Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/23/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Verbraucherpolitischer Bericht 2008. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute im Kabinett den Verbraucherpolitischen Bericht 2008 behandelt. Auf Wunsch des Parlaments wird ein solcher Bericht einmal pro Legislaturperiode vorgelegt. Auf den Bericht aus dem Jahr 2004 folgt daher nun, im Jahre 2008, eine weitere Darstellung der verbraucherpolitischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden bei der Lektüre des Berichts möglicherweise ebenfalls zu dem Urteil kommen, dass die Verbraucherrechte und der Verbraucherschutz in Deutschland sehr hoch entwickelt sind, dass in den letzten Jahren viel geschehen ist und in dieser Legislaturperiode noch einiges folgen soll. Der Verbraucherpolitische Bericht 2008 umfasst eine solche Fülle von Punkten - von der Lebensmittelsicherheit über den Schutz der Verbraucher im Zusammenhang mit Versicherungen und Finanzdienstleistungen bis hin zu den Punkten Verkauf unter Einstandspreisen und Allergieinformation und -beratung -, dass es mir im Rahmen dieses einleitenden fünfminütigen Berichtes nicht möglich ist, auf all diese Punkte einzugehen. Zusammenfassend möchte ich aber sagen: Dieser Bericht bringt klar zum Ausdruck, dass der Verbraucherschutz in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert hat. Ich kenne kein Land in Europa - und ich kenne die europäische Situation -, in dem der Verbraucherschutz stärker ausgeprägt ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Er genießt diesen Stellenwert zu Recht; denn in der Bevölkerung sind Verbraucherinformation, Verbraucheraufklärung und Verbraucherschutz sehr hoch veranschlagt, insbesondere, wenn es um die Gesundheit und die Sicherheit der Menschen geht. Unsere Grundlinie, die wir im Kabinett heute noch einmal bekräftigt haben, ist: Immer dann, wenn es um die Sicherheit, um den gesundheitlichen Schutz der Verbraucher geht, wollen wir die Verbraucher durch einen starken Staat schützen. Es wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass sich hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit durch Maßnahmen des Bundes und der Länder einiges zum Positiven gewandt hat. Die letzten drei angeblichen Gammelfleischskandale sind im Sande verlaufen; sie waren keine. Immer dann, wenn es um den mündigen Verbraucher geht, wenn es darum geht, dass die Menschen in einer globalisierten Welt mit einem vielfältigen Angebot Entscheidungen treffen sollen, setzt die Regierung auf Transparenz, auf Information und Aufklärung. Der Bürger soll entscheiden. Das ist die Richtlinie unserer Verbraucherpolitik. Im Parlament und in den Ausschüssen werden wir intensiv darüber diskutieren. Möglicherweise kommen auch Sie dabei zu dem Urteil, dass der Verbraucherschutz in Deutschland hoch entwickelt ist und hoch entwickelt bleiben soll.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Das Wort hat die Kollegin Maisch.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. Danke, Herr Minister. Ich habe eine konkrete Frage zu den drei Bereichen Fahrgastrechte, Telefonwerbung und Scoring. Die Bundesregierung hat wiederholt angekündigt, die Verbraucherinnen und Verbraucher auf diesen Gebieten besser zu schützen. Wann können wir damit rechnen, dass ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird? Ich spreche Redetext von einem Gesetzentwurf, nicht von Pressemitteilungen oder Positionspapieren. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wir sind gerade damit beschäftigt. Ein solcher Gesetzentwurf wird mit Sicherheit noch in diesem Jahr in den Bundestag eingebracht, und zwar für alle drei Bereiche. Was die Telefonwerbung angeht, sind wir uns innerhalb der Regierung einig. Im Hinblick auf die Fahrgastrechte werten wir noch Zahlen zur Betroffenheit der Bevölkerung von Verspätungen aus, die uns die Bahn zur Verfügung gestellt hat. Das Scoring wird, wie Sie wissen, im Bundesinnenministerium behandelt; auch für diesen Bereich gilt das, was ich Ihnen gerade gesagt habe. Eines möchte ich zum Verbraucherpolitischen Bericht insgesamt noch sagen: Es geht nicht nur um die Aufgaben des Verbraucherschutzes, die in meinem Ministerium ressortieren. Der Verbraucherpolitische Bericht ist umfassend. Beinahe jedes Bundesressort ist in irgendeiner Weise für den Verbraucherschutz zuständig, sei es in wirtschaftspolitischer, juristischer oder gesundheitspolitischer Hinsicht. All dies wurde in diesem Bericht zusammengetragen.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich eine Nachfrage stellen?

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ja, gut. Stellen Sie eine Nachfrage.

Nicole Maisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003884, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke. - Hinsichtlich der Fahrgastrechte und der Telefonwerbung war bereits für Ende letzten Jahres ein Gesetzentwurf angekündigt. Was wird in diesem Jahr anders sein, sodass tatsächlich ein Gesetzentwurf vorgelegt wird?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Dass es stattfindet. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die nächste Frage stellt der Kollege Blumentritt.

Volker Blumentritt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003741, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade gesagt, dass die endgültige Entscheidung im Hinblick auf die Fahrgastrechte in diesem Jahr getroffen werden soll. Im Ausschuss haben wir darüber bereits sehr viel diskutiert. Das ist nämlich ein ressortübergreifendes Thema. Auch heute haben wir uns im Ausschuss mit einem Thema beschäftigt, das uns im Rahmen des Verbraucherschutzes ein bisschen beunruhigt: dass die Preise für die Fahrkartenbestellung erhöht wurden. Darüber müssen wir reden, und hier müssen wir Position beziehen. Können Sie mir die Frage beantworten, von welcher Zeitschiene Sie ausgehen? Ich denke, der Verbraucherschutz ist eine elementare Frage. Daran zeigt sich, wie wir mit dem Verbraucher generell umgehen. Das ist eine Vertrauensfrage. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt. Inwieweit werden die Verbraucherzentralen zeitnah über den Inhalt dieses Berichts informiert und damit konfrontiert, und wann wird er ihnen als Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt? Wir Abgeordnete arbeiten vor Ort notwendigerweise mit den Verbraucherzentralen zusammen. Außerdem raten wir häufig Menschen, die zu uns kommen, sich an die Verbraucherzentralen zu wenden. Daher ist dieser Aspekt für mich sehr wichtig. Es wird immer wieder beklagt, dass die Verbraucherzentralen nicht gut genug informiert sind und ihren Mandanten - so möchte ich sie einmal nennen daher auch nicht immer maßgeschneiderte Auskünfte geben können.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Natürlich wird dieser Bericht den Verbraucherzentralen zur Verfügung gestellt. Außerdem wird eine öffentliche Debatte darüber stattfinden, auch hier im Parlament. Allerdings pflegen wir den Kontakt mit den Verbraucherzentralen nicht nur im Zusammenhang mit der Erstellung dieses Berichts, sondern es gehört auch zu unseren ständigen Aufgaben, dass wir mit den Verbraucherschützern, die für die Bevölkerung und außerhalb der Regierung tätig sind, in Kontakt stehen und ihre Anliegen so weit wie möglich aufgreifen und realisieren. Zu den Fahrgastrechten und zur Telefonwerbung kann ich Ihnen sagen: Mit diesen Themen befasst sich das Justizministerium. Die Justizministerin und ich sind uns einig. Bei den Fahrgastrechten hat es seit letztem Jahr allerdings noch einige Entwicklungen gegeben. Im Moment sind wir damit beschäftigt, Regelungen zu Verspätungen und Entschädigungsleistungen für die Passagiere zu treffen, und zwar für die Fälle, die in der Praxis von Bedeutung sind. Ich habe immer gesagt: Ich möchte nicht, dass eine Verspätungsregelung, die für Fälle gilt, die in der Praxis gar nicht vorkommen, mit Entschädigungsleistungen versehen wird. Wenn wir uns also zum Beispiel nur auf Verspätungen von einer Stunde konzentrieren würden - eine Verspätung von einer Stunde findet beispielsweise im Nahverkehr nicht statt -, dann würde uns zu Recht der Vorwurf gemacht: Ihr habt eine Regelung für Fälle getroffen, die in der Praxis gar nicht vorkommen und daher keine Entschädigungsleistungen zur Folge haben. Deshalb sind wir auf hochrangiger Ebene mit dem Vorstand der Bahn zusammengekommen. Wir haben ihn aufgefordert, uns Daten über die Dienstleistungen der Bahn vorzulegen und darzulegen, wie viele Fahrgäste zu welchen Zeiten betroffen sind. Diese Daten wurden ausBundesminister Horst Seehofer gewertet. Jetzt muss ich noch politisch entscheiden, ob die Bewertung, die vorgenommen wurde, angemessen ist. Wenn das so ist, steht das Signal, dass sich das Parlament damit beschäftigt, auf Grün. Das wird in den nächsten Wochen und nicht in den nächsten Monaten der Fall sein. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Blumentritt, könnten Sie Ihre Frage vielleicht noch einmal anmelden? Mir liegt nämlich bereits eine Reihe weiterer Anmeldungen vor. - Frau Kollegin Happach-Kasan.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, Sie haben den Verbraucherpolitischen Bericht der gesamten Bundesregierung vorgestellt, also einen Bericht, der über Ihr Haus hinausreicht. Die Große Koalition hat vereinbart, die Förderung von Biokraftstoffen von der Befreiung von der Mineralölsteuer auf einen Beimischungszwang umzustellen. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass diese Verordnungen nicht so ganz einfach auf den Weg zu bringen sind und dass sich nicht alles so realisieren lässt, wie man sich das vorgestellt hat. Ich frage Sie konkret: Erwarten Sie durch den B7 negative Auswirkungen für die Autofahrer?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Obwohl ich dafür nicht zuständig bin, möchte ich nach allen Informationen, die mir vorliegen, sagen, dass ich sie nicht erwarte. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass es dafür hochrangig besetzte Normungsausschüsse gibt, die die technische Umsetzbarkeit diskutieren, und dass man sich als Politiker, wenn es um die technische Machbarkeit geht, darauf verlassen muss, was einem die dafür ausgebildeten Fachleute sagen. Ich glaube, dass das, was bei E10 passiert ist, sich bei B7 nicht wiederholen wird. An E10 hat nicht nur die Politik mitgewirkt. Vielmehr stellen sich hier viele Fragen an die Wirtschaft, die an all diesen Prozessen sehr eng beteiligt war. Ich war Augen- und Ohrenzeuge der Aussagen der Wirtschaft.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höhn, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, die Kollegin Maisch hat eben auf drei Initiativen hingewiesen, und zwar erstens auf eine zu den Fahrgastrechten, zweitens auf eine zur Telefonwerbung und drittens auf eine zum Scoring. Habe ich Sie richtig verstanden, dass zu diesen drei Initiativen noch dieses Jahr je ein Gesetzentwurf vorliegen wird? Gilt das auch in Bezug auf Fahrgastrechte? Beschränken Sie sich dabei nicht allein auf die Umsetzung der EU-Verordnung, sondern machen ein eigenes, darüber hinaus gehendes Gesetz?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich kann jetzt nicht sagen, wie der Gesetzentwurf am Ende aussieht. Das ist eine Kabinettsentscheidung. Dazu muss eine Ressortabstimmung herbeigeführt werden. Gemeinsam mit der Justizministerin sind wir bei der Vorbereitung des Gesetzentwurfes. Wir haben erst einmal die Fakten geklärt. Dabei sind wir übereingekommen, das EU-Recht auf jeden Fall umzusetzen. Aber wir wollen überlegen, ob nicht daneben, etwa bei der Bahn, noch zusätzliche Verpflichtungen eingegangen werden können. Man muss aber nicht alles in Paragrafen gießen. Wir haben zum Beispiel eine Schiedsstelle ins Auge gefasst. Bei penetranten und immer wiederkehrenden Verspätungen, gerade im Nahverkehr, die nicht erklärbar sind, sollen die Bürger eine Anlaufstelle haben, an die sie sich wenden können. Gemeinsam mit der Bahn wird überlegt, eine solche Schiedsstelle einzuführen. Man kann eben nicht jeden Sachverhalt für Verspätungen in Paragrafen gießen. ({0}) - Nein, ich bleibe dabei, sonst hätte ich etwas anderes gesagt. ({1}) - Ja.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, Sie müssen schon das Mikrofon einschalten, wenn Sie eine Frage stellen. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich habe es verstanden. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Binder, bitte.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, Sie betonen den hohen Stellenwert des Verbraucherschutzes in Deutschland. In wenigen Tagen wird das Verbraucherinformationsgesetz in Kraft treten, das ein originärer Bestandteil der Arbeit Ihres Ministeriums ist. Ich frage Sie: Wie wird die Bundesregierung die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Umgang mit diesem neuen Gesetz informieren? Wann werden Sie welche Informationen in diesem Zusammenhang an die Bevölkerung weitergeben?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Zunächst bin ich froh, dass nach sechsjähriger Diskussion dieses Verbraucherinformationsgesetz mit seinem wechselhaften Schicksal in Kraft tritt. Ich glaube, es wird für die Bevölkerung viele Möglichkeiten geben, an Informationen zu gelangen, und zwar mehr, als die Gegner dieses Gesetzes vermuten. Wir machen in den nächsten Tagen zeitnah zum Inkrafttreten natürlich entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, um die Bürger auf ihre Rechte hinzuweisen, die aber im Regelfall nicht gegenüber Bundesbehörden, sondern gegenüber Landes- und Kommunalbehörden sowie gegenüber Fachbehörden eingefordert werden. Ich vermute, dass am 1. Mai und danach viele testen werden, was das zuständige Ministerium zu sagen hat. Wir werden deshalb Spezialisten bei uns im Ministerium platzieren, damit die Anrufer einen kompetenten Ansprechpartner bekommen, der ihnen sagen kann, an wen sie sich wenden können; wir wollen das auch der Öffentlichkeit mitteilen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Mortler.

Marlene Mortler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003596, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, dass die letzten Gammelfleischskandale keine waren. Auf der anderen Seite wissen wir, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf bestand, im Sinne einer Modernisierung der Lebensmittelüberwachung. Meine Frage: Können Sie das Ganze noch einmal zusammenfassend konkretisieren? Danke. ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Die Frage ist, wie viel Zeit ich dazu habe. ({0}) Denn es handelt sich um ein Bündel von Maßnahmen, von Rechtsänderungen bis hin zu organisatorischen Veränderungen auf Länderebene und zu allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die für die Länder Anhaltspunkte sind, wie eine Lebensmittelkontrolle organisiert sein soll. Es geht dabei zum Beispiel um die Fragen: Was ist mit dem Vieraugenprinzip? Was ist mit dem Rotationsprinzip? Müssen bei tiefgekühlten Räumen entsprechende Schutzanzüge für die Lebensmittelkontrolleure vorhanden sein? All das sind Dinge, die ich eigentlich für selbstverständlich halte, die in Deutschland aber offensichtlich in Richtlinien aufgenommen werden müssen. Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, dass sich die Geschichte mit den Gammelfleischskandalen deutlich abgeschwächt hat. Für einige Stunden wurde jede Feststellung eines Lebensmittelkontrolleurs sofort zum Skandal aufgebauscht; aber niemand stellte anschließend die Frage, was aus der Sache eigentlich geworden ist. Die letzten drei Fälle sind als Skandal bezeichnet worden; diese sogenannten Skandale sind aber völlig im Sande verlaufen. Wir müssen also auch die Kehrseite all dieser Dinge sehen. Im Verbraucherpolitischen Bericht werden die Anstrengungen der Regierung zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit umfänglich dargestellt, liebe Kollegin Mortler. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Klöckner.

Julia Klöckner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003566, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, ich möchte einen anderen Bereich ansprechen, der insbesondere ältere Menschen, aber auch Menschen mittleren Alters bewegt. Es geht um das Stichwort „digitaler Verbraucherschutz“. Zurzeit bekommt mancher, der im Internet unterwegs ist, eine Abmahnung, obwohl er keinen Vertrag abgeschlossen hat. Es ist gut, dass es weniger Barrieren gibt, die es erschweren, am digitalen Zeitalter teilzuhaben; aber es gibt anscheinend schwarze Schafe. Was gedenkt das Ministerium dagegen zu tun? Gibt es Ihrer Meinung nach Handlungsbedarf?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ja, es gibt gewaltigen Handlungsbedarf. Der digitale Verbraucherschutz ist das Megathema, wenn es um den Verbraucherschutz der Zukunft geht. Wir haben im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor einem Jahr eine Charta für digitalen Verbraucherschutz verabschiedet, die einheitlich in Europa gelten soll. Wir sind im Moment dabei, die eine oder andere Schwachstelle in Deutschland zu beheben. Ich habe aus diesem Grunde zum Beispiel auf der CeBIT in Hannover mit den Chefredakteuren der Computerzeitschriften gesprochen. Die Computerzeitschriften bekommen ja von ihren Lesern das Feedback, wo es noch hakt. Ein Problem ist zum Beispiel, dass man im Internet immer noch aus Versehen einen Klick machen kann und dann zu seiner Überraschung feststellen muss, dass man sich für ein Jahr vertraglich gebunden hat. Wir haben mit Fachleuten über dieses Problem gesprochen. Im Moment scheint es die beste Prävention zu sein, wenn wir das so organisieren, dass in solchen Fällen künftig ein Fenster aufspringt, das davor warnt, dass man eine vertragliche Bindung eingeht, und man in diesem Fenster auf einen Button klicken muss, wenn man diese vertragliche Bindung eingehen möchte. Wir wollen ja die Möglichkeiten, die das Internet bietet - zu shoppen und Ähnliches zu tun -, nicht nehmen. Wir müssen das allerdings so gestalten, dass niemand aus Versehen langfristige vertragliche Bindungen eingeht. Daran arbeiten wir.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aktuell erleben wir, dass drei große Lebensmittelkonzerne ihre Preise parallel senken. In anderen Fällen erhöhen sie sie. Sie haben sich ja groß gerühmt, dass Sie mit der Änderung des Kartellgesetzes etwas ganz Tolles für die Verbraucher und die Landwirtschaft getan haben. Nun erweist sich das als ziemlicher Papiertiger. Welches Instrument wollen Sie nutzen, um die Ziele zu erreichen, die Sie vertreten und bei deren Verwirklichung wir Sie auch unterstützen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Wie Sie wissen, haben wir bereits das Verbot verabschiedet - mit eng begrenzten Ausnahmen -, unter den Einstandspreisen zu verkaufen. Daneben wurde auf Initiative des Wirtschaftsministers die Regelung verabschiedet, dass nicht ausschließlich das Kartellamt etwas beweisen muss, sondern dass es die Möglichkeit hat, sich die Fakten umgekehrt auch darlegen zu lassen. Das Kartellamt hat jetzt im Energiemarkt und in diesem Markt entschieden mehr Möglichkeiten als früher. Ich bitte Sie, nicht jede Preiserhöhung in der deutschen Wirtschaft unter Generalverdacht zu stellen. Das Kartellamt wird sich das sicher ansehen. Es hat jetzt auch die Möglichkeit, sich darlegen zu lassen, ob Absprachen bestanden. Ich glaube, das ist gegenüber dem, was vorher galt und was wir aus Ihrer Regierungszeit übernommen haben, ein wesentlicher Fortschritt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Nachfrage, ja.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage hinsichtlich der Tierfette und Tiermehle. Angesichts der Todesfälle in Spanien, wo Menschen jetzt qualvoll an der Creutzfeldt-JakobKrankheit in Form der BSE-bedingten Erkrankung gestorben sind, frage ich Sie, ob Sie die Tierfette und Tiermehle tatsächlich wie geplant wieder in die Nahrungsmittelkette einführen werden oder ob die Verbraucher darauf vertrauen können, dass das nicht passiert.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Mir ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung beabsichtigt, Tiermehl an Wiederkäuer - - Ich muss meine Beamten anschauen. ({0}) Mir wird gesagt, dass dies nicht beabsichtigt ist. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Minister, ich habe eine Frage zur Nährwertkennzeichnung. Leider sind wir eben im Ausschuss nicht zur Beratung über diesen Punkt gekommen, weil wir uns aufgrund eines Geschäftsordnungsantrages der SPDKollegin Wolff nicht damit beschäftigen konnten. Hängt das damit zusammen, dass das von Ihnen favorisierte Kennzeichnungssystem aufgrund des Abfrageergebnisses, wodurch signalisiert wird, dass es von 50 Prozent der Bürger im Grunde genommen nicht verstanden und auch nicht angenommen wird, gescheitert ist, oder machen Sie in diesem Bereich jetzt einen weiteren Versuch, um zu der Ampel zu kommen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich muss Ihnen sagen: Das Umfrageergebnis ist sensationell gut. Ich kenne solche Umfrageergebnisse eigentlich nur noch hinsichtlich der Bundeskanzler und Bundespräsidenten. Es bleibt dabei - man kann es gar nicht oft genug sagen -: Bei der Nährwertkennzeichnung in Deutschland - wenn wir es also national machen - wird es bei freiwilligen Lösungen bleiben, weil es keinen Sinn macht, die deutsche Wirtschaft zu etwas zu verpflichten, was ausländische Produzenten, die uns Lebensmittel verkaufen, nicht beachten müssen. Das würde niemand verstehen. Parallel dazu gibt es Anstrengungen der Bundesregierung bei der Europäischen Union, die Nährwertkennzeichnung europaweit zu reformieren, weil sie heute europaweit unzureichend ist. Die Europäische Union hat einen Vorschlag gemacht, der im Grunde genommen dem Vorschlag der deutschen Regierung entspricht. ({0}) - Es ist so. Wir haben eine Umfrage in Auftrag gegeben, bei der es um die Nährwertkennzeichnung, die von mir mit der Lebensmittelwirtschaft vereinbart worden ist, und um eine farbliche Unterlegung geht. Wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe - ich bitte Sie, mir sofort zu widersprechen, falls das nicht stimmt, Frau Staatssekretärin -, dann haben 82 Prozent der Bevölkerung auf die Frage, ob das eine Information ist, mit der sie etwas anfangen können, Ja gesagt. Die Zusatzfrage, ob über die Farbe eine zusätzliche Information vermittelt werde, wurde von mehr als 50 Prozent der Verbraucher bejaht. Die Umfrage ist also ein wichtiges Indiz: Die Leute wollen nicht nur mit schönen Farbklecksen abgespeist werden; sie wollen eine Information. Eine solche Information erhalten sie, wenn angegeben wird: Pro Portion dieses Produkts nehmen Sie folgenden Anteil der empfohlenen Tagesration kritischer Nährwerte zu sich. Damit kann die Bevölkerung etwas anfangen. Es gab Leute, die in Fernsehdiskussionen mit mir die Behauptung aufgestellt haben, in Deutschland müsse man grüne, gelbe und rote Punkte aufdrucken, weil das Prozentrechnen in Deutschland traditionell unterentwickelt sei. Die Umfrage hat nun das Gegenteil ergeben. Wir werden die Umfrage auswerten und danach im Ausschuss über die politischen Schlussfolgerungen diskutieren. Es gibt noch keine politische Entscheidung. Es ging darum, ein Meinungsbild zu einer für die Verbraucher nicht unwichtigen Frage einzuholen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie wollten noch eine Frage stellen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Gerne. - Ich bin der Meinung, dass Ihr Modell nicht mit dem europäischen Modell kompatibel ist. Ich möchte eine Verständnisfrage stellen. Habe ich Sie richtig verstanden: Soll es eine nationale Kennzeichnung für nationale Produkte geben und eine europäische Kennzeichnung für Produkte, die von deutschen Herstellern auf dem europäischen Markt angeboten werden?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich bin enttäuscht, dass Sie mir so etwas überhaupt zutrauen. ({0}) Ich habe gesagt: Wir reformieren in Deutschland auf freiwilliger Basis die Lebensmittelkennzeichnung. Eine solche Kennzeichnung ist vor über einem Jahr in Köln vorgestellt worden. Es handelt sich um eine freiwillige Regelung, weil es keinen Sinn macht, den deutschen Lebensmittelherstellern durch Gesetz etwas aufzuzwingen, das der Franzose oder der Italiener, der Lebensmittel nach Deutschland liefert, nicht tun muss. ({1}) Ich glaube, es ist logisch, dass man so etwas auf nationaler Ebene nur freiwillig einführen kann. Trotzdem möchten wir eine Kennzeichnung erreichen, die europaweit möglichst einheitlich ist; denn wir fahren ins Ausland und andere kommen zu uns. Wir wirken deshalb auf europäischer Ebene darauf hin, dass die Kennzeichnung europaweit geregelt wird. Wir diskutieren auf europäischer Ebene darüber, ob es zu einer obligatorischen oder zu einer freiwilligen Regelung kommen soll. In Deutschland, auf nationaler Ebene, macht eine obligatorische Regelung keinen Sinn.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Behm.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, ich würde gerne von Ihnen wissen, wie Sie die Situation des sprachlichen Verbraucherschutzes bewerten. Welche gesetzlichen Aktivitäten möchten Sie in diesem Bereich ergreifen? Wir haben Probleme mit Anglizismen und Sprachverwirrung durch Geheimcodes in Gebrauchsanleitungen sowie in wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Die Deutsche Bahn - wir haben es heute im Ausschuss angesprochen - bedient sich jetzt sogenannter Touchpoints; ich habe noch nicht begriffen, wie man damit umgeht, viele meiner Kolleginnen und Kollegen auch nicht. Ich denke, hierbei geht es um massive Probleme, die Sie bitte lösen mögen.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich stimme Ihnen völlig zu, mit Ausnahme der Schlussfolgerung, dass wir schon wieder ein Gesetz brauchen. ({0}) Als Parlamentarier müssen wir sorgfältig die Frage beantworten: Müssen wir zu jedem Lebenssachverhalt ein Gesetz machen, oder gelingt es auch einmal, Unsinn ohne ein Gesetz zu bereinigen? Ich habe in meinem eigenen Hause Schwierigkeiten. Wenn über einen bestimmten Lebenssachverhalt gesprochen wird, heißt es: Wir brauchen ein Wording. Man könnte das auch auf Deutsch sagen: Früher hat man von einer Sprachregelung gesprochen. Man gilt aber als modern, wenn man von Wording spricht. Ich möchte nicht modern werden; deshalb benutze ich das Wort „Sprachregelung“. Es gibt ungeheuer viele Beispiele dafür, wie man selbst Abhilfe leisten kann: im eigenen Ministerium, in den nachgeordneten Behörden, als Politiker. Ich bin der Kollegin Julia Klöckner und anderen aus dem Parlament sehr dankbar, dass sie eine entsprechende Idee entwickelt haben. Dass ich in dieser Frage mit Gesetzen zurückhaltend bin, liegt daran, dass ich den bayerischen Dialekt sehr gut beherrsche, aber nicht immer die hochdeutsche Sprache. Das heißt, ein Gesetz könnte mich selbst treffen. ({1}) Frau Kollegin, Sie haben absolut Recht: Wir müssen den Unsinn beenden, dass man als modern gilt, wenn man solche Modebegriffe benutzt. Wir haben eine schöne, mit einem großen Wortschatz ausgestattete deutsche Sprache, die wir pflegen sollten, übrigens auch, wenn wir international auftreten. ({2}) Das deutsche Phänomen, dass man außerhalb der deutschen Grenzen nur als gebildet gilt, wenn man sofort englisch spricht, tritt in den meisten anderen Staaten in Europa nicht auf. Sie pflegen ihre Muttersprache.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie dürfen eine Nachfrage stellen.

Cornelia Behm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003500, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wir stimmen in der Analyse des Problems überein. Aber Sie sind der verantwortliche Minister. Stimmen Sie mir zu, dass der Aufruf „Wir alle können etwas tun“ nicht reicht, sondern dass von Ihrer Seite gehandelt werden muss? Was haben Sie vor?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Man kann für Information und Aufklärung sorgen sowie mit Vertretern von Medien und Fernsehanstalten reden. Ich bin aber dagegen - ich bitte Sie um Verständnis -, dass man bei jeder Frage, die unser Alltagsleben betrifft, sofort die gesetzliche Keule herausholt und ruft: Wir brauchen einen Paragrafen. ({0}) Wenn es erst einen Paragrafen gibt, dann stellen sich folgende Fragen - ich formuliere es ein bisschen ironisch -: Was ist, wenn jemand den Paragrafen nicht beachtet? Brauchen wir Kontrollen und Bußgelder? - Wir können kulturelle Dinge auch durch unser eigenes Tun und Bemühen verändern. Natürlich werde ich auch mit Chefredakteuren und anderen Medienvertretern reden; Sie können das ebenfalls und werden das sicherlich tun. Aber bitte rufen Sie nicht gleich wieder nach einem Gesetz! Wir ersticken noch in Vorschriften, wenn wir auf Schritt und Tritt dem Ruf nach einem Gesetz folgen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Bleser.

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Minister, Sie haben einen Aktionsplan für Ernährung und Bewegung angekündigt. Wie ist der Stand der Entwicklung? Beinhaltet dieser Aktionsplan auch Maßnahmen, die insbesondere Kindern das gesunde Nahrungsmittel Milch näherbringen sollen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

In den meisten Bereichen haben wir diesen Aktionsplan bereits voll umgesetzt. Ein Beispiel: In NordrheinWestfalen gibt es an insgesamt 400 Schulen einen zweijährigen Modellversuch, mit dem getestet wird, was für Eltern und Kinder bei der Schulverpflegung maßgebend ist: Ist es der Preis? Sind es Modegetränke? Könnte man das Verhalten verändern, wenn man die Schulverpflegung zu einem ermäßigten Preis oder sogar umsonst anbietet? Das alles wird in Nordrhein-Westfalen zwei Jahre lang auf wissenschaftlicher Grundlage getestet. Gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen wird viel Geld aufgewandt, um beurteilen zu können, welche Motivation Eltern und Kinder bei der Schulverpflegung und der Entscheidung für Milch, Cola oder ein Fruchtsaftgetränk haben. Ist der Preis, die Mode, also was gerade schick ist, für das Angebot der Schule maßgebend, oder ist das entscheidend, was man vom Elternhaus mitbekommen hat? Das wird nun sauber beleuchtet. Wenn die Ergebnisse vorliegen, können wir die Fragen beantworten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Binder.

Karin Binder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003738, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, Sie haben in Ihrem einleitenden fünfminütigen Bericht auch die Themen Gesundheit und Sicherheit in der Verbraucherpolitik erwähnt. Für mich ist die Nanotechnologie von sehr großer Bedeutung. Wir wissen seit vielen Jahren, dass die Nanotechnologie nicht nur bei Putzmitteln oder Kosmetika zum Einsatz kommt, sondern dass sie auch vermehrt in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird oder dass Nanoteilchen sogar in den Lebensmitteln selber zu finden sind. Welche Strategie verfolgt die Regierung, um die Menschen vor gesundheitlichen Folgen oder Schäden zu schützen, die durch das Eindringen von Nanopartikeln über die Haut oder durch Nahrungsaufnahme entstehen könnten? Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Man muss zuerst die gesamte Lage analysieren. Wie Sie wissen, gibt es seit der BSE-Krise ein entsprechendes Bundesamt. Es ist dabei, auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung uns zu beraten und aufzuzeigen, an welchen Punkten die Politik am besten ansetzen kann. Es hilft nichts, ins Blaue hinein die Verbraucher mit Lösungen zu konfrontieren. Das müssen wir auf ordentlicher wissenschaftlicher Basis machen. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich lasse keine Zusatzfragen mehr zu, weil die Zeit für die Regierungsbefragung schon fast vorbei ist und mir noch vier Wortmeldungen vorliegen. Frau Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, bei Aldi und Lidl sind die Milchpreise zulasten der Bauern massiv gesenkt worden. Es ist sozusagen ein Schnäppchenpreis, der die Menschen in den Laden locken und von den anderen Preiserhöhungen ablenken soll. Sie haben damals gesagt, Sie wollten den Verkauf unter Einstandspreis verhindern. Sind die gegenwärtigen Milchpreise nicht unter Einstandspreis, oder warum haben Sie diese Preissenkungen nicht verhindern können?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Weil ich nicht die Preise festlege und wir nicht in der Planwirtschaft leben. ({0}) - Nein, ich bedauere diese Entwicklung, weil ich großes Interesse daran habe, dass es gerade vor dem Hintergrund der sich weltweit abzeichnenden Nahrungsmittelknappheit bei uns im Lande eine funktionierende Landwirtschaft gibt. Sie kann nur funktionieren, wenn die Produzenten, die Bauern, einen fairen und kostendeckenden Preis bekommen. Nach Meinung aller Fachleute liegt dieser faire und kostendeckende Preis für Milch bei etwa 40 Cent pro Kilogramm. Diesen Preis hatten wir erreicht, worüber ich sehr froh war. Jetzt entwickelt er sich zurück, was übrigens in völligem Kontrast zur allgemeinen öffentlichen Diskussion über die Entwicklung der Nahrungsmittelpreise steht; bei Schweinefleisch ist es ähnlich. Deshalb ist dies für die Bauern schon ein berechtigter Grund, ihre Sorgen so zu artikulieren, wie sie es in den letzten Tagen getan haben. Hier haben sie meine Unterstützung. ({1}) - Ich sage das allen, den Konzernen und anderen. Ich verhehle nicht, dass ich über die Entscheidung der Europäischen Union unglücklich bin, die Milchquote zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich zum 1. April, zu erhöhen, ohne für die Milchbauern, die in schwierigen Regionen - Grünland, benachteiligte Gebiete, Alpenund Mittelgebirgsregionen - tätig sind, ein Begleitprogramm zu ihrer Existenzsicherung in Aussicht zu stellen. Das war ein Fehler. Die deutsche Regierung hat dagegen gestimmt, weil sich abgezeichnet hat, dass die Preise wieder zu bröckeln beginnen, wenn die Milchquote erhöht wird. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nein, Frau Kollegin Höhn, das Wort hat jetzt Herr Kollege Jordan.

Dr. Hans Heinrich Jordan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003778, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Minister, ich spreche noch einmal das Problem der Telefonwerbung an, über das im Augenblick eine Diskussion im Gange ist. Erst vor wenigen Tagen habe ich im MDR eine Problemdiskussion verfolgt. Es zeigt sich, dass die Stellung des Verbrauchers in dieser Frage ziemlich schwach ist. Ist geplant, die Sache rechtlich so festzuzurren, dass eine schriftliche Bestätigung für Erstverträge erfolgen muss? Eine Strafbewehrung gibt es zum Teil jetzt schon. Reicht die jetzige Strafbewehrung aus, oder sollen im Hinblick auf die Strafbewehrung neue Standards geschaffen werden?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Telefonwerbung ist auch heute schon verboten, wenn sie zu Werbezwecken von Dritten an Endverbraucher ausgeht, also nicht, wenn ich selbst jemanden anrufe, sondern wenn ich angerufen und beworben werde. Das ist eigentlich nicht erlaubt, und nach Auffassung der zuständigen Ressorts soll dies unter ein höheres Bußgeld gestellt werden. Der Verbraucher soll zusätzlich davor geschützt werden, am Telefon ohne Weiteres einen verbindlichen Vertrag einzugehen. Wenn ich eine Pizza bestelle, kommt der Vertrag zustande. Wenn ich unerlaubt angerufen werde, soll ein Vertrag nach unserer Auffassung nicht mehr zustande kommen. Dies gilt für folgende zwei Kategorien: Telekommunikationsverträge wollen wir so regeln, wie es bei Strom und Gas bereits der Fall ist; hier soll es einer schriftlichen Bestätigung bedürfen. In diesen Fällen wird keine Zeitschrift, kein Buch usw. in den Haushalt geliefert, sondern es wird im Hintergrund etwas umgestellt, wenn man zum Beispiel den Internetanbieter wechselt. Dies bedarf nach unserer Auffassung in Analogie zu Strom und Gas einer ausdrücklichen schriftlichen Bestätigung. Beim zweiten Sachverhalt wird einer Person etwas zugestellt; hierbei geht es insbesondere um Bücher, Zeitschriften und Ähnliches. Da wollen wir ein 14-tägiges Widerrufsrecht mit der Folge einräumen, dass der Vertrag dann nicht zustande gekommen ist, wenn Sie etwas bekommen, was Sie nicht wollen. Das geht ein bisschen in Richtung Haustürgeschäfte. Jetzt kann man die Frage stellen, warum man nicht auch hier eine schriftliche Bestätigung verlangt. Auch ich hatte am Anfang große Sympathien für diese ausdrückliche Bestätigung, aber Frau Justizministerin Zypries hatte dann doch ein sehr starkes Argument. Sie sagte: Wenn wir in all den Fällen, in denen Produkte angeliefert werden, zum Vertragsschluss eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung vorsehen, dann führt dies zur Verstärkung genau dessen, was wir eigentlich unterbinden wollen, nämlich dass der Betreffende immer wieder angerufen wird: Haben Sie das schon abgeschickt? Warum haben Sie das noch nicht abgeschickt? - Usw. Deshalb bin ich überzeugt, dass das die kundenfreundlichere Lösung ist: Man ist nicht gebunden, es kommt eine Lieferung, die Lieferung geht zurück, Fall erledigt. Eine Beweispflicht - das kommt noch hinzu - gibt es nicht. Die Justizministerin hat mich auf Folgendes hingewiesen: Wenn wir in den anderen Fällen, in denen Produkte angeliefert werden, eine schriftliche Bestätigung zur Voraussetzung machen würden, dann tauchte im Konfliktfall schon das Problem der Beweislast auf: Hast Du angerufen, oder bist Du angerufen worden? - Dann haben wir genau das, was wir eigentlich nicht wollen, nämlich die Verrechtlichung unseres Alltagslebens. Deshalb, glaube ich, ist in den Fällen, in denen es um Produktanlieferungen geht, die Widerrufslösung die bessere. Da spielt die Beweisfrage keine Rolle. Ich brauche keinen Grund, um die Lieferung zurückzuschicken. Es genügt vielmehr meine Entscheidung, dass ich sie nicht will, und dann schicke ich sie zurück. Derjenige, der geliefert hat, muss das akzeptieren.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höfken.

Ulrike Höfken-Deipenbrock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002680, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade in der Debatte auf meine Frage und die der Kollegin Höhn ziemlich deutlich geantwortet, dass der Verkauf unter Einstandspreis nicht verhindert werden kann. Damit die Entwicklung der Lebensmittelpreise nicht zu einem Desaster für die anbietenden Bauern einerseits, in dem Fall die Milchbauern, und für die Verbraucher andererseits wird, frage ich Sie: Wie stehen Sie zu dem Vorschlag, dass auf jeden Fall für die einkommensschwächeren Verbraucher, insbesondere für Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien, die Sätze angehoben werden müssen? Das hat auch das Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung gefordert. Was halten Sie zweitens von den Vorschlägen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, ein Regulierungssystem zu behalten bzw. ein modernes neu zu schaffen, statt den Markt völlig zu liberalisieren? Wären das Möglichkeiten, hier Grenzen einzuziehen?

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Erstens. Ich weise darauf hin, dass die Lebensmittelpreise in vielen Bereichen wieder bröckeln. Wir werden nach meiner Einschätzung in wenigen Wochen in manchen Bereichen genau die umgekehrte Diskussion führen, nämlich darüber, in welcher Form die Produzenten betroffen sind und nicht die Verbraucher. Das sage ich Ihnen voraus. Zweitens. Wir als Regierung haben eine ganze Menge getan - ich erinnere an den Kinderzuschlag, BAföG und die Rentenerhöhung -, und zwar über das Maß hinaus, das ursprünglich im Gesetz vorgesehen war. Da Sie wissen, dass gerade ich ein Interesse an solchen Maßnahmen habe, wissen Sie auch, dass die Bundesregierung das Menschenmögliche auf diesem Feld getan hat. Ich würde darum bitten, jetzt auf dem Teppich zu bleiben und nicht dann, wenn eine Maßnahme realisiert ist - zum Beispiel der Kinderzuschlag -, sofort wieder die Diskussion zu beginnen, wie wir Geld ausgeben, das wir nicht haben. Wir müssen schon darauf achten, dass unser Haushalt in Ordnung ist. Das ist im Interesse auch der kleinen Leute; denn die zahlen die Zinsen für die neuen Schulden. ({0}) - Wir können doch jetzt kein Programm für die Produzenten auflegen. Das wollen Sie doch nicht im Ernst hier fordern. Wenn es die Notwendigkeit struktureller Hilfen gibt, dann läuft das über die Europäische Union und nicht über die Nationalstaaten. Das haben wir zum Beispiel mit Subventionen für den Export von Schweinefleisch und privaten Lagerhilfen gemacht. Die Exportsubventionen, die europaweit zur Existenzsicherung der Schweinehalter bitter notwendig waren, werden jetzt wieder, unter anderem von Ihrer Fraktion, kritisiert, weil sie der Ernährung der Bevölkerung in den Entwicklungsländern entgegenstünden, was überhaupt nicht stimmt. Das wird immer instrumentalisiert, wie man es gerade braucht. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Jetzt kommt der Herr Kollege Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesminister, ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, bei dem Sie es sich meiner Meinung nach zu leicht gemacht haben, und zwar auf die Verwendung der englischen Sprache bei der Deutschen Bahn AG; die Kollegin Behm hat es eben angesprochen. Dazu wurde ein konkretes Beispiel genannt. Sie haben gesagt, Sie wollten über Interviews usw. die Einstellung verändern und ein Problembewusstsein schaffen. Das ist aber ein bisschen wenig, wenn man bedenkt, dass Sie als Verbraucherschutzminister zuständig sind. Dieses Problem ist schon bekannt; die Seniorenverbände beschweren sich bereits. Viele Senioren kommen mit ihrem E-Ticket nicht zurecht, wenn sie den Barcode nicht kennen. Man findet den Infopoint nicht. Am Infopoint wird man wiederum vom Touchpoint an den Servicecounter verwiesen. Wenn man das alles geschafft hat, darf man zum Ausgleich nicht einmal in die Lounge. Ich finde, Sie könnten mir einmal konkret sagen, was Sie vorhaben. Haben Sie wirklich vor, Maßnahmen zu ergreifen? Haben Sie zum Beispiel vor, mit Herrn Mehdorn einmal einen Kaffee zu trinken und dafür zu sorgen, dass bundeseigene Unternehmen wie die Bahn AG mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder verständlich kommunizieren? ({0})

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Ich bin gern bereit, mit Herrn Mehdorn ein Brainstorming zu machen. ({0}) Sie haben recht - ich habe auch der Kollegin Behm recht gegeben -: Natürlich gehört es zu meinen Aufgaben, mit Bahnvorständen über dieses Thema zu sprechen. Dieses Vorgehen hat noch mehr Wucht, wenn die Bahnvorstände wissen, dass dies die Haltung des ganzen Parlaments ist. ({1}) Ich habe den Eindruck, dass das der Fall ist. Ein Ertrag einer Befragung der Bundesregierung kann sein, dass ein solches Signal gesendet wird. Schauen wir, dass wir bei Servicepoints, Touchpoints und Infopoints etwas erreichen! Ich strebe also ein Brainstorming an.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich beende damit die Behandlung der Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung. Mir liegt eine Wortmeldung für eine weitere Frage an die Bundesregierung vor. Das Wort hat Hakki Keskin.

Dr. Hakki Keskin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003785, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Minister, ich möchte Ihnen eine Frage zu einem weltpolitisch aktuellen Thema stellen. Hat sich die Bun16400 desregierung mit der drohenden Hungerkatastrophe, insbesondere in sehr vielen Entwicklungsländern, befasst? Inwieweit finden Sie es richtig, dass die EU etwa die Hälfte ihres Etats, ungefähr 50 Milliarden Euro, für Agrarsubventionen ausgibt und somit die landwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Entwicklungsländer erschwert? Wir können unsere Industrieprodukte in diesen Ländern durchaus absetzen, verhindern aber somit, dass diese Länder ihre Agrarprodukte bei uns absetzen können.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Lieber Kollege, wir haben dazu heute Nachmittag eine Aktuelle Stunde. Deshalb möchte ich in der Sache heute Nachmittag auf den angeblichen Zusammenhang zwischen Subventionen und Nahrungsmittelknappheit eingehen. Alle betroffenen Ressorts haben schon in der letzten Woche eine Gruppe gebildet. Diese Gruppe ist im Moment dabei, die Analyse dieser sehr vielschichtigen, globalen, differenzierten und auch sehr ernst zu nehmenden Thematik vernünftig vorzubereiten und Schlussfolgerungen für das Regierungshandeln insgesamt zu ziehen. Ich nehme an, dass wir das Parlament in wenigen Wochen über die Konsequenzen der Regierung unterrichten können.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Vielen Dank, Herr Minister, für die humorvolle Beantwortung der Fragen. Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2: Fragestunde - Drucksachen 16/8841, 16/8866 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/8866 auf. Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Dr. h. c. Gernot Erler. Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung zur Nichteinladung des Dalai-Lamas durch die EU-Außenminister, und hat sie diese Entscheidung aktiv beeinflusst und herbeigeführt ({0})?

Not found (Gast)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die vom französischen Außenminister Bernard Kouchner am 1. April 2008 im Radiosender RTL angedachte Idee, den Dalai-Lama zu einem Treffen mit den Außenministern der EU einzuladen, ist weder von Frankreich selbst noch von der slowenischen Ratspräsidentschaft noch von einzelnen Mitgliedstaaten der EU in die Gremien der EU eingebracht worden. Demgemäß ist weder darüber beraten worden, noch wurde dazu eine Entscheidung herbeigeführt. Die Bundesregierung hat deshalb eine Entscheidung weder aktiv beeinflusst noch herbeigeführt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das kann man kaum glauben. Ich zitiere Pressemeldungen. Darin wird sehr klar gesagt: So machten insbesondere deutsche Diplomaten klar, dass Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Zusammenkunft als unnötige Provokation Chinas nicht wolle. - Dies ist aus mehreren Quellen ersichtlich. Da Sie sagen, es sei nicht beraten worden, habe ich die Nachfrage: Gab es informelle Gespräche des Außenministeriums - man weiß ja, wie das funktioniert -, in denen von der deutschen Seite an die Präsidentschaft signalisiert wurde, dass man so etwas nicht befürworten werde?

Not found (Gast)

Ich kann jetzt hier nicht darüber Auskunft geben, ob in irgendwelchen informellen Treffen auch über diese Frage „Einladung des Dalai-Lama“ geredet worden ist. Ich kann nur wiederholen: Es hat überhaupt keinen Entscheidungsprozess dazu gegeben. Einen solchen hätte es sofort gegeben, wenn irgendjemand, zum Beispiel Herr Kouchner, dieses Thema zum Gegenstand von Beratungen der EU-Gremien gemacht hätte. Das ist aber nicht der Fall gewesen. So kann es höchstens sein, dass in Gesprächen, die uns nicht bekannt sind, das zum Thema gemacht worden ist. Offiziell war so etwas nicht.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn es nicht zum Thema gemacht wurde, frage ich noch einmal nach. Wie steht denn die Bundesregierung grundsätzlich zu einer solchen Einladung des DalaiLama - er beabsichtigt ja im Mai einen Deutschlandund Europabesuch - vonseiten der Bundesregierung oder auch der EU-Außenminister? Sie könnten es ja auch von Ihrer Seite aus vorschlagen.

Not found (Gast)

Zunächst einmal darf ich festhalten, dass der DalaiLama eine Einladung vom EU-Parlament hat und dass er außerdem vom Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages nach Deutschland eingeladen worden ist; das wird am 19. Mai stattfinden. Die Bundesregierung hält Gespräche für sinnvoll, allerdings mit beiden Seiten. Wir erachten es also für ebenso sinnvoll, Gespräche mit Peking zu führen. Vor allen Dingen ist uns ein ganz besonders wichtiges Anliegen - darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingeDr. h. c. Staatsminister Gernot Erler wiesen -, dass ein sino-tibetischer Dialog, also ein Dialog zwischen der chinesischen Führung und den Tibetern, ganz besonders dem Dalai-Lama, stattfindet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die dringliche Frage 2 der Abgeordneten Kerstin Müller ({0}) auf: Welche EU-Länder, einschließlich der Bundesrepublik, haben ein Treffen mit dem Dalai-Lama abgelehnt, und welche haben sich für ein solches Treffen ausgesprochen?

Not found (Gast)

Meine Antwort lautet: Da die Anregung zu einem Treffen der EU-Außenminister mit dem Dalai-Lama nicht Gegenstand von Beratungen in den EU-Gremien war, gab es dazu seitens der EU-Mitgliedstaaten auch kein Votum.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Da die Einladung vom Auswärtigen Ausschuss - sie ist auf meinen Vorschlag erfolgt - eine Einladung von der Bundesregierung nicht ersetzt und die Bundeskanzlerin gesagt hat, sie könne den Dalai-Lama diesmal nicht empfangen, da sie in Lateinamerika sein werde, von meiner Seite die Nachfrage, warum denn dann der Außenminister den Dalai-Lama nicht einlädt, wenn dieser im Mai in Deutschland ist. Oder ist der Außenminister dann auch in Lateinamerika?

Not found (Gast)

Ich habe schon dargelegt, dass vom Außenministerium Gespräche in beide Richtungen, sowohl was den Dalai-Lama angeht, als auch was die chinesische Seite angeht, unterstützt werden. Ich möchte wiederholen: Unser Hauptanliegen ist - ich glaube, das wäre auch ganz im Sinne Ihrer Interessen -, dass es zu einem Dialog zwischen dem Dalai-Lama und der chinesischen Führung kommt. Wir überlegen uns bei allen Initiativen, die wir selber ergreifen, ob sie zur Erreichung dieses Ziels beitragen oder nicht.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wenn denn das Außenministerium und der Außenminister nicht der Meinung sind, dass eine Einladung des Dalai-Lama einen solchen Dialog befördern könnte, die Frage: Was tut denn der Außenminister, um den Dialog zwischen den moderaten Kräften um den DalaiLama und der chinesischen Regierung zu befördern? Von einer Dialogbereitschaft seitens Chinas ist zurzeit ja überhaupt nichts erkennbar.

Not found (Gast)

Zunächst einmal: Der deutsche Außenminister FrankWalter Steinmeier hat nach Ausbruch der aktuellen Tibet-Krise im März dreimal mit seinem chinesischen Kollegen telefoniert und bei jeder dieser Gelegenheiten den Vorschlag vorgebracht, dass ein solcher Dialog wieder aufgenommen werden soll, hat also darauf gedrängt. Darum bemühen sich auch andere Mitglieder der Bundesregierung, indem sie bei ihren internationalen Kontakten darauf drängen, dass es zu diesem Dialog kommt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen. Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache 16/8841 in der üblichen Reihenfolge auf. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rolf Schwanitz. Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Jens Ackermann auf: Welchen Zeitablauf hat die Bundesregierung für die Expertengruppe zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes?

Rolf Schwanitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002123

Herr Kollege Ackermann, die Antwort auf Ihre Frage lautet wie folgt: Die Expertengruppe zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes hat sich zuletzt am 17. April 2008 getroffen und sich auf wesentliche Strukturen und Inhalte der Ausbildungszielbeschreibung verständigt. Das Bundesministerium für Gesundheit wird auf dieser Grundlage sowie auf Basis der noch eingehenden Anmerkungen der Experten, die bis Ende des Monats erwartet werden, ein erstes Rohkonzept für die Anlage 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie einen ersten Formulierungsvorschlag für eine Ausbildungszielbeschreibung erarbeiten. Die Experten werden das Bundesministerium für Gesundheit hierbei zu gezielten Einzelfragen unterstützen. Die entsprechenden Entwürfe werden zunächst in einem schriftlichen Verfahren von den Experten bewertet. Aufgrund der dabei eingehenden Stellungnahmen wird dann zu entscheiden sein, ob eine Überarbeitung der Konzepte erforderlich ist oder die Expertengruppe zu den strukturellen Fragen der künftigen Ausbildung übergehen kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank für die Beantwortung der Frage, Herr Staatssekretär. Ich habe folgende zusätzliche Frage: Wird die Bundesregierung ihr Versprechen einhalten und dem Parlament noch in diesem Jahr einen Vorschlag zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes vorlegen?

Rolf Schwanitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002123

Herr Kollege Ackermann, wir halten natürlich an unserer Absicht und unserem Bemühen fest, noch in diesem Jahr einen Referentenentwurf vorzulegen. Aber ich habe ja beschrieben, dass dabei noch gewisse Unsicherheitsfaktoren, deren zeitliche Auswirkungen man noch nicht klar benennen kann, eine Rolle spielen. Es bedarf der Verständigung mit den Experten, es bedarf auch der Klärung von bestimmten, gegebenenfalls noch strittigen Einzelfragen. Unser Bemühen ist nach wie vor längs der Linie, die Sie beschrieben haben.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Noch eine weitere Zusatzfrage?

Jens Ackermann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003728, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, vielen Dank. - Haben denn die Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Möglichkeit, die Protokolle der Expertenrunde einzusehen und so die dort erzielten Ergebnisse zu erfahren?

Rolf Schwanitz (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002123

Es ist bei der ersten Beratung der Experten im Januar kein solches Protokoll erstellt worden. Bei dem von mir angesprochenen zweiten Zusammenkommen ist das der Fall gewesen. Wenn Abgeordnete des Bundestages es wünschen, dann ermöglichen wir ihnen gerne die Einsichtnahme in dieses und auch weitere Protokolle.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich schließe diesen Geschäftsbereich. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Frage 2 des Abgeordneten Hans-Josef Fell wird schriftlich beantwortet. Somit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf. Die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen ebenfalls schriftlich beantwortet. Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Gerd Müller. Die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet. Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen auf: Wie bewertet die Bundesregierung die von einigen Ländern geäußerte Absicht, eine „Durchseuchung“ von Rinderbeständen in Kauf zu nehmen, um danach auf eine natürliche Immunität der Tiere vertrauen zu können?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Frage des Herrn Geisen bezieht sich auf das Thema Blauzunge. Die Antwort lautet: Der von der Bundesregierung eingereichte, mit allen Ländern abgestimmte Impfplan ist von der EU-Kommission am 4./5. März genehmigt worden. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat kein Land die Absicht geäußert, Bestände durchseuchen zu lassen. Es geht darum, dass bereits in der Vergangenheit infizierte und insoweit geschützte Tiere eventuell von der Impfung ausgenommen werden könnten. Sofern von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte, muss über eine Untersuchung des oder der betreffenden Tiere eindeutig nachgewiesen werden, dass bereits eine Infektion vorgelegen hat. Dies hat aber mit Durchseuchung nichts zu tun. Es gilt, dass grundsätzlich alle Rinder gegen das Virus der Blauzungenkrankheit zu impfen sind. Die entsprechende Verordnung lässt aber die dargestellte Ausnahme zu.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gibt es Zusatzfragen? ({0}) - Keine. Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Edmund Peter Geisen auf: Welche Schäden im Rahmen der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit werden nicht von den Tierseuchenkassen entschädigt?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Der Abgeordnete Dr. Edmund Geisen, der sehr fleißig ist, hat eine weitere Frage gestellt. Die Antwort auf seine Frage lautet: Die Länder haben der Bundesregierung zugesichert, dass Impfschäden, zum Beispiel einzelne Aborte und Verendungen, von der Tierseuchenkasse übernommen werden. Die drei Firmen, denen der Zuschlag für die Impfstofflieferung erteilt worden ist, haben sich vertraglich verpflichtet, schwerwiegende Schäden in großer Anzahl in einem Bestand - wenn es also mehr als nur einzelne Verendungen geben sollte - auszugleichen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Gibt es Zusatzfragen? ({0}) - Keine Zusatzfragen. Ich rufe nun die Frage 7 der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan auf: Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass eine flächendeckende Impfung aller Rinder, Schafe und Ziegen gegen die Blauzungenkrankheit rechtzeitig vor dem Weideaustrieb, also spätestens Mitte April, erfolgen muss, um zu verhindern, dass die Gnitzen - Stechmücken -, die die Krankheitserreger beim Blutsaugen aufnehmen und auf andere Tiere übertragen, während der Weidesaison auf eine Vielzahl von bereits mit dem Virus befallenen Tieren treffen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan stellt ebenfalls eine Frage zur Blauzungenkrankheit. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass nur eine Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit Serotyp 8 Rinder, Schafe und Ziegen schützen kann. Vor dem Hintergrund, dass Impfstoffe Mitte Mai zur Verfügung stehen und unmittelbar nach Lieferung eingesetzt werden, ist nach den Erfahrungen im Jahr 2007 davon auszugehen, dass Rinder, Schafe und Ziegen in den vektoraktivierenden Monaten der zweiten Jahreshälfte hinreichend gegen Neuinfektionen geschützt sind. Wir gehen also davon aus, dass eine Weiterverbreitung der Blauzungenkrankheit mit einer flächendeckenden Impfung verhindert werden kann.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, ich verstehe Sie so: Es wäre schön gewesen, wir hätten den Impfstoff früher gehabt, dann hätten wir früher impfen können. Meine Zusatzfragen lauten: Gibt es in der Bundesrepublik ein Gnitzenmonitoring, und werden die Gnitzen auch daraufhin untersucht, ob sie Virenüberträger sind?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich möchte noch einmal auf die Problematik eingehen. Bei der Entwicklung eines solchen Impfstoffes muss man den Impfstoffherstellern - Sie wissen es normalerweise zwei oder drei Jahre Vorlauf geben. Aber diese Zeit lässt uns diese Erkrankung nicht. Deshalb gehen wir nun diesen Weg, der im Übrigen auch in den anderen europäischen Ländern gegangen wird. Seit März gibt es den Versuch, den Impfstoff einzusetzen. Das wird mit einem permanenten Monitoring verbunden, damit gegebenenfalls Weiterentwicklungen vorgenommen werden können. Mit der kompletten Impfung beginnen wir im Mai.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Goldmann, Ihre Zusatzfrage, bitte.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie sind eben zu der Einschätzung gekommen, dass alles zügig vorangegangen ist. Wie kann es dann sein, dass Ihr Haus auf der Internationalen Grünen Woche erklärt hat, dass die Impfung unmittelbar bevorsteht, und wie ist es möglich, dass man - das ist aus meiner Sicht völlig unerklärlich - in diesem Bereich im Grunde genommen überhaupt nicht gewusst hat, wer Impfstoff fertigt, wann er auf den Markt kommt und wann er eingesetzt werden kann? Es hat ja sogar Überlegungen gegeben, gar nicht mehr zu impfen, weil das Durchseuchen schon so weit fortgeschritten ist, dass man kaum mehr unterscheiden kann, welche Tiere erkrankt sind, welche Tiere infiziert sind und bei welchen Tieren die Impfung noch Sinn macht.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Diesem Eindruck muss ich entgegentreten. Der Virus der Blauzungenkrankheit ist im vergangenen Jahr aufgetreten. Zwischen allen betroffenen Ländern der Europäischen Union wurden alle Maßnahmen abgestimmt und alle Anstrengungen unternommen, um so schnell wie möglich einen Impfstoff herzustellen. Theoretisch sind vier und praktisch drei Firmen in Europa dazu imstande; sie haben diesen Auftrag erhalten. Inzwischen hat Deutschland 21 Millionen Impfstoffdosen bestellt. Die Länder koordinieren die Aktion; Hessen hat die Federführung. Flächendeckend für alle Rinder, Schafe und Ziegen in Deutschland den entsprechenden Impfstoff zu produzieren und auf Nebenwirkungen und Auswirkungen zu testen, war eine großartige Leistung in dieser kurzen Zeit. Ich möchte auch klar sagen: Kein betroffenes europäisches Land ist da schneller als wir. Das kann auch gar nicht sein; denn es ist eine abgestimmte Aktion, sowohl zwischen den europäischen Ländern als auch zwischen den Bundesländern in Deutschland.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Dr. Christel Happach-Kasan auf: Welche Maßnahmen haben Bund und Länder unternommen, um Tierhalter und Tierärzte ausreichend und rechtzeitig über die Impfungen zur Bekämpfung der Blauzungenkrankheit zu informieren?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Bundesregierung unterrichtet regelmäßig die Bundesverbände der Tierhalter und Tierärzte über den Stand der Vorbereitungen zur Durchführung der Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit. Nach den der Bundesregierung vorliegenden Informationen informieren die zuständigen Behörden der Länder gleichfalls die von Ihnen angesprochenen Kreise, die Tierhalter und die Tierärzte. Darüber hinaus befinden wir uns seit Monaten in einer öffentlichen breiten Diskussion über dieses Thema. Auch in den Konferenzen mit den Ländern - Agrarministerkonferenzen, Amtschefskonferenzen - besprechen wir die koordinierte, abgestimmte Vorgehensweise bei der Durchführung dieser Impfung, die im Auftrag und federführend von den Ländern erfolgt. Hier gab es also breite Koordinierungen und Abstimmungen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, welchen Stellenwert hatte vor Auftreten der Blauzungenkrankheit in Europa die Bekämpfung dieser Krankheit und ihre Erforschung an den tierärztlichen Hochschulen in Deutschland und im Rahmen der Ausbildung der Tierärzte?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Diese Erkrankung ist im letzten Jahr aufgetreten und war bei uns vorher in dieser Weise nicht bekannt. Insofern können Sie sich die Antwort selber geben, nämlich dass in der Theorie darüber geforscht werden konnte, aber nicht in der Praxis. Die Hochschulen beschäftigen sich jetzt natürlich damit.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Christel Happach-Kasan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003669, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nach meiner Erfahrung wird an bundesdeutschen Universitäten auch über Dinge geforscht, die nicht in den unmittelbaren Bereich der Tierärzte fallen. Während meiner Ausbildung habe ich über verschiedene Leberegel Kenntnisse erlangt, ohne dass dieses Thema für mich als Biologin jemals aktuell gewesen wäre. Wir arbeiten mit Ländern wirtschaftlich zusammen, in denen die Blauzungenkrankheit auftritt. Ich bitte Sie daher, mir zu sagen, an welcher tierärztlichen Hochschule zu diesem Thema eine vertiefende Forschung durchgeführt wurde.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ihr Interesse ist natürlich berechtigt. Ich nehme dieses Interesse zum Anlass, eine Abfrage an den deutschen Hochschulen vorzunehmen, um Ihnen den aktuellen Stand der Forschung und auch das, was in den letzten zwei Jahren gemacht worden ist, mitzuteilen. Dem Eindruck, der durch diese Frage nach außen vermittelt werden könnte, nämlich dass durch Forschung in den vergangenen Jahren der Ausbruch dieser Krankheit in Deutschland hätte verhindert werden können, muss ich entgegentreten. Für die Zuhörer, die keine Tierärzte sind, möchte ich sagen: Das Auftreten dieser Stechmücke hat zu einem Ausbruch dieser Krankheit in einer Region geführt, wo sie normaliter nicht vorkommt. Das zeigt, das Tierseuchengeschehen hält heute und auch in Zukunft immer wieder Überraschungen für uns bereit. Ich teile Ihre Meinung, dass wir in diesen Bereichen die Forschung verstärken müssen, um auf solche möglichen Fälle vorbereitet zu sein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, stimmen Sie aber mit mir darin überein, dass die Unannehmlichkeiten, die mit dieser Stechmücke und der von ihr hervorgerufenen Erkrankung verbunden sind, völlig unterschätzt wurden? Man war von der enormen Ausbreitung dieser Krankheit und von den Schäden, die damit verbunden sind, überrascht. Es bestand vorher wohl die Hoffnung, ein kalter Winter könne dieses Problem lösen. Hat nicht all das dazu beigetragen, dass wir dieser Situation sehr lange hilflos gegenübergestanden haben und meiner Meinung nach noch immer hilflos gegenüberstehen? Vor dem Hintergrund der derzeitigen klimatischen Entwicklung muss man sagen, dass man in anderthalb Monaten nicht mehr impfen muss; dann ist das Thema durch.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir haben diese Seuche weder unterschätzt, noch stehen wir ihr hilflos gegenüber, Herr Goldmann. Wer die gesamten Tierbestände Deutschlands mit über 20 Millionen Dosen impft, ist nicht hilflos. Die Wissenschaft und alle Fachleute haben hier - ich möchte sagen: in vorbildlicher Weise - reagiert. Die Seuche wurde also nicht unterschätzt. Die Bekämpfungsstrategie zeigt, dass es in Deutschland zwischen Bund und Ländern effektive Strukturen gibt. Jeder, der einmal verendende Schafe oder Rinder gesehen hat, der weiß, wie dramatisch sich für den einzelnen Halter die Situation darstellt. Deswegen wird seit Bekanntwerden des ersten Ausbruchs dieser Krankheit mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Forschung, aber auch der Politik daran gearbeitet, wirksame Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Wir sind davon überzeugt, dass diese flächendeckende Impfung eine solche wirksame Gegenmaßnahme ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Hans-Michael Goldmann auf: Bis wann rechnet die Bundesregierung mit der Lieferung des angeforderten Impfstoffs, und bis wann ist mit dem Abschluss einer ausreichenden Impfung gegen die Blauzungenkrankheit in Höhe von 80 Prozent der Tierbestände von Rindern, Ziegen und Schafen in Deutschland zu rechnen?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Blauzungenkrankheit hält uns weiterhin in Atem. - Die Frage von Herrn Goldmann, bis wann die Bundesregierung mit der Lieferung des angeforderten Impfstoffs rechnet, habe ich schon beantwortet. Auf seine Frage, bis wann mit dem Abschluss einer ausreichenden Impfung gegen die Blauzungenkrankheit in Höhe von 80 Prozent der Tierbestände zu rechnen ist, antworte ich: Nach Kenntnis der Bundesregierung erfolgt Mitte Mai die Lieferung erster Impfstoffdosen zur Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit. Es kann dann mit der sofortigen Impfung begonnen werden. Mit dem Abschluss und dem Erreichen eines ausreichenden Impfschutzes wird im zweiten Halbjahr gerechnet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass wir aus Tierschutzgründen und auch aus ökonomischen Gründen uns für Impfen statt für Töten einsetzen. Wir haben ja enorme Schwierigkeiten, geimpftes Material - so will ich es einmal vorsichtig ausdrücken - zu exportieren. Halten Sie die Qualität des eingesetzten Impfstoffes für geeignet, um ein Signal zu setzen, dass Impfen eine sinnvolle präventive Maßnahme ist, um unsere Tierbestände zu schützen und gleichzeitig unsere Chancen beim Export von Nahrungsmitteln und Tieren weiterentwickeln zu können?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Wir sind erstens davon überzeugt, dass wir die weitere Ausbreitung der Seuche mit dieser flächendeckenden Impfung wirksam bekämpfen können. Zweitens herrscht in der Europäischen Union die Meinung, dass mit dieser Impfung keine weitreichenden Auswirkungen auf die Exporte verbunden sind. Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen verschiedener Länder; aber dies ist ganz normal. Darüber wird mit den entsprechenden Exportländern zu sprechen sein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Goldmann.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben es vorhin zwar schon einmal angedeutet, aber ich frage trotzdem: Mit welchem Schadensrahmen rechnen Sie? Wie viele gefallene Tiere sowohl bei Schafen und Ziegen als auch bei Rindern wird es geben? Mit welchen Ausfällen müssen Landwirte rechnen, die sich dieser Impfung im Grunde genommen anschließen müssen? Wie stark wird der Rückgang bei der Milcherzeugung sein? Wie viele Verkalbefälle usw. wird es geben? Können Sie einmal den Rahmen beschreiben, in dem wir uns bewegen, und dann bitte einmal am Einzelfall aufzeigen, wer was entschädigt? Einiges entschädigt ja wohl der Impfstoffhersteller, andere Dinge die Tierseuchenkasse. Für manche Dinge muss möglicherweise auch der Tierarzt eintreten. Diese Sache ist aus meiner Sicht noch sehr unklar.

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Für die Halter möchte ich noch einmal klarmachen: Es handelt sich um eine flächendeckende Impfung. Wir haben in Zusammenarbeit mit anderen Ländern mit den Impfstoffherstellern mit Schnelligkeit und Nachdruck bestimmte Dosen entwickelt. Sie fordern auf der einen Seite, noch schneller und konsequenter vorzugehen und keine Zeit zu verlieren. Auf der anderen Seite bedarf es natürlich der Abklärung der Fragen der Nebenwirkungen, Folgewirkungen usw. Deshalb gibt es bereits seit März den erwähnten Impfversuch. Die derzeitigen Ergebnisse dieses im Kleinen laufenden Impfversuches lassen keinen Hinweis darauf zu, dass mit - so sage ich einmal - außerordentlichen Schäden bei der Gesamtimpfung zu rechnen ist. Ich habe in einer vorhergehenden Antwort bereits gesagt: Die Tierseuchenkassen stehen für eventuelle Schäden ein.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Michael Goldmann auf: Haben Bund und Länder rechtzeitig den Tierärzten die für die Durchführung der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit notwendigen klaren und praktikablen Ausführungsbestimmungen zur Verfügung gestellt?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Die Zuständigkeit für die Durchführung der Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit liegt bei den Ländern. Sie müssen diese Frage also an die betroffenen 16 Bundesländer weiterreichen. Wir waren ausreichend, umfassend und konsequent mit den Ländern in Kontakt. Der Föderalismus gebietet es, den Ländern hier die Hoheit, aber auch die Verantwortung zu lassen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, Sie haben natürlich recht. Aber war nicht die Vorgehensweise, die die Bundesregierung gewählt hat, nämlich dass sie im Grunde genommen keine Eilverordnung auf den Weg gebracht hat und nicht darauf gedrängt hat, dass die Länder ihre Impfbestellung aufgeben, geradezu ein Beitrag dazu, dass es in dieser Frage kein Miteinander zwischen Bund und Ländern gegeben hat, und ist der Bund sozusagen als oberste Impfbehörde nicht doch in einer Fundamentalverantwortung?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Der deutsche Impfplan wurde von der EU-Kommission genehmigt. Ich kann Ihnen sagen: Im Rahmen einer Tierseuchentagung auf der Insel Riems am 21. Februar 2008 wurde mit den Ländern über diese Fragen umgehend, umfassend und erschöpfend gesprochen. Die Bundesländer und der Bund sind sich einig, dass das beschlossene und jetzt umgesetzte Vorgehen konsequent und richtig ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Frage.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich möchte auf Ihre vorletzte Antwort zurückkommen: Kommt die Tierseuchenkasse für alle entstehenden Schäden auf?

Dr. Gerd Müller (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002742

Ich habe bereits gesagt, dass die Tierseuchenkasse für die Schäden aufkommt, dass für denkbare Fälle, die darüber hinausgehen - ({0}) - Wir reden hier über theoretische Annahmen. Aufgrund der allgemeinen Erfahrungen mit Impfungen gehen wir alle davon aus, dass die Impfung nicht zu dramatischen Schäden führen wird. Wenn es vereinzelt zu Verwerfungen, Aborten oder Verendungen kommt, wird das über das Tierseuchenrecht gelöst; dann wird die Tierseuchenkasse die Schäden begleichen. ({1}) - Wir belassen es bei der Frage. Wir werden die Impfungen jetzt anlaufen lassen und ein Monitoring durchführen. Über den Fortlauf des Geschehens können Sie jederzeit Informationen erhalten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet der Herr Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt. Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Lydia Westrich auf: Ist das Bundesministerium der Verteidigung vor dem Hintergrund, dass im März dieses Jahres die Bundeswehr bei Übungsflügen über der Westpfalz Übungsmunition, sogenannte Düppel, über bewohntem bzw. landwirtschaftlich genutztem Gebiet abgeworfen hat, bereit, den berechtigten Sorgen der betroffenen Anwohner über eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch diese Übungsmunition insoweit Rechnung zu tragen, als es ein unabhängiges Prüfinstitut mit einem Gutachten zu möglichen gesundheitlichen Risiken durch die Düppel beauftragt und die Ergebnisse des Gutachtens den betroffenen Bewohnern bekannt macht?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, meine Antwort orientiert sich natürlich an dem Schreiben des Kollegen Kossendey vom 3. April, in dem er auf Ihre Fragen gleichen Inhalts geantwortet hat. Zur Begrifflichkeit will ich vorweg sagen: Düppel sind Munition darstellende Übungsgegenstände, keine Explosivstoffe. Der Einsatz des von der Bundeswehr genutzten Düppelmaterials bringt keinerlei Gesundheitsgefährdungen oder Gefährdungen für die Umwelt mit sich. Dies belegen nationale wie internationale Studien sowie toxikologische Untersuchungen. Drei solcher Studien liegen dem Bundesministerium der Verteidigung vor. Die Bundesregierung sieht deswegen keine Notwendigkeit, eine weitere Studie in Auftrag zu geben. Es besteht allerdings die Bereitschaft, die Ergebnisse dieser Untersuchungen - soweit noch nicht bekannt - bekannt zu machen und die Studien - soweit noch nicht geschehen zur Verfügung zu stellen. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir die angesprochene Besorgnis der Bürgerinnen und Bürger gemeinsam wissenschaftlich fundiert entkräften könnten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wenn die von Ihnen zitierten Untersuchungen die Ungefährlichkeit des Düppelmaterials belegen, frage ich mich, warum sich das Verteidigungsministerium weigert, die Studie der Presse und damit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich freue mich natürlich über das Angebot, den Sachverhalt gemeinsam zu erörtern. Mir ist es aber auch wichtig, dass ich die Fragen beantworten kann, die mir gestellt werden. Was ist mit der Nahrungskette? Übungsmunition soll eigentlich „unsichtbar“ sein. Zufälligerweise ist sie aber in größerem Umfang entdeckt worden, wurde für die Menschen sichtbar. Sogar auf dem Außengelände eines Kindergartens ist diese Munition gefunden worden, auch auf Viehweiden. Die Menschen fragen mich: Wenn diese Übungsmunition unsichtbar ist, verfällt sie dann nicht zu Staub bzw. atmet man sie dann nicht doch ein, und welche Folgen hat das im Hinblick auf die Nahrungsmittelkette? Warum stellen Sie diese Untersuchungen der Presse nicht zur Verfügung, sodass solche Fragen gar nicht erst aufkommen, sondern gleich geklärt werden können?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Herzlichen Dank für die Zusatzfrage. - Nicht alle Studien, deren Titel ich Ihnen gerne nenne, sind von der Bundeswehr in Auftrag gegeben worden. Sie liegen zum Teil nur in englischer Sprache vor. Aber ich denke, wir werden einen Weg finden, um den Inhalt dieser wissenschaftlichen Gutachten auf verlässliche Weise in die Öffentlichkeit zu tragen. Folgende Studien bzw. Untersuchungen liegen dem Bundesministerium der Verteidigung vor: Die erste Studie hat den englischen Titel „Identifying and Evaluating the Effects of Dispensing Chaff from Military Aircraft“. Sie datiert vom 5. Dezember 1989 und trägt die Projektnummer 462-05 der Science and Engineering Associates, Inc., aus den USA. Bei der zweiten Studie ({0}) handelt es sich um den Abschlussbericht des WIWEB, des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Werk-, Explosiv- und Betriebsstoffe der Bundeswehr, also unseres eigenen Instituts. Diese Studie datiert vom 10. Juli 1998 und hat den Titel „Bewertung der Umweltverträglichkeit von Düppelmaterial“. Die dritte Studie ist eine Untersuchung des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Schutztechnologien vom 8. Juni 1998 mit dem Titel „Toxikologische Bewertung von Düppelmaterial“. Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Informationen an die Betroffenen weitergeleitet werden. Ich wäre sehr dankbar, wenn dies in Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages geschehen könnte. Den Ergebnissen dieser Studien ist zu entnehmen, dass das von der Bundeswehr verwandte Düppelmaterial ausschließlich aus nicht lungengängigen, aluminiumbeschichteten Glasfäden besteht und keine Gefährdung für Exponierte oder Umwelt darstellt. Glas als Werkstoff ist eine unterkühlte Schmelze aus Quarz und Silikaten, die auch in der Natur vorkommt; ich denke, das ist uns allen bekannt. - Ich erinnere mich noch an den Satz: Feldspat, Quarz und Glimmer, die vergess ich nimmer. - Diese Verbindungen zählen zu den häufigsten auf der Erdkruste. Die Fasern sind chemisch reaktionsträge. Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchungen ist: Die im Düppelmaterial verwendeten Fasern können aufgrund ihrer Länge nicht inhaliert werden. Selbst bei Bruch der Faser entstehen allein aufgrund des Faserdurchmessers nur Fragmente. Daher kann ein inhalatives Risiko ausgeschlossen werden. Mit der Nahrung aufgenommenes Düppelmaterial durchwandert ungehindert den Magen-Darm-Trakt und wird dann - das sage ich, weil Sie auch Tiere erwähnt haben - wieder ausgeschieden. Bei den Düppelfäden handelt es sich um Stoffe, die natürlichen Mineralien ähneln. Die Glasfasern werden in der Umwelt mechanisch zerkleinert, und das Aluminium wird in unlösliche Aluminiumoxide und -salze umgewandelt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Natürlich geht es nicht nur um Tiere, sondern auch um Kinder. Eine Erzieherin hat nämlich ein Kind gefunden, das den Mund voller Aluminiumsplitter hatte. Ob die Eltern davon begeistert waren, will ich einmal dahingestellt sein lassen. Jetzt möchte ich noch eine Nachfrage stellen: In Deutschland wird ja besonders viel von dieser Übungsmunition abgeworfen, weil es hierzulande - das ist in Europa einzigartig, bei uns ist es allerdings nicht sehr beliebt - eine Polygone-Übungsanlage gibt. Dabei handelt es sich um eine Zone, in der der Luftkampf geübt werden kann und die gerade bei schönem Wetter sehr gerne genutzt wird, allerdings nicht nur von deutschen Fliegern, sondern natürlich auch von unseren NATOPartnern. Nutzen auch sie die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung - ich muss dazusagen, dass diese Munition normalerweise nicht über Land abgeworfen werden darf -, sodass wir nicht nur von unserer Bundeswehr, sondern auch von allen anderen NATO-Partnern mit dieser Übungsmunition rechnen müssen?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Die Düppelabwurfkampagnen werden von der Bundeswehr durchgeführt. Ich möchte hinzufügen, dass die Bundeswehr in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich zwei räumlich und zeitlich begrenzte Abwurfkampagnen pro Jahr über dem Landgebiet der Bundesrepublik Deutschland ausgeführt hat. Diese Kampagnen sollen die Ausnahmen und nicht die Regel sein. Außerdem informieren wir grundsätzlich darüber. Dies ist bei dem Düppelausstoß im Februar 2008 aus nicht nachvollziehbaren Gründen leider nicht erfolgt. Aber das ist ein Einzelfall. Wir werden sicherstellen, dass dies zukünftig wieder, wie bisher, angekündigt wird. Über den Düppelausstoß von Streitkräften der Alliierten, deren Luftwaffe hier übt, kann ich Ihnen keine verbindliche Auskunft geben, weil uns keine Zahlen bekannt sind. Ich kann Ihnen heute nur zusagen, dass ich Ihnen die genauen Zahlen, soweit sie uns zugänglich sind, nachliefern werde. Es gilt aber, dass auch diese Streitkräfte die sehr restriktiven Regelungen beachten müssen. Zwischenzeitlich wurden Maßnahmen getroffen, um sicherzustellen, dass die Behörden informiert sind. Frau Kollegin, ich möchte Ihren Hinweis aufnehmen: Wenn Kinder solche Glas-Aluminium-Fäden finden, dann versteht es sich von selbst, dass die Eltern betroffen sind und Fragen stellen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Abwurf der Fäden, die sich normalerweise auflösen - im Februar war es wohl so, dass einige Fäden trotz der strengen Auflagen gemäß den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im Bündel heruntergefallen sind -, aufgeklärt wird. Zudem sollten diese Abwürfe weiterhin äußerst restriktiv gehandhabt werden. Meinen Hinweis auf die Tiere habe ich schlicht und ergreifend deswegen gemacht, weil sich im Raum Kolleginnen und Kollegen aufhalten, die von Beruf Tierärzte sind. Dass ich im Zusammenhang mit dem MagenDarm-Trakt von Wiederkäuern gesprochen habe, lag daran, dass ich mit einer Nachfrage dahin gehend gerechnet habe, ob ich denn nicht wisse, auf welcher Seite des Körpers Kühe ausscheiden. Aber ich gebe zu, dass das nicht unmittelbares Umfeld meiner Expertise ist.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 12 der Abgeordneten Lydia Westrich auf: Hält das Bundesministerium der Verteidigung den Abwurf von Übungsmunition über bewohntem sowie landwirtschaftlich genutztem Gebiet für politisch vertretbar im Hinblick darauf, dass es sich bei dem betroffenen Gebiet um eine Region handelt, die seit vielen Jahren überproportional stark von ver16408 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner schiedensten militärischen Belastungen durch Tiefflüge, Munitions- und Giftgaslager und militärischen Flugbetrieb allgemein betroffen ist?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung nimmt hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr eine gesamtstaatliche Verantwortung wahr. Bei dieser Gelegenheit gilt es, den Bürgerinnen und Bürgern der Regionen, in denen diese Übungen stattfinden, dafür zu danken, dass sie diese Belastungen ertragen. Ich denke, dass die Begründung, die sich aus meiner Darstellung ergibt, nämlich dass es sich hier um notwendige Übungsmaßnahmen handelt, diesen Dank besonders unterstreicht. Wir und letztendlich alle politischen Mandatsträger in Deutschland tragen die Verantwortung dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf die oftmals mit Gefahr für Leib und Leben verbundenen Einsätze optimal vorbereitet sind. Ich sage, insbesondere weil gerade in diesen Tagen in einer überzogenen und nicht adäquaten Art und Weise über die Sicherheit unserer Soldaten gesprochen wird: Wir nehmen die Frage der Sicherheit unserer Soldaten sehr ernst. Dazu gehört, dass die Bundeswehr bei ihren Einsätzen über bestmöglich geeignetes und erprobtes Material verfügt. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, führt das zu Qualitätseinbußen in der Auftragserfüllung und zu einer erhöhten Gefährdung. Vor diesem Hintergrund war die im Zeitraum vom 5. bis 7. Februar 2008 über der Übungseinrichtung Polygone durchgeführte Wirksamkeitsuntersuchung zur Ermittlung von Düppelausstoßsequenzen für das Selbstschutzsystem des Luftfahrtzeugmusters C-160 Transall notwendig. Dieses Selbstschutzsystem ist bei der C-160 Transall - dieses Transportflugzeug ist das Arbeitspferd der Bundeswehr - nach den Erfahrungen, die sich im Zusammenhang mit dem Einsatz über Sarajevo/ Bosnien ergeben haben, nachgerüstet worden. Das war unabdingbar. Die Wahl des Übungsraums Polygone ist in Deutschland aufgrund der einzigartigen Ausstattung - Sie haben darauf hingewiesen, Frau Kollegin - leider ohne Alternative. Die Ergebnisse tragen unmittelbar zum Erhalt der Sicherheit unserer Soldaten im Einsatz bei. Im Bewusstsein dieser Verantwortung müssen wir an diesem Übungsraum festhalten. Wir alle miteinander, die wir die politische Verantwortung tragen - der Bund, das Land Rheinland-Pfalz, die betroffenen Kommunen -, müssen bei den Bürgern für Verständnis werben. Gleichzeitig können wir zusagen, dass wir uns dieser Aufgabe auf sehr restriktive Art und Weise stellen und auf die Vermeidung potenziell toxischer Gefährdungen achten.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, die Bürger meines Wahlkreises brauchen sich nicht vorwerfen zu lassen, nicht an die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten zu denken. Ich habe bereits angedeutet, dass wir in dieser Richtung schon allerhand zu erwarten haben. Gerade bei dem wunderschönen Wetter heute kann man beobachten, wie sich unsere Jäger Polygones bedienen. Das ist - das will ich ehrlich sagen - nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Deswegen will ich noch einmal eindringlich fragen: Inwieweit überlegt sich das Verteidigungsministerium, wie es vermieden werden kann, dass solchen Regionen weitere Belastungen auferlegt werden? Ich habe diese Auseinandersetzung schon vor zehn Jahren geführt. Damals ist erreicht worden, dass die Übungsmunition über Land - bis auf die begründeten Ausnahmefälle - nicht mehr abgeworfen werden darf, sondern nur noch auf See und da nicht in der Nähe von Inseln. Ich bitte das Verteidigungsministerium, sich noch einmal zu überlegen, wie darauf verzichtet werden kann, dass Regionen, die - durch die Bundeswehr, aber auch durch Alliierteneinrichtungen wie den Flugplatz Ramstein - militärisch hoch belastet sind, zusätzliche Belastungen auferlegt werden. Die Bevölkerung ist mit Polygone sowieso nicht einverstanden; das wissen Sie in Ihrem Haus. Wenn man die Akzeptanz für Polygone erhalten will, muss man dafür sorgen, dass nicht weitere Belastungen oder Ängste und Befürchtungen auf die Bürger zukommen.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Frau Kollegin, ich bin mit Ihnen einig, dass es nur darum gehen kann, den Bürgerinnen und Bürgern dafür zu danken - das habe ich getan -, dass sie von ihrem Recht, zu fragen und sich die Dinge darlegen zu lassen, Gebrauch machen. Andererseits denke ich, dass das Verständnis für Polygone grundsätzlich vorhanden ist. Auch aus Ihrer Frage geht deutlich hervor, dass das Interesse an der Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in ein gewisses Verhältnis zueinander gebracht werden müssen; das ist ein gemeinsames Ziel. Ich möchte mich bei den Bürgerinnen und Bürgern, wie gesagt, ausdrücklich bedanken, muss allerdings sagen: Ich würde die Präsenz der Bundeswehr im Raum der Westpfalz nicht allein als Belastung betrachten; denn ich weiß, dass diese Region strukturell nicht besonders gut ausgestattet ist. Ich war in der letzten Woche in Birkenfeld und habe mich dort über die wirtschaftliche Bedeutung der Luftwaffe, der Bundeswehr insgesamt und auch der amerikanischen Streitkräfte für die Bevölkerung informiert. Es gibt hier ein gewisses Spannungsverhältnis, sodass man einen Ausgleich suchen muss. Ich kann zusagen, dass der von Ihnen zu Recht angesprochene grundsätzliche Ausschluss der Nutzung von Düppeln über Land zukünftig bestehen bleibt und dass nur in begründeten Ausnahmefällen nach vorheriger Ankündigung und Information der betroffenen Gebiete sowie der entsprechenden Behörden und Kommunen davon abgewichen wird. Dies geschieht aber wirklich nur dann, wenn es unabdingbar ist, und es wird auf ein möglichst geringes Maß zurückgeführt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch eine Zusatzfrage.

Lydia Westrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002490, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich will trotzdem insistieren: Inwieweit kann sich Ihr Haus andere Gebiete für diese Art von Übungen vorstellen, damit unsere Region nicht noch weiter belastet wird?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Zu den Räumlichkeiten, die Sie mit der Einrichtung Polygone umschrieben haben, sehe ich gegenwärtig keine Alternative, um diese Art von Übungen durchzuführen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben ein Gutachten aus dem Jahre 1989 zitiert. In dem Zusammenhang würde mich zum einen interessieren, ob sich die Art der verwendeten Übungsmunition seitdem nicht geändert hat, und zum anderen, ob Sie uns hier versichern können, dass die Munition, die dort von alliierten Einsatzkräften abgeworfen wird, den gleichen Standards unterliegt und dass die Einschränkung, die Sie gemacht haben, dass nämlich ein entsprechender Abwurf nur im absoluten Ausnahmefall und mit vorheriger Ankündigung getätigt wird, auch für diese gilt.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Die Grundsubstanz und -struktur der Düppel hat sich seit dieser Untersuchung nicht geändert. Es liegt auch eine amerikanische Studie über die Munition bzw. eine Darstellung der Munition anderer Streitkräfte vor. Ich werde Ihre Zusatzfrage zum Anlass nehmen, zu überprüfen, inwieweit dort andere Substanzen, von denen mir gegenwärtig nichts bekannt ist, vorkommen. Der Redlichkeit halber sollten wir dem nachgehen. Ich glaube, das Ergebnis wird sein, dass keine solchen verwendet werden. Wenn es aber doch so sein sollte, dann sind sie unter den gleichen Kriterien zu bewerten. Das heißt, sie müssen ausgeschlossen sein, wenn sie zu einer gesundheitlichen Gefährdung führen könnten. Ich bin gerne bereit, der Fragestellerin und Ihnen als Steller der Zusatzfrage die entsprechende Auskunft auf dem schriftlichen Wege zukommen zu lassen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Trifft das zu, was in der ARD-Sendung Monitor vom 3. April 2008 behauptet wurde, dass externe Mitarbeiter auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mitgewirkt haben, und, wenn ja, welche Unternehmen, die Mitarbeiter in das Bundesministerium der Verteidigung delegieren konnten, hatten in der Zeit von 2004 bis 2006 auch öffentliche Aufträge durch das Bundesministerium der Verteidigung erhalten? ({0})

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin. Ich habe mich jetzt so sehr mit den Düppeln beschäftigt. ({0}) Frau Kollegin Lötzsch, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Nein, es trifft nicht zu. Von Entscheidungen in einem Vergabeverfahren sind solche Personen gemäß § 16 der Vergabeverordnung allein schon aus präventiven Gründen ausgeschlossen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, nachdem Sie sich wieder in das Thema eingefunden haben, möchte ich eine kurze Vorbemerkung machen. In der letzten Fragestunde haben wir sehr ausführlich das Thema Lobbyismus besprochen; meine Frage ordnet sich in diesen Themenkomplex ein. Auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes hat Ihr Ministerium zum Beispiel gegenüber Journalisten Auskünfte darüber erteilt, welche Vertreter welcher Unternehmen in Ihrem Ministerium tätig waren. Ich habe mir das also nicht ausgedacht; Ihr Ministerium selbst hat es der Öffentlichkeit kundgetan. Ich möchte gerne wissen, welche externen Beschäftigten welcher Unternehmen in die Entwicklung des 7-Milliarden-Euro-Projektes Herkules eingebunden waren. Das war jetzt die Nachfrage.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

In die Vergabe von Herkules waren keine Externen eingebunden. ({0}) - Ich bitte darum, das schriftlich beantworten zu können.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Das wäre sehr nett; darüber würde ich mich freuen. Darf ich eine zweite Nachfrage stellen? - In der Übersicht Ihres Ministeriums, die auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes für Journalisten angefertigt wurde - darauf beziehe ich mich -, haben Sie Mitarbeiter weiterer Unternehmen aufgezählt. Sie haben mitgeteilt, dass Sie in Ihrem Ministerium externe Mitarbeiter von IBM beschäftigt haben. Welche Aufgaben hatten diese Mitarbeiter?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Auch dies würde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten, weil ich die entsprechenden Unterlagen jetzt nicht zur Verfügung habe.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine Zusatzfrage der Kollegin Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, dürfte ich Sie bitten, ebenfalls - sicher auch schriftlich - die Frage zu beantworten, welche Aufgabe der externe Mitarbeiter von Roland Berger hatte?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Ja, sehr gern. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höll, Sie haben nur eine Zusatzfrage. ({0}) Frau Kollegin Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Unabhängig davon, dass Sie die gestellten Fragen nicht beantworten können und sie möglicherweise schriftlich beantworten, stellt sich die Frage: Wie sorgen Sie dafür, dass externe Mitarbeiter nicht zu einem Sicherheitsrisiko im Hinblick auf die vom Ministerium vergebenen Aufträge werden?

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Indem sie nicht mit sicherheitsrelevanten Fragen in Berührung gebracht werden und indem eine ständige - ({0}) Frau Präsidentin, ich habe jetzt nicht verstanden, was die Kollegin sagen wollte.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Es war sicher nicht so wichtig, Herr Staatssekretär.

Christian Schmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002003

Das mag sein. Insofern halte ich die Frage für beantwortet.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth. Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter auf: Reichen nach Auffassung der Bundesregierung die Ergebnisse der erneuten Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchungen, NKU, des Projekts „zweite S-Bahn-Stammstrecke in München“ aus, um das Projekt im Rahmen des GVFGBundesprogramms zu fördern, und welche Voraussetzungen neben der Überschreitung bestimmter Nutzen-Kosten-Verhältnisse müssen für die Bundesregierung Projekte, deren Nutzen-Kosten-Faktor knapp über eins erreicht, erfüllen, um in das GVFG-Bundesprogramm aufgenommen zu werden?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Dr. Hofreiter, die Antwort der Bundesregierung lautet: Dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung liegt die Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchung noch nicht vor. Ein positives Ergebnis der Nutzen-KostenUntersuchung ist aber eine der Voraussetzungen - danach haben Sie gefragt - für eine Förderung mit Bundesfinanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Darüber hinaus sind natürlich die Fördervoraussetzungen zu erfüllen, die im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz genau festgelegt sind.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, könnten Sie vielleicht die Frage 15 gleich mitbeantworten, da sie in engem Zusammenhang mit der Frage 14 steht? Dann lassen sich die Nachfragen leichter stellen.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Gerne.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter auf: Inwieweit hält die Bundesregierung die Ergebnisse der NKU für plausibel, nachdem mittlerweile das Projekt erheblich gestreckt wurde und unklar ist, ob überhaupt alle Baustufen verwirklicht werden, und wie steht die Bundesregierung zu deutlich preiswerteren Alternativen wie beispielsweise dem Ausbau des Eisenbahnsüdrings? Bitte, Frau Staatssekretärin.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Bundesregierung ist im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der Sparsamkeit immer an preiswerten Alternativen interessiert. Jedoch ist zu berücksichtigen, ob diese AlternatiParl. Staatssekretärin Karin Roth ven auch den verkehrlichen Nutzen erbringen, der angestrebt wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nun Ihre Zusatzfragen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Ergebnisse der Neubewertung noch nicht vorliegen und deshalb vollkommen offen ist, ob der zweite S-Bahn-Tunnel in München gebaut wird? Das sind große Änderungen. Wenn man eine objektive Neubewertung vornimmt, könnte theoretisch herauskommen, dass der Nutzen-Kosten-Faktor unter 1 liegt. Beim letzten Mal lag er bei 1,01, also nur sehr knapp darüber.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Herr Dr. Hofreiter, es ist doch klar, dass das Bundesministerium zuerst das Ergebnis abwartet, um dann zu kommentieren und festzustellen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Kann das Bundesverkehrsministerium einschätzen, wann das Ergebnis vorliegt, und es dann vielleicht mitteilen?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Frau Präsidentin! Herr Dr. Hofreiter, ich würde es Ihnen gerne mitteilen. Die Entscheidung liegt aber beim Land Bayern. Natürlich hoffen wir, dass das Ergebnis bald vorliegt. Aber, wie gesagt, wir sind nicht Herr des Verfahrens.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Sie haben noch zwei Zusatzfragen.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Falls das Ergebnis negativ ausfällt: Gibt es irgendeinen Plan B? Bei Großprojekten, insbesondere bei denjenigen, an denen die Bayerische Staatsregierung beteiligt war, ist es oft zu Kostenexplosionen gekommen.

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Zuerst werden wir die Ergebnisse der Nutzen-KostenUntersuchung, wenn sie vorliegen, beurteilen. Es ist gesetzlich ganz klar vorgeschrieben, dass die Nutzen-Kosten-Verhältnisse eine bestimmte Relation aufweisen müssen. Wenn sie nicht erreicht wird, wird darüber zu reden sein, was dann passiert.

Dr. Anton Hofreiter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003772, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit anderen Worten: Sie haben keinen Plan B?

Karin Roth (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003618

Wir brauchen keinen Plan B, solange wir nicht wissen, was die Nutzen-Kosten-Untersuchung besagt. Herr Dr. Hofreiter, Sie wissen, dass sich das Land Bayern und die Stadt München für die Variante einer zweiten Stammstrecke entschieden haben. Warten Sie also das Ergebnis ab! Danach schauen wir weiter. Ich betone: Die Bundesregierung braucht in diesem Zusammenhang keinen Plan B. Wir hoffen, dass sich das Nutzen-KostenVerhältnis im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms bewegen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Hettlich werden schriftlich beantwortet, genauso wie die Frage 18 des Kollegen Dr. Ilja Seifert. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches. Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die Beantwortung übernimmt Herr Staatsminister Dr. Gernot Erler. Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Dr. Barbara Höll auf: Wie setzt sich die Bundesregierung für die Gewährleistung der Sicherheit der circa 2 000 deutschen Künstler, Journalisten, Gäste, Fans und Interessierten, die zum Finale des Eurovision Song Contest am 24. Mai 2008 nach Belgrad reisen, im Hinblick auf die Androhung von serbischen Rechtsextremisten und weiterer rechter Gruppen, die zu Gewalttaten gegen die nicht unerhebliche Anzahl lesbischer und schwuler Teilnehmer aufrufen, bei den serbischen Behörden und der Eurovision-Dachgesellschaft EBU ein? Bitte, Herr Staatsminister.

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Frau Kollegin Dr. Höll, die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Gewährleistung der Sicherheit für alle Teilnehmer und Gäste des Eurovision Song Contests obliegt der serbischen Regierung. Diese betrachtet die Veranstaltung als eine Gelegenheit, Serbien der europäischen Öffentlichkeit zu präsentieren, und misst daher dem Gelingen der Veranstaltung auch unter Sicherheitsaspekten höchste Priorität bei.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Zusatzfragen, bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Nun ist ja bekannt, dass es in einigen osteuropäischen Staaten, zu denen Serbien gehört, eine ausgeprägte Homophobie gibt und insoweit das Verhältnis des Staates zu schwul und lesbisch lebenden Menschen einen Lackmustest für die Wahrnehmung demokratischer Grundrechte im jeweiligen Staat darstellt. Ich erinnere daran, dass es im Jahr 2001 in Serbien massive Überfälle auf Schwule gab. Vor diesem Hintergrund frage ich nach, ob speziell auf diesen Problemkreis hingewiesen wurde oder ob es bei einer allgemeinen Zusicherung der serbischen Regierung geblieben ist.

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Frau Kollegin Dr. Höll, am liebsten würde ich auf diese Frage im Zusammenhang mit der Beantwortung Ihrer zweiten Frage eingehen, in der Sie nach der Sicherheitslage für die lesbischen und schwulen Gäste gefragt haben. Sind Sie damit einverstanden? Sie können dann ja Ihre weiteren Zusatzfragen stellen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Dann rufe ich auch Frage 20 der Kollegin Dr. Höll auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheitslage für die zahlreichen deutschen und internationalen lesbischen und schwulen Gäste am Eurovision Song Contest in Belgrad?

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Die Antwort der Bundesregierung lautet: Der serbische Präsident Boris Tadić verbürgte sich in einem auch im Internet veröffentlichten Schreiben vom 17. März 2008 an die Delegationsleiter der Teilnehmerländer für die Sicherheit aller Teilnehmer. Die bisherigen Vorbereitungsmaßnahmen geben keinen Anlass zur Annahme, dass die serbischen Behörden ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Sicherheit insbesondere lesbischer und schwuler Gäste nicht nachkämen.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Jetzt können Sie Ihre Zusatzfragen stellen.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vor dem Hintergrund, dass sich dieser europäische Contest in den letzten Jahren zu einem schwul-lesbischen Woodstock entwickelt hat, wie Kenner der Szene bestätigen, ist davon auszugehen, dass, wie es bei den letzten Festivals der Fall war, von den Gästen ein sehr offener Umgang gepflogen wird. Bisher war es in Serbien gefährlich, sich offen schwul oder lesbisch zu zeigen, sodass es zu einer besonderen Gefährdungssituation kommen könnte, wenn sich Gäste etwa aus der Bundesrepublik, wie sie es gewohnt sind, entsprechend geschmückt und womöglich kostümiert frei bewegen. Wurde darauf hingewiesen, dass dadurch eine besondere Gefährdungssituation entstehen könnte?

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Sie haben recht, dass die öffentliche Stimmung in Serbien gegenüber Schwulen und Lesben nicht gerade sehr positiv ist, was sich auch in Umfragen zeigt. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass nach den von Ihnen angesprochenen Vorgängen aus dem Jahre 2001 keine weiteren gewalttätigen Manifestationen stattgefunden haben. Wir verlassen uns hier vollkommen auf die Zusagen, die gegenüber dem Veranstalter, der European Broadcasting Union, gemacht worden sind. Es wurde ausdrücklich gesagt, dass beim Schutz nicht nach Religion, Rasse und sexueller Orientierung unterschieden werde. Des Weiteren verlassen wir uns darauf, dass der Contest für Serbien ein wichtiges internationales Ereignis ist. Gestatten Sie mir noch einen zusätzlichen Hinweis: Vielleicht wissen Sie, dass Marija Serifovic, die Gewinnerin des letzten Contests - ihr Sieg ist ja der Grund, dass die Veranstaltung in diesem Jahr in Serbien stattfindet -, lesbisch ist, was öffentlich bekannt ist. Das sollte auch ein Grund sein, dies nicht zum Hauptthema irgendwelcher Äußerungen zu machen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur dritten Zusatzfrage.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Da Sie jetzt dankenswerterweise die Gewinnerin des letzten Jahres angesprochen haben, verweise ich auf einen Artikel in der taz, in dem ausgerechnet sie leider als Zeugin dafür dient, dass für Homosexuelle das Leben in Serbien nicht so einfach ist. Es heißt dort, sie habe sich im Vorfeld des Contests von dem zu vermutenden lesbischen Leben distanziert und blase in das nationalistische Horn, was zeigt, dass bei den Nationalisten in Serbien eine ausgesprochen antischwule und antilesbische Haltung vorzufinden ist. Man vermutet, dass die Aussagen von Frau Serifovic auf Druck zustande gekommen sind, weil die Situation so ist, wie sie ist.

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Frau Kollegin, mir sind die Einzelheiten des Gesinnungswandels oder des Verhaltens von Frau Serifovic nicht bekannt. Tatsache ist, dass sie tatsächlich bei den Präsidentschaftswahlen den Kandidaten der SAS, also der Radikalen, Herrn Nikolic, unterstützt hat. Das ist natürlich schon auffällig gewesen. Was die Hintergründe angeht, kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Ihre Hauptsorge galt der Sicherheit der Besucher auch aus Deutschland. Da gilt nach wie vor, dass wir darauf setzen, dass die serbischen Behörden alles tun werden - zweifellos sind sie dazu in der Lage -, um die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten, wie sie das auch angekündigt haben.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben keine weiteren Fragen? - Dann hat der Kollege Winkler zu einer Zusatzfrage das Wort.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, ich habe das Ganze nicht richtig nachvollziehen können. Der Präsident hat geschrieben, er garantiere gleichen Schutz für alle Gäste, die kommen. Nun liegt aber - Frau Kollegin Dr. Höll hat das korrekt angesprochen - nicht die gleiche Gefährdungslage für alle Gäste vor, sondern bestimmte Gruppen, insbesondere Schwule und Lesben, waren in den letzten Wochen Bedrohungen ausgesetzt, und es wurde ihnen angekündigt, dass man ihnen - auf gut Deutsch gesagt zeigt, wo der Hammer hängt. Insofern ist diese generelle Zusage nicht ausreichend, weil eine neue Situation eingetreten ist, die darin besteht, dass bestimmte Gruppen gezielt bedroht werden. Aus meiner Sicht stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nochmals eine Initiative ergreift und mit der serbischen Regierung über diese spezielle Lage in ein Gespräch eintritt.

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Herr Kollege Winkler, wenn Sie sich einmal den Text der Erklärung vom 17. März des serbischen Präsidenten Boris Tadić, die auch im Internet zugänglich ist, anschauen, dann stellen Sie fest, dass das eine umfassende Garantie ist, die ausdrücklich alle Gruppen aller Orientierungen einschließt. Ich habe eben schon zitiert, dass es obendrein an den Veranstalter, die EBU, eine Sicherheitsgarantie von serbischer Seite gibt, die ausdrücklich für alle, ohne Unterscheidung nach Religion, Rasse, sexueller Orientierung oder anderen Kriterien, gilt. Eine umfassendere Zusage kann man nicht erhalten. Ich wüsste nicht, wie solche ausdrücklichen Sicherheitsgarantien, die gegenüber dem Veranstalter ausgesprochen worden sind, noch zu steigern wären. Welche höhere Autorität als den Staatspräsidenten, der diese öffentlich zugängliche Erklärung abgegeben hat, sollten wir denn noch bemühen?

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Zusatzfrage ist jetzt nicht möglich, Kollege Winkler. Die Frage 21 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 22 und 23 der Kollegin Marieluise Beck ({0}). Herzlichen Dank, Herr Staatsminister. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Josef Philip Winkler auf: Umfasst das von der Bundesregierung angestrebte Aufnahmekontingent irakischer Christen auch Angehörige der Minderheitenreligion der Mandäer und der Jesiden, und wie begegnet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang dem Eindruck der Diskriminierung anderer schutzbedürftiger irakischer Flüchtlingsgruppen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich kann Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Bundesinnenminister hat die Frage des Flüchtlingsschutzes für Flüchtlinge aus dem Irak bei der letzten Sitzung der europäischen Innen- und Justizminister angesprochen. Es ist Einigkeit darüber erzielt worden, dass diese Frage bei der nächsten Ratssitzung im Juni erneut behandelt und dann nach Möglichkeit auch entschieden wird. Sie werden verstehen, dass man über die Einzelheiten der Durchführung sinnvollerweise erst entscheiden kann, wenn die Europäische Union einen entsprechenden Beschluss gefasst hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Trifft die Annahme zu, dass es bereits bei diesem Innenministerrat zu einer Einigung im europäischen Rahmen gekommen wäre, wenn Herr Schäuble einen Vorschlag gemacht hätte, der über die ausschließliche Berücksichtigung christlicher Flüchtlinge hinausgegangen wäre? Oder ist die Debatte anders abgelaufen? War von vornherein klar, dass erst im Juni entschieden werden soll?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Diese Einschätzung ist ausdrücklich nicht richtig. Es war so, dass dieses Thema zum ersten Mal seit dem letzten Jahr auf der politischen Ebene behandelt worden ist, und zwar auf Initiative des deutschen Innenministers. Es ist allgemein üblich, dass Entscheidungen nicht sofort getroffen werden, sondern dass sie unter Mitarbeit der Kommission und der Mitgliedstaaten auf der Arbeitsebene vorbereitet werden. Das ist ein Prozess, der im Augenblick abläuft. Deshalb wäre eine solche Entscheidung auch bei einem anderen Vorgehen noch nicht getroffen worden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke, Frau Präsidentin. - Ist die Bundesregierung bereit, auf europäischer Ebene auf eine Lösung hinzuwirken, die vorsieht - wir haben darüber heute schon im Innenausschuss debattiert; dort wurde unser Antrag zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak, insbesondere von christlichen, von den Koalitionsfraktionen abgelehnt, was ich sehr bedauere -, auch Angehörige anderer Gruppen, die vom UNHCR als besonders schutzbedürftig bezeichnet wurden, etwa traumatisierte Kinder und alleinstehende Frauen, aufzunehmen? Oder beharrt die Bundesregierung auf ihrer Auffassung - sie wurde, zumindest der Presse nach, von Herrn Schäuble vertreten -, dass diese Aufnahmeregelung ausschließlich oder fast ausschließlich für Christen gelten soll?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Winkler, auch hier werden Sie verstehen, dass ich den Verhandlungen nicht vorgreifen kann. Da Sie immer wieder den Eindruck erwecken, hier werde diskriminiert und eine Gruppe werde in unzulässiger Weise besonders herausgestellt: Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass es darum geht, irakischen Flüchtlingen zu helfen, die besonders schutzwürdig sind oder zu besonders schutzwürdigen Personengruppen gehören. Darüber gibt es auch Gespräche mit dem UNHCR. Bei allen unterschiedlichen Auffassungen, die es auch in diesem Haus geben mag, kann man mit vernünftigen Argumenten nicht bestreiten, dass die Angehörigen religiöser Minderheiten im Irak, insbesondere die Angehörigen der christlichen Minderheit, zu solchen besonders schutzwürdigen Gruppen gehören und dass es deshalb legitim ist, dass die Bundesregierung darüber nachdenkt, wie diesen Gruppen zu helfen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Müller das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, mich interessiert einmal die Linie der Bundesregierung. Diesen Vorstoß hat Innenminister Schäuble unternommen. Die Justizministerin Zypries hat sehr deutlich erklärt, dass sie mit dem Kriterium „Aufnahme irakischer Flüchtlinge entsprechend ihrer Glaubenszugehörigkeit“ nicht einverstanden ist. Die SPD hat sich heute im Auswärtigen Ausschuss bereit erklärt, mit uns, den Grünen, und den anderen Oppositionsfraktionen über einen entsprechenden interfraktionellen Antrag zu diskutieren, während die CDU/CSU das abgelehnt hat. Insofern ist die Linie der Bundesregierung nicht klar. Können Sie sie hier bitte einmal erläutern?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Bundesregierung wird eine klare Linie vertreten, wenn es im Juni im Rat der europäischen Innen- und Justizminister zu entsprechenden Entscheidungen kommt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Grund das Wort.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank. - Von wie vielen Angehörigen der christlichen Minderheit im Irak geht die Bundesregierung bei ihren Überlegungen aus?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Es gibt selbstverständlich keine genauen und verlässlichen Zahlen. Tatsache ist, dass sich beim Ausbruch der Kämpfe im Irak wohl noch einige Hunderttausend Angehörige christlicher Minderheiten im Lande aufgehalten haben. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Personengruppen befindet sich innerhalb und außerhalb des Iraks auf der Flucht. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere Angehörige christlicher Minderheiten es schwerer haben als andere, wenn sie sich in Nachbarstaaten des Iraks um eine erneute Ansiedlung bemühen. Deshalb muss nach einem Beschluss der Europäischen Union ganz genau geklärt werden, welche Personen diese Hilfe am meisten benötigen und wie man diesen Personen diese Hilfe am besten zuteil werden lassen kann.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 25 des Kollegen Josef Philip Winkler: Ist bei der Ausgestaltung der Übersiedlung der irakischen Flüchtlinge nach Deutschland sowie bei der Auswahl der in Betracht kommenden Personen nach der Konzeption der Bundesregierung der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, UNHCR, beteiligt? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Es ist aus Sicht der Bundesregierung selbstverständlich grundsätzlich wünschenswert, dass der Hohe Flüchtlingskommissar in eine mögliche Auswahl von Flüchtlingen eingebunden wird. Aber ein konkretes Konzept - ich wiederhole mich da - kann erst erstellt und beschlossen werden, wenn die Rahmenbedingungen auf europäischer Ebene feststehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nun hat der Hohe Flüchtlingskommissar bereits knapp 14 000 Personen als besonders schutzbedürftig definiert. Sie alle müssen jetzt bis Juni warten, bis die JI-Minister-Konferenz einen Beschluss fasst, so sie das dann tut. Denkt die Bundesregierung nicht darüber nach, die vom UNHCR bereits als besonders schutzbedürftig bezeichneten Personen in einer Resettlement-Aktion von deutscher Seite, unilateral, aufzunehmen? Eine Verteilung auf andere europäische Staaten könnte dann auch später erfolgen, etwa nach der Konferenz im Juni.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Winkler, es ist grundsätzlich nicht richtig, dass alle diese Personen bis zum Juni warten müssen. Eine Reihe von Mitgliedstaaten haben bereits in der Vergangenheit Resettlement-Programme im nationalen Maßstab durchgeführt und tun dies auch gegenwärtig noch. Es ist ferner so, dass in Deutschland die Anerkennungsquote bei irakischen Flüchtlingen aufgrund der verschärften Verfolgungssituation in den letzten Monaten signifikant gestiegen ist. Deshalb, Herr Kollege, ist aus unserer Sicht jetzt die Frage zu beantworten, ob wir einen nationalen Alleingang machen wollen, weil es auch um die Aufnahme einer größeren Zahl von Personen geht - so etwas wird im Augenblick in anderen europäischen Ländern noch nicht diskutiert -, oder ob wir glauben, dass wir mehr Menschen helfen können, wenn es zu einem abgestimmten europäischen Vorgehen kommt. Die Bundesregierung und auch die Innenministerkonferenz, die in der letzten Woche getagt hat, sind der Auffassung, dass man zunächst einmal versuchen soll, ein solch abgestimmtes Vorgehen zustande zu bringen. Die Bundesregierung wird daran selbstverständlich nach Kräften mitwirken und sich aktiv am Zustandekommen einer europäischen Lösung beteiligen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Zusatzfrage.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Auch vor dem Hintergrund dessen, dass wir alle Post von den Kirchen bekommen haben, will ich durchaus einräumen, dass die Gruppe der christlichen Minderheit im Irak natürlich besonders bedroht und verfolgt ist; das habe ich auch nie bestritten. Daneben gibt es aber Jesiden, Mandäer, Sabäer und andere nicht muslimische Minderheiten, die auch verfolgt sind. Weil ich es eben nicht ganz klar verstanden habe, frage ich noch einmal: Wird sich die Bundesregierung querstellen, wenn es darum geht, über die Christen hinaus auch diese Gruppen und andere vom UNHCR als besonders schutzbedürftig deklarierte Personen aufzunehmen, wenn im Juni im JI-Rat oder bis dahin entschieden wird, welche Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Winkler, wie ich schon vorhin gesagt habe, ist eine formelle Entscheidung noch nicht getroffen. Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass auch die Jesiden und Mandäer zu den schutzbedürftigen religiösen Minderheiten im Irak gehören. Dies wird auch von den großen Kirchen so gesehen. Der Bundesinnenminister teilt diese Auffassung ebenfalls.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Müller das Wort.

Kerstin Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, es ist vielmehr so, dass man schon zu einer Entscheidung auf europäischer Ebene hätte kommen können, wenn die konfuse oder blockie- rende Haltung der Bundesregierung nicht bestünde. Es gab bereits einen Vorstoß von Großbritannien, den Nie- derlanden und Schweden zur Zeit der deutschen Ratsprä- sidentschaft, der unverantwortlicherweise im vergange- nen Jahr nicht aufgegriffen wurde. Jetzt gibt es Bereitschaft im Rahmen der EU-Ministerkollegen, Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen, ohne dabei nach der Glaubenszugehörigkeit zu selektieren; der Ratspräsi- dent hat sich dazu ganz klar geäußert. Ich frage Sie deshalb noch einmal: Bleibt die CDU/ CSU im Gegensatz zur SPD bei ihrer Haltung, man müsse bei der Aufnahme entsprechend der Glaubens- zugehörigkeit selektieren, oder ist sie bereit, im Rahmen der EU-Kollegen für eine Aufnahme irakischer Flüchtlinge entsprechend der Schutzbedürftigkeit zu plä- dieren?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Müller, man muss Fantasie und Wahr- heit gelegentlich auseinanderhalten. Tatsache ist, dass es unter deutscher Ratspräsidentschaft einen Vorstoß, ins- besondere auch Schwedens, gegeben hat. Tatsache ist auch, dass die deutsche Ratspräsidentschaft diesen Vor- stoß aufgegriffen und ihn unverzüglich bei einem Abendessen der Innenminister thematisiert hat. Ich war bei diesem Abendessen dabei und kann mich deshalb an den Verlauf der Beratungen sehr genau erinnern. Es gab damals zwischen den Mitgliedstaaten keinen Konsens darüber, eine solche Aufnahmeaktion zu starten, weil man der Auffassung war, dass Hilfe vor Ort für die Be- troffenen Vorrang hat. Das hat dazu geführt, dass die EU-Kommission die finanziellen Mittel für Flüchtlingshilfe innerhalb und au- ßerhalb des Irak wesentlich erhöht hat. Das hat auch dazu geführt, dass die Bundesregierung die von ihr zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel erhöht hat. Nun, nach etwas weniger als einem Jahr seit dieser Initiative, sind wir aufgrund der Berichte und Informationen, die uns vorliegen - wir stehen da auch in Kontakt mit den christlichen Kirchen, die über besonders genaue Infor- mationen verfügen -, der Auffassung, dass sich die Lage nicht gebessert, sondern weiter verschlechtert hat. Des- halb halten wir zum jetzigen Zeitpunkt einen solchen Vorstoß für richtig. Es ist richtig, dass sich der slowenische Ratspräsident öffentlich in eine bestimmte Richtung geäußert hat. Es ist aber noch völlig unklar, wie sich die große Mehrheit der Mitgliedstaaten verhalten wird, insbesondere dieje- nigen Mitgliedstaaten, die im vergangenen Jahr gegen eine solche Aufnahmeaktion waren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Frage 26 des Kollegen Hans-Christian Ströbele und die Frage 27 der Kollegin Cornelia Hirsch werden schriftlich beantwortet. Damit bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekre- tär. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra- gen hätte die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Verfügung gestanden, aber die Frage 28 des Kollegen Ackermann wie auch die Fragen 29 und 30 des Kollegen Koppelin sowie die Frage 31 des Kollegen Fell werden schriftlich beantwortet.1) Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur 1) Die Antwort zu Frage 31 lag bei Redaktionsschluss nicht vor. Vizepräsidentin Petra Pau Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung. Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Bärbel Höhn auf: Hat sich der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, bei der Besichtigung des Atomkraftwerks Olkiluoto in Finnland am 15. April 2008 über die zweijährige Verzögerung des Kraftwerksbaus und die dadurch entstehenden Mehrkosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro informieren lassen, und welche Rückschlüsse zieht er aus den Erfahrungen mit dem „finnischen Millionengrab“ ({0}) für die Energiepolitik der Bundesregierung?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Kollegin Höhn, Sie fragen danach, welche Eindrücke Wirtschaftsminister Glos bei seinem Besuch auf der großen Baustelle des Kraftwerks Olkiluoto in Finnland gewonnen hat. Hier wird ja erstmals in Europa ein Atomkraftwerk der dritten Generation errichtet. Bundesminister Glos hat sich bei seinem Besuch auf der Baustelle des ersten Europäischen Druckwasserreaktors - das ist ja ein ganz neuer Reaktortyp - umfassend über technische und wirtschaftliche Fragen unterrichten lassen. Dabei machte Bundesminister Glos deutlich, dass Europa sichere Energiequellen benötigt, die das Klima schonen. Hierzu gehört seiner Auffassung nach auch die Kernenergie, die als Brückentechnologie einen wichtigen Beitrag leisten kann, bis Alternativen technisch und wirtschaftlich ausgereift sind.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Nachfrage, bitte.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich habe nach vielen anderen Sachen gefragt, auf die Sie gar nicht eingegangen sind. Ich habe zum Beispiel gefragt, ob Herr Glos auch über die entstehenden Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro informiert worden ist, und danach, welche Rückschlüsse er aus den Erfahrungen mit dem „finnischen Millionengrab“ - so titelte die FAZ - für die Energiepolitik der Bundesregierung zieht. Ich würde doch bitten, dass ich jetzt nicht eine Zusatzfrage für die Beantwortung dieser Fragen aufwenden muss, sondern der Staatssekretär auch diese Teile der Frage, die ich gestellt habe, im ersten Aufschlag beantwortet. ({0})

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Bundesminister Glos hat sich auf der Baustelle über alle infrage stehenden Punkte unterrichten lassen, unter anderem auch über die zeitliche Verzögerung. Statt 2009 soll das Kraftwerk jetzt 2011 an das Netz gehen. So sieht jetzt die Planung der Bauunternehmen auf der finnischen Seite aus. Die Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro sind im Einzelnen nicht dargestellt worden, und Konsequenzen für die deutsche Energiewirtschaft sind aus diesem Großprojekt nicht zu ziehen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Erste Zusatzfrage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Nein, so funktioniert das nicht. Nach unseren Regeln können Sie zufrieden oder unzufrieden mit der Beantwortung der von Ihnen gestellten Fragen sein, aber die Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet und in welchem Umfang. Insofern handelt es sich um die zweite Zusatzfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Okay. - Siemens hat bekannt gegeben, dass es bezüglich dieses Atomkraftwerkes in Finnland mit einem dreistelligen Millionenverlust rechnet. Wie geht das in die Energiepolitik der Bundesregierung ein?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ob und welche Verluste bei der Errichtung eines Atomkraftwerks in Europa, in diesem Falle in Finnland, entstehen, muss die Bundesregierung nicht beobachten. Das muss sie nicht überprüfen und auch nicht bewerten. Das sind unternehmerische Abläufe und Entscheidungen. Ich kann auch für die Behauptung, die in Ihrer Frage mitschwingt, dass es einen dreistelligen Millionenverlust für das Auftragsvolumen, das in diesem Zusammenhang Siemens hat, geben wird, keine Gewähr übernehmen und dies weder bestätigen noch dementieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Winkler.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass es der erste Reaktor eines solches Konsortiums ist. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass, wenn schon beim ersten Bau eines solches Reaktors eine solche massive Verzögerung eintritt und es gleichzeitig einen enormen Kostenaufwuchs gibt, das ein guter Start für diese Baureihe ist? Wird die Bundesregierung diese weiterhin unterstützen, oder hat sie eine andere Auffassung dazu?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Dingen, die zum ersten Mal gemacht werden - das gilt insbesondere für Großprojekte, aber auch für kleinere Projekte -, nicht alles von Anfang an so läuft, wie man das geplant hat. Deswegen bin ich überhaupt nicht unruhig. Das, was Herrn Glos während seines Besuchs mitgeteilt worden ist, zeugt davon, dass die Dinge jetzt auf einem guten Weg sind und die Fortschritte in den jetzt festgestellten Zeitplänen eintreten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Kollegin Dückert hat eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, muss ich Ihrer Antwort entnehmen, dass Mehrkosten von hier in Rede stehenden 1,5 Milliarden Euro von Ihnen eher als normale anfängliche Kinderkrankheiten bei neuen Projekten bewertet werden?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Frau Kollegin, es handelt sich um ein Großprojekt von leistungsstarken europäischen Unternehmen, nämlich einem französischen und einem deutschen Unternehmen, zum Beispiel Siemens, und einem absolut leistungsstarken Wirtschaftspartner in Finnland. Wenn drei solche Wirtschaftsunternehmen miteinander Verträge schließen - egal für welches Projekt, ob es nun eine besondere Verkehrsverbindung, ein gewaltiges Brückenbauwerk oder ein neuer Reaktortyp ist -, dann kann es sein, dass Abweichungen von den ursprünglichen Plänen entstehen. Das ist sogar ziemlich normal. Erstprojekte in diesen Größenordnungen haben noch nie wirklich sofort funktioniert. Das hat für die Bundesregierung in ihrer Beurteilung von Energiepolitik und dem, was wir für die Klimapolitik brauchen, keine unmittelbare Auswirkung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 33 der Kollegin Bärbel Höhn: Welche Schwächen des integrierten Klima- und Energiepakets der Bundesregierung veranlassen den Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, zu der in der Wirtschaftswoche vom 12. April 2008 getätigten Aussage, er halte die Erreichung des Effizienzziels der Bundesregierung, den Stromverbrauch bis 2020 um 11 Prozent zu senken, sowie des in Meseberg beschlossenen Ziels, den Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich bis 2020 auf 25 Prozent zu steigern, für „längst nicht sicher“, und welche Nachbesserungen plant die Bundesregierung, um die betreffenden Ziele dennoch zu erreichen? Bitte, Herr Staatssekretär.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Die Antwort lautet: Die im integrierten Energie- und Klimaprogramm vereinbarten Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Steigerung der Energieproduktivität sind ehrgeizige Vorhaben für die Energie- und Klimapolitik bis 2020. Ob die Maßnahmen des integrierten Energie- und Klimaprogramms hinsichtlich der Zielerreichung in den jeweiligen Bereichen zu befriedigenden Ergebnissen führen und welche zusätzlichen Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden müssen, wird im Rahmen des beabsichtigten Monitoring-Prozesses regelmäßig überprüft. Jede Zielvorgabe hat ungewisse Elemente, sonst wäre sie bereits Realität. Das ist denknotwendig so. Der Minister wollte mit der Aussage „längst nicht sicher“ deutlich machen, dass in besonderer Weise Anstrengungen unternommen werden müssen, sowohl in der Beobachtung der Zielerreichung auf der Zeitschiene wie auch hinsichtlich der Maßnahmenkataloge. Wir erleben ja gerade eine Diskussion über das Thema Biokraftstoffe, wo im Maßnahmenkatalog plötzlich eine Neujustierung erfolgen muss. Solche Erkenntnisse und Veränderungen werden uns im Laufe des Prozesses häufiger begegnen. Deswegen ist diese Aussage des Ministers eine absolut notwendige, richtige und den Prozess bekräftigende Aussage und keineswegs zu kritisieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Minister Glos hat in der Welt am Sonntag erklärt, es gebe eine Versorgungslücke. Sein Kabinettskollege Gabriel erklärte am Montag in der Financial Times Deutschland, selbst wenn alle geplanten Kohlekraftwerke verhindert würden, gäbe es keine Versorgungslücke, keine Stromlücke. Was gilt denn jetzt in der Bundesregierung?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Sie wissen, Frau Kollegin, dass wir an dieser Stelle noch unterschiedliche Einschätzungen haben. Sie haben sie gerade zutreffend beschrieben; ich brauche das nicht zu ergänzen. Wir betrachten die Zielerreichung noch keineswegs als gesichert. Wir haben zum Beispiel Sorge, dass das Festhalten am endgültigen Atomenergieausstieg und an einer Nichtverlängerung der Laufzeiten zu Versorgungsproblemen bei der Grundlast führen könnte. Deswegen werden wir das Ganze weiterhin sorgfältig beobachten und analysieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Danke schön. - Minister Glos stützt sich bei seinen Aussagen, auch in seinem Interview, auf eine sehr umstrittene Studie der dena - die dena wird ja zu wesentlichen Teilen von den Energiekonzernen finanziert -, die von einer Stilllegung von konventionellen Kraftwerkskapazitäten von circa 20 000 Megawatt bis 2020 ausgeht. Nach Aussagen der Bundesnetzagentur planen die Unternehmen aber nur die Stilllegung von 2 400 Megawatt bis 2020. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied zwischen 20 000 und 2 400 Megawatt? Das ist ja genau die Lücke.

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich bin nicht darauf vorbereitet, das Fehlen oder Abschalten von Megawatt zu erklären. Darüber müssten wir ein Fachgespräch führen. Dann müssen die Fragen vorher so präzise sein, dass man die Zahlen liefern kann. ({0}) Das ist bei dieser Art des Dialogs zwischen Parlament und Regierung nach meinem Dafürhalten jetzt nicht leistbar. Ich bin gerne bereit, Ihre Fragen schriftlich zu beantworten, ({1}) damit Sie die Zahlen in Ihre weiteren Überprüfungen und Überlegungen einbeziehen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Der Kollege Winkler hat das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage.

Josef Philip Winkler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003660, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Ihre Aussage von eben, was das „längst nicht sicher“ angeht, veranlasst mich doch zu der Nachfrage: Gibt es denn irgendein Ziel, das das Bundeswirtschaftsministerium bzw. der Minister sich vorgenommen hat, bei dem die Bundesregierung bzw. der Bundeswirtschaftsminister das Erreichen für sicher hält? Oder sind Sie, was Ihre eigenen Beschlüsse angeht, so pessimistisch veranlagt, dass Sie sagen, das, was Sie beschlossen haben, könne längst nicht sicher sein?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Herr Kollege Winkler, zunächst einmal: Alle Ziele beziehen sich auf die Zukunft; das wissen Sie. Außerdem gibt es unterschiedliche Probleme bei der Erreichung der Ziele. Es gibt einfache Ziele, deren Erreichung man ziemlich sicher voraussetzen kann; bei diesen Zielen braucht man nicht zu betonen, dass es problematisch werden kann. Es gibt aber auch Ziele, die sehr komplex sind, bei denen sehr unterschiedliche Wege gegangen werden können und sehr viele Mitwirkende erforderlich sind. Es ist ja nicht die Bundesregierung allein, die handelt; vielmehr setzt die Bundesregierung einen Rahmen, der von vielen Partizipanten ausgefüllt werden muss. Da können wir nicht präzise vorschreiben, was zu tun ist. Wir arbeiten in vielen Fällen mit Anreizen und indirekter Steuerung. Aber die Zielsicherheit ist in diesem Prozess mit Recht zu hinterfragen. Wahrscheinlich ist es eines unserer Probleme, dass wir den Menschen immer wieder suggerieren, etwas werde so sein. Wenn es dann nicht genau so eintritt, ist wieder einmal ein großes Stück Vertrauen verloren gegangen. Deswegen ist es wertvoll, wenn man im Laufe solcher komplexen Prozesse hin und wieder daran erinnert, dass die künftige Entwicklung nur sehr schwer eingeschätzt werden kann und keineswegs sicher ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur Frage 34 des Kollegen Manfred Kolbe: Steht die Bundesregierung noch zu den Vorgaben der Ministererlaubnis aus dem Jahr 2002, in der für die Übernahme der Ruhrgas AG durch die Eon AG festgeschrieben wurde, dass die Verbundnetz Gas AG, VNG, als unabhängiges Unternehmen in Ostdeutschland weitergeführt werden soll?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich würde diese Frage gerne zusammen mit der nächsten Frage beantworten.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Dann rufe ich auch noch die Frage 35 des Kollegen Manfred Kolbe auf: Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf aufgrund dessen, dass die Ziele der Ministererlaubnis, die VNG gemeinsam mit dem Elektrizitätswerk Weser-Ems AG, EWE, als Großaktionär zum fünften Player auf dem deutschen Energiemarkt zu entwickeln, wofür eine gemeinsame Holding von EWE und VNG in den östlichen Bundesländern gegründet werden sollte, bislang noch nicht umgesetzt wurden?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Eine der Auflagen der Ministererlaubnis für die Fusion von Eon und Ruhrgas bezieht sich auf die VNG. Danach ist Eon verpflichtet, sämtliche von ihr und von Ruhrgas an VNG gehaltenen Anteile an Dritte abzugeben. Bezweckt war die Aufhebung der Verflechtung zwischen Ruhrgas als größtem westdeutschen und VNG als in den neuen Bundesländern führendem Ferngasunternehmen. Daher sollten 26,84 Prozent der VNG-Anteile an einen strategischen Erwerber veräußert werden, der VNG als aktiven Wettbewerber der Ruhrgas auf der Ferngasstufe etablieren kann. Ferner mussten 5,26 Prozent an einen weiteren Investor veräußert und bis zu 10 Prozent der Anteile vorrangig ostdeutschen Kommunen und/oder der Verbundnetz Gas Verwaltungs- und Beteilungs-GmbH zum Kauf angeboten werden. Damit sollte der Fortbestand der VNG als unabhängiges Unternehmen gewährleistet werden. Mit der Stärkung der kommunalen Anteilseigner war die Erwartung verbunden, dass die VNG ihren Sitz in Leipzig erhalten und vom bisherigen ostdeutschen Schwerpunkt aus in das Gebiet der alten Bundesländer hinein tätig werden kann. Die Auflage hat Eon durch die Veräußerung der VNG-Anteile an EWE und ostdeutsche Stadtwerke sowie einen weiteren Investor in den Jahren 2003/2004 vollständig erfüllt. Das damalige BMWA - das heutige BMWi - hatte entsprechend den Vorgaben der Ministererlaubnis geprüft, ob der von Eon vorgeschlagene Erwerber EWE zum Zeitpunkt des Erwerbs den Anforderungen an einen strategischen Investor im Sinne der Auflagen entsprach, dies bejaht und dem Erwerb zugestimmt. Eine spätere Überprüfung der Erfüllung der Auflagenkriterien ist in der Ministererlaubnis nicht vorgesehen. Das für die Ministererlaubnis zuständige BMWi sieht die gesamte Auflage als vollständig und abschließend erfüllt an. Ich darf noch Folgendes ergänzen. Wegen der Stabilität solcher kaufmännischen und unternehmerischen Entscheidungen haben wir ein nachlaufendes Verfahren - wie auch in anderen Fällen - bewusst ausgeschlossen. Denn nachdem ein Vorgang genehmigt ist, darf es nicht permanent die Unsicherheit geben, dass die Entscheidung vielleicht rückgängig gemacht werden könnte. Das würde sehr hohe Schadensersatzforderungen an den Staat ermöglichen. Es ist daher besser, man schließt den Vorgang ab und gibt ihm so in kaufmännischer und unternehmerischer Hinsicht eine stabile Grundlage.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier Nachfragen.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass der damalige Staatssekretär Dr. Tacke erläutert hat, dass es dem Bundeswirtschaftsministerium in erster Linie darum ging, dass ein unabhängiges ostdeutsches Unternehmen bestehen bleiben soll, das in einen Wettbewerb mit der Ruhrgas AG tritt, und dass die Ministererlaubnis diese beiden strategischen Ziele absichern muss? Sind Sie der Meinung, dass die Vorgaben bis heute erfüllt sind?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Der damalige Staatssekretär des BMWA, Herr Tacke, hat diese Vorgaben - ich unterstelle einmal, dass Sie seine Aussage richtig wiedergegeben haben; ich kann es nicht überprüfen - als erfüllt angesehen und entsprechend entschieden. Wie ich schon am Ende meiner Antwort gesagt habe: Eine Untersuchung dieser Maßnahme im Nachgang - es war keine Bedingung in der Erlaubnis enthalten - verbietet sich grundsätzlich aufgrund der Genehmigungspraxis, die bei solchen Prozessen angewandt wird. Ich nehme deswegen auch gar keine Spekulation oder Bewertung vor; denn wir reden über ein konkretes Unternehmen und würden Beurteilungen abgeben, die am Ende sogar börsenrelevant sind. Dies ist nicht meine Aufgabe als Staatssekretär.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wie beurteilen Sie dann das jetzige, seit mehreren Monaten - möglicherweise auch Jahren - stattfindende Verhalten der EWE AG Oldenburg, des damaligen strategischen Investors? Interessiert Sie das überhaupt nicht mehr, oder haben Sie dazu eine Meinung?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich habe dazu zurzeit keine Meinung. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine dritte Nachfrage ist möglich.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ist Ihnen bekannt, dass die EWE AG Oldenburg versucht, einzelne Anteile ostdeutscher Kommunen zu deutlich überhöhten Preisen am Markt zu erwerben, die Finanznot einiger ostdeutscher Kommunen ausnutzend, und dadurch versucht, eine Mehrheit an VNG zu erreichen und deren Sitz möglicherweise von Leipzig woandershin zu verlagern? Ist Ihnen dies bekannt, und interessiert Sie dies?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Zunächst einmal ist mir das nicht bekannt. Aber wenn es so ist, dann muss man feststellen: Ist in den Verträgen eine Regelung verabredet, die vorsieht, dass der Gesellschafterkreis, der bei der Herauslösung aus dem Eon-Bereich erstmalig zusammengefügt wurde, satzungsmäßig - gesetzlich sicherlich nicht, auflagenmäßig auch nicht festgeschrieben ist? Wenn dies nicht festgeschrieben ist, dann sind die Gesellschafter frei, untereinander Gesellschaftsanteile zu handeln. Auch die Preisfindung liegt in der Freiheit der Gesellschafter. Wenn dieser Umstand, wie Sie konstatieren bzw. vermuten, ein Mangel ist, dann ist das ein Mangel des damaligen Genehmigungsverfahrens, aber heute nicht aufzugreifen. Bei der Ministererlaubnis bewegen wir uns in der rechtlichen Verwaltungspraxis im eigentlichen Sinne. Da haben wir keine rechtliche Möglichkeit, über die vertraglichen Bestimmungen hinaus, die die Partner damals getroffen haben, nachgängig tätig zu werden. Insoweit ist das dann eine Schwäche des damals gefundenen Lösungsansatzes, den wir ministeriell bzw. verwaltungsrechtlich nicht behandeln können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben noch eine Möglichkeit zu einer Nachfrage.

Manfred Kolbe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001172, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wie viele größere privatwirtschaftliche Unternehmen ihren Hauptsitz in den östlichen Bundesländern haben, und hat die Bundesregierung ein Interesse daran, dass es auch in Zukunft ein größeres privatwirtschaftliches Unternehmen gibt, das seinen Hauptsitz in den östlichen Bundesländern hat, oder legen Sie nur auf verlängerte Werkbänke Wert?

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Herr Kollege Kolbe, wir legen großen Wert darauf, dass selbstständige, attraktive, wettbewerbsstarke Unternehmen in den neuen Ländern an möglichst vielen Plätzen entstehen bzw. ihren Sitz behalten können. Das ist völlig klar. Die Frage ist: Kann die Bundesregierung bei einer konkreten Unternehmensentscheidung ohne klare gesetzliche Basis eingreifen? Wenn das eine politische Begleitung sein soll, wenn Gespräche geführt werden sollen, wenn dokumentiert werden soll, dass es ein politisches Interesse gibt, dass das damalige Ziel möglichst eingehalten wird, dann kann das sicherlich in einer zwar nicht rechtsverbindlichen, aber politischen Form geschehen. Aber ein konkretes Handeln im Sinne von: „Wir rügen; wir verweisen auf eine Verletzung des Vertrages“ ist in dieser Situation ausgeschlossen. So funktioniert unsere soziale Marktwirtschaft nicht. Das können wir so nicht machen. Wir können das politisch noch einmal aufgreifen; das sage ich gerne zu. Ich bin bereit, ein Gespräch auch mit den Beteiligten aus den Unternehmen zu führen, um das noch einmal abzugleichen. Das ist aber eine Gesprächsführung mit politischem Einfluss ohne Druck. Alles andere schließt sich aus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Grund das Wort.

Manfred Grund (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002667, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ich möchte den Umgang mit der Ministererlaubnis hinterfragen. Die Ministererlaubnis von 2002, VNG betreffend, hatte einen wirtschaftlichen und einen politischen Hintergrund. Der wirtschaftliche Hintergrund ist: VNG erhält einen strategischen Partner, der in das Unternehmensfeld passt. Gleichzeitig erhielten die ostdeutschen Kommunen eine Sperrminorität, die dafür sorgen sollte, dass der strategische Partner, wenn er eines Tages stärker werden sollte, nicht die Möglichkeit hat, den Unternehmenssitz aus Ostdeutschland, aus Leipzig heraus zu verlagern; das war der politische Hintergrund. Nun hält der strategische Partner, EWE - mein Kollege Manfred Kolbe hat das eben geschildert -, mittlerweile fast 49 Prozent der Unternehmensanteile und ist bestrebt, weitere Anteile zu erwerben, um die Sperrminorität der kommunalen Versorgungsunternehmen auszuhebeln. All das geschieht mit dem Ziel, die Unternehmensstrategie und den Unternehmenssitz zu verändern. Wenn auf diese Art und Weise nach einigen Jahren der politische Hintergrund einer Ministererlaubnis konterkariert wird, zeigt uns das nicht, dass wir uns das Instrument Ministererlaubnis unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Kontrollmöglichkeit vornehmen müssen; denn sonst läuft das Instrument ins Leere? ({0})

Hartmut Schauerte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002770

Ich sehe das Instrument Ministererlaubnis ähnlich kritisch wie Sie. Ich sage noch einmal: Wir haben keine Möglichkeit, wirkungsmächtig einzugreifen. Zwar sind Gespräche immer möglich, und es ist auch möglich, Besorgnis zu äußern und Interesse zu bekunden - das ist ganz klar -, wir können aber nichts zurückrufen. Wir können nicht drohen, weil wir keine rechtliche Möglichkeit haben, gegen das Unternehmen wegen Vertragsverletzung vorzugehen. Diese Möglichkeit müssen wir ausschließen. Das ist eine bittere Erkenntnis. Sie werden sich erinnern, dass ich persönlich damals alles darangesetzt habe, diese Ministererlaubnis zu verhindern. Jetzt sehen wir, dass sie wenig praktikabel ist. Daher war sie in doppeltem Sinne ein Fehler. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir sind damit am Ende ({0}) der Fragestunde. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Überfällige Strategien der Bundesregierung zur Lösung der Welternährungskrise Bevor ich die Aussprache eröffnen kann, kommen wir zu einem Geschäftsordnungsantrag der Kollegin Dückert.

Dr. Thea Dückert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003071, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben das Thema Welternährungskrise für heute aktuell aufgesetzt. Eines ist ganz klar: Das ist ein Thema, das nicht nur uns angeht, sondern auch den zuständigen Minister Horst Seehofer. Deswegen möchte ich namens meiner Fraktion ({0}) - ihn herzlich begrüßen. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Dückert, Ihrem Anliegen wurde umgehend entsprochen. Der Minister ist eingetroffen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offensichtlich brauchte es diesen GO-Antrag, damit der Minister, der heute nicht gut bei Fuß ist - wir wünschen ihm gute Besserung -, den Plenarsaal pünktlich betreten konnte. Das hat ja geklappt. Zur Sache: Weltweit hungern mehr als 850 Millionen Menschen. International hatten wir einmal das Ziel, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Obwohl das unser Ziel war, sind jetzt weitere 100 Millionen Menschen bedroht, weil laufende UN-Programme im Augenblick nicht mehr finanziert werden können, da die Lebensmittelpreise so horrend gestiegen sind. In den letzten Tagen haben sich einige hier und da in Interviews geäußert. Ich glaube, dass manches von dem, was gesagt wurde, zu dünn ist. ({0}) Man muss sagen: Die Gründe für die Welternährungskrise sind vielfältig, und sie liegen tief. Die Ursachen dieser Krise sind nicht mit einer Maßnahme allein zu beheben. ({1}) - Ich will Ihnen, Herr Bleser, sagen: Es reicht nicht aus, dass Frau Merkel heute in Ägypten sagt, die internationale Staatengemeinschaft solle sich demnächst einmal mit den Lebensmittelpreisen beschäftigen. Als könne man Preise festlegen! Hier wird es wohl anderer Maßnahmen bedürfen. Es reicht auch nicht aus, dass Frau Wieczorek-Zeul sagt, wir brauchten ein Moratorium für Agrarkraftstoffe. Ich meine, auch das wäre eine Verkürzung des Problems. Ein Moratorium allein hilft uns nicht. Es könnte allenfalls ein Schritt sein. Ich glaube, mittlerweile besteht zumindest Konsens darüber, dass kein Import von Biokraftstoffen mehr stattfinden sollte, wenn nicht klar ist, dass sie entwicklungspolitisch und umweltpolitisch von Nutzen und nicht von Schaden sind. ({2}) Herr Sonnleitner hat behauptet, dass der falsch prognostizierte und immens gestiegene Fleischkonsum und die veränderten Ernährungsgewohnheiten in China, in Indien und sogar in Afrika an dieser Krise schuld seien. ({3}) Das ist nicht richtig. Nein, die wahren Gründe liegen zunächst einmal in einer seit Jahrzehnten betriebenen falschen Agrarpolitik und falschen Welthandelspolitik. ({4}) Wegen der Zwischenrufe aus den Reihen der CDU/ CSU möchte ich sagen: Bei den Wenigen aus der Union, die mich bei der Agrarwende im Jahre 2003 unterstützt haben, bedanke ich mich ausdrücklich; mir fällt im Augenblick allerdings kein Name ein. ({5}) Es war nämlich keiner dabei. ({6}) Halten Sie sich also mit Ihren Zwischenrufen zurück! Ich sage Ihnen ganz klar: Die größte Verantwortung für diese Katastrophe haben die europäische und die amerikanische Landwirtschaftspolitik und die unterlassene Klimapolitik. ({7}) Wenn Sie sich ansehen, wie Landwirtschaftspolitik in der Vergangenheit funktioniert hat, stellen Sie fest: Wir haben die Entwicklungsländer seit Jahrzehnten gezwungen, eine exportorientierte Agrarwirtschaft zu betreiben. In den Entwicklungsländern wurde das angebaut, was wir essen, während dort für Hungerlöhne gearbeitet wurde. ({8}) Wir haben unsere eigenen Märkte abgeschottet und sie zusätzlich belebt, indem wir die Preise durch Agrarexportsubventionen verschoben haben. ({9}) Unsere Importregelungen, Zölle und Tarife sind so gestaltet, dass die Rohstoffe einfacher eingeführt werden können als die verarbeiteten Produkte. Die Wertschöpfung durch Verarbeitung, beispielsweise bei Kaffee, liegt in Deutschland und nicht in den Kaffeeanbauländern. Deshalb muss man sagen: Die internationale Agrarpolitik, auch die Deutschlands und die der Europäischen Union, ist immer noch falsch und schädlich. ({10}) Wir müssen auch unsere eigenen Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand stellen. So richtig es ist, den Biosprit in seine Grenzen zu weisen, damit er nachhaltig wirken kann, so richtig ist es auch, dass ein viel größerer Anteil der Agrarfläche für Futtermittel verwendet wird, um in Deutschland bzw. in Europa Fleisch zu produzieren. Auch hier besteht nämlich eine Fehlentwicklung. ({11}) Wir Grünen sagen: Das Menschenrecht auf adäquate Nahrung muss oberste Priorität haben. Es geht um nachhaltige Landwirtschaft und um Menschenrechte. Dementsprechend muss man die Produktion organisieren. Herr Seehofer, es reicht nicht aus, der BamS Interviews zu geben und darin eine weitere Intensivierung anzukün16422 digen. Ich sage Ihnen ganz klar: Man muss auch Konsequenzen ziehen. Da Sie gesagt haben, die internationalen Saatgutkonzerne würden die Verantwortung tragen, sage ich Ihnen: Fangen Sie in Deutschland an! Nehmen Sie die Genehmigung für MON 810 zurück! ({12}) Sorgen Sie dafür, dass die Menschen das Recht auf freien Zugang zu Saatgut haben, das sie vermehren dürfen! Geben Sie endlich Ihre Blockade gegenüber einer weiteren Agrarreform in Brüssel auf, durch die der Umfang der Direktinvestitionen gesenkt und neue Schwerpunkte bei Klimaschutz und Wassermanagementmaßnahmen gesetzt werden sollen! Das wäre eine faktische Hilfe, auch für die hungernden Menschen in den Entwicklungsländern, weil ihnen dadurch die Möglichkeit gegeben würde, bei sich zu Hause eine bäuerliche Landwirtschaft aufzubauen. ({13}) Wir wissen: Die FAO

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Künast, kommen Sie bitte zum Schluss.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

- mein letzter Satz - spricht von einem stillen Tsunami. Ich sage Ihnen: Die Menschen werden nicht still bleiben. Es wird riesige Wanderungsbewegungen geben. Es wird Kriege um Wasser, Land und Lebensmittel geben. ({0}) Es ist unsere Verantwortung, weder bei der Klima- noch bei der Agrarpolitik auf Kosten der anderen zu leben. Das heißt, dass wir den Mut zu Reformen und zu einem anderen Verhalten aufbringen müssen. Anfangen muss damit Herr Minister Seehofer in Brüssel. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Bundesminister für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Horst Seehofer.

Horst Seehofer (Minister:in)

Politiker ID: 11002140

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bei der Kollegin Künast immer das Gleiche: Weltmeisterin in der Formulierung schwülstiger Ziele, Reclamausgabe beim Anbieten konkreter Lösungen. Ich bin jetzt schon lange im Parlament, aber ich habe es selten erlebt, dass jemand seine eigene Politik so stark kritisiert; ({0}) denn die Agrarpolitik, die in Europa zurzeit gilt, ist nicht nur von Ihnen mitgetragen worden, sondern von Ihnen sogar initiiert und in Europa durchgesetzt worden. ({1}) Deshalb kann man manchmal nur den Kopf schütteln, wenn man in der Früh liest, dass die Grünen jetzt für eine Veränderung der Agrarpolitik sind, die sie selber herbeigeführt haben. Die Förderung der Biokraftstoffe und der Biomasse, das EEG: All diese Dinge sind unter Ihrer Federführung gemacht worden. Der wesentliche Unterschied zwischen uns beiden ist: Ich stehe zu dieser Politik - das habe ich x-mal gesagt -, und Sie verabschieden sich von Ihrer eigenen Politik. ({2}) Das ist die Heuchelei Ihrer Politik. ({3}) Schauen Sie: Das Thema ist viel zu ernst und viel zu vielschichtig, um so abzudriften, wie Sie das heute wieder getan haben. Was MON 810 mit der Problematik, die uns im Moment beschäftigt, zu tun hat, kann nur eine Frau Künast nachvollziehen. ({4}) Das interessiert uns auch nicht. ({5}) Tatsache ist, dass dies ein vielschichtiges Problem ist. Ich beginne damit, dass an erster Stelle immer die sofortige und die Nothilfe für die hungernden Menschen stehen muss. Hier tut die Bundesregierung das Notwendige - dazu werden wir von Frau Kollegin Wieczorek-Zeul etwas hören -, und auch die internationale Staatengemeinschaft tut das Notwendige. Aber genauso wichtig ist, dass wir den Strukturen zu Leibe rücken, die die Ursache für die heutigen Probleme sind. ({6}) Frau Künast, Sie können das Ganze drehen und wenden, wie Sie wollen: Es gibt zwei Kernherausforderungen, bei deren Bewältigung wir eher am Anfang stehen, nämlich die wachsende Weltbevölkerung - jährlich kommen 80 Millionen Menschen hinzu - und die dynamisch zunehmende Kaufkraft der Schwellenländer, etwa in Indien oder China, mit ihrem hohen Bedarf an Nahrungsmitteln. Beides zusammen führt zu der Schätzung der Welternährungsorganisation, dass der Nahrungsmittelbedarf in der Welt in den nächsten beiden Jahrzehnten um 60 Prozent zunehmen wird. Wenn in einer so dynamischen und umfassenden Weise der Bedarf an Nahrungsmitteln in der Welt steigt - um das zu verstehen, muss man nicht unbedingt Volkswirtschaft studiert haben -, dann muss die erste Antwort darauf sein, genügend Nahrungsmittel zu produzieren, damit wir den Bedarf weltweit decken können. ({7}) Ich füge ausdrücklich hinzu, dass nach meiner tiefen Überzeugung die Produktion zusätzlicher Nahrungsmittel in erster Linie dort erfolgen muss, wo der Hunger herrscht oder wo die Menschen von Hunger bedroht sind. Hier dürfen nicht die internationalen Konzerne zum Zuge kommen, sondern der Bedarf muss durch eine bäuerlich strukturierte Landwirtschaft gedeckt werden. Mein erster Akzent bei der Neuausrichtung einer weltweiten Entwicklungspolitik ist, dass wir das Problem des sich abzeichnenden Kampfes um Nahrungsmittel und des Bedarfs daran durch zusätzliche Nahrungsmittelerzeugung lösen, und zwar vor allem dort, wo die Menschen leben, die von Hunger bedroht sind. ({8}) Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die zu Nebenkriegsschauplätzen aufgebaut wurden. Es heißt beispielsweise, die Exportsubventionen der Europäischen Union hätten zu dieser aktuellen Situation beigetragen. ({9}) Die Exportsubventionen spielen aufgrund der Weltmarktpreise im Moment keine Rolle. Außerdem ist ohnehin vorgesehen, sie abzuschaffen, und zwar nicht deshalb, weil sie einen Beitrag zur Nahrungsmittelknappheit in der Welt leisteten, sondern weil sie bei der Weltmarktentwicklung in der Sache nicht mehr notwendig sind. ({10}) Deshalb sage ich an dieser Stelle: Die deutsche Regierung hat über die Europäische Kommission bei den Liberalisierungsverhandlungen in vollem Einvernehmen mit der WTO festgelegt, dass wir die Exportsubventionen spätestens bis 2013 abschaffen. Bis zum Jahre 2010 muss mehr als die Hälfte der Subventionen abgeschafft sein. Was wichtig ist für die Öffentlichkeit: Wir reduzieren die Subventionen nicht etwa deswegen, weil sie die Ursache für die Probleme der Welt wären, sondern weil das Mittel der Exportsubvention angesichts der Entwicklung des Weltmarktes keine Berechtigung mehr hat. ({11}) Zweitens. Es wird immer gesagt: Wir müssen die Märkte öffnen. - Ich bin dankbar, dass diese Regierung da habe ich von Frau Künast nichts gehört - das Programm „Everything But Arms“ - „Alles außer Waffen“ weltweit zum Tragen gebracht hat. Das heißt, dass diese ärmsten der armen Länder den europäischen Markt ohne jede Quote, ohne jeden Zoll mit allem außer Waffen beliefern können. ({12}) - Es ist schon in Kraft; ich sage das auch an Herrn Raabe gerichtet. ({13}) - Jetzt, Frau Künast, kommt der entscheidende Punkt: Die Liberalisierung der Weltmärkte allein nutzt so lange nichts, solange in den Entwicklungsländern nicht genug produziert werden kann, dass es für die eigene Bevölkerung wie für den Export reicht. ({14}) Drittens. Jetzt soll plötzlich die Agrarpolitik in Europa verändert werden. ({15}) Vor zwei Jahren haben Sie richtigerweise gesagt: Wir wollen weg von der Förderung der Produktion und hin zur Förderung der Einhaltung der Standards, die beim Umweltschutz, beim Tierschutz, beim Gewässerschutz zu erfüllen sind. (Hans-Michael Goldmann [FDP], an Abg. Renate Künast ({16}) Ich will ausdrücklich sagen: Die Direktzahlungen der Europäischen Union an die Bauern in Europa sind weder Almosen noch Geschenk, sie sind die Gegenleistung für die Umweltstandards, die die Gesellschaft den Bauern auferlegt hat. Das ist die richtige Reihenfolge; in der Öffentlichkeit wird das leider kaum wahrgenommen. ({17}) Je stärker die Umweltstandards in Europa harmonisiert werden und je stärker die Bauern von ihrem eigenen Tun leben können, desto mehr können wir Direktzahlungen zurückfahren. So ist der Zusammenhang. ({18}) Machen wir nicht den Fehler, zu glauben, dass wir den Menschen in den Entwicklungsländern helfen, indem wir Starke schwächen; denn das nutzt den Schwachen nicht. Wir müssen im Gegenteil darauf achten, dass die Landwirtschaft in Deutschland bzw. in Europa leistungsfähig und stark bleibt. Andernfalls wären wir eines Tages gezwungen, Nahrungsmittel aus dem Ausland zu importieren, würden vom Ausland abhängig. Wir müssen uns selbst versorgen, und wir müssen helfen, dass andere ernährt werden. ({19}) Eines kapiere ich nicht: Erst soll auf die Atomkraft verzichtet werden, dann soll auf die Kohle verzichtet werden, jetzt soll auf Biokraftstoffe verzichtet werden. Soll demnächst auch auf Biomasse verzichtet werden? Ich weiß nicht, wie wir unter diesen Umständen den Menschen eine glaubwürdige Antwort geben sollen, wie wir Ernährung und Energieversorgung - das hängt ja direkt zusammen - gewährleisten wollen. ({20}) Ich bin entschieden dafür, dass wir mit Biomasse, Biokraftstoffen, nachwachsenden Rohstoffen nachhaltig wirtschaften - aber mit Augenmaß und Vernunft. ({21}) - Das ist bei uns in Europa der Fall: Der Anbau von nachwachsenden Rohstoffen erfolgt nach den gleichen Regeln der guten fachlichen Praxis wie der Anbau von Lebensmitteln. ({22}) Wir müssen schauen, dass diese Vernunftargumente auch weltweit im Anbau gelten. ({23}) Es ist ein Skandal, dass für die Erzeugung von Biokraftstoffen und für den Anbau von Nahrungsmitteln die Tropenwälder und Urwälder gerodet werden. Die internationale Staatengemeinschaft muss dafür sorgen, dass dies eingestellt wird. ({24}) Das Naheliegendste ist, dass diese Palmöle, wenn sie in Europa zum Einsatz kommen, nicht mehr auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden und nicht mehr steuerlich begünstigt werden; das ist die stärkste Antwort. ({25}) Auch da hat die Regierung gehandelt. Wir haben eine Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet - das müssen wir nach dem europäischen Recht - und haben sie notifiziert. Die Europäische Kommission hat gesagt, sie möchte für ganz Europa die Nachhaltigkeit definieren. Dies zwingt uns dazu, stillzuhalten, bis die Europäische Kommission gehandelt hat, was spätestens Ende dieses Jahres der Fall sein wird. Das ist die Wahrheit. Es war nicht so, dass der Kollege Gabriel untätig war und keine Zertifizierung sowie nichts hinsichtlich der Nachhaltigkeit vorgelegt hat, sondern die Europäische Kommission möchte das für ganz Europa lösen. Trotzdem empfehle ich uns als Bundesregierung und Parlament, dass unsere Zwischenlösung bzw. vorübergehende Lösung lautet: Aus den Ländern, in denen gerodet wird, führen wir kein Palmöl in Deutschland und Europa ein, es erfolgt keine Anrechnung auf die Biokraftstoffquote, und es gibt auch, wenn es juristisch irgendwie geht, keine steuerliche Anerkennung. ({26}) Ich glaube, dass man mit dieser Vorgehensweise die Ursache klar identifiziert und bekämpfen kann. Dass man auch die anderen Dinge vernünftig und nachhaltig sowie unter Wahrung unserer Schöpfung begleitet, ist die richtige Antwort. Ich bitte dringend darum, in der Öffentlichkeit jetzt nicht über Lösungen zu diskutieren, die mit der Ursache überhaupt nichts zu tun haben. Der erste Welthungergipfel fand 1996 statt, der zweite 2002. Auf beiden Welthungergipfeln wurde beschlossen, dass der Anteil der Hungernden in der Welt bis zum Jahre 2015 halbiert werden soll. Eine gleiche Bilanz wie in den Jahren seit 2002 können wir uns nicht noch einmal leisten. ({27}) Darum werbe ich dafür, dass wir endlich an die Ursachen herangehen und die Nahrungsmittelproblematik sowohl durch die Soforthilfe und die Nothilfe als auch durch eine Veränderung der Strukturen in der Entwicklungszusammenarbeit lösen. ({28})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann für die FDP-Fraktion.

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich sind wir aufgrund der Probleme, die jetzt gerade in den Entwicklungsländern und den schwachen Ländern besonders stark auftreten, tief betroffen und berührt. Die Menschen hungern; es herrscht große Not. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir das zum Anlass nehmen müssen, etwas zu tun. Deswegen begrüße ich es, dass wir uns hier im Rahmen der Aktuellen Stunde dazu äußern und darüber austauschen können. Frau Künast, ich bitte aber darum, dass wir uns wirklich austauschen, und zwar gründlich und nicht so, wie Sie das gemacht haben. ({0}) Die Ursachen für das Phänomen, mit dem wir uns heute beschäftigen, sind sehr vielfältig und auch schon genannt worden. Ich will auch nicht ablenken, sondern ganz klar sagen: Die Kernursache ist darin zu sehen, dass es in der Welt einen zu wenig freien und vor allen Dingen auch zu wenig fairen Markt und Wettbewerb gibt. ({1}) Wir haben uns mit unseren eigenen Interessen viel zu lange abgeschottet. Wir haben Schutzzölle aufgebaut und die Marktverzerrung vorangetrieben. Die Europäer waren dabei nicht die Vorreiter, aber sie sind mitgelaufen. Es gibt andere Länder in der Welt, wie Amerika - allerdings auch asiatische Länder -, die das viel intensiver praktizieren. Dabei war uns das, was sich in den Entwicklungsländern abspielt und als Tragik darstellt, häufig viel zu sehr egal. Wir waren in dieser Frage viel zu egoistisch. Mit den Problemen, die wir haben, müssen wir uns intensiv beschäftigen, und wir müssen Lösungen finden. Mein Kollege Dr. Geisen hat uns eben mit auf den Weg gegeben, dass wir das schaffen können. Ich will Ihnen aus meiner Sicht sagen, wie wir das schaffen können. Wir können es ganz bestimmt nicht schaffen, indem wir das, was auch Sie, Herr Seehofer, manchmal fordern, dass es nämlich eine Agrarwende geben muss, inhaltlich irgendwie ausgestalten. Nein, es muss in Europa keine Agrarwende geben, sondern es muss einen Agrarschub in Richtung von noch mehr Markt geben. Wir müssen unsere Stärken im Agrarbereich ausbauen und pflegen, damit wir in diesem Bereich in unserem super Land - Deutschland ist im Bereich der Agrarproduktion ein super Land - stark sind und weiteres Können entwickeln. Wir müssen nicht mit den Produkten, sondern mit diesem Können und Wissen hinsichtlich der Zucht, der Tiere, der Techniken und der Landmaschinen in die Entwicklungsländer gehen und ihnen helfen, um dort eine Entwicklung voranzutreiben, die dazu beiträgt, dass die Welternährung nicht nur auf eine europäische oder nationale, sondern auf eine globale Säule gestellt wird. Ich glaube, das ist der Kernauftrag, den wir in diesem Bereich haben. ({2}) Herr Seehofer, ich habe es schon angesprochen: Konzernschelte und Agrarwende sind im Grunde genommen nicht hilfreich. Es ist auch nicht hilfreich, dass sehr unterschiedliche Botschaften aus der Bundesregierung kommen. Frau Wieczorek-Zeul hat wohl ein Moratorium gefordert. Heute Morgen im Agrarausschuss ist hinsichtlich des Biosprits genau das Gegenteil gesagt worden. Wir müssen uns schon irgendwie darüber einigen und verständigen, was wir dort vorantreiben wollen. Ich glaube, wir können uns sehr schnell darauf einigen, dass der entscheidende Beitrag zur Verbesserung der Situation in den angesprochenen Ländern Hilfe zur Selbsthilfe ist. Wir müssen kleinbäuerliche Strukturen, wo es sie gibt, weiterentwickeln und die Kleinbauern in die Lage versetzen, einen eigenen Beitrag zur Ernährung der Menschen vor Ort zu leisten. Ich bin mir mit Rupert Neudeck völlig einig - am Montag hatte ich die Freude, längere Zeit mit ihm zu diskutieren -: Wo kleinbäuerliche Strukturen vorliegen, wo Kleinbauern Marktanteile erobern können, muss man es bei diesen Strukturen belassen. Das Schlimmste, was wir machen können, ist, so weiterzumachen wie bisher, also unseren Nahrungsmitteln Exporthilfen an die Seite zu stellen; denn dadurch zerschlagen wir die Strukturen, die in den Entwicklungsländern wachsen. Wir sollten nicht den Menschen irgendetwas vorlegen und sagen: Nehmt es und strengt euch selbst nicht mehr an! Das wäre ein völlig falsches Vorgehen. ({3}) - Ja, lieber Kollege Zöllmer, wir machen das anders. Wir waren in dieser Frage im Grunde genommen immer für Wettbewerb; denn wir definieren Wettbewerb als etwas, das Chancen eröffnet. Wir sind gegen Subventionen, die den Wettbewerb verzerren. Das habe ich soeben zum Ausdruck gebracht. Lassen Sie mich die besonderen Chancen der Entwicklung in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer ansprechen. Ich glaube, dass das dortige Potenzial genutzt werden muss. Kollege Addicks hat hundertprozentig recht, wenn er sagt: Die vorhandenen Brachen müssen wir genauso auf den Markt zurückbringen wie die stillgelegten Flächen in Europa. Die stillgelegten Flächen in Europa dürfen schon in diesem Jahr genutzt werden. Herr Seehofer, in diesem Punkt waren Sie nicht so gut informiert, wie es notwendig gewesen wäre. Sie meinen, man dürfe die Flächen nur in diesem Jahr nutzen. Wir werden aber darauf hinarbeiten, dass wir die Flächen langfristig nutzen dürfen, damit wir in diesem Bereich vorankommen. Es ist überhaupt keine Frage: Die Entwicklungshilfe stellt eine moralische, eine christliche Verpflichtung dar. Es kann keine Frage sein, dass wir in diesem Bereich Akzente setzen müssen. Für mich ist völlig klar: Vorrang für den Teller und nicht für den Tank. Lassen Sie uns in diesem Bereich Nägel mit Köpfen machen. Dabei sollte es Vorrang haben, einen Beitrag dazu zu leisten, die Welternährung insgesamt zu verbessern, damit wir den Zielen, die wir uns selbst gesetzt haben, ein Stück näher kommen. Gemeinsam werden wir es schaffen. Wenn wir die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen, werden wir erfolgreich sein. Herzlichen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Heidemarie Wieczorek-Zeul (Minister:in)

Politiker ID: 11002503

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Herrn Kollegen Goldmann sehr dankbar, dass er die Diskussion auf diese Art geführt hat. Ich glaube nämlich, das Drama einer möglichen Hungerkrise ist für uns alle, für die Menschheit insgesamt, so bedrohlich, dass sich in dieser Situation kleinliches parteipolitisches Gezänk verbietet. Wenn es stimmt, dass es sich, wie das Welternährungsprogramm meint, um einen „stillen Tsunami“ handelt, dann sollten wir gemeinsam alle Kräfte mobilisieren, um dazu beizutragen, dass diese Katastrophe nicht eintritt. ({0}) Dabei sollten wir zu gemeinsamen Schlussfolgerungen kommen. ({1}) - Wir müssen trotzdem handeln. Ich muss Ihnen sagen: Es ist ein Skandal, dass es in einer Welt, die unter vielerlei Gesichtspunkten reich ist, dazu kommt, dass Mütter ihren Kindern nichts zu essen kaufen können, weil sie nur 50 Cent pro Tag zur Verfügung haben. Es ist für mich und für uns alle von Bedeutung, dass wahrscheinlich 100 Millionen Menschen mehr in Hunger und Armut fallen können. Wir alle haben uns doch gemeinsam vorgenommen, die Entwicklungsziele der Millenniumserklärung zu erreichen. Wir müssen Kräfte mobilisieren, damit wir bei der Erreichung dieses Zieles nicht zurückfallen. Die aktuelle Krise - das muss man sagen - kann die Stabilität und den Frieden in vielen Ländern der Welt ganz real gefährden; die Weltbank hat auf 33 solcher gefährdeten Länder verwiesen. Deshalb geht es zuallererst darum, den betroffenen Menschen unmittelbar zu helfen. Daher hat die Bundesregierung dem Welternährungsprogramm zusätzlich zum vorgesehenen Betrag von 23 Millionen Euro bereits eine Summe von 13 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Angesichts der Not und des gestiegenen Bedarfs werden wir mit Unterstützung des Finanzministers der Hungernothilfe jetzt weitere 10 Millionen Euro zur Verfügung stellen. ({2}) Nach Rücksprache mit den Obleuten der Fraktionen wird der Haushaltsausschuss noch heute Nachmittag darüber entscheiden. Es geht um ganz praktische Hilfe wie Lebensmittelcoupons, damit die betroffenen Menschen Nahrungsmittel kaufen können und damit insbesondere Kinder und Frauen vor Hunger bewahrt werden. Es geht aber nicht nur um unmittelbare Hilfe, sondern auch um eine ganze Reihe struktureller Fragen, insbesondere um die Nachfrage auf den Weltmärkten. Einer der stärksten Preistreiber ist die Produktion von Biomasse für Agrarenergie. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was wissenschaftliche Institute sagen. Das IFPRI in Washington sagt, dass die Agrarenergieproduktion - je nachdem, welches Szenario man zugrunde legt - bis 2020 zum Beispiel bei Mais zu Preissteigerungen zwischen 26 und 72 Prozent führen kann. Ich finde, dass wir die Produktion von Agrarkraftstoffen in den Entwicklungsländern, für die Lebensmittel verbraucht werden, auf den Prüfstand stellen müssen und damit Preissteigerungen verhindern, wenn diese Produktion eingestellt wird. Das ist die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen ist. Ein zweiter Punkt ist der Klimawandel. Wir wissen, welche Auswirkungen ein verändertes Klima auf die Landwirtschaft haben wird. Ein weiterer Punkt sind Investitionen in die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Über Jahrzehnte - ich habe mit diesem Thema im Europäischen Parlament begonnen - haben Agrarexportsubventionen der Industrieländer - keineswegs nur die der Europäischen Union - dazu beigetragen, die Agrarproduktion in den Entwicklungsländern zu schwächen. Wir müssen daraus Schlussfolgerungen ziehen und die Produktion in den Entwicklungsländern wieder voranbringen. Dafür müssen wir Unterstützung mobilisieren. ({3}) Ich möchte auch die Spekulationen an den Warenmärkten nennen. Auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten haben sich manche wieder auf die Agrarmärkte konzentriert. Wer den Hunger auf der Welt zum Gegenstand von Spekulationen macht, handelt gegen die Menschlichkeit. Wir alle sollten immer wieder darauf hinweisen und entsprechende Schlussfolgerungen einfordern. ({4}) Wenn die strukturellen Ursachen tatsächlich bekämpft werden sollen, gilt es, die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern, und zwar mit einem Crashprogramm mit Zugang zu Krediten und Saatgut. ({5}) - Ich bin davon absolut überzeugt. ({6}) - Sie kennen mich nicht gut genug. Wir müssen des Weiteren die Reformen in den Entwicklungsländern voranbringen. Einer unserer Schwerpunkte ist, für den Zugang zu Land, Wasser, Krediten, Märkten und Beratung zu sorgen. Das sollte insbesondere für Frauen verwirklicht werden; denn sie sind diejenigen, die die ländliche Entwicklung voranbringen. Hier wollen wir verstärkt tätig werden. Die Entwicklungsländer selbst müssen mehr in ihre nachhaltige ländliche Entwicklung investieren; das ist völlig klar. ({7}) Wir werden in diesem Sinne unsere bilateralen Programme zur Förderung der ländlichen Entwicklung - die jährlich ein Volumen von 577 Millionen Euro haben ausrichten. Die Weltbank hat zugesagt, das Gleiche zu tun und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel bis zum Jahr 2011 zu verdoppeln. Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Agrarkraftstoffen sagen. Hier besteht Handlungsnotwendigkeit. Die geplante Pflicht zur Beimischung von Agrarkraftstoffen in den Industrieländern hat - hier geht es auch um Subventionen; das konnte man auf der Klimakonferenz auf Bali feststellen - zu einem massiven Run auf Mais, Getreide und Ölfrüchte für die Produktion von Energie zum Zweck des Exports geführt. Ich weiß, das Argument lautet, es gehe dabei um 1 Prozent der Landfläche. Aber bei Preissteigerungen wirken sich auch solche Margen entsprechend aus. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, welche Informationen wir jedenfalls vonseiten der einschlägigen wissenschaftlichen Institute haben. Deshalb müssen für Agrartreibstoffe dringend geeignete Zertifizierungssysteme entwickelt werden. Dort, wo es notwendig ist, brauchen wir dann auch entsprechende Korrekturen. Ich appelliere an dieser Stelle aber auch an Länder wie Indien und Vietnam, die Exportstopps für Lebensmittel verhängt haben, zur Entschärfung der Lage beizutragen und den Export wieder freizugeben, weil durch solche Exportstopps die Länder in ihrem Umfeld, die schlechter dran sind - ganz besonders denke ich hier an Bangladesch -, benachteiligt sind. Wir brauchen auf allen Märkten bessere Voraussetzungen für die Versorgung von Menschen. Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, können wir es schaffen. Lassen Sie uns unsere Kräfte mobilisieren! Die sich anbahnende Katastrophe ist kein Naturereignis; wir können sie verhindern, und zwar mit jener solidarischen Haltung, mit der wir dies in anderen Fällen auch geschafft haben. Es geht um das Schicksal von Menschen. Die gegenwärtige Krise ist ein Beleg dafür, wie eng die Länder der Welt miteinander verflochten sind. Niemand kann sich aus der Globalisierung zurückziehen; die Krise macht uns deutlich, dass wir als Teil dieser globalisierten Welt unsere Verantwortung bei allen Veränderungen und möglichen Schwierigkeiten wahrnehmen müssen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Lassen Sie uns gemeinsam vorankommen! ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jetzige Welternährungssituation zeigt eines ganz deutlich: den Wahnsinn des herrschenden kapitalistischen Weltwirtschaftssystems, ({0}) das alles zur Ware macht und in dem der Markt alles zählt und die Menschen nichts zählen. Das muss auch einmal deutlich angesprochen werden, wenn Sie hier ständig von Strukturen sprechen. ({1}) Ein rohstoffhungriges System, in dem das Brot der Armen im Tank der Reichen landet und Grundnahrungsmittel mittlerweile Spekulationsobjekte an der Börse sind, ({2}) Millionen hungriger Menschen - nicht erst jetzt, wir leben seit Jahrzehnten mit Millionen hungernder Menschen -, die Klimaerwärmung, der Krieg um die Rohstoffe ({3}) und der Einbruch der Finanzmärkte zeigen eines ganz deutlich: das Versagen der neoliberalen Globalisierung. ({4}) Jean Ziegler, der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Nahrung, sprach ganz klar vom „stillen Massenmord“ aufgrund der Strukturen des Weltmarktes. ({5}) Deshalb fordern wir schon seit langem eine grundlegende Änderung dieses Weltwirtschaftssystems; anders lassen sich Hunger und Armut nicht ernsthaft bekämpfen. ({6}) Zu den Finanzmärkten, Frau Wieczorek-Zeul: Es ist richtig, die Spekulationen wurden durch Gewinnerwartungen bei Böden und Agrotreibstoffen massiv angetrieben. Aber da langt eben kein Appell an die Moral. Wir brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte. ({7}) Wir halten eine Eindämmung dieser Spekulationen für notwendig und setzen uns schon seit langem für ein Verbot der hoch spekulativen Hedgefonds ein, die, Frau Künast, unter Rot-Grün zugelassen wurden. ({8}) Auch diese Strukturen müssen Sie einmal ansprechen; denn damit sind wir tagtäglich konfrontiert. Was die Agrarwirtschaft angeht, so setzen wir uns natürlich - ich glaube, das ist überfällig, Herr Seehofer 16428 für ein Moratorium bezüglich der Beimischungsquoten von Biosprit ein. Aber auch wir wissen, dass das nicht ausreicht, sondern dass wir mittelfristig an unsere Verbräuche heranmüssen. Wir müssen den Verbrauch der fossilen Rohstoffe in Europa massiv senken. Das betrifft die Automobilindustrie und viele andere Bereiche. Daran müssen wir glaubhaft herangehen, wenn wir etwas in den Ländern des Südens verändern wollen. ({9}) Herr Seehofer, Sie haben die Nahrungsmittelkonzerne kritisiert. Aber gerade die EU-Agrarpolitik, der Sie immer zugestimmt haben, hat mit massiven Agrarsubventionen gerade diese Konzerne stark gemacht. An wen gehen denn Agrarsubventionen? An Nestlé, an Philip Morris; zum Teil ist gar nicht bekannt, wer alles subventioniert wird. ({10}) Deswegen setzen wir uns für einen Stopp bzw. eine Veränderung dieser Subventionen ein. ({11}) Das betrifft auch die Exportsubventionen. In vielen Ländern des Südens konnten die Bäuerinnen und Bauern mit den billigen Produkten aus der EU nicht mehr konkurrieren. Das ist seit Jahrzehnten so; das ist keine Entwicklung, die es erst seit kurzem gibt. Natürlich sind sie nicht für die jetzigen Preissteigerungen verantwortlich, aber sie haben diese Strukturen lange Zeit massiv beeinflusst. Wir müssen von diesen Strukturen weg. ({12}) Das gilt auch für die Handelspolitik. Auch die Handelspolitik hat in Jahrzehnten systematisch die Ernährungsgrundlage von Ländern des Südens kaputt gemacht. Ein Beispiel ist Haiti, wo es jetzt enorme Hungerunruhen gibt. Haiti ist Mitte der 80er-Jahre durch die Freihandelspolitik gezwungen worden, massiv die Zölle zu senken; Haiti hat Billigimporte ins Land gelassen, und die eigene Produktion wurde zerstört. Jetzt ist Haiti zu 80 Prozent von Nahrungsmittelimporten abhängig. Vor allem die Länder, die von Nahrungsmittelimporten abhängig sind, werden jetzt von den Weltmarktpreisen voll getroffen. Wir brauchen eine Veränderung dieser Freihandelspolitik und einen Schutz der Märkte, um eine eigenständige Entwicklung überhaupt erst zu ermöglichen. ({13}) Wenn wir hier von ländlicher Entwicklung sprechen, dann bedeutet das auch, dass wir diese Bereiche schützen müssen, damit eine solche Entwicklung möglich wird. ({14}) Wir setzen uns auch für die Modernisierung ein. Wir wollen eine Steigerung der Produktivität und die Modernisierung der Agrarwirtschaft in den Ländern des Südens, und zwar ökologisch nachhaltig. Dazu braucht man einen Schutz. ({15}) Dazu trägt die Handelspolitik, Frau Wieczorek-Zeul, insbesondere was die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen anbetrifft, in unseren Augen nicht bei. ({16}) Diese Politik wird mittelfristig zu einer massiven Verschärfung von solchen Hungerkrisen führen, weil Sie weiterhin die Märkte öffnen wollen. Ich kann Sie nur auffordern: Setzen Sie sich dafür ein, dass die EPAs, die Sie nach wie vor unterstützen, gestoppt werden und wir neue Verhandlungen aufnehmen; denn die EPAs werden den Freihandel massiv befördern. ({17}) Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen, das überhaupt noch nicht zur Sprache kam. Wenn wir schon von Geldern sprechen ({18}) und mehr Finanzmittel in die ländliche Entwicklung stecken wollen, dann müssen wir auch den 500 Millionen Dollar der Weltbank die Milliarden und Billionen an Rüstungsausgaben gegenüberstellen. Das ist nämlich ein regelrechter Skandal. ({19}) 1,2 Billionen Dollar werden jährlich für die Rüstung ausgegeben, ({20}) während wir nur 500 Millionen Dollar für die Hungerbekämpfung haben. ({21}) Die Bundesregierung zahlt jetzt 23 Millionen in das World Food Programme ein, was zu begrüßen ist, aber allein 40 Millionen Euro standen für die Tornados in Afghanistan sofort zur Verfügung.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollegin Hänsel, kommen Sie bitte zum Schluss.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich komme zum Schluss. - Das ist ein Widerspruch, den wir hier deutlich formulieren müssen. Für uns ist ganz klar: Wir wollen ein Ende dieser Militarisierung und der weltweiten Rüstungsspirale, um ernsthaft Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Wolf Bauer das Wort. ({0})

Dr. Wolf Bauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000108, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die jüngsten Bilder aus Haiti und anderen Regionen dieser Welt. Menschen schlagen sich nahezu und sind gezwungen, um ihre Nahrungsmittel zu kämpfen. Das macht uns alle sehr betroffen, das schockiert uns. Was mich auch persönlich betroffen macht - das kann ich Ihnen nicht vorenthalten -, ist die Art und Weise, wie wir diese Debatte jetzt führen. Wir alle wissen, dass wir ein Problem haben. Wir alle kennen auch viele Ursachen dieses Problems. Aber dass wir jetzt mit Polemik und irgendwelchen Anschuldigungen an die Sache herangehen, bringt uns nicht weiter. Wenn gerade diejenigen, die lange Zeit in Regierungsverantwortung und in führender Position waren, von einer falschen Agrarpolitik sprechen, dann muss man natürlich darauf aufmerksam machen, dass das nicht ein Problem ist, das erst in den letzten Jahren entstanden ist. Es ist einfach gut, dass wir uns dieses Millenniumsziel gesteckt haben und wir die Anzahl der Hungernden halbieren wollen. Das ist doch richtig und gut. Dass die Anzahl der Hungernden heute noch viel zu hoch ist, ist auch richtig. Lassen Sie uns doch gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, dass wir da weiterkommen! ({0}) Die FAO hat mitgeteilt, dass die Lebensmittelpreise zum Teil gewaltig in die Höhe gegangen sind; beispielsweise sind der Preis von Reis um 75 Prozent und der Preis von Weizen um 120 Prozent gestiegen. Was die Frau Ministerin gesagt hat, ist richtig: Man muss einmal nach den Ursachen dafür fragen und versuchen, diese Ursachen zu bekämpfen. Ich glaube, das sind die richtigen Ansatzpunkte. Wir sollten versuchen, auf diesem Weg voranzukommen. Man sollte auch einmal Positives herausstellen: Soforthilfen sind zur Verfügung gestellt worden; das Welternährungsprogramm ist aufgestockt worden; gerade Deutschland hat hier einiges getan. Man sollte nicht immer nur kritisieren, sondern auch darauf hinweisen, wie wir weiterkommen. Soforthilfen sind nichts, womit wir uns begnügen können. Wir müssen Ausschau halten, was mittel- und langfristig getan werden kann. Auch hier kennen wir die Probleme, die diese Katastrophe letztendlich verursacht haben. Herr Minister Seehofer hat einige dieser Probleme genannt, etwa den Anstieg der Weltbevölkerung; jährlich gibt es 80 Millionen Menschen mehr. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung, die wir mit neuen Ideen und neuen Programmen zu bewältigen versuchen müssen. Hier wurde eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten gefordert. Wir können doch niemandem, weder Chinesen noch Indern, verbieten, Fleisch zu essen. Auch diese Menschen wollen Fleisch essen. ({1}) - Wir sollten niemandem diktieren, was er zu tun und was er zu lassen hat. ({2}) Sie wollten auch einmal erreichen, dass jeder pro Jahr nur einmal fliegen darf und Ähnliches. Lassen Sie uns doch versuchen, die Probleme anders als durch Restriktionen zu lösen! Desertifikation ist ein riesiges Problem. Wahrscheinlich hat sich jeder von Ihnen schon einmal mit der Problematik Aralsee beschäftigt. Das, was da passiert, muss nicht sein. Auch hier könnten wir gemeinsam versuchen, durch mehr Druck weiterzukommen. Ich möchte noch einige Möglichkeiten ansprechen, wie man auf die vorhandenen Probleme noch intensiver eingehen kann. Für mich ist ein ganz wesentlicher Ansatzpunkt - wir können ihn vielleicht noch stärken - das gesamte Mikrofinanzwesen. Ich glaube, hier haben wir bisher schon Erfolge gehabt. Auf diesem Gebiet weiterzuarbeiten, wäre ein unheimlich positiver Ansatz. Ich fordere uns alle auf, hier noch mehr Anstrengungen zu unternehmen. Die kleinen Bauern können Saatgut oder Landmaschinen erwerben, wenn man ihnen durch Kleinkredite das entsprechende Geld zur Verfügung stellt. ({3}) Wichtig ist natürlich auch, dass wir versuchen, den Kleinbauern durch direkte Hilfen noch mehr Land zur Verfügung zu stellen. Hier müssen wir vielleicht noch mehr Anstrengungen unternehmen. Wie bereits angesprochen, müssen wir für eine bessere Infrastruktur in ländlichen Gebieten sorgen: mehr Straßen, mehr Märkte, besseres Wassermanagement. Was nützen Produkte, wenn sie nicht zu Verkaufsstellen, also auf Märkte, gebracht werden können? Eine bessere Infrastruktur ist ein ganz wesentlicher Punkt. Ich möchte nicht versäumen, auf die Bioenergie einzugehen. Unser Problem war, dass wir uns zu voreilig auf konkrete Vorgaben festgelegt haben. Vielleicht hätten wir das Ganze global betrachten müssen. Wir hätten überlegen sollen, wie wir geschickter vorgehen können. Es ist immer wieder von den 1,5 Milliarden Hektar Ackerfläche die Rede gewesen. Beängstigend sind eigentlich Zahlen, die Folgendes besagen: Wenn wir wollen, dass die vorhandene Bevölkerung unser Ernährungsniveau bekommt, dann müsste es zusätzlich 2,5 Milliarden Hektar Ackerfläche geben. Dabei ist die demografische Entwicklung gar nicht berücksichtigt. Diese Probleme müssen wir mit neuen Technologien, mit Effizienzsteigerungen und anderem zu lösen versuchen. ({4}) Wenn wir über Biomasse usw. reden, ist für mich unheimlich wichtig, das ganze Zertifizierungsproblem anzusprechen. Vor allem geht es darum, dass Sozialstandards eingebaut werden. Das sollte geschehen, ohne dass die Bevölkerung in Lateinamerika oder anderswo darunter leidet, dass wir berechtigterweise versuchen, etwas für unsere Umwelt zu tun, indem wir Biomasse umweltschützend einsetzen. Ich habe Ihnen einige Probleme aufgezeigt. Schade, dass man in einer solchen Aktuellen Stunde nur so wenig Zeit hat. Wir haben viele gute Ansatzpunkte, die wir herausarbeiten müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass wir weiterkommen. Wenn wir das tun, dann können wir dieses Problem - viele haben es vorher gesagt - lösen. Davon bin ich überzeugt. Herzlichen Dank. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Thilo Hoppe das Wort.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerin, es geht hier nicht um parteipolitisches Gezänk. Ich will Ihrem Aufruf gern folgen, aber wir kommen nicht darum herum, sehr kritisch und auch selbstkritisch zu fragen: Was ist eigentlich schiefgelaufen? ({0}) Im Jahr 2000 wurde von allen Staatsoberhäuptern der Welt feierlich das Ziel proklamiert, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Wir machen aber überhaupt keine Fortschritte in der Richtung. Es geht in die völlig falsche Richtung. Kontinuierlich steigt der Zahl der Hungernden. Morgen Nacht gibt es im ZDF einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Hunger und Wut“. Darin wird die Frage gestellt: Was hat sich eigentlich geändert? Was ist Neues passiert? Seit Jahrzehnten hungern etwa 850 Millionen Menschen still vor sich hin. Das Problem ist kaum wahrgenommen worden - außer in den Abenddebatten des AWZ. Was also ist passiert, dass plötzlich das Thema überall auf der ersten Seite steht und diskutiert wird? Mehrere Faktoren sind zusammengekommen und haben das Problem eskalieren lassen. Zum ersten Mal erreicht es in den Schwellen- und Entwicklungsländern auch die Mittelklasse, die ersten Steine fliegen, es kommt zu ersten Unruhen, und plötzlich reagiert auch die Weltöffentlichkeit. In der Krise liegt auch eine Chance, nämlich die, dieses wichtige Thema breiter zu diskutieren. Wie gesagt, wir kommen nicht darum herum, kritisch, auch selbstkritisch, zu fragen: „Was ist falsch gelaufen?“, wirklich kräftige Kurskorrekturen anzumahnen: in der Agrarpolitik - das hat die Kollegin Renate Künast schon getan -, ({1}) aber auch in der Entwicklungspolitik. In den Zielen sind wir uns einig. Wir haben im AWZ mehrere Anhörungen mit Jean Ziegler, mit internationalen Wirtschafts- und Agrarexperten durchgeführt, wir haben mehrere Anträge diskutiert - immer mit dem Ziel, mehr im Bereich der ländlichen Entwicklung zu tun. Es ist aber nicht geschehen. Ganze 3,1 Prozent der Mittel für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gehen direkt in den ländlichen Sektor, kommen direkt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zugute, die Grundnahrungsmittel anbauen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Es sind dort falsche Strategien gefahren worden. Auch die Afrika-Strategie des BMZ ist ganz stark auf das Exportgeschäft ausgerichtet - bei Vernachlässigung des Anbaus von Grundnahrungsmitteln für die dort lebenden Menschen. Ich bin froh, wenn es jetzt zur Einsicht und zu Kurskorrekturen kommt; denn die sind absolut bitter notwendig - überlebensnotwendig. ({2}) In der Diskussion heute sind viele Argumente zusammengemixt worden. Oft wurde Ursache und Wirkung verwechselt. In einigen Interviews wurde sogar gesagt: Dadurch, dass wir die Agrarexportsubventionen senken, haben die Menschen nichts mehr zu essen; in Haiti etwa gibt es jetzt keine billigen Lebensmittel mehr. - Das ist so wie im folgenden Fall: Wenn man einen Menschen drogenabhängig macht und der Dealer dann plötzlich den Stoff verweigert, dann führt das natürlich zunächst zu einer Krise. ({3}) Da wird doch wirklich Ursache und Wirkung verwechselt! Was ist durch die Agrarexportsubventionen geschehen? Wir haben nicht nur die Kleinbauern entmutigt, wie das hier schon gesagt wurde; wir haben ganze Märkte zerstört. Wir haben Tausende von Kleinbauern in den Ruin getrieben, ({4}) indem Hähnchenteile, Tomatenmark, Milchpulver, Getreide - alles hoch subventioniert! - auf den Märkten der sogenannten Dritten Welt abgekippt wurden. Auch bei der Tortillakrise, die originellerweise ständig zitiert wird, geht einiges durcheinander. Was ist passiert? Mexiko war einst ein Land, das Mais sogar exportieren konnte, war das Heimatland vom Mais. Dann gab es die Freihandelszone NAFTA - Herrn Goldmann sage ich: Freihandel löst nicht alle Probleme, sondern schafft auch manche Probleme -, ({5}) und der Markt ist mit hochsubventioniertem US-amerikanischen Mais überschwemmt worden. Das hat die Landwirtschaft in Mexiko in den Ruin getrieben und ein Exportland plötzlich zum Importland gemacht. Neuerdings kippen die Amerikaner ihren Mais lieber in den Tank. ({6}) Das führt zu einem starken Anstieg der Preise, und die armen Mexikaner können sich die Tortilla nicht mehr leisten. Für den Übergang ist das ein großes Problem, aber auch darin liegt eine Chance. Jetzt könnte die Agrarproduktion in Mexiko wieder angekurbelt werden. ({7}) Es gibt neue Chancen für die Landwirtschaft in Mexiko, diesen Sektor wieder aufzubauen. ({8}) - Nicht nur in Mexiko, sondern auch - das haben schon einige Vorredner gesagt - in vielen anderen Ländern. Jetzt kommt es nicht darauf an, alle unsere stillgelegten Flächen wieder zu aktivieren, Herr Seehofer. Wir können nicht mit Nahrungsmittellieferungen von Europa aus das Problem des Hungers in anderen Teilen der Welt lösen. ({9}) Es kommt jetzt darauf an, die Agrarproduktion in den Ländern, die vom Hunger betroffen sind, wieder anzukurbeln, aber bitte schön mit Methoden, wie sie jetzt im Weltagrarbericht vorgestellt wurden, also nicht mit massivem Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, Gentechnik, Chemiedünger usw. Das schafft nämlich wieder weitere Umweltprobleme, mergelt die Böden aus und heizt das Klima an. ({10}) Jetzt ist es wirklich notwendig, mit angepassten, nachhaltigen Methoden die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu unterstützen, also den Agrarproduzenten in den Ländern, in denen Hunger herrscht, wirklich Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Dies darf nicht durch eine verfehlte Agrar- und Subventionspolitik torpediert werden. ({11}) Ich habe jetzt leider einige wichtige andere Argumente in der Kürze der Zeit nicht mehr aufgreifen können, diese seien nur ganz kurz im Stakkato genannt: Das, was momentan passiert, ist auch die Folge von bodenloser Spekulation. Viele Entwicklungen lassen sich eigentlich gar nicht nachvollziehen. Nur auf 1,9 Prozent der Anbaufläche werden Energiepflanzen angebaut. Trotzdem sei diese Produktion nach IFPRI für 30, 40 oder gar 50 Prozent der Preisentwicklung verantwortlich.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Hoppe, trotz dieses Tricks ist die Zeit wirklich abgelaufen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Diese Entwicklung kann also nur die Folge von ausufernden Spekulationen sein. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Ich danke Ihnen. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Sascha Raabe das Wort.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Hoppe, Sie haben gesagt, dass bei der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit ein Fehler gemacht wurde, indem nur ein kleiner Anteil für den Kern der ländlichen Entwicklung zur Verfügung gestellt worden sei. Wenn man die genannten 3,1 Prozent umrechnet, käme man auf einen Betrag, der bei ungefähr 60 Millionen Euro liegt. Wir geben aber in Wirklichkeit fast 600 Millionen Euro im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit für die ländliche Entwicklung aus. Wir verstehen darunter nämlich nicht nur die Lieferung von ein paar Schaufeln, sondern etwas viel Umfassenderes. Es hätte ja auch in den letzten Jahren angesichts der ganz geringen Preise, die Landwirte in den Entwicklungsländern für ihre Produkte erzielen konnten, nur wenig Sinn gemacht, wenn wir angefangen hätten, sie für die Bebauung ihrer kleinen Schollen mit Gerätschaften auszurüsten. Ihrer Aussage, Herr Bundesminister Seehofer, dass die Exportsubventionen nicht die Ursache für die jetzigen Probleme sind, kann ich nur entgegenhalten: Da liegen Sie wirklich falsch. Das haben wir aber in der politischen Auseinandersetzung schon vor Jahren gesagt. ({0}) Es ist schon so, dass aufgrund der Subventionspolitik der Industrieländer, für die immerhin 370 Milliarden USDollar pro Jahr aufgewendet werden - die OECD-Länder geben also pro Tag mehr als 1 Milliarde US-Dollar für den Agrarsektor aus -, in Entwicklungsländern, in denen aufgrund der klimatischen Bedingungen Produkte eigentlich bestens angebaut werden könnten, kaum noch Anbau stattfindet. Vorhin wurde zu Recht das Beispiel Haiti genannt. Hier herrschen hervorragende klimatische Bedingungen für den Anbau, aber auf Haiti werden nur noch 10 Prozent der benötigten Nahrungsmittel selbst angebaut, während 90 Prozent importiert werden, so insbesondere subventionierter Reis aus den USA. Genauso verhält es sich auch in Ghana und anderen Teilen Afrikas, wo Geflügel- und Milchprodukte aus Europa den Markt überschwemmen. Vor diesem Hintergrund könnte man einem Bauern noch so viele Traktoren geben, seine Produktionskosten würden trotz der niedrigen Arbeits- und Lohnkosten immer über den Erträgen liegen, die er für seine Produkte auf den Märkten erzielen könnte, weil Produkte zu Dumpingpreisen in den lokalen Supermärkten verkauft wurden. So paradox stellte sich die Situation in den letzten Jahren dar. Deswegen ist eine Importabhängigkeit entstanden, die diese Länder verwundbar machte. Deshalb leiden dort jetzt so viele Menschen. Wir müssen jetzt die Chance ergreifen und die Bauern dort wieder in die Lage versetzen, mehr Produkte anzubauen. Jetzt ist nämlich der Zeitpunkt, massiv Mittel in die Hand zu nehmen, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Das Ministerium hat ja auch angekündigt, dies tun zu wollen. ({1}) Wir müssen also den Landwirten Anreize geben, wieder mehr in die landwirtschaftliche Produktion zu investieren. Es hat mich deshalb schon ein wenig erzürnt, als der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr Sonnleitner, vor zwei Tagen im „Morgenmagazin“ gesagt hat, die Ursache für die Misere liege darin, dass die Bauern in den Entwicklungsländern ihre Höfe verlassen hätten, statt in die landwirtschaftliche Produktion zu investieren. Gerade Herr Sonnleitner ist doch einer derjenigen, die da an der Spitze stehen, was die Forderung nach Agrarsubventionen angeht. Und die horrend hohen Agrarsubventionen sind daran schuld, dass in den Entwicklungsländern die Bauern ihre Höfe verlassen mussten, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren konnten. Ich halte es für sehr bedenklich, wenn denen quasi ein Täter vorwirft, dass sie nichts investiert hätten. Auch das gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte. ({2}) Es geht darum, überall gegen Raubtierkapitalismus vorzugehen. Ich unterstütze Herrn Sonnleitner ausdrücklich, wenn er auch einmal die Billigsupermarktketten in den Blick nimmt, was die Milchpreise für die deutschen Milchbauern angeht. Auch ich bin dafür, dass kleine bäuerliche Betriebe in Deutschland faire Preise für die Produktion hier bekommen. Vollkommen d’accord! Aber wir müssen nicht die Welt mit unseren Produkten beglücken. Es gibt in Europa genügend Markt. Das müssen wir nicht exportieren. Deswegen ist solch ein Raubtierkapitalismus überall abzulehnen. Die Ministerin, Herr Hoppe und andere sind bereits auf die Spekulationen im Bereich der Nahrungsmittelhilfe eingegangen. Die Welt ist kein Spielkasino und kein Zockerparadies. Wer mit Nahrungsmittelpreisen spekuliert, spielt mit dem Leben von Menschen. Diese Art von Kapitalisten haben wir einmal Heuschrecken genannt. Jetzt fressen diese Heuschrecken den Ärmsten der Armen die Felder leer. Hier müssen wir alle einen Riegel vorschieben, damit das verhindert wird. Die Bekämpfung dieser Krise geht uns alle an, ({3}) denn Unruhen, die jetzt entstehen, gefährden die internationale Sicherheit. Hunger ist ein idealer Nährboden für Terroristen und Kriegstreiber. Es ist allemal besser, Mais und Weizen zu säen als Hass und Extremismus. Deswegen müssen wir die Zusagen, die wir international gegeben haben - es ist schon viel von den Millenniumsentwicklungszielen geredet worden; da haben wir uns gemeinsam mit anderen Ländern verpflichtet, unseren Anteil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bis 2015 zu steigern -, auch angesichts dessen, dass Menschen täglich verhungern, einhalten. Das ist allemal billiger als die 1 000 Milliarden US-Dollar, ({4}) die derzeit pro Jahr für Militär ({5}) oder für Agrarsubventionen ausgegeben werden. Lassen Sie uns ein faires Welthandelssystem schaffen! Frau Hänsel, es ist falsch, Länder vom Welthandel abzuschotten. Auch die am wenigsten entwickelten Länder - das wurde bereits angesprochen -, die quoten- und zollfreien Marktzugang hatten, haben nie etwas davon gehabt, wenn sie nicht auch in die Lage versetzt wurden, zu exportieren. Es haben sich immer die Länder am besten entwickelt, ({6}) wie die südasiatischen Länder, die ihre Märkte graduell geöffnet und in den Weltmarkt integriert haben. ({7}) Die konnten sich auch gut entwickeln. ({8}) Abschottung hilft nicht, aber es hilft auch nichts, die Märkte zu öffnen, wenn man mit dumpingsubventionierten Gütern konkurrieren muss. Von daher brauchen wir ein faires Welthandelssystem und vor allem Geld,

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herr Kollege Raabe, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- um Menschen zu helfen, sich selbst zu helfen. In dem Sinne glaube ich, dass wir ein gemeinsames Ziel haben und vorankommen werden. Danke. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die Unionsfraktion.

Sibylle Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003609, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Kollege Thilo Hoppe hat dazu aufgefordert, kritisch zu hinterfragen. Ich möchte zunächst ganz kurz das Thema dieser Aktuellen Stunde kritisch hinterfragen. Es lautet: Überfällige Strategien der Bundesregierung zur Lösung der Welternährungskrise. Liebe Freunde, ich finde, wir Deutsche sind ein bisschen anmaßend und überheblich. Bilden wir uns doch bitte nicht ein, dass wir als Deutsche die Welternährungskrise lösen können. Das geht nur gemeinsam. Wir alle unterliegen internationalen Mechanismen. Diese sind bereits genannt worden; ich brauche sie daher nicht zu wiederholen. Deutschland ist natürlich daran beteiligt und muss mitmachen. Wir müssen aber gemeinsam Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu lösen. ({0}) Insbesondere gefallen mir nicht die Worte „überfällige Strategien“. Ich rede hier von ländlicher Entwicklung. Strategie ist immer etwas Mittel- oder sogar Langfristiges. Hier fehlt mir ein bisschen die Verantwortlichkeit von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, die das Thema ländliche Entwicklung im Bereich der Entwicklungspolitik über Jahre hinweg überhaupt nicht beachtet haben. ({1}) Ich komme auf das Thema Entwicklungspolitik zu sprechen, weil ich glaube, wir als Entwicklungspolitiker haben eine besondere Verantwortung, aber wir sind auch diejenigen, die sehr wohl dazu beitragen können, zu helfen. Wir Entwicklungspolitiker haben eine Verantwortung, können das aber nicht alleine. Wir müssen auch unsere Partnerländer mit in die Verantwortung nehmen. Die Partnerländer können ihre Verantwortung wahrnehmen, so sie wollen. Das wichtigste Thema in dem Zusammenhang ist Good Governance. Ein Unterthema, das mir dabei einfällt, ist die ländliche Entwicklung. Als weiteres Thema fällt mir das Thema Landbesitz ein. Ich möchte Ihnen, weil einige von uns kürzlich da waren, als Beispiel Bangladesch nennen. Bangladesch ist durch die zwei großen Flüsse Brahmaputra und Ganges, die jährlich für Überschwemmungen sorgen, nicht unbedingt im Vorteil. Aber Bangladesch könnte, weil es klimatisch begünstigt ist, mit drei Ernten pro Jahr seine Bevölkerung eigentlich selber ernähren. Die Bauern dort haben jedoch keinen Landbesitz. Landbesitz haben nur einige Feudalherren und der Staat. Wenn der Staat das Thema Good Governance ernst nähme, würde dort über das Thema Landbesitz diskutiert. Durch Landbesitz könnte man die eigene Ernährung in jedem Fall in den Griff bekommen. Das hat im Übrigen etwas mit politischem Willen ({2}) und mit Good Governance zu tun. Dort, wo zurzeit Unruhen stattfinden - ich nenne nur Haiti -, ist Good Governance ein sehr wichtiges Thema. ({3}) Liebe Freunde, im Zusammenhang mit dem Thema Landbesitz bin ich - da finde ich mich unterstützt von den Kollegen in meiner Fraktion, aber auch von allen Kollegen in meinem Ausschuss ({4}) wieder einmal beim Thema Frauen. Nicht einmal die Männer haben Landbesitz, und das gilt erst recht für die Frauen. 80 Prozent der Frauen sind für die Ernährung ihrer Familien verantwortlich; aber nur 2 Prozent der Frauen haben Landbesitz. Wir reden in diesem Zusammenhang im Übrigen auch über Erbrecht. All das hat etwas mit Good Governance, mit politischem Willen und auch mit kommunaler Selbstverwaltung zu tun. Kommunale Selbstverwaltung heißt nämlich, dass wir von oben nach unten verteilen. Das heißt auch, dass wir Verantwortung von oben nach unten verteilen. Dafür zählen wir aber nicht nur in den Gemeinden die Einwohner und erstellen Wählerlisten; vielmehr bedeutet das auch, sich Gedanken darüber zu machen, wie in den Ländern ein Kataster und ein Grundbuch eingeführt werden kann, um die eigene Verantwortlichkeit für den Landbesitz zu dokumentieren und um Erbbaurecht möglich zu machen. ({5}) All das hängt mit der Frage zusammen, wie ein Land geführt wird. Da ist Good Governance immer noch das Thema Nummer eins. In all diesen Bereichen helfen wir mit unseren NGOs, aber auch mit unseren Durchführungsorganisationen wie der GTZ, vor allen Dingen wenn es darum geht, kommunale Strukturen aufzubauen. Ich glaube, wir sind da erfolgreich und gut. Wenn wir auf diese Art und Weise weiterarbeiten, bekommen wir das Bevölkerungsproblem und parallel dazu das Welternährungsproblem in den Griff. Aber dazu brauchen wir die Mitwirkung der Partnerländer; deren Verantwortung müssen wir einfordern. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch nie wurde so viel geerntet wie 2007. Gegenüber 2006 haben wir ein Plus von 4,7 Prozent bei Getreide, und in diesem Jahr wird ein weiterer Zuwachs erwartet. Dies prognostiziert jedenfalls die FAO. Gleichzeitig wurde in Ägypten nach Protesten der Bevölkerung die Armee zum Brotbacken abkommandiert, in Bangladesch gab es Straßenschlachten, in Kamerun starben 24 Menschen bei Unruhen, in Haiti gab es Straßenschlachten, und in Paraguay wurde die Regierungspartei abgewählt, die über 60 Jahre an der Macht war. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Widerspruch ist Ausdruck der Komplexität dieses Themas. Zu den Ursachen ist heute hier schon viel gesagt worden. Für mich gibt es einen Punkt, den ich am Rande einmal erwähnen möchte. Es geht um das - ich will es einmal so formulieren - „Lebensmittel kommen aus dem Supermarkt“-Syndrom. Landwirtschaft gilt vielfach als „uncool“. Landwirtschaft ist häufig ein politisches Randthema - auch bei uns ({0}) und wird bestenfalls im Rahmen der TV-Serie „Bauer sucht Frau“ mit großer medialer Aufmerksamkeit registriert. Dieses „Landwirtschaft ist nicht cool“-Syndrom gibt es auch in abgewandelter Form in vielen Entwicklungsländern. Da entstehen Wohnsiedlungen, Fabriken, Einzelhandelszentren und Golfplätze. Für Industrieförderung und moderne Dienstleistungen stehen Mittel zur Verfügung. Aber einheimische Nahrungsmittelpflanzen und bäuerliche Landwirtschaft müssen hingegen sehen, wo sie bleiben. Biotreibstoff gilt vielfach als Zukunft, was die Sicherung der Mobilität angeht. Die „Treibstoffe des Alltags“ für die Menschen, die Grundnahrungsmittel, werden vernachlässigt. Die Folgen dieser weltweit falschen Prioritätensetzung holen uns jetzt ein. Viele Länder, besonders in der Dritten Welt, sind in den letzten Jahrzehnten von Selbstversorgern zu Importeuren von Grundnahrungsmitteln geworden. ({1}) Der Prozess weltweit ständig sinkender Nahrungsmittelpreise bei wachsenden Produktionsmengen hat sich abrupt umgekehrt. Explodierende Energiepreise, Wetterextreme und Spekulanten, die neue und lukrative Anlagemöglichkeiten entdecken, haben diese Prozesse massiv verstärkt. Hinzu kommen deutliche Veränderungen auf der Nachfrageseite. Die Nachfrage an Lebensmitteln ist dank der Steigerungen der Einkommen von Indern und Chinesen deutlich gestiegen. Das Stichwort Fleischkonsum ist bereits gefallen. Das bedeutet aber: Mehr Futtermittel und größere Anbauflächen müssen für die Fleischproduktion bereitgestellt werden. Aus 100 Kalorien Getreide werden 10 Kalorien Fleisch. 90 Prozent der geernteten Nahrungskalorien gehen dadurch verloren. Rein rechnerisch wird genug Getreide produziert, um alle Menschen ausreichend zu ernähren. Aber das gilt eben nur rein rechnerisch. In manchen Ländern geht bis zu einem Drittel der Ernte durch falsche Lagerung und durch Schädlinge verloren. In vielen Entwicklungsländern ist die Transportinfrastruktur völlig marode, was entsprechende Auswirkungen auf die Versorgung der Bevölkerung hat. ({2}) Der Klimawandel und der Wassermangel werden in Zukunft die Produktion von Grundnahrungsmitteln weiter beeinträchtigen. Die Konkurrenz von Tank und Teller steht erst am Anfang. Zur Steigerung der Weltbevölkerungszahl ist schon etwas gesagt worden. Jede Sekunde wächst die Bevölkerung auf der Erde um einen Menschen. In 40 Jahren werden über 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird weiter ganz stark steigen. Was ist zu tun? In welche Richtung muss es gehen? Es ist heute schon viel Richtiges gesagt worden. Wir müssen - das muss an erster Stelle stehen - verstärkt die ländliche Entwicklung fördern. Der Fokus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit muss darauf gerichtet werden. ({3}) - Danke. - Wir brauchen darüber hinaus - das ist genauso wichtig - Investitionen in landwirtschaftliche Produktivität in den Entwicklungsländern. Gentechnik ist dabei ein Irrweg. ({4}) Gerade einheimische und gut angepasste Nahrungsmittelpflanzen müssen gefördert werden. In diesem Bereich brauchen wir verstärkt eine Förderung. ({5}) - Wir haben überhaupt nichts gegen Biotechnologie. Ich habe von Gentechnik gesprochen. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie weit die Forschung ist, dann werden Sie feststellen: Die Gentechnik leistet zurzeit überhaupt keinen Beitrag zur Lösung der Probleme. ({6}) Wir brauchen verbesserte Anbaumethoden. Wir brauchen Programme zur Expansion der Produktion. Die Vermarktung der Produkte muss verbessert werden. Es muss in die ländliche Infrastruktur investiert werden, um Ernteverluste zu verringern. Für Biotreibstoffe brauchen wir Zertifizierungssysteme. Wir brauchen natürlich auch faire Handelsbedingungen - ich sage das ausdrücklich - für Agrarprodukte. Agrarexportsubventionen gehören dabei in die Mülltonne für überlebte handelspolitische Instrumente. ({7}) Handelspolitik muss aber auch ein Geben und Nehmen sein.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Redezeit.

Manfred Zöllmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003663, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick, hat zu Recht einen „new deal for global food policy“ gefordert. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist es allerdings, der Landwirtschaft wieder einen höheren Stellenwert zu geben. Lebensmittel kommen nicht aus dem Supermarkt. Sie müssen produziert werden. Dafür müssen die Bedingungen stimmen. ({0}) Vielen Dank. ({1})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter Bleser das Wort. ({0})

Peter Bleser (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000198, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Künast, ich war enttäuscht von Ihrer Rede; denn Sie haben sich an Details abgearbeitet. Sie haben keine Analyse vorgenommen und - das ist noch schlimmer keine Lösung angeboten. Sie haben hier zehn Minuten - so ist es mir jedenfalls vorgekommen - herumschwadroniert, ({0}) aber keine Linie erkennen lassen, wie man ein Problem, das wirklich drängend ist, löst. ({1}) Deswegen liegt mir daran, einmal die Fakten aufzuzeigen. Wir haben heute 6,7 Milliarden Menschen auf dem Globus. 80 Millionen kommen jährlich hinzu; 2025 werden es 8 Milliarden sein. Es gibt Veränderungen bei den Verzehrgewohnheiten; Kollege Zöllmer hat es vorhin gesagt. In den Schwellenländern China und Indien werden mehr Fleisch und Milch verbraucht. Das bedarf mehr Fläche, weil für die Erzeugung auch Getreide nötig ist. Wir haben die Erderwärmung; dies ist noch gar nicht angesprochen worden. Der Faktor Wasser ist im Hinblick auf die Ausdehnung der Produktion ein Mangelfaktor. Auch deswegen gab es in den letzten Jahren Ernteausfälle. ({2}) Frau Künast, es gab Extensivierungs- bzw. Stilllegungsprogramme. Auch damit werden wir nicht mehr Nahrungsmittel erzeugen. ({3}) Wenn die 1,5 Milliarden Hektar Ackerflächen auf der Welt ohne Dünger und Pflanzenschutz genutzt würden, würden die Menschen an Hunger sterben. ({4}) Es geht nicht ohne diese Form der effizienten Produktion. Wir haben auch nationale Probleme, die wir nicht gelöst haben. Wir verbrauchen pro Tag 110 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Das muss reduziert werden auch in Form von weniger Ausgleichsflächen. Daran müssen wir arbeiten, und dazu stehen wir. ({5}) Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben es zu Recht angesprochen: Wir müssen die ländliche Entwicklung in den einzelnen Ländern stärken. Dort, wo die Menschen hungern, müssen Nahrungsmittel produziert werden. Deswegen ist es nicht gut gewesen, dass die Vorgängerregierung die Ausgaben für die ländliche Entwicklung und Welternährung von 648 Millionen Euro in 1998 auf 360 Millionen Euro in 2004 zurückgeführt hat. ({6}) Gott sei Dank werden diese Mittel, Frau Ministerin, jetzt wieder auf 577 Millionen Euro erhöht. Ich werbe sehr dafür, dass wir sie innerhalb des Etats weiter aufstocken; denn das ist sehr sinnvoll ausgegebenes Geld. ({7}) Aber auch nach dieser Analyse ist nicht zu übersehen, dass es eine Parallelentwicklung gibt: Ein Barrel Erdöl hat 1998 zu seinem Tiefstand 10 Dollar gekostet. Heute sind wir bei 114 Dollar. Das hat Konsequenzen. Das führt dazu, dass Ackerflächen in den Ländern, in denen die Erträge höher sind, in Südamerika und in Nordamerika, natürlich ohne staatliche Hilfen zur Energieerzeugung genutzt werden können. Auch das ist eine Konkurrenzsituation, die wir nicht verkennen dürfen. Meine Damen und Herren, wir müssen auch erkennen - das ist ein Vorwurf, den ich keiner einzelnen Fraktion machen möchte -: Wir haben übersehen, dass seit 1999 mit Ausnahme eines Jahres die Ernte nie so hoch war wie der Bedarf. Es gab einen Abbau der Bestände von knapp 600 Millionen Tonnen in 1999 auf 335 Millionen Tonnen in 2007. Für die Ernte 2008 haben wir nur noch einen Vorrat von 50 Tagen. Dass dies irgendwann zu einem Anreiz für Spekulanten wird, die sich dann auf die Nahrungsmittel und die Rohstoffe insgesamt stürzen, ist völlig klar. Deswegen müssen wir jetzt darangehen, die Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion zu steigern, und zwar weltweit und auch bei uns. ({8}) Dabei dürfen wir keine Scheuklappen haben: keine technologischen, keine wissenschaftlichen und auch keine sonstigen. ({9}) - Dazu gehört selbstverständlich auch die Grüne Gentechnik. Aber bei all diesen Bestrebungen, die Effizienz zu steigern, müssen wir natürlich die Nachhaltigkeit immer im Blick behalten. Das ist die erste Voraussetzung; sie darf auf keinen Fall infrage gestellt werden. ({10}) Dies gilt auch für den Tierschutz und den Umweltschutz. Ich bin sogar der Meinung: Mit diesen technologischen Möglichkeiten kommen wir weiter als über den Weg zurück, den viele beschreiten wollen. ({11}) - Natürlich ist die Steigerung der Produktion die Lösung. So kann man das Ziel erreichen. Das muss man doch in aller Klarheit sagen. ({12}) Diejenigen, die der Bundesregierung und der Europäischen Union hier vorgeworfen haben, die Landwirtschaft zu subventionieren, frage ich: Wo wären wir denn heute, hätten wir in den letzten zehn Jahren die Landwirtschaft in Europa nicht erhalten? Wir wären doch fast in der gleichen Situation wie die Entwicklungsländer. ({13}) Es ist gut, dass wir unsere Bevölkerung mit kostengünstigen Nahrungsmitteln versorgen können. Ich komme zum Schluss. Wir müssen unsere Ressourcen nutzen. Wir brauchen jeden Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Es muss uns ein heiliges Anliegen sein, eine weitere Reduzierung dieser Flächen zu verhindern. Wir sollten außerdem die bäuerliche Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stärken und ihnen helfen, damit sie sich selbst versorgen können. Damit tun wir ein gutes Werk. Herzlichen Dank. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die SPD-Fraktion.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon außerordentlich viel zu diesem Thema gesagt worden. Ich bewundere jene, die schon jetzt die genaue Ursache dieser schwerwiegenden Krise kennen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Aus meiner Sicht gibt es eine Vielzahl sehr komplexer Faktoren, die zu dieser Situation geführt haben. Spekulationsverluste, Biosprit oder die Tatsache, dass in vielen Entwicklungsund Schwellenländern heute - glücklicherweise - eine höhere Nahrungsnachfrage besteht, die zu bedienen ist, sind es nicht allein. Auch die schwierige Struktur der Landwirtschaft, die Politik der EU, der Vereinigten Staaten und anderer Industrieländer auf dem Felde der Landwirtschaft sind ebenfalls nicht allein ursächlich. Man muss alles zusammen betrachten. ({0}) - Es täte Ihrer Fraktion gut - das will ich Ihnen einmal sagen -, wenn Sie von den alten marxistischen Mustern, die in der Vergangenheit über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg weltweit zu Hungersnöten geführt haben, wegkämen. Ich muss das immer wieder sagen. ({1}) Das unkritische Selbstbewusstsein, das Sie an den Tag legen, ist durch die Realität an keiner Stelle zu rechtfertigen. Das wollte ich Ihnen gesagt haben. ({2}) Seien Sie einmal ein bisschen vorsichtiger und nachdenklicher. Dann diskutieren wir auch gerne mit Ihnen über solche Fragen, aber nicht auf die Tour. Ich komme zum zweiten Punkt, den ich ansprechen wollte, zu den Finanzmärkten. Auch das ist ein Thema, das Sie völlig ignorieren. Sie sollten eigentlich honorieren, dass sich die Bundesregierung, insbesondere der Bundesfinanzminister, ({3}) in den internationalen Gremien für die Schaffung von mehr Transparenz und Kontrollmechanismen stark gemacht hat, um Krisen auf den Weltfinanzmärkten und Spekulationen bestimmten Ausmaßes in Zukunft verhindern zu können. Sie haben hier gesagt: Wir schaffen das ab! Das hört sich zwar wunderbar an, nur leider werden Sie das nicht durchsetzen. ({4}) Das ist reiner, klassischer Populismus der Linkspartei und nichts anderes. ({5}) Ich füge hinzu: Die Debatte hat mir gezeigt, dass wir sehr viel mehr Zeit in die Debatten über die Globalisierung investieren müssen. Wir müssen deutlich machen, dass es notwendig ist, die globalen Institutionen zu stärken. ({6}) Jeder weiß doch - das ist hier zu Recht schon gesagt worden -, dass auch wir nur ein Mosaikstein des Ganzen sind. Wir brauchen die von der Linken bekämpften globalen Institutionen wie die Weltbank, den IWF und die OECD, ({7}) damit wir in viel breiterem Umfange dafür sorgen können, dass diejenigen, die in dieser Welt hungern müssen, denen es schlecht geht, unterstützt werden. Das muss uns klar sein. Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen - ich finde es gut, dass das hier gefordert wurde -, dass die bäuerlichen Strukturen in den betroffenen Ländern über Landreformen - Stichwort: Good Governance - gestärkt werden. Das muss die Priorität sein, weil das eine Option für eine bessere Zukunft birgt. Sie müssen mich gar nicht überzeugen; denn ich habe die europäische Landwirtschaftspolitik über Jahrzehnte hinweg kaum verstanden. Ich bin zwar nie Landwirtschaftspolitiker gewesen, doch ich finde, es liegt auf der Hand und in unserem eigenen Interesse, dass Deutschland weiterhin seinen Einfluss geltend machen will, damit unsinnige Subventionen abgebaut werden. ({8}) - Das ist kein Populismus. Das ist reale Politik, die wir in den letzten Jahren von Rot-Grün mit Frau Künast als Landwirtschaftsministerin bereits praktiziert haben. ({9}) - Meine Damen und Herren, ich darf doch wohl auch einmal etwas Lobenswertes über unseren früheren Koalitionspartner sagen, oder? ({10}) Da ich nur noch wenige Sekunden Redezeit habe, möchte ich noch darauf hinweisen, dass dies nicht nur eine Aufgabe der Industrieländer ist. Wir haben gerade auch über Spekulationen gesprochen, deshalb möchte ich sagen: Ich stelle mir zum Beispiel die Frage, warum wir nicht einmal versuchen, die großen staatlichen Schwellenländerfonds dazu zu motivieren, in diese Märkte beruhigend zu intervenieren. Solche marktwirtschaftlichen Möglichkeiten bestehen nämlich auch. Vielleicht wäre ein solches Vorgehen viel erfolgreicher, als - das ist Ihr Vorschlag - mit der roten Karte durch die Welt zu laufen, obwohl sie niemand sehen will. ({11}) Ich denke, wir brauchen mehr Fantasie und mehr Engagement. Im Übrigen wünschte ich mir, wenn ich das sagen darf, dass sich der nächste Deutsche Bundestag dazu durchringt, einen Parlamentsausschuss einzusetzen, der sich mit Fragen der globalen Welt und der Weltwirtschaft beschäftigt. Denn diese Herausforderungen betreffen uns alle. Wenn wir diese Herausforderungen nicht bewältigen, wird es uns nicht gelingen, in der Welt Frieden zu schaffen und eine Politik zu realisieren, die verhindert, dass uns Extremismus und Terrorismus zu erheblichen finanziellen Aufwendungen veranlassen. Dieses Geld würde an einer anderen Stelle, an der es viel besser aufgehoben wäre, fehlen. ({12}) Wir wollen eine Welt, in der die Menschen genug zu essen haben, in der sie sich entwickeln können und

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Staffelt, das ist keine rote Karte. Beachten Sie aber bitte die rote Lampe vor Ihnen.

Dr. Ditmar Staffelt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003239, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

- das ist meine letzte Bemerkung - in der sie ihr Leben menschenwürdig gestalten können. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Johannes Röring das Wort. ({0})

Johannes Röring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003832, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 2025 werden 83 Prozent der Weltbevölkerung, die bis dahin auf voraussichtlich 8,5 Milliarden gestiegen sein wird, in den Entwicklungsländern leben. Es ist allerdings fraglich, ob die Kapazität der vorhandenen Ressourcen und Technologien ausreichen wird, um die Bedürfnisse dieser ständig weiter wachsenden Bevölkerung in bezug auf Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte zu befriedigen. ({0}) Die Landwirtschaft muß dieser Herausforderung in erster Linie dadurch begegnen, daß sie die Produktion auf bereits bewirtschafteten Flächen steigert, ({1}) gleichzeitig aber ein weiteres Vordringen auf nur begrenzt für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignete Standorte unterläßt. Dies, meine Damen und Herren, ist der Originaltext der Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro aus dem Jahre 1992. ({2}) In Kapital 14 der Agenda 21 werden unter der Überschrift „Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und ländlichen Entwicklung“ bedeutende Themen im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der Agrarwirtschaft insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern genannt, unter anderem: Bodenordnung, Eigentumsfragen und Bodenerhaltung, nachhaltige Pflanzenernährung mit organischem und mineralischem Dünger ({3}) sowie integrierter Pflanzenschutz mit chemischen und biologischen Maßnahmen. ({4}) Diese vor mehr als 15 Jahren formulierten Ziele beinhalten keinen Hinweis auf eine Extensivierung der Landwirtschaft, keine Absichtserklärung und keine Forderung nach weltweitem Ökoanbau. Sie sind der eindeutige und unmissverständliche Auftrag an die Landwirtschaft, ihre Erträge zu steigern, effizient zu arbeiten und Potenziale auszuschöpfen. Dies soll mit den Instrumenten einer modernen, wissensbasierten Landwirtschaft geschehen. Die Rolle der Biotechnologie ist in diesem Papier übrigens nicht infrage gestellt worden. Doch was haben wir in Deutschland aus diesen klar formulierten Zielen gemacht? Statt sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, Frau Künast, wurden Projekte aufgelegt, aus denen lokale Agenden entstanden sind, mit dem einzigen Ziel der Extensivierung der Landwirtschaft. Es kam vielmehr zur Förderung einer alternativen Landwirtschaft. Diese politische Arroganz hat dazu geführt, dass die alternative Landwirtschaft weltweit als wünschenswert angepriesen wird. ({5}) Die konventionelle Landwirtschaft wurde in nicht annehmbarer Weise diffamiert, beschädigt, anstatt den Menschen in der Dritten Welt mit den Möglichkeiten der konventionellen Landwirtschaft zu helfen. ({6}) Diese ideologiegeprägte Politik, Frau Künast, haben wir zusammen mit Bundeslandwirtschaftsminister Seehofer beendet. Die Landwirtschaft, die Bauernfamilien, die gesamte Agrarwirtschaft mit ihren 4,5 Millionen Beschäftigten in Deutschland wurden endlich wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt. ({7}) Diese Entwicklung muss überall in der Welt angestoßen werden; denn nur auf der Basis einer funktionierenden Landwirtschaft lassen sich eine staatliche Ordnung, eine funktionierende Infrastruktur und auch Sicherheit aufbauen. Die hungernden Menschen dieser Welt brauchen Nahrung, brauchen Möglichkeiten, sich und ihre Familien selbst zu ernähren - sie brauchen keine Nachhilfe in einer überflüssigen grünen Weltverbesserungsidee, die mehr schadet als nutzt. ({8}) Wir müssen Maßnahmen ergreifen und Instrumente finden, die sofort wirken. Dazu gehören unter anderem der Zugang zu ertragssteigernden Produktionsmitteln wie Pflanzenschutz- und Düngemitteln, die Schaffung von breit gestreutem Eigentum sowie ein besserer Zugang zu Bildung und Beratung. Die moderne Landwirtschaft wird mit ihren vielfältigen Möglichkeiten im Hinblick auf Ertragssteigerung und Ertragssicherheit eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Welternährungskrise einnehmen. ({9}) So notwendig die Diskussion über faire Handelsbeziehungen ist und so sinnvoll die Debatte über die Gründe für die Verteuerung der Nahrungsmittel ist, an einem Fakt kommen wir nicht vorbei: Die Nachfrage nach Agrarrohstoffen - nach Getreide, nach Ölsaaten und vielem mehr - wird sich in absehbarer Zeit fast verdoppeln. Um diese auf uns zukommende Herausforderung meistern zu können, müssen wir jetzt die Weichen richtig stellen. Dieses Mehr an Nachfrage müssen wir durch Produktion auf den vorhandenen Flächen befriedigen; das verfügbare Ackerland ist nämlich beschränkt. Wenn wir die Urwälder unangetastet lassen wollen, brauchen wir eine intensive, moderne Landwirtschaft. Ich glaube, dass eine moderne, verantwortungsvolle Landwirtschaft in bäuerlicher Hand ein Segen für die Menschheit sein kann. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Gabriele Groneberg. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin den Grünen durchaus dankbar für diese Aktuelle Stunde. Das Problem ist derart akut, dass wir darüber reden müssen; insofern ist es gut, dass wir die Möglichkeit dazu haben. Es gibt in der Tat Handlungsbedarf. Zu den Gründen ist eine Menge gesagt worden. Ich bin dem Kollegen Staffelt dankbar dafür, dass er deutlich darauf hingewiesen hat, dass es nicht den Grund gibt, sondern dass verschiedene Faktoren - die sich nicht immer auf die Schnelle erklären lassen - zu dieser Ernährungskrise geführt haben. Es stört mich allerdings, Herr Goldmann, dass hier wie in der Presse Schlagworte wie „Teller vor Tank“ benutzt werden. Das ist nicht hilfreich, wenn es darum gehen soll, die Probleme zu lösen. ({0}) - Unsere Ministerin hat durchaus differenziert dazu Stellung genommen, und auch ich gehe auf diesen Punkt noch einmal ein. Es gibt, wie gesagt, viele Faktoren. 30 Prozent der Getreideproduktion - das sind FAO-Zahlen - stehen für Futtermittel zur Verfügung. Allein daran ist ersichtlich, dass Biomasse und Biokraftstoffe eben nicht die Buhmänner sein können. Worum geht es mir? Wir haben hier im Hause eine eindeutige Mehrheit, die sich von der Atomkraft verabschieden möchte. Wir haben den Ausstieg beschlossen, und das ist auch gut so. Wir führen in der Republik - und natürlich auch in diesem Hause eine Diskussion über die Kohlekraftwerke und insbesondere über den Bau von neuen Kohlekraftwerken. Daneben wollen wir raus aus der Abhängigkeit vom Öl. Das sind drei Gründe. Was machen wir aber? Gleichzeitig verteufeln wir die Biomasse. Wir wissen ganz genau, dass wir mit der Biomasse natürlich auch eine Chance haben - auch für die Entwicklung in den Entwicklungsländern -, die wir nicht vernachlässigen dürfen. Ich habe an dieser Stelle oft genug darüber geredet. Wir brauchen erneuerbare Energien und die Biomasse. In diesem Punkt brauchen wir aber natürlich auch eine geregelte Entwicklung. Genau darum müssen wir uns einmal intensiver kümmern. Wir brauchen dringend Zertifizierungssysteme. Das ist auch von der Ministerin gesagt worden. ({1}) In Deutschland gibt es die Nachhaltigkeitsverordnung. Damit sind wir auf einem guten Wege. Wir sind das erste Land, das so etwas gemacht hat. Diese Nachhaltigkeitsverordnung soll jetzt auch auf EU-Ebene übertragen werden. Wir legen in dieser Nachhaltigkeitsverordnung die Anforderungen an Biokraftstoffe dar, wir beschreiben die Bedingungen für die Erzeugung von Biokraftstoffen, und wir weisen auf die nachhaltige Bewirtschaftung von Flächen, den Schutz natürlicher Lebensräume und das Treibhausgasverminderungspotenzial hin. Das gilt nicht nur für uns, sondern ebenso für die internationale Erzeugung. Wir stellen uns vor, dass dieses Zertifizierungssystem auch international implementiert wird, um zu vermeiden, dass damit Schindluder getrieben wird. Die Kollegen haben teilweise auch auf das Abholzen in den Entwicklungsländern, zum Beispiel in Indonesien, und auf die Erzeugung von Palmöl mit den damit verbundenen Problemen hingewiesen. Herr Goldmann, die Ministerin hat ganz deutlich gesagt, dass wir jetzt natürlich auch ein Moratorium beschlossen haben. ({2}) Herr Seehofer hat gesagt, welche Maßnahmen wir in diesem Zusammenhang noch durchführen wollen. Es ist richtig und notwendig, dass wir jetzt einmal einen Moment innehalten und schauen, welche Entwicklung es dort gab und wie wir damit umgehen. Herr Goldmann, Sie sagen jetzt, die Entwicklung hätten wir vorhersehen können. Das stimmt einfach nicht. Noch vor einem Jahr hat niemand diese massive Entwicklung absehen können. Eines will ich auch noch einmal sagen: Es ist unverantwortlich, dass jetzt immer so getan wird, als ob wir das alles gewusst hätten. Wir haben nicht alles gewusst. Wir müssen uns jetzt darum kümmern, und das tun wir auch. Natürlich tragen auch die Entwicklungsländer eine Mitverantwortung. Sie müssen nämlich dafür sorgen, dass eine Vorratshaltung betrieben wird. Die Good Governance ist von Sibylle Pfeiffer genannt worden. Wir müssen auch schauen, wie mit der Bevorratung umgegangen wird. ({3}) Es gibt Projekte der Caritas - zum Beispiel in Niger -, um Getreidespeicher zu bauen. So wird dafür Sorge getragen, dass dort Getreide eingelagert wird; denn wegen Dürren und aus anderen Gründen - weiß der Teufel, weswegen noch - hat es immer wieder Nahrungsmittelkrisen gegeben und wird es auch immer wieder welche geben. Die Menschen erleben dort nicht die erste Krise. Wenn man Getreide bevorratet, kann man auch eine entsprechende Preisregulierung erreichen. Wenn es für bestimmte Teile der Bevölkerung nicht mehr möglich ist, Getreide zu kaufen, um damit Brot zu backen, dann kann man mit diesen Bevorratungen auch preisregulierend eingreifen. Ich habe noch heute Morgen mit der Botschafterin von Mali reden können. Die Malier hatten vor ein paar Jahren eine große Nahrungsmittelkrise. Sie haben daraus gelernt. Die Botschafterin hat gesagt: Wir müssen damit umgehen. - Sie sprach davon, dass sie von der Nahrungsmittelkrise und den Preissteigerungen im Moment nicht in dem großen Maße betroffen sind, weil sie eben vorgesorgt haben und durch eine Bevorratung und entsprechende Regularien mit dieser Krise anders umgehen können. Wir können damit also verantwortungsvoll umgehen. Wir müssen uns auf allen Seiten überlegen, mit welchen Instrumenten man der Problematik begegnen kann. Ich bin absolut dagegen, die Biomasse zu verteufeln. Sie ist nicht der Buhmann bei diesen Dingen. Wir müssen aber aufpassen, dass sie aus nachhaltiger Produktion stammt, und wir werden zumindest für uns in Deutschland dafür sorgen, dass das auch so geschieht. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. April 2008, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Tag. Die Sitzung ist geschlossen.