Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie
herzlich zu unserer heutigen Plenarsitzung, deren erster
Tagesordnungspunkt ganz sicher eine besonders breite
öffentliche Aufmerksamkeit finden wird.
Hiermit rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a bis
22 e auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Rolf Stöckel, Katherina
Reiche ({0}) und weiteren Abgeordneten
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für eine
menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur
Änderung des Stammzellgesetzes
- Drucksache 16/7982 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2})
- Drucksache 16/8658 Berichterstattung:
Abgeordnete Eberhard Gienger
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({3})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria
Eichhorn und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit
menschlichen embryonalen Stammzellen
({4})
- Drucksache 16/7983 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5})
- Drucksache 16/8658 Berichterstattung:
Abgeordnete Eberhard Gienger
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({6})
c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten René Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und
weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes
- Drucksache 16/7981 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7})
- Drucksache 16/8658 Berichterstattung:
Abgeordnete Eberhard Gienger
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({8})
d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({9})
zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz
({10}), Julia Klöckner, Dr. Herta DäublerGmelin und weiterer Abgeordneter
Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte Stammzellforschung fördern
- Drucksachen 16/7985 ({11}), 16/8658 Berichterstattung:
Abgeordnete Eberhard Gienger
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({12})
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Priska Hinz ({13}), Julia Klöckner,
Dr. Herta Däubler-Gmelin und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Stammzellgesetzes
- Drucksache 16/7984 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({14})
- Drucksache 16/8658 Berichterstattung:
Abgeordnete Eberhard Gienger
Cornelia Pieper
Priska Hinz ({15})
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eindreiviertel Stunden vorgesehen. Diese
Zeit soll nach dem Stärkeverhältnis der Unterzeichner
der Vorlagen verteilt werden. - Dazu besteht unter allen
Antragstellern Einvernehmen.
Da eine große Anzahl von Redewünschen vorliegt,
welche bei einer naturgemäß begrenzten Zeit für die
Aussprache nicht voll berücksichtigt werden kann, haben sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf
verständigt, dass die Reden der Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch innerhalb dieses Zeitrahmens
nicht berücksichtigt werden kann, zu Protokoll gegeben
werden können. Ich vermute, dass Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben die Mitglieder des Deutschen Ethikrates
Platz genommen. Ich begrüße Sie sehr herzlich als Gäste
unserer Debatte, an die sich die konstituierende Sitzung
des Ethikrates anschließen wird.
({16})
Die heutigen Beratungen des Bundestages zur
Stammzellforschung sind erkennbar eng mit Ihrer künftigen Aufgabe verbunden, Regierung und Parlament in
ethischen Fragen zu beraten. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen für diese wichtige und gleichzeitig schwierige Aufgabe Erfolg und vor allen Dingen die
Weitsicht und Besonnenheit, ohne die dieser Erfolg ganz
sicher nicht zustande kommt.
Ich eröffne nun die Aussprache und erteile zunächst
der Kollegin Dr. Annette Schavan das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler in Deutschland haben ebenso ethische
Überzeugungen wie wir.
({0})
Sie stehen in Deutschland mit ihrer Arbeit auf dem Wertefundament, das sich auch in unserer Verfassung findet. Sie sind keine bloßen Interessenvertreter.
Zugleich wissen sie, dass wir ihre Argumente bei Gesetzgebungsverfahren sorgsam prüfen müssen. Deshalb
sollte unter uns auch klar sein, dass bei der Auseinandersetzung über die Novellierung des Stammzellgesetzes
nicht auf der einen Seite nur Interessen bei jenen im
Spiel sind, die sich für eine Veränderung aussprechen,
und auf der anderen Seite Moralität bei denen vorherrscht, die gegen jede Veränderung sind.
({1})
Schon mit dem bestehenden Stammzellgesetz war der
schwierige Prozess verbunden, Positionen miteinander
zu verbinden, die sich eigentlich nicht verbinden lassen.
Das ging nur über den Weg der Abwägung. Der jetzige
Inhalt des Gesetzes - er ist unbestritten, unabhängig vom
Antrag, der heute vorliegt - bedeutet die Verbindung von
Lebensschutz und einem schmalen, streng definierten
Korridor für die Forschung. Er war nur möglich, weil
klargestellt wurde, dass es keinen Anreiz für die Herstellung menschlicher Embryonen für die Forschung geben
darf und auch keine Anreize zum Verbrauch von
menschlichen Embryonen gegeben werden dürfen. Deshalb gibt es den Stichtag in der Vergangenheit.
Die Forschung - diese Frage hat in den vergangenen
Wochen eine herausragende Rolle gespielt - gewinnt
embryonale Stammzelllinien aus solchen Embryonen,
bei denen die Entscheidung bereits getroffen wurde, sie
nicht für eine Schwangerschaft einzusetzen, also solche,
denen die Voraussetzung zum Leben bereits genommen
ist. Es ist nicht die Entscheidung der Forschung; es ist
eine Entscheidung, die vorher getroffen wurde.
Wir entscheiden heute, wenn wir über eine Stichtagsverlegung sprechen, nicht darüber, ob aus überzähligen
Embryonen Stammzellen gewonnen werden dürfen. Wir
entscheiden auch nicht, ob der Import solcher im Ausland gewonnenen Stammzellen erlaubt sein soll. Beides
gehört zum Inhalt des bestehenden Gesetzes.
({2})
Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Wir diskutieren auch nicht über das Embryonenschutzgesetz. Es ist
unbestritten, und - das sage ich für mich persönlich noch
einmal ausdrücklich - das ist der umfassendste Schutz
der Embryonen, wie ich es schon in meiner letzten Rede
ausgeführt habe. Dabei bleibt es. Das ist das Fundament
aller Überlegungen, die wir anstellen. Das steht nicht zur
Debatte.
({3})
Wer wie ich findet, dass eine Verlegung des Stichtags
auf ein neues, wiederum in der Vergangenheit liegendes
Datum verantwortbar ist, ist sich auch bewusst, dass das
aus der jetzigen Gesetzeslage resultierende ethische Dilemma nicht aufgelöst wird. Ich bin aber zugleich der
Meinung, dass wir dieses Dilemma nicht vergrößern,
und halte eine kleinstmögliche Veränderung des Gesetzes für eine Weiterentwicklung dieses Gesetzes. Wer das
als Liberalisierung bezeichnet, der wertet. Aber der Vorgang besteht letztlich darin, in der Logik des Gesetzes
eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, die den schmalen Korridor, der damals gewollt wurde, auch in Zukunft
erhalten wird.
({4})
In den vergangenen Wochen und bis in die letzten
Stunden hinein ist immer wieder die Frage gestellt worden, ob für den Erfolg ethisch unbedenklicher Forschung
tatsächlich der Vergleich mit embryonalen Stammzelllinien zwingend sei, da es Stammzellforschung und
Zelltherapien gibt, die diesen Vergleich nicht brauchen.
Ich sage ausdrücklich: Das ist unbestritten. Seit
30 Jahren gibt es Zelltherapien. Natürlich braucht nicht
jeder - weder in der medizinischen Forschung noch in
der Grundlagenforschung - Vergleiche.
Aber für jene, die reprogrammieren, ist die Überprüfung ihrer Ergebnisse mit qualitativ besseren embryonalen Stammzelllinien notwendig. Das sage ich ausdrücklich. Wer den Vergleich aus ethischen Gründen ablehnt,
möge daraus nicht automatisch den Schluss ziehen, dass
er auch sachlich nicht nötig ist. Der Vergleich ist gerade
da unerlässlich, wo die Schwerpunkte unserer Forschungsförderung liegen, nämlich neue Wege der Gewinnung pluripotenter Stammzellen zu ermöglichen.
({5})
Aus all dem ergibt sich für mich nach gewissenhafter
Prüfung der Argumente, dass eine Verschiebung des
Stichtags auf einen neuen Zeitpunkt in der Vergangenheit verantwortbar ist, um den schmalen Korridor für die
Forschung zu erhalten, der im Stammzellgesetz von
2002 vorgesehen ist. Mir geht es vor allem um jene Forschergruppen, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass
wir dauerhaft zu einer Stammzellforschung kommen
können, die ohne den Verbrauch menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzelllinien auskommt.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Maria Böhmer.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es geht heute um mehr als eine Gesetzeskorrektur. Es geht um eine grundsätzliche Entscheidung.
Wir entscheiden heute darüber, ob dem Stammzellgesetz
seine innere Logik und seine Substanz genommen werden.
({0})
Der Deutsche Bundestag hat im April 2002 mit großer
Mehrheit Nein zur verbrauchenden Embryonenforschung gesagt. Das ist der Kern des Stammzellgesetzes.
({1})
Bleibt es dabei, oder kommt es zu einem ethischen Kurswechsel, zu einem Dammbruch beim Embryonenschutz?
({2})
Um nichts anderes geht es bei der Frage, ob der Stichtag Bestand hat, verschoben oder aufgehoben wird. Mit
unserem Antrag auf Beibehaltung des einmal gefundenen Stichtages hat der Embryonenschutz Bestand.
({3})
Der einmal festgelegte Stichtag ist die Wasserscheide;
denn der Stichtag unterscheidet zwischen dem, was wir
in Zukunft verhindern wollen, und dem, was wir nicht
mehr ändern können. Er unterscheidet zwischen dem
Blick zurück, auf die Herstellung von Stammzelllinien
aus Embryonen im Ausland ohne unser Zutun, und dem
Blick nach vorne in die Zukunft, in der keinerlei Anreize
für die Zerstörung von Embryonen zu Forschungszwecken von Deutschland ausgehen sollen, weder innerhalb
noch außerhalb der deutschen Grenzen. Das Stammzellgesetz stärkt damit den Embryonenschutz. Es bekräftigt
den Grundgedanken: Keine Verzweckung menschlichen
Lebens! Bei diesem Leitgedanken muss es bleiben.
({4})
Wenn der Gesetzgeber, wenn wir heute den Stichtag verschieben, dann ist diese Eindeutigkeit dahin. Auch wenn
immer wieder betont wird, die Verschiebung sei einmalig: Im Ausland würde eine solche Entscheidung als Signal gewertet, dass wir bereit sind, die ethischen Grenzen zu verschieben, wenn die Forschung nur laut genug
danach verlangt. Das heißt Anreize setzen.
({5})
Im letzten Jahr habe ich Hans Schöler in seinem Institut in Münster besucht. Ich habe ihn gefragt: Gesetzt den
Fall, der Deutsche Bundestag würde den Stichtag verschieben, was ist dann in einem Jahr oder in zwei Jahren? Fordern Sie dann erneut eine Verschiebung? Er hat
mir mit einem ehrlichen Ja geantwortet. Er hat dies in
der Anhörung im Forschungsausschuss vor Ostern bekräftigt. Ich finde, das schafft Klarheit. Machen wir uns
nichts vor: Wenn der Bedarf einmal Grund für eine Verschiebung ist, kann er es auch ein zweites und drittes
Mal sein. Dann sind wir auf der schiefen Ebene.
({6})
Dann hält nichts mehr. Der Stichtag würde zur Schamfrist. Dazu sage ich ein klares Nein.
Ich spreche hier und heute auch für die beiden anderen Autorinnen des Stammzellgesetzes, für Margot von
Renesse und Andrea Fischer. Wir haben uns gestern in
der Zeit gemeinsam gegen eine Verschiebung ausgesprochen. Damals, im Jahr 2002, sind wir drei aus unterschiedlichen Richtungen, mit unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander zugegangen. Aber wir waren uns in
einem Punkt einig: Formelkompromisse dienen dieser
Frage nicht. Wir haben uns grundsätzlich verständigt.
Drei Kernpunkte machen diese grundsätzliche Verständigung aus: Wir haben Rechtsfrieden erreicht. Das ist
durch den Schutz des Embryos von Anfang an und die
Ermöglichung von Grundlagenforschung gelungen,
die strengen ethischen Auflagen genügt. Diese Grundlagenforschung ist heute möglich und wird weiterhin möglich sein; ich stehe dazu. Dafür stehen auch die fünf
neuen Genehmigungen des Imports von sogenannten alten Stammzelllinien. Das zeigt, wie viel Dynamik in der
Forschung ist und dass das Gesetz nach wie vor funktioniert.
({7})
Ich will Ihnen aber auch sagen, dass wir in einem
Punkt Handlungsbedarf sehen, und zwar von Anfang an.
Deutsche Forscher, die sich im Ausland mit den dort erlaubten Mitteln an Forschung beteiligen, sollen nicht
mehr mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen müssen.
Das ist Gegenstand des Gesetzentwurfs, der heute zuletzt zur Abstimmung steht. Dieses Gesetz dient der
Rechtssicherheit und stärkt die legale Forschung. Aber
weitere Änderungen sind ethisch nicht zu rechtfertigen.
({8})
Ich weiß, dass sich niemand im Deutschen Bundestag
die Entscheidung leicht macht. Heute wie damals ringen
wir um die Entscheidung. Das zeichnet diese Debatte
aus. Heute wie damals ringen wir darum, den Schutz des
menschlichen Lebens von Anfang an zu gewährleisten
und zugleich Grundlagenforschung zu ermöglichen. Es
geht heute darum, die eigenen Maßstäbe nicht infrage zu
stellen. Wir müssen in unseren ethischen Entscheidungen glaubwürdig und standhaft bleiben. Deshalb appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag „Keine
Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte
Stammzellforschung fördern“ zu.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den vergangenen Wochen haben wir sehr hart um Unterstützung der einzelnen Positionen gerungen. Dabei ist es
möglich gewesen, eine ganze Reihe von Punkten zu klären, aber es bleiben natürlich Punkte - Frau Böhmer hat
gerade zu Recht darauf hingewiesen -, die wir unterschiedlich bewerten. Das betrifft den Status der befruchteten Eizelle, den wissenschaftlichen Erfolg der Stammzellforschung und die Bedeutung des Stichtages. Alle
diese Faktoren bewerten wir, die Unterzeichner des Gesetzentwurfs „Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des
Stammzellgesetzes“ auch und gerade nach den großen
Anhörungen der letzten Monaten eindeutig, und zwar
unter einer ganz großen Überschrift: Auch das Heilen
von Menschen ist moralisch.
({0})
Die befruchtete Eizelle hat nicht den gleichen Status
wie der Embryo nach der Einnistung im Mutterleib. Das
ist aus den Anhörungen sehr klar hervorgegangen.
Embryonale Stammzellen werden fünf bis sieben Tage
nach der Befruchtung der Eizelle gewonnen, und zu diesem Zeitpunkt besteht der Embryo aus einigen Dutzend
Zellen. Das ist vor der Einnistung in der Gebärmutter
und somit in einem Stadium, in dem wir in Deutschland
ohne Probleme die Pille danach und ohne Probleme die
Spirale gelten lassen. Was für die Verhütung hier in diesem Lande gelten darf, muss doch erst recht für hochwertige Forschung im medizinischen Bereich gelten.
({1})
Wir wollen, dass auch in Deutschland Spitzenforschung für Menschen, die an schweren Krankheiten leiden, betrieben wird. Unsere Messlatte ist neben der
Menschenwürde die Ethik des Heilens. Gerade vor diesem Hintergrund ist es gut, dass wir nicht nur von den
großen Forschungsgesellschaften in diesem Land, sondern dass wir auch von der Deutschen Multiple Sklerose
Gesellschaft und der Deutschen Parkinson Gesellschaft
unterstützt werden. Das ist wichtig; denn es zeigt, worum es hier geht. Es geht darum, Menschen zu helfen,
nicht aber um eine fundamentale Änderung unserer
grundgesetzlichen Gesamtübereinstimmungen.
({2})
Wir wenden uns übrigens in diesem Zusammenhang
entschieden gegen die Behauptung, dass für die deutsche
Forschung an embryonalen Stammzellen Embryonen
sterben müssen, die sonst eine Chance auf Leben hätten.
Auch in den USA existieren über 400 000 bei der künstlichen Befruchtung entstandene sogenannte überzählige
Embryonen. Fast alle bekannten Stammzelllinien stammen von diesen Embryonen, aus denen nie ein Mensch
entstehen wird. Sie wurden von ihren Eltern für die ForUlrike Flach
schung gespendet; ansonsten wären sie der Vernichtung
anheimgefallen. Hier wurden also weder Frauen instrumentalisiert, wie so gerne unterstellt wird, noch wurde
verhindert, dass Leben entsteht. Im Gegenteil: Es ist der
erklärte Wunsch der Eltern gewesen, dass diese Embryonen der Forschung für kranke Menschen zur Verfügung
gestellt wurden.
Der Umstand, dass es diese Stammzellen überhaupt
gibt - das will ich an der Stelle auch noch sagen -, zeigt,
wie wenig erfolgreich die Stichtagsregelung war, Frau
Böhmer. Obwohl von Deutschland kein Anreiz ausgegangen ist, sind diese Stammzelllinien entstanden. Das
ist doch genau der Grund, warum das bestehende Gesetz
über den Import zerbricht. Das ist der Grund, warum
man gar nicht für diese Stichtagsregelung sein kann.
({3})
Wir wollen die Forschung an adulten Stammzellen
nicht gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen
ausspielen. Frau Schavan hat eben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir beides brauchen. Ich bin froh, dass
sich vor zwei Tagen eine große Gruppe von 17 Spitzenforschern, zu denen übrigens sowohl Forscher gehören,
die über adulte Stammzellen forschen, als auch solche,
die über embryonale Stammzellen forschen - auch solche, die in den letzten Monaten so große Erfolge erzielt
haben -, noch einmal eindeutig positioniert und erklärt
haben, dass wir hochwertige Forschung an embryonalen
und adulten Zellen brauchen. Genau dieses schlagen wir,
die Unterstützer des Gesetzentwurfes für eine menschenfreundliche Medizin, vor.
Wir wollen eine Gesetzgebung in diesem Lande, die
die Forschung an embryonalen Stammzellen ohne das
beliebige Instrument des Stichtages ermöglicht und damit international gleichwertige Bedingungen auch für
unsere Forscher schafft.
({4})
Wir wollen Hoffnung für diejenigen, die auf Heilung
warten, und für die deutschen Wissenschaftler, die sich
in den europäischen Forschungsprozess wieder integrieren wollen. Unser Gesetzentwurf stärkt die Forschungsfreiheit im Grundgesetz, und er eröffnet Chancen für
eines der zukunftsträchtigsten Wissenschaftsfelder. Ich
bitte um Ihre Unterstützung für diesen Gesetzentwurf.
Wir würden den Deutschen einen Gefallen tun.
({5})
Das Wort erhält nun der Kollege Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Möglichkeit und die Bedingungen
des Importes embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken. Das klingt technisch, und unser Reden darüber
verschleiert oftmals das eigentlich dahinterliegende ethische Problem. Letzten Endes geht es um die Fragen:
Wann ist der Mensch ein Mensch? Wo beginnt menschliches Leben? Darf man menschliches Leben für einen
guten Zweck opfern, oder verbieten die Würde des Menschen und der Schutz des Lebens das Töten von Menschen zum Zwecke der Forschung und der medizinischen Behandlung anderer Menschen?
Die Forschung mit und der Import von embryonalen
Stammzellen setzen das Töten und das Zerteilen von
Embryonen voraus. Wie der Gesetzgeber diese Frage beantwortet, ist eine weitreichende ethische Grundsatzentscheidung. Unsere Verfassung erklärt die menschliche
Würde für unantastbar.
Frau Flach, man kann die Debatte um den § 218 StGB
oder um Verhütung nicht mit dem Umgang mit embryonalen Stammzellen gleichsetzen.
({0})
Bei der Frage der Abtreibung steht das Leben der
Mutter mit dem Leben des Kindes in einem direkten, unauflösbaren Konflikt.
({1})
- Herr Westerwelle, das müssten Sie wissen. - Die Abtreibung bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 218 StGB Unrecht, auch wenn sie
nicht in jedem Fall strafrechtlich verfolgt wird. Das ist
eine ganz klare ethische Linie. Lediglich bei den Instrumenten, also dabei, wie wir das menschliche Leben in
diesen Situationen schützen, hat das Bundesverfassungsgericht uns, dem Gesetzgeber, erlaubt, nicht in jedem
Fall zum Mittel des Strafrechts zu greifen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
und die Vorgabe des Grundgesetzes sind klar. Beim Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht uns
als Gesetzgeber noch einmal ermahnt: Leben ist nicht
gegen Leben abzuwägen; nicht einmal Leben, das wir
dem Tod geweiht glauben, darf geopfert werden, um anderes menschliches Leben zu retten.
({2})
Das hat uns das Bundesverfassungsgericht mit auf den
Weg gegeben.
Wir, der Bundestag, sind uns einig, dass der Mensch
niemals verzweckt werden darf, auch beim Thema Folter
nicht. Selbst wenn man meint, man könne mit Folter
Geiseln freibekommen, menschliches Leben retten, sagt
uns unsere Rechts- und Werteordnung: Die Folter ist
ohne Ausnahme verboten.
Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht neues menschliches Leben, damit ist die genetische Identität eines Menschen festgelegt.
({3})
Volker Beck ({4})
Mit der Verschmelzung handelt es sich um einen Menschen, nicht um Zellmaterial oder um einen Zellhaufen.
Dieser Mensch darf nicht verzweckt werden. Deshalb
kann es hier auch keinen Kompromiss geben. Jeder
Kompromiss bringt uns auf eine schiefe Ebene. Ich
werbe auch für ein völliges Verbot des Arbeitens mit
embryonalen Stammzellen, da für jede dieser Zellen ein
Mensch nicht leben durfte, sondern getötet wurde.
Dennoch ist das Stammzellgesetz, das heute gilt, kein
willkürlicher oder fauler Kompromiss. Das Stammzellgesetz schloss damals eine gesetzgeberische Lücke. Die
verbrauchende Embryonenforschung und die Herstellung embryonaler Stammzellen waren in Deutschland
nach dem Embryonenschutzgesetz bereits verboten. Der
Import war bis zum Erlass des Stammzellgesetzes nicht
geregelt und damit auch nicht strafbar. Diese Gesetzeslücke war damals nicht gewollt, wohl aber vorhanden. Der
Gesetzgeber entschied sich, mit dem Inkrafttreten des
Gesetzes keine neuen Stammzellen für den Import mehr
zuzulassen. Dies war auch dem Umstand geschuldet,
dass zuvor diese Gesetzeslücke bestand.
Die jetzt vorgeschlagene Verschiebung des Stichtages hat deshalb eine grundsätzlich andere Qualität: Sie
reißt einen Damm mit dem Argument ein, man brauche
weitere Zellen, und legitimiert damit aktiv das Töten von
Embryonen auch nach dem Inkrafttreten des deutschen
Stammzellgesetzes.
({5})
Der neue Stichtag ist völlig willkürlich. Er kann bei Bedarf jederzeit mit den gleichen Argumenten, die wir
heute hören, verschoben werden. Herr Röspel, Sie haben
es in der letzten Debatte auch zugegeben. Als ein Redner
dies hier am Pult ansprach, haben Sie gesagt: Natürlich,
wenn wir neue brauchen, dann wird der Bundestag entscheiden.
({6})
Was machten wir, wenn die Forschung tatsächlich zu
dem Ergebnis käme, wir könnten mit embryonalen
Stammzellen heilen, und der Bedarf an Stammzellen und
Embryonen dramatisch stiege? Wie lange würden dann
die Grundlagen des Embryonenschutzgesetzes noch gelten?
Eines ist doch bezeichnend: Sie haben zwar beteuert,
Frau Schavan, dass niemand ans Embryonenschutzgesetz herangehen will.
Herr Kollege Beck!
Aber Ihr Haus fragt gegenwärtig die Gesetzgeber in
Bund und Ländern, ob Eizellenspenden zulässig sein
sollen, um damit die Kosten der Reproduktionsmedizin
für die Menschen, die sie nachfragen, absenken zu können. Wir befinden uns mit einer Verschiebung des Stichtags auf einer schiefen Ebene.
Herr Kollege!
Mit einer solchen Entscheidung verlieren wir die Kriterien in der Debatte, sodass wir uns gegen weitere Aufweichungen des Schutzes des menschlichen Lebens
nicht mehr werden wehren können. Deshalb werbe ich
dafür, dass wir heute keine Veränderung der Rechtslage
vornehmen.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird Ihnen sofort
einleuchten, dass die Einhaltung der vereinbarten Redezeiten in einer solchen Debatte für das Präsidium eine
besonders sensible Aufgabe ist. Aber wir können die
Vereinbarung über die heute vorgesehenen Wortbeiträge
überhaupt nur bewältigen, wenn sich alle an diese Vereinbarung halten, wobei sich für alle gleichermaßen die
Aussichtslosigkeit des Unterfangens ergibt, in fünf Minuten den gesamten Umfang ihrer Urteilsbildung vortragen zu können. Deswegen erlaube ich mir noch einmal
folgenden praktischen Hinweis: Tragen Sie das, was Ihnen am wichtigsten ist, gleich zu Beginn vor. Damit ist
sichergestellt, dass es auch im Protokoll erscheint.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Jörg Tauss.
Sehr geehrter Herr Präsident! Zum Schluss meiner
Ausführungen wollte ich darum bitten, dem Gesetzentwurf der Abgeordneten René Röspel, Carola Reimann,
Ilse Aigner, Thomas Rachel, vieler anderer Abgeordneter und von mir selbst zuzustimmen. - Das war der
Schlussblock. Ansonsten bemühe ich mich, jetzt auf das
zurückzukommen, was der Kern der heutigen Debatte
ist, da er im letzten Redebeitrag ziemlich heftig verlassen worden ist.
({0})
Schon aus der Rede von Frau Schavan ist deutlich geworden, dass es nicht um Dammbrüche geht, nicht um
die Aufgabe von Embryonen- und Lebensschutz in
Deutschland und in der Welt und nicht um eine neue
ethische Debatte.
({1})
Es geht auch nicht um den Embryonenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, der in diesem Lande geregelt ist.
Die Forschungsministerin hat darauf hingewiesen, dass
niemand an ihm zu rühren beabsichtigt. Kollege Beck,
dies steht im Gegensatz zu dem, was Sie gerade gesagt
haben.
Es geht darum, unser aus der Mitte des Parlaments
heraus entstandenes Stammzellgesetz aktuellen Entwicklungen anzupassen und es zukunftsfest zu machen.
„Zukunftsfest“ ist das Stichwort, das in diesem Zusammenhang wichtig ist. Die behutsame und ethisch zu verantwortende Weiterentwicklung unseres Gesetzes brauchen wir zur Aufrechterhaltung einer qualifizierten
Stammzellforschung in Deutschland. Das ist ein winziges Forschungsgebiet. Frau Böhmer, angesichts unseres
jetzigen Standes der Forschung ist es eine völlige Überschätzung der wahren Lage in dieser Welt, anzunehmen,
dass von Deutschland aus Anreize zur Tötung von
Embryonen geschaffen würden, wie Sie sie unterstellt
haben. Das ist völlig abwegig und hat mit der Realität
nichts zu tun.
({2})
Im Übrigen - auch das ist in der Anhörung klar geworden - brauchen wir für die adulte Stammzellforschung, die immer wieder als Alternative und als Gegenpart dargestellt wird, auch die Forschung an
embryonalen Stammzellen, um Zellen insgesamt verstehen zu können.
Die Anhörung hat noch etwas ergeben. Kollege Beck,
ich respektiere so etwas, aber dann muss man auch sehr
konsequent sein. Einer der vehementesten Ablehner unseres Vorschlags aus den Reihen der Sachverständigen
sagte, dass in der Konsequenz dessen, was man zu
Stammzelllinien diskutieren kann, auch die Organspende
untersagt werden müsste.
({3})
Das ist, finde ich, ein unglaublicher Ansatz, aber er ist
logisch im Sinne dessen, Herr Beck, was Sie hier gesagt
haben, konsequent in der logischen Weiterentwicklung
in Bezug auf die Frage der Verwertbarkeit von Leben.
Lesen Sie das im Protokoll der Anhörung einfach einmal
nach!
({4})
Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich bin
für Organspende, und ich bin für eine ethisch verantwortbare Stammzellforschung.
({5})
Aus diesem Grunde haben wir Ihnen eine Broschüre
mit dem Titel „Verantwortungsvolle Politik und Forschungsfreiheit“ vorgelegt. Ich bitte Sie einfach, darin
ein bisschen zu lesen. Wir haben genau die Punkte, die
ich jetzt nicht vortragen kann, Herr Präsident, in dieser
Broschüre niedergeschrieben.
Gestatten Sie mir einen Satz an Ihre Adresse, liebe
Frau Kollegin Böhmer. Sie haben uns als eine der Mütter
des Stammzellgesetzes - Sie gehörten zweifellos zu diesen Müttern; es gab noch ein paar Mütter mehr;
({6})
es gab auch ein paar Väter; ich würde Wolf-Michael
Catenhusen dazurechnen - damals gesagt: Wir wollen
keinerlei Liberalisierung im Bereich des Strafrechts. Die Strafrechtsnorm musste so ins Gesetz hineingeschrieben werden, wie es von Ihnen damals verlangt
worden ist. Sie haben zusätzlich den Hinweis gegeben,
dass Sie das Stammzellgesetz insgesamt verhindern würden, wenn diese strafrechtliche Vorschrift liberalisiert
würde.
Ich freue mich sehr, dass Sie heute zu einer anderen
Auffassung gekommen sind, nämlich sagen, dass Ihre
Position von damals falsch war. Sie sind heute für eine
Liberalisierung der Strafrechtsnorm. Ich respektiere dies
außerordentlich, weil es zeigt, dass man in neuen Fragen
auch zu neuen Antworten kommen kann.
Es ist allerdings nicht logisch, zu sagen: An der Strafrechtsnorm wollen wir etwas ändern, am Stichtag ändern
wir nichts. - Dieser Stichtag führt aber dazu, dass praktisch keine Stammzellforschung mit vorhandenen
Stammzelllinien mehr durchgeführt werden kann. Das
wäre so ähnlich, als wenn Sie, Frau Kollegin Böhmer, einem Autofahrer das Autofahren verbieten und ihm den
Führerschein wegnehmen würden, dann aber zur Entlastung die Parkverbote aufheben würden. Das wäre die
Logik. Dieser Logik sollten wir nicht folgen.
({7})
- Das ist der einzig sinnvolle Vergleich in diesem Zusammenhang.
({8})
Wenn Sie sagen, dass Stammzellforschung im Ausland
nicht mehr strafbar sein soll, gleichzeitig aber nicht dafür sorgen, dass wieder geforscht werden kann, dann ist
dieser Vergleich logisch. Aus diesem Grunde sollten Sie
sich über das, was hier diskutiert worden ist, noch einmal Gedanken machen.
Wenn heute nur die Strafrechtsnorm, aber nicht der
Stichtag verändert würde, wäre unser Stammzellgesetz,
unser historischer Kompromiss aus dem Jahre 2002, eine
wertlose Hülle. Ich bitte Sie, dazu beizutragen, dass unser Gesetz nicht zur Hülle wird, sondern weiterhin
ethisch verantwortbare Stammzellforschung in Deutschland begleitet.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Wolfgang
Thierse.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist
nicht überraschend, dass die Anhörung zu den Fragen
der Stammzellforschung keine Einigung unter den geladenen Experten erbracht hat. Das Thema bleibt wissenschaftlich, forschungspolitisch und ethisch kontrovers.
Es gibt auf allen Seiten gute Argumente. Wir müssen
aber heute entscheiden, ob wir das geltende Stammzellgesetz von 2002 verändern. Gibt es dafür zwingende
Gründe? Was hat sich seither verändert?
Drei Autorinnen des Gesetzes - Maria Böhmer hat
gerade darauf hingewiesen - haben gestern in einem Zeitungsartikel daran erinnert, worum es der Mehrheit des
Bundestages damals ging. Es ging um die Achtung vor
der Würde auch früher Formen des menschlichen Lebens, um Grundlagenforschung im Bereich der Stammzellen und um Rechtsfrieden in der Gesellschaft. Diese
Ziele sind durch einen Kompromiss - die geltende Stichtagsregelung -, so denke ich, erreicht worden. Hat sich
seither wirklich etwas grundlegend verändert?
Erstens stelle ich nüchtern und ohne jeden Vorwurf
fest: Forschungserfolge und erst recht Therapieerfolge,
die Hoffnungen und Verheißungen einer Ethik des Heilens, sind und bleiben ungewiss.
({0})
Zweitens. Die vom Gesetz freigegebenen Zelllinien
ermöglichen ganz offensichtlich Grundlagenforschung.
Dies beweisen gerade die Forschungsanträge der letzten
Monate. Auch Prof. Beier hat dies in der Anhörung zugestanden.
Drittens. Die Stichtagsveränderer unter den Forschern
verlangen trotzdem neue Stammzelllinien. Sie tun es,
weil sie bessere wollen, weil sie im internationalen Wettbewerb der Spitzenforschung gleiche Ausgangsbedingungen wollen, weil sie „State of the Art“ sein wollen.
Aber kann solcherart behaupteter Bedarf, kann das Wettbewerbsargument wirklich ein ethisch zureichendes,
überzeugendes, zwingendes Argument sein? Ich glaube,
nicht.
({1})
Viertens. Fortschritte gibt es offensichtlich bei der
Forschung mit adulten Stammzellen. Deshalb - das ist
eine gewisse Argumentationsverlagerung - soll die embryonale Stammzellenforschung dieser Forschung assistieren, sie befördern.
Und fünftens. Auch von den Unterstützern des
Röspel-Antrags wird nicht bestritten, dass die verbrauchende embryonale Stammzellenforschung ethisch
problematisch bleibt und nur pragmatisch mit Blick auf
die unter drittens und viertens genannten Argumente zu
rechtfertigen ist.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also keine
wirklich neuen Gesichtspunkte. Wir sind in keiner wirklich neuen Situation. Deshalb sollten wir uns auf die
ethische Grundfrage besinnen, auf die Frage nach dem
moralischen Status des Embryos, auf die Frage nach
der Würde und nach dem Lebensrecht menschlichen Lebens von Anfang an. Aus der Menschenwürdegarantie
des Grundgesetzes folgt zwingend das Instrumentalisierungsverbot. Auch der embryonale Mensch darf kein
Mittel zu einem anderen Zweck sein. Er darf nicht vernutzt werden. Forschung mit embryonalen Stammzellen
ist aber ein Eingriff in die Integrität des Embryos und in
sein Lebensrecht.
({2})
Können, so fragte der frühere Bundesverfassungsrichter
Ernst-Wolfgang Böckenförde, ungewisse Erwartungen
von Heilungsmöglichkeiten „die Tötung eines Embryos,
der nichts anderes ist als ein individueller Mensch in den
frühesten Stadien seiner Entwicklung, rechtfertigen“? Es
gehört zu den unsere Zivilisation tragenden Grundüberzeugungen, dass menschliches Leben um seiner selbst
willen zu schützen ist.
({3})
Das Recht auf Leben und der Wert des Menschseins lassen sich nicht abstufen. Menschliches Leben ist nicht relativierbar, und es ist ein höherwertiges Gut als die viel
beschworene Forschungsfreiheit. Das von manchen strapazierte Argument, wenn wir es nicht tun, dann tun es
andere sowieso, halte ich für den Ausdruck einer ethischen Kapitulation.
({4})
Eine Verschiebung des Stichtages kann, ja muss ethisches Misstrauen erzeugen. Nicht wenige reden von der
ethischen Wanderdüne. Ich bleibe dabei: Da es kein
mich überzeugendes Argument für eine Verschiebung
oder Aufhebung des Stichtages gibt, plädiere ich für die
Beibehaltung des 2002 vereinbarten und vertretbaren
Kompromisses, zumal es mit der Forschung an adulten
Stammzellen eine aussichtsreiche und unterstützenswerte andere Möglichkeit gibt, die ethisch unproblematisch ist.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort erhält der Kollege Christoph Strässer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe
an Wolfgang Thierse an. Ich möchte ihm in einem Punkt
widersprechen, weil ich glaube, dass in dieser Argumentation das Dilemma einer jeden Stichtagsregelung deutlich wird. Sie haben gesagt, die Verschiebung des Stichtages werde überwiegend mit Wettbewerbsargumenten
begründet. Ich glaube, dass diese Einschätzung falsch
ist.
({0})
Ich glaube, wenn man mit den Menschen redet, die
Stammzellforschung betreiben, dann sagen sie ganz eindeutig: Die Arbeit mit den jetzt nach dem Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz erlaubten
Stammzelllinien ist gerade nicht mehr geeignet, um bestimmte Dinge zu erzielen, die auch im Bereich der
Grundlagenforschung erwartbar sind, nämlich dass in
absehbarer Zeit und in einem vertretbaren Zeitraum auch
Therapien zur Heilung schwerer und schwerster Krankheiten entwickelt werden.
({1})
Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Wer an
der bisherigen Stichtagsregelung festhält, der geht in der
Diskussion um die Würde des Menschenlebens einen
Schritt zurück. So wird nämlich etwas nur in einer Art
und Weise erlaubt, über die selbst diejenigen, die daran
forschen, urteilen: Mit diesem schlechten und alten Material können auf gar keinen Fall Erwartungen erfüllt
werden. - Deshalb kann es nach meiner festen Überzeugung nicht bei dieser Stichtagsregelung bleiben.
({2})
Aber auch die Verschiebung des Stichtags würde dem
genannten Zweck nicht dienen. Denn mit einer Stichtagsregelung wird ausgehend von der Annahme, dass
eine rechtswidrige Handlung vorliegt, versucht, eine
Möglichkeit zum Umgang mit dieser rechtswidrigen
Handlung zu finden, indem ein gesellschaftlicher Kompromiss gesucht wird.
Frau Kollegin Böhmer, Sie haben als Kronzeugin die
Mutter des derzeitigen Stammzellgesetzes, Margot von
Renesse, erwähnt. Sie alle haben vielleicht gelesen, was
Margot von Renesse in Kenntnis der jetzigen Situation
zu der damals getroffenen Regelung sagt. In der Süddeutschen Zeitung von heute sagt sie, die Gewinnung
von Stammzellen aus Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben, sei auch in Deutschland
zuzulassen.
({3})
„Die Gewinnung von Embryonen“ ist, wie ich glaube,
etwas völlig anderes als das, worüber wir heute diskutieren. Ich glaube, man sollte das ernst nehmen. Sie sagt
weiter - das ist für mich der eigentliche Kern der Argumentation in Bezug auf die Stichtagsregelung -, eine andere Position als die, die wir jetzt diskutieren, sei 2002
nicht mehrheitsfähig gewesen. Angesichts der heutigen
Situation sagt sie, es reiche nicht aus, den Stichtag für
den Import von Stammzellen zu verschieben. Ein solcher Schritt wäre unlogisch und ethisch nicht zu begründen. - Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie
hat auch an dieser Stelle recht.
({4})
Über die Notwendigkeit, die Inhalte und die Ziele der
Stammzellforschung ist hier schon ausführlich diskutiert
worden. Auch ich gehöre zu denjenigen, die gerade in
Anbetracht dessen, was Forschung bewirken und an
schlimmen Dingen hervorbringen kann, sagen, dass
nicht alles erlaubt ist, was möglich ist. Denjenigen, die
befürchten, dass die Diskussion hierüber am Ende zu einem Dammbruch führt, möchte ich entgegenhalten, dass
solche Vorhalte in eine völlig falsche Richtung zielen.
({5})
Ich sage - das ist aus meiner Sicht völlig klar, und daran will auch niemand etwas ändern -: Es bleibt bei den
Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes aus dem
Jahre 1990; es gibt da keine Veränderungen, und es gibt
keine nachhaltigen Veränderungen beim Verbot des Imports von embryonalen Stammzellen, wie es im Stammzellgesetz von 2002 niedergelegt ist. Es findet nur eine
einzige Änderung statt, die leicht zu rechtfertigen ist:
Wenn man nämlich diese Forschung will, sich also zur
embryonalen Stammzellforschung bekennt, dann muss
ihr ein Rahmen gegeben werden, der ethisch verantwortbar ist. Zugleich muss aber auch klar formuliert und
geregelt werden, dass entsprechenden Anträgen ein
Ausnahmecharakter zukommt. Hierzu hat aber eine
Stichtagsregelung überhaupt keinen Bezug.
({6})
Deshalb meine ich, dass man sie in diesem Fall, auch vor
dem Hintergrund ethischer Aspekte, aufheben muss.
({7})
Ich glaube - deshalb werbe ich auch für diese Position -, die Stichtagsregelung hilft niemandem, sie wird
auch auf Dauer nicht befrieden; das ist ja auch schon gesagt worden: Nachdem nämlich 2002 von einer einmaligen Regelung die Rede war, steht jetzt zur Diskussion,
diesen Stichtag um fünf bis sechs Jahre zu verschieben.
Aber in zwei bis drei Jahren werden wir angesichts der
Entwicklung der Stammzellforschung wieder vor dem
Dilemma stehen, einen Stichtag als entscheidendes Kriterium für die Genehmigung von Anträgen benennen zu
müssen. Ich glaube, dass ein solches Vorgehen falsch ist.
Wenn man zur embryonalen Stammzellforschung steht,
dann muss man ehrlich sein, eine Aufhebung der Stichtagsregelung fordern und darauf vertrauen, dass das
Robert-Koch-Institut und die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung verantwortbare Entschei16294
dungen treffen, um ein Ausufern bzw. einen Dammbruch
in diesem Forschungsbereich zu verhindern.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort erhält die Kollegin Dr. Petra Sitte.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Gründe, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen zu befürworten, haben sich für mich aus wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten abgeleitet. Die Expertenanhörungen haben mich darin bestärkt.
In Diskussionen, auch in meiner Fraktion, ging es
jedoch nur an zweiter Stelle um die Perspektiven medizinischer Stammzellforschung. Das verwundert mich,
ehrlich gesagt, bis heute ein wenig. Auch an der jüngsten
Anhörung hat mit Professor Schöler nur ein einziger
Stammzellforscher teilgenommen. Infolge dieser
Schwerpunktverlagerung wurden vor allem Bewertungen im Umfeld der Stammzellforschung diskutiert.
Fachdisziplinären Gründen stehen nunmehr ethische und
verfassungsrechtliche Argumente im Pro und Kontra einer Stichtagsänderung zur Seite.
Kennzeichnend ist über alles, dass es Gewissheiten
weder aus Sicht der Stammzellforschung noch aus Sicht
von Ethik und Verfassungsrecht gibt.
({0})
Werte und Rechtsgüter stehen sich gegenüber. Daraus
folgende Konflikte und Widersprüche bedürfen also
weiterhin eines gesellschaftlichen Diskussions- und
Handlungsspielraumes. Insofern muss der säkulare, plurale Rechtsstaat mit Blick auf die embryonale Stammzellforschung einen schlüssigen politischen wie auch
rechtlichen Kompromiss ermöglichen.
Statt jedoch einen „schonenden Ausgleich“, wie das
die Experten bezeichnet haben, mit einer Stichtagsverschiebung zu finden, wird auch in dieser Debatte der
Eindruck erweckt, als könne es in der Frage der Stichtagsänderung keinen Kompromiss geben. Allerdings ist
- einige haben das hier auch schon gesagt - das geltende
Stammzellgesetz ein lebendiger und sich bewährender
Kompromiss.
({1})
Diesen sollten wir erhalten, eben weil noch so viele Fragen offen und zu klären sind. Und so werben Abgeordnete meiner Fraktion und auch ich persönlich für diesen
Kompromiss, obwohl wir die Ersetzung des Stichtages
durch eine Einzelfallprüfung eigentlich für konsequenter
hielten.
({2})
Zugleich richtet sich an die Gegner der Stammzellforschung aus meiner Sicht die Frage, weshalb sie die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen und somit den Verlust von Embryonen verhindern wollen,
indem sie das Stammzellgesetz revidieren. Experten haben doch wiederholt darauf hingewiesen, dass im
Stammzellgesetz nicht diese Handlung geregelt wird. Es
geht im Gesetz nicht um Embryonen, sondern um den
Import von Stammzelllinien.
({3})
Nicht die Verwendung von Embryonen wird bestimmt,
sondern die Verwendung von Zellen, die in der Vergangenheit und in einem anderen Land aus überzähligen
Embryonen gewonnen wurden.
({4})
Diese Rechtslage bleibt auch bei einer Änderung des
Stichtages erhalten.
({5})
Das Verbot des Embryonenverbrauchs für die Forschung leitet sich - völlig zu Recht angemerkt - aus dem
Embryonenschutzgesetz ab. Dieses allerdings - das
muss ausdrücklich gesagt werden - verbietet aber nicht
das Verwerfen von Embryonen an sich. Werden diese
nämlich nicht zum Zwecke der Fortpflanzung einer Frau
übertragen, dann besteht kein Erhaltungsgebot. Erst für
den Zweck der Forschung wurden ein Erhaltungsgebot
und ein Verwendungsverbot bestimmt. Dennoch fürchten viele Abgeordnete, dass eine Änderung des Stammzellgesetzes der Verzweckung, wie schon gesagt, von
menschlichem Leben in Deutschland Tür und Tor öffnet.
Lebens- und Würdeschutz könnten aufgeweicht werden.
Das Gesetz hat also für viele Abgeordnete hier durchaus
eine Symbolwirkung.
Lassen Sie mich dazu Professor Hilpert von der Katholisch-Theologischen Fakultät München aus der Anhörung zitieren. Er sagte dort:
Ich habe bislang noch keine schlüssige Antwort auf
die Frage finden können, weshalb die Zerstörung
von verwaisten Embryonen durch Auftauen und
Entsorgung ethisch würdiger sein soll als ihre Zerstörung durch Entnahme von Stammzellen für die
medizinische Forschung, wenn feststeht, dass sie
einer Frau nicht mehr eingesetzt werden können.
({6})
Meine Damen und Herren, in diesem Haus, aber auch
in der Wissenschaft sind sich alle darin einig, dass
menschliches Leben in vorgeburtlichen Stadien geschützt werden muss. Ein willkürlicher Zugriff, auch
durch die Forschung, wird hier von niemandem vertreten. Also kann auch der Vorwurf der Vernachlässigung
von Würde- und Lebensschutz nicht erhoben werden.
({7})
Die ethisch umstrittenste Frage bleibt, wann menschliches Leben beginnt und damit die Zuschreibung von
Menschenwürde. Welchen Umfang soll der Lebensschutz haben? Bis heute treffen selbst Verfassungsrecht
und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu keine eindeutige Aussage. In der Gesellschaft finden sich verschiedene Wertegemeinschaften mit verschiedenen Wertekonzeptionen. Daher differieren auch moralische und
ethische Haltungen. Weil ebendie Antworten durch viele
wertgebundene Deutungsschritte geprägt sind, sagen
Ethiker, dass der Gesetzgeber nicht zwangsrechtlich intervenieren darf.
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir heute als verantwortungsvolle Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber den
Stammzellkompromiss zwischen Forschungsfreiheit und
Lebensschutz von 2002 mit einer Stichtagsänderung
fortschreiben.
Danke schön.
({8})
Das Wort erhält der Kollege Rolf Stöckel.
({0})
- Entschuldigung. Wir richten uns selbstverständlich
nach der vereinbarten Rednerliste. Das Wort hat also die
Kollegin Priska Hinz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Stammzellkompromiss von 2002 hat deshalb zur gesellschaftlichen Befriedung beigetragen, weil das Parlament
auf Basis ethischer Grundsätze ein Gesetz verabschiedet
hat. Wenn man jetzt die Argumente überprüft, weshalb
der Stichtag verschoben oder gar völlig aufgehoben werden soll, und sich die Ergebnisse der human-embryonalen Stammzellforschung ansieht, dann kann man nur
nüchtern feststellen: Es gibt überhaupt keine überzeugende Begründung für eine Verschiebung.
({0})
Das häufigste Argument der Forscherinnen und Forscher, die Stammzelllinien seien veraltet und deswegen
unbrauchbar, lässt sich allein schon durch die Tatsache
widerlegen, dass bereits in den ersten dreieinhalb Monaten dieses Jahres fünf Forschungsprojekte mit Stammzelllinien von vor 2002 neu genehmigt wurden. Damit
ist dieses Argument widerlegt.
({1})
Die alten Stammzelllinien werden weltweit in aktuellen Forschungsprojekten genutzt - im Übrigen auch bei
der sogenannten vergleichenden Forschung, bei der neue
Entwicklungsansätze in der Stammzellforschung überprüft werden, Frau Ministerin. Die Behauptung, die
neuen Linien seien besser, weil sie nicht verunreinigt
sind, ist im Übrigen durch keine wissenschaftliche Untersuchung belegt.
({2})
Im Gegenteil: Es gibt derzeit keine embryonalen Stammzellen weltweit, die xenogenfrei sind, also ohne tierische
Nährzellen entwickelt wurden. Daran würde auch eine
Verschiebung des Stichtages nichts ändern.
({3})
Besonderes Gewicht hat die Frage: Gibt es Aussicht
darauf, dass embryonale Stammzellen zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können? Hier hat
sich seit 2002 hinsichtlich der Erwartung, dass embryonale Stammzellen zur Therapie von Krankheiten eingesetzt werden können, sogar noch größerer Zweifel breitgemacht. Wenn man sich anschaut, mit welcher
Vehemenz Forderungen nach mehr und neuen Stammzelllinien vorgetragen werden und wie wenig beachtet
wird, wie weit wir in der adulten Stammzellforschung
schon sind, dann finde ich das sehr beachtlich.
({4})
Wenn wir über Heilung von Krankheiten und Therapien sprechen, dann sollten wir auch darüber reden, dass
inzwischen weltweit mehrere Tausend herzkranke Patienten erfolgreich mit adulten Stammzellen behandelt
wurden. Der Stammzellforscher Professor Strauer war
bei uns in der Anhörung. Er sagte, wir sollten uns auf
das konzentrieren, was uns mit Blick auf den Patienten
klinisch weiterbringe, was heute eindeutig mit den adulten Stammzellen gelinge. Er sagte auch ganz deutlich,
dass er noch nie die human-embryonale Stammzellforschung gebraucht habe, um bei seiner Forschung mit
adulten Stammzellen voranzukommen. Das ist doch ein
deutliches Wort. Auch das sollten wir ernst nehmen.
({5})
Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres ethisches Problem ansprechen, das in der Debatte wenig Gehör findet,
das für die Zukunft aber, wie ich glaube, relevant ist:
Wenn das Stammzellgesetz weiter geöffnet wird, dann
besteht die Gefahr, dass ärmere Frauen zunehmend mit
finanziellen Anreizen zur Eizellspende im Ausland animiert werden. Mit einer Änderung des Stammzellgesetzes steigt die Gefahr, dass embryonale Stammzellen importiert werden könnten, die von „frischen“ Embryonen
Priska Hinz ({6})
stammen, die gezielt zu Forschungszwecken erzeugt
wurden.
({7})
Wir reden erstens über die Verschiebung und zweitens
über die völlige Freigabe. Wenn man einmal verschiebt,
kann man auch ein zweites und drittes Mal verschieben.
({8})
Dann sind wir nicht mehr davor gefeit, dass Stammzelllinien, die extra zu Forschungszwecken erzeugt wurden,
nach Deutschland eingeführt werden.
Die Risiken der notwendigen hormonellen Behandlung und der Eingriff für die Frau sind sehr groß. Auch
das ist ein Grund, weshalb Frauen in der Mehrheit, auch
in Deutschland, gegen eine Ausweitung der humanen
embryonalen Stammzellforschung sind. Ich glaube,
diese Ablehnung hat etwas mit dem Körper der Frau zu
tun, insbesondere mit der Tatsache, dass man für die embryonale Stammzellforschung Eizellen braucht.
({9})
Die meisten Argumente, die hier vorgebracht wurden,
sind nicht neu. Sie werden in zwei, drei oder vier Jahren
wieder auf den Tisch kommen. Was jetzt richtig ist, kann
in ein paar Jahren nämlich nicht falsch sein. Deswegen
ist eine Verschiebung eine immerwährende Verschiebung. Damit würde die Glaubwürdigkeit ethischer Versprechen des Parlaments beschädigt.
Frau Kollegin, bitte.
Ich glaube, wir tun gut daran, auf dem Kompromiss
von 2002 zu beharren. Deswegen bitte ich Sie, unserem
Antrag zuzustimmen.
Danke schön.
({0})
Bitte, Herr Kollege Stöckel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Unsere gestrige Gedenkstunde hat mir einiges wieder bewusst gemacht, vor allen Dingen eines: Eine mutige und selbstbewusste Demokratie sollte die internationale Entwicklung in der
Molekularbiologie konstruktiv mitgestalten und nicht,
was aussichtslos ist, zu verhindern versuchen.
({0})
Niemand in diesem Haus will aus dem ethischen
Konsens austreten, nach dem nicht alles gemacht werden
darf, was machbar ist, oder vom Grundsatz abweichen,
dass kein menschliches Leben der Verzweckung ausgesetzt werden darf. An einer Herabwürdigung des ethischen Verantwortungsbewusstseins deutscher und internationaler Forscher sowie anderer demokratischer
Parlamente in der westlichen Wertegemeinschaft möchte
ich mich - das sage ich ausdrücklich - nicht beteiligen.
({1})
Ebenso wie Frau Ministerin Schavan und viele Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen habe ich die
ethisch vertretbare und verfassungskonforme Auffassung, dass der Lebensschutz sowohl die besondere Achtung des beginnenden, potenziellen menschlichen Lebens als auch die Verwirklichung der Chance auf
Linderung und Heilung schwerster Krankheiten und Leiden lebender Menschen umfasst. Wenn der Stichtag
nicht gestrichen oder mindestens verschoben wird, bedeutet das faktisch ein Ende dieser Spitzenforschung in
Deutschland. Das wäre ein schwerwiegender Konflikt
mit der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit; so habe ich die Sachverständigen und Fachleute
in den Anhörungen verstanden.
Die Frage, welche Erfolge die embryonale Stammzellforschung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erzielen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Das liegt in der Natur der Sache. Diese
Tatsache begründet aber keinesfalls ein Forschungsverbot. Ich frage Sie: Wo stünden die menschliche Zivilisation und die Humanmedizin, wenn wir dieser Logik folgen würden?
({2})
Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung sind
nur dann richtig einzuschätzen, wenn wir lernen, sie zu
verstehen. Nur wer die Wissenschaft auf dem Boden unserer Verfassung verantwortlich betreibt und versteht,
kann die Chancen nutzen und Risiken vermeiden helfen.
({3})
Die Erfüllung von Hoffnungen und Versprechen
konnte in der gesamten Wissenschaftsgeschichte übrigens ebenso wenig vorhergesehen werden wie das Eintreten düsterer, apokalyptischer Prophezeiungen. Oder
um es besser in den Worten von Willy Brandt zu sagen:
„Der beste Weg, die Zukunft vorauszusehen, ist, sie zu
gestalten.“ Dazu bedarf es nicht der vorauseilenden Vermeidung vermeintlichen Unglücks, sondern der Erforschung und Prüfung der medizinischen Möglichkeiten,
und zwar im globalen öffentlichen Raum, demokratisch
kontrolliert im Rahmen strenger gesetzlicher Regeln, die
letztlich überhaupt nur europäisch und international
wirksam werden können. Das ist die rationale Antwort
auf die angstbesetzten Mythen über Dr. Frankenstein
bzw. die Geheimlabore menschenverachtender Verbrecher und Diktatoren.
Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn aus der Forschung, die in einer sogenannten Sternstunde des Parlaments erschwert oder gar ganz verboten werden soll, die
Erkenntnis gewonnen würde, dass ein Verbrauch humaner Embryonen für die Herstellung totipotenter Stammzellen zukünftig vielleicht überflüssig wird. Das ist nicht
ausgeschlossen. Deshalb kann die Bedeutung der Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht auf ihre Anwendungspotenziale reduziert werden.
Unser Gesetzentwurf stellt keinesfalls eine unverantwortliche Freigabe des Embryonenverbrauchs oder das
ethische Gegenteil der Hüppe’schen Inquisition dar, sondern meines Erachtens einen Kompromiss zugunsten des
Lebensschutzes in einer pluralistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die die künstliche Befruchtung, das
Einfrieren und die Vernichtung nicht implantierter Embryonen erlaubt und den Abtreibungskompromiss oder
die Legalisierung nidationshemmender Verhütungsmittel
mit überwältigender Mehrheit zumindest nicht infrage
stellt. Unser Gesetzentwurf bewegt sich, wie die anderen
Entwürfe auch, innerhalb des Spektrums der ethischen
Schnittmengen und strittigen Debatten der Weltreligionen und -anschauungen. Er ist keinesfalls jenseits aller
verantwortbaren Zivilisationen angesiedelt.
Die internationale Praxis seit 2002 liefert keinen einzigen Beleg für die These, dass der Verzicht auf einen
Stichtag im deutschen Stammzellgesetz dazu führen
würde, dass im Ausland mehr embryonale Stammzellen
gewonnen und dadurch zusätzlich überzählige Embryonen verbraucht würden. Das deutsche Stammzellgesetz
bleibt aber so lange nicht widerspruchsfrei, bis wir das
Embryonenschutzgesetz, wie andere Demokratien auch,
mit klaren und engen Regeln verändert haben. Darum
geht es heute allerdings überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, geben Sie sich also den
Ruck, der durch Deutschland gehen muss! Schenken Sie
uns eine Stunde Lebenszeit statt zwei oder vier weiterer
namentlicher Abstimmungen! Geben Sie Deutschland
eine Mehrheit für unseren Antrag!
Herzlichen Dank.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola
Reimann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
vergangenen Wochen und Monate standen im Zeichen
einer intensiven Debatte über die Stammzellforschung.
Der Großteil dieser Diskussion war erfreulicherweise erneut durch ein ganz hohes Maß an Verantwortung und
Reflexion über den Umgang mit embryonalen Stammzelllinien gekennzeichnet.
({0})
Wir haben uns - ich denke, da kann ich für alle hier im
Hause sprechen - unabhängig von der jeweiligen eigenen Position die heutige Entscheidung insgesamt nicht
leicht gemacht.
Im Vorfeld wurde immer wieder versucht, die angeblich ethisch unproblematische adulte Stammzellforschung gegen die ethisch problembehaftete embryonale
Stammzellforschung auszuspielen. Es wurde so getan,
als ob die Forschung mit adulten Stammzellen bereits
heute die lang ersehnte Alternative zur embryonalen
Stammzellforschung darstellt und man daher auf Letztere ganz verzichten kann.
Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Adulte
Stammzellforschung benötigt weiterhin die Ergebnisse
der embryonalen Stammzellforschung als Bezugs-, Referenz- und Vergleichsgröße. Dies bestätigte erst kürzlich der japanische Forscher Yamanaka, der im Übrigen
zeitgleich zu unserer ersten Lesung im Parlament neue
Erfolge zur Zellreprogrammierung vorgelegt hat.
Yamanaka arbeitet mit Epithelzellen; das sind beispielsweise Zellen in der Darmwand. Er hat sie mithilfe von
vier eingeschleusten Genen reprogrammiert und damit
sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen hergestellt. Diese Stammzellen mit induzierter Pluripotenz
verhalten sich nahezu wie embryonale Stammzellen.
Dieses Beispiel zeigt: Auch Yamanaka, der mit seiner
Forschung dazu beitragen möchte, dass der Verbrauch
von Embryonen künftig vermieden werden kann, benötigt den Vergleich mit embryonalen Stammzelllinien.
({1})
Die Mehrheit der seriösen Stammzellforscher betont
immer wieder, dass für ihre Forschung zum Zwecke von
Qualitäts- und Funktionalitätsvergleichen nach wie vor
auch Arbeiten an embryonalen Stammzelllinien notwendig sind; auch in dieser Woche gab es dazu entsprechende Äußerungen und Schreiben. Genau deshalb fördert das BMBF beide Forschungsansätze. Allerdings
muss ich sagen, dass die ganz überwiegende Mehrzahl
der Mittel, 97 Prozent,
({2})
für die Forschung an adulten humanen Stammzellen und
für die Untersuchung an Tiermodellen ausgegeben wird.
({3})
Trotzdem steht fest, dass in der Grundlagenforschung
derzeit nur gleichzeitige Arbeiten an beiden Forschungsansätzen zum Erfolg und zu Therapieerfolgen auch im
adulten Bereich führen können. Aus diesem Grunde
bleiben beide Ansätze für die medizinische Forschung
bedeutsam. Deswegen ist es notwendig, dass ausreichend geeignete embryonale Stammzelllinien zur Verfügung stehen.
({4})
Zudem weisen die Wissenschaftler darauf hin - Frau
Hinz, ich bitte Sie, kurz zuhören -, dass noch viele Jahre
der Grundlagenforschung erforderlich sein werden, bevor erste Handlungsoptionen verfügbar sind. Das sagen
die Wissenschaftler selbst.
({5})
Ihnen immer zu unterstellen, sie würden etwas anderes
behaupten, halte ich für nicht gerechtfertigt.
({6})
Ein Kennzeichen der Grundlagenforschung - auch das
ist schon gesagt worden - ist die Nichtvorhersehbarkeit
ihrer Ergebnisse. Deswegen geht es hier und heute vor
allen Dingen darum, für Forschungschancen und Therapieoptionen zu sorgen.
Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf beinhaltet einen in der Vergangenheit liegenden festen Stichtag und - das wurde bisher nur selten angesprochen - die
Aufhebung der Strafandrohung für deutsche Wissenschaftler. Wir wollen, dass der Grundsatzbeschluss des
Deutschen Bundestages aus dem Jahre 2002 beibehalten
wird. Besonders wichtig ist, dass wir durch die behutsame Novellierung des Stammzellgesetzes den gesellschaftlichen und ethischen Friedensschluss, den wir im
Laufe der letzten Jahre erzielt haben, erhalten.
({7})
Ich will auch darauf hinweisen, dass eine einmalige Verschiebung des Stichtags entgegen dem, was vorhin behauptet wurde, keinerlei Auswirkungen auf das deutsche
Embryonenschutzgesetz und seinen hohen Schutzstandard hat.
Mit unserem Gesetzentwurf würden wir ermöglichen,
dass die hochrangige und alternativlose Forschung an
bereits etablierten Stammzelllinien in Deutschland in einem klar begrenzten Umfang durchgeführt werden kann.
Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung.
({8})
Monika Knoche ist die nächste Rednerin.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Um es ganz klar zu sagen: Wer heute den Stichtag
verschiebt, kann sich nicht mehr auf den Kernbestand
des Gesetzes von 2002 berufen.
({0})
Denn ab dann würde die Embryonenproduktion für
fremdnützige Zwecke gebilligt.
({1})
Es besteht kein Zweifel, dass Frauen in den Ländern,
die diese neuen Zelllinien exportieren, zu Eizelllieferantinnen gemacht würden, weil dort kein Embryonenschutzgesetz existiert, in dem die Praxis der künstlichen
Befruchtung geregelt ist. Dagegen wendet sich auch der
Deutsche Frauenrat entschieden.
({2})
Vor sechs Jahren hat dieses Haus mit überwältigender
Mehrheit seine Auffassung bekräftigt, dass kein einziger
weiterer Embryo zum Zwecke der Forschung in
Deutschland vernichtet werden soll. Diesen Konsens
verlässt die Gruppe Röspel.
Es geht um weitaus mehr als um die Änderung eines
Datums. Das Wichtigste ist die ethisch-moralische Dimension einer Gesetzesänderung. Im Mittelpunkt steht
die zentrale Menschenrechtsfrage der Moderne, vor die
wir alle durch die Entwicklung der Forschung und der
Fortpflanzungsmedizin gestellt wurden. Sie lautet: Hat
der menschliche Embryo eine Menschenwürde? Ist er
ein Mensch in Entwicklung, auch und gerade dann,
wenn er nicht durch Schwangerschaft in die Welt kommen wird, sondern durch künstliche Befruchtung ohne
den Körper der Frau bereits auf der Welt ist?
Diese Auffassung, die ich vertrete, steht nicht im Gegensatz zum Menschenrecht der Frau, keiner Gebärpflicht im Fall der Schwangerschaft unterstellt zu werden. Eine Unterscheidung zwischen dem Status eines
Embryos in vivo und dem Status eines Embryos in vitro
ist nicht notwendig. Er hat Menschenwürde. Es gilt das
prinzipielle Instrumentalisierungsverbot. Genau darüber
reden wir heute. Es geht um die unbedingte Zweckfreiheit der menschlichen Existenz.
({3})
An diesem ethischen Prinzip müssen wir festhalten;
denn der menschenrechtliche Status des Embryos darf
nicht zur Disposition gestellt werden, weil es ein immer
stärker wachsendes Interesse an seiner Nutzbarmachung
gibt. Deshalb lautete das Credo der Bundestagsentscheidung von 2002: Der Embryo hat Menschenwürde, so
wie wir es im Embryonenschutzgesetz bestimmt haben.
Ich frage: Kann, darf und wird diese Festlegung heute
verworfen?
({4})
Ist die eigentliche Entscheidung des Parlamentes die,
dass wir Nießnutz daraus ziehen wollen, dass der Embryo in vitro im Ausland zur humanbiologischen Sache
erklärt wird, um in Deutschland neues Forschungsmaterial zu werden? Die immer neuen Begehrlichkeiten
dieser Forschung dürfen uns als Gesetzgebende nicht
handlungsleitend sein. Es geht um Grundsätzliches. In
Deutschland ist der Embryo ein Rechtssubjekt, im Ausland ein materielles Objekt. Eine solche Haltung in Gesetz gegossen, kann kein moralisch-integrer Weg sein.
({5})
Die bestehenden Begrenzungen von 2002 fortzuschreiben, bedeutet jedoch keine Absage an die Stammzellforschung; denn es gibt überzeugende Alternativen,
die schon heute therapeutische Hilfe ermöglichen. Sie
liegen in der Reprogrammierung von Zelllinien und in
der adulten Stammzellforschung. Diese gilt es zu stärken, weil sie einer humanistischen Humanmedizin entsprechen.
Wir können keine Forschung aufbauen und fördern,
die darauf aufbaut, dass Embryonen erzeugt und zerstört
werden, um frische Zelllinien zu gewinnen. Ich sage:
Auch wenn sich der Embryo, um den es hier geht, in
seinem frühen Entwicklungsstadium noch nicht als
menschliches Gegenüber zeigt, so hat er doch die volle,
aus ihm selbst kommende Kraft, sich als Mensch zu entwickeln und genau die Person zu werden, die normalerweise geboren wird.
({6})
Es gibt aus meiner Sicht keine Möglichkeit, ihm die
Zugehörigkeit zur Menschheit abzusprechen und ihn davon auszuschließen. Es kann auch kein gestuftes Menschenwürdekonzept geben. Wer sagt, der Embryo sei nur
dann ein Mensch, wenn er die Gebärmutter einer Frau
erreicht und zur lebensfähigen Reife gelangt, sieht über
die Anthropologie und über die Menschenrechtsphilosophie unserer Verfassung hinweg.
({7})
Ich trete für die prinzipielle Zweckfreiheit des
menschlichen Lebens ein, egal wie und wo es sich zeigt.
Das Verbot der fremdnützlichen Forschung als Tabu ist
für mich die wertvollste zivilisatorische Errungenschaft,
die wir aus historischer Erfahrung haben.
Mit der embryonalen Stammzellforschung ist eine
neue Menschenrechtsfrage und eine neue Frauenfrage
aufgekommen. Wir stehen vor der Aufgabe, den Wissensgewinn und das Generieren von neuen Therapien zu
ermöglichen. Die Forschungsfreiheit hat Verfassungsrang. Sie muss sich innerhalb ethisch-moralischer Grenzen entwickeln.
Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.
Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenze im Vorrang der Menschenwürde. Deshalb sage ich Nein zu einer Gesetzesänderung.
({0})
Das Wort hat nun der Kollege Carsten Müller.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meiner Überzeugung zeichnet sich eine gute gesetzliche Regelung dadurch aus, dass sie konsistent ist
({0})
und dass sie sich in einen gesetzlichen Gesamtzusammenhang widerspruchsfrei einfügt. Würde man die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen verbieten oder würde man eine solche Forschung infolge des
Zeitablaufes unmöglich werden lassen, dann tun sich
solche Widersprüche zwangsläufig auf. Ich will Ihnen
einige wenige nennen.
Wir haben das gewichtige Problem der Spätabtreibungen. Verschiedene Redner haben bereits das Problem der
sogenannten Pille danach angesprochen. Wir müssen uns
dann auch fragen: Sind Nidationshemmer, ist die Spirale
ethisch überhaupt vertretbar? Wir müssen uns womöglich auch fragen - der Kollege Tauss hat das angesprochen -, wie wir es mit dem Transplantationsgesetz halten.
({1})
Schauen wir uns die Situation an: Was wäre mit den
Embryonen, die bislang für die Stammzellgewinnung
verbraucht worden sind, passiert? Wenn wir eine solche
Betrachtung anstellen, kommen wir zwangsläufig zu
dem Ergebnis, dass die Verwendung dieser tiefgefrorenen Embryonen - von denen es auf der Welt Hunderttausende gibt -, nicht dazu geführt hat, dass diese Embryonen nicht als Mensch auf die Welt gekommen sind.
Mithin war die Verwendung dieser Embryonen in der beschriebenen Art und Weise eben gerade nicht Conditio,
Bedingung dafür, dass sie nicht als Menschen auf die
Welt gekommen sind. Wo eine Conditio nicht da war, ist
auch kein Raum für eine Verzweckungsdiskussion.
Der ethische Gehalt der Regelung des Jahres 2002
- dass von Deutschland kein Anreiz zur Herstellung und
Tötung von Embryonen ausgeht - soll erhalten bleiben.
Auch das ist ein Gesichtspunkt für eine gute und konsistente rechtliche Regelung. Denn ob eine rechtliche Regelung gut und konsistent ist, kann man daran festmachen, ob der Wesensgehalt erhalten wird; man kann es
aber nicht daran festmachen, ob der exakte Wortlaut über
die Jahre und Jahrzehnte fortgeschrieben wird.
({2})
Deutschland muss bei der Forschung an humanen
embryonalen Stammzellen international den Anschluss
behalten, unter forschungspolitischen Gesichtspunkten
wie unter dem Gesichtspunkt, dass wir an der ethischen
Diskussion weiterhin teilnehmen. Wir müssen an dieser
Diskussion teilnehmen, weil wir auch bei einer Verschiebung des Stichtages - für die ich plädiere - weiterhin
durch eine vorgeschaltete Einzelfallprüfung bei jedem
Importfall besonders hohe rechtliche und ethische Maßstäbe anlegen.
({3})
Carsten Müller ({4})
Hierzu dient natürlich auch das überhaupt nicht infrage
zu stellende Embryonenschutzgesetz.
Ich möchte zum Schluss eine weitere Motivation nennen, weswegen ich den Gesetzentwurf für eine Verschiebung des Stichtages unterstütze und weswegen ich an
Sie appellieren möchte, dem zuzustimmen: Der ethische
Sinngehalt der Regelung des Jahres 2002 bleibt erhalten.
Wir haben nach wie vor hohe ethische Maßstäbe, und
wir ermöglichen weiterhin Forschung, die dem Heilen
dient. Dieser Gedanke hat im Jahre 2002 eine große Befriedungswirkung gehabt. Ich bin mir sicher, dass eine
solche Befriedungswirkung auch von dem Gesetzentwurf ausgeht, mit dem eine Verschiebung des Stichtages
auf den 1. Mai 2007 angestrebt wird.
({5})
Deswegen hat dieser Gesetzentwurf über seinen sachlichen Gehalt hinaus - hier ist noch einmal das Stichwort
der rechtlichen Konsistenz zu nennen - einen weiteren
Wert, nämlich den Wert der Vermittlungs- und Befriedungswirkung.
Ich bitte Sie um Zustimmung.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort erhält der Kollege Hans-Michael
Goldmann.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Als ich heute den Bundestag betrat, wurde ich
gefragt, was ich von der Debatte erwarte. Ich habe geantwortet: Ich hoffe, dass der eine oder andere offen ist für
die Argumente, die vorgetragen werden. Darum bitte ich
jetzt.
Ich bin für die Beibehaltung der Stichtagsregelung;
aber ich wehre mich entschieden dagegen, in die Ecke
gestellt zu werden, ich sei nicht für eine menschenfreundliche Medizin
({0})
oder ich würde das Heilen von Menschen nicht als moralische Verpflichtung empfinden. Nebenbei gesagt: Dazu
ist jeder Arzt per Eid verpflichtet.
Die FDP hat in einem Parlament nie die Mehrheit.
({1})
Ich glaube, deshalb ist es so, dass Liberale immer um
Kompromisse ringen. Das haben wir 2002 getan. Der
Kompromiss, den wir damals getroffen haben, war gut.
Er wurde von der Gesellschaft insgesamt getragen.
Zu einem etwas unglücklichen Zeitpunkt hat dann die
Deutsche Forschungsgemeinschaft gefordert, dass sich
in diesem Bereich etwas tun muss, weil wir in der Forschung abgehängt werden. Dann haben wir das getan,
was unserem parlamentarischen Stil entspricht: Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Diejenigen, die
die Anhörung verfolgt haben, konnten eigentlich nur zu
einem Ergebnis kommen: Möglicherweise ist es an der
einen oder anderen Stelle ein bisschen forschungsfreundlicher, wenn wir den Stichtag verschieben. Werden damit aber auch die Lebensinteressen von Menschen
mit Behinderungen berücksichtigt?
({2})
Wie sind die Schreiben und Mahnungen der Organisationen einzustufen, die uns erreichen? Wie sieht es mit den
Heilungserwartungen aus, die die Patienten an eine solche Regelung stellen? Wie ist das mit der grundgesetzlichen Verankerung des Schutzes und der Würde des Menschen vereinbar?
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es tut mir leid:
Gucken Sie ins Grundgesetz! Der Fall ist eindeutig geregelt und ausgelegt. Das verstehe auch ich als Nichtjurist. Gemäß dem Grundgesetz gibt es keinen aufsteigenden Lebensschutz, genauso wenig wie es einen
abnehmenden Lebensschutz gibt.
({4})
Der Embryo ist menschliches Leben von Anfang an. Er
hat von Anfang an eine Würde, und er muss von uns als
Gesetzgeber geschützt werden. Deswegen ist es bei der
heutigen Debatte unser Grundauftrag, uns bei dieser
Frage am Grundgesetz zu orientieren.
Da ich selbst einmal Tiermedizin studiert habe, weiß
ich, wie viel Spaß Forschung macht. Es gibt aber keine
Freiheit der Forschung, sondern es gibt nur eine Forschung innerhalb des Rahmens, der im Grundgesetz verankert ist.
({5})
Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass der eine oder andere der Auffassung zuneigt, dass wir alles und jedes erforschen dürfen. Ich will hier keinen historischen Vergleich herstellen, aber bedenken Sie das bei Ihrer
Entscheidung. Ich meine, dass ein solches Forschungsverständnis mit unserem Grundgesetz absolut nicht in
Einklang zu bringen ist.
({6})
Der Kompromiss trägt.
Jetzt wird das neue Argument gebracht, dass wir den
Wissenstransfer in diesem Bereich brauchen. Ich habe
mit einer solchen Formulierung große Probleme. Man
setzt im Grunde genommen darauf, embryonale
Stammzellen sozusagen als Vergleichszellen bzw. Referenzmedium zu nutzen.
({7})
Wollen wir embryonale Stammzellen - Menschen bzw.
zumindest Zellen, die eine menschliche Würde besitzen als Referenzmedium nutzen? Ist das mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen? Nein, da liegen Sie
falsch. Es ist im Grundgesetz eindeutig definiert, wie wir
damit umzugehen haben. Wenn menschliches Leben
existiert, kommt ihm auch eine Menschenwürde zu. Es
ist nicht entscheidend, ob sich der Träger dieser Würde
bewusst ist. Genau so ist es definiert.
({8})
Nach der Summierung all der Gesichtspunkte, die mir
bei der intensiven Anhörung noch klarer geworden sind,
bin ich der Meinung: Der Kompromiss von 2002 war ein
guter Kompromiss. Es gibt keinerlei Veranlassung, diesen Kompromiss zum jetzigen Zeitpunkt aufzukündigen.
Ich bitte Sie, dafür zu stimmen, dass es bei der bisherigen Regelung bleibt.
Herzlichen Dank.
({9})
Nächster Redner ist der Kollege Patrick Meinhardt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Heute hat dieses Hohe Haus die Chance,
auf einem guten ethischen Fundament ein tragfähiges
wissenschaftliches Haus weiterzubauen.
Schon die Debatte vor wenigen Wochen war von einem ganz besonderen Geist geprägt, wie es der Vorsitzende der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias
Kleiner, beschrieben hat:
Die sachliche, ernsthafte und von hoher Verantwortung geprägte Debatte hat mich tief beeindruckt.
Für mich als Christ heißt es, aus der Verantwortung
vor Gott und den Menschen heraus die Balance zwischen der Ethik des Heilens und der Ethik des Lebens zu
finden.
Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in Dresden nach langer und intensiver Debatte
im Hier und Heute aus ihrer Verantwortung heraus einen
Beschluss gefasst, den ich zitiere:
Die EKD-Synode hält eine Verschiebung des Stichtages nur dann für zulässig, wenn die derzeitige
Grundlagenforschung aufgrund der Verunreinigung der Stammzelllinien nicht fortgesetzt werden
kann und wenn es sich um eine einmalige Stichtagsverschiebung auf einen bereits zurückliegenden
Stichtag handelt.
Unser Gesetzentwurf atmet denselben Geist eines
schonenden Ausgleichs zwischen den beiden so prägenden Grundwerten des Lebensschutzes und der Forschungsfreiheit für therapeutische Zwecke.
({0})
Deswegen ist die Art und Weise, wie in den letzten
Tagen mit dem EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Huber,
öffentlich umgegangen wurde, als er festgestellt hat,
dass die Kirchen akzeptieren müssen, dass es in Fragen
der Stammzellforschung ein gewisses Spektrum an Meinungen geben könne und dass die Synode der EKD einen vertretbaren Kompromiss gefunden habe, aus meiner Sicht unerträglich. Der EKD-Ratsvorsitzende stellt
sich einer ethischen Debatte inmitten unserer Gesellschaft. Dafür verdient er allen Respekt.
({1})
Wenn - wie gestern im Kölner Stadt-Anzeiger zu lesen war - der Papstberater Manfred Lütz, Mitglied des
Direktoriums der Päpstlichen Ethik-Akademie im Vatikan, an die Öffentlichkeit tritt und die Ethik des Heilens
als inhumanen Fundamentalismus bezeichnet, dann ärgert mich das, weil ich mich als Parlamentarier und
Christ nicht in eine ethische Schmuddelecke stellen lassen will.
({2})
Wenn aber, Frau Ministerin, Frau Kollegin Aigner,
Herr Kollege Röspel und auch Frau Kollegin Flach und
meine Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion,
derselbe Berater uns allen - den Befürwortern eines gelockerten Stammzellgesetzes, wie er es formuliert, egal
ob es um Stichtagsverschiebung oder Stichtagsaufhebung geht - in der gestrigen Ausgabe des Kölner StadtAnzeigers in offizieller Funktion „kabarettreife Volksverdummung“ vorwirft, dann ist das Maß des Erträglichen überschritten.
({3})
Ich erwarte, dass sich ein Mann der Ethik auch an die
Prinzipien des politischen Anstandes hält.
Lassen Sie uns besonnen und klug zur Abstimmung
schreiten. Es ist ein gutes Zeichen für die Wissenschaftler, wenn wir sie heute bei internationalen Forschungsvorhaben entkriminalisieren. Es ist gut, dass hier ein
breiter Konsens über die Bedeutung der adulten Stammzellforschung besteht, in die 97 Prozent der Fördermittel
fließen. Es ist auch gut, dass dieses Hohe Haus weit über
die einzelnen Gesetzentwürfe hinaus in dem Konsens
verbunden ist, dass die Forschung an importierten embryonalen Stammzelllinien unter rigorosen Auflagen
und Genehmigungen einen wesentlichen Beitrag zu einer Ethik des Heilens und damit zu einer Hoffnung für
viele Kranke wird.
Das Zeichen, das heute vom Bundestag ausgehen
muss, ist für mich klar: Wir wollen eine Freiheit der Forschung in ethischer Verantwortung. Deswegen bitte ich
Sie, auf der Grundlage der bestehenden Beschlüsse des
Bundestags der Verlegung des Stichtags zuzustimmen
und somit ganz im Geiste unseres Parlaments einen vertretbaren Kompromiss aktiv mitzugestalten.
({4})
Eine letzte Bemerkung sei mir erlaubt. So sehr ich
mich auch über die moralischen Zeigefinger in manch
einem öffentlichen Debattenbeitrag in den letzten Tagen
geärgert habe,
({5})
möchte ich mich doch bei Ihnen allen in diesem Parlament herzlich bedanken. Für mich als Parlamentsneuling
war das die erste Debatte, die sich nicht an parteipolitischen Positionen, sondern an neuen Überzeugungsfraktionen orientiert hat. Wir alle haben intensiv gerungen,
um eine richtige Entscheidung zu treffen. Es ist eine
Stärke unserer Demokratie und ein Zeichen der ethischen Tiefe unserer Parlamentskultur, dass diese Debatte
im Bewusstsein des Ernstes der Entscheidung in so großem Respekt vor der Meinung des anderen geführt worden ist. Herzlichen Dank dafür.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette WidmannMauz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im
Jahr 2002 habe ich mich gegen den Import von embryonalen Stammzellen und damit gegen die heute gültige
Stichtagsregelung ausgesprochen. Im Jahre 2008 komme
ich allerdings zu einer anderen Einschätzung. Damals
wie heute lehne ich die Zeugung menschlichen Lebens
zu einem anderen Zweck als seiner selbst ab und damit
auch die Gewinnung von embryonalen Stammzelllinien,
deren Voraussetzung die Zerstörung menschlichen Lebens ist.
({0})
Die Vorstellung, dass mit Zellen geforscht wird, zu deren
Gewinnung menschliches Leben zerstört wurde, war für
mich eigentlich unerträglich.
Der Deutsche Bundestag hat 2002 mit Mehrheit eine
andere Regelung beschlossen. So befinden wir uns heute
nicht mehr im Status der Unantastbarkeit; denn seit 2002
wird mit embryonalen Stammzellen in Deutschland geforscht. Konkrete Heilsversprechen, wie sie damals zum
Teil für die Forschung formuliert wurden, haben sich
seither nicht erfüllt. Dennoch kann ich nicht ignorieren,
dass die Wissenschaft in den vergangenen sechs Jahren
einen erheblichen Erkenntniszuwachs durch die Grundlagenforschung mit Stammzellen errungen hat. Die Erfolge in der adulten Stammzellforschung geben zu großen Hoffnungen Anlass. Aber ich kann auch nicht
Augen und Ohren davor verschließen, dass ein Teil der
Erfolge und möglicherweise in Zukunft noch größere Erfolge durch die Vergleichsforschung mit embryonalen
Stammzellen möglich werden.
({1})
Ich muss auch konstatieren, dass mit dem Gesetz von
2002 verantwortungsbewusst umgegangen wurde.
({2})
Die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung
beim Robert-Koch-Institut hat die Kriterien für den Import und die Auswahl der Forschungsvorhaben streng
angewendet. Die Entscheidungen dieses Gremiums wurden von keiner Seite infrage gestellt.
({3})
Auch ist von dieser Regelung kein Anreiz zur Produktion neuer Stammzelllinien ausgegangen. Also habe ich
die Verpflichtung, mich diesen Tatsachen zu stellen,
mich mit ihnen auseinanderzusetzen, und die Verantwortung, im Kontext des Jetzt mit den heutigen Erkenntnissen zu einer Entscheidung zu kommen. Dabei nehme ich
ganz bewusst in Kauf, mich einem ethischen Dilemma
auszusetzen; denn es geht um den Schutz menschlichen
Lebens und um die wissenschaftliche Erkenntnis, die
menschlichem Leben dient.
Bei dem Gesetzentwurf, der die Verschiebung des
Stichtags vorsieht, geht es eben nicht um den Umgang
mit Embryonen oder die Zerstörung menschlichen Lebens.
({4})
Das Gesetz legalisiert keine Verfahren zur Gewinnung
von überzähligen Embryonen oder embryonalen Stammzellen. Es schließt den Verbrauch von Embryonen definitiv aus. Es geht um Zelllinien, die bereits vorhanden
sind, ohne dass wir dazu beigetragen haben, weder aktiv
noch passiv. Sie sind einfach da.
({5})
Ich kann diese Tatsache zwar wie im Jahr 2002 bedauern. Aber sie sind da und bieten die Möglichkeit der Erkenntnis, die menschlichem Leben dient. Die Verwendung dieser Zelllinien bedeutet auch nicht, dass dadurch
die weitere Produktion unterstützt wird; denn ein deutlich in der Vergangenheit liegender Stichtag bietet die
Gewähr, dass kein falscher Impuls aus Deutschland in
diese Richtung geht.
({6})
Verliert ein Stichtag seinen ethischen Wert, wenn er
verschoben wird? Diese Frage ist der Kern der Auseinandersetzung. Ein Stichtag ist die Barriere dafür, das
ethische Dilemma „zerstören, um zu gewinnen“ irgendwie auszuhalten. Eine Verschiebung ist nur dann gerechtfertigt, wenn gewichtige Veränderungen eintreten,
die unter objektiven und plausiblen Gesichtspunkten
neue Entscheidungen erforderlich machen. Es stimmt,
bloße Behauptungen sind dafür sicherlich nicht ausreichend. Aber nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sondern auch wissenschaftliche Vertreter der
adulten Stammzellforschung halten die Verwendung von
embryonalen Stammzellen zur Vergleichsforschung für
unerlässlich, um die Potenziale zum Beispiel bei der
Reprogrammierung voll ausschöpfen zu können und damit mittelfristig diese Forschung überflüssig zu machen.
Nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellt
fest, dass die in Deutschland zugelassenen Stammzelllinien verunreinigt sind und ihr Forschungspotenzial erheblich eingeschränkt und nicht mehr ausreichend ist.
Es gibt aber eine andere Meinung. Auch sie will ich
nicht ignorieren. Ich kann und will der Wissenschaft weder bedingungslos vertrauen noch grenzenlos misstrauen. Aber aufgrund meines christlichen Menschenbildes habe ich ein Grundzutrauen zu Menschen und damit
auch zu einem Verantwortungsbewusstsein in der
Wissenschaft.
({7})
Der Stichtag behält auch nach einer Verschiebung - weil
er deutlich in der Vergangenheit liegt - seine Funktion
und seine ethische Bedeutung; denn er bietet weiterhin
keinen Anreiz zur Produktion neuer Stammzelllinien. Er
hält somit auch die Option offen, in der Zukunft gänzlich
auf embryonale Stammzelllinien verzichten zu können
und die darauf angewiesene Forschung überflüssig zu
machen, wenn das Forschungsziel ausschließlich mit
adulten Stammzellen erreicht werden kann.
So weit sind wir aber noch nicht, und deshalb ist es
meines Erachtens zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht vertretbar, auf die Möglichkeit dieses notwendigen Erkenntnisgewinns zu verzichten. Diejenigen, die in der einmaligen Verschiebung des Stichtages ein Präjudiz für weitere
Verschiebungen und damit die Aushöhlung dieses ethischen Grundgehalts sehen, können zu diesem Schluss
eigentlich nur dann kommen, wenn sie den jeweils Entscheidenden eine verantwortungsbewusste Beurteilung
und Bewertung der gegebenen Sachlage von vornherein
absprechen.
Frau Kollegin.
Das kann und will ich nicht. Auch wenn es unterschiedliche Einschätzungen gibt, wenn letzte Zweifel
bleiben, sind wir als Parlament die richtige Instanz - die
verantwortungtragende Instanz -, diese Entscheidung zu
treffen.
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. - Ich habe für mich die Entscheidung im Jetzt getroffen. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht, und ich habe darum
lange gerungen. Ich habe sie im Bewusstsein der eigenen
Fehlbarkeit, im Respekt auch vor der Meinung anderer,
nach intensiver Auseinandersetzung und reiflicher Überlegung, nach einer gewissenhaften Abwägung getroffen.
Ich entscheide mich heute für die Verschiebung des
Stichtages.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
({0})
Nächste Rednerin ist Frau Zypries.
Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Sachverständigenanhörung hat erneut
gezeigt, wie breit das Meinungsspektrum hinsichtlich
der Frage der Stammzellforschung ist. Letzte Gewissheit und absolute Wahrheit darüber, ob die Forschung an
neuen embryonalen Stammzellen nun erforderlich ist
oder nicht, hat auch die Anhörung nicht ergeben. Die
meisten Forscher halten sie für erforderlich, aber es wird
auch immer einige geben, die das anders sehen. Alle Argumente - die forschungspolitischen, die verfassungsrechtlichen und die ethischen - wurden sorgfältig bedacht. In dieser Situation hat der Bundestag, und zwar er
allein, eine Einschätzungsprärogative und die Entscheidungskompetenz. Ganz konkret bedeutet das: Der Bundestag darf sich für die Verschiebung des Stichtags entscheiden, und ich persönlich meine, er sollte es auch tun.
({0})
Die Stammzellforschung berührt unser Grundgesetz
und die Grundrechte in doppelter Hinsicht. Da ist zunächst die Forschungsfreiheit. Mit dem Stammzellgesetz schränkt der Staat diese Forschungsfreiheit ein. Die
Forschungsfreiheit wird um ihrer selbst willen geschützt
- das möchte ich gerne sagen -, aber nicht im Hinblick
auf irgendwelche Forschungserfolge. Auf welchem Gebiet jemand forscht, bleibt ihm überlassen. Der Staat hat
darüber nicht zu entscheiden. Das ist gerade der Sinn der
Forschungsfreiheit.
({1})
Allerdings hat der Staat auch die Pflicht, menschliches Leben zu schützen. Auch in der Petrischale ist der
Embryo kein beliebiger Zellhaufen. Er steht unter dem
Lebensschutz des Grundgesetzes. Ob dem Embryo in
der Petrischale darüber hinaus auch Menschenwürde zukommt, ist umstritten. Aber selbst wenn man - anders
als ich es tue - davon ausgeht, dass dieser Embryo in der
Petrischale eine Menschenwürde besitzt, ändert dies
nichts an dem Ergebnis im Hinblick auf unsere heute zu
treffende Entscheidung. Eine Verschiebung des Stichtags
im Stammzellgesetz ist verfassungsrechtlich zulässig.
Für den Schutz des Embryos in vitro sorgt nämlich bereits das Embryonenschutzgesetz, und zwar mit dem
schärfsten Schwert, das unserem Staat, unserer Rechtsordnung zur Verfügung steht: dem Strafrecht. Beim
Stammzellgesetz geht es dagegen nicht um Embryonen.
Das dürfen wir nicht vergessen.
({2})
Es geht um embryonale Stammzellen, und die sind nicht
in der Lage, sich zu einem kompletten Organismus zu
entwickeln, und sie sind auch keine Träger von Grundrechten.
({3})
In der Sachverständigenanhörung ist die Ansicht vertreten worden, auch diese einzelnen, nicht entwicklungsfähigen Stammzellen besäßen Menschenwürde, postmortal und quasi vom Embryo abgeleitet. Um es ganz
deutlich zu sagen: Ich halte diese Ansicht für falsch; darüber hinaus ist sie unter den Verfassungsjuristen wirklich eine ganz singuläre Einzelmeinung.
({4})
Für den Grundrechtsschutz des Embryos in vitro hat
das Stammzellgesetz also lediglich eine mittelbare Bedeutung, indem es den Embryonenschutz verstärkt. Das
Stammzellgesetz verhindert, dass von Deutschland ein
Anreiz ausgeht, im Ausland Embryonen nur deshalb zu
verbrauchen, weil man Stammzellen für den Export nach
Deutschland gewinnen will. Diese Verstärkung des Embryonenschutzes ist richtig und wichtig.
Aber wir müssen auch das Recht der Wissenschaftler
auf Freiheit ihrer Forschung achten. Schließlich darf
nicht jedes wissenschaftliche Interesse daran vernachlässigt werden, etwa die wissenschaftliche Grundlagenforschung für die Transplantationsmedizin oder die
Krebsbekämpfung zu verbessern. Auch dafür muss die
Politik sorgen.
Wir brauchen also einen fairen Ausgleich zwischen
den verschiedenen Belangen. Ich meine, wir erreichen
das am besten dadurch, dass wir den Stichtag einmal
verschieben, zumal wir von den Naturwissenschaftlern
wissen, dass dies die richtige Lösung ist, weil sie ausreichend ist, um die erforderlichen und notwendigen
Forschungen weiter betreiben zu können, und eine weiter gehende Lösung mehr geben würde, als man notwendigerweise braucht.
({5})
Das Wort erhält der Kollege Hubert Hüppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle
haben bei der Anhörung im März vernommen: Es gibt
nach zehn Jahren weltweiter Forschung mit embryonalen Stammzellen keine einzige Therapie. Nach zehn
Jahren gibt es noch nicht einmal eine einzige Studie am
Menschen, es ist noch nicht einmal ein Versuch gemacht
worden, und das, obwohl die Deutsche Forschungsgemeinschaft uns noch in ihrer Stellungnahme von 2006
angekündigt hat - das klang auch heute oft an -, dass es
schon 2007 den ersten therapeutischen Versuch geben
wird.
Es hat sich gezeigt: Die Forschung mit embryonalen
Stammzellen ist bis heute therapeutisch nutzlos. Auch
eben hat man argumentiert: Wir brauchen diese Stammzellen aber zum Vergleich mit den Ergebnissen der adulten Stammzellforschung; dabei forscht man mit den
Stammzellen, die in unserem Körper sind und für die
kein Embryo getötet werden muss. Mit diesen Zellen
werden schon heute Tausende von Menschen geheilt.
Man muss sagen: Die Anhörung hat ergeben, dass nicht
eine einzige Studie vorliegt, die den Nutzen der Forschung mit embryonalen Stammzellen beweist.
({0})
Ich wiederhole: Es gibt keine Studie - weder eine der
Deutschen Forschungsgemeinschaft noch irgendeine andere -, die uns diesen Nutzen beweist. Wenn man schon
wissenschaftlich argumentiert: Diejenigen, die fordern,
dass man den Stichtag verschiebt, sind beweispflichtig;
sie müssen aufzeigen, dass man diese Zellen tatsächlich
braucht.
({1})
Auch als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion
sage ich - ich finde es immer schlimm, wenn Menschen,
die todkrank sind, instrumentalisiert werden -: Kein
Mensch ist mit embryonalen Stammzellen geheilt worden. Das einzige Ergebnis, das wir haben, sind Tausende
von Versuchstieren, die bei diesen Versuchen gestorben
sind, weil sie Tumore bekommen haben. Es ist deutlich
- wir wissen es heute alle -: Embryonale Stammzellen
führen zu Tumoren, und deswegen gibt es auch keine
Heilung.
({2})
In der Anhörung vor einem Jahr wurde uns gesagt, die
Firma ESI in Singapur - viel gefeiert und mit Hunderten
von Millionen Euro ausgestattet - produziere Stammzellen, die man hier gerne haben möchte, weil sie für
Therapien geeignet seien. Diese Firma hat die therapeutische Forschung im letzten Jahr eingestellt; sie verkauft nur noch embryonale Stammzellen. Sie sei angeblich die einzige Firma gewesen, die Zellen habe, die
nicht auf tierischem Nährboden kultiviert worden seien.
Auf ihrer Internetseite heißt es, man werde eine neue Internetseite erstellen, aber das werde noch einige Wochen
dauern.
({3})
Herr Yamanaka und Herr Thomson haben zum Vergleich „alte“ Stammzelllinien genommen. Sie haben gezeigt, dass man Hautzellen reprogrammieren kann. Wir
brauchen also keine neuen embryonalen Stammzellen.
Für diese Zellen braucht kein Embryo getötet zu werden;
sie könnten für den Patienten individuell hergestellt werden.
Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, unsere
Forscher bräuchten dies aber, dann erklären Sie mir einmal, warum einer der bekanntesten Stammzellforscher,
der Schöpfer des Klonschafs Dolly, Ian Wilmut, im
November öffentlich gesagt hat, er führe keine embryonale Stammzellforschung mehr durch, weil sie sich nicht
lohne, und arbeite nur noch mit reprogrammierten Zellen. Wenn im Ausland solche Forscher, die an alle weltweit verfügbaren Stammzelllinien herankommen können, sagen, sie bräuchten diese Forschung nicht, weil sie
erfolglos sei, warum haben wir dann ein Dilemma, was
Ian Wilmut und andere nicht haben?
({4})
Wenn wir das Geld, das zum Beispiel Herr Brüstle
aus dem Bonn-Berlin-Ausgleichsfonds, aus Ländermitteln und universitären Mitteln bekommt - es sind über
50 Millionen Euro -, in eine öffentliche Stammzellbank
mit Stammzellen aus Nabelschnurblut gäben, die es
immer noch nicht deutschlandweit gibt, dann könnten
wir Leben retten. Warum leisten wir es uns, dass diese
wertvollen Stammzellen weggeworfen werden? Warum
setzen wir dieses Geld nicht für eine Therapie ein, mit
der wir den Menschen heute helfen können und mit der
weltweit Menschenleben gerettet werden könnten?
({5})
Meine Damen und Herren, es geht heute nicht um die
Verschiebung irgendeines Datums, sondern es geht um
eine Verschiebung unserer Ethik und unserer Normen.
Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu!
Sie haben die Chance, dass die Tür nicht noch weiter
aufgemacht wird.
({6})
Peter Hintze ist der nächste Redner.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz für eine menschenfreundliche Medizin wollen wir dem Anliegen der überwältigenden
Mehrheit der deutschen Wissenschaft Rechnung tragen.
Von den Juristen bis zu den Medizinern ist das Votum
der Deutschen Forschungsgemeinschaft eindeutig. Die
Selbstverwaltung der deutschen Hochschulwissenschaft
appelliert an den Deutschen Bundestag, Stichtag und
Strafandrohung zu streichen. Diesem fundierten Votum
sollten wir mit einem klaren Ja folgen.
({0})
Manche Redner haben in dieser Debatte versucht, einen Gegensatz zwischen medizinischer Forschung und
Lebensschutz zu konstruieren. Ihnen halte ich ganz liebevoll entgegen: Die medizinische Forschung in
Deutschland dient dem Lebensschutz, liebe Kolleginnen
und Kollegen.
({1})
Mich hat bei der Anhörung stark bewegt, dass unsere
Wissenschaftler - Ärzte, Biologen -, die ihr ganzes Wissen und Können einsetzen, um Krankheiten heilen zu
können, denen wir bisher ohnmächtig ausgeliefert sind,
uns fragen: Ist unsere Arbeit eigentlich gewünscht? Ist es
gewünscht, dass wir in der Grundlagenforschung arbeiten, auch wenn wir noch nicht wissen, ob morgen oder
übermorgen eine Antwort auf Alzheimer und Krebs gegeben werden kann? Ich möchte für die Mehrheit des
Deutschen Bundestages sagen: Jawohl, wir sind dankbar
für das, was hier Biologen und Mediziner für die kranken Menschen in Deutschland leisten.
({2})
Herr Kollege Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte im Zusammenhang ausführen.
Die medizinische Forschung in Deutschland hat einen
moralischen und einen juristischen Anspruch darauf,
dass sie mit geeigneten Zelllinien arbeiten kann, die auf
reinen Trägersubstanzen kultiviert sind. Nun haben hier
Redner - auch mein Vorredner hat es getan - in den
Raum gerufen, es gebe noch keine Therapieerfolge.
Meine Damen und Herren, wie verstehen wir denn Wissenschaft? Alle großen wissenschaftlichen Erkenntnisse
der Menschheit haben ihren Anfang in der Grundlagenforschung genommen. Wer sagt, er lasse Grundlagenforschung nur zu, wenn man ihm den Therapieerfolg garantiert, hat nicht verstanden, was Wissenschaft in einem
freien Staat bedeutet.
({0})
In einem freiheitlichen Staat, in unserem Staat mit
seinem Grundgesetz hat die Wissenschaft einen Anspruch darauf, dass der Bundestag sich hinter die Wissenschaftsfreiheit stellt und sie verteidigt - im Dienste
und zum Wohle des Menschen.
({1})
Jetzt wird es interessant. Es geht um die Menschenwürde und das Recht auf Leben. Jawohl! Im Namen
der Kollegin Flach, der Kollegin Reiche und des Kollegen Stöckel sowie aller, die unseren Antrag unterschrieben haben, sage ich: Uns geht es um die Menschenwürde
und das Recht auf Leben.
({2})
Es macht einen Unterschied, ethisch und juristisch, ob
es um den Menschen oder um anderes Achtenswertes im
Kontext des menschlichen Lebens geht. Im Klartext
heißt das: Ein Mensch ist ein Mensch,
({3})
und eine Zelllinie ist eine Zelllinie. Wer das gleichsetzt,
muss juristisch und ethisch scheitern.
({4})
Diese Gleichsetzung geschähe zulasten des Menschen.
Der Schutz des menschlichen Lebens - dazu fordert uns
die Verfassung auf -, auch durch die Weiterentwicklung
unserer medizinischen Fähigkeiten, ist eine große moralische Aufgabe. Zu dieser sind wir verpflichtet ({5})
in klaren Grenzen und in einem klaren Rahmen; das
wurde bereits von vielen Rednern beschrieben.
Ich möchte einem Kollegen von der FDP-Fraktion
danken, der mich gebeten hat, dies noch einmal deutlich
zu machen; denn hier werden dauernd falsche Gegensätze aufgebaut.
({6})
Wir haben in unserer Rechtsordnung einen ganz klaren
Rahmen, der uns leitet; das hat die Bundesjustizministerin klar und deutlich vorgetragen.
Heute stehen wir nun vor der Frage: Machen wir es
ein bisschen richtig, oder machen wir es ganz richtig?
({7})
Den Stichtag einmal zu verschieben, hieße, das leckgeschlagene Schiff leer zu pumpen und wieder auf die
hohe See zu schicken. Machen wir es lieber ganz richtig!
Machen wir das Forschungsschiff hochseefest! Streichen
wir den Stichtag! Streichen wir die entwürdigende
Strafandrohung, die über unseren Forschern schwebt!
Setzen wir uns für eine Ethik des Heilens ein! Ich bitte
Sie um die Zustimmung zum Gesetzentwurf „Flach,
Reiche, Stöckel“ und vieler anderer Kollegen, denen es
mit Herz und Verstand um Menschenwürde und Lebensschutz und um eine medizinische Wissenschaft geht, die
den Menschen im Zentrum sieht.
Ich danke Ihnen.
({8})
Nun hat die Kollegin Hildegard Müller das Wort.
({0})
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen vom Lebensmitteleinkauf die
Frage: Darf es ein bisschen mehr sein? Ein bisschen
mehr oder ein bisschen weniger - im Alltag werden
diese Mengenbezeichnungen oft verwendet. Sie schaden
in der Regel auch nicht. Bisweilen kommt man sogar
ganz gut damit durch, sich nicht nur auf eine Sache zu
konzentrieren, sondern mal hier und mal da zu sein und
sich mal mehr und mal weniger einzubringen.
Alles andere als Alltag sind jedoch die Abstimmungen, die uns nun unmittelbar bevorstehen. Es sind Abstimmungen, bei denen es um unsere persönlichen ethischen Grundsätze geht. Für uns alle stehen
Entscheidungen an, bei denen es „ein bisschen“ oder „etwas“ nicht gibt.
({0})
Die beiden großen christlichen Kirchen haben diese
langsam zu Ende gehende Woche zur alljährlichen Woche für das Leben ausgerufen. Für unsere heutige Debatte hätte dies kaum passender sein können. Was heißt
„für das Leben“? Das möchte ich vertiefen.
Leben - da bin ich ganz anderer Meinung als manch
anderer heute hier - entsteht nicht nur ein bisschen.
({1})
Leben in der Form einer befruchteten Eizelle ist vollständig da;
({2})
es ist kein Zellklumpen; es ist Leben von Anfang an,
ganz und vor allem unwiderruflich.
({3})
Eine Abstufung der Menschenwürde und des Lebensschutzes in den verschiedenen Entwicklungsstadien des
Menschen ist für mich inakzeptabel und für mich persönlich unvereinbar mit dem Grundgesetz. Deshalb
stimme ich gegen eine Aufhebung des Stichtages.
({4})
Geben wir uns nicht einer Illusion hin, wenn wir glauben würden, der wissenschaftliche Prozess ließe sich
noch begrenzen, lieber Peter Hintze, wenn wir ihm nicht
von Anfang an feste Grenzen setzen? Wir müssen uns
auch politisch entscheiden, hier in diesem Haus bei allem, was wir an Forschung wollen, Grenzen zu setzen.
({5})
Auch eine einmalige Verschiebung ist abzulehnen.
Ich möchte den Spruch anbringen, der so gern verwendet
wird: Einmal ist keinmal. Ich entgegne entschieden: Einmal ist jedes Mal. Den Stichtag zu verschieben, heißt ihn
abzuschaffen.
({6})
Vor uns steht eine Gewissensentscheidung. Ich wende
mich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen, die
noch Zweifel haben; denn trotz aller Diskussionen und
Informationen ist dies auch heute nicht auszuschließen
und menschlich nur zu verständlich. Deshalb möchte ich
an dieser Stelle auf einen Punkt eingehen, der auch heute
eine große Rolle gespielt hat. Das ist die Frage der Ethik
des Heilens. Ich habe gerade deutlich gemacht, was ich
unter Leben verstehe. Für mich steht die Ethik des Lebens vor der Ethik des Heilens. Die Ethik des Heilens
dient der Ethik des Lebens.
({7})
Sie kann nur positiv korrelieren. Das heißt nicht, dass
wir uns gegen die Forschung stellen. Wir sind für die
Forschung an Stammzellen. Diese positive Symbiose
kann in diesem Bereich jedoch nur die adulte Stammzellforschung geben.
({8})
Es wurden heute viele Beispiele genannt. Ich möchte
ganz praktisch an die Forschungsergebnisse von Herrn
Professor Strauer aus meiner Heimatstadt Düsseldorf erinnern: Adulte Stammzellforschung ist unbedenklich,
die Stammzellen sind gut zu gewinnen, und die adulte
Stammzellforschung trägt die Hoffnung auf Heilung in
sich. Wir haben bereits heute praktische Anwendungsgebiete.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt heute keinen
Antrag, der einen Kompromiss zwischen den Positionen
darstellt.
({9})
Wer für die Aufhebung oder für eine einmalige Verschiebung des Stichtages stimmt, nimmt heute eine Abwägung zulasten des Lebens vor.
({10})
Argumente, die einer einmaligen Verschiebung gelten, würden Sie selbst in Zukunft wieder infrage stellen.
Wenn das Argument, dass man frische Zelllinien
braucht, jetzt gilt, dann gilt es in einigen Jahren wieder.
({11})
Gilt dieses Argument aber überhaupt? Warum sind seit
Januar 2008 fünf Anträge auf den Import embryonaler
Stammzellen genehmigt worden? Wissenschaftler glauben also offensichtlich nach wie vor an die Möglichkeit,
mit und an alten Zelllinien zu forschen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer zweifelt, den
bitte ich, sich gegen eine Verschiebung auszusprechen;
denn eine Entscheidung gegen den Schutz des Lebens ist
unumkehrbar. Deshalb bitte ich alle, die zweifeln, für
eine Beibehaltung des jetzigen Stichtages zu stimmen
und sich für eine stärkere Förderung der adulten Stammzellforschung auszusprechen.
({12})
Ich möchte Sie alle herzlich bitten und auffordern, das
Gleiche zu tun, damit der 11. April 2008 ein Tag für den
uneingeschränkten Lebensschutz wird und damit diese
Woche eine wirkliche Woche für das Leben wird.
({13})
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege René Röspel.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir haben fast zwei Stunden einer - wie ich
glaube - guten Debatte hinter uns. Dennoch erlauben Sie
mir, dass ich auf einen Vorwurf eingehe, der mich wirklich geärgert hat und den wir in den letzten Wochen immer wieder fälschlicherweise in der Debatte gehört haben. Die Behauptung, über eine Stichtagsverschiebung
solle das aktive Töten von Embryonen legitimiert werden, ist schlicht und einfach falsch.
({0})
Es geht nicht um das Zerstören von Embryonen, sondern
es geht darum, wie man mit dem umgeht, was bereits
existiert, nämlich mit Stammzelllinien, die im Ausland
ohne unser Zutun hergestellt worden sind und deren Herstellung wir leider nicht haben verhindern können. Mit
einer Verschiebung des Stichtags wird kein einziger Embryo zerstört, es wird allerdings auch kein einziger gerettet.
({1})
Es gab in dem Grundsatzbeschluss von 2002, der in
diesem Land lange Jahre Rechtsfrieden gebracht hat,
drei wesentliche Kriterien: Erstens. Für deutsche Forschung soll kein Embryo zerstört werden. Zweitens. Es
soll auch kein Anreiz ans Ausland gehen, dass so etwas
geschieht. Drittens. Mit den schon vorhandenen Stamm16308
zelllinien soll in Deutschland unter bestimmten Bedingungen Forschung möglich sein.
Wenn man diese drei Kriterien als Voraussetzungen
für eine befriedete Diskussion in Deutschland akzeptiert,
dann ist es der Mühe wert, die drei vorliegenden Anträge
auch wirklich einmal an diesen Kriterien, die sich bewährt haben, zu messen. Ob wir heute die Debatte abschließen und in den nächsten Jahren weiterhin Rechtsfrieden haben werden, das liegt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gleich in Ihrer Hand.
Mit der Abschaffung des Stichtages - dies fordert
der Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen Flach,
Stöckel und anderer - würden die Forscher in diesem
Land tatsächlich viel mehr Möglichkeiten bekommen.
Aber es wird gleichzeitig das andere wichtige Anliegen,
dass dem Ausland kein Anreiz gegeben wird, embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken herzustellen,
preisgegeben. Damit würde eine wichtige Position aufgegeben.
({2})
Das würde dazu führen, dass eine der Seiten diesen Weg
nicht mitgehen könnte. Damit wäre ein Ende des Rechtsfriedens absehbar.
Die Beibehaltung des Stichtages, wie von den Kolleginnen Hinz, Klöckner und anderen gefordert, würde
über kurz oder lang dazu führen, dass keine Zelllinien
mehr zur Verfügung stehen. Gegen die Hoffnung, dass
die 21 in Deutschland derzeit zugelassenen Stammzelllinien noch viele Jahre halten werden, spricht nämlich die
zellbiologische Erfahrung. Die Forscher haben uns ja
mitgeteilt, dass diese Hoffnung trügt. Es werden also immer weniger Zelllinien werden. Die Beibehaltung des
Stichtages würde faktisch aufgrund der abnehmenden
Zahl der Stammzelllinien letztlich zu dem gleichen Ergebnis führen wie der Antrag von Herrn Hüppe und anderen Kollegen, nämlich zu einem Forschungsverbot.
({3})
So würde es entweder faktisch oder juristisch nicht mehr
möglich sein, in Deutschland diese Forschung zu betreiben. Das wäre wiederum für die Forschungsseite nicht
tragbar. Sie würde den Kompromiss, den wir seinerzeit
gefunden haben, aufkündigen und den Mittelweg verlassen.
Die geschätzte Kollegin Margot von Renesse begründete 2002 in der Debatte ihr Votum für einen Mittelweg,
der sich an den genannten drei Kriterien orientiert, damit,
dass ein „Nein-Gesetz“
- ich würde lieber von einem faktischen Verbot dieser
Forschung sprechen an der Klippe der Verfassung scheitern würde.
Für mich persönlich beginnt menschliches Leben mit
der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Die Frage
aber, ab wann menschliches Leben Träger von Menschenwürde ist, ist gesellschaftlich noch nicht entschieden. Das ist ja auch eine schwere Entscheidung.
({4})
Ich frage Sie nun allen Ernstes: Sollen wir es darauf ankommen lassen, dass ein Forscher vor Gericht zieht, um
die Erlaubnis zum Import einer vier Jahre alten Stammzelllinie einzuklagen?
({5})
Sind Sie sich wirklich so sicher, dass jedes Gericht in
Deutschland einer solchen Stammzelllinie, die vor vier
Jahren aus einem Embryo hergestellt wurde - bedauerlicherweise, aber nicht zu ändern -, die im Labor bearbeitet wurde, die 20-mal von einer Zellkulturflasche in die
andere umgefüllt wurde, die zehnmal eingefroren und
zehnmal aufgetaut worden ist, die viele Eigenschaften
verloren hat und nichts mehr mit einem Embryo zu tun
hat, Menschenwürde und Lebensschutz zubilligen
würde? Ich bin mir nicht so sicher, dass das so sein wird.
({6})
Deswegen frage ich Sie alle: Wollen wir diese Entscheidung in letzter Instanz einem Gericht überlassen,
oder liegt es nicht vielmehr in unserer parlamentarischen
und politischen Verantwortung, eine stabile Übereinkunft in einem ethischen Dilemma zu treffen, die einerseits tatsächlich Forschung ermöglicht, und zwar in
einem viel größeren Umfang als seit 2002, und andererseits den Lebensschutz von Embryonen gewährleistet?
({7})
Ich glaube, wir sollten jetzt die entsprechende politische
Entscheidung in einem ethisch nicht lösbaren Dilemma
treffen.
Deshalb appelliere ich an Sie, den Gesetzentwurf von
Röspel, Aigner und anderen auf eine einmalige Verschiebung des Stichtages zu unterstützen. Damit würden
wir für viele Jahre in Deutschland wieder Rechtsfrieden
herstellen, vielleicht sogar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem
wir auf embryonale Stammzellforschung verzichten
können.
({8})
Ich schließe die Aussprache und weise darauf hin,
dass eine Reihe von Reden zu Protokoll gegeben worden
sind und dass es auch eine Vielzahl von persönlichen Er-
klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt.1)
Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, bitte ich
um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab-
lauf des Abstimmungsverfahrens. Wir kommen gleich
zu den Abstimmungen über insgesamt fünf Vorlagen zur
Änderung des Stammzellgesetzes. Der Ausschuss für
1) Anlagen 3 bis 13
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8658
empfohlen, über diese fünf Vorlagen einen Beschluss
herbeizuführen. Eine darüber hinausgehende Beschlussempfehlung hat der Ausschuss dazu nicht abgegeben.
Wir werden über die Vorlagen in der in der Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge namentlich abstimmen:
erstens über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrike
Flach und weiterer Abgeordneter, zweitens über den Gesetzentwurf des Abgeordneten Hubert Hüppe und weiterer Abgeordneter, drittens über den Gesetzentwurf des
Abgeordneten René Röspel und weiterer Abgeordneter.
Sollte einer dieser Gesetzentwürfe die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, endet das Abstimmungsverfahren. Die anderen, noch nicht abgestimmten Vorlagen wären damit erledigt. Erhält keiner
dieser Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, stimmen wir in einer vierten und fünften namentlichen Abstimmung über den Antrag und dann über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Priska Hinz und weiterer
Abgeordneter ab.
Wir kommen nun zur Abstimmung.
Tagesordnungspunkt 22 a: Abstimmung über den von
den Abgeordneten Ulrike Flach, Rolf Stöckel, Katherina
Reiche und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes;
Drucksache 16/7982 ({0}). Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass
die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Nein, da vorne fehlt noch jemand. - Sind jetzt die Plätze besetzt? - Das ist der Fall.
Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({1})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulrike Flach,
Rolf Stöckel, Katherina Reiche und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für eine
menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung
des Stammzellgesetzes auf Drucksache 16/7982 ({0})
bekannt: Abgegebene Stimmen 579, mit Ja haben gestimmt 126, mit Nein haben gestimmt 443,
({1})
Enthaltungen 10. Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 579;
davon
ja: 126
nein: 443
enthalten: 10
Ja
CDU/CSU
Günter Baumann
Otto Bernhardt
Renate Blank
Wolfgang Börnsen
({2})
Anke Eymer ({3})
Hartwig Fischer ({4})
Olav Gutting
Ursula Heinen
Susanne Jaffke-Witt
Eckart von Klaeden
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({5})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Michael Kretschmer
Dr. Martina Krogmann
Helmut Lamp
Ingbert Liebing
Dr. Eva Möllring
Bernd Neumann ({6})
Ulrich Petzold
Katherina Reiche ({7})
Dr. Wolfgang Schäuble
Norbert Schindler
Dr. Ole Schröder
Gero Storjohann
Michael Stübgen
Arnold Vaatz
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Ingrid Arndt-Brauer
Doris Barnett
Klaus Uwe Benneter
Petra Bierwirth
Dr. Gerhard Botz
Dr. Peter Danckert
Nina Hauer
Stephan Hilsberg
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Johannes Jung ({8})
Hans-Ulrich Klose
Fritz Rudolf Körper
Volker Kröning
Dr. Uwe Küster
Detlef Müller ({9})
Gesine Multhaupt
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Walter Riester
Otto Schily
Renate Schmidt ({10})
Carsten Schneider ({11})
Olaf Scholz
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Gunter Weißgerber
Dr. Rainer Wend
Andrea Wicklein
Heidi Wright
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({12})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({13})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Michael Link ({14})
Markus Löning
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({15})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({16})
Martin Zeil
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Gregor Gysi
Dr. Gesine Lötzsch
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Peter Albach
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Ernst-Reinhard Beck
({17})
Veronika Bellmann
Dr. Christoph Bergner
Peter Bleser
Antje Blumenthal
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({18})
Axel E. Fischer ({19})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Herbert Frankenhauser
Dr. Hans-Peter Friedrich
({20})
Erich G. Fritz
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Gerda Hasselfeldt
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Bernd Heynemann
Ernst Hinsken
Robert Hochbaum
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Anette Hübinger
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({21})
Bartholomäus Kalb
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Siegfried Kauder ({22})
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Gunther Krichbaum
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({23})
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Dr. Max Lehmer
Paul Lehrieder
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Stephan Mayer ({24})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Friedrich Merz
Laurenz Meyer ({25})
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller
({26})
Stefan Müller ({27})
Bernward Müller ({28})
Michaela Noll
Franz Obermeier
Eduard Oswald
Henning Otte
Rita Pawelski
Sibylle Pfeiffer
Beatrix Philipp
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Peter Rauen
Eckhardt Rehberg
Klaus Riegert
Dr. Heinz Riesenhuber
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Dr. Christian Ruck
Albert Rupprecht ({29})
Peter Rzepka
Anita Schäfer ({30})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({31})
Andreas Schmidt ({32})
Ingo Schmitt ({33})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Uwe Schummer
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({34})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Volkmar Uwe Vogel
Andrea Astrid Voßhoff
Gerhard Wächter
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Peter Weiß ({35})
Gerald Weiß ({36})
Ingo Wellenreuther
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({37})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Dagmar Wöhrl
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Gerd Andres
Niels Annen
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({38})
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Dr. Axel Berg
Ute Berg
Lothar Binding ({39})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({40})
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Karl Diller
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Sebastian Edathy
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({41})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({42})
Dr. Reinhold Hemker
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz ({43})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({44})
Frank Hofmann ({45})
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Ernst Kranz
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({46})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Michael Müller ({47})
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({48})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({49})
Ortwin Runde
({50})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({51})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Ulla Schmidt ({52})
Heinz Schmitt ({53})
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({54})
Swen Schulz ({55})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Dr. Peter Struck
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Gert Weisskirchen
({56})
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Waltraud Wolff
({57})
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Dr. Edmund Peter Geisen
Elke Hoff
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Horst Meierhofer
Dr. Konrad Schily
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Elke Reinke
Paul Schäfer ({58})
Volker Schneider
({59})
Dr. Herbert Schui
Dr. Ilja Seifert
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({60})
Volker Beck ({61})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({62})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({63})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({64})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({65})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthaltung
SPD
Martin Dörmann
Hubertus Heil
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Christian Lange ({66})
Caren Marks
FDP
Otto Fricke
Horst Friedrich ({67})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den
Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria
Eichhorn und weiteren Abgeordneten eingebrachten
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur
Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen auf
Drucksache 16/7983. Wir kommen damit zur zweiten
namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall.
Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({68})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert
Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn und weiterer
Abgeordneter zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit
menschlichen embryonalen Stammzellen auf Drucksache 16/7983 bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja
haben gestimmt 118, mit Nein haben gestimmt 442, Enthaltungen 16. Der Antrag ist damit in zweiter Beratung
abgelehnt.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 576;
davon
ja: 118
nein: 442
enthalten: 16
Ja
CDU/CSU
Peter Albach
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Ernst-Reinhard Beck
({0})
Veronika Bellmann
Peter Bleser
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Ilse Falk
Ingrid Fischbach
Axel E. Fischer ({1})
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({2})
Erich G. Fritz
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Joachim Hörster
Steffen Kampeter
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({3})
Katharina Landgraf
Paul Lehrieder
Dr. Michael Luther
Dr. Michael Meister
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Bernward Müller ({4})
Michaela Noll
Eduard Oswald
Beatrix Philipp
Peter Rauen
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer ({5})
Hermann-Josef Scharf
Hartmut Schauerte
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Bernd Siebert
Jens Spahn
Christian Freiherr von Stetten
Lena Strothmann
Antje Tillmann
Andrea Astrid Voßhoff
Peter Weiß ({6})
Gerald Weiß ({7})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({8})
Elisabeth WinkelmeierBecker
SPD
Dr. Axel Berg
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Sebastian Edathy
Dr. Reinhold Hemker
Ulrich Kelber
Dr. Wolfgang Wodarg
FDP
Dr. Konrad Schily
DIE LINKE
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Monika Knoche
Ulla Lötzer
Dorothée Menzner
Elke Reinke
Paul Schäfer ({9})
Dr. Ilja Seifert
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Volker Beck ({10})
Cornelia Behm
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Ulrike Höfken
Sylvia Kotting-Uhl
Undine Kurth ({11})
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Josef Philip Winkler
Nein
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Antje Blumenthal
Wolfgang Börnsen
({12})
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Anke Eymer ({13})
Dr. Hans Georg Faust
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({14})
Dirk Fischer ({15})
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Hans-Joachim Fuchtel
Eberhard Gienger
Ralf Göbel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Robert Hochbaum
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung ({16})
Bartholomäus Kalb
Alois Karl
Siegfried Kauder ({17})
Eckart von Klaeden
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({18})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Andreas G. Lämmel
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Patricia Lips
Stephan Mayer ({19})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({20})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
({21})
Bernd Neumann ({22})
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Daniela Raab
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Katherina Reiche ({23})
Dr. Heinz Riesenhuber
Kurt J. Rossmanith
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({24})
Peter Rzepka
Dr. Wolfgang Schäuble
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Christian Schmidt ({25})
Andreas Schmidt ({26})
Ingo Schmitt ({27})
Dr. Ole Schröder
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Kurt Segner
Marion Seib
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Thomas Strobl ({28})
Michael Stübgen
Hans Peter Thul
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Ingo Wellenreuther
Dagmar Wöhrl
Willi Zylajew
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({29})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Sabine Bätzing
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({30})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Dr. Gerhard Botz
Klaus Brandner
Willi Brase
Bernhard Brinkmann
({31})
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({32})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann
({33})
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Petra Heß
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Petra Hinz ({34})
Gerd Höfer
Iris Hoffmann ({35})
Frank Hofmann ({36})
Eike Hovermann
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({37})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kasparick
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Karin Kortmann
Rolf Kramer
Anette Kramme
Ernst Kranz
Nicolette Kressl
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christine Lambrecht
Christian Lange ({38})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({39})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({40})
Michael Müller ({41})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({42})
Maik Reichel
Gerold Reichenbach
Christel RiemannHanewinckel
Walter Riester
Sönke Rix
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth ({43})
Ortwin Runde
({44})
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({45})
Bernd Scheelen
Dr. Hermann Scheer
Marianne Schieder
Otto Schily
Ulla Schmidt ({46})
Renate Schmidt ({47})
Heinz Schmitt ({48})
Carsten Schneider ({49})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Reinhard Schultz
({50})
Swen Schulz ({51})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Dr. Rainer Tabillion
Jella Teuchner
Jörn Thießen
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({52})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Engelbert Wistuba
Waltraud Wolff
({53})
Heidi Wright
Uta Zapf
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({54})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich ({55})
Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({56})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({57})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({58})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({59})
Martin Zeil
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr. Gregor Gysi
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Katja Kipping
Jan Korte
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Ulrich Maurer
Kersten Naumann
Dr. Norman Paech
Bodo Ramelow
Volker Schneider
({60})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Axel Troost
Jörn Wunderlich
Sabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({61})
Dr. Uschi Eid
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({62})
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Ute Koczy
Fritz Kuhn
Markus Kurth
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({63})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({64})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Silke Stokar von Neuforn
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Enthaltung
CDU/CSU
Dr. Maria Flachsbarth
Friedrich Merz
Dr. Georg Nüßlein
Eckhardt Rehberg
Uwe Schummer
Marco Wanderwitz
Wolfgang Zöller
SPD
Volker Kröning
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
DIE LINKE
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Birgitt Bender
Thilo Hoppe
Renate Künast
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten René Röspel, Ilse Aigner,
Jörg Tauss und weiterer Abgeordneter zur Änderung des
Stammzellgesetzes auf Drucksache 16/7981. Wir kommen damit zur dritten namentlichen Abstimmung.
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich
die Abstimmung.
Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der
Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
({65})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten René
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und weiterer Abgeordneter zur Änderung des Stammzellgesetzes auf Drucksache
16/7981 bekannt: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 346,
({0})
mit Nein haben gestimmt 228, Enthaltungen 6. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 580;
davon
ja: 346
nein: 228
enthalten: 6
Ja
CDU/CSU
Ulrich Adam
Ilse Aigner
Thomas Bareiß
Günter Baumann
Dr. Christoph Bergner
Otto Bernhardt
Renate Blank
Antje Blumenthal
Wolfgang Börnsen
({1})
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Monika Brüning
Anke Eymer ({2})
Enak Ferlemann
Hartwig Fischer ({3})
Herbert Frankenhauser
Jochen-Konrad Fromme
Dr. Michael Fuchs
Eberhard Gienger
Michael Grosse-Brömer
Monika Grütters
Olav Gutting
Gerda Hasselfeldt
Ursula Heinen
Uda Carmen Freia Heller
Michael Hennrich
Bernd Heynemann
Robert Hochbaum
Anette Hübinger
Susanne Jaffke-Witt
Dr. Peter Jahr
Dr. Hans-Heinrich Jordan
Dr. Franz Josef Jung
Bartholomäus Kalb
Siegfried Kauder ({4})
Eckart von Klaeden
Jens Koeppen
Kristina Köhler ({5})
Manfred Kolbe
Dr. Rolf Koschorrek
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Martina Krogmann
Andreas G. Lämmel
Helmut Lamp
Dr. Max Lehmer
Ingbert Liebing
Stephan Mayer ({6})
Wolfgang Meckelburg
Dr. Angela Merkel
Laurenz Meyer ({7})
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Eva Möllring
Dr. Gerd Müller
({8})
Bernd Neumann ({9})
Franz Obermeier
Henning Otte
Rita Pawelski
Ulrich Petzold
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Ruprecht Polenz
Thomas Rachel
Hans Raidel
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche ({10})
Dr. Heinz Riesenhuber
Dr. Norbert Röttgen
Albert Rupprecht ({11})
Peter Rzepka
Dr. Wolfgang Schäuble
Hartmut Schauerte
Dr. Andreas Scheuer
Norbert Schindler
Andreas Schmidt ({12})
Ingo Schmitt ({13})
Dr. Ole Schröder
Wilhelm Josef Sebastian
Horst Seehofer
Marion Seib
Christian Freiherr von Stetten
Gero Storjohann
Andreas Storm
Max Straubinger
Michael Stübgen
Arnold Vaatz
Volkmar Uwe Vogel
Gerhard Wächter
Kai Wegner
Marcus Weinberg
Ingo Wellenreuther
Dagmar Wöhrl
SPD
Dr. Lale Akgün
Gregor Amann
Gerd Andres
Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Ernst Bahr ({14})
Doris Barnett
Klaus Barthel
Sören Bartol
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Klaus Uwe Benneter
Ute Berg
Petra Bierwirth
Lothar Binding ({15})
Volker Blumentritt
Kurt Bodewig
Clemens Bollen
Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Ulla Burchardt
Martin Burkert
Marion Caspers-Merk
Dr. Peter Danckert
Karl Diller
Martin Dörmann
Dr. Carl-Christian Dressel
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Detlef Dzembritzki
Siegmund Ehrmann
Hans Eichel
Petra Ernstberger
Gabriele Fograscher
Rainer Fornahl
Gabriele Frechen
Dagmar Freitag
Peter Friedrich
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Graf ({16})
Dieter Grasedieck
Gabriele Groneberg
Achim Großmann
Wolfgang Grotthaus
Klaus Hagemann
Nina Hauer
Hubertus Heil
Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Petra Heß
Petra Hinz ({17})
Iris Hoffmann ({18})
Frank Hofmann ({19})
Klaas Hübner
Christel Humme
Lothar Ibrügger
Johannes Jung ({20})
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Ulrich Kelber
Christian Kleiminger
Hans-Ulrich Klose
Astrid Klug
Dr. Bärbel Kofler
Walter Kolbow
Fritz Rudolf Körper
Rolf Kramer
Anette Kramme
Nicolette Kressl
Volker Kröning
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Angelika Krüger-Leißner
Jürgen Kucharczyk
Ute Kumpf
Dr. Uwe Küster
Christian Lange ({21})
Dr. Karl Lauterbach
Waltraud Lehn
Helga Lopez
Gabriele Lösekrug-Möller
Lothar Mark
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Markus Meckel
Petra Merkel ({22})
Ulrike Merten
Dr. Matthias Miersch
Ursula Mogg
Marko Mühlstein
Detlef Müller ({23})
Michael Müller ({24})
Gesine Multhaupt
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Heinz Paula
Joachim Poß
Christoph Pries
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Steffen Reiche ({25})
Gerold Reichenbach
Walter Riester
Sönke Rix
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Karin Roth ({26})
Ortwin Runde
Anton Schaaf
Axel Schäfer ({27})
Dr. Hermann Scheer
Otto Schily
Ulla Schmidt ({28})
Renate Schmidt ({29})
Heinz Schmitt ({30})
Carsten Schneider ({31})
Olaf Scholz
Ottmar Schreiner
Swen Schulz ({32})
Ewald Schurer
Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Wolfgang Spanier
Dr. Margrit Spielmann
Jörg-Otto Spiller
Dr. Ditmar Staffelt
Dieter Steinecke
Andreas Steppuhn
Ludwig Stiegler
Christoph Strässer
Dr. Peter Struck
Joachim Stünker
Jella Teuchner
Franz Thönnes
Rüdiger Veit
Simone Violka
Jörg Vogelsänger
Dr. Marlies Volkmer
Hedi Wegener
Andreas Weigel
Gunter Weißgerber
Gert Weisskirchen
({33})
Dr. Rainer Wend
Lydia Westrich
Dr. Margrit Wetzel
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff
({34})
Heidi Wright
Manfred Zöllmer
FDP
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr ({35})
Uwe Barth
Rainer Brüderle
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Otto Fricke
Horst Friedrich ({36})
Dr. Wolfgang Gerhardt
Joachim Günther ({37})
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Birgit Homburger
Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Sabine LeutheusserSchnarrenberger
Michael Link ({38})
Markus Löning
Horst Meierhofer
Jan Mücke
Burkhardt Müller-Sönksen
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto
({39})
Detlef Parr
Cornelia Pieper
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Frank Schäffler
Marina Schuster
Dr. Hermann Otto Solms
Dr. Rainer Stinner
Carl-Ludwig Thiele
Florian Toncar
Christoph Waitz
Dr. Guido Westerwelle
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff ({40})
Martin Zeil
DIE LINKE
Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Heidrun Bluhm
Dr. Martina Bunge
Roland Claus
Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Gregor Gysi
Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. Hakki Keskin
Jan Korte
Katrin Kunert
Dr. Gesine Lötzsch
Kersten Naumann
Bodo Ramelow
Volker Schneider
({41})
Dr. Herbert Schui
Frank Spieth
Dr. Kirsten Tackmann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Dr. Uschi Eid
fraktionslos
Gert Winkelmeier
Nein
CDU/CSU
Peter Albach
Dorothee Bär
Norbert Barthle
Dr. Wolf Bauer
Ernst-Reinhard Beck
({42})
Veronika Bellmann
Peter Bleser
Jochen Borchert
Wolfgang Bosbach
Klaus Brähmig
Michael Brand
Georg Brunnhuber
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Leo Dautzenberg
Hubert Deittert
Alexander Dobrindt
Marie-Luise Dött
Maria Eichhorn
Dr. Stephan Eisel
Ilse Falk
Dr. Hans Georg Faust
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer ({43})
Axel E. Fischer ({44})
Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich
({45})
Erich G. Fritz
Hans-Joachim Fuchtel
Dr. Peter Gauweiler
Norbert Geis
Ralf Göbel
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Markus Grübel
Manfred Grund
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu
Guttenberg
Jürgen Herrmann
Ernst Hinsken
Klaus Hofbauer
Franz-Josef Holzenkamp
Joachim Hörster
Andreas Jung ({46})
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Jürgen Klimke
Julia Klöckner
Norbert Königshofen
Hartmut Koschyk
Dr. Hermann Kues
Dr. Karl A. Lamers
({47})
Katharina Landgraf
Paul Lehrieder
Patricia Lips
Dr. Michael Luther
Dr. Michael Meister
Friedrich Merz
Maria Michalk
Philipp Mißfelder
Marlene Mortler
Stefan Müller ({48})
Bernward Müller ({49})
Michaela Noll
Eduard Oswald
Beatrix Philipp
Daniela Raab
Peter Rauen
Klaus Riegert
Franz Romer
Johannes Röring
Kurt J. Rossmanith
Dr. Christian Ruck
Anita Schäfer ({50})
Hermann-Josef Scharf
Karl Schiewerling
Georg Schirmbeck
Bernd Schmidbauer
Christian Schmidt ({51})
Dr. Andreas Schockenhoff
Bernhard Schulte-Drüggelte
Kurt Segner
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Thomas Strobl ({52})
Lena Strothmann
Hans Peter Thul
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Andrea Astrid Voßhoff
Marco Wanderwitz
Peter Weiß ({53})
Gerald Weiß ({54})
Klaus-Peter Willsch
Willy Wimmer ({55})
Elisabeth WinkelmeierBecker
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew
SPD
Sabine Bätzing
Dr. Axel Berg
Dr. Gerhard Botz
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Bernhard Brinkmann
({56})
Dr. Michael Bürsch
Christian Carstensen
Dr. Herta Däubler-Gmelin
Sebastian Edathy
Elke Ferner
Wolfgang Gunkel
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
({57})
Dr. Reinhold Hemker
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Stephan Hilsberg
Gerd Höfer
Eike Hovermann
Ulrich Kasparick
Karin Kortmann
Ernst Kranz
Christine Lambrecht
Andrea Nahles
Dr. Wilhelm Priesmeier
Maik Reichel
Christel RiemannHanewinckel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
({58})
Bernd Scheelen
Marianne Schieder
Reinhard Schultz
({59})
Jörn Thießen
Engelbert Wistuba
Dr. Wolfgang Wodarg
Uta Zapf
FDP
Paul K. Friedhoff
Dr. Edmund Peter Geisen
Hellmut Königshaus
Dr. Konrad Schily
DIE LINKE
Hüseyin-Kenan Aydin
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Werner Dreibus
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Heike Hänsel
Lutz Heilmann
Hans-Kurt Hill
Cornelia Hirsch
Inge Höger
Monika Knoche
Ulla Lötzer
Ulrich Maurer
Dorothée Menzner
Wolfgang Nešković
Dr. Norman Paech
Elke Reinke
Paul Schäfer ({60})
Dr. Ilja Seifert
Dr. Axel Troost
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae
Marieluise Beck ({61})
Volker Beck ({62})
Cornelia Behm
Birgitt Bender
Alexander Bonde
Dr. Thea Dückert
Kai Gehring
Britta Haßelmann
Bettina Herlitzius
Winfried Hermann
Peter Hettlich
Priska Hinz ({63})
Ulrike Höfken
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Thilo Hoppe
Ute Koczy
Sylvia Kotting-Uhl
Fritz Kuhn
Renate Künast
Markus Kurth
Undine Kurth ({64})
Monika Lazar
Anna Lührmann
Nicole Maisch
Kerstin Müller ({65})
Winfried Nachtwei
Brigitte Pothmer
Claudia Roth ({66})
Krista Sager
Elisabeth Scharfenberg
Christine Scheel
Irmingard Schewe-Gerigk
Dr. Gerhard Schick
Grietje Staffelt
Silke Stokar von Neuforn
Dr. Wolfgang StrengmannKuhn
Dr. Harald Terpe
Jürgen Trittin
Wolfgang Wieland
Josef Philip Winkler
Enthaltung
CDU/CSU
Uwe Schummer
SPD
Dr. Rainer Tabillion
FDP
Gudrun Kopp
DIE LINKE
Katja Kipping
Sabine Zimmermann
({67})
Wir kommen damit zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit der Mehrheit des
Hauses angenommen.
({68})
Damit entfällt die Abstimmung über die weiteren Vorlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/7985 ({69})
und 16/7984 sind damit erledigt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums
- Drucksache 16/5048 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({70})
- Drucksache 16/8783 Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Günter Krings
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Jerzy Montag
Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen; sonst kann
ich die Aussprache nicht eröffnen. - Vielleicht ist es
auch den Grünen möglich, die Aufmerksamkeit auf die
Redner zu lenken. Dafür wäre ich sehr dankbar.
({71})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Brigitte Zypries.
({72})
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei
der Bundesministerin der Justiz, Alfred Hartenbach.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich weiß zwar, dass Ihnen Frau Zypries lieber gewesen
wäre, aber sie bittet herzlich um Entschuldigung. Sie hat
einen ganz eiligen Termin, den sie wahrnehmen möchte.
Ich denke aber, ihr nehmt auch mit mir Vorlieb.
({0})
- Danke, wunderbar.
Die wichtigsten Ressourcen unseres Landes sind gute
Ideen, Kreativität und Innovationen. Sie sind es, durch
die Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden. Eine entscheidende Voraussetzung für unseren wirtschaftlichen Erfolg ist daher ein
wirksamer Schutz des geistigen Eigentums. Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, verbessern wir diesen
Schutz. Wir sorgen dafür, dass Produktpiraten und Fälscher besser bekämpft werden, und wir stellen sicher,
dass die Rechte des geistigen Eigentums auch wirksam
durchgesetzt werden können. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir denjenigen, deren Rechte verletzt werden, mehr Möglichkeiten geben, sich wirksam gegen
Schädiger durchzusetzen.
Ein wichtiger Baustein ist die Erweiterung von Auskunftsansprüchen. Bereits heute gibt es einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch des Rechtsinhabers gegenüber demjenigen, der sein geistiges Eigentum verletzt.
Der Geschädigte kann Informationen über den Ursprung
und die Vertriebswege gefälschter Waren verlangen. Er
kann Auskunft über die Hersteller und Lieferanten sowie
über die Menge der Waren und deren Preis fordern. Allerdings bestehen diese Ansprüche nur gegenüber dem
Schädiger, und diesen zu identifizieren, ist oft gar nicht
einfach. In Zukunft soll ein Kläger daher auch von Dritten, die nicht selbst Rechtsverletzer sind, Auskünfte verlangen können. Das kann zum Beispiel ein Internetprovider sein, über dessen Dienste der Handel mit Plagiaten
abgewickelt worden ist. Das können aber auch Spediteure sein, die im guten Glauben gefälschte Ware transportiert haben. Mit ihrer Hilfe kann der Geschädigte an
die wirklichen Fälscher und Raubkopierer herankommen
und ihnen dann durch Anordnungen der Zivilgerichte
das Handwerk legen.
Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass über den Auskunftsanspruch ein Richter entscheiden muss, wenn bei
der Auskunft Verkehrsdaten aus dem Bereich der Telekommunikation verwendet werden. Wenn etwa ein Provider Auskunft geben muss, wer im Internet zu einem
bestimmten Zeitpunkt hinter einer sogenannten dynamischen IP-Adresse gesteckt hat, dann geht es um Daten,
die vom Fernmeldegeheimnis geschützt sind. Eine Preisgabe solcher Informationen soll daher nur dann zulässig
sein, wenn vorher ein Richter den Anspruch geprüft und
diesem zugestimmt hat.
Der Richtervorbehalt ist auch deshalb sinnvoll, weil
es den Dritten, etwa den Internetprovider, von eigenen
Prüfungen entlastet. Er hat nämlich eigentlich nichts mit
der Sache zu tun.
({1})
- Das weiß ich doch, Jerzy. - Deshalb soll nicht ihm die
Last aufgebürdet werden, zu entscheiden, ob tatsächlich
ein Anspruch besteht und die sensiblen Daten herausgegeben werden dürfen. Es ist daher kein Zufall, dass auch
die europäische Richtlinie, die wir mit diesem Gesetzentwurf umsetzen, davon ausgeht, dass für solche Auskunftsansprüche die Gerichte die Auskunft anordnen
müssen.
Auch in einem anderen Punkt orientieren wir uns
an den europäischen Vorgaben. Voraussetzung für den
Auskunftsanspruch ist, dass eine Rechtsverletzung in
gewerblichem Ausmaß vorliegt. Bei bloßen Bagatellverstößen besteht dieser Anspruch also nicht.
Über den Auskunftsanspruch, den Richtervorbehalt
und das erforderliche Ausmaß der Rechtsverletzung haben wir lange diskutiert. Mit der Einschränkung, dass
eine Rechtsverletzung ausdrücklich in gewerblichem
Ausmaß vorliegen muss, haben wir auf die Formulierung der EU-Richtlinie zurückgegriffen, Herr Krings.
Dies wurde auch von der Mehrzahl der Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschusses angeregt.
Wir sollten auch nicht vergessen, Herr Montag, dass
der Europäische Gerichtshof jüngst entschieden hat, dass
sich aus der EU-Richtlinie für die nationalen Gesetzgeber keine zwingende Verpflichtung ergibt, einen solchen
Auskunftsanspruch zu schaffen.
({2})
- Damit habe ich Ihnen ein bisschen den Wind aus den
Segeln genommen. ({3})
Aber der EuGH hat sehr wohl festgestellt, dass wir ein
angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten schaffen müssen, die in Europa geschützt sind: zwischen dem geistigen Eigentum auf der
einen Seite und dem Datenschutz auf der anderen Seite.
Dieses Gleichgewicht schaffen wir mit diesem Gesetz.
({4})
Das ist, meine ich, ein gutes Ergebnis unserer Beratungen.
In diesem Gesetzentwurf regeln wir auch eine Materie, die nicht durch die EU-Richtlinie vorgegeben wird,
nämlich die Deckelung der Abmahnkosten. Tatsache
ist, dass mit den Abmahnungen zum Teil verantwortungslose Geschäftemacherei betrieben wurde.
({5})
Dabei ist häufig die Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben. Wenn Teenager auf ihrer privaten Homepage ein
Foto ihres Lieblingsstars einstellen, ohne die Bildrechte
zu besitzen, dann ist in der Tat ein Verstoß gegen die
Rechte des geistigen Eigentums gegeben. Es ist aber
nicht gerechtfertigt, sie dafür mit Abmahnkosten in vierstelliger Höhe zu belangen.
({6})
- Danke, dass auch Sie an dieser Stelle klatschen.
({7})
Das Bundesministerium der Justiz hat hierzu eine
wahre Flut von Bürgerbriefen erreicht. Dies hat gezeigt,
dass wir handeln müssen. Die Kosten für eine erstmalige
Abmahnung sollen deshalb bei Erfüllung von drei Voraussetzungen begrenzt werden. Es muss sich erstens um
einen einfach gelagerten Fall handeln. Der Sachverhalt
muss sich zweitens außerhalb des geschäftlichen Verkehrs abspielen. Drittens darf es nur zu einer unerheblichen Rechtsverletzung gekommen sein. Unter diesen
Voraussetzungen sind die Kosten für den Verbraucher
auf maximal 100 Euro begrenzt. Ich denke, das ist eine
gerechte Lösung.
({8})
Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen.
Zum 1. Mai 2008 tritt das Londoner Patentübereinkommen in Kraft. Dadurch entfällt die Pflicht, ein europäisches Patent in zahllose Sprachen übersetzen zu müssen. Dies wird die Kosten für Patente spürbar senken.
Damit alle Patentanmelder möglichst rasch davon profitieren können, wollen wir mit dem Gesetzentwurf auch
die deutschen Übersetzungspflichten zum 1. Mai dieses
Jahres streichen.
Einen besseren Schutz des geistigen Eigentums, eine
Deckelung der Abmahnkosten und die Reduzierung der
Patentkosten - all das erreichen wir mit diesem Gesetz.
Das ist eine ganze Menge. Ich darf mich bei Ihnen allen
für die guten und konstruktiven Beratungen bedanken.
Vielen Dank.
({9})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wir, die
FDP-Fraktion, teilen die Zielsetzung des Gesetzentwurfes. Er ist überfällig; denn die Umsetzungsfrist für die
Richtlinie ist um fast zwei Jahre überschritten. Es geht
darum, die Durchsetzung der Rechte von Inhabern geistigen Eigentums zu verbessern und ihnen angesichts der
Entwicklung der Möglichkeiten, urheberrechtsgeschützte
Produkte zu nutzen, andere Formen der Durchsetzung
ihrer Rechte zu geben. Das wird in diesem Gesetzentwurf angelegt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär,
wir stimmen Ihnen also in der Zielsetzung zu. Wenn Sie
sich im Rahmen der Richtlinie bewegt hätten und nicht
die Deckelung der Abmahngebühren - das ist durch die
Richtlinie nicht vorgegeben - in den Gesetzentwurf aufgenommen hätten
({0})
- Herr Koppelin ist zweimal abgemahnt worden und
hatte wohl keinen guten Anwalt; darüber hat er sich geärgert; hätte er einen guten Anwalt gehabt, hätte er bei
Ihrer Rede, Herr Hartenbach, nicht klatschen müssen -,
wären wir im Großen und Ganzen zufrieden und bereit
gewesen, zuzustimmen. Jetzt müssen wir ablehnen.
Bevor ich das mit zwei Aspekten begründe, möchte
ich eine positive Bemerkung machen. Wir haben von
Anfang an das Londoner Patentübereinkommen ausdrücklich unterstützt, das zu einer wirklichen Reduzierung der Übersetzungskosten bei kleinen und mittelständischen Unternehmen führen wird; das ist wichtig und
notwendig. Darüber wird seit Jahren diskutiert. Dies
wird dringend gebraucht; denn die Übersetzungskosten
gehen - anders als die Abmahnkosten - in den fünfstelligen Bereich. Angesichts dessen ist es für kleine und
mittelständische Unternehmen teilweise nicht mehr
wirtschaftlich vertretbar und interessant, diesen Rechtsschutz zu erwerben.
Nun zu den zwei Punkten, die wir kritisieren und warum wir den Gesetzentwurf letztendlich ablehnen. Der
eine Punkt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit
der Umsetzung der Richtlinie. Wir halten es für richtig,
den nicht ganz neuen Weg eines Auskunftsanspruchs
nicht nur gegenüber dem Verletzer, sondern auch gegenüber Dritten - das betrifft insbesondere Internetprovider zu gehen. Gerade weil es um sensible Daten geht, halte
ich es für richtig, dass der Richtervorbehalt beibehalten
wird, obwohl ich noch heute Morgen - genauso wie Sie
wahrscheinlich, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen Briefe erhalten habe, in denen mir Praktiker dringend
ans Herz gelegt haben, das zu kritisieren. Aber ich halte
es für richtig, weil es sich hier um sehr sensible Verkehrsdaten handelt und es um Dritte geht, die letztendlich nicht diejenigen sind, die Schadenersatz zu zahlen
haben, wenn Rechte verletzt wurden.
({1})
Zur Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch machen Sie ein gewisses gewerbliches Ausmaß. Sie nutzen
damit als Gesetzgeber den durch die Richtlinie eröffneten Erwägungsspielraum. Ich glaube aber, dass das zu
Schwierigkeiten in der Praxis führen wird.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Gehb?
Ja, ich gestatte.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen, es handele sich um ganz sensible Daten. Können
Sie den Zuhörern im Plenum und den Zuschauern erklären, um welche Daten es dabei geht? Geht es um Krankheiten, Steuerschulden oder Alkoholismus? Welche sensiblen Daten werden eigentlich abgefragt? Das möchte
ich wissen.
Das sage ich Ihnen sehr gerne. Wir haben es nicht mit
Daten über Gesundheit und Drogen zu tun. Vielmehr
geht es darum, die Person des Verletzers festzustellen. Es
sind also persönliche Daten erforderlich, um einen Anspruch begründen zu können. Dabei handelt es sich vielleicht nicht um so sensible Daten wie diejenigen, die auf
der Gesundheitskarte gespeichert werden sollen.
({0})
Selbst die Begründung zum Gesetzentwurf zeigt, dass
die Anspruchsvoraussetzung des gewerblichen Ausmaßes in der Praxis Schwierigkeiten aufwerfen wird; denn
da sollen quantitative und qualitative Aspekte maßgeblich sein. Ist es jetzt das halbe Hörbuch? Ist es das ganze
Musikalbum? Ist es zwei Wochen nach der Veröffentlichung? Die Beantwortung dieser Fragen wird sehr
schwierig werden. Deshalb haben wir in den Beratungen
dafür plädiert - denn das ist nicht zwingend durch die
Richtlinie vorgegeben -, diese Anforderung zugunsten
einer Stärkung des Auskunftsanspruches wegzulassen.
Jetzt komme ich zu dem zweiten Aspekt, der Deckelung der Abmahngebühren auf 100 Euro. Natürlich
gibt es auch anwaltliche Berater, die sehr leichtfertig zu
einer Abmahnung greifen. Sie müssen aber den Systemwechsel sehen, den wir hier vornehmen. Ich glaube, Herr
Krings, ich darf es ruhig sagen: Gerade Ihre Fraktion hat
von Anfang an gegen diese Änderung - ursprünglich
waren 50 Euro vorgesehen - Bedenken gehabt.
({1})
Das sind nicht nur Bedenken, die mit der Höhe der Gebühr verbunden sind, sondern es sind schon systematische Bedenken; denn bei berechtigten Abmahnungen,
also wenn es um Rechtsverletzungen geht, soll gedeckelt
werden. Sie wissen, dass 100 Euro - Porto ist inklusive noch nicht einmal kostendeckend sind.
Sie eröffnen mit der Festsetzung von Voraussetzungen - einfache Rechtsverletzung; darin besteht die Systemwidrigkeit - ein neues Einfallstor für einen Streit
darüber, ob die Voraussetzungen für eine gedeckelte Abmahngebühr erfüllt sind oder nicht. Sie geben mit diesem Weg in meinen Augen etwas auf, nämlich die klare
Stringenz im Bereich der Gebühren für Abmahnungen.
Sie überlegen nicht, wenn es sich schon um eine einfache Rechtsverletzung handelt, eine Streitwertbegrenzung
oder andere sich im System bewegende Grenzen einzuführen. Das wäre in meinen Augen sehr viel systematischer gewesen.
Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf
letztendlich nicht zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Digitale Piraten haben offenbar wenig
mit den echten Piraten gemeinsam. Aber auf eine bestimmte Weise ähnelt sich unsere Vorstellung von beiden
wohl doch. Das oft romantisierende Bild des Piraten zur
See hat sich in der Weise auf den digitalen Piraten übertragen, dass man zwar sein Tun im Grundsatz missbilligt, aber dann klammheimlich doch mit ihm sympathisiert.
Zum Thema Internetpiraterie gibt es eine Reihe von
Zeitungs- und Fernsehbeiträgen. Sie ähneln sich alle in
ihrem Schema: Ein unbedarfter privater Internetnutzer
wird von einem mächtigen Medienkonzern verfolgt. Die
Positionen von David und Goliath werden gegenübergestellt.
({0})
Das ist eine oft verzerrte und mitunter sehr pauschalisierende Darstellung. Das zeigt auch, dass wir noch viel
Überzeugungsarbeit zu leisten haben, wenn es um die
volkswirtschaftliche Bedeutung von geistigem Eigentum, aber auch um die kulturelle Bedeutung von geistigem Eigentum für unsere moderne Wissensgesellschaft
geht. Wie wichtig dieses Element für ein rohstoffarmes
Land wie unseres ist, hat der Herr Staatssekretär schon
ausgeführt. Aus dem Grunde dringe ich immer darauf,
dass das nicht nur als rechtspolitisches, sondern auch als
kultur- und wirtschaftspolitisches Thema wahrgenommen wird.
Dass einzelne vom Urheberrecht abhängige Branchen
- ich nenne nur die Musikindustrie - nahezu die Hälfte
ihrer Umsätze durch Internetpiraterie und Raubkopierer
eingebüßt haben, macht deutlich, dass wir dringend handeln müssen, dass wir schon allein wegen Art. 14 unseres Grundgesetzes etwas tun müssen. Wir wollen nicht
auf den EU-Gesetzgeber warten; wir wollen uns nicht
hinter ihm verstecken. Es steht in unserer Verantwortung
als nationaler Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass die
Rechte am geistigen Eigentum nicht nur auf dem Papier
stehen, sondern auch beachtet und durchgesetzt werden. Da darf man auch klatschen.
({1})
- Danke schön.
Dazu tun wir heute einen richtigen und wichtigen
Schritt. Im Mittelpunkt der strittigen Diskussion zu
diesem Gesetzentwurf stand und steht natürlich der
zivilrechtliche Auskunftsanspruch der Inhaber von
Urheberrechten gegenüber den Anbietern von Internetdienstleistungen. Um vom Dieb seines geistigen Eigentums Schadensersatz erlangen zu können, muss das
Diebstahlsopfer erst einmal wissen, wer ihn im Internet
bestohlen hat. Ich bin überzeugt, dass wir als Koalition
eine vernünftige Balance bei der Ausgestaltung dieses
Auskunftsanspruches gefunden haben. Die Tauglichkeit
dieses Anspruches muss - insofern kann ich einzelne
Kritikpunkte und Nachfragen durchaus verstehen - die
gerichtliche Praxis jetzt noch beweisen. So ist das in einem Rechtsstaat. Da braucht es schon einmal Gerichte,
die bei der Auslegung von solchen Gesetzen dann noch
mithelfen müssen.
Wir haben es uns als Union bei diesem Punkt nicht
leicht gemacht, und wir haben es Ihnen, Herr Staatssekretär, und auch der Frau Ministerin nicht leicht gemacht.
({2})
Wir haben über diese Punkte lange verhandelt. Unsere
Verhandlungen haben letztlich dazu geführt, dass die
Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten, die wir heute beschließen werden, deutlich besser sind als das, was im
Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen war. Wir haben
dafür gesorgt, dass das Stichwort „Rechtsverletzung im
geschäftlichen Verkehr“ so nicht im Gesetzentwurf stehen bleibt; vielmehr wird der deutlich weitere Begriff
aus der EU-Richtlinie herangezogen: Alle Rechtsverletzungen im gewerblichen Ausmaß können Gegenstand
des Auskunftsanspruches sein.
Außerdem haben wir in der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses noch einmal
deutlich gemacht, dass „gewerbliches Ausmaß“ ein relativ weitgehender Begriff ist. Dieser Begriff umfasst nicht
nur das unmittelbare Gewinninteresse, sondern beispielsweise auch den mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Hätten wir das nicht gemacht, dann würde dieses
Gesetz im Hinblick auf die große Plage der illegalen
Tauschbörsen im Internet wirkungslos bleiben. Diese
Tauschbörsen haben zu erheblichen Umsatzverlusten
beigetragen. Vor allem missachten sie den Wert des geistigen Eigentums. Man tut so, als wäre es erlaubt, alles,
was aus dem Netz heruntergeladen werden kann, herunterzuladen und unentgeltlich zu konsumieren. Den Begriff „gewerbliches Ausmaß“ haben wir präzisiert. Wir
haben gesagt: Das ist nicht nur eine quantitative Angelegenheit, sondern auch eine Frage der Schwere, der Intensität und der Qualität des Schadens.
Um auch dem Praktiker, dem Nichtjuristen eine
Handhabe zu geben, erklären wir ganz praktisch: Wer
beispielsweise ein komplettes Musikalbum oder einen
ganzen Kinofilm unmittelbar nach seiner Veröffentlichung zum Download bereitstellt, richtet wirtschaftlich
einen so erheblichen Schaden an, dass er dem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nicht entrinnen kann.
({3})
Sicherlich wird man abwarten müssen, wie sich der
Auskunftsanspruch in der Praxis bewähren wird. Wir als
Union haben uns für einen möglichst starken zivilrechtlichen Auskunftsanspruch eingesetzt, damit in immer
mehr Fällen der Umweg über die Staatsanwaltschaft unnötig wird.
Gerade weil unser deutscher Auskunftsanspruch dann
aber noch immer in einigen Punkten hinter dem der
meisten anderen EU-Staaten bleibt, kann es ganz ohne
das Strafrecht leider nicht gehen. Staatsanwaltschaften,
die sich nicht dem Vorwurf einer Rechtsverweigerung
aussetzen wollen, tun deshalb gut daran, Urheberrechtsverletzungen auch in Zukunft ernst zu nehmen. Wenn
Staatsanwaltschaften hingegen öffentlich erklären, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Urheberrechtsverletzer prinzipiell nicht aufnehmen zu wollen, lassen
sie das geistige Eigentum zu einer leeren Hülle verkommen und gefährden meines Erachtens den Rechtsstaat,
den sie eigentlich schützen sollen. Ich muss das schon so
deutlich sagen.
Ich muss hier ein Negativbeispiel nennen. Ich beziehe
mich auf eine Presseerklärung der Staatsanwaltschaft in
Wuppertal. Deren Pressesprecher hat sich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass die Aufnahme von Ermittlungen bereits unverhältnismäßig sei, da die Tatverdächtigen in Tauschbörsen keinerlei finanzielle Interessen
verfolgen würden. Das Gleiche, das Fehlen finanzieller
Interessen, gilt übrigens auch für fast alle Formen der
Sachbeschädigung. Wollen wir also hoffen, dass zumindest diese Delikte in Wuppertal auch künftig noch verfolgt werden.
Da die Staatsanwaltschaften bundesweit nach den geltenden Regeln unserer Gewaltenteilung verpflichtet
sind, die Gesetze, die dieses Hauses verabschiedet hat,
zu befolgen, gehe ich davon aus, dass die Düsseldorfer
Generalstaatsanwaltschaft die Kollegen dort auf den
Pfad der rechtsstaatlichen Tugend zurückführen wird.
Allerdings müssen wir - das ist mir schon sehr wichtig die Hilferufe vieler Staatsanwälte durchaus ernst nehmen. Wir haben die Pflicht, den Rechteinhabern einen
praktikablen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch zur
Verfügung zu stellen, damit es in zukünftigen Fällen immer seltener notwendig ist, den Weg der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu beschreiten, und damit
viele Fälle schon auf dem Zivilrechtsweg geklärt werden
können.
Als Union stehen wir - dies füge ich hinzu - neuen,
niederschwelligen Alternativen zu einem staatlichen
Verfahren aufgeschlossen gegenüber. Wir haben dies im
Ausschuss bereits besprochen. Ich habe schon im
Rechtsausschuss das Élysée-Verfahren in Frankreich und
ein ähnliches Verfahren aus England angesprochen, in
denen das untergesetzlich geregelt werden konnte. Das
sind Verfahren, die mit einer neutralen, nichtstaatlichen
Clearingstelle arbeiten, in denen sich insbesondere Internetserviceprovider und Rechteinhaber zusammentun
müssen, um diese Rechtsverfolgungen bewerkstelligen
zu können. Dies führt meines Erachtens zu deutlich weniger Problemen mit dem Datenschutz.
Aus diesem Grunde hat mich die Bemerkung des
Bundesbeauftragten für den Datenschutz gestört, wonach hier erst noch umfangreich datenschutzrechtliche
Bestimmungen geändert werden müssten. Wenn es aber
so sein sollte, sollten wir das zügig in Angriff nehmen
und alternative Verfahren, die in Frankreich und England
erfolgreich praktiziert werden, auch für Deutschland
nutzbar machen. Wichtig ist der Erfolg, dass Urheberrecht und geistiges Eigentum einen wirksamen Schutz
erhalten. Dorthin können unterschiedliche Wege führen.
Es muss nicht unbedingt über den Staatsanwalt und auch
nicht mithilfe des jetzigen Auskunftsanspruchs erfolgen;
es muss nur wirksam erfolgen. Das sind wir den Rechteinhabern schuldig.
Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben ein weiteres Thema ausführlich angesprochen, nämlich die Anwaltsgebühren bei Erstabmahnung. Die
Beschränkung auf 100 Euro geht meines Erachtens in
Ordnung. Auch hier herrscht Handlungsbedarf. Richtig
ist, dass es zwar nur Ausnahmefälle sein mögen, in denen überzogene Abmahngebühren verlangt werden.
Aber diese Fälle bringen eine ganze Branche in Verruf.
Daher ist es angemessen, eine Begrenzung der Gebühren
vorzunehmen.
({4})
Wir haben uns auch über Streitwertbegrenzungen als
Alternative Gedanken gemacht, sind aber in der Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass dies komplizierter und vielleicht sogar mit größeren Systemeingriffen
verbunden wäre. Wir haben jetzt jedenfalls ein praktikables System gefunden. Ich nenne ein Beispiel, um dies
plastisch darzustellen: Wenn ein Fußballclub auf seiner
Homepage einen Stadtplan verwendet, um zu zeigen,
wie man seinen Sportplatz finden kann, diesen Stadtplan
aber leider und vorwerfbar nicht erworben, sondern aus
dem Internet heruntergeladen hat, soll er diesen Stadtplan von seiner Homepage entfernen. Aber er muss nicht
mit Abmahngebühren in Höhe von mehreren Tausend
Euro konfrontiert werden, die ihn vielleicht gar in den
wirtschaftlichen Ruin treiben könnten.
({5})
Natürlich sind auch einfache Abmahnungen im ersten
Falle mit anwaltlichen Kosten verbunden. Deswegen
waren uns hier 50 Euro deutlich zu wenig. Man hätte
über verschiedene Beträge nachdenken können. Wir haben uns jetzt auf 100 Euro geeinigt. So ist es in einer
Koalition: Wir haben einen Mittelweg gefunden, der zumindest einen Großteil der Kosten, in vielen Fällen vielleicht auch die kompletten Kosten abdeckt.
In Ordnung geht dieser Betrag auch deshalb, weil wir
in der ergänzenden Gesetzesbegründung im Rahmen der
Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses anhand einer Reihe von Regelbeispielen klargemacht haben, wie
eng dieser Anwendungsbereich ist. Hiervon kann nicht
der gewerbliche Verletzer profitieren. Wer, um dieses
Beispiel noch einmal aufzugreifen, ein ganzes Musikalbum zum Download zur Verfügung stellt, begeht natürlich keine einfache, geringfügige Rechtsverletzung
und muss daher bei den Anwalts- und Abmahngebühren
auch künftig deutlich tiefer in die Tasche greifen.
Wer die Begrenzung bei den Abmahngebühren trotz
dieser engen Beschränkung rundweg ablehnt, wie es die
FDP offenbar tut, gefährdet meines Erachtens die gesellschaftliche Akzeptanz des Instruments der Abmahnung.
Diese Folgen konnte man ja schon in Ihrer eigenen Fraktion beobachten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
({6})
Die Akzeptanz scheint auch in der FDP-Fraktion aufgrund persönlicher Erfahrungen nicht mehr hundertprozentig gegeben zu sein.
({7})
Um etwas tiefer in die rechtsphilosophische Kiste zu
greifen und mit Rudolf von Ihering zu sprechen: Nur im
Kampf des Einzelnen um sein subjektives Recht vermag
sich die objektive Rechtsordnung in ihrer Wirkung zu
entfalten.
({8})
Das heißt, wir müssen dem Einzelnen Möglichkeiten geben, sein Recht zu verfolgen. Deswegen ist das Instrument der Abmahnung wichtig, und es verdient, vor Angriffen geschützt zu werden. Wir wollen es davor
schützen, dass es missbraucht wird, aber eben auch davor, dass dessen Abschaffung gefordert wird. Abmahnungen tragen dazu bei, den Rechtsfrieden ohne Staatsanwalt und Richter wiederherzustellen. Genau dies
können wir mit der vorgesehenen Regelung gut erreichen.
Zum Schluss lasse ich das Londoner Protokoll nicht
unerwähnt, das diesem Gesetz angehängt wurde. Es hat
zugegebenermaßen keinen direkten Bezug zu der umzusetzenden Richtlinie. Aber es war aus Schnelligkeitsgründen richtig, es aufzugreifen. Durch dieses Londoner
Protokoll wird das europäische Patent von bürokratischem Ballast befreit und kostengünstiger. Bislang wird
ein europäisches Patent in der Regel für sieben Länder
übersetzt. Das bedeutet, es muss in der Regel in fünf
Sprachen vollständig übertragen werden und verursacht
damit Übersetzungskosten selbst bei relativ einfachen
Patenten in Höhe von gut und gerne 7 000 Euro, mitunter auch deutlich mehr. Durch die Übernahme des Londoner Protokolls halbieren sich diese Übersetzungskosten nahezu, da es nur noch zwei Übersetzungen der
vollständigen Patentschrift und drei Übersetzungen der
Ansprüche geben wird.
Da wir Deutschen seit Jahren die unangefochtenen
Europameister bei den Patentanmeldungen sind, ist mir
ein Punkt noch sehr wichtig: Die Übersetzung der Patentansprüche muss weiterhin in den drei Amtssprachen vorgenommen werden. Dazu gehört neben Englisch und
Französisch eben auch das Deutsche.
({9})
Was könnte es also Schöneres geben? Wir bauen Bürokratie und Kosten ab und schützen dabei obendrein
noch unsere deutsche Sprache.
({10})
Nicht nur bei der Zahl der Patentanmeldungen, sondern auch beim Schutz geistigen Eigentums wollen wir
Deutsche international gern eine Vorreiterrolle einnehmen. Nur so kann man ja auch die zahlreichen Ermahnungen zum besseren Patent- und Urheberschutz verstehen, die von der Bundesregierung zum Beispiel an die
Adresse Chinas oder anderer vornehmlich asiatischer
Staaten gerichtet werden.
Das Recht, von anderen einen besseren Schutz einzufordern, müssen wir uns aber erst dadurch verdienen,
dass auch unsere nationale Rechtsordnung diesen Schutz
in ausreichender und vorbildlicher Art und Weise vorsieht, und die Chinesen und die Inder sind nicht nur an
ihren Gesetzestexten, sondern auch an ihrer Rechtspraxis zu messen. Entsprechend müssen auch wir die Anwendung unserer Gesetze genauestens beobachten und
im Zweifel bereit sein, korrigierend einzugreifen.
Die Arbeit zum Thema „Durchsetzung von Ansprüchen des geistigen Eigentums“ ist mit dem heutigen
Tage daher leider noch nicht getan. Wir bleiben als Bundestag aufgefordert, die Anwendung des Gesetzes zu beobachten und dafür zu sorgen, dass im Ergebnis ein effektiver Eigentumsschutz herauskommt. Ein effektiver
Schutz geistigen Eigentums bedeutet nämlich immer
auch: Schutz der Rechte von Künstlern und Autoren in
unserem Land.
Herzlichen Dank.
({11})
Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Linke hat bereits klargemacht, dass sie das Anliegen des
Gesetzentwurfs grundsätzlich teilt.
({0})
Dies soll dazu beitragen, dass Künstlerinnen und Künstler von ihren Werken leben können und nicht mehr tatenlos hinnehmen müssen, dass ihre Werke von gewerblichen Händlern auf illegale Weise im Internet vertrieben
werden. Das halten wir für absolut berechtigt.
({1})
Für falsch halten wir aber die hierzu vorgesehenen Regelungen; denn sie gehen weit über das hinaus, was von
der Richtlinie gefordert wird und zur Durchsetzung des
Rechts auf geistiges Eigentum gegenüber gewerblich
handelnden Personen notwendig ist.
Der Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen,
regelt nur die grundsätzliche Frage, dass Künstlerinnen
und Künstler Anspruch darauf haben, Auskunft über Namen und Adressen verdächtiger Internethändler zu erhalten. Dazu müssen die Internetprovider eingebunden
werden. Aber auf welche Daten diese zugreifen dürfen,
um Namen und Adressen der Verdächtigten zu ermitteln
und weiterzugeben, regelt man nicht hier und jetzt, obwohl der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar
ausdrücklich eine Klarstellung im Gesetz forderte.
Das grundsätzliche, auch verfassungsrechtliche Problem ist doch, dass die privaten Verkehrsdaten, etwa
bei der Internetnutzung, für privatrechtliche Interessen
Dritter genutzt werden sollen. Die Speicherung von
Verkehrsdaten wird durch die Vorratsdatenspeicherung
grundsätzlich ermöglicht. Aber nach der Eilentscheidung
des Bundesverfassungsgerichts ist das auf schwerste
Straftaten beschränkt und bietet überhaupt keine Grundlage dafür, Urheberrechtsverletzungen nachzugehen.
({2})
Ich habe schon gesagt: Die vorgeschlagene Regelung
geht weit über das hinaus, was zum Schutz der Rechte
von Künstlerinnen und Künstlern notwendig ist. Die
Auskunftsersuchen sollen sich gegen Personen richten,
die in gewerblichem Ausmaß handeln. Das sollen aber
nicht nur die gewerblich oder geschäftlich Handelnden
sein, sondern auch die Mitglieder in Internettauschbörsen. Das wollte die Lobby der großen Medienkonzerne
wie Bertelsmann und Sony immer schon.
({3})
Das will nun offenbar auch die Große Koalition. Die
Möglichkeiten, Auskunftsersuchen zu stellen, sollen fast
uferlos sein. Das haben Sie im Gesetzestext klargestellt:
({4})
Auskunft soll nicht nur über die Personen erteilt werden,
die ganz viele Filme tauschen wollen. Auskunft soll
auch über Personen möglich sein, die einen einzigen
brandneuen Film auf ihrem Computer speichern und diesen auf einer Tauschbörse anbieten.
({5})
Damit wird deutlich, dass Sie das Eigentumsrecht ganz
klar vor den Datenschutz stellen. Verhältnismäßigkeit
spielt dabei keine Rolle. Auch derjenige, der nur gelegentlich etwas herunterlädt, soll Angst vor zivil- und
strafrechtlicher Verfolgung haben müssen. Um es noch
einmal deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um die
kleine Band, die nur ein paar Hundert CDs produziert,
oder um experimentelle Filmemacher. Diese freuen sich
höchstens, wenn ihre Werke eine weitere Verbreitung
finden. Das ist ganz klar.
({6})
Diese Menschen können es sich sowieso nicht leisten,
im Internet nach ihren Produkten zu forschen und entsprechende Auskunftsersuchen zu stellen. Somit haben
diese Regelungen am Ende nur zum Ergebnis, dass die
Musik-, Film- und Softwareindustrie weitere Fantasiepreise durchsetzen und mit diesen Gruppen ihr Spielchen
treiben kann. Das wollen wir auf keinen Fall mitmachen.
({7})
Deswegen fordert die Linke ganz eindeutig: Erstens.
Kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegen Dritte
zur Herausgabe personenbezogener Daten. Zweitens.
Auskunftsansprüche nur, wenn auch ein gerichtliches
Verfahren anhängig ist. Drittens. Auskünfte jeglicher Art
nur dann, wenn es einen Gerichtsbeschluss dazu gibt.
Deswegen werden wir heute diesen Gesetzentwurf ablehnen.
Danke schön.
({8})
Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Jerzy Montag
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr
verehrter Herr Kollege Dr. Krings, das ist ein wunderbares Zitat. Die objektive Rechtsordnung verwirklicht sich
tatsächlich in der subjektiven Rechtsdurchsetzung im
Einzelfall. Denken Sie bitte daran, wenn wir hier das
nächste Mal wieder über Vorschläge zur Änderung bei
Rechtsmitteln und bei Rechtsbehelfen diskutieren müssen. Dann werde ich Ihnen dieses Zitat gern noch einmal
vorhalten.
({0})
Zum Gesetzentwurf sage ich vorweg eines: Auch wir
Grüne unterstützen die Deckelung der Abmahngebühr
in einfachen Fällen. Die Deckelung von Rechtsanwaltgebühren ist nichts Systemfremdes, Frau Kollegin
Leutheusser-Schnarrenberger. Es gibt sie auch bei anderen Fallgestaltungen. Wir stehen ganz eindeutig auf der
Seite derjenigen, die vielleicht unbeholfen, einmalig und
in kleinem Ausmaß eine Urheberrechtsverletzung begangen haben und die dann nicht eine Anwaltsrechnung
über mehrere Tausend Euro bekommen sollen. Diese
Fälle sind keine Einzelfälle. Es gibt sie. Das muss beendet werden. Insofern stimmen wir dem Gesetzentwurf
zu.
({1})
Dieser Gesetzentwurf beschäftigt sich aber im Kern
mit etwas völlig anderem, nämlich mit dem Urheberrecht und mit dem geistigen Eigentum. Geistiges Eigentum ist Eigentum im Sinne des Grundgesetzes. Trotzdem
ist es wesensmäßig anders als Sacheigentum anzusehen.
Während sich beim Sacheigentum im Kern die Eigentümereigenschaft in § 903 BGB wiederfindet, wo gesagt
wird, dass der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren kann, wollen Bücher gelesen werden und
wollen Musikwerke gehört werden. Die Kreativen stellen diese Werke her, damit sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Missverstehen Sie mich nicht, aber in
einem ganz bestimmten Sinn ist das geistige Eigentum,
das die reale Welt erblickt, auch im Besitz der Allgemeinheit und der Gesellschaft.
In den Schnittstellen zur Wissenschaft, zur Lehre und
zur Ausbildung haben wir im Rahmen der Schrankendiskussion auch bestimmte Folgerungen daraus gezogen.
Für den konkreten Fall, um den es hier geht, stellt sich
die Frage, ob wir derjenigen Industrie, die sich in der
modernen Welt zwischen die Kreativen und die Konsumenten - die Verbraucher - gesetzt hat und die wirtschaftlich einer der mächtigsten Mitspieler im Konzert
des Urheberrechts ist, nämlich der Unterhaltungsindustrie, Sonderrechte zuspielen wollen.
Ich will in der Kürze der Zeit nur auf zwei Probleme,
die ich allerdings für zentrale Probleme des Gesetzentwurfs halte, eingehen.
Erstens möchte ich fragen, ob wir jemanden durch
den Begriff „gewerbliches Ausmaß“ schützen können.
Ich befürchte, dass es sich hierbei um ein Placebo handelt; denn angesichts der Tatsache, dass in den Erwägungsgründen der Richtlinie steht, dass gewerbliches
Ausmaß bereits bei jedem unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil gegeben ist, gilt das bereits
ab dem ersten Euro, den man sich spart. Damit hätten
wir mit der Beschränkung auf „gewerbliches Ausmaß“
praktisch nichts gewonnen. Wir haben deshalb den Vorschlag gemacht, auch den Begriff des „guten Glaubens“
in das Gesetz hineinzuschreiben. Das wollte die Große
Koalition aber nicht.
({2})
Ein zweites Problem ist durch den Drittauskunftsanspruch gegeben. Ich sage es ganz deutlich: Obwohl
das ein Novum im deutschen Zivilrecht ist, wäre im
Grundsatz gegen eine solche Auskunftspflicht nichts zu
sagen, wenn es bei dem Dritten um denjenigen ginge,
der die Ware, durch die Urheberrechte verletzt wurden,
in Besitz hält oder die Dienstleistung, durch die das Urheberrecht verletzt wurde, selbst in Anspruch nimmt.
Die Frage ist aber, ob und in welchem Ausmaß wir ihn
gegenüber denjenigen einräumen können, die Dienste
anbieten, aber mit der Urheberrechtsverletzung nichts zu
tun haben. Das ist doch die entscheidende Frage. Hier
sagen wir: Der Anspruch, den Sie da formulieren, geht
einfach zu weit, weil er auf der Ebene der Erfassung der
IP-Adresse durch die, deren Rechte angeblich verletzt
wurden, und auf der Ebene der Auskunftsverpflichteten
durch die Verwendung von Daten aus ihren Datenbeständen mit dem geltenden Recht kollidiert.
({3})
- Nein, das tun Sie eben nicht. Sie müssten dazu sowohl
im Telekommunikationsgesetz als auch im Telemediengesetz die entsprechenden Änderungen vornehmen. Das
tun Sie nicht.
Tatsächlich stellt die jetzige Regelung, die Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen, beschließen wollen - ich
habe es schon vor einigen Tagen gesagt und wiederhole
es an dieser Stelle -, einen Kotau vor der Unterhaltungsindustrie dar. Man kann ihn nur als solchen bezeichnen.
({4})
Weil das so ist, lehnen wir diesen Gesetzentwurf, obwohl wir ansonsten in ihm viele gute Ansätze sehen,
heute ab.
({5})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Produktpiraterie nimmt leider wie auch die sonstige Verletzung geistigen Eigentums ständig zu und richtet insbesondere in Ländern wie
Deutschland, die von der Kreativität und dem Knowhow ihrer Menschen leben, erhebliche wirtschaftliche
Schäden an. Dadurch werden nicht nur Arbeitsplätze
vernichtet, gefälschte Produkte stellen oftmals auch ein
erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Mit dem hier heute abschließend debattierten Gesetzentwurf wollen wir deshalb durch Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie die Stellung der Rechteinhaber beim Kampf gegen
die Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere durch Produktpiraterie, stärken.
Ein Hauptproblem - das ist schon angesprochen worden - bei der Verfolgung der Verletzungen von Rechten
des geistigen Eigentums liegt darin, dass die Rechtsverletzer oft schwer zu identifizieren sind, da die entsprechenden Informationen über deren Identität häufig bei
Dritten liegen. Die Rechteinhaber sollen künftig unter
bestimmten, ich sage ausdrücklich: engen Voraussetzungen auch einen Auskunftsanspruch gegenüber diesen
Dritten haben, um ihre Rechte besser durchsetzen zu
können. Dieser Auskunftsanspruch wird, soweit es sich
um Verkehrsdaten handelt, allerdings unter einem Richtervorbehalt stehen und soll nur dann zum Tragen kommen, wenn die Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß begangen worden ist. Ihrer Kritik an diesem Punkt,
Herr Kollege Montag, kann ich nur entgegenhalten: Vertrauen Sie unseren Gerichten.
Die Grünen und die Linken, die ja nun monieren, dass
ihnen die Möglichkeiten zu Auskunftsersuchen viel zu
weit gingen, müssen sich wirklich fragen lassen, wie
ernst sie denn den Schutz des geistigen Eigentums nehmen und wie sie diese Haltung im europäischen Kontext,
wo in diesem Punkt noch viel konsequenter vorgegangen
wird, eigentlich rechtfertigen wollen. Ich halte diese
Vorgehens- und Verhaltensweise, insbesondere die der
Linkspartei, für ziemlich populistisch.
Man schaut, für welche Haltung es Mehrheiten gibt,
und richtet danach seine Meinung aus. Ob das nun Sinn
macht oder im Widerspruch zum Beispiel zu anderen
Gesetzen steht, das spielt dann überhaupt keine Rolle.
({0})
Hat man die BITKOM im Blick, dann sind Urheberrechte ganz wichtig. Sieht man eine Mehrheit bei den
Verbrauchern oder wem auch sonst, dann ist das Urheberrecht nichts mehr wert. Es tut mir leid, aber das finde
ich nicht in Ordnung.
({1})
Mir ist natürlich auch völlig klar, dass sich einige in
diesem Zusammenhang noch sehr viel mehr erhofft hatten. So hätte zum Beispiel der Bundesrat gerne auf den
Richtervorbehalt verzichtet, weil er das Verfahren hierdurch für zu bürokratisch und aufwendig hält. Insbesondere die betroffenen Verbände - das ist ja auch von Ihnen angesprochen worden, Frau Kollegin - hätten es
gerne gesehen, wenn der Auskunftsanspruch gegenüber
den Dritten, insbesondere den Internetprovidern, nicht
nur bei Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß,
sondern eigentlich immer möglich wäre.
Auch in der Koalition ist hierüber - der Kollege
Krings hat es schon angedeutet - heftig diskutiert worden. Nur, soweit es den Richtervorbehalt betrifft, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es in diesem
Zusammenhang um äußerst sensible Daten geht. Auch
nach Ihren Ausführungen, Frau Kollegin, wird deutlich,
dass es sensible Daten sind, die nicht gegenüber jedem
gleich offenbart werden sollten.
Was das Kriterium des gewerblichen Ausmaßes angeht, muss man, meine ich, die Kirche im Dorf lassen
und nicht bei jedem noch so kleinen Verstoß den direkten Auskunftsanspruch zulassen.
Was von den Kritikern dieses Gesetzes hier nicht so
richtig deutlich gemacht worden ist: Wir setzen die europäische Richtlinie an diesen zwei prägnanten Punkten
eins zu eins um. Ich glaube auch - da folge ich dem Kollegen Krings -, dass eine vernünftige Abwägung, wenn
man sie vornimmt, deutlich macht, dass hier ein gerechter Interessenausgleich zwischen der Belastung von
Gerichten und zum Beispiel Providern, die durch diese
Vorgehensweise ja ebenfalls belastet werden, einerseits
und dem Schutz der Dritten sowie dem Begehren der Betroffenen andererseits gelungen ist.
Um es noch einmal klarzustellen: Die Situation der
Rechteinhaber wird deutlich verbessert, da sie zum einen
für, wie ich sie einmal nenne, schwerwiegende Verstöße
ein einfacheres Verfahren zur Verfügung bekommen und
ihnen zum anderen die bisherigen Wege weiterhin offenstehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv hervorzuheben sind weiterhin die verbesserten Möglichkeiten der
Vorlage und Sicherung von Beweismitteln, die Erleichterung des Schutzes geografischer Herkunftsangaben sowie die Grenzbeschlagnahmeverordnung. Auch die Umsetzung des Londoner Protokolls wird von mir begrüßt.
Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich mich
sehr für den Schutz geistigen Eigentums einsetze. Bei
den Abmahnungen von Rechtsverletzungen ist zuletzt
jedoch vielfach mehr als überzogen worden. Natürlich
sind - auch Kollege Krings hat das deutlich gemacht Abmahnungen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums völlig in Ordnung; darüber darf hier
keine Diskussion aufkommen. Man konnte sich aber
häufig nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich in diesem Zusammenhang weniger um Urheberrechtsschutz
als um Geschäftemacherei handelt. Abmahnungen im
Bereich vier- und fünfstelliger Beträge sind selbst bei
kleinsten Verstößen trotz gegenteiliger Beteuerung der
Verbände nicht selten. Ich kann Ihnen sagen: Eine Reihe
von Kolleginnen und Kollegen, und zwar fraktionsübergreifend, sind während des letzten halben Jahres bei mir
im Büro gewesen und haben mir Verfahren aus ihren
Wahlkreisen gezeigt, die sehr klar Handlungsbedarf erkennen lassen.
Ich bin daher unserem Koalitionspartner sehr dankbar, dass wir es gemeinsam hinbekommen haben, in den
Fällen, in denen mit Abmahnungen Schindluder betrieben wird, die so in Anspruch Genommenen nicht nur auf
den Rechtsweg zu verweisen, sondern auch zumindest
ein Zeichen zu setzen und die Kosten wenigstens bei der
ersten Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer
unerheblichen Rechtsverletzung, bei denen kein gewerbliches Ausmaß vorliegt, zu beschränken. Wir haben uns
auf die Kostenquote von 100 Euro geeinigt, weil wir
meinen, dass das insbesondere bei den Dauerabmahnverfahren - bei diesen Verfahren folgt ja eins dem anderen - auskömmlich sein müsste.
Ich komme zum Schluss. Ich halte den vorliegenden
Gesetzentwurf für gelungen und danke allen, auch der
Opposition, soweit sie mitgearbeitet hat, für die gute Zusammenarbeit.
Als Letztes noch ein Wort zu Ihnen, Frau Jelpke. Ich
finde Ihr Verhalten ein bisschen daneben. Nicht erst bei
diesem Verfahren, sondern schon seit einem Jahr machen wir, und zwar nicht nur zu diesem Thema, ein Berichterstattergespräch nach dem anderen, aber die Linkspartei glänzt durch Abwesenheit.
({2})
Ob bei dem wichtigsten Verfahren im letzten Jahr, dem
Verfahren zum VVG, oder bei dem Verfahren zum Urheberrecht: Ein Berichterstattergespräch folgt dem anderen, aber keiner von Ihren Kolleginnen und Kollegen erscheint; keiner geht in die Diskussion, keiner
argumentiert.
({3})
Und dann stellen Sie sich hier hin und tun so, als ob man
sich mit Ihren Argumenten nicht auseinandergesetzt
hätte. Ich empfinde das langsam als Frechheit.
Danke schön.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver-
besserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen
Eigentums. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8783, den Gesetz-
entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5048 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Än-
derungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
derungsantrag auf Drucksache 16/8788? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei
Zustimmung der Grünen gegen die restlichen Stimmen
des Hauses abgelehnt.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. -
Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Weichenstellungen zur Förderung erneuerbarer Energien in der Europäischen Union Wettbewerb der Lösungen stärken, Regenwälder wirksam schützen
- Drucksache 16/8074 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael
Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Vorschlag der EU-Kommission für den Emissionshandel nach 2012 überarbeiten - Klima
schützen, Stromverbraucher entlasten, Wettbewerb stärken
- Drucksache 16/8075 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Michael Kauch, FDP-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rat
der Europäischen Union hat im März 2007 weitreichende Klimaschutzziele beschlossen: Bis 2020 wollen
wir die Emissionen um mindestens 20 Prozent senken
und den Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch auf 20 Prozent erhöhen. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt diese Zielsetzungen.
Die Kommission hat nun Richtlinienvorschläge zur
Erreichung dieser Ziele gemacht. Hier geht es in der Tat
um Klimaschutz. Aber es sind auch andere Ziele der
Europäischen Union massiv betroffen: die Artenvielfalt
in der Welt, die soziale Tragfähigkeit der Belastungen
für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Klimaschutz darf
nicht zur Energiearmut führen. Er darf auch nicht zum
Abholzen der Regenwälder und nicht zu simplen Produktionsverlagerungen in Ökodumpingländern führen.
({0})
Deshalb müssen wir uns im Parlament - bei aller Zustimmung zu den Klimaschutzzielen der EU - mit den
Details der Regelungen auseinandersetzen. Wir können
dies nicht der Regierung überlassen. Deswegen wollen
wir heute mit der Debatte über die beiden vorgelegten
Anträge die Diskussion eröffnen.
Die Emissionshandels-Richtlinie regelt unter anderem die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten.
Hier wird Deutschland durch das späte Basisjahr 2005
benachteiligt. Wir haben früh mit dem Klimaschutz begonnen - früher als andere Länder. Das späte Basisjahr
hat eben nichts mit Klimaschutz zu tun. Es hat vielmehr
damit zu tun, dass hier ein Verteilungskampf um die
künftigen Versteigerungserlöse tobt. Deswegen erwarte
ich von der Bundesregierung, dass sie in Brüssel ganz
klar die Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertritt.
({1})
Erfreulich ist, dass die Emissionsrechte im Stromsektor vollständig versteigert werden sollen. Das ist
marktwirtschaftlich und beendet die Zusatzprofite der
Stromkonzerne aus dem Emissionshandel. Nicht akzeptabel ist dagegen, dass die EU - wenn auch in abgeschwächter Form - Vorgaben für die Verwendung der
Versteigerungserlöse machen will; denn die Rahmenbedingungen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr
unterschiedlich. Deshalb sollte über diese Regeln national entschieden werden.
In Deutschland haben wir bereits eine hohe Steuerlast
auf Energie. Die FDP ist deshalb der Meinung: Wenn
wir die Emissionsrechte im Stromsektor vollständig versteigern, dann muss das Geld den Verbraucherinnen und
Verbrauchern durch eine Senkung oder Abschaffung der
Stromsteuer zurückgegeben werden. Das würde den
Emissionshandel tatsächlich verbraucherfreundlich machen.
({2})
Meine Damen und Herren, solange wir kein globales
Klimaschutzabkommen haben, gilt es, darauf zu achten,
dass diejenigen Unternehmen, die energieintensiv produzieren müssen und zugleich im globalen Wettbewerb stehen, faire Wettbewerbschancen haben; denn es hilft der
Umwelt nicht, wenn Stahl, Papier und Zement statt in
der EU in China oder der Ukraine produziert werden.
Wir stehen in der Tat vor einem Dilemma, das wir nicht
wegdiskutieren können: Marktwirtschaftlich wäre es einerseits zwar sinnvoll, die Emissionsrechte zu versteigern, andererseits würde den Unternehmen dadurch aber
Vermögen entzogen werden, das sie im internationalen
Wettbewerb brauchen; denn anders als die Stromkonzerne können sie diese Kosten nicht einfach auf die
Preise aufschlagen und damit auf die Verbraucher abwälzen.
Die Lösung der EU-Kommission, die Emissionsrechte an diese Unternehmen zu verschenken, ist aus unserer Sicht nur die zweitbeste Lösung; denn die kostenlose Vergabe öffnet Lobbyisten Tür und Tor, nach dem
Motto: Ich setze mich dafür ein, dass meine Branche
mehr Zertifikate erhält; davon sollen die Politiker überzeugt werden.
({3})
Es wäre möglich, die Emissionsrechte auch an energieintensive Unternehmen über eine Versteigerung zu
vergeben. Allerdings müsste man das mit einem intelligenten Rückerstattungssystem verbinden, sodass die
Preisanreize des Emissionshandels greifen, der Steuerungsmechanismus erhalten bleibt und den Branchen
nicht das für den Wettbewerb notwendige Vermögen entzogen wird. Diese Idee sollte man aus unserer Sicht als
Alternative zum Vorschlag der EU-Kommission in die
Diskussion einbringen.
Geradezu schädlich - das sollte man hier auch ansprechen - ist der Vorschlag, der aus Frankreich kommt. Ich
sehe mit Sorge, dass sich Teile der EU-Kommission für
diesen Vorschlag offen zeigen. Der französische Vorschlag lautet: Wenn wir Klimaschutz betreiben, andere
Länder aber nicht, dann erheben wir auf deren Produkte
einfach einen Zoll, und schon ist der Preisunterschied
ausgeglichen. Das ist naiv und in hohem Maße gefährlich; denn solche protektionistischen Maßnahmen werden nicht ohne Gegenwehr bleiben. Ein Exportland wie
Deutschland kann es sich nicht leisten, seine wirtschaftlichen Chancen auf den Märkten durch solche Abschottungsmaßnahmen zu gefährden.
({4})
Die Richtlinie zu den erneuerbaren Energien enthält
unter anderem das 10-Prozent-Sonderziel für erneuerbare Energien im Bereich Verkehr. Wir sind sehr wohl
dafür, einen 20-prozentigen Anteil der erneuerbaren
Energien am Primärenergieverbrauch anzustreben. Wir
müssen uns allerdings überlegen, ob es Sinn macht, einen einzelnen Sektor hervorzuheben, indem man für ihn
ein Sonderziel vereinbart, während man für die anderen
Sektoren keine rechtsverbindliche und vor allen Dingen
keine EU-einheitliche Vereinbarung trifft.
10 Prozent erneuerbare Energien im Bereich Verkehr
bedeuten 10 Prozent Biokraftstoffe. 10 Prozent Biokraftstoffe bedeuten in Portugal beispielsweise Wasserknappheit im Norden des Landes. Vor allem bedeutet das aber
einen Importdruck für die Regenwaldregionen; darüber
haben wir am Mittwoch schon gesprochen.
Die Europäische Union muss auf Aspekte der Nachhaltigkeit schauen. Solange wir in der Praxis keine Zertifizierungssysteme haben, sondern nur auf dem Papier,
darf die Vereinbarung über dieses Sonderziel nicht in
Kraft gesetzt werden.
({5})
Erlauben Sie mir abschließend den Hinweis, dass wir
uns auch andere Punkte dieser Richtlinie noch einmal
genau anschauen müssen. Wir müssen prüfen, ob nationale Entscheidungen, die wir gerade getroffen haben,
nicht durch die Richtlinie ausgehebelt werden. Das gilt
beispielsweise für das Thema Nutzungspflicht bei Altbauten. Hier stellt sich die Frage, ob die Formulierung in
der Richtlinie unsere Entscheidung rückgängig machen
soll. Wir müssen aufpassen, dass die Entscheidungen,
die wir in diesem Parlament getroffen haben, nicht durch
die Regierung im Ministerrat ausgehebelt werden.
Vielen Dank.
({6})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimaschutz ist ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt mit Wirkungen weit über die ökologische Dimension hinaus.
Die FDP hat mit der Formulierung des Antragstitels den
Nagel auf den Kopf getroffen: „Klima schützen, Stromverbraucher entlasten, Wettbewerb stärken“. Genau in
diesem Zieldreieck muss sich nationale, aber natürlich
auch europäische Klimapolitik bewegen.
Das Beispiel Ethanol hat gezeigt, dass ambitionierter
Klimaschutz mehr ist als CO2-Minderung. Klimaschutz
muss stärker als eine wirtschaftliche Optimierungsaufgabe verstanden werden. Energiepreiswirkungen, CO2Vermeidungskosten, Wirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftsstandorts
sowie Beschäftigungswirkungen müssen stärker in die
Beurteilung einzelner Klimapolitiken einbezogen werden.
Natürlich ist Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben, aber Klimaschutz ist auch kein Freibrief für die
Politik, Bürger und Unternehmen mit einem Regulierungsnetz bis hin zum Tank im Heizungskeller, bis hin
zum Stromzähler ständig zur Kasse zu bitten. Hierüber
müssen wir bei den jetzt anstehenden Verhandlungen
zum Paket I des Integrierten Klima- und Energieprogramms ausführlich diskutieren. Hierüber werden wir
auch mit der Europäischen Kommission im Kontext des
europäischen Energie- und Klimapaketes reden müssen.
Klimaschutz ist und bleibt ein zentrales europäisches
Projekt. Mit dem von der EU-Kommission vorgelegten
Energie- und Klimapaket sollen die im März 2007 von
den Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedeten Ziele zur europäischen Klimapolitik umgesetzt werden. Nach den ambitionierten Verhandlungen auf dem
Weltklimagipfel auf Bali bleibt die Europäische Union
Vorreiter und Motor im internationalen Klimaschutz.
Gleichwohl zeigt bereits ein erster Blick auf die vorgelegten Vorschläge, dass weitere Diskussionen und Überarbeitungen notwendig sind.
Die Kommission hat mit der Reduzierung der Treibhausgase in den einzelnen Mitgliedstaaten, der Förderung
der erneuerbaren Energien, der Weiterentwicklung des
Emissionshandels sowie der CO2-Abscheidung und -Ablagerung wichtige klimapolitische Handlungsfelder beschrieben. Eine europäische Politik in diesen Bereichen
hat nicht nur das Potenzial, den Klimaschutz voranzubringen, sondern sie kann und muss auch dafür sorgen,
dass dies mit einer gerechten Lastenverteilung - oder
vielleicht besser gesagt: Aufgabenzuweisung - und der
Sicherung einer größtmöglichen Subsidiarität geschieht.
({0})
Meine Damen und Herren, genau da liegen derzeit die
wesentlichen Probleme des europäischen Energie- und
Klimapakets. Denn einmal mehr hat die Kommission die
Tendenz, sehr konkrete Maßnahmen vorzugeben. Das
beste Argument gegen diesen Trend ist die erfolgreiche
Umsetzung unseres nationalen Energie- und Klimaprogramms. Die beiden Anträge der FDP weisen - wenn
auch nur punktuell - auf einige Ansätze der Kommission
hin und enthalten erste Vorschläge für die künftigen Diskussionen über die Weiterentwicklung, die durchaus beachtenswert sind. Zu Recht ist ein Hauptkritikpunkt der
FDP die Regelungstiefe, die die Kommission einmal
mehr beansprucht. Ein gutes Beispiel dafür ist die geplante Einführung einer Nutzungspflicht für erneuerbare
Wärme im Gebäudebestand; Herr Kauch sprach das
schon an. Genau diesen Ansatz haben wir gemeinsam
aus unserem nationalen Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz herausgenommen, weil wir Überforderungen, die
durchaus zu sozialen Härten für Hausbesitzer führen
können, vermeiden wollen.
({1})
Es macht keinen Sinn, dass sich die Bundesregierung
mit ihrem Regulierungsanspruch aus dem Heizungskeller der Bürger zurückzieht, wenn dafür die Europäische
Kommission dort einzieht. Wie für die nationale Klimaschutzpolitik müssen auch hier die Prüfkriterien ökologischer Wirksamkeit, sozialer Verträglichkeit und
wirtschaftlicher Kompetenz an die Vorschläge der Kommission angelegt werden.
Es gibt auch aus unserer Sicht eine ganze Reihe von
zentralen Forderungen zu Änderungen bei den Vorschlägen der Kommission. Hier geht es nicht um Feinjustierungen, sondern um Grundsätzliches. So muss aus
unserer Sicht noch einmal über die Festlegung des Basisjahres 2005 für die Emissionsminderungen diskutiert
werden.
({2})
Mitgliedsstaaten, die bis 2005 kaum Anstrengungen
unternommen haben und von ihren eigenen Klimazielen
noch weit entfernt sind, würden davon bevorteilt. Länder, die bereits vor 2005 erhebliche Minderungen erreicht haben - dazu gehört Deutschland -, würden benachteiligt.
({3})
Ich kann nicht nachvollziehen - ich wusste, dass das Argument kommt -, wieso die sogenannten Early Actions
behandelt werden, als wären uns diese CO2-Minderungen quasi in den Schoß gefallen. Jeder weiß doch, welche Anstrengungen gerade der strukturelle Umbau in
den neuen Bundesländern gekostet hat. Wir haben Milliardenbeträge aufgewendet, um die energetische Basis
in den neuen Bundesländern umzustellen, und zwar auch
für den Klimaschutz. Das gilt übrigens auch für andere
europäische Partner aus dem ehemaligen Ostblock.
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, den
wir kritisch beurteilen, ist die Aufteilung der Minderungsvorgaben auf die Mitgliedstaaten. Darüber muss
noch einmal diskutiert werden. Die derzeitige augenscheinliche Sonderbehandlung einiger Staaten muss gerade unter dem Aspekt einer fairen Lastenteilung geprüft
werden.
Ein dritter Schwerpunkt, bei dem dringend nachgebessert werden muss, ist die künftige Gestaltung des
Emissionshandels. Die im aktuellen Vorschlag von EUUmweltkommissar Dimas vorgesehene vollständige
Versteigerung der Zertifikate für alle Branchen ist so
nicht akzeptabel. Darauf hat die Bundeskanzlerin beim
Europäischen Rat im März dieses Jahres bereits nachdrücklich hingewiesen. Es muss darüber nachgedacht
werden, solchen Unternehmen, die ihre Klimaschutzpotenziale nach dem aktuellen Stand der Technik bereits
ausgereizt haben, kostenlos Zertifikate zuzuteilen.
({4})
Es macht keinen Sinn, Minderungen zu verlangen, die
weder technisch noch wirtschaftlich erreichbar sind.
({5})
Ein europäischer Emissionshandel darf nicht dazu
führen, dass sich energieintensive Bereiche wie die
Stahl-, Chemie-, Zement-, Glas- und Papierindustrie aus
Europa zurückziehen und ihre Standorte in andere Regionen der Welt verlagern.
({6})
Daraus würden nicht nur erhebliche Probleme für
Wachstum und Beschäftigung resultieren, sondern auch
klimapolitisch würden Produktionsverlagerungen mehr
Schaden als Nutzen bringen.
Wir brauchen bei der Versteigerung der Emissionszertifikate Lösungen, die die technologischen Bedingungen
und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gerade energieintensiver Branchen berücksichtigen.
({7})
Branchenlösungen, also die Ermöglichung von brancheninternen Handelsmechanismen, sollten auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden.
Wichtig ist, dass wir die Diskussion über die Ausgestaltung des künftigen Emissionshandels bereits jetzt
führen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass Entscheidungen über Minderungsvorgaben und -mechanismen nicht erst, wie die Kommission plant, im Jahre 2011
getroffen werden. Der Vorschlag der Kommission ist
zwar ehrenwert; denn zu diesem Zeitpunkt kann man die
internationale Wettbewerbssituation aktuell einschätzen.
Aber, meine Damen und Herren, kein Unternehmen wird
in der Zwischenzeit Investitionen in Europa planen,
wenn erst 2011 eine Kalkulation der Kosten am vorgesehenen Standort möglich ist. Hier geht es nämlich nicht
um Peanuts.
Es wurde ermittelt, dass der chemischen Industrie
durch den Emissionshandel im Jahre 2020 Zusatzkosten
in Höhe von fast 2 Milliarden Euro drohen. Wie real
diese Gefahr ist, war gestern in der FAZ nachzulesen.
BASF hat wegen der Unsicherheiten im Hinblick auf
den Emissionshandel eine 1,5-Milliarden-Euro-Investition in eine Kohlevergasungsanlage am Standort Ludwigshafen vorerst zurückgestellt. Klimapolitik ist einmal
mehr auch Politik für den Wirtschaftsstandort.
Ich will zum Schluss sagen: Wir brauchen eine in sich
stimmige, kohärente Antwort auf die Brüsseler Vorschläge, die den Nachweis erbringt, dass die Klimaziele
erreicht werden und dass die Gesamtstrategie sowie die
einzelnen Maßnahmen sozial ausgewogen und wirtschaftlich verträglich sind.
({8})
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn wir den Tropenwaldschutz ernst nehmen und die
Kleinbauern und Waldbewohner im Süden vor Vertreibung schützen wollen, dann müssen die Agrokraftstoffquoten deutlich gesenkt oder ganz ausgesetzt werden.
Die Linke fordert auf europäischer Ebene das Gleiche
wie die FDP in ihrem Antrag.
Am Mittwoch dieser Woche haben wir diese Diskussion schon einmal geführt. Da hat Umweltminister
Gabriel behauptet, die Linke habe in der Vergangenheit
höhere Agrokraftstoffquoten gefordert. Woher er das hat,
weiß ich nicht. Allerdings möchte ich betonen: Wir haben die Steuerbefreiung für biogene Reinkraftstoffe und
die Abschaffung der Zwangsbeimischung gefordert. Das
ist für uns aber etwas ganz anderes.
({0})
Sicherlich standen auch wir den Agrotreibstoffen anfangs euphorischer gegenüber, als wir es heute tun. Dass
wir diese aber im Wesentlichen aus Europa bzw.
Deutschland beziehen sollten, vertreten wir schon lange.
Wenn wir darauf verzichten, Biomasse in flüssige Kraftstoffe zu verwandeln, jedenfalls jenseits lokaler Verwendungen, beispielsweise in landwirtschaftlichen Betrieben oder - diesen guten Vorschlag habe ich von der
Koalition gehört - in Zukunft auch im öffentlichen Nahverkehr - ich sage noch einmal, dass ich diesen Vorschlag gut finde -, dann leisten wir
({1})
- okay - einen Beitrag dazu, den gegenwärtig rasanten
Anstieg der Nahrungsmittelpreise abzubremsen.
({2})
Agrokraftstoffe sind sicher nicht der einzige Grund
für die Preisexplosionen, aber ein wichtiger. Die Weltbank hat letztes Wochenende in Bezug darauf vor der
Gefahr einer wachsenden Verarmung in etlichen Regionen der Welt gewarnt. Mittlerweile gibt es wegen der
Preisexplosionen Hungerrevolten und gewaltsame Proteste in Haiti oder Indonesien. Ich muss hier nicht nur
die Weltbank nennen, ich kann auch auf „Misereor“ oder
„Brot für die Welt“ hinweisen.
Was den zweiten FDP-Antrag zum EU-Emissionshandel ab 2012 betrifft, so können wir einigen Forderungen folgen, anderen aber nicht. Zunächst möchte ich sagen: Die Linke unterstützt den Systemwechsel im
europäischen Emissionshandelssystem. Das heißt, ein
einheitliches Minderungsziel anstelle nationaler Zuteilungspläne. Das wird auch Tricksereien einzelner Länder
vermeiden helfen.
({3})
Ferner wird die vorgesehene Versteigerung der Emissionsrechte an die Energiewirtschaft zu 100 Prozent dem
Ganzen erstmals eine nennenswerte Lenkungswirkung
natürlich nur dann geben, wenn es anspruchsvolle Emissionsobergrenzen gibt. Wir fordern im Unterschied zur
FDP für Europa das Ziel, den Ausstoß der Emissionen
gegenüber 1990 um 30 Prozent zu senken.
({4})
Das Minderungsziel von 20 Prozent reicht eben nicht,
um einen wirksamen Beitrag Europas dazu zu leisten,
dass die Erwärmung nicht über 2 Grad ansteigt. Entsprechend diesem höheren Ziel müssten dann auch die Vorgaben für das Emissionshandelssystem verschärft werden.
({5})
Wir finden es nicht zielführend, dass in der EU-Richtlinie nur von einem Minderungsziel von 20 Prozent ausgegangen wird. Die Einstellung, nach dem Post-KiotoAbkommen das Minderungsziel auf 30 Prozent zu erhöhen, halten wir für inkonsequent. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen, dass das Ziel einer Minderung der
Treibhausgase um 30 Prozent schon jetzt aufgenommen
wird. Noch einmal: Wir können hier nicht auf die USA
warten. Wir müssen von Anfang an mit dem 30-ProzentZiel in den Ring steigen, damit auch stark wachsende
Staaten wie China oder Indien dazu bewegt werden, einem verbindlichen Klimaschutzregime zuzustimmen.
({6})
Sie wissen, dass die Energieversorger bislang Milliarden an Windfall-Profits einstreichen, weil ihnen die
wertvollen Emissionsrechte geschenkt werden. Das
könnte ab 2012 Geschichte sein, wenn, ja wenn Wirtschaftsminister Glos endlich aufhören würde, in Brüssel
dazwischenzufunken.
({7})
Es ist unglaublich, dass Deutschland offensichtlich
schon wieder - ich wiederhole: schon wieder - ein sinnvolles und gerechtes Emissionshandelssystem verhindern will. Herr Glos - leider ist er nicht hier -, ich sage
Ihnen: Halten Sie sich zurück! Auch ein Wirtschaftsminister sollte noch andere Ziele im Kopf haben, als seiner
Klientel maximale Profite zuzuschanzen.
Im Gegensatz zur FDP gefällt uns die Idee der Kommission, mindestens 20 Prozent der Versteigerungseinnahmen unter anderem für die soziale Abfederung höherer Energiepreise einzusetzen, sehr gut. Diesen Anteil
würden wir gerne noch erhöhen.
Ich komme zum Schluss. Ich wundere mich schon
sehr, wie von verschiedenen Seiten über die Energiepreise gesprochen wird. Ich möchte Sie daran erinnern:
Unter Kohl war mit dem Energiewirtschaftsgesetz klar,
dass dieses Gesetz zu weiteren Oligopolen und damit zu
höheren Preisen führt. Dagegen haben Sie nichts getan.
Ich kann Ihnen nur sagen: Unterm Strich könnte der
Ausstoß von Kohlendioxid ab 2012 ziemlich teuer werden.
Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?
Es spricht einiges dafür, dass sich Kohlekraftwerke
dann nicht mehr rechnen. Wir setzen weiter auf Versteigerung.
({0})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Frank Schwabe,
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! So
eine Debatte ist, zumal uns von den Tribünen aus viele
junge Leute zuschauen, eine gute Gelegenheit, Revue
passieren zu lassen, welche Diskussionen es in den letzten Jahren über den Klimaschutz gegeben hat.
Wir beschäftigen uns seit etwa zwei Jahren intensiv
mit dem Thema Klimawandel. Die Wissenschaft gewinnt immer mehr Erkenntnisse. Auch wenn manche
Medien versuchen, einen anderen Eindruck zu erwecken, muss man festhalten: Es gibt keine neueren Erkenntnisse, die den Schluss zuließen, dass der Klimawandel unproblematisch würde. Vielmehr geht die
Eisschmelze weiter, und die Wüstenbildung schreitet
voran.
Das Thema Klimawandel ist eng verbunden mit der
sozialen Frage. Es sind nämlich die armen Länder, die,
wie mehrfach gesagt wurde, die Lasten des Klimawandels, den die reichen Länder verursachen, zu tragen haben. Die soziale Frage spielt aber auch in der nationalen
Debatte eine Rolle. Wir, die sozialdemokratische Partei,
werden in den nächsten Monaten intensiv darüber diskutieren, wie wir die Energiepreissteigerungen sozial gerecht abfedern können. Das Thema Klimawandel ist aber
auch eng mit der Wirtschafts- und Innovationspolitik
verbunden: Die Politik, die angesichts des Klimawandels notwendig ist, bietet die Chance, Innovationen in
Deutschland voranzutreiben und neue Wirtschaftsfelder
zu entwickeln; das haben wir ja in den letzten Jahren begonnen.
Bei der Bekämpfung des Klimawandels muss - dafür
treten wir im Deutschen Bundestag, wie ich denke, gemeinsam ein - Europa eine Führungsrolle einnehmen.
Die SPD begrüßt die Vorschläge der EU-Kommission
zur Aufteilung der Verantwortung zur CO2-Reduktion,
die Vorschläge zum Emissionshandel, für den Ausbau
der erneuerbaren Energien sowie den Vorschlag zur
Speicherung von CO2. Auch die Vorschläge zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes sind wegweisend. Ich
glaube, es ist notwendig, dass wir bei aller Kritik im Detail betonen, dass die Vorschläge, die die Kommission
vorgelegt hat, hervorragend sind. Diese Vorschläge verdienen Deutschlands Unterstützung; das sollte auch der
Deutsche Bundestag bekunden.
({0})
Es ist mutig, dass das elende Gefeilsche um die nationalen Allokationspläne beendet wird. Es wird jetzt eine
Einheitlichkeit in Europa geben, durch die Wettbewerbsverzerrungen zumindest teilweise vermieden werden.
Die Unternehmen bekommen dadurch, dass die dritte
Handelsperiode länger dauern wird, Planungssicherheit.
Ich will ferner ausdrücklich erwähnen, dass in Zukunft
weitere Treibhausgase in den Emissionshandel einbezogen werden.
Besonders gut finde ich - da habe ich eine andere
Wahrnehmung als die Kollegin Bulling-Schröter -, dass
sich die EU-Kommission klar zu einer 30-prozentigen
Senkung des CO2-Ausstoßes bis 2020 bekennt. In der
konkreten Ausarbeitung der Vorschläge wird von einer
Senkung um 20 Prozent ausgegangen; es ist aber eine
Klausel eingebaut, die deutlich macht, dass wir eigentlich eine Senkung um 30 Prozent wollen.
Ich vermisse an dieser Stelle den Widerspruch der
FDP; der FDP ist ja unterstellt worden, dass sie eine
Senkung um 30 Prozent nicht wolle. Ich habe aus dem
Antrag der FDP herauslesen können, dass sich auch die
FDP damit einverstanden erklären kann, dass wir uns zu
einer Senkung um 30 Prozent verpflichten, und zwar unter der Bedingung, dass es zu einem internationalen Abkommen kommt. Die FDP hat sich allerdings bisher
nicht dazu durchringen können, für Deutschland eine
Senkung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent anzustreben, wie es die Position der Bundesregierung ist.
({1})
Bei aller Unterstützung im Grundsätzlichen gibt es
natürlich durchaus Diskussionsbedarf; die FDP hat ihn
in ihren Anträgen benannt. Allerdings ist die Sachlage
nicht immer so, wie es dargestellt wurde. Nehmen wir
zum Beispiel die Frage des Basisjahres. Natürlich hat
jede Verschiebung des Basisjahres eine andere Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Länder Europas
zur Folge. Das betrifft aber vor allen Dingen die osteuropäischen und die südeuropäischen Staaten; für Deutschland ist das gehupft wie gesprungen. Wir haben Nachteile dadurch, dass die südeuropäischen Staaten jetzt
besser gestellt werden; aber wir haben zugleich Vorteile
dadurch, dass die osteuropäischen Staaten schlechter gestellt werden. Deswegen ist das eigentlich eine Diskussion, die zwischen Osteuropa und Südeuropa geführt
werden muss. Für uns ist die Frage, in welchen Bereichen der Wirtschaft auktioniert wird, woher die Auktionierungserlöse kommen, viel spannender.
Nehmen wir einmal an, im Energiebereich wird es
eine 100-prozentige Auktionierung geben, wofür wir
hier, glaube ich, fraktionsübergreifend eintreten. Dann
wird von Deutschland ein besonders hoher Anteil in das
System gezahlt werden. Wenn wir zum Beispiel im Bereich der Industrie keine 100-prozentige Auktionierung
erreichen, dann werden andere Staaten weniger in das
System einzahlen. Dann stellt sich die Frage, wie eigentlich der Verteilungsmechanismus aussieht. Wie wird die
Rückverteilung des eingenommenen Geldes auf die nationalstaatlichen Ebenen aussehen? Die Debatte über die
Verteilungswirkungen wird sehr spannend sein. Das
Jahr 2005 wird in der Debatte zwar eine Rolle spielen,
aber ich glaube, das wird nicht entscheidend für
Deutschland sein.
Ein zweiter Punkt ist die CDM-Quote. Es geht um die
Frage, wie man über flexible Mechanismen international
seine Verpflichtungen erfüllen kann. Das ist ein wichti16332
ges Instrument. Ich warne allerdings davor - ich habe
das schon mehrfach getan -, dass dort eine Goldgräberstimmung ausbricht. Wir müssen vor allen Dingen zusehen - darüber sind wir uns in diesem Deutschen Bundestag ja auch einig -, dass wir durch eine übergreifende
Vereinbarung die Integrität der CDM-Projekte sicherstellen.
Die EU-Kommission geht zumindest im Hinblick auf
die 20-prozentige Senkung bis zum Jahre 2020 davon
aus, dass wir sehr restriktiv mit den CDMs umgehen
werden. Auch das wird auf Deutschland allerdings nur
relativ geringe Auswirkungen haben, weil man das Volumen aus der zweiten Handelsperiode, das man nicht eingesetzt hat - wir sind in der zweiten Handelsperiode sehr
großzügig damit umgegangen -, in die dritte Handelsperiode überführen kann. Also wird es für Deutschland an
dieser Stelle gar keine Bedeutung haben, dass die CDMQuote sehr restriktiv ausgelegt wird.
Der Umgang mit den energieintensiven Industrien
wird sicherlich ein wichtiges Thema sein, wobei ich
sage, dass es für die Position der Kommission gute Argumente gibt. Sie sagt, dass sie das heute noch nicht entscheiden kann, weil sie dann Vorfestlegungen für die internationale Debatte treffen würde, wodurch ihre Rolle
und ihr Verhandlungsmandat geschwächt würden. Es ist
aber gar keine Frage: Wir brauchen auch Investitionssicherheit für die Industrien. Deswegen gilt an der Stelle:
Wir müssen so schnell wie möglich zu Ergebnissen kommen. Wir müssen allerdings auch so gründlich wie nötig
vorgehen, weil nicht ganz klar ist, wie die Abgrenzung
aussehen wird. Was sind eigentlich energieintensive Industrien? Auf europäischer Ebene gibt es darüber durchaus intensive und nachvollziehbare Debatten.
Eines will ich noch zum Thema Mittelverwendung
und Stromsteuer sagen. Herr Kauch, wenn das alles so
einfach wäre, dann wäre es schön; denn dann könnte
man die Auktionierungserlöse über die Stromsteuer zurückgeben. Ich fürchte nur, dass der Preisbildungsmechanismus anders aussehen wird. Wir werden den Monopolunternehmen der großen Energieversorger eher
noch zusätzliche Gewinne bescheren. Ich fürchte, das,
was wir im Bereich der Windfall-Profits gerade kritisch
diskutieren - wir wollen dort abschöpfen -, würden wir
ihnen an der Stelle noch zusätzlich geben. Insofern
glaube ich, dass es falsch ist, an dieser Stelle eine Stromsteuer vorzuschlagen.
({2})
Wir haben jetzt Zweierlei zu tun: Zum einen müssen
wir in der nationalen Debatte für Glaubwürdigkeit sorgen und die Meseberg-Beschlüsse so umsetzen, dass es
zu einer wirklich effektiven Gesetzgebung kommt. Das
tun wir in den nächsten Monaten. Zum anderen haben
wir als Große Koalition - das sage ich ausdrücklich - die
Aufgabe, gemeinsam zu überlegen - dabei sollte nicht
der eine Minister mit dem Finger auf den anderen zeigen -,
wie wir das, was wir in Meseberg beschlossen haben,
noch steigern können, bis wir das 40-Prozent-Ziel erreicht haben, welches wir uns gemeinsam vorgenommen
haben.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Mache ich. - Noch einmal: Wir sollten jetzt kritisch
und aus der deutschen Perspektive heraus auch sehr
selbstbewusst über die europäischen Vorschläge diskutieren und das Signal ausgeben, dass die Kommission
erst einmal unsere grundsätzliche Unterstützung für die
Linie hat, die sie vorgibt.
Vielen Dank.
({0})
Als Nächstes hat der Kollege Hans-Josef Fell für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kauch, als ich Ihren Antrag „Weichenstellungen zur Förderung erneuerbarer Energien in der Europäischen
Union - Wettbewerb der Lösungen stärken, Regenwälder wirksam schützen“ gelesen habe, ist mir der Werdegang der erneuerbaren Energien in den letzten Jahrzehnten in Deutschland durch den Kopf geschossen.
Vor zwanzig, dreißig Jahren hat sie kaum jemand gekannt. Vor zehn Jahren haben viele Leute sie für Unsinn
gehalten und massiv bekämpft. Heute gibt es ganz viele
- fast ausschließlich - Befürworter. Jeder steht hinter
den erneuerbaren Energien, aber unter den Befürwortern
gibt es eine besondere Kategorie: Sie machen unter dem
Deckmantel des Befürwortens Vorschläge zur Ablehnung. Das ist in Ihrem Antrag der Fall.
({0})
Sie fordern in Ihrem Antrag, auf europäischer Ebene
den Handel mit Grünstromzertifikaten einzuführen. Das
entspricht genau dem hochgefährlichen Vorschlag der
EU-Kommission zur Abschaffung der Einspeisevergütung in Europa,
({1})
den viele Länder übernommen haben. Dieser Vorschlag
wird vor allem von Großbritannien vorangetrieben, das
bei der Einführung erneuerbarer Energien völlig versagt
hat. Ich erinnere nur an das Beispiel Windenergie in
Großbritannien. Dort wird ein ähnliches Quoten-Zertifikatsmodell, wie Sie es zusammen mit der EU-Kommission vorschlagen, seit Jahren praktiziert. In Großbritannien ist der Wind bekanntlich viel stärker als in
Deutschland, aber es verfügt nur über 10 Prozent der
deutschen Windkraftleistungen. Die Windstromkosten in
Großbritannien betragen 13 Cent pro Kilowattstunde. In
Deutschland sind es 7 Cent. Das bezeichnen Sie als ein
effizienteres und erfolgreicheres Modell.
Sie lehnen unter dem Deckmantel des Befürworters
die erneuerbaren Energien ab,
({2})
indem Sie die untauglichen Modelle in den Vordergrund
rücken und dabei sogar übersehen, dass Sie Ihre eigenen
- vonseiten der Freien Demokraten auch wünschenswerten - Zielvorstellungen konterkarieren.
({3})
Sie sprechen von Bürokratieabbau. Was bedeutet
denn der Kommissionsvorschlag? Von der lokalen über
die mittlere bis zur nationalen Ebene sollen neue Behörden aufgebaut werden, die die Grünstromzertifikate erfassen und sammeln und den Handel kontrollieren müssen. Das ist ein Höchstmaß an Bürokratie. Dafür stehen
Sie als FDP. Zu solchen Vorschlägen zum Bürokratieabbau kann man nur gratulieren.
({4})
Wenn man sich näher mit Ihrem Antrag befasst, dann
wird die Widersprüchlichkeit Ihrer Programmatik deutlich. Sie sprechen von einem marktwirtschaftlichen
Mengensteuerungsmodell. Eine Menge festzulegen, hat
sicherlich nichts mit dem Markt zu tun. Steuernd einzugreifen hat ebenfalls nichts mit dem Markt zu tun. Sie
aber wollen ein marktwirtschaftliches Mengensteuerungsmodell einführen. Welch ein Widerspruch in sich!
In Ihrem anderen Antrag geht es ähnlich weiter. Wo
Sie den Klimaschutz betonen, machen Sie ebenfalls untaugliche Vorschläge, statt umsetzbare Vorschläge in den
Mittelpunkt zu rücken. Sie setzen allein auf das Instrument Emissionshandel.
Herr Kollege Fell, Herr Kauch würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?
Ja.
Vielen Dank. - Meine Frage bezieht sich auf das
Mengensteuerungsmodell. Sind Sie bereit, zur Kenntnis
zu nehmen, dass ein Mengensteuerungsmodell immer so
gut ist wie seine Mengenvorgabe? Das heißt, wenn man
niedrige Mengen vorgibt, wie es in Großbritannien der
Fall war, dann kann nur wenig dabei herauskommen.
Wenn aber die Mengenvorgabe exakt den Zielen der Europäischen Union angepasst wird, wie wir es vorschlagen, dann wird die entsprechende Menge - über den
Preis kann man reden - systemimmanent umgesetzt.
Über die Frage, welche Variante kostengünstiger ist,
müssen wir in der Tat reden. Ich bitte Sie, zur Kenntnis
zu nehmen, dass sich das von uns vorgeschlagene Modell etwas von dem unterscheidet, was die EU-Kommission vorschlägt. Zum Beispiel fordern wir zusätzliche
Marktzuschüsse für die Fotovoltaik, die aber nach unseren Vorstellungen nicht über die Strompreise, sondern
aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen.
Herr Kollege Kauch, Ihre Ausführungen zeigen, dass
Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien sowohl in innovationskräftige neue Märkte hinein als auch in großen
Mengen nicht wirklich wollen. Denn eine Mengenfestlegung bedeutet, dass diese Menge nicht überschritten
werden soll. Damit ziehen Sie eine Bremse ein. Sie
bremsen damit die Industrie, die mehr leisten könnte, als
beispielsweise wir selbst geglaubt haben.
Wie Sie wissen, haben wir im Jahr 2000 keine Mengensteuerung, sondern eine Zielvorgabe in das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgenommen. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung soll 2010
12,5 Prozent betragen. Wenn wir das als Menge festgelegt hätten, dann hätten wir das EEG schon wieder abschaffen müssen, weil wir dieses Ziel bereits 2007 mit
14 Prozent übererfüllt haben.
({0})
Dies ist ein Erfolg, der mit einem ideologisch behafteten
Mengensteuerungsmodell, wie Sie es vorschlagen, nicht
möglich gewesen wäre.
Diese Gedankenwelt lässt sich auch bei Ihren anderen
Anträgen zum Klimaschutz finden. Sie haben nicht den
Mut, beim Klimaschutz die tauglichen Instrumente in
den Mittelpunkt zu rücken. Ihre Kollegin Frau Kopp hat
gestern Abend wiederum betont, sie lehne ein KraftWärme-Kopplungs-Gesetz völlig ab, weil es ein Eingriff
in den Strommarkt sei. Ich frage mich, wo ein Strommarkt existiert. Es gibt einen Oligopolmarkt, aber keinen
Markt. Insofern ist ein Eingriff des Staates nichts anderes als eine Unterstützung dafür, dass endlich ein Markt
entsteht. Insofern ist Ihre Argumentation sehr fragwürdig.
Sie lehnen aber nicht nur ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz ab, sondern auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das im Vergleich zu allen anderen Instrumenten die höchste Reduktion von CO2-Emissionen in
Deutschland bewirkt hat.
({1})
Sie lehnen die Ökosteuer und andere taugliche Instrumente ab. Stattdessen schlagen Sie allein einen Emissionshandel vor, aber ohne zu berücksichtigen, dass er
funktionieren sollte. In Ihrem Antrag steht:
Auf dem Weg zu diesem Ziel ist zunächst vorzusehen, dass - wie von der EU-Kommission vorgeschlagen - die vollständige Auktionierung der CO2Zertifikate ab dem Jahr 2013 für jene Bereiche erfolgt, in denen eine Weitergabe von CO2-Kosten
ohne wesentliche negative Wettbewerbseffekte
möglich ist …
Wie machen Sie das denn? Wollen Sie dann die Kohlekraftwerke vom Handel mit CO2-Zertifikaten befreien,
weil sie sonst im Wettbewerb gegen Windräder nicht be16334
stehen könnten? Auf dem Strommarkt lässt sich das
nicht wettbewerbskonform regeln. Deswegen ist Ihr Vorschlag - genauso wie der der EU-Kommission - völlig
untauglich. Wenn Sie die CO2-freie Stromerzeugung unterstützen wollen, dann müssen Sie akzeptieren, dass
Kohlekraftwerke einen Wettbewerbsnachteil gegenüber
Anlagen haben, in denen Strom CO2-frei erzeugt wird.
Sonst lässt sich kein wirksamer Klimaschutz erreichen.
Insofern sind Ihre Vorschläge untauglich. Das zeigt auch
die Realität. Schauen Sie sich doch die neue WWF-Studie an! Dort wird genau aufgezeigt, wie der real existierende Emissionshandel - wir wollen etwas völlig anderes auf den Weg bringen - tatsächlich wirkt. Er hat in der
ersten Handelsperiode faktisch fast keine Einsparungen
an CO2-Emissionen bewirkt, wohl aber den Konzernen
über die Einpreisung der Zertifikate ungeheure Gewinne
beschert. Dies ist nicht das Ziel eines Emissionshandels.
({2})
Herr Kollege, das andere Ziel, das Ende der Redezeit,
haben Sie erreicht.
In der zweiten Handelsperiode wird es ähnlich sein.
So hat es der WWF aufgezeigt.
Herr Kauch, machen Sie endlich einen wirksamen
Klimaschutz und eine wirksame Förderung der erneuerbaren Energien zu Ihrer Sache! Dann kommen wir zusammen.
({0})
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat das Wort für die
CDU/CSU.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir
brauchen eine Harmonisierung der Klimaschutzziele auf
europäischer Ebene, nicht aber eine Harmonisierung der
Instrumente. Wir brauchen einen Wettbewerb der Instrumente. An dieser Stelle muss ich dem Kollegen Fell völlig recht geben: Das EEG hat sich bewährt. Deshalb
müssen wir auf europäischer Ebene alles tun, den Wettbewerb der Instrumente aufrechtzuerhalten und das EEG
zu sichern.
({0})
Die Bundesregierung hat sich erfolgreich gegen einen
Quotenhandel eingesetzt, bei dem sich die Versorger mit
ihrer Marktmacht frei entscheiden können, von wem sie
erneuerbare Energien kaufen. Wie sie das machen würden, brauche ich nicht zu erläutern. Das kann sich jeder
sehr gut vorstellen. Sicherlich hat der Zertifikatehandel
- der GO-Handel - zwischen den Staaten einen gewissen Charme; denn dann wird Solarenergie dort produziert, wo die Sonne scheint, und Windenergie, wo es viel
Wind gibt. Aber dieser Handel birgt auch ganz massive
Risiken. Etliche wurden schon genannt. Ich möchte noch
auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn auf europäischer Ebene Mengen vorgegeben würden, die es zu erfüllen gilt, käme es zu einer Nivellierung der Preise;
denn auch bei einem Zertifikatesystem bildet sich ein
einheitlicher, technologieunabhängiger Marktpreis, der
sich nach den Grenzkosten der teuersten, mithilfe erneuerbarer Energien produzierten Kilowattstunde richtet.
Ich wage zu bezweifeln, dass wir eine solche Nivellierung und einen solchen Stillstand wollen; denn dann
werden sich die einen Länder anstrengen, während sich
die anderen freikaufen. Das wäre ein schlechter Weg.
Dagegen müssen wir uns auf europäischer Ebene positionieren.
({1})
Es gibt aber noch einige andere Punkte, über die man
sich mit der Europäischen Union auseinandersetzen
muss. Es ist inakzeptabel, dass man unter dem Deckmantel, Wettbewerb zu sichern, die Gelegenheit nutzt,
den Wettbewerb gezielt zu beeinflussen. Ich meine die
Automobilindustrie. Wir sind nun einmal diejenigen, die
die Premiumautomobile der Welt herstellen. Ich glaube,
wir tun das mit einem gewissen Stolz. Wir wollen daran
auch nichts ändern. Deshalb darf die EU keine Detailziele vorgeben. Diese Besonderheiten müssen angemessen und differenziert berücksichtigt werden. In dem Zusammenhang halte ich es auch für inakzeptabel, dass
man jetzt über Kompensationszahlungen diskutiert
- 20 Euro pro zu viel ausgestoßenem Gramm Kohlendioxid ab 2012, steigend auf 95 Euro - und dann unverhohlen über eine europäische Strafsteuer spricht. Die
Europäische Union hat in diesem Land Gott sei Dank
kein Steuerheberecht. Das soll sie und darf sie um Gottes
Willen nicht bekommen.
({2})
Man darf auch nicht den Umweltschutz als Deckmantel
oder als Alibi benutzen, weil man ihn sonst in Zukunft
als Einfallstor für viele Dinge nutzen kann. Das wollen
wir, so meine ich, alle miteinander verhindern.
Lassen Sie mich einen Satz zum Thema Biosprit sagen. Das ist eine schwierige Diskussion, bei der alles
vermischt worden ist. Bioethanol, Biodiesel - am Ende
ist alles unter die Räder gekommen. Eines muss doch
feststehen: Wir brauchen einen funktionierenden B-100Markt. Wir brauchen angesichts dessen, was uns auf
europäischer Ebene auferlegt werden wird, eine funktionierende deutsche Produktion, und wir brauchen WTOkonforme Zertifizierungssysteme. Niemand will das Abholzen der Regenwälder. Aber wir brauchen doch unter
diesen Umständen etwas, was man im Übergang bis zu
dem Zeitpunkt, an dem man die Zertifizierungssysteme
hat, tatsächlich praktizieren kann. Ich bin der festen
Überzeugung, dass man so etwas regeln kann, dass man
ganz klar festlegen kann, dass auf Quoten nur das angerechnet wird, was aus europäischer Produktion kommt
oder über das der lückenlose Herkunftsnachweis geführt
werden kann.
({3})
Ich möchte die Marktwirtschaftler und die Politiker hören, die sagen, man müsse im Interesse des Freihandels
das Abholzen der Regenwälder akzeptieren. Ich glaube,
diese Leute gibt es nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Diskussion sehr wohl durchstehen
und den Import beschränken können, weil wir nicht wollen, dass Produkte importiert werden, die auf Kosten des
Regenwaldes hergestellt wurden.
({4})
Ein letzter Satz zum Emissionshandel. Ich glaube, wir
müssen noch einmal offen über den Emissionshandel
diskutieren. Da hat sich einiges verändert. Der EuGH hat
entschieden, dass die Ex-post-Kontrolle jetzt als Weg eröffnet ist und wir mit entsprechenden Benchmarks auch
die Windfall-Profits reduzieren können. Im Übrigen hat
sich eines nicht geändert: Wir haben immer noch ein
Oligopol, Markteinschränkungen im Energiebereich.
Unter diesem Aspekt muss man über die Frage diskutieren, wie wir den Emissionshandel so gestalten, dass am
Ende nicht energieintensive Industrien, die physikalisch
keine Einsparmöglichkeiten haben, aus diesem Land getrieben werden. Auch das ist im Sinne des Klimaschutzes, weil wir nachweisen müssen, dass Klimaschutz und
Wachstum miteinander vereinbar sind.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Gabriele Groneberg hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wie wir jetzt während der Debatte schon
feststellen konnten, sind die vorgelegten Anträge der
FDP-Fraktion, um das mit Verlaub festzustellen, nicht
gerade sehr innovativ. Im Antrag zur Förderung erneuerbarer Energien in der EU beten Sie eigentlich genau das
herunter, was wir größtenteils durch Regierungshandeln
schon auf den Weg gebracht haben. Ich beziehe mich
insbesondere auf die Nachhaltigkeitskriterien, die Sie für
die Anerkennung von Importbiomasse fordern. Herr
Kollege Nüßlein hat dazu gerade schon ausführlich Stellung genommen. Ich freue mich, dass jetzt auch die FDP
im Boot ist und dasselbe fordert. Das trägt dazu bei, dass
wir dies mit gemeinsamer Kraft durchsetzen können.
Mit der Gestaltung der deutschen Nachhaltigkeitsverordnung haben wir diese Kriterien schon definiert. Zurzeit liegt die deutsche Nachhaltigkeitsverordnung der
EU-Kommission zur Notifizierung vor. Es wäre wirklich
schön, wenn wir in diesem Punkt eine EU-weite Lösung
bekämen; wir streben eine solche Lösung an. Nicht zu
vergessen ist: Einer EU-weiten Lösung muss eine internationale Zertifizierung folgen; sie ist unbedingt erforderlich. Daran kann man erkennen, dass wir uns mit
dieser Thematik sehr verantwortungsvoll auseinandersetzen.
Auch in der Aktuellen Stunde am Mittwoch dieser
Woche hier im Bundestag konnten wir über dieses
Thema ausführlich diskutieren. Die Biokraftstoffproblematik ist eine Problematik, der wir uns stellen müssen.
Frau Bulling-Schröter hat vorhin gesagt, man sei sehr
euphorisch an die Sache herangegangen. Es ist immer
so: Wenn man eine Chance sieht, bestimmte Techniken,
die ökologisch nachhaltig sein können, weiterzuentwickeln, dann versucht man, diese Chance zu nutzen. Dass
man im Laufe der Zeit feststellt, dass man manches vielleicht korrigieren muss, liegt in der Natur der Sache.
Die Forschung ist in vollem Gang. Wir sind sicher,
dass wir gute Lösungen finden. Für uns steht über allem,
dass wir eine sinnvolle und nachhaltige Nutzung von
Biomasse unbedingt brauchen. Wir werden das in den
anstehenden Entscheidungen in vollem Umfang berücksichtigen.
({0})
Zum verantwortungsvollen Umgang gehört eben
auch, dass wir in unsere Entscheidungsprozesse externen
Sachverstand einbeziehen. Das haben wir hier im Bundestag in der letzten Zeit gemacht: Ausschussmitglieder
aller Fraktionen haben sich unter anderem in gemeinsamen Anhörungen durch externen Sachverstand dazu
schlaugemacht. Wir sind jetzt an der Reihe, genau das
auszuwerten und entsprechende Entschlüsse zu fassen.
Es ist richtig, dass wir bei der Quotenerhöhung behutsam vorgehen, zumal die durch die Industrieländer gesetzten Beimischungsquoten eine hohe entwicklungspolitische Relevanz haben; das ist überhaupt nicht zu
bestreiten. Wenn wir diese Quoten so weiterführen, dann
können sie tatsächlich nicht ohne erhebliche Importe von
Biokraftstoffen und Biomasse aus Entwicklungsländern
erfüllt werden. Das ist besonders im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen sehr wichtig. Darum ist es bedeutsam - Herr Kollege Nüßlein hat es bereits ausgeführt -, dass wir Grenzen ziehen, sodass klar ist, welche
Importe wir zulassen werden und welche Importe wir
nicht zulassen werden.
Der Zusammenhang zwischen Biomasseproduktion
und steigenden Nahrungsmittelpreisen kann ebenfalls
nicht mehr negiert werden. Auch dem werden wir uns
natürlich stellen müssen. Die Befürchtungen sind berechtigt - das zeigt auch die aktuelle Reaktion der Weltbank -: Man warnt vor einer wachsenden Verarmung in
bestimmten Regionen, und man stellt fest, dass man den
Kampf gegen die Lebensmittelpreissteigerungen aufnehmen muss.
Die steigenden Lebensmittelpreise sind nicht allein
- auch das muss man ganz deutlich sagen und der Ehrlichkeit halber immer wieder betonen - auf Biomasse
oder Biosprit zurückzuführen. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Dass es letztendlich ein globales Problem
ist, zeigen auch die Unruhen in allen Teilen der Welt, in
Mexiko, Haiti oder Ägypten. Das Ganze wirkt sich auf
alle Länder aus. Wir hier stehen in der Verantwortung,
diese Länder mit ihren Problemen nicht alleinzulassen.
({1})
Man muss in diesem Zusammenhang auch betonen,
dass gerade für die ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern eine große Chance darin besteht, dass die
Lebensmittelpreise wieder steigen. Jetzt lohnt es sich für
die Bauern dort tatsächlich wieder, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und die Möglichkeiten der modernen
Technik zu nutzen. Das darf in diesem Zusammenhang
einfach nicht zu kurz kommen.
Angesichts der Auswirkungen, die unsere Entscheidungen in einer globalisierten Welt haben, müssen wir
immer auch die sicherheitspolitischen und humanitären
Implikationen berücksichtigen. Wir haben sie im Blick;
ich kann Ihnen das versichern.
Dass diese Implikationen nicht berücksichtigt werden, stört mich an den Anträgen der FDP, insbesondere
an demjenigen, der sich mit den Regenwäldern beschäftigt, ganz besonders. Herr Kauch, Sie haben noch nicht
einmal die Forest Carbon Partnership Facility erwähnt,
die im Zusammenhang mit dem Schutz der Regenwälder
ganz bedeutsam ist. Dieses internationale Programm hat
in Ihrem Antrag überhaupt keine Erwähnung gefunden.
Der im Antragstitel hergestellte Bezug zu den Regenwäldern ist für mich konstruiert. Es wäre schön gewesen,
wenn Sie sich mit diesem Thema ein bisschen intensiver
auseinandergesetzt hätten.
({2})
Ich erspare mir weitere Bemerkungen zu den Grünstromzertifikaten; Herr Fell ist ausführlich darauf eingegangen. Wir unterstützen diese Position ausdrücklich.
({3})
Ansonsten hat sich der Emissionshandel als ein zentrales
Element des Klimaschutzes durchaus schon bewährt.
Dass wir eine EU-weite Harmonisierung hinbekommen
und ein verbindliches Zertifikatesystem erreichen, das
erste Ansätze zur Vernetzung aufweist und insoweit
weltweit ausbaufähig ist, als es in einer global vernetzten
Welt letztlich in einen internationalen Zertifikatehandel
einmünden kann, ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
Für die Entwicklungsländer gibt es wirkungsvolle
Instrumente, die wir einsetzen können, etwa Joint Implementation und Clean Development Mechanism. Diese
Zusammenarbeit hat sich schon bewährt, wenngleich die
Instrumente gelegentlich sehr schwerfällig sind. So haben
wir etwa bei den Transaktionskosten ebenso wie in der
Anwendungspraxis ganz gewaltigen Nachbesserungsbedarf. Es hat sich in Afrika gezeigt, dass diese Instrumente nicht in der Form angewandt werden können, wie
es erforderlich wäre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade zu diesem
Punkt gäbe es noch viel zu sagen. Dazu fehlt mir heute
leider die Zeit. Wir werden die Anträge natürlich in den
Ausschüssen diskutieren, und ich gebe die Hoffnung
nicht auf, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von
der FDP-Fraktion, dass wir auch mit Ihnen noch zu einem Konsens auf dem Weg zu einem Ziel kommen, über
das wir uns zwar noch nicht ganz, aber wenigstens ziemlich einig sind.
Schönen Dank.
({4})
Damit schließe ich die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/8074 und 16/8075 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so
beschlossen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf:
Vereinbarte Debatte
Strategieplanung der EU-Kommission für 2009
Es ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Als Erstem gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas
Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
dass wir am heutigen Freitag eine vereinbarte Debatte
über die Strategieplanung der Europäischen Kommission führen, weil das Jahr 2009, in dem auch die Europawahl stattfinden wird, zu einem entscheidenden Jahr für
die Europäische Union werden könnte.
Die Strategieplanung der Kommission weist insgesamt 80 Vorhaben auf. Wir werden nicht in der Lage
sein, uns in den nun zur Verfügung stehenden 45 Minuten über 80 Vorhaben zu unterhalten. Daher wäre es vor
dem Hintergrund dessen, was wir im Ausschuss miteinander besprochen haben, gut, sich Gedanken darüber zu
machen, wie diese 80 Vorhaben in eine wie auch immer
geartete Form der Priorisierung gebracht werden können. Wir sollten also einige Gedanken darauf verwenden, was in der der Kommission zur Verfügung stehenden Amtszeit sinnvollerweise noch angepackt werden
kann. Denn auch in diesem wie in jedem anderen Fall
von gesetzgeberischer Arbeit gilt der Grundsatz, dass
Qualität vor Schnelligkeit geht. Wir sollten uns also Gedanken machen, worauf wir unser Gehirnschmalz und
unsere Arbeitskraft verwenden und was vielleicht später
erledigt werden kann.
Es war richtig, die Lissabon-Strategie stärker auf
Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Wir sind in
der Bundesrepublik Deutschland in der guten Lage, dass
wir, auch bedingt durch die Politik der Bundesregierung,
in den letzten Monaten auf positive Zahlen am Arbeitsmarkt zurückblicken können. Wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute recht haben, woran ich nicht zweifle,
wird auch in den nächsten Monaten Gelegenheit sein,
die eine und andere positive Meldung zur Kenntnis nehmen zu dürfen. Es ist uns gelungen, in diesem Lande
schon 1,5 Millionen Männer und Frauen aus der Arbeitslosigkeit geholt zu haben, wenngleich die Aufgabe
selbstverständlich noch vor uns liegt, zusammen mit unseren europäischen Partnern und der Kommission die
jetzt noch in Arbeitslosigkeit befindlichen 3,5 Millionen
ebenso in Arbeit zu bringen. Insofern besteht kein
Grund, sich zurückzulehnen; aber es gibt durchaus einen
Grund, den einen oder anderen lobenden Satz für die
Politik der Bundesregierung mit Blick auf die vergangenen drei Jahre zu verlieren.
Richtig ist sicher auch, meine Damen und Herren,
dass die Europäische Kommission, was die Beschäftigungspolitik angeht, dem Bereich Forschung und Entwicklung einen besonderen Stellenwert beimisst und
daraus auch gewisse Vorgaben für die nationalen Gesetzgeber ableitet.
Mit Blick auf das 7. Forschungsrahmenprogramm der
Europäischen Union füge ich an dieser Stelle mit einem
durchaus kritischen Unterton hinzu: Wer die bürokratischen Mühen kennt - bei mir im Wahlkreis konnte ich
diese Erfahrung machen -, denen sich ein Unternehmen
bei der Beantragung von Mitteln aus dem europäischen
Forschungsrahmenprogramm zu unterziehen hat, weiß,
dass man schnell an einem Punkt ist, an dem nicht nur
ein, sondern zwei oder drei DIN-A4-Leitz-Ordner gefüllt sind - nur mit Antragsformularen, Begründungen
und Gutachten, die unter Hinzuziehung von externen
Beratern gemacht werden, die die Unternehmen selbstverständlich Geld kosten.
Da ist die Frage angebracht, ob es vielleicht auch mit
etwas weniger Aufwand ginge.
({0})
Dies läge sowohl im Interesse der Kommission und
der dort Beschäftigten als auch selbstverständlich im Interesse derjenigen, die sich einen Innovations- und Investitionsschub aus den Mitteln des Forschungsrahmenprogramms erhoffen.
In diesem Zusammenhang stimmte es vor einigen
Wochen im Ausschuss hoffnungsfroh, als wir gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Nationalen Normenkontrollrats und auch mit Kommissar Günter Verheugen einen Blick auf das Thema Entbürokratisierung geworfen
haben. Es wäre vielleicht hilfreich, auch den Vorsitzenden der obersten Bürokratiekontrolleure, den ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, im Ausschuss
dazu einmal zu hören und zu fragen, inwieweit in diesem
Punkt Fortschritte gemacht werden können.
({1})
Wenn ich mir das Gespräch mit dem kroatischen Außenminister von gestern Nachmittag, an dem einige von
uns teilnehmen konnten, ins Gedächtnis rufe, möchte ich
sagen: Wir können vielleicht an einer Stelle von den
Ländern, die sich mit Beitrittsplänen und Beitrittsgedanken befassen, also noch nicht Mitglied sind, eines lernen
- das wurde gestern sehr deutlich -, nämlich verstärkt in
den Blick zu nehmen, dass die Stimmung pro oder kontra Europa in der Bevölkerung wächst oder eben schwindet, je nachdem, welchen Eindruck die Bürgerinnen und
Bürger davon haben, wie ihre ganz konkreten Probleme
und Herausforderungen in Europa aufgehoben sind und
ob sie mit der nötigen Effizienz und dem nötigen Nachdruck bearbeitet werden.
Ich glaube, mit Blick auf unsere Bürgerinnen und
Bürger haben wir an dieser Stelle noch einen kleinen
Nachholbedarf. Bei dem, was wir uns überlegen und was
sich die Kommission zum Thema „Strategieplanung der
Kommission bis 2009“ überlegt, müssen wir verstärkt in
den Blick nehmen: Die oberste Priorität muss sein, dass
es einen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger hat.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Michael Link für die FDPFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Als Liberale begrüßen wir, dass die Kommission ihre Strategieplanung für das nächste Jahr so frühzeitig vorlegt.
Klar ist, dass es zu vielen Bereichen nur Andeutungen
gibt. Es ist ein bunter Strauß von Vorhaben. Kollege
Dörflinger hat schon darauf hingewiesen: Wir können
nicht auf alle Vorhaben eingehen. - Ich will deshalb einige herausgreifen.
Für alle Vorhaben gilt allerdings eines: Weil zu den
Themen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit außer Andeutungen noch nichts gesagt werden kann, müssen wir vom Bundestag darauf achten - ich denke, dass
ich da für alle Fraktionen spreche -, unsere Rechte stärker wahrzunehmen, vor allem in den Bereichen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, und besonders die
Rechte wahrzunehmen, die uns der neue Vertrag von
Lissabon, den wir in der nächsten Sitzungswoche ratifizieren werden, gibt.
({0})
Es ist ein bunter Strauß von Vorhaben. Die Vorhaben
sind oft nur vage, aber - erlauben Sie mir die Anmerkung - schon sehr viel konkreter als manches, was von
der Bundesregierung kommt.
({1})
Man fragt sich manchmal tatsächlich, in welche Richtung die Bundesregierung gehen will; von der Kommission gibt es zumindest eine Reihe von Andeutungen
dazu, in welche Richtung sie gehen will.
({2})
- Das wollen wir einmal abwarten.
Michael Link ({3})
Die Grundaussage der Strategie 2009, nämlich 2009
zu einem Jahr der Umsetzung laufender Vorhaben zu
machen - so sehen wir das -, wird von der FDP ausdrücklich begrüßt; denn nach unserer Ansicht sollten die
neue Europäische Kommission und das neue Europäische Parlament - das ist ein sehr wichtiger Punkt - weitgehend unbelastet in die siebte Legislaturperiode gehen.
Herausgreifen wollte ich die Bereiche deutsche Sprache, Europäischer Auswärtiger Dienst und Finanzen.
Alle drei Bereiche spielen andeutungsweise in der Strategie der Kommission eine Rolle; sie werden ebenfalls in
der Stellungnahme der Bundesregierung angesprochen.
Ich muss sagen: Leider ist man bei der deutschen Sprache in den Institutionen der EU nicht über Lippenbekenntnisse hinausgekommen. Die deutsche Sprache in
den EU-Institutionen ist auf dem Rückzug. Das kann uns
nicht befriedigen. Hier geht es nicht um Provinzialismus
oder gar darum, dass man sich nicht in einer Fremdsprache unterhalten möchte. Nein, hier geht es um ganz eminente, auch wirtschaftliche Interessen vieler, zum Beispiel von Unternehmen in der EU, die sich auf die EURechtsprechung einstellen wollen, oder von Fördermittelempfängern aus den verschiedenen Bereichen, die einen Wettbewerbsnachteil haben, weil die Vorlagen oft
nur auf Englisch oder Französisch verfügbar sind. Das
darf nicht sein. Das darf die Bundesregierung nicht hinnehmen.
({4})
Die Stellungnahme der Bundesregierung, die für diesen Bereich nur aus Appellen und leider nicht aus konkreten Ergebnissen besteht, ist uns einfach zu wenig. Ich
erinnere alle Kollegen daran, dass Kommissar Orban bei
seinem Besuch des EU-Ausschusses im April 2007 konkret angekündigt hat, ein neues Strategiepapier zur Vielsprachigkeit vorzulegen. Aussagen zu genau dieser Problematik, dass die in der EU am meisten gesprochene
Sprache auch vermehrt als Arbeitssprache in der Kommission zum Zuge kommen soll, vermisst man in dem
Strategiepapier.
Am 3. April haben 18 Regionen aus der gesamten EU
- darunter viele Bundesländer, österreichische Bundesländer und Regionen aus Italien oder anderen Ländern -,
angeführt von der hessischen Landesregierung, noch
einmal betont, wie wichtig es gerade für die Regionen
und für die kommunalen Spitzenverbände ist, dass wir
im Bereich der deutschen Sprache vorankommen. Hier
brauchen wir dringend ein Aktivwerden der Bundesregierung, das über Lippenbekenntnisse hinausgeht. Bisher haben wir in Brüssel zum Thema deutsche Sprache
leider noch keine konkreten Ergebnisse gesehen.
Zum Europäischen Auswärtigen Dienst. Entscheidend für den Hohen Vertreter, wenn er seine Funktion
gut ausüben will, ist, dass er einen Dienst zur Verfügung
hat, der tatsächlich arbeitsfähig ist. Man kann natürlich
über den Hohen Vertreter streiten; das soll hier aber nicht
Thema sein. Wir können die Wirklichkeit erst sehen,
wenn der Vertrag in Kraft getreten ist. Wir sehen aber
sehr wohl, dass in dem Europäischen Auswärtigen
Dienst so, wie er nach allem, was man aus Brüssel hört,
vorbereitet wird, die Kommissionsbeamten gegenüber
den diplomatischen Beamten aus den Mitgliedstaaten
von Anfang an im Vorteil sein werden. Das kann für uns
nicht befriedigend sein. Wir reden hier nicht nur über die
Pläne der Kommission, sondern wir reden auch darüber,
wie sich die Bundesrepublik Deutschland in diese Pläne
einbringt. Wir erwarten daher von der Bundesregierung,
dass sie dafür sorgt, dass unsere Beamten, die wir in diesen zukünftigen Europäischen Auswärtigen Dienst schicken wollen, dort auf Augenhöhe mit den Kommissionsbeamten arbeiten können. Denn das Beamtenstatut der
Kommission enthält ja den Satz, dass die Kommissionsbeamten nicht unter der Weisung anderer Beamten arbeiten dürfen. Das würde bedeuten, dass im Europäischen
Auswärtigen Dienst sozusagen nur die Kommissionsbeamten Weisungen erteilen könnten und die Diplomaten aus den Mitgliedstaaten das ausführen müssten. Das
darf nicht sein. Hier erhoffen wir uns von der Bundesregierung in diesem Jahr sehr klare Schritte; denn die Weichen für den Europäischen Auswärtigen Dienst werden
jetzt gestellt.
({5})
Zur Ergänzung. Hier geht es nicht nur um den klassischen diplomatischen Dienst. Kommissionsbeamte, die
überall in der Welt sind, sind sicher sehr gut im Dechiffrieren der europäischen Vorlagen. Sie erhalten in Zukunft aber neue Aufgaben: Sie müssen den EU-Bürgern
in den verschiedenen Teilen der Welt konsularischen
Schutz gewähren; sie müssen für Bürger gute Dienste
leisten. Das ist etwas, was unsere Beamten im diplomatischen Dienst sehr viel besser können, weil sie in diesem
Bereich mehr Erfahrung haben. Auch deshalb kann und
darf es nicht sein, dass wir im zukünftigen Auswärtigen
Dienst einen Durchmarsch der Brüsseler Beamten zulasten der Dienste der Mitgliedstaaten erleben.
Lassen Sie mich als letzten Punkt den Haushalt ansprechen; auch das spielt im Strategieprogramm der
Kommission eine Rolle. Im nächsten Jahr steht die Generalrevision des Haushalts voraussichtlich in Form einer politischen Absichtserklärung an. Wir alle wissen,
dass diese vorentscheidend sein wird. In ihrer Stellungnahme zur Haushaltsrevision fordert die Bundesregierung weiterhin ein Verschuldungsverbot für die EU. Ich
fände es sehr schön, wenn sich diese Haltung, die die
Bundesregierung gegenüber Brüssel so deutlich an den
Tag gelegt hat, auch in ihrer Politik in Deutschland wiederfinden würde. Ein Verschuldungsverbot brauchen wir
nicht nur in Brüssel. Wir brauchen es auch in Berlin.
Vielen Dank.
({6})
Für die Bundesregierung ergreift Herr Staatsminister
Günter Gloser das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Ich greife gleich Ihre Vorschläge auf,
Herr Kollege Link. Ich denke, wir brauchen hier gar
nicht getrennt marschieren; denn genau über die Bereiche, die Sie angesprochen haben, wird auf der Brüsseler
Ebene verhandelt.
Ihr erster Punkt betraf die Sprache. Kollege Bergner
hat ja auch noch einmal deutlich gemacht, dass wir,
wenn nicht realisiert wird, was wir gefordert haben
- eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Sprache -,
an bestimmten Besprechungen nicht teilnehmen werden.
In diesem Punkt stimmen wir überein.
({0})
Wir sollten hier deshalb keinen Popanz aufbauen. Ich
könnte Ihnen aufzählen, wer alles diesbezüglich in Brüssel vorstellig geworden ist; und Herrn Orban wurde ja,
als er hier im Ausschuss war, deutlich gemacht, was das
Parlament vorhat. In dieser Frage haben Sie die Regierung also auf Ihrer Seite.
Auch bezüglich des zweiten von Ihnen angesprochenen Punktes, nämlich die Ausgestaltung des Auswärtigen Dienstes, haben Sie recht. Sie haben all die Themen
angesprochen, über die diskutiert wird. Auch hier
herrscht Konsens. Wir wollen kein Über- und Unterordnungsverhältnis. Wir wollen einen Europäischen Auswärtigen Dienst mit gleichberechtigten Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern. Auch das ist kein Streitpunkt.
Schließlich haben Sie ja in Ihrem letzten Punkt herausgestellt, dass wir eine entsprechende Stellungnahme
abgegeben haben. Ich glaube, das ist eine wichtige
Grundlage für den Prozess der Beratungen zum Midterm-Review. Ihre sich daran anschließende Forderung
für die nationale Ebene ist jetzt allerdings nicht Gegenstand der Debatte.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeitsplanung macht deutlich, wie viele Bereiche unseres täglichen Lebens durch ganz bestimmte Vorhaben beeinflusst werden. Deshalb halten wir von der
Bundesregierung es für richtig - das haben wir ja auch
immer wieder ganz bewusst festgestellt, und das haben
auch alle Verfassungsorgane in den letzten Jahren gemerkt -, dass man sich früh- bzw. rechtzeitig in die Prozesse einbringt, um die entsprechenden Mitwirkungsund Kontrollrechte wahrzunehmen. Ich möchte zugleich
herausstellen, dass die Vereinbarung, die der Bundestag
mit der Bundesregierung geschlossen hat, ihm bessere
Möglichkeiten bietet, als viele andere Parlamente haben,
um diese Instrumente zu handhaben.
({1})
Natürlich ist diese Arbeitsplanung etwas abgespeckt.
Die Kommission ist ja nur noch einige wenige Monate
im Amt.
Diese Arbeitsplanung ist aber auch dadurch geprägt
- das haben wir an anderer Stelle auch schon einmal gesagt -, dass in den nächsten Monaten ein sehr wichtiger
Prozess in der Europäischen Union zu gestalten ist, der
hoffentlich erfolgreich abgeschlossen werden kann,
nämlich die Ratifizierung des europäischen Reformvertrages. Wir alle wollen ja, dass dieser am 1. Januar 2009
in Kraft treten kann. Wir sollten deshalb mit Gesetzgebungsvorhaben, die möglicherweise zu Konflikten führen und andere Entscheidungen wieder beeinflussen, zurückhaltend sein. Ich glaube, das hat die Kommission
auch in ihrer Arbeitsplanung entsprechend berücksichtigt.
Wichtig ist, dass wir die Themen, die bei den Frühjahrsgipfeln im letzten und in diesem Jahr eine wichtige
Rolle gespielt haben, nämlich die Dossiers zum Klimaund Energiepaket, in den nächsten Monaten zu einem
Abschluss führen.
Ich glaube aber auch, dass der Frage einer besseren
Rechtsetzung - Herr Dörflinger hat es ja schon angesprochen - große Bedeutung zukommt. Bei jedem neuen
europäischen Vorhaben und Projekt müssen wir uns fragen, mit welchem Aufwand diese durchgeführt werden
können. Jedem Vorhaben und Projekt sollte deshalb eine
gründliche Folgenabschätzung vorausgehen, damit nicht
die Bürgerinnen und Bürger und Institutionen darüber
klagen - ich weiß aus vielen Gesprächen, dass sie das zu
Recht tun -, welcher Aufwand für sie damit verbunden
ist, wenn sie an einem Projekt mitarbeiten wollen.
Die Kommission hebt ferner den Ansatz einer bürgernahen Politik hervor. Das ist wichtig, denn nur so können wir es schaffen - das wünschen wir uns ja alle -,
dass die Beteiligung an den Wahlen beispielsweise zum
Europäischen Parlament besser wird.
Von enormer Wichtigkeit ist für die Bundesregierung,
dass bei jedem Vorhaben die Frage nach dem europäischen Mehrwert und nach der Vereinbarkeit mit dem
Subsidiaritätsprinzip gestellt wird.
Es gibt also eine Menge europäische Themen, aber
nicht jedes Thema, das auf der Agenda steht, ist unbedingt ein europäisches Thema. Es gibt viele Themen, die
wir auf nationaler Ebene lösen müssen. Ich spreche da
wohl auch in Ihrem Namen, wenn ich sage, dass wir ein
ganz besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der
EU-Agenturen richten müssen. Ich weiß, das ist ein viel
erörtertes Thema, auch hier im Parlament. Dazu hat die
Kommission eine Mitteilung vorgelegt, die wir aktiv zu
einer Debatte nutzen sollten.
Einen anderen Punkt möchte ich kritisch ansprechen.
Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit die europäische Entwicklung im Bereich der Antidiskriminierung. Bevor auf
EU-Ebene weitere Richtlinien hierzu erlassen werden,
müssen wir zunächst einmal prüfen, ob die bereits vorhandenen Richtlinien und die Gesetze, die wir dazu erlassen haben, wirksam angewendet werden; erst dann
können wir die entsprechenden Schlüsse ziehen.
Ein weiterer Punkt. Kritisch sehen wir - das spiegelt
auch ein wichtiges Thema in unserer Präsidentschaft,
nämlich der Bereich der Sozialpolitik - die nicht angemessene Zurückhaltung der Kommission im Bereich Sozialpolitik. Wenn wir eine Stärkung des sozialen Europas
wollen, dann sollte das auch in der Strategieplanung entsprechend hervortreten.
({2})
Letzter Punkt. Ich glaube, bei alldem, was wir in den
nächsten Wochen hier zu gestalten haben, ist es auch
wichtig, das im Blick zu behalten, was wir zur finanziellen Vorausschau gesagt haben. Auf dieser Grundlage, die
wir auch in Brüssel eingebracht haben, können wir mit
der Unterstützung des Parlaments die richtigen Weichen
stellen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege
Alexander Ulrich.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme
zur Strategieplanung: Die Stärkung des sozialen Europas
tritt nicht deutlich genug hervor. - In einem Land, in
dem die Armut zunimmt, in dem Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer trotz Aufschwungs eine negative
Lohnentwicklung haben, in dem Rentnerinnen und Rentner von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt
werden, erlaubt sich die Bundesregierung so eine Stellungnahme. Wie soll denn ein soziales Europa entstehen,
wenn die Menschen mit diesem Europa stagnierende
Löhne, Massenarbeitslosigkeit, Zunahme der Armut,
Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und Steuerdumping verbinden?
Weder die Kommission noch die Bundesregierung
machen konkrete Vorschläge für ein soziales Europa.
Die Strategie zielt weiterhin darauf ab, die Interessen der
Konzerne und Banken umzusetzen.
Am Wochenende haben in Ljubljana über 30 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darunter auch vom
Deutschen Gewerkschaftsbund, für ein soziales Europa
demonstriert. DGB-Chef Sommer hat gesagt, mit diesem
Europa könne man die Menschen nicht für ein soziales
Europa gewinnen. Sie haben dort auch gegen die Europäische Zentralbank und die Finanzminister der einzelnen Länder demonstriert. Die gestrige Entscheidung hat
wieder gezeigt, dass es notwendig wäre, dass die Kommission in ihre Strategie aufnimmt, die Europäische
Zentralbank zu demokratisieren. Denn es ist arbeitsmarktpolitisch nicht vertretbar, dass man - im Gegensatz
zu Amerika, das man sich hier einmal zum Vorbild nehmen könnte - nur auf Inflationsbekämpfung, nicht aber
auch auf Wachstum und Beschäftigung setzt.
({0})
Die Kommission will im Vorfeld der Europawahlen
die Kommunikation verbessern, unter dem Stichwort:
„Europa vermitteln“. Man kann nur sagen: Viel Spaß dabei! Da werden wieder millionenfach Flyer und Broschüren gedruckt, die ein Europa beschreiben, das es in
der Wirklichkeit nicht gibt. Viel besser wäre es gewesen,
die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, zum Beispiel,
wie es die Linke fordert, durch einen europaweiten
Volksentscheid über die Lissabon-Verträge.
({1})
Nur durch solche Maßnahmen und mehr Bürgerbeteiligung kann man die Menschen für Europa gewinnen. Es
ist sehr interessant, dass Sie, Herr Steenblock, auch in
dieser Woche im Ausschuss gesagt haben, Sie seien für
mehr direkte Demokratie. Aber wenn es um eine konkrete Sache geht, halten sich auch die Grünen davon
fern. Es wäre gut, wenn man die direkte Demokratie
auch dann wagen würde, wenn man nicht genau weiß,
wie die Bürgerinnen und Bürger entscheiden.
({2})
Die Kommission betont in ihrer Strategie die ungute
Entwicklung der Finanzmärkte sowie der Rohstoffpreise. Der Schlussfolgerung der Kommission, die
Strukturreformen müssten fortgesetzt werden, können
wir zustimmen. Allerdings brauchen wir ganz andere
Strukturreformen, als sie der Kommission vorschweben.
Der IWF befürchtet eine Systemkrise der Finanzmärkte und die Vernichtung von 1 Billion US-Dollar.
Das blinde Vertrauen überforderter Politiker in Finanzinvestoren und Manager öffentlicher Landesbanken war
nicht gerechtfertigt. Die Kommission sollte daher Initiativen zur Regulierung der Kapitalmärkte ergreifen.
Die Finanzkrise hat aber auch Ursachen in der realen
Wirtschaft und Europa. Kommission und Bundesregierung haben sich viel zu lange geweigert, sich dafür auszusprechen, dass auch der größte Binnenmarkt der Welt
Verantwortung für die globale Entwicklung übernimmt.
Die USA waren unter dem Druck der Handelsbilanz
überfordert.
Die Aufwertung des Euro ist auch eine Folge der manischen deutschen Wettbewerbsfähigkeit.
({3})
Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine
Kleine Anfrage der Linken bestätigt, dass die Ursachen
der Währungsturbulenzen die Ungleichgewichte im Außenhandel sind.
({4})
Was fällt der Regierung dazu ein? Der Export muss noch
wettbewerbsfähiger werden - und dies vor dem Hintergrund einer drohenden Weltwirtschaftskrise. Mit Verlaub: Dies ist mit den Gesetzen der Logik nicht mehr zu
vereinbaren.
({5})
Die Entwicklung der Rohstoffpreise hat gezeigt: Der
Wettbewerb auf den Energiemärkten und die deutsche
Ordnungspolitik sind gescheitert. Die teuren Energienetze sind ein natürliches Monopol. Sie gehören in die
öffentliche Hand, damit sich private Konzerne nicht weiter auf Kosten unserer Volkswirtschaft bereichern.
({6})
Nur so kann der Staat überhaupt wieder Einfluss auf die
Energiepolitik und den Klimawandel nehmen.
Zu Recht befürchtet die Kommission, dass die nationalen Einnahmen aus dem Emissionshandel zur Subvention von CO2-intensiven Unternehmen missbraucht
werden. Wir benötigen daher eine Ausweitung des europäischen Anteils an den Einnahmen, um mit diesem
Geld im großen Stil regenerative Energien in Europa zu
fördern. Die CDU/CSU sollte nicht dagegen argumentieren. Denn sogar Herr Koch will Hessen zu einem Musterland für regenerative Energien machen. Sie könnten
seinem Beispiel im Bundestag folgen.
({7})
Das Galileo-Projekt ist die Fortsetzung des Transrapids mit anderen Mitteln. Es werden 3,4 Milliarden Euro
für ein überflüssiges Spielzeug der Kommission ausgegeben, das durch GPS II längst überholt wurde.
Lassen Sie mich zum Ende noch etwas zum „RüffertUrteil“ des Europäischen Gerichtshofs sagen. Nun darf
bei öffentlichen Aufträgen maximal der Mindestlohn
verlangt werden. Der Mindestlohn wird so zum Höchstlohn. Der Vorsitzende der IG BAU, Wiesehügel - die
Kollegen von der SPD sollten ihn noch kennen; denn er
war in der vorletzten Legislaturperiode noch Mitglied ihrer Fraktion -, hat dies zu Recht Raubtierkapitalismus
genannt, der die Menschen von Europa entfremdet.
Wir unterstützen daher den Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europäischen
Parlament, Schulz, die europäischen Verträge zu ergänzen. Angesichts dieses Vorschlags ist meine Bitte, dass
in 14 Tagen die „ganz große“ Koalition aus FDP, Grünen, CDU/CSU und SPD nicht mit der Ratifizierung der
Lissabonner Verträge ein unsoziales Europa zementieren
sollte.
Vielen Dank.
({8})
Der Kollege Rainder Steenblock hat jetzt das Wort für
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Strategieplanung der EU umfasst eine ganze Reihe
von wichtigen Punkten, die die Interessen, zum Teil auch
die Bedürfnisse und Ängste der Bürgerinnen und Bürger
in Europa widerspiegeln. Wachstum und Beschäftigung,
Bekämpfung des Klimawandels, der Bereich der Energiepolitik bzw. der Energieaußenpolitik der Europäischen Union, die Migration sowie die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger sind Themen, die im Zentrum
der Strategieplanung der Europäischen Union stehen. In
den Details mögen wir dazu kontroverse Diskussionen
führen.
All diese Punkte sind wichtig. Aber ich will mich auf
zwei Punkte konzentrieren, die aus unserer Sicht in diesem Katalog fehlen.
Erster Punkt. Die Strategieplanung geht zu wenig auf
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein. Wir
alle wissen: Wenn wir die Globalisierung mitbestimmen
wollen, dann können wir das nicht als Nationalstaat, sondern nur als Europäische Union tun. Deshalb ist die im
Reformvertrag angelegte Konzentration auf eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein ganz zentraler Punkt. Die Kommission ist dafür zu kritisieren,
dass sie das nicht stärker in den Fokus ihrer Politik stellt.
({0})
Wir als Deutscher Bundestag haben an dieser Stelle ein
gemeinsames Interesse, auch wenn wir nicht in allen
Fragen einer Meinung sind.
Ein gemeinsames Interesse haben wir auch an dem
zweiten Punkt, der für mich genauso wichtig ist. Er
wurde bereits von Staatsminister Gloser und von dem
Kollegen Ulrich zu Recht angesprochen. Wir alle kennen
die Debatten aus Frankreich über den damaligen Verfassungsvertrag. Wenn man in Europa in dieser Situation
nicht auf die Frage der sozialen Gerechtigkeit eingeht
und sie nicht in das Zentrum der Politik stellt, dann
unterstützt man die populistische Kampagne, die von
einigen gegen die Europäische Union gefahren wird.
Deswegen brauchen wir die Sozialpolitik als eine wesentliche Säule der europäischen Politik im Rahmen der
Strategieplanung. Da muss das stärker verankert werden.
({1})
Die Bundesregierung hat das zu Recht kritisiert. Sie hat
aber keinen einzigen eigenen Vorschlag gemacht, wie
das zu realisieren wäre.
Die Lissabon-Strategie, die wir alle mitgetragen haben - die Trias von Ökonomie, Ökologie und Sozialem -, wird an dieser Stelle auf eine ökonomische
Wachstumsstrategie reduziert. Das gehört zwar dazu,
reicht aber nicht aus, um die Bürgerinnen und Bürger für
die Europäische Union zu gewinnen. Die EU schreibt in
ihrer Strategieplanung, dass die Förderung einer nachhaltigen Sozialreform weiterhin im Zentrum der politischen Agenda der Union steht. Das ist richtig. Wenn
man aber schaut, was im Zentrum steht, stellt man fest,
dass da, wenn überhaupt, nur Nebel ist - manchmal nicht
einmal das. Es kann nicht sein, dass wir dem populistischen Vorurteil, dass Europa eine unsoziale und neoliberale Veranstaltung ist, Vorschub leisten. Gegen dieses
Vorurteil kämpfen wir schließlich.
Herr Ulrich, in Ihre Richtung will ich ganz deutlich
sagen: Konkrete Entscheidungen der Kommission zu
kritisieren, heißt für uns nicht, die Europäische Union zu
verdammen, verantwortlich zu machen und als Konstruktion infrage zu stellen - überhaupt nicht. Wir brauchen diese Integration. Die Mehrheitsverhältnisse in der
Kommission spiegeln die Wahlergebnisse in Europa wider. Diese Mehrheitsverhältnisse gefallen mir zwar überhaupt nicht, aber deshalb lehne ich doch nicht die Europäische Union, den Integrationsansatz und den
Reformvertrag ab, mit dem man versucht, die Sache besser zu machen. Vielmehr kämpfe ich für die entsprechenden politischen Mehrheiten in Europa.
({2})
Das ist das, was uns unterscheidet. Aus der Kritik, dass
Europa nicht in ausreichendem Maße sozial ist, leiten
Sie die Forderung nach einer Renationalisierung der
Politik ab. Das ist ein völlig falscher Ansatz. Wir brauchen die europäische Integration als Antwort auf alle
sozialen Fragen.
({3})
Sie haben die direkte Demokratie angesprochen. Die
Grünen und auch die Sozialdemokraten haben sich in der
vergangenen Legislaturperiode dafür ausgesprochen, die
direkte Demokratie in Deutschland zu stärken, und entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt. Wir haben leider
keine Mehrheit dafür bekommen. Ich bin aber dagegen
- das habe ich Ihnen im Ausschuss schon gesagt; ich
sage es aber noch einmal -, das Instrument der direkten
Demokratie für eine populistische Anti-EU-Kampagne
zu missbrauchen. Das machen wir nicht mit.
({4})
Eines möchte ich noch sagen: Es ist gut, dass wir hier
über die Strategieplanung und die Stellungnahme der
Bundesregierung dazu diskutieren. Ich hoffe, dass das
Interesse an diesen Debatten im Deutschen Bundestag
noch stärker wird. In einem Punkt unterstützen wir die
Kommission aber ausdrücklich: Sie plant eine Informationskampagne über die sozialen Elemente der Grundrechtecharta. Das ist genau der richtige Weg. Wir müssen über die positiven Entwicklungen sprechen, die mit
dem Reformvertrag in Gang gesetzt wurden - und die
Grundrechtecharta gehört nach Meinung aller Fraktionen zu den positiven Entwicklungen -; denn dann gewinnen wir das Vertrauen der Menschen zurück.
Vielen Dank.
({5})
Thomas Silberhorn hat jetzt das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zu der Strategieplanung der Kommission möchte ich zunächst eine sehr grundsätzliche Anmerkung machen:
Diese Diskussion steht in einem sehr engen Zusammenhang mit der Überprüfung des EU-Finanzsystems, die in
diesem Jahr einer der Schwerpunkte der Tätigkeit der
Kommission ist und auch im nächsten Jahr sein wird.
Die Kommission beschreibt neue politische Herausforderungen und die Schwerpunkte der künftigen EUPolitik. Ich meine, wir müssen aufpassen, dass wir nicht
eine von realen Zahlen weitgehend losgelöste Diskussion führen. In allen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union müssen politische Prioritäten im Haushaltsverfahren festgelegt werden. Nur in der Europäischen Union
läuft es umgekehrt: Wir reden abstrakt über politische
Aufgaben, und die Rechnung wird hinterher präsentiert.
Was fehlt, ist eine Verknüpfung von Strategieplanung
und Aufstellung des Haushaltes. Das ist eine Aufgabe,
der wir uns in der Europäischen Union, vielleicht auch
im Deutschen Bundestag stärker stellen müssen. Wir
müssen die Finanzierungslasten gerechter auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verteilen.
Ich plädiere dafür, dass wir an der Beitragsfinanzierung festhalten, die Beiträge aber nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten bemessen
und strenge Obergrenzen für die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union festlegen. Das hat natürlich
Auswirkungen auf eine Strategieplanung der Europäischen Kommission.
Es ist von zentraler Bedeutung, dass das Subsidiaritätsprinzip auf allen Ebenen beachtet wird, dass die
Europäische Union sowohl in der Haushaltsplanung als
auch in der Strategieplanung nur dort tätig wird, wo wir
ihr Aufgaben übertragen haben, und Personal und Finanzmittel nicht an anderen Stellen einsetzt. Das heißt,
die Subsidiarität muss auch in der Strategieplanung und
in der Haushaltspolitik ihren konkreten Niederschlag
finden.
Ich will als Beispiel den Europäischen Auswärtigen
Dienst nennen. Er ist erst möglich, wenn der Vertrag von
Lissabon in Kraft getreten ist. Deswegen staune ich, dass
sich die Regierungen der Mitgliedstaaten das Ziel gesetzt haben, den Europäischen Auswärtigen Dienst bereits dann funktionsfähig bereitzustellen, wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, der ja erst die
Voraussetzung dafür schafft, den Europäischen Auswärtigen Dienst zu organisieren.
Ich sehe, dass sich Deutschland dieser Debatte nicht
ganz wird entziehen können. Ich möchte dazu doch die
Anmerkung machen, dass ich von allen Regierungen etwas mehr Respekt vor den nationalen Parlamenten und
vor denen, die den Vertrag von Lissabon ratifizieren, erwartet hätte. Ich meine, dass die auswärtigen Dienste in
der Europäischen Union zunächst einmal alle Hände voll
zu tun haben, um dazu beizutragen, dass der Vertrag von
Lissabon tatsächlich zum 1. Januar nächsten Jahres in
Kraft treten kann.
({0})
Ich plädiere dafür, dass wir die Verlässlichkeit der
mittelfristigen Finanzplanung in der Europäischen
Union wahren. Die Finanzielle Vorausschau ist einstimThomas Silberhorn
mig verabschiedet worden. Sie darf im Rahmen der jährlichen Haushaltsplanung durch Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit nicht revidiert werden, insbesondere
nicht zulasten der Zahlerländer, die sich in der Minderheit befinden. Dazu gehört, dass die Flexibilitätsinstrumente, mit denen der Finanzrahmen begrenzt erhöht
werden kann, auf absolute Ausnahmefälle beschränkt
bleiben. Ich weise darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon schon bei der Verabschiedung der Finanziellen
Vorausschau in Diskussion stand, damals noch als Verfassungsvertrag. Deswegen ist alles, was in diesem Vertrag steht, in der Finanziellen Vorausschau bereits berücksichtigt und darf nicht mit Inkrafttreten des
Vertrages von Lissabon zu neuen Ausgabeorgien führen.
Lassen Sie mich, da Herr Bergner anwesend ist, einige Sätze zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und
des Rechts sagen. Ich glaube, wir müssen auch hier sehr
darauf achten, dass die Europäische Union ihre Kompetenzen wahrt. Wir sehen, dass Zuwanderung und Integration Themen gemeinsamen europäischen Interesses
sind. Aber der Zugang zum Arbeitsmarkt muss in der
Kompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben.
Ich begrüße es, dass wir uns das Ziel setzen, das europäische Asylsystem bis 2010 zu vollenden. Wir müssen
aber darauf achten, dadurch nicht eine neue Bürokratie
aufzubauen. Die Unterstützungsagentur, die im Ergebnis
ein Eingriff in die Verwaltungshoheit der Mitgliedstaaten wäre, lehne ich ab. Wir werden an anderer Stelle Gelegenheit haben, im Bundestag darüber zu diskutieren.
Auch hier muss klar sein: Die Asylverfahren müssen in
nationaler Kompetenz verbleiben.
Über die Speicherung von Fluggastdaten ist erst gestern in diesem Hause diskutiert worden. Fraglos müssen
wir mehr gegen die erhöhte Terrorgefahr unternehmen.
Aber ebenso ist fragwürdig, in welchem Umfang und
mit welcher Dauer die Speicherung von Fluggastdaten
entsprechend dem Vorschlag vorgenommen werden soll.
Ich meine, wir müssen das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung sehr ernst nehmen.
Abschließend plädiere ich dafür, dass die Strategieplanung nicht zu einer Art Aktionismus der Kommission
führt, die gerade noch ein Jahr im Amt ist. Es kann doch
nicht sein, dass diese Kommission eine Fülle von neuen
Richtlinien und Verordnungen vorschlägt, mit denen die
gesamte Legislaturperiode der nächsten Kommission bereits weitgehend mitbestimmt wird. Im nächsten Jahr ist
die Wahl zu einem neuen Europäischen Parlament, das
übrigens darüber beschließen wird, wie die eigene Arbeit fortgeführt werden soll.
Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.
Deswegen plädiere ich dafür, dass sich die Kommission daran ein Beispiel nimmt und über den Wegfall
noch offener Vorhaben entscheidet, wenn eine neue
Kommission ins Amt kommt. Wir sollten schon jetzt
darauf hinwirken, dass die neue Kommission, die im
nächsten Jahr antritt, das Prinzip der Diskontinuität anwendet,
Herr Kollege.
- so wie wir es hier in unserem Hause kennen.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Steffen
Reiche.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
So singulär, so weltweit einzigartig, innovativ und vorbildlich die Europäische Union als handlungs-, ja regierungsfähiger Staatenverbund ist, so singulär, innovativ
und vorbildlich ist auch ihr Verfahren der Administrations- bzw. Regierungsplanung. Uns erscheint es selbstverständlich, ja alternativlos. Das ist es auch - für die
EU.
Ich will uns aber daran erinnern und uns bewusst machen, dass das etwas Besonderes ist. Denn weder die
USA noch China, Indien, Brasilien oder Russland kennen etwas Vergleichbares. Zu Recht kann man einwenden, dass es sich bei diesen Ländern bis auf die USA
nicht um etablierte Demokratien handelt. Aber auch
dann, wenn man sich die Situation in etablierten Demokratien, in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland,
ansieht, stellt man fest: Fehlanzeige. In diesen Staaten
gibt es nur Wahlprogramme, Koalitionsverträge und Regierungserklärungen, aber keine Strategiekonzepte, über
die von Februar bis Oktober eines Jahres, also circa acht
Monate, von allen Beteiligten diskutiert wird und die
dann die Grundlage für ein Jahr gemeinsamer Regierungsarbeit bilden. Daran sind der Europäische Rat und
das EU-Parlament beteiligt, intensiver als bisher aber
auch die nationalen Parlamente und die europäische Zivilgesellschaft.
Die Strategieplanung für eines der vermutlich wichtigsten Jahre der Europäischen Union liegt uns nun vor.
Das Jahr 2009 ist im Hinblick auf die Strukturen der Europäischen Union sozusagen ein Schaltjahr. Denn dann
tritt die größte Reform der EU in Kraft. Die EU wird
erstmals Rechtssubjekt. Aufgrund der stärkeren Beteiligung des Europäischen Parlaments werden neue demokratische Strukturen gelten. Neue Politikgebiete werden
einbezogen. So wird zum Beispiel die Rechts- und Innenpolitik stärker als je zuvor einbezogen und in weiten
Teilen vergemeinschaftet. Darüber hinaus gibt es eine
Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik.
Drei bewährte Spitzenfunktionen werden neu vergeben: die Ämter des Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Kommissionspräsidenten und des NATO-Generalsekretärs; das zuletzt genannte Amt betrifft zwar
nicht direkt eine Entscheidung der EU, aber das sollte als
Steffen Reiche ({0})
großes Paket betrachtet werden. Außerdem werden zwei
Ämter erstmals besetzt und durch ihre ersten Amtsinhaber geprägt: das des Ratspräsidenten und das des Hohen
Vertreters oder, wie wir gerne sagen würden, das des
EU-Außenministers. Das wird der EU, aber auch ihren
Institutionen neuen Schwung verleihen.
Die EU will und wird im Jahre 2009 besser und bürgerorientierter sein, weil sie erstmals - das ist Teil des
Lissabon-Vertrages - nicht mehr als Gemeinschaft der
Nationen, sondern als Gemeinschaft ihrer Bürger verstanden wird.
({1})
Die Wahlen eines neuen Europäischen Parlaments
stehen an, und Europa wird stärker als je zuvor gefragt
sein, nicht nur den Frieden zu erhalten, sondern auch die
Globalisierung zu gestalten. Sie von der Linken verlangen das zu Recht von der EU. Sie verweigern ihr aber
die dafür notwendigen Instrumente. Denn der LissabonVertrag ist ein besseres und geeigneteres Instrument als
die bisherigen Verträge, um genau das zu erreichen, was
Sie zu Recht verlangen. Es ist infam, etwas zu verlangen, aber nicht bereit zu sein, die notwendigen, aber
noch nicht weit genug entwickelten Instrumente dafür
zur Verfügung zu stellen.
({2})
2009 wird ein entscheidendes Jahr. Denn nicht nur der
Lissabon-Vertrag, sondern auch der Lissabon-Prozess
kommt an einen wichtigen Punkt. Im Jahre 2010 wird
das Ziel der EU, größter und stärkster Wirtschaftsraum
der Erde zu sein, entweder erreicht oder nicht erreicht.
Aufgrund der Schwäche der Mitbewerber, der USA und
Japans, ist es möglich, dass die EU die stärkste Wirtschaftsregion der Welt wird.
Im Jahre 2008 und erst recht im Jahre 2009 müssen
wir aber auch mit einer Weltwirtschaftskrise rechnen:
1 Billion Dollar Miese und ein beispielloser Verfall des
Dollars, der Euro schnellt von einem Allzeithoch zum
nächsten. Man kann sich auf eine solche Situation
schlecht vorbereiten - das ist mir bewusst -, aber man
muss damit rechnen, dass der Euro Weltleitwährung
werden könnte und dass dadurch für EZB und EU ganz
neue Herausforderungen entstehen.
Wir müssen das, womit im Jahre 2008 begonnen
wurde, im Jahre 2009 finalisieren, noch vor den Wahlen
zum Europäischen Parlament. Wir haben durch eine
Überprüfung der Agrarpolitik, dem sogenannten Health
Check, für die Gestaltung der Wirtschafts- und Finanzflüsse in der Europäischen Union neue Chancen. Die
Einkommenssituation in der Landwirtschaft verbessert
sich unerwartet gut und insofern auch die Möglichkeit,
hier wirklich etwas zu verändern. Die Eigenmittel werden neu überprüft. Die SPD hat dazu Vorschläge gemacht und wird sie der EU in der Hoffnung zur Kenntnis
geben, dass manches von dem berücksichtigt wird.
({3})
Die EU hat mit guten Vorschlägen, großem Druck
und einseitigen Vorleistungen dazu beigetragen, dass das
Kioto-Protokoll verabschiedet werden konnte. Gerade in
2009 ist die EU ähnlich in der Verantwortung, in Bezug
auf den Post-Kioto-Prozess, also in Bezug auf den Prozess, der in Bali begonnen hat, Vorschläge zu machen
und mit Vorleistungen dafür zu sorgen, dass die anderen
Staaten mit uns gemeinsam den Klimawandel bekämpfen.
({4})
Eine andere zentrale Herausforderung ist es, spätestens in 2009 die Doha-Welthandelsrunde zu einem guten
Ende zu bringen. Kein Wirtschaftsraum wie der nach
dem Lissabon-Prozess erfolgreich gestartete Europäische Wirtschaftsraum wird davon so sehr profitieren und
hat daran so großes Interesse und davon zugleich so
große Vorteile. Das heißt, wir müssen mit einem vertretbaren Maximum an Zugeständnissen einen Kompromiss
erzielen und damit einen Abschluss der Welthandelsrunde ermöglichen.
Darüber hinaus sind mir mehrere Punkte wichtig: Die
Bürger Europas sollen und müssen an die erste Stelle rücken. Die EU wird Rechtssubjekt. Nach dem LissabonVertrag sind mehr als bisher die Bürger das Ziel der Politik. Sie sind das Zentrum der Politik der Europäischen
Union. Sie und nicht die Nationen sind der Grund, weshalb die Europäische Union gebildet worden ist. Das
muss das Handeln aller Institutionen der nationalen Akteure in erster Linie prägen, sodass sie nicht zuallererst
nach dem nationalen Mehrwert schauen, sondern das europäische Interesse im Auge haben. Die Erfahrungen
von 50 Jahren Europäische Union haben gezeigt: À la
longue nutzt das europäische Interesse den Nationen am
allermeisten.
({5})
Das soziale Europa muss gestärkt werden. Ich sage
Ihnen klar zu: Wir werden wie bisher auf die Worte von
Herrn Schulz hören, wenn Sie uns versprechen, wenigstens auf jedes zweite Wort von Frau Kaufmann zu achten, weil sie vieles sagt, was man berücksichtigen sollte.
({6})
Lieber Kollege Link, die deutsche Sprache muss auch
in Zukunft neben dem Englischen und dem Französischen als Arbeitssprache gelten. Pacta sunt servanda; das
ist klar. Aber Englisch hat sich eben im Siebenjährigen
Krieg, den die Briten an der Seite von Preußen gewonnen haben, als Lingua franca durchgesetzt. Daran werden wir auch mit dieser berechtigten Forderung nichts
ändern.
Was in diesem Arbeitsprogramm bzw. dieser Strategieplanung bisher fehlt, aber im Oktober angegangen
werden muss, ist - das ist mir ganz wichtig - die Fortsetzung des Minsk-Prozesses mit großem Engagement. Wir
haben ein Zeitfenster, diesen Minsk-Prozess in Bezug
auf die Staaten des Südkaukasus zu einem guten Abschluss zu bringen. Wie stark der Tibet-Konflikt die
Steffen Reiche ({7})
Olympischen Spiele in Peking beeinflusst, erleben wir
zurzeit. 2012 finden die Olympischen Spiele in Sotschi
statt. Abrasien liegt davon nur 30 Kilometer entfernt, etwas weiter Südossetien. Das heißt, für dieses Problem
muss gemeinsam mit Russland in 2009 eine Lösung gefunden werden.
Wir brauchen ferner eine Lösung - auch dafür findet
sich ein einmaliges Zeitfenster - für den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Wir müssen bei all
dem stärker als bisher die Zivilgesellschaft einbeziehen.
Das heißt, wir brauchen mit diesen zwei Staaten ein neueres, besseres Visaabkommen. Mit Freude und Stolz
sollten wir diesen Prozess bis Oktober in Deutschland
organisieren; denn wir als Bürger und wir als Politiker
sind Teil eines in der Welt singulären Prozesses.
Vielen Dank.
({8})
Zum Abschluss der Debatte erteile ich dem Kollegen
Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich möchte aus der Strategieplanung 2009 der
EU-Kommission einen Punkt herausgreifen, der zukünftig sicherlich im Mittelpunkt der Überlegungen stehen
wird, und zwar die Energiepolitik. Die Energiepolitik
spielt in den Strategieplanungen zu Recht eine Rolle, obwohl die Europäische Union für die Energiepolitik keine
originäre Zuständigkeit hat. Ihre Kompetenzen werden
bisher aus der Zuständigkeit für den Binnenmarkt oder
für den Umweltbereich abgeleitet. Erst mit Inkrafttreten
des Lissabon-Vertrages wird die Energiepolitik als geteilte Zuständigkeit auch bei der EU entsprechend verankert sein.
Aus der Sicht der Unionsfraktion gibt es zwei zentrale
Handlungsfelder, die eigentlich ganz unterschiedliche
Lösungsansätze erfordern: zum einen die Strategie nach
außen, zum anderen die Strategie nach innen. Ich will
versuchen, anhand einiger Beispiele die Handlungserfordernisse zu beschreiben. Energiepolitisch wird die EU in
den nächsten 10, 15 Jahren vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Die gesamte EU befindet sich auf dem
Weg in die Importabhängigkeit. In 20 Jahren wird es in
Europa, von Norwegen abgesehen, keine nennenswerte
Energieproduktion, Ölförderung, Gasförderung, mehr
geben. Das heißt, ganz Europa wird in einer Dimension
vom Import fossiler Energien abhängig, wie es Deutschland bereits heute ist.
Gleichzeitig stellen wir fest, dass in vielen Ländern
auf der Welt der Staat zunehmend Einfluss auf die
Märkte nimmt. Ich nenne als Stichworte nur Venezuela
und Russland. Das heißt, Energie wird als politisches
Instrument, ja sogar als Waffe eingesetzt. Die Märkte
werden zurückgedrängt, bereits unterschriebene Verträge werden nicht eingehalten bzw. man wird zur Änderung der Verträge gezwungen. So bekommen westliche,
europäische Unternehmen beispielsweise in Russland
Schwierigkeiten.
Die EU wird von außen nicht als Union wahrgenommen. So bekommt man, wenn man sich mit internationalen Partnern im energiepolitischen Bereich unterhält, oft
zu hören, dass keiner versteht, warum mal der Kommissar, mal der Außenminister, mal die Ratspräsidentschaft
kommt. Das ist alles andere als kontinuierlich.
Der Weltenergieverbrauch steigt. Damit wird die
Nachfragemacht Europas zurückgehen. 1970 entfielen
auf die OECD-Länder 70 Prozent des Weltenergieverbrauchs. Bis 2030 werden sich die Verhältnisse umgekehrt haben. Wenn wir Europäer eine Chance haben wollen, müssen wir mit einer Stimme sprechen. Die
Nationalstaaten können heute nämlich nicht mehr viel
ausrichten.
Was das Handeln der Europäischen Union nach innen
angeht, will ich sagen, dass wir den europäischen Binnenmarkt für Strom, für Energie, für Gas vollenden müssen. Manches ist getan; aber vieles ist noch zu tun. Ich
will wegen der wenigen Zeit, die mir zu reden verbleibt,
nur zwei Punkte, über die wir diskutieren müssen, herausgreifen. Wir sind auf dem Weg, Souveränitätsrechte
abzugeben. Das ist uns, glaube ich, noch nicht in vollem
Umfang klar. Die Vorstöße der EU in Sachen Emissionshandel und in Sachen Klimaschutzpaket werden dazu
führen, dass wir dauerhaft auch auf nationalen Feldern
wie der Umwelt- und Klimapolitik Souveränitätsrechte
werden abgeben müssen. Wir müssen aufpassen, dass
unsere nationalen Interessen in diesen Bereichen weiterhin berücksichtigt werden.
Ich möchte Ihnen ein Beispiel ans Herz legen, das
zeigt, dass die Bundesregierung und wir als Parlament
darauf achten müssen, dass unsere nationalen Interessen
Berücksichtigung finden. Beim Emissionshandel ist angedacht, dass ab 2013 im Bereich der Stromerzeugung
zu 100 Prozent auktioniert wird. Das ist im Grunde richtig; wir brauchen eine europäische Allokation. Die Einnahmen werden aber nicht dem Anteil an der Stromerzeugung entsprechend unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt.
Nehmen wir als Beispiel Deutschland und Frankreich:
Frankreich erzeugt seinen Strom zu 70 bis 80 Prozent
aus Kernenergie. Wenn, wie geplant, die gesamten dem
Emissionshandel unterliegenden Sektoren berücksichtigt
werden, wird Deutschland 70 Prozent der Kosten aufbringen. Die Erlöse des Emissionshandels werden aber
quasi zu gleichen Teilen zwischen Deutschland und
Frankreich aufgeteilt. Es geht hier um Milliardenbeträge; ich glaube, das haben wir uns noch nicht in allen
Konsequenzen klargemacht.
({0})
Es gibt in der Energiepolitik eine ganze Reihe von
Punkten, bei denen wir als Parlament gefordert sind. Auf
der einen Seite müssen wir darauf hinwirken, dass die
EU-Kommission die Stimme nach außen wird. Auf der
anderen Seite müssen wir sehr genau darauf achten, dass
unsere nationalen Interessen im europäischen Binnenmarkt berücksichtigt werden.
In diesem Sinne werden wir als CDU/CSU-Fraktion
das weitere Prozedere sehr kritisch, aber konstruktiv begleiten.
({1})
Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten
Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara
Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern
- Drucksachen 16/4909, 16/8782 Berichterstattung:
Abgeordnete Gitta Connemann
Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Kornelia Möller für die Linke das Wort.
({1})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir reden hier heute über die sogenannten
Einfühlungsverhältnisse. Das ist nichts anderes als Probearbeiten ohne Lohn, um vielleicht, eventuell, zufälligerweise einmal einen Arbeitsplatz zu ergattern. Einfühlungsverhältnisse sind also Ausbeutung pur. Fühlen Sie
sich doch einfach einmal darauf ein: Sie sitzen hier und
bekommen kein Geld, Sie sind also quasi eine Proberegierung und ein Probeparlament.
Spätestens seit Rot-Grün die unsägliche Agenda 2010
beschlossen und die Hartz-Gesetze durchgepeitscht hat
- die Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, noch verschärften -, wissen die Menschen in diesem Lande, dass Sie sich für keine Schweinerei zu
schade sind.
({0})
Ihnen liegt nicht in erster Linie das Wohl der Menschen
am Herzen. Sie tun nichts gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Nein, Sie
stehen stattdessen standhaft an der Seite neoliberaler Unternehmer, die sich seit Jahren an unbezahlten Probearbeiten, an unbezahlter Mehrarbeit und an Armutslöhnen bereichern.
Wir haben diesen Antrag eingebracht, um zu beenden,
dass Bürgerinnen und Bürger bei Unternehmen in Einfühlungsverhältnissen ohne Lohn arbeiten müssen.
Diese Einfühlungsverhältnisse reihen sich in eine lange
Liste atypischer und prekärer Beschäftigungen ein, die
direkt in die Altersarmut führen. Heute arbeitet rund ein
Drittel der erwerbstätigen Menschen in atypischen und
prekären Beschäftigungsverhältnissen. 12 Prozent verdienen so wenig, dass sie trotz Arbeit Hartz IV beantragen müssen, um leben zu können. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich ein so großer
Anteil der Beschäftigten in Leih- und Zeitarbeit, in Teilzeitjobs, in befristeten Arbeitsverhältnissen oder in
Mini- bzw. Midijobs befindet.
({1})
Doch damit nicht genug. Durch die sogenannten Einfühlungsverhältnisse haben die Arbeitgeber noch mehr
Chancen, sich an Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu bereichern. Was bedeuten nämlich diese Einfühlungsverhältnisse? Ich sage es noch einmal: Sie bedeuten
Arbeit ohne Lohn. Menschen, die bereit sind, alles für
einen Arbeitsplatz zu geben, werden schamlos ausgenutzt.
Mir sind aus München konkrete Fälle bekannt, bei denen Frauen in mehr als ein Hotel zu unbezahlter Probearbeit eingeladen wurden. Sie haben dort Betten gemacht und die Zimmer aufgeräumt - natürlich ohne
Bezahlung. Die Frauen haben sich deswegen darauf eingelassen, weil sie hofften, eingestellt zu werden. Weit
gefehlt. Monat für Monat wechselten die Unternehmen
die Frauen aus und machten sich so die Zwangslage dieser Frauen zunutze.
Zwar weist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf
die Kleine Anfrage der Linksfraktion zu „Probearbeiten
im Rahmen eines so genannten Einfühlungsverhältnisses“ darauf hin, dass die missbräuchliche Ausnutzung
von Einfühlungsverhältnissen, also Arbeiten ohne Lohn,
nach geltendem Recht unzulässig ist. Doch welche bzw.
welcher Arbeitssuchende würde von ihrem bzw. seinem
potenziellen Arbeitgeber unter Hinweis auf § 612 BGB
Lohnzahlungen fordern? Das ist doch absurd. In welcher
Welt leben Sie eigentlich, dass Sie glauben, dass das
reicht?
({2})
Ich sage Ihnen: Durch die sogenannten Einfühlungsverhältnisse werden Arbeitnehmerschutzrechte massiv
beschnitten. Daher müssen diese Einfühlungsverhältnisse weg, und zwar ohne Wenn und Aber. Wir fordern
die Bundesregierung deshalb auf, einen Gesetzentwurf
vorzulegen, mit dem klargestellt wird, dass Einfühlungsverhältnisse unzulässig sind und entsprechende Schutzrechte über dem Grundsatz der Vertragsfreiheit stehen.
Wer arbeitet, muss dafür auch entlohnt werden, und zwar
richtig.
Ich danke Ihnen.
({3})
Die Kolleginnen und Kollegen Gitta Connemann,
Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Jörg Rohde
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
und Brigitte Pothmer haben ihre Reden zu Protokoll ge-
geben.1)
Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Fraktion Die Linke mit dem Titel „Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten
verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 16/8782, den Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4909 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? -
Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist die Be-
schlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf:
a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem
Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Josef
Philip Winkler, Marieluise Beck ({1}), wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos um-
setzen - Erklärung zur UN-Kinderrechtskon-
vention zurücknehmen
- Drucksachen 16/1064, 16/8700 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem
Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje
Bettin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kinderrechte in der Verfassung stärken
- Drucksachen 16/5005, 16/8703 Berichterstattung:
Abgeordnete Kerstin Griese
Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin
Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir Grünen kämpfen schon seit Jahren für die Rechte
der Kinder, und wir stützen uns mit unseren Forderungen
auf einen sehr breiten überparteilichen und gesellschaft-
lichen Konsens. Deshalb haben wir zwei Anträge zu die-
sem Thema in den Bundestag eingebracht - den einen
schon zu Beginn dieser Wahlperiode, den anderen etwas
1) Anlage 14
später -, die in diesem Hause leider nur dürftige Unterstützung erfahren haben. Wir hatten nicht einmal die
Möglichkeit, über die Anträge ausführlich zu diskutieren.
Der erste Antrag ist bereits vor zwei Jahren an den
Ausschuss überwiesen worden, wo die Beratung von
Woche zu Woche verschoben wird. Mit dem zweiten
Antrag wird genauso verfahren. Da wir das für ignorant
im Hinblick auf eine inhaltliche Debatte halten, haben
wir das Thema heute wieder auf die Tagesordnung gebracht. Wir wollen Sie darauf hinweisen, dass Sie sich
nicht permanent davor drücken können, solche Debatten
zu führen, weil sie Ihnen nicht passen.
({0})
Die Kinderkommission hat über Monate hinweg darüber diskutiert, ob Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Wir wollten einen Gruppenantrag einbringen. Dieses Vorhaben wird gebremst. Die
inhaltliche Debatte wird leider nicht weitergeführt. Wir
erzielen kein Ergebnis.
Ich glaube, es ist nicht gut für den Parlamentarismus,
wenn die Große Koalition nicht einmal der Kinderkommission, die als besonderes Gremium im Bundestag eingerichtet wurde, eigene Handlungsmöglichkeiten gibt.
Stattdessen untergraben Sie deren Arbeit, weil Sie sich
selbst nicht trauen, zu Kinderrechten zu stehen.
({1})
Ein weiterer Punkt ist die Rücknahme der Vorbehalte
gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Vor ein paar Jahren war dieses Parlament einige Schritte weiter. Seinerzeit haben wir viel Unterstützung und Zustimmung
bekommen und waren kurz davor, die Vorbehalte zurückzunehmen. Dann hieß es „Zurück auf Los“, aber
nicht, um über das Thema noch einmal zu diskutieren,
sondern um es zu ignorieren.
Ihr Verhalten ist ignorant gegenüber der Situation der
Kinder - auch der Flüchtlingskinder -, die am meisten
auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen sind.
Sie sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft.
Das sagt sehr viel über Ihre gesellschaftliche Einstellung
aus.
({2})
In Sonntagsreden gehen Sie alle auf Kinder ein. Sowohl die Kanzlerin als auch die Ministerin und der ExBundespräsident fordern die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung. Wenn es aber darum geht, die
Hand dafür zu heben, dann drücken Sie sich davor. Sagen Sie doch Ihre Meinung! Sagen Sie, ob Sie dafür oder
dagegen sind! Stattdessen verschieben Sie eine Entscheidung und halten die engagierten Menschen auf.
Ich spreche in diesem Zusammenhang auch die SPD
an. Das auf Ihrem Parteitag beschlossene Programm
finde ich gut. Es reicht aber nicht aus, Programme zu beschließen. Wir sind als Mandatsträger gewählt, um Programme umzusetzen und die entsprechenden Gesetze
auf den Weg zu bringen. Das ist unsere Aufgabe. Ein
Parteitag macht leider noch keine Politik. Wenn Sie Ihre
Aufgaben ernst nehmen, dann sollten Sie mehr machen,
als Presseerklärungen zu verfassen. Setzen Sie Ihren Beschluss in die Tat um und stimmen Sie unseren Anträgen
zu! Das wäre ein ehrliches Bekenntnis.
Herr Singhammer, Sie haben neulich gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil bestätigt,
dass die Eltern Rechte und eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kindern hätten, und es habe damit ein eindeutiges Signal gesetzt. Es ist aber ein Trugschluss, wenn
Sie glauben, dass damit alles erledigt ist. Das Signal ist:
Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil für
eine Klarstellung gesorgt und hat uns aufgefordert, einen
nachhaltigen Perspektivwechsel in Gesellschaft, Politik
und Justiz einzuleiten. Deswegen müssen wir die Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen.
Wir brauchen keine Sonntagsreden und keine Drückeberger mehr. Wenn Sie es ernst meinen und weiterkommen wollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu,
oder lassen Sie zumindest Beratungen im Ausschuss zu!
Scheuen Sie sich nicht davor, die Wahrheit auszusprechen! Bislang verfolgen Sie nur eine Hinhaltetaktik. Das
finde ich sehr verlogen.
({3})
Johannes Singhammer spricht jetzt für die Fraktion
der CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Jeder Gutwillige, jeder Anständige und jeder
Vernünftige in Deutschland will, dass Kinder liebevoll
umsorgt aufwachsen, ihre Rechte gewahrt, geschützt und
beachtet werden. Niemand, der bei Sinnen ist, will Kindern einen sicheren Schutz verweigern und sie Gewalttätigkeiten, Vernachlässigungen oder sogar Misshandlungen in vorsätzlicher oder nachlässiger Weise ausliefern.
Wir alle wollen das eine: Kindern zu ihrem Recht verhelfen. Deshalb warne ich vor der vereinfachenden Argumentation, dass diejenigen, die eine Verankerung der
Kinderrechte in der Verfassung mit einer gewissen Skepsis betrachten, es mit der Sorge um die Kinder nicht ganz
so ernst nähmen, während andere, welche uneingeschränkt für eine Verankerung der Kinderrechte im
Grundgesetz sind, alle Konsequenzen aus den erschreckenden und uns zutiefst bestürzenden Fällen von Misshandlungen bis hin zu Kindstötungen in den vergangenen Monaten gezogen hätten.
Ich bin für eine nüchterne Betrachtung und Prüfung.
Bringt ein Grundrecht einen Mehrwert an Schutz für die
Kinder, den sie jetzt noch nicht haben, der ihnen jetzt
fehlt? Ich bitte alle, darüber nachzudenken, was sich seit
dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 1. April
verändert hat und welche Aussagen das Bundesverfassungsgericht in dem bizarren Fall getroffen hat, in dem
die Frage zu klären war, ob ein Vater zum Umgang mit
seinem Kind verpflichtet, gezwungen werden kann. Das
Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil zum ersten Mal ausdrücklich ein Recht des Kindes auf Pflege
und Erziehung anerkannt. Es hat festgelegt, dass dieses
Kinderrecht dem Elterngrundrecht nach Art. 6 des
Grundgesetzes gleichsteht. Das höchste deutsche Gericht hat - wie in Stein gemeißelt - festgestellt:
Das Kind hat eigene Würde und eigene Rechte.
Weiterhin heißt es:
Dieses Recht ist deshalb
untrennbar mit der Pflicht der Eltern verbunden,
dem Kind diesen Schutz und diese Hilfe zu seinem
Wohl angedeihen zu lassen. Dabei bezieht sich
diese Pflicht nicht lediglich auf das Kind, sie besteht auch gegenüber dem Kind. Denn das Kind ist
nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist
Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.
Ich denke, glasklarer und unmissverständlicher geht
es kaum. Dieses Urteil könnte man fast als eine Hymne
an die Kinder und ihre Rechte bezeichnen. Man kann
daraus ableiten, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, im Einzelfall den Kinderrechten ganz klar Vorrang
vor den Elternrechten gibt.
Spätestens mit diesem Grundsatzurteil gibt es jetzt ein
exakt beschriebenes Grundrecht für Kinder in unserer
Verfassung, vielleicht ausführlicher, präziser - auf mehr
als 14 Seiten Urteilstext -, als es eine Änderung des
Art. 6 der Verfassung mit den knappen Worten, die dort
üblich sind, könnte. Bezüglich der Frage „Kinderrechte
im Grundgesetz, ja oder nein?“ gibt es, so meine ich,
gute Gründe, zu sagen: Die Frage ist entschieden. - Die
Kinderrechte sind verankert. Das höchste deutsche Gericht hat das festgestellt. Der verfassungskundige Journalist Dr. Heribert Prantl kommentiert dieses Urteil in
der Süddeutschen Zeitung folgerichtig - ich zitiere -:
Der Streit …, ob Kinder ein eigenes Grundrecht
brauchen, ist entschieden.
Er fährt fort:
Die Verfassungsrichter geben den Kindern nun ein
Grundrecht auf Schutz und Hilfe. Aber was ist,
wenn Hilfe und Schutz nicht gewährt werden?
Dann hilft dem Kind auf die Schnelle auch ein
Grundrecht nichts.
Ein Recht muss umgesetzt werden. Auf die Umsetzung des Rechts kommt es entscheidend an. Deshalb
meine ich: Lasst uns alle gesetzgeberische Energie, allen
Scharfsinn aufbringen, um Kinder bestmöglich und soweit es irgendwie geht zu schützen, zu fördern und ihre
Rechte zu realisieren, und zwar ganz konkret in der Lebenswirklichkeit, nicht nur abstrakt. Was bedeutet das
im Einzelnen? Das bedeutet zum Beispiel, dass die Vorsorgeuntersuchungen, über die wir hier im Hohen Hause
schon öfter debattiert haben, in kürzeren Intervallen und
mit einer klareren Zielsetzung realisiert werden. Das bedeutet eine bestmögliche Kooperation der einzelnen Behörden des Gesundheitswesens beispielsweise mit der
Kinder- und Jugendhilfe. Das bedeutet die klare Aussage, dass Kinderschutz Vorrang haben muss vor Datenschutz. Das bedeutet einen Ausbau der Jugendhilfe,
Einbeziehung der Eltern, Gesundheits- und Ernährungserziehung, natürlich auch Sportförderung, Erziehungsberatung und Elternbildung. Ich denke aber auch, dass die
finanzielle Sicherheit für Familien und Kinder entscheidend dazu gehört; denn starke und auf finanziell gesichertem Fundament lebende Familien sind der beste
Kinderschutz.
({0})
- Frau Deligöz, Sie haben gefragt, was wir tun. Das
Bundeskabinett hat erst in dieser Woche - die Koalition
trägt das mit - die Erhöhung des Kinderzuschlags beschlossen.
({1})
- Das ist keine Ankündigung, sondern das ist Realität.
Das wird umgesetzt. Das Geld ist da. Es ist im Haushalt
für dieses Jahr verankert und wird zum 1. Oktober
150 000 Kindern mehr ausgezahlt. Das ist praktischer
Schutz der Kinder, praktische Förderung der Kinder, und
nicht nur eine theoretische Diskussion.
({2})
Wir müssen - das sage ich auch an dieser Stelle - die
Wertigkeit von Familienarbeit und Kindererziehung, die
die Eltern leisten, erhöhen und dies stärker anerkennen.
({3})
Ich warne davor, einen Generalverdacht auszusprechen
und so zu tun, als ob sich eine Mehrheit der Eltern nur
nachlässig um ihre Kinder kümmere. Nein - das muss
immer wieder festgestellt werden -, die allermeisten Eltern kümmern sich rührend und liebevoll um ihren Nachwuchs, sie legen sich krumm und lassen nichts unversucht, damit es ihre Kinder einmal besser im Leben
haben, als sie es vielleicht oft selber gehabt haben.
({4})
Wir wollen den Eltern die Gewissheit geben, dass der
Staat nicht heimlicher - um nicht zu sagen: unheimlicher Miterzieher und Obererzieher der Nation sein will. Wir
bekennen uns zum Elternrecht. Wir sagen aber auch:
Wenn Elternpflichten vernachlässigt werden, wollen wir
unverzüglich und konsequent die Kinder schützen, wenn
es sein muss, auch gegenüber ihren Eltern.
Nachdem die elementaren Kinder- und Persönlichkeitsrechte in unserer Gesetzgebung fest verankert sind
- sie sind durch das Urteil des Verfassungsgerichts noch
einmal in Stein gemeißelt worden -, wünsche ich mir,
dass wir einen politischen Wettbewerb darum beginnen,
wie wir Kinder in der Praxis bestmöglich schützen und
fördern können. Unser gemeinsames Ziel muss sein,
dass möglichst kein einziges Kind in unserem Land zu
Schaden kommt, sondern dass wir alles tun, dass es unseren Kindern gut geht.
({5})
Jetzt spricht die Kollegin Miriam Gruß für die FDPFraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Leider debattieren wir wieder einmal zu
später Stunde und vor leeren Rängen. Gott sei Dank haben sich einige Zuschauerinnen und Zuschauer eingefunden; vermutlich schauen uns auch einige am Fernseher zu. Es ist schade, dass wir für Plenardebatten über
Themen, die die Zukunft Deutschlands betreffen, nur
Randzeiten bekommen. Ich wünsche mir, dass das wieder anders wird.
({0})
Es geht hier um zwei Themen.
Zum einen geht es um die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention. Darüber
debattieren wir zum wiederholten Male in dieser Legislaturperiode. Ich kann nur immer wieder betonen:
Selbstverständlich steht die FDP-Bundestagsfraktion für
die Rücknahme der Vorbehaltserklärung der UN-Kinderrechtskonvention.
({1})
Schade, dass es zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung nicht gelungen ist, auf die Länder dahin gehend
einzuwirken, dass die Vorbehalte zurückgenommen werden. Da besteht noch ein wenig Klärungsbedarf. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass es seitens der Bundestagsfraktion der Grünen jetzt wohl anders gesehen wird.
Frau Kollegin, wahrscheinlich freuen Sie sich auch
über eine Zwischenfrage von Frau Griese; denn durch
deren Beantwortung verlängert sich Ihre Redezeit.
Bitte.
Verehrte Frau Kollegin Gruß, ich schätze Ihr Engagement für die Aufhebung der Vorbehalte gegen die UNKinderrechtskonvention. Wir teilen Ihre Meinung. In der
letzten Wahlperiode, genauer gesagt: am 30. Juni 2005,
hatte die FDP-Fraktion die Gelegenheit, dem rot-grünen
Antrag auf Aufhebung der Vorbehalte zuzustimmen.
Können Sie mir sagen, warum Sie das nicht getan ha16350
ben? Ich habe es im Protokoll nachgelesen: Die FDP hat
damals gegen diesen Antrag gestimmt.
({0})
Liebe Kollegin Griese, ich gehörte dem Bundestag
damals noch nicht an. Abgeordnete bin ich erst seit dieser Legislaturperiode. Ich verweise Sie auf das, was ich
in dieser Legislaturperiode für die FDP-Bundestagsfraktion erarbeitet habe. Sehen Sie den Istzustand. Ich kann
Ihnen zustimmen: Es ist wichtig, dieses Signal zu setzen.
Die FDP-Bundestagsfraktion setzt dieses Signal. Wir
sind für die Rücknahme der Vorbehaltserklärung. Nehmen Sie das heute Nachmittag einfach so mit!
({0})
Das zweite Thema, über das wir heute reden, ist „Kinderrechte ins Grundgesetz“. Als langsam scheidende
Vorsitzende der Kinderkommission möchte ich hier noch
einmal betonen - Frau Deligöz hat es schon angesprochen -: Es ist schade, dass das wichtige Gremium der
Kinderkommission in dieser Debatte so ungehört geblieben ist. Da die Kinderkommission als einziges Gremium
dem Einstimmigkeitsprinzip folgt, hat sie die einmalige
Chance, den Fraktionen und der Bevölkerung zu signalisieren: Wir Politiker sind fähig, fernab von Parteibüchern gemeinsam Politik zu machen. Die Kinderkommission hat über Parteigrenzen hinweg den Beschluss
gefasst, sich auf die Stärkung der Kinderrechte durch die
explizite Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zu
verständigen. Ich finde es schade, dass dieses Signal
nicht in allen Teilen der Fraktionen angekommen ist.
Wir sind weitergekommen. Erfreulicherweise haben
die Fraktionen der Linken, der SPD und der Grünen
schon geschlossen zugestimmt. Ich kann Ihnen signalisieren: Von der FDP gibt es viele positive Signale. Leider fühlen sich einige Teile der Union dem Ganzen noch
nicht so berufen. Sie möchten nicht, dass das Ganze so,
wie geplant, umgesetzt wird. Ich darf Sie daran erinnern,
dass Ihre eigene Familienministerin, Dr. Ursula von der
Leyen, selbst für die Aufnahme der Kinderrechte in das
Grundgesetz steht. An dieser Stelle möchte ich Sie noch
einmal auffordern, auf die entsprechenden Teile der
Union einzuwirken, damit diese Phalanx aufbricht.
({1})
Herr Singhammer, ich spreche Sie persönlich an, weil
Sie gefragt haben, was es nützte, wenn die Kinderrechte
im Grundgesetz stünden, und darauf verwiesen haben,
dass wir dies konkret und praktisch umsetzen müssten.
Sie mögen recht haben. Aber es geht uns bei der Forderung „Kinderrechte ins Grundgesetz“ eben nicht nur darum, die Kinder zu schützen, die vernachlässigt und
missbraucht worden sind. Uns geht es um viel mehr: um
die Stärkung der Kinderrechte, um die Anerkennung von
Kindern als Subjekte. Wir betrachten Kinder in Deutschland heutzutage doch nur als Objekte. Manche sprechen
vom kinderentwöhnten Land oder vom Abenteuer Kind.
Schauen wir uns doch die Debatten an, die wir in unseren Plenen führen. Wer redet denn da mit Kindern? Wir
reden über Kinder und über Kinder hinweg. Kinder müssen zu Subjekten werden. Deswegen brauchen wir Kinderrechte explizit im Grundgesetz.
Daneben brauchen wir selbstverständlich die konkreten Maßnahmen: die Stärkung der Jugendämter und deren bessere personelle und finanzielle Ausstattung, die
Vernetzung mit den Gesundheitsbehörden, mehr Vorsorgeuntersuchungen usw. Was Letzteres angeht, müssen
Sie uns ohnehin noch erklären, was genau Sie haben
wollen; es ist ein bisschen schwierig, nachzuvollziehen,
was Sie konkret fordern. Darüber müssen wir noch diskutieren. Nichtsdestotrotz laufen diese Dinge doch nebenbei.
Über dem Ganzen steht das Grundgesetz. Es hat
schon immer seine verhaltensnormierende Kraft bewiesen. Das Grundgesetz stellt die letzte Berufungsinstanz
und zugleich einen Appell an die Bevölkerung dar. Sie
glauben doch nicht, dass Bürgerinnen und Bürger sämtliche Gesetze lesen und verstehen, die wir nach unseren
vielen Debatten beschließen. Aber die Bürgerinnen und
Bürger verstehen das Grundgesetz und wissen, was in
ihm steht. Sie verstehen, dass wir dort den Mutterschutz
und die Gleichstellung behinderter Menschen verankert
haben, und sie werden dann auch verstehen, dass wir
hinter den Kindern in Deutschland stehen. Darin sehen
wir weit mehr als nur einen deklaratorischen Akt. Dies
ist jetzt auch in Deutschland notwendig.
({2})
Ein sehr kluger Mensch hat irgendwann einmal gesagt, es seien die kleinen Lichter, die die großen anzündeten. Ich wünsche mir, dass es nicht die Große Koalition ist, die die Lichter der Kleinen auspustet.
Vielen Dank.
({3})
Jetzt spricht die Kollegin Kerstin Griese für die SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung habe ich einen Bericht vorgelegt, der zeigt, warum die beiden Anträge, die wir hier behandeln, noch nicht abschließend
im federführenden Ausschuss für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend behandelt wurden. Ich sage aber ausdrücklich vorweg: Mit beiden Themen, um die es in diesen Anträgen geht, mit der UN-Kinderrechtskonvention
und mit den Kinderrechten, beschäftigen sich der Familienausschuss, unser Unterausschuss, die Kinderkommission, und wir Abgeordnete uns nicht zuletzt auch in
Diskussionen mit Verbänden. Das Thema ist nicht etwa
unterschlagen worden; wir behandeln es ganz intensiv.
Allein, wir konnten innerhalb der Großen Koalition
nicht zu einer gemeinsamen Position kommen. Nichtsdestotrotz hat die SPD-Bundestagsfraktion eindeutige
Positionen: für die Aufhebung der Vorbehalte zur UNKinderrechtskonvention und für die Aufnahme der KinKerstin Griese
derrechte ins Grundgesetz. Wir kämpfen jetzt um parlamentarische Mehrheiten - so geht das in der Demokratie - für diese Positionen, damit sie zur Gesetzespraxis
werden können. Deshalb lassen Sie mich zu beiden Themen etwas sagen.
Die UN-Kinderrechtskonvention trat 1992 in
Deutschland unter einer schwarz-gelben Regierung in
Kraft. Das war ein wichtiger Schritt. Die erstmalige verbindliche Festschreibung der Kinderrechte war ein Paradigmenwechsel auf internationaler, aber auch auf nationaler Ebene. Die UN-Kinderrechtskonvention sagt klipp
und klar, dass Kinder eigene Rechte haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat 1992 aber unter der damaligen
Regierung fünf Vorbehalte gegen diese Konvention geltend gemacht. In den letzten Jahren haben wir es geschafft, fast alle dieser Vorbehalte aufzuheben. Jetzt geht
es noch um den Punkt IV, die Situation unbegleiteter
minderjähriger Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren.
Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung bereits mehrfach zur Rücknahme der Erklärung aufgefordert. In der letzten Legislaturperiode hat die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unserem damaligen
grünen Koalitionspartner einen Antrag zur UN-Kinderrechtskonvention in den Bundestag eingebracht. Seinerzeit haben wir festgestellt, dass die gute kinderpolitische
Bilanz der Bundesregierung - auch jetzt haben wir eine
sehr gute kinder- und familienpolitische Bilanz - durch
die nach wie vor bestehende Vorbehaltserklärung geschmälert wird. In der Abstimmung hat die FDP-Fraktion sowohl im Familienausschuss als auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages gegen den Antrag zur
Aufhebung der Vorbehaltserklärung gestimmt, und die
Unionsfraktion hat sich enthalten. Letzteres lässt meine
Hoffnung wachsen, dass wir hier zu einer gemeinsamen
Position kommen.
Leider galt damals und gilt auch noch heute, dass die
Rücknahme der Vorbehaltserklärung an der Mehrheit der
CDU-geführten Bundesländer scheitert. Unter Rot-Grün
hatten wir keinen Erfolg, als wir die Bundesregierung
aufforderten, erneut an die Landesregierungen heranzutreten, um ihre Zustimmung zur Rücknahme der Erklärung zu erwirken.
Ich möchte heute ganz deutlich sagen: Wir als SPD
unternehmen im Bund und in den Ländern einen neuen
Vorstoß. Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat eine Abfrage unter den A-Ländern mit dem Ziel eines erneuten
Vorstoßes zur Aufhebung der Erklärung gemacht. Das
Berliner Abgeordnetenhaus hat soeben beschlossen, sich
gegenüber Bund und Ländern für die Rücknahme der
Vorbehalte einzusetzen.
Wir sind also an dem Thema dran. Deshalb appelliere
ich eindringlich an unseren Koalitionspartner, an die
Union: Wirken auch Sie auf die von Ihnen regierten Länder ein! Sorgen Sie dafür, dass eine vollständige Unterstützung der UN-Kinderrechtskonvention nicht mehr an
den Ländern scheitert! Setzen Sie sich mit uns dafür ein,
dass Deutschland auch im internationalen Zusammenhang uneingeschränkt für eine kinderfreundliche Politik
steht! Ich denke, wir können gemeinsam eine sehr gute
Bilanz unserer Kinder- und Familienpolitik ziehen. Es
wäre aber das i-Tüpfelchen, das Highlight, wenn wir das
schaffen würden. Das ergäbe eine noch positivere Bilanz
unserer Regierungsarbeit in der Kinder- und Familienpolitik.
({0})
Das zweite Thema betrifft die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz: Kinder haben eigene Rechte.
Ich darf auch hier daran erinnern, dass wir 1998 mit der
Aufnahme des Rechts auf gewaltfreie Erziehung ins
BGB damit begonnen haben, Kindern als Subjekte eigene Rechte zu geben. Wir wollen, dass alle Kinder unter den besten Möglichkeiten aufwachsen. Wir wollen
die Rechte von Kindern stärken. Ein Anlass der Debatte
waren - es ist schon darauf hingewiesen worden - die
wirklich schlimmen Fälle von Kindesmisshandlung und
Kindesvernachlässigung. Wir wollen Kinder besser vor
Gewalt schützen. Dafür brauchen wir viele verschiedene
Ansätze.
Die SPD hat im Dezember 2007 einen SiebenPunkte-Aktionsplan vorgelegt. Die Kanzlerin und die
Ministerpräsidenten haben davon sechs Punkte beschlossen - alle außer dem Punkt „Kinderrechte ins Grundgesetz“ -, darunter passgenaue Hilfen für Eltern von
Anfang an, starke Netze für Kinder und Eltern, Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung, Stärkung der Jugendämter und der Familiengerichte sowie ein verbindliches Einladewesen für Vorsorgeuntersuchungen.
Es war gut, dass wir uns darauf geeinigt haben. Es
wäre aber noch besser, wenn wir noch mehr schaffen
würden, wenn wir es zum Beispiel schaffen würden, die
Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das ist mehr
als ein symbolischer Akt. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion einen konkreten Vorschlag für eine Ergänzung des Art. 6 im Grundgesetz beschlossen.
Ich möchte ganz herzlich dem Kinderschutzbund,
dem Kinderhilfswerk und UNICEF danken, die mit einer
breiten Initiative dafür geworben haben, dass wir eine
Mehrheit für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz finden.
({1})
Viele - von der Bundeskanzlerin über die Bundesfamilienministerin und die Bundesjustizministerin bis hin
zu vielen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen; soviel ich weiß, war mehr als das halbe Kabinett dabei - haben sich für die Aufnahme der Kinderrechte ins
Grundgesetz ausgesprochen. Wir brauchen dafür eine
Zweidrittelmehrheit im Parlament. Deshalb noch einmal
ein Appell an den Koalitionspartner: Schließen Sie sich
diesem Vorschlag für eine gute und sinnvolle Grundgesetzänderung an!
({2})
Tun Sie das im Sinne von mehr Kinderfreundlichkeit
und mehr Kinderschutz in unserem Land! Geben Sie
sich einen Ruck! Wir haben einen guten Vorschlag für
eine solche Änderung, einen verfassungsgemäßen Vorschlag, gemacht. Seine Umsetzung würde unsere kinder16352
und familienpolitische Bilanz, die schon sehr gut ist,
noch weiter verbessern.
Vielen Dank.
({3})
Jörn Wunderlich spricht jetzt für die Fraktion Die
Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die UN-Kinderrechtskonvention - 1992 mit
Vorbehalten angenommen. Diese Vorbehalte haben sich
durch Bundesgesetzgebung inzwischen zum Teil erledigt, aber eben nur zum Teil.
Schlimm genug ist, dass Deutschland Kinderrechte
nur für die eigenen Kinder, nicht für alle Kinder anerkennt. Noch schlimmer ist, finde ich, wenn dies über
Jahre hinweg nicht geändert wird, obgleich alle so tun,
als wenn die Kinder dieser Welt das Wichtigste sind, das
wir haben.
Die noch verbleibenden Vorbehalte betreffen im Ergebnis das Asyl- und Ausländerrecht. Warum wird das
nicht endlich geändert, zumal Ausländer- und Asylrecht
trotz Föderalismusreform weiterhin in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegen? Insofern reicht der immer wieder vorgetragene Einwand
der sogenannten Lindauer Absprache nicht - dabei handelt es sich um ein über 50 Jahre altes Abkommen, eine
Verständigung zwischen Bund und Ländern -; denn hier
geht es nicht um eine ausschließliche Zuständigkeit der
Länder.
Rücknahme dieser Vorbehalte. Am 18. Oktober 2006
sollte das Thema im Familienausschuss beraten werden.
Auf Antrag der SPD-Fraktion wurde es vertagt. Am
29. November 2006 sollte darüber erneut im Ausschuss
beraten werden. Diesmal wurde es auf Antrag der CDU/
CSU-Fraktion vertagt. Zuletzt wurde es am 5. März
2008, wieder auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion, von
der Tagesordnung runtergestimmt. Das geschah jeweils
- wechselseitig - mit den Stimmen des Koalitionspartners.
Geschäftsordnung des Bundestags. Wenn ein Antrag
nach zehn Wochen nicht im Ausschuss behandelt worden ist, kann eine Erklärung eingefordert werden, wie sie
heute von der Ausschussvorsitzenden abgegeben worden
ist. Dieser Antrag auf Rücknahme der Vorbehalte der
UN-Kinderrechtskonvention ist seit 102 Wochen nicht
im Ausschuss behandelt worden.
({0})
Ich frage mich: Warum wird das durch die Regierungskoalition immer wieder verschoben? Wenn ich zusammenfasse, dann sehe ich bestätigt, was ich immer schon
vermutet habe: Diese Regierungskoalition drückt sich
vor einem Bekenntnis zu Ihrer Politik.
({1})
Diese Regierung ist ausländerfeindlich. Das spiegelt sich
nicht nur in diesem Verfahren zu den Kinderrechten wider. Nein, es spiegelt sich auch in den Möglichkeiten behördlicher Vaterschaftsanfechtungen bei binationalen
Partnerschaften wider. Es spiegelt sich an vielen Stellen
wider. Es geht um Kinder, die die einzig Unschuldigen
in diesem Land sind. Es geht um Kinder, die sich ihr Geburtsland nicht aussuchen. Es geht um Kinder, die aus
Krisen- und Kriegsgebieten hierher zu uns flüchten. Es
geht um Kinder, die ihre Familien zurücklassen mussten
und um Kinder, die all ihre Hoffnungen in uns legen.
({2})
Diesen Kindern versagt diese Regierung ihre Rechte.
Kinderrechte in der Verfassung will sie auch nicht.
({3})
Die Kinderkommission will dies partei- und fraktionsübergreifend schon. Die Koalition versagt sich dem.
Wenn die Regierung das schon macht, dann soll sie dies
zumindest auch in der Öffentlichkeit sagen, sich dazu
bekennen und dies nicht immer mit irgendwelchen Ausflüchten und falschen Darstellungen und Bekundungen
wie zum Beispiel mit dem Nationalen Aktionsplan „Für
ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ schönreden. Lehnen Sie doch die entsprechenden Anträge ab.
Bekennen Sie sich zu Ihrer eigenen Politik, aber stellen
Sie sich nicht dauernd als Verfechter der Kinderrechte
dar, denn das sind Sie wahrlich nicht.
({4})
Herr Singhammer, wenn Sie einleitend sagen, dass diejenigen, die Kindern Rechte verweigern, nicht bei Sinnen
sind, dann bestätigt sich in dieser Selbstanzeige mein
Eindruck von Ihrer Fraktion.
({5})
Frau Griese, Sie sagen, die SPD sei für die Aufnahme
der Kinderrechte in die Verfassung und suche jetzt parlamentarische Mehrheiten. Hier gilt einfachste Mathematik, gilt die Addition. Dazu muss man noch nicht einmal
Prozentrechnung können. Mit der SPD plus der Opposition haben Sie eine parlamentarische Mehrheit. Sie müssen einfach addieren.
Danke schön.
({6})
Zum Abschluss dieser Debatte spricht die Kollegin
Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe zurzeit immer das Glück oder das Recht, zuletzt
zu reden. Mir kann keiner mehr widersprechen, das ist
das Schöne. Ich behalte immer das letzte Wort.
Marlene Rupprecht ({0})
({1})
Darauf kann man antworten.
Das machen wir heute nicht aus. - Ich gehöre diesem
Parlament seit 12 Jahren an. Ich bin seit 12 Jahren im
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
12 Jahre lang begleite ich die Forderung nach der Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention. In dieser Zeit haben wir vieles geschafft. Bis
auf einen Vorbehalt haben wir eigentlich alle in harten
und zähen Verhandlungen rechtstatsächlich beseitigt.
Mancher Minister musste schon sehr bekniet werden,
damit er dies in seinem Haus durchsetzt. Manchmal
mussten bürokratische Hürden entfernt werden, aber wir
haben es geschafft.
Es bleibt eine Gruppe von circa 300 Jugendlichen im
Jahr, die im Alter zwischen 16 und 18 Jahren nach
Deutschland kommen. Das sind die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Diese werden bei
uns vom Ausländer- und vom Asylrecht sowie von einigen weiteren Rechten berührt. So mancher glaubt, dass
diese Jugendlichen die Demokratie in Deutschland erschüttern, indem sie zum Vorbild werden und alle anderen nachfolgen werden, und verweigert deshalb die
Aufgabe des letzten Vorbehalts. Man verkennt, dass
„Kinder“ nach der UN-Kinderrechtskonvention Kinder
im Alter von 0 bis 18 Jahren sind. Das haben wir unterzeichnet. Nur wir leisten uns ein nationales Recht, in
dem wir das nicht einhalten.
Ich sage dies an alle. Ich habe schon viele Minister
des Inneren kommen und gehen sehen. Die Bereitschaft,
daran etwas zu ändern, war nicht sehr groß. Ich habe erlebt, dass Länderinnenminister von A- und B-Ländern,
das heißt von mehrheitlich von der SPD bzw. der CDU/
CSU regierten Ländern, mal dafür und mal dagegen waren. Derzeit haben wir die Situation, dass alle SPD-regierten Länder dafür sind. Ich kann die Motivation, die
dahinter steht, nicht nachvollziehen, denn die Zahl der
minderjährigen Flüchtlinge, die unbegleitet kommen,
sinkt. Sie steigt nicht. Aber es ist so wie bei einem Grabenkrieg: Man hockt im Bunker, bleibt drin, selbst wenn
man darin verhungern muss. Es ist einem völlig wurscht.
In den Staatenberichten der UN, in denen wir normalerweise als Staat beschrieben werden, der mit seiner
Kinder- und Jugendpolitik in der ersten Liga spielt, bekommen wir hierfür eins auf die Mütze. Bei der letzten
Sitzung der Kinderkommission sagte eine Sachverständige: Hört endlich auf! Alles, was ihr macht, hat keinen
Wert, wenn ihr nicht in der Lage seid, 300 Kinder oder
sogar weniger in einer Art und Weise zu behandeln, die
der entspricht, zu der ihr euch mit eurer Unterschrift verpflichtet habt. - Jetzt frage ich das Hohe Haus: Sind wir
wirklich nicht in der Lage, das hinzubekommen? Ich
will, dass wir das in dieser Periode hinbekommen. Verdammt noch mal, es muss doch machbar sein, dass wir
beim nächsten Staatenbericht der UN nicht wieder die
Hucke vollbekommen. Diese Forderung der Grünen
kann ich voll unterstützen; ich habe diese auch bisher
immer unterstützt.
({0})
Ich sage auch gleich etwas dazu, warum wir im Ausschuss so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Es
wird hier immer alles so verklausuliert dargestellt. Hätten wir im Ausschuss über den Antrag abgestimmt, wäre
ich wahrscheinlich die Einzige aus meiner Fraktion gewesen, die zugestimmt hätte. Der Rest hätte sich an die
Vereinbarung im Koalitionsvertrag gehalten. Damit die
Zuschauer wissen, warum das so ist: Früher hatten wir
einen Koalitionsvertrag mit den Grünen,
({1})
jetzt haben wir einen mit der CDU/CSU. Wenn es also
im Ausschuss zu einer Abstimmung gekommen wäre,
hätten die meisten von uns nicht mitstimmen können,
um den Koalitionsvertrag nicht zu gefährden. Sie wären
dann genauso wie früher die Kolleginnen und Kollegen
von den Grünen, wenn sie bei der Abstimmung in eine
Zwickmühle kamen, herausgegangen. Der Antrag aber
wäre abgelehnt worden und wäre jetzt nicht mehr im
parlamentarischen Verfahren. Deshalb hat man geschaut,
welche Verfahrensmöglichkeiten es gemäß der Geschäftsordnung gibt, um den Antrag im Spiel zu lassen.
Der Ball ist noch im Spiel. Das garantiere ich Ihnen.
({2})
Das ist also der Grund, warum wir uns so verhalten haben, und ich bin froh, dass wir heute darüber diskutieren.
Im vorliegenden Antrag fordern die Grünen nun, die
Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Ich höre
in Diskussionen immer wieder, so zum Beispiel auch
von Herrn Singhammer: Was bringt das denn? - Hat sich
schon mal jemand gefragt, was ihm „das Recht auf die
freie Entfaltung“ in Art. 2 des Grundgesetzes bringt?
({3})
Kein Mensch hat sich das bisher gefragt. Aber sollte
man diese Formulierung deshalb herausstreichen? Nein.
Es wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau
aufgenommen. Warum wurde sie aufgenommen? Weil
man darin ein Spiegelbild für eine gesellschaftlichen
Entwicklung sah, hat man sich gesagt: Da die Gleichberechtigung noch nicht überall gewährleistet ist, ist staatliche Unterstützung notwendig. Deswegen wurde dieser
Punkt in Art. 3 aufgenommen.
({4})
Ich hoffte eigentlich, dass wir gesellschaftlich endlich
bereit wären, die Stellung der Kinder in der Gesellschaft
sich in der Verfassung widerspiegeln zu lassen. Eine
Verfassung ist nämlich ein Spiegelbild der Werteordnung eines Staates bzw. einer Gesellschaft. Unsere Ver16354
Marlene Rupprecht ({5})
fassung ist von Erwachsenen für Erwachsene gemacht
worden. Da kommen deshalb die Kinder, wie es Frau
Gruß eben gesagt hat, nur als Objekte vor. Mir wäre es
wichtig, dass sich, nachdem wir die Aufmerksamkeit auf
die Kinder gelenkt haben - ein Ergebnis ist diese Debatte - und erste positive Niederschläge in Gesetzgebungsverfahren zu verzeichnen sind, die geänderte Haltung auch dort widerspiegelt, wo ein Staat ganz
eindeutig seine Werteordnung festlegt, nämlich in der
Verfassung. Hier ist natürlich die Frage, was es einem
bringt, völlig fehl am Platz.
({6})
Vielmehr ist das der Ausdruck des gesellschaftlichen
Willens, wem welche Stellung zukommen soll. Wir wollen, dass den Kindern eine Stellung als eigenständige
Wesen mit eigenen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten zukommt.
({7})
Ich hoffe, dass wir alle noch da hinkommen, auch unser Koalitionspartner. Ich mache heute wieder den Aufschlag und rufe Ihnen zu: Geben Sie sich einen Ruck!
Überlegen Sie es sich! Sie verlieren nichts, im Gegenteil: Sie bekommen gute Demokraten!
Danke schön.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der FDP
Haltung der Bundesregierung zur Tätigkeit
deutscher Sicherheitskräfte in Libyen
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Die FDP tritt seit langem für eine wirksamere
Kontrolle der Nachrichtendienste ein. Wir haben dazu
längst einen Gesetzentwurf eingebracht. Jetzt - das ist
das erfreuliche Ereignis dieser Woche - beginnt die Koalition, unserer Initiative zuzustimmen; sie hat sie aufgegriffen. Wir werden hier einen Schritt vorankommen.
({0})
Aber wir stehen auch nicht an, nach der Sitzung des
Kontrollgremiums am Mittwoch ganz offen zu sagen: In
der Libyen-Affäre geht es gar nicht um eine Affäre des
Bundesnachrichtendienstes, sondern um erhebliche Versäumnisse der Bundesregierung.
({1})
Die Debatte über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes hätte beinahe den Blick auf die Unterlassungen der
Bundesregierung verstellt. Deswegen ist es notwendig,
heute in der Aktuellen Stunde darauf noch einmal zurückzukommen.
Da passt sehr gut, dass der Tagesspiegel heute unter
der Überschrift „Brutal, korrupt, chaotisch“ eine Studie
der Stiftung Wissenschaft und Politik über die derzeitige
politische Lage in Libyen zitiert. Nach dieser Studie sei
Europa in der Sicherheitspolitik gut beraten, „eine gewisse Distanz zu Libyen zu wahren“. Die Studie mahnt
Vorsicht bei der „Kooperation mit libyschen Sicherheitsapparaten im Kampf gegen den Terrorismus“ an. Gerade
Oppositionelle würden in Libyen weiterhin als Terroristen gebrandmarkt. Das ist der aktuelle Hintergrund.
Es liegt doch auf der Hand, dass dann, wenn Deutsche, und sei es eine private deutsche Sicherheitsfirma,
an der Ausbildung von Polizisten, womöglich von Geheimpolizisten, in einem solchen Staat beteiligt sind, ein
solcher Sachverhalt geeignet ist, unser Ansehen in der
Welt zu schädigen.
({2})
Wenn dem so ist, dann darf eine Bundesregierung nicht
einfach abtauchen und die Dinge laufen lassen.
Nicht ohne Grund hat doch Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, gesagt - ich zitiere ihn wörtlich -:
Allein bei Erwähnung des Namens Libyen müssen
beim BND alle roten Lampen angehen.
Ich füge hinzu: nicht nur beim BND, sondern auch beim
Bundesinnenministerium, beim Auswärtigen Amt und
bei der gesamten Bundesregierung.
({3})
Was haben wir stattdessen in den letzten Tagen erlebt? Diese Bundesregierung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als hätte sie von den Vorgängen in Libyen überhaupt nichts gewusst. Dieses Wegducken ist
nicht weiter zulässig. Denn es ist nachweislich falsch,
dass die Bundesregierung hier unwissend gewesen wäre.
Leider kommt die Wahrheit nur scheibchenweise ans Tageslicht. Das Bundesinnenministerium hat selber vorgetragen, im November 2007 informiert worden zu sein,
und zwar von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Das Bundesverteidigungsministerium hat vorgetragen, im Jahr 2006 informiert gewesen zu sein. Wir wissen, dass das Auswärtige Amt weitaus früher informiert
war; im Dezember 2005 hat das Auswärtige Amt ja zu
einer Munitionslieferung nach Libyen Stellung genommen und richtigerweise seine Meinung kundgetan, diese
sei zu untersagen. Dann kann man aber doch allenfalls
sagen, man habe vielleicht über Details nicht Bescheid
gewusst. Auf jeden Fall wusste man: Eine deutsche Sicherheitsfirma ist in einem hochsensiblen Bereich in einem hochproblematischen Land tätig.
Deswegen ist die FDP der Meinung, dass die Bundesregierung mindestens einen Rechtsverstoß und drei VerDr. Max Stadler
stöße gegen ihre politischen Obliegenheiten begangen
hat.
({4})
Den Rechtsverstoß hat die Bundesregierung begangen,
indem sie dem Parlamentarischen Kontrollgremium
nicht darüber berichtet hat. Außerdem hat sie drei politische Unterlassungen begangen: Erstens. Sie hat nicht die
Landesregierungen der betroffenen Bundesländer informiert, die ja beamtenrechtlich hätten einschreiten können. Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht den Bundestag über den Sachverhalt in Libyen informiert,
wodurch sie eine Debatte darüber hätte herbeiführen
können, ob man aus außenpolitischen Gründen sozusagen einen Wandel durch Annäherung anstreben sollte
oder ob es die richtige Politik wäre, die Distanz zu
Libyen gerade in diesem sensiblen Sicherheitsbereich als
Letztes aufzugeben und den Wandel vielleicht erst in anderen Bereichen zu fördern.
({5})
Drittens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keine
rechtliche Handhabe gehabt, einzuschreiten. Dann hätte
sie aber dem Bundestag diesen Sachverhalt „Libyen“
vortragen und eine Debatte etwa über eine Ausweitung
des Außenwirtschaftsgesetzes herbeiführen können,
vielleicht mit Anzeigepflichten beim Export von problematischen Dienstleistungen in problematische Länder.
Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat 2004
einen sehr schönen Antrag zu diesem Thema gestellt.
Warum nehmen Sie diesen Antrag jetzt, wo Sie in der
Regierung sind, nicht zum Maßstab Ihres Handelns?
({6})
Es bleibt dabei: Die Affäre Libyen reicht weit über
den Bundesnachrichtendienst hinaus.
Kollege Stadler, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit?
Die Affäre ist ein Beleg für Defizite der Bundesregierung im Umgang mit problematischen Staaten und für
Unterlassungen im Umgang mit diesem Parlament.
Vielen Dank.
({0})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Holger
Haibach das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts
der Versuche der Opposition, einen großen Skandal zu
konstruieren, muss ich sagen, dass dies völlig an den
Tatsachen vorbeigeht, denen wir uns heute stellen müssen.
({0})
Diese Aktuelle Stunde ist wenigstens dazu geeignet,
klarzumachen, worum es eigentlich geht. In den letzten
Tagen ist mehrfach von der Verantwortung der Geheimdienste, der Bundesregierung und der Landesregierungen gesprochen worden, ohne dass jemand einmal den
Versuch gemacht hat, ganz genau darzulegen, was eigentlich passiert ist.
Aktive Mitglieder von Sicherheitsdiensten haben
während ihres Urlaubs oder während der Zeit, in der sie
krankgeschrieben waren, in Libyen ganz offensichtlich
Sicherheitskräfte trainiert, ohne dass sie das ihrem Arbeitgeber mitgeteilt haben. Dieses Verhalten kann nicht
angehen; es muss verfolgt werden und muss dienstrechtliche Konsequenzen haben. Das ist unbestreitbar richtig.
Getrennt davon muss die Frage behandelt werden,
wer davon etwas gewusst hat und ob das Parlament die
notwendige Kontrolle über die Handlungen unserer Geheimdienste hat. Darüber hinaus stellt sich die Frage,
welche Mittel wir anwenden können, um zu einer besseren Kontrolle zu kommen. Dass die CDU/CSU-Fraktion
Handlungsbedarf sieht, erkennt man an der Tatsache,
dass wir entsprechende Maßnahmen zur Stärkung des
Parlamentarischen Kontrollgremiums vorschlagen.
({1})
Wir sehen also die Notwendigkeit, die Kontrolle zu
verbessern. Das heißt aber nicht automatisch, dass wir es
mit einem handfesten Skandal zu tun haben. Trotzdem
ist eine Aufklärung notwendig. Aber dies sollten wir auf
der Basis gesicherter Daten und nicht auf der Basis irgendwelcher Vermutungen tun.
({2})
Wir haben im Jahr 2004 - der Kollege Stadler hat
schon darauf hingewiesen - einen Antrag zum Thema
Registrierung und Behandlung von nichtstaatlichen Sicherheitsunternehmen eingebracht. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die damalige rot-grüne Mehrheit - das
will ich erwähnen, weil sich Kollege Ströbele in dieser
Debatte so ereifert - dies abgelehnt hat.
({3})
Ganz interessant ist auch die Antwort der damaligen
rot-grünen Bundesregierung auf eine Anfrage der FDPFraktion zu diesem Thema. Da heißt es, dass die Registrierung einen erheblichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit bedeuten würde, ohne dass die Aussicht
besteht, dadurch ungewollte Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen in Drittstaaten zu erschweren oder zu
unterbinden. Das ist schon interessant: Die FDP, die Partei der freien und sozialen Marktwirtschaft, fordert eine
Registrierung, und Rot-Grün hat sie abgelehnt. Das ist
ein interessanter Nebenaspekt in dieser Angelegenheit.
Ich komme zum Kern der heutigen Debatte zurück.
Neben der Beantwortung der Frage, wer etwas gewusst
haben könnte,
({4})
und neben der Notwendigkeit, all diese Dinge aufzuklären, sollten wir darüber diskutieren, welchen Umgang
wir mit einem Staat wie Libyen pflegen wollen. Diese
Frage hängt aber nicht an diesem speziellen Fall, in dem
es um die Aufklärung von Sachverhalten geht, die nicht
im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stehen.
Für einen Außenpolitiker stellt sich die weit darüber hinausreichende Frage, wie man mit einem Staat umgehen
soll, der sich seit 2004 verändert hat. Wenn man sich die
Berichte der Menschenrechtsorganisationen anschaut,
dann muss man allerdings schlussfolgern, dass die Veränderungen, die 2004 - aus welchen Gründen auch immer - begonnen haben, bei weitem noch nicht so weit
fortgeschritten sind, wie wir uns das wünschen. Als
Menschenrechtspolitiker bin ich der Letzte, der das bestreiten würde.
({5})
Wenn wir aber sagen, dass wir auf eine - wie auch
immer geartete - Zusammenarbeit mit einem solchen
Staat angewiesen sind, lautet doch die spannende Frage:
Wie können wir diese Zusammenarbeit vernünftig gestalten?
({6})
Für uns stellt sich hier nicht in erster Linie die Frage
nach dem Einsatz privater Sicherheitsunternehmen. Wir
stehen vielmehr vor derselben Frage, vor der wir zum
Beispiel standen, als die sogenannten Kofferbomber entdeckt worden sind. Sie wissen doch ganz genau, dass die
Information damals vom syrischen Geheimdienst kam.
Was hätten wir damals denn machen sollen? Die Information nicht verwenden?
Vor dieser Frage, vor diesem Dilemma werden wir
immer wieder stehen.
({7})
Deswegen warne ich vor Vorurteilen und vorschnellen
Verurteilungen. Ich glaube, wir haben die Verpflichtung,
den Sachverhalt aufzuklären. Das sollten wir in aller
Ruhe und in aller Sachlichkeit tun. Wir sollten nicht einen Skandal herbeireden, der keiner ist, sondern uns in
Ruhe über die Konsequenzen für die Zukunft unterhalten.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković für die
Fraktion Die Linke.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Von einem Fraktionsmitglied der
Linken erwarten Sie jetzt sicher, dass es in Sachen Libyen
die moralische Keule auspackt, und vor allem, dass es beklagt, dass die Bundesrepublik einerseits weltweit und
entschieden für die Wahrung der Menschenrechte eintritt,
andererseits aber einen Staat, der diese Menschenrechte
geradezu mit Füßen tritt, durch die Ausbildung seines Sicherheitspersonals genau dabei unterstützt. Heute muss
ich Ihre Erwartungen aber enttäuschen; denn heute will
ich das tun, was Kollegen aus anderen Fraktionen schon
das eine oder andere Mal getan haben - größtenteils leider
in einem anderen Kontext -: schärfere Kontrollen und
härtere Gesetze fordern.
Der deutsche Staat vermittelt seinen Polizisten und
Soldaten auch das Handwerk des Tötens. Das ist nur gerechtfertigt, weil sie damit unseren Staat und seine Bürger schützen sollen. Deswegen dürfen die so erworbenen
Fähigkeiten auch nur zu diesem Zweck eingesetzt werden.
({0})
Wer dafür ausgebildet wird, den Bundespräsidenten zu
schützen, darf nicht später einen Diktator oder Mafiaboss schützen.
({1})
Ein solcher Arbeitgeberwechsel muss verhindert werden, nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch,
um unsere eigene Sicherheit nicht zu gefährden. Wer
sagt uns denn, dass zum Beispiel ein Staat wie Libyen
die von deutschen Sicherheitsexperten erworbenen Fähigkeiten nicht eines Tages gegen uns verwendet? Ich
darf an den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La
Belle“ erinnern, der, wie sich später herausstellte, von
der libyschen Regierung in Auftrag gegeben wurde. Damals waren zuvor deutsche Staatsdiener aus der DDR
und der Bundesrepublik ans Mittelmeer gereist, um
Gaddafis Truppe zu schulen.
Unsere Sicherheit ist auch dadurch gefährdet, dass ein
gewaltiger Markt für solche Sicherheitsdienstleistungen
besteht. Auf diesem Markt stehen deutsche Ausbilder
wegen ihrer Qualitäten weltweit hoch im Kurs. Das ist
ein Ruf, der eher Anlass zur Sorge als zum Stolz bietet,
und zwar zum einen, weil Libyen nicht das einzige Land
war, an das deutsches Sicherheits-Know-how verscherbelt wurde, zum anderen, weil das Verscherbeln nicht
mehr nur im Nebenerwerb erfolgt, sondern Soldaten und
Polizisten sich dazu verleiten lassen, den Dienst beim
Staat vorzeitig zu quittieren. Mit den schwindelerregenden Honoraren der Privatwirtschaft kann der Staat natürlich nicht mithalten. Und so verliert er die, die geschworen haben, ihn zu schützen. Durch diesen schleichenden
Export wird die Sicherheit unseres Landes verkauft.
Zu diesem gefährlichen Prozess hat meine Fraktion
der Bundesregierung bereits Anfang 2006 die richtigen
Fragen gestellt. Wir wollten wissen, wie verhindert werden kann, dass staatliches Sicherheitswissen in die falschen Hände gelangt. Wir wollten wissen, wie verhindert werden kann, dass sich Berufssoldaten an diesem
Wissenstransfer beteiligen.
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer heißt ein
Bild von Francisco de Goya, das nicht zuletzt so bekannt
geworden ist, weil es genau die Mechanismen beschreibt, um die es hier geht. Es ist ein Bild, das zu dem
auffordert, was wir - leider vergeblich - vor zwei Jahren
versucht haben: die Bundesregierung wachzurütteln.
Denn während sie in aller Seelenruhe an Antworten auf
unsere Fragen bastelte, gingen die Schulungen in Libyen
ohne störende Einmischung der Regierung über die
Bühne.
({2})
Die Bundesregierung teilte uns mit, dass man die vorhandenen Gesetze für den Umgang mit privaten Militärdienstleistern für ausreichend halte. Sie teilte uns weiter
mit, dass bereits die Verschwiegenheitspflicht Soldaten
daran hindere, das von ihrem Dienstherrn vermittelte
Wissen in fremde Hände weiterzugeben.
Die Frage, ob die Bundesregierung diesen Wissenstransfer aktiv förderte, etwa um sich für die Kooperation
Libyens in der Flüchtlingspolitik, das Freikaufen der
Jolo-Geiseln und den offenen Empfang deutscher Wirtschaftsdelegationen erkenntlich zu zeigen, ist in diesem
Zusammenhang nicht die wichtigste. Denn ihre Beantwortung hilft uns bei der Lösung der erwähnten Probleme nicht weiter. Etwas weiter hilft uns - das muss ich
einräumen - die Ankündigung der Regierung, nun tatsächlich zu prüfen, welche Gesetzesänderungen notwendig sind, um den Ausverkauf von staatlichem Sicherheits-Know-how zu verhindern.
Wir mit unserem Denkvorsprung von zwei Jahren stehen gerne für ein paar Nachhilfestunden zur Verfügung, in
denen es zum Beispiel darum gehen würde, die Strafandrohung für den Transfer von materiellen Rüstungsgütern in
kritische Staaten auf den Transfer von immateriellen Rüstungsgütern auszudehnen, also auf die Vermittlung von
Handwerkstechniken und Methoden. In diesen Nachhilfestunden würde es auch darum gehen, die dienstrechtlichen Vorschriften für Soldaten und Polizisten so zu konkretisieren, dass sie weder im Urlaub noch nach dem
Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ihre erworbenen
Kenntnisse ungestraft privatisieren und kapitalisieren
können.
({3})
Wir sind bereit - man könnte als Linke sogar sagen:
allzeit bereit -, den Grundstein für den Bau eines so gearteten neuen Sicherheitsstaates zu legen.
Kollege Nešković, das müssen wir jetzt verschieben.
({0})
Ich bin am Ende meiner Rede. - Lassen Sie die Vernunft im Schlaf nicht länger Ungeheuer gebären, sondern ringen Sie sich dazu durch, endlich aufzuwachen.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Michael
Hartmann das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Herr Nešković, Sie haben einige Male über die
Vernunft im Staate gesprochen. Wissen Sie - ich wende
mich nun auch an den Juristen Nešković -, zur Vernunft
im Staate gehört auch, dass man nicht Skandal und Affäre schreit und nicht sofort einen Untersuchungsausschuss fordert, bevor man sich um eine Klärung der Fakten bemüht hat.
({0})
Lassen Sie die Kirche im Dorf, und klären Sie im Interesse unseres Staatswohls die Fakten, bevor Sie schreien.
({1})
Meine zweite Bemerkung. Nachdem heute mit dieser
Debatte wieder einmal eine Woche der nationalen Empörung zu Ende geht,
({2})
nehme ich sehr gerne auf, Herr Nešković, was hier über
den Umgang mit Diktaturen gesagt wurde. Wenn Sie,
Herr Nešković, Nachhilfe erteilen wollen, wären wir bereit, auch Ihnen und Ihrer Fraktion Nachhilfe im Umgang mit der Diktatur in Kuba zu erteilen.
({3})
Wenn wir hier über private Sicherheitskräfte reden,
dann sprechen wir über eine Firma, die auf eigene Rechnung und mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften - die
Firma ist übrigens mittlerweile pleite -, agiert hat, und
zwar in einer Art und Weise, die seitens der Bundesrepublik Deutschland weder gefördert noch geduldet noch
gewünscht wurde.
({4})
Das sollten Sie einmal offen aussprechen und nicht einen
Verdacht im Raum stehen lassen.
Im Übrigen waren keine Dienststellen des Bundes daran beteiligt; die Polizeibeamten, um die es geht, waren
nicht mehr im Dienste der Bundesrepublik Deutschland.
Auch daran darf man heute erinnern. Das heißt, es wurde
weder geduldet noch gefördert noch gar von der Bundesrepublik Deutschland verursacht.
Wir haben schon einiges über die Zusammenarbeit
mit Libyen gehört. Libyen ist in der Tat, wie viele andere
Staaten auch, zum Beispiel Kuba - ich könnte noch weiWolfgang NeškoviæWolfgang Nešković
Michael Hartmann ({5})
tere nennen -, ein heikler Staat. Allerdings wurde dieser
Staat im Jahre 2005 durch einstimmigen Beschluss der
Vereinten Nationen von der Liste der sogenannten
Schurkenstaaten gestrichen.
Damit wir uns nicht missverstehen: Niemand fühlt
sich besonders wohl, wenn er Kontakt zu diesem Staat
pflegt. Aber alle Mitglieder dieses Hauses, die seriös
über dieses Thema diskutieren, wissen: Es ist notwendig
- Herr Staatssekretär Altmaier, auch ich halte das für
richtig -, dass wir auch mit diesem Staat Kontakt pflegen. Warum? Weil es im Interesse unserer nationalen inneren Sicherheit ist, dass wir auch mit einem Staat wie
diesem behutsam, zurückhaltend, sensibel und vorsichtig
agierend umgehen.
Wenn Sie sich die bekannten Berichte anschauen,
dann stellen Sie beispielsweise fest, dass al-Qaida mittlerweile zu gut einem Drittel einer libyschen Fraktion
entspricht. Wenn Sie sich die offen zugänglichen Informationen genau anschauen, dann stellen Sie außerdem
fest, dass Libyer im Netzwerk der al-Qaida leider eine
große und bedeutende Rolle spielen. Wir brauchen also
das dortige Wissen. Wir müssen damit allerdings so umgehen - das werden wir auch tun, und das tun wir bereits -,
dass unsere rechtsstaatlichen Grundsätze gewahrt bleiben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns, anstatt
Scheindebatten zu führen und Scheinskandalisierungen
vorzunehmen, doch lieber einmal über die spannende
Frage sprechen: Wie geht man eigentlich mit der Privatisierung der Sicherheit, die weltweit stattfindet, um?
({6})
Das ist ein heikles Thema. Wir Sozialdemokraten sagen
ganz klar: Es ist eine der Kerngarantien des Staates - dafür gibt es überhaupt Staaten -, dass die innere Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird.
In einer zusammenwachsenden Welt muss man diese Situation natürlich im internationalen Zusammenhang betrachten.
Ich möchte sehr gerne in einem konstruktiven Dialog
mit Ihnen darüber reden, wie man verhindern kann, dass
private Anbieter, die kommerzielle Interessen haben, das
von ihren Mitarbeitern im Staatsdienst erworbene Wissen verwenden. Das ist eine spannende Frage. Dieses
Problem können wir nicht national und nicht allein lösen,
({7})
sondern nur in einem internationalen Verbund. An den
Stellen, an denen wir auf nationaler Ebene aktiv werden
können - Herr Ströbele, ich greife Ihren Zwischenruf
gerne auf -, sollten wir dies allerdings tun.
Eine Auffassung scheint dieses Haus zu einen: dass
die Gewährleistung der inneren Sicherheit, der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eine Aufgabe des Staates ist. Der Staat ist wichtig und darf deshalb nie wirtschaftlichen Interessen geopfert werden. Da wir uns in
diesem Punkt einig sind, freue ich mich auf die Debatte
und darauf, dass Ratio bald wieder Emotio ersetzt.
Vielen Dank.
({8})
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nach wie vor eine Libyen-Affäre,
({0})
auch wenn das manch einer infrage gestellt hat. Diese
Affäre war es wert, dass wir uns in der letzten Woche damit beschäftigt haben. Sie ist es auch wert, dass wir uns
in dieser Woche und in den kommenden Wochen damit
befassen.
({1})
Die Justiz in Nordrhein-Westfalen hat sich sogar vorgenommen, in diesem Fall einige Jahre zu ermitteln; das
hat sie zumindest verlautbaren lassen.
Dort sind 30 Beamte der Polizei - heute heißt es sogar, dass es 40 Beamte waren - in ihrem Urlaub
({2})
einer etwas eigenartigen Beschäftigung nachgegangen.
({3})
Sie haben in Libyen Sicherheitskräfte ausgebildet und
geschult, und das für sehr viel Geld.
({4})
Das darf nicht sein. Das ist nicht nur eine Affäre, sondern auch ein Skandal.
({5})
Der schlimmere Skandal ist aber, dass die Verantwortlichen im Bundesnachrichtendienst und in der Bundesregierung, als sie davon erfahren haben - davon ist
nicht etwa nur ein einziges Mitglied der Bundesregierung, sondern sind ein halbes Dutzend Ministerien unterrichtet worden -, offenbar nur mit großen Augen und offenem Mund dastanden
({6})
und sagten: Was sollen wir denn da machen? Das ist
doch eine Privatfirma. Die Beamten haben das doch in
ihrer Freizeit gemacht. Dürfen sie denn in ihrer Freizeit
nicht machen, was sie wollen? - So wurde das bisher behandelt. Das haben wir gerade wieder gehört.
Ich frage mich, wie das sein kann: Wenn eine Privatfirma 50 Pistolen nach Libyen bzw. in Staaten, in denen
die Menschenrechte nicht gewahrt werden, liefern will,
dann braucht sie dafür nach bundesdeutschem Recht
eine Genehmigung. Wenn sie diese Genehmigung nicht
hat und die Waffen trotzdem liefert, erhält sie Besuch
vom Staatsanwalt und bekommt ein Strafverfahren an
den Hals. Am Ende muss sie eine hohe Geldstrafe zahlen, oder jemand kommt dafür ins Gefängnis. Wenn aber
dieselbe Privatfirma in Deutschland Polizei- oder Sicherheitsbeamte, die über ein großes Know-how in Bezug auf die Sicherheit unseres Landes verfügen, anwirbt,
um sie in ihrer Freizeit oder nach ihrer Entlassung aus
dem Dienst in Staaten zu schicken, in denen die Menschenrechte nicht gewahrt, sondern mit Füßen getreten
werden, bei denen sogar der Verdacht besteht, dass sie
terroristische Aktivitäten unterstützen, und dort die Polizei und andere Sicherheitsorgane auszubilden, und zwar
auch auf die Gefahr hin, dass diese von Deutschen erlernten Fähigkeiten genutzt werden, um etwa Hausdurchsuchungen oder das Stürmen von Flugzeugen besonders wirkungsvoll durchzuführen, dann bleibt das
folgenlos. Das ist ein Skandal. Da müssten BND und
Bundesregierung aufschreien und sagen: Wenn wir keine
Gesetze haben, die hier zum Tragen kommen, dann müssen sie sofort geschaffen werden.
({7})
Im Außenwirtschaftsgesetz gibt es in Ansätze - Herr
Kollege Nešković, Sie haben bereits darauf hingewiesen -,
wonach das möglicherweise schon heute zu unterbinden
wäre. Man muss sich das einmal genau anschauen und
überlegen, was da nachzubessern ist.
Ich erwarte von der Bundesregierung und der Koalition - daran beteiligen wir uns gerne -, dass sie in der
Weise tätig werden, dass so etwas in Zukunft nicht mehr
vorkommen kann. Auch Privatfirmen müssen um Genehmigungen nachsuchen, die aber für Fälle wie Libyen,
Syrien oder ähnliche Staaten nicht erteilt werden dürfen.
Diese Regelung muss strafbewehrt sein, damit sich die
Menschen auch daran halten. Wir haben bereits die entsprechenden Institutionen, wenn es um Waffen oder Material, das zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen kann, geht. Hier könnten wir also etwas tun.
Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen - ich muss
mich gleich verabschieden -,
({8})
der auf den ersten Blick nicht zum Thema zu gehören
scheint; dennoch gehört er dazu. Heute vor 40 Jahren ist
hier in Berlin am Kurfürstendamm Rudi Dutschke mit
drei Schüssen in den Kopf niedergestreckt worden. Ich
nehme dieses Ereignis zum Anlass - ich eile gleich an
den Kurfürstendamm, um dort zu reden und dieses Attentats zu gedenken -, zu sagen: Wir müssen uns dafür
engagieren, dass auch von Privatfirmen keine politisch
begründete Gewalt gefördert wird. Solche Gewalt darf
von privaten deutschen Firmen weder von Berlin aus
noch sonst wo auf der Welt ausgehen, schon gar nicht in
Libyen. Diese Lehre ziehe ich aus dem 11. April 1968.
Danke sehr und auf Wiedersehen.
({9})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eduard
Lintner das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es mag ja gesetzlichen Handlungsbedarf geben, was die Tätigkeit von privaten Sicherheitsfirmen
angeht. Aber der Anlass für diese Aktuelle Stunde hat
nicht die politische Bedeutung, die Sie ihr jetzt zumessen wollen. Sie blähen eine Geschichte auf, die das nicht
verdient hat.
({0})
Sie haben aber eigentlich von Anfang an alles gewusst: Schon nach den ersten Meldungen und Hinweisen
auf die Ausbildungstätigkeit deutscher Polizeibeamter in
Libyen haben Sie den großen Skandal gewittert. Man
zog auch gleich die ganz große Keule aus dem Sack: Ein
Untersuchungsausschuss sollte her.
({1})
Da schimmert eine gewisse Freude am Skandal durch.
Meiner Meinung nach sind wir da auf der falschen Veranstaltung. Wenn man ein passendes Sprachbild bemühen wollte, müsste man davon sprechen, dass hier mit
Kanonen auf Spatzen geschossen wird bzw. dass hier aus
der Mücke ein Elefant gemacht wird.
Trotz der neuerlichen Aufwallungen muss man sagen,
Herr Kollege Stadler: Die Gemüter haben sich mittlerweile etwas beruhigt.
({2})
Die aufgeregten Angriffe, die weit hergeholt und keineswegs überzeugend sind, wirken künstlich. Von den Verdächtigungen, die gestreut worden sind, ist fast nichts
geblieben.
({3})
Weder war es der deutschen Firma verboten, ihre
Dienste in Libyen anzubieten - ob das so bleiben kann,
ist eine andere Frage -,
({4})
noch kann von heimlich oder konspirativ gesprochen
werden; denn die Botschaft und der BND wussten davon, auch wenn sie sich für die Details offensichtlich
nicht interessiert haben.
Herr Ströbele hat sich hier echauffiert. Deshalb will
ich daran erinnern: Außenminister war zum betreffenden
Zeitpunkt Herr Fischer. Sollte die Botschaft also tatsächlich dem Auswärtigen Amt Bericht erstattet haben,
müssten Sie einmal bei ihm anrufen und ihn fragen, was
er veranlasst hat, nachdem die Zentrale in Kenntnis gesetzt worden war. Wir jedenfalls sind da völlig außen
vor.
Was bleibt, sind Verstöße von Beamten gegen - wenn
man es genau nimmt - nachrangige, auf jeden Fall nicht
strafrechtlich relevante Vorschriften des Dienstrechts,
geregelt in der - der Name zeigt schon, welche Bedeutung dem beizumessen ist - Nebentätigkeitsverordnung.
Nimmt man einen Bericht der Wochenzeitung Die
Zeit für bare Münze, hat es fast ein halbes Dutzend Mittagessen gegeben, bei denen Botschaftsangehörige und
Polizeibeamte an einem Tisch gesessen haben. Im Klartext heißt das: Die Beamten haben aus ihrer Tätigkeit
kein Geheimnis gemacht. Es ist anzunehmen, dass man
sich darüber unterhalten hat, warum sich die Beamten zu
diesem Zeitpunkt in Libyen aufgehalten haben. Mein
Kollege Hans-Peter Uhl hat, wie ich finde, zutreffend
angemerkt: Es gibt keine Libyen-Affäre. Es gibt keinen
Skandal. Die Luft ist raus.
({5})
Diejenigen, die regelmäßig mit solchen Sachverhalten
zu tun haben, weil sie die Tätigkeit der Geheimdienste
kontrollieren, müssen nun entscheiden, ob es notwendig
ist, die Vorschriften für die Arbeit des PKGr zu verändern oder zu ergänzen, um zeitnähere und präzisere Informationen zu erhalten. Bei dieser Überlegung, die die
Regierung offenbar teilt, handelt es sich offenbar um das
Ergebnis jahrelanger Erfahrungen - es sind sogar alte
Gesetzentwürfe dazu vorhanden -, unabhängig von dem
Fall, der Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde ist.
Auch Überlegungen, das Außenwirtschaftsgesetz zu ergänzen, sind legitim und angebracht; aber das kann man
ohne Aufgeregtheit tun.
Es ist Zeit, zur friedlichen Sacharbeit zurückzukehren, das Signal „Die Jagd ist aus“ zu blasen und den
Frust nicht auf den Schultern der betroffenen Beamten
abzuladen. Die Beamten haben aus ihrer Tätigkeit kein
Geheimnis gemacht. Ihnen kann allenfalls das dienstrechtliche Versäumnis zur Last gelegt werden, nicht um
eine Genehmigung ihrer Nebentätigkeit nachgesucht zu
haben. Herr Ströbele sollte das bedenken. Lassen wir
also bitte Dampf aus dem Kessel ab, und lassen wir nicht
die Beamten ausbaden, wofür die Politik geradestehen
muss!
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in
der Tat so, dass die Politik hierfür geradezustehen hat.
({0})
Was wir heute von der Koalition gehört haben, erinnert
an einen schlechten Film. Wahrscheinlich hat die Kanzlerin deshalb ihren Kulturstaatsminister geschickt; er ist
ja auch Filmbeauftragter.
({1})
Aber auch er ist inzwischen gegangen. Offensichtlich
hat ihm dieser Film nicht gefallen. Leider ist das Kanzleramt hier nicht vertreten. Immerhin werden Vertreter
des BMI und des Auswärtigen Amtes sprechen. Das
spricht für die Beteiligten.
Es ist der alte Film, den wir schon mehrfach gesehen
haben und durch den die Taktik der Regierung hier noch
einmal deutlich wird: Skandale werden grundsätzlich
nicht aufgearbeitet, nicht zur Kenntnis genommen und
auch nicht als Chance betrachtet, Missstände aufzuarbeiten; sie werden ausgesessen - man versucht es wenigstens -, oder man bestreitet einfach die Fakten. Das haben
wir in anderen Zusammenhängen von der Bundesregierung und der Koalition schon oft gehört: nichts dran, nur
heiße Luft, alles aufgeklärt. - Das ist das Leitmotiv dieses Films. Déjà vu! So war es übrigens auch in der VisaAffäre, bis der Außenminister schließlich selbst eingeräumt hat, dass er schwerwiegende Fehler gemacht hat.
So war es auch in der BND-Affäre, die wir gerade aufarbeiten, bei der zunächst behauptet wurde, dass in dem
Bericht vom Dezember 2005 alles stehe und dass es
nichts Neues mehr gebe. Innerhalb von zwei Jahren hat
nun ein anderer Untersuchungsausschuss - nicht zuletzt
dank der freundlichen Hilfe des Kollegen Hartmann eine ganze Reihe neuer Verfehlungen und Versäumnisse
der Regierung und nachgeordneter Behörden aufgeklärt.
({2})
So ist es auch hier wieder. Es wird gesagt, der Bundesnachrichtendienst selbst habe nichts veranlasst und
die Bundesregierung habe von nichts etwas gewusst,
deshalb sei alles in Ordnung. Kollege Haibach und andere sagen, der Skandal sei konstruiert. Auch der Kollege Uhl wurde zitiert,
({3})
der sich zu diesem Thema sehr zurückhaltend geäußert
habe. Ich hatte schon mehrfach den Verdacht - auch
schon im Zusammenhang mit der ersten BND-Affäre -,
dass er den „Scholzomaten“ aufgefressen hat, weil er
heute ein bisschen anders klingt.
({4})
Wo leben wir eigentlich, dass uns die Zusammenhänge so dargestellt werden? Wurden dem Auswärtigen
Amt - wir werden von Herrn Erler nachher noch ein bisschen dazu hören - keine Erkenntnisse von der Botschaft
mitgeteilt?
({5})
Was ist denn die Aufgabe der Botschaft dort gewesen?
Hat sie es für normal gehalten, dass dort eine solche
Firma und erkennbar auch deutsche Beamte tätig wurden? War es nicht Aufgabe des BND, der Bundesregierung und den zuständigen Behörden die Informationen
zu geben, die ihm vorlagen?
Die empörenswerten Dienstpflichtverletzungen deutscher Beamter, von denen die Rede ist und die hier kleingeredet wurden, waren bekannt, nur dem jeweiligen
Dienstherren nicht. Das ist doch der eigentliche Skandal,
das eigentliche Problem.
({6})
Die Vorgänge reichen bis hin zum Betrug. Wenn sich
Menschen krankmelden und in Libyen für solche Tätigkeiten zur Verfügung stehen, dann ist es ein Skandal,
wenn die Informationen darüber nicht weitergegeben
werden und dies nicht abgestellt wird. Darum geht es.
Der frühere Bundeskanzler Schröder empört sich völlig
zu Recht dagegen - wenn es denn stimmt -, dass er im
Zusammenhang mit diesem Vorgang verdächtigt wird,
davon gewusst zu haben.
Was hat der BND eigentlich für ein Selbstverständnis
- damit wir das auch heute wieder nicht erfahren, ist das
Kanzleramt hier nicht vertreten -, wenn wir nicht sicherstellen können, dass die Bundesregierung von solchen
Vorgängen erfährt? Wie haben die politisch Verantwortlichen es eigentlich eingeordnet, wenn in einem Staat,
der damals noch auf der Terrorliste stand - das hat sich
erst später geändert, Kollege Hartmann -, auf einmal
Deutsche auftauchen und sich ganz offenkundig an der
Ausbildung beteiligen? Warum wurde das nicht zur
Kenntnis genommen und als ein gravierender Vorgang
gehalten?
({7})
Es ist doch ganz offenkundig, dass es in der Bundesregierung damals - möglicherweise auch heute - zuging
wie bei Hempels unterm Sofa. Wie wir heute wissen, hat
das Bundesverteidigungsministerium alle Erkenntnisse
an die zuständigen Behörden weitergegeben: ans Bundesinnenministerium, ans Auswärtige Amt, ans BKA, an
den BND und an das BfV.
({8})
Aber es wurde nichts veranlasst. Das konnten inzwischen völlig unbestritten und undementiert auch die
Aachener Nachrichten berichten. Sie sagen, das sei normal. Sie halten es für aufgeblasen, wenn wir dieses
Thema kritisch aufarbeiten.
({9})
Der nordrhein-westfälische Landtag ist an diesem
Thema besonders interessiert, weil einige der Beamten
dort zu Hause sind.
({10})
- Ja, wer war denn damals Innenminister, verehrter Kollege? Das war unter Steinbrück noch ein SPD-Innenminister. Danke, dass Sie daran erinnern. Ich hätte es Ihnen
erspart.
({11})
Unser Kollege Horst Engel hat im Landtag die Verantwortung auch für die Dienstvergehen der beteiligten
Landesbeamten dem Bundeskanzleramt zugewiesen. Er
hat völlig zu Recht festgestellt, dass die Spur ins Kanzleramt führt.
({12})
Deshalb müssen wir uns hier mit dieser Frage befassen,
auch wenn es sich um Landesbedienstete handelt. Das
Kanzleramt hat versagt. Deswegen müssen wir uns näher mit diesem Fall befassen.
Wenn die Bundesregierung nicht von sich aus dazu
bereit ist - wie wir es in anderen Fällen erlebt haben -,
für weitere Klarheit zu sorgen, dann müssen wir uns vorbehalten, dass das Parlament von den Instrumenten Gebrauch macht, die die Geschäftsordnung und unsere
Rechte vorsehen.
({13})
Danke schön.
({14})
Für die Bundesregierung hat nun der Staatsminister
im Auswärtigen Amt, Dr. Gernot Erler, das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich einleitend gleich zum Hauptgegenstand
dieser Aktuellen Stunde kommen und Folgendes klarstellen: Das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Tripolis
hat die Arbeit der Firma BDB in Libyen in keiner Weise
unterstützt oder gar gefördert. Als Mitarbeiter der Botschaft im November 2005 zufällig von der Tätigkeit der
Firma erfuhren, wurde sichergestellt, dass dies von fachlich kompetenter Seite in der Bundesregierung weiterverfolgt wurde. Ein Skandal sieht wahrlich anders aus.
Dr. h. c. Staatsminister Gernot Erler
Daran ändern auch alle rhetorischen Bemühungen hier
nichts. Darin kann ich dem Kollegen Haibach nur zustimmen.
({0})
Ich möchte zunächst auf die Berührungspunkte zwischen der Firma BDB Protection GmbH und dem Auswärtigen Amt eingehen. Die Aktivitäten der Firma BDB
in Libyen kamen der deutschen Botschaft in Tripolis nur
zufällig zur Kenntnis, als der damalige Ständige Vertreter und ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes
am Rande eines Fußballspiels im November 2005 auf einen Vertreter der Firma BDB stießen. Für den Mitarbeiter des Auswärtigen Amts blieb es bei dieser einmaligen
Zufallsbegegnung. Weitere Kontakte zwischen Mitarbeitern des Auswärtigen Amts und der Firma BDB hat es
danach nicht gegeben. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat sich bekanntlich im Laufe
dieser Woche bereits ausführlich mit diesem Vorgang befasst.
Im Februar 2006 wurde ein Antrag auf Lieferung von
Pistolen an das libysche Innenministerium für die Ausstattung einer Antiterroreinheit, die, wie am Rande erwähnt wurde, durch die Firma BDB ausgebildet würde,
von der Bundesregierung abgelehnt. Das gebe ich dem
inzwischen enteilten Kollegen Ströbele zur Kenntnis.
Danach ist das Auswärtige Amt erst wieder im
Dezember 2006 durch die Zuschrift des Wehrdisziplinaranwalts mit der Bitte um Information über die Tätigkeit
von BDB-Mitarbeitern mit diesem Fall befasst worden.
Die vom Wehrdisziplinaranwalt genannten Personen waren der Botschaft nicht bekannt, lediglich der bei dem
besagten Fußballspiel angetroffene Leiter der Firma.
Dies wurde dem Wehrdisziplinaranwalt vom Auswärtigen Amt auch so mitgeteilt.
Darüber, ob es richtig ist, dass der Export von Dienstleistungen im polizeilichen Bereich - wie bei der Firma
BDB - bislang keiner Genehmigungspflicht unterliegt,
muss man in Ruhe nachdenken.
({1})
Aber das ist die zurzeit geltende Rechtslage.
Ich möchte noch eine Frage im Zusammenhang mit
dem politischen Kontext ansprechen, die bisher in der
öffentlichen Debatte eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat: Welchen Umgang sollen wir mit einem Land
wie Libyen pflegen, mit dem wir trotz erheblicher Unterschiede und Gegensätze bei Wertsetzungen und der politischen Kultur auch wichtige gemeinsame Interessen haben? Wie honorieren wir Schritte von Staaten in die
richtige Richtung, auch wenn sie uns noch lange nicht
weit genug gehen? Der Kollege Michael Hartmann hat
dieses Thema schon angesprochen.
Libyen hat seit 1999 eine eindrucksvolle Kehrtwende
in seiner Außenpolitik vollzogen.
({2})
Es hat mit der Auslieferung der Lockerbie-Attentäter
und der Entschädigungsregelung in den Fällen Lockerbie
und La Belle den Weg der Normalisierung seiner Beziehungen zu westlichen Staaten eingeschlagen. Es hat im
Jahr 2003 seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt, das IAEO-Zusatzprotokoll unterzeichnet und
ist dem Chemiewaffenübereinkommen, CWÜ, beigetreten. Es war und ist ein genuines Eigeninteresse der Staatengemeinschaft - auch Deutschlands -, Libyen auf diesem Weg weiter zu unterstützen. Libyen ist Teil einer
vom islamistischen Terrorismus bedrohten Region. Es
ist zugleich Ziel- und Transitland für Tausende illegaler
Einwanderer aus Afrika, von denen viele nach Europa
streben. Bei der EU-Afrika-Konferenz in Tripolis 2006
wurde daher zu diesem Thema eine engere Zusammenarbeit vereinbart.
Bei aller Anerkennung für Libyens Abkehr vom Terror, für den Beitritt zum Nichtverbreitungsregime und
für die Öffnung hin zur westlichen Welt hat die Bundesregierung niemals die fortbestehende autoritäre Natur
des libyschen Regimes und die andauernden Menschenrechtsverletzungen ignoriert. Menschenrechtliche Defizite, insbesondere der Fall des zum Tode verurteilten
bulgarischen Pflegepersonals, wurden immer klar und
deutlich angesprochen. Während der deutschen EURatspräsidentschaft haben wir entscheidend daran mitgewirkt, in diesem Fall die Freilassung der Betroffenen
zu erreichen.
An der restriktiven Exportpolitik der Bundesregierung gegenüber Libyen hat sich auch nach der Aufhebung der UN-Sanktionen im Jahr 2004 nichts geändert.
Eine Vielzahl von Anträgen wurde negativ beschieden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich andere europäische Staaten wie Frankreich bereits seit 2005 darum bemüht haben, libysche Sicherheitskräfte auszubilden. Nach 2004 hat Libyen
immer wieder bei verschiedenen Stellen in der Bundesregierung auf eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus
und die Bekämpfung illegaler Migration gedrängt. 2006
- das wird mein Kollege Altmaier sicherlich genauer
ausführen - hat das Bundesinnenministerium dazu erste
Gespräche geführt.
Lassen Sie mich eine Schlussfolgerung ziehen. Als
Gesamtfazit möchte ich feststellen: Die Bundesregierung hat nicht nur nachweislich korrekt gehandelt, sondern hat auch politisch angemessen auf den Wandel der
libyschen Politik reagiert.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Clemens
Binninger das Wort.
Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man Ihnen heute Nachmittag zuhört, kann
man den Eindruck gewinnen, dass es für Sie genügt, von
einem Skandal zu sprechen, wenn die Worte „Libyen“,
„BND“ und „privater Sicherheitsdienst“ hintereinander
gesagt werden. Das ist nicht nur oberflächlich, sondern
geht an der Sache völlig vorbei.
({0})
Wir haben am Ende dieser Woche eine aufgeregte,
teilweise hysterische Debatte über dieses Thema hinter
uns. Viele Fakten liegen auf dem Tisch. Viele Fragen
wurden beantwortet. Manches hat sich als das entpuppt,
was es schon immer war: heiße Luft. Es gibt kaum noch
Punkte, die man vertiefen müsste, erst recht keine, bei
denen man das Wort „Skandal“ in den Mund nehmen
sollte bzw. könnte. Trotzdem gibt es für mich - das will
ich ganz offen zugestehen - drei relevante Punkte, die
wir ansprechen sollten. Punkt 1 betrifft den Einsatz aktiver Polizeibeamter für eine private Sicherheitsfirma im
Ausland. Punkt 2 betrifft das Informationsverhalten
deutscher Stellen. Punkt 3 ist die entscheidende Frage,
Kollege Stadler, wie wir zukünftig mit Staaten wie Libyen umgehen wollen, wenn es um den Export privater
Sicherheitsdienstleistungen geht. Das sind die drei
Punkte, über die man sprechen muss. Dazu bedarf es
aber nicht der Skandalisierung.
Punkt 1. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen nicht,
dass deutsche Polizeibeamte in irgendeinem Regime nebenher Geld verdienen, obwohl sie es nicht dürfen. Das
lehnen wir ab. Das ist inakzeptabel. Das ist ein Verstoß
gegen das Dienstrecht.
({1})
- Auch die SPD will das nicht. Das glaube ich Ihnen
gerne, Herr Kollege Hartmann. - An dieser Stelle ist sowohl zur Verhinderung solchen Verhaltens als auch zur
Aufklärung und Sanktion der Dienstherr dieser Beamten
gefordert, im konkreten Fall vor allen Dingen der Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Herr Wolf von der
FDP.
({2})
Ich will aber der Objektivität halber darauf hinweisen,
dass wir uns bei aller Kritikwürdigkeit dieses Verhaltens
- wer als Polizeibeamter weiß, dass er in Deutschland
aus guten Gründen keine Genehmigung bekommt, im
Rahmen einer Nebentätigkeit für eine Sicherheitsfirma
zu arbeiten, der weiß natürlich erst recht, dass er diese
nicht bekommt, wenn er für die Firma ins Ausland geht;
da gibt es nichts zu beschönigen ({3})
nicht mit aller Macht an diesem Teilaspekt abarbeiten
sollten. Das ist Sache des Dienstherrn. Es wäre auch
nicht richtig, wenn wir wirklich vorankommen wollen.
Zu Punkt 2, dem Informationsverhalten deutscher Stellen in diesem Zusammenhang. Es ist unbestritten, dass
der BND und Teile der Botschaft und damit auch das
Auswärtige Amt von der Tätigkeit gewusst haben. Aber
Herr Staatsminister Erler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Tätigwerden dieser Firma durch die heutige Rechtslage gedeckt war. Insofern war die Bewertung dieses Umstands offensichtlich vor Ort in Libyen
auf der Ebene des BND und der Botschaft eine andere,
als Sie sie vielleicht treffen mögen.
({4})
Aber auch das war kein Skandal; das muss man an dieser
Stelle deutlich sagen.
Die Frage, wie dieser Auftrag zustande kam, wer den
Impuls gegeben hat - dafür braucht es einen Vorlauf; das
mag im Jahr 2004 oder Anfang 2005 gewesen sein -,
({5})
ist nach meinem Kenntnisstand noch offen.
({6})
Aber ich bin überzeugt, dass auch diese Frage relativ unspektakulär beantwortet werden kann und kein Skandalpotenzial bergen wird.
Es bleibt der dritte und entscheidende Punkt. Wir
müssen uns in diesem Hohen Hause offen darüber unterhalten, wie wir es in Zukunft handhaben wollen - auch
das ist eine Lehre aus dem konkreten Fall -, wenn es darum geht, Sicherheitsdienstleistungen zu exportieren.
Wie wollen wir mit einem Staat wie Libyen umgehen?
Wir dürfen hier keine scheinheilige Debatte führen; denn
- das wurde angesprochen - wir haben Kontakte zu
Libyen. Wir pflegen diplomatische Beziehungen, wir
unterhalten eine Botschaft, wir sind im Bereich der Terrorismusbekämpfung dringend auf den Kontakt auf der
Arbeitsebene angewiesen, auch im Interesse der eigenen
Sicherheit. Ich habe auch noch nicht gehört, dass sich jemand beklagt hätte, wenn es dank der Mithilfe des
Staates X oder des Staates Y gelungen ist, Geiseln zu befreien, obwohl wir alle wissen, dass die rechtsstaatlichen
Verhältnisse dort nicht einmal ansatzweise so gut sind
wie bei uns. Auch das ist Teil der Wahrheit.
Wir müssen uns klar werden, dass wir darüber reden
müssen, ob wir Regeln brauchen und ob wir überhaupt
Regelungen treffen können, wenn Private ihre Dienstleistungen ins Ausland exportieren. Das ist Gegenstand
einer Diskussion, die wir vernünftig führen müssen, das
ist aber nicht Bestandteil eines Skandals. Die Diskussion
werden wir führen. Mehr ist aus dieser Sache politisch
nicht herauszuholen, auch wenn Sie von der Opposition
das noch so gern tun würden.
Herzlichen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für
die SPD-Fraktion.
({0})
Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr
verehrten Damen und Herren! Wir erleben heute das
Ende einer Woche unterirdischer Oppositionsarbeit, wobei man sich schon die Frage stellen kann, ob das eigentlich Arbeit ist. Das ist eine Tätigkeit, die unterirdisch ist;
denn wir können doch alle erwarten, dass ein Mindestmaß an Sorgfalt im Umgang mit Tatsachen oder auch
mit Gerüchten und Spekulationen angezeigt ist. Ich
werfe das nicht nur Ihnen von der FDP, den Grünen und
der Linkspartei vor; ich werfe das auch einem Teil der
Medien vor.
({0})
Da genügt ein Foto, auf dem der frühere Bundeskanzler
Schröder und Herr Gaddafi abgebildet werden, zum Beweis dafür, dass da wohl irgendeine Verbindung vorhanden sein muss.
({1})
Es genügt die zutreffende Behauptung, dass Libyen bei
der Befreiung von Menschen, die in Geiselhaft genommen wurden, eine Rolle gespielt habe und dass zwingend ein Gegengeschäft gemacht werden musste. Spekulationen ohne einen Tatsachenkern, ohne einen
Anhaltspunkt sollen genügen, um die Behauptung zu belegen, die Bundesregierung trage Mitverantwortung, der
Bundeskanzler selber habe ein Geschäft gemacht oder
zumindest der Bundesnachrichtendienst sei aktiv oder
passiv beteiligt gewesen. Das alles fällt in sich zusammen und ist unterirdisch, absolut unseriös.
({2})
Das ist im Grunde bis heute der Tenor Ihrer Oppositionstaktik an dieser Stelle. Jetzt relativieren Sie das und wollen es nicht mehr gewesen sein. Ich sage: Das, was Sie
sich hier geleistet haben, ist ein verantwortungsloser
Umgang mit Fakten.
({3})
Ich finde es unverschämt, der Bundesregierung Vorwürfe zu machen, ohne den geringsten Anhaltspunkt und
Tatsachen zu haben. Das gilt auch für Sie, Herr
Nešković, und für Herrn Ströbele, der jetzt nicht mehr da
ist. Wir haben das auch im Innenausschuss erlebt: bombastisches Gequatsche ohne Substanz. Das ist das, was
Sie in den letzten Tagen produziert haben.
Ich bin allerdings dagegen, dass wir das verniedlichen, was in der Tat skandalös ist. Ich möchte Herrn
Lintner - er ist jetzt nicht mehr da - schon widersprechen: Ein jeder Polizeibeamter weiß - wir haben in
Deutschland eine hervorragende Polizei; es gibt über
250 000 Polizeivollzugsbeamte; die deutsche Polizei ist
die weltbeste; das ist meine feste Überzeugung -, dass er
ohne eine Genehmigung gegen Entgelt nicht einmal
Brötchen verkaufen darf. Kein Polizeibeamter darf weder in Deutschland noch anderswo - ich rede gar nicht
von Libyen; das gilt auch für Österreich und für Italien ohne Genehmigung seines Dienstherren gegen Entgelt
ausbilden.
({4})
Wenn das Ganze in Libyen stattfindet, ist das ein Skandal.
Wenn 20 oder 25 deutsche Polizeibeamte da unterwegs waren, dann darf man wohl einmal die Fragen stellen: Wie viele sind in Deutschland denn angesprochen
worden? Könnten es nicht einige mehr sein? Warum ist
das nicht bekannt geworden? Wenn ein Polizeibeamter
auch nur angesprochen wird, muss das weitergegeben
werden. Ich möchte nicht, dass solch ein Vorgang verniedlicht wird.
({5})
Das ist ein Skandal. Dieser Skandal spielt hauptsächlich
in Nordrhein-Westfalen. Ich bin mir sehr sicher, dass das
mit Sorgfalt aufgeklärt wird.
Die Libyen-Politik Deutschlands hat der Staatsminister Erler hier in einer sehr klugen und ausgewogenen
Rede völlig angemessen dargestellt.
({6})
Libyen war - das wissen die Sicherheitsexperten - ein
Staat, der Terrorismus gefördert hat.
({7})
- Ja, Herr Wieland. Da stimme ich Ihnen ausnahmsweise
einmal zu: Es ist ein Staat, der Terrorismus gefördert hat. Dieser Staat ist bemüht, in den Kreis derjenigen Staaten
zurückzukehren, die Recht und Gesetz sowie das Völkerrecht einhalten.
({8})
Nicht nur Deutschland, sondern die gesamte westliche
Welt hat ein massives Interesse daran, diesen Prozess zu
begleiten.
Wir wissen aber alle, dass es in Nordafrika und im
Nahen Osten - das ist jedenfalls meine Einschätzung als
Nichtaußenpolitiker, Herr Staatsminister - nur einen einzigen demokratischen Rechtsstaat gibt - das ist meine
Überzeugung -: Das ist Israel. Wollen wir jetzt aufhören,
mit den Staaten zusammenzuarbeiten, die eben nicht die
Standards haben, die für uns selbstverständlich sind?
({9})
Natürlich muss man diskutieren, was wir da tun und was
nicht. Ich bin allerdings der Auffassung: Das, was in den
letzten Jahren in Richtung Libyen gemacht worden ist,
ist zu würdigen, positiv hervorzuheben und nicht zu kritisieren. Wir begleiten diesen Staat auf dem Weg in den
Kreis derjenigen Staaten, die sich zivilisiert benehmen.
Ich will zum Schluss noch zwei Sätze sagen. Ich
meine, wir haben Grund, darüber nachzudenken, wie es
weitergehen kann. Auch wenn die Rechtslage gegenwärtig ziemlich eindeutig ist, was die Tätigkeit privater Unternehmen im Sicherheitsbereich anderer Staaten angeht:
Herr Erler, wir sind auf einem sicheren Gelände, wenn
Waffen, Panzer, U-Boote oder Faustfeuerwaffen exportiert werden. Was ist mit Software? Was ist mit Knowhow? Was ist mit Ausbildungsleistungen? Da haben wir
Interessen. Ich glaube, sagen zu können, dass wir uns
dieses Themas ohne Hektik und mit Augenmaß annehmen müssen.
Kollege Wiefelspütz, das ist jetzt ungefähr der vierte
Satz. Ich bitte, zum Schluss zu kommen.
Frau Präsidentin, ich gehorche Ihnen uneingeschränkt
sehr gerne.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär
Peter Altmaier.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Debatte heute hat ihr Gutes, weniger durch
das, was gesagt, als vielmehr durch das, was nicht gesagt
worden ist.
({0})
Deshalb sage ich erstens noch einmal ganz klar: Es ist
ab heute nicht mehr bestritten, dass die Bundesregierung
die privaten Schulungsmaßnahmen in Libyen weder initiiert noch organisiert hat. Dieser Vorwurf ist von niemandem in der Debatte erhoben worden, weder von
links noch von rechts. Das ist ein wichtiger Fortschritt
im Vergleich zu den aufgeregten Diskussionen und Geräuschen zu Beginn dieser Woche.
({1})
Zweitens sage ich genauso klar und deutlich: Dort,
wo es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland eine
Zusammenarbeit mit Ländern wie Libyen gibt und geben
muss, die nicht unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechen, ist es gängige Staatspraxis, eine solche vom Staat initiierte Zusammenarbeit
ausschließlich von staatlichen Stellen vornehmen zu lassen. Auch dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Diese
Grenze darf nicht verwischt werden.
({2})
Diese Grenze - lieber Herr Stadler, lieber Herr
Königshaus - ist nach allem, was wir heute wissen, im
vorliegenden Fall auch zu keinem Zeitpunkt überschritten worden.
({3})
Es geht hier um die private Tätigkeit einer privaten
Sicherheitsfirma mit fragwürdigem Ruf. Deshalb halte
ich es auch nicht für gerechtfertigt, dass wir in diesem
Zusammenhang über Privatisierung von Sicherheit reden.
({4})
Privatisierung von Sicherheit - Herr Kollege Wieland findet statt, wenn sich der Staat zur Wahrnehmung seiner
Aufgaben Privater bedient.
({5})
Genau dies ist hier nicht geschehen, und das sollten Sie
auch zugeben, wenn Sie einen Rest an Glaubwürdigkeit
in dieser Debatte behalten möchten.
({6})
Meine Damen und Herren, davon zu trennen ist der
Umstand, dass bei dieser Firma
({7})
ganz offensichtlich aktive und ehemalige Polizisten eingesetzt waren. Soweit es aktive Polizisten sind, ist dies
nicht hinnehmbar, weil dadurch der falsche Eindruck einer Verquickung staatlicher und privater Interessen erweckt wird.
({8})
Wenn Herr Ströbele gesagt hat, diese Polizisten dürften
in ihrer Freizeit nicht machen, was sie wollten, dann hat
er recht. Sie dürfen es nicht, und sie werden dafür auch
disziplinar- und strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen,
soweit sie entsprechende Verstöße begangen haben.
Was nun das BMI angeht, so haben Sie, Herr Kollege
Stadler, zu Recht gesagt, das BMI sei Ende November
vom nordrhein-westfälischen Innenministerium über
eine mögliche Beteiligung ehemaliger GSG-9-Beamter
und ein laufendes Ermittlungsverfahren unterrichtet
worden. Das BMI unterstützt seither die ermittlungsführenden Behörden der Länder vorbehaltlos. Wir werden
alles tun, damit auf Landesebene die entsprechenden
dienst- und strafrechtlichen Konsequenzen gezogen werden können.
Aber ich würde mir wünschen, dass auch Sie sagen,
dass keine aktiven Bundespolizisten an diesen Maßnahmen beteiligt waren. Wir haben dies überprüft, und ich
habe es im Innenausschuss vorgetragen. Dies ist eine
ganz wichtige Feststellung. Soweit die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ausgeschieden waren, liegt dies
zum Teil 15 bis 20 Jahre zurück. Sie sind im Zeitraum
von 1982 bis 1997 ausgeschieden, sie sind keine Beamten mehr und haben weder Bezüge noch Ruhestandsbezüge. Wenn heute vor dem Parlament geäußert worden
ist, man müsse darüber nachdenken, auch in solchen Fällen unter Umständen Regeln aufzustellen und über den
Export von Sicherheitsdienstleistungen zu reden, sage
ich für das Bundesinnenministerium ausdrücklich, dass
wir einer solchen Debatte offen gegenüberstehen und bereit sind, diese Debatte mit dem Parlament in den nächsten Wochen zu führen.
({9})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir an dieser
Stelle einen letzten Satz, weil ich meine, dass wir auch
dies in der Öffentlichkeit nicht im Unklaren lassen sollten: Das Bundesinnenministerium ist in der Öffentlichkeit einmal mit einem kritischen Soupçon genannt worden, als es darum ging, dass es Kontakte zwischen
staatlichen Stellen und libyschen Behörden gegeben hat.
Selbstverständlich hat es diese Kontakte gegeben. Diese
Kontakte gibt es mit vielen Staaten der Welt, und dies
dürfen wir in der öffentlichen Diskussion auch nicht tabuisieren. Es geht um Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und illegale Migration wollen wir
dazu beitragen, dass unseren Interessen Rechnung getragen wird.
Wir wollen Libyen auf dem Weg zurück in die Völkergemeinschaft helfen; dazu hat es Gespräche gegeben.
All diese Gespräche haben dem genannten Zweck gedient. Es gibt nichts zu verheimlichen und nichts zu verbergen. Wir haben im Innenausschuss ausführlich darüber gesprochen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass
die Zeit der Spekulationen, der Beschuldigungen und
Verdächtigungen mit dem heutigen Tag endgültig beendet ist und dass wir in aller Sachlichkeit über die Fragen
weiterreden können, die einer Erklärung bedürfen.
Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.
({10})
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels aus
der SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lassen Sie mich zu einem Komplex ein paar Worte sagen, der hier noch nicht angesprochen wurde: die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten. Genauer gesagt, handelt es sich um einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr,
einen aktiven Feldjäger, der im März 2006 auffällig geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Ministerium bekannt, dass er offenbar versuchte, Kameraden für
eine Ausbildungstätigkeit in Libyen anzuwerben, und
dass er selbst dort tätig werden wollte.
Das Ministerium hat diesen Vorgang sofort und konsequent aufgearbeitet, und zwar indem die weitere Anwerbung unterbunden wurde. Der Soldat wurde von seinem Dienst suspendiert und bekam Uniformtrageverbot.
Ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Von diesem
Bundeswehrsoldaten und auch von anderen Bundeswehrsoldaten hat es keine Ausbildungstätigkeit in Libyen gegeben.
Es ist wichtig, hier festzuhalten: Einen Komplex Bundeswehr hat es in dem, was tatsächlich stattgefunden hat,
nicht gegeben. Den Versuch hat es zwar gegeben, dieser
wurde aber durch die Bundesregierung unterbunden.
Es wurde jetzt im Übrigen angekündigt, dass auch der
Nebentätigkeitserlass des Ministeriums daraufhin überprüft werden muss, wie genau man erfassen kann, was
an Nebentätigkeiten ausgeübt wird. Denn dieser Soldat
hatte eine Nebentätigkeitsgenehmigung für Sicherheitsdienstleistungen, aber nicht für diese.
Worüber wir heute reden - ich glaube, das ist in der
Aktuellen Stunde deutlich geworden -, ist kein Skandal
der Regierung, sondern ein Polizeiskandal. Es ist in der
Tat ein Skandal, wie Kollege Wiefelspütz und andere gesagt haben, wenn sich deutsche aktive Polizeibeamte in
ihrem Urlaub nicht erholen, sondern ins Ausland fahren,
um dort Schulungen durchzuführen, wenn sie sich offenbar krankmelden, um Schulungen durchzuführen, wenn
sie Anträge auf Nebentätigkeitsgenehmigung gar nicht
erst stellen, weil sie nicht genehmigt werden würden,
und trotzdem Schulungen durchführen. Das kann nicht
sein. Das ist rechtswidrig. Das muss geahndet werden.
Das muss disziplinarisch verfolgt werden. Man muss
Mechanismen finden, die so etwas für die Zukunft unterbinden.
Wir haben heute einen bemerkenswerten Konsens
herstellen können - das habe ich Reden aus allen Fraktionen, Bundesregierung eingeschlossen, entnommen -:
Wir alle sind bereit, auf die neue Situation zu reagieren.
({0})
Sie besteht darin, dass Sicherheitsdienstleistungen, von
privaten Firmen erbracht, ein Gegenstand von politiDr. Hans-Peter Bartels
scher und rechtlicher Regulierung sein müssen, jedenfalls wenn es um den Export geht.
({1})
Wir leben nach dem Ende des Kalten Krieges in einer
Welt, in der Gewalt und die Gefährdung von Sicherheit
zunehmend von privaten Akteuren, von nichtstaatlichen
Akteuren ausgeht. Es gibt eine ähnliche Tendenz bei der
Sicherheitsdienstleistung durch private Firmen im Auftrag von Staaten. Ich nenne die USA, die nicht nur im
Irak davon Gebrauch machen. Staaten nehmen private
Dienstleister für Aufgaben in Anspruch, die wir bisher
für öffentliche Aufgaben gehalten haben.
Ich will ausdrücklich feststellen: Wir sind nach wie
vor der Auffassung - dabei bleiben wir auch -, dass Sicherheit eine öffentliche Aufgabe ist, insbesondere wenn
sie ins Ausland exportiert werden soll. Das wollen wir
nicht privatisieren.
({2})
Aber wir brauchen eine Regelung dafür. Wenn solche
Trainingsmaßnahmen - darüber reden wir jetzt - reguliert werden sollen, dann kommt nur eine Regelung in
Betracht, die dem Recht für Rüstungsgüter im Rahmen
der Rüstungskontrolle nachempfunden ist, auch wenn es
sich eben um eine Dienstleistung handelt.
({3})
Die Unterscheidung zwischen Gütern und Dienstleistungen wird zunehmend künstlich. Gleiches gilt für die Unterscheidung zwischen Software und Hardware. Manchmal ist die Dienstleistung wichtiger. Es hat einen
Exportantrag für 140 SIG-Sauer-Waffen gegeben. Dieser
wurde abgelehnt, aber das Training konnte - wahrscheinlich mit anderen Waffen - stattfinden. Es kann
nicht sein, dass hier unterschiedlich vorgegangen wird,
wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass man hier
eine andere Regelung - möglicherweise aus dem Baurecht - findet. Möglicherweise gibt es hier eine vergleichbare Rechtskonstruktion, wie sie sich bei der
Übernahme von deutschen wehrtechnischen Unternehmen durch - wie es im Gesetz heißt - gebietsfremde
Unternehmen bewährt hat, indem wir sagen, dies muss
angezeigt werden. Wer als deutsche Firma eine Sicherheitsdienstleistung im Ausland erbringen will, der muss
dies anzeigen. Wenn innerhalb von vier Wochen nichts
passiert, dann ist es okay. Wenn die Bundesregierung
und das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle widersprechen
wollen, dann muss dies innerhalb von vier Wochen erfolgen. Danach gibt es kein Problem mehr. Das könnte ein
praktikabler Weg sein. Ich freue mich, dass wir heute offenbar alle zu der Überzeugung gekommen sind, dass
wir in Zukunft darüber reden müssen, wie wir in dieser
Wahlperiode eine Regelung schaffen.
Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Kollege Johannes Jung für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege
Königshaus murmelte gerade, „nicht noch einmal von
einem Skandal sprechen“.
({0})
Das tue ich im Gegensatz zu Ihnen auch nicht.
({1})
Das ist ein interessanter Punkt; denn das Fazit dieser
Woche lautet: Von Skandal keine Spur, auch wenn es einigen Kollegen offenkundig anders lieber wäre, weil sie
ihren taktischen Plan für diese Woche auf vermeintlichen Skandalen aufgebaut haben. Ich habe noch gut die
Fernsehinterviews vom Wochenbeginn vor Augen, in
denen einige prominente Mitglieder dieses Hauses ohne
Kenntnisse des Sachverhalts auf eine Art und Weise daherschwadroniert haben, die peinlich und unseriös ist;
vorneweg ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Westerwelle,
der diese Aktuelle Stunde beantragt hat und uns bei dieser nun allein ließ.
({2})
Auch hier gilt, was gesagt und was nicht gesagt wurde.
Ich greife einmal dieses Wort von Herrn Altmaier auf.
Meine Damen und Herren, es sind exakt diese obsessiven Reflexhandlungen, mit denen Teile des politischen
Führungspersonals das Gemeinwesen und das Parlament
eigenhändig beschädigen. Deshalb sage ich: Schluss mit
dieser chronischen Skandalisierung, die wir auch hier
wieder erlebt haben! Bleiben Sie bitte auf dem Teppich!
Ich war in der Zeit Abiturient, als die libyschen Städte
Tripolis und Bengasi bombardiert wurden. Ich war seinerzeit auch als Demonstrant gegen diese Attacken auf
der Straße. Das waren die Jahre, in denen Libyen Verbrechen wie den La-Belle-Anschlag beging und in denen
der Staatschef getrost als Terrorpate bezeichnet werden
konnte. Nach wie vor ist Libyen eines der repressivsten
Regime dieser Welt. Immerhin ist Libyen von seiner aggressiven Außenpolitik abgekommen. Herr Staatsminister Erler hat das ausgeführt, und ich pflichte ihm voll
und ganz bei.
Unser Interesse in der internationalen Politik ist es,
schwierige Staaten wie Libyen, die wahrlich keine freie
und demokratische Gesellschaft zulassen und in denen
Menschenrechte klar missachtet werden, dennoch in die
Weltgemeinschaft zu führen und sie nicht als Outlaws zu
isolieren. Das ist auch im Interesse der Menschen in
Johannes Jung ({3})
Libyen. Was die Firma BDB Protection GmbH und diese
Polizeibeamten aus Nordrhein-Westfalen unternommen
haben, ist ohne Wenn und Aber aufzuklären und zu verurteilen. Das ist ganz klar. Hier haben wir einen erfreulichen Konsens.
Auch auf die Gefahr hin, jetzt von Ihnen zum Schluss
der Debatte noch mutwillig missverstanden zu werden,
sage ich: Unterstützung beim Aufbau einer demokratischen Polizei, die eben nicht die Prügel-, Mord- und
Schikanetruppe eines repressiven Systems ist, kann sehr
wohl zu unseren Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik gehören, aber bitte nicht über private und
möglicherweise zweifelhafte Anbieter.
({4})
- Auch das stimmt. - Ich will keine unkontrollierten privaten Sicherheitsdienste in der deutschen Außenpolitik.
Auch hier gilt die Losung: Keine privatisierte Gewalt,
sondern staatliches Gewaltmonopol, und genau das bedarf der parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle.
Auch ich schließe mich all denjenigen an, die deshalb
hier anregen, den Export von Dienstleistungen im Sicherheitsbereich generell neu zu überprüfen und eine
Genehmigungspflicht in Erwägung zu ziehen.
Nun ist wieder viel die Rede von einer Reform des
Parlamentarischen Kontrollgremiums und der Kontrolle
der Dienste insgesamt. Als Mitglied im 1. Untersuchungsausschuss dieser Legislatur, dem sogenannten
BND-Untersuchungsausschuss, stelle ich dazu fest: Der
Nicht-Skandal Libyen taugt nicht als Anlass zu solch
einer Reform. Selbstverständlich wird dieser Vorgang
nach der aufklärenden PKGr-Sitzung von dieser Woche
kein Untersuchungsgegenstand im Bundestag sein, übrigens entgegen der vollmundigen Interviews, die da teilweise getätigt wurden. Wir sollten besser anhand der
kollegialen, zielgerichteten, effizienten und vor allem
immer geräuschloseren Arbeit des aktuellen Untersuchungsausschusses Schlüsse für die zukünftige Kontrolle der Dienste ziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion
kann dazu auf den Vorschlägen aufbauen, die wir immer
anhand von Untersuchungsausschüssen gemacht haben.
Es freut mich, dass der Koalitionspartner ebenfalls Verbesserungsbedarf erkannt hat.
Meine Damen und Herren, es ist die Pflicht eines jeden Mitglieds des Parlaments, mit seinen Informationsund Kontrollrechten verantwortungsvoll und nicht sensationslüstern umzugehen. Die Causa Libyen war eben
nur ein Skandal der Schwadronierer. Um eine Metapher
des Bundesaußenministers aus dem Untersuchungsausschuss zu zitieren: Aus dem Plankton wird auch in der
Großen Syrte kein Wal.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. April 2008, 13 Uhr, ein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen
ein schönes Wochenende und erfolgreiche Tage.
Die Sitzung ist geschlossen.