Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Verbraucherpolitischer
Bericht 2008.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir haben heute im Kabinett den Verbraucherpolitischen Bericht 2008 behandelt. Auf Wunsch des
Parlaments wird ein solcher Bericht einmal pro Legislaturperiode vorgelegt. Auf den Bericht aus dem Jahr 2004
folgt daher nun, im Jahre 2008, eine weitere Darstellung
der verbraucherpolitischen Situation in der Bundesrepublik Deutschland. Sie werden bei der Lektüre des
Berichts möglicherweise ebenfalls zu dem Urteil kommen, dass die Verbraucherrechte und der Verbraucherschutz in Deutschland sehr hoch entwickelt sind, dass in
den letzten Jahren viel geschehen ist und in dieser Legislaturperiode noch einiges folgen soll.
Der Verbraucherpolitische Bericht 2008 umfasst eine
solche Fülle von Punkten - von der Lebensmittelsicherheit über den Schutz der Verbraucher im Zusammenhang
mit Versicherungen und Finanzdienstleistungen bis hin
zu den Punkten Verkauf unter Einstandspreisen und Allergieinformation und -beratung -, dass es mir im Rahmen dieses einleitenden fünfminütigen Berichtes nicht
möglich ist, auf all diese Punkte einzugehen. Zusammenfassend möchte ich aber sagen: Dieser Bericht bringt
klar zum Ausdruck, dass der Verbraucherschutz in
Deutschland einen sehr hohen Stellenwert hat. Ich kenne
kein Land in Europa - und ich kenne die europäische
Situation -, in dem der Verbraucherschutz stärker ausgeprägt ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Er
genießt diesen Stellenwert zu Recht; denn in der Bevölkerung sind Verbraucherinformation, Verbraucheraufklärung und Verbraucherschutz sehr hoch veranschlagt,
insbesondere, wenn es um die Gesundheit und die Sicherheit der Menschen geht.
Unsere Grundlinie, die wir im Kabinett heute noch
einmal bekräftigt haben, ist: Immer dann, wenn es um
die Sicherheit, um den gesundheitlichen Schutz der Verbraucher geht, wollen wir die Verbraucher durch einen
starken Staat schützen. Es wird Ihnen nicht verborgen
geblieben sein, dass sich hinsichtlich der Lebensmittelsicherheit durch Maßnahmen des Bundes und der Länder
einiges zum Positiven gewandt hat. Die letzten drei angeblichen Gammelfleischskandale sind im Sande verlaufen; sie waren keine.
Immer dann, wenn es um den mündigen Verbraucher
geht, wenn es darum geht, dass die Menschen in einer
globalisierten Welt mit einem vielfältigen Angebot Entscheidungen treffen sollen, setzt die Regierung auf
Transparenz, auf Information und Aufklärung. Der Bürger soll entscheiden.
Das ist die Richtlinie unserer Verbraucherpolitik. Im
Parlament und in den Ausschüssen werden wir intensiv
darüber diskutieren. Möglicherweise kommen auch Sie
dabei zu dem Urteil, dass der Verbraucherschutz in
Deutschland hoch entwickelt ist und hoch entwickelt
bleiben soll.
Vielen Dank, Herr Minister. - Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben
berichtet wurde.
Das Wort hat die Kollegin Maisch.
Danke, Frau Präsidentin. Danke, Herr Minister. Ich
habe eine konkrete Frage zu den drei Bereichen Fahrgastrechte, Telefonwerbung und Scoring. Die Bundesregierung hat wiederholt angekündigt, die Verbraucherinnen und Verbraucher auf diesen Gebieten besser zu
schützen. Wann können wir damit rechnen, dass ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht wird? Ich spreche
Redetext
von einem Gesetzentwurf, nicht von Pressemitteilungen
oder Positionspapieren.
({0})
Wir sind gerade damit beschäftigt. Ein solcher Gesetzentwurf wird mit Sicherheit noch in diesem Jahr in
den Bundestag eingebracht, und zwar für alle drei Bereiche.
Was die Telefonwerbung angeht, sind wir uns innerhalb der Regierung einig. Im Hinblick auf die Fahrgastrechte werten wir noch Zahlen zur Betroffenheit der
Bevölkerung von Verspätungen aus, die uns die Bahn
zur Verfügung gestellt hat. Das Scoring wird, wie Sie
wissen, im Bundesinnenministerium behandelt; auch für
diesen Bereich gilt das, was ich Ihnen gerade gesagt
habe.
Eines möchte ich zum Verbraucherpolitischen Bericht
insgesamt noch sagen: Es geht nicht nur um die Aufgaben des Verbraucherschutzes, die in meinem Ministerium ressortieren. Der Verbraucherpolitische Bericht ist
umfassend. Beinahe jedes Bundesressort ist in irgendeiner Weise für den Verbraucherschutz zuständig, sei es
in wirtschaftspolitischer, juristischer oder gesundheitspolitischer Hinsicht. All dies wurde in diesem Bericht
zusammengetragen.
Darf ich eine Nachfrage stellen?
Ja, gut. Stellen Sie eine Nachfrage.
Danke. - Hinsichtlich der Fahrgastrechte und der Telefonwerbung war bereits für Ende letzten Jahres ein Gesetzentwurf angekündigt. Was wird in diesem Jahr anders sein, sodass tatsächlich ein Gesetzentwurf vorgelegt
wird?
Dass es stattfindet.
({0})
Die nächste Frage stellt der Kollege Blumentritt.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gerade gesagt,
dass die endgültige Entscheidung im Hinblick auf die
Fahrgastrechte in diesem Jahr getroffen werden soll. Im
Ausschuss haben wir darüber bereits sehr viel diskutiert.
Das ist nämlich ein ressortübergreifendes Thema.
Auch heute haben wir uns im Ausschuss mit einem
Thema beschäftigt, das uns im Rahmen des Verbraucherschutzes ein bisschen beunruhigt: dass die Preise für die
Fahrkartenbestellung erhöht wurden. Darüber müssen
wir reden, und hier müssen wir Position beziehen. Können Sie mir die Frage beantworten, von welcher Zeitschiene Sie ausgehen? Ich denke, der Verbraucherschutz
ist eine elementare Frage. Daran zeigt sich, wie wir mit
dem Verbraucher generell umgehen. Das ist eine Vertrauensfrage. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt. Inwieweit werden die Verbraucherzentralen zeitnah über den Inhalt dieses Berichts informiert und damit konfrontiert, und wann wird er ihnen als
Arbeitsmaterial zur Verfügung gestellt? Wir Abgeordnete arbeiten vor Ort notwendigerweise mit den Verbraucherzentralen zusammen. Außerdem raten wir häufig
Menschen, die zu uns kommen, sich an die Verbraucherzentralen zu wenden. Daher ist dieser Aspekt für mich
sehr wichtig. Es wird immer wieder beklagt, dass die
Verbraucherzentralen nicht gut genug informiert sind
und ihren Mandanten - so möchte ich sie einmal nennen daher auch nicht immer maßgeschneiderte Auskünfte
geben können.
Natürlich wird dieser Bericht den Verbraucherzentralen zur Verfügung gestellt. Außerdem wird eine öffentliche Debatte darüber stattfinden, auch hier im Parlament.
Allerdings pflegen wir den Kontakt mit den Verbraucherzentralen nicht nur im Zusammenhang mit der
Erstellung dieses Berichts, sondern es gehört auch zu unseren ständigen Aufgaben, dass wir mit den Verbraucherschützern, die für die Bevölkerung und außerhalb
der Regierung tätig sind, in Kontakt stehen und ihre Anliegen so weit wie möglich aufgreifen und realisieren.
Zu den Fahrgastrechten und zur Telefonwerbung kann
ich Ihnen sagen: Mit diesen Themen befasst sich das Justizministerium. Die Justizministerin und ich sind uns
einig. Bei den Fahrgastrechten hat es seit letztem Jahr allerdings noch einige Entwicklungen gegeben. Im Moment sind wir damit beschäftigt, Regelungen zu Verspätungen und Entschädigungsleistungen für die Passagiere
zu treffen, und zwar für die Fälle, die in der Praxis von
Bedeutung sind.
Ich habe immer gesagt: Ich möchte nicht, dass eine
Verspätungsregelung, die für Fälle gilt, die in der Praxis
gar nicht vorkommen, mit Entschädigungsleistungen
versehen wird. Wenn wir uns also zum Beispiel nur auf
Verspätungen von einer Stunde konzentrieren würden
- eine Verspätung von einer Stunde findet beispielsweise
im Nahverkehr nicht statt -, dann würde uns zu Recht
der Vorwurf gemacht: Ihr habt eine Regelung für Fälle
getroffen, die in der Praxis gar nicht vorkommen und daher keine Entschädigungsleistungen zur Folge haben.
Deshalb sind wir auf hochrangiger Ebene mit dem
Vorstand der Bahn zusammengekommen. Wir haben ihn
aufgefordert, uns Daten über die Dienstleistungen der
Bahn vorzulegen und darzulegen, wie viele Fahrgäste zu
welchen Zeiten betroffen sind. Diese Daten wurden ausBundesminister Horst Seehofer
gewertet. Jetzt muss ich noch politisch entscheiden, ob
die Bewertung, die vorgenommen wurde, angemessen
ist. Wenn das so ist, steht das Signal, dass sich das Parlament damit beschäftigt, auf Grün. Das wird in den
nächsten Wochen und nicht in den nächsten Monaten der
Fall sein.
({0})
Herr Kollege Blumentritt, könnten Sie Ihre Frage
vielleicht noch einmal anmelden? Mir liegt nämlich bereits eine Reihe weiterer Anmeldungen vor. - Frau Kollegin Happach-Kasan.
Herr Minister, Sie haben den Verbraucherpolitischen
Bericht der gesamten Bundesregierung vorgestellt, also
einen Bericht, der über Ihr Haus hinausreicht. Die Große
Koalition hat vereinbart, die Förderung von Biokraftstoffen von der Befreiung von der Mineralölsteuer auf
einen Beimischungszwang umzustellen. Wir haben in
der Vergangenheit gesehen, dass diese Verordnungen
nicht so ganz einfach auf den Weg zu bringen sind und
dass sich nicht alles so realisieren lässt, wie man sich das
vorgestellt hat.
Ich frage Sie konkret: Erwarten Sie durch den B7 negative Auswirkungen für die Autofahrer?
Obwohl ich dafür nicht zuständig bin, möchte ich
nach allen Informationen, die mir vorliegen, sagen, dass
ich sie nicht erwarte. Aber ich möchte darauf hinweisen,
dass es dafür hochrangig besetzte Normungsausschüsse
gibt, die die technische Umsetzbarkeit diskutieren, und
dass man sich als Politiker, wenn es um die technische
Machbarkeit geht, darauf verlassen muss, was einem die
dafür ausgebildeten Fachleute sagen.
Ich glaube, dass das, was bei E10 passiert ist, sich bei
B7 nicht wiederholen wird. An E10 hat nicht nur die
Politik mitgewirkt. Vielmehr stellen sich hier viele Fragen an die Wirtschaft, die an all diesen Prozessen sehr
eng beteiligt war. Ich war Augen- und Ohrenzeuge der
Aussagen der Wirtschaft.
Frau Kollegin Höhn, bitte.
Herr Minister, die Kollegin Maisch hat eben auf drei
Initiativen hingewiesen, und zwar erstens auf eine zu
den Fahrgastrechten, zweitens auf eine zur Telefonwerbung und drittens auf eine zum Scoring. Habe ich Sie
richtig verstanden, dass zu diesen drei Initiativen noch
dieses Jahr je ein Gesetzentwurf vorliegen wird? Gilt das
auch in Bezug auf Fahrgastrechte? Beschränken Sie sich
dabei nicht allein auf die Umsetzung der EU-Verordnung, sondern machen ein eigenes, darüber hinaus gehendes Gesetz?
Ich kann jetzt nicht sagen, wie der Gesetzentwurf am
Ende aussieht. Das ist eine Kabinettsentscheidung. Dazu
muss eine Ressortabstimmung herbeigeführt werden.
Gemeinsam mit der Justizministerin sind wir bei der
Vorbereitung des Gesetzentwurfes.
Wir haben erst einmal die Fakten geklärt. Dabei sind
wir übereingekommen, das EU-Recht auf jeden Fall umzusetzen. Aber wir wollen überlegen, ob nicht daneben,
etwa bei der Bahn, noch zusätzliche Verpflichtungen
eingegangen werden können. Man muss aber nicht alles
in Paragrafen gießen. Wir haben zum Beispiel eine
Schiedsstelle ins Auge gefasst. Bei penetranten und immer wiederkehrenden Verspätungen, gerade im Nahverkehr, die nicht erklärbar sind, sollen die Bürger eine Anlaufstelle haben, an die sie sich wenden können.
Gemeinsam mit der Bahn wird überlegt, eine solche
Schiedsstelle einzuführen. Man kann eben nicht jeden
Sachverhalt für Verspätungen in Paragrafen gießen.
({0})
- Nein, ich bleibe dabei, sonst hätte ich etwas anderes
gesagt.
({1})
- Ja.
Frau Kollegin, Sie müssen schon das Mikrofon einschalten, wenn Sie eine Frage stellen.
({0})
Ich habe es verstanden.
({0})
Frau Kollegin Binder, bitte.
Herr Minister, Sie betonen den hohen Stellenwert des
Verbraucherschutzes in Deutschland. In wenigen Tagen
wird das Verbraucherinformationsgesetz in Kraft treten,
das ein originärer Bestandteil der Arbeit Ihres Ministeriums ist. Ich frage Sie: Wie wird die Bundesregierung
die Verbraucherinnen und Verbraucher über den Umgang mit diesem neuen Gesetz informieren? Wann werden Sie welche Informationen in diesem Zusammenhang
an die Bevölkerung weitergeben?
Zunächst bin ich froh, dass nach sechsjähriger Diskussion dieses Verbraucherinformationsgesetz mit seinem wechselhaften Schicksal in Kraft tritt. Ich glaube, es
wird für die Bevölkerung viele Möglichkeiten geben, an
Informationen zu gelangen, und zwar mehr, als die Gegner dieses Gesetzes vermuten.
Wir machen in den nächsten Tagen zeitnah zum Inkrafttreten natürlich entsprechende Öffentlichkeitsarbeit,
um die Bürger auf ihre Rechte hinzuweisen, die aber im
Regelfall nicht gegenüber Bundesbehörden, sondern gegenüber Landes- und Kommunalbehörden sowie gegenüber Fachbehörden eingefordert werden. Ich vermute,
dass am 1. Mai und danach viele testen werden, was das
zuständige Ministerium zu sagen hat. Wir werden deshalb Spezialisten bei uns im Ministerium platzieren, damit die Anrufer einen kompetenten Ansprechpartner bekommen, der ihnen sagen kann, an wen sie sich wenden
können; wir wollen das auch der Öffentlichkeit mitteilen.
({0})
Frau Kollegin Mortler.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben gesagt, dass
die letzten Gammelfleischskandale keine waren. Auf der
anderen Seite wissen wir, dass in diesem Bereich Handlungsbedarf bestand, im Sinne einer Modernisierung der
Lebensmittelüberwachung. Meine Frage: Können Sie
das Ganze noch einmal zusammenfassend konkretisieren? Danke.
({0})
Die Frage ist, wie viel Zeit ich dazu habe.
({0})
Denn es handelt sich um ein Bündel von Maßnahmen,
von Rechtsänderungen bis hin zu organisatorischen Veränderungen auf Länderebene und zu allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die für die Länder Anhaltspunkte
sind, wie eine Lebensmittelkontrolle organisiert sein
soll. Es geht dabei zum Beispiel um die Fragen: Was ist
mit dem Vieraugenprinzip? Was ist mit dem Rotationsprinzip? Müssen bei tiefgekühlten Räumen entsprechende Schutzanzüge für die Lebensmittelkontrolleure
vorhanden sein? All das sind Dinge, die ich eigentlich
für selbstverständlich halte, die in Deutschland aber offensichtlich in Richtlinien aufgenommen werden müssen.
Mir liegt sehr daran, darauf hinzuweisen, dass sich
die Geschichte mit den Gammelfleischskandalen deutlich abgeschwächt hat. Für einige Stunden wurde jede
Feststellung eines Lebensmittelkontrolleurs sofort zum
Skandal aufgebauscht; aber niemand stellte anschließend
die Frage, was aus der Sache eigentlich geworden ist.
Die letzten drei Fälle sind als Skandal bezeichnet worden; diese sogenannten Skandale sind aber völlig im
Sande verlaufen. Wir müssen also auch die Kehrseite all
dieser Dinge sehen.
Im Verbraucherpolitischen Bericht werden die Anstrengungen der Regierung zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit umfänglich dargestellt, liebe Kollegin Mortler.
({1})
Frau Kollegin Klöckner.
Herr Minister, ich möchte einen anderen Bereich ansprechen, der insbesondere ältere Menschen, aber auch
Menschen mittleren Alters bewegt. Es geht um das
Stichwort „digitaler Verbraucherschutz“. Zurzeit bekommt mancher, der im Internet unterwegs ist, eine Abmahnung, obwohl er keinen Vertrag abgeschlossen hat.
Es ist gut, dass es weniger Barrieren gibt, die es
erschweren, am digitalen Zeitalter teilzuhaben; aber es
gibt anscheinend schwarze Schafe. Was gedenkt das Ministerium dagegen zu tun? Gibt es Ihrer Meinung nach
Handlungsbedarf?
Ja, es gibt gewaltigen Handlungsbedarf. Der digitale
Verbraucherschutz ist das Megathema, wenn es um den
Verbraucherschutz der Zukunft geht. Wir haben im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft vor einem
Jahr eine Charta für digitalen Verbraucherschutz verabschiedet, die einheitlich in Europa gelten soll.
Wir sind im Moment dabei, die eine oder andere
Schwachstelle in Deutschland zu beheben. Ich habe aus
diesem Grunde zum Beispiel auf der CeBIT in Hannover
mit den Chefredakteuren der Computerzeitschriften gesprochen. Die Computerzeitschriften bekommen ja von
ihren Lesern das Feedback, wo es noch hakt. Ein Problem ist zum Beispiel, dass man im Internet immer noch
aus Versehen einen Klick machen kann und dann zu seiner Überraschung feststellen muss, dass man sich für ein
Jahr vertraglich gebunden hat. Wir haben mit Fachleuten
über dieses Problem gesprochen. Im Moment scheint es
die beste Prävention zu sein, wenn wir das so organisieren, dass in solchen Fällen künftig ein Fenster aufspringt, das davor warnt, dass man eine vertragliche Bindung eingeht, und man in diesem Fenster auf einen
Button klicken muss, wenn man diese vertragliche Bindung eingehen möchte. Wir wollen ja die Möglichkeiten,
die das Internet bietet - zu shoppen und Ähnliches zu
tun -, nicht nehmen. Wir müssen das allerdings so gestalten, dass niemand aus Versehen langfristige vertragliche Bindungen eingeht. Daran arbeiten wir.
Frau Kollegin Höfken.
Aktuell erleben wir, dass drei große Lebensmittelkonzerne ihre Preise parallel senken. In anderen Fällen erhöhen sie sie.
Sie haben sich ja groß gerühmt, dass Sie mit der Änderung des Kartellgesetzes etwas ganz Tolles für die
Verbraucher und die Landwirtschaft getan haben. Nun
erweist sich das als ziemlicher Papiertiger. Welches Instrument wollen Sie nutzen, um die Ziele zu erreichen,
die Sie vertreten und bei deren Verwirklichung wir Sie
auch unterstützen?
Wie Sie wissen, haben wir bereits das Verbot verabschiedet - mit eng begrenzten Ausnahmen -, unter den
Einstandspreisen zu verkaufen. Daneben wurde auf Initiative des Wirtschaftsministers die Regelung verabschiedet, dass nicht ausschließlich das Kartellamt etwas
beweisen muss, sondern dass es die Möglichkeit hat,
sich die Fakten umgekehrt auch darlegen zu lassen. Das
Kartellamt hat jetzt im Energiemarkt und in diesem
Markt entschieden mehr Möglichkeiten als früher.
Ich bitte Sie, nicht jede Preiserhöhung in der deutschen Wirtschaft unter Generalverdacht zu stellen. Das
Kartellamt wird sich das sicher ansehen. Es hat jetzt
auch die Möglichkeit, sich darlegen zu lassen, ob Absprachen bestanden. Ich glaube, das ist gegenüber dem,
was vorher galt und was wir aus Ihrer Regierungszeit
übernommen haben, ein wesentlicher Fortschritt.
({0})
Eine Nachfrage, ja.
Ich habe eine Nachfrage hinsichtlich der Tierfette und
Tiermehle. Angesichts der Todesfälle in Spanien, wo
Menschen jetzt qualvoll an der Creutzfeldt-JakobKrankheit in Form der BSE-bedingten Erkrankung gestorben sind, frage ich Sie, ob Sie die Tierfette und Tiermehle tatsächlich wie geplant wieder in die Nahrungsmittelkette einführen werden oder ob die Verbraucher
darauf vertrauen können, dass das nicht passiert.
Mir ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung beabsichtigt, Tiermehl an Wiederkäuer - - Ich muss meine
Beamten anschauen. ({0})
Mir wird gesagt, dass dies nicht beabsichtigt ist.
({1})
Herr Kollege Goldmann.
Herr Minister, ich habe eine Frage zur Nährwertkennzeichnung. Leider sind wir eben im Ausschuss nicht zur
Beratung über diesen Punkt gekommen, weil wir uns
aufgrund eines Geschäftsordnungsantrages der SPDKollegin Wolff nicht damit beschäftigen konnten. Hängt
das damit zusammen, dass das von Ihnen favorisierte
Kennzeichnungssystem aufgrund des Abfrageergebnisses, wodurch signalisiert wird, dass es von 50 Prozent
der Bürger im Grunde genommen nicht verstanden und
auch nicht angenommen wird, gescheitert ist, oder machen Sie in diesem Bereich jetzt einen weiteren Versuch,
um zu der Ampel zu kommen?
Ich muss Ihnen sagen: Das Umfrageergebnis ist sensationell gut. Ich kenne solche Umfrageergebnisse eigentlich nur noch hinsichtlich der Bundeskanzler und
Bundespräsidenten.
Es bleibt dabei - man kann es gar nicht oft genug
sagen -: Bei der Nährwertkennzeichnung in Deutschland
- wenn wir es also national machen - wird es bei freiwilligen Lösungen bleiben, weil es keinen Sinn macht, die
deutsche Wirtschaft zu etwas zu verpflichten, was ausländische Produzenten, die uns Lebensmittel verkaufen,
nicht beachten müssen. Das würde niemand verstehen.
Parallel dazu gibt es Anstrengungen der Bundesregierung bei der Europäischen Union, die Nährwertkennzeichnung europaweit zu reformieren, weil sie heute europaweit unzureichend ist. Die Europäische Union hat
einen Vorschlag gemacht, der im Grunde genommen
dem Vorschlag der deutschen Regierung entspricht.
({0})
- Es ist so.
Wir haben eine Umfrage in Auftrag gegeben, bei der
es um die Nährwertkennzeichnung, die von mir mit der
Lebensmittelwirtschaft vereinbart worden ist, und um
eine farbliche Unterlegung geht. Wenn ich das jetzt richtig im Kopf habe - ich bitte Sie, mir sofort zu widersprechen, falls das nicht stimmt, Frau Staatssekretärin -,
dann haben 82 Prozent der Bevölkerung auf die Frage,
ob das eine Information ist, mit der sie etwas anfangen
können, Ja gesagt. Die Zusatzfrage, ob über die Farbe
eine zusätzliche Information vermittelt werde, wurde
von mehr als 50 Prozent der Verbraucher bejaht. Die
Umfrage ist also ein wichtiges Indiz: Die Leute wollen
nicht nur mit schönen Farbklecksen abgespeist werden;
sie wollen eine Information. Eine solche Information erhalten sie, wenn angegeben wird: Pro Portion dieses Produkts nehmen Sie folgenden Anteil der empfohlenen Tagesration kritischer Nährwerte zu sich. Damit kann die
Bevölkerung etwas anfangen.
Es gab Leute, die in Fernsehdiskussionen mit mir die
Behauptung aufgestellt haben, in Deutschland müsse
man grüne, gelbe und rote Punkte aufdrucken, weil das
Prozentrechnen in Deutschland traditionell unterentwickelt sei. Die Umfrage hat nun das Gegenteil ergeben.
Wir werden die Umfrage auswerten und danach im Ausschuss über die politischen Schlussfolgerungen diskutieren. Es gibt noch keine politische Entscheidung. Es ging
darum, ein Meinungsbild zu einer für die Verbraucher
nicht unwichtigen Frage einzuholen.
Herr Kollege Goldmann, ich glaube, Sie wollten noch
eine Frage stellen.
Gerne. - Ich bin der Meinung, dass Ihr Modell nicht
mit dem europäischen Modell kompatibel ist. Ich
möchte eine Verständnisfrage stellen. Habe ich Sie richtig verstanden: Soll es eine nationale Kennzeichnung für
nationale Produkte geben und eine europäische Kennzeichnung für Produkte, die von deutschen Herstellern
auf dem europäischen Markt angeboten werden?
Ich bin enttäuscht, dass Sie mir so etwas überhaupt
zutrauen.
({0})
Ich habe gesagt: Wir reformieren in Deutschland auf
freiwilliger Basis die Lebensmittelkennzeichnung. Eine
solche Kennzeichnung ist vor über einem Jahr in Köln
vorgestellt worden. Es handelt sich um eine freiwillige
Regelung, weil es keinen Sinn macht, den deutschen Lebensmittelherstellern durch Gesetz etwas aufzuzwingen,
das der Franzose oder der Italiener, der Lebensmittel
nach Deutschland liefert, nicht tun muss.
({1})
Ich glaube, es ist logisch, dass man so etwas auf nationaler Ebene nur freiwillig einführen kann.
Trotzdem möchten wir eine Kennzeichnung erreichen, die europaweit möglichst einheitlich ist; denn wir
fahren ins Ausland und andere kommen zu uns. Wir wirken deshalb auf europäischer Ebene darauf hin, dass die
Kennzeichnung europaweit geregelt wird. Wir diskutieren auf europäischer Ebene darüber, ob es zu einer obligatorischen oder zu einer freiwilligen Regelung kommen
soll. In Deutschland, auf nationaler Ebene, macht eine
obligatorische Regelung keinen Sinn.
Frau Kollegin Behm.
Herr Minister, ich würde gerne von Ihnen wissen, wie
Sie die Situation des sprachlichen Verbraucherschutzes
bewerten. Welche gesetzlichen Aktivitäten möchten Sie
in diesem Bereich ergreifen? Wir haben Probleme mit
Anglizismen und Sprachverwirrung durch Geheimcodes
in Gebrauchsanleitungen sowie in wissenschaftlichen
Veröffentlichungen. Die Deutsche Bahn - wir haben es
heute im Ausschuss angesprochen - bedient sich jetzt
sogenannter Touchpoints; ich habe noch nicht begriffen,
wie man damit umgeht, viele meiner Kolleginnen und
Kollegen auch nicht. Ich denke, hierbei geht es um massive Probleme, die Sie bitte lösen mögen.
Ich stimme Ihnen völlig zu, mit Ausnahme der
Schlussfolgerung, dass wir schon wieder ein Gesetz
brauchen.
({0})
Als Parlamentarier müssen wir sorgfältig die Frage beantworten: Müssen wir zu jedem Lebenssachverhalt ein
Gesetz machen, oder gelingt es auch einmal, Unsinn
ohne ein Gesetz zu bereinigen?
Ich habe in meinem eigenen Hause Schwierigkeiten.
Wenn über einen bestimmten Lebenssachverhalt gesprochen wird, heißt es: Wir brauchen ein Wording. Man
könnte das auch auf Deutsch sagen: Früher hat man von
einer Sprachregelung gesprochen. Man gilt aber als modern, wenn man von Wording spricht. Ich möchte nicht
modern werden; deshalb benutze ich das Wort „Sprachregelung“.
Es gibt ungeheuer viele Beispiele dafür, wie man
selbst Abhilfe leisten kann: im eigenen Ministerium, in
den nachgeordneten Behörden, als Politiker. Ich bin der
Kollegin Julia Klöckner und anderen aus dem Parlament
sehr dankbar, dass sie eine entsprechende Idee entwickelt haben.
Dass ich in dieser Frage mit Gesetzen zurückhaltend
bin, liegt daran, dass ich den bayerischen Dialekt sehr
gut beherrsche, aber nicht immer die hochdeutsche Sprache. Das heißt, ein Gesetz könnte mich selbst treffen.
({1})
Frau Kollegin, Sie haben absolut Recht: Wir müssen
den Unsinn beenden, dass man als modern gilt, wenn
man solche Modebegriffe benutzt. Wir haben eine
schöne, mit einem großen Wortschatz ausgestattete deutsche Sprache, die wir pflegen sollten, übrigens auch,
wenn wir international auftreten.
({2})
Das deutsche Phänomen, dass man außerhalb der deutschen Grenzen nur als gebildet gilt, wenn man sofort
englisch spricht, tritt in den meisten anderen Staaten in
Europa nicht auf. Sie pflegen ihre Muttersprache.
Sie dürfen eine Nachfrage stellen.
Herr Minister, wir stimmen in der Analyse des Problems überein. Aber Sie sind der verantwortliche Minister. Stimmen Sie mir zu, dass der Aufruf „Wir alle können etwas tun“ nicht reicht, sondern dass von Ihrer Seite
gehandelt werden muss? Was haben Sie vor?
Man kann für Information und Aufklärung sorgen sowie mit Vertretern von Medien und Fernsehanstalten reden. Ich bin aber dagegen - ich bitte Sie um Verständnis -,
dass man bei jeder Frage, die unser Alltagsleben betrifft,
sofort die gesetzliche Keule herausholt und ruft: Wir
brauchen einen Paragrafen.
({0})
Wenn es erst einen Paragrafen gibt, dann stellen sich folgende Fragen - ich formuliere es ein bisschen ironisch -:
Was ist, wenn jemand den Paragrafen nicht beachtet?
Brauchen wir Kontrollen und Bußgelder? - Wir können
kulturelle Dinge auch durch unser eigenes Tun und Bemühen verändern. Natürlich werde ich auch mit Chefredakteuren und anderen Medienvertretern reden; Sie
können das ebenfalls und werden das sicherlich tun.
Aber bitte rufen Sie nicht gleich wieder nach einem Gesetz! Wir ersticken noch in Vorschriften, wenn wir auf
Schritt und Tritt dem Ruf nach einem Gesetz folgen.
Herr Kollege Bleser.
Herr Minister, Sie haben einen Aktionsplan für Ernährung und Bewegung angekündigt. Wie ist der Stand
der Entwicklung? Beinhaltet dieser Aktionsplan auch
Maßnahmen, die insbesondere Kindern das gesunde
Nahrungsmittel Milch näherbringen sollen?
In den meisten Bereichen haben wir diesen Aktionsplan bereits voll umgesetzt. Ein Beispiel: In NordrheinWestfalen gibt es an insgesamt 400 Schulen einen zweijährigen Modellversuch, mit dem getestet wird, was für
Eltern und Kinder bei der Schulverpflegung maßgebend
ist: Ist es der Preis? Sind es Modegetränke? Könnte man
das Verhalten verändern, wenn man die Schulverpflegung zu einem ermäßigten Preis oder sogar umsonst anbietet? Das alles wird in Nordrhein-Westfalen zwei Jahre
lang auf wissenschaftlicher Grundlage getestet. Gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen wird viel Geld
aufgewandt, um beurteilen zu können, welche Motivation Eltern und Kinder bei der Schulverpflegung und der
Entscheidung für Milch, Cola oder ein Fruchtsaftgetränk
haben. Ist der Preis, die Mode, also was gerade schick
ist, für das Angebot der Schule maßgebend, oder ist das
entscheidend, was man vom Elternhaus mitbekommen
hat? Das wird nun sauber beleuchtet. Wenn die Ergebnisse vorliegen, können wir die Fragen beantworten.
Frau Kollegin Binder.
Herr Minister, Sie haben in Ihrem einleitenden fünfminütigen Bericht auch die Themen Gesundheit und Sicherheit in der Verbraucherpolitik erwähnt. Für mich ist
die Nanotechnologie von sehr großer Bedeutung. Wir
wissen seit vielen Jahren, dass die Nanotechnologie
nicht nur bei Putzmitteln oder Kosmetika zum Einsatz
kommt, sondern dass sie auch vermehrt in der Lebensmittelproduktion eingesetzt wird oder dass Nanoteilchen
sogar in den Lebensmitteln selber zu finden sind. Welche
Strategie verfolgt die Regierung, um die Menschen vor
gesundheitlichen Folgen oder Schäden zu schützen, die
durch das Eindringen von Nanopartikeln über die Haut
oder durch Nahrungsaufnahme entstehen könnten? Welche Maßnahmen wollen Sie ergreifen?
Man muss zuerst die gesamte Lage analysieren. Wie
Sie wissen, gibt es seit der BSE-Krise ein entsprechendes Bundesamt. Es ist dabei, auf der Grundlage wissenschaftlicher Forschung uns zu beraten und aufzuzeigen,
an welchen Punkten die Politik am besten ansetzen kann.
Es hilft nichts, ins Blaue hinein die Verbraucher mit Lösungen zu konfrontieren. Das müssen wir auf ordentlicher wissenschaftlicher Basis machen.
({0})
Ich lasse keine Zusatzfragen mehr zu, weil die Zeit
für die Regierungsbefragung schon fast vorbei ist und
mir noch vier Wortmeldungen vorliegen.
Frau Kollegin Höhn.
Herr Minister, bei Aldi und Lidl sind die Milchpreise
zulasten der Bauern massiv gesenkt worden. Es ist sozusagen ein Schnäppchenpreis, der die Menschen in den
Laden locken und von den anderen Preiserhöhungen ablenken soll. Sie haben damals gesagt, Sie wollten den
Verkauf unter Einstandspreis verhindern. Sind die gegenwärtigen Milchpreise nicht unter Einstandspreis,
oder warum haben Sie diese Preissenkungen nicht verhindern können?
Weil ich nicht die Preise festlege und wir nicht in der
Planwirtschaft leben.
({0})
- Nein, ich bedauere diese Entwicklung, weil ich großes
Interesse daran habe, dass es gerade vor dem Hintergrund der sich weltweit abzeichnenden Nahrungsmittelknappheit bei uns im Lande eine funktionierende Landwirtschaft gibt. Sie kann nur funktionieren, wenn die
Produzenten, die Bauern, einen fairen und kostendeckenden Preis bekommen. Nach Meinung aller Fachleute liegt dieser faire und kostendeckende Preis für
Milch bei etwa 40 Cent pro Kilogramm. Diesen Preis
hatten wir erreicht, worüber ich sehr froh war. Jetzt entwickelt er sich zurück, was übrigens in völligem Kontrast zur allgemeinen öffentlichen Diskussion über die
Entwicklung der Nahrungsmittelpreise steht; bei
Schweinefleisch ist es ähnlich. Deshalb ist dies für die
Bauern schon ein berechtigter Grund, ihre Sorgen so zu
artikulieren, wie sie es in den letzten Tagen getan haben.
Hier haben sie meine Unterstützung.
({1})
- Ich sage das allen, den Konzernen und anderen. Ich
verhehle nicht, dass ich über die Entscheidung der Europäischen Union unglücklich bin, die Milchquote zu einem
denkbar ungünstigen Zeitpunkt, nämlich zum 1. April, zu
erhöhen, ohne für die Milchbauern, die in schwierigen
Regionen - Grünland, benachteiligte Gebiete, Alpenund Mittelgebirgsregionen - tätig sind, ein Begleitprogramm zu ihrer Existenzsicherung in Aussicht zu stellen.
Das war ein Fehler. Die deutsche Regierung hat dagegen
gestimmt, weil sich abgezeichnet hat, dass die Preise
wieder zu bröckeln beginnen, wenn die Milchquote erhöht wird.
({2})
Nein, Frau Kollegin Höhn, das Wort hat jetzt Herr
Kollege Jordan.
Sehr geehrter Herr Minister, ich spreche noch einmal
das Problem der Telefonwerbung an, über das im Augenblick eine Diskussion im Gange ist. Erst vor wenigen
Tagen habe ich im MDR eine Problemdiskussion verfolgt. Es zeigt sich, dass die Stellung des Verbrauchers in
dieser Frage ziemlich schwach ist. Ist geplant, die Sache
rechtlich so festzuzurren, dass eine schriftliche Bestätigung für Erstverträge erfolgen muss? Eine Strafbewehrung gibt es zum Teil jetzt schon. Reicht die jetzige
Strafbewehrung aus, oder sollen im Hinblick auf die
Strafbewehrung neue Standards geschaffen werden?
Telefonwerbung ist auch heute schon verboten, wenn
sie zu Werbezwecken von Dritten an Endverbraucher
ausgeht, also nicht, wenn ich selbst jemanden anrufe,
sondern wenn ich angerufen und beworben werde. Das
ist eigentlich nicht erlaubt, und nach Auffassung der zuständigen Ressorts soll dies unter ein höheres Bußgeld
gestellt werden. Der Verbraucher soll zusätzlich davor
geschützt werden, am Telefon ohne Weiteres einen verbindlichen Vertrag einzugehen. Wenn ich eine Pizza bestelle, kommt der Vertrag zustande. Wenn ich unerlaubt
angerufen werde, soll ein Vertrag nach unserer Auffassung nicht mehr zustande kommen. Dies gilt für folgende zwei Kategorien: Telekommunikationsverträge
wollen wir so regeln, wie es bei Strom und Gas bereits
der Fall ist; hier soll es einer schriftlichen Bestätigung
bedürfen. In diesen Fällen wird keine Zeitschrift, kein
Buch usw. in den Haushalt geliefert, sondern es wird im
Hintergrund etwas umgestellt, wenn man zum Beispiel
den Internetanbieter wechselt. Dies bedarf nach unserer
Auffassung in Analogie zu Strom und Gas einer ausdrücklichen schriftlichen Bestätigung. Beim zweiten
Sachverhalt wird einer Person etwas zugestellt; hierbei
geht es insbesondere um Bücher, Zeitschriften und Ähnliches. Da wollen wir ein 14-tägiges Widerrufsrecht mit
der Folge einräumen, dass der Vertrag dann nicht zustande gekommen ist, wenn Sie etwas bekommen, was
Sie nicht wollen. Das geht ein bisschen in Richtung
Haustürgeschäfte.
Jetzt kann man die Frage stellen, warum man nicht
auch hier eine schriftliche Bestätigung verlangt. Auch
ich hatte am Anfang große Sympathien für diese ausdrückliche Bestätigung, aber Frau Justizministerin
Zypries hatte dann doch ein sehr starkes Argument. Sie
sagte: Wenn wir in all den Fällen, in denen Produkte angeliefert werden, zum Vertragsschluss eine ausdrückliche schriftliche Bestätigung vorsehen, dann führt dies
zur Verstärkung genau dessen, was wir eigentlich unterbinden wollen, nämlich dass der Betreffende immer wieder angerufen wird: Haben Sie das schon abgeschickt?
Warum haben Sie das noch nicht abgeschickt? - Usw.
Deshalb bin ich überzeugt, dass das die kundenfreundlichere Lösung ist: Man ist nicht gebunden, es kommt eine
Lieferung, die Lieferung geht zurück, Fall erledigt. Eine
Beweispflicht - das kommt noch hinzu - gibt es nicht.
Die Justizministerin hat mich auf Folgendes hingewiesen: Wenn wir in den anderen Fällen, in denen Produkte
angeliefert werden, eine schriftliche Bestätigung zur Voraussetzung machen würden, dann tauchte im Konfliktfall schon das Problem der Beweislast auf: Hast Du angerufen, oder bist Du angerufen worden? - Dann haben
wir genau das, was wir eigentlich nicht wollen, nämlich
die Verrechtlichung unseres Alltagslebens. Deshalb,
glaube ich, ist in den Fällen, in denen es um Produktanlieferungen geht, die Widerrufslösung die bessere. Da
spielt die Beweisfrage keine Rolle. Ich brauche keinen
Grund, um die Lieferung zurückzuschicken. Es genügt
vielmehr meine Entscheidung, dass ich sie nicht will,
und dann schicke ich sie zurück. Derjenige, der geliefert
hat, muss das akzeptieren.
Frau Kollegin Höfken.
Sie haben gerade in der Debatte auf meine Frage und
die der Kollegin Höhn ziemlich deutlich geantwortet,
dass der Verkauf unter Einstandspreis nicht verhindert
werden kann. Damit die Entwicklung der Lebensmittelpreise nicht zu einem Desaster für die anbietenden Bauern einerseits, in dem Fall die Milchbauern, und für die
Verbraucher andererseits wird, frage ich Sie: Wie stehen
Sie zu dem Vorschlag, dass auf jeden Fall für die einkommensschwächeren Verbraucher, insbesondere für
Kinder und Jugendliche aus Hartz-IV-Familien, die
Sätze angehoben werden müssen? Das hat auch das
Dortmunder Forschungsinstitut für Kinderernährung gefordert. Was halten Sie zweitens von den Vorschlägen
des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, ein Regulierungssystem zu behalten bzw. ein modernes neu zu
schaffen, statt den Markt völlig zu liberalisieren? Wären
das Möglichkeiten, hier Grenzen einzuziehen?
Erstens. Ich weise darauf hin, dass die Lebensmittelpreise in vielen Bereichen wieder bröckeln. Wir werden
nach meiner Einschätzung in wenigen Wochen in manchen Bereichen genau die umgekehrte Diskussion führen, nämlich darüber, in welcher Form die Produzenten
betroffen sind und nicht die Verbraucher. Das sage ich
Ihnen voraus.
Zweitens. Wir als Regierung haben eine ganze Menge
getan - ich erinnere an den Kinderzuschlag, BAföG und
die Rentenerhöhung -, und zwar über das Maß hinaus,
das ursprünglich im Gesetz vorgesehen war. Da Sie wissen, dass gerade ich ein Interesse an solchen Maßnahmen habe, wissen Sie auch, dass die Bundesregierung
das Menschenmögliche auf diesem Feld getan hat. Ich
würde darum bitten, jetzt auf dem Teppich zu bleiben
und nicht dann, wenn eine Maßnahme realisiert ist
- zum Beispiel der Kinderzuschlag -, sofort wieder die
Diskussion zu beginnen, wie wir Geld ausgeben, das wir
nicht haben. Wir müssen schon darauf achten, dass unser
Haushalt in Ordnung ist. Das ist im Interesse auch der
kleinen Leute; denn die zahlen die Zinsen für die neuen
Schulden.
({0})
- Wir können doch jetzt kein Programm für die Produzenten auflegen. Das wollen Sie doch nicht im Ernst hier
fordern. Wenn es die Notwendigkeit struktureller Hilfen
gibt, dann läuft das über die Europäische Union und
nicht über die Nationalstaaten. Das haben wir zum Beispiel mit Subventionen für den Export von Schweinefleisch und privaten Lagerhilfen gemacht. Die Exportsubventionen, die europaweit zur Existenzsicherung der
Schweinehalter bitter notwendig waren, werden jetzt
wieder, unter anderem von Ihrer Fraktion, kritisiert, weil
sie der Ernährung der Bevölkerung in den Entwicklungsländern entgegenstünden, was überhaupt nicht stimmt.
Das wird immer instrumentalisiert, wie man es gerade
braucht.
({1})
Jetzt kommt der Herr Kollege Winkler.
Herr Bundesminister, ich möchte auf einen Punkt zurückkommen, bei dem Sie es sich meiner Meinung nach
zu leicht gemacht haben, und zwar auf die Verwendung
der englischen Sprache bei der Deutschen Bahn AG; die
Kollegin Behm hat es eben angesprochen. Dazu wurde
ein konkretes Beispiel genannt. Sie haben gesagt, Sie
wollten über Interviews usw. die Einstellung verändern
und ein Problembewusstsein schaffen. Das ist aber ein
bisschen wenig, wenn man bedenkt, dass Sie als Verbraucherschutzminister zuständig sind.
Dieses Problem ist schon bekannt; die Seniorenverbände beschweren sich bereits. Viele Senioren kommen
mit ihrem E-Ticket nicht zurecht, wenn sie den Barcode
nicht kennen. Man findet den Infopoint nicht. Am Infopoint wird man wiederum vom Touchpoint an den Servicecounter verwiesen. Wenn man das alles geschafft
hat, darf man zum Ausgleich nicht einmal in die Lounge.
Ich finde, Sie könnten mir einmal konkret sagen, was Sie
vorhaben. Haben Sie wirklich vor, Maßnahmen zu ergreifen? Haben Sie zum Beispiel vor, mit Herrn
Mehdorn einmal einen Kaffee zu trinken und dafür zu sorgen, dass bundeseigene Unternehmen wie die Bahn AG
mit den Bürgerinnen und Bürgern wieder verständlich
kommunizieren?
({0})
Ich bin gern bereit, mit Herrn Mehdorn ein Brainstorming zu machen.
({0})
Sie haben recht - ich habe auch der Kollegin Behm
recht gegeben -: Natürlich gehört es zu meinen Aufgaben, mit Bahnvorständen über dieses Thema zu sprechen. Dieses Vorgehen hat noch mehr Wucht, wenn die
Bahnvorstände wissen, dass dies die Haltung des ganzen
Parlaments ist.
({1})
Ich habe den Eindruck, dass das der Fall ist. Ein Ertrag
einer Befragung der Bundesregierung kann sein, dass ein
solches Signal gesendet wird. Schauen wir, dass wir bei
Servicepoints, Touchpoints und Infopoints etwas erreichen! Ich strebe also ein Brainstorming an.
Ich beende damit die Behandlung der Themenbereiche der heutigen Kabinettssitzung.
Mir liegt eine Wortmeldung für eine weitere Frage an
die Bundesregierung vor. Das Wort hat Hakki Keskin.
Herr Minister, ich möchte Ihnen eine Frage zu einem
weltpolitisch aktuellen Thema stellen. Hat sich die Bun16400
desregierung mit der drohenden Hungerkatastrophe, insbesondere in sehr vielen Entwicklungsländern, befasst?
Inwieweit finden Sie es richtig, dass die EU etwa die
Hälfte ihres Etats, ungefähr 50 Milliarden Euro, für
Agrarsubventionen ausgibt und somit die landwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit der Entwicklungsländer erschwert? Wir können unsere Industrieprodukte in diesen
Ländern durchaus absetzen, verhindern aber somit, dass
diese Länder ihre Agrarprodukte bei uns absetzen können.
Lieber Kollege, wir haben dazu heute Nachmittag
eine Aktuelle Stunde. Deshalb möchte ich in der Sache
heute Nachmittag auf den angeblichen Zusammenhang
zwischen Subventionen und Nahrungsmittelknappheit
eingehen.
Alle betroffenen Ressorts haben schon in der letzten
Woche eine Gruppe gebildet. Diese Gruppe ist im Moment dabei, die Analyse dieser sehr vielschichtigen, globalen, differenzierten und auch sehr ernst zu nehmenden
Thematik vernünftig vorzubereiten und Schlussfolgerungen für das Regierungshandeln insgesamt zu ziehen. Ich
nehme an, dass wir das Parlament in wenigen Wochen
über die Konsequenzen der Regierung unterrichten können.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Vielen Dank, Herr Minister, für die humorvolle Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
- Drucksachen 16/8841, 16/8866 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf Drucksache 16/8866 auf.
Die Fragen beantwortet Herr Staatsminister Dr. h. c.
Gernot Erler.
Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Entscheidung zur
Nichteinladung des Dalai-Lamas durch die EU-Außenminister, und hat sie diese Entscheidung aktiv beeinflusst und herbeigeführt ({0})?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Die Antwort der
Bundesregierung lautet: Die vom französischen Außenminister Bernard Kouchner am 1. April 2008 im Radiosender RTL angedachte Idee, den Dalai-Lama zu einem
Treffen mit den Außenministern der EU einzuladen, ist
weder von Frankreich selbst noch von der slowenischen
Ratspräsidentschaft noch von einzelnen Mitgliedstaaten
der EU in die Gremien der EU eingebracht worden.
Demgemäß ist weder darüber beraten worden, noch
wurde dazu eine Entscheidung herbeigeführt. Die Bundesregierung hat deshalb eine Entscheidung weder aktiv
beeinflusst noch herbeigeführt.
Ihre Zusatzfragen.
Das kann man kaum glauben. Ich zitiere Pressemeldungen. Darin wird sehr klar gesagt: So machten insbesondere deutsche Diplomaten klar, dass Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier eine Zusammenkunft
als unnötige Provokation Chinas nicht wolle. - Dies ist
aus mehreren Quellen ersichtlich.
Da Sie sagen, es sei nicht beraten worden, habe ich
die Nachfrage: Gab es informelle Gespräche des Außenministeriums - man weiß ja, wie das funktioniert -, in
denen von der deutschen Seite an die Präsidentschaft signalisiert wurde, dass man so etwas nicht befürworten
werde?
Ich kann jetzt hier nicht darüber Auskunft geben, ob
in irgendwelchen informellen Treffen auch über diese
Frage „Einladung des Dalai-Lama“ geredet worden ist.
Ich kann nur wiederholen: Es hat überhaupt keinen Entscheidungsprozess dazu gegeben. Einen solchen hätte es
sofort gegeben, wenn irgendjemand, zum Beispiel Herr
Kouchner, dieses Thema zum Gegenstand von Beratungen der EU-Gremien gemacht hätte. Das ist aber nicht
der Fall gewesen. So kann es höchstens sein, dass in Gesprächen, die uns nicht bekannt sind, das zum Thema gemacht worden ist. Offiziell war so etwas nicht.
Wenn es nicht zum Thema gemacht wurde, frage ich
noch einmal nach. Wie steht denn die Bundesregierung
grundsätzlich zu einer solchen Einladung des DalaiLama - er beabsichtigt ja im Mai einen Deutschlandund Europabesuch - vonseiten der Bundesregierung
oder auch der EU-Außenminister? Sie könnten es ja
auch von Ihrer Seite aus vorschlagen.
Zunächst einmal darf ich festhalten, dass der DalaiLama eine Einladung vom EU-Parlament hat und dass er
außerdem vom Auswärtigen Ausschuss des Deutschen
Bundestages nach Deutschland eingeladen worden ist;
das wird am 19. Mai stattfinden.
Die Bundesregierung hält Gespräche für sinnvoll, allerdings mit beiden Seiten. Wir erachten es also für
ebenso sinnvoll, Gespräche mit Peking zu führen. Vor
allen Dingen ist uns ein ganz besonders wichtiges Anliegen - darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingeDr. h. c. Staatsminister Gernot Erler
wiesen -, dass ein sino-tibetischer Dialog, also ein Dialog zwischen der chinesischen Führung und den
Tibetern, ganz besonders dem Dalai-Lama, stattfindet.
Ich rufe die dringliche Frage 2 der Abgeordneten
Kerstin Müller ({0}) auf:
Welche EU-Länder, einschließlich der Bundesrepublik,
haben ein Treffen mit dem Dalai-Lama abgelehnt, und welche
haben sich für ein solches Treffen ausgesprochen?
Meine Antwort lautet: Da die Anregung zu einem
Treffen der EU-Außenminister mit dem Dalai-Lama
nicht Gegenstand von Beratungen in den EU-Gremien
war, gab es dazu seitens der EU-Mitgliedstaaten auch
kein Votum.
Da die Einladung vom Auswärtigen Ausschuss - sie
ist auf meinen Vorschlag erfolgt - eine Einladung von
der Bundesregierung nicht ersetzt und die Bundeskanzlerin gesagt hat, sie könne den Dalai-Lama diesmal nicht
empfangen, da sie in Lateinamerika sein werde, von
meiner Seite die Nachfrage, warum denn dann der Außenminister den Dalai-Lama nicht einlädt, wenn dieser
im Mai in Deutschland ist. Oder ist der Außenminister
dann auch in Lateinamerika?
Ich habe schon dargelegt, dass vom Außenministerium Gespräche in beide Richtungen, sowohl was den
Dalai-Lama angeht, als auch was die chinesische Seite
angeht, unterstützt werden. Ich möchte wiederholen: Unser Hauptanliegen ist - ich glaube, das wäre auch ganz
im Sinne Ihrer Interessen -, dass es zu einem Dialog
zwischen dem Dalai-Lama und der chinesischen Führung kommt. Wir überlegen uns bei allen Initiativen, die
wir selber ergreifen, ob sie zur Erreichung dieses Ziels
beitragen oder nicht.
Wenn denn das Außenministerium und der Außenminister nicht der Meinung sind, dass eine Einladung
des Dalai-Lama einen solchen Dialog befördern könnte,
die Frage: Was tut denn der Außenminister, um den Dialog zwischen den moderaten Kräften um den DalaiLama und der chinesischen Regierung zu befördern?
Von einer Dialogbereitschaft seitens Chinas ist zurzeit ja
überhaupt nichts erkennbar.
Zunächst einmal: Der deutsche Außenminister FrankWalter Steinmeier hat nach Ausbruch der aktuellen
Tibet-Krise im März dreimal mit seinem chinesischen
Kollegen telefoniert und bei jeder dieser Gelegenheiten
den Vorschlag vorgebracht, dass ein solcher Dialog wieder aufgenommen werden soll, hat also darauf gedrängt.
Darum bemühen sich auch andere Mitglieder der Bundesregierung, indem sie bei ihren internationalen Kontakten darauf drängen, dass es zu diesem Dialog kommt.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Nachdem die dringlichen Fragen aufgerufen und beantwortet sind, rufe ich jetzt die Fragen auf Drucksache
16/8841 in der üblichen Reihenfolge auf.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit auf. Die Fragen beantwortet Herr
Parlamentarischer Staatssekretär Rolf Schwanitz.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Jens
Ackermann auf:
Welchen Zeitablauf hat die Bundesregierung für die Expertengruppe zur Novellierung des Rettungsassistentengesetzes?
Herr Kollege Ackermann, die Antwort auf Ihre Frage
lautet wie folgt: Die Expertengruppe zur Novellierung
des Rettungsassistentengesetzes hat sich zuletzt am
17. April 2008 getroffen und sich auf wesentliche Strukturen und Inhalte der Ausbildungszielbeschreibung verständigt. Das Bundesministerium für Gesundheit wird
auf dieser Grundlage sowie auf Basis der noch eingehenden Anmerkungen der Experten, die bis Ende des
Monats erwartet werden, ein erstes Rohkonzept für die
Anlage 1 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sowie einen ersten Formulierungsvorschlag für eine Ausbildungszielbeschreibung erarbeiten. Die Experten werden das Bundesministerium für Gesundheit hierbei zu
gezielten Einzelfragen unterstützen.
Die entsprechenden Entwürfe werden zunächst in einem schriftlichen Verfahren von den Experten bewertet.
Aufgrund der dabei eingehenden Stellungnahmen wird
dann zu entscheiden sein, ob eine Überarbeitung der
Konzepte erforderlich ist oder die Expertengruppe zu
den strukturellen Fragen der künftigen Ausbildung übergehen kann.
Ihre Zusatzfragen.
Vielen Dank für die Beantwortung der Frage, Herr
Staatssekretär. Ich habe folgende zusätzliche Frage:
Wird die Bundesregierung ihr Versprechen einhalten und
dem Parlament noch in diesem Jahr einen Vorschlag zur
Novellierung des Rettungsassistentengesetzes vorlegen?
Herr Kollege Ackermann, wir halten natürlich an unserer Absicht und unserem Bemühen fest, noch in
diesem Jahr einen Referentenentwurf vorzulegen. Aber
ich habe ja beschrieben, dass dabei noch gewisse Unsicherheitsfaktoren, deren zeitliche Auswirkungen man
noch nicht klar benennen kann, eine Rolle spielen. Es
bedarf der Verständigung mit den Experten, es bedarf
auch der Klärung von bestimmten, gegebenenfalls noch
strittigen Einzelfragen. Unser Bemühen ist nach wie vor
längs der Linie, die Sie beschrieben haben.
Noch eine weitere Zusatzfrage?
Ja, vielen Dank. - Haben denn die Abgeordneten des
Deutschen Bundestages die Möglichkeit, die Protokolle
der Expertenrunde einzusehen und so die dort erzielten
Ergebnisse zu erfahren?
Es ist bei der ersten Beratung der Experten im Januar
kein solches Protokoll erstellt worden. Bei dem von mir
angesprochenen zweiten Zusammenkommen ist das der
Fall gewesen. Wenn Abgeordnete des Bundestages es
wünschen, dann ermöglichen wir ihnen gerne die Einsichtnahme in dieses und auch weitere Protokolle.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen. Ich schließe diesen Geschäftsbereich.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf.
Die Frage 2 des Abgeordneten Hans-Josef Fell wird
schriftlich beantwortet.
Somit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung auf. Die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Hakki
Keskin wird aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien
für die Fragestunde und für die schriftlichen Einzelfragen ebenfalls schriftlich beantwortet.
Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Fragen beantwortet Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Dr. Gerd Müller.
Die Frage 4 des Abgeordneten Dr. Hakki Keskin wird
aufgrund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Edmund
Peter Geisen auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die von einigen Ländern geäußerte Absicht, eine „Durchseuchung“ von Rinderbeständen in Kauf zu nehmen, um danach auf eine natürliche
Immunität der Tiere vertrauen zu können?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Frage des Herrn Geisen bezieht sich auf das Thema
Blauzunge.
Die Antwort lautet: Der von der Bundesregierung eingereichte, mit allen Ländern abgestimmte Impfplan ist
von der EU-Kommission am 4./5. März genehmigt worden. Nach Kenntnis der Bundesregierung hat kein Land
die Absicht geäußert, Bestände durchseuchen zu lassen.
Es geht darum, dass bereits in der Vergangenheit infizierte und insoweit geschützte Tiere eventuell von der
Impfung ausgenommen werden könnten. Sofern von
dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden sollte,
muss über eine Untersuchung des oder der betreffenden
Tiere eindeutig nachgewiesen werden, dass bereits eine
Infektion vorgelegen hat. Dies hat aber mit Durchseuchung nichts zu tun. Es gilt, dass grundsätzlich alle
Rinder gegen das Virus der Blauzungenkrankheit zu
impfen sind. Die entsprechende Verordnung lässt aber
die dargestellte Ausnahme zu.
Gibt es Zusatzfragen?
({0})
- Keine.
Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten
Dr. Edmund Peter Geisen auf:
Welche Schäden im Rahmen der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit werden nicht von den Tierseuchenkassen
entschädigt?
Frau Präsidentin! Der Abgeordnete Dr. Edmund
Geisen, der sehr fleißig ist, hat eine weitere Frage gestellt. Die Antwort auf seine Frage lautet: Die Länder haben der Bundesregierung zugesichert, dass Impfschäden,
zum Beispiel einzelne Aborte und Verendungen, von der
Tierseuchenkasse übernommen werden. Die drei Firmen, denen der Zuschlag für die Impfstofflieferung erteilt worden ist, haben sich vertraglich verpflichtet,
schwerwiegende Schäden in großer Anzahl in einem Bestand - wenn es also mehr als nur einzelne Verendungen
geben sollte - auszugleichen.
Gibt es Zusatzfragen?
({0})
- Keine Zusatzfragen.
Ich rufe nun die Frage 7 der Abgeordneten
Dr. Christel Happach-Kasan auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die These, dass eine
flächendeckende Impfung aller Rinder, Schafe und Ziegen gegen die Blauzungenkrankheit rechtzeitig vor dem Weideaustrieb, also spätestens Mitte April, erfolgen muss, um zu verhindern, dass die Gnitzen - Stechmücken -, die die
Krankheitserreger beim Blutsaugen aufnehmen und auf andere Tiere übertragen, während der Weidesaison auf eine Vielzahl von bereits mit dem Virus befallenen Tieren treffen?
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Frau Abgeordnete Dr. Happach-Kasan stellt ebenfalls eine Frage zur Blauzungenkrankheit. Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, dass nur eine Impfung
gegen das Virus der Blauzungenkrankheit Serotyp 8 Rinder, Schafe und Ziegen schützen kann. Vor dem Hintergrund, dass Impfstoffe Mitte Mai zur Verfügung stehen
und unmittelbar nach Lieferung eingesetzt werden, ist
nach den Erfahrungen im Jahr 2007 davon auszugehen,
dass Rinder, Schafe und Ziegen in den vektoraktivierenden Monaten der zweiten Jahreshälfte hinreichend gegen
Neuinfektionen geschützt sind. Wir gehen also davon
aus, dass eine Weiterverbreitung der Blauzungenkrankheit mit einer flächendeckenden Impfung verhindert
werden kann.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, ich verstehe Sie so: Es wäre
schön gewesen, wir hätten den Impfstoff früher gehabt,
dann hätten wir früher impfen können. Meine Zusatzfragen lauten: Gibt es in der Bundesrepublik ein Gnitzenmonitoring, und werden die Gnitzen auch daraufhin untersucht, ob sie Virenüberträger sind?
Ich möchte noch einmal auf die Problematik eingehen. Bei der Entwicklung eines solchen Impfstoffes
muss man den Impfstoffherstellern - Sie wissen es normalerweise zwei oder drei Jahre Vorlauf geben. Aber
diese Zeit lässt uns diese Erkrankung nicht. Deshalb gehen wir nun diesen Weg, der im Übrigen auch in den anderen europäischen Ländern gegangen wird. Seit März
gibt es den Versuch, den Impfstoff einzusetzen. Das wird
mit einem permanenten Monitoring verbunden, damit
gegebenenfalls Weiterentwicklungen vorgenommen
werden können. Mit der kompletten Impfung beginnen
wir im Mai.
Herr Goldmann, Ihre Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sind eben zu der Einschätzung gekommen, dass alles zügig vorangegangen ist.
Wie kann es dann sein, dass Ihr Haus auf der Internationalen Grünen Woche erklärt hat, dass die Impfung unmittelbar bevorsteht, und wie ist es möglich, dass man
- das ist aus meiner Sicht völlig unerklärlich - in diesem
Bereich im Grunde genommen überhaupt nicht gewusst
hat, wer Impfstoff fertigt, wann er auf den Markt kommt
und wann er eingesetzt werden kann? Es hat ja sogar
Überlegungen gegeben, gar nicht mehr zu impfen, weil
das Durchseuchen schon so weit fortgeschritten ist, dass
man kaum mehr unterscheiden kann, welche Tiere erkrankt sind, welche Tiere infiziert sind und bei welchen
Tieren die Impfung noch Sinn macht.
Diesem Eindruck muss ich entgegentreten. Der Virus
der Blauzungenkrankheit ist im vergangenen Jahr aufgetreten. Zwischen allen betroffenen Ländern der Europäischen Union wurden alle Maßnahmen abgestimmt und
alle Anstrengungen unternommen, um so schnell wie
möglich einen Impfstoff herzustellen. Theoretisch sind
vier und praktisch drei Firmen in Europa dazu imstande;
sie haben diesen Auftrag erhalten. Inzwischen hat
Deutschland 21 Millionen Impfstoffdosen bestellt. Die
Länder koordinieren die Aktion; Hessen hat die Federführung. Flächendeckend für alle Rinder, Schafe und
Ziegen in Deutschland den entsprechenden Impfstoff zu
produzieren und auf Nebenwirkungen und Auswirkungen zu testen, war eine großartige Leistung in dieser kurzen Zeit.
Ich möchte auch klar sagen: Kein betroffenes europäisches Land ist da schneller als wir. Das kann auch gar
nicht sein; denn es ist eine abgestimmte Aktion, sowohl
zwischen den europäischen Ländern als auch zwischen
den Bundesländern in Deutschland.
Ich rufe die Frage 8 der Kollegin Dr. Christel
Happach-Kasan auf:
Welche Maßnahmen haben Bund und Länder unternommen, um Tierhalter und Tierärzte ausreichend und rechtzeitig
über die Impfungen zur Bekämpfung der Blauzungenkrankheit zu informieren?
Die Bundesregierung unterrichtet regelmäßig die
Bundesverbände der Tierhalter und Tierärzte über den
Stand der Vorbereitungen zur Durchführung der Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit. Nach
den der Bundesregierung vorliegenden Informationen
informieren die zuständigen Behörden der Länder
gleichfalls die von Ihnen angesprochenen Kreise, die
Tierhalter und die Tierärzte. Darüber hinaus befinden
wir uns seit Monaten in einer öffentlichen breiten Diskussion über dieses Thema. Auch in den Konferenzen
mit den Ländern - Agrarministerkonferenzen, Amtschefskonferenzen - besprechen wir die koordinierte, abgestimmte Vorgehensweise bei der Durchführung dieser
Impfung, die im Auftrag und federführend von den Ländern erfolgt. Hier gab es also breite Koordinierungen
und Abstimmungen.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, welchen Stellenwert hatte vor
Auftreten der Blauzungenkrankheit in Europa die Bekämpfung dieser Krankheit und ihre Erforschung an den
tierärztlichen Hochschulen in Deutschland und im Rahmen der Ausbildung der Tierärzte?
Diese Erkrankung ist im letzten Jahr aufgetreten und
war bei uns vorher in dieser Weise nicht bekannt. Insofern können Sie sich die Antwort selber geben, nämlich
dass in der Theorie darüber geforscht werden konnte,
aber nicht in der Praxis. Die Hochschulen beschäftigen
sich jetzt natürlich damit.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, nach meiner Erfahrung wird an
bundesdeutschen Universitäten auch über Dinge geforscht, die nicht in den unmittelbaren Bereich der Tierärzte fallen. Während meiner Ausbildung habe ich über
verschiedene Leberegel Kenntnisse erlangt, ohne dass
dieses Thema für mich als Biologin jemals aktuell gewesen wäre.
Wir arbeiten mit Ländern wirtschaftlich zusammen,
in denen die Blauzungenkrankheit auftritt. Ich bitte Sie
daher, mir zu sagen, an welcher tierärztlichen Hochschule zu diesem Thema eine vertiefende Forschung
durchgeführt wurde.
Ihr Interesse ist natürlich berechtigt. Ich nehme dieses
Interesse zum Anlass, eine Abfrage an den deutschen
Hochschulen vorzunehmen, um Ihnen den aktuellen
Stand der Forschung und auch das, was in den letzten
zwei Jahren gemacht worden ist, mitzuteilen.
Dem Eindruck, der durch diese Frage nach außen vermittelt werden könnte, nämlich dass durch Forschung in
den vergangenen Jahren der Ausbruch dieser Krankheit
in Deutschland hätte verhindert werden können, muss
ich entgegentreten. Für die Zuhörer, die keine Tierärzte
sind, möchte ich sagen: Das Auftreten dieser Stechmücke hat zu einem Ausbruch dieser Krankheit in einer
Region geführt, wo sie normaliter nicht vorkommt. Das
zeigt, das Tierseuchengeschehen hält heute und auch in
Zukunft immer wieder Überraschungen für uns bereit.
Ich teile Ihre Meinung, dass wir in diesen Bereichen
die Forschung verstärken müssen, um auf solche möglichen Fälle vorbereitet zu sein.
Eine weitere Zusatzfrage des Kollegen Goldmann.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie aber mit mir darin
überein, dass die Unannehmlichkeiten, die mit dieser
Stechmücke und der von ihr hervorgerufenen Erkrankung verbunden sind, völlig unterschätzt wurden? Man
war von der enormen Ausbreitung dieser Krankheit und
von den Schäden, die damit verbunden sind, überrascht.
Es bestand vorher wohl die Hoffnung, ein kalter Winter
könne dieses Problem lösen.
Hat nicht all das dazu beigetragen, dass wir dieser Situation sehr lange hilflos gegenübergestanden haben und
meiner Meinung nach noch immer hilflos gegenüberstehen? Vor dem Hintergrund der derzeitigen klimatischen
Entwicklung muss man sagen, dass man in anderthalb
Monaten nicht mehr impfen muss; dann ist das Thema
durch.
Wir haben diese Seuche weder unterschätzt, noch stehen wir ihr hilflos gegenüber, Herr Goldmann. Wer die
gesamten Tierbestände Deutschlands mit über
20 Millionen Dosen impft, ist nicht hilflos. Die Wissenschaft und alle Fachleute haben hier - ich möchte sagen:
in vorbildlicher Weise - reagiert. Die Seuche wurde also
nicht unterschätzt. Die Bekämpfungsstrategie zeigt, dass
es in Deutschland zwischen Bund und Ländern effektive
Strukturen gibt.
Jeder, der einmal verendende Schafe oder Rinder gesehen hat, der weiß, wie dramatisch sich für den einzelnen Halter die Situation darstellt. Deswegen wird seit
Bekanntwerden des ersten Ausbruchs dieser Krankheit
mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Forschung, aber auch der Politik daran gearbeitet, wirksame
Gegenmaßnahmen einleiten zu können. Wir sind davon
überzeugt, dass diese flächendeckende Impfung eine solche wirksame Gegenmaßnahme ist.
Ich rufe die Frage 9 des Abgeordneten Hans-Michael
Goldmann auf:
Bis wann rechnet die Bundesregierung mit der Lieferung
des angeforderten Impfstoffs, und bis wann ist mit dem Abschluss einer ausreichenden Impfung gegen die Blauzungenkrankheit in Höhe von 80 Prozent der Tierbestände von Rindern, Ziegen und Schafen in Deutschland zu rechnen?
Die Blauzungenkrankheit hält uns weiterhin in
Atem. - Die Frage von Herrn Goldmann, bis wann die
Bundesregierung mit der Lieferung des angeforderten
Impfstoffs rechnet, habe ich schon beantwortet.
Auf seine Frage, bis wann mit dem Abschluss einer
ausreichenden Impfung gegen die Blauzungenkrankheit
in Höhe von 80 Prozent der Tierbestände zu rechnen ist,
antworte ich: Nach Kenntnis der Bundesregierung erfolgt Mitte Mai die Lieferung erster Impfstoffdosen zur
Impfung gegen das Virus der Blauzungenkrankheit. Es
kann dann mit der sofortigen Impfung begonnen werden.
Mit dem Abschluss und dem Erreichen eines ausreichenden Impfschutzes wird im zweiten Halbjahr gerechnet.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, Sie wissen, dass wir aus Tierschutzgründen und auch aus ökonomischen Gründen uns
für Impfen statt für Töten einsetzen. Wir haben ja
enorme Schwierigkeiten, geimpftes Material - so will
ich es einmal vorsichtig ausdrücken - zu exportieren.
Halten Sie die Qualität des eingesetzten Impfstoffes für
geeignet, um ein Signal zu setzen, dass Impfen eine sinnvolle präventive Maßnahme ist, um unsere Tierbestände
zu schützen und gleichzeitig unsere Chancen beim Export von Nahrungsmitteln und Tieren weiterentwickeln
zu können?
Wir sind erstens davon überzeugt, dass wir die weitere Ausbreitung der Seuche mit dieser flächendeckenden Impfung wirksam bekämpfen können. Zweitens
herrscht in der Europäischen Union die Meinung, dass
mit dieser Impfung keine weitreichenden Auswirkungen
auf die Exporte verbunden sind. Dazu gibt es unterschiedliche Einschätzungen verschiedener Länder; aber
dies ist ganz normal. Darüber wird mit den entsprechenden Exportländern zu sprechen sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Goldmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben es vorhin zwar schon
einmal angedeutet, aber ich frage trotzdem: Mit welchem Schadensrahmen rechnen Sie? Wie viele gefallene
Tiere sowohl bei Schafen und Ziegen als auch bei Rindern wird es geben? Mit welchen Ausfällen müssen
Landwirte rechnen, die sich dieser Impfung im Grunde
genommen anschließen müssen? Wie stark wird der
Rückgang bei der Milcherzeugung sein? Wie viele Verkalbefälle usw. wird es geben? Können Sie einmal den
Rahmen beschreiben, in dem wir uns bewegen, und dann
bitte einmal am Einzelfall aufzeigen, wer was entschädigt? Einiges entschädigt ja wohl der Impfstoffhersteller,
andere Dinge die Tierseuchenkasse. Für manche Dinge
muss möglicherweise auch der Tierarzt eintreten. Diese
Sache ist aus meiner Sicht noch sehr unklar.
Für die Halter möchte ich noch einmal klarmachen:
Es handelt sich um eine flächendeckende Impfung. Wir
haben in Zusammenarbeit mit anderen Ländern mit den
Impfstoffherstellern mit Schnelligkeit und Nachdruck
bestimmte Dosen entwickelt. Sie fordern auf der einen
Seite, noch schneller und konsequenter vorzugehen und
keine Zeit zu verlieren. Auf der anderen Seite bedarf es
natürlich der Abklärung der Fragen der Nebenwirkungen, Folgewirkungen usw. Deshalb gibt es bereits seit
März den erwähnten Impfversuch. Die derzeitigen Ergebnisse dieses im Kleinen laufenden Impfversuches
lassen keinen Hinweis darauf zu, dass mit - so sage ich
einmal - außerordentlichen Schäden bei der Gesamtimpfung zu rechnen ist.
Ich habe in einer vorhergehenden Antwort bereits gesagt: Die Tierseuchenkassen stehen für eventuelle Schäden ein.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Michael
Goldmann auf:
Haben Bund und Länder rechtzeitig den Tierärzten die für
die Durchführung der Impfung gegen die Blauzungenkrankheit notwendigen klaren und praktikablen Ausführungsbestimmungen zur Verfügung gestellt?
Die Zuständigkeit für die Durchführung der Impfung
gegen das Virus der Blauzungenkrankheit liegt bei den
Ländern. Sie müssen diese Frage also an die betroffenen
16 Bundesländer weiterreichen. Wir waren ausreichend,
umfassend und konsequent mit den Ländern in Kontakt.
Der Föderalismus gebietet es, den Ländern hier die Hoheit, aber auch die Verantwortung zu lassen.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, Sie haben natürlich recht. Aber
war nicht die Vorgehensweise, die die Bundesregierung
gewählt hat, nämlich dass sie im Grunde genommen
keine Eilverordnung auf den Weg gebracht hat und nicht
darauf gedrängt hat, dass die Länder ihre Impfbestellung
aufgeben, geradezu ein Beitrag dazu, dass es in dieser
Frage kein Miteinander zwischen Bund und Ländern gegeben hat, und ist der Bund sozusagen als oberste Impfbehörde nicht doch in einer Fundamentalverantwortung?
Der deutsche Impfplan wurde von der EU-Kommission genehmigt. Ich kann Ihnen sagen: Im Rahmen einer
Tierseuchentagung auf der Insel Riems am 21. Februar
2008 wurde mit den Ländern über diese Fragen umgehend, umfassend und erschöpfend gesprochen. Die Bundesländer und der Bund sind sich einig, dass das beschlossene und jetzt umgesetzte Vorgehen konsequent
und richtig ist.
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Frage.
Ich möchte auf Ihre vorletzte Antwort zurückkommen: Kommt die Tierseuchenkasse für alle entstehenden
Schäden auf?
Ich habe bereits gesagt, dass die Tierseuchenkasse für
die Schäden aufkommt, dass für denkbare Fälle, die darüber hinausgehen - ({0})
- Wir reden hier über theoretische Annahmen. Aufgrund
der allgemeinen Erfahrungen mit Impfungen gehen wir
alle davon aus, dass die Impfung nicht zu dramatischen
Schäden führen wird. Wenn es vereinzelt zu Verwerfungen, Aborten oder Verendungen kommt, wird das über
das Tierseuchenrecht gelöst; dann wird die Tierseuchenkasse die Schäden begleichen.
({1})
- Wir belassen es bei der Frage.
Wir werden die Impfungen jetzt anlaufen lassen und
ein Monitoring durchführen. Über den Fortlauf des Geschehens können Sie jederzeit Informationen erhalten.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung auf. Die Fragen beantwortet der
Herr Parlamentarische Staatssekretär Christian Schmidt.
Ich rufe die Frage 11 der Kollegin Lydia Westrich auf:
Ist das Bundesministerium der Verteidigung vor dem Hintergrund, dass im März dieses Jahres die Bundeswehr bei
Übungsflügen über der Westpfalz Übungsmunition, sogenannte Düppel, über bewohntem bzw. landwirtschaftlich genutztem Gebiet abgeworfen hat, bereit, den berechtigten Sorgen der betroffenen Anwohner über eine mögliche
Gesundheitsgefährdung durch diese Übungsmunition insoweit Rechnung zu tragen, als es ein unabhängiges Prüfinstitut
mit einem Gutachten zu möglichen gesundheitlichen Risiken
durch die Düppel beauftragt und die Ergebnisse des Gutachtens den betroffenen Bewohnern bekannt macht?
Frau Kollegin, meine Antwort orientiert sich natürlich
an dem Schreiben des Kollegen Kossendey vom
3. April, in dem er auf Ihre Fragen gleichen Inhalts geantwortet hat.
Zur Begrifflichkeit will ich vorweg sagen: Düppel
sind Munition darstellende Übungsgegenstände, keine
Explosivstoffe. Der Einsatz des von der Bundeswehr genutzten Düppelmaterials bringt keinerlei Gesundheitsgefährdungen oder Gefährdungen für die Umwelt mit sich.
Dies belegen nationale wie internationale Studien sowie
toxikologische Untersuchungen. Drei solcher Studien
liegen dem Bundesministerium der Verteidigung vor.
Die Bundesregierung sieht deswegen keine Notwendigkeit, eine weitere Studie in Auftrag zu geben. Es besteht
allerdings die Bereitschaft, die Ergebnisse dieser Untersuchungen - soweit noch nicht bekannt - bekannt zu machen und die Studien - soweit noch nicht geschehen zur Verfügung zu stellen. Ich wäre sehr dankbar, wenn
wir die angesprochene Besorgnis der Bürgerinnen und
Bürger gemeinsam wissenschaftlich fundiert entkräften
könnten.
Ihre Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Wenn die von Ihnen zitierten Untersuchungen die Ungefährlichkeit des
Düppelmaterials belegen, frage ich mich, warum sich
das Verteidigungsministerium weigert, die Studie der
Presse und damit der Öffentlichkeit zur Verfügung zu
stellen. Ich freue mich natürlich über das Angebot, den
Sachverhalt gemeinsam zu erörtern. Mir ist es aber auch
wichtig, dass ich die Fragen beantworten kann, die mir
gestellt werden. Was ist mit der Nahrungskette? Übungsmunition soll eigentlich „unsichtbar“ sein. Zufälligerweise ist sie aber in größerem Umfang entdeckt
worden, wurde für die Menschen sichtbar. Sogar auf
dem Außengelände eines Kindergartens ist diese Munition gefunden worden, auch auf Viehweiden.
Die Menschen fragen mich: Wenn diese Übungsmunition unsichtbar ist, verfällt sie dann nicht zu Staub
bzw. atmet man sie dann nicht doch ein, und welche Folgen hat das im Hinblick auf die Nahrungsmittelkette?
Warum stellen Sie diese Untersuchungen der Presse
nicht zur Verfügung, sodass solche Fragen gar nicht erst
aufkommen, sondern gleich geklärt werden können?
Herzlichen Dank für die Zusatzfrage. - Nicht alle Studien, deren Titel ich Ihnen gerne nenne, sind von der
Bundeswehr in Auftrag gegeben worden. Sie liegen zum
Teil nur in englischer Sprache vor. Aber ich denke, wir
werden einen Weg finden, um den Inhalt dieser wissenschaftlichen Gutachten auf verlässliche Weise in die Öffentlichkeit zu tragen.
Folgende Studien bzw. Untersuchungen liegen dem
Bundesministerium der Verteidigung vor:
Die erste Studie hat den englischen Titel „Identifying
and Evaluating the Effects of Dispensing Chaff from
Military Aircraft“. Sie datiert vom 5. Dezember 1989
und trägt die Projektnummer 462-05 der Science and
Engineering Associates, Inc., aus den USA.
Bei der zweiten Studie
({0})
handelt es sich um den Abschlussbericht des WIWEB,
des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Werk-, Explosiv- und Betriebsstoffe der Bundeswehr, also unseres eigenen Instituts. Diese Studie datiert vom 10. Juli 1998
und hat den Titel „Bewertung der Umweltverträglichkeit
von Düppelmaterial“.
Die dritte Studie ist eine Untersuchung des Wehrwissenschaftlichen Instituts für Schutztechnologien vom
8. Juni 1998 mit dem Titel „Toxikologische Bewertung
von Düppelmaterial“.
Wir werden dafür Sorge tragen, dass diese Informationen an die Betroffenen weitergeleitet werden. Ich
wäre sehr dankbar, wenn dies in Abstimmung mit den
Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages
geschehen könnte.
Den Ergebnissen dieser Studien ist zu entnehmen,
dass das von der Bundeswehr verwandte Düppelmaterial
ausschließlich aus nicht lungengängigen, aluminiumbeschichteten Glasfäden besteht und keine Gefährdung für
Exponierte oder Umwelt darstellt. Glas als Werkstoff ist
eine unterkühlte Schmelze aus Quarz und Silikaten, die
auch in der Natur vorkommt; ich denke, das ist uns allen
bekannt. - Ich erinnere mich noch an den Satz: Feldspat,
Quarz und Glimmer, die vergess ich nimmer. - Diese
Verbindungen zählen zu den häufigsten auf der Erdkruste. Die Fasern sind chemisch reaktionsträge.
Ein weiteres Ergebnis dieser Untersuchungen ist: Die
im Düppelmaterial verwendeten Fasern können aufgrund ihrer Länge nicht inhaliert werden. Selbst bei
Bruch der Faser entstehen allein aufgrund des Faserdurchmessers nur Fragmente. Daher kann ein inhalatives
Risiko ausgeschlossen werden.
Mit der Nahrung aufgenommenes Düppelmaterial
durchwandert ungehindert den Magen-Darm-Trakt und
wird dann - das sage ich, weil Sie auch Tiere erwähnt
haben - wieder ausgeschieden. Bei den Düppelfäden
handelt es sich um Stoffe, die natürlichen Mineralien ähneln. Die Glasfasern werden in der Umwelt mechanisch
zerkleinert, und das Aluminium wird in unlösliche Aluminiumoxide und -salze umgewandelt.
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Natürlich geht es
nicht nur um Tiere, sondern auch um Kinder. Eine Erzieherin hat nämlich ein Kind gefunden, das den Mund voller Aluminiumsplitter hatte. Ob die Eltern davon begeistert waren, will ich einmal dahingestellt sein lassen.
Jetzt möchte ich noch eine Nachfrage stellen: In
Deutschland wird ja besonders viel von dieser Übungsmunition abgeworfen, weil es hierzulande - das ist in
Europa einzigartig, bei uns ist es allerdings nicht sehr
beliebt - eine Polygone-Übungsanlage gibt. Dabei handelt es sich um eine Zone, in der der Luftkampf geübt
werden kann und die gerade bei schönem Wetter sehr
gerne genutzt wird, allerdings nicht nur von deutschen
Fliegern, sondern natürlich auch von unseren NATOPartnern. Nutzen auch sie die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung - ich muss dazusagen, dass diese
Munition normalerweise nicht über Land abgeworfen
werden darf -, sodass wir nicht nur von unserer Bundeswehr, sondern auch von allen anderen NATO-Partnern
mit dieser Übungsmunition rechnen müssen?
Die Düppelabwurfkampagnen werden von der Bundeswehr durchgeführt. Ich möchte hinzufügen, dass die
Bundeswehr in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich zwei räumlich und zeitlich begrenzte
Abwurfkampagnen pro Jahr über dem Landgebiet der
Bundesrepublik Deutschland ausgeführt hat. Diese
Kampagnen sollen die Ausnahmen und nicht die Regel
sein. Außerdem informieren wir grundsätzlich darüber.
Dies ist bei dem Düppelausstoß im Februar 2008 aus
nicht nachvollziehbaren Gründen leider nicht erfolgt.
Aber das ist ein Einzelfall. Wir werden sicherstellen,
dass dies zukünftig wieder, wie bisher, angekündigt
wird.
Über den Düppelausstoß von Streitkräften der Alliierten, deren Luftwaffe hier übt, kann ich Ihnen keine verbindliche Auskunft geben, weil uns keine Zahlen bekannt sind. Ich kann Ihnen heute nur zusagen, dass ich
Ihnen die genauen Zahlen, soweit sie uns zugänglich
sind, nachliefern werde. Es gilt aber, dass auch diese
Streitkräfte die sehr restriktiven Regelungen beachten
müssen.
Zwischenzeitlich wurden Maßnahmen getroffen, um
sicherzustellen, dass die Behörden informiert sind. Frau
Kollegin, ich möchte Ihren Hinweis aufnehmen: Wenn
Kinder solche Glas-Aluminium-Fäden finden, dann versteht es sich von selbst, dass die Eltern betroffen sind
und Fragen stellen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass dieser Abwurf der Fäden, die sich normalerweise auflösen - im Februar war es wohl so, dass einige
Fäden trotz der strengen Auflagen gemäß den Vorschriften des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im Bündel
heruntergefallen sind -, aufgeklärt wird. Zudem sollten
diese Abwürfe weiterhin äußerst restriktiv gehandhabt
werden.
Meinen Hinweis auf die Tiere habe ich schlicht und
ergreifend deswegen gemacht, weil sich im Raum Kolleginnen und Kollegen aufhalten, die von Beruf Tierärzte
sind. Dass ich im Zusammenhang mit dem MagenDarm-Trakt von Wiederkäuern gesprochen habe, lag daran, dass ich mit einer Nachfrage dahin gehend gerechnet habe, ob ich denn nicht wisse, auf welcher Seite des
Körpers Kühe ausscheiden. Aber ich gebe zu, dass das
nicht unmittelbares Umfeld meiner Expertise ist.
Ich rufe die Frage 12 der Abgeordneten Lydia
Westrich auf:
Hält das Bundesministerium der Verteidigung den Abwurf
von Übungsmunition über bewohntem sowie landwirtschaftlich genutztem Gebiet für politisch vertretbar im Hinblick darauf, dass es sich bei dem betroffenen Gebiet um eine Region
handelt, die seit vielen Jahren überproportional stark von ver16408
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
schiedensten militärischen Belastungen durch Tiefflüge, Munitions- und Giftgaslager und militärischen Flugbetrieb allgemein betroffen ist?
Ihre zweite Frage beantworte ich wie folgt: Die Bundesregierung nimmt hinsichtlich des Einsatzes der Bundeswehr eine gesamtstaatliche Verantwortung wahr. Bei
dieser Gelegenheit gilt es, den Bürgerinnen und Bürgern
der Regionen, in denen diese Übungen stattfinden, dafür
zu danken, dass sie diese Belastungen ertragen.
Ich denke, dass die Begründung, die sich aus meiner
Darstellung ergibt, nämlich dass es sich hier um notwendige Übungsmaßnahmen handelt, diesen Dank besonders unterstreicht. Wir und letztendlich alle politischen
Mandatsträger in Deutschland tragen die Verantwortung
dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten auf die oftmals mit Gefahr für Leib und Leben verbundenen Einsätze optimal vorbereitet sind. Ich sage, insbesondere
weil gerade in diesen Tagen in einer überzogenen und
nicht adäquaten Art und Weise über die Sicherheit unserer Soldaten gesprochen wird: Wir nehmen die Frage der
Sicherheit unserer Soldaten sehr ernst. Dazu gehört, dass
die Bundeswehr bei ihren Einsätzen über bestmöglich
geeignetes und erprobtes Material verfügt. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, führt das zu Qualitätseinbußen
in der Auftragserfüllung und zu einer erhöhten Gefährdung.
Vor diesem Hintergrund war die im Zeitraum vom
5. bis 7. Februar 2008 über der Übungseinrichtung Polygone durchgeführte Wirksamkeitsuntersuchung zur Ermittlung von Düppelausstoßsequenzen für das Selbstschutzsystem des Luftfahrtzeugmusters C-160 Transall
notwendig. Dieses Selbstschutzsystem ist bei der
C-160 Transall - dieses Transportflugzeug ist das Arbeitspferd der Bundeswehr - nach den Erfahrungen, die
sich im Zusammenhang mit dem Einsatz über Sarajevo/
Bosnien ergeben haben, nachgerüstet worden. Das war
unabdingbar.
Die Wahl des Übungsraums Polygone ist in Deutschland aufgrund der einzigartigen Ausstattung - Sie haben
darauf hingewiesen, Frau Kollegin - leider ohne Alternative. Die Ergebnisse tragen unmittelbar zum Erhalt der
Sicherheit unserer Soldaten im Einsatz bei. Im Bewusstsein dieser Verantwortung müssen wir an diesem
Übungsraum festhalten. Wir alle miteinander, die wir die
politische Verantwortung tragen - der Bund, das Land
Rheinland-Pfalz, die betroffenen Kommunen -, müssen
bei den Bürgern für Verständnis werben. Gleichzeitig
können wir zusagen, dass wir uns dieser Aufgabe auf
sehr restriktive Art und Weise stellen und auf die Vermeidung potenziell toxischer Gefährdungen achten.
Ihre Zusatzfragen.
Herr Staatssekretär, die Bürger meines Wahlkreises
brauchen sich nicht vorwerfen zu lassen, nicht an die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten zu denken.
Ich habe bereits angedeutet, dass wir in dieser Richtung
schon allerhand zu erwarten haben. Gerade bei dem
wunderschönen Wetter heute kann man beobachten, wie
sich unsere Jäger Polygones bedienen. Das ist - das will
ich ehrlich sagen - nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. Deswegen will ich noch einmal eindringlich
fragen: Inwieweit überlegt sich das Verteidigungsministerium, wie es vermieden werden kann, dass solchen Regionen weitere Belastungen auferlegt werden?
Ich habe diese Auseinandersetzung schon vor zehn
Jahren geführt. Damals ist erreicht worden, dass die
Übungsmunition über Land - bis auf die begründeten
Ausnahmefälle - nicht mehr abgeworfen werden darf,
sondern nur noch auf See und da nicht in der Nähe von
Inseln.
Ich bitte das Verteidigungsministerium, sich noch einmal zu überlegen, wie darauf verzichtet werden kann,
dass Regionen, die - durch die Bundeswehr, aber auch
durch Alliierteneinrichtungen wie den Flugplatz
Ramstein - militärisch hoch belastet sind, zusätzliche
Belastungen auferlegt werden. Die Bevölkerung ist mit
Polygone sowieso nicht einverstanden; das wissen Sie in
Ihrem Haus. Wenn man die Akzeptanz für Polygone erhalten will, muss man dafür sorgen, dass nicht weitere
Belastungen oder Ängste und Befürchtungen auf die
Bürger zukommen.
Frau Kollegin, ich bin mit Ihnen einig, dass es nur darum gehen kann, den Bürgerinnen und Bürgern dafür zu
danken - das habe ich getan -, dass sie von ihrem Recht,
zu fragen und sich die Dinge darlegen zu lassen, Gebrauch machen. Andererseits denke ich, dass das Verständnis für Polygone grundsätzlich vorhanden ist. Auch
aus Ihrer Frage geht deutlich hervor, dass das Interesse
an der Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten und die
Interessen der Bürgerinnen und Bürger in ein gewisses
Verhältnis zueinander gebracht werden müssen; das ist
ein gemeinsames Ziel.
Ich möchte mich bei den Bürgerinnen und Bürgern,
wie gesagt, ausdrücklich bedanken, muss allerdings sagen: Ich würde die Präsenz der Bundeswehr im Raum
der Westpfalz nicht allein als Belastung betrachten; denn
ich weiß, dass diese Region strukturell nicht besonders
gut ausgestattet ist. Ich war in der letzten Woche in Birkenfeld und habe mich dort über die wirtschaftliche Bedeutung der Luftwaffe, der Bundeswehr insgesamt und
auch der amerikanischen Streitkräfte für die Bevölkerung informiert. Es gibt hier ein gewisses Spannungsverhältnis, sodass man einen Ausgleich suchen muss.
Ich kann zusagen, dass der von Ihnen zu Recht angesprochene grundsätzliche Ausschluss der Nutzung von
Düppeln über Land zukünftig bestehen bleibt und dass
nur in begründeten Ausnahmefällen nach vorheriger Ankündigung und Information der betroffenen Gebiete sowie der entsprechenden Behörden und Kommunen davon abgewichen wird. Dies geschieht aber wirklich nur
dann, wenn es unabdingbar ist, und es wird auf ein möglichst geringes Maß zurückgeführt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ich will trotzdem insistieren: Inwieweit kann sich Ihr Haus andere Gebiete für diese Art
von Übungen vorstellen, damit unsere Region nicht noch
weiter belastet wird?
Zu den Räumlichkeiten, die Sie mit der Einrichtung
Polygone umschrieben haben, sehe ich gegenwärtig
keine Alternative, um diese Art von Übungen durchzuführen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Winkler.
Herr Staatssekretär, Sie haben ein Gutachten aus dem
Jahre 1989 zitiert. In dem Zusammenhang würde mich
zum einen interessieren, ob sich die Art der verwendeten
Übungsmunition seitdem nicht geändert hat, und zum
anderen, ob Sie uns hier versichern können, dass die Munition, die dort von alliierten Einsatzkräften abgeworfen
wird, den gleichen Standards unterliegt und dass die Einschränkung, die Sie gemacht haben, dass nämlich ein
entsprechender Abwurf nur im absoluten Ausnahmefall
und mit vorheriger Ankündigung getätigt wird, auch für
diese gilt.
Die Grundsubstanz und -struktur der Düppel hat sich
seit dieser Untersuchung nicht geändert. Es liegt auch
eine amerikanische Studie über die Munition bzw. eine
Darstellung der Munition anderer Streitkräfte vor.
Ich werde Ihre Zusatzfrage zum Anlass nehmen, zu
überprüfen, inwieweit dort andere Substanzen, von denen mir gegenwärtig nichts bekannt ist, vorkommen. Der
Redlichkeit halber sollten wir dem nachgehen. Ich
glaube, das Ergebnis wird sein, dass keine solchen verwendet werden. Wenn es aber doch so sein sollte, dann
sind sie unter den gleichen Kriterien zu bewerten. Das
heißt, sie müssen ausgeschlossen sein, wenn sie zu einer
gesundheitlichen Gefährdung führen könnten.
Ich bin gerne bereit, der Fragestellerin und Ihnen als
Steller der Zusatzfrage die entsprechende Auskunft auf
dem schriftlichen Wege zukommen zu lassen.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch
auf:
Trifft das zu, was in der ARD-Sendung Monitor vom
3. April 2008 behauptet wurde, dass externe Mitarbeiter auch
bei der Vergabe öffentlicher Aufträge mitgewirkt haben, und,
wenn ja, welche Unternehmen, die Mitarbeiter in das Bundesministerium der Verteidigung delegieren konnten, hatten in
der Zeit von 2004 bis 2006 auch öffentliche Aufträge durch
das Bundesministerium der Verteidigung erhalten?
({0})
Ich bitte um Entschuldigung, Frau Präsidentin. Ich
habe mich jetzt so sehr mit den Düppeln beschäftigt.
({0})
Frau Kollegin Lötzsch, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Nein, es trifft nicht zu. Von Entscheidungen in einem Vergabeverfahren sind solche Personen gemäß § 16
der Vergabeverordnung allein schon aus präventiven
Gründen ausgeschlossen.
Ihre Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
nachdem Sie sich wieder in das Thema eingefunden haben, möchte ich eine kurze Vorbemerkung machen. In
der letzten Fragestunde haben wir sehr ausführlich das
Thema Lobbyismus besprochen; meine Frage ordnet
sich in diesen Themenkomplex ein. Auf Grundlage des
Informationsfreiheitsgesetzes hat Ihr Ministerium zum
Beispiel gegenüber Journalisten Auskünfte darüber erteilt, welche Vertreter welcher Unternehmen in Ihrem
Ministerium tätig waren. Ich habe mir das also nicht ausgedacht; Ihr Ministerium selbst hat es der Öffentlichkeit
kundgetan.
Ich möchte gerne wissen, welche externen Beschäftigten welcher Unternehmen in die Entwicklung des 7-Milliarden-Euro-Projektes Herkules eingebunden waren. Das war jetzt die Nachfrage.
In die Vergabe von Herkules waren keine Externen
eingebunden.
({0})
- Ich bitte darum, das schriftlich beantworten zu können.
Das wäre sehr nett; darüber würde ich mich freuen.
Darf ich eine zweite Nachfrage stellen? - In der Übersicht Ihres Ministeriums, die auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes für Journalisten angefertigt wurde
- darauf beziehe ich mich -, haben Sie Mitarbeiter weiterer Unternehmen aufgezählt. Sie haben mitgeteilt, dass
Sie in Ihrem Ministerium externe Mitarbeiter von IBM
beschäftigt haben. Welche Aufgaben hatten diese Mitarbeiter?
Auch dies würde ich Ihnen gerne schriftlich beantworten, weil ich die entsprechenden Unterlagen jetzt
nicht zur Verfügung habe.
Eine Zusatzfrage der Kollegin Höll.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, dürfte
ich Sie bitten, ebenfalls - sicher auch schriftlich - die
Frage zu beantworten, welche Aufgabe der externe Mitarbeiter von Roland Berger hatte?
Ja, sehr gern.
({0})
Frau Kollegin Höll, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
({0})
Frau Kollegin Enkelmann.
Unabhängig davon, dass Sie die gestellten Fragen
nicht beantworten können und sie möglicherweise
schriftlich beantworten, stellt sich die Frage: Wie sorgen
Sie dafür, dass externe Mitarbeiter nicht zu einem
Sicherheitsrisiko im Hinblick auf die vom Ministerium
vergebenen Aufträge werden?
Indem sie nicht mit sicherheitsrelevanten Fragen in
Berührung gebracht werden und indem eine ständige - ({0})
Frau Präsidentin, ich habe jetzt nicht verstanden, was
die Kollegin sagen wollte.
Es war sicher nicht so wichtig, Herr Staatssekretär.
Das mag sein. Insofern halte ich die Frage für beantwortet.
Wir sind damit am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung auf. Die
Fragen beantwortet Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth.
Ich rufe Frage 14 des Abgeordneten Dr. Anton
Hofreiter auf:
Reichen nach Auffassung der Bundesregierung die Ergebnisse der erneuten Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchungen, NKU, des Projekts „zweite S-Bahn-Stammstrecke
in München“ aus, um das Projekt im Rahmen des GVFGBundesprogramms zu fördern, und welche Voraussetzungen
neben der Überschreitung bestimmter Nutzen-Kosten-Verhältnisse müssen für die Bundesregierung Projekte, deren
Nutzen-Kosten-Faktor knapp über eins erreicht, erfüllen, um
in das GVFG-Bundesprogramm aufgenommen zu werden?
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrter Herr Dr. Hofreiter, die
Antwort der Bundesregierung lautet: Dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung liegt die
Aktualisierung der Nutzen-Kosten-Untersuchung noch
nicht vor. Ein positives Ergebnis der Nutzen-KostenUntersuchung ist aber eine der Voraussetzungen
- danach haben Sie gefragt - für eine Förderung mit
Bundesfinanzhilfen nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz. Darüber hinaus sind natürlich die Fördervoraussetzungen zu erfüllen, die im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz genau festgelegt sind.
Ihre Zusatzfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrte Frau
Staatssekretärin, könnten Sie vielleicht die Frage 15
gleich mitbeantworten, da sie in engem Zusammenhang
mit der Frage 14 steht? Dann lassen sich die Nachfragen
leichter stellen.
Gerne.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten
Dr. Anton Hofreiter auf:
Inwieweit hält die Bundesregierung die Ergebnisse der
NKU für plausibel, nachdem mittlerweile das Projekt erheblich gestreckt wurde und unklar ist, ob überhaupt alle Baustufen verwirklicht werden, und wie steht die Bundesregierung
zu deutlich preiswerteren Alternativen wie beispielsweise
dem Ausbau des Eisenbahnsüdrings?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Bundesregierung ist im Sinne der Wirtschaftlichkeit und der
Sparsamkeit immer an preiswerten Alternativen interessiert. Jedoch ist zu berücksichtigen, ob diese AlternatiParl. Staatssekretärin Karin Roth
ven auch den verkehrlichen Nutzen erbringen, der angestrebt wird.
Nun Ihre Zusatzfragen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, habe ich Sie richtig verstanden, dass die Ergebnisse der Neubewertung
noch nicht vorliegen und deshalb vollkommen offen ist,
ob der zweite S-Bahn-Tunnel in München gebaut wird?
Das sind große Änderungen. Wenn man eine objektive
Neubewertung vornimmt, könnte theoretisch herauskommen, dass der Nutzen-Kosten-Faktor unter 1 liegt.
Beim letzten Mal lag er bei 1,01, also nur sehr knapp
darüber.
Frau Präsidentin! Herr Dr. Hofreiter, es ist doch klar,
dass das Bundesministerium zuerst das Ergebnis abwartet, um dann zu kommentieren und festzustellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Kann das Bundesverkehrsministerium einschätzen,
wann das Ergebnis vorliegt, und es dann vielleicht mitteilen?
Frau Präsidentin! Herr Dr. Hofreiter, ich würde es Ihnen gerne mitteilen. Die Entscheidung liegt aber beim
Land Bayern. Natürlich hoffen wir, dass das Ergebnis
bald vorliegt. Aber, wie gesagt, wir sind nicht Herr des
Verfahrens.
Sie haben noch zwei Zusatzfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Falls das Ergebnis
negativ ausfällt: Gibt es irgendeinen Plan B? Bei Großprojekten, insbesondere bei denjenigen, an denen die
Bayerische Staatsregierung beteiligt war, ist es oft zu
Kostenexplosionen gekommen.
Zuerst werden wir die Ergebnisse der Nutzen-KostenUntersuchung, wenn sie vorliegen, beurteilen. Es ist gesetzlich ganz klar vorgeschrieben, dass die Nutzen-Kosten-Verhältnisse eine bestimmte Relation aufweisen
müssen. Wenn sie nicht erreicht wird, wird darüber zu
reden sein, was dann passiert.
Mit anderen Worten: Sie haben keinen Plan B?
Wir brauchen keinen Plan B, solange wir nicht wissen, was die Nutzen-Kosten-Untersuchung besagt. Herr
Dr. Hofreiter, Sie wissen, dass sich das Land Bayern und
die Stadt München für die Variante einer zweiten
Stammstrecke entschieden haben. Warten Sie also das
Ergebnis ab! Danach schauen wir weiter. Ich betone: Die
Bundesregierung braucht in diesem Zusammenhang keinen Plan B. Wir hoffen, dass sich das Nutzen-KostenVerhältnis im Rahmen des GVFG-Bundesprogramms
bewegen wird.
Die Fragen 16 und 17 des Abgeordneten Hettlich
werden schriftlich beantwortet, genauso wie die
Frage 18 des Kollegen Dr. Ilja Seifert.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Frau Staatssekretärin, ich bedanke mich für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Die Beantwortung übernimmt Herr
Staatsminister Dr. Gernot Erler.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Dr. Barbara Höll
auf:
Wie setzt sich die Bundesregierung für die Gewährleistung der Sicherheit der circa 2 000 deutschen Künstler, Journalisten, Gäste, Fans und Interessierten, die zum Finale des
Eurovision Song Contest am 24. Mai 2008 nach Belgrad reisen, im Hinblick auf die Androhung von serbischen Rechtsextremisten und weiterer rechter Gruppen, die zu Gewalttaten
gegen die nicht unerhebliche Anzahl lesbischer und schwuler
Teilnehmer aufrufen, bei den serbischen Behörden und der
Eurovision-Dachgesellschaft EBU ein?
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Kollegin Dr. Höll, die Antwort der Bundesregierung lautet: Die Gewährleistung der Sicherheit für alle
Teilnehmer und Gäste des Eurovision Song Contests obliegt der serbischen Regierung. Diese betrachtet die Veranstaltung als eine Gelegenheit, Serbien der europäischen Öffentlichkeit zu präsentieren, und misst daher
dem Gelingen der Veranstaltung auch unter Sicherheitsaspekten höchste Priorität bei.
Ihre Zusatzfragen, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. - Nun ist ja bekannt, dass es
in einigen osteuropäischen Staaten, zu denen Serbien gehört, eine ausgeprägte Homophobie gibt und insoweit
das Verhältnis des Staates zu schwul und lesbisch lebenden Menschen einen Lackmustest für die Wahrnehmung
demokratischer Grundrechte im jeweiligen Staat
darstellt. Ich erinnere daran, dass es im Jahr 2001 in Serbien massive Überfälle auf Schwule gab. Vor diesem
Hintergrund frage ich nach, ob speziell auf diesen Problemkreis hingewiesen wurde oder ob es bei einer allgemeinen Zusicherung der serbischen Regierung geblieben
ist.
Frau Kollegin Dr. Höll, am liebsten würde ich auf
diese Frage im Zusammenhang mit der Beantwortung
Ihrer zweiten Frage eingehen, in der Sie nach der Sicherheitslage für die lesbischen und schwulen Gäste gefragt
haben. Sind Sie damit einverstanden? Sie können dann
ja Ihre weiteren Zusatzfragen stellen.
Ja.
Dann rufe ich auch Frage 20 der Kollegin Dr. Höll
auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Sicherheitslage für
die zahlreichen deutschen und internationalen lesbischen und
schwulen Gäste am Eurovision Song Contest in Belgrad?
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Der serbische Präsident Boris Tadić verbürgte sich in einem auch
im Internet veröffentlichten Schreiben vom 17. März
2008 an die Delegationsleiter der Teilnehmerländer für
die Sicherheit aller Teilnehmer. Die bisherigen Vorbereitungsmaßnahmen geben keinen Anlass zur Annahme,
dass die serbischen Behörden ihren Verpflichtungen hinsichtlich der Sicherheit insbesondere lesbischer und
schwuler Gäste nicht nachkämen.
Jetzt können Sie Ihre Zusatzfragen stellen.
Vor dem Hintergrund, dass sich dieser europäische
Contest in den letzten Jahren zu einem schwul-lesbischen Woodstock entwickelt hat, wie Kenner der Szene
bestätigen, ist davon auszugehen, dass, wie es bei den
letzten Festivals der Fall war, von den Gästen ein sehr
offener Umgang gepflogen wird. Bisher war es in Serbien gefährlich, sich offen schwul oder lesbisch zu zeigen, sodass es zu einer besonderen Gefährdungssituation
kommen könnte, wenn sich Gäste etwa aus der Bundesrepublik, wie sie es gewohnt sind, entsprechend geschmückt und womöglich kostümiert frei bewegen.
Wurde darauf hingewiesen, dass dadurch eine besondere
Gefährdungssituation entstehen könnte?
Sie haben recht, dass die öffentliche Stimmung in
Serbien gegenüber Schwulen und Lesben nicht gerade
sehr positiv ist, was sich auch in Umfragen zeigt. Allerdings ist es auch eine Tatsache, dass nach den von Ihnen
angesprochenen Vorgängen aus dem Jahre 2001 keine
weiteren gewalttätigen Manifestationen stattgefunden
haben. Wir verlassen uns hier vollkommen auf die Zusagen, die gegenüber dem Veranstalter, der European
Broadcasting Union, gemacht worden sind. Es wurde
ausdrücklich gesagt, dass beim Schutz nicht nach Religion, Rasse und sexueller Orientierung unterschieden
werde. Des Weiteren verlassen wir uns darauf, dass der
Contest für Serbien ein wichtiges internationales Ereignis ist.
Gestatten Sie mir noch einen zusätzlichen Hinweis:
Vielleicht wissen Sie, dass Marija Serifovic, die Gewinnerin des letzten Contests - ihr Sieg ist ja der Grund,
dass die Veranstaltung in diesem Jahr in Serbien stattfindet -, lesbisch ist, was öffentlich bekannt ist. Das sollte
auch ein Grund sein, dies nicht zum Hauptthema irgendwelcher Äußerungen zu machen.
Sie haben das Wort zur dritten Zusatzfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Da Sie jetzt dankenswerterweise die Gewinnerin des letzten Jahres angesprochen
haben, verweise ich auf einen Artikel in der taz, in dem
ausgerechnet sie leider als Zeugin dafür dient, dass für
Homosexuelle das Leben in Serbien nicht so einfach ist.
Es heißt dort, sie habe sich im Vorfeld des Contests von
dem zu vermutenden lesbischen Leben distanziert und
blase in das nationalistische Horn, was zeigt, dass bei
den Nationalisten in Serbien eine ausgesprochen antischwule und antilesbische Haltung vorzufinden ist.
Man vermutet, dass die Aussagen von Frau Serifovic auf
Druck zustande gekommen sind, weil die Situation so
ist, wie sie ist.
Frau Kollegin, mir sind die Einzelheiten des Gesinnungswandels oder des Verhaltens von Frau Serifovic
nicht bekannt. Tatsache ist, dass sie tatsächlich bei den
Präsidentschaftswahlen den Kandidaten der SAS, also
der Radikalen, Herrn Nikolic, unterstützt hat. Das ist natürlich schon auffällig gewesen. Was die Hintergründe
angeht, kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Ihre
Hauptsorge galt der Sicherheit der Besucher auch aus
Deutschland. Da gilt nach wie vor, dass wir darauf setzen, dass die serbischen Behörden alles tun werden
- zweifellos sind sie dazu in der Lage -, um die Sicherheit der Besucher zu gewährleisten, wie sie das auch angekündigt haben.
Sie haben keine weiteren Fragen? - Dann hat der Kollege Winkler zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatsminister, ich habe das Ganze nicht richtig
nachvollziehen können. Der Präsident hat geschrieben,
er garantiere gleichen Schutz für alle Gäste, die kommen. Nun liegt aber - Frau Kollegin Dr. Höll hat das
korrekt angesprochen - nicht die gleiche Gefährdungslage für alle Gäste vor, sondern bestimmte Gruppen, insbesondere Schwule und Lesben, waren in den letzten
Wochen Bedrohungen ausgesetzt, und es wurde ihnen
angekündigt, dass man ihnen - auf gut Deutsch gesagt zeigt, wo der Hammer hängt. Insofern ist diese generelle
Zusage nicht ausreichend, weil eine neue Situation eingetreten ist, die darin besteht, dass bestimmte Gruppen
gezielt bedroht werden. Aus meiner Sicht stellt sich die
Frage, ob die Bundesregierung in diesem Zusammenhang nochmals eine Initiative ergreift und mit der serbischen Regierung über diese spezielle Lage in ein Gespräch eintritt.
Herr Kollege Winkler, wenn Sie sich einmal den Text
der Erklärung vom 17. März des serbischen Präsidenten
Boris Tadić, die auch im Internet zugänglich ist, anschauen, dann stellen Sie fest, dass das eine umfassende
Garantie ist, die ausdrücklich alle Gruppen aller Orientierungen einschließt. Ich habe eben schon zitiert, dass es
obendrein an den Veranstalter, die EBU, eine Sicherheitsgarantie von serbischer Seite gibt, die ausdrücklich
für alle, ohne Unterscheidung nach Religion, Rasse, sexueller Orientierung oder anderen Kriterien, gilt. Eine
umfassendere Zusage kann man nicht erhalten. Ich
wüsste nicht, wie solche ausdrücklichen Sicherheitsgarantien, die gegenüber dem Veranstalter ausgesprochen
worden sind, noch zu steigern wären. Welche höhere
Autorität als den Staatspräsidenten, der diese öffentlich
zugängliche Erklärung abgegeben hat, sollten wir denn
noch bemühen?
Eine weitere Zusatzfrage ist jetzt nicht möglich, Kollege Winkler.
Die Frage 21 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
wird schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 22 und
23 der Kollegin Marieluise Beck ({0}).
Herzlichen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 24 des Kollegen Josef Philip Winkler
auf:
Umfasst das von der Bundesregierung angestrebte Aufnahmekontingent irakischer Christen auch Angehörige der
Minderheitenreligion der Mandäer und der Jesiden, und wie
begegnet die Bundesregierung in diesem Zusammenhang dem
Eindruck der Diskriminierung anderer schutzbedürftiger irakischer Flüchtlingsgruppen?
Ich kann Ihre Frage wie folgt beantworten: Der Bundesinnenminister hat die Frage des Flüchtlingsschutzes
für Flüchtlinge aus dem Irak bei der letzten Sitzung der
europäischen Innen- und Justizminister angesprochen.
Es ist Einigkeit darüber erzielt worden, dass diese Frage
bei der nächsten Ratssitzung im Juni erneut behandelt
und dann nach Möglichkeit auch entschieden wird. Sie
werden verstehen, dass man über die Einzelheiten der
Durchführung sinnvollerweise erst entscheiden kann,
wenn die Europäische Union einen entsprechenden Beschluss gefasst hat.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Trifft die Annahme zu, dass es bereits bei diesem Innenministerrat zu einer Einigung im europäischen Rahmen gekommen wäre, wenn Herr Schäuble einen Vorschlag gemacht hätte, der über die ausschließliche
Berücksichtigung christlicher Flüchtlinge hinausgegangen wäre? Oder ist die Debatte anders abgelaufen? War
von vornherein klar, dass erst im Juni entschieden werden soll?
Diese Einschätzung ist ausdrücklich nicht richtig. Es
war so, dass dieses Thema zum ersten Mal seit dem letzten Jahr auf der politischen Ebene behandelt worden ist,
und zwar auf Initiative des deutschen Innenministers. Es
ist allgemein üblich, dass Entscheidungen nicht sofort
getroffen werden, sondern dass sie unter Mitarbeit der
Kommission und der Mitgliedstaaten auf der Arbeitsebene vorbereitet werden. Das ist ein Prozess, der im
Augenblick abläuft. Deshalb wäre eine solche Entscheidung auch bei einem anderen Vorgehen noch nicht getroffen worden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Ist die Bundesregierung
bereit, auf europäischer Ebene auf eine Lösung hinzuwirken, die vorsieht - wir haben darüber heute schon im
Innenausschuss debattiert; dort wurde unser Antrag zur
Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak, insbesondere
von christlichen, von den Koalitionsfraktionen abgelehnt, was ich sehr bedauere -, auch Angehörige anderer
Gruppen, die vom UNHCR als besonders schutzbedürftig bezeichnet wurden, etwa traumatisierte Kinder und
alleinstehende Frauen, aufzunehmen? Oder beharrt die
Bundesregierung auf ihrer Auffassung - sie wurde, zumindest der Presse nach, von Herrn Schäuble vertreten -,
dass diese Aufnahmeregelung ausschließlich oder fast
ausschließlich für Christen gelten soll?
Herr Kollege Winkler, auch hier werden Sie verstehen, dass ich den Verhandlungen nicht vorgreifen kann.
Da Sie immer wieder den Eindruck erwecken, hier
werde diskriminiert und eine Gruppe werde in unzulässiger Weise besonders herausgestellt: Ich glaube, wir sind
uns alle einig, dass es darum geht, irakischen Flüchtlingen zu helfen, die besonders schutzwürdig sind oder zu
besonders schutzwürdigen Personengruppen gehören.
Darüber gibt es auch Gespräche mit dem UNHCR. Bei
allen unterschiedlichen Auffassungen, die es auch in diesem Haus geben mag, kann man mit vernünftigen Argumenten nicht bestreiten, dass die Angehörigen religiöser
Minderheiten im Irak, insbesondere die Angehörigen der
christlichen Minderheit, zu solchen besonders schutzwürdigen Gruppen gehören und dass es deshalb legitim
ist, dass die Bundesregierung darüber nachdenkt, wie
diesen Gruppen zu helfen ist.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Müller das Wort.
Herr Staatssekretär, mich interessiert einmal die Linie
der Bundesregierung. Diesen Vorstoß hat Innenminister
Schäuble unternommen. Die Justizministerin Zypries hat
sehr deutlich erklärt, dass sie mit dem Kriterium „Aufnahme irakischer Flüchtlinge entsprechend ihrer Glaubenszugehörigkeit“ nicht einverstanden ist. Die SPD hat
sich heute im Auswärtigen Ausschuss bereit erklärt, mit
uns, den Grünen, und den anderen Oppositionsfraktionen über einen entsprechenden interfraktionellen Antrag
zu diskutieren, während die CDU/CSU das abgelehnt
hat. Insofern ist die Linie der Bundesregierung nicht
klar. Können Sie sie hier bitte einmal erläutern?
Die Bundesregierung wird eine klare Linie vertreten,
wenn es im Juni im Rat der europäischen Innen- und
Justizminister zu entsprechenden Entscheidungen
kommt.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Grund
das Wort.
Vielen Dank. - Von wie vielen Angehörigen der
christlichen Minderheit im Irak geht die Bundesregierung bei ihren Überlegungen aus?
Es gibt selbstverständlich keine genauen und verlässlichen Zahlen. Tatsache ist, dass sich beim Ausbruch der
Kämpfe im Irak wohl noch einige Hunderttausend Angehörige christlicher Minderheiten im Lande aufgehalten
haben. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Personengruppen befindet sich innerhalb und außerhalb des Iraks auf
der Flucht. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass insbesondere Angehörige christlicher Minderheiten es schwerer
haben als andere, wenn sie sich in Nachbarstaaten des
Iraks um eine erneute Ansiedlung bemühen. Deshalb
muss nach einem Beschluss der Europäischen Union
ganz genau geklärt werden, welche Personen diese Hilfe
am meisten benötigen und wie man diesen Personen
diese Hilfe am besten zuteil werden lassen kann.
Wir kommen damit zur Frage 25 des Kollegen Josef
Philip Winkler:
Ist bei der Ausgestaltung der Übersiedlung der irakischen
Flüchtlinge nach Deutschland sowie bei der Auswahl der in
Betracht kommenden Personen nach der Konzeption der Bundesregierung der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten
Nationen, UNHCR, beteiligt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Es ist aus Sicht der Bundesregierung selbstverständlich grundsätzlich wünschenswert, dass der Hohe
Flüchtlingskommissar in eine mögliche Auswahl von
Flüchtlingen eingebunden wird. Aber ein konkretes
Konzept - ich wiederhole mich da - kann erst erstellt
und beschlossen werden, wenn die Rahmenbedingungen
auf europäischer Ebene feststehen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Nun hat der Hohe Flüchtlingskommissar bereits
knapp 14 000 Personen als besonders schutzbedürftig
definiert. Sie alle müssen jetzt bis Juni warten, bis die
JI-Minister-Konferenz einen Beschluss fasst, so sie das
dann tut. Denkt die Bundesregierung nicht darüber nach,
die vom UNHCR bereits als besonders schutzbedürftig
bezeichneten Personen in einer Resettlement-Aktion von
deutscher Seite, unilateral, aufzunehmen? Eine Verteilung auf andere europäische Staaten könnte dann auch
später erfolgen, etwa nach der Konferenz im Juni.
Herr Kollege Winkler, es ist grundsätzlich nicht richtig, dass alle diese Personen bis zum Juni warten müssen. Eine Reihe von Mitgliedstaaten haben bereits in der
Vergangenheit Resettlement-Programme im nationalen
Maßstab durchgeführt und tun dies auch gegenwärtig
noch. Es ist ferner so, dass in Deutschland die Anerkennungsquote bei irakischen Flüchtlingen aufgrund der
verschärften Verfolgungssituation in den letzten Monaten signifikant gestiegen ist.
Deshalb, Herr Kollege, ist aus unserer Sicht jetzt die
Frage zu beantworten, ob wir einen nationalen Alleingang machen wollen, weil es auch um die Aufnahme einer größeren Zahl von Personen geht - so etwas wird im
Augenblick in anderen europäischen Ländern noch nicht
diskutiert -, oder ob wir glauben, dass wir mehr Menschen helfen können, wenn es zu einem abgestimmten
europäischen Vorgehen kommt. Die Bundesregierung
und auch die Innenministerkonferenz, die in der letzten
Woche getagt hat, sind der Auffassung, dass man zunächst einmal versuchen soll, ein solch abgestimmtes
Vorgehen zustande zu bringen. Die Bundesregierung
wird daran selbstverständlich nach Kräften mitwirken
und sich aktiv am Zustandekommen einer europäischen
Lösung beteiligen.
Sie haben das Wort zur zweiten Zusatzfrage.
Auch vor dem Hintergrund dessen, dass wir alle Post
von den Kirchen bekommen haben, will ich durchaus
einräumen, dass die Gruppe der christlichen Minderheit
im Irak natürlich besonders bedroht und verfolgt ist; das
habe ich auch nie bestritten. Daneben gibt es aber Jesiden, Mandäer, Sabäer und andere nicht muslimische
Minderheiten, die auch verfolgt sind.
Weil ich es eben nicht ganz klar verstanden habe,
frage ich noch einmal: Wird sich die Bundesregierung
querstellen, wenn es darum geht, über die Christen hinaus auch diese Gruppen und andere vom UNHCR als
besonders schutzbedürftig deklarierte Personen aufzunehmen, wenn im Juni im JI-Rat oder bis dahin entschieden wird, welche Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen werden?
Herr Kollege Winkler, wie ich schon vorhin gesagt
habe, ist eine formelle Entscheidung noch nicht getroffen. Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass auch
die Jesiden und Mandäer zu den schutzbedürftigen religiösen Minderheiten im Irak gehören. Dies wird auch
von den großen Kirchen so gesehen. Der Bundesinnenminister teilt diese Auffassung ebenfalls.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Müller das Wort.
Herr Staatssekretär, es ist vielmehr so, dass man
schon zu einer Entscheidung auf europäischer Ebene
hätte kommen können, wenn die konfuse oder blockie-
rende Haltung der Bundesregierung nicht bestünde. Es
gab bereits einen Vorstoß von Großbritannien, den Nie-
derlanden und Schweden zur Zeit der deutschen Ratsprä-
sidentschaft, der unverantwortlicherweise im vergange-
nen Jahr nicht aufgegriffen wurde. Jetzt gibt es
Bereitschaft im Rahmen der EU-Ministerkollegen,
Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen, ohne dabei nach
der Glaubenszugehörigkeit zu selektieren; der Ratspräsi-
dent hat sich dazu ganz klar geäußert.
Ich frage Sie deshalb noch einmal: Bleibt die CDU/
CSU im Gegensatz zur SPD bei ihrer Haltung, man
müsse bei der Aufnahme entsprechend der Glaubens-
zugehörigkeit selektieren, oder ist sie bereit, im Rahmen
der EU-Kollegen für eine Aufnahme irakischer
Flüchtlinge entsprechend der Schutzbedürftigkeit zu plä-
dieren?
Frau Kollegin Müller, man muss Fantasie und Wahr-
heit gelegentlich auseinanderhalten. Tatsache ist, dass es
unter deutscher Ratspräsidentschaft einen Vorstoß, ins-
besondere auch Schwedens, gegeben hat. Tatsache ist
auch, dass die deutsche Ratspräsidentschaft diesen Vor-
stoß aufgegriffen und ihn unverzüglich bei einem
Abendessen der Innenminister thematisiert hat. Ich war
bei diesem Abendessen dabei und kann mich deshalb an
den Verlauf der Beratungen sehr genau erinnern. Es gab
damals zwischen den Mitgliedstaaten keinen Konsens
darüber, eine solche Aufnahmeaktion zu starten, weil
man der Auffassung war, dass Hilfe vor Ort für die Be-
troffenen Vorrang hat.
Das hat dazu geführt, dass die EU-Kommission die
finanziellen Mittel für Flüchtlingshilfe innerhalb und au-
ßerhalb des Irak wesentlich erhöht hat. Das hat auch
dazu geführt, dass die Bundesregierung die von ihr zur
Verfügung gestellten finanziellen Mittel erhöht hat. Nun,
nach etwas weniger als einem Jahr seit dieser Initiative,
sind wir aufgrund der Berichte und Informationen, die
uns vorliegen - wir stehen da auch in Kontakt mit den
christlichen Kirchen, die über besonders genaue Infor-
mationen verfügen -, der Auffassung, dass sich die Lage
nicht gebessert, sondern weiter verschlechtert hat. Des-
halb halten wir zum jetzigen Zeitpunkt einen solchen
Vorstoß für richtig.
Es ist richtig, dass sich der slowenische Ratspräsident
öffentlich in eine bestimmte Richtung geäußert hat. Es
ist aber noch völlig unklar, wie sich die große Mehrheit
der Mitgliedstaaten verhalten wird, insbesondere dieje-
nigen Mitgliedstaaten, die im vergangenen Jahr gegen
eine solche Aufnahmeaktion waren.
Die Frage 26 des Kollegen Hans-Christian Ströbele
und die Frage 27 der Kollegin Cornelia Hirsch werden
schriftlich beantwortet.
Damit bedanke ich mich bei Ihnen, Herr Staatssekre-
tär.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra-
gen hätte die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette
Kressl zur Verfügung gestanden, aber die Frage 28 des
Kollegen Ackermann wie auch die Fragen 29 und 30 des
Kollegen Koppelin sowie die Frage 31 des Kollegen Fell
werden schriftlich beantwortet.1)
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
1) Die Antwort zu Frage 31 lag bei Redaktionsschluss nicht vor.
Vizepräsidentin Petra Pau
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Hat sich der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, bei der Besichtigung des Atomkraftwerks
Olkiluoto in Finnland am 15. April 2008 über die zweijährige
Verzögerung des Kraftwerksbaus und die dadurch entstehenden Mehrkosten von bis zu 1,5 Milliarden Euro informieren
lassen, und welche Rückschlüsse zieht er aus den Erfahrungen
mit dem „finnischen Millionengrab“ ({0}) für die Energiepolitik der Bundesregierung?
Frau Kollegin Höhn, Sie fragen danach, welche Eindrücke Wirtschaftsminister Glos bei seinem Besuch auf
der großen Baustelle des Kraftwerks Olkiluoto in Finnland gewonnen hat. Hier wird ja erstmals in Europa ein
Atomkraftwerk der dritten Generation errichtet.
Bundesminister Glos hat sich bei seinem Besuch auf
der Baustelle des ersten Europäischen Druckwasserreaktors - das ist ja ein ganz neuer Reaktortyp - umfassend
über technische und wirtschaftliche Fragen unterrichten
lassen. Dabei machte Bundesminister Glos deutlich, dass
Europa sichere Energiequellen benötigt, die das Klima
schonen. Hierzu gehört seiner Auffassung nach auch die
Kernenergie, die als Brückentechnologie einen wichtigen Beitrag leisten kann, bis Alternativen technisch und
wirtschaftlich ausgereift sind.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich habe nach vielen anderen Sachen gefragt, auf die Sie gar nicht eingegangen sind. Ich
habe zum Beispiel gefragt, ob Herr Glos auch über die
entstehenden Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro informiert worden ist, und danach, welche Rückschlüsse er
aus den Erfahrungen mit dem „finnischen Millionengrab“ - so titelte die FAZ - für die Energiepolitik der
Bundesregierung zieht. Ich würde doch bitten, dass ich
jetzt nicht eine Zusatzfrage für die Beantwortung dieser
Fragen aufwenden muss, sondern der Staatssekretär auch
diese Teile der Frage, die ich gestellt habe, im ersten
Aufschlag beantwortet.
({0})
Bundesminister Glos hat sich auf der Baustelle über
alle infrage stehenden Punkte unterrichten lassen, unter
anderem auch über die zeitliche Verzögerung. Statt 2009
soll das Kraftwerk jetzt 2011 an das Netz gehen. So sieht
jetzt die Planung der Bauunternehmen auf der finnischen
Seite aus. Die Mehrkosten von 1,5 Milliarden Euro sind
im Einzelnen nicht dargestellt worden, und Konsequenzen für die deutsche Energiewirtschaft sind aus diesem
Großprojekt nicht zu ziehen.
Erste Zusatzfrage.
Nein, so funktioniert das nicht. Nach unseren Regeln
können Sie zufrieden oder unzufrieden mit der Beantwortung der von Ihnen gestellten Fragen sein, aber die
Bundesregierung entscheidet, was sie antwortet und in
welchem Umfang. Insofern handelt es sich um die
zweite Zusatzfrage.
Okay. - Siemens hat bekannt gegeben, dass es bezüglich dieses Atomkraftwerkes in Finnland mit einem dreistelligen Millionenverlust rechnet. Wie geht das in die
Energiepolitik der Bundesregierung ein?
Ob und welche Verluste bei der Errichtung eines
Atomkraftwerks in Europa, in diesem Falle in Finnland,
entstehen, muss die Bundesregierung nicht beobachten.
Das muss sie nicht überprüfen und auch nicht bewerten.
Das sind unternehmerische Abläufe und Entscheidungen. Ich kann auch für die Behauptung, die in Ihrer
Frage mitschwingt, dass es einen dreistelligen Millionenverlust für das Auftragsvolumen, das in diesem Zusammenhang Siemens hat, geben wird, keine Gewähr
übernehmen und dies weder bestätigen noch dementieren.
Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Winkler.
Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, dass es der
erste Reaktor eines solches Konsortiums ist. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass, wenn schon beim
ersten Bau eines solches Reaktors eine solche massive
Verzögerung eintritt und es gleichzeitig einen enormen
Kostenaufwuchs gibt, das ein guter Start für diese Baureihe ist? Wird die Bundesregierung diese weiterhin unterstützen, oder hat sie eine andere Auffassung dazu?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass bei Dingen, die zum
ersten Mal gemacht werden - das gilt insbesondere für
Großprojekte, aber auch für kleinere Projekte -, nicht alles von Anfang an so läuft, wie man das geplant hat.
Deswegen bin ich überhaupt nicht unruhig. Das, was
Herrn Glos während seines Besuchs mitgeteilt worden
ist, zeugt davon, dass die Dinge jetzt auf einem guten
Weg sind und die Fortschritte in den jetzt festgestellten
Zeitplänen eintreten.
Die Kollegin Dückert hat eine weitere Zusatzfrage,
bitte.
Herr Staatssekretär, muss ich Ihrer Antwort entnehmen, dass Mehrkosten von hier in Rede stehenden
1,5 Milliarden Euro von Ihnen eher als normale anfängliche Kinderkrankheiten bei neuen Projekten bewertet
werden?
Frau Kollegin, es handelt sich um ein Großprojekt
von leistungsstarken europäischen Unternehmen, nämlich einem französischen und einem deutschen Unternehmen, zum Beispiel Siemens, und einem absolut leistungsstarken Wirtschaftspartner in Finnland. Wenn drei
solche Wirtschaftsunternehmen miteinander Verträge
schließen - egal für welches Projekt, ob es nun eine besondere Verkehrsverbindung, ein gewaltiges Brückenbauwerk oder ein neuer Reaktortyp ist -, dann kann es
sein, dass Abweichungen von den ursprünglichen Plänen
entstehen. Das ist sogar ziemlich normal. Erstprojekte in
diesen Größenordnungen haben noch nie wirklich sofort
funktioniert. Das hat für die Bundesregierung in ihrer
Beurteilung von Energiepolitik und dem, was wir für die
Klimapolitik brauchen, keine unmittelbare Auswirkung.
Wir kommen damit zur Frage 33 der Kollegin Bärbel
Höhn:
Welche Schwächen des integrierten Klima- und Energiepakets der Bundesregierung veranlassen den Bundesminister
für Wirtschaft und Technologie, Michael Glos, zu der in der
Wirtschaftswoche vom 12. April 2008 getätigten Aussage, er
halte die Erreichung des Effizienzziels der Bundesregierung,
den Stromverbrauch bis 2020 um 11 Prozent zu senken, sowie
des in Meseberg beschlossenen Ziels, den Anteil der erneuerbaren Energien im Strombereich bis 2020 auf 25 Prozent zu
steigern, für „längst nicht sicher“, und welche Nachbesserungen plant die Bundesregierung, um die betreffenden Ziele
dennoch zu erreichen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Antwort lautet: Die im integrierten Energie- und
Klimaprogramm vereinbarten Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energien und zur Steigerung der Energieproduktivität sind ehrgeizige Vorhaben für die Energie- und
Klimapolitik bis 2020. Ob die Maßnahmen des integrierten Energie- und Klimaprogramms hinsichtlich der
Zielerreichung in den jeweiligen Bereichen zu befriedigenden Ergebnissen führen und welche zusätzlichen
Maßnahmen gegebenenfalls ergriffen werden müssen,
wird im Rahmen des beabsichtigten Monitoring-Prozesses regelmäßig überprüft. Jede Zielvorgabe hat ungewisse Elemente, sonst wäre sie bereits Realität. Das ist
denknotwendig so. Der Minister wollte mit der Aussage
„längst nicht sicher“ deutlich machen, dass in besonderer Weise Anstrengungen unternommen werden müssen,
sowohl in der Beobachtung der Zielerreichung auf der
Zeitschiene wie auch hinsichtlich der Maßnahmenkataloge. Wir erleben ja gerade eine Diskussion über das
Thema Biokraftstoffe, wo im Maßnahmenkatalog plötzlich eine Neujustierung erfolgen muss. Solche Erkenntnisse und Veränderungen werden uns im Laufe des Prozesses häufiger begegnen. Deswegen ist diese Aussage
des Ministers eine absolut notwendige, richtige und den
Prozess bekräftigende Aussage und keineswegs zu kritisieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Minister Glos hat in der Welt am
Sonntag erklärt, es gebe eine Versorgungslücke. Sein
Kabinettskollege Gabriel erklärte am Montag in der
Financial Times Deutschland, selbst wenn alle geplanten
Kohlekraftwerke verhindert würden, gäbe es keine Versorgungslücke, keine Stromlücke. Was gilt denn jetzt in
der Bundesregierung?
Sie wissen, Frau Kollegin, dass wir an dieser Stelle
noch unterschiedliche Einschätzungen haben. Sie haben
sie gerade zutreffend beschrieben; ich brauche das nicht
zu ergänzen.
Wir betrachten die Zielerreichung noch keineswegs
als gesichert. Wir haben zum Beispiel Sorge, dass das
Festhalten am endgültigen Atomenergieausstieg und an
einer Nichtverlängerung der Laufzeiten zu Versorgungsproblemen bei der Grundlast führen könnte. Deswegen
werden wir das Ganze weiterhin sorgfältig beobachten
und analysieren.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Danke schön. - Minister Glos stützt sich bei seinen
Aussagen, auch in seinem Interview, auf eine sehr umstrittene Studie der dena - die dena wird ja zu wesentlichen Teilen von den Energiekonzernen finanziert -, die
von einer Stilllegung von konventionellen Kraftwerkskapazitäten von circa 20 000 Megawatt bis 2020 ausgeht. Nach Aussagen der Bundesnetzagentur planen die
Unternehmen aber nur die Stilllegung von 2 400 Megawatt bis 2020. Wie erklären Sie sich diesen Unterschied
zwischen 20 000 und 2 400 Megawatt? Das ist ja genau
die Lücke.
Ich bin nicht darauf vorbereitet, das Fehlen oder Abschalten von Megawatt zu erklären. Darüber müssten
wir ein Fachgespräch führen. Dann müssen die Fragen
vorher so präzise sein, dass man die Zahlen liefern kann.
({0})
Das ist bei dieser Art des Dialogs zwischen Parlament
und Regierung nach meinem Dafürhalten jetzt nicht
leistbar. Ich bin gerne bereit, Ihre Fragen schriftlich zu
beantworten,
({1})
damit Sie die Zahlen in Ihre weiteren Überprüfungen
und Überlegungen einbeziehen können.
Der Kollege Winkler hat das Wort zu einer weiteren
Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, Ihre Aussage von eben, was das
„längst nicht sicher“ angeht, veranlasst mich doch zu der
Nachfrage: Gibt es denn irgendein Ziel, das das Bundeswirtschaftsministerium bzw. der Minister sich vorgenommen hat, bei dem die Bundesregierung bzw. der
Bundeswirtschaftsminister das Erreichen für sicher hält?
Oder sind Sie, was Ihre eigenen Beschlüsse angeht, so
pessimistisch veranlagt, dass Sie sagen, das, was Sie beschlossen haben, könne längst nicht sicher sein?
Herr Kollege Winkler, zunächst einmal: Alle Ziele
beziehen sich auf die Zukunft; das wissen Sie. Außerdem gibt es unterschiedliche Probleme bei der Erreichung der Ziele. Es gibt einfache Ziele, deren Erreichung man ziemlich sicher voraussetzen kann; bei
diesen Zielen braucht man nicht zu betonen, dass es problematisch werden kann. Es gibt aber auch Ziele, die
sehr komplex sind, bei denen sehr unterschiedliche
Wege gegangen werden können und sehr viele Mitwirkende erforderlich sind. Es ist ja nicht die Bundesregierung allein, die handelt; vielmehr setzt die Bundesregierung einen Rahmen, der von vielen Partizipanten
ausgefüllt werden muss. Da können wir nicht präzise
vorschreiben, was zu tun ist. Wir arbeiten in vielen Fällen mit Anreizen und indirekter Steuerung. Aber die
Zielsicherheit ist in diesem Prozess mit Recht zu hinterfragen.
Wahrscheinlich ist es eines unserer Probleme, dass
wir den Menschen immer wieder suggerieren, etwas
werde so sein. Wenn es dann nicht genau so eintritt, ist
wieder einmal ein großes Stück Vertrauen verloren gegangen. Deswegen ist es wertvoll, wenn man im Laufe
solcher komplexen Prozesse hin und wieder daran erinnert, dass die künftige Entwicklung nur sehr schwer eingeschätzt werden kann und keineswegs sicher ist.
Wir kommen damit zur Frage 34 des Kollegen
Manfred Kolbe:
Steht die Bundesregierung noch zu den Vorgaben der
Ministererlaubnis aus dem Jahr 2002, in der für die Übernahme der Ruhrgas AG durch die Eon AG festgeschrieben
wurde, dass die Verbundnetz Gas AG, VNG, als unabhängiges
Unternehmen in Ostdeutschland weitergeführt werden soll?
Ich würde diese Frage gerne zusammen mit der
nächsten Frage beantworten.
Dann rufe ich auch noch die Frage 35 des Kollegen
Manfred Kolbe auf:
Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf aufgrund dessen, dass die Ziele der Ministererlaubnis, die VNG gemeinsam mit dem Elektrizitätswerk Weser-Ems AG, EWE, als
Großaktionär zum fünften Player auf dem deutschen Energiemarkt zu entwickeln, wofür eine gemeinsame Holding von
EWE und VNG in den östlichen Bundesländern gegründet
werden sollte, bislang noch nicht umgesetzt wurden?
Eine der Auflagen der Ministererlaubnis für die Fusion von Eon und Ruhrgas bezieht sich auf die VNG. Danach ist Eon verpflichtet, sämtliche von ihr und von
Ruhrgas an VNG gehaltenen Anteile an Dritte abzugeben. Bezweckt war die Aufhebung der Verflechtung zwischen Ruhrgas als größtem westdeutschen und VNG als
in den neuen Bundesländern führendem Ferngasunternehmen. Daher sollten 26,84 Prozent der VNG-Anteile
an einen strategischen Erwerber veräußert werden, der
VNG als aktiven Wettbewerber der Ruhrgas auf der
Ferngasstufe etablieren kann.
Ferner mussten 5,26 Prozent an einen weiteren Investor veräußert und bis zu 10 Prozent der Anteile vorrangig ostdeutschen Kommunen und/oder der Verbundnetz
Gas Verwaltungs- und Beteilungs-GmbH zum Kauf angeboten werden. Damit sollte der Fortbestand der VNG
als unabhängiges Unternehmen gewährleistet werden.
Mit der Stärkung der kommunalen Anteilseigner war die
Erwartung verbunden, dass die VNG ihren Sitz in Leipzig erhalten und vom bisherigen ostdeutschen Schwerpunkt aus in das Gebiet der alten Bundesländer hinein tätig werden kann.
Die Auflage hat Eon durch die Veräußerung der
VNG-Anteile an EWE und ostdeutsche Stadtwerke sowie einen weiteren Investor in den Jahren 2003/2004
vollständig erfüllt. Das damalige BMWA - das heutige
BMWi - hatte entsprechend den Vorgaben der Ministererlaubnis geprüft, ob der von Eon vorgeschlagene Erwerber EWE zum Zeitpunkt des Erwerbs den Anforderungen an einen strategischen Investor im Sinne der
Auflagen entsprach, dies bejaht und dem Erwerb zugestimmt. Eine spätere Überprüfung der Erfüllung der
Auflagenkriterien ist in der Ministererlaubnis nicht vorgesehen. Das für die Ministererlaubnis zuständige
BMWi sieht die gesamte Auflage als vollständig und abschließend erfüllt an.
Ich darf noch Folgendes ergänzen. Wegen der Stabilität solcher kaufmännischen und unternehmerischen Entscheidungen haben wir ein nachlaufendes Verfahren
- wie auch in anderen Fällen - bewusst ausgeschlossen.
Denn nachdem ein Vorgang genehmigt ist, darf es nicht
permanent die Unsicherheit geben, dass die Entscheidung vielleicht rückgängig gemacht werden könnte. Das
würde sehr hohe Schadensersatzforderungen an den
Staat ermöglichen. Es ist daher besser, man schließt den
Vorgang ab und gibt ihm so in kaufmännischer und unternehmerischer Hinsicht eine stabile Grundlage.
Sie haben jetzt die Möglichkeit zu insgesamt vier
Nachfragen.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, dass der damalige Staatssekretär Dr. Tacke erläutert hat, dass es dem
Bundeswirtschaftsministerium in erster Linie darum
ging, dass ein unabhängiges ostdeutsches Unternehmen
bestehen bleiben soll, das in einen Wettbewerb mit der
Ruhrgas AG tritt, und dass die Ministererlaubnis diese
beiden strategischen Ziele absichern muss? Sind Sie der
Meinung, dass die Vorgaben bis heute erfüllt sind?
Der damalige Staatssekretär des BMWA, Herr Tacke,
hat diese Vorgaben - ich unterstelle einmal, dass Sie
seine Aussage richtig wiedergegeben haben; ich kann es
nicht überprüfen - als erfüllt angesehen und entsprechend entschieden. Wie ich schon am Ende meiner Antwort gesagt habe: Eine Untersuchung dieser Maßnahme
im Nachgang - es war keine Bedingung in der Erlaubnis
enthalten - verbietet sich grundsätzlich aufgrund der Genehmigungspraxis, die bei solchen Prozessen angewandt
wird. Ich nehme deswegen auch gar keine Spekulation
oder Bewertung vor; denn wir reden über ein konkretes
Unternehmen und würden Beurteilungen abgeben, die
am Ende sogar börsenrelevant sind. Dies ist nicht meine
Aufgabe als Staatssekretär.
Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Wie beurteilen Sie dann das jetzige, seit mehreren
Monaten - möglicherweise auch Jahren - stattfindende
Verhalten der EWE AG Oldenburg, des damaligen strategischen Investors? Interessiert Sie das überhaupt nicht
mehr, oder haben Sie dazu eine Meinung?
Ich habe dazu zurzeit keine Meinung.
({0})
Eine dritte Nachfrage ist möglich.
Ist Ihnen bekannt, dass die EWE AG Oldenburg versucht, einzelne Anteile ostdeutscher Kommunen zu
deutlich überhöhten Preisen am Markt zu erwerben, die
Finanznot einiger ostdeutscher Kommunen ausnutzend,
und dadurch versucht, eine Mehrheit an VNG zu erreichen und deren Sitz möglicherweise von Leipzig woandershin zu verlagern? Ist Ihnen dies bekannt, und interessiert Sie dies?
Zunächst einmal ist mir das nicht bekannt. Aber wenn
es so ist, dann muss man feststellen: Ist in den Verträgen
eine Regelung verabredet, die vorsieht, dass der Gesellschafterkreis, der bei der Herauslösung aus dem Eon-Bereich erstmalig zusammengefügt wurde, satzungsmäßig
- gesetzlich sicherlich nicht, auflagenmäßig auch nicht festgeschrieben ist? Wenn dies nicht festgeschrieben ist,
dann sind die Gesellschafter frei, untereinander Gesellschaftsanteile zu handeln. Auch die Preisfindung liegt in
der Freiheit der Gesellschafter. Wenn dieser Umstand,
wie Sie konstatieren bzw. vermuten, ein Mangel ist,
dann ist das ein Mangel des damaligen Genehmigungsverfahrens, aber heute nicht aufzugreifen.
Bei der Ministererlaubnis bewegen wir uns in der
rechtlichen Verwaltungspraxis im eigentlichen Sinne. Da
haben wir keine rechtliche Möglichkeit, über die vertraglichen Bestimmungen hinaus, die die Partner damals
getroffen haben, nachgängig tätig zu werden. Insoweit
ist das dann eine Schwäche des damals gefundenen Lösungsansatzes, den wir ministeriell bzw. verwaltungsrechtlich nicht behandeln können.
Sie haben noch eine Möglichkeit zu einer Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, wie viele größere privatwirtschaftliche Unternehmen ihren Hauptsitz
in den östlichen Bundesländern haben, und hat die Bundesregierung ein Interesse daran, dass es auch in Zukunft
ein größeres privatwirtschaftliches Unternehmen gibt,
das seinen Hauptsitz in den östlichen Bundesländern hat,
oder legen Sie nur auf verlängerte Werkbänke Wert?
Herr Kollege Kolbe, wir legen großen Wert darauf,
dass selbstständige, attraktive, wettbewerbsstarke Unternehmen in den neuen Ländern an möglichst vielen Plätzen entstehen bzw. ihren Sitz behalten können. Das ist
völlig klar.
Die Frage ist: Kann die Bundesregierung bei einer
konkreten Unternehmensentscheidung ohne klare gesetzliche Basis eingreifen? Wenn das eine politische
Begleitung sein soll, wenn Gespräche geführt werden
sollen, wenn dokumentiert werden soll, dass es ein politisches Interesse gibt, dass das damalige Ziel möglichst
eingehalten wird, dann kann das sicherlich in einer zwar
nicht rechtsverbindlichen, aber politischen Form geschehen. Aber ein konkretes Handeln im Sinne von: „Wir rügen; wir verweisen auf eine Verletzung des Vertrages“ ist
in dieser Situation ausgeschlossen. So funktioniert unsere soziale Marktwirtschaft nicht. Das können wir so
nicht machen.
Wir können das politisch noch einmal aufgreifen; das
sage ich gerne zu. Ich bin bereit, ein Gespräch auch mit
den Beteiligten aus den Unternehmen zu führen, um das
noch einmal abzugleichen. Das ist aber eine Gesprächsführung mit politischem Einfluss ohne Druck. Alles andere schließt sich aus.
Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Grund das Wort.
Herr Staatssekretär, ich möchte den Umgang mit der
Ministererlaubnis hinterfragen. Die Ministererlaubnis
von 2002, VNG betreffend, hatte einen wirtschaftlichen
und einen politischen Hintergrund. Der wirtschaftliche
Hintergrund ist: VNG erhält einen strategischen Partner,
der in das Unternehmensfeld passt. Gleichzeitig erhielten die ostdeutschen Kommunen eine Sperrminorität, die
dafür sorgen sollte, dass der strategische Partner, wenn
er eines Tages stärker werden sollte, nicht die Möglichkeit hat, den Unternehmenssitz aus Ostdeutschland, aus
Leipzig heraus zu verlagern; das war der politische Hintergrund.
Nun hält der strategische Partner, EWE - mein Kollege Manfred Kolbe hat das eben geschildert -, mittlerweile fast 49 Prozent der Unternehmensanteile und ist
bestrebt, weitere Anteile zu erwerben, um die Sperrminorität der kommunalen Versorgungsunternehmen
auszuhebeln. All das geschieht mit dem Ziel, die Unternehmensstrategie und den Unternehmenssitz zu verändern.
Wenn auf diese Art und Weise nach einigen Jahren
der politische Hintergrund einer Ministererlaubnis konterkariert wird, zeigt uns das nicht, dass wir uns das Instrument Ministererlaubnis unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Kontrollmöglichkeit vornehmen müssen;
denn sonst läuft das Instrument ins Leere?
({0})
Ich sehe das Instrument Ministererlaubnis ähnlich kritisch wie Sie. Ich sage noch einmal: Wir haben keine
Möglichkeit, wirkungsmächtig einzugreifen. Zwar sind
Gespräche immer möglich, und es ist auch möglich, Besorgnis zu äußern und Interesse zu bekunden - das ist
ganz klar -, wir können aber nichts zurückrufen. Wir
können nicht drohen, weil wir keine rechtliche Möglichkeit haben, gegen das Unternehmen wegen Vertragsverletzung vorzugehen. Diese Möglichkeit müssen wir ausschließen. Das ist eine bittere Erkenntnis.
Sie werden sich erinnern, dass ich persönlich damals
alles darangesetzt habe, diese Ministererlaubnis zu verhindern. Jetzt sehen wir, dass sie wenig praktikabel ist.
Daher war sie in doppeltem Sinne ein Fehler.
({0})
Wir sind damit am Ende
({0})
der Fragestunde.
Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Überfällige Strategien der Bundesregierung
zur Lösung der Welternährungskrise
Bevor ich die Aussprache eröffnen kann, kommen wir
zu einem Geschäftsordnungsantrag der Kollegin
Dückert.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben das Thema Welternährungskrise für heute aktuell aufgesetzt. Eines ist ganz klar: Das ist ein Thema,
das nicht nur uns angeht, sondern auch den zuständigen
Minister Horst Seehofer. Deswegen möchte ich namens
meiner Fraktion ({0})
- ihn herzlich begrüßen.
({1})
Kollegin Dückert, Ihrem Anliegen wurde umgehend
entsprochen. Der Minister ist eingetroffen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Renate Künast.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offensichtlich brauchte es diesen GO-Antrag, damit der
Minister, der heute nicht gut bei Fuß ist - wir wünschen
ihm gute Besserung -, den Plenarsaal pünktlich betreten
konnte. Das hat ja geklappt.
Zur Sache: Weltweit hungern mehr als 850 Millionen
Menschen. International hatten wir einmal das Ziel, die
Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Obwohl das
unser Ziel war, sind jetzt weitere 100 Millionen Menschen bedroht, weil laufende UN-Programme im Augenblick nicht mehr finanziert werden können, da die Lebensmittelpreise so horrend gestiegen sind.
In den letzten Tagen haben sich einige hier und da in
Interviews geäußert. Ich glaube, dass manches von dem,
was gesagt wurde, zu dünn ist.
({0})
Man muss sagen: Die Gründe für die Welternährungskrise sind vielfältig, und sie liegen tief. Die Ursachen
dieser Krise sind nicht mit einer Maßnahme allein zu beheben.
({1})
- Ich will Ihnen, Herr Bleser, sagen: Es reicht nicht aus,
dass Frau Merkel heute in Ägypten sagt, die internationale Staatengemeinschaft solle sich demnächst einmal
mit den Lebensmittelpreisen beschäftigen. Als könne
man Preise festlegen! Hier wird es wohl anderer Maßnahmen bedürfen.
Es reicht auch nicht aus, dass Frau Wieczorek-Zeul
sagt, wir brauchten ein Moratorium für Agrarkraftstoffe.
Ich meine, auch das wäre eine Verkürzung des Problems.
Ein Moratorium allein hilft uns nicht. Es könnte allenfalls ein Schritt sein. Ich glaube, mittlerweile besteht zumindest Konsens darüber, dass kein Import von Biokraftstoffen mehr stattfinden sollte, wenn nicht klar ist,
dass sie entwicklungspolitisch und umweltpolitisch von
Nutzen und nicht von Schaden sind.
({2})
Herr Sonnleitner hat behauptet, dass der falsch prognostizierte und immens gestiegene Fleischkonsum und
die veränderten Ernährungsgewohnheiten in China, in
Indien und sogar in Afrika an dieser Krise schuld seien.
({3})
Das ist nicht richtig. Nein, die wahren Gründe liegen zunächst einmal in einer seit Jahrzehnten betriebenen falschen Agrarpolitik und falschen Welthandelspolitik.
({4})
Wegen der Zwischenrufe aus den Reihen der CDU/
CSU möchte ich sagen: Bei den Wenigen aus der Union,
die mich bei der Agrarwende im Jahre 2003 unterstützt
haben, bedanke ich mich ausdrücklich; mir fällt im Augenblick allerdings kein Name ein.
({5})
Es war nämlich keiner dabei.
({6})
Halten Sie sich also mit Ihren Zwischenrufen zurück!
Ich sage Ihnen ganz klar: Die größte Verantwortung
für diese Katastrophe haben die europäische und die
amerikanische Landwirtschaftspolitik und die unterlassene Klimapolitik.
({7})
Wenn Sie sich ansehen, wie Landwirtschaftspolitik in
der Vergangenheit funktioniert hat, stellen Sie fest: Wir
haben die Entwicklungsländer seit Jahrzehnten gezwungen, eine exportorientierte Agrarwirtschaft zu betreiben.
In den Entwicklungsländern wurde das angebaut, was
wir essen, während dort für Hungerlöhne gearbeitet
wurde.
({8})
Wir haben unsere eigenen Märkte abgeschottet und
sie zusätzlich belebt, indem wir die Preise durch Agrarexportsubventionen verschoben haben.
({9})
Unsere Importregelungen, Zölle und Tarife sind so gestaltet, dass die Rohstoffe einfacher eingeführt werden
können als die verarbeiteten Produkte. Die Wertschöpfung durch Verarbeitung, beispielsweise bei Kaffee, liegt
in Deutschland und nicht in den Kaffeeanbauländern.
Deshalb muss man sagen: Die internationale Agrarpolitik, auch die Deutschlands und die der Europäischen
Union, ist immer noch falsch und schädlich.
({10})
Wir müssen auch unsere eigenen Ernährungsgewohnheiten auf den Prüfstand stellen. So richtig es ist, den
Biosprit in seine Grenzen zu weisen, damit er nachhaltig
wirken kann, so richtig ist es auch, dass ein viel größerer
Anteil der Agrarfläche für Futtermittel verwendet wird,
um in Deutschland bzw. in Europa Fleisch zu produzieren. Auch hier besteht nämlich eine Fehlentwicklung.
({11})
Wir Grünen sagen: Das Menschenrecht auf adäquate
Nahrung muss oberste Priorität haben. Es geht um nachhaltige Landwirtschaft und um Menschenrechte. Dementsprechend muss man die Produktion organisieren.
Herr Seehofer, es reicht nicht aus, der BamS Interviews
zu geben und darin eine weitere Intensivierung anzukün16422
digen. Ich sage Ihnen ganz klar: Man muss auch Konsequenzen ziehen.
Da Sie gesagt haben, die internationalen Saatgutkonzerne würden die Verantwortung tragen, sage ich Ihnen:
Fangen Sie in Deutschland an! Nehmen Sie die Genehmigung für MON 810 zurück!
({12})
Sorgen Sie dafür, dass die Menschen das Recht auf
freien Zugang zu Saatgut haben, das sie vermehren dürfen! Geben Sie endlich Ihre Blockade gegenüber einer
weiteren Agrarreform in Brüssel auf, durch die der Umfang der Direktinvestitionen gesenkt und neue Schwerpunkte bei Klimaschutz und Wassermanagementmaßnahmen gesetzt werden sollen! Das wäre eine faktische
Hilfe, auch für die hungernden Menschen in den Entwicklungsländern, weil ihnen dadurch die Möglichkeit
gegeben würde, bei sich zu Hause eine bäuerliche Landwirtschaft aufzubauen.
({13})
Wir wissen: Die FAO
Kollegin Künast, kommen Sie bitte zum Schluss.
- mein letzter Satz - spricht von einem stillen Tsunami. Ich sage Ihnen: Die Menschen werden nicht still
bleiben. Es wird riesige Wanderungsbewegungen geben.
Es wird Kriege um Wasser, Land und Lebensmittel geben.
({0})
Es ist unsere Verantwortung, weder bei der Klima- noch
bei der Agrarpolitik auf Kosten der anderen zu leben.
Das heißt, dass wir den Mut zu Reformen und zu einem
anderen Verhalten aufbringen müssen. Anfangen muss
damit Herr Minister Seehofer in Brüssel.
({1})
Das Wort hat der Bundesminister für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist bei der Kollegin Künast immer das Gleiche: Weltmeisterin in der Formulierung schwülstiger
Ziele, Reclamausgabe beim Anbieten konkreter Lösungen.
Ich bin jetzt schon lange im Parlament, aber ich habe
es selten erlebt, dass jemand seine eigene Politik so stark
kritisiert;
({0})
denn die Agrarpolitik, die in Europa zurzeit gilt, ist nicht
nur von Ihnen mitgetragen worden, sondern von Ihnen
sogar initiiert und in Europa durchgesetzt worden.
({1})
Deshalb kann man manchmal nur den Kopf schütteln,
wenn man in der Früh liest, dass die Grünen jetzt für
eine Veränderung der Agrarpolitik sind, die sie selber
herbeigeführt haben. Die Förderung der Biokraftstoffe
und der Biomasse, das EEG: All diese Dinge sind unter
Ihrer Federführung gemacht worden. Der wesentliche
Unterschied zwischen uns beiden ist: Ich stehe zu dieser
Politik - das habe ich x-mal gesagt -, und Sie verabschieden sich von Ihrer eigenen Politik.
({2})
Das ist die Heuchelei Ihrer Politik.
({3})
Schauen Sie: Das Thema ist viel zu ernst und viel zu
vielschichtig, um so abzudriften, wie Sie das heute wieder getan haben. Was MON 810 mit der Problematik, die
uns im Moment beschäftigt, zu tun hat, kann nur eine
Frau Künast nachvollziehen.
({4})
Das interessiert uns auch nicht.
({5})
Tatsache ist, dass dies ein vielschichtiges Problem ist.
Ich beginne damit, dass an erster Stelle immer die sofortige und die Nothilfe für die hungernden Menschen stehen muss. Hier tut die Bundesregierung das Notwendige
- dazu werden wir von Frau Kollegin Wieczorek-Zeul
etwas hören -, und auch die internationale Staatengemeinschaft tut das Notwendige. Aber genauso wichtig
ist, dass wir den Strukturen zu Leibe rücken, die die Ursache für die heutigen Probleme sind.
({6})
Frau Künast, Sie können das Ganze drehen und wenden, wie Sie wollen: Es gibt zwei Kernherausforderungen, bei deren Bewältigung wir eher am Anfang stehen,
nämlich die wachsende Weltbevölkerung - jährlich
kommen 80 Millionen Menschen hinzu - und die dynamisch zunehmende Kaufkraft der Schwellenländer, etwa
in Indien oder China, mit ihrem hohen Bedarf an Nahrungsmitteln. Beides zusammen führt zu der Schätzung
der Welternährungsorganisation, dass der Nahrungsmittelbedarf in der Welt in den nächsten beiden Jahrzehnten
um 60 Prozent zunehmen wird.
Wenn in einer so dynamischen und umfassenden
Weise der Bedarf an Nahrungsmitteln in der Welt steigt
- um das zu verstehen, muss man nicht unbedingt Volkswirtschaft studiert haben -, dann muss die erste Antwort
darauf sein, genügend Nahrungsmittel zu produzieren,
damit wir den Bedarf weltweit decken können.
({7})
Ich füge ausdrücklich hinzu, dass nach meiner tiefen
Überzeugung die Produktion zusätzlicher Nahrungsmittel in erster Linie dort erfolgen muss, wo der Hunger
herrscht oder wo die Menschen von Hunger bedroht
sind. Hier dürfen nicht die internationalen Konzerne
zum Zuge kommen, sondern der Bedarf muss durch eine
bäuerlich strukturierte Landwirtschaft gedeckt werden.
Mein erster Akzent bei der Neuausrichtung einer weltweiten Entwicklungspolitik ist, dass wir das Problem des
sich abzeichnenden Kampfes um Nahrungsmittel und
des Bedarfs daran durch zusätzliche Nahrungsmittelerzeugung lösen, und zwar vor allem dort, wo die Menschen leben, die von Hunger bedroht sind.
({8})
Ich möchte auf einige Argumente eingehen, die zu
Nebenkriegsschauplätzen aufgebaut wurden. Es heißt
beispielsweise, die Exportsubventionen der Europäischen Union hätten zu dieser aktuellen Situation beigetragen.
({9})
Die Exportsubventionen spielen aufgrund der Weltmarktpreise im Moment keine Rolle. Außerdem ist
ohnehin vorgesehen, sie abzuschaffen, und zwar nicht
deshalb, weil sie einen Beitrag zur Nahrungsmittelknappheit in der Welt leisteten, sondern weil sie bei der
Weltmarktentwicklung in der Sache nicht mehr notwendig sind.
({10})
Deshalb sage ich an dieser Stelle: Die deutsche Regierung hat über die Europäische Kommission bei den
Liberalisierungsverhandlungen in vollem Einvernehmen mit der WTO festgelegt, dass wir die Exportsubventionen spätestens bis 2013 abschaffen. Bis zum Jahre
2010 muss mehr als die Hälfte der Subventionen abgeschafft sein.
Was wichtig ist für die Öffentlichkeit: Wir reduzieren
die Subventionen nicht etwa deswegen, weil sie die Ursache für die Probleme der Welt wären, sondern weil das
Mittel der Exportsubvention angesichts der Entwicklung
des Weltmarktes keine Berechtigung mehr hat.
({11})
Zweitens. Es wird immer gesagt: Wir müssen die
Märkte öffnen. - Ich bin dankbar, dass diese Regierung da habe ich von Frau Künast nichts gehört - das Programm „Everything But Arms“ - „Alles außer Waffen“ weltweit zum Tragen gebracht hat. Das heißt, dass diese
ärmsten der armen Länder den europäischen Markt ohne
jede Quote, ohne jeden Zoll mit allem außer Waffen beliefern können.
({12})
- Es ist schon in Kraft; ich sage das auch an Herrn Raabe
gerichtet.
({13})
- Jetzt, Frau Künast, kommt der entscheidende Punkt:
Die Liberalisierung der Weltmärkte allein nutzt so lange
nichts, solange in den Entwicklungsländern nicht genug
produziert werden kann, dass es für die eigene Bevölkerung wie für den Export reicht.
({14})
Drittens. Jetzt soll plötzlich die Agrarpolitik in
Europa verändert werden.
({15})
Vor zwei Jahren haben Sie richtigerweise gesagt: Wir
wollen weg von der Förderung der Produktion und hin
zur Förderung der Einhaltung der Standards, die beim
Umweltschutz, beim Tierschutz, beim Gewässerschutz
zu erfüllen sind.
(Hans-Michael Goldmann [FDP], an Abg.
Renate Künast ({16})
Ich will ausdrücklich sagen: Die Direktzahlungen der
Europäischen Union an die Bauern in Europa sind weder
Almosen noch Geschenk, sie sind die Gegenleistung für
die Umweltstandards, die die Gesellschaft den Bauern
auferlegt hat. Das ist die richtige Reihenfolge; in der Öffentlichkeit wird das leider kaum wahrgenommen.
({17})
Je stärker die Umweltstandards in Europa harmonisiert
werden und je stärker die Bauern von ihrem eigenen Tun
leben können, desto mehr können wir Direktzahlungen
zurückfahren. So ist der Zusammenhang.
({18})
Machen wir nicht den Fehler, zu glauben, dass wir
den Menschen in den Entwicklungsländern helfen, indem wir Starke schwächen; denn das nutzt den Schwachen nicht. Wir müssen im Gegenteil darauf achten, dass
die Landwirtschaft in Deutschland bzw. in Europa leistungsfähig und stark bleibt. Andernfalls wären wir eines
Tages gezwungen, Nahrungsmittel aus dem Ausland zu
importieren, würden vom Ausland abhängig. Wir müssen uns selbst versorgen, und wir müssen helfen, dass
andere ernährt werden.
({19})
Eines kapiere ich nicht: Erst soll auf die Atomkraft
verzichtet werden, dann soll auf die Kohle verzichtet
werden, jetzt soll auf Biokraftstoffe verzichtet werden.
Soll demnächst auch auf Biomasse verzichtet werden?
Ich weiß nicht, wie wir unter diesen Umständen den
Menschen eine glaubwürdige Antwort geben sollen, wie
wir Ernährung und Energieversorgung - das hängt ja direkt zusammen - gewährleisten wollen.
({20})
Ich bin entschieden dafür, dass wir mit Biomasse, Biokraftstoffen, nachwachsenden Rohstoffen nachhaltig
wirtschaften - aber mit Augenmaß und Vernunft.
({21})
- Das ist bei uns in Europa der Fall: Der Anbau von
nachwachsenden Rohstoffen erfolgt nach den gleichen
Regeln der guten fachlichen Praxis wie der Anbau von
Lebensmitteln.
({22})
Wir müssen schauen, dass diese Vernunftargumente
auch weltweit im Anbau gelten.
({23})
Es ist ein Skandal, dass für die Erzeugung von Biokraftstoffen und für den Anbau von Nahrungsmitteln die
Tropenwälder und Urwälder gerodet werden. Die internationale Staatengemeinschaft muss dafür sorgen, dass
dies eingestellt wird.
({24})
Das Naheliegendste ist, dass diese Palmöle, wenn sie in
Europa zum Einsatz kommen, nicht mehr auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden und nicht mehr steuerlich begünstigt werden; das ist die stärkste Antwort.
({25})
Auch da hat die Regierung gehandelt. Wir haben eine
Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet - das müssen
wir nach dem europäischen Recht - und haben sie notifiziert. Die Europäische Kommission hat gesagt, sie
möchte für ganz Europa die Nachhaltigkeit definieren.
Dies zwingt uns dazu, stillzuhalten, bis die Europäische
Kommission gehandelt hat, was spätestens Ende dieses
Jahres der Fall sein wird. Das ist die Wahrheit.
Es war nicht so, dass der Kollege Gabriel untätig war
und keine Zertifizierung sowie nichts hinsichtlich der
Nachhaltigkeit vorgelegt hat, sondern die Europäische
Kommission möchte das für ganz Europa lösen. Trotzdem empfehle ich uns als Bundesregierung und Parlament, dass unsere Zwischenlösung bzw. vorübergehende
Lösung lautet: Aus den Ländern, in denen gerodet wird,
führen wir kein Palmöl in Deutschland und Europa ein,
es erfolgt keine Anrechnung auf die Biokraftstoffquote,
und es gibt auch, wenn es juristisch irgendwie geht,
keine steuerliche Anerkennung.
({26})
Ich glaube, dass man mit dieser Vorgehensweise die
Ursache klar identifiziert und bekämpfen kann. Dass
man auch die anderen Dinge vernünftig und nachhaltig
sowie unter Wahrung unserer Schöpfung begleitet, ist
die richtige Antwort. Ich bitte dringend darum, in der
Öffentlichkeit jetzt nicht über Lösungen zu diskutieren,
die mit der Ursache überhaupt nichts zu tun haben.
Der erste Welthungergipfel fand 1996 statt, der zweite
2002. Auf beiden Welthungergipfeln wurde beschlossen,
dass der Anteil der Hungernden in der Welt bis zum
Jahre 2015 halbiert werden soll. Eine gleiche Bilanz wie
in den Jahren seit 2002 können wir uns nicht noch einmal leisten.
({27})
Darum werbe ich dafür, dass wir endlich an die Ursachen herangehen und die Nahrungsmittelproblematik sowohl durch die Soforthilfe und die Nothilfe als auch
durch eine Veränderung der Strukturen in der Entwicklungszusammenarbeit lösen.
({28})
Das Wort hat der Kollege Hans-Michael Goldmann
für die FDP-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Natürlich sind wir aufgrund der Probleme, die
jetzt gerade in den Entwicklungsländern und den schwachen Ländern besonders stark auftreten, tief betroffen
und berührt. Die Menschen hungern; es herrscht große
Not. Es ist überhaupt keine Frage, dass wir das zum Anlass nehmen müssen, etwas zu tun. Deswegen begrüße
ich es, dass wir uns hier im Rahmen der Aktuellen
Stunde dazu äußern und darüber austauschen können.
Frau Künast, ich bitte aber darum, dass wir uns wirklich
austauschen, und zwar gründlich und nicht so, wie Sie
das gemacht haben.
({0})
Die Ursachen für das Phänomen, mit dem wir uns
heute beschäftigen, sind sehr vielfältig und auch schon
genannt worden. Ich will auch nicht ablenken, sondern
ganz klar sagen: Die Kernursache ist darin zu sehen,
dass es in der Welt einen zu wenig freien und vor allen
Dingen auch zu wenig fairen Markt und Wettbewerb
gibt.
({1})
Wir haben uns mit unseren eigenen Interessen viel zu
lange abgeschottet. Wir haben Schutzzölle aufgebaut
und die Marktverzerrung vorangetrieben. Die Europäer
waren dabei nicht die Vorreiter, aber sie sind mitgelaufen. Es gibt andere Länder in der Welt, wie Amerika
- allerdings auch asiatische Länder -, die das viel intensiver praktizieren. Dabei war uns das, was sich in den
Entwicklungsländern abspielt und als Tragik darstellt,
häufig viel zu sehr egal. Wir waren in dieser Frage viel
zu egoistisch. Mit den Problemen, die wir haben, müssen
wir uns intensiv beschäftigen, und wir müssen Lösungen
finden.
Mein Kollege Dr. Geisen hat uns eben mit auf den
Weg gegeben, dass wir das schaffen können. Ich will Ihnen aus meiner Sicht sagen, wie wir das schaffen können. Wir können es ganz bestimmt nicht schaffen, indem
wir das, was auch Sie, Herr Seehofer, manchmal fordern,
dass es nämlich eine Agrarwende geben muss, inhaltlich
irgendwie ausgestalten. Nein, es muss in Europa keine
Agrarwende geben, sondern es muss einen Agrarschub
in Richtung von noch mehr Markt geben. Wir müssen
unsere Stärken im Agrarbereich ausbauen und pflegen,
damit wir in diesem Bereich in unserem super Land
- Deutschland ist im Bereich der Agrarproduktion ein
super Land - stark sind und weiteres Können entwickeln.
Wir müssen nicht mit den Produkten, sondern mit diesem Können und Wissen hinsichtlich der Zucht, der
Tiere, der Techniken und der Landmaschinen in die Entwicklungsländer gehen und ihnen helfen, um dort eine
Entwicklung voranzutreiben, die dazu beiträgt, dass die
Welternährung nicht nur auf eine europäische oder nationale, sondern auf eine globale Säule gestellt wird. Ich
glaube, das ist der Kernauftrag, den wir in diesem Bereich haben.
({2})
Herr Seehofer, ich habe es schon angesprochen: Konzernschelte und Agrarwende sind im Grunde genommen
nicht hilfreich. Es ist auch nicht hilfreich, dass sehr unterschiedliche Botschaften aus der Bundesregierung
kommen. Frau Wieczorek-Zeul hat wohl ein Moratorium
gefordert. Heute Morgen im Agrarausschuss ist hinsichtlich des Biosprits genau das Gegenteil gesagt worden.
Wir müssen uns schon irgendwie darüber einigen und
verständigen, was wir dort vorantreiben wollen.
Ich glaube, wir können uns sehr schnell darauf einigen, dass der entscheidende Beitrag zur Verbesserung
der Situation in den angesprochenen Ländern Hilfe zur
Selbsthilfe ist. Wir müssen kleinbäuerliche Strukturen,
wo es sie gibt, weiterentwickeln und die Kleinbauern in
die Lage versetzen, einen eigenen Beitrag zur Ernährung
der Menschen vor Ort zu leisten. Ich bin mir mit Rupert
Neudeck völlig einig - am Montag hatte ich die Freude,
längere Zeit mit ihm zu diskutieren -: Wo kleinbäuerliche Strukturen vorliegen, wo Kleinbauern Marktanteile
erobern können, muss man es bei diesen Strukturen belassen. Das Schlimmste, was wir machen können, ist, so
weiterzumachen wie bisher, also unseren Nahrungsmitteln Exporthilfen an die Seite zu stellen; denn dadurch
zerschlagen wir die Strukturen, die in den Entwicklungsländern wachsen. Wir sollten nicht den Menschen
irgendetwas vorlegen und sagen: Nehmt es und strengt
euch selbst nicht mehr an! Das wäre ein völlig falsches
Vorgehen.
({3})
- Ja, lieber Kollege Zöllmer, wir machen das anders. Wir
waren in dieser Frage im Grunde genommen immer für
Wettbewerb; denn wir definieren Wettbewerb als etwas,
das Chancen eröffnet. Wir sind gegen Subventionen, die
den Wettbewerb verzerren. Das habe ich soeben zum
Ausdruck gebracht.
Lassen Sie mich die besonderen Chancen der Entwicklung in den ländlichen Räumen der Entwicklungsländer ansprechen. Ich glaube, dass das dortige Potenzial
genutzt werden muss. Kollege Addicks hat hundertprozentig recht, wenn er sagt: Die vorhandenen Brachen
müssen wir genauso auf den Markt zurückbringen wie
die stillgelegten Flächen in Europa. Die stillgelegten
Flächen in Europa dürfen schon in diesem Jahr genutzt
werden. Herr Seehofer, in diesem Punkt waren Sie nicht
so gut informiert, wie es notwendig gewesen wäre. Sie
meinen, man dürfe die Flächen nur in diesem Jahr nutzen. Wir werden aber darauf hinarbeiten, dass wir die
Flächen langfristig nutzen dürfen, damit wir in diesem
Bereich vorankommen.
Es ist überhaupt keine Frage: Die Entwicklungshilfe
stellt eine moralische, eine christliche Verpflichtung dar.
Es kann keine Frage sein, dass wir in diesem Bereich
Akzente setzen müssen. Für mich ist völlig klar: Vorrang
für den Teller und nicht für den Tank. Lassen Sie uns in
diesem Bereich Nägel mit Köpfen machen. Dabei sollte
es Vorrang haben, einen Beitrag dazu zu leisten, die
Welternährung insgesamt zu verbessern, damit wir den
Zielen, die wir uns selbst gesetzt haben, ein Stück näher
kommen. Gemeinsam werden wir es schaffen. Wenn wir
die Aufgaben auf mehrere Schultern verteilen, werden
wir erfolgreich sein.
Herzlichen Dank.
({4})
Das Wort hat die Bundesministerin für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie
Wieczorek-Zeul.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin Herrn Kollegen Goldmann sehr dankbar, dass er
die Diskussion auf diese Art geführt hat. Ich glaube
nämlich, das Drama einer möglichen Hungerkrise ist für
uns alle, für die Menschheit insgesamt, so bedrohlich,
dass sich in dieser Situation kleinliches parteipolitisches
Gezänk verbietet.
Wenn es stimmt, dass es sich, wie das Welternährungsprogramm meint, um einen „stillen Tsunami“ handelt, dann sollten wir gemeinsam alle Kräfte mobilisieren, um dazu beizutragen, dass diese Katastrophe nicht
eintritt.
({0})
Dabei sollten wir zu gemeinsamen Schlussfolgerungen
kommen.
({1})
- Wir müssen trotzdem handeln.
Ich muss Ihnen sagen: Es ist ein Skandal, dass es in
einer Welt, die unter vielerlei Gesichtspunkten reich ist,
dazu kommt, dass Mütter ihren Kindern nichts zu essen
kaufen können, weil sie nur 50 Cent pro Tag zur Verfügung haben. Es ist für mich und für uns alle von Bedeutung, dass wahrscheinlich 100 Millionen Menschen
mehr in Hunger und Armut fallen können. Wir alle haben uns doch gemeinsam vorgenommen, die Entwicklungsziele der Millenniumserklärung zu erreichen. Wir
müssen Kräfte mobilisieren, damit wir bei der Erreichung dieses Zieles nicht zurückfallen.
Die aktuelle Krise - das muss man sagen - kann die
Stabilität und den Frieden in vielen Ländern der Welt
ganz real gefährden; die Weltbank hat auf 33 solcher gefährdeten Länder verwiesen. Deshalb geht es zuallererst
darum, den betroffenen Menschen unmittelbar zu helfen.
Daher hat die Bundesregierung dem Welternährungsprogramm zusätzlich zum vorgesehenen Betrag von 23 Millionen Euro bereits eine Summe von 13 Millionen Euro
zur Verfügung gestellt. Angesichts der Not und des gestiegenen Bedarfs werden wir mit Unterstützung des
Finanzministers der Hungernothilfe jetzt weitere 10 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
({2})
Nach Rücksprache mit den Obleuten der Fraktionen
wird der Haushaltsausschuss noch heute Nachmittag
darüber entscheiden. Es geht um ganz praktische Hilfe
wie Lebensmittelcoupons, damit die betroffenen Menschen Nahrungsmittel kaufen können und damit insbesondere Kinder und Frauen vor Hunger bewahrt werden.
Es geht aber nicht nur um unmittelbare Hilfe, sondern
auch um eine ganze Reihe struktureller Fragen, insbesondere um die Nachfrage auf den Weltmärkten. Einer
der stärksten Preistreiber ist die Produktion von Biomasse für Agrarenergie. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, was wissenschaftliche Institute sagen. Das IFPRI
in Washington sagt, dass die Agrarenergieproduktion
- je nachdem, welches Szenario man zugrunde legt - bis
2020 zum Beispiel bei Mais zu Preissteigerungen zwischen 26 und 72 Prozent führen kann. Ich finde, dass wir
die Produktion von Agrarkraftstoffen in den Entwicklungsländern, für die Lebensmittel verbraucht werden,
auf den Prüfstand stellen müssen und damit Preissteigerungen verhindern, wenn diese Produktion eingestellt
wird. Das ist die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen
ist.
Ein zweiter Punkt ist der Klimawandel. Wir wissen,
welche Auswirkungen ein verändertes Klima auf die
Landwirtschaft haben wird.
Ein weiterer Punkt sind Investitionen in die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Über Jahrzehnte
- ich habe mit diesem Thema im Europäischen Parlament begonnen - haben Agrarexportsubventionen der
Industrieländer - keineswegs nur die der Europäischen
Union - dazu beigetragen, die Agrarproduktion in den
Entwicklungsländern zu schwächen. Wir müssen daraus
Schlussfolgerungen ziehen und die Produktion in den
Entwicklungsländern wieder voranbringen. Dafür müssen wir Unterstützung mobilisieren.
({3})
Ich möchte auch die Spekulationen an den Warenmärkten nennen. Auf der Suche nach lukrativen Anlagemöglichkeiten haben sich manche wieder auf die Agrarmärkte konzentriert. Wer den Hunger auf der Welt zum
Gegenstand von Spekulationen macht, handelt gegen die
Menschlichkeit. Wir alle sollten immer wieder darauf
hinweisen und entsprechende Schlussfolgerungen einfordern.
({4})
Wenn die strukturellen Ursachen tatsächlich bekämpft
werden sollen, gilt es, die Produktivität in der Landwirtschaft zu steigern, und zwar mit einem Crashprogramm
mit Zugang zu Krediten und Saatgut.
({5})
- Ich bin davon absolut überzeugt.
({6})
- Sie kennen mich nicht gut genug.
Wir müssen des Weiteren die Reformen in den Entwicklungsländern voranbringen. Einer unserer Schwerpunkte ist, für den Zugang zu Land, Wasser, Krediten,
Märkten und Beratung zu sorgen. Das sollte insbesondere für Frauen verwirklicht werden; denn sie sind diejenigen, die die ländliche Entwicklung voranbringen. Hier
wollen wir verstärkt tätig werden. Die Entwicklungsländer selbst müssen mehr in ihre nachhaltige ländliche
Entwicklung investieren; das ist völlig klar.
({7})
Wir werden in diesem Sinne unsere bilateralen Programme zur Förderung der ländlichen Entwicklung - die
jährlich ein Volumen von 577 Millionen Euro haben ausrichten. Die Weltbank hat zugesagt, das Gleiche zu
tun und die dafür zur Verfügung stehenden Mittel bis
zum Jahr 2011 zu verdoppeln.
Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Agrarkraftstoffen sagen. Hier besteht Handlungsnotwendigkeit. Die
geplante Pflicht zur Beimischung von Agrarkraftstoffen
in den Industrieländern hat - hier geht es auch um Subventionen; das konnte man auf der Klimakonferenz auf
Bali feststellen - zu einem massiven Run auf Mais, Getreide und Ölfrüchte für die Produktion von Energie zum
Zweck des Exports geführt. Ich weiß, das Argument lautet, es gehe dabei um 1 Prozent der Landfläche. Aber bei
Preissteigerungen wirken sich auch solche Margen entsprechend aus. Nehmen Sie doch zur Kenntnis, welche
Informationen wir jedenfalls vonseiten der einschlägigen
wissenschaftlichen Institute haben. Deshalb müssen für
Agrartreibstoffe dringend geeignete Zertifizierungssysteme entwickelt werden. Dort, wo es notwendig ist,
brauchen wir dann auch entsprechende Korrekturen.
Ich appelliere an dieser Stelle aber auch an Länder
wie Indien und Vietnam, die Exportstopps für Lebensmittel verhängt haben, zur Entschärfung der Lage beizutragen und den Export wieder freizugeben, weil durch
solche Exportstopps die Länder in ihrem Umfeld, die
schlechter dran sind - ganz besonders denke ich hier an
Bangladesch -, benachteiligt sind. Wir brauchen auf allen Märkten bessere Voraussetzungen für die Versorgung
von Menschen.
Letztlich, liebe Kolleginnen und Kollegen, können
wir es schaffen. Lassen Sie uns unsere Kräfte mobilisieren! Die sich anbahnende Katastrophe ist kein Naturereignis; wir können sie verhindern, und zwar mit jener
solidarischen Haltung, mit der wir dies in anderen Fällen
auch geschafft haben. Es geht um das Schicksal von
Menschen. Die gegenwärtige Krise ist ein Beleg dafür,
wie eng die Länder der Welt miteinander verflochten
sind. Niemand kann sich aus der Globalisierung zurückziehen; die Krise macht uns deutlich, dass wir als Teil
dieser globalisierten Welt unsere Verantwortung bei allen Veränderungen und möglichen Schwierigkeiten
wahrnehmen müssen.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. Lassen
Sie uns gemeinsam vorankommen!
({8})
Das Wort hat die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jetzige Welternährungssituation zeigt eines
ganz deutlich: den Wahnsinn des herrschenden kapitalistischen Weltwirtschaftssystems,
({0})
das alles zur Ware macht und in dem der Markt alles
zählt und die Menschen nichts zählen. Das muss auch
einmal deutlich angesprochen werden, wenn Sie hier
ständig von Strukturen sprechen.
({1})
Ein rohstoffhungriges System, in dem das Brot der
Armen im Tank der Reichen landet und Grundnahrungsmittel mittlerweile Spekulationsobjekte an der Börse
sind,
({2})
Millionen hungriger Menschen - nicht erst jetzt, wir leben seit Jahrzehnten mit Millionen hungernder Menschen -, die Klimaerwärmung, der Krieg um die Rohstoffe
({3})
und der Einbruch der Finanzmärkte zeigen eines ganz
deutlich: das Versagen der neoliberalen Globalisierung.
({4})
Jean Ziegler, der UN-Sonderbeauftragte für das Recht
auf Nahrung, sprach ganz klar vom „stillen Massenmord“ aufgrund der Strukturen des Weltmarktes.
({5})
Deshalb fordern wir schon seit langem eine grundlegende Änderung dieses Weltwirtschaftssystems; anders
lassen sich Hunger und Armut nicht ernsthaft bekämpfen.
({6})
Zu den Finanzmärkten, Frau Wieczorek-Zeul: Es ist
richtig, die Spekulationen wurden durch Gewinnerwartungen bei Böden und Agrotreibstoffen massiv angetrieben. Aber da langt eben kein Appell an die Moral. Wir
brauchen eine Regulierung der Finanzmärkte.
({7})
Wir halten eine Eindämmung dieser Spekulationen für
notwendig und setzen uns schon seit langem für ein Verbot der hoch spekulativen Hedgefonds ein, die, Frau
Künast, unter Rot-Grün zugelassen wurden.
({8})
Auch diese Strukturen müssen Sie einmal ansprechen;
denn damit sind wir tagtäglich konfrontiert.
Was die Agrarwirtschaft angeht, so setzen wir uns natürlich - ich glaube, das ist überfällig, Herr Seehofer 16428
für ein Moratorium bezüglich der Beimischungsquoten
von Biosprit ein. Aber auch wir wissen, dass das nicht
ausreicht, sondern dass wir mittelfristig an unsere Verbräuche heranmüssen. Wir müssen den Verbrauch der
fossilen Rohstoffe in Europa massiv senken. Das betrifft
die Automobilindustrie und viele andere Bereiche. Daran müssen wir glaubhaft herangehen, wenn wir etwas in
den Ländern des Südens verändern wollen.
({9})
Herr Seehofer, Sie haben die Nahrungsmittelkonzerne
kritisiert. Aber gerade die EU-Agrarpolitik, der Sie immer zugestimmt haben, hat mit massiven Agrarsubventionen gerade diese Konzerne stark gemacht. An wen gehen denn Agrarsubventionen? An Nestlé, an Philip
Morris; zum Teil ist gar nicht bekannt, wer alles subventioniert wird.
({10})
Deswegen setzen wir uns für einen Stopp bzw. eine Veränderung dieser Subventionen ein.
({11})
Das betrifft auch die Exportsubventionen. In vielen
Ländern des Südens konnten die Bäuerinnen und Bauern
mit den billigen Produkten aus der EU nicht mehr konkurrieren. Das ist seit Jahrzehnten so; das ist keine Entwicklung, die es erst seit kurzem gibt. Natürlich sind sie
nicht für die jetzigen Preissteigerungen verantwortlich,
aber sie haben diese Strukturen lange Zeit massiv beeinflusst. Wir müssen von diesen Strukturen weg.
({12})
Das gilt auch für die Handelspolitik. Auch die Handelspolitik hat in Jahrzehnten systematisch die Ernährungsgrundlage von Ländern des Südens kaputt gemacht. Ein Beispiel ist Haiti, wo es jetzt enorme
Hungerunruhen gibt. Haiti ist Mitte der 80er-Jahre durch
die Freihandelspolitik gezwungen worden, massiv die
Zölle zu senken; Haiti hat Billigimporte ins Land gelassen, und die eigene Produktion wurde zerstört. Jetzt ist
Haiti zu 80 Prozent von Nahrungsmittelimporten abhängig. Vor allem die Länder, die von Nahrungsmittelimporten abhängig sind, werden jetzt von den Weltmarktpreisen voll getroffen. Wir brauchen eine Veränderung
dieser Freihandelspolitik und einen Schutz der Märkte,
um eine eigenständige Entwicklung überhaupt erst zu ermöglichen.
({13})
Wenn wir hier von ländlicher Entwicklung sprechen,
dann bedeutet das auch, dass wir diese Bereiche schützen müssen, damit eine solche Entwicklung möglich
wird.
({14})
Wir setzen uns auch für die Modernisierung ein. Wir
wollen eine Steigerung der Produktivität und die Modernisierung der Agrarwirtschaft in den Ländern des Südens, und zwar ökologisch nachhaltig. Dazu braucht
man einen Schutz.
({15})
Dazu trägt die Handelspolitik, Frau Wieczorek-Zeul,
insbesondere was die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen anbetrifft, in unseren Augen nicht bei.
({16})
Diese Politik wird mittelfristig zu einer massiven Verschärfung von solchen Hungerkrisen führen, weil Sie
weiterhin die Märkte öffnen wollen. Ich kann Sie nur
auffordern: Setzen Sie sich dafür ein, dass die EPAs, die
Sie nach wie vor unterstützen, gestoppt werden und wir
neue Verhandlungen aufnehmen; denn die EPAs werden
den Freihandel massiv befördern.
({17})
Zum Schluss möchte ich noch ein Thema ansprechen,
das überhaupt noch nicht zur Sprache kam. Wenn wir
schon von Geldern sprechen
({18})
und mehr Finanzmittel in die ländliche Entwicklung stecken wollen, dann müssen wir auch den 500 Millionen
Dollar der Weltbank die Milliarden und Billionen an
Rüstungsausgaben gegenüberstellen. Das ist nämlich ein
regelrechter Skandal.
({19})
1,2 Billionen Dollar werden jährlich für die Rüstung
ausgegeben,
({20})
während wir nur 500 Millionen Dollar für die Hungerbekämpfung haben.
({21})
Die Bundesregierung zahlt jetzt 23 Millionen in das
World Food Programme ein, was zu begrüßen ist, aber
allein 40 Millionen Euro standen für die Tornados in Afghanistan sofort zur Verfügung.
Kollegin Hänsel, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. - Das ist ein Widerspruch,
den wir hier deutlich formulieren müssen. Für uns ist
ganz klar: Wir wollen ein Ende dieser Militarisierung
und der weltweiten Rüstungsspirale, um ernsthaft Hunger und Armut in der Welt zu bekämpfen.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Dr. Wolf
Bauer das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir alle kennen die jüngsten
Bilder aus Haiti und anderen Regionen dieser Welt.
Menschen schlagen sich nahezu und sind gezwungen,
um ihre Nahrungsmittel zu kämpfen. Das macht uns alle
sehr betroffen, das schockiert uns.
Was mich auch persönlich betroffen macht - das kann
ich Ihnen nicht vorenthalten -, ist die Art und Weise, wie
wir diese Debatte jetzt führen. Wir alle wissen, dass wir
ein Problem haben. Wir alle kennen auch viele Ursachen
dieses Problems. Aber dass wir jetzt mit Polemik und irgendwelchen Anschuldigungen an die Sache herangehen, bringt uns nicht weiter. Wenn gerade diejenigen, die
lange Zeit in Regierungsverantwortung und in führender
Position waren, von einer falschen Agrarpolitik sprechen, dann muss man natürlich darauf aufmerksam machen, dass das nicht ein Problem ist, das erst in den letzten Jahren entstanden ist.
Es ist einfach gut, dass wir uns dieses Millenniumsziel gesteckt haben und wir die Anzahl der Hungernden
halbieren wollen. Das ist doch richtig und gut. Dass die
Anzahl der Hungernden heute noch viel zu hoch ist, ist
auch richtig. Lassen Sie uns doch gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, dass wir da weiterkommen!
({0})
Die FAO hat mitgeteilt, dass die Lebensmittelpreise
zum Teil gewaltig in die Höhe gegangen sind; beispielsweise sind der Preis von Reis um 75 Prozent und der
Preis von Weizen um 120 Prozent gestiegen. Was die
Frau Ministerin gesagt hat, ist richtig: Man muss einmal
nach den Ursachen dafür fragen und versuchen, diese
Ursachen zu bekämpfen. Ich glaube, das sind die richtigen Ansatzpunkte. Wir sollten versuchen, auf diesem
Weg voranzukommen.
Man sollte auch einmal Positives herausstellen: Soforthilfen sind zur Verfügung gestellt worden; das Welternährungsprogramm ist aufgestockt worden; gerade
Deutschland hat hier einiges getan. Man sollte nicht immer nur kritisieren, sondern auch darauf hinweisen, wie
wir weiterkommen.
Soforthilfen sind nichts, womit wir uns begnügen
können. Wir müssen Ausschau halten, was mittel- und
langfristig getan werden kann. Auch hier kennen wir die
Probleme, die diese Katastrophe letztendlich verursacht
haben. Herr Minister Seehofer hat einige dieser Probleme genannt, etwa den Anstieg der Weltbevölkerung;
jährlich gibt es 80 Millionen Menschen mehr. Das ist natürlich eine riesige Herausforderung, die wir mit neuen
Ideen und neuen Programmen zu bewältigen versuchen
müssen.
Hier wurde eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten gefordert. Wir können doch niemandem, weder
Chinesen noch Indern, verbieten, Fleisch zu essen. Auch
diese Menschen wollen Fleisch essen.
({1})
- Wir sollten niemandem diktieren, was er zu tun und
was er zu lassen hat.
({2})
Sie wollten auch einmal erreichen, dass jeder pro Jahr
nur einmal fliegen darf und Ähnliches. Lassen Sie uns
doch versuchen, die Probleme anders als durch Restriktionen zu lösen!
Desertifikation ist ein riesiges Problem. Wahrscheinlich hat sich jeder von Ihnen schon einmal mit der Problematik Aralsee beschäftigt. Das, was da passiert, muss
nicht sein. Auch hier könnten wir gemeinsam versuchen,
durch mehr Druck weiterzukommen.
Ich möchte noch einige Möglichkeiten ansprechen,
wie man auf die vorhandenen Probleme noch intensiver
eingehen kann. Für mich ist ein ganz wesentlicher Ansatzpunkt - wir können ihn vielleicht noch stärken - das
gesamte Mikrofinanzwesen. Ich glaube, hier haben wir
bisher schon Erfolge gehabt. Auf diesem Gebiet weiterzuarbeiten, wäre ein unheimlich positiver Ansatz. Ich
fordere uns alle auf, hier noch mehr Anstrengungen zu
unternehmen.
Die kleinen Bauern können Saatgut oder Landmaschinen erwerben, wenn man ihnen durch Kleinkredite
das entsprechende Geld zur Verfügung stellt.
({3})
Wichtig ist natürlich auch, dass wir versuchen, den
Kleinbauern durch direkte Hilfen noch mehr Land zur
Verfügung zu stellen. Hier müssen wir vielleicht noch
mehr Anstrengungen unternehmen.
Wie bereits angesprochen, müssen wir für eine bessere Infrastruktur in ländlichen Gebieten sorgen: mehr
Straßen, mehr Märkte, besseres Wassermanagement.
Was nützen Produkte, wenn sie nicht zu Verkaufsstellen,
also auf Märkte, gebracht werden können? Eine bessere
Infrastruktur ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Ich möchte nicht versäumen, auf die Bioenergie einzugehen. Unser Problem war, dass wir uns zu voreilig
auf konkrete Vorgaben festgelegt haben. Vielleicht hätten wir das Ganze global betrachten müssen. Wir hätten
überlegen sollen, wie wir geschickter vorgehen können.
Es ist immer wieder von den 1,5 Milliarden Hektar
Ackerfläche die Rede gewesen. Beängstigend sind eigentlich Zahlen, die Folgendes besagen: Wenn wir
wollen, dass die vorhandene Bevölkerung unser Ernährungsniveau bekommt, dann müsste es zusätzlich 2,5 Milliarden Hektar Ackerfläche geben. Dabei ist die demografische Entwicklung gar nicht berücksichtigt. Diese
Probleme müssen wir mit neuen Technologien, mit Effizienzsteigerungen und anderem zu lösen versuchen.
({4})
Wenn wir über Biomasse usw. reden, ist für mich unheimlich wichtig, das ganze Zertifizierungsproblem anzusprechen. Vor allem geht es darum, dass Sozialstandards eingebaut werden. Das sollte geschehen, ohne dass
die Bevölkerung in Lateinamerika oder anderswo darunter leidet, dass wir berechtigterweise versuchen, etwas
für unsere Umwelt zu tun, indem wir Biomasse umweltschützend einsetzen.
Ich habe Ihnen einige Probleme aufgezeigt. Schade,
dass man in einer solchen Aktuellen Stunde nur so wenig
Zeit hat. Wir haben viele gute Ansatzpunkte, die wir herausarbeiten müssen. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass wir weiterkommen. Wenn wir das tun, dann
können wir dieses Problem - viele haben es vorher gesagt - lösen. Davon bin ich überzeugt.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Thilo Hoppe das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, es geht hier nicht um parteipolitisches
Gezänk. Ich will Ihrem Aufruf gern folgen, aber wir
kommen nicht darum herum, sehr kritisch und auch
selbstkritisch zu fragen: Was ist eigentlich schiefgelaufen?
({0})
Im Jahr 2000 wurde von allen Staatsoberhäuptern der
Welt feierlich das Ziel proklamiert, die Zahl der Hungernden bis 2015 zu halbieren. Wir machen aber überhaupt keine Fortschritte in der Richtung. Es geht in die
völlig falsche Richtung. Kontinuierlich steigt der Zahl
der Hungernden.
Morgen Nacht gibt es im ZDF einen Dokumentarfilm
mit dem Titel „Hunger und Wut“. Darin wird die Frage
gestellt: Was hat sich eigentlich geändert? Was ist Neues
passiert? Seit Jahrzehnten hungern etwa 850 Millionen
Menschen still vor sich hin. Das Problem ist kaum wahrgenommen worden - außer in den Abenddebatten des
AWZ. Was also ist passiert, dass plötzlich das Thema
überall auf der ersten Seite steht und diskutiert wird?
Mehrere Faktoren sind zusammengekommen und haben das Problem eskalieren lassen. Zum ersten Mal erreicht es in den Schwellen- und Entwicklungsländern
auch die Mittelklasse, die ersten Steine fliegen, es
kommt zu ersten Unruhen, und plötzlich reagiert auch
die Weltöffentlichkeit.
In der Krise liegt auch eine Chance, nämlich die, dieses wichtige Thema breiter zu diskutieren. Wie gesagt,
wir kommen nicht darum herum, kritisch, auch selbstkritisch, zu fragen: „Was ist falsch gelaufen?“, wirklich
kräftige Kurskorrekturen anzumahnen: in der Agrarpolitik - das hat die Kollegin Renate Künast schon getan -,
({1})
aber auch in der Entwicklungspolitik.
In den Zielen sind wir uns einig. Wir haben im AWZ
mehrere Anhörungen mit Jean Ziegler, mit internationalen Wirtschafts- und Agrarexperten durchgeführt, wir
haben mehrere Anträge diskutiert - immer mit dem Ziel,
mehr im Bereich der ländlichen Entwicklung zu tun. Es
ist aber nicht geschehen. Ganze 3,1 Prozent der Mittel
für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit gehen
direkt in den ländlichen Sektor, kommen direkt Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zugute, die Grundnahrungsmittel anbauen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Es sind dort falsche Strategien gefahren worden.
Auch die Afrika-Strategie des BMZ ist ganz stark auf
das Exportgeschäft ausgerichtet - bei Vernachlässigung
des Anbaus von Grundnahrungsmitteln für die dort lebenden Menschen. Ich bin froh, wenn es jetzt zur Einsicht und zu Kurskorrekturen kommt; denn die sind absolut bitter notwendig - überlebensnotwendig.
({2})
In der Diskussion heute sind viele Argumente zusammengemixt worden. Oft wurde Ursache und Wirkung
verwechselt. In einigen Interviews wurde sogar gesagt:
Dadurch, dass wir die Agrarexportsubventionen senken,
haben die Menschen nichts mehr zu essen; in Haiti etwa
gibt es jetzt keine billigen Lebensmittel mehr. - Das ist
so wie im folgenden Fall: Wenn man einen Menschen
drogenabhängig macht und der Dealer dann plötzlich
den Stoff verweigert, dann führt das natürlich zunächst
zu einer Krise.
({3})
Da wird doch wirklich Ursache und Wirkung verwechselt!
Was ist durch die Agrarexportsubventionen geschehen? Wir haben nicht nur die Kleinbauern entmutigt, wie
das hier schon gesagt wurde; wir haben ganze Märkte
zerstört. Wir haben Tausende von Kleinbauern in den
Ruin getrieben,
({4})
indem Hähnchenteile, Tomatenmark, Milchpulver, Getreide - alles hoch subventioniert! - auf den Märkten der
sogenannten Dritten Welt abgekippt wurden.
Auch bei der Tortillakrise, die originellerweise ständig zitiert wird, geht einiges durcheinander. Was ist passiert? Mexiko war einst ein Land, das Mais sogar exportieren konnte, war das Heimatland vom Mais. Dann gab
es die Freihandelszone NAFTA - Herrn Goldmann sage
ich: Freihandel löst nicht alle Probleme, sondern schafft
auch manche Probleme -,
({5})
und der Markt ist mit hochsubventioniertem US-amerikanischen Mais überschwemmt worden. Das hat die
Landwirtschaft in Mexiko in den Ruin getrieben und ein
Exportland plötzlich zum Importland gemacht.
Neuerdings kippen die Amerikaner ihren Mais lieber
in den Tank.
({6})
Das führt zu einem starken Anstieg der Preise, und die
armen Mexikaner können sich die Tortilla nicht mehr
leisten.
Für den Übergang ist das ein großes Problem, aber
auch darin liegt eine Chance. Jetzt könnte die Agrarproduktion in Mexiko wieder angekurbelt werden.
({7})
Es gibt neue Chancen für die Landwirtschaft in Mexiko,
diesen Sektor wieder aufzubauen.
({8})
- Nicht nur in Mexiko, sondern auch - das haben schon
einige Vorredner gesagt - in vielen anderen Ländern.
Jetzt kommt es nicht darauf an, alle unsere stillgelegten Flächen wieder zu aktivieren, Herr Seehofer. Wir
können nicht mit Nahrungsmittellieferungen von Europa
aus das Problem des Hungers in anderen Teilen der Welt
lösen.
({9})
Es kommt jetzt darauf an, die Agrarproduktion in den
Ländern, die vom Hunger betroffen sind, wieder anzukurbeln, aber bitte schön mit Methoden, wie sie jetzt im
Weltagrarbericht vorgestellt wurden, also nicht mit massivem Einsatz von Pestiziden und Insektiziden, Gentechnik, Chemiedünger usw. Das schafft nämlich wieder
weitere Umweltprobleme, mergelt die Böden aus und
heizt das Klima an.
({10})
Jetzt ist es wirklich notwendig, mit angepassten, nachhaltigen Methoden die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu unterstützen, also den Agrarproduzenten in den
Ländern, in denen Hunger herrscht, wirklich Hilfe zur
Selbsthilfe zu geben. Dies darf nicht durch eine verfehlte
Agrar- und Subventionspolitik torpediert werden.
({11})
Ich habe jetzt leider einige wichtige andere Argumente in der Kürze der Zeit nicht mehr aufgreifen können, diese seien nur ganz kurz im Stakkato genannt:
Das, was momentan passiert, ist auch die Folge von
bodenloser Spekulation. Viele Entwicklungen lassen
sich eigentlich gar nicht nachvollziehen. Nur auf
1,9 Prozent der Anbaufläche werden Energiepflanzen
angebaut. Trotzdem sei diese Produktion nach IFPRI für
30, 40 oder gar 50 Prozent der Preisentwicklung verantwortlich.
Kollege Hoppe, trotz dieses Tricks ist die Zeit wirklich abgelaufen.
Diese Entwicklung kann also nur die Folge von ausufernden Spekulationen sein. Das ist eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen.
Ich danke Ihnen.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Sascha
Raabe das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Herr Hoppe, Sie haben gesagt, dass bei
der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit ein Fehler gemacht wurde, indem nur ein
kleiner Anteil für den Kern der ländlichen Entwicklung
zur Verfügung gestellt worden sei. Wenn man die genannten 3,1 Prozent umrechnet, käme man auf einen Betrag, der bei ungefähr 60 Millionen Euro liegt. Wir geben aber in Wirklichkeit fast 600 Millionen Euro im
Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit
für die ländliche Entwicklung aus. Wir verstehen darunter nämlich nicht nur die Lieferung von ein paar Schaufeln, sondern etwas viel Umfassenderes.
Es hätte ja auch in den letzten Jahren angesichts der
ganz geringen Preise, die Landwirte in den Entwicklungsländern für ihre Produkte erzielen konnten, nur wenig Sinn gemacht, wenn wir angefangen hätten, sie für
die Bebauung ihrer kleinen Schollen mit Gerätschaften
auszurüsten.
Ihrer Aussage, Herr Bundesminister Seehofer, dass
die Exportsubventionen nicht die Ursache für die jetzigen Probleme sind, kann ich nur entgegenhalten: Da liegen Sie wirklich falsch. Das haben wir aber in der politischen Auseinandersetzung schon vor Jahren gesagt.
({0})
Es ist schon so, dass aufgrund der Subventionspolitik der
Industrieländer, für die immerhin 370 Milliarden USDollar pro Jahr aufgewendet werden - die OECD-Länder geben also pro Tag mehr als 1 Milliarde US-Dollar
für den Agrarsektor aus -, in Entwicklungsländern, in
denen aufgrund der klimatischen Bedingungen Produkte
eigentlich bestens angebaut werden könnten, kaum noch
Anbau stattfindet. Vorhin wurde zu Recht das Beispiel
Haiti genannt. Hier herrschen hervorragende klimatische
Bedingungen für den Anbau, aber auf Haiti werden nur
noch 10 Prozent der benötigten Nahrungsmittel selbst
angebaut, während 90 Prozent importiert werden, so insbesondere subventionierter Reis aus den USA. Genauso
verhält es sich auch in Ghana und anderen Teilen Afrikas, wo Geflügel- und Milchprodukte aus Europa den
Markt überschwemmen.
Vor diesem Hintergrund könnte man einem Bauern
noch so viele Traktoren geben, seine Produktionskosten
würden trotz der niedrigen Arbeits- und Lohnkosten immer über den Erträgen liegen, die er für seine Produkte
auf den Märkten erzielen könnte, weil Produkte zu Dumpingpreisen in den lokalen Supermärkten verkauft wurden. So paradox stellte sich die Situation in den letzten
Jahren dar. Deswegen ist eine Importabhängigkeit entstanden, die diese Länder verwundbar machte. Deshalb
leiden dort jetzt so viele Menschen.
Wir müssen jetzt die Chance ergreifen und die Bauern
dort wieder in die Lage versetzen, mehr Produkte anzubauen. Jetzt ist nämlich der Zeitpunkt, massiv Mittel in
die Hand zu nehmen, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
Das Ministerium hat ja auch angekündigt, dies tun zu
wollen.
({1})
Wir müssen also den Landwirten Anreize geben, wieder
mehr in die landwirtschaftliche Produktion zu investieren.
Es hat mich deshalb schon ein wenig erzürnt, als der
Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Herr
Sonnleitner, vor zwei Tagen im „Morgenmagazin“ gesagt hat, die Ursache für die Misere liege darin, dass die
Bauern in den Entwicklungsländern ihre Höfe verlassen
hätten, statt in die landwirtschaftliche Produktion zu investieren. Gerade Herr Sonnleitner ist doch einer derjenigen, die da an der Spitze stehen, was die Forderung
nach Agrarsubventionen angeht. Und die horrend hohen
Agrarsubventionen sind daran schuld, dass in den Entwicklungsländern die Bauern ihre Höfe verlassen mussten, weil sie ihre Familien nicht mehr ernähren konnten.
Ich halte es für sehr bedenklich, wenn denen quasi ein
Täter vorwirft, dass sie nichts investiert hätten. Auch das
gehört zur Ehrlichkeit in der Debatte.
({2})
Es geht darum, überall gegen Raubtierkapitalismus
vorzugehen. Ich unterstütze Herrn Sonnleitner ausdrücklich, wenn er auch einmal die Billigsupermarktketten in
den Blick nimmt, was die Milchpreise für die deutschen
Milchbauern angeht. Auch ich bin dafür, dass kleine
bäuerliche Betriebe in Deutschland faire Preise für die
Produktion hier bekommen. Vollkommen d’accord!
Aber wir müssen nicht die Welt mit unseren Produkten
beglücken. Es gibt in Europa genügend Markt. Das müssen wir nicht exportieren. Deswegen ist solch ein Raubtierkapitalismus überall abzulehnen.
Die Ministerin, Herr Hoppe und andere sind bereits
auf die Spekulationen im Bereich der Nahrungsmittelhilfe eingegangen. Die Welt ist kein Spielkasino und
kein Zockerparadies. Wer mit Nahrungsmittelpreisen
spekuliert, spielt mit dem Leben von Menschen. Diese
Art von Kapitalisten haben wir einmal Heuschrecken genannt. Jetzt fressen diese Heuschrecken den Ärmsten der
Armen die Felder leer. Hier müssen wir alle einen Riegel
vorschieben, damit das verhindert wird. Die Bekämpfung dieser Krise geht uns alle an,
({3})
denn Unruhen, die jetzt entstehen, gefährden die internationale Sicherheit. Hunger ist ein idealer Nährboden für
Terroristen und Kriegstreiber. Es ist allemal besser, Mais
und Weizen zu säen als Hass und Extremismus. Deswegen müssen wir die Zusagen, die wir international gegeben haben - es ist schon viel von den Millenniumsentwicklungszielen geredet worden; da haben wir uns
gemeinsam mit anderen Ländern verpflichtet, unseren
Anteil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit
auf 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens bis 2015
zu steigern -, auch angesichts dessen, dass Menschen
täglich verhungern, einhalten. Das ist allemal billiger als
die 1 000 Milliarden US-Dollar,
({4})
die derzeit pro Jahr für Militär
({5})
oder für Agrarsubventionen ausgegeben werden. Lassen
Sie uns ein faires Welthandelssystem schaffen!
Frau Hänsel, es ist falsch, Länder vom Welthandel abzuschotten. Auch die am wenigsten entwickelten Länder
- das wurde bereits angesprochen -, die quoten- und
zollfreien Marktzugang hatten, haben nie etwas davon
gehabt, wenn sie nicht auch in die Lage versetzt wurden,
zu exportieren. Es haben sich immer die Länder am besten entwickelt,
({6})
wie die südasiatischen Länder, die ihre Märkte graduell
geöffnet und in den Weltmarkt integriert haben.
({7})
Die konnten sich auch gut entwickeln.
({8})
Abschottung hilft nicht, aber es hilft auch nichts, die
Märkte zu öffnen, wenn man mit dumpingsubventionierten Gütern konkurrieren muss. Von daher brauchen wir
ein faires Welthandelssystem und vor allem Geld,
Herr Kollege Raabe, achten Sie bitte auf die Redezeit.
- um Menschen zu helfen, sich selbst zu helfen. In
dem Sinne glaube ich, dass wir ein gemeinsames Ziel
haben und vorankommen werden.
Danke.
({0})
Das Wort hat die Kollegin Sibylle Pfeiffer für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mein Kollege Thilo Hoppe hat dazu aufgefordert, kritisch zu hinterfragen. Ich möchte zunächst ganz kurz das
Thema dieser Aktuellen Stunde kritisch hinterfragen. Es
lautet:
Überfällige Strategien der Bundesregierung zur Lösung der Welternährungskrise.
Liebe Freunde, ich finde, wir Deutsche sind ein bisschen anmaßend und überheblich. Bilden wir uns doch
bitte nicht ein, dass wir als Deutsche die Welternährungskrise lösen können. Das geht nur gemeinsam. Wir
alle unterliegen internationalen Mechanismen. Diese
sind bereits genannt worden; ich brauche sie daher nicht
zu wiederholen. Deutschland ist natürlich daran beteiligt
und muss mitmachen. Wir müssen aber gemeinsam
Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu lösen.
({0})
Insbesondere gefallen mir nicht die Worte „überfällige Strategien“. Ich rede hier von ländlicher Entwicklung. Strategie ist immer etwas Mittel- oder sogar Langfristiges. Hier fehlt mir ein bisschen die
Verantwortlichkeit von Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, die das Thema ländliche Entwicklung im Bereich der Entwicklungspolitik über Jahre hinweg überhaupt nicht beachtet haben.
({1})
Ich komme auf das Thema Entwicklungspolitik zu
sprechen, weil ich glaube, wir als Entwicklungspolitiker
haben eine besondere Verantwortung, aber wir sind auch
diejenigen, die sehr wohl dazu beitragen können, zu helfen. Wir Entwicklungspolitiker haben eine Verantwortung, können das aber nicht alleine. Wir müssen auch
unsere Partnerländer mit in die Verantwortung nehmen.
Die Partnerländer können ihre Verantwortung wahrnehmen, so sie wollen.
Das wichtigste Thema in dem Zusammenhang ist
Good Governance. Ein Unterthema, das mir dabei einfällt, ist die ländliche Entwicklung. Als weiteres Thema
fällt mir das Thema Landbesitz ein.
Ich möchte Ihnen, weil einige von uns kürzlich da waren, als Beispiel Bangladesch nennen. Bangladesch ist
durch die zwei großen Flüsse Brahmaputra und Ganges,
die jährlich für Überschwemmungen sorgen, nicht unbedingt im Vorteil. Aber Bangladesch könnte, weil es klimatisch begünstigt ist, mit drei Ernten pro Jahr seine Bevölkerung eigentlich selber ernähren. Die Bauern dort
haben jedoch keinen Landbesitz. Landbesitz haben nur
einige Feudalherren und der Staat. Wenn der Staat das
Thema Good Governance ernst nähme, würde dort über
das Thema Landbesitz diskutiert. Durch Landbesitz
könnte man die eigene Ernährung in jedem Fall in den
Griff bekommen. Das hat im Übrigen etwas mit politischem Willen
({2})
und mit Good Governance zu tun. Dort, wo zurzeit
Unruhen stattfinden - ich nenne nur Haiti -, ist Good
Governance ein sehr wichtiges Thema.
({3})
Liebe Freunde, im Zusammenhang mit dem Thema
Landbesitz bin ich - da finde ich mich unterstützt von
den Kollegen in meiner Fraktion, aber auch von allen
Kollegen in meinem Ausschuss ({4})
wieder einmal beim Thema Frauen. Nicht einmal die
Männer haben Landbesitz, und das gilt erst recht für die
Frauen. 80 Prozent der Frauen sind für die Ernährung ihrer Familien verantwortlich; aber nur 2 Prozent der
Frauen haben Landbesitz.
Wir reden in diesem Zusammenhang im Übrigen auch
über Erbrecht. All das hat etwas mit Good Governance,
mit politischem Willen und auch mit kommunaler
Selbstverwaltung zu tun. Kommunale Selbstverwaltung
heißt nämlich, dass wir von oben nach unten verteilen.
Das heißt auch, dass wir Verantwortung von oben nach
unten verteilen. Dafür zählen wir aber nicht nur in den
Gemeinden die Einwohner und erstellen Wählerlisten;
vielmehr bedeutet das auch, sich Gedanken darüber zu
machen, wie in den Ländern ein Kataster und ein Grundbuch eingeführt werden kann, um die eigene Verantwortlichkeit für den Landbesitz zu dokumentieren und um
Erbbaurecht möglich zu machen.
({5})
All das hängt mit der Frage zusammen, wie ein Land geführt wird. Da ist Good Governance immer noch das
Thema Nummer eins.
In all diesen Bereichen helfen wir mit unseren NGOs,
aber auch mit unseren Durchführungsorganisationen wie
der GTZ, vor allen Dingen wenn es darum geht, kommunale Strukturen aufzubauen. Ich glaube, wir sind da erfolgreich und gut. Wenn wir auf diese Art und Weise
weiterarbeiten, bekommen wir das Bevölkerungsproblem und parallel dazu das Welternährungsproblem in
den Griff. Aber dazu brauchen wir die Mitwirkung der
Partnerländer; deren Verantwortung müssen wir einfordern.
({6})
Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch nie wurde so viel geerntet wie 2007. Gegenüber
2006 haben wir ein Plus von 4,7 Prozent bei Getreide,
und in diesem Jahr wird ein weiterer Zuwachs erwartet.
Dies prognostiziert jedenfalls die FAO. Gleichzeitig
wurde in Ägypten nach Protesten der Bevölkerung die
Armee zum Brotbacken abkommandiert, in Bangladesch
gab es Straßenschlachten, in Kamerun starben 24 Menschen bei Unruhen, in Haiti gab es Straßenschlachten,
und in Paraguay wurde die Regierungspartei abgewählt,
die über 60 Jahre an der Macht war. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, dieser Widerspruch ist Ausdruck der
Komplexität dieses Themas.
Zu den Ursachen ist heute hier schon viel gesagt worden. Für mich gibt es einen Punkt, den ich am Rande
einmal erwähnen möchte. Es geht um das - ich will es
einmal so formulieren - „Lebensmittel kommen aus dem
Supermarkt“-Syndrom. Landwirtschaft gilt vielfach als
„uncool“. Landwirtschaft ist häufig ein politisches
Randthema - auch bei uns ({0})
und wird bestenfalls im Rahmen der TV-Serie „Bauer
sucht Frau“ mit großer medialer Aufmerksamkeit registriert. Dieses „Landwirtschaft ist nicht cool“-Syndrom
gibt es auch in abgewandelter Form in vielen Entwicklungsländern. Da entstehen Wohnsiedlungen, Fabriken,
Einzelhandelszentren und Golfplätze. Für Industrieförderung und moderne Dienstleistungen stehen Mittel zur
Verfügung. Aber einheimische Nahrungsmittelpflanzen
und bäuerliche Landwirtschaft müssen hingegen sehen,
wo sie bleiben.
Biotreibstoff gilt vielfach als Zukunft, was die Sicherung der Mobilität angeht. Die „Treibstoffe des Alltags“
für die Menschen, die Grundnahrungsmittel, werden vernachlässigt. Die Folgen dieser weltweit falschen Prioritätensetzung holen uns jetzt ein. Viele Länder, besonders in der Dritten Welt, sind in den letzten Jahrzehnten
von Selbstversorgern zu Importeuren von Grundnahrungsmitteln geworden.
({1})
Der Prozess weltweit ständig sinkender Nahrungsmittelpreise bei wachsenden Produktionsmengen hat sich
abrupt umgekehrt. Explodierende Energiepreise, Wetterextreme und Spekulanten, die neue und lukrative Anlagemöglichkeiten entdecken, haben diese Prozesse massiv verstärkt.
Hinzu kommen deutliche Veränderungen auf der
Nachfrageseite. Die Nachfrage an Lebensmitteln ist
dank der Steigerungen der Einkommen von Indern und
Chinesen deutlich gestiegen. Das Stichwort Fleischkonsum ist bereits gefallen. Das bedeutet aber: Mehr Futtermittel und größere Anbauflächen müssen für die Fleischproduktion bereitgestellt werden. Aus 100 Kalorien
Getreide werden 10 Kalorien Fleisch. 90 Prozent der geernteten Nahrungskalorien gehen dadurch verloren.
Rein rechnerisch wird genug Getreide produziert, um
alle Menschen ausreichend zu ernähren. Aber das gilt
eben nur rein rechnerisch. In manchen Ländern geht bis
zu einem Drittel der Ernte durch falsche Lagerung und
durch Schädlinge verloren. In vielen Entwicklungsländern ist die Transportinfrastruktur völlig marode, was
entsprechende Auswirkungen auf die Versorgung der
Bevölkerung hat.
({2})
Der Klimawandel und der Wassermangel werden in Zukunft die Produktion von Grundnahrungsmitteln weiter
beeinträchtigen. Die Konkurrenz von Tank und Teller
steht erst am Anfang.
Zur Steigerung der Weltbevölkerungszahl ist schon
etwas gesagt worden. Jede Sekunde wächst die Bevölkerung auf der Erde um einen Menschen. In 40 Jahren werden über 9 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Die
Nachfrage nach Nahrungsmitteln wird weiter ganz stark
steigen.
Was ist zu tun? In welche Richtung muss es gehen?
Es ist heute schon viel Richtiges gesagt worden. Wir
müssen - das muss an erster Stelle stehen - verstärkt die
ländliche Entwicklung fördern. Der Fokus der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit muss darauf gerichtet
werden.
({3})
- Danke. - Wir brauchen darüber hinaus - das ist genauso wichtig - Investitionen in landwirtschaftliche Produktivität in den Entwicklungsländern. Gentechnik ist
dabei ein Irrweg.
({4})
Gerade einheimische und gut angepasste Nahrungsmittelpflanzen müssen gefördert werden. In diesem Bereich
brauchen wir verstärkt eine Förderung.
({5})
- Wir haben überhaupt nichts gegen Biotechnologie. Ich
habe von Gentechnik gesprochen. Wenn Sie sich einmal
anschauen, wie weit die Forschung ist, dann werden Sie
feststellen: Die Gentechnik leistet zurzeit überhaupt keinen Beitrag zur Lösung der Probleme.
({6})
Wir brauchen verbesserte Anbaumethoden. Wir brauchen Programme zur Expansion der Produktion. Die
Vermarktung der Produkte muss verbessert werden. Es
muss in die ländliche Infrastruktur investiert werden, um
Ernteverluste zu verringern.
Für Biotreibstoffe brauchen wir Zertifizierungssysteme. Wir brauchen natürlich auch faire Handelsbedingungen - ich sage das ausdrücklich - für Agrarprodukte.
Agrarexportsubventionen gehören dabei in die Mülltonne für überlebte handelspolitische Instrumente.
({7})
Handelspolitik muss aber auch ein Geben und Nehmen sein.
Kollege Zöllmer, achten Sie bitte auf die Redezeit.
Der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick, hat zu
Recht einen „new deal for global food policy“ gefordert.
Die wichtigste Voraussetzung dafür ist es allerdings, der
Landwirtschaft wieder einen höheren Stellenwert zu geben. Lebensmittel kommen nicht aus dem Supermarkt.
Sie müssen produziert werden. Dafür müssen die Bedingungen stimmen.
({0})
Vielen Dank.
({1})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Peter
Bleser das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Frau Künast, ich war enttäuscht von Ihrer Rede; denn
Sie haben sich an Details abgearbeitet. Sie haben keine
Analyse vorgenommen und - das ist noch schlimmer keine Lösung angeboten. Sie haben hier zehn Minuten
- so ist es mir jedenfalls vorgekommen - herumschwadroniert,
({0})
aber keine Linie erkennen lassen, wie man ein Problem,
das wirklich drängend ist, löst.
({1})
Deswegen liegt mir daran, einmal die Fakten aufzuzeigen. Wir haben heute 6,7 Milliarden Menschen auf
dem Globus. 80 Millionen kommen jährlich hinzu; 2025
werden es 8 Milliarden sein. Es gibt Veränderungen bei
den Verzehrgewohnheiten; Kollege Zöllmer hat es vorhin gesagt. In den Schwellenländern China und Indien
werden mehr Fleisch und Milch verbraucht. Das bedarf
mehr Fläche, weil für die Erzeugung auch Getreide nötig
ist. Wir haben die Erderwärmung; dies ist noch gar nicht
angesprochen worden. Der Faktor Wasser ist im Hinblick auf die Ausdehnung der Produktion ein Mangelfaktor. Auch deswegen gab es in den letzten Jahren Ernteausfälle.
({2})
Frau Künast, es gab Extensivierungs- bzw. Stilllegungsprogramme. Auch damit werden wir nicht mehr
Nahrungsmittel erzeugen.
({3})
Wenn die 1,5 Milliarden Hektar Ackerflächen auf der
Welt ohne Dünger und Pflanzenschutz genutzt würden,
würden die Menschen an Hunger sterben.
({4})
Es geht nicht ohne diese Form der effizienten Produktion.
Wir haben auch nationale Probleme, die wir nicht gelöst haben. Wir verbrauchen pro Tag 110 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche. Das muss reduziert werden auch in Form von weniger Ausgleichsflächen. Daran
müssen wir arbeiten, und dazu stehen wir.
({5})
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul, Sie haben es zu
Recht angesprochen: Wir müssen die ländliche Entwicklung in den einzelnen Ländern stärken. Dort, wo die
Menschen hungern, müssen Nahrungsmittel produziert
werden. Deswegen ist es nicht gut gewesen, dass die
Vorgängerregierung die Ausgaben für die ländliche Entwicklung und Welternährung von 648 Millionen Euro in
1998 auf 360 Millionen Euro in 2004 zurückgeführt hat.
({6})
Gott sei Dank werden diese Mittel, Frau Ministerin, jetzt
wieder auf 577 Millionen Euro erhöht. Ich werbe sehr
dafür, dass wir sie innerhalb des Etats weiter aufstocken;
denn das ist sehr sinnvoll ausgegebenes Geld.
({7})
Aber auch nach dieser Analyse ist nicht zu übersehen,
dass es eine Parallelentwicklung gibt: Ein Barrel Erdöl
hat 1998 zu seinem Tiefstand 10 Dollar gekostet. Heute
sind wir bei 114 Dollar. Das hat Konsequenzen. Das
führt dazu, dass Ackerflächen in den Ländern, in denen
die Erträge höher sind, in Südamerika und in Nordamerika, natürlich ohne staatliche Hilfen zur Energieerzeugung genutzt werden können. Auch das ist eine Konkurrenzsituation, die wir nicht verkennen dürfen.
Meine Damen und Herren, wir müssen auch erkennen
- das ist ein Vorwurf, den ich keiner einzelnen Fraktion
machen möchte -: Wir haben übersehen, dass seit 1999
mit Ausnahme eines Jahres die Ernte nie so hoch war
wie der Bedarf. Es gab einen Abbau der Bestände von
knapp 600 Millionen Tonnen in 1999 auf 335 Millionen
Tonnen in 2007. Für die Ernte 2008 haben wir nur noch
einen Vorrat von 50 Tagen.
Dass dies irgendwann zu einem Anreiz für Spekulanten wird, die sich dann auf die Nahrungsmittel und die
Rohstoffe insgesamt stürzen, ist völlig klar. Deswegen
müssen wir jetzt darangehen, die Effizienz in der landwirtschaftlichen Produktion zu steigern, und zwar weltweit und auch bei uns.
({8})
Dabei dürfen wir keine Scheuklappen haben: keine technologischen, keine wissenschaftlichen und auch keine
sonstigen.
({9})
- Dazu gehört selbstverständlich auch die Grüne Gentechnik.
Aber bei all diesen Bestrebungen, die Effizienz zu
steigern, müssen wir natürlich die Nachhaltigkeit immer
im Blick behalten. Das ist die erste Voraussetzung; sie
darf auf keinen Fall infrage gestellt werden.
({10})
Dies gilt auch für den Tierschutz und den Umweltschutz.
Ich bin sogar der Meinung: Mit diesen technologischen Möglichkeiten kommen wir weiter als über den
Weg zurück, den viele beschreiten wollen.
({11})
- Natürlich ist die Steigerung der Produktion die Lösung. So kann man das Ziel erreichen. Das muss man
doch in aller Klarheit sagen.
({12})
Diejenigen, die der Bundesregierung und der Europäischen Union hier vorgeworfen haben, die Landwirtschaft zu subventionieren, frage ich: Wo wären wir denn
heute, hätten wir in den letzten zehn Jahren die Landwirtschaft in Europa nicht erhalten? Wir wären doch fast
in der gleichen Situation wie die Entwicklungsländer.
({13})
Es ist gut, dass wir unsere Bevölkerung mit kostengünstigen Nahrungsmitteln versorgen können.
Ich komme zum Schluss. Wir müssen unsere Ressourcen nutzen. Wir brauchen jeden Quadratmeter landwirtschaftlicher Nutzfläche. Es muss uns ein heiliges
Anliegen sein, eine weitere Reduzierung dieser Flächen
zu verhindern. Wir sollten außerdem die bäuerliche
Landwirtschaft in den Entwicklungsländern stärken und
ihnen helfen, damit sie sich selbst versorgen können. Damit tun wir ein gutes Werk.
Herzlichen Dank.
({14})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ditmar Staffelt für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon außerordentlich viel zu diesem
Thema gesagt worden. Ich bewundere jene, die schon
jetzt die genaue Ursache dieser schwerwiegenden Krise
kennen. Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Aus meiner
Sicht gibt es eine Vielzahl sehr komplexer Faktoren, die
zu dieser Situation geführt haben. Spekulationsverluste,
Biosprit oder die Tatsache, dass in vielen Entwicklungsund Schwellenländern heute - glücklicherweise - eine
höhere Nahrungsnachfrage besteht, die zu bedienen ist,
sind es nicht allein. Auch die schwierige Struktur der
Landwirtschaft, die Politik der EU, der Vereinigten Staaten und anderer Industrieländer auf dem Felde der Landwirtschaft sind ebenfalls nicht allein ursächlich. Man
muss alles zusammen betrachten.
({0})
- Es täte Ihrer Fraktion gut - das will ich Ihnen einmal
sagen -, wenn Sie von den alten marxistischen Mustern,
die in der Vergangenheit über viele Jahre und Jahrzehnte
hinweg weltweit zu Hungersnöten geführt haben, wegkämen. Ich muss das immer wieder sagen.
({1})
Das unkritische Selbstbewusstsein, das Sie an den Tag
legen, ist durch die Realität an keiner Stelle zu rechtfertigen. Das wollte ich Ihnen gesagt haben.
({2})
Seien Sie einmal ein bisschen vorsichtiger und nachdenklicher. Dann diskutieren wir auch gerne mit Ihnen
über solche Fragen, aber nicht auf die Tour.
Ich komme zum zweiten Punkt, den ich ansprechen
wollte, zu den Finanzmärkten. Auch das ist ein Thema,
das Sie völlig ignorieren. Sie sollten eigentlich honorieren, dass sich die Bundesregierung, insbesondere der
Bundesfinanzminister,
({3})
in den internationalen Gremien für die Schaffung von
mehr Transparenz und Kontrollmechanismen stark gemacht hat, um Krisen auf den Weltfinanzmärkten und
Spekulationen bestimmten Ausmaßes in Zukunft verhindern zu können.
Sie haben hier gesagt: Wir schaffen das ab! Das hört
sich zwar wunderbar an, nur leider werden Sie das nicht
durchsetzen.
({4})
Das ist reiner, klassischer Populismus der Linkspartei
und nichts anderes.
({5})
Ich füge hinzu: Die Debatte hat mir gezeigt, dass wir
sehr viel mehr Zeit in die Debatten über die Globalisierung investieren müssen. Wir müssen deutlich machen,
dass es notwendig ist, die globalen Institutionen zu stärken.
({6})
Jeder weiß doch - das ist hier zu Recht schon gesagt
worden -, dass auch wir nur ein Mosaikstein des Ganzen
sind. Wir brauchen die von der Linken bekämpften globalen Institutionen wie die Weltbank, den IWF und die
OECD,
({7})
damit wir in viel breiterem Umfange dafür sorgen können, dass diejenigen, die in dieser Welt hungern müssen,
denen es schlecht geht, unterstützt werden. Das muss uns
klar sein. Wir sollten uns gemeinsam dafür einsetzen
- ich finde es gut, dass das hier gefordert wurde -, dass
die bäuerlichen Strukturen in den betroffenen Ländern
über Landreformen - Stichwort: Good Governance - gestärkt werden. Das muss die Priorität sein, weil das eine
Option für eine bessere Zukunft birgt.
Sie müssen mich gar nicht überzeugen; denn ich habe
die europäische Landwirtschaftspolitik über Jahrzehnte
hinweg kaum verstanden. Ich bin zwar nie Landwirtschaftspolitiker gewesen, doch ich finde, es liegt auf der
Hand und in unserem eigenen Interesse, dass Deutschland weiterhin seinen Einfluss geltend machen will, damit unsinnige Subventionen abgebaut werden.
({8})
- Das ist kein Populismus. Das ist reale Politik, die wir
in den letzten Jahren von Rot-Grün mit Frau Künast als
Landwirtschaftsministerin bereits praktiziert haben.
({9})
- Meine Damen und Herren, ich darf doch wohl auch
einmal etwas Lobenswertes über unseren früheren Koalitionspartner sagen, oder?
({10})
Da ich nur noch wenige Sekunden Redezeit habe,
möchte ich noch darauf hinweisen, dass dies nicht nur
eine Aufgabe der Industrieländer ist. Wir haben gerade
auch über Spekulationen gesprochen, deshalb möchte
ich sagen: Ich stelle mir zum Beispiel die Frage, warum
wir nicht einmal versuchen, die großen staatlichen
Schwellenländerfonds dazu zu motivieren, in diese
Märkte beruhigend zu intervenieren. Solche marktwirtschaftlichen Möglichkeiten bestehen nämlich auch. Vielleicht wäre ein solches Vorgehen viel erfolgreicher, als
- das ist Ihr Vorschlag - mit der roten Karte durch die
Welt zu laufen, obwohl sie niemand sehen will.
({11})
Ich denke, wir brauchen mehr Fantasie und mehr Engagement. Im Übrigen wünschte ich mir, wenn ich das
sagen darf, dass sich der nächste Deutsche Bundestag
dazu durchringt, einen Parlamentsausschuss einzusetzen,
der sich mit Fragen der globalen Welt und der Weltwirtschaft beschäftigt. Denn diese Herausforderungen betreffen uns alle. Wenn wir diese Herausforderungen
nicht bewältigen, wird es uns nicht gelingen, in der Welt
Frieden zu schaffen und eine Politik zu realisieren, die
verhindert, dass uns Extremismus und Terrorismus zu
erheblichen finanziellen Aufwendungen veranlassen.
Dieses Geld würde an einer anderen Stelle, an der es viel
besser aufgehoben wäre, fehlen.
({12})
Wir wollen eine Welt, in der die Menschen genug zu essen haben, in der sie sich entwickeln können und
Kollege Staffelt, das ist keine rote Karte. Beachten
Sie aber bitte die rote Lampe vor Ihnen.
- das ist meine letzte Bemerkung - in der sie ihr Leben menschenwürdig gestalten können.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Johannes
Röring das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren!
Im Jahr 2025 werden 83 Prozent der Weltbevölkerung, die bis dahin auf voraussichtlich 8,5 Milliarden gestiegen sein wird, in den Entwicklungsländern leben. Es ist allerdings fraglich, ob die
Kapazität der vorhandenen Ressourcen und Technologien ausreichen wird, um die Bedürfnisse dieser ständig weiter wachsenden Bevölkerung in
bezug auf Nahrungsmittel und andere landwirtschaftliche Produkte zu befriedigen.
({0})
Die Landwirtschaft muß dieser Herausforderung in
erster Linie dadurch begegnen, daß sie die Produktion auf bereits bewirtschafteten Flächen steigert,
({1})
gleichzeitig aber ein weiteres Vordringen auf nur
begrenzt für eine landwirtschaftliche Nutzung geeignete Standorte unterläßt.
Dies, meine Damen und Herren, ist der Originaltext der
Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen für
Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro aus dem
Jahre 1992.
({2})
In Kapital 14 der Agenda 21 werden unter der Überschrift „Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft
und ländlichen Entwicklung“ bedeutende Themen im
Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der Agrarwirtschaft
insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern
genannt, unter anderem: Bodenordnung, Eigentumsfragen und Bodenerhaltung, nachhaltige Pflanzenernährung
mit organischem und mineralischem Dünger
({3})
sowie integrierter Pflanzenschutz mit chemischen und
biologischen Maßnahmen.
({4})
Diese vor mehr als 15 Jahren formulierten Ziele beinhalten keinen Hinweis auf eine Extensivierung der Landwirtschaft, keine Absichtserklärung und keine Forderung nach weltweitem Ökoanbau. Sie sind der
eindeutige und unmissverständliche Auftrag an die
Landwirtschaft, ihre Erträge zu steigern, effizient zu arbeiten und Potenziale auszuschöpfen. Dies soll mit den
Instrumenten einer modernen, wissensbasierten Landwirtschaft geschehen. Die Rolle der Biotechnologie ist
in diesem Papier übrigens nicht infrage gestellt worden.
Doch was haben wir in Deutschland aus diesen klar
formulierten Zielen gemacht? Statt sich intensiv mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, Frau Künast, wurden
Projekte aufgelegt, aus denen lokale Agenden entstanden sind, mit dem einzigen Ziel der Extensivierung der
Landwirtschaft. Es kam vielmehr zur Förderung einer alternativen Landwirtschaft. Diese politische Arroganz hat
dazu geführt, dass die alternative Landwirtschaft weltweit als wünschenswert angepriesen wird.
({5})
Die konventionelle Landwirtschaft wurde in nicht annehmbarer Weise diffamiert, beschädigt, anstatt den
Menschen in der Dritten Welt mit den Möglichkeiten der
konventionellen Landwirtschaft zu helfen.
({6})
Diese ideologiegeprägte Politik, Frau Künast, haben
wir zusammen mit Bundeslandwirtschaftsminister
Seehofer beendet. Die Landwirtschaft, die Bauernfamilien, die gesamte Agrarwirtschaft mit ihren 4,5 Millionen Beschäftigten in Deutschland wurden endlich wieder in die Mitte der Gesellschaft geholt.
({7})
Diese Entwicklung muss überall in der Welt angestoßen
werden; denn nur auf der Basis einer funktionierenden
Landwirtschaft lassen sich eine staatliche Ordnung, eine
funktionierende Infrastruktur und auch Sicherheit aufbauen. Die hungernden Menschen dieser Welt brauchen
Nahrung, brauchen Möglichkeiten, sich und ihre Familien selbst zu ernähren - sie brauchen keine Nachhilfe in
einer überflüssigen grünen Weltverbesserungsidee, die
mehr schadet als nutzt.
({8})
Wir müssen Maßnahmen ergreifen und Instrumente
finden, die sofort wirken. Dazu gehören unter anderem
der Zugang zu ertragssteigernden Produktionsmitteln
wie Pflanzenschutz- und Düngemitteln, die Schaffung
von breit gestreutem Eigentum sowie ein besserer Zugang zu Bildung und Beratung. Die moderne Landwirtschaft wird mit ihren vielfältigen Möglichkeiten im Hinblick auf Ertragssteigerung und Ertragssicherheit eine
Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Welternährungskrise einnehmen.
({9})
So notwendig die Diskussion über faire Handelsbeziehungen ist und so sinnvoll die Debatte über die
Gründe für die Verteuerung der Nahrungsmittel ist, an
einem Fakt kommen wir nicht vorbei: Die Nachfrage
nach Agrarrohstoffen - nach Getreide, nach Ölsaaten
und vielem mehr - wird sich in absehbarer Zeit fast verdoppeln. Um diese auf uns zukommende Herausforderung meistern zu können, müssen wir jetzt die Weichen
richtig stellen. Dieses Mehr an Nachfrage müssen wir
durch Produktion auf den vorhandenen Flächen befriedigen; das verfügbare Ackerland ist nämlich beschränkt.
Wenn wir die Urwälder unangetastet lassen wollen,
brauchen wir eine intensive, moderne Landwirtschaft.
Ich glaube, dass eine moderne, verantwortungsvolle
Landwirtschaft in bäuerlicher Hand ein Segen für die
Menschheit sein kann.
({10})
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin
Gabriele Groneberg.
({0})
Vielen Dank. - Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich bin den Grünen durchaus dankbar für
diese Aktuelle Stunde. Das Problem ist derart akut, dass
wir darüber reden müssen; insofern ist es gut, dass wir
die Möglichkeit dazu haben. Es gibt in der Tat Handlungsbedarf.
Zu den Gründen ist eine Menge gesagt worden. Ich
bin dem Kollegen Staffelt dankbar dafür, dass er deutlich
darauf hingewiesen hat, dass es nicht den Grund gibt,
sondern dass verschiedene Faktoren - die sich nicht immer auf die Schnelle erklären lassen - zu dieser Ernährungskrise geführt haben.
Es stört mich allerdings, Herr Goldmann, dass hier
wie in der Presse Schlagworte wie „Teller vor Tank“ benutzt werden. Das ist nicht hilfreich, wenn es darum gehen soll, die Probleme zu lösen.
({0})
- Unsere Ministerin hat durchaus differenziert dazu Stellung genommen, und auch ich gehe auf diesen Punkt
noch einmal ein.
Es gibt, wie gesagt, viele Faktoren. 30 Prozent der
Getreideproduktion - das sind FAO-Zahlen - stehen für
Futtermittel zur Verfügung. Allein daran ist ersichtlich,
dass Biomasse und Biokraftstoffe eben nicht die Buhmänner sein können. Worum geht es mir? Wir haben hier
im Hause eine eindeutige Mehrheit, die sich von der
Atomkraft verabschieden möchte. Wir haben den Ausstieg beschlossen, und das ist auch gut so. Wir führen in
der Republik - und natürlich auch in diesem Hause eine Diskussion über die Kohlekraftwerke und insbesondere über den Bau von neuen Kohlekraftwerken. Daneben wollen wir raus aus der Abhängigkeit vom Öl. Das
sind drei Gründe.
Was machen wir aber? Gleichzeitig verteufeln wir die
Biomasse. Wir wissen ganz genau, dass wir mit der Biomasse natürlich auch eine Chance haben - auch für die
Entwicklung in den Entwicklungsländern -, die wir
nicht vernachlässigen dürfen. Ich habe an dieser Stelle
oft genug darüber geredet. Wir brauchen erneuerbare
Energien und die Biomasse. In diesem Punkt brauchen
wir aber natürlich auch eine geregelte Entwicklung. Genau darum müssen wir uns einmal intensiver kümmern.
Wir brauchen dringend Zertifizierungssysteme. Das
ist auch von der Ministerin gesagt worden.
({1})
In Deutschland gibt es die Nachhaltigkeitsverordnung.
Damit sind wir auf einem guten Wege. Wir sind das erste
Land, das so etwas gemacht hat. Diese Nachhaltigkeitsverordnung soll jetzt auch auf EU-Ebene übertragen
werden.
Wir legen in dieser Nachhaltigkeitsverordnung die
Anforderungen an Biokraftstoffe dar, wir beschreiben
die Bedingungen für die Erzeugung von Biokraftstoffen,
und wir weisen auf die nachhaltige Bewirtschaftung von
Flächen, den Schutz natürlicher Lebensräume und das
Treibhausgasverminderungspotenzial hin. Das gilt nicht
nur für uns, sondern ebenso für die internationale Erzeugung. Wir stellen uns vor, dass dieses Zertifizierungssystem auch international implementiert wird, um zu vermeiden, dass damit Schindluder getrieben wird.
Die Kollegen haben teilweise auch auf das Abholzen
in den Entwicklungsländern, zum Beispiel in Indonesien, und auf die Erzeugung von Palmöl mit den damit
verbundenen Problemen hingewiesen. Herr Goldmann,
die Ministerin hat ganz deutlich gesagt, dass wir jetzt natürlich auch ein Moratorium beschlossen haben.
({2})
Herr Seehofer hat gesagt, welche Maßnahmen wir in
diesem Zusammenhang noch durchführen wollen. Es ist
richtig und notwendig, dass wir jetzt einmal einen Moment innehalten und schauen, welche Entwicklung es
dort gab und wie wir damit umgehen.
Herr Goldmann, Sie sagen jetzt, die Entwicklung hätten wir vorhersehen können. Das stimmt einfach nicht.
Noch vor einem Jahr hat niemand diese massive Entwicklung absehen können. Eines will ich auch noch einmal sagen: Es ist unverantwortlich, dass jetzt immer so
getan wird, als ob wir das alles gewusst hätten. Wir haben nicht alles gewusst. Wir müssen uns jetzt darum
kümmern, und das tun wir auch.
Natürlich tragen auch die Entwicklungsländer eine
Mitverantwortung. Sie müssen nämlich dafür sorgen,
dass eine Vorratshaltung betrieben wird. Die Good
Governance ist von Sibylle Pfeiffer genannt worden. Wir
müssen auch schauen, wie mit der Bevorratung umgegangen wird.
({3})
Es gibt Projekte der Caritas - zum Beispiel in Niger -,
um Getreidespeicher zu bauen. So wird dafür Sorge getragen, dass dort Getreide eingelagert wird; denn wegen
Dürren und aus anderen Gründen - weiß der Teufel,
weswegen noch - hat es immer wieder Nahrungsmittelkrisen gegeben und wird es auch immer wieder welche
geben. Die Menschen erleben dort nicht die erste Krise.
Wenn man Getreide bevorratet, kann man auch eine
entsprechende Preisregulierung erreichen. Wenn es für
bestimmte Teile der Bevölkerung nicht mehr möglich
ist, Getreide zu kaufen, um damit Brot zu backen, dann
kann man mit diesen Bevorratungen auch preisregulierend eingreifen.
Ich habe noch heute Morgen mit der Botschafterin
von Mali reden können. Die Malier hatten vor ein paar
Jahren eine große Nahrungsmittelkrise. Sie haben daraus
gelernt. Die Botschafterin hat gesagt: Wir müssen damit
umgehen. - Sie sprach davon, dass sie von der Nahrungsmittelkrise und den Preissteigerungen im Moment
nicht in dem großen Maße betroffen sind, weil sie eben
vorgesorgt haben und durch eine Bevorratung und entsprechende Regularien mit dieser Krise anders umgehen
können.
Wir können damit also verantwortungsvoll umgehen.
Wir müssen uns auf allen Seiten überlegen, mit welchen
Instrumenten man der Problematik begegnen kann. Ich
bin absolut dagegen, die Biomasse zu verteufeln. Sie ist
nicht der Buhmann bei diesen Dingen. Wir müssen aber
aufpassen, dass sie aus nachhaltiger Produktion stammt,
und wir werden zumindest für uns in Deutschland dafür
sorgen, dass das auch so geschieht.
({4})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. April 2008,
9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Tag.
Die Sitzung ist geschlossen.