass wir uns hinsichtlich des
Soft-Landing durchsetzen konnten, sodass es eine vernünftige Übergangsmöglichkeit für die Milchviehbetriebe gibt.
Weitere Nachfrage?
Ich möchte noch einmal fragen, ob Sie einen Zeitpunkt in Aussicht stellen können, wann die Rahmenbedingungen bekannt sein werden. Wir hatten erwartet,
dass es bis Ende 2008 der Fall sein wird.
Bis dahin haben wir noch ein paar Monate Zeit. Die
ersten Vorschläge kommen zum 20. Mai 2008. Das
heißt, in wenigen Wochen werden wir intensiv darüber
sprechen. Dann wird das eine oder andere im Detail wesentlich genauer bekannt sein, während wir heute nur
spekulieren können.
Weitere Frage des Kollegen Goldmann.
Frau Staatssekretärin, Sie haben soeben das Bild gezeichnet, dass Sie bestimmte Dinge jetzt, also 2008, machen, anderes wollen Sie 2011 und vielleicht 2013 machen. Ich kann die Logik im Zusammenhang mit der
Diskussion über das Ende der Milchquote nicht ganz erkennen. Deswegen stelle ich die ganz konkrete Frage:
Geht die Bundesregierung davon aus und wird sie aktiv
darauf hinarbeiten, dass 2015 die Milchquote auslaufen
wird?
Lieber Kollege Goldmann, Sie sind schon länger im
landwirtschaftlichen Geschäft als ich und wissen, dass
wir nicht darauf hinwirken können, dass die Milchquote
ausläuft.
({0})
Die Milchquote läuft automatisch aus, es sei denn, die
EU-Kommission macht einen Vorschlag zur Verlängerung derselben. Es ist hier also etwas anders. Es liegt
weniger in unserer Hand als in der Hand der Kommission. Die Kommissarin hat angekündigt, dass sie - jedenfalls nach heutigem Stand - keinen Vorschlag zur
Verlängerung der Milchquote machen wird. Die deutsche Position ist, dass wir uns die heutigen Entwicklungen auf dem Milchmarkt sehr genau ansehen und sagen:
Wir können gerade kleine Betriebe nicht alleine lassen.
Es geht uns vielmehr darum, das mit vernünftigen Begleitmaßnahmen zu unterstützen.
Kollege Goldmann, ich sage noch einmal ganz deutlich: Es liegt in der Hand der Kommission, zu entscheiden, wie hier verfahren wird. Deshalb weise ich darauf
hin: Es geht um eine Entscheidung im Jahr 2015. Wie
sich die Kommission bis dahin zusammensetzt und mit
welchen Ansprüchen sie antritt, können wir vom Status
quo, Mai 2008, nicht genau sagen.
Nachfrage?
Ich habe noch eine Nachfrage. - Frau Kollegin
Heinen, was Sie hier als Antwort konstruieren, ist nicht
in Ordnung. Die Situation ist eine andere. Ich denke, der
deutsche Milchbauer hat einen Anspruch darauf, zu wissen, was seine Regierung in dieser Frage macht. Es ist
völlig richtig, wenn Sie feststellen, dass es eine derzeit
geltende Kommissionsentscheidung gibt. Aber die Frage
ist, ob diese Kommissionsentscheidung noch einmal infrage gestellt wird. Daher stelle ich an die Regierung die
Frage: Wird die Bundesregierung darauf hinarbeiten,
dass die Quote 2015 ausläuft, oder wird sie darauf hinarbeiten, dass es einen neuen Kommissionsbeschluss gibt?
Ich finde, die deutschen Milchbauern haben einen Anspruch auf eine Antwort auf diese Frage.
Erster Punkt: Ich stimme Ihnen zu. Aber ich sage
noch einmal ganz deutlich: Wir werden die Themen
dann entscheiden müssen, wenn sie zur Entscheidung
anstehen. Jetzt steht gerade die Gesundheitsüberprüfung
vor der Tür. Wir müssen überlegen, wie wir hier im Bereich Milch weiter vorgehen, Stichwort Soft-Landing;
das habe ich vorhin gesagt.
Zweiter Punkt: Die Milchquote läuft im Jahr 2015 aus,
weil es einen entsprechenden Beschluss gibt, der nur von
der Kommission selber geändert werden kann. Die deutsche Position - das ist glasklar - ist, dass für uns so etwas
nur infrage kommt, wenn es entsprechende Begleitmaßnahmen gibt; das habe ich bereits mehrfach gesagt. Ich
betone es noch einmal: Für uns ist entscheidend, dass es
Begleitmaßnahmen gibt, wenn die Milchquote ausläuft,
aber auch, wenn es um weitere Quotenaufstockungen
geht, die vielleicht vorgesehen sind.
Herr Goldmann, dann kommen wir zu Ihrer zweiten
Frage, der Frage 16.
Die Frage 15 wurde noch nicht aufgerufen, Herr Präsident, aber ich will dem Kollegen nicht vorgreifen.
Ich habe die zweite Frage des Kollegen Goldmann
schon als Nachfrage zu der Frage 15 verbucht. Deswegen habe ich ihm großzügigerweise eine Nachfrage genehmigt, die ihm gar nicht mehr zustand. Das war mein
Fehler. Vielleicht können Sie sich jetzt etwas kürzer fassen.
({0})
Es freut mich natürlich, dass der Kollege Goldmann
keine weiteren Nachfragen stellen wird, obwohl es mich
schon reizen würde, mit ihm in einen weiteren Diskurs
zum Thema Milch einzusteigen.
Ich rufe nun die Frage 15 des Kollegen Goldmann
auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass der Staat direkt
auf Preise wie zum Beispiel den Milchpreis Einfluss nehmen
sollte und, falls ja, in welcher Form?
Ich möchte kurz grundsätzlich ausführen, dass es unbestritten eine gewisse Sonderstellung der Landwirtschaft gibt. So haben die Gemeinsame Agrarpolitik der
EU und die sie ausfüllende gemeinsame Agrarmarktorganisation unter anderem zum Ziel, der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung zu
gewährleisten und die Märkte zu stabilisieren. In den
marktordnungsrechtlichen Regelungen zu Milch und
Milcherzeugnissen in der Verordnung über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte sind daher Mechanismen vorgesehen, die auf eine gewisse Preisabsicherung ausgerichtet sind.
Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass entsprechende Instrumente mit dieser Zielsetzung auch in
Zukunft auf dem Milchmarkt als Sicherheitsnetz aufrechterhalten werden sollten. Davon abgesehen ist der
Staat in einem marktwirtschaftlichen System gefordert,
die Erhaltung eines funktionierenden und ungehinderten,
möglichst vielgestaltigen Wettbewerbs auch im Bereich
der Landwirtschaft sicherzustellen.
Eine Nachfrage, Kollege Goldmann?
Ja, ich bitte um eine Antwort auf meine Frage. In der
Frage heißt es: „in welcher Form“. Dazu haben Sie
nichts gesagt. Sie haben erklärt, das könne man so oder
so sehen. Die Frage ist ganz einfach: Wollen Sie Einfluss
auf die Milchpreise nehmen oder nicht? Wenn Sie das
tun wollen, dann müssen Sie sagen, in welcher Form.
Ansonsten können Sie sagen: Ich beantworte die Frage
nicht.
Lieber Kollege Goldmann, ich fand, dass ich die
Frage sehr umfassend beantwortet habe. Die Milchpreise
sind etwas anderen Regelungen unterworfen, als dies bei
den Preisen anderer Produkten der Fall ist, weil es sich
hier um ein agrarwirtschaftliches Produkt handelt. Ihre
Frage zielt darauf - das haben Sie schon heute Morgen
im Ausschuss meinem Kollegen Gerd Müller angekündigt -, was davon zu halten ist, wie sich im Moment die
Milchpreise im Handel entwickeln. Dazu kann ich Ihnen
nur sagen, dass wir das, was zurzeit im Handel mit den
Milchpreisen passiert, klar ablehnen.
({0})
Jetzt gebe ich Ihnen noch das Wort zu einer Nachfrage, weil auch mich die Antwort interessiert.
Der Herr Staatssekretär Müller hat Sie ein wenig
falsch informiert. Wir haben über einen anderen Markt
gesprochen, und den will ich jetzt auch ansprechen. Sind
Sie auch dafür, dass es auf dem Markt für Schweinefleisch demnächst staatlich festgelegte Preise gibt? Im
Moment geht es den Schweinezüchtern bescheiden.
Darf ich Sie daran erinnern, Kollege Goldmann, dass
wir, um den Schweinehaltern zu helfen, im vergangenen
Jahr die private Lagerhaltung ermöglicht haben und somit indirekt in die Preisgestaltung eingegriffen haben?
Jetzt kommen wir zur Frage 16 des Kollegen
Goldmann:
Wie bewertet die Bundesregierung die Wirkung des Gesetzes zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis zur Verhinderung sogenannter Dumpingpreise bei Milch?
Es ist zunächst festzustellen, dass diese Regelung gerade einmal vier Monate in Kraft ist, dass wir also noch
nicht über einen großen Erfahrungsschatz verfügen.
Nach Auskunft des Bundeskartellamtes waren allerdings
seit der Verkündung der Novelle am 21. Dezember des
vergangenen Jahres viel mehr Beschwerden wegen behaupteter Verstöße gegen das Verbot des Verkaufs unter
Einstandspreis zu verzeichnen.
Wir schließen aus diesem Tatbestand, dass sich die
Aufmerksamkeit der Beteiligten im Hinblick auf den
vom Verbot erfassten Sachverhalt deutlich erhöht hat.
Bereits dadurch wird dem Gesetzeszweck Rechnung getragen. Dem steht nicht entgegen, dass die Beschwerden
bislang nicht zur Einleitung förmlicher Verfahren geführt haben.
Eine Nachfrage, Kollege Goldmann?
Ja. - Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt: Die Wirkung des Gesetzes ist bereits dadurch gegeben, dass es mehr Beschwerden gibt.
({0})
Das ist aber nicht die Lösung des Problems.
Wie Sie wissen, gab es einen aktuellen Anlass. Discounter haben Milch zu sehr niedrigen Preisen angeboten. Dagegen haben die Bauern intensiv demonstriert.
Das Vorgehen der Discounter ist als Beleg dafür angesehen worden, dass das Gesetz zum Verbot des Verkaufs
unter Einstandspreis nicht zum Tragen kommt. Sind Sie
der Auffassung, dass das, was hier passiert ist, mit diesem Gesetz in Einklang stand, oder sind Sie der Meinung, damit ist der Beweis dafür erbracht worden, dass
dieses Gesetzes wirkungslos ist?
Zunächst einmal: Ich traue mir grundsätzlich nicht zu,
jetzt sozusagen aus der Hüfte heraus die Frage zu beantworten, ob der Handel in diesem Fall tatsächlich unter
Einstandspreis verkauft hat. Wir gehen allerdings davon
aus, dass es sich um eine derartige Preisgestaltung handelte. Wir haben unsere Stellungnahmen dazu abgegeben, und wir erwarten, dass entsprechende Verfahren
eingeleitet werden.
Eine weitere Nachfrage? - Nein.
Es gibt eine weitere Frage der Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, der Minister hat damals gesagt,
dass er ein Gesetz zum Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis auf den Weg bringen wird, damit in Zukunft
verhindert werden kann, dass Hingucker, zum Beispiel
Schokolade oder Milch - das sind ja die klassischen Produkte -,
({0})
zu Preisen unterhalb des Einkaufspreises angeboten werden. Damals habe ich dem Minister vertraut, dass das,
was er sagt, auch stimmt. Wie konnte es passieren, dass
Lidl und Aldi trotzdem, wie Sie zu Recht gesagt haben,
Milch unter Einstandspreis verkauft haben, wenn es
doch jetzt ein Gesetz gibt, das den Verkauf unter Einstandspreis verbietet?
Es handelte sich hierbei nicht um ein Lockvogelangebot; auch das muss man leider deutlich sagen.
({0})
Es war nicht so, dass die Milch an nur einem Tag zu einem bestimmten Preis angeboten wurde; wir haben es in
der Vergangenheit schon oft kritisiert, wenn zum Beispiel Elektromärkte für manche ihrer Produkte solche
Angebote gemacht haben.
Vielmehr handelte es sich um Preisabsprachen, die
Aldi, Lidl und andere Discounter mehrmals im Jahr mit
ihren Lieferanten treffen. Die Molkereien bzw. die Lieferanten haben den vereinbarten Preisen zugestimmt.
Frau Höhn, wir stehen jetzt in der Tat vor der Aufgabe,
zu überprüfen, inwieweit die Einstandspreise unterboten
worden sind.
Wir kommen jetzt zur Frage 17 der Kollegin Höhn:
Ist die Verordnung zur Kennzeichnung „Ohne Gentechnik“ am 1. Mai 2008 in Kraft getreten, und, falls nicht, wann
ist damit voraussichtlich zu rechnen?
Ich muss leider sagen, dass diese Verordnung nicht in
Kraft getreten ist, sondern dass wir sie, wie im Gesetzgebungsverfahren mitgeteilt worden ist, in Brüssel zur Notifizierung vorlegen mussten. Kurz vor Ende der Stillhaltefrist Ende April dieses Jahres hat ein Land eine
Stellungnahme gegen die geplante Kennzeichnungsregelung abgegeben.
Nun wird sich der beamtete Staatssekretär des Ministeriums mit dem betreffenden Land ins Benehmen setzen, um auszuloten, ob wir die Bedenken, die von diesem Land geäußert wurden, zügig ausräumen können.
Wenn das gelingt, besteht die Chance, dass diese Regelung schon in der nächsten oder übernächsten Fassung
des Gesetzblattes steht. Andernfalls müssen wir noch
drei Monate warten, bis auch diese Frist abgelaufen ist.
Ich kann Ihnen also sagen: Die Verordnung wird spätestens nach drei weiteren Monaten in Kraft treten.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, auf EU-Ebene sollen drei neue
gentechnisch veränderte Pflanzen genehmigt werden. Im
Zusammenhang mit dieser Genehmigung haben mehrere
Umweltverbände, unter anderem der BUND und Greenpeace, eine grundlegende Reform des Zulassungsverfahrens auf EU-Ebene gefordert. Wird sich die Bundesregierung für eine Verbesserung - nicht für eine
Beschleunigung, sondern für eine wirkliche inhaltliche
Verbesserung - des Zulassungsverfahrens in Brüssel einsetzen?
Ich danke Ihnen für diese Frage sehr herzlich. Wir
sind ebenfalls der Auffassung, dass das Zulassungsverfahren so, wie es in Brüssel zurzeit gehandhabt wird,
nicht unseren Vorstellungen entspricht. Herr Minister
Seehofer hat bereits mehrfach angekündigt, dass er sich
in Brüssel für eine Änderung dieses Verfahrens einsetzen
wird. Es kann nicht sein, dass je nach politischer Haltung
der Regierung eines Mitgliedstaats über die Zulassung
von Importen oder den Anbau unterschiedlich entschieden wird. Hierfür muss es klarere Regeln und Kriterien
geben.
Eine zweite Nachfrage, Frau Höhn.
Frau Staatssekretärin, für nicht zugelassene gentechnisch veränderte Pflanzen gilt die sogenannte Nulltoleranz. Das heißt, diese Pflanzen dürfen nirgendwo auftauchen, da sie weder genehmigt noch zugelassen sind. Nun
hat der Minister angekündigt, dass diese Nulltoleranz bei
Futtermitteln gelockert werden solle. Ist die Bundesregierung auch für eine Lockerung dieser Nulltoleranz,
also dafür, dass Spuren von nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen im Futtermittel erlaubt sein
sollen? Wie wird sich die Bundesregierung dazu positionieren?
Wir haben uns zu dieser Frage noch nicht endgültig
positioniert. In diesem Zusammenhang weise ich darauf
hin, dass wir immer wieder vor folgendem Problem stehen: Wenn ein Unternehmen beispielsweise gentechnikfreies Soja aus irgendeinem Land importiert und dieses
Soja in Schiffscontainern in einen deutschen Hafen
kommt, in denen vorher bei uns nicht zugelassenes gentechnisch verändertes Soja transportiert wurde, dann
kann es in diesem Soja trotz gründlichster Reinigung
Spuren geben. Zurzeit überprüfen wir, ob Möglichkeiten
bestehen, durch direkt im Exporthafen installierte Analysemethoden Rückstände oder Spuren festzustellen.
Wir haben allerdings noch nicht endgültig darüber entschieden, wie wir mit diesem Problem umgehen werden.
Eine weitere Frage des Kollegen Dr. Geisen.
Frau Staatssekretärin, mich interessiert, welches Land
Widerstand gegen das Inkrafttreten der Verordnung geleistet hat.
Polen.
Eine weitere Frage stellt der Kollege Goldmann.
Frau Staatssekretärin, stimmen Sie mit mir darin
überein, dass die Verordnung zur Kennzeichnung „Ohne
Gentechnik“, parlamentarisch ausgedrückt, unaufrichtig
ist? Im Alltag würde ich davon sprechen, dass sie verlogen ist, weil in den Produkten - sogar in ökologischen
Produkten - bis zu 0,9 Prozent gentechnisch veränderte
Substanzen enthalten sein dürfen. Können Sie sich vorstellen, dass man ein Lebensmittel auf den Markt bringt,
das 0,9 Prozent Alkohol enthält und auf dem „Ohne Alkohol“ steht?
Sehr geehrter Kollege Goldmann, Sie wissen, dass ich
in dieser Frage absolut nicht mit Ihnen übereinstimme.
Wir haben mit der Ohne-Gentechnik-Kennzeichnung einen großen Fortschritt für die Verbraucherinnen und Verbraucher erreicht, im Übrigen auch für das produzierende Gewerbe, etwa für Hühnerfleisch produzierende
Unternehmen, die jetzt erklären können, dass es sich
wirklich um Tiere ohne Gentechnik handelt, wenn sie
mit gentechnikfreiem Futtermittel gefüttert sind und es
ansonsten keine gentechnischen Veränderungen gibt.
Da ist doch Gentechnik drin!
Da ist keine Gentechnik drin.
Herr Goldmann, Ihr Fragerecht ist erschöpft.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Heinen.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für Gesundheit sollen alle Fragen - die Fragen 18 und 19
des Kollegen Straubinger sowie die Frage 20 des Kollegen Dr. Seifert - schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht Herr Staatsminister Dr. Gernot Erler zur Verfügung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Die Fragen 21 und 22 des Kollegen Gehrcke sollen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 23 der Kollegin Kerstin
Müller:
Was unternimmt die Bundesregierung zur Umsetzung der
bestehenden Sanktionen der VN und EU, die unter anderem
gegenüber den im Ostkongo aktiven Milizen der Forces
Démocratiques de Libération du Rwanda, FDLR, bestehen,
und was unternimmt sie speziell gegenüber ihrem in Deutschland lebenden Präsidenten Dr. Ignace Murwanashyaka, der offensichtlich weiterhin unbehelligt politisch tätig sein kann,
obwohl er sogar namentlich auf den Sanktionslisten von VN
und EU geführt wird und unter der Auflage steht, sich in
Deutschland politisch nicht zu betätigen?
Frau Kollegin Müller, die Antwort der Bundesregierung lautet: Die in den Resolutionen 1596 ({0}) und
1807 ({1}) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
genannten Reise- und Finanzsanktionen gegen
Dr. Ignace Murwanashyaka wurden umgesetzt und bestehen fort. Für den Bereich der Finanzsanktionen erfolgt dies durch unmittelbar geltende EG-Verordnung.
Mit Resolution 1804 des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen vom 13. März 2008 sind alle Mitgliedstaaten
dazu aufgerufen worden, Maßnahmen in Betracht zu ziehen, um jegliche von ihrem Staatsgebiet ausgehende Unterstützung der FDLR, der noch vorhandenen Mitglieder
der Hutu-Miliz aus dem Genozid 1994 - Interahamwe sowie der damaligen ruandischen Armee zu unterbinden.
Die zuständigen Landesbehörden haben ein Verbot
der politischen Betätigung gemäß § 47 des Aufenthaltsgesetzes für Dr. Ignace Murwanashyaka ausgesprochen.
Bei Zuwiderhandlung sieht das Gesetz Geld- oder Freiheitsstrafe vor.
Aufgrund von Hinweisen auf politische Betätigung
- es gab beispielsweise ein Interview mit der BBC, ein
offenes Schreiben an den Bundespräsidenten und ein offenes Schreiben an den Präsidenten der Friedenskonferenz in Goma - wurde von den zuständigen Behörden
ein Ermittlungsverfahren nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 des
Aufenthaltsgesetzes eingeleitet. Der Sicherheitsrat der
Vereinten Nationen wurde über die in Deutschland getroffenen Maßnahmen gegen Dr. Ignace Murwanashyaka unterrichtet.
Eine Nachfrage.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, dass auch die
Bundesregierung und die zuständigen Landesbehörden
inzwischen davon ausgehen bzw. festgestellt haben, dass
der Präsident der FDLR, Herr Murwanashyaka, von hier
aus weiterhin den brutalen Kampf der FDLR im Ostkongo organisiert, jener FDLR, die nach Berichten von
Human Rights Watch und anderer NGOs für beispiellos
massenhafte Vergewaltigungen verantwortlich ist und
sozusagen das Hauptproblem für eine friedliche Entwicklung darstellt?
Ich habe Ihnen geschildert, was unsere Erkenntnisse
sind. Wir haben deutliche Belege dafür, dass Herr
Murwanashyaka gegen das Verbot der politischen Betätigung verstößt. Deswegen ist die Staatsanwaltschaft
Mannheim, die zuständig ist, tätig geworden, und es
läuft ein Ermittlungsverfahren.
Ich habe eine weitere Frage. Die FDLR, deren Chef
Herr Murwanashyaka ist, tötet und quält im Kongo mit
dem Ziel, politischen Einfluss und Mitsprache im Nachbarland Ruanda zu erzwingen, sie stiftet Unfrieden und
heizt den Konflikt an. Ist all das nicht Anlass genug, die
FDLR als terroristische Organisation einzustufen und sie
zu verbieten? Gibt es dazu Gespräche auf der Ebene der
Europäischen Union?
Ich habe schon geschildert, dass es Sanktionen gibt
und dass diese Sanktionen von uns unterstützt und umgesetzt werden.
Aber es ist ja nicht so, dass die Bundesregierung sozusagen -
Entschuldigen Sie, Frau Müller, wir kommen gleich
zur Frage 24.
Zuvor möchte allerdings der Kollege Nachtwei eine
Frage stellen. Bitte schön.
Herr Staatsminister, Sie sagten, dass die Bundesregierung den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über
Sanktionen unterrichtet hat. Wie können Sie sich dann
erklären, dass bei einem Besuch der SADC-Parlamentariergruppe im MONUC-Hauptquartier in Goma vor
drei Wochen von irgendeiner Sanktionierung durch die
Bundesrepublik nichts bekannt war?
Ich bin mir nicht sicher, ob die Vereinten Nationen
von dieser Information insofern Gebrauch machen, als
sie auch die SADC-Gruppe darüber informieren. Wir haben die Vereinten Nationen jedenfalls über das eingeleitete Verfahren unterrichtet, weil wir großen Wert darauf
legen, dass wir in diesem Fall zusammenarbeiten. Was
die Vereinten Nationen mit dieser Information machen,
entzieht sich unserer Kenntnis.
Jetzt kommen wir zur Frage 24 der Kollegin Kerstin
Müller:
Welche Strategie verfolgt die Bundesregierung zur Stabilisierung und Befriedung der Demokratischen Republik Kongo,
vor allem des Ostkongo und Ruandas mit Blick auf die zentrale Problematik der FDLR?
Frau Kollegin Müller, die Antwort lautet: Gemäß dem
Nairobi-Abkommen vom 9. November 2007 zwischen
den Regierungen der Demokratischen Republik Kongo
und Ruandas soll die Region durch eine Kombination diplomatischer, politischer, sozio-ökonomischer und militärischer Maßnahmen befriedet und stabilisiert werden.
Das Problem der Anwesenheit der FDLR im Ostkongo,
insbesondere ihre Demobilisierung, soll vorwiegend mit
nicht militärischen Mitteln angegangen werden; denn
das Abkommen kann nur dann Wirkung zeigen, wenn
die Demokratische Republik Kongo und Ruanda die
Umsetzung als gemeinsame Aufgabe ansehen und das
bestehende Misstrauen gemindert wird.
Eine Kooperation zwischen den Regierungen der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas sowie mit
der FDLR-Führung ist unbedingt notwendig. Hierzu hat
die Bundesregierung den Präsidenten der Republik
Ruanda, Dr. Paul Kagame, bei seinem Besuch Ende
April in Deutschland gedrängt. Die Bundesregierung
sieht in der Umsetzung des Nairobi-Abkommens den geeigneten Weg zur Stabilisierung und Befriedung der Region.
Die Bundesregierung unterstützt den EU-Sonderbeauftragten für die Region der Großen Seen, Roeland van
de Geer, in seinem Dialog mit den verschiedenen Parteien sowie als Vertreter der Europäischen Union in den
Umsetzungsgesprächen hinsichtlich des Nairobi-Abkommens. Die Bundesregierung unterstützt auch die beiden EU-Missionen EUPOL und EUSEC RD Congo, da
ohne eine Reform des Sicherheitssektors eine dauerhafte
Stabilisierung nicht möglich ist.
Ebenso unterstützt die Bundesregierung die seit 1999
im Kongo eingerichtete UN-Friedensmission MONUC.
Diese spielt eine wichtige Rolle bei der Absicherung der
Friedensverhandlungen im Osten des Landes und zum
Schutz der Bevölkerung. Ihre Experten für Menschenrechte und Justizaufbau leisten wichtige Beiträge zur
Aufarbeitung der Verbrechen und zur Verfolgung der
Verantwortlichen.
Die Demokratische Republik Kongo ist seit Februar
2008 Partnerland der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit. Als potenzielles Partnerland erhielt die Demokratische Republik Kongo bislang etwa 20 Millionen
Euro pro Jahr für Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie WieczorekZeul, sagte nach ihrem Besuch im Mai 2007 darüber hinaus einen Friedensfonds in Höhe von 50 Millionen Euro
zu, der vor allem für den Wiederaufbau, auch im Osten,
genutzt werden wird.
Eine Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Erler, vor allem für die Darstellung
der zivilen Maßnahmen und der Unterstützungsmaßnahmen durch die Bundesregierung.
Mit meiner Frage habe ich noch einmal gezielt auch
auf die FDLR-Milizen abgestellt. In einer Antwort auf
Fragen des Kollegen Paech haben Sie am 5. Mai 2008,
also erst kürzlich, geantwortet, dass auch die Bundesregierung die Anwesenheit der FDLR-Milizen als das
Hauptproblem des Konflikts im Ostkongo einschätzt.
Deshalb hierzu meine Nachfrage: Wie genau stellt sich
die Bundesregierung gemeinsam mit den Partnern eine
Entwaffnung vor? Wie kommen Sie zu der Einschätzung, dass dies allein mit nicht militärischen Mitteln erreicht werden kann?
Frau Kollegin Müller, das ist nicht irgendeine Einschätzung, sondern das ist im Grunde genommen der
Sinn dieser beiden Abkommen, des Nairobi-Abkommens und - für eine andere Region - des Goma-Abkommens. Durch die Zusammenarbeit zwischen den beiden
Ländern, zwischen der Demokratischen Republik Kongo
und Ruanda, und auch durch eine Zusammenarbeit mit
der FDLR soll eine Beendigung der Tätigkeit der FDLR
im Ostkongo erreicht werden. Das setzt aber voraus,
dass ein Rückzug nach Ruanda ermöglicht wird und dass
gewisse Reintegrationsmaßnahmen durchgeführt werden. Dies alles war auch Gegenstand unserer bilateralen
Bemühungen mit Präsident Kagame.
Eine weitere Nachfrage.
Wie ich aus eigener Anschauung weiß, sind offensichtlich weder MONUC noch die kongolesische Regierungsarmee fähig, die freiwillige Entwaffnung der
FDLR zu befördern, selbst wenn man die Einrichtung
von Demobilisierungscamps und die Möglichkeit der
Aufnahme zur Vorbedingung macht. Das erfolgt nämlich
bereits seitens der ruandischen Regierung. Meines Erachtens ist die freiwillige Entwaffnung gescheitert. Wird
darüber diskutiert, ob es dort auch militärischer Maßnahmen bedarf? Gibt es seitens der Vereinten Nationen oder
auf EU-Ebene entsprechende Anfragen, und gibt es
Überlegungen zum Einsatz einer EU-Battle-Group, um
die Entwaffnung im Ostkongo voranzutreiben?
Frau Kollegin Müller, ich glaube, Sie haben Ihre
Frage schon selber beantwortet. Sie haben festgestellt,
dass es vor Ort auf militärischer Ebene niemanden gibt,
Dr. h. c. Staatsminister Gernot Erler
der die Entwaffnung der FDLR vornehmen könnte. Wir
haben zwar 19 000 bewaffnete Kräfte im Rahmen von
MONUC, die aber offensichtlich nicht dazu in der Lage
sind - insofern teile ich Ihre Auffassung -, einen solchen
Akt vorzunehmen.
Eine weitere Frage des Kollegen Nachtwei.
Herr Staatsminister, Sie machten die unterstützenswerte Mitteilung, dass die Bundesregierung EU-Missionen wie EUSEC zur Reform des Sicherheitssektors und
EUPOL zur Polizeireform unterstützt. Wie ist es angesichts dessen erklärbar, dass zu EUPOL kein Beamter
entsandt wird, dass für EUSEC nur einmal für einige
Monate ein Computerspezialist eingesetzt wurde und
dass seit 2006 bei MONUC keine prominente deutsche
Platzierung mehr existiert?
Herr Kollege Nachtwei, diesen Fragen bin ich auch
bei einem Besuch vor Ort nachgegangen. Auf die Frage,
warum es keine deutsche Beteiligung an EUPOL gibt,
gibt es eine ganze Reihe von Antworten. Dazu gehört,
dass wir zu wenig französischsprachige deutsche Polizeispezialisten haben, die wir in das Land schicken können. Diese Antwort habe ich auch vor Ort bekommen.
Was EUSEC angeht, kann ich eine ergänzende Mitteilung machen. Es handelt sich nicht mehr um eine einzige
Person; vielmehr haben wir eine Erweiterung auf fünf
Bundeswehrangehörige beschlossen, die allerdings aus
Gründen der internen Organisation von EUSEC noch
nicht umgesetzt worden ist. Aber wir haben damit unseren guten Willen deutlich gemacht, in erweitertem Umfang Verantwortung zu übernehmen.
Die Frage 25 der Kollegin Marieluise Beck wurde zurückgezogen.
Wir kommen zur Frage 26 des Kollegen Rainder
Steenblock:
Warum ist die Bundesrepublik Deutschland bei den EUMinisterratssitzungen während der 16. Legislaturperiode des
Deutschen Bundestages bei den beim Europäischen Rat in Sevilla 2002 festgelegten neun Ratsformationen so unregelmäßig auf Ministerebene vertreten ({0})?
Die Antwort der Bundesregierung auf Ihre Frage lautet wie folgt: Die Bundesrepublik Deutschland war und
ist bei Ratstagungen während der 16. Legislaturperiode
grundsätzlich auf Ministerebene vertreten. In Ausnahmefällen konnten die Bundesministerinnen und Bundesminister aufgrund anderer wichtiger Termine auf nationaler oder internationaler Ebene die Ratssitzungen nicht
persönlich wahrnehmen. Wie in der Geschäftsordnung
des Rates aber ausdrücklich vorgesehen, können sie bei
diesen Ratssitzungen vertreten werden. Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier,
war bei 27 von 28 Ratssitzungen persönlich anwesend.
Ihre Nachfrage, Herr Steenblock.
Herr Staatsminister Erler, Sie haben gerade darauf
hingewiesen, dass der Außenminister fast immer teilgenommen hat. Das Justiz- und das Innenministerium
waren bis auf ein einziges Mal bei allen Ratssitzungen
vertreten. Im Verkehrs-, Telekommunikations- und Energierat war Deutschland immer auf Ministerebene vertreten, genauso wie im Umweltbereich. Aber Deutschland
war während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft so
gut wie nie im Landwirtschaftsrat durch einen Minister
vertreten. Deutschland war im Wettbewerbsrat viermal
nicht vertreten und war auch im Wirtschafts- und Finanzrat häufig nicht vertreten. Wenn ich Ihre Antwort
richtig interpretiere, dann bedeutet das, dass alle Minister, insbesondere der Außenminister, keine anderen
wichtigen Termine haben, während der Landwirtschaftsminister ständig woanders unterwegs ist - zum Beispiel
weil er in Deutschland die Bauerntage besuchen muss -,
sodass er Termine, die den vergemeinschafteten Bereich
der Europäischen Union betreffen, in dem 40 Prozent
des gesamten Geldes ausgegeben werden, leider nicht
wahrnehmen kann. Habe ich Sie so richtig verstanden?
Herr Kollege Steenblock, was Sie beobachten, ist insofern richtig, als es offensichtlich eine unterschiedliche
Handhabung der Brüsseler Termine gibt. Das hängt allerdings auch damit zusammen, dass man häufig im politischen Alltag mit dem Problem konfrontiert wird - das
kennen Sie bestimmt -, dass es verschiedene wichtige
Anfragen gibt, dass man sich aber für eine entscheiden
muss, weil man nicht mehrere Termine gleichzeitig
wahrnehmen kann. Die Tagesordnungen sind zudem in
ihrer Bedeutsamkeit unterschiedlich. Offensichtlich gibt
es Kollegen im Kabinett, die in bestimmten Fällen entscheiden, dass andere Verpflichtungen wichtiger sind,
und ihren Staatssekretär nach Brüssel schicken. Das
sieht die Geschäftsordnung des Rates ausdrücklich so
vor. Die inhaltliche Bedeutung der Tagesordnungen
spielt also eine Rolle und wird bei den Entscheidungen
berücksichtigt.
Eine weitere Nachfrage, bitte.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, dass es
wichtig wäre, dass der zuständige deutsche Minister in
einem so bedeutsamen Bereich wie dem der Landwirtschaft, in dem fast 50 Milliarden Euro ausgegeben werden - in der Fragestunde wurde gerade deutlich, dass
alles auf europäischer Ebene entschieden wird -,
Deutschland vertritt? Das gilt auch für die anderen Bereiche, in denen sich die Fehlzeiten der deutschen Minister häufen. Das sind insbesondere der Wirtschafts- und
der Binnenmarktbereich, in denen aus meiner Sicht deutsche Interessen zentral wahrgenommen werden müssen.
Die Bedeutung der Themen kann nichts damit zu tun haben, dass die Minister so häufig patzen.
Geben Sie mir recht, dass die beiden Minister, die bei
Ministerräten am wenigsten tätig sind, der CSU angehören und dass das vielleicht etwas damit zu tun haben
kann, dass die europäischen Entscheidungsgremien die
CSU mit ihrer europakritischen Haltung nicht interessieren? Oder haben Sie eine andere Erklärung, warum es
gerade die beiden CSU-Minister sind, die sich an der Arbeit der Ministerräte wenig bzw. gar nicht beteiligen?
Herr Kollege Steenblock, es ist mir ein persönliches
Anliegen, Ihnen in den meisten Fällen irgendwie zuzustimmen. Aber hier fällt es mir etwas schwer; denn Sie
versuchen, mit kreativer Fantasie eine Begründung dafür
zu finden, warum offensichtlich die beiden gerade genannten Minister - hier will ich Ihnen nicht widersprechen - bei den Ratstagungen seltener persönlich erscheinen als andere. Aber ich möchte Sie auf etwas
hinweisen, auf das ich Sie schon am 1. April schriftlich
aufmerksam gemacht habe
({0})
- die Antwort ist trotzdem ernst gemeint -, nämlich dass
es eine Zusammenfassung von Sachthemen in sogenannten Formationen gibt. Hieran sind mehrere Ministerien
beteiligt. In Brüssel ist man daher zufrieden, wenn ein
Minister aus der entsprechenden Formation anwesend
ist. Wir können belegen, dass das praktisch immer der
Fall war und dass auf diese Weise immer eine adäquate
Vertretung der Bundesregierung dort gegeben war. Sie
haben zwar das finanzielle Volumen des Agrarsektors
richtig beschrieben. Aber Sie wissen sehr gut, dass es
nicht bei jeder Tagung um die Vergabe hoher Milliardenbeträge geht.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
zur Verfügung.
Die Frage 27 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 28 der Kollegin Stokar von
Neuforn:
Welche konkreten Sicherheitserkenntnisse haben die Bundesregierung dazu veranlasst, ein Datenaustauschabkommen
mit den USA zu paraphieren, das in Art. 12 des Abkommens
zusagt, „personenbezogene Daten, aus denen die Rasse oder
ethnische Herkunft, politische Anschauungen, religiöse oder
sonstige Überzeugungen oder die Mitgliedschaft in Gewerkschaften hervorgehen oder die die Gesundheit und das Sexualleben betreffen …“, an die Geheimdienste der USA zu liefern?
Frau Kollegin, die Antwort lautet: Das am
11. März 2008 paraphierte deutsch-amerikanische Abkommen betrifft den Informationsaustausch zur Verhinderung und Verfolgung schwerwiegender Kriminalität
und soll hierbei nach dem Verständnis der Vertragsparteien die polizeiliche Zusammenarbeit regeln. Art. 12
des Abkommens, auf den Sie sich berufen, stellt eine
Schutzvorschrift für als besonders sensibel erachtete personenbezogene Daten dar, die Sie ausdrücklich erwähnen. Für die in Art. 12 genannten Datenkategorien gelten
besondere Anforderungen im Hinblick auf die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Datenübermittlung.
Art. 12 beinhaltet folglich eine zusätzliche Hürde für die
Übermittlung solcher sensiblen Daten. Bei dem in
Art. 12 enthaltenen Katalog sensibler Daten handelt es
sich um einen Standardkatalog, der sich so oder so ähnlich in zahlreichen nationalen und internationalen
Rechtstexten wiederfindet, beispielsweise in § 3 Abs. 9
in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Nr. 2 Bundesdatenschutzgesetz, Art. 6 des Übereinkommens des Europarats vom
28. Januar 1981 über den Schutz des Menschen bei der
automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten
sowie Art. 11 USA-Eurojust-Abkommen und Art. 6
USA-Europol-Abkommen.
Eine Nachfrage, Frau Kollegin.
Herr Staatssekretär, dem Parlament wird dieses Abkommen nach wie vor nicht zur Verfügung gestellt. Wir
erfahren nur aus der Presse, was in den einzelnen Artikeln steht. Es beruhigt mich nicht, dass Sie sagen, für
Daten wie zum Beispiel denen über eine Mitgliedschaft
in einer Gewerkschaft gebe es bestimmte Schutzvorkehrungen. Meine Frage an Sie lautet: Von welchen Sicherheitsbehörden in Deutschland und in welchen Dateien
werden überhaupt Erkenntnisse über die Mitgliedschaft
in einer Gewerkschaft - um nur einen dieser Punkte herauszugreifen - erhoben?
Die Frage der Verfügbarkeit dieser Daten würde sich
jeweils im Einzelfall stellen. Ich will auf Folgendes aufmerksam machen: Dass Art. 12 in dieses Abkommen,
das Ihnen spätestens im Rahmen der Ratifikation vorgelegt wird, aufgenommen wird, bedeutet, dass man gerade bei dieser Kategorie der von Ihnen angesprochenen
Daten nur bei Vorliegen einer besonderen Relevanz von
einer Übermittlung ausgehen kann. Die Entscheidung
über die besondere Relevanz, die eine solche Übermittlung ermöglicht, trifft der Übermittler und nicht der
Nachfragende.
Eine weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich bemühe mich ernsthaft, das
zu verstehen; deswegen meine Nachfrage. Sie schließen
im Rahmen eines deutschen Sonderwegs unabhängig
von europäischen Verhandlungen ein Datenschutzabkommen mit den USA ab. In diesem Datenschutzabkommen sagen Sie zu, dass wir dann, wenn es besonders
relevant für die Bekämpfung des Terrorismus ist, den
USA Daten über die Mitgliedschaft von deutschen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern in Gewerkschaften
liefern. Deswegen meine Frage: Haben Sie bereits Erkenntnisse - Sie können nicht etwas liefern, was Sie gar
nicht haben -, oder haben Sie vor, in Zukunft solche Daten zu erheben, damit Sie Ihr Versprechen der Lieferung
an Amerika erfüllen können?
Frau Kollegin, die Frage, die Sie jetzt stellen, reicht in
die Frage 29 hinein. Ich will auf das grundsätzliche
Missverständnis hinweisen, das aus Ihrer Frage hervorgeht. Wir haben diese personenbezogenen Daten besonderer Kategorie in Art. 12 deshalb erwähnt, weil für den
Fall einer Nachfrage oder einer Übermittlung ein besonderer Begründungsbedarf und eine besondere Relevanz
bestehen muss. Das heißt, wir gehen von einer besonderen Schutzwürdigkeit der Kategorien von Daten aus, die
Sie angesprochen haben.
Dann kommen wir zu Frage 29 der Kollegin Stokar
von Neuforn:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Daten über
die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft in irgendeinem relevanten Zusammenhang mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus stehen?
Diese Frage steht in engem Zusammenhang mit der
vorhergehenden Frage.
Sie kann so generell und abstrakt nicht beantwortet
werden, da sie sich auf künftige Fallgestaltungen bezieht. Sie dürfte jedoch allenfalls in sehr seltenen Ausnahmefällen tatsächlich eine Rolle spielen, beispielsweise dann, wenn Anschlagsplanungen gegen oder von
einer Person bekannt geworden sind, zu deren Identität
nur bestimmte Anhaltspunkte - darunter womöglich eine
bestimmte Gewerkschaftsfunktion - vorliegen.
Abgesehen davon ist nochmals festzuhalten, dass
Art. 12 des Abkommens eine Schutznorm gerade für solche Daten darstellt.
Eine Nachfrage?
Ja, eine konkrete Nachfrage. - Da Sie in Ihrer Formulierung im Gegensatz zum Parlament, das nur Ja oder
Nein sagen kann, völlig frei sind, frage ich Sie: Warum
schreiben Sie in das Abkommen nicht einfach hinein:
„In Deutschland werden Daten über die Mitgliedschaft
in Gewerkschaften aus guten Gründen nicht erhoben.
Deswegen können wir solche Daten nicht liefern.“?
Vielleicht können Sie nachvollziehen, dass es zu Irritationen führt, wenn Sie ein Abkommen schließen, in
dem sinngemäß steht: Nur wenn es besonders relevant
für die Zwecke der Verfolgung des Terrorismus ist, liefern wir auch Daten über die Mitgliedschaft in Gewerkschaften. - Das ist doch für keinen normalen Menschen
nachzuvollziehen. Schließen Sie diese Datenlieferung
aus, weil solche Daten - ich hoffe, das ist richtig - in
Deutschland nicht erhoben werden?
Frau Kollegin, ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen: Das grundsätzliche Missverständnis
liegt darin, dass Sie Art. 12 nach wie vor als eine besondere Befugnisnorm interpretieren. Es ist aber eine besondere Schutzvorschrift für Daten, die nach unseren Datenschutzbestimmungen richtigerweise als sehr sensible
Daten zu betrachten sind.
Weitere Nachfrage?
Ja, ich habe noch eine grundsätzliche Frage. Es ist ja
bekannt, dass die Europäische Union aufgrund der Erfahrungen mit der Weitergabe von EU-Fluggastdaten
und der Urteile des Europäischen Gerichtshofs mit den
USA darüber verhandelt, unter welchen besonderen datenschutzrechtlichen Bedingungen Daten zwischen Europa und den USA ausgetauscht werden. Warum geht
Deutschland hier einen Sonderweg mit einem Datenschutzstandard, der weit unterhalb des Datenschutzstandards des Vertrages von Prüm liegt? Sie produzieren genau mit diesem Vorgehen die Irritationen, die sich aus
meinen - und nicht nur meinen - Fragen ergeben.
Frau Kollegin, ich glaube, wir werden auch im Zuge
des Ratifikationsverfahrens noch darüber diskutieren,
dass gerade dieses Abkommen in Anlehnung an den Vertrag von Prüm zustande gekommen ist - das kommt übrigens auch in der Präambel zum Ausdruck - und dass es
genau aus diesem Grunde unangemessen ist, es als einen
Sonderweg zu bezeichnen.
({0})
Vielen Dank. - Jetzt kommen wir zur Frage 30 der
Kollegin Petra Pau. Sie soll schriftlich beantwortet werden.
Dann sind wir schon bei Ihnen, Herr Wieland, und der
Frage 31:
Wie will das Bundesministerium des Innern bei der im
Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vorgesehenen Kompetenz des Bundeskriminalamts, BKA, in Privatwohnungen heimliche Videoaufzeichnungen zu machen,
den Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensführung gewährleisten?
Die Antwort lautet: Die Vorschrift zur Wohnraumüberwachung aus § 20 h des BKAG-E enthält in Abs. 5
eine Regelung zum Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Diese gilt sowohl für die sogenannte
akustische als auch für die sogenannte optische Wohnraumüberwachung. Die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 3. März 2004 werden dabei
berücksichtigt.
Die Maßnahme darf danach nur angeordnet werden,
sofern eine Prognose dahin gehend zu treffen ist, dass
mit der Maßnahme Äußerungen, die den Kernbereich
der persönlichen Lebensgestaltung betreffen, nicht erfasst werden. Die Prognose muss sich dabei auf tatsächliche Anhaltspunkte, insbesondere auf die Art der zu
überwachenden Räumlichkeit und das Verhältnis der zu
überwachenden Personen zueinander, stützen.
Bestehen bei Durchführung der Maßnahme Zweifel,
ob Inhalte den Kernbereich privater Lebensgestaltung
erfassen werden, darf lediglich eine automatische Aufzeichnung fortgeführt werden, welche anschließend unverzüglich dem zuständigen Gericht zur Entscheidung
über die Verwertbarkeit und Löschung der Daten vorzulegen ist. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird mit dieser Regelung ebenso wie die Praxistauglichkeit der Maßnahme umfassend gewährleistet.
Nachfrage, Kollege Wieland?
Ja. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Sie haben hier
dankenswerterweise den Text des Gesetzentwurfs vorgetragen. Die Frage war: Wie will die Bundesregierung
den Schutz des Kernbereichs der Privatsphäre praktisch
sicherstellen? Ich darf ein Beispiel bringen. Der Kollege
Edathy, geschätzter Vorsitzender des Innenausschusses,
wurde in einem Interview mit dem Berliner Sender Radio Eins gefragt, ob er sich morgens bekleidet oder unbekleidet die Zähne putzt. Er brach das Interview daraufhin mit dem Satz „Was soll der Scheiß?“ ab. Er war also
offenbar der Ansicht, dass schon diese Frage seine Privatsphäre verletzt. Was sollen die Beamten des BKA
tun, wenn sie mit einer Videokamera in einer solchen Situation Aufnahmen in einem Badezimmer machen?
Herr Kollege Wieland, ich weiß jetzt nicht, mit welcher Ernsthaftigkeit Sie diese Frage gestellt haben.
({0})
Ich will zunächst einmal darauf aufmerksam machen,
dass es zur Abgrenzung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung eine, wie ich meine, umfängliche Rechtsprechung gibt, die das Bundeskriminalamt, dem dann
entsprechende Zuständigkeiten übertragen werden, natürlich respektieren wird.
Ich mache zum anderen darauf aufmerksam, dass der
Sachverhalt angesichts der analogen Regelungen in den
Landespolizeigesetzen nicht neu ist. Insofern stellen Sie
hier mit Blick auf eine vom Gesetzgeber übertragene
neue Zuständigkeit des Bundeskriminalamtes Fragen,
auf die es in der Rechtspraxis schon Antworten gibt.
Kollege Wieland?
Ich habe noch eine Nachfrage, Herr Präsident.
Bitte.
Eine Passage dieses Gesetzentwurfs lautet:
Ist das Abhören und Beobachten nach Satz 2 unterbrochen worden, so darf es unter den in Satz 1 genannten Voraussetzungen fortgeführt werden.
Ich frage jetzt wieder ganz praktisch und ganz drastisch
- diese Frage treibt uns seit Jahren um; sie wurde nie
durch die Rechtsprechung beantwortet; die Rechtsprechung hat dazu geführt, dass in Privatwohnungen gar
nicht mehr abgehört wurde -: Das Stöhnen beginnt, der
Beamte schaltet seine Wanze aus oder seine Videokamera ab. Wann schaltet er sie wieder ein? Von welchen
Erfahrungswerten geht die Bundesregierung aus?
Herr Kollege Wieland, mit Ihrer Frage deuten Sie an,
dass wir eine sehr abwechslungsreiche parlamentarische
Beratung des Entwurfes eines BKA-Gesetzes haben
werden.
({0})
Möglicherweise werden wir uns auf zahlreiche derartige
Detailfragen einstellen müssen.
Von der Sache her kann ich nur darauf aufmerksam
machen, dass die Zuweisung neuer Kompetenzen an das
Bundeskriminalamt, die ein Ergebnis der Föderalismusreform ist, zur Beantwortung dieser Frage keine neuen
prinzipiellen Regelungssachverhalte und Regelungsprobleme nach sich gezogen hat. Ich fände es interessant,
wenn wir bei der parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs über all diese Fragen noch einmal im Einzelnen redeten und die Debatte detailliert führten. Ich
gehe davon aus, dass wir mit dem BKA-Gesetz ein modernes Polizeigesetz haben werden, das den letzten
Stand der Erkenntnis widerspiegelt.
Wir kommen jetzt zur Frage 32 des Kollegen
Wieland:
Welche erwarteten Ergebnisse des Instruments der Rasterfahndung haben das Bundesministerium des Innern bewogen,
es im Entwurf eines Gesetzes zur Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt als
Kompetenz für das BKA aufzunehmen, und wieso geht die
Bundesregierung davon aus, dass dieses Instrument in Zukunft bessere Ergebnisse bringen wird als in der Vergangenheit?
Insbesondere bei der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus kommt der Identifizierung von
Angehörigen terroristischer Zellen eine entscheidende
Bedeutung zu.
Hierbei stehen den Sicherheitsbehörden oft nur
bruchstückhafte Erkenntnisse zur Verfügung. Bei der
Abwehr drohender Gefahren kommt es entscheidend
darauf an, diese Erkenntnisse zusammenzuführen. Hierfür soll das Bundeskriminalamt mit den notwendigen
Befugnissen ausgestattet werden. Die Rasterfahndung ist
hierbei ein wichtiges Instrument. Können geeignete Rastermerkmale ermittelt werden, kann die Rasterfahndung
einen entscheidenden Beitrag zur Identifizierung relevanter Personen oder zu weiteren Ermittlungsansätzen
leisten. Die Polizeigesetze der Länder enthalten ebenso
wie die Strafprozessordnung aus diesen Gründen Regelungen zur Rasterfahndung.
Nach dem 11. September 2001 ist in allen 16 Bundesländern eine Rasterfahndung nach sogenannten
Schläfern nach dem jeweiligen Polizeirecht durchgeführt
worden. Das BKA hatte mangels eigener Befugnis keine
Rasterfahndung durchführen dürfen, sondern hat die
Länder in seiner Zentralstellenfunktion lediglich unterstützt. Die Ergebnisse der jeweiligen Rasterfahndungen
wurden im BKA zusammengeführt.
Im Rahmen der Neuausrichtung der Aufgaben des
BKA nach § 4 a BKAG-E „Abwehr von Gefahren des
internationalen Terrorismus“ ist es bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen und Erforderlichkeit nunmehr geboten, eine Rasterfahndung - und nicht 16 Rasterfahndungen wie nach dem 11. September 2001 zentral vom BKA zu initiieren und durchzuführen.
Nachfrage?
Ja. - Die Rasterfahndung nach dem 11. September
führte dazu, dass die Daten von Hunderttausenden gerastert wurden, wie wir wissen, ohne jeden Erfolg, ohne einen einzigen Treffer. Warum soll das Mittel denn nun
effektiver werden, wenn es zusätzlich - die Länderbefugnisse fallen ja nicht weg - nun auch vom BKA angewandt wird? Sie müssten doch begründen, warum eine
weitere Befugnis zur Anwendung eines Instruments gegeben werden soll, das sich in der Vergangenheit als völlig stumpf erwiesen hat.
Herr Kollege Wieland, ich kann Ihre Einschätzung,
dass sich das Instrument als völlig stumpf erwiesen hat,
nicht teilen. Die, wie ich denke, im Jahre 2004 durchgeführte Evaluierung durch einschlägige Spezialisten hat
erwiesen, dass sich im Zuge von Rasterfahndungen
durchaus auch wertvolle Ermittlungsansätze ergeben haben. Nur so ist es ja zu begründen, dass dieses Instrument über die Zeit in den landesgesetzlichen Regelungen
und in der Strafprozessordnung erhalten geblieben ist.
Was die Erweiterung der Zuständigkeit über die Kompetenz der Landespolizeien hinaus betrifft, habe ich in
meiner Antwort versucht, deutlich zu machen, dass es im
Falle zentraler Ermittlungsansätze gerade von Vorteil
sein kann, wenn das BKA gewissermaßen als eigenständig erhebende Behörde Ermittlungen vornehmen kann
und ihm nicht wie nach dem 11. September 2001 nur
eine Funktion als Zentralisierungsbehörde zukommt.
Eine weitere Frage bezieht sich auf die Daten, über
die meine Kollegin Stokar von Neuforn, bezogen auf das
Abkommen mit den USA, eben Auskunft begehrte. Sie
vertreten ja immer die Ansicht, wir würden dieses Abkommen verkennen. Ich denke, das ist nicht der Fall;
denn die Daten dürfen übermittelt werden, wenn auch
nur unter bestimmten erhöhten Voraussetzungen.
Wenn ich nun das BKA-Gesetz, um das es hier geht,
richtig lese, muss ich die Schlussfolgerung ziehen, dass
es überhaupt keinen Schutz davor gibt, dass bei einer
Rasterfahndung auch nach all diesen Daten wie Sexualleben, Gewerkschaftszugehörigkeit oder Rasse gerastert
wird. Dabei ist mir völlig unklar, was mit Rasse gemeint
ist, und ich weiß nicht, welcher Rasse ich zum Beispiel
nach Ansicht der Bundesregierung angehöre. Vielleicht
gibt es ja auch einmal eine Aufklärung über die Begriffe,
die man in Abkommen schreibt.
Warum ist denn nun ein solcher Schutz bei der Rasterfahndung nicht vorgesehen?
Herr Kollege Wieland, ich weiß nicht, was Ihnen Anlass zu dem Misstrauen gibt, dass wir uns mit dem BKAGesetz außerhalb der grundrechtlich garantierten Datenschutzvorkehrungen bewegen. Dafür gibt es aus meiner
Sicht keinen Anlass.
({0})
Die Erwähnung des von Ihnen zitierten Paragrafen ist jedenfalls eine Auslegung, die - auch was die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten betrifft - unberechtigte Ängste weckt.
({1})
Frau Stokar hat eine weitere Frage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, eine Nachfrage, da Sie hier um
Vertrauen für die Bundesregierung werben, die sich an
die Verfassung halte. Ist Ihnen bekannt, dass es in jüngster Zeit mindestens fünf Urteile des Bundesverfassungsgerichts gegeben hat, in denen Ihnen jedes Mal um die
Ohren gehauen wurde, dass das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht eingehalten wurde und dass
man - ob mit Onlinedurchsuchung, Telekommunikationsüberwachung, Videoüberwachung oder dem Großen Lauschangriff, auch damals zur Rasterfahndung sowohl durch die Verabschiedung der Gesetze als auch
durch deren Anwendung in den vergangenen Jahren
ständig Verfassungsrecht gebrochen hat? Ist Ihnen diese
Tatsache bekannt?
Frau Kollegin Stokar, wir haben die Verfassungsgerichtsurteile natürlich mit großer Aufmerksamkeit zur
Kenntnis genommen. Ich lege aber großen Wert darauf,
dass keines dieser Urteile ein Gesetz betrifft, das unter
der Federführung des Bundesinnenministeriums in dieser Wahlperiode entstanden ist. Sie sprechen über Landesgesetze in Nordrhein-Westfalen und anderes. Es handelt sich jedes Mal um einen sehr bedeutsamen
Sachverhalt, den man gerade als Verfassungsministerium sehr ernst nehmen muss. Aber der Fairness halber,
auch gegenüber dem Urteil, bitte ich, zur Kenntnis zu
nehmen, dass keines der Urteile ein Gesetz betrifft, das
unter der Federführung des Bundesinnenministeriums
unter der Leitung von Bundesinnenminister Schäuble
zustande gekommen ist.
({0})
Die Fragen 33 und 34 der Kollegin Dağdelen sollen
schriftlich beantwortet werden. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl
zur Verfügung.
Die Frage 35 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 36 der Kollegin Dr. Barbara
Höll:
Welche Konsequenzen ergeben sich nach Ansicht der
Bundesregierung aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Februar 2008 zur steuerlichen Abziehbarkeit
privater Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge, und wie
sehen die Pläne der Bundesregierung zur Umsetzung des Beschlusses im Einzelnen aus?
Die Bundesregierung ist selbstverständlich der Auffassung, dass die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts darin münden müssen, dass die entsprechenden
gesetzlichen steuerlichen Bestimmungen zur Berücksichtigung von Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung verändert werden müssen. Allerdings muss dieses Urteil - das habe ich schon im Ausschuss deutlich
gemacht - sehr genau analysiert werden. Es gibt noch
keine konkreten Vorstellungen bezüglich der Umsetzung. Ich gehe aber davon aus, dass im Laufe dieses Jahres erkennbar wird, auf welche Weise es umgesetzt werden kann.
Nachfragen, Frau Höll?
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, danke erst einmal
für diese Antwort. Ich möchte aber nachfragen, inwieweit schon jetzt verschiedene Optionen einer möglichen
Umsetzung vor dem Hintergrund geprüft werden, dass
wir hier ein Urteil zu den privaten Krankenversicherungsbeiträgen haben. Schon heute besteht eine begrenzte Absetzbarkeit von Krankenversicherungsbeiträgen. Wir haben ein System, in dem sehr viele Menschen
gesetzlich versichert sind. Angesichts dessen würde
mich auch interessieren, ob Sie noch speziell Daten erheben oder schon zur Verfügung haben, da man sich bei
der Planung verschiedener Modelle sehr genau überlegen muss, wie und mit welchen finanziellen Auswirkungen die Umsetzung erfolgen könnte.
Frau Höll, Sie haben richtig beschrieben, dass sich die
Entscheidung des Verfassungsgerichts auf die privaten
Krankenversicherungen bezieht. Das Gericht hat in seiner Entscheidung aber auch deutlich gemacht, dass eine
entsprechende Regelung auf die gesetzlich Versicherten
übertragen werden kann. Wie schon im Ausschuss zur
Sprache gebracht, geht die Bundesregierung ausdrücklich nicht davon aus, dass sich die steuerlichen Regelungen ausschließlich auf privat Versicherte beziehen werden. Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Zweite Nachfrage.
Können Sie zum heutigen Zeitpunkt einschätzen, wie
die Krankenversicherungsbeiträge bei der Berechnung
des steuerlich freizustellenden Existenzminimums oder
bei anderen Freibeträgen berücksichtigt werden können?
Es gibt verschiedene Optionen für eine Umsetzung.
Das Bundesverfassungsgericht hat zumindest angedeutet, dass ein Abzug von der Bemessungsgrundlage zu erfolgen hat. Das heißt, es muss keine Berücksichtigung
im Grundfreibetrag, also beim Existenzminimum, erfolgen.
Vielen Dank. - Wir kommen damit zur Frage 37 der
Kollegin Höll:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, nach der
„Reiche vom Urteil profitieren“ ({0}), und wie will sie das verhindern?
Die Bundesregierung teilt diese Einschätzung nicht,
weil die Frage, wie das Urteil umgesetzt werden soll,
noch nicht geklärt ist. Insofern ist jede Schlussfolgerung
hinsichtlich der Verteilungswirkung voreilig.
Nachfrage?
Danke, Frau Staatssekretärin. - Meine Nachfrage ist:
Will die Bundesregierung bei der Prüfung verschiedener
Modelle zur Umsetzung sicherstellen, dass es nicht zu
einer Begünstigung von sehr wohlhabenden und sehr
einkommensstarken Personen kommt?
Frau Kollegin Höll, die soziale Gerechtigkeit im
Auge zu haben, ist für uns auf jeden Fall eine wichtige
Leitlinie bei der Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Ihnen ist aber sicher klar, dass im Falle
eines Abzugs von der Bemessungsgrundlage natürlich
eine Progressionswirkung einsetzt. Insofern ist dies eine,
aber nicht die einzige Option, die geprüft wird. So leid
es mir tut, muss ich Ihnen noch einmal sagen: Hinsichtlich der verschiedenen Optionen haben wir noch keine
Entscheidung getroffen.
Weitere Nachfrage.
Meine letzte Frage, Frau Staatssekretärin: Können Sie
den zeitlichen Ablauf für das weitere Vorgehen konkretisieren?
Ich kann Ihnen noch keine genauen Daten nennen. Ich
weise aber darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht hat, dass alle Krankenversicherungsbeiträge steuerlich geltend gemacht werden können, wenn es bis zum 1. Januar 2010 keine neue
gesetzliche Regelung gibt. Gibt es bis dahin eine gesetzliche Regelung, muss nur das sozialhilferechtliche
Niveau berücksichtigt werden. Insofern gehe ich davon
aus, dass wir im Laufe des Jahres 2009 ein entsprechendes Gesetz verabschieden.
Vielen Dank. - Wir kommen damit zur Frage 38 der
Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann - das ist die letzte
Frage in der Fragestunde -:
Mit welchen Interessenten hat die Bundesregierung, wie
vom Bundesminister der Finanzen, Peer Steinbrück, Ende
April 2008 mitgeteilt wurde, bereits Gespräche über den Kauf
von Anteilen an der Deutschen Bahn AG geführt, und welche
Konditionen sind diesen privaten Erwerbern dabei seitens der
Bundesregierung angeboten worden?
Frau Kollegin Enkelmann, die Bundesregierung hat
am 30. April 2008 die Teilprivatisierung von Eisenbahnund Logistikunternehmen der Deutschen Bahn AG beschlossen. Die notwendigen Vorbereitungsschritte wird
sie gemeinsam mit der Deutschen Bahn AG einleiten. Es
gibt aber keine konkreten Gespräche, die die Bundesregierung mit privaten Erwerbern geführt hat.
Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, dann hätte die Bundesregierung
möglicherweise dementieren müssen. Denn einer Agenturmeldung entnehme ich, dass der Minister wissen ließ,
er habe bereits mit ersten Interessenten gesprochen. Wir
beide wissen, dass sich insbesondere amerikanische Investmentunternehmen schon ob des Schnäppchens, das
auf sie zukommt, die Hände reiben. Meine Nachfrage:
Hat es Gespräche des Ministers mit potenziellen Interessenten für den Kauf von Teilen der Bahn gegeben?
Sehr geehrte Frau Kollegin Enkelmann, ich kann zum
Ersten Ihre Einschätzung, dass wir beide wissen, dass
sich amerikanische Investoren die Hände reiben, auf keinen Fall teilen; denn Sie gehen von einer falschen Einschätzung dessen aus, was wir beide anscheinend wissen.
Zum Zweiten kann ich Ihnen nur noch einmal die
Antwort auf die Frage von vorhin geben: Es hat keine
konkreten Gespräche des Bundesfinanzministers mit Investoren gegeben.
Zweite Nachfrage.
Trotzdem möchte ich Sie fragen: Hielten Sie es für
den Fall, dass es doch erste Gespräche gegeben hätte,
nicht für ein Unding, dass das Parlament erst in dieser
Woche damit beginnt, über das Thema Privatisierung zu
reden? Das heißt, es ist noch völlig offen, ob es in diesem Parlament überhaupt eine Mehrheit dafür gibt. Ich
halte es für eine Voraussetzung eines demokratischen
Prozesses, dass das Parlament zuerst entscheidet. Man
muss sich dagegen wehren, dass der Eindruck entsteht,
dass dann, wenn das Kabinett entschieden hat, das Parlament keine Rolle mehr spielt.
Wenn es so gewesen wäre, würde ich mit Ihnen über
Ihre Frage reden können. Da ich aber gerade zweimal
geantwortet habe, dass der Bundesminister keine konkreten Gespräche geführt hat, kann ich mit Ihnen nicht
über diese Frage spekulieren.
Eine weitere Frage der Kollegin Höll.
Frau Staatssekretärin, ich danke Ihnen für die bisherige Beantwortung, möchte aber im Hinblick auf das
Verständnis der deutschen Sprache nachfragen: Der
Minister hat keine konkreten Gespräche geführt. Das
heißt, er hat Gespräche geführt, in denen man eventuell
allgemein darüber gesprochen hat, was wäre, wenn Teile
der Bahn privatisiert werden. Ist das ein richtiges Verständnis?
Es gibt keine Gespräche, die sich direkt auf den Verkaufsvorgang beziehen. Natürlich gibt es im Rahmen
von Gesprächen mit Banken allgemeine Diskussionen
darüber, wer als Investor infrage käme. Aber ich wiederhole ausdrücklich: Es gibt keine Gespräche, was den
Verkaufsvorgang selbst angeht.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir sind am Ende der Fragestunde und damit am
Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 8. Mai 2008,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.