Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/11/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie herzlich zu unserer heutigen Plenarsitzung, deren erster Tagesordnungspunkt ganz sicher eine besonders breite öffentliche Aufmerksamkeit finden wird. Hiermit rufe ich die Tagesordnungspunkte 22 a bis 22 e auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Ulrike Flach, Rolf Stöckel, Katherina Reiche ({0}) und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes - Drucksache 16/7982 ({1}) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({2}) - Drucksache 16/8658 Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger Cornelia Pieper Priska Hinz ({3}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen ({4}) - Drucksache 16/7983 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({5}) - Drucksache 16/8658 Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger Cornelia Pieper Priska Hinz ({6}) c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten René Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes - Drucksache 16/7981 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({7}) - Drucksache 16/8658 Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger Cornelia Pieper Priska Hinz ({8}) d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({9}) zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz ({10}), Julia Klöckner, Dr. Herta DäublerGmelin und weiterer Abgeordneter Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte Stammzellforschung fördern - Drucksachen 16/7985 ({11}), 16/8658 Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger Cornelia Pieper Priska Hinz ({12}) Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert e) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Priska Hinz ({13}), Julia Klöckner, Dr. Herta Däubler-Gmelin und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Stammzellgesetzes - Drucksache 16/7984 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({14}) - Drucksache 16/8658 Berichterstattung: Abgeordnete Eberhard Gienger Cornelia Pieper Priska Hinz ({15}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eindreiviertel Stunden vorgesehen. Diese Zeit soll nach dem Stärkeverhältnis der Unterzeichner der Vorlagen verteilt werden. - Dazu besteht unter allen Antragstellern Einvernehmen. Da eine große Anzahl von Redewünschen vorliegt, welche bei einer naturgemäß begrenzten Zeit für die Aussprache nicht voll berücksichtigt werden kann, haben sich die Parlamentarischen Geschäftsführer darauf verständigt, dass die Reden der Kolleginnen und Kollegen, deren Redewunsch innerhalb dieses Zeitrahmens nicht berücksichtigt werden kann, zu Protokoll gegeben werden können. Ich vermute, dass Sie mit dieser Vereinbarung einverstanden sind. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentribüne haben die Mitglieder des Deutschen Ethikrates Platz genommen. Ich begrüße Sie sehr herzlich als Gäste unserer Debatte, an die sich die konstituierende Sitzung des Ethikrates anschließen wird. ({16}) Die heutigen Beratungen des Bundestages zur Stammzellforschung sind erkennbar eng mit Ihrer künftigen Aufgabe verbunden, Regierung und Parlament in ethischen Fragen zu beraten. Im Namen des ganzen Hauses wünsche ich Ihnen für diese wichtige und gleichzeitig schwierige Aufgabe Erfolg und vor allen Dingen die Weitsicht und Besonnenheit, ohne die dieser Erfolg ganz sicher nicht zustande kommt. Ich eröffne nun die Aussprache und erteile zunächst der Kollegin Dr. Annette Schavan das Wort.

Dr. Annette Schavan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003836, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland haben ebenso ethische Überzeugungen wie wir. ({0}) Sie stehen in Deutschland mit ihrer Arbeit auf dem Wertefundament, das sich auch in unserer Verfassung findet. Sie sind keine bloßen Interessenvertreter. Zugleich wissen sie, dass wir ihre Argumente bei Gesetzgebungsverfahren sorgsam prüfen müssen. Deshalb sollte unter uns auch klar sein, dass bei der Auseinandersetzung über die Novellierung des Stammzellgesetzes nicht auf der einen Seite nur Interessen bei jenen im Spiel sind, die sich für eine Veränderung aussprechen, und auf der anderen Seite Moralität bei denen vorherrscht, die gegen jede Veränderung sind. ({1}) Schon mit dem bestehenden Stammzellgesetz war der schwierige Prozess verbunden, Positionen miteinander zu verbinden, die sich eigentlich nicht verbinden lassen. Das ging nur über den Weg der Abwägung. Der jetzige Inhalt des Gesetzes - er ist unbestritten, unabhängig vom Antrag, der heute vorliegt - bedeutet die Verbindung von Lebensschutz und einem schmalen, streng definierten Korridor für die Forschung. Er war nur möglich, weil klargestellt wurde, dass es keinen Anreiz für die Herstellung menschlicher Embryonen für die Forschung geben darf und auch keine Anreize zum Verbrauch von menschlichen Embryonen gegeben werden dürfen. Deshalb gibt es den Stichtag in der Vergangenheit. Die Forschung - diese Frage hat in den vergangenen Wochen eine herausragende Rolle gespielt - gewinnt embryonale Stammzelllinien aus solchen Embryonen, bei denen die Entscheidung bereits getroffen wurde, sie nicht für eine Schwangerschaft einzusetzen, also solche, denen die Voraussetzung zum Leben bereits genommen ist. Es ist nicht die Entscheidung der Forschung; es ist eine Entscheidung, die vorher getroffen wurde. Wir entscheiden heute, wenn wir über eine Stichtagsverlegung sprechen, nicht darüber, ob aus überzähligen Embryonen Stammzellen gewonnen werden dürfen. Wir entscheiden auch nicht, ob der Import solcher im Ausland gewonnenen Stammzellen erlaubt sein soll. Beides gehört zum Inhalt des bestehenden Gesetzes. ({2}) Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich: Wir diskutieren auch nicht über das Embryonenschutzgesetz. Es ist unbestritten, und - das sage ich für mich persönlich noch einmal ausdrücklich - das ist der umfassendste Schutz der Embryonen, wie ich es schon in meiner letzten Rede ausgeführt habe. Dabei bleibt es. Das ist das Fundament aller Überlegungen, die wir anstellen. Das steht nicht zur Debatte. ({3}) Wer wie ich findet, dass eine Verlegung des Stichtags auf ein neues, wiederum in der Vergangenheit liegendes Datum verantwortbar ist, ist sich auch bewusst, dass das aus der jetzigen Gesetzeslage resultierende ethische Dilemma nicht aufgelöst wird. Ich bin aber zugleich der Meinung, dass wir dieses Dilemma nicht vergrößern, und halte eine kleinstmögliche Veränderung des Gesetzes für eine Weiterentwicklung dieses Gesetzes. Wer das als Liberalisierung bezeichnet, der wertet. Aber der Vorgang besteht letztlich darin, in der Logik des Gesetzes eine Weiterentwicklung zu ermöglichen, die den schmalen Korridor, der damals gewollt wurde, auch in Zukunft erhalten wird. ({4}) In den vergangenen Wochen und bis in die letzten Stunden hinein ist immer wieder die Frage gestellt worden, ob für den Erfolg ethisch unbedenklicher Forschung tatsächlich der Vergleich mit embryonalen Stammzelllinien zwingend sei, da es Stammzellforschung und Zelltherapien gibt, die diesen Vergleich nicht brauchen. Ich sage ausdrücklich: Das ist unbestritten. Seit 30 Jahren gibt es Zelltherapien. Natürlich braucht nicht jeder - weder in der medizinischen Forschung noch in der Grundlagenforschung - Vergleiche. Aber für jene, die reprogrammieren, ist die Überprüfung ihrer Ergebnisse mit qualitativ besseren embryonalen Stammzelllinien notwendig. Das sage ich ausdrücklich. Wer den Vergleich aus ethischen Gründen ablehnt, möge daraus nicht automatisch den Schluss ziehen, dass er auch sachlich nicht nötig ist. Der Vergleich ist gerade da unerlässlich, wo die Schwerpunkte unserer Forschungsförderung liegen, nämlich neue Wege der Gewinnung pluripotenter Stammzellen zu ermöglichen. ({5}) Aus all dem ergibt sich für mich nach gewissenhafter Prüfung der Argumente, dass eine Verschiebung des Stichtags auf einen neuen Zeitpunkt in der Vergangenheit verantwortbar ist, um den schmalen Korridor für die Forschung zu erhalten, der im Stammzellgesetz von 2002 vorgesehen ist. Mir geht es vor allem um jene Forschergruppen, die mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass wir dauerhaft zu einer Stammzellforschung kommen können, die ohne den Verbrauch menschlicher Embryonen zur Gewinnung von Stammzelllinien auskommt. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun die Kollegin Dr. Maria Böhmer.

Dr. Maria Böhmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002630, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht heute um mehr als eine Gesetzeskorrektur. Es geht um eine grundsätzliche Entscheidung. Wir entscheiden heute darüber, ob dem Stammzellgesetz seine innere Logik und seine Substanz genommen werden. ({0}) Der Deutsche Bundestag hat im April 2002 mit großer Mehrheit Nein zur verbrauchenden Embryonenforschung gesagt. Das ist der Kern des Stammzellgesetzes. ({1}) Bleibt es dabei, oder kommt es zu einem ethischen Kurswechsel, zu einem Dammbruch beim Embryonenschutz? ({2}) Um nichts anderes geht es bei der Frage, ob der Stichtag Bestand hat, verschoben oder aufgehoben wird. Mit unserem Antrag auf Beibehaltung des einmal gefundenen Stichtages hat der Embryonenschutz Bestand. ({3}) Der einmal festgelegte Stichtag ist die Wasserscheide; denn der Stichtag unterscheidet zwischen dem, was wir in Zukunft verhindern wollen, und dem, was wir nicht mehr ändern können. Er unterscheidet zwischen dem Blick zurück, auf die Herstellung von Stammzelllinien aus Embryonen im Ausland ohne unser Zutun, und dem Blick nach vorne in die Zukunft, in der keinerlei Anreize für die Zerstörung von Embryonen zu Forschungszwecken von Deutschland ausgehen sollen, weder innerhalb noch außerhalb der deutschen Grenzen. Das Stammzellgesetz stärkt damit den Embryonenschutz. Es bekräftigt den Grundgedanken: Keine Verzweckung menschlichen Lebens! Bei diesem Leitgedanken muss es bleiben. ({4}) Wenn der Gesetzgeber, wenn wir heute den Stichtag verschieben, dann ist diese Eindeutigkeit dahin. Auch wenn immer wieder betont wird, die Verschiebung sei einmalig: Im Ausland würde eine solche Entscheidung als Signal gewertet, dass wir bereit sind, die ethischen Grenzen zu verschieben, wenn die Forschung nur laut genug danach verlangt. Das heißt Anreize setzen. ({5}) Im letzten Jahr habe ich Hans Schöler in seinem Institut in Münster besucht. Ich habe ihn gefragt: Gesetzt den Fall, der Deutsche Bundestag würde den Stichtag verschieben, was ist dann in einem Jahr oder in zwei Jahren? Fordern Sie dann erneut eine Verschiebung? Er hat mir mit einem ehrlichen Ja geantwortet. Er hat dies in der Anhörung im Forschungsausschuss vor Ostern bekräftigt. Ich finde, das schafft Klarheit. Machen wir uns nichts vor: Wenn der Bedarf einmal Grund für eine Verschiebung ist, kann er es auch ein zweites und drittes Mal sein. Dann sind wir auf der schiefen Ebene. ({6}) Dann hält nichts mehr. Der Stichtag würde zur Schamfrist. Dazu sage ich ein klares Nein. Ich spreche hier und heute auch für die beiden anderen Autorinnen des Stammzellgesetzes, für Margot von Renesse und Andrea Fischer. Wir haben uns gestern in der Zeit gemeinsam gegen eine Verschiebung ausgesprochen. Damals, im Jahr 2002, sind wir drei aus unterschiedlichen Richtungen, mit unterschiedlichen Vorstellungen aufeinander zugegangen. Aber wir waren uns in einem Punkt einig: Formelkompromisse dienen dieser Frage nicht. Wir haben uns grundsätzlich verständigt. Drei Kernpunkte machen diese grundsätzliche Verständigung aus: Wir haben Rechtsfrieden erreicht. Das ist durch den Schutz des Embryos von Anfang an und die Ermöglichung von Grundlagenforschung gelungen, die strengen ethischen Auflagen genügt. Diese Grundlagenforschung ist heute möglich und wird weiterhin möglich sein; ich stehe dazu. Dafür stehen auch die fünf neuen Genehmigungen des Imports von sogenannten alten Stammzelllinien. Das zeigt, wie viel Dynamik in der Forschung ist und dass das Gesetz nach wie vor funktioniert. ({7}) Ich will Ihnen aber auch sagen, dass wir in einem Punkt Handlungsbedarf sehen, und zwar von Anfang an. Deutsche Forscher, die sich im Ausland mit den dort erlaubten Mitteln an Forschung beteiligen, sollen nicht mehr mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen müssen. Das ist Gegenstand des Gesetzentwurfs, der heute zuletzt zur Abstimmung steht. Dieses Gesetz dient der Rechtssicherheit und stärkt die legale Forschung. Aber weitere Änderungen sind ethisch nicht zu rechtfertigen. ({8}) Ich weiß, dass sich niemand im Deutschen Bundestag die Entscheidung leicht macht. Heute wie damals ringen wir um die Entscheidung. Das zeichnet diese Debatte aus. Heute wie damals ringen wir darum, den Schutz des menschlichen Lebens von Anfang an zu gewährleisten und zugleich Grundlagenforschung zu ermöglichen. Es geht heute darum, die eigenen Maßstäbe nicht infrage zu stellen. Wir müssen in unseren ethischen Entscheidungen glaubwürdig und standhaft bleiben. Deshalb appelliere ich an Sie: Stimmen Sie unserem Antrag „Keine Änderung des Stichtages im Stammzellgesetz - Adulte Stammzellforschung fördern“ zu. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Flach.

Ulrike Flach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003119, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den vergangenen Wochen haben wir sehr hart um Unterstützung der einzelnen Positionen gerungen. Dabei ist es möglich gewesen, eine ganze Reihe von Punkten zu klären, aber es bleiben natürlich Punkte - Frau Böhmer hat gerade zu Recht darauf hingewiesen -, die wir unterschiedlich bewerten. Das betrifft den Status der befruchteten Eizelle, den wissenschaftlichen Erfolg der Stammzellforschung und die Bedeutung des Stichtages. Alle diese Faktoren bewerten wir, die Unterzeichner des Gesetzentwurfs „Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes“ auch und gerade nach den großen Anhörungen der letzten Monaten eindeutig, und zwar unter einer ganz großen Überschrift: Auch das Heilen von Menschen ist moralisch. ({0}) Die befruchtete Eizelle hat nicht den gleichen Status wie der Embryo nach der Einnistung im Mutterleib. Das ist aus den Anhörungen sehr klar hervorgegangen. Embryonale Stammzellen werden fünf bis sieben Tage nach der Befruchtung der Eizelle gewonnen, und zu diesem Zeitpunkt besteht der Embryo aus einigen Dutzend Zellen. Das ist vor der Einnistung in der Gebärmutter und somit in einem Stadium, in dem wir in Deutschland ohne Probleme die Pille danach und ohne Probleme die Spirale gelten lassen. Was für die Verhütung hier in diesem Lande gelten darf, muss doch erst recht für hochwertige Forschung im medizinischen Bereich gelten. ({1}) Wir wollen, dass auch in Deutschland Spitzenforschung für Menschen, die an schweren Krankheiten leiden, betrieben wird. Unsere Messlatte ist neben der Menschenwürde die Ethik des Heilens. Gerade vor diesem Hintergrund ist es gut, dass wir nicht nur von den großen Forschungsgesellschaften in diesem Land, sondern dass wir auch von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft und der Deutschen Parkinson Gesellschaft unterstützt werden. Das ist wichtig; denn es zeigt, worum es hier geht. Es geht darum, Menschen zu helfen, nicht aber um eine fundamentale Änderung unserer grundgesetzlichen Gesamtübereinstimmungen. ({2}) Wir wenden uns übrigens in diesem Zusammenhang entschieden gegen die Behauptung, dass für die deutsche Forschung an embryonalen Stammzellen Embryonen sterben müssen, die sonst eine Chance auf Leben hätten. Auch in den USA existieren über 400 000 bei der künstlichen Befruchtung entstandene sogenannte überzählige Embryonen. Fast alle bekannten Stammzelllinien stammen von diesen Embryonen, aus denen nie ein Mensch entstehen wird. Sie wurden von ihren Eltern für die ForUlrike Flach schung gespendet; ansonsten wären sie der Vernichtung anheimgefallen. Hier wurden also weder Frauen instrumentalisiert, wie so gerne unterstellt wird, noch wurde verhindert, dass Leben entsteht. Im Gegenteil: Es ist der erklärte Wunsch der Eltern gewesen, dass diese Embryonen der Forschung für kranke Menschen zur Verfügung gestellt wurden. Der Umstand, dass es diese Stammzellen überhaupt gibt - das will ich an der Stelle auch noch sagen -, zeigt, wie wenig erfolgreich die Stichtagsregelung war, Frau Böhmer. Obwohl von Deutschland kein Anreiz ausgegangen ist, sind diese Stammzelllinien entstanden. Das ist doch genau der Grund, warum das bestehende Gesetz über den Import zerbricht. Das ist der Grund, warum man gar nicht für diese Stichtagsregelung sein kann. ({3}) Wir wollen die Forschung an adulten Stammzellen nicht gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen ausspielen. Frau Schavan hat eben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir beides brauchen. Ich bin froh, dass sich vor zwei Tagen eine große Gruppe von 17 Spitzenforschern, zu denen übrigens sowohl Forscher gehören, die über adulte Stammzellen forschen, als auch solche, die über embryonale Stammzellen forschen - auch solche, die in den letzten Monaten so große Erfolge erzielt haben -, noch einmal eindeutig positioniert und erklärt haben, dass wir hochwertige Forschung an embryonalen und adulten Zellen brauchen. Genau dieses schlagen wir, die Unterstützer des Gesetzentwurfes für eine menschenfreundliche Medizin, vor. Wir wollen eine Gesetzgebung in diesem Lande, die die Forschung an embryonalen Stammzellen ohne das beliebige Instrument des Stichtages ermöglicht und damit international gleichwertige Bedingungen auch für unsere Forscher schafft. ({4}) Wir wollen Hoffnung für diejenigen, die auf Heilung warten, und für die deutschen Wissenschaftler, die sich in den europäischen Forschungsprozess wieder integrieren wollen. Unser Gesetzentwurf stärkt die Forschungsfreiheit im Grundgesetz, und er eröffnet Chancen für eines der zukunftsträchtigsten Wissenschaftsfelder. Ich bitte um Ihre Unterstützung für diesen Gesetzentwurf. Wir würden den Deutschen einen Gefallen tun. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir diskutieren heute über die Möglichkeit und die Bedingungen des Importes embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken. Das klingt technisch, und unser Reden darüber verschleiert oftmals das eigentlich dahinterliegende ethische Problem. Letzten Endes geht es um die Fragen: Wann ist der Mensch ein Mensch? Wo beginnt menschliches Leben? Darf man menschliches Leben für einen guten Zweck opfern, oder verbieten die Würde des Menschen und der Schutz des Lebens das Töten von Menschen zum Zwecke der Forschung und der medizinischen Behandlung anderer Menschen? Die Forschung mit und der Import von embryonalen Stammzellen setzen das Töten und das Zerteilen von Embryonen voraus. Wie der Gesetzgeber diese Frage beantwortet, ist eine weitreichende ethische Grundsatzentscheidung. Unsere Verfassung erklärt die menschliche Würde für unantastbar. Frau Flach, man kann die Debatte um den § 218 StGB oder um Verhütung nicht mit dem Umgang mit embryonalen Stammzellen gleichsetzen. ({0}) Bei der Frage der Abtreibung steht das Leben der Mutter mit dem Leben des Kindes in einem direkten, unauflösbaren Konflikt. ({1}) - Herr Westerwelle, das müssten Sie wissen. - Die Abtreibung bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum § 218 StGB Unrecht, auch wenn sie nicht in jedem Fall strafrechtlich verfolgt wird. Das ist eine ganz klare ethische Linie. Lediglich bei den Instrumenten, also dabei, wie wir das menschliche Leben in diesen Situationen schützen, hat das Bundesverfassungsgericht uns, dem Gesetzgeber, erlaubt, nicht in jedem Fall zum Mittel des Strafrechts zu greifen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die Vorgabe des Grundgesetzes sind klar. Beim Luftsicherheitsgesetz hat das Bundesverfassungsgericht uns als Gesetzgeber noch einmal ermahnt: Leben ist nicht gegen Leben abzuwägen; nicht einmal Leben, das wir dem Tod geweiht glauben, darf geopfert werden, um anderes menschliches Leben zu retten. ({2}) Das hat uns das Bundesverfassungsgericht mit auf den Weg gegeben. Wir, der Bundestag, sind uns einig, dass der Mensch niemals verzweckt werden darf, auch beim Thema Folter nicht. Selbst wenn man meint, man könne mit Folter Geiseln freibekommen, menschliches Leben retten, sagt uns unsere Rechts- und Werteordnung: Die Folter ist ohne Ausnahme verboten. Mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle entsteht neues menschliches Leben, damit ist die genetische Identität eines Menschen festgelegt. ({3}) Volker Beck ({4}) Mit der Verschmelzung handelt es sich um einen Menschen, nicht um Zellmaterial oder um einen Zellhaufen. Dieser Mensch darf nicht verzweckt werden. Deshalb kann es hier auch keinen Kompromiss geben. Jeder Kompromiss bringt uns auf eine schiefe Ebene. Ich werbe auch für ein völliges Verbot des Arbeitens mit embryonalen Stammzellen, da für jede dieser Zellen ein Mensch nicht leben durfte, sondern getötet wurde. Dennoch ist das Stammzellgesetz, das heute gilt, kein willkürlicher oder fauler Kompromiss. Das Stammzellgesetz schloss damals eine gesetzgeberische Lücke. Die verbrauchende Embryonenforschung und die Herstellung embryonaler Stammzellen waren in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz bereits verboten. Der Import war bis zum Erlass des Stammzellgesetzes nicht geregelt und damit auch nicht strafbar. Diese Gesetzeslücke war damals nicht gewollt, wohl aber vorhanden. Der Gesetzgeber entschied sich, mit dem Inkrafttreten des Gesetzes keine neuen Stammzellen für den Import mehr zuzulassen. Dies war auch dem Umstand geschuldet, dass zuvor diese Gesetzeslücke bestand. Die jetzt vorgeschlagene Verschiebung des Stichtages hat deshalb eine grundsätzlich andere Qualität: Sie reißt einen Damm mit dem Argument ein, man brauche weitere Zellen, und legitimiert damit aktiv das Töten von Embryonen auch nach dem Inkrafttreten des deutschen Stammzellgesetzes. ({5}) Der neue Stichtag ist völlig willkürlich. Er kann bei Bedarf jederzeit mit den gleichen Argumenten, die wir heute hören, verschoben werden. Herr Röspel, Sie haben es in der letzten Debatte auch zugegeben. Als ein Redner dies hier am Pult ansprach, haben Sie gesagt: Natürlich, wenn wir neue brauchen, dann wird der Bundestag entscheiden. ({6}) Was machten wir, wenn die Forschung tatsächlich zu dem Ergebnis käme, wir könnten mit embryonalen Stammzellen heilen, und der Bedarf an Stammzellen und Embryonen dramatisch stiege? Wie lange würden dann die Grundlagen des Embryonenschutzgesetzes noch gelten? Eines ist doch bezeichnend: Sie haben zwar beteuert, Frau Schavan, dass niemand ans Embryonenschutzgesetz herangehen will.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Beck!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Aber Ihr Haus fragt gegenwärtig die Gesetzgeber in Bund und Ländern, ob Eizellenspenden zulässig sein sollen, um damit die Kosten der Reproduktionsmedizin für die Menschen, die sie nachfragen, absenken zu können. Wir befinden uns mit einer Verschiebung des Stichtags auf einer schiefen Ebene.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege!

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Mit einer solchen Entscheidung verlieren wir die Kriterien in der Debatte, sodass wir uns gegen weitere Aufweichungen des Schutzes des menschlichen Lebens nicht mehr werden wehren können. Deshalb werbe ich dafür, dass wir heute keine Veränderung der Rechtslage vornehmen. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird Ihnen sofort einleuchten, dass die Einhaltung der vereinbarten Redezeiten in einer solchen Debatte für das Präsidium eine besonders sensible Aufgabe ist. Aber wir können die Vereinbarung über die heute vorgesehenen Wortbeiträge überhaupt nur bewältigen, wenn sich alle an diese Vereinbarung halten, wobei sich für alle gleichermaßen die Aussichtslosigkeit des Unterfangens ergibt, in fünf Minuten den gesamten Umfang ihrer Urteilsbildung vortragen zu können. Deswegen erlaube ich mir noch einmal folgenden praktischen Hinweis: Tragen Sie das, was Ihnen am wichtigsten ist, gleich zu Beginn vor. Damit ist sichergestellt, dass es auch im Protokoll erscheint. ({0}) Das Wort hat nun der Kollege Jörg Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrter Herr Präsident! Zum Schluss meiner Ausführungen wollte ich darum bitten, dem Gesetzentwurf der Abgeordneten René Röspel, Carola Reimann, Ilse Aigner, Thomas Rachel, vieler anderer Abgeordneter und von mir selbst zuzustimmen. - Das war der Schlussblock. Ansonsten bemühe ich mich, jetzt auf das zurückzukommen, was der Kern der heutigen Debatte ist, da er im letzten Redebeitrag ziemlich heftig verlassen worden ist. ({0}) Schon aus der Rede von Frau Schavan ist deutlich geworden, dass es nicht um Dammbrüche geht, nicht um die Aufgabe von Embryonen- und Lebensschutz in Deutschland und in der Welt und nicht um eine neue ethische Debatte. ({1}) Es geht auch nicht um den Embryonenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen, der in diesem Lande geregelt ist. Die Forschungsministerin hat darauf hingewiesen, dass niemand an ihm zu rühren beabsichtigt. Kollege Beck, dies steht im Gegensatz zu dem, was Sie gerade gesagt haben. Es geht darum, unser aus der Mitte des Parlaments heraus entstandenes Stammzellgesetz aktuellen Entwicklungen anzupassen und es zukunftsfest zu machen. „Zukunftsfest“ ist das Stichwort, das in diesem Zusammenhang wichtig ist. Die behutsame und ethisch zu verantwortende Weiterentwicklung unseres Gesetzes brauchen wir zur Aufrechterhaltung einer qualifizierten Stammzellforschung in Deutschland. Das ist ein winziges Forschungsgebiet. Frau Böhmer, angesichts unseres jetzigen Standes der Forschung ist es eine völlige Überschätzung der wahren Lage in dieser Welt, anzunehmen, dass von Deutschland aus Anreize zur Tötung von Embryonen geschaffen würden, wie Sie sie unterstellt haben. Das ist völlig abwegig und hat mit der Realität nichts zu tun. ({2}) Im Übrigen - auch das ist in der Anhörung klar geworden - brauchen wir für die adulte Stammzellforschung, die immer wieder als Alternative und als Gegenpart dargestellt wird, auch die Forschung an embryonalen Stammzellen, um Zellen insgesamt verstehen zu können. Die Anhörung hat noch etwas ergeben. Kollege Beck, ich respektiere so etwas, aber dann muss man auch sehr konsequent sein. Einer der vehementesten Ablehner unseres Vorschlags aus den Reihen der Sachverständigen sagte, dass in der Konsequenz dessen, was man zu Stammzelllinien diskutieren kann, auch die Organspende untersagt werden müsste. ({3}) Das ist, finde ich, ein unglaublicher Ansatz, aber er ist logisch im Sinne dessen, Herr Beck, was Sie hier gesagt haben, konsequent in der logischen Weiterentwicklung in Bezug auf die Frage der Verwertbarkeit von Leben. Lesen Sie das im Protokoll der Anhörung einfach einmal nach! ({4}) Ich sage Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich bin für Organspende, und ich bin für eine ethisch verantwortbare Stammzellforschung. ({5}) Aus diesem Grunde haben wir Ihnen eine Broschüre mit dem Titel „Verantwortungsvolle Politik und Forschungsfreiheit“ vorgelegt. Ich bitte Sie einfach, darin ein bisschen zu lesen. Wir haben genau die Punkte, die ich jetzt nicht vortragen kann, Herr Präsident, in dieser Broschüre niedergeschrieben. Gestatten Sie mir einen Satz an Ihre Adresse, liebe Frau Kollegin Böhmer. Sie haben uns als eine der Mütter des Stammzellgesetzes - Sie gehörten zweifellos zu diesen Müttern; es gab noch ein paar Mütter mehr; ({6}) es gab auch ein paar Väter; ich würde Wolf-Michael Catenhusen dazurechnen - damals gesagt: Wir wollen keinerlei Liberalisierung im Bereich des Strafrechts. Die Strafrechtsnorm musste so ins Gesetz hineingeschrieben werden, wie es von Ihnen damals verlangt worden ist. Sie haben zusätzlich den Hinweis gegeben, dass Sie das Stammzellgesetz insgesamt verhindern würden, wenn diese strafrechtliche Vorschrift liberalisiert würde. Ich freue mich sehr, dass Sie heute zu einer anderen Auffassung gekommen sind, nämlich sagen, dass Ihre Position von damals falsch war. Sie sind heute für eine Liberalisierung der Strafrechtsnorm. Ich respektiere dies außerordentlich, weil es zeigt, dass man in neuen Fragen auch zu neuen Antworten kommen kann. Es ist allerdings nicht logisch, zu sagen: An der Strafrechtsnorm wollen wir etwas ändern, am Stichtag ändern wir nichts. - Dieser Stichtag führt aber dazu, dass praktisch keine Stammzellforschung mit vorhandenen Stammzelllinien mehr durchgeführt werden kann. Das wäre so ähnlich, als wenn Sie, Frau Kollegin Böhmer, einem Autofahrer das Autofahren verbieten und ihm den Führerschein wegnehmen würden, dann aber zur Entlastung die Parkverbote aufheben würden. Das wäre die Logik. Dieser Logik sollten wir nicht folgen. ({7}) - Das ist der einzig sinnvolle Vergleich in diesem Zusammenhang. ({8}) Wenn Sie sagen, dass Stammzellforschung im Ausland nicht mehr strafbar sein soll, gleichzeitig aber nicht dafür sorgen, dass wieder geforscht werden kann, dann ist dieser Vergleich logisch. Aus diesem Grunde sollten Sie sich über das, was hier diskutiert worden ist, noch einmal Gedanken machen. Wenn heute nur die Strafrechtsnorm, aber nicht der Stichtag verändert würde, wäre unser Stammzellgesetz, unser historischer Kompromiss aus dem Jahre 2002, eine wertlose Hülle. Ich bitte Sie, dazu beizutragen, dass unser Gesetz nicht zur Hülle wird, sondern weiterhin ethisch verantwortbare Stammzellforschung in Deutschland begleitet. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält nun der Kollege Dr. Wolfgang Thierse.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002318, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist nicht überraschend, dass die Anhörung zu den Fragen der Stammzellforschung keine Einigung unter den geladenen Experten erbracht hat. Das Thema bleibt wissenschaftlich, forschungspolitisch und ethisch kontrovers. Es gibt auf allen Seiten gute Argumente. Wir müssen aber heute entscheiden, ob wir das geltende Stammzellgesetz von 2002 verändern. Gibt es dafür zwingende Gründe? Was hat sich seither verändert? Drei Autorinnen des Gesetzes - Maria Böhmer hat gerade darauf hingewiesen - haben gestern in einem Zeitungsartikel daran erinnert, worum es der Mehrheit des Bundestages damals ging. Es ging um die Achtung vor der Würde auch früher Formen des menschlichen Lebens, um Grundlagenforschung im Bereich der Stammzellen und um Rechtsfrieden in der Gesellschaft. Diese Ziele sind durch einen Kompromiss - die geltende Stichtagsregelung -, so denke ich, erreicht worden. Hat sich seither wirklich etwas grundlegend verändert? Erstens stelle ich nüchtern und ohne jeden Vorwurf fest: Forschungserfolge und erst recht Therapieerfolge, die Hoffnungen und Verheißungen einer Ethik des Heilens, sind und bleiben ungewiss. ({0}) Zweitens. Die vom Gesetz freigegebenen Zelllinien ermöglichen ganz offensichtlich Grundlagenforschung. Dies beweisen gerade die Forschungsanträge der letzten Monate. Auch Prof. Beier hat dies in der Anhörung zugestanden. Drittens. Die Stichtagsveränderer unter den Forschern verlangen trotzdem neue Stammzelllinien. Sie tun es, weil sie bessere wollen, weil sie im internationalen Wettbewerb der Spitzenforschung gleiche Ausgangsbedingungen wollen, weil sie „State of the Art“ sein wollen. Aber kann solcherart behaupteter Bedarf, kann das Wettbewerbsargument wirklich ein ethisch zureichendes, überzeugendes, zwingendes Argument sein? Ich glaube, nicht. ({1}) Viertens. Fortschritte gibt es offensichtlich bei der Forschung mit adulten Stammzellen. Deshalb - das ist eine gewisse Argumentationsverlagerung - soll die embryonale Stammzellenforschung dieser Forschung assistieren, sie befördern. Und fünftens. Auch von den Unterstützern des Röspel-Antrags wird nicht bestritten, dass die verbrauchende embryonale Stammzellenforschung ethisch problematisch bleibt und nur pragmatisch mit Blick auf die unter drittens und viertens genannten Argumente zu rechtfertigen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt also keine wirklich neuen Gesichtspunkte. Wir sind in keiner wirklich neuen Situation. Deshalb sollten wir uns auf die ethische Grundfrage besinnen, auf die Frage nach dem moralischen Status des Embryos, auf die Frage nach der Würde und nach dem Lebensrecht menschlichen Lebens von Anfang an. Aus der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes folgt zwingend das Instrumentalisierungsverbot. Auch der embryonale Mensch darf kein Mittel zu einem anderen Zweck sein. Er darf nicht vernutzt werden. Forschung mit embryonalen Stammzellen ist aber ein Eingriff in die Integrität des Embryos und in sein Lebensrecht. ({2}) Können, so fragte der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, ungewisse Erwartungen von Heilungsmöglichkeiten „die Tötung eines Embryos, der nichts anderes ist als ein individueller Mensch in den frühesten Stadien seiner Entwicklung, rechtfertigen“? Es gehört zu den unsere Zivilisation tragenden Grundüberzeugungen, dass menschliches Leben um seiner selbst willen zu schützen ist. ({3}) Das Recht auf Leben und der Wert des Menschseins lassen sich nicht abstufen. Menschliches Leben ist nicht relativierbar, und es ist ein höherwertiges Gut als die viel beschworene Forschungsfreiheit. Das von manchen strapazierte Argument, wenn wir es nicht tun, dann tun es andere sowieso, halte ich für den Ausdruck einer ethischen Kapitulation. ({4}) Eine Verschiebung des Stichtages kann, ja muss ethisches Misstrauen erzeugen. Nicht wenige reden von der ethischen Wanderdüne. Ich bleibe dabei: Da es kein mich überzeugendes Argument für eine Verschiebung oder Aufhebung des Stichtages gibt, plädiere ich für die Beibehaltung des 2002 vereinbarten und vertretbaren Kompromisses, zumal es mit der Forschung an adulten Stammzellen eine aussichtsreiche und unterstützenswerte andere Möglichkeit gibt, die ethisch unproblematisch ist. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Christoph Strässer. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich schließe an Wolfgang Thierse an. Ich möchte ihm in einem Punkt widersprechen, weil ich glaube, dass in dieser Argumentation das Dilemma einer jeden Stichtagsregelung deutlich wird. Sie haben gesagt, die Verschiebung des Stichtages werde überwiegend mit Wettbewerbsargumenten begründet. Ich glaube, dass diese Einschätzung falsch ist. ({0}) Ich glaube, wenn man mit den Menschen redet, die Stammzellforschung betreiben, dann sagen sie ganz eindeutig: Die Arbeit mit den jetzt nach dem Embryonenschutzgesetz und dem Stammzellgesetz erlaubten Stammzelllinien ist gerade nicht mehr geeignet, um bestimmte Dinge zu erzielen, die auch im Bereich der Grundlagenforschung erwartbar sind, nämlich dass in absehbarer Zeit und in einem vertretbaren Zeitraum auch Therapien zur Heilung schwerer und schwerster Krankheiten entwickelt werden. ({1}) Deshalb sage ich, meine Damen und Herren: Wer an der bisherigen Stichtagsregelung festhält, der geht in der Diskussion um die Würde des Menschenlebens einen Schritt zurück. So wird nämlich etwas nur in einer Art und Weise erlaubt, über die selbst diejenigen, die daran forschen, urteilen: Mit diesem schlechten und alten Material können auf gar keinen Fall Erwartungen erfüllt werden. - Deshalb kann es nach meiner festen Überzeugung nicht bei dieser Stichtagsregelung bleiben. ({2}) Aber auch die Verschiebung des Stichtags würde dem genannten Zweck nicht dienen. Denn mit einer Stichtagsregelung wird ausgehend von der Annahme, dass eine rechtswidrige Handlung vorliegt, versucht, eine Möglichkeit zum Umgang mit dieser rechtswidrigen Handlung zu finden, indem ein gesellschaftlicher Kompromiss gesucht wird. Frau Kollegin Böhmer, Sie haben als Kronzeugin die Mutter des derzeitigen Stammzellgesetzes, Margot von Renesse, erwähnt. Sie alle haben vielleicht gelesen, was Margot von Renesse in Kenntnis der jetzigen Situation zu der damals getroffenen Regelung sagt. In der Süddeutschen Zeitung von heute sagt sie, die Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig bleiben, sei auch in Deutschland zuzulassen. ({3}) „Die Gewinnung von Embryonen“ ist, wie ich glaube, etwas völlig anderes als das, worüber wir heute diskutieren. Ich glaube, man sollte das ernst nehmen. Sie sagt weiter - das ist für mich der eigentliche Kern der Argumentation in Bezug auf die Stichtagsregelung -, eine andere Position als die, die wir jetzt diskutieren, sei 2002 nicht mehrheitsfähig gewesen. Angesichts der heutigen Situation sagt sie, es reiche nicht aus, den Stichtag für den Import von Stammzellen zu verschieben. Ein solcher Schritt wäre unlogisch und ethisch nicht zu begründen. - Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, sie hat auch an dieser Stelle recht. ({4}) Über die Notwendigkeit, die Inhalte und die Ziele der Stammzellforschung ist hier schon ausführlich diskutiert worden. Auch ich gehöre zu denjenigen, die gerade in Anbetracht dessen, was Forschung bewirken und an schlimmen Dingen hervorbringen kann, sagen, dass nicht alles erlaubt ist, was möglich ist. Denjenigen, die befürchten, dass die Diskussion hierüber am Ende zu einem Dammbruch führt, möchte ich entgegenhalten, dass solche Vorhalte in eine völlig falsche Richtung zielen. ({5}) Ich sage - das ist aus meiner Sicht völlig klar, und daran will auch niemand etwas ändern -: Es bleibt bei den Bestimmungen des Embryonenschutzgesetzes aus dem Jahre 1990; es gibt da keine Veränderungen, und es gibt keine nachhaltigen Veränderungen beim Verbot des Imports von embryonalen Stammzellen, wie es im Stammzellgesetz von 2002 niedergelegt ist. Es findet nur eine einzige Änderung statt, die leicht zu rechtfertigen ist: Wenn man nämlich diese Forschung will, sich also zur embryonalen Stammzellforschung bekennt, dann muss ihr ein Rahmen gegeben werden, der ethisch verantwortbar ist. Zugleich muss aber auch klar formuliert und geregelt werden, dass entsprechenden Anträgen ein Ausnahmecharakter zukommt. Hierzu hat aber eine Stichtagsregelung überhaupt keinen Bezug. ({6}) Deshalb meine ich, dass man sie in diesem Fall, auch vor dem Hintergrund ethischer Aspekte, aufheben muss. ({7}) Ich glaube - deshalb werbe ich auch für diese Position -, die Stichtagsregelung hilft niemandem, sie wird auch auf Dauer nicht befrieden; das ist ja auch schon gesagt worden: Nachdem nämlich 2002 von einer einmaligen Regelung die Rede war, steht jetzt zur Diskussion, diesen Stichtag um fünf bis sechs Jahre zu verschieben. Aber in zwei bis drei Jahren werden wir angesichts der Entwicklung der Stammzellforschung wieder vor dem Dilemma stehen, einen Stichtag als entscheidendes Kriterium für die Genehmigung von Anträgen benennen zu müssen. Ich glaube, dass ein solches Vorgehen falsch ist. Wenn man zur embryonalen Stammzellforschung steht, dann muss man ehrlich sein, eine Aufhebung der Stichtagsregelung fordern und darauf vertrauen, dass das Robert-Koch-Institut und die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung verantwortbare Entschei16294 dungen treffen, um ein Ausufern bzw. einen Dammbruch in diesem Forschungsbereich zu verhindern. Herzlichen Dank. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält die Kollegin Dr. Petra Sitte. ({0})

Dr. Petra Sitte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003848, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Gründe, Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen zu befürworten, haben sich für mich aus wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritten abgeleitet. Die Expertenanhörungen haben mich darin bestärkt. In Diskussionen, auch in meiner Fraktion, ging es jedoch nur an zweiter Stelle um die Perspektiven medizinischer Stammzellforschung. Das verwundert mich, ehrlich gesagt, bis heute ein wenig. Auch an der jüngsten Anhörung hat mit Professor Schöler nur ein einziger Stammzellforscher teilgenommen. Infolge dieser Schwerpunktverlagerung wurden vor allem Bewertungen im Umfeld der Stammzellforschung diskutiert. Fachdisziplinären Gründen stehen nunmehr ethische und verfassungsrechtliche Argumente im Pro und Kontra einer Stichtagsänderung zur Seite. Kennzeichnend ist über alles, dass es Gewissheiten weder aus Sicht der Stammzellforschung noch aus Sicht von Ethik und Verfassungsrecht gibt. ({0}) Werte und Rechtsgüter stehen sich gegenüber. Daraus folgende Konflikte und Widersprüche bedürfen also weiterhin eines gesellschaftlichen Diskussions- und Handlungsspielraumes. Insofern muss der säkulare, plurale Rechtsstaat mit Blick auf die embryonale Stammzellforschung einen schlüssigen politischen wie auch rechtlichen Kompromiss ermöglichen. Statt jedoch einen „schonenden Ausgleich“, wie das die Experten bezeichnet haben, mit einer Stichtagsverschiebung zu finden, wird auch in dieser Debatte der Eindruck erweckt, als könne es in der Frage der Stichtagsänderung keinen Kompromiss geben. Allerdings ist - einige haben das hier auch schon gesagt - das geltende Stammzellgesetz ein lebendiger und sich bewährender Kompromiss. ({1}) Diesen sollten wir erhalten, eben weil noch so viele Fragen offen und zu klären sind. Und so werben Abgeordnete meiner Fraktion und auch ich persönlich für diesen Kompromiss, obwohl wir die Ersetzung des Stichtages durch eine Einzelfallprüfung eigentlich für konsequenter hielten. ({2}) Zugleich richtet sich an die Gegner der Stammzellforschung aus meiner Sicht die Frage, weshalb sie die Gewinnung humaner embryonaler Stammzellen und somit den Verlust von Embryonen verhindern wollen, indem sie das Stammzellgesetz revidieren. Experten haben doch wiederholt darauf hingewiesen, dass im Stammzellgesetz nicht diese Handlung geregelt wird. Es geht im Gesetz nicht um Embryonen, sondern um den Import von Stammzelllinien. ({3}) Nicht die Verwendung von Embryonen wird bestimmt, sondern die Verwendung von Zellen, die in der Vergangenheit und in einem anderen Land aus überzähligen Embryonen gewonnen wurden. ({4}) Diese Rechtslage bleibt auch bei einer Änderung des Stichtages erhalten. ({5}) Das Verbot des Embryonenverbrauchs für die Forschung leitet sich - völlig zu Recht angemerkt - aus dem Embryonenschutzgesetz ab. Dieses allerdings - das muss ausdrücklich gesagt werden - verbietet aber nicht das Verwerfen von Embryonen an sich. Werden diese nämlich nicht zum Zwecke der Fortpflanzung einer Frau übertragen, dann besteht kein Erhaltungsgebot. Erst für den Zweck der Forschung wurden ein Erhaltungsgebot und ein Verwendungsverbot bestimmt. Dennoch fürchten viele Abgeordnete, dass eine Änderung des Stammzellgesetzes der Verzweckung, wie schon gesagt, von menschlichem Leben in Deutschland Tür und Tor öffnet. Lebens- und Würdeschutz könnten aufgeweicht werden. Das Gesetz hat also für viele Abgeordnete hier durchaus eine Symbolwirkung. Lassen Sie mich dazu Professor Hilpert von der Katholisch-Theologischen Fakultät München aus der Anhörung zitieren. Er sagte dort: Ich habe bislang noch keine schlüssige Antwort auf die Frage finden können, weshalb die Zerstörung von verwaisten Embryonen durch Auftauen und Entsorgung ethisch würdiger sein soll als ihre Zerstörung durch Entnahme von Stammzellen für die medizinische Forschung, wenn feststeht, dass sie einer Frau nicht mehr eingesetzt werden können. ({6}) Meine Damen und Herren, in diesem Haus, aber auch in der Wissenschaft sind sich alle darin einig, dass menschliches Leben in vorgeburtlichen Stadien geschützt werden muss. Ein willkürlicher Zugriff, auch durch die Forschung, wird hier von niemandem vertreten. Also kann auch der Vorwurf der Vernachlässigung von Würde- und Lebensschutz nicht erhoben werden. ({7}) Die ethisch umstrittenste Frage bleibt, wann menschliches Leben beginnt und damit die Zuschreibung von Menschenwürde. Welchen Umfang soll der Lebensschutz haben? Bis heute treffen selbst Verfassungsrecht und höchstrichterliche Rechtsprechung dazu keine eindeutige Aussage. In der Gesellschaft finden sich verschiedene Wertegemeinschaften mit verschiedenen Wertekonzeptionen. Daher differieren auch moralische und ethische Haltungen. Weil ebendie Antworten durch viele wertgebundene Deutungsschritte geprägt sind, sagen Ethiker, dass der Gesetzgeber nicht zwangsrechtlich intervenieren darf. In diesem Sinne hoffe ich, dass wir heute als verantwortungsvolle Gesetzgeberinnen und Gesetzgeber den Stammzellkompromiss zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz von 2002 mit einer Stichtagsänderung fortschreiben. Danke schön. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Rolf Stöckel. ({0}) - Entschuldigung. Wir richten uns selbstverständlich nach der vereinbarten Rednerliste. Das Wort hat also die Kollegin Priska Hinz.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Stammzellkompromiss von 2002 hat deshalb zur gesellschaftlichen Befriedung beigetragen, weil das Parlament auf Basis ethischer Grundsätze ein Gesetz verabschiedet hat. Wenn man jetzt die Argumente überprüft, weshalb der Stichtag verschoben oder gar völlig aufgehoben werden soll, und sich die Ergebnisse der human-embryonalen Stammzellforschung ansieht, dann kann man nur nüchtern feststellen: Es gibt überhaupt keine überzeugende Begründung für eine Verschiebung. ({0}) Das häufigste Argument der Forscherinnen und Forscher, die Stammzelllinien seien veraltet und deswegen unbrauchbar, lässt sich allein schon durch die Tatsache widerlegen, dass bereits in den ersten dreieinhalb Monaten dieses Jahres fünf Forschungsprojekte mit Stammzelllinien von vor 2002 neu genehmigt wurden. Damit ist dieses Argument widerlegt. ({1}) Die alten Stammzelllinien werden weltweit in aktuellen Forschungsprojekten genutzt - im Übrigen auch bei der sogenannten vergleichenden Forschung, bei der neue Entwicklungsansätze in der Stammzellforschung überprüft werden, Frau Ministerin. Die Behauptung, die neuen Linien seien besser, weil sie nicht verunreinigt sind, ist im Übrigen durch keine wissenschaftliche Untersuchung belegt. ({2}) Im Gegenteil: Es gibt derzeit keine embryonalen Stammzellen weltweit, die xenogenfrei sind, also ohne tierische Nährzellen entwickelt wurden. Daran würde auch eine Verschiebung des Stichtages nichts ändern. ({3}) Besonderes Gewicht hat die Frage: Gibt es Aussicht darauf, dass embryonale Stammzellen zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können? Hier hat sich seit 2002 hinsichtlich der Erwartung, dass embryonale Stammzellen zur Therapie von Krankheiten eingesetzt werden können, sogar noch größerer Zweifel breitgemacht. Wenn man sich anschaut, mit welcher Vehemenz Forderungen nach mehr und neuen Stammzelllinien vorgetragen werden und wie wenig beachtet wird, wie weit wir in der adulten Stammzellforschung schon sind, dann finde ich das sehr beachtlich. ({4}) Wenn wir über Heilung von Krankheiten und Therapien sprechen, dann sollten wir auch darüber reden, dass inzwischen weltweit mehrere Tausend herzkranke Patienten erfolgreich mit adulten Stammzellen behandelt wurden. Der Stammzellforscher Professor Strauer war bei uns in der Anhörung. Er sagte, wir sollten uns auf das konzentrieren, was uns mit Blick auf den Patienten klinisch weiterbringe, was heute eindeutig mit den adulten Stammzellen gelinge. Er sagte auch ganz deutlich, dass er noch nie die human-embryonale Stammzellforschung gebraucht habe, um bei seiner Forschung mit adulten Stammzellen voranzukommen. Das ist doch ein deutliches Wort. Auch das sollten wir ernst nehmen. ({5}) Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres ethisches Problem ansprechen, das in der Debatte wenig Gehör findet, das für die Zukunft aber, wie ich glaube, relevant ist: Wenn das Stammzellgesetz weiter geöffnet wird, dann besteht die Gefahr, dass ärmere Frauen zunehmend mit finanziellen Anreizen zur Eizellspende im Ausland animiert werden. Mit einer Änderung des Stammzellgesetzes steigt die Gefahr, dass embryonale Stammzellen importiert werden könnten, die von „frischen“ Embryonen Priska Hinz ({6}) stammen, die gezielt zu Forschungszwecken erzeugt wurden. ({7}) Wir reden erstens über die Verschiebung und zweitens über die völlige Freigabe. Wenn man einmal verschiebt, kann man auch ein zweites und drittes Mal verschieben. ({8}) Dann sind wir nicht mehr davor gefeit, dass Stammzelllinien, die extra zu Forschungszwecken erzeugt wurden, nach Deutschland eingeführt werden. Die Risiken der notwendigen hormonellen Behandlung und der Eingriff für die Frau sind sehr groß. Auch das ist ein Grund, weshalb Frauen in der Mehrheit, auch in Deutschland, gegen eine Ausweitung der humanen embryonalen Stammzellforschung sind. Ich glaube, diese Ablehnung hat etwas mit dem Körper der Frau zu tun, insbesondere mit der Tatsache, dass man für die embryonale Stammzellforschung Eizellen braucht. ({9}) Die meisten Argumente, die hier vorgebracht wurden, sind nicht neu. Sie werden in zwei, drei oder vier Jahren wieder auf den Tisch kommen. Was jetzt richtig ist, kann in ein paar Jahren nämlich nicht falsch sein. Deswegen ist eine Verschiebung eine immerwährende Verschiebung. Damit würde die Glaubwürdigkeit ethischer Versprechen des Parlaments beschädigt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, bitte.

Priska Hinz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003769, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich glaube, wir tun gut daran, auf dem Kompromiss von 2002 zu beharren. Deswegen bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Danke schön. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Bitte, Herr Kollege Stöckel.

Rolf Stöckel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003240, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Unsere gestrige Gedenkstunde hat mir einiges wieder bewusst gemacht, vor allen Dingen eines: Eine mutige und selbstbewusste Demokratie sollte die internationale Entwicklung in der Molekularbiologie konstruktiv mitgestalten und nicht, was aussichtslos ist, zu verhindern versuchen. ({0}) Niemand in diesem Haus will aus dem ethischen Konsens austreten, nach dem nicht alles gemacht werden darf, was machbar ist, oder vom Grundsatz abweichen, dass kein menschliches Leben der Verzweckung ausgesetzt werden darf. An einer Herabwürdigung des ethischen Verantwortungsbewusstseins deutscher und internationaler Forscher sowie anderer demokratischer Parlamente in der westlichen Wertegemeinschaft möchte ich mich - das sage ich ausdrücklich - nicht beteiligen. ({1}) Ebenso wie Frau Ministerin Schavan und viele Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen habe ich die ethisch vertretbare und verfassungskonforme Auffassung, dass der Lebensschutz sowohl die besondere Achtung des beginnenden, potenziellen menschlichen Lebens als auch die Verwirklichung der Chance auf Linderung und Heilung schwerster Krankheiten und Leiden lebender Menschen umfasst. Wenn der Stichtag nicht gestrichen oder mindestens verschoben wird, bedeutet das faktisch ein Ende dieser Spitzenforschung in Deutschland. Das wäre ein schwerwiegender Konflikt mit der verfassungsrechtlich garantierten Forschungsfreiheit; so habe ich die Sachverständigen und Fachleute in den Anhörungen verstanden. Die Frage, welche Erfolge die embryonale Stammzellforschung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erzielen wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu beantworten. Das liegt in der Natur der Sache. Diese Tatsache begründet aber keinesfalls ein Forschungsverbot. Ich frage Sie: Wo stünden die menschliche Zivilisation und die Humanmedizin, wenn wir dieser Logik folgen würden? ({2}) Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung sind nur dann richtig einzuschätzen, wenn wir lernen, sie zu verstehen. Nur wer die Wissenschaft auf dem Boden unserer Verfassung verantwortlich betreibt und versteht, kann die Chancen nutzen und Risiken vermeiden helfen. ({3}) Die Erfüllung von Hoffnungen und Versprechen konnte in der gesamten Wissenschaftsgeschichte übrigens ebenso wenig vorhergesehen werden wie das Eintreten düsterer, apokalyptischer Prophezeiungen. Oder um es besser in den Worten von Willy Brandt zu sagen: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusehen, ist, sie zu gestalten.“ Dazu bedarf es nicht der vorauseilenden Vermeidung vermeintlichen Unglücks, sondern der Erforschung und Prüfung der medizinischen Möglichkeiten, und zwar im globalen öffentlichen Raum, demokratisch kontrolliert im Rahmen strenger gesetzlicher Regeln, die letztlich überhaupt nur europäisch und international wirksam werden können. Das ist die rationale Antwort auf die angstbesetzten Mythen über Dr. Frankenstein bzw. die Geheimlabore menschenverachtender Verbrecher und Diktatoren. Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn aus der Forschung, die in einer sogenannten Sternstunde des Parlaments erschwert oder gar ganz verboten werden soll, die Erkenntnis gewonnen würde, dass ein Verbrauch humaner Embryonen für die Herstellung totipotenter Stammzellen zukünftig vielleicht überflüssig wird. Das ist nicht ausgeschlossen. Deshalb kann die Bedeutung der Forschung mit embryonalen Stammzellen nicht auf ihre Anwendungspotenziale reduziert werden. Unser Gesetzentwurf stellt keinesfalls eine unverantwortliche Freigabe des Embryonenverbrauchs oder das ethische Gegenteil der Hüppe’schen Inquisition dar, sondern meines Erachtens einen Kompromiss zugunsten des Lebensschutzes in einer pluralistischen Gesellschaft, einer Gesellschaft, die die künstliche Befruchtung, das Einfrieren und die Vernichtung nicht implantierter Embryonen erlaubt und den Abtreibungskompromiss oder die Legalisierung nidationshemmender Verhütungsmittel mit überwältigender Mehrheit zumindest nicht infrage stellt. Unser Gesetzentwurf bewegt sich, wie die anderen Entwürfe auch, innerhalb des Spektrums der ethischen Schnittmengen und strittigen Debatten der Weltreligionen und -anschauungen. Er ist keinesfalls jenseits aller verantwortbaren Zivilisationen angesiedelt. Die internationale Praxis seit 2002 liefert keinen einzigen Beleg für die These, dass der Verzicht auf einen Stichtag im deutschen Stammzellgesetz dazu führen würde, dass im Ausland mehr embryonale Stammzellen gewonnen und dadurch zusätzlich überzählige Embryonen verbraucht würden. Das deutsche Stammzellgesetz bleibt aber so lange nicht widerspruchsfrei, bis wir das Embryonenschutzgesetz, wie andere Demokratien auch, mit klaren und engen Regeln verändert haben. Darum geht es heute allerdings überhaupt nicht. Meine Damen und Herren, geben Sie sich also den Ruck, der durch Deutschland gehen muss! Schenken Sie uns eine Stunde Lebenszeit statt zwei oder vier weiterer namentlicher Abstimmungen! Geben Sie Deutschland eine Mehrheit für unseren Antrag! Herzlichen Dank. ({4})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Carola Reimann.

Dr. Carola Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003434, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vergangenen Wochen und Monate standen im Zeichen einer intensiven Debatte über die Stammzellforschung. Der Großteil dieser Diskussion war erfreulicherweise erneut durch ein ganz hohes Maß an Verantwortung und Reflexion über den Umgang mit embryonalen Stammzelllinien gekennzeichnet. ({0}) Wir haben uns - ich denke, da kann ich für alle hier im Hause sprechen - unabhängig von der jeweiligen eigenen Position die heutige Entscheidung insgesamt nicht leicht gemacht. Im Vorfeld wurde immer wieder versucht, die angeblich ethisch unproblematische adulte Stammzellforschung gegen die ethisch problembehaftete embryonale Stammzellforschung auszuspielen. Es wurde so getan, als ob die Forschung mit adulten Stammzellen bereits heute die lang ersehnte Alternative zur embryonalen Stammzellforschung darstellt und man daher auf Letztere ganz verzichten kann. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus. Adulte Stammzellforschung benötigt weiterhin die Ergebnisse der embryonalen Stammzellforschung als Bezugs-, Referenz- und Vergleichsgröße. Dies bestätigte erst kürzlich der japanische Forscher Yamanaka, der im Übrigen zeitgleich zu unserer ersten Lesung im Parlament neue Erfolge zur Zellreprogrammierung vorgelegt hat. Yamanaka arbeitet mit Epithelzellen; das sind beispielsweise Zellen in der Darmwand. Er hat sie mithilfe von vier eingeschleusten Genen reprogrammiert und damit sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen hergestellt. Diese Stammzellen mit induzierter Pluripotenz verhalten sich nahezu wie embryonale Stammzellen. Dieses Beispiel zeigt: Auch Yamanaka, der mit seiner Forschung dazu beitragen möchte, dass der Verbrauch von Embryonen künftig vermieden werden kann, benötigt den Vergleich mit embryonalen Stammzelllinien. ({1}) Die Mehrheit der seriösen Stammzellforscher betont immer wieder, dass für ihre Forschung zum Zwecke von Qualitäts- und Funktionalitätsvergleichen nach wie vor auch Arbeiten an embryonalen Stammzelllinien notwendig sind; auch in dieser Woche gab es dazu entsprechende Äußerungen und Schreiben. Genau deshalb fördert das BMBF beide Forschungsansätze. Allerdings muss ich sagen, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der Mittel, 97 Prozent, ({2}) für die Forschung an adulten humanen Stammzellen und für die Untersuchung an Tiermodellen ausgegeben wird. ({3}) Trotzdem steht fest, dass in der Grundlagenforschung derzeit nur gleichzeitige Arbeiten an beiden Forschungsansätzen zum Erfolg und zu Therapieerfolgen auch im adulten Bereich führen können. Aus diesem Grunde bleiben beide Ansätze für die medizinische Forschung bedeutsam. Deswegen ist es notwendig, dass ausreichend geeignete embryonale Stammzelllinien zur Verfügung stehen. ({4}) Zudem weisen die Wissenschaftler darauf hin - Frau Hinz, ich bitte Sie, kurz zuhören -, dass noch viele Jahre der Grundlagenforschung erforderlich sein werden, bevor erste Handlungsoptionen verfügbar sind. Das sagen die Wissenschaftler selbst. ({5}) Ihnen immer zu unterstellen, sie würden etwas anderes behaupten, halte ich für nicht gerechtfertigt. ({6}) Ein Kennzeichen der Grundlagenforschung - auch das ist schon gesagt worden - ist die Nichtvorhersehbarkeit ihrer Ergebnisse. Deswegen geht es hier und heute vor allen Dingen darum, für Forschungschancen und Therapieoptionen zu sorgen. Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzentwurf beinhaltet einen in der Vergangenheit liegenden festen Stichtag und - das wurde bisher nur selten angesprochen - die Aufhebung der Strafandrohung für deutsche Wissenschaftler. Wir wollen, dass der Grundsatzbeschluss des Deutschen Bundestages aus dem Jahre 2002 beibehalten wird. Besonders wichtig ist, dass wir durch die behutsame Novellierung des Stammzellgesetzes den gesellschaftlichen und ethischen Friedensschluss, den wir im Laufe der letzten Jahre erzielt haben, erhalten. ({7}) Ich will auch darauf hinweisen, dass eine einmalige Verschiebung des Stichtags entgegen dem, was vorhin behauptet wurde, keinerlei Auswirkungen auf das deutsche Embryonenschutzgesetz und seinen hohen Schutzstandard hat. Mit unserem Gesetzentwurf würden wir ermöglichen, dass die hochrangige und alternativlose Forschung an bereits etablierten Stammzelllinien in Deutschland in einem klar begrenzten Umfang durchgeführt werden kann. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Monika Knoche ist die nächste Rednerin.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Um es ganz klar zu sagen: Wer heute den Stichtag verschiebt, kann sich nicht mehr auf den Kernbestand des Gesetzes von 2002 berufen. ({0}) Denn ab dann würde die Embryonenproduktion für fremdnützige Zwecke gebilligt. ({1}) Es besteht kein Zweifel, dass Frauen in den Ländern, die diese neuen Zelllinien exportieren, zu Eizelllieferantinnen gemacht würden, weil dort kein Embryonenschutzgesetz existiert, in dem die Praxis der künstlichen Befruchtung geregelt ist. Dagegen wendet sich auch der Deutsche Frauenrat entschieden. ({2}) Vor sechs Jahren hat dieses Haus mit überwältigender Mehrheit seine Auffassung bekräftigt, dass kein einziger weiterer Embryo zum Zwecke der Forschung in Deutschland vernichtet werden soll. Diesen Konsens verlässt die Gruppe Röspel. Es geht um weitaus mehr als um die Änderung eines Datums. Das Wichtigste ist die ethisch-moralische Dimension einer Gesetzesänderung. Im Mittelpunkt steht die zentrale Menschenrechtsfrage der Moderne, vor die wir alle durch die Entwicklung der Forschung und der Fortpflanzungsmedizin gestellt wurden. Sie lautet: Hat der menschliche Embryo eine Menschenwürde? Ist er ein Mensch in Entwicklung, auch und gerade dann, wenn er nicht durch Schwangerschaft in die Welt kommen wird, sondern durch künstliche Befruchtung ohne den Körper der Frau bereits auf der Welt ist? Diese Auffassung, die ich vertrete, steht nicht im Gegensatz zum Menschenrecht der Frau, keiner Gebärpflicht im Fall der Schwangerschaft unterstellt zu werden. Eine Unterscheidung zwischen dem Status eines Embryos in vivo und dem Status eines Embryos in vitro ist nicht notwendig. Er hat Menschenwürde. Es gilt das prinzipielle Instrumentalisierungsverbot. Genau darüber reden wir heute. Es geht um die unbedingte Zweckfreiheit der menschlichen Existenz. ({3}) An diesem ethischen Prinzip müssen wir festhalten; denn der menschenrechtliche Status des Embryos darf nicht zur Disposition gestellt werden, weil es ein immer stärker wachsendes Interesse an seiner Nutzbarmachung gibt. Deshalb lautete das Credo der Bundestagsentscheidung von 2002: Der Embryo hat Menschenwürde, so wie wir es im Embryonenschutzgesetz bestimmt haben. Ich frage: Kann, darf und wird diese Festlegung heute verworfen? ({4}) Ist die eigentliche Entscheidung des Parlamentes die, dass wir Nießnutz daraus ziehen wollen, dass der Embryo in vitro im Ausland zur humanbiologischen Sache erklärt wird, um in Deutschland neues Forschungsmaterial zu werden? Die immer neuen Begehrlichkeiten dieser Forschung dürfen uns als Gesetzgebende nicht handlungsleitend sein. Es geht um Grundsätzliches. In Deutschland ist der Embryo ein Rechtssubjekt, im Ausland ein materielles Objekt. Eine solche Haltung in Gesetz gegossen, kann kein moralisch-integrer Weg sein. ({5}) Die bestehenden Begrenzungen von 2002 fortzuschreiben, bedeutet jedoch keine Absage an die Stammzellforschung; denn es gibt überzeugende Alternativen, die schon heute therapeutische Hilfe ermöglichen. Sie liegen in der Reprogrammierung von Zelllinien und in der adulten Stammzellforschung. Diese gilt es zu stärken, weil sie einer humanistischen Humanmedizin entsprechen. Wir können keine Forschung aufbauen und fördern, die darauf aufbaut, dass Embryonen erzeugt und zerstört werden, um frische Zelllinien zu gewinnen. Ich sage: Auch wenn sich der Embryo, um den es hier geht, in seinem frühen Entwicklungsstadium noch nicht als menschliches Gegenüber zeigt, so hat er doch die volle, aus ihm selbst kommende Kraft, sich als Mensch zu entwickeln und genau die Person zu werden, die normalerweise geboren wird. ({6}) Es gibt aus meiner Sicht keine Möglichkeit, ihm die Zugehörigkeit zur Menschheit abzusprechen und ihn davon auszuschließen. Es kann auch kein gestuftes Menschenwürdekonzept geben. Wer sagt, der Embryo sei nur dann ein Mensch, wenn er die Gebärmutter einer Frau erreicht und zur lebensfähigen Reife gelangt, sieht über die Anthropologie und über die Menschenrechtsphilosophie unserer Verfassung hinweg. ({7}) Ich trete für die prinzipielle Zweckfreiheit des menschlichen Lebens ein, egal wie und wo es sich zeigt. Das Verbot der fremdnützlichen Forschung als Tabu ist für mich die wertvollste zivilisatorische Errungenschaft, die wir aus historischer Erfahrung haben. Mit der embryonalen Stammzellforschung ist eine neue Menschenrechtsfrage und eine neue Frauenfrage aufgekommen. Wir stehen vor der Aufgabe, den Wissensgewinn und das Generieren von neuen Therapien zu ermöglichen. Die Forschungsfreiheit hat Verfassungsrang. Sie muss sich innerhalb ethisch-moralischer Grenzen entwickeln.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss.

Monika Knoche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002701, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenze im Vorrang der Menschenwürde. Deshalb sage ich Nein zu einer Gesetzesänderung. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort hat nun der Kollege Carsten Müller.

Carsten Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003815, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach meiner Überzeugung zeichnet sich eine gute gesetzliche Regelung dadurch aus, dass sie konsistent ist ({0}) und dass sie sich in einen gesetzlichen Gesamtzusammenhang widerspruchsfrei einfügt. Würde man die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen verbieten oder würde man eine solche Forschung infolge des Zeitablaufes unmöglich werden lassen, dann tun sich solche Widersprüche zwangsläufig auf. Ich will Ihnen einige wenige nennen. Wir haben das gewichtige Problem der Spätabtreibungen. Verschiedene Redner haben bereits das Problem der sogenannten Pille danach angesprochen. Wir müssen uns dann auch fragen: Sind Nidationshemmer, ist die Spirale ethisch überhaupt vertretbar? Wir müssen uns womöglich auch fragen - der Kollege Tauss hat das angesprochen -, wie wir es mit dem Transplantationsgesetz halten. ({1}) Schauen wir uns die Situation an: Was wäre mit den Embryonen, die bislang für die Stammzellgewinnung verbraucht worden sind, passiert? Wenn wir eine solche Betrachtung anstellen, kommen wir zwangsläufig zu dem Ergebnis, dass die Verwendung dieser tiefgefrorenen Embryonen - von denen es auf der Welt Hunderttausende gibt -, nicht dazu geführt hat, dass diese Embryonen nicht als Mensch auf die Welt gekommen sind. Mithin war die Verwendung dieser Embryonen in der beschriebenen Art und Weise eben gerade nicht Conditio, Bedingung dafür, dass sie nicht als Menschen auf die Welt gekommen sind. Wo eine Conditio nicht da war, ist auch kein Raum für eine Verzweckungsdiskussion. Der ethische Gehalt der Regelung des Jahres 2002 - dass von Deutschland kein Anreiz zur Herstellung und Tötung von Embryonen ausgeht - soll erhalten bleiben. Auch das ist ein Gesichtspunkt für eine gute und konsistente rechtliche Regelung. Denn ob eine rechtliche Regelung gut und konsistent ist, kann man daran festmachen, ob der Wesensgehalt erhalten wird; man kann es aber nicht daran festmachen, ob der exakte Wortlaut über die Jahre und Jahrzehnte fortgeschrieben wird. ({2}) Deutschland muss bei der Forschung an humanen embryonalen Stammzellen international den Anschluss behalten, unter forschungspolitischen Gesichtspunkten wie unter dem Gesichtspunkt, dass wir an der ethischen Diskussion weiterhin teilnehmen. Wir müssen an dieser Diskussion teilnehmen, weil wir auch bei einer Verschiebung des Stichtages - für die ich plädiere - weiterhin durch eine vorgeschaltete Einzelfallprüfung bei jedem Importfall besonders hohe rechtliche und ethische Maßstäbe anlegen. ({3}) Carsten Müller ({4}) Hierzu dient natürlich auch das überhaupt nicht infrage zu stellende Embryonenschutzgesetz. Ich möchte zum Schluss eine weitere Motivation nennen, weswegen ich den Gesetzentwurf für eine Verschiebung des Stichtages unterstütze und weswegen ich an Sie appellieren möchte, dem zuzustimmen: Der ethische Sinngehalt der Regelung des Jahres 2002 bleibt erhalten. Wir haben nach wie vor hohe ethische Maßstäbe, und wir ermöglichen weiterhin Forschung, die dem Heilen dient. Dieser Gedanke hat im Jahre 2002 eine große Befriedungswirkung gehabt. Ich bin mir sicher, dass eine solche Befriedungswirkung auch von dem Gesetzentwurf ausgeht, mit dem eine Verschiebung des Stichtages auf den 1. Mai 2007 angestrebt wird. ({5}) Deswegen hat dieser Gesetzentwurf über seinen sachlichen Gehalt hinaus - hier ist noch einmal das Stichwort der rechtlichen Konsistenz zu nennen - einen weiteren Wert, nämlich den Wert der Vermittlungs- und Befriedungswirkung. Ich bitte Sie um Zustimmung. Vielen Dank. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Hans-Michael Goldmann. ({0})

Hans Michael Goldmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich heute den Bundestag betrat, wurde ich gefragt, was ich von der Debatte erwarte. Ich habe geantwortet: Ich hoffe, dass der eine oder andere offen ist für die Argumente, die vorgetragen werden. Darum bitte ich jetzt. Ich bin für die Beibehaltung der Stichtagsregelung; aber ich wehre mich entschieden dagegen, in die Ecke gestellt zu werden, ich sei nicht für eine menschenfreundliche Medizin ({0}) oder ich würde das Heilen von Menschen nicht als moralische Verpflichtung empfinden. Nebenbei gesagt: Dazu ist jeder Arzt per Eid verpflichtet. Die FDP hat in einem Parlament nie die Mehrheit. ({1}) Ich glaube, deshalb ist es so, dass Liberale immer um Kompromisse ringen. Das haben wir 2002 getan. Der Kompromiss, den wir damals getroffen haben, war gut. Er wurde von der Gesellschaft insgesamt getragen. Zu einem etwas unglücklichen Zeitpunkt hat dann die Deutsche Forschungsgemeinschaft gefordert, dass sich in diesem Bereich etwas tun muss, weil wir in der Forschung abgehängt werden. Dann haben wir das getan, was unserem parlamentarischen Stil entspricht: Wir haben eine Anhörung dazu durchgeführt. Diejenigen, die die Anhörung verfolgt haben, konnten eigentlich nur zu einem Ergebnis kommen: Möglicherweise ist es an der einen oder anderen Stelle ein bisschen forschungsfreundlicher, wenn wir den Stichtag verschieben. Werden damit aber auch die Lebensinteressen von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt? ({2}) Wie sind die Schreiben und Mahnungen der Organisationen einzustufen, die uns erreichen? Wie sieht es mit den Heilungserwartungen aus, die die Patienten an eine solche Regelung stellen? Wie ist das mit der grundgesetzlichen Verankerung des Schutzes und der Würde des Menschen vereinbar? ({3}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es tut mir leid: Gucken Sie ins Grundgesetz! Der Fall ist eindeutig geregelt und ausgelegt. Das verstehe auch ich als Nichtjurist. Gemäß dem Grundgesetz gibt es keinen aufsteigenden Lebensschutz, genauso wenig wie es einen abnehmenden Lebensschutz gibt. ({4}) Der Embryo ist menschliches Leben von Anfang an. Er hat von Anfang an eine Würde, und er muss von uns als Gesetzgeber geschützt werden. Deswegen ist es bei der heutigen Debatte unser Grundauftrag, uns bei dieser Frage am Grundgesetz zu orientieren. Da ich selbst einmal Tiermedizin studiert habe, weiß ich, wie viel Spaß Forschung macht. Es gibt aber keine Freiheit der Forschung, sondern es gibt nur eine Forschung innerhalb des Rahmens, der im Grundgesetz verankert ist. ({5}) Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass der eine oder andere der Auffassung zuneigt, dass wir alles und jedes erforschen dürfen. Ich will hier keinen historischen Vergleich herstellen, aber bedenken Sie das bei Ihrer Entscheidung. Ich meine, dass ein solches Forschungsverständnis mit unserem Grundgesetz absolut nicht in Einklang zu bringen ist. ({6}) Der Kompromiss trägt. Jetzt wird das neue Argument gebracht, dass wir den Wissenstransfer in diesem Bereich brauchen. Ich habe mit einer solchen Formulierung große Probleme. Man setzt im Grunde genommen darauf, embryonale Stammzellen sozusagen als Vergleichszellen bzw. Referenzmedium zu nutzen. ({7}) Wollen wir embryonale Stammzellen - Menschen bzw. zumindest Zellen, die eine menschliche Würde besitzen als Referenzmedium nutzen? Ist das mit unserem Grundgesetz in Einklang zu bringen? Nein, da liegen Sie falsch. Es ist im Grundgesetz eindeutig definiert, wie wir damit umzugehen haben. Wenn menschliches Leben existiert, kommt ihm auch eine Menschenwürde zu. Es ist nicht entscheidend, ob sich der Träger dieser Würde bewusst ist. Genau so ist es definiert. ({8}) Nach der Summierung all der Gesichtspunkte, die mir bei der intensiven Anhörung noch klarer geworden sind, bin ich der Meinung: Der Kompromiss von 2002 war ein guter Kompromiss. Es gibt keinerlei Veranlassung, diesen Kompromiss zum jetzigen Zeitpunkt aufzukündigen. Ich bitte Sie, dafür zu stimmen, dass es bei der bisherigen Regelung bleibt. Herzlichen Dank. ({9})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Meinhardt.

Patrick Meinhardt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003807, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute hat dieses Hohe Haus die Chance, auf einem guten ethischen Fundament ein tragfähiges wissenschaftliches Haus weiterzubauen. Schon die Debatte vor wenigen Wochen war von einem ganz besonderen Geist geprägt, wie es der Vorsitzende der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Matthias Kleiner, beschrieben hat: Die sachliche, ernsthafte und von hoher Verantwortung geprägte Debatte hat mich tief beeindruckt. Für mich als Christ heißt es, aus der Verantwortung vor Gott und den Menschen heraus die Balance zwischen der Ethik des Heilens und der Ethik des Lebens zu finden. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat in Dresden nach langer und intensiver Debatte im Hier und Heute aus ihrer Verantwortung heraus einen Beschluss gefasst, den ich zitiere: Die EKD-Synode hält eine Verschiebung des Stichtages nur dann für zulässig, wenn die derzeitige Grundlagenforschung aufgrund der Verunreinigung der Stammzelllinien nicht fortgesetzt werden kann und wenn es sich um eine einmalige Stichtagsverschiebung auf einen bereits zurückliegenden Stichtag handelt. Unser Gesetzentwurf atmet denselben Geist eines schonenden Ausgleichs zwischen den beiden so prägenden Grundwerten des Lebensschutzes und der Forschungsfreiheit für therapeutische Zwecke. ({0}) Deswegen ist die Art und Weise, wie in den letzten Tagen mit dem EKD-Ratsvorsitzenden, Bischof Huber, öffentlich umgegangen wurde, als er festgestellt hat, dass die Kirchen akzeptieren müssen, dass es in Fragen der Stammzellforschung ein gewisses Spektrum an Meinungen geben könne und dass die Synode der EKD einen vertretbaren Kompromiss gefunden habe, aus meiner Sicht unerträglich. Der EKD-Ratsvorsitzende stellt sich einer ethischen Debatte inmitten unserer Gesellschaft. Dafür verdient er allen Respekt. ({1}) Wenn - wie gestern im Kölner Stadt-Anzeiger zu lesen war - der Papstberater Manfred Lütz, Mitglied des Direktoriums der Päpstlichen Ethik-Akademie im Vatikan, an die Öffentlichkeit tritt und die Ethik des Heilens als inhumanen Fundamentalismus bezeichnet, dann ärgert mich das, weil ich mich als Parlamentarier und Christ nicht in eine ethische Schmuddelecke stellen lassen will. ({2}) Wenn aber, Frau Ministerin, Frau Kollegin Aigner, Herr Kollege Röspel und auch Frau Kollegin Flach und meine Kolleginnen und Kollegen aus der FDP-Fraktion, derselbe Berater uns allen - den Befürwortern eines gelockerten Stammzellgesetzes, wie er es formuliert, egal ob es um Stichtagsverschiebung oder Stichtagsaufhebung geht - in der gestrigen Ausgabe des Kölner StadtAnzeigers in offizieller Funktion „kabarettreife Volksverdummung“ vorwirft, dann ist das Maß des Erträglichen überschritten. ({3}) Ich erwarte, dass sich ein Mann der Ethik auch an die Prinzipien des politischen Anstandes hält. Lassen Sie uns besonnen und klug zur Abstimmung schreiten. Es ist ein gutes Zeichen für die Wissenschaftler, wenn wir sie heute bei internationalen Forschungsvorhaben entkriminalisieren. Es ist gut, dass hier ein breiter Konsens über die Bedeutung der adulten Stammzellforschung besteht, in die 97 Prozent der Fördermittel fließen. Es ist auch gut, dass dieses Hohe Haus weit über die einzelnen Gesetzentwürfe hinaus in dem Konsens verbunden ist, dass die Forschung an importierten embryonalen Stammzelllinien unter rigorosen Auflagen und Genehmigungen einen wesentlichen Beitrag zu einer Ethik des Heilens und damit zu einer Hoffnung für viele Kranke wird. Das Zeichen, das heute vom Bundestag ausgehen muss, ist für mich klar: Wir wollen eine Freiheit der Forschung in ethischer Verantwortung. Deswegen bitte ich Sie, auf der Grundlage der bestehenden Beschlüsse des Bundestags der Verlegung des Stichtags zuzustimmen und somit ganz im Geiste unseres Parlaments einen vertretbaren Kompromiss aktiv mitzugestalten. ({4}) Eine letzte Bemerkung sei mir erlaubt. So sehr ich mich auch über die moralischen Zeigefinger in manch einem öffentlichen Debattenbeitrag in den letzten Tagen geärgert habe, ({5}) möchte ich mich doch bei Ihnen allen in diesem Parlament herzlich bedanken. Für mich als Parlamentsneuling war das die erste Debatte, die sich nicht an parteipolitischen Positionen, sondern an neuen Überzeugungsfraktionen orientiert hat. Wir alle haben intensiv gerungen, um eine richtige Entscheidung zu treffen. Es ist eine Stärke unserer Demokratie und ein Zeichen der ethischen Tiefe unserer Parlamentskultur, dass diese Debatte im Bewusstsein des Ernstes der Entscheidung in so großem Respekt vor der Meinung des anderen geführt worden ist. Herzlichen Dank dafür. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist die Kollegin Annette WidmannMauz.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2002 habe ich mich gegen den Import von embryonalen Stammzellen und damit gegen die heute gültige Stichtagsregelung ausgesprochen. Im Jahre 2008 komme ich allerdings zu einer anderen Einschätzung. Damals wie heute lehne ich die Zeugung menschlichen Lebens zu einem anderen Zweck als seiner selbst ab und damit auch die Gewinnung von embryonalen Stammzelllinien, deren Voraussetzung die Zerstörung menschlichen Lebens ist. ({0}) Die Vorstellung, dass mit Zellen geforscht wird, zu deren Gewinnung menschliches Leben zerstört wurde, war für mich eigentlich unerträglich. Der Deutsche Bundestag hat 2002 mit Mehrheit eine andere Regelung beschlossen. So befinden wir uns heute nicht mehr im Status der Unantastbarkeit; denn seit 2002 wird mit embryonalen Stammzellen in Deutschland geforscht. Konkrete Heilsversprechen, wie sie damals zum Teil für die Forschung formuliert wurden, haben sich seither nicht erfüllt. Dennoch kann ich nicht ignorieren, dass die Wissenschaft in den vergangenen sechs Jahren einen erheblichen Erkenntniszuwachs durch die Grundlagenforschung mit Stammzellen errungen hat. Die Erfolge in der adulten Stammzellforschung geben zu großen Hoffnungen Anlass. Aber ich kann auch nicht Augen und Ohren davor verschließen, dass ein Teil der Erfolge und möglicherweise in Zukunft noch größere Erfolge durch die Vergleichsforschung mit embryonalen Stammzellen möglich werden. ({1}) Ich muss auch konstatieren, dass mit dem Gesetz von 2002 verantwortungsbewusst umgegangen wurde. ({2}) Die Zentrale Ethikkommission für Stammzellforschung beim Robert-Koch-Institut hat die Kriterien für den Import und die Auswahl der Forschungsvorhaben streng angewendet. Die Entscheidungen dieses Gremiums wurden von keiner Seite infrage gestellt. ({3}) Auch ist von dieser Regelung kein Anreiz zur Produktion neuer Stammzelllinien ausgegangen. Also habe ich die Verpflichtung, mich diesen Tatsachen zu stellen, mich mit ihnen auseinanderzusetzen, und die Verantwortung, im Kontext des Jetzt mit den heutigen Erkenntnissen zu einer Entscheidung zu kommen. Dabei nehme ich ganz bewusst in Kauf, mich einem ethischen Dilemma auszusetzen; denn es geht um den Schutz menschlichen Lebens und um die wissenschaftliche Erkenntnis, die menschlichem Leben dient. Bei dem Gesetzentwurf, der die Verschiebung des Stichtags vorsieht, geht es eben nicht um den Umgang mit Embryonen oder die Zerstörung menschlichen Lebens. ({4}) Das Gesetz legalisiert keine Verfahren zur Gewinnung von überzähligen Embryonen oder embryonalen Stammzellen. Es schließt den Verbrauch von Embryonen definitiv aus. Es geht um Zelllinien, die bereits vorhanden sind, ohne dass wir dazu beigetragen haben, weder aktiv noch passiv. Sie sind einfach da. ({5}) Ich kann diese Tatsache zwar wie im Jahr 2002 bedauern. Aber sie sind da und bieten die Möglichkeit der Erkenntnis, die menschlichem Leben dient. Die Verwendung dieser Zelllinien bedeutet auch nicht, dass dadurch die weitere Produktion unterstützt wird; denn ein deutlich in der Vergangenheit liegender Stichtag bietet die Gewähr, dass kein falscher Impuls aus Deutschland in diese Richtung geht. ({6}) Verliert ein Stichtag seinen ethischen Wert, wenn er verschoben wird? Diese Frage ist der Kern der Auseinandersetzung. Ein Stichtag ist die Barriere dafür, das ethische Dilemma „zerstören, um zu gewinnen“ irgendwie auszuhalten. Eine Verschiebung ist nur dann gerechtfertigt, wenn gewichtige Veränderungen eintreten, die unter objektiven und plausiblen Gesichtspunkten neue Entscheidungen erforderlich machen. Es stimmt, bloße Behauptungen sind dafür sicherlich nicht ausreichend. Aber nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft, sondern auch wissenschaftliche Vertreter der adulten Stammzellforschung halten die Verwendung von embryonalen Stammzellen zur Vergleichsforschung für unerlässlich, um die Potenziale zum Beispiel bei der Reprogrammierung voll ausschöpfen zu können und damit mittelfristig diese Forschung überflüssig zu machen. Nicht nur die Deutsche Forschungsgemeinschaft stellt fest, dass die in Deutschland zugelassenen Stammzelllinien verunreinigt sind und ihr Forschungspotenzial erheblich eingeschränkt und nicht mehr ausreichend ist. Es gibt aber eine andere Meinung. Auch sie will ich nicht ignorieren. Ich kann und will der Wissenschaft weder bedingungslos vertrauen noch grenzenlos misstrauen. Aber aufgrund meines christlichen Menschenbildes habe ich ein Grundzutrauen zu Menschen und damit auch zu einem Verantwortungsbewusstsein in der Wissenschaft. ({7}) Der Stichtag behält auch nach einer Verschiebung - weil er deutlich in der Vergangenheit liegt - seine Funktion und seine ethische Bedeutung; denn er bietet weiterhin keinen Anreiz zur Produktion neuer Stammzelllinien. Er hält somit auch die Option offen, in der Zukunft gänzlich auf embryonale Stammzelllinien verzichten zu können und die darauf angewiesene Forschung überflüssig zu machen, wenn das Forschungsziel ausschließlich mit adulten Stammzellen erreicht werden kann. So weit sind wir aber noch nicht, und deshalb ist es meines Erachtens zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht vertretbar, auf die Möglichkeit dieses notwendigen Erkenntnisgewinns zu verzichten. Diejenigen, die in der einmaligen Verschiebung des Stichtages ein Präjudiz für weitere Verschiebungen und damit die Aushöhlung dieses ethischen Grundgehalts sehen, können zu diesem Schluss eigentlich nur dann kommen, wenn sie den jeweils Entscheidenden eine verantwortungsbewusste Beurteilung und Bewertung der gegebenen Sachlage von vornherein absprechen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Das kann und will ich nicht. Auch wenn es unterschiedliche Einschätzungen gibt, wenn letzte Zweifel bleiben, sind wir als Parlament die richtige Instanz - die verantwortungtragende Instanz -, diese Entscheidung zu treffen.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.

Annette Widmann-Mauz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich komme zum Schluss. - Ich habe für mich die Entscheidung im Jetzt getroffen. Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht, und ich habe darum lange gerungen. Ich habe sie im Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit, im Respekt auch vor der Meinung anderer, nach intensiver Auseinandersetzung und reiflicher Überlegung, nach einer gewissenhaften Abwägung getroffen. Ich entscheide mich heute für die Verschiebung des Stichtages. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({0})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächste Rednerin ist Frau Zypries.

Brigitte Zypries (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003870, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sachverständigenanhörung hat erneut gezeigt, wie breit das Meinungsspektrum hinsichtlich der Frage der Stammzellforschung ist. Letzte Gewissheit und absolute Wahrheit darüber, ob die Forschung an neuen embryonalen Stammzellen nun erforderlich ist oder nicht, hat auch die Anhörung nicht ergeben. Die meisten Forscher halten sie für erforderlich, aber es wird auch immer einige geben, die das anders sehen. Alle Argumente - die forschungspolitischen, die verfassungsrechtlichen und die ethischen - wurden sorgfältig bedacht. In dieser Situation hat der Bundestag, und zwar er allein, eine Einschätzungsprärogative und die Entscheidungskompetenz. Ganz konkret bedeutet das: Der Bundestag darf sich für die Verschiebung des Stichtags entscheiden, und ich persönlich meine, er sollte es auch tun. ({0}) Die Stammzellforschung berührt unser Grundgesetz und die Grundrechte in doppelter Hinsicht. Da ist zunächst die Forschungsfreiheit. Mit dem Stammzellgesetz schränkt der Staat diese Forschungsfreiheit ein. Die Forschungsfreiheit wird um ihrer selbst willen geschützt - das möchte ich gerne sagen -, aber nicht im Hinblick auf irgendwelche Forschungserfolge. Auf welchem Gebiet jemand forscht, bleibt ihm überlassen. Der Staat hat darüber nicht zu entscheiden. Das ist gerade der Sinn der Forschungsfreiheit. ({1}) Allerdings hat der Staat auch die Pflicht, menschliches Leben zu schützen. Auch in der Petrischale ist der Embryo kein beliebiger Zellhaufen. Er steht unter dem Lebensschutz des Grundgesetzes. Ob dem Embryo in der Petrischale darüber hinaus auch Menschenwürde zukommt, ist umstritten. Aber selbst wenn man - anders als ich es tue - davon ausgeht, dass dieser Embryo in der Petrischale eine Menschenwürde besitzt, ändert dies nichts an dem Ergebnis im Hinblick auf unsere heute zu treffende Entscheidung. Eine Verschiebung des Stichtags im Stammzellgesetz ist verfassungsrechtlich zulässig. Für den Schutz des Embryos in vitro sorgt nämlich bereits das Embryonenschutzgesetz, und zwar mit dem schärfsten Schwert, das unserem Staat, unserer Rechtsordnung zur Verfügung steht: dem Strafrecht. Beim Stammzellgesetz geht es dagegen nicht um Embryonen. Das dürfen wir nicht vergessen. ({2}) Es geht um embryonale Stammzellen, und die sind nicht in der Lage, sich zu einem kompletten Organismus zu entwickeln, und sie sind auch keine Träger von Grundrechten. ({3}) In der Sachverständigenanhörung ist die Ansicht vertreten worden, auch diese einzelnen, nicht entwicklungsfähigen Stammzellen besäßen Menschenwürde, postmortal und quasi vom Embryo abgeleitet. Um es ganz deutlich zu sagen: Ich halte diese Ansicht für falsch; darüber hinaus ist sie unter den Verfassungsjuristen wirklich eine ganz singuläre Einzelmeinung. ({4}) Für den Grundrechtsschutz des Embryos in vitro hat das Stammzellgesetz also lediglich eine mittelbare Bedeutung, indem es den Embryonenschutz verstärkt. Das Stammzellgesetz verhindert, dass von Deutschland ein Anreiz ausgeht, im Ausland Embryonen nur deshalb zu verbrauchen, weil man Stammzellen für den Export nach Deutschland gewinnen will. Diese Verstärkung des Embryonenschutzes ist richtig und wichtig. Aber wir müssen auch das Recht der Wissenschaftler auf Freiheit ihrer Forschung achten. Schließlich darf nicht jedes wissenschaftliche Interesse daran vernachlässigt werden, etwa die wissenschaftliche Grundlagenforschung für die Transplantationsmedizin oder die Krebsbekämpfung zu verbessern. Auch dafür muss die Politik sorgen. Wir brauchen also einen fairen Ausgleich zwischen den verschiedenen Belangen. Ich meine, wir erreichen das am besten dadurch, dass wir den Stichtag einmal verschieben, zumal wir von den Naturwissenschaftlern wissen, dass dies die richtige Lösung ist, weil sie ausreichend ist, um die erforderlichen und notwendigen Forschungen weiter betreiben zu können, und eine weiter gehende Lösung mehr geben würde, als man notwendigerweise braucht. ({5})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Das Wort erhält der Kollege Hubert Hüppe.

Hubert Hüppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000975, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle haben bei der Anhörung im März vernommen: Es gibt nach zehn Jahren weltweiter Forschung mit embryonalen Stammzellen keine einzige Therapie. Nach zehn Jahren gibt es noch nicht einmal eine einzige Studie am Menschen, es ist noch nicht einmal ein Versuch gemacht worden, und das, obwohl die Deutsche Forschungsgemeinschaft uns noch in ihrer Stellungnahme von 2006 angekündigt hat - das klang auch heute oft an -, dass es schon 2007 den ersten therapeutischen Versuch geben wird. Es hat sich gezeigt: Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist bis heute therapeutisch nutzlos. Auch eben hat man argumentiert: Wir brauchen diese Stammzellen aber zum Vergleich mit den Ergebnissen der adulten Stammzellforschung; dabei forscht man mit den Stammzellen, die in unserem Körper sind und für die kein Embryo getötet werden muss. Mit diesen Zellen werden schon heute Tausende von Menschen geheilt. Man muss sagen: Die Anhörung hat ergeben, dass nicht eine einzige Studie vorliegt, die den Nutzen der Forschung mit embryonalen Stammzellen beweist. ({0}) Ich wiederhole: Es gibt keine Studie - weder eine der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch irgendeine andere -, die uns diesen Nutzen beweist. Wenn man schon wissenschaftlich argumentiert: Diejenigen, die fordern, dass man den Stichtag verschiebt, sind beweispflichtig; sie müssen aufzeigen, dass man diese Zellen tatsächlich braucht. ({1}) Auch als Behindertenbeauftragter meiner Fraktion sage ich - ich finde es immer schlimm, wenn Menschen, die todkrank sind, instrumentalisiert werden -: Kein Mensch ist mit embryonalen Stammzellen geheilt worden. Das einzige Ergebnis, das wir haben, sind Tausende von Versuchstieren, die bei diesen Versuchen gestorben sind, weil sie Tumore bekommen haben. Es ist deutlich - wir wissen es heute alle -: Embryonale Stammzellen führen zu Tumoren, und deswegen gibt es auch keine Heilung. ({2}) In der Anhörung vor einem Jahr wurde uns gesagt, die Firma ESI in Singapur - viel gefeiert und mit Hunderten von Millionen Euro ausgestattet - produziere Stammzellen, die man hier gerne haben möchte, weil sie für Therapien geeignet seien. Diese Firma hat die therapeutische Forschung im letzten Jahr eingestellt; sie verkauft nur noch embryonale Stammzellen. Sie sei angeblich die einzige Firma gewesen, die Zellen habe, die nicht auf tierischem Nährboden kultiviert worden seien. Auf ihrer Internetseite heißt es, man werde eine neue Internetseite erstellen, aber das werde noch einige Wochen dauern. ({3}) Herr Yamanaka und Herr Thomson haben zum Vergleich „alte“ Stammzelllinien genommen. Sie haben gezeigt, dass man Hautzellen reprogrammieren kann. Wir brauchen also keine neuen embryonalen Stammzellen. Für diese Zellen braucht kein Embryo getötet zu werden; sie könnten für den Patienten individuell hergestellt werden. Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen, unsere Forscher bräuchten dies aber, dann erklären Sie mir einmal, warum einer der bekanntesten Stammzellforscher, der Schöpfer des Klonschafs Dolly, Ian Wilmut, im November öffentlich gesagt hat, er führe keine embryonale Stammzellforschung mehr durch, weil sie sich nicht lohne, und arbeite nur noch mit reprogrammierten Zellen. Wenn im Ausland solche Forscher, die an alle weltweit verfügbaren Stammzelllinien herankommen können, sagen, sie bräuchten diese Forschung nicht, weil sie erfolglos sei, warum haben wir dann ein Dilemma, was Ian Wilmut und andere nicht haben? ({4}) Wenn wir das Geld, das zum Beispiel Herr Brüstle aus dem Bonn-Berlin-Ausgleichsfonds, aus Ländermitteln und universitären Mitteln bekommt - es sind über 50 Millionen Euro -, in eine öffentliche Stammzellbank mit Stammzellen aus Nabelschnurblut gäben, die es immer noch nicht deutschlandweit gibt, dann könnten wir Leben retten. Warum leisten wir es uns, dass diese wertvollen Stammzellen weggeworfen werden? Warum setzen wir dieses Geld nicht für eine Therapie ein, mit der wir den Menschen heute helfen können und mit der weltweit Menschenleben gerettet werden könnten? ({5}) Meine Damen und Herren, es geht heute nicht um die Verschiebung irgendeines Datums, sondern es geht um eine Verschiebung unserer Ethik und unserer Normen. Ich bitte Sie: Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf zu! Sie haben die Chance, dass die Tür nicht noch weiter aufgemacht wird. ({6})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Peter Hintze ist der nächste Redner.

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetz für eine menschenfreundliche Medizin wollen wir dem Anliegen der überwältigenden Mehrheit der deutschen Wissenschaft Rechnung tragen. Von den Juristen bis zu den Medizinern ist das Votum der Deutschen Forschungsgemeinschaft eindeutig. Die Selbstverwaltung der deutschen Hochschulwissenschaft appelliert an den Deutschen Bundestag, Stichtag und Strafandrohung zu streichen. Diesem fundierten Votum sollten wir mit einem klaren Ja folgen. ({0}) Manche Redner haben in dieser Debatte versucht, einen Gegensatz zwischen medizinischer Forschung und Lebensschutz zu konstruieren. Ihnen halte ich ganz liebevoll entgegen: Die medizinische Forschung in Deutschland dient dem Lebensschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen. ({1}) Mich hat bei der Anhörung stark bewegt, dass unsere Wissenschaftler - Ärzte, Biologen -, die ihr ganzes Wissen und Können einsetzen, um Krankheiten heilen zu können, denen wir bisher ohnmächtig ausgeliefert sind, uns fragen: Ist unsere Arbeit eigentlich gewünscht? Ist es gewünscht, dass wir in der Grundlagenforschung arbeiten, auch wenn wir noch nicht wissen, ob morgen oder übermorgen eine Antwort auf Alzheimer und Krebs gegeben werden kann? Ich möchte für die Mehrheit des Deutschen Bundestages sagen: Jawohl, wir sind dankbar für das, was hier Biologen und Mediziner für die kranken Menschen in Deutschland leisten. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Herr Kollege Hintze, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Peter Hintze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000907, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte im Zusammenhang ausführen. Die medizinische Forschung in Deutschland hat einen moralischen und einen juristischen Anspruch darauf, dass sie mit geeigneten Zelllinien arbeiten kann, die auf reinen Trägersubstanzen kultiviert sind. Nun haben hier Redner - auch mein Vorredner hat es getan - in den Raum gerufen, es gebe noch keine Therapieerfolge. Meine Damen und Herren, wie verstehen wir denn Wissenschaft? Alle großen wissenschaftlichen Erkenntnisse der Menschheit haben ihren Anfang in der Grundlagenforschung genommen. Wer sagt, er lasse Grundlagenforschung nur zu, wenn man ihm den Therapieerfolg garantiert, hat nicht verstanden, was Wissenschaft in einem freien Staat bedeutet. ({0}) In einem freiheitlichen Staat, in unserem Staat mit seinem Grundgesetz hat die Wissenschaft einen Anspruch darauf, dass der Bundestag sich hinter die Wissenschaftsfreiheit stellt und sie verteidigt - im Dienste und zum Wohle des Menschen. ({1}) Jetzt wird es interessant. Es geht um die Menschenwürde und das Recht auf Leben. Jawohl! Im Namen der Kollegin Flach, der Kollegin Reiche und des Kollegen Stöckel sowie aller, die unseren Antrag unterschrieben haben, sage ich: Uns geht es um die Menschenwürde und das Recht auf Leben. ({2}) Es macht einen Unterschied, ethisch und juristisch, ob es um den Menschen oder um anderes Achtenswertes im Kontext des menschlichen Lebens geht. Im Klartext heißt das: Ein Mensch ist ein Mensch, ({3}) und eine Zelllinie ist eine Zelllinie. Wer das gleichsetzt, muss juristisch und ethisch scheitern. ({4}) Diese Gleichsetzung geschähe zulasten des Menschen. Der Schutz des menschlichen Lebens - dazu fordert uns die Verfassung auf -, auch durch die Weiterentwicklung unserer medizinischen Fähigkeiten, ist eine große moralische Aufgabe. Zu dieser sind wir verpflichtet ({5}) in klaren Grenzen und in einem klaren Rahmen; das wurde bereits von vielen Rednern beschrieben. Ich möchte einem Kollegen von der FDP-Fraktion danken, der mich gebeten hat, dies noch einmal deutlich zu machen; denn hier werden dauernd falsche Gegensätze aufgebaut. ({6}) Wir haben in unserer Rechtsordnung einen ganz klaren Rahmen, der uns leitet; das hat die Bundesjustizministerin klar und deutlich vorgetragen. Heute stehen wir nun vor der Frage: Machen wir es ein bisschen richtig, oder machen wir es ganz richtig? ({7}) Den Stichtag einmal zu verschieben, hieße, das leckgeschlagene Schiff leer zu pumpen und wieder auf die hohe See zu schicken. Machen wir es lieber ganz richtig! Machen wir das Forschungsschiff hochseefest! Streichen wir den Stichtag! Streichen wir die entwürdigende Strafandrohung, die über unseren Forschern schwebt! Setzen wir uns für eine Ethik des Heilens ein! Ich bitte Sie um die Zustimmung zum Gesetzentwurf „Flach, Reiche, Stöckel“ und vieler anderer Kollegen, denen es mit Herz und Verstand um Menschenwürde und Lebensschutz und um eine medizinische Wissenschaft geht, die den Menschen im Zentrum sieht. Ich danke Ihnen. ({8})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nun hat die Kollegin Hildegard Müller das Wort. ({0})

Hildegard Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003598, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sie alle kennen vom Lebensmitteleinkauf die Frage: Darf es ein bisschen mehr sein? Ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger - im Alltag werden diese Mengenbezeichnungen oft verwendet. Sie schaden in der Regel auch nicht. Bisweilen kommt man sogar ganz gut damit durch, sich nicht nur auf eine Sache zu konzentrieren, sondern mal hier und mal da zu sein und sich mal mehr und mal weniger einzubringen. Alles andere als Alltag sind jedoch die Abstimmungen, die uns nun unmittelbar bevorstehen. Es sind Abstimmungen, bei denen es um unsere persönlichen ethischen Grundsätze geht. Für uns alle stehen Entscheidungen an, bei denen es „ein bisschen“ oder „etwas“ nicht gibt. ({0}) Die beiden großen christlichen Kirchen haben diese langsam zu Ende gehende Woche zur alljährlichen Woche für das Leben ausgerufen. Für unsere heutige Debatte hätte dies kaum passender sein können. Was heißt „für das Leben“? Das möchte ich vertiefen. Leben - da bin ich ganz anderer Meinung als manch anderer heute hier - entsteht nicht nur ein bisschen. ({1}) Leben in der Form einer befruchteten Eizelle ist vollständig da; ({2}) es ist kein Zellklumpen; es ist Leben von Anfang an, ganz und vor allem unwiderruflich. ({3}) Eine Abstufung der Menschenwürde und des Lebensschutzes in den verschiedenen Entwicklungsstadien des Menschen ist für mich inakzeptabel und für mich persönlich unvereinbar mit dem Grundgesetz. Deshalb stimme ich gegen eine Aufhebung des Stichtages. ({4}) Geben wir uns nicht einer Illusion hin, wenn wir glauben würden, der wissenschaftliche Prozess ließe sich noch begrenzen, lieber Peter Hintze, wenn wir ihm nicht von Anfang an feste Grenzen setzen? Wir müssen uns auch politisch entscheiden, hier in diesem Haus bei allem, was wir an Forschung wollen, Grenzen zu setzen. ({5}) Auch eine einmalige Verschiebung ist abzulehnen. Ich möchte den Spruch anbringen, der so gern verwendet wird: Einmal ist keinmal. Ich entgegne entschieden: Einmal ist jedes Mal. Den Stichtag zu verschieben, heißt ihn abzuschaffen. ({6}) Vor uns steht eine Gewissensentscheidung. Ich wende mich insbesondere an die Kolleginnen und Kollegen, die noch Zweifel haben; denn trotz aller Diskussionen und Informationen ist dies auch heute nicht auszuschließen und menschlich nur zu verständlich. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auf einen Punkt eingehen, der auch heute eine große Rolle gespielt hat. Das ist die Frage der Ethik des Heilens. Ich habe gerade deutlich gemacht, was ich unter Leben verstehe. Für mich steht die Ethik des Lebens vor der Ethik des Heilens. Die Ethik des Heilens dient der Ethik des Lebens. ({7}) Sie kann nur positiv korrelieren. Das heißt nicht, dass wir uns gegen die Forschung stellen. Wir sind für die Forschung an Stammzellen. Diese positive Symbiose kann in diesem Bereich jedoch nur die adulte Stammzellforschung geben. ({8}) Es wurden heute viele Beispiele genannt. Ich möchte ganz praktisch an die Forschungsergebnisse von Herrn Professor Strauer aus meiner Heimatstadt Düsseldorf erinnern: Adulte Stammzellforschung ist unbedenklich, die Stammzellen sind gut zu gewinnen, und die adulte Stammzellforschung trägt die Hoffnung auf Heilung in sich. Wir haben bereits heute praktische Anwendungsgebiete. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt heute keinen Antrag, der einen Kompromiss zwischen den Positionen darstellt. ({9}) Wer für die Aufhebung oder für eine einmalige Verschiebung des Stichtages stimmt, nimmt heute eine Abwägung zulasten des Lebens vor. ({10}) Argumente, die einer einmaligen Verschiebung gelten, würden Sie selbst in Zukunft wieder infrage stellen. Wenn das Argument, dass man frische Zelllinien braucht, jetzt gilt, dann gilt es in einigen Jahren wieder. ({11}) Gilt dieses Argument aber überhaupt? Warum sind seit Januar 2008 fünf Anträge auf den Import embryonaler Stammzellen genehmigt worden? Wissenschaftler glauben also offensichtlich nach wie vor an die Möglichkeit, mit und an alten Zelllinien zu forschen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer zweifelt, den bitte ich, sich gegen eine Verschiebung auszusprechen; denn eine Entscheidung gegen den Schutz des Lebens ist unumkehrbar. Deshalb bitte ich alle, die zweifeln, für eine Beibehaltung des jetzigen Stichtages zu stimmen und sich für eine stärkere Förderung der adulten Stammzellforschung auszusprechen. ({12}) Ich möchte Sie alle herzlich bitten und auffordern, das Gleiche zu tun, damit der 11. April 2008 ein Tag für den uneingeschränkten Lebensschutz wird und damit diese Woche eine wirkliche Woche für das Leben wird. ({13})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege René Röspel. ({0})

René Röspel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003210, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben fast zwei Stunden einer - wie ich glaube - guten Debatte hinter uns. Dennoch erlauben Sie mir, dass ich auf einen Vorwurf eingehe, der mich wirklich geärgert hat und den wir in den letzten Wochen immer wieder fälschlicherweise in der Debatte gehört haben. Die Behauptung, über eine Stichtagsverschiebung solle das aktive Töten von Embryonen legitimiert werden, ist schlicht und einfach falsch. ({0}) Es geht nicht um das Zerstören von Embryonen, sondern es geht darum, wie man mit dem umgeht, was bereits existiert, nämlich mit Stammzelllinien, die im Ausland ohne unser Zutun hergestellt worden sind und deren Herstellung wir leider nicht haben verhindern können. Mit einer Verschiebung des Stichtags wird kein einziger Embryo zerstört, es wird allerdings auch kein einziger gerettet. ({1}) Es gab in dem Grundsatzbeschluss von 2002, der in diesem Land lange Jahre Rechtsfrieden gebracht hat, drei wesentliche Kriterien: Erstens. Für deutsche Forschung soll kein Embryo zerstört werden. Zweitens. Es soll auch kein Anreiz ans Ausland gehen, dass so etwas geschieht. Drittens. Mit den schon vorhandenen Stamm16308 zelllinien soll in Deutschland unter bestimmten Bedingungen Forschung möglich sein. Wenn man diese drei Kriterien als Voraussetzungen für eine befriedete Diskussion in Deutschland akzeptiert, dann ist es der Mühe wert, die drei vorliegenden Anträge auch wirklich einmal an diesen Kriterien, die sich bewährt haben, zu messen. Ob wir heute die Debatte abschließen und in den nächsten Jahren weiterhin Rechtsfrieden haben werden, das liegt, liebe Kolleginnen und Kollegen, gleich in Ihrer Hand. Mit der Abschaffung des Stichtages - dies fordert der Gesetzentwurf der Kolleginnen und Kollegen Flach, Stöckel und anderer - würden die Forscher in diesem Land tatsächlich viel mehr Möglichkeiten bekommen. Aber es wird gleichzeitig das andere wichtige Anliegen, dass dem Ausland kein Anreiz gegeben wird, embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken herzustellen, preisgegeben. Damit würde eine wichtige Position aufgegeben. ({2}) Das würde dazu führen, dass eine der Seiten diesen Weg nicht mitgehen könnte. Damit wäre ein Ende des Rechtsfriedens absehbar. Die Beibehaltung des Stichtages, wie von den Kolleginnen Hinz, Klöckner und anderen gefordert, würde über kurz oder lang dazu führen, dass keine Zelllinien mehr zur Verfügung stehen. Gegen die Hoffnung, dass die 21 in Deutschland derzeit zugelassenen Stammzelllinien noch viele Jahre halten werden, spricht nämlich die zellbiologische Erfahrung. Die Forscher haben uns ja mitgeteilt, dass diese Hoffnung trügt. Es werden also immer weniger Zelllinien werden. Die Beibehaltung des Stichtages würde faktisch aufgrund der abnehmenden Zahl der Stammzelllinien letztlich zu dem gleichen Ergebnis führen wie der Antrag von Herrn Hüppe und anderen Kollegen, nämlich zu einem Forschungsverbot. ({3}) So würde es entweder faktisch oder juristisch nicht mehr möglich sein, in Deutschland diese Forschung zu betreiben. Das wäre wiederum für die Forschungsseite nicht tragbar. Sie würde den Kompromiss, den wir seinerzeit gefunden haben, aufkündigen und den Mittelweg verlassen. Die geschätzte Kollegin Margot von Renesse begründete 2002 in der Debatte ihr Votum für einen Mittelweg, der sich an den genannten drei Kriterien orientiert, damit, dass ein „Nein-Gesetz“ - ich würde lieber von einem faktischen Verbot dieser Forschung sprechen an der Klippe der Verfassung scheitern würde. Für mich persönlich beginnt menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Die Frage aber, ab wann menschliches Leben Träger von Menschenwürde ist, ist gesellschaftlich noch nicht entschieden. Das ist ja auch eine schwere Entscheidung. ({4}) Ich frage Sie nun allen Ernstes: Sollen wir es darauf ankommen lassen, dass ein Forscher vor Gericht zieht, um die Erlaubnis zum Import einer vier Jahre alten Stammzelllinie einzuklagen? ({5}) Sind Sie sich wirklich so sicher, dass jedes Gericht in Deutschland einer solchen Stammzelllinie, die vor vier Jahren aus einem Embryo hergestellt wurde - bedauerlicherweise, aber nicht zu ändern -, die im Labor bearbeitet wurde, die 20-mal von einer Zellkulturflasche in die andere umgefüllt wurde, die zehnmal eingefroren und zehnmal aufgetaut worden ist, die viele Eigenschaften verloren hat und nichts mehr mit einem Embryo zu tun hat, Menschenwürde und Lebensschutz zubilligen würde? Ich bin mir nicht so sicher, dass das so sein wird. ({6}) Deswegen frage ich Sie alle: Wollen wir diese Entscheidung in letzter Instanz einem Gericht überlassen, oder liegt es nicht vielmehr in unserer parlamentarischen und politischen Verantwortung, eine stabile Übereinkunft in einem ethischen Dilemma zu treffen, die einerseits tatsächlich Forschung ermöglicht, und zwar in einem viel größeren Umfang als seit 2002, und andererseits den Lebensschutz von Embryonen gewährleistet? ({7}) Ich glaube, wir sollten jetzt die entsprechende politische Entscheidung in einem ethisch nicht lösbaren Dilemma treffen. Deshalb appelliere ich an Sie, den Gesetzentwurf von Röspel, Aigner und anderen auf eine einmalige Verschiebung des Stichtages zu unterstützen. Damit würden wir für viele Jahre in Deutschland wieder Rechtsfrieden herstellen, vielleicht sogar bis zu dem Zeitpunkt, zu dem wir auf embryonale Stammzellforschung verzichten können. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache und weise darauf hin, dass eine Reihe von Reden zu Protokoll gegeben worden sind und dass es auch eine Vielzahl von persönlichen Er- klärungen nach § 31 unserer Geschäftsordnung gibt.1) Bevor wir mit den Abstimmungen beginnen, bitte ich um Ihre Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Ab- lauf des Abstimmungsverfahrens. Wir kommen gleich zu den Abstimmungen über insgesamt fünf Vorlagen zur Änderung des Stammzellgesetzes. Der Ausschuss für 1) Anlagen 3 bis 13 Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung hat in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8658 empfohlen, über diese fünf Vorlagen einen Beschluss herbeizuführen. Eine darüber hinausgehende Beschlussempfehlung hat der Ausschuss dazu nicht abgegeben. Wir werden über die Vorlagen in der in der Tagesordnung vorgesehenen Reihenfolge namentlich abstimmen: erstens über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrike Flach und weiterer Abgeordneter, zweitens über den Gesetzentwurf des Abgeordneten Hubert Hüppe und weiterer Abgeordneter, drittens über den Gesetzentwurf des Abgeordneten René Röspel und weiterer Abgeordneter. Sollte einer dieser Gesetzentwürfe die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereinigen, endet das Abstimmungsverfahren. Die anderen, noch nicht abgestimmten Vorlagen wären damit erledigt. Erhält keiner dieser Gesetzentwürfe die erforderliche Mehrheit, stimmen wir in einer vierten und fünften namentlichen Abstimmung über den Antrag und dann über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Priska Hinz und weiterer Abgeordneter ab. Wir kommen nun zur Abstimmung. Tagesordnungspunkt 22 a: Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulrike Flach, Rolf Stöckel, Katherina Reiche und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes; Drucksache 16/7982 ({0}). Es ist namentliche Abstimmung verlangt. Bei der Stimmabgabe bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen, sorgfältig darauf zu achten, dass die Stimmkarten, die sie verwenden, ihren Namen tragen. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Nein, da vorne fehlt noch jemand. - Sind jetzt die Plätze besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den von den Abgeordneten Ulrike Flach, Rolf Stöckel, Katherina Reiche und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes für eine menschenfreundliche Medizin - Gesetz zur Änderung des Stammzellgesetzes auf Drucksache 16/7982 ({0}) bekannt: Abgegebene Stimmen 579, mit Ja haben gestimmt 126, mit Nein haben gestimmt 443, ({1}) Enthaltungen 10. Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 579; davon ja: 126 nein: 443 enthalten: 10 Ja CDU/CSU Günter Baumann Otto Bernhardt Renate Blank Wolfgang Börnsen ({2}) Anke Eymer ({3}) Hartwig Fischer ({4}) Olav Gutting Ursula Heinen Susanne Jaffke-Witt Eckart von Klaeden Jens Koeppen Kristina Köhler ({5}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Michael Kretschmer Dr. Martina Krogmann Helmut Lamp Ingbert Liebing Dr. Eva Möllring Bernd Neumann ({6}) Ulrich Petzold Katherina Reiche ({7}) Dr. Wolfgang Schäuble Norbert Schindler Dr. Ole Schröder Gero Storjohann Michael Stübgen Arnold Vaatz SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Ingrid Arndt-Brauer Doris Barnett Klaus Uwe Benneter Petra Bierwirth Dr. Gerhard Botz Dr. Peter Danckert Nina Hauer Stephan Hilsberg Eike Hovermann Klaas Hübner Johannes Jung ({8}) Hans-Ulrich Klose Fritz Rudolf Körper Volker Kröning Dr. Uwe Küster Detlef Müller ({9}) Gesine Multhaupt Thomas Oppermann Holger Ortel Walter Riester Otto Schily Renate Schmidt ({10}) Carsten Schneider ({11}) Olaf Scholz Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Ludwig Stiegler Christoph Strässer Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Simone Violka Jörg Vogelsänger Gunter Weißgerber Dr. Rainer Wend Andrea Wicklein Heidi Wright FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({12}) Uwe Barth Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Paul K. Friedhoff Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({13}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Michael Link ({14}) Markus Löning Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({15}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({16}) Martin Zeil DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Gregor Gysi Dr. Gesine Lötzsch Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Peter Albach Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Ernst-Reinhard Beck ({17}) Veronika Bellmann Dr. Christoph Bergner Peter Bleser Antje Blumenthal Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({18}) Axel E. Fischer ({19}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Herbert Frankenhauser Dr. Hans-Peter Friedrich ({20}) Erich G. Fritz Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Eberhard Gienger Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Markus Grübel Manfred Grund Monika Grütters Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Gerda Hasselfeldt Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Jürgen Herrmann Bernd Heynemann Ernst Hinsken Robert Hochbaum Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Anette Hübinger Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({21}) Bartholomäus Kalb Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Siegfried Kauder ({22}) Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Gunther Krichbaum Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({23}) Andreas G. Lämmel Katharina Landgraf Dr. Max Lehmer Paul Lehrieder Patricia Lips Dr. Michael Luther Stephan Mayer ({24}) Wolfgang Meckelburg Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Friedrich Merz Laurenz Meyer ({25}) Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Philipp Mißfelder Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Carsten Müller ({26}) Stefan Müller ({27}) Bernward Müller ({28}) Michaela Noll Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Rita Pawelski Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Peter Rauen Eckhardt Rehberg Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Albert Rupprecht ({29}) Peter Rzepka Anita Schäfer ({30}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({31}) Andreas Schmidt ({32}) Ingo Schmitt ({33}) Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Bernd Siebert Johannes Singhammer Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({34}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Volkmar Uwe Vogel Andrea Astrid Voßhoff Gerhard Wächter Marco Wanderwitz Kai Wegner Marcus Weinberg Peter Weiß ({35}) Gerald Weiß ({36}) Ingo Wellenreuther Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({37}) Elisabeth WinkelmeierBecker Dagmar Wöhrl Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Gerd Andres Niels Annen Rainer Arnold Ernst Bahr ({38}) Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Dr. Axel Berg Ute Berg Lothar Binding ({39}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({40}) Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Herta Däubler-Gmelin Karl Diller Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Sebastian Edathy Siegmund Ehrmann Hans Eichel Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({41}) Dieter Grasedieck Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({42}) Dr. Reinhold Hemker Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Petra Hinz ({43}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({44}) Frank Hofmann ({45}) Christel Humme Lothar Ibrügger Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Ulrich Kelber Christian Kleiminger Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Karin Kortmann Rolf Kramer Ernst Kranz Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Christine Lambrecht Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({46}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Michael Müller ({47}) Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({48}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({49}) Ortwin Runde ({50}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({51}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Ulla Schmidt ({52}) Heinz Schmitt ({53}) Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({54}) Swen Schulz ({55}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Dr. Peter Struck Dr. h. c. Wolfgang Thierse Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Gert Weisskirchen ({56}) Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Waltraud Wolff ({57}) Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Dr. Edmund Peter Geisen Elke Hoff Sabine LeutheusserSchnarrenberger Horst Meierhofer Dr. Konrad Schily DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Karin Binder Heidrun Bluhm Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Elke Reinke Paul Schäfer ({58}) Volker Schneider ({59}) Dr. Herbert Schui Dr. Ilja Seifert Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({60}) Volker Beck ({61}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({62}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({63}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({64}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({65}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler fraktionslos Gert Winkelmeier Enthaltung SPD Martin Dörmann Hubertus Heil Anette Kramme Nicolette Kressl Christian Lange ({66}) Caren Marks FDP Otto Fricke Horst Friedrich ({67}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Wir kommen nun zur Abstimmung über den von den Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn und weiteren Abgeordneten eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen auf Drucksache 16/7983. Wir kommen damit zur zweiten namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({68})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten Hubert Hüppe, Marie-Luise Dött, Maria Eichhorn und weiterer Abgeordneter zur Änderung des Gesetzes zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit menschlichen embryonalen Stammzellen auf Drucksache 16/7983 bekannt: Abgegebene Stimmen 576. Mit Ja haben gestimmt 118, mit Nein haben gestimmt 442, Enthaltungen 16. Der Antrag ist damit in zweiter Beratung abgelehnt. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 576; davon ja: 118 nein: 442 enthalten: 16 Ja CDU/CSU Peter Albach Dorothee Bär Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Ernst-Reinhard Beck ({0}) Veronika Bellmann Peter Bleser Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Ingrid Fischbach Axel E. Fischer ({1}) Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({2}) Erich G. Fritz Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Klaus Hofbauer Joachim Hörster Steffen Kampeter Bernhard Kaster Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({3}) Katharina Landgraf Paul Lehrieder Dr. Michael Luther Dr. Michael Meister Maria Michalk Philipp Mißfelder Marlene Mortler Bernward Müller ({4}) Michaela Noll Eduard Oswald Beatrix Philipp Peter Rauen Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Dr. Christian Ruck Anita Schäfer ({5}) Hermann-Josef Scharf Hartmut Schauerte Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Schulte-Drüggelte Bernd Siebert Jens Spahn Christian Freiherr von Stetten Lena Strothmann Antje Tillmann Andrea Astrid Voßhoff Peter Weiß ({6}) Gerald Weiß ({7}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({8}) Elisabeth WinkelmeierBecker SPD Dr. Axel Berg Dr. Herta Däubler-Gmelin Sebastian Edathy Dr. Reinhold Hemker Ulrich Kelber Dr. Wolfgang Wodarg FDP Dr. Konrad Schily DIE LINKE Cornelia Hirsch Inge Höger Monika Knoche Ulla Lötzer Dorothée Menzner Elke Reinke Paul Schäfer ({9}) Dr. Ilja Seifert BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Volker Beck ({10}) Cornelia Behm Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Ulrike Höfken Sylvia Kotting-Uhl Undine Kurth ({11}) Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Thomas Bareiß Günter Baumann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Renate Blank Antje Blumenthal Wolfgang Börnsen ({12}) Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Anke Eymer ({13}) Dr. Hans Georg Faust Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({14}) Dirk Fischer ({15}) Herbert Frankenhauser Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Hans-Joachim Fuchtel Eberhard Gienger Ralf Göbel Hermann Gröhe Michael Grosse-Brömer Monika Grütters Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Robert Hochbaum Franz-Josef Holzenkamp Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Andreas Jung ({16}) Bartholomäus Kalb Alois Karl Siegfried Kauder ({17}) Eckart von Klaeden Jens Koeppen Kristina Köhler ({18}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Andreas G. Lämmel Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Patricia Lips Stephan Mayer ({19}) Wolfgang Meckelburg Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({20}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller ({21}) Bernd Neumann ({22}) Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Daniela Raab Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Katherina Reiche ({23}) Dr. Heinz Riesenhuber Kurt J. Rossmanith Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({24}) Peter Rzepka Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Christian Schmidt ({25}) Andreas Schmidt ({26}) Ingo Schmitt ({27}) Dr. Ole Schröder Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Kurt Segner Marion Seib Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Thomas Strobl ({28}) Michael Stübgen Hans Peter Thul Dr. Hans-Peter Uhl Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Gerhard Wächter Kai Wegner Marcus Weinberg Ingo Wellenreuther Dagmar Wöhrl Willi Zylajew SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({29}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Sabine Bätzing Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({30}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Dr. Gerhard Botz Klaus Brandner Willi Brase Bernhard Brinkmann ({31}) Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Elke Ferner Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({32}) Dieter Grasedieck Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn Klaus Hagemann Michael Hartmann ({33}) Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Gustav Herzog Petra Heß Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Petra Hinz ({34}) Gerd Höfer Iris Hoffmann ({35}) Frank Hofmann ({36}) Eike Hovermann Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({37}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kasparick Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Karin Kortmann Rolf Kramer Anette Kramme Ernst Kranz Nicolette Kressl Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christine Lambrecht Christian Lange ({38}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({39}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({40}) Michael Müller ({41}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Andrea Nahles Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Dr. Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({42}) Maik Reichel Gerold Reichenbach Christel RiemannHanewinckel Walter Riester Sönke Rix Dr. Ernst Dieter Rossmann Karin Roth ({43}) Ortwin Runde ({44}) Anton Schaaf Axel Schäfer ({45}) Bernd Scheelen Dr. Hermann Scheer Marianne Schieder Otto Schily Ulla Schmidt ({46}) Renate Schmidt ({47}) Heinz Schmitt ({48}) Carsten Schneider ({49}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Reinhard Schultz ({50}) Swen Schulz ({51}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Dr. Rainer Tabillion Jella Teuchner Jörn Thießen Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({52}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Engelbert Wistuba Waltraud Wolff ({53}) Heidi Wright Uta Zapf Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({54}) Uwe Barth Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Paul K. Friedhoff Horst Friedrich ({55}) Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({56}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({57}) Markus Löning Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({58}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({59}) Martin Zeil DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Dr. Gesine Lötzsch Ulrich Maurer Kersten Naumann Dr. Norman Paech Bodo Ramelow Volker Schneider ({60}) Dr. Herbert Schui Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann Dr. Axel Troost Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({61}) Dr. Uschi Eid Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({62}) Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Ute Koczy Fritz Kuhn Markus Kurth Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({63}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({64}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Silke Stokar von Neuforn Jürgen Trittin Wolfgang Wieland fraktionslos Gert Winkelmeier Enthaltung CDU/CSU Dr. Maria Flachsbarth Friedrich Merz Dr. Georg Nüßlein Eckhardt Rehberg Uwe Schummer Marco Wanderwitz Wolfgang Zöller SPD Volker Kröning Dr. h. c. Wolfgang Thierse DIE LINKE BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Birgitt Bender Thilo Hoppe Renate Künast Wir kommen nun zur Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten René Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und weiterer Abgeordneter zur Änderung des Stammzellgesetzes auf Drucksache 16/7981. Wir kommen damit zur dritten namentlichen Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. - Sind die Plätze an den Urnen besetzt? - Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung. Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen Abstimmung unterbreche ich die Sitzung. ({65})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf der Abgeordneten René Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Röspel, Ilse Aigner, Jörg Tauss und weiterer Abgeordneter zur Änderung des Stammzellgesetzes auf Drucksache 16/7981 bekannt: Abgegebene Stimmen 580. Mit Ja haben gestimmt 346, ({0}) mit Nein haben gestimmt 228, Enthaltungen 6. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 580; davon ja: 346 nein: 228 enthalten: 6 Ja CDU/CSU Ulrich Adam Ilse Aigner Thomas Bareiß Günter Baumann Dr. Christoph Bergner Otto Bernhardt Renate Blank Antje Blumenthal Wolfgang Börnsen ({1}) Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Monika Brüning Anke Eymer ({2}) Enak Ferlemann Hartwig Fischer ({3}) Herbert Frankenhauser Jochen-Konrad Fromme Dr. Michael Fuchs Eberhard Gienger Michael Grosse-Brömer Monika Grütters Olav Gutting Gerda Hasselfeldt Ursula Heinen Uda Carmen Freia Heller Michael Hennrich Bernd Heynemann Robert Hochbaum Anette Hübinger Susanne Jaffke-Witt Dr. Peter Jahr Dr. Hans-Heinrich Jordan Dr. Franz Josef Jung Bartholomäus Kalb Siegfried Kauder ({4}) Eckart von Klaeden Jens Koeppen Kristina Köhler ({5}) Manfred Kolbe Dr. Rolf Koschorrek Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Martina Krogmann Andreas G. Lämmel Helmut Lamp Dr. Max Lehmer Ingbert Liebing Stephan Mayer ({6}) Wolfgang Meckelburg Dr. Angela Merkel Laurenz Meyer ({7}) Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Eva Möllring Dr. Gerd Müller ({8}) Bernd Neumann ({9}) Franz Obermeier Henning Otte Rita Pawelski Ulrich Petzold Sibylle Pfeiffer Ronald Pofalla Ruprecht Polenz Thomas Rachel Hans Raidel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche ({10}) Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Norbert Röttgen Albert Rupprecht ({11}) Peter Rzepka Dr. Wolfgang Schäuble Hartmut Schauerte Dr. Andreas Scheuer Norbert Schindler Andreas Schmidt ({12}) Ingo Schmitt ({13}) Dr. Ole Schröder Wilhelm Josef Sebastian Horst Seehofer Marion Seib Christian Freiherr von Stetten Gero Storjohann Andreas Storm Max Straubinger Michael Stübgen Arnold Vaatz Volkmar Uwe Vogel Gerhard Wächter Kai Wegner Marcus Weinberg Ingo Wellenreuther Dagmar Wöhrl SPD Dr. Lale Akgün Gregor Amann Gerd Andres Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Ernst Bahr ({14}) Doris Barnett Klaus Barthel Sören Bartol Dirk Becker Uwe Beckmeyer Klaus Uwe Benneter Ute Berg Petra Bierwirth Lothar Binding ({15}) Volker Blumentritt Kurt Bodewig Clemens Bollen Gerd Bollmann Klaus Brandner Willi Brase Edelgard Bulmahn Ulla Burchardt Martin Burkert Marion Caspers-Merk Dr. Peter Danckert Karl Diller Martin Dörmann Dr. Carl-Christian Dressel Elvira Drobinski-Weiß Garrelt Duin Detlef Dzembritzki Siegmund Ehrmann Hans Eichel Petra Ernstberger Gabriele Fograscher Rainer Fornahl Gabriele Frechen Dagmar Freitag Peter Friedrich Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Graf ({16}) Dieter Grasedieck Gabriele Groneberg Achim Großmann Wolfgang Grotthaus Klaus Hagemann Nina Hauer Hubertus Heil Rolf Hempelmann Dr. Barbara Hendricks Petra Heß Petra Hinz ({17}) Iris Hoffmann ({18}) Frank Hofmann ({19}) Klaas Hübner Christel Humme Lothar Ibrügger Johannes Jung ({20}) Josip Juratovic Johannes Kahrs Ulrich Kelber Christian Kleiminger Hans-Ulrich Klose Astrid Klug Dr. Bärbel Kofler Walter Kolbow Fritz Rudolf Körper Rolf Kramer Anette Kramme Nicolette Kressl Volker Kröning Dr. Hans-Ulrich Krüger Angelika Krüger-Leißner Jürgen Kucharczyk Ute Kumpf Dr. Uwe Küster Christian Lange ({21}) Dr. Karl Lauterbach Waltraud Lehn Helga Lopez Gabriele Lösekrug-Möller Lothar Mark Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Markus Meckel Petra Merkel ({22}) Ulrike Merten Dr. Matthias Miersch Ursula Mogg Marko Mühlstein Detlef Müller ({23}) Michael Müller ({24}) Gesine Multhaupt Franz Müntefering Dr. Rolf Mützenich Thomas Oppermann Holger Ortel Heinz Paula Joachim Poß Christoph Pries Florian Pronold Dr. Sascha Raabe Mechthild Rawert Steffen Reiche ({25}) Gerold Reichenbach Walter Riester Sönke Rix Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Karin Roth ({26}) Ortwin Runde Anton Schaaf Axel Schäfer ({27}) Dr. Hermann Scheer Otto Schily Ulla Schmidt ({28}) Renate Schmidt ({29}) Heinz Schmitt ({30}) Carsten Schneider ({31}) Olaf Scholz Ottmar Schreiner Swen Schulz ({32}) Ewald Schurer Dr. Angelica Schwall-Düren Dr. Martin Schwanholz Rolf Schwanitz Rita Schwarzelühr-Sutter Wolfgang Spanier Dr. Margrit Spielmann Jörg-Otto Spiller Dr. Ditmar Staffelt Dieter Steinecke Andreas Steppuhn Ludwig Stiegler Christoph Strässer Dr. Peter Struck Joachim Stünker Jella Teuchner Franz Thönnes Rüdiger Veit Simone Violka Jörg Vogelsänger Dr. Marlies Volkmer Hedi Wegener Andreas Weigel Gunter Weißgerber Gert Weisskirchen ({33}) Dr. Rainer Wend Lydia Westrich Dr. Margrit Wetzel Andrea Wicklein Waltraud Wolff ({34}) Heidi Wright Manfred Zöllmer FDP Jens Ackermann Dr. Karl Addicks Christian Ahrendt Daniel Bahr ({35}) Uwe Barth Rainer Brüderle Ernst Burgbacher Patrick Döring Mechthild Dyckmans Jörg van Essen Otto Fricke Horst Friedrich ({36}) Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Günther ({37}) Dr. Christel Happach-Kasan Heinz-Peter Haustein Elke Hoff Birgit Homburger Dr. Werner Hoyer Dr. Heinrich L. Kolb Jürgen Koppelin Heinz Lanfermann Harald Leibrecht Ina Lenke Sabine LeutheusserSchnarrenberger Michael Link ({38}) Markus Löning Horst Meierhofer Jan Mücke Burkhardt Müller-Sönksen Dirk Niebel Hans-Joachim Otto ({39}) Detlef Parr Cornelia Pieper Gisela Piltz Jörg Rohde Frank Schäffler Marina Schuster Dr. Hermann Otto Solms Dr. Rainer Stinner Carl-Ludwig Thiele Florian Toncar Christoph Waitz Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff ({40}) Martin Zeil DIE LINKE Dr. Dietmar Bartsch Karin Binder Heidrun Bluhm Dr. Martina Bunge Roland Claus Dr. Dagmar Enkelmann Dr. Gregor Gysi Dr. Lukrezia Jochimsen Dr. Hakki Keskin Jan Korte Katrin Kunert Dr. Gesine Lötzsch Kersten Naumann Bodo Ramelow Volker Schneider ({41}) Dr. Herbert Schui Frank Spieth Dr. Kirsten Tackmann BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Dr. Uschi Eid fraktionslos Gert Winkelmeier Nein CDU/CSU Peter Albach Dorothee Bär Norbert Barthle Dr. Wolf Bauer Ernst-Reinhard Beck ({42}) Veronika Bellmann Peter Bleser Jochen Borchert Wolfgang Bosbach Klaus Brähmig Michael Brand Georg Brunnhuber Cajus Caesar Gitta Connemann Leo Dautzenberg Hubert Deittert Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Maria Eichhorn Dr. Stephan Eisel Ilse Falk Dr. Hans Georg Faust Ingrid Fischbach Dirk Fischer ({43}) Axel E. Fischer ({44}) Dr. Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Dr. Hans-Peter Friedrich ({45}) Erich G. Fritz Hans-Joachim Fuchtel Dr. Peter Gauweiler Norbert Geis Ralf Göbel Josef Göppel Peter Götz Dr. Wolfgang Götzer Ute Granold Reinhard Grindel Hermann Gröhe Markus Grübel Manfred Grund Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg Jürgen Herrmann Ernst Hinsken Klaus Hofbauer Franz-Josef Holzenkamp Joachim Hörster Andreas Jung ({46}) Steffen Kampeter Alois Karl Bernhard Kaster Volker Kauder Jürgen Klimke Julia Klöckner Norbert Königshofen Hartmut Koschyk Dr. Hermann Kues Dr. Karl A. Lamers ({47}) Katharina Landgraf Paul Lehrieder Patricia Lips Dr. Michael Luther Dr. Michael Meister Friedrich Merz Maria Michalk Philipp Mißfelder Marlene Mortler Stefan Müller ({48}) Bernward Müller ({49}) Michaela Noll Eduard Oswald Beatrix Philipp Daniela Raab Peter Rauen Klaus Riegert Franz Romer Johannes Röring Kurt J. Rossmanith Dr. Christian Ruck Anita Schäfer ({50}) Hermann-Josef Scharf Karl Schiewerling Georg Schirmbeck Bernd Schmidbauer Christian Schmidt ({51}) Dr. Andreas Schockenhoff Bernhard Schulte-Drüggelte Kurt Segner Johannes Singhammer Jens Spahn Thomas Strobl ({52}) Lena Strothmann Hans Peter Thul Antje Tillmann Dr. Hans-Peter Uhl Andrea Astrid Voßhoff Marco Wanderwitz Peter Weiß ({53}) Gerald Weiß ({54}) Klaus-Peter Willsch Willy Wimmer ({55}) Elisabeth WinkelmeierBecker Wolfgang Zöller Willi Zylajew SPD Sabine Bätzing Dr. Axel Berg Dr. Gerhard Botz Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Bernhard Brinkmann ({56}) Dr. Michael Bürsch Christian Carstensen Dr. Herta Däubler-Gmelin Sebastian Edathy Elke Ferner Wolfgang Gunkel Hans-Joachim Hacker Bettina Hagedorn ({57}) Dr. Reinhold Hemker Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Stephan Hilsberg Gerd Höfer Eike Hovermann Ulrich Kasparick Karin Kortmann Ernst Kranz Christine Lambrecht Andrea Nahles Dr. Wilhelm Priesmeier Maik Reichel Christel RiemannHanewinckel Dr. Ernst Dieter Rossmann ({58}) Bernd Scheelen Marianne Schieder Reinhard Schultz ({59}) Jörn Thießen Engelbert Wistuba Dr. Wolfgang Wodarg Uta Zapf FDP Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Hellmut Königshaus Dr. Konrad Schily DIE LINKE Hüseyin-Kenan Aydin Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Werner Dreibus Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Heike Hänsel Lutz Heilmann Hans-Kurt Hill Cornelia Hirsch Inge Höger Monika Knoche Ulla Lötzer Ulrich Maurer Dorothée Menzner Wolfgang Nešković Dr. Norman Paech Elke Reinke Paul Schäfer ({60}) Dr. Ilja Seifert Dr. Axel Troost BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck ({61}) Volker Beck ({62}) Cornelia Behm Birgitt Bender Alexander Bonde Dr. Thea Dückert Kai Gehring Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Winfried Hermann Peter Hettlich Priska Hinz ({63}) Ulrike Höfken Dr. Anton Hofreiter Bärbel Höhn Thilo Hoppe Ute Koczy Sylvia Kotting-Uhl Fritz Kuhn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth ({64}) Monika Lazar Anna Lührmann Nicole Maisch Kerstin Müller ({65}) Winfried Nachtwei Brigitte Pothmer Claudia Roth ({66}) Krista Sager Elisabeth Scharfenberg Christine Scheel Irmingard Schewe-Gerigk Dr. Gerhard Schick Grietje Staffelt Silke Stokar von Neuforn Dr. Wolfgang StrengmannKuhn Dr. Harald Terpe Jürgen Trittin Wolfgang Wieland Josef Philip Winkler Enthaltung CDU/CSU Uwe Schummer SPD Dr. Rainer Tabillion FDP Gudrun Kopp DIE LINKE Katja Kipping Sabine Zimmermann ({67}) Wir kommen damit zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit der Mehrheit des Hauses angenommen. ({68}) Damit entfällt die Abstimmung über die weiteren Vorlagen. Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/7985 ({69}) und 16/7984 sind damit erledigt. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums - Drucksache 16/5048 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({70}) - Drucksache 16/8783 Berichterstattung: Abgeordnete Dr. Günter Krings Sabine Leutheusser-Schnarrenberger Jerzy Montag Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen; sonst kann ich die Aussprache nicht eröffnen. - Vielleicht ist es auch den Grünen möglich, die Aufmerksamkeit auf die Redner zu lenken. Dafür wäre ich sehr dankbar. ({71}) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bundesministerin Brigitte Zypries. ({72}) Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär bei der Bundesministerin der Justiz, Alfred Hartenbach.

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß zwar, dass Ihnen Frau Zypries lieber gewesen wäre, aber sie bittet herzlich um Entschuldigung. Sie hat einen ganz eiligen Termin, den sie wahrnehmen möchte. Ich denke aber, ihr nehmt auch mit mir Vorlieb. ({0}) - Danke, wunderbar. Die wichtigsten Ressourcen unseres Landes sind gute Ideen, Kreativität und Innovationen. Sie sind es, durch die Wachstum, Wohlstand und Arbeitsplätze in Deutschland gesichert werden. Eine entscheidende Voraussetzung für unseren wirtschaftlichen Erfolg ist daher ein wirksamer Schutz des geistigen Eigentums. Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, verbessern wir diesen Schutz. Wir sorgen dafür, dass Produktpiraten und Fälscher besser bekämpft werden, und wir stellen sicher, dass die Rechte des geistigen Eigentums auch wirksam durchgesetzt werden können. Mit unserem Gesetzentwurf wollen wir denjenigen, deren Rechte verletzt werden, mehr Möglichkeiten geben, sich wirksam gegen Schädiger durchzusetzen. Ein wichtiger Baustein ist die Erweiterung von Auskunftsansprüchen. Bereits heute gibt es einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch des Rechtsinhabers gegenüber demjenigen, der sein geistiges Eigentum verletzt. Der Geschädigte kann Informationen über den Ursprung und die Vertriebswege gefälschter Waren verlangen. Er kann Auskunft über die Hersteller und Lieferanten sowie über die Menge der Waren und deren Preis fordern. Allerdings bestehen diese Ansprüche nur gegenüber dem Schädiger, und diesen zu identifizieren, ist oft gar nicht einfach. In Zukunft soll ein Kläger daher auch von Dritten, die nicht selbst Rechtsverletzer sind, Auskünfte verlangen können. Das kann zum Beispiel ein Internetprovider sein, über dessen Dienste der Handel mit Plagiaten abgewickelt worden ist. Das können aber auch Spediteure sein, die im guten Glauben gefälschte Ware transportiert haben. Mit ihrer Hilfe kann der Geschädigte an die wirklichen Fälscher und Raubkopierer herankommen und ihnen dann durch Anordnungen der Zivilgerichte das Handwerk legen. Im Gesetzentwurf ist vorgesehen, dass über den Auskunftsanspruch ein Richter entscheiden muss, wenn bei der Auskunft Verkehrsdaten aus dem Bereich der Telekommunikation verwendet werden. Wenn etwa ein Provider Auskunft geben muss, wer im Internet zu einem bestimmten Zeitpunkt hinter einer sogenannten dynamischen IP-Adresse gesteckt hat, dann geht es um Daten, die vom Fernmeldegeheimnis geschützt sind. Eine Preisgabe solcher Informationen soll daher nur dann zulässig sein, wenn vorher ein Richter den Anspruch geprüft und diesem zugestimmt hat. Der Richtervorbehalt ist auch deshalb sinnvoll, weil es den Dritten, etwa den Internetprovider, von eigenen Prüfungen entlastet. Er hat nämlich eigentlich nichts mit der Sache zu tun. ({1}) - Das weiß ich doch, Jerzy. - Deshalb soll nicht ihm die Last aufgebürdet werden, zu entscheiden, ob tatsächlich ein Anspruch besteht und die sensiblen Daten herausgegeben werden dürfen. Es ist daher kein Zufall, dass auch die europäische Richtlinie, die wir mit diesem Gesetzentwurf umsetzen, davon ausgeht, dass für solche Auskunftsansprüche die Gerichte die Auskunft anordnen müssen. Auch in einem anderen Punkt orientieren wir uns an den europäischen Vorgaben. Voraussetzung für den Auskunftsanspruch ist, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vorliegt. Bei bloßen Bagatellverstößen besteht dieser Anspruch also nicht. Über den Auskunftsanspruch, den Richtervorbehalt und das erforderliche Ausmaß der Rechtsverletzung haben wir lange diskutiert. Mit der Einschränkung, dass eine Rechtsverletzung ausdrücklich in gewerblichem Ausmaß vorliegen muss, haben wir auf die Formulierung der EU-Richtlinie zurückgegriffen, Herr Krings. Dies wurde auch von der Mehrzahl der Sachverständigen in der Anhörung des Rechtsausschusses angeregt. Wir sollten auch nicht vergessen, Herr Montag, dass der Europäische Gerichtshof jüngst entschieden hat, dass sich aus der EU-Richtlinie für die nationalen Gesetzgeber keine zwingende Verpflichtung ergibt, einen solchen Auskunftsanspruch zu schaffen. ({2}) - Damit habe ich Ihnen ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen. ({3}) Aber der EuGH hat sehr wohl festgestellt, dass wir ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Grundrechten schaffen müssen, die in Europa geschützt sind: zwischen dem geistigen Eigentum auf der einen Seite und dem Datenschutz auf der anderen Seite. Dieses Gleichgewicht schaffen wir mit diesem Gesetz. ({4}) Das ist, meine ich, ein gutes Ergebnis unserer Beratungen. In diesem Gesetzentwurf regeln wir auch eine Materie, die nicht durch die EU-Richtlinie vorgegeben wird, nämlich die Deckelung der Abmahnkosten. Tatsache ist, dass mit den Abmahnungen zum Teil verantwortungslose Geschäftemacherei betrieben wurde. ({5}) Dabei ist häufig die Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben. Wenn Teenager auf ihrer privaten Homepage ein Foto ihres Lieblingsstars einstellen, ohne die Bildrechte zu besitzen, dann ist in der Tat ein Verstoß gegen die Rechte des geistigen Eigentums gegeben. Es ist aber nicht gerechtfertigt, sie dafür mit Abmahnkosten in vierstelliger Höhe zu belangen. ({6}) - Danke, dass auch Sie an dieser Stelle klatschen. ({7}) Das Bundesministerium der Justiz hat hierzu eine wahre Flut von Bürgerbriefen erreicht. Dies hat gezeigt, dass wir handeln müssen. Die Kosten für eine erstmalige Abmahnung sollen deshalb bei Erfüllung von drei Voraussetzungen begrenzt werden. Es muss sich erstens um einen einfach gelagerten Fall handeln. Der Sachverhalt muss sich zweitens außerhalb des geschäftlichen Verkehrs abspielen. Drittens darf es nur zu einer unerheblichen Rechtsverletzung gekommen sein. Unter diesen Voraussetzungen sind die Kosten für den Verbraucher auf maximal 100 Euro begrenzt. Ich denke, das ist eine gerechte Lösung. ({8}) Lassen Sie mich einen letzten Aspekt ansprechen. Zum 1. Mai 2008 tritt das Londoner Patentübereinkommen in Kraft. Dadurch entfällt die Pflicht, ein europäisches Patent in zahllose Sprachen übersetzen zu müssen. Dies wird die Kosten für Patente spürbar senken. Damit alle Patentanmelder möglichst rasch davon profitieren können, wollen wir mit dem Gesetzentwurf auch die deutschen Übersetzungspflichten zum 1. Mai dieses Jahres streichen. Einen besseren Schutz des geistigen Eigentums, eine Deckelung der Abmahnkosten und die Reduzierung der Patentkosten - all das erreichen wir mit diesem Gesetz. Das ist eine ganze Menge. Ich darf mich bei Ihnen allen für die guten und konstruktiven Beratungen bedanken. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, FDP-Fraktion. ({0})

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wir, die FDP-Fraktion, teilen die Zielsetzung des Gesetzentwurfes. Er ist überfällig; denn die Umsetzungsfrist für die Richtlinie ist um fast zwei Jahre überschritten. Es geht darum, die Durchsetzung der Rechte von Inhabern geistigen Eigentums zu verbessern und ihnen angesichts der Entwicklung der Möglichkeiten, urheberrechtsgeschützte Produkte zu nutzen, andere Formen der Durchsetzung ihrer Rechte zu geben. Das wird in diesem Gesetzentwurf angelegt. Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wir stimmen Ihnen also in der Zielsetzung zu. Wenn Sie sich im Rahmen der Richtlinie bewegt hätten und nicht die Deckelung der Abmahngebühren - das ist durch die Richtlinie nicht vorgegeben - in den Gesetzentwurf aufgenommen hätten ({0}) - Herr Koppelin ist zweimal abgemahnt worden und hatte wohl keinen guten Anwalt; darüber hat er sich geärgert; hätte er einen guten Anwalt gehabt, hätte er bei Ihrer Rede, Herr Hartenbach, nicht klatschen müssen -, wären wir im Großen und Ganzen zufrieden und bereit gewesen, zuzustimmen. Jetzt müssen wir ablehnen. Bevor ich das mit zwei Aspekten begründe, möchte ich eine positive Bemerkung machen. Wir haben von Anfang an das Londoner Patentübereinkommen ausdrücklich unterstützt, das zu einer wirklichen Reduzierung der Übersetzungskosten bei kleinen und mittelständischen Unternehmen führen wird; das ist wichtig und notwendig. Darüber wird seit Jahren diskutiert. Dies wird dringend gebraucht; denn die Übersetzungskosten gehen - anders als die Abmahnkosten - in den fünfstelligen Bereich. Angesichts dessen ist es für kleine und mittelständische Unternehmen teilweise nicht mehr wirtschaftlich vertretbar und interessant, diesen Rechtsschutz zu erwerben. Nun zu den zwei Punkten, die wir kritisieren und warum wir den Gesetzentwurf letztendlich ablehnen. Der eine Punkt steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Umsetzung der Richtlinie. Wir halten es für richtig, den nicht ganz neuen Weg eines Auskunftsanspruchs nicht nur gegenüber dem Verletzer, sondern auch gegenüber Dritten - das betrifft insbesondere Internetprovider zu gehen. Gerade weil es um sensible Daten geht, halte ich es für richtig, dass der Richtervorbehalt beibehalten wird, obwohl ich noch heute Morgen - genauso wie Sie wahrscheinlich, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen Briefe erhalten habe, in denen mir Praktiker dringend ans Herz gelegt haben, das zu kritisieren. Aber ich halte es für richtig, weil es sich hier um sehr sensible Verkehrsdaten handelt und es um Dritte geht, die letztendlich nicht diejenigen sind, die Schadenersatz zu zahlen haben, wenn Rechte verletzt wurden. ({1}) Zur Voraussetzung für einen Auskunftsanspruch machen Sie ein gewisses gewerbliches Ausmaß. Sie nutzen damit als Gesetzgeber den durch die Richtlinie eröffneten Erwägungsspielraum. Ich glaube aber, dass das zu Schwierigkeiten in der Praxis führen wird.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gehb?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, ich gestatte.

Dr. Jürgen Gehb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003129, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie sagen, es handele sich um ganz sensible Daten. Können Sie den Zuhörern im Plenum und den Zuschauern erklären, um welche Daten es dabei geht? Geht es um Krankheiten, Steuerschulden oder Alkoholismus? Welche sensiblen Daten werden eigentlich abgefragt? Das möchte ich wissen.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001336, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Das sage ich Ihnen sehr gerne. Wir haben es nicht mit Daten über Gesundheit und Drogen zu tun. Vielmehr geht es darum, die Person des Verletzers festzustellen. Es sind also persönliche Daten erforderlich, um einen Anspruch begründen zu können. Dabei handelt es sich vielleicht nicht um so sensible Daten wie diejenigen, die auf der Gesundheitskarte gespeichert werden sollen. ({0}) Selbst die Begründung zum Gesetzentwurf zeigt, dass die Anspruchsvoraussetzung des gewerblichen Ausmaßes in der Praxis Schwierigkeiten aufwerfen wird; denn da sollen quantitative und qualitative Aspekte maßgeblich sein. Ist es jetzt das halbe Hörbuch? Ist es das ganze Musikalbum? Ist es zwei Wochen nach der Veröffentlichung? Die Beantwortung dieser Fragen wird sehr schwierig werden. Deshalb haben wir in den Beratungen dafür plädiert - denn das ist nicht zwingend durch die Richtlinie vorgegeben -, diese Anforderung zugunsten einer Stärkung des Auskunftsanspruches wegzulassen. Jetzt komme ich zu dem zweiten Aspekt, der Deckelung der Abmahngebühren auf 100 Euro. Natürlich gibt es auch anwaltliche Berater, die sehr leichtfertig zu einer Abmahnung greifen. Sie müssen aber den Systemwechsel sehen, den wir hier vornehmen. Ich glaube, Herr Krings, ich darf es ruhig sagen: Gerade Ihre Fraktion hat von Anfang an gegen diese Änderung - ursprünglich waren 50 Euro vorgesehen - Bedenken gehabt. ({1}) Das sind nicht nur Bedenken, die mit der Höhe der Gebühr verbunden sind, sondern es sind schon systematische Bedenken; denn bei berechtigten Abmahnungen, also wenn es um Rechtsverletzungen geht, soll gedeckelt werden. Sie wissen, dass 100 Euro - Porto ist inklusive noch nicht einmal kostendeckend sind. Sie eröffnen mit der Festsetzung von Voraussetzungen - einfache Rechtsverletzung; darin besteht die Systemwidrigkeit - ein neues Einfallstor für einen Streit darüber, ob die Voraussetzungen für eine gedeckelte Abmahngebühr erfüllt sind oder nicht. Sie geben mit diesem Weg in meinen Augen etwas auf, nämlich die klare Stringenz im Bereich der Gebühren für Abmahnungen. Sie überlegen nicht, wenn es sich schon um eine einfache Rechtsverletzung handelt, eine Streitwertbegrenzung oder andere sich im System bewegende Grenzen einzuführen. Das wäre in meinen Augen sehr viel systematischer gewesen. Aus diesen Gründen können wir dem Gesetzentwurf letztendlich nicht zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dr. Günter Krings, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Günter Krings (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003574, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Digitale Piraten haben offenbar wenig mit den echten Piraten gemeinsam. Aber auf eine bestimmte Weise ähnelt sich unsere Vorstellung von beiden wohl doch. Das oft romantisierende Bild des Piraten zur See hat sich in der Weise auf den digitalen Piraten übertragen, dass man zwar sein Tun im Grundsatz missbilligt, aber dann klammheimlich doch mit ihm sympathisiert. Zum Thema Internetpiraterie gibt es eine Reihe von Zeitungs- und Fernsehbeiträgen. Sie ähneln sich alle in ihrem Schema: Ein unbedarfter privater Internetnutzer wird von einem mächtigen Medienkonzern verfolgt. Die Positionen von David und Goliath werden gegenübergestellt. ({0}) Das ist eine oft verzerrte und mitunter sehr pauschalisierende Darstellung. Das zeigt auch, dass wir noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten haben, wenn es um die volkswirtschaftliche Bedeutung von geistigem Eigentum, aber auch um die kulturelle Bedeutung von geistigem Eigentum für unsere moderne Wissensgesellschaft geht. Wie wichtig dieses Element für ein rohstoffarmes Land wie unseres ist, hat der Herr Staatssekretär schon ausgeführt. Aus dem Grunde dringe ich immer darauf, dass das nicht nur als rechtspolitisches, sondern auch als kultur- und wirtschaftspolitisches Thema wahrgenommen wird. Dass einzelne vom Urheberrecht abhängige Branchen - ich nenne nur die Musikindustrie - nahezu die Hälfte ihrer Umsätze durch Internetpiraterie und Raubkopierer eingebüßt haben, macht deutlich, dass wir dringend handeln müssen, dass wir schon allein wegen Art. 14 unseres Grundgesetzes etwas tun müssen. Wir wollen nicht auf den EU-Gesetzgeber warten; wir wollen uns nicht hinter ihm verstecken. Es steht in unserer Verantwortung als nationaler Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass die Rechte am geistigen Eigentum nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auch beachtet und durchgesetzt werden. Da darf man auch klatschen. ({1}) - Danke schön. Dazu tun wir heute einen richtigen und wichtigen Schritt. Im Mittelpunkt der strittigen Diskussion zu diesem Gesetzentwurf stand und steht natürlich der zivilrechtliche Auskunftsanspruch der Inhaber von Urheberrechten gegenüber den Anbietern von Internetdienstleistungen. Um vom Dieb seines geistigen Eigentums Schadensersatz erlangen zu können, muss das Diebstahlsopfer erst einmal wissen, wer ihn im Internet bestohlen hat. Ich bin überzeugt, dass wir als Koalition eine vernünftige Balance bei der Ausgestaltung dieses Auskunftsanspruches gefunden haben. Die Tauglichkeit dieses Anspruches muss - insofern kann ich einzelne Kritikpunkte und Nachfragen durchaus verstehen - die gerichtliche Praxis jetzt noch beweisen. So ist das in einem Rechtsstaat. Da braucht es schon einmal Gerichte, die bei der Auslegung von solchen Gesetzen dann noch mithelfen müssen. Wir haben es uns als Union bei diesem Punkt nicht leicht gemacht, und wir haben es Ihnen, Herr Staatssekretär, und auch der Frau Ministerin nicht leicht gemacht. ({2}) Wir haben über diese Punkte lange verhandelt. Unsere Verhandlungen haben letztlich dazu geführt, dass die Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten, die wir heute beschließen werden, deutlich besser sind als das, was im Gesetzentwurf ursprünglich vorgesehen war. Wir haben dafür gesorgt, dass das Stichwort „Rechtsverletzung im geschäftlichen Verkehr“ so nicht im Gesetzentwurf stehen bleibt; vielmehr wird der deutlich weitere Begriff aus der EU-Richtlinie herangezogen: Alle Rechtsverletzungen im gewerblichen Ausmaß können Gegenstand des Auskunftsanspruches sein. Außerdem haben wir in der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses noch einmal deutlich gemacht, dass „gewerbliches Ausmaß“ ein relativ weitgehender Begriff ist. Dieser Begriff umfasst nicht nur das unmittelbare Gewinninteresse, sondern beispielsweise auch den mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil. Hätten wir das nicht gemacht, dann würde dieses Gesetz im Hinblick auf die große Plage der illegalen Tauschbörsen im Internet wirkungslos bleiben. Diese Tauschbörsen haben zu erheblichen Umsatzverlusten beigetragen. Vor allem missachten sie den Wert des geistigen Eigentums. Man tut so, als wäre es erlaubt, alles, was aus dem Netz heruntergeladen werden kann, herunterzuladen und unentgeltlich zu konsumieren. Den Begriff „gewerbliches Ausmaß“ haben wir präzisiert. Wir haben gesagt: Das ist nicht nur eine quantitative Angelegenheit, sondern auch eine Frage der Schwere, der Intensität und der Qualität des Schadens. Um auch dem Praktiker, dem Nichtjuristen eine Handhabe zu geben, erklären wir ganz praktisch: Wer beispielsweise ein komplettes Musikalbum oder einen ganzen Kinofilm unmittelbar nach seiner Veröffentlichung zum Download bereitstellt, richtet wirtschaftlich einen so erheblichen Schaden an, dass er dem zivilrechtlichen Auskunftsanspruch nicht entrinnen kann. ({3}) Sicherlich wird man abwarten müssen, wie sich der Auskunftsanspruch in der Praxis bewähren wird. Wir als Union haben uns für einen möglichst starken zivilrechtlichen Auskunftsanspruch eingesetzt, damit in immer mehr Fällen der Umweg über die Staatsanwaltschaft unnötig wird. Gerade weil unser deutscher Auskunftsanspruch dann aber noch immer in einigen Punkten hinter dem der meisten anderen EU-Staaten bleibt, kann es ganz ohne das Strafrecht leider nicht gehen. Staatsanwaltschaften, die sich nicht dem Vorwurf einer Rechtsverweigerung aussetzen wollen, tun deshalb gut daran, Urheberrechtsverletzungen auch in Zukunft ernst zu nehmen. Wenn Staatsanwaltschaften hingegen öffentlich erklären, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Urheberrechtsverletzer prinzipiell nicht aufnehmen zu wollen, lassen sie das geistige Eigentum zu einer leeren Hülle verkommen und gefährden meines Erachtens den Rechtsstaat, den sie eigentlich schützen sollen. Ich muss das schon so deutlich sagen. Ich muss hier ein Negativbeispiel nennen. Ich beziehe mich auf eine Presseerklärung der Staatsanwaltschaft in Wuppertal. Deren Pressesprecher hat sich zu der Bemerkung hinreißen lassen, dass die Aufnahme von Ermittlungen bereits unverhältnismäßig sei, da die Tatverdächtigen in Tauschbörsen keinerlei finanzielle Interessen verfolgen würden. Das Gleiche, das Fehlen finanzieller Interessen, gilt übrigens auch für fast alle Formen der Sachbeschädigung. Wollen wir also hoffen, dass zumindest diese Delikte in Wuppertal auch künftig noch verfolgt werden. Da die Staatsanwaltschaften bundesweit nach den geltenden Regeln unserer Gewaltenteilung verpflichtet sind, die Gesetze, die dieses Hauses verabschiedet hat, zu befolgen, gehe ich davon aus, dass die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft die Kollegen dort auf den Pfad der rechtsstaatlichen Tugend zurückführen wird. Allerdings müssen wir - das ist mir schon sehr wichtig die Hilferufe vieler Staatsanwälte durchaus ernst nehmen. Wir haben die Pflicht, den Rechteinhabern einen praktikablen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch zur Verfügung zu stellen, damit es in zukünftigen Fällen immer seltener notwendig ist, den Weg der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu beschreiten, und damit viele Fälle schon auf dem Zivilrechtsweg geklärt werden können. Als Union stehen wir - dies füge ich hinzu - neuen, niederschwelligen Alternativen zu einem staatlichen Verfahren aufgeschlossen gegenüber. Wir haben dies im Ausschuss bereits besprochen. Ich habe schon im Rechtsausschuss das Élysée-Verfahren in Frankreich und ein ähnliches Verfahren aus England angesprochen, in denen das untergesetzlich geregelt werden konnte. Das sind Verfahren, die mit einer neutralen, nichtstaatlichen Clearingstelle arbeiten, in denen sich insbesondere Internetserviceprovider und Rechteinhaber zusammentun müssen, um diese Rechtsverfolgungen bewerkstelligen zu können. Dies führt meines Erachtens zu deutlich weniger Problemen mit dem Datenschutz. Aus diesem Grunde hat mich die Bemerkung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz gestört, wonach hier erst noch umfangreich datenschutzrechtliche Bestimmungen geändert werden müssten. Wenn es aber so sein sollte, sollten wir das zügig in Angriff nehmen und alternative Verfahren, die in Frankreich und England erfolgreich praktiziert werden, auch für Deutschland nutzbar machen. Wichtig ist der Erfolg, dass Urheberrecht und geistiges Eigentum einen wirksamen Schutz erhalten. Dorthin können unterschiedliche Wege führen. Es muss nicht unbedingt über den Staatsanwalt und auch nicht mithilfe des jetzigen Auskunftsanspruchs erfolgen; es muss nur wirksam erfolgen. Das sind wir den Rechteinhabern schuldig. Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, Sie haben ein weiteres Thema ausführlich angesprochen, nämlich die Anwaltsgebühren bei Erstabmahnung. Die Beschränkung auf 100 Euro geht meines Erachtens in Ordnung. Auch hier herrscht Handlungsbedarf. Richtig ist, dass es zwar nur Ausnahmefälle sein mögen, in denen überzogene Abmahngebühren verlangt werden. Aber diese Fälle bringen eine ganze Branche in Verruf. Daher ist es angemessen, eine Begrenzung der Gebühren vorzunehmen. ({4}) Wir haben uns auch über Streitwertbegrenzungen als Alternative Gedanken gemacht, sind aber in der Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass dies komplizierter und vielleicht sogar mit größeren Systemeingriffen verbunden wäre. Wir haben jetzt jedenfalls ein praktikables System gefunden. Ich nenne ein Beispiel, um dies plastisch darzustellen: Wenn ein Fußballclub auf seiner Homepage einen Stadtplan verwendet, um zu zeigen, wie man seinen Sportplatz finden kann, diesen Stadtplan aber leider und vorwerfbar nicht erworben, sondern aus dem Internet heruntergeladen hat, soll er diesen Stadtplan von seiner Homepage entfernen. Aber er muss nicht mit Abmahngebühren in Höhe von mehreren Tausend Euro konfrontiert werden, die ihn vielleicht gar in den wirtschaftlichen Ruin treiben könnten. ({5}) Natürlich sind auch einfache Abmahnungen im ersten Falle mit anwaltlichen Kosten verbunden. Deswegen waren uns hier 50 Euro deutlich zu wenig. Man hätte über verschiedene Beträge nachdenken können. Wir haben uns jetzt auf 100 Euro geeinigt. So ist es in einer Koalition: Wir haben einen Mittelweg gefunden, der zumindest einen Großteil der Kosten, in vielen Fällen vielleicht auch die kompletten Kosten abdeckt. In Ordnung geht dieser Betrag auch deshalb, weil wir in der ergänzenden Gesetzesbegründung im Rahmen der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses anhand einer Reihe von Regelbeispielen klargemacht haben, wie eng dieser Anwendungsbereich ist. Hiervon kann nicht der gewerbliche Verletzer profitieren. Wer, um dieses Beispiel noch einmal aufzugreifen, ein ganzes Musikalbum zum Download zur Verfügung stellt, begeht natürlich keine einfache, geringfügige Rechtsverletzung und muss daher bei den Anwalts- und Abmahngebühren auch künftig deutlich tiefer in die Tasche greifen. Wer die Begrenzung bei den Abmahngebühren trotz dieser engen Beschränkung rundweg ablehnt, wie es die FDP offenbar tut, gefährdet meines Erachtens die gesellschaftliche Akzeptanz des Instruments der Abmahnung. Diese Folgen konnte man ja schon in Ihrer eigenen Fraktion beobachten, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. ({6}) Die Akzeptanz scheint auch in der FDP-Fraktion aufgrund persönlicher Erfahrungen nicht mehr hundertprozentig gegeben zu sein. ({7}) Um etwas tiefer in die rechtsphilosophische Kiste zu greifen und mit Rudolf von Ihering zu sprechen: Nur im Kampf des Einzelnen um sein subjektives Recht vermag sich die objektive Rechtsordnung in ihrer Wirkung zu entfalten. ({8}) Das heißt, wir müssen dem Einzelnen Möglichkeiten geben, sein Recht zu verfolgen. Deswegen ist das Instrument der Abmahnung wichtig, und es verdient, vor Angriffen geschützt zu werden. Wir wollen es davor schützen, dass es missbraucht wird, aber eben auch davor, dass dessen Abschaffung gefordert wird. Abmahnungen tragen dazu bei, den Rechtsfrieden ohne Staatsanwalt und Richter wiederherzustellen. Genau dies können wir mit der vorgesehenen Regelung gut erreichen. Zum Schluss lasse ich das Londoner Protokoll nicht unerwähnt, das diesem Gesetz angehängt wurde. Es hat zugegebenermaßen keinen direkten Bezug zu der umzusetzenden Richtlinie. Aber es war aus Schnelligkeitsgründen richtig, es aufzugreifen. Durch dieses Londoner Protokoll wird das europäische Patent von bürokratischem Ballast befreit und kostengünstiger. Bislang wird ein europäisches Patent in der Regel für sieben Länder übersetzt. Das bedeutet, es muss in der Regel in fünf Sprachen vollständig übertragen werden und verursacht damit Übersetzungskosten selbst bei relativ einfachen Patenten in Höhe von gut und gerne 7 000 Euro, mitunter auch deutlich mehr. Durch die Übernahme des Londoner Protokolls halbieren sich diese Übersetzungskosten nahezu, da es nur noch zwei Übersetzungen der vollständigen Patentschrift und drei Übersetzungen der Ansprüche geben wird. Da wir Deutschen seit Jahren die unangefochtenen Europameister bei den Patentanmeldungen sind, ist mir ein Punkt noch sehr wichtig: Die Übersetzung der Patentansprüche muss weiterhin in den drei Amtssprachen vorgenommen werden. Dazu gehört neben Englisch und Französisch eben auch das Deutsche. ({9}) Was könnte es also Schöneres geben? Wir bauen Bürokratie und Kosten ab und schützen dabei obendrein noch unsere deutsche Sprache. ({10}) Nicht nur bei der Zahl der Patentanmeldungen, sondern auch beim Schutz geistigen Eigentums wollen wir Deutsche international gern eine Vorreiterrolle einnehmen. Nur so kann man ja auch die zahlreichen Ermahnungen zum besseren Patent- und Urheberschutz verstehen, die von der Bundesregierung zum Beispiel an die Adresse Chinas oder anderer vornehmlich asiatischer Staaten gerichtet werden. Das Recht, von anderen einen besseren Schutz einzufordern, müssen wir uns aber erst dadurch verdienen, dass auch unsere nationale Rechtsordnung diesen Schutz in ausreichender und vorbildlicher Art und Weise vorsieht, und die Chinesen und die Inder sind nicht nur an ihren Gesetzestexten, sondern auch an ihrer Rechtspraxis zu messen. Entsprechend müssen auch wir die Anwendung unserer Gesetze genauestens beobachten und im Zweifel bereit sein, korrigierend einzugreifen. Die Arbeit zum Thema „Durchsetzung von Ansprüchen des geistigen Eigentums“ ist mit dem heutigen Tage daher leider noch nicht getan. Wir bleiben als Bundestag aufgefordert, die Anwendung des Gesetzes zu beobachten und dafür zu sorgen, dass im Ergebnis ein effektiver Eigentumsschutz herauskommt. Ein effektiver Schutz geistigen Eigentums bedeutet nämlich immer auch: Schutz der Rechte von Künstlern und Autoren in unserem Land. Herzlichen Dank. ({11})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Jelpke, Fraktion Die Linke. ({0})

Ulla Jelpke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001023, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linke hat bereits klargemacht, dass sie das Anliegen des Gesetzentwurfs grundsätzlich teilt. ({0}) Dies soll dazu beitragen, dass Künstlerinnen und Künstler von ihren Werken leben können und nicht mehr tatenlos hinnehmen müssen, dass ihre Werke von gewerblichen Händlern auf illegale Weise im Internet vertrieben werden. Das halten wir für absolut berechtigt. ({1}) Für falsch halten wir aber die hierzu vorgesehenen Regelungen; denn sie gehen weit über das hinaus, was von der Richtlinie gefordert wird und zur Durchsetzung des Rechts auf geistiges Eigentum gegenüber gewerblich handelnden Personen notwendig ist. Der Gesetzentwurf, über den wir heute abstimmen, regelt nur die grundsätzliche Frage, dass Künstlerinnen und Künstler Anspruch darauf haben, Auskunft über Namen und Adressen verdächtiger Internethändler zu erhalten. Dazu müssen die Internetprovider eingebunden werden. Aber auf welche Daten diese zugreifen dürfen, um Namen und Adressen der Verdächtigten zu ermitteln und weiterzugeben, regelt man nicht hier und jetzt, obwohl der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar ausdrücklich eine Klarstellung im Gesetz forderte. Das grundsätzliche, auch verfassungsrechtliche Problem ist doch, dass die privaten Verkehrsdaten, etwa bei der Internetnutzung, für privatrechtliche Interessen Dritter genutzt werden sollen. Die Speicherung von Verkehrsdaten wird durch die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich ermöglicht. Aber nach der Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das auf schwerste Straftaten beschränkt und bietet überhaupt keine Grundlage dafür, Urheberrechtsverletzungen nachzugehen. ({2}) Ich habe schon gesagt: Die vorgeschlagene Regelung geht weit über das hinaus, was zum Schutz der Rechte von Künstlerinnen und Künstlern notwendig ist. Die Auskunftsersuchen sollen sich gegen Personen richten, die in gewerblichem Ausmaß handeln. Das sollen aber nicht nur die gewerblich oder geschäftlich Handelnden sein, sondern auch die Mitglieder in Internettauschbörsen. Das wollte die Lobby der großen Medienkonzerne wie Bertelsmann und Sony immer schon. ({3}) Das will nun offenbar auch die Große Koalition. Die Möglichkeiten, Auskunftsersuchen zu stellen, sollen fast uferlos sein. Das haben Sie im Gesetzestext klargestellt: ({4}) Auskunft soll nicht nur über die Personen erteilt werden, die ganz viele Filme tauschen wollen. Auskunft soll auch über Personen möglich sein, die einen einzigen brandneuen Film auf ihrem Computer speichern und diesen auf einer Tauschbörse anbieten. ({5}) Damit wird deutlich, dass Sie das Eigentumsrecht ganz klar vor den Datenschutz stellen. Verhältnismäßigkeit spielt dabei keine Rolle. Auch derjenige, der nur gelegentlich etwas herunterlädt, soll Angst vor zivil- und strafrechtlicher Verfolgung haben müssen. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es geht hier nicht um die kleine Band, die nur ein paar Hundert CDs produziert, oder um experimentelle Filmemacher. Diese freuen sich höchstens, wenn ihre Werke eine weitere Verbreitung finden. Das ist ganz klar. ({6}) Diese Menschen können es sich sowieso nicht leisten, im Internet nach ihren Produkten zu forschen und entsprechende Auskunftsersuchen zu stellen. Somit haben diese Regelungen am Ende nur zum Ergebnis, dass die Musik-, Film- und Softwareindustrie weitere Fantasiepreise durchsetzen und mit diesen Gruppen ihr Spielchen treiben kann. Das wollen wir auf keinen Fall mitmachen. ({7}) Deswegen fordert die Linke ganz eindeutig: Erstens. Kein zivilrechtlicher Auskunftsanspruch gegen Dritte zur Herausgabe personenbezogener Daten. Zweitens. Auskunftsansprüche nur, wenn auch ein gerichtliches Verfahren anhängig ist. Drittens. Auskünfte jeglicher Art nur dann, wenn es einen Gerichtsbeschluss dazu gibt. Deswegen werden wir heute diesen Gesetzentwurf ablehnen. Danke schön. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für Bündnis 90/Die Grünen erteile ich Jerzy Montag das Wort.

Jerzy Montag (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003595, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Krings, das ist ein wunderbares Zitat. Die objektive Rechtsordnung verwirklicht sich tatsächlich in der subjektiven Rechtsdurchsetzung im Einzelfall. Denken Sie bitte daran, wenn wir hier das nächste Mal wieder über Vorschläge zur Änderung bei Rechtsmitteln und bei Rechtsbehelfen diskutieren müssen. Dann werde ich Ihnen dieses Zitat gern noch einmal vorhalten. ({0}) Zum Gesetzentwurf sage ich vorweg eines: Auch wir Grüne unterstützen die Deckelung der Abmahngebühr in einfachen Fällen. Die Deckelung von Rechtsanwaltgebühren ist nichts Systemfremdes, Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger. Es gibt sie auch bei anderen Fallgestaltungen. Wir stehen ganz eindeutig auf der Seite derjenigen, die vielleicht unbeholfen, einmalig und in kleinem Ausmaß eine Urheberrechtsverletzung begangen haben und die dann nicht eine Anwaltsrechnung über mehrere Tausend Euro bekommen sollen. Diese Fälle sind keine Einzelfälle. Es gibt sie. Das muss beendet werden. Insofern stimmen wir dem Gesetzentwurf zu. ({1}) Dieser Gesetzentwurf beschäftigt sich aber im Kern mit etwas völlig anderem, nämlich mit dem Urheberrecht und mit dem geistigen Eigentum. Geistiges Eigentum ist Eigentum im Sinne des Grundgesetzes. Trotzdem ist es wesensmäßig anders als Sacheigentum anzusehen. Während sich beim Sacheigentum im Kern die Eigentümereigenschaft in § 903 BGB wiederfindet, wo gesagt wird, dass der Eigentümer mit seiner Sache nach Belieben verfahren kann, wollen Bücher gelesen werden und wollen Musikwerke gehört werden. Die Kreativen stellen diese Werke her, damit sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Missverstehen Sie mich nicht, aber in einem ganz bestimmten Sinn ist das geistige Eigentum, das die reale Welt erblickt, auch im Besitz der Allgemeinheit und der Gesellschaft. In den Schnittstellen zur Wissenschaft, zur Lehre und zur Ausbildung haben wir im Rahmen der Schrankendiskussion auch bestimmte Folgerungen daraus gezogen. Für den konkreten Fall, um den es hier geht, stellt sich die Frage, ob wir derjenigen Industrie, die sich in der modernen Welt zwischen die Kreativen und die Konsumenten - die Verbraucher - gesetzt hat und die wirtschaftlich einer der mächtigsten Mitspieler im Konzert des Urheberrechts ist, nämlich der Unterhaltungsindustrie, Sonderrechte zuspielen wollen. Ich will in der Kürze der Zeit nur auf zwei Probleme, die ich allerdings für zentrale Probleme des Gesetzentwurfs halte, eingehen. Erstens möchte ich fragen, ob wir jemanden durch den Begriff „gewerbliches Ausmaß“ schützen können. Ich befürchte, dass es sich hierbei um ein Placebo handelt; denn angesichts der Tatsache, dass in den Erwägungsgründen der Richtlinie steht, dass gewerbliches Ausmaß bereits bei jedem unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen Vorteil gegeben ist, gilt das bereits ab dem ersten Euro, den man sich spart. Damit hätten wir mit der Beschränkung auf „gewerbliches Ausmaß“ praktisch nichts gewonnen. Wir haben deshalb den Vorschlag gemacht, auch den Begriff des „guten Glaubens“ in das Gesetz hineinzuschreiben. Das wollte die Große Koalition aber nicht. ({2}) Ein zweites Problem ist durch den Drittauskunftsanspruch gegeben. Ich sage es ganz deutlich: Obwohl das ein Novum im deutschen Zivilrecht ist, wäre im Grundsatz gegen eine solche Auskunftspflicht nichts zu sagen, wenn es bei dem Dritten um denjenigen ginge, der die Ware, durch die Urheberrechte verletzt wurden, in Besitz hält oder die Dienstleistung, durch die das Urheberrecht verletzt wurde, selbst in Anspruch nimmt. Die Frage ist aber, ob und in welchem Ausmaß wir ihn gegenüber denjenigen einräumen können, die Dienste anbieten, aber mit der Urheberrechtsverletzung nichts zu tun haben. Das ist doch die entscheidende Frage. Hier sagen wir: Der Anspruch, den Sie da formulieren, geht einfach zu weit, weil er auf der Ebene der Erfassung der IP-Adresse durch die, deren Rechte angeblich verletzt wurden, und auf der Ebene der Auskunftsverpflichteten durch die Verwendung von Daten aus ihren Datenbeständen mit dem geltenden Recht kollidiert. ({3}) - Nein, das tun Sie eben nicht. Sie müssten dazu sowohl im Telekommunikationsgesetz als auch im Telemediengesetz die entsprechenden Änderungen vornehmen. Das tun Sie nicht. Tatsächlich stellt die jetzige Regelung, die Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, beschließen wollen - ich habe es schon vor einigen Tagen gesagt und wiederhole es an dieser Stelle -, einen Kotau vor der Unterhaltungsindustrie dar. Man kann ihn nur als solchen bezeichnen. ({4}) Weil das so ist, lehnen wir diesen Gesetzentwurf, obwohl wir ansonsten in ihm viele gute Ansätze sehen, heute ab. ({5})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Dirk Manzewski, SPD-Fraktion. ({0})

Dirk Manzewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003177, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Produktpiraterie nimmt leider wie auch die sonstige Verletzung geistigen Eigentums ständig zu und richtet insbesondere in Ländern wie Deutschland, die von der Kreativität und dem Knowhow ihrer Menschen leben, erhebliche wirtschaftliche Schäden an. Dadurch werden nicht nur Arbeitsplätze vernichtet, gefälschte Produkte stellen oftmals auch ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Mit dem hier heute abschließend debattierten Gesetzentwurf wollen wir deshalb durch Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie die Stellung der Rechteinhaber beim Kampf gegen die Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums, insbesondere durch Produktpiraterie, stärken. Ein Hauptproblem - das ist schon angesprochen worden - bei der Verfolgung der Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums liegt darin, dass die Rechtsverletzer oft schwer zu identifizieren sind, da die entsprechenden Informationen über deren Identität häufig bei Dritten liegen. Die Rechteinhaber sollen künftig unter bestimmten, ich sage ausdrücklich: engen Voraussetzungen auch einen Auskunftsanspruch gegenüber diesen Dritten haben, um ihre Rechte besser durchsetzen zu können. Dieser Auskunftsanspruch wird, soweit es sich um Verkehrsdaten handelt, allerdings unter einem Richtervorbehalt stehen und soll nur dann zum Tragen kommen, wenn die Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß begangen worden ist. Ihrer Kritik an diesem Punkt, Herr Kollege Montag, kann ich nur entgegenhalten: Vertrauen Sie unseren Gerichten. Die Grünen und die Linken, die ja nun monieren, dass ihnen die Möglichkeiten zu Auskunftsersuchen viel zu weit gingen, müssen sich wirklich fragen lassen, wie ernst sie denn den Schutz des geistigen Eigentums nehmen und wie sie diese Haltung im europäischen Kontext, wo in diesem Punkt noch viel konsequenter vorgegangen wird, eigentlich rechtfertigen wollen. Ich halte diese Vorgehens- und Verhaltensweise, insbesondere die der Linkspartei, für ziemlich populistisch. Man schaut, für welche Haltung es Mehrheiten gibt, und richtet danach seine Meinung aus. Ob das nun Sinn macht oder im Widerspruch zum Beispiel zu anderen Gesetzen steht, das spielt dann überhaupt keine Rolle. ({0}) Hat man die BITKOM im Blick, dann sind Urheberrechte ganz wichtig. Sieht man eine Mehrheit bei den Verbrauchern oder wem auch sonst, dann ist das Urheberrecht nichts mehr wert. Es tut mir leid, aber das finde ich nicht in Ordnung. ({1}) Mir ist natürlich auch völlig klar, dass sich einige in diesem Zusammenhang noch sehr viel mehr erhofft hatten. So hätte zum Beispiel der Bundesrat gerne auf den Richtervorbehalt verzichtet, weil er das Verfahren hierdurch für zu bürokratisch und aufwendig hält. Insbesondere die betroffenen Verbände - das ist ja auch von Ihnen angesprochen worden, Frau Kollegin - hätten es gerne gesehen, wenn der Auskunftsanspruch gegenüber den Dritten, insbesondere den Internetprovidern, nicht nur bei Rechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß, sondern eigentlich immer möglich wäre. Auch in der Koalition ist hierüber - der Kollege Krings hat es schon angedeutet - heftig diskutiert worden. Nur, soweit es den Richtervorbehalt betrifft, müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es in diesem Zusammenhang um äußerst sensible Daten geht. Auch nach Ihren Ausführungen, Frau Kollegin, wird deutlich, dass es sensible Daten sind, die nicht gegenüber jedem gleich offenbart werden sollten. Was das Kriterium des gewerblichen Ausmaßes angeht, muss man, meine ich, die Kirche im Dorf lassen und nicht bei jedem noch so kleinen Verstoß den direkten Auskunftsanspruch zulassen. Was von den Kritikern dieses Gesetzes hier nicht so richtig deutlich gemacht worden ist: Wir setzen die europäische Richtlinie an diesen zwei prägnanten Punkten eins zu eins um. Ich glaube auch - da folge ich dem Kollegen Krings -, dass eine vernünftige Abwägung, wenn man sie vornimmt, deutlich macht, dass hier ein gerechter Interessenausgleich zwischen der Belastung von Gerichten und zum Beispiel Providern, die durch diese Vorgehensweise ja ebenfalls belastet werden, einerseits und dem Schutz der Dritten sowie dem Begehren der Betroffenen andererseits gelungen ist. Um es noch einmal klarzustellen: Die Situation der Rechteinhaber wird deutlich verbessert, da sie zum einen für, wie ich sie einmal nenne, schwerwiegende Verstöße ein einfacheres Verfahren zur Verfügung bekommen und ihnen zum anderen die bisherigen Wege weiterhin offenstehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, positiv hervorzuheben sind weiterhin die verbesserten Möglichkeiten der Vorlage und Sicherung von Beweismitteln, die Erleichterung des Schutzes geografischer Herkunftsangaben sowie die Grenzbeschlagnahmeverordnung. Auch die Umsetzung des Londoner Protokolls wird von mir begrüßt. Diejenigen, die mich kennen, wissen, dass ich mich sehr für den Schutz geistigen Eigentums einsetze. Bei den Abmahnungen von Rechtsverletzungen ist zuletzt jedoch vielfach mehr als überzogen worden. Natürlich sind - auch Kollege Krings hat das deutlich gemacht Abmahnungen von Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums völlig in Ordnung; darüber darf hier keine Diskussion aufkommen. Man konnte sich aber häufig nicht des Eindrucks erwehren, dass es sich in diesem Zusammenhang weniger um Urheberrechtsschutz als um Geschäftemacherei handelt. Abmahnungen im Bereich vier- und fünfstelliger Beträge sind selbst bei kleinsten Verstößen trotz gegenteiliger Beteuerung der Verbände nicht selten. Ich kann Ihnen sagen: Eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen, und zwar fraktionsübergreifend, sind während des letzten halben Jahres bei mir im Büro gewesen und haben mir Verfahren aus ihren Wahlkreisen gezeigt, die sehr klar Handlungsbedarf erkennen lassen. Ich bin daher unserem Koalitionspartner sehr dankbar, dass wir es gemeinsam hinbekommen haben, in den Fällen, in denen mit Abmahnungen Schindluder betrieben wird, die so in Anspruch Genommenen nicht nur auf den Rechtsweg zu verweisen, sondern auch zumindest ein Zeichen zu setzen und die Kosten wenigstens bei der ersten Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer unerheblichen Rechtsverletzung, bei denen kein gewerbliches Ausmaß vorliegt, zu beschränken. Wir haben uns auf die Kostenquote von 100 Euro geeinigt, weil wir meinen, dass das insbesondere bei den Dauerabmahnverfahren - bei diesen Verfahren folgt ja eins dem anderen - auskömmlich sein müsste. Ich komme zum Schluss. Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf für gelungen und danke allen, auch der Opposition, soweit sie mitgearbeitet hat, für die gute Zusammenarbeit. Als Letztes noch ein Wort zu Ihnen, Frau Jelpke. Ich finde Ihr Verhalten ein bisschen daneben. Nicht erst bei diesem Verfahren, sondern schon seit einem Jahr machen wir, und zwar nicht nur zu diesem Thema, ein Berichterstattergespräch nach dem anderen, aber die Linkspartei glänzt durch Abwesenheit. ({2}) Ob bei dem wichtigsten Verfahren im letzten Jahr, dem Verfahren zum VVG, oder bei dem Verfahren zum Urheberrecht: Ein Berichterstattergespräch folgt dem anderen, aber keiner von Ihren Kolleginnen und Kollegen erscheint; keiner geht in die Diskussion, keiner argumentiert. ({3}) Und dann stellen Sie sich hier hin und tun so, als ob man sich mit Ihren Argumenten nicht auseinandergesetzt hätte. Ich empfinde das langsam als Frechheit. Danke schön. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ver- besserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums. Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/8783, den Gesetz- entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/5048 in der Ausschussfassung anzunehmen. Hierzu liegt ein Än- derungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än- derungsantrag auf Drucksache 16/8788? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der Grünen gegen die restlichen Stimmen des Hauses abgelehnt. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand- zeichen. Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi- tion angenommen. Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit den Stimmen der Koali- tion bei Gegenstimmen der Opposition angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Weichenstellungen zur Förderung erneuerbarer Energien in der Europäischen Union Wettbewerb der Lösungen stärken, Regenwälder wirksam schützen - Drucksache 16/8074 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael Kauch, Gudrun Kopp, Angelika Brunkhorst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag der EU-Kommission für den Emissionshandel nach 2012 überarbeiten - Klima schützen, Stromverbraucher entlasten, Wettbewerb stärken - Drucksache 16/8075 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({1}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Michael Kauch, FDP-Fraktion. ({2})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Rat der Europäischen Union hat im März 2007 weitreichende Klimaschutzziele beschlossen: Bis 2020 wollen wir die Emissionen um mindestens 20 Prozent senken und den Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch auf 20 Prozent erhöhen. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt diese Zielsetzungen. Die Kommission hat nun Richtlinienvorschläge zur Erreichung dieser Ziele gemacht. Hier geht es in der Tat um Klimaschutz. Aber es sind auch andere Ziele der Europäischen Union massiv betroffen: die Artenvielfalt in der Welt, die soziale Tragfähigkeit der Belastungen für Verbraucherinnen und Verbraucher sowie die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie. Klimaschutz darf nicht zur Energiearmut führen. Er darf auch nicht zum Abholzen der Regenwälder und nicht zu simplen Produktionsverlagerungen in Ökodumpingländern führen. ({0}) Deshalb müssen wir uns im Parlament - bei aller Zustimmung zu den Klimaschutzzielen der EU - mit den Details der Regelungen auseinandersetzen. Wir können dies nicht der Regierung überlassen. Deswegen wollen wir heute mit der Debatte über die beiden vorgelegten Anträge die Diskussion eröffnen. Die Emissionshandels-Richtlinie regelt unter anderem die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedstaaten. Hier wird Deutschland durch das späte Basisjahr 2005 benachteiligt. Wir haben früh mit dem Klimaschutz begonnen - früher als andere Länder. Das späte Basisjahr hat eben nichts mit Klimaschutz zu tun. Es hat vielmehr damit zu tun, dass hier ein Verteilungskampf um die künftigen Versteigerungserlöse tobt. Deswegen erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie in Brüssel ganz klar die Interessen der Bundesrepublik Deutschland vertritt. ({1}) Erfreulich ist, dass die Emissionsrechte im Stromsektor vollständig versteigert werden sollen. Das ist marktwirtschaftlich und beendet die Zusatzprofite der Stromkonzerne aus dem Emissionshandel. Nicht akzeptabel ist dagegen, dass die EU - wenn auch in abgeschwächter Form - Vorgaben für die Verwendung der Versteigerungserlöse machen will; denn die Rahmenbedingungen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Deshalb sollte über diese Regeln national entschieden werden. In Deutschland haben wir bereits eine hohe Steuerlast auf Energie. Die FDP ist deshalb der Meinung: Wenn wir die Emissionsrechte im Stromsektor vollständig versteigern, dann muss das Geld den Verbraucherinnen und Verbrauchern durch eine Senkung oder Abschaffung der Stromsteuer zurückgegeben werden. Das würde den Emissionshandel tatsächlich verbraucherfreundlich machen. ({2}) Meine Damen und Herren, solange wir kein globales Klimaschutzabkommen haben, gilt es, darauf zu achten, dass diejenigen Unternehmen, die energieintensiv produzieren müssen und zugleich im globalen Wettbewerb stehen, faire Wettbewerbschancen haben; denn es hilft der Umwelt nicht, wenn Stahl, Papier und Zement statt in der EU in China oder der Ukraine produziert werden. Wir stehen in der Tat vor einem Dilemma, das wir nicht wegdiskutieren können: Marktwirtschaftlich wäre es einerseits zwar sinnvoll, die Emissionsrechte zu versteigern, andererseits würde den Unternehmen dadurch aber Vermögen entzogen werden, das sie im internationalen Wettbewerb brauchen; denn anders als die Stromkonzerne können sie diese Kosten nicht einfach auf die Preise aufschlagen und damit auf die Verbraucher abwälzen. Die Lösung der EU-Kommission, die Emissionsrechte an diese Unternehmen zu verschenken, ist aus unserer Sicht nur die zweitbeste Lösung; denn die kostenlose Vergabe öffnet Lobbyisten Tür und Tor, nach dem Motto: Ich setze mich dafür ein, dass meine Branche mehr Zertifikate erhält; davon sollen die Politiker überzeugt werden. ({3}) Es wäre möglich, die Emissionsrechte auch an energieintensive Unternehmen über eine Versteigerung zu vergeben. Allerdings müsste man das mit einem intelligenten Rückerstattungssystem verbinden, sodass die Preisanreize des Emissionshandels greifen, der Steuerungsmechanismus erhalten bleibt und den Branchen nicht das für den Wettbewerb notwendige Vermögen entzogen wird. Diese Idee sollte man aus unserer Sicht als Alternative zum Vorschlag der EU-Kommission in die Diskussion einbringen. Geradezu schädlich - das sollte man hier auch ansprechen - ist der Vorschlag, der aus Frankreich kommt. Ich sehe mit Sorge, dass sich Teile der EU-Kommission für diesen Vorschlag offen zeigen. Der französische Vorschlag lautet: Wenn wir Klimaschutz betreiben, andere Länder aber nicht, dann erheben wir auf deren Produkte einfach einen Zoll, und schon ist der Preisunterschied ausgeglichen. Das ist naiv und in hohem Maße gefährlich; denn solche protektionistischen Maßnahmen werden nicht ohne Gegenwehr bleiben. Ein Exportland wie Deutschland kann es sich nicht leisten, seine wirtschaftlichen Chancen auf den Märkten durch solche Abschottungsmaßnahmen zu gefährden. ({4}) Die Richtlinie zu den erneuerbaren Energien enthält unter anderem das 10-Prozent-Sonderziel für erneuerbare Energien im Bereich Verkehr. Wir sind sehr wohl dafür, einen 20-prozentigen Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch anzustreben. Wir müssen uns allerdings überlegen, ob es Sinn macht, einen einzelnen Sektor hervorzuheben, indem man für ihn ein Sonderziel vereinbart, während man für die anderen Sektoren keine rechtsverbindliche und vor allen Dingen keine EU-einheitliche Vereinbarung trifft. 10 Prozent erneuerbare Energien im Bereich Verkehr bedeuten 10 Prozent Biokraftstoffe. 10 Prozent Biokraftstoffe bedeuten in Portugal beispielsweise Wasserknappheit im Norden des Landes. Vor allem bedeutet das aber einen Importdruck für die Regenwaldregionen; darüber haben wir am Mittwoch schon gesprochen. Die Europäische Union muss auf Aspekte der Nachhaltigkeit schauen. Solange wir in der Praxis keine Zertifizierungssysteme haben, sondern nur auf dem Papier, darf die Vereinbarung über dieses Sonderziel nicht in Kraft gesetzt werden. ({5}) Erlauben Sie mir abschließend den Hinweis, dass wir uns auch andere Punkte dieser Richtlinie noch einmal genau anschauen müssen. Wir müssen prüfen, ob nationale Entscheidungen, die wir gerade getroffen haben, nicht durch die Richtlinie ausgehebelt werden. Das gilt beispielsweise für das Thema Nutzungspflicht bei Altbauten. Hier stellt sich die Frage, ob die Formulierung in der Richtlinie unsere Entscheidung rückgängig machen soll. Wir müssen aufpassen, dass die Entscheidungen, die wir in diesem Parlament getroffen haben, nicht durch die Regierung im Ministerrat ausgehebelt werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Marie-Luise Dött, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Marie Luise Dött (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003070, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klimaschutz ist ein gesamtgesellschaftlicher Kraftakt mit Wirkungen weit über die ökologische Dimension hinaus. Die FDP hat mit der Formulierung des Antragstitels den Nagel auf den Kopf getroffen: „Klima schützen, Stromverbraucher entlasten, Wettbewerb stärken“. Genau in diesem Zieldreieck muss sich nationale, aber natürlich auch europäische Klimapolitik bewegen. Das Beispiel Ethanol hat gezeigt, dass ambitionierter Klimaschutz mehr ist als CO2-Minderung. Klimaschutz muss stärker als eine wirtschaftliche Optimierungsaufgabe verstanden werden. Energiepreiswirkungen, CO2Vermeidungskosten, Wirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftsstandorts sowie Beschäftigungswirkungen müssen stärker in die Beurteilung einzelner Klimapolitiken einbezogen werden. Natürlich ist Klimaschutz nicht zum Nulltarif zu haben, aber Klimaschutz ist auch kein Freibrief für die Politik, Bürger und Unternehmen mit einem Regulierungsnetz bis hin zum Tank im Heizungskeller, bis hin zum Stromzähler ständig zur Kasse zu bitten. Hierüber müssen wir bei den jetzt anstehenden Verhandlungen zum Paket I des Integrierten Klima- und Energieprogramms ausführlich diskutieren. Hierüber werden wir auch mit der Europäischen Kommission im Kontext des europäischen Energie- und Klimapaketes reden müssen. Klimaschutz ist und bleibt ein zentrales europäisches Projekt. Mit dem von der EU-Kommission vorgelegten Energie- und Klimapaket sollen die im März 2007 von den Staats- und Regierungschefs der EU verabschiedeten Ziele zur europäischen Klimapolitik umgesetzt werden. Nach den ambitionierten Verhandlungen auf dem Weltklimagipfel auf Bali bleibt die Europäische Union Vorreiter und Motor im internationalen Klimaschutz. Gleichwohl zeigt bereits ein erster Blick auf die vorgelegten Vorschläge, dass weitere Diskussionen und Überarbeitungen notwendig sind. Die Kommission hat mit der Reduzierung der Treibhausgase in den einzelnen Mitgliedstaaten, der Förderung der erneuerbaren Energien, der Weiterentwicklung des Emissionshandels sowie der CO2-Abscheidung und -Ablagerung wichtige klimapolitische Handlungsfelder beschrieben. Eine europäische Politik in diesen Bereichen hat nicht nur das Potenzial, den Klimaschutz voranzubringen, sondern sie kann und muss auch dafür sorgen, dass dies mit einer gerechten Lastenverteilung - oder vielleicht besser gesagt: Aufgabenzuweisung - und der Sicherung einer größtmöglichen Subsidiarität geschieht. ({0}) Meine Damen und Herren, genau da liegen derzeit die wesentlichen Probleme des europäischen Energie- und Klimapakets. Denn einmal mehr hat die Kommission die Tendenz, sehr konkrete Maßnahmen vorzugeben. Das beste Argument gegen diesen Trend ist die erfolgreiche Umsetzung unseres nationalen Energie- und Klimaprogramms. Die beiden Anträge der FDP weisen - wenn auch nur punktuell - auf einige Ansätze der Kommission hin und enthalten erste Vorschläge für die künftigen Diskussionen über die Weiterentwicklung, die durchaus beachtenswert sind. Zu Recht ist ein Hauptkritikpunkt der FDP die Regelungstiefe, die die Kommission einmal mehr beansprucht. Ein gutes Beispiel dafür ist die geplante Einführung einer Nutzungspflicht für erneuerbare Wärme im Gebäudebestand; Herr Kauch sprach das schon an. Genau diesen Ansatz haben wir gemeinsam aus unserem nationalen Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz herausgenommen, weil wir Überforderungen, die durchaus zu sozialen Härten für Hausbesitzer führen können, vermeiden wollen. ({1}) Es macht keinen Sinn, dass sich die Bundesregierung mit ihrem Regulierungsanspruch aus dem Heizungskeller der Bürger zurückzieht, wenn dafür die Europäische Kommission dort einzieht. Wie für die nationale Klimaschutzpolitik müssen auch hier die Prüfkriterien ökologischer Wirksamkeit, sozialer Verträglichkeit und wirtschaftlicher Kompetenz an die Vorschläge der Kommission angelegt werden. Es gibt auch aus unserer Sicht eine ganze Reihe von zentralen Forderungen zu Änderungen bei den Vorschlägen der Kommission. Hier geht es nicht um Feinjustierungen, sondern um Grundsätzliches. So muss aus unserer Sicht noch einmal über die Festlegung des Basisjahres 2005 für die Emissionsminderungen diskutiert werden. ({2}) Mitgliedsstaaten, die bis 2005 kaum Anstrengungen unternommen haben und von ihren eigenen Klimazielen noch weit entfernt sind, würden davon bevorteilt. Länder, die bereits vor 2005 erhebliche Minderungen erreicht haben - dazu gehört Deutschland -, würden benachteiligt. ({3}) Ich kann nicht nachvollziehen - ich wusste, dass das Argument kommt -, wieso die sogenannten Early Actions behandelt werden, als wären uns diese CO2-Minderungen quasi in den Schoß gefallen. Jeder weiß doch, welche Anstrengungen gerade der strukturelle Umbau in den neuen Bundesländern gekostet hat. Wir haben Milliardenbeträge aufgewendet, um die energetische Basis in den neuen Bundesländern umzustellen, und zwar auch für den Klimaschutz. Das gilt übrigens auch für andere europäische Partner aus dem ehemaligen Ostblock. Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt, den wir kritisch beurteilen, ist die Aufteilung der Minderungsvorgaben auf die Mitgliedstaaten. Darüber muss noch einmal diskutiert werden. Die derzeitige augenscheinliche Sonderbehandlung einiger Staaten muss gerade unter dem Aspekt einer fairen Lastenteilung geprüft werden. Ein dritter Schwerpunkt, bei dem dringend nachgebessert werden muss, ist die künftige Gestaltung des Emissionshandels. Die im aktuellen Vorschlag von EUUmweltkommissar Dimas vorgesehene vollständige Versteigerung der Zertifikate für alle Branchen ist so nicht akzeptabel. Darauf hat die Bundeskanzlerin beim Europäischen Rat im März dieses Jahres bereits nachdrücklich hingewiesen. Es muss darüber nachgedacht werden, solchen Unternehmen, die ihre Klimaschutzpotenziale nach dem aktuellen Stand der Technik bereits ausgereizt haben, kostenlos Zertifikate zuzuteilen. ({4}) Es macht keinen Sinn, Minderungen zu verlangen, die weder technisch noch wirtschaftlich erreichbar sind. ({5}) Ein europäischer Emissionshandel darf nicht dazu führen, dass sich energieintensive Bereiche wie die Stahl-, Chemie-, Zement-, Glas- und Papierindustrie aus Europa zurückziehen und ihre Standorte in andere Regionen der Welt verlagern. ({6}) Daraus würden nicht nur erhebliche Probleme für Wachstum und Beschäftigung resultieren, sondern auch klimapolitisch würden Produktionsverlagerungen mehr Schaden als Nutzen bringen. Wir brauchen bei der Versteigerung der Emissionszertifikate Lösungen, die die technologischen Bedingungen und die internationale Wettbewerbsfähigkeit gerade energieintensiver Branchen berücksichtigen. ({7}) Branchenlösungen, also die Ermöglichung von brancheninternen Handelsmechanismen, sollten auf ihre Umsetzbarkeit geprüft werden. Wichtig ist, dass wir die Diskussion über die Ausgestaltung des künftigen Emissionshandels bereits jetzt führen. Dabei ist von zentraler Bedeutung, dass Entscheidungen über Minderungsvorgaben und -mechanismen nicht erst, wie die Kommission plant, im Jahre 2011 getroffen werden. Der Vorschlag der Kommission ist zwar ehrenwert; denn zu diesem Zeitpunkt kann man die internationale Wettbewerbssituation aktuell einschätzen. Aber, meine Damen und Herren, kein Unternehmen wird in der Zwischenzeit Investitionen in Europa planen, wenn erst 2011 eine Kalkulation der Kosten am vorgesehenen Standort möglich ist. Hier geht es nämlich nicht um Peanuts. Es wurde ermittelt, dass der chemischen Industrie durch den Emissionshandel im Jahre 2020 Zusatzkosten in Höhe von fast 2 Milliarden Euro drohen. Wie real diese Gefahr ist, war gestern in der FAZ nachzulesen. BASF hat wegen der Unsicherheiten im Hinblick auf den Emissionshandel eine 1,5-Milliarden-Euro-Investition in eine Kohlevergasungsanlage am Standort Ludwigshafen vorerst zurückgestellt. Klimapolitik ist einmal mehr auch Politik für den Wirtschaftsstandort. Ich will zum Schluss sagen: Wir brauchen eine in sich stimmige, kohärente Antwort auf die Brüsseler Vorschläge, die den Nachweis erbringt, dass die Klimaziele erreicht werden und dass die Gesamtstrategie sowie die einzelnen Maßnahmen sozial ausgewogen und wirtschaftlich verträglich sind. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir den Tropenwaldschutz ernst nehmen und die Kleinbauern und Waldbewohner im Süden vor Vertreibung schützen wollen, dann müssen die Agrokraftstoffquoten deutlich gesenkt oder ganz ausgesetzt werden. Die Linke fordert auf europäischer Ebene das Gleiche wie die FDP in ihrem Antrag. Am Mittwoch dieser Woche haben wir diese Diskussion schon einmal geführt. Da hat Umweltminister Gabriel behauptet, die Linke habe in der Vergangenheit höhere Agrokraftstoffquoten gefordert. Woher er das hat, weiß ich nicht. Allerdings möchte ich betonen: Wir haben die Steuerbefreiung für biogene Reinkraftstoffe und die Abschaffung der Zwangsbeimischung gefordert. Das ist für uns aber etwas ganz anderes. ({0}) Sicherlich standen auch wir den Agrotreibstoffen anfangs euphorischer gegenüber, als wir es heute tun. Dass wir diese aber im Wesentlichen aus Europa bzw. Deutschland beziehen sollten, vertreten wir schon lange. Wenn wir darauf verzichten, Biomasse in flüssige Kraftstoffe zu verwandeln, jedenfalls jenseits lokaler Verwendungen, beispielsweise in landwirtschaftlichen Betrieben oder - diesen guten Vorschlag habe ich von der Koalition gehört - in Zukunft auch im öffentlichen Nahverkehr - ich sage noch einmal, dass ich diesen Vorschlag gut finde -, dann leisten wir ({1}) - okay - einen Beitrag dazu, den gegenwärtig rasanten Anstieg der Nahrungsmittelpreise abzubremsen. ({2}) Agrokraftstoffe sind sicher nicht der einzige Grund für die Preisexplosionen, aber ein wichtiger. Die Weltbank hat letztes Wochenende in Bezug darauf vor der Gefahr einer wachsenden Verarmung in etlichen Regionen der Welt gewarnt. Mittlerweile gibt es wegen der Preisexplosionen Hungerrevolten und gewaltsame Proteste in Haiti oder Indonesien. Ich muss hier nicht nur die Weltbank nennen, ich kann auch auf „Misereor“ oder „Brot für die Welt“ hinweisen. Was den zweiten FDP-Antrag zum EU-Emissionshandel ab 2012 betrifft, so können wir einigen Forderungen folgen, anderen aber nicht. Zunächst möchte ich sagen: Die Linke unterstützt den Systemwechsel im europäischen Emissionshandelssystem. Das heißt, ein einheitliches Minderungsziel anstelle nationaler Zuteilungspläne. Das wird auch Tricksereien einzelner Länder vermeiden helfen. ({3}) Ferner wird die vorgesehene Versteigerung der Emissionsrechte an die Energiewirtschaft zu 100 Prozent dem Ganzen erstmals eine nennenswerte Lenkungswirkung natürlich nur dann geben, wenn es anspruchsvolle Emissionsobergrenzen gibt. Wir fordern im Unterschied zur FDP für Europa das Ziel, den Ausstoß der Emissionen gegenüber 1990 um 30 Prozent zu senken. ({4}) Das Minderungsziel von 20 Prozent reicht eben nicht, um einen wirksamen Beitrag Europas dazu zu leisten, dass die Erwärmung nicht über 2 Grad ansteigt. Entsprechend diesem höheren Ziel müssten dann auch die Vorgaben für das Emissionshandelssystem verschärft werden. ({5}) Wir finden es nicht zielführend, dass in der EU-Richtlinie nur von einem Minderungsziel von 20 Prozent ausgegangen wird. Die Einstellung, nach dem Post-KiotoAbkommen das Minderungsziel auf 30 Prozent zu erhöhen, halten wir für inkonsequent. Wir wollen etwas anderes. Wir wollen, dass das Ziel einer Minderung der Treibhausgase um 30 Prozent schon jetzt aufgenommen wird. Noch einmal: Wir können hier nicht auf die USA warten. Wir müssen von Anfang an mit dem 30-ProzentZiel in den Ring steigen, damit auch stark wachsende Staaten wie China oder Indien dazu bewegt werden, einem verbindlichen Klimaschutzregime zuzustimmen. ({6}) Sie wissen, dass die Energieversorger bislang Milliarden an Windfall-Profits einstreichen, weil ihnen die wertvollen Emissionsrechte geschenkt werden. Das könnte ab 2012 Geschichte sein, wenn, ja wenn Wirtschaftsminister Glos endlich aufhören würde, in Brüssel dazwischenzufunken. ({7}) Es ist unglaublich, dass Deutschland offensichtlich schon wieder - ich wiederhole: schon wieder - ein sinnvolles und gerechtes Emissionshandelssystem verhindern will. Herr Glos - leider ist er nicht hier -, ich sage Ihnen: Halten Sie sich zurück! Auch ein Wirtschaftsminister sollte noch andere Ziele im Kopf haben, als seiner Klientel maximale Profite zuzuschanzen. Im Gegensatz zur FDP gefällt uns die Idee der Kommission, mindestens 20 Prozent der Versteigerungseinnahmen unter anderem für die soziale Abfederung höherer Energiepreise einzusetzen, sehr gut. Diesen Anteil würden wir gerne noch erhöhen. Ich komme zum Schluss. Ich wundere mich schon sehr, wie von verschiedenen Seiten über die Energiepreise gesprochen wird. Ich möchte Sie daran erinnern: Unter Kohl war mit dem Energiewirtschaftsgesetz klar, dass dieses Gesetz zu weiteren Oligopolen und damit zu höheren Preisen führt. Dagegen haben Sie nichts getan. Ich kann Ihnen nur sagen: Unterm Strich könnte der Ausstoß von Kohlendioxid ab 2012 ziemlich teuer werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern?

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Es spricht einiges dafür, dass sich Kohlekraftwerke dann nicht mehr rechnen. Wir setzen weiter auf Versteigerung. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Frank Schwabe, SPD-Fraktion. ({0})

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Verehrte Damen und Herren! So eine Debatte ist, zumal uns von den Tribünen aus viele junge Leute zuschauen, eine gute Gelegenheit, Revue passieren zu lassen, welche Diskussionen es in den letzten Jahren über den Klimaschutz gegeben hat. Wir beschäftigen uns seit etwa zwei Jahren intensiv mit dem Thema Klimawandel. Die Wissenschaft gewinnt immer mehr Erkenntnisse. Auch wenn manche Medien versuchen, einen anderen Eindruck zu erwecken, muss man festhalten: Es gibt keine neueren Erkenntnisse, die den Schluss zuließen, dass der Klimawandel unproblematisch würde. Vielmehr geht die Eisschmelze weiter, und die Wüstenbildung schreitet voran. Das Thema Klimawandel ist eng verbunden mit der sozialen Frage. Es sind nämlich die armen Länder, die, wie mehrfach gesagt wurde, die Lasten des Klimawandels, den die reichen Länder verursachen, zu tragen haben. Die soziale Frage spielt aber auch in der nationalen Debatte eine Rolle. Wir, die sozialdemokratische Partei, werden in den nächsten Monaten intensiv darüber diskutieren, wie wir die Energiepreissteigerungen sozial gerecht abfedern können. Das Thema Klimawandel ist aber auch eng mit der Wirtschafts- und Innovationspolitik verbunden: Die Politik, die angesichts des Klimawandels notwendig ist, bietet die Chance, Innovationen in Deutschland voranzutreiben und neue Wirtschaftsfelder zu entwickeln; das haben wir ja in den letzten Jahren begonnen. Bei der Bekämpfung des Klimawandels muss - dafür treten wir im Deutschen Bundestag, wie ich denke, gemeinsam ein - Europa eine Führungsrolle einnehmen. Die SPD begrüßt die Vorschläge der EU-Kommission zur Aufteilung der Verantwortung zur CO2-Reduktion, die Vorschläge zum Emissionshandel, für den Ausbau der erneuerbaren Energien sowie den Vorschlag zur Speicherung von CO2. Auch die Vorschläge zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes sind wegweisend. Ich glaube, es ist notwendig, dass wir bei aller Kritik im Detail betonen, dass die Vorschläge, die die Kommission vorgelegt hat, hervorragend sind. Diese Vorschläge verdienen Deutschlands Unterstützung; das sollte auch der Deutsche Bundestag bekunden. ({0}) Es ist mutig, dass das elende Gefeilsche um die nationalen Allokationspläne beendet wird. Es wird jetzt eine Einheitlichkeit in Europa geben, durch die Wettbewerbsverzerrungen zumindest teilweise vermieden werden. Die Unternehmen bekommen dadurch, dass die dritte Handelsperiode länger dauern wird, Planungssicherheit. Ich will ferner ausdrücklich erwähnen, dass in Zukunft weitere Treibhausgase in den Emissionshandel einbezogen werden. Besonders gut finde ich - da habe ich eine andere Wahrnehmung als die Kollegin Bulling-Schröter -, dass sich die EU-Kommission klar zu einer 30-prozentigen Senkung des CO2-Ausstoßes bis 2020 bekennt. In der konkreten Ausarbeitung der Vorschläge wird von einer Senkung um 20 Prozent ausgegangen; es ist aber eine Klausel eingebaut, die deutlich macht, dass wir eigentlich eine Senkung um 30 Prozent wollen. Ich vermisse an dieser Stelle den Widerspruch der FDP; der FDP ist ja unterstellt worden, dass sie eine Senkung um 30 Prozent nicht wolle. Ich habe aus dem Antrag der FDP herauslesen können, dass sich auch die FDP damit einverstanden erklären kann, dass wir uns zu einer Senkung um 30 Prozent verpflichten, und zwar unter der Bedingung, dass es zu einem internationalen Abkommen kommt. Die FDP hat sich allerdings bisher nicht dazu durchringen können, für Deutschland eine Senkung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent anzustreben, wie es die Position der Bundesregierung ist. ({1}) Bei aller Unterstützung im Grundsätzlichen gibt es natürlich durchaus Diskussionsbedarf; die FDP hat ihn in ihren Anträgen benannt. Allerdings ist die Sachlage nicht immer so, wie es dargestellt wurde. Nehmen wir zum Beispiel die Frage des Basisjahres. Natürlich hat jede Verschiebung des Basisjahres eine andere Verteilung der Lasten auf die verschiedenen Länder Europas zur Folge. Das betrifft aber vor allen Dingen die osteuropäischen und die südeuropäischen Staaten; für Deutschland ist das gehupft wie gesprungen. Wir haben Nachteile dadurch, dass die südeuropäischen Staaten jetzt besser gestellt werden; aber wir haben zugleich Vorteile dadurch, dass die osteuropäischen Staaten schlechter gestellt werden. Deswegen ist das eigentlich eine Diskussion, die zwischen Osteuropa und Südeuropa geführt werden muss. Für uns ist die Frage, in welchen Bereichen der Wirtschaft auktioniert wird, woher die Auktionierungserlöse kommen, viel spannender. Nehmen wir einmal an, im Energiebereich wird es eine 100-prozentige Auktionierung geben, wofür wir hier, glaube ich, fraktionsübergreifend eintreten. Dann wird von Deutschland ein besonders hoher Anteil in das System gezahlt werden. Wenn wir zum Beispiel im Bereich der Industrie keine 100-prozentige Auktionierung erreichen, dann werden andere Staaten weniger in das System einzahlen. Dann stellt sich die Frage, wie eigentlich der Verteilungsmechanismus aussieht. Wie wird die Rückverteilung des eingenommenen Geldes auf die nationalstaatlichen Ebenen aussehen? Die Debatte über die Verteilungswirkungen wird sehr spannend sein. Das Jahr 2005 wird in der Debatte zwar eine Rolle spielen, aber ich glaube, das wird nicht entscheidend für Deutschland sein. Ein zweiter Punkt ist die CDM-Quote. Es geht um die Frage, wie man über flexible Mechanismen international seine Verpflichtungen erfüllen kann. Das ist ein wichti16332 ges Instrument. Ich warne allerdings davor - ich habe das schon mehrfach getan -, dass dort eine Goldgräberstimmung ausbricht. Wir müssen vor allen Dingen zusehen - darüber sind wir uns in diesem Deutschen Bundestag ja auch einig -, dass wir durch eine übergreifende Vereinbarung die Integrität der CDM-Projekte sicherstellen. Die EU-Kommission geht zumindest im Hinblick auf die 20-prozentige Senkung bis zum Jahre 2020 davon aus, dass wir sehr restriktiv mit den CDMs umgehen werden. Auch das wird auf Deutschland allerdings nur relativ geringe Auswirkungen haben, weil man das Volumen aus der zweiten Handelsperiode, das man nicht eingesetzt hat - wir sind in der zweiten Handelsperiode sehr großzügig damit umgegangen -, in die dritte Handelsperiode überführen kann. Also wird es für Deutschland an dieser Stelle gar keine Bedeutung haben, dass die CDMQuote sehr restriktiv ausgelegt wird. Der Umgang mit den energieintensiven Industrien wird sicherlich ein wichtiges Thema sein, wobei ich sage, dass es für die Position der Kommission gute Argumente gibt. Sie sagt, dass sie das heute noch nicht entscheiden kann, weil sie dann Vorfestlegungen für die internationale Debatte treffen würde, wodurch ihre Rolle und ihr Verhandlungsmandat geschwächt würden. Es ist aber gar keine Frage: Wir brauchen auch Investitionssicherheit für die Industrien. Deswegen gilt an der Stelle: Wir müssen so schnell wie möglich zu Ergebnissen kommen. Wir müssen allerdings auch so gründlich wie nötig vorgehen, weil nicht ganz klar ist, wie die Abgrenzung aussehen wird. Was sind eigentlich energieintensive Industrien? Auf europäischer Ebene gibt es darüber durchaus intensive und nachvollziehbare Debatten. Eines will ich noch zum Thema Mittelverwendung und Stromsteuer sagen. Herr Kauch, wenn das alles so einfach wäre, dann wäre es schön; denn dann könnte man die Auktionierungserlöse über die Stromsteuer zurückgeben. Ich fürchte nur, dass der Preisbildungsmechanismus anders aussehen wird. Wir werden den Monopolunternehmen der großen Energieversorger eher noch zusätzliche Gewinne bescheren. Ich fürchte, das, was wir im Bereich der Windfall-Profits gerade kritisch diskutieren - wir wollen dort abschöpfen -, würden wir ihnen an der Stelle noch zusätzlich geben. Insofern glaube ich, dass es falsch ist, an dieser Stelle eine Stromsteuer vorzuschlagen. ({2}) Wir haben jetzt Zweierlei zu tun: Zum einen müssen wir in der nationalen Debatte für Glaubwürdigkeit sorgen und die Meseberg-Beschlüsse so umsetzen, dass es zu einer wirklich effektiven Gesetzgebung kommt. Das tun wir in den nächsten Monaten. Zum anderen haben wir als Große Koalition - das sage ich ausdrücklich - die Aufgabe, gemeinsam zu überlegen - dabei sollte nicht der eine Minister mit dem Finger auf den anderen zeigen -, wie wir das, was wir in Meseberg beschlossen haben, noch steigern können, bis wir das 40-Prozent-Ziel erreicht haben, welches wir uns gemeinsam vorgenommen haben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Frank Schwabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003846, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Mache ich. - Noch einmal: Wir sollten jetzt kritisch und aus der deutschen Perspektive heraus auch sehr selbstbewusst über die europäischen Vorschläge diskutieren und das Signal ausgeben, dass die Kommission erst einmal unsere grundsätzliche Unterstützung für die Linie hat, die sie vorgibt. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Als Nächstes hat der Kollege Hans-Josef Fell für Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kauch, als ich Ihren Antrag „Weichenstellungen zur Förderung erneuerbarer Energien in der Europäischen Union - Wettbewerb der Lösungen stärken, Regenwälder wirksam schützen“ gelesen habe, ist mir der Werdegang der erneuerbaren Energien in den letzten Jahrzehnten in Deutschland durch den Kopf geschossen. Vor zwanzig, dreißig Jahren hat sie kaum jemand gekannt. Vor zehn Jahren haben viele Leute sie für Unsinn gehalten und massiv bekämpft. Heute gibt es ganz viele - fast ausschließlich - Befürworter. Jeder steht hinter den erneuerbaren Energien, aber unter den Befürwortern gibt es eine besondere Kategorie: Sie machen unter dem Deckmantel des Befürwortens Vorschläge zur Ablehnung. Das ist in Ihrem Antrag der Fall. ({0}) Sie fordern in Ihrem Antrag, auf europäischer Ebene den Handel mit Grünstromzertifikaten einzuführen. Das entspricht genau dem hochgefährlichen Vorschlag der EU-Kommission zur Abschaffung der Einspeisevergütung in Europa, ({1}) den viele Länder übernommen haben. Dieser Vorschlag wird vor allem von Großbritannien vorangetrieben, das bei der Einführung erneuerbarer Energien völlig versagt hat. Ich erinnere nur an das Beispiel Windenergie in Großbritannien. Dort wird ein ähnliches Quoten-Zertifikatsmodell, wie Sie es zusammen mit der EU-Kommission vorschlagen, seit Jahren praktiziert. In Großbritannien ist der Wind bekanntlich viel stärker als in Deutschland, aber es verfügt nur über 10 Prozent der deutschen Windkraftleistungen. Die Windstromkosten in Großbritannien betragen 13 Cent pro Kilowattstunde. In Deutschland sind es 7 Cent. Das bezeichnen Sie als ein effizienteres und erfolgreicheres Modell. Sie lehnen unter dem Deckmantel des Befürworters die erneuerbaren Energien ab, ({2}) indem Sie die untauglichen Modelle in den Vordergrund rücken und dabei sogar übersehen, dass Sie Ihre eigenen - vonseiten der Freien Demokraten auch wünschenswerten - Zielvorstellungen konterkarieren. ({3}) Sie sprechen von Bürokratieabbau. Was bedeutet denn der Kommissionsvorschlag? Von der lokalen über die mittlere bis zur nationalen Ebene sollen neue Behörden aufgebaut werden, die die Grünstromzertifikate erfassen und sammeln und den Handel kontrollieren müssen. Das ist ein Höchstmaß an Bürokratie. Dafür stehen Sie als FDP. Zu solchen Vorschlägen zum Bürokratieabbau kann man nur gratulieren. ({4}) Wenn man sich näher mit Ihrem Antrag befasst, dann wird die Widersprüchlichkeit Ihrer Programmatik deutlich. Sie sprechen von einem marktwirtschaftlichen Mengensteuerungsmodell. Eine Menge festzulegen, hat sicherlich nichts mit dem Markt zu tun. Steuernd einzugreifen hat ebenfalls nichts mit dem Markt zu tun. Sie aber wollen ein marktwirtschaftliches Mengensteuerungsmodell einführen. Welch ein Widerspruch in sich! In Ihrem anderen Antrag geht es ähnlich weiter. Wo Sie den Klimaschutz betonen, machen Sie ebenfalls untaugliche Vorschläge, statt umsetzbare Vorschläge in den Mittelpunkt zu rücken. Sie setzen allein auf das Instrument Emissionshandel.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege Fell, Herr Kauch würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie sie zulassen?

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank. - Meine Frage bezieht sich auf das Mengensteuerungsmodell. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Mengensteuerungsmodell immer so gut ist wie seine Mengenvorgabe? Das heißt, wenn man niedrige Mengen vorgibt, wie es in Großbritannien der Fall war, dann kann nur wenig dabei herauskommen. Wenn aber die Mengenvorgabe exakt den Zielen der Europäischen Union angepasst wird, wie wir es vorschlagen, dann wird die entsprechende Menge - über den Preis kann man reden - systemimmanent umgesetzt. Über die Frage, welche Variante kostengünstiger ist, müssen wir in der Tat reden. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass sich das von uns vorgeschlagene Modell etwas von dem unterscheidet, was die EU-Kommission vorschlägt. Zum Beispiel fordern wir zusätzliche Marktzuschüsse für die Fotovoltaik, die aber nach unseren Vorstellungen nicht über die Strompreise, sondern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden sollen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Kauch, Ihre Ausführungen zeigen, dass Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien sowohl in innovationskräftige neue Märkte hinein als auch in großen Mengen nicht wirklich wollen. Denn eine Mengenfestlegung bedeutet, dass diese Menge nicht überschritten werden soll. Damit ziehen Sie eine Bremse ein. Sie bremsen damit die Industrie, die mehr leisten könnte, als beispielsweise wir selbst geglaubt haben. Wie Sie wissen, haben wir im Jahr 2000 keine Mengensteuerung, sondern eine Zielvorgabe in das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgenommen. Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung soll 2010 12,5 Prozent betragen. Wenn wir das als Menge festgelegt hätten, dann hätten wir das EEG schon wieder abschaffen müssen, weil wir dieses Ziel bereits 2007 mit 14 Prozent übererfüllt haben. ({0}) Dies ist ein Erfolg, der mit einem ideologisch behafteten Mengensteuerungsmodell, wie Sie es vorschlagen, nicht möglich gewesen wäre. Diese Gedankenwelt lässt sich auch bei Ihren anderen Anträgen zum Klimaschutz finden. Sie haben nicht den Mut, beim Klimaschutz die tauglichen Instrumente in den Mittelpunkt zu rücken. Ihre Kollegin Frau Kopp hat gestern Abend wiederum betont, sie lehne ein KraftWärme-Kopplungs-Gesetz völlig ab, weil es ein Eingriff in den Strommarkt sei. Ich frage mich, wo ein Strommarkt existiert. Es gibt einen Oligopolmarkt, aber keinen Markt. Insofern ist ein Eingriff des Staates nichts anderes als eine Unterstützung dafür, dass endlich ein Markt entsteht. Insofern ist Ihre Argumentation sehr fragwürdig. Sie lehnen aber nicht nur ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz ab, sondern auch das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das im Vergleich zu allen anderen Instrumenten die höchste Reduktion von CO2-Emissionen in Deutschland bewirkt hat. ({1}) Sie lehnen die Ökosteuer und andere taugliche Instrumente ab. Stattdessen schlagen Sie allein einen Emissionshandel vor, aber ohne zu berücksichtigen, dass er funktionieren sollte. In Ihrem Antrag steht: Auf dem Weg zu diesem Ziel ist zunächst vorzusehen, dass - wie von der EU-Kommission vorgeschlagen - die vollständige Auktionierung der CO2Zertifikate ab dem Jahr 2013 für jene Bereiche erfolgt, in denen eine Weitergabe von CO2-Kosten ohne wesentliche negative Wettbewerbseffekte möglich ist … Wie machen Sie das denn? Wollen Sie dann die Kohlekraftwerke vom Handel mit CO2-Zertifikaten befreien, weil sie sonst im Wettbewerb gegen Windräder nicht be16334 stehen könnten? Auf dem Strommarkt lässt sich das nicht wettbewerbskonform regeln. Deswegen ist Ihr Vorschlag - genauso wie der der EU-Kommission - völlig untauglich. Wenn Sie die CO2-freie Stromerzeugung unterstützen wollen, dann müssen Sie akzeptieren, dass Kohlekraftwerke einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Anlagen haben, in denen Strom CO2-frei erzeugt wird. Sonst lässt sich kein wirksamer Klimaschutz erreichen. Insofern sind Ihre Vorschläge untauglich. Das zeigt auch die Realität. Schauen Sie sich doch die neue WWF-Studie an! Dort wird genau aufgezeigt, wie der real existierende Emissionshandel - wir wollen etwas völlig anderes auf den Weg bringen - tatsächlich wirkt. Er hat in der ersten Handelsperiode faktisch fast keine Einsparungen an CO2-Emissionen bewirkt, wohl aber den Konzernen über die Einpreisung der Zertifikate ungeheure Gewinne beschert. Dies ist nicht das Ziel eines Emissionshandels. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, das andere Ziel, das Ende der Redezeit, haben Sie erreicht.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In der zweiten Handelsperiode wird es ähnlich sein. So hat es der WWF aufgezeigt. Herr Kauch, machen Sie endlich einen wirksamen Klimaschutz und eine wirksame Förderung der erneuerbaren Energien zu Ihrer Sache! Dann kommen wir zusammen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat das Wort für die CDU/CSU. ({0})

Dr. Georg Nüßlein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003602, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Wir brauchen eine Harmonisierung der Klimaschutzziele auf europäischer Ebene, nicht aber eine Harmonisierung der Instrumente. Wir brauchen einen Wettbewerb der Instrumente. An dieser Stelle muss ich dem Kollegen Fell völlig recht geben: Das EEG hat sich bewährt. Deshalb müssen wir auf europäischer Ebene alles tun, den Wettbewerb der Instrumente aufrechtzuerhalten und das EEG zu sichern. ({0}) Die Bundesregierung hat sich erfolgreich gegen einen Quotenhandel eingesetzt, bei dem sich die Versorger mit ihrer Marktmacht frei entscheiden können, von wem sie erneuerbare Energien kaufen. Wie sie das machen würden, brauche ich nicht zu erläutern. Das kann sich jeder sehr gut vorstellen. Sicherlich hat der Zertifikatehandel - der GO-Handel - zwischen den Staaten einen gewissen Charme; denn dann wird Solarenergie dort produziert, wo die Sonne scheint, und Windenergie, wo es viel Wind gibt. Aber dieser Handel birgt auch ganz massive Risiken. Etliche wurden schon genannt. Ich möchte noch auf Folgendes aufmerksam machen: Wenn auf europäischer Ebene Mengen vorgegeben würden, die es zu erfüllen gilt, käme es zu einer Nivellierung der Preise; denn auch bei einem Zertifikatesystem bildet sich ein einheitlicher, technologieunabhängiger Marktpreis, der sich nach den Grenzkosten der teuersten, mithilfe erneuerbarer Energien produzierten Kilowattstunde richtet. Ich wage zu bezweifeln, dass wir eine solche Nivellierung und einen solchen Stillstand wollen; denn dann werden sich die einen Länder anstrengen, während sich die anderen freikaufen. Das wäre ein schlechter Weg. Dagegen müssen wir uns auf europäischer Ebene positionieren. ({1}) Es gibt aber noch einige andere Punkte, über die man sich mit der Europäischen Union auseinandersetzen muss. Es ist inakzeptabel, dass man unter dem Deckmantel, Wettbewerb zu sichern, die Gelegenheit nutzt, den Wettbewerb gezielt zu beeinflussen. Ich meine die Automobilindustrie. Wir sind nun einmal diejenigen, die die Premiumautomobile der Welt herstellen. Ich glaube, wir tun das mit einem gewissen Stolz. Wir wollen daran auch nichts ändern. Deshalb darf die EU keine Detailziele vorgeben. Diese Besonderheiten müssen angemessen und differenziert berücksichtigt werden. In dem Zusammenhang halte ich es auch für inakzeptabel, dass man jetzt über Kompensationszahlungen diskutiert - 20 Euro pro zu viel ausgestoßenem Gramm Kohlendioxid ab 2012, steigend auf 95 Euro - und dann unverhohlen über eine europäische Strafsteuer spricht. Die Europäische Union hat in diesem Land Gott sei Dank kein Steuerheberecht. Das soll sie und darf sie um Gottes Willen nicht bekommen. ({2}) Man darf auch nicht den Umweltschutz als Deckmantel oder als Alibi benutzen, weil man ihn sonst in Zukunft als Einfallstor für viele Dinge nutzen kann. Das wollen wir, so meine ich, alle miteinander verhindern. Lassen Sie mich einen Satz zum Thema Biosprit sagen. Das ist eine schwierige Diskussion, bei der alles vermischt worden ist. Bioethanol, Biodiesel - am Ende ist alles unter die Räder gekommen. Eines muss doch feststehen: Wir brauchen einen funktionierenden B-100Markt. Wir brauchen angesichts dessen, was uns auf europäischer Ebene auferlegt werden wird, eine funktionierende deutsche Produktion, und wir brauchen WTOkonforme Zertifizierungssysteme. Niemand will das Abholzen der Regenwälder. Aber wir brauchen doch unter diesen Umständen etwas, was man im Übergang bis zu dem Zeitpunkt, an dem man die Zertifizierungssysteme hat, tatsächlich praktizieren kann. Ich bin der festen Überzeugung, dass man so etwas regeln kann, dass man ganz klar festlegen kann, dass auf Quoten nur das angerechnet wird, was aus europäischer Produktion kommt oder über das der lückenlose Herkunftsnachweis geführt werden kann. ({3}) Ich möchte die Marktwirtschaftler und die Politiker hören, die sagen, man müsse im Interesse des Freihandels das Abholzen der Regenwälder akzeptieren. Ich glaube, diese Leute gibt es nicht. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diese Diskussion sehr wohl durchstehen und den Import beschränken können, weil wir nicht wollen, dass Produkte importiert werden, die auf Kosten des Regenwaldes hergestellt wurden. ({4}) Ein letzter Satz zum Emissionshandel. Ich glaube, wir müssen noch einmal offen über den Emissionshandel diskutieren. Da hat sich einiges verändert. Der EuGH hat entschieden, dass die Ex-post-Kontrolle jetzt als Weg eröffnet ist und wir mit entsprechenden Benchmarks auch die Windfall-Profits reduzieren können. Im Übrigen hat sich eines nicht geändert: Wir haben immer noch ein Oligopol, Markteinschränkungen im Energiebereich. Unter diesem Aspekt muss man über die Frage diskutieren, wie wir den Emissionshandel so gestalten, dass am Ende nicht energieintensive Industrien, die physikalisch keine Einsparmöglichkeiten haben, aus diesem Land getrieben werden. Auch das ist im Sinne des Klimaschutzes, weil wir nachweisen müssen, dass Klimaschutz und Wachstum miteinander vereinbar sind. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Gabriele Groneberg hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Gabriele Groneberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003540, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie wir jetzt während der Debatte schon feststellen konnten, sind die vorgelegten Anträge der FDP-Fraktion, um das mit Verlaub festzustellen, nicht gerade sehr innovativ. Im Antrag zur Förderung erneuerbarer Energien in der EU beten Sie eigentlich genau das herunter, was wir größtenteils durch Regierungshandeln schon auf den Weg gebracht haben. Ich beziehe mich insbesondere auf die Nachhaltigkeitskriterien, die Sie für die Anerkennung von Importbiomasse fordern. Herr Kollege Nüßlein hat dazu gerade schon ausführlich Stellung genommen. Ich freue mich, dass jetzt auch die FDP im Boot ist und dasselbe fordert. Das trägt dazu bei, dass wir dies mit gemeinsamer Kraft durchsetzen können. Mit der Gestaltung der deutschen Nachhaltigkeitsverordnung haben wir diese Kriterien schon definiert. Zurzeit liegt die deutsche Nachhaltigkeitsverordnung der EU-Kommission zur Notifizierung vor. Es wäre wirklich schön, wenn wir in diesem Punkt eine EU-weite Lösung bekämen; wir streben eine solche Lösung an. Nicht zu vergessen ist: Einer EU-weiten Lösung muss eine internationale Zertifizierung folgen; sie ist unbedingt erforderlich. Daran kann man erkennen, dass wir uns mit dieser Thematik sehr verantwortungsvoll auseinandersetzen. Auch in der Aktuellen Stunde am Mittwoch dieser Woche hier im Bundestag konnten wir über dieses Thema ausführlich diskutieren. Die Biokraftstoffproblematik ist eine Problematik, der wir uns stellen müssen. Frau Bulling-Schröter hat vorhin gesagt, man sei sehr euphorisch an die Sache herangegangen. Es ist immer so: Wenn man eine Chance sieht, bestimmte Techniken, die ökologisch nachhaltig sein können, weiterzuentwickeln, dann versucht man, diese Chance zu nutzen. Dass man im Laufe der Zeit feststellt, dass man manches vielleicht korrigieren muss, liegt in der Natur der Sache. Die Forschung ist in vollem Gang. Wir sind sicher, dass wir gute Lösungen finden. Für uns steht über allem, dass wir eine sinnvolle und nachhaltige Nutzung von Biomasse unbedingt brauchen. Wir werden das in den anstehenden Entscheidungen in vollem Umfang berücksichtigen. ({0}) Zum verantwortungsvollen Umgang gehört eben auch, dass wir in unsere Entscheidungsprozesse externen Sachverstand einbeziehen. Das haben wir hier im Bundestag in der letzten Zeit gemacht: Ausschussmitglieder aller Fraktionen haben sich unter anderem in gemeinsamen Anhörungen durch externen Sachverstand dazu schlaugemacht. Wir sind jetzt an der Reihe, genau das auszuwerten und entsprechende Entschlüsse zu fassen. Es ist richtig, dass wir bei der Quotenerhöhung behutsam vorgehen, zumal die durch die Industrieländer gesetzten Beimischungsquoten eine hohe entwicklungspolitische Relevanz haben; das ist überhaupt nicht zu bestreiten. Wenn wir diese Quoten so weiterführen, dann können sie tatsächlich nicht ohne erhebliche Importe von Biokraftstoffen und Biomasse aus Entwicklungsländern erfüllt werden. Das ist besonders im Hinblick auf zukünftige Entwicklungen sehr wichtig. Darum ist es bedeutsam - Herr Kollege Nüßlein hat es bereits ausgeführt -, dass wir Grenzen ziehen, sodass klar ist, welche Importe wir zulassen werden und welche Importe wir nicht zulassen werden. Der Zusammenhang zwischen Biomasseproduktion und steigenden Nahrungsmittelpreisen kann ebenfalls nicht mehr negiert werden. Auch dem werden wir uns natürlich stellen müssen. Die Befürchtungen sind berechtigt - das zeigt auch die aktuelle Reaktion der Weltbank -: Man warnt vor einer wachsenden Verarmung in bestimmten Regionen, und man stellt fest, dass man den Kampf gegen die Lebensmittelpreissteigerungen aufnehmen muss. Die steigenden Lebensmittelpreise sind nicht allein - auch das muss man ganz deutlich sagen und der Ehrlichkeit halber immer wieder betonen - auf Biomasse oder Biosprit zurückzuführen. Dabei spielen viele Faktoren eine Rolle. Dass es letztendlich ein globales Problem ist, zeigen auch die Unruhen in allen Teilen der Welt, in Mexiko, Haiti oder Ägypten. Das Ganze wirkt sich auf alle Länder aus. Wir hier stehen in der Verantwortung, diese Länder mit ihren Problemen nicht alleinzulassen. ({1}) Man muss in diesem Zusammenhang auch betonen, dass gerade für die ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern eine große Chance darin besteht, dass die Lebensmittelpreise wieder steigen. Jetzt lohnt es sich für die Bauern dort tatsächlich wieder, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und die Möglichkeiten der modernen Technik zu nutzen. Das darf in diesem Zusammenhang einfach nicht zu kurz kommen. Angesichts der Auswirkungen, die unsere Entscheidungen in einer globalisierten Welt haben, müssen wir immer auch die sicherheitspolitischen und humanitären Implikationen berücksichtigen. Wir haben sie im Blick; ich kann Ihnen das versichern. Dass diese Implikationen nicht berücksichtigt werden, stört mich an den Anträgen der FDP, insbesondere an demjenigen, der sich mit den Regenwäldern beschäftigt, ganz besonders. Herr Kauch, Sie haben noch nicht einmal die Forest Carbon Partnership Facility erwähnt, die im Zusammenhang mit dem Schutz der Regenwälder ganz bedeutsam ist. Dieses internationale Programm hat in Ihrem Antrag überhaupt keine Erwähnung gefunden. Der im Antragstitel hergestellte Bezug zu den Regenwäldern ist für mich konstruiert. Es wäre schön gewesen, wenn Sie sich mit diesem Thema ein bisschen intensiver auseinandergesetzt hätten. ({2}) Ich erspare mir weitere Bemerkungen zu den Grünstromzertifikaten; Herr Fell ist ausführlich darauf eingegangen. Wir unterstützen diese Position ausdrücklich. ({3}) Ansonsten hat sich der Emissionshandel als ein zentrales Element des Klimaschutzes durchaus schon bewährt. Dass wir eine EU-weite Harmonisierung hinbekommen und ein verbindliches Zertifikatesystem erreichen, das erste Ansätze zur Vernetzung aufweist und insoweit weltweit ausbaufähig ist, als es in einer global vernetzten Welt letztlich in einen internationalen Zertifikatehandel einmünden kann, ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Für die Entwicklungsländer gibt es wirkungsvolle Instrumente, die wir einsetzen können, etwa Joint Implementation und Clean Development Mechanism. Diese Zusammenarbeit hat sich schon bewährt, wenngleich die Instrumente gelegentlich sehr schwerfällig sind. So haben wir etwa bei den Transaktionskosten ebenso wie in der Anwendungspraxis ganz gewaltigen Nachbesserungsbedarf. Es hat sich in Afrika gezeigt, dass diese Instrumente nicht in der Form angewandt werden können, wie es erforderlich wäre. Liebe Kolleginnen und Kollegen, gerade zu diesem Punkt gäbe es noch viel zu sagen. Dazu fehlt mir heute leider die Zeit. Wir werden die Anträge natürlich in den Ausschüssen diskutieren, und ich gebe die Hoffnung nicht auf, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der FDP-Fraktion, dass wir auch mit Ihnen noch zu einem Konsens auf dem Weg zu einem Ziel kommen, über das wir uns zwar noch nicht ganz, aber wenigstens ziemlich einig sind. Schönen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Damit schließe ich die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8074 und 16/8075 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 25 auf: Vereinbarte Debatte Strategieplanung der EU-Kommission für 2009 Es ist verabredet, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Als Erstem gebe ich das Wort dem Kollegen Thomas Dörflinger für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Thomas Dörflinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003069, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir am heutigen Freitag eine vereinbarte Debatte über die Strategieplanung der Europäischen Kommission führen, weil das Jahr 2009, in dem auch die Europawahl stattfinden wird, zu einem entscheidenden Jahr für die Europäische Union werden könnte. Die Strategieplanung der Kommission weist insgesamt 80 Vorhaben auf. Wir werden nicht in der Lage sein, uns in den nun zur Verfügung stehenden 45 Minuten über 80 Vorhaben zu unterhalten. Daher wäre es vor dem Hintergrund dessen, was wir im Ausschuss miteinander besprochen haben, gut, sich Gedanken darüber zu machen, wie diese 80 Vorhaben in eine wie auch immer geartete Form der Priorisierung gebracht werden können. Wir sollten also einige Gedanken darauf verwenden, was in der der Kommission zur Verfügung stehenden Amtszeit sinnvollerweise noch angepackt werden kann. Denn auch in diesem wie in jedem anderen Fall von gesetzgeberischer Arbeit gilt der Grundsatz, dass Qualität vor Schnelligkeit geht. Wir sollten uns also Gedanken machen, worauf wir unser Gehirnschmalz und unsere Arbeitskraft verwenden und was vielleicht später erledigt werden kann. Es war richtig, die Lissabon-Strategie stärker auf Wachstum und Beschäftigung auszurichten. Wir sind in der Bundesrepublik Deutschland in der guten Lage, dass wir, auch bedingt durch die Politik der Bundesregierung, in den letzten Monaten auf positive Zahlen am Arbeitsmarkt zurückblicken können. Wenn die Wirtschaftsforschungsinstitute recht haben, woran ich nicht zweifle, wird auch in den nächsten Monaten Gelegenheit sein, die eine und andere positive Meldung zur Kenntnis nehmen zu dürfen. Es ist uns gelungen, in diesem Lande schon 1,5 Millionen Männer und Frauen aus der Arbeitslosigkeit geholt zu haben, wenngleich die Aufgabe selbstverständlich noch vor uns liegt, zusammen mit unseren europäischen Partnern und der Kommission die jetzt noch in Arbeitslosigkeit befindlichen 3,5 Millionen ebenso in Arbeit zu bringen. Insofern besteht kein Grund, sich zurückzulehnen; aber es gibt durchaus einen Grund, den einen oder anderen lobenden Satz für die Politik der Bundesregierung mit Blick auf die vergangenen drei Jahre zu verlieren. Richtig ist sicher auch, meine Damen und Herren, dass die Europäische Kommission, was die Beschäftigungspolitik angeht, dem Bereich Forschung und Entwicklung einen besonderen Stellenwert beimisst und daraus auch gewisse Vorgaben für die nationalen Gesetzgeber ableitet. Mit Blick auf das 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union füge ich an dieser Stelle mit einem durchaus kritischen Unterton hinzu: Wer die bürokratischen Mühen kennt - bei mir im Wahlkreis konnte ich diese Erfahrung machen -, denen sich ein Unternehmen bei der Beantragung von Mitteln aus dem europäischen Forschungsrahmenprogramm zu unterziehen hat, weiß, dass man schnell an einem Punkt ist, an dem nicht nur ein, sondern zwei oder drei DIN-A4-Leitz-Ordner gefüllt sind - nur mit Antragsformularen, Begründungen und Gutachten, die unter Hinzuziehung von externen Beratern gemacht werden, die die Unternehmen selbstverständlich Geld kosten. Da ist die Frage angebracht, ob es vielleicht auch mit etwas weniger Aufwand ginge. ({0}) Dies läge sowohl im Interesse der Kommission und der dort Beschäftigten als auch selbstverständlich im Interesse derjenigen, die sich einen Innovations- und Investitionsschub aus den Mitteln des Forschungsrahmenprogramms erhoffen. In diesem Zusammenhang stimmte es vor einigen Wochen im Ausschuss hoffnungsfroh, als wir gemeinsam mit dem Vorsitzenden des Nationalen Normenkontrollrats und auch mit Kommissar Günter Verheugen einen Blick auf das Thema Entbürokratisierung geworfen haben. Es wäre vielleicht hilfreich, auch den Vorsitzenden der obersten Bürokratiekontrolleure, den ehemaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, im Ausschuss dazu einmal zu hören und zu fragen, inwieweit in diesem Punkt Fortschritte gemacht werden können. ({1}) Wenn ich mir das Gespräch mit dem kroatischen Außenminister von gestern Nachmittag, an dem einige von uns teilnehmen konnten, ins Gedächtnis rufe, möchte ich sagen: Wir können vielleicht an einer Stelle von den Ländern, die sich mit Beitrittsplänen und Beitrittsgedanken befassen, also noch nicht Mitglied sind, eines lernen - das wurde gestern sehr deutlich -, nämlich verstärkt in den Blick zu nehmen, dass die Stimmung pro oder kontra Europa in der Bevölkerung wächst oder eben schwindet, je nachdem, welchen Eindruck die Bürgerinnen und Bürger davon haben, wie ihre ganz konkreten Probleme und Herausforderungen in Europa aufgehoben sind und ob sie mit der nötigen Effizienz und dem nötigen Nachdruck bearbeitet werden. Ich glaube, mit Blick auf unsere Bürgerinnen und Bürger haben wir an dieser Stelle noch einen kleinen Nachholbedarf. Bei dem, was wir uns überlegen und was sich die Kommission zum Thema „Strategieplanung der Kommission bis 2009“ überlegt, müssen wir verstärkt in den Blick nehmen: Die oberste Priorität muss sein, dass es einen Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger hat. Herzlichen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Das Wort hat der Kollege Michael Link für die FDPFraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Als Liberale begrüßen wir, dass die Kommission ihre Strategieplanung für das nächste Jahr so frühzeitig vorlegt. Klar ist, dass es zu vielen Bereichen nur Andeutungen gibt. Es ist ein bunter Strauß von Vorhaben. Kollege Dörflinger hat schon darauf hingewiesen: Wir können nicht auf alle Vorhaben eingehen. - Ich will deshalb einige herausgreifen. Für alle Vorhaben gilt allerdings eines: Weil zu den Themen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit außer Andeutungen noch nichts gesagt werden kann, müssen wir vom Bundestag darauf achten - ich denke, dass ich da für alle Fraktionen spreche -, unsere Rechte stärker wahrzunehmen, vor allem in den Bereichen von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, und besonders die Rechte wahrzunehmen, die uns der neue Vertrag von Lissabon, den wir in der nächsten Sitzungswoche ratifizieren werden, gibt. ({0}) Es ist ein bunter Strauß von Vorhaben. Die Vorhaben sind oft nur vage, aber - erlauben Sie mir die Anmerkung - schon sehr viel konkreter als manches, was von der Bundesregierung kommt. ({1}) Man fragt sich manchmal tatsächlich, in welche Richtung die Bundesregierung gehen will; von der Kommission gibt es zumindest eine Reihe von Andeutungen dazu, in welche Richtung sie gehen will. ({2}) - Das wollen wir einmal abwarten. Michael Link ({3}) Die Grundaussage der Strategie 2009, nämlich 2009 zu einem Jahr der Umsetzung laufender Vorhaben zu machen - so sehen wir das -, wird von der FDP ausdrücklich begrüßt; denn nach unserer Ansicht sollten die neue Europäische Kommission und das neue Europäische Parlament - das ist ein sehr wichtiger Punkt - weitgehend unbelastet in die siebte Legislaturperiode gehen. Herausgreifen wollte ich die Bereiche deutsche Sprache, Europäischer Auswärtiger Dienst und Finanzen. Alle drei Bereiche spielen andeutungsweise in der Strategie der Kommission eine Rolle; sie werden ebenfalls in der Stellungnahme der Bundesregierung angesprochen. Ich muss sagen: Leider ist man bei der deutschen Sprache in den Institutionen der EU nicht über Lippenbekenntnisse hinausgekommen. Die deutsche Sprache in den EU-Institutionen ist auf dem Rückzug. Das kann uns nicht befriedigen. Hier geht es nicht um Provinzialismus oder gar darum, dass man sich nicht in einer Fremdsprache unterhalten möchte. Nein, hier geht es um ganz eminente, auch wirtschaftliche Interessen vieler, zum Beispiel von Unternehmen in der EU, die sich auf die EURechtsprechung einstellen wollen, oder von Fördermittelempfängern aus den verschiedenen Bereichen, die einen Wettbewerbsnachteil haben, weil die Vorlagen oft nur auf Englisch oder Französisch verfügbar sind. Das darf nicht sein. Das darf die Bundesregierung nicht hinnehmen. ({4}) Die Stellungnahme der Bundesregierung, die für diesen Bereich nur aus Appellen und leider nicht aus konkreten Ergebnissen besteht, ist uns einfach zu wenig. Ich erinnere alle Kollegen daran, dass Kommissar Orban bei seinem Besuch des EU-Ausschusses im April 2007 konkret angekündigt hat, ein neues Strategiepapier zur Vielsprachigkeit vorzulegen. Aussagen zu genau dieser Problematik, dass die in der EU am meisten gesprochene Sprache auch vermehrt als Arbeitssprache in der Kommission zum Zuge kommen soll, vermisst man in dem Strategiepapier. Am 3. April haben 18 Regionen aus der gesamten EU - darunter viele Bundesländer, österreichische Bundesländer und Regionen aus Italien oder anderen Ländern -, angeführt von der hessischen Landesregierung, noch einmal betont, wie wichtig es gerade für die Regionen und für die kommunalen Spitzenverbände ist, dass wir im Bereich der deutschen Sprache vorankommen. Hier brauchen wir dringend ein Aktivwerden der Bundesregierung, das über Lippenbekenntnisse hinausgeht. Bisher haben wir in Brüssel zum Thema deutsche Sprache leider noch keine konkreten Ergebnisse gesehen. Zum Europäischen Auswärtigen Dienst. Entscheidend für den Hohen Vertreter, wenn er seine Funktion gut ausüben will, ist, dass er einen Dienst zur Verfügung hat, der tatsächlich arbeitsfähig ist. Man kann natürlich über den Hohen Vertreter streiten; das soll hier aber nicht Thema sein. Wir können die Wirklichkeit erst sehen, wenn der Vertrag in Kraft getreten ist. Wir sehen aber sehr wohl, dass in dem Europäischen Auswärtigen Dienst so, wie er nach allem, was man aus Brüssel hört, vorbereitet wird, die Kommissionsbeamten gegenüber den diplomatischen Beamten aus den Mitgliedstaaten von Anfang an im Vorteil sein werden. Das kann für uns nicht befriedigend sein. Wir reden hier nicht nur über die Pläne der Kommission, sondern wir reden auch darüber, wie sich die Bundesrepublik Deutschland in diese Pläne einbringt. Wir erwarten daher von der Bundesregierung, dass sie dafür sorgt, dass unsere Beamten, die wir in diesen zukünftigen Europäischen Auswärtigen Dienst schicken wollen, dort auf Augenhöhe mit den Kommissionsbeamten arbeiten können. Denn das Beamtenstatut der Kommission enthält ja den Satz, dass die Kommissionsbeamten nicht unter der Weisung anderer Beamten arbeiten dürfen. Das würde bedeuten, dass im Europäischen Auswärtigen Dienst sozusagen nur die Kommissionsbeamten Weisungen erteilen könnten und die Diplomaten aus den Mitgliedstaaten das ausführen müssten. Das darf nicht sein. Hier erhoffen wir uns von der Bundesregierung in diesem Jahr sehr klare Schritte; denn die Weichen für den Europäischen Auswärtigen Dienst werden jetzt gestellt. ({5}) Zur Ergänzung. Hier geht es nicht nur um den klassischen diplomatischen Dienst. Kommissionsbeamte, die überall in der Welt sind, sind sicher sehr gut im Dechiffrieren der europäischen Vorlagen. Sie erhalten in Zukunft aber neue Aufgaben: Sie müssen den EU-Bürgern in den verschiedenen Teilen der Welt konsularischen Schutz gewähren; sie müssen für Bürger gute Dienste leisten. Das ist etwas, was unsere Beamten im diplomatischen Dienst sehr viel besser können, weil sie in diesem Bereich mehr Erfahrung haben. Auch deshalb kann und darf es nicht sein, dass wir im zukünftigen Auswärtigen Dienst einen Durchmarsch der Brüsseler Beamten zulasten der Dienste der Mitgliedstaaten erleben. Lassen Sie mich als letzten Punkt den Haushalt ansprechen; auch das spielt im Strategieprogramm der Kommission eine Rolle. Im nächsten Jahr steht die Generalrevision des Haushalts voraussichtlich in Form einer politischen Absichtserklärung an. Wir alle wissen, dass diese vorentscheidend sein wird. In ihrer Stellungnahme zur Haushaltsrevision fordert die Bundesregierung weiterhin ein Verschuldungsverbot für die EU. Ich fände es sehr schön, wenn sich diese Haltung, die die Bundesregierung gegenüber Brüssel so deutlich an den Tag gelegt hat, auch in ihrer Politik in Deutschland wiederfinden würde. Ein Verschuldungsverbot brauchen wir nicht nur in Brüssel. Wir brauchen es auch in Berlin. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung ergreift Herr Staatsminister Günter Gloser das Wort.

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich greife gleich Ihre Vorschläge auf, Herr Kollege Link. Ich denke, wir brauchen hier gar nicht getrennt marschieren; denn genau über die Bereiche, die Sie angesprochen haben, wird auf der Brüsseler Ebene verhandelt. Ihr erster Punkt betraf die Sprache. Kollege Bergner hat ja auch noch einmal deutlich gemacht, dass wir, wenn nicht realisiert wird, was wir gefordert haben - eine stärkere Berücksichtigung der deutschen Sprache -, an bestimmten Besprechungen nicht teilnehmen werden. In diesem Punkt stimmen wir überein. ({0}) Wir sollten hier deshalb keinen Popanz aufbauen. Ich könnte Ihnen aufzählen, wer alles diesbezüglich in Brüssel vorstellig geworden ist; und Herrn Orban wurde ja, als er hier im Ausschuss war, deutlich gemacht, was das Parlament vorhat. In dieser Frage haben Sie die Regierung also auf Ihrer Seite. Auch bezüglich des zweiten von Ihnen angesprochenen Punktes, nämlich die Ausgestaltung des Auswärtigen Dienstes, haben Sie recht. Sie haben all die Themen angesprochen, über die diskutiert wird. Auch hier herrscht Konsens. Wir wollen kein Über- und Unterordnungsverhältnis. Wir wollen einen Europäischen Auswärtigen Dienst mit gleichberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Auch das ist kein Streitpunkt. Schließlich haben Sie ja in Ihrem letzten Punkt herausgestellt, dass wir eine entsprechende Stellungnahme abgegeben haben. Ich glaube, das ist eine wichtige Grundlage für den Prozess der Beratungen zum Midterm-Review. Ihre sich daran anschließende Forderung für die nationale Ebene ist jetzt allerdings nicht Gegenstand der Debatte. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arbeitsplanung macht deutlich, wie viele Bereiche unseres täglichen Lebens durch ganz bestimmte Vorhaben beeinflusst werden. Deshalb halten wir von der Bundesregierung es für richtig - das haben wir ja auch immer wieder ganz bewusst festgestellt, und das haben auch alle Verfassungsorgane in den letzten Jahren gemerkt -, dass man sich früh- bzw. rechtzeitig in die Prozesse einbringt, um die entsprechenden Mitwirkungsund Kontrollrechte wahrzunehmen. Ich möchte zugleich herausstellen, dass die Vereinbarung, die der Bundestag mit der Bundesregierung geschlossen hat, ihm bessere Möglichkeiten bietet, als viele andere Parlamente haben, um diese Instrumente zu handhaben. ({1}) Natürlich ist diese Arbeitsplanung etwas abgespeckt. Die Kommission ist ja nur noch einige wenige Monate im Amt. Diese Arbeitsplanung ist aber auch dadurch geprägt - das haben wir an anderer Stelle auch schon einmal gesagt -, dass in den nächsten Monaten ein sehr wichtiger Prozess in der Europäischen Union zu gestalten ist, der hoffentlich erfolgreich abgeschlossen werden kann, nämlich die Ratifizierung des europäischen Reformvertrages. Wir alle wollen ja, dass dieser am 1. Januar 2009 in Kraft treten kann. Wir sollten deshalb mit Gesetzgebungsvorhaben, die möglicherweise zu Konflikten führen und andere Entscheidungen wieder beeinflussen, zurückhaltend sein. Ich glaube, das hat die Kommission auch in ihrer Arbeitsplanung entsprechend berücksichtigt. Wichtig ist, dass wir die Themen, die bei den Frühjahrsgipfeln im letzten und in diesem Jahr eine wichtige Rolle gespielt haben, nämlich die Dossiers zum Klimaund Energiepaket, in den nächsten Monaten zu einem Abschluss führen. Ich glaube aber auch, dass der Frage einer besseren Rechtsetzung - Herr Dörflinger hat es ja schon angesprochen - große Bedeutung zukommt. Bei jedem neuen europäischen Vorhaben und Projekt müssen wir uns fragen, mit welchem Aufwand diese durchgeführt werden können. Jedem Vorhaben und Projekt sollte deshalb eine gründliche Folgenabschätzung vorausgehen, damit nicht die Bürgerinnen und Bürger und Institutionen darüber klagen - ich weiß aus vielen Gesprächen, dass sie das zu Recht tun -, welcher Aufwand für sie damit verbunden ist, wenn sie an einem Projekt mitarbeiten wollen. Die Kommission hebt ferner den Ansatz einer bürgernahen Politik hervor. Das ist wichtig, denn nur so können wir es schaffen - das wünschen wir uns ja alle -, dass die Beteiligung an den Wahlen beispielsweise zum Europäischen Parlament besser wird. Von enormer Wichtigkeit ist für die Bundesregierung, dass bei jedem Vorhaben die Frage nach dem europäischen Mehrwert und nach der Vereinbarkeit mit dem Subsidiaritätsprinzip gestellt wird. Es gibt also eine Menge europäische Themen, aber nicht jedes Thema, das auf der Agenda steht, ist unbedingt ein europäisches Thema. Es gibt viele Themen, die wir auf nationaler Ebene lösen müssen. Ich spreche da wohl auch in Ihrem Namen, wenn ich sage, dass wir ein ganz besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der EU-Agenturen richten müssen. Ich weiß, das ist ein viel erörtertes Thema, auch hier im Parlament. Dazu hat die Kommission eine Mitteilung vorgelegt, die wir aktiv zu einer Debatte nutzen sollten. Einen anderen Punkt möchte ich kritisch ansprechen. Wir verfolgen mit Aufmerksamkeit die europäische Entwicklung im Bereich der Antidiskriminierung. Bevor auf EU-Ebene weitere Richtlinien hierzu erlassen werden, müssen wir zunächst einmal prüfen, ob die bereits vorhandenen Richtlinien und die Gesetze, die wir dazu erlassen haben, wirksam angewendet werden; erst dann können wir die entsprechenden Schlüsse ziehen. Ein weiterer Punkt. Kritisch sehen wir - das spiegelt auch ein wichtiges Thema in unserer Präsidentschaft, nämlich der Bereich der Sozialpolitik - die nicht angemessene Zurückhaltung der Kommission im Bereich Sozialpolitik. Wenn wir eine Stärkung des sozialen Europas wollen, dann sollte das auch in der Strategieplanung entsprechend hervortreten. ({2}) Letzter Punkt. Ich glaube, bei alldem, was wir in den nächsten Wochen hier zu gestalten haben, ist es auch wichtig, das im Blick zu behalten, was wir zur finanziellen Vorausschau gesagt haben. Auf dieser Grundlage, die wir auch in Brüssel eingebracht haben, können wir mit der Unterstützung des Parlaments die richtigen Weichen stellen. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Fraktion Die Linke spricht der Kollege Alexander Ulrich. ({0})

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung schreibt in ihrer Stellungnahme zur Strategieplanung: Die Stärkung des sozialen Europas tritt nicht deutlich genug hervor. - In einem Land, in dem die Armut zunimmt, in dem Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer trotz Aufschwungs eine negative Lohnentwicklung haben, in dem Rentnerinnen und Rentner von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt werden, erlaubt sich die Bundesregierung so eine Stellungnahme. Wie soll denn ein soziales Europa entstehen, wenn die Menschen mit diesem Europa stagnierende Löhne, Massenarbeitslosigkeit, Zunahme der Armut, Einschränkung von Arbeitnehmerrechten, Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und Steuerdumping verbinden? Weder die Kommission noch die Bundesregierung machen konkrete Vorschläge für ein soziales Europa. Die Strategie zielt weiterhin darauf ab, die Interessen der Konzerne und Banken umzusetzen. Am Wochenende haben in Ljubljana über 30 000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, darunter auch vom Deutschen Gewerkschaftsbund, für ein soziales Europa demonstriert. DGB-Chef Sommer hat gesagt, mit diesem Europa könne man die Menschen nicht für ein soziales Europa gewinnen. Sie haben dort auch gegen die Europäische Zentralbank und die Finanzminister der einzelnen Länder demonstriert. Die gestrige Entscheidung hat wieder gezeigt, dass es notwendig wäre, dass die Kommission in ihre Strategie aufnimmt, die Europäische Zentralbank zu demokratisieren. Denn es ist arbeitsmarktpolitisch nicht vertretbar, dass man - im Gegensatz zu Amerika, das man sich hier einmal zum Vorbild nehmen könnte - nur auf Inflationsbekämpfung, nicht aber auch auf Wachstum und Beschäftigung setzt. ({0}) Die Kommission will im Vorfeld der Europawahlen die Kommunikation verbessern, unter dem Stichwort: „Europa vermitteln“. Man kann nur sagen: Viel Spaß dabei! Da werden wieder millionenfach Flyer und Broschüren gedruckt, die ein Europa beschreiben, das es in der Wirklichkeit nicht gibt. Viel besser wäre es gewesen, die Bürgerinnen und Bürger zu beteiligen, zum Beispiel, wie es die Linke fordert, durch einen europaweiten Volksentscheid über die Lissabon-Verträge. ({1}) Nur durch solche Maßnahmen und mehr Bürgerbeteiligung kann man die Menschen für Europa gewinnen. Es ist sehr interessant, dass Sie, Herr Steenblock, auch in dieser Woche im Ausschuss gesagt haben, Sie seien für mehr direkte Demokratie. Aber wenn es um eine konkrete Sache geht, halten sich auch die Grünen davon fern. Es wäre gut, wenn man die direkte Demokratie auch dann wagen würde, wenn man nicht genau weiß, wie die Bürgerinnen und Bürger entscheiden. ({2}) Die Kommission betont in ihrer Strategie die ungute Entwicklung der Finanzmärkte sowie der Rohstoffpreise. Der Schlussfolgerung der Kommission, die Strukturreformen müssten fortgesetzt werden, können wir zustimmen. Allerdings brauchen wir ganz andere Strukturreformen, als sie der Kommission vorschweben. Der IWF befürchtet eine Systemkrise der Finanzmärkte und die Vernichtung von 1 Billion US-Dollar. Das blinde Vertrauen überforderter Politiker in Finanzinvestoren und Manager öffentlicher Landesbanken war nicht gerechtfertigt. Die Kommission sollte daher Initiativen zur Regulierung der Kapitalmärkte ergreifen. Die Finanzkrise hat aber auch Ursachen in der realen Wirtschaft und Europa. Kommission und Bundesregierung haben sich viel zu lange geweigert, sich dafür auszusprechen, dass auch der größte Binnenmarkt der Welt Verantwortung für die globale Entwicklung übernimmt. Die USA waren unter dem Druck der Handelsbilanz überfordert. Die Aufwertung des Euro ist auch eine Folge der manischen deutschen Wettbewerbsfähigkeit. ({3}) Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken bestätigt, dass die Ursachen der Währungsturbulenzen die Ungleichgewichte im Außenhandel sind. ({4}) Was fällt der Regierung dazu ein? Der Export muss noch wettbewerbsfähiger werden - und dies vor dem Hintergrund einer drohenden Weltwirtschaftskrise. Mit Verlaub: Dies ist mit den Gesetzen der Logik nicht mehr zu vereinbaren. ({5}) Die Entwicklung der Rohstoffpreise hat gezeigt: Der Wettbewerb auf den Energiemärkten und die deutsche Ordnungspolitik sind gescheitert. Die teuren Energienetze sind ein natürliches Monopol. Sie gehören in die öffentliche Hand, damit sich private Konzerne nicht weiter auf Kosten unserer Volkswirtschaft bereichern. ({6}) Nur so kann der Staat überhaupt wieder Einfluss auf die Energiepolitik und den Klimawandel nehmen. Zu Recht befürchtet die Kommission, dass die nationalen Einnahmen aus dem Emissionshandel zur Subvention von CO2-intensiven Unternehmen missbraucht werden. Wir benötigen daher eine Ausweitung des europäischen Anteils an den Einnahmen, um mit diesem Geld im großen Stil regenerative Energien in Europa zu fördern. Die CDU/CSU sollte nicht dagegen argumentieren. Denn sogar Herr Koch will Hessen zu einem Musterland für regenerative Energien machen. Sie könnten seinem Beispiel im Bundestag folgen. ({7}) Das Galileo-Projekt ist die Fortsetzung des Transrapids mit anderen Mitteln. Es werden 3,4 Milliarden Euro für ein überflüssiges Spielzeug der Kommission ausgegeben, das durch GPS II längst überholt wurde. Lassen Sie mich zum Ende noch etwas zum „RüffertUrteil“ des Europäischen Gerichtshofs sagen. Nun darf bei öffentlichen Aufträgen maximal der Mindestlohn verlangt werden. Der Mindestlohn wird so zum Höchstlohn. Der Vorsitzende der IG BAU, Wiesehügel - die Kollegen von der SPD sollten ihn noch kennen; denn er war in der vorletzten Legislaturperiode noch Mitglied ihrer Fraktion -, hat dies zu Recht Raubtierkapitalismus genannt, der die Menschen von Europa entfremdet. Wir unterstützen daher den Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Schulz, die europäischen Verträge zu ergänzen. Angesichts dieses Vorschlags ist meine Bitte, dass in 14 Tagen die „ganz große“ Koalition aus FDP, Grünen, CDU/CSU und SPD nicht mit der Ratifizierung der Lissabonner Verträge ein unsoziales Europa zementieren sollte. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Rainder Steenblock hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Strategieplanung der EU umfasst eine ganze Reihe von wichtigen Punkten, die die Interessen, zum Teil auch die Bedürfnisse und Ängste der Bürgerinnen und Bürger in Europa widerspiegeln. Wachstum und Beschäftigung, Bekämpfung des Klimawandels, der Bereich der Energiepolitik bzw. der Energieaußenpolitik der Europäischen Union, die Migration sowie die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger sind Themen, die im Zentrum der Strategieplanung der Europäischen Union stehen. In den Details mögen wir dazu kontroverse Diskussionen führen. All diese Punkte sind wichtig. Aber ich will mich auf zwei Punkte konzentrieren, die aus unserer Sicht in diesem Katalog fehlen. Erster Punkt. Die Strategieplanung geht zu wenig auf die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein. Wir alle wissen: Wenn wir die Globalisierung mitbestimmen wollen, dann können wir das nicht als Nationalstaat, sondern nur als Europäische Union tun. Deshalb ist die im Reformvertrag angelegte Konzentration auf eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik ein ganz zentraler Punkt. Die Kommission ist dafür zu kritisieren, dass sie das nicht stärker in den Fokus ihrer Politik stellt. ({0}) Wir als Deutscher Bundestag haben an dieser Stelle ein gemeinsames Interesse, auch wenn wir nicht in allen Fragen einer Meinung sind. Ein gemeinsames Interesse haben wir auch an dem zweiten Punkt, der für mich genauso wichtig ist. Er wurde bereits von Staatsminister Gloser und von dem Kollegen Ulrich zu Recht angesprochen. Wir alle kennen die Debatten aus Frankreich über den damaligen Verfassungsvertrag. Wenn man in Europa in dieser Situation nicht auf die Frage der sozialen Gerechtigkeit eingeht und sie nicht in das Zentrum der Politik stellt, dann unterstützt man die populistische Kampagne, die von einigen gegen die Europäische Union gefahren wird. Deswegen brauchen wir die Sozialpolitik als eine wesentliche Säule der europäischen Politik im Rahmen der Strategieplanung. Da muss das stärker verankert werden. ({1}) Die Bundesregierung hat das zu Recht kritisiert. Sie hat aber keinen einzigen eigenen Vorschlag gemacht, wie das zu realisieren wäre. Die Lissabon-Strategie, die wir alle mitgetragen haben - die Trias von Ökonomie, Ökologie und Sozialem -, wird an dieser Stelle auf eine ökonomische Wachstumsstrategie reduziert. Das gehört zwar dazu, reicht aber nicht aus, um die Bürgerinnen und Bürger für die Europäische Union zu gewinnen. Die EU schreibt in ihrer Strategieplanung, dass die Förderung einer nachhaltigen Sozialreform weiterhin im Zentrum der politischen Agenda der Union steht. Das ist richtig. Wenn man aber schaut, was im Zentrum steht, stellt man fest, dass da, wenn überhaupt, nur Nebel ist - manchmal nicht einmal das. Es kann nicht sein, dass wir dem populistischen Vorurteil, dass Europa eine unsoziale und neoliberale Veranstaltung ist, Vorschub leisten. Gegen dieses Vorurteil kämpfen wir schließlich. Herr Ulrich, in Ihre Richtung will ich ganz deutlich sagen: Konkrete Entscheidungen der Kommission zu kritisieren, heißt für uns nicht, die Europäische Union zu verdammen, verantwortlich zu machen und als Konstruktion infrage zu stellen - überhaupt nicht. Wir brauchen diese Integration. Die Mehrheitsverhältnisse in der Kommission spiegeln die Wahlergebnisse in Europa wider. Diese Mehrheitsverhältnisse gefallen mir zwar überhaupt nicht, aber deshalb lehne ich doch nicht die Europäische Union, den Integrationsansatz und den Reformvertrag ab, mit dem man versucht, die Sache besser zu machen. Vielmehr kämpfe ich für die entsprechenden politischen Mehrheiten in Europa. ({2}) Das ist das, was uns unterscheidet. Aus der Kritik, dass Europa nicht in ausreichendem Maße sozial ist, leiten Sie die Forderung nach einer Renationalisierung der Politik ab. Das ist ein völlig falscher Ansatz. Wir brauchen die europäische Integration als Antwort auf alle sozialen Fragen. ({3}) Sie haben die direkte Demokratie angesprochen. Die Grünen und auch die Sozialdemokraten haben sich in der vergangenen Legislaturperiode dafür ausgesprochen, die direkte Demokratie in Deutschland zu stärken, und entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt. Wir haben leider keine Mehrheit dafür bekommen. Ich bin aber dagegen - das habe ich Ihnen im Ausschuss schon gesagt; ich sage es aber noch einmal -, das Instrument der direkten Demokratie für eine populistische Anti-EU-Kampagne zu missbrauchen. Das machen wir nicht mit. ({4}) Eines möchte ich noch sagen: Es ist gut, dass wir hier über die Strategieplanung und die Stellungnahme der Bundesregierung dazu diskutieren. Ich hoffe, dass das Interesse an diesen Debatten im Deutschen Bundestag noch stärker wird. In einem Punkt unterstützen wir die Kommission aber ausdrücklich: Sie plant eine Informationskampagne über die sozialen Elemente der Grundrechtecharta. Das ist genau der richtige Weg. Wir müssen über die positiven Entwicklungen sprechen, die mit dem Reformvertrag in Gang gesetzt wurden - und die Grundrechtecharta gehört nach Meinung aller Fraktionen zu den positiven Entwicklungen -; denn dann gewinnen wir das Vertrauen der Menschen zurück. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Thomas Silberhorn hat jetzt das Wort für die CDU/ CSU-Fraktion.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu der Strategieplanung der Kommission möchte ich zunächst eine sehr grundsätzliche Anmerkung machen: Diese Diskussion steht in einem sehr engen Zusammenhang mit der Überprüfung des EU-Finanzsystems, die in diesem Jahr einer der Schwerpunkte der Tätigkeit der Kommission ist und auch im nächsten Jahr sein wird. Die Kommission beschreibt neue politische Herausforderungen und die Schwerpunkte der künftigen EUPolitik. Ich meine, wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine von realen Zahlen weitgehend losgelöste Diskussion führen. In allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen politische Prioritäten im Haushaltsverfahren festgelegt werden. Nur in der Europäischen Union läuft es umgekehrt: Wir reden abstrakt über politische Aufgaben, und die Rechnung wird hinterher präsentiert. Was fehlt, ist eine Verknüpfung von Strategieplanung und Aufstellung des Haushaltes. Das ist eine Aufgabe, der wir uns in der Europäischen Union, vielleicht auch im Deutschen Bundestag stärker stellen müssen. Wir müssen die Finanzierungslasten gerechter auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verteilen. Ich plädiere dafür, dass wir an der Beitragsfinanzierung festhalten, die Beiträge aber nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedstaaten bemessen und strenge Obergrenzen für die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Union festlegen. Das hat natürlich Auswirkungen auf eine Strategieplanung der Europäischen Kommission. Es ist von zentraler Bedeutung, dass das Subsidiaritätsprinzip auf allen Ebenen beachtet wird, dass die Europäische Union sowohl in der Haushaltsplanung als auch in der Strategieplanung nur dort tätig wird, wo wir ihr Aufgaben übertragen haben, und Personal und Finanzmittel nicht an anderen Stellen einsetzt. Das heißt, die Subsidiarität muss auch in der Strategieplanung und in der Haushaltspolitik ihren konkreten Niederschlag finden. Ich will als Beispiel den Europäischen Auswärtigen Dienst nennen. Er ist erst möglich, wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft getreten ist. Deswegen staune ich, dass sich die Regierungen der Mitgliedstaaten das Ziel gesetzt haben, den Europäischen Auswärtigen Dienst bereits dann funktionsfähig bereitzustellen, wenn der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, der ja erst die Voraussetzung dafür schafft, den Europäischen Auswärtigen Dienst zu organisieren. Ich sehe, dass sich Deutschland dieser Debatte nicht ganz wird entziehen können. Ich möchte dazu doch die Anmerkung machen, dass ich von allen Regierungen etwas mehr Respekt vor den nationalen Parlamenten und vor denen, die den Vertrag von Lissabon ratifizieren, erwartet hätte. Ich meine, dass die auswärtigen Dienste in der Europäischen Union zunächst einmal alle Hände voll zu tun haben, um dazu beizutragen, dass der Vertrag von Lissabon tatsächlich zum 1. Januar nächsten Jahres in Kraft treten kann. ({0}) Ich plädiere dafür, dass wir die Verlässlichkeit der mittelfristigen Finanzplanung in der Europäischen Union wahren. Die Finanzielle Vorausschau ist einstimThomas Silberhorn mig verabschiedet worden. Sie darf im Rahmen der jährlichen Haushaltsplanung durch Beschlüsse mit qualifizierter Mehrheit nicht revidiert werden, insbesondere nicht zulasten der Zahlerländer, die sich in der Minderheit befinden. Dazu gehört, dass die Flexibilitätsinstrumente, mit denen der Finanzrahmen begrenzt erhöht werden kann, auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Ich weise darauf hin, dass der Vertrag von Lissabon schon bei der Verabschiedung der Finanziellen Vorausschau in Diskussion stand, damals noch als Verfassungsvertrag. Deswegen ist alles, was in diesem Vertrag steht, in der Finanziellen Vorausschau bereits berücksichtigt und darf nicht mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zu neuen Ausgabeorgien führen. Lassen Sie mich, da Herr Bergner anwesend ist, einige Sätze zum Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sagen. Ich glaube, wir müssen auch hier sehr darauf achten, dass die Europäische Union ihre Kompetenzen wahrt. Wir sehen, dass Zuwanderung und Integration Themen gemeinsamen europäischen Interesses sind. Aber der Zugang zum Arbeitsmarkt muss in der Kompetenz der Mitgliedstaaten verbleiben. Ich begrüße es, dass wir uns das Ziel setzen, das europäische Asylsystem bis 2010 zu vollenden. Wir müssen aber darauf achten, dadurch nicht eine neue Bürokratie aufzubauen. Die Unterstützungsagentur, die im Ergebnis ein Eingriff in die Verwaltungshoheit der Mitgliedstaaten wäre, lehne ich ab. Wir werden an anderer Stelle Gelegenheit haben, im Bundestag darüber zu diskutieren. Auch hier muss klar sein: Die Asylverfahren müssen in nationaler Kompetenz verbleiben. Über die Speicherung von Fluggastdaten ist erst gestern in diesem Hause diskutiert worden. Fraglos müssen wir mehr gegen die erhöhte Terrorgefahr unternehmen. Aber ebenso ist fragwürdig, in welchem Umfang und mit welcher Dauer die Speicherung von Fluggastdaten entsprechend dem Vorschlag vorgenommen werden soll. Ich meine, wir müssen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sehr ernst nehmen. Abschließend plädiere ich dafür, dass die Strategieplanung nicht zu einer Art Aktionismus der Kommission führt, die gerade noch ein Jahr im Amt ist. Es kann doch nicht sein, dass diese Kommission eine Fülle von neuen Richtlinien und Verordnungen vorschlägt, mit denen die gesamte Legislaturperiode der nächsten Kommission bereits weitgehend mitbestimmt wird. Im nächsten Jahr ist die Wahl zu einem neuen Europäischen Parlament, das übrigens darüber beschließen wird, wie die eigene Arbeit fortgeführt werden soll.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Ende.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Deswegen plädiere ich dafür, dass sich die Kommission daran ein Beispiel nimmt und über den Wegfall noch offener Vorhaben entscheidet, wenn eine neue Kommission ins Amt kommt. Wir sollten schon jetzt darauf hinwirken, dass die neue Kommission, die im nächsten Jahr antritt, das Prinzip der Diskontinuität anwendet,

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege.

Thomas Silberhorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003636, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- so wie wir es hier in unserem Hause kennen. Vielen Dank. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die SPD-Fraktion spricht der Kollege Steffen Reiche.

Steffen Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003827, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! So singulär, so weltweit einzigartig, innovativ und vorbildlich die Europäische Union als handlungs-, ja regierungsfähiger Staatenverbund ist, so singulär, innovativ und vorbildlich ist auch ihr Verfahren der Administrations- bzw. Regierungsplanung. Uns erscheint es selbstverständlich, ja alternativlos. Das ist es auch - für die EU. Ich will uns aber daran erinnern und uns bewusst machen, dass das etwas Besonderes ist. Denn weder die USA noch China, Indien, Brasilien oder Russland kennen etwas Vergleichbares. Zu Recht kann man einwenden, dass es sich bei diesen Ländern bis auf die USA nicht um etablierte Demokratien handelt. Aber auch dann, wenn man sich die Situation in etablierten Demokratien, in Großbritannien, Frankreich oder Deutschland, ansieht, stellt man fest: Fehlanzeige. In diesen Staaten gibt es nur Wahlprogramme, Koalitionsverträge und Regierungserklärungen, aber keine Strategiekonzepte, über die von Februar bis Oktober eines Jahres, also circa acht Monate, von allen Beteiligten diskutiert wird und die dann die Grundlage für ein Jahr gemeinsamer Regierungsarbeit bilden. Daran sind der Europäische Rat und das EU-Parlament beteiligt, intensiver als bisher aber auch die nationalen Parlamente und die europäische Zivilgesellschaft. Die Strategieplanung für eines der vermutlich wichtigsten Jahre der Europäischen Union liegt uns nun vor. Das Jahr 2009 ist im Hinblick auf die Strukturen der Europäischen Union sozusagen ein Schaltjahr. Denn dann tritt die größte Reform der EU in Kraft. Die EU wird erstmals Rechtssubjekt. Aufgrund der stärkeren Beteiligung des Europäischen Parlaments werden neue demokratische Strukturen gelten. Neue Politikgebiete werden einbezogen. So wird zum Beispiel die Rechts- und Innenpolitik stärker als je zuvor einbezogen und in weiten Teilen vergemeinschaftet. Darüber hinaus gibt es eine Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Drei bewährte Spitzenfunktionen werden neu vergeben: die Ämter des Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Kommissionspräsidenten und des NATO-Generalsekretärs; das zuletzt genannte Amt betrifft zwar nicht direkt eine Entscheidung der EU, aber das sollte als Steffen Reiche ({0}) großes Paket betrachtet werden. Außerdem werden zwei Ämter erstmals besetzt und durch ihre ersten Amtsinhaber geprägt: das des Ratspräsidenten und das des Hohen Vertreters oder, wie wir gerne sagen würden, das des EU-Außenministers. Das wird der EU, aber auch ihren Institutionen neuen Schwung verleihen. Die EU will und wird im Jahre 2009 besser und bürgerorientierter sein, weil sie erstmals - das ist Teil des Lissabon-Vertrages - nicht mehr als Gemeinschaft der Nationen, sondern als Gemeinschaft ihrer Bürger verstanden wird. ({1}) Die Wahlen eines neuen Europäischen Parlaments stehen an, und Europa wird stärker als je zuvor gefragt sein, nicht nur den Frieden zu erhalten, sondern auch die Globalisierung zu gestalten. Sie von der Linken verlangen das zu Recht von der EU. Sie verweigern ihr aber die dafür notwendigen Instrumente. Denn der LissabonVertrag ist ein besseres und geeigneteres Instrument als die bisherigen Verträge, um genau das zu erreichen, was Sie zu Recht verlangen. Es ist infam, etwas zu verlangen, aber nicht bereit zu sein, die notwendigen, aber noch nicht weit genug entwickelten Instrumente dafür zur Verfügung zu stellen. ({2}) 2009 wird ein entscheidendes Jahr. Denn nicht nur der Lissabon-Vertrag, sondern auch der Lissabon-Prozess kommt an einen wichtigen Punkt. Im Jahre 2010 wird das Ziel der EU, größter und stärkster Wirtschaftsraum der Erde zu sein, entweder erreicht oder nicht erreicht. Aufgrund der Schwäche der Mitbewerber, der USA und Japans, ist es möglich, dass die EU die stärkste Wirtschaftsregion der Welt wird. Im Jahre 2008 und erst recht im Jahre 2009 müssen wir aber auch mit einer Weltwirtschaftskrise rechnen: 1 Billion Dollar Miese und ein beispielloser Verfall des Dollars, der Euro schnellt von einem Allzeithoch zum nächsten. Man kann sich auf eine solche Situation schlecht vorbereiten - das ist mir bewusst -, aber man muss damit rechnen, dass der Euro Weltleitwährung werden könnte und dass dadurch für EZB und EU ganz neue Herausforderungen entstehen. Wir müssen das, womit im Jahre 2008 begonnen wurde, im Jahre 2009 finalisieren, noch vor den Wahlen zum Europäischen Parlament. Wir haben durch eine Überprüfung der Agrarpolitik, dem sogenannten Health Check, für die Gestaltung der Wirtschafts- und Finanzflüsse in der Europäischen Union neue Chancen. Die Einkommenssituation in der Landwirtschaft verbessert sich unerwartet gut und insofern auch die Möglichkeit, hier wirklich etwas zu verändern. Die Eigenmittel werden neu überprüft. Die SPD hat dazu Vorschläge gemacht und wird sie der EU in der Hoffnung zur Kenntnis geben, dass manches von dem berücksichtigt wird. ({3}) Die EU hat mit guten Vorschlägen, großem Druck und einseitigen Vorleistungen dazu beigetragen, dass das Kioto-Protokoll verabschiedet werden konnte. Gerade in 2009 ist die EU ähnlich in der Verantwortung, in Bezug auf den Post-Kioto-Prozess, also in Bezug auf den Prozess, der in Bali begonnen hat, Vorschläge zu machen und mit Vorleistungen dafür zu sorgen, dass die anderen Staaten mit uns gemeinsam den Klimawandel bekämpfen. ({4}) Eine andere zentrale Herausforderung ist es, spätestens in 2009 die Doha-Welthandelsrunde zu einem guten Ende zu bringen. Kein Wirtschaftsraum wie der nach dem Lissabon-Prozess erfolgreich gestartete Europäische Wirtschaftsraum wird davon so sehr profitieren und hat daran so großes Interesse und davon zugleich so große Vorteile. Das heißt, wir müssen mit einem vertretbaren Maximum an Zugeständnissen einen Kompromiss erzielen und damit einen Abschluss der Welthandelsrunde ermöglichen. Darüber hinaus sind mir mehrere Punkte wichtig: Die Bürger Europas sollen und müssen an die erste Stelle rücken. Die EU wird Rechtssubjekt. Nach dem LissabonVertrag sind mehr als bisher die Bürger das Ziel der Politik. Sie sind das Zentrum der Politik der Europäischen Union. Sie und nicht die Nationen sind der Grund, weshalb die Europäische Union gebildet worden ist. Das muss das Handeln aller Institutionen der nationalen Akteure in erster Linie prägen, sodass sie nicht zuallererst nach dem nationalen Mehrwert schauen, sondern das europäische Interesse im Auge haben. Die Erfahrungen von 50 Jahren Europäische Union haben gezeigt: À la longue nutzt das europäische Interesse den Nationen am allermeisten. ({5}) Das soziale Europa muss gestärkt werden. Ich sage Ihnen klar zu: Wir werden wie bisher auf die Worte von Herrn Schulz hören, wenn Sie uns versprechen, wenigstens auf jedes zweite Wort von Frau Kaufmann zu achten, weil sie vieles sagt, was man berücksichtigen sollte. ({6}) Lieber Kollege Link, die deutsche Sprache muss auch in Zukunft neben dem Englischen und dem Französischen als Arbeitssprache gelten. Pacta sunt servanda; das ist klar. Aber Englisch hat sich eben im Siebenjährigen Krieg, den die Briten an der Seite von Preußen gewonnen haben, als Lingua franca durchgesetzt. Daran werden wir auch mit dieser berechtigten Forderung nichts ändern. Was in diesem Arbeitsprogramm bzw. dieser Strategieplanung bisher fehlt, aber im Oktober angegangen werden muss, ist - das ist mir ganz wichtig - die Fortsetzung des Minsk-Prozesses mit großem Engagement. Wir haben ein Zeitfenster, diesen Minsk-Prozess in Bezug auf die Staaten des Südkaukasus zu einem guten Abschluss zu bringen. Wie stark der Tibet-Konflikt die Steffen Reiche ({7}) Olympischen Spiele in Peking beeinflusst, erleben wir zurzeit. 2012 finden die Olympischen Spiele in Sotschi statt. Abrasien liegt davon nur 30 Kilometer entfernt, etwas weiter Südossetien. Das heißt, für dieses Problem muss gemeinsam mit Russland in 2009 eine Lösung gefunden werden. Wir brauchen ferner eine Lösung - auch dafür findet sich ein einmaliges Zeitfenster - für den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Wir müssen bei all dem stärker als bisher die Zivilgesellschaft einbeziehen. Das heißt, wir brauchen mit diesen zwei Staaten ein neueres, besseres Visaabkommen. Mit Freude und Stolz sollten wir diesen Prozess bis Oktober in Deutschland organisieren; denn wir als Bürger und wir als Politiker sind Teil eines in der Welt singulären Prozesses. Vielen Dank. ({8})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss der Debatte erteile ich dem Kollegen Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte aus der Strategieplanung 2009 der EU-Kommission einen Punkt herausgreifen, der zukünftig sicherlich im Mittelpunkt der Überlegungen stehen wird, und zwar die Energiepolitik. Die Energiepolitik spielt in den Strategieplanungen zu Recht eine Rolle, obwohl die Europäische Union für die Energiepolitik keine originäre Zuständigkeit hat. Ihre Kompetenzen werden bisher aus der Zuständigkeit für den Binnenmarkt oder für den Umweltbereich abgeleitet. Erst mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages wird die Energiepolitik als geteilte Zuständigkeit auch bei der EU entsprechend verankert sein. Aus der Sicht der Unionsfraktion gibt es zwei zentrale Handlungsfelder, die eigentlich ganz unterschiedliche Lösungsansätze erfordern: zum einen die Strategie nach außen, zum anderen die Strategie nach innen. Ich will versuchen, anhand einiger Beispiele die Handlungserfordernisse zu beschreiben. Energiepolitisch wird die EU in den nächsten 10, 15 Jahren vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Die gesamte EU befindet sich auf dem Weg in die Importabhängigkeit. In 20 Jahren wird es in Europa, von Norwegen abgesehen, keine nennenswerte Energieproduktion, Ölförderung, Gasförderung, mehr geben. Das heißt, ganz Europa wird in einer Dimension vom Import fossiler Energien abhängig, wie es Deutschland bereits heute ist. Gleichzeitig stellen wir fest, dass in vielen Ländern auf der Welt der Staat zunehmend Einfluss auf die Märkte nimmt. Ich nenne als Stichworte nur Venezuela und Russland. Das heißt, Energie wird als politisches Instrument, ja sogar als Waffe eingesetzt. Die Märkte werden zurückgedrängt, bereits unterschriebene Verträge werden nicht eingehalten bzw. man wird zur Änderung der Verträge gezwungen. So bekommen westliche, europäische Unternehmen beispielsweise in Russland Schwierigkeiten. Die EU wird von außen nicht als Union wahrgenommen. So bekommt man, wenn man sich mit internationalen Partnern im energiepolitischen Bereich unterhält, oft zu hören, dass keiner versteht, warum mal der Kommissar, mal der Außenminister, mal die Ratspräsidentschaft kommt. Das ist alles andere als kontinuierlich. Der Weltenergieverbrauch steigt. Damit wird die Nachfragemacht Europas zurückgehen. 1970 entfielen auf die OECD-Länder 70 Prozent des Weltenergieverbrauchs. Bis 2030 werden sich die Verhältnisse umgekehrt haben. Wenn wir Europäer eine Chance haben wollen, müssen wir mit einer Stimme sprechen. Die Nationalstaaten können heute nämlich nicht mehr viel ausrichten. Was das Handeln der Europäischen Union nach innen angeht, will ich sagen, dass wir den europäischen Binnenmarkt für Strom, für Energie, für Gas vollenden müssen. Manches ist getan; aber vieles ist noch zu tun. Ich will wegen der wenigen Zeit, die mir zu reden verbleibt, nur zwei Punkte, über die wir diskutieren müssen, herausgreifen. Wir sind auf dem Weg, Souveränitätsrechte abzugeben. Das ist uns, glaube ich, noch nicht in vollem Umfang klar. Die Vorstöße der EU in Sachen Emissionshandel und in Sachen Klimaschutzpaket werden dazu führen, dass wir dauerhaft auch auf nationalen Feldern wie der Umwelt- und Klimapolitik Souveränitätsrechte werden abgeben müssen. Wir müssen aufpassen, dass unsere nationalen Interessen in diesen Bereichen weiterhin berücksichtigt werden. Ich möchte Ihnen ein Beispiel ans Herz legen, das zeigt, dass die Bundesregierung und wir als Parlament darauf achten müssen, dass unsere nationalen Interessen Berücksichtigung finden. Beim Emissionshandel ist angedacht, dass ab 2013 im Bereich der Stromerzeugung zu 100 Prozent auktioniert wird. Das ist im Grunde richtig; wir brauchen eine europäische Allokation. Die Einnahmen werden aber nicht dem Anteil an der Stromerzeugung entsprechend unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Nehmen wir als Beispiel Deutschland und Frankreich: Frankreich erzeugt seinen Strom zu 70 bis 80 Prozent aus Kernenergie. Wenn, wie geplant, die gesamten dem Emissionshandel unterliegenden Sektoren berücksichtigt werden, wird Deutschland 70 Prozent der Kosten aufbringen. Die Erlöse des Emissionshandels werden aber quasi zu gleichen Teilen zwischen Deutschland und Frankreich aufgeteilt. Es geht hier um Milliardenbeträge; ich glaube, das haben wir uns noch nicht in allen Konsequenzen klargemacht. ({0}) Es gibt in der Energiepolitik eine ganze Reihe von Punkten, bei denen wir als Parlament gefordert sind. Auf der einen Seite müssen wir darauf hinwirken, dass die EU-Kommission die Stimme nach außen wird. Auf der anderen Seite müssen wir sehr genau darauf achten, dass unsere nationalen Interessen im europäischen Binnenmarkt berücksichtigt werden. In diesem Sinne werden wir als CDU/CSU-Fraktion das weitere Prozedere sehr kritisch, aber konstruktiv begleiten. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt. Ich rufe Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Soziales ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Werner Dreibus, Kornelia Möller, Dr. Barbara Höll, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern - Drucksachen 16/4909, 16/8782 Berichterstattung: Abgeordnete Gitta Connemann Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Kornelia Möller für die Linke das Wort. ({1})

Kornelia Möller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003811, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir reden hier heute über die sogenannten Einfühlungsverhältnisse. Das ist nichts anderes als Probearbeiten ohne Lohn, um vielleicht, eventuell, zufälligerweise einmal einen Arbeitsplatz zu ergattern. Einfühlungsverhältnisse sind also Ausbeutung pur. Fühlen Sie sich doch einfach einmal darauf ein: Sie sitzen hier und bekommen kein Geld, Sie sind also quasi eine Proberegierung und ein Probeparlament. Spätestens seit Rot-Grün die unsägliche Agenda 2010 beschlossen und die Hartz-Gesetze durchgepeitscht hat - die Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, noch verschärften -, wissen die Menschen in diesem Lande, dass Sie sich für keine Schweinerei zu schade sind. ({0}) Ihnen liegt nicht in erster Linie das Wohl der Menschen am Herzen. Sie tun nichts gegen die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich. Nein, Sie stehen stattdessen standhaft an der Seite neoliberaler Unternehmer, die sich seit Jahren an unbezahlten Probearbeiten, an unbezahlter Mehrarbeit und an Armutslöhnen bereichern. Wir haben diesen Antrag eingebracht, um zu beenden, dass Bürgerinnen und Bürger bei Unternehmen in Einfühlungsverhältnissen ohne Lohn arbeiten müssen. Diese Einfühlungsverhältnisse reihen sich in eine lange Liste atypischer und prekärer Beschäftigungen ein, die direkt in die Altersarmut führen. Heute arbeitet rund ein Drittel der erwerbstätigen Menschen in atypischen und prekären Beschäftigungsverhältnissen. 12 Prozent verdienen so wenig, dass sie trotz Arbeit Hartz IV beantragen müssen, um leben zu können. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist nicht hinnehmbar, dass sich ein so großer Anteil der Beschäftigten in Leih- und Zeitarbeit, in Teilzeitjobs, in befristeten Arbeitsverhältnissen oder in Mini- bzw. Midijobs befindet. ({1}) Doch damit nicht genug. Durch die sogenannten Einfühlungsverhältnisse haben die Arbeitgeber noch mehr Chancen, sich an Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zu bereichern. Was bedeuten nämlich diese Einfühlungsverhältnisse? Ich sage es noch einmal: Sie bedeuten Arbeit ohne Lohn. Menschen, die bereit sind, alles für einen Arbeitsplatz zu geben, werden schamlos ausgenutzt. Mir sind aus München konkrete Fälle bekannt, bei denen Frauen in mehr als ein Hotel zu unbezahlter Probearbeit eingeladen wurden. Sie haben dort Betten gemacht und die Zimmer aufgeräumt - natürlich ohne Bezahlung. Die Frauen haben sich deswegen darauf eingelassen, weil sie hofften, eingestellt zu werden. Weit gefehlt. Monat für Monat wechselten die Unternehmen die Frauen aus und machten sich so die Zwangslage dieser Frauen zunutze. Zwar weist die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Linksfraktion zu „Probearbeiten im Rahmen eines so genannten Einfühlungsverhältnisses“ darauf hin, dass die missbräuchliche Ausnutzung von Einfühlungsverhältnissen, also Arbeiten ohne Lohn, nach geltendem Recht unzulässig ist. Doch welche bzw. welcher Arbeitssuchende würde von ihrem bzw. seinem potenziellen Arbeitgeber unter Hinweis auf § 612 BGB Lohnzahlungen fordern? Das ist doch absurd. In welcher Welt leben Sie eigentlich, dass Sie glauben, dass das reicht? ({2}) Ich sage Ihnen: Durch die sogenannten Einfühlungsverhältnisse werden Arbeitnehmerschutzrechte massiv beschnitten. Daher müssen diese Einfühlungsverhältnisse weg, und zwar ohne Wenn und Aber. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem klargestellt wird, dass Einfühlungsverhältnisse unzulässig sind und entsprechende Schutzrechte über dem Grundsatz der Vertragsfreiheit stehen. Wer arbeitet, muss dafür auch entlohnt werden, und zwar richtig. Ich danke Ihnen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kolleginnen und Kollegen Gitta Connemann, Anette Kramme, Gabriele Lösekrug-Möller, Jörg Rohde Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt und Brigitte Pothmer haben ihre Reden zu Protokoll ge- geben.1) Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schützen - unbezahltes Probearbeiten verhindern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be- schlussempfehlung auf Drucksache 16/8782, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/4909 abzu- lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist die Be- schlussempfehlung angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen ge- gen die Stimmen der Fraktion Die Linke. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a und 27 b auf: a) Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler, Marieluise Beck ({1}), wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos um- setzen - Erklärung zur UN-Kinderrechtskon- vention zurücknehmen - Drucksachen 16/1064, 16/8700 - Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Griese b) Beratung des Berichts des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Grietje Bettin, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kinderrechte in der Verfassung stärken - Drucksachen 16/5005, 16/8703 Berichterstattung: Abgeordnete Kerstin Griese Hierzu ist vorgesehen, eine halbe Stunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und gebe der Kollegin Ekin Deligöz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir Grünen kämpfen schon seit Jahren für die Rechte der Kinder, und wir stützen uns mit unseren Forderungen auf einen sehr breiten überparteilichen und gesellschaft- lichen Konsens. Deshalb haben wir zwei Anträge zu die- sem Thema in den Bundestag eingebracht - den einen schon zu Beginn dieser Wahlperiode, den anderen etwas 1) Anlage 14 später -, die in diesem Hause leider nur dürftige Unterstützung erfahren haben. Wir hatten nicht einmal die Möglichkeit, über die Anträge ausführlich zu diskutieren. Der erste Antrag ist bereits vor zwei Jahren an den Ausschuss überwiesen worden, wo die Beratung von Woche zu Woche verschoben wird. Mit dem zweiten Antrag wird genauso verfahren. Da wir das für ignorant im Hinblick auf eine inhaltliche Debatte halten, haben wir das Thema heute wieder auf die Tagesordnung gebracht. Wir wollen Sie darauf hinweisen, dass Sie sich nicht permanent davor drücken können, solche Debatten zu führen, weil sie Ihnen nicht passen. ({0}) Die Kinderkommission hat über Monate hinweg darüber diskutiert, ob Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden sollen. Wir wollten einen Gruppenantrag einbringen. Dieses Vorhaben wird gebremst. Die inhaltliche Debatte wird leider nicht weitergeführt. Wir erzielen kein Ergebnis. Ich glaube, es ist nicht gut für den Parlamentarismus, wenn die Große Koalition nicht einmal der Kinderkommission, die als besonderes Gremium im Bundestag eingerichtet wurde, eigene Handlungsmöglichkeiten gibt. Stattdessen untergraben Sie deren Arbeit, weil Sie sich selbst nicht trauen, zu Kinderrechten zu stehen. ({1}) Ein weiterer Punkt ist die Rücknahme der Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention. Vor ein paar Jahren war dieses Parlament einige Schritte weiter. Seinerzeit haben wir viel Unterstützung und Zustimmung bekommen und waren kurz davor, die Vorbehalte zurückzunehmen. Dann hieß es „Zurück auf Los“, aber nicht, um über das Thema noch einmal zu diskutieren, sondern um es zu ignorieren. Ihr Verhalten ist ignorant gegenüber der Situation der Kinder - auch der Flüchtlingskinder -, die am meisten auf die Unterstützung der Gesellschaft angewiesen sind. Sie sind die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft. Das sagt sehr viel über Ihre gesellschaftliche Einstellung aus. ({2}) In Sonntagsreden gehen Sie alle auf Kinder ein. Sowohl die Kanzlerin als auch die Ministerin und der ExBundespräsident fordern die Aufnahme von Kinderrechten in die Verfassung. Wenn es aber darum geht, die Hand dafür zu heben, dann drücken Sie sich davor. Sagen Sie doch Ihre Meinung! Sagen Sie, ob Sie dafür oder dagegen sind! Stattdessen verschieben Sie eine Entscheidung und halten die engagierten Menschen auf. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch die SPD an. Das auf Ihrem Parteitag beschlossene Programm finde ich gut. Es reicht aber nicht aus, Programme zu beschließen. Wir sind als Mandatsträger gewählt, um Programme umzusetzen und die entsprechenden Gesetze auf den Weg zu bringen. Das ist unsere Aufgabe. Ein Parteitag macht leider noch keine Politik. Wenn Sie Ihre Aufgaben ernst nehmen, dann sollten Sie mehr machen, als Presseerklärungen zu verfassen. Setzen Sie Ihren Beschluss in die Tat um und stimmen Sie unseren Anträgen zu! Das wäre ein ehrliches Bekenntnis. Herr Singhammer, Sie haben neulich gesagt, das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil bestätigt, dass die Eltern Rechte und eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Kindern hätten, und es habe damit ein eindeutiges Signal gesetzt. Es ist aber ein Trugschluss, wenn Sie glauben, dass damit alles erledigt ist. Das Signal ist: Das Bundesverfassungsgericht hat mit dem Urteil für eine Klarstellung gesorgt und hat uns aufgefordert, einen nachhaltigen Perspektivwechsel in Gesellschaft, Politik und Justiz einzuleiten. Deswegen müssen wir die Kinderrechte in die Verfassung aufnehmen. Wir brauchen keine Sonntagsreden und keine Drückeberger mehr. Wenn Sie es ernst meinen und weiterkommen wollen, dann stimmen Sie unseren Anträgen zu, oder lassen Sie zumindest Beratungen im Ausschuss zu! Scheuen Sie sich nicht davor, die Wahrheit auszusprechen! Bislang verfolgen Sie nur eine Hinhaltetaktik. Das finde ich sehr verlogen. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Johannes Singhammer spricht jetzt für die Fraktion der CDU/CSU.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Jeder Gutwillige, jeder Anständige und jeder Vernünftige in Deutschland will, dass Kinder liebevoll umsorgt aufwachsen, ihre Rechte gewahrt, geschützt und beachtet werden. Niemand, der bei Sinnen ist, will Kindern einen sicheren Schutz verweigern und sie Gewalttätigkeiten, Vernachlässigungen oder sogar Misshandlungen in vorsätzlicher oder nachlässiger Weise ausliefern. Wir alle wollen das eine: Kindern zu ihrem Recht verhelfen. Deshalb warne ich vor der vereinfachenden Argumentation, dass diejenigen, die eine Verankerung der Kinderrechte in der Verfassung mit einer gewissen Skepsis betrachten, es mit der Sorge um die Kinder nicht ganz so ernst nähmen, während andere, welche uneingeschränkt für eine Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz sind, alle Konsequenzen aus den erschreckenden und uns zutiefst bestürzenden Fällen von Misshandlungen bis hin zu Kindstötungen in den vergangenen Monaten gezogen hätten. Ich bin für eine nüchterne Betrachtung und Prüfung. Bringt ein Grundrecht einen Mehrwert an Schutz für die Kinder, den sie jetzt noch nicht haben, der ihnen jetzt fehlt? Ich bitte alle, darüber nachzudenken, was sich seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts am 1. April verändert hat und welche Aussagen das Bundesverfassungsgericht in dem bizarren Fall getroffen hat, in dem die Frage zu klären war, ob ein Vater zum Umgang mit seinem Kind verpflichtet, gezwungen werden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil zum ersten Mal ausdrücklich ein Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung anerkannt. Es hat festgelegt, dass dieses Kinderrecht dem Elterngrundrecht nach Art. 6 des Grundgesetzes gleichsteht. Das höchste deutsche Gericht hat - wie in Stein gemeißelt - festgestellt: Das Kind hat eigene Würde und eigene Rechte. Weiterhin heißt es: Dieses Recht ist deshalb untrennbar mit der Pflicht der Eltern verbunden, dem Kind diesen Schutz und diese Hilfe zu seinem Wohl angedeihen zu lassen. Dabei bezieht sich diese Pflicht nicht lediglich auf das Kind, sie besteht auch gegenüber dem Kind. Denn das Kind ist nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, es ist Rechtssubjekt und Grundrechtsträger, dem die Eltern schulden, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten. Ich denke, glasklarer und unmissverständlicher geht es kaum. Dieses Urteil könnte man fast als eine Hymne an die Kinder und ihre Rechte bezeichnen. Man kann daraus ableiten, dass unsere Verfassung, das Grundgesetz, im Einzelfall den Kinderrechten ganz klar Vorrang vor den Elternrechten gibt. Spätestens mit diesem Grundsatzurteil gibt es jetzt ein exakt beschriebenes Grundrecht für Kinder in unserer Verfassung, vielleicht ausführlicher, präziser - auf mehr als 14 Seiten Urteilstext -, als es eine Änderung des Art. 6 der Verfassung mit den knappen Worten, die dort üblich sind, könnte. Bezüglich der Frage „Kinderrechte im Grundgesetz, ja oder nein?“ gibt es, so meine ich, gute Gründe, zu sagen: Die Frage ist entschieden. - Die Kinderrechte sind verankert. Das höchste deutsche Gericht hat das festgestellt. Der verfassungskundige Journalist Dr. Heribert Prantl kommentiert dieses Urteil in der Süddeutschen Zeitung folgerichtig - ich zitiere -: Der Streit …, ob Kinder ein eigenes Grundrecht brauchen, ist entschieden. Er fährt fort: Die Verfassungsrichter geben den Kindern nun ein Grundrecht auf Schutz und Hilfe. Aber was ist, wenn Hilfe und Schutz nicht gewährt werden? Dann hilft dem Kind auf die Schnelle auch ein Grundrecht nichts. Ein Recht muss umgesetzt werden. Auf die Umsetzung des Rechts kommt es entscheidend an. Deshalb meine ich: Lasst uns alle gesetzgeberische Energie, allen Scharfsinn aufbringen, um Kinder bestmöglich und soweit es irgendwie geht zu schützen, zu fördern und ihre Rechte zu realisieren, und zwar ganz konkret in der Lebenswirklichkeit, nicht nur abstrakt. Was bedeutet das im Einzelnen? Das bedeutet zum Beispiel, dass die Vorsorgeuntersuchungen, über die wir hier im Hohen Hause schon öfter debattiert haben, in kürzeren Intervallen und mit einer klareren Zielsetzung realisiert werden. Das bedeutet eine bestmögliche Kooperation der einzelnen Behörden des Gesundheitswesens beispielsweise mit der Kinder- und Jugendhilfe. Das bedeutet die klare Aussage, dass Kinderschutz Vorrang haben muss vor Datenschutz. Das bedeutet einen Ausbau der Jugendhilfe, Einbeziehung der Eltern, Gesundheits- und Ernährungserziehung, natürlich auch Sportförderung, Erziehungsberatung und Elternbildung. Ich denke aber auch, dass die finanzielle Sicherheit für Familien und Kinder entscheidend dazu gehört; denn starke und auf finanziell gesichertem Fundament lebende Familien sind der beste Kinderschutz. ({0}) - Frau Deligöz, Sie haben gefragt, was wir tun. Das Bundeskabinett hat erst in dieser Woche - die Koalition trägt das mit - die Erhöhung des Kinderzuschlags beschlossen. ({1}) - Das ist keine Ankündigung, sondern das ist Realität. Das wird umgesetzt. Das Geld ist da. Es ist im Haushalt für dieses Jahr verankert und wird zum 1. Oktober 150 000 Kindern mehr ausgezahlt. Das ist praktischer Schutz der Kinder, praktische Förderung der Kinder, und nicht nur eine theoretische Diskussion. ({2}) Wir müssen - das sage ich auch an dieser Stelle - die Wertigkeit von Familienarbeit und Kindererziehung, die die Eltern leisten, erhöhen und dies stärker anerkennen. ({3}) Ich warne davor, einen Generalverdacht auszusprechen und so zu tun, als ob sich eine Mehrheit der Eltern nur nachlässig um ihre Kinder kümmere. Nein - das muss immer wieder festgestellt werden -, die allermeisten Eltern kümmern sich rührend und liebevoll um ihren Nachwuchs, sie legen sich krumm und lassen nichts unversucht, damit es ihre Kinder einmal besser im Leben haben, als sie es vielleicht oft selber gehabt haben. ({4}) Wir wollen den Eltern die Gewissheit geben, dass der Staat nicht heimlicher - um nicht zu sagen: unheimlicher Miterzieher und Obererzieher der Nation sein will. Wir bekennen uns zum Elternrecht. Wir sagen aber auch: Wenn Elternpflichten vernachlässigt werden, wollen wir unverzüglich und konsequent die Kinder schützen, wenn es sein muss, auch gegenüber ihren Eltern. Nachdem die elementaren Kinder- und Persönlichkeitsrechte in unserer Gesetzgebung fest verankert sind - sie sind durch das Urteil des Verfassungsgerichts noch einmal in Stein gemeißelt worden -, wünsche ich mir, dass wir einen politischen Wettbewerb darum beginnen, wie wir Kinder in der Praxis bestmöglich schützen und fördern können. Unser gemeinsames Ziel muss sein, dass möglichst kein einziges Kind in unserem Land zu Schaden kommt, sondern dass wir alles tun, dass es unseren Kindern gut geht. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Miriam Gruß für die FDPFraktion. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Leider debattieren wir wieder einmal zu später Stunde und vor leeren Rängen. Gott sei Dank haben sich einige Zuschauerinnen und Zuschauer eingefunden; vermutlich schauen uns auch einige am Fernseher zu. Es ist schade, dass wir für Plenardebatten über Themen, die die Zukunft Deutschlands betreffen, nur Randzeiten bekommen. Ich wünsche mir, dass das wieder anders wird. ({0}) Es geht hier um zwei Themen. Zum einen geht es um die Rücknahme der Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention. Darüber debattieren wir zum wiederholten Male in dieser Legislaturperiode. Ich kann nur immer wieder betonen: Selbstverständlich steht die FDP-Bundestagsfraktion für die Rücknahme der Vorbehaltserklärung der UN-Kinderrechtskonvention. ({1}) Schade, dass es zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung nicht gelungen ist, auf die Länder dahin gehend einzuwirken, dass die Vorbehalte zurückgenommen werden. Da besteht noch ein wenig Klärungsbedarf. Nichtsdestotrotz freue ich mich, dass es seitens der Bundestagsfraktion der Grünen jetzt wohl anders gesehen wird.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Frau Kollegin, wahrscheinlich freuen Sie sich auch über eine Zwischenfrage von Frau Griese; denn durch deren Beantwortung verlängert sich Ihre Redezeit.

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrte Frau Kollegin Gruß, ich schätze Ihr Engagement für die Aufhebung der Vorbehalte gegen die UNKinderrechtskonvention. Wir teilen Ihre Meinung. In der letzten Wahlperiode, genauer gesagt: am 30. Juni 2005, hatte die FDP-Fraktion die Gelegenheit, dem rot-grünen Antrag auf Aufhebung der Vorbehalte zuzustimmen. Können Sie mir sagen, warum Sie das nicht getan ha16350 ben? Ich habe es im Protokoll nachgelesen: Die FDP hat damals gegen diesen Antrag gestimmt. ({0})

Miriam Gruß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003760, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Kollegin Griese, ich gehörte dem Bundestag damals noch nicht an. Abgeordnete bin ich erst seit dieser Legislaturperiode. Ich verweise Sie auf das, was ich in dieser Legislaturperiode für die FDP-Bundestagsfraktion erarbeitet habe. Sehen Sie den Istzustand. Ich kann Ihnen zustimmen: Es ist wichtig, dieses Signal zu setzen. Die FDP-Bundestagsfraktion setzt dieses Signal. Wir sind für die Rücknahme der Vorbehaltserklärung. Nehmen Sie das heute Nachmittag einfach so mit! ({0}) Das zweite Thema, über das wir heute reden, ist „Kinderrechte ins Grundgesetz“. Als langsam scheidende Vorsitzende der Kinderkommission möchte ich hier noch einmal betonen - Frau Deligöz hat es schon angesprochen -: Es ist schade, dass das wichtige Gremium der Kinderkommission in dieser Debatte so ungehört geblieben ist. Da die Kinderkommission als einziges Gremium dem Einstimmigkeitsprinzip folgt, hat sie die einmalige Chance, den Fraktionen und der Bevölkerung zu signalisieren: Wir Politiker sind fähig, fernab von Parteibüchern gemeinsam Politik zu machen. Die Kinderkommission hat über Parteigrenzen hinweg den Beschluss gefasst, sich auf die Stärkung der Kinderrechte durch die explizite Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz zu verständigen. Ich finde es schade, dass dieses Signal nicht in allen Teilen der Fraktionen angekommen ist. Wir sind weitergekommen. Erfreulicherweise haben die Fraktionen der Linken, der SPD und der Grünen schon geschlossen zugestimmt. Ich kann Ihnen signalisieren: Von der FDP gibt es viele positive Signale. Leider fühlen sich einige Teile der Union dem Ganzen noch nicht so berufen. Sie möchten nicht, dass das Ganze so, wie geplant, umgesetzt wird. Ich darf Sie daran erinnern, dass Ihre eigene Familienministerin, Dr. Ursula von der Leyen, selbst für die Aufnahme der Kinderrechte in das Grundgesetz steht. An dieser Stelle möchte ich Sie noch einmal auffordern, auf die entsprechenden Teile der Union einzuwirken, damit diese Phalanx aufbricht. ({1}) Herr Singhammer, ich spreche Sie persönlich an, weil Sie gefragt haben, was es nützte, wenn die Kinderrechte im Grundgesetz stünden, und darauf verwiesen haben, dass wir dies konkret und praktisch umsetzen müssten. Sie mögen recht haben. Aber es geht uns bei der Forderung „Kinderrechte ins Grundgesetz“ eben nicht nur darum, die Kinder zu schützen, die vernachlässigt und missbraucht worden sind. Uns geht es um viel mehr: um die Stärkung der Kinderrechte, um die Anerkennung von Kindern als Subjekte. Wir betrachten Kinder in Deutschland heutzutage doch nur als Objekte. Manche sprechen vom kinderentwöhnten Land oder vom Abenteuer Kind. Schauen wir uns doch die Debatten an, die wir in unseren Plenen führen. Wer redet denn da mit Kindern? Wir reden über Kinder und über Kinder hinweg. Kinder müssen zu Subjekten werden. Deswegen brauchen wir Kinderrechte explizit im Grundgesetz. Daneben brauchen wir selbstverständlich die konkreten Maßnahmen: die Stärkung der Jugendämter und deren bessere personelle und finanzielle Ausstattung, die Vernetzung mit den Gesundheitsbehörden, mehr Vorsorgeuntersuchungen usw. Was Letzteres angeht, müssen Sie uns ohnehin noch erklären, was genau Sie haben wollen; es ist ein bisschen schwierig, nachzuvollziehen, was Sie konkret fordern. Darüber müssen wir noch diskutieren. Nichtsdestotrotz laufen diese Dinge doch nebenbei. Über dem Ganzen steht das Grundgesetz. Es hat schon immer seine verhaltensnormierende Kraft bewiesen. Das Grundgesetz stellt die letzte Berufungsinstanz und zugleich einen Appell an die Bevölkerung dar. Sie glauben doch nicht, dass Bürgerinnen und Bürger sämtliche Gesetze lesen und verstehen, die wir nach unseren vielen Debatten beschließen. Aber die Bürgerinnen und Bürger verstehen das Grundgesetz und wissen, was in ihm steht. Sie verstehen, dass wir dort den Mutterschutz und die Gleichstellung behinderter Menschen verankert haben, und sie werden dann auch verstehen, dass wir hinter den Kindern in Deutschland stehen. Darin sehen wir weit mehr als nur einen deklaratorischen Akt. Dies ist jetzt auch in Deutschland notwendig. ({2}) Ein sehr kluger Mensch hat irgendwann einmal gesagt, es seien die kleinen Lichter, die die großen anzündeten. Ich wünsche mir, dass es nicht die Große Koalition ist, die die Lichter der Kleinen auspustet. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht die Kollegin Kerstin Griese für die SPDFraktion.

Kerstin Griese (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach § 62 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung habe ich einen Bericht vorgelegt, der zeigt, warum die beiden Anträge, die wir hier behandeln, noch nicht abschließend im federführenden Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend behandelt wurden. Ich sage aber ausdrücklich vorweg: Mit beiden Themen, um die es in diesen Anträgen geht, mit der UN-Kinderrechtskonvention und mit den Kinderrechten, beschäftigen sich der Familienausschuss, unser Unterausschuss, die Kinderkommission, und wir Abgeordnete uns nicht zuletzt auch in Diskussionen mit Verbänden. Das Thema ist nicht etwa unterschlagen worden; wir behandeln es ganz intensiv. Allein, wir konnten innerhalb der Großen Koalition nicht zu einer gemeinsamen Position kommen. Nichtsdestotrotz hat die SPD-Bundestagsfraktion eindeutige Positionen: für die Aufhebung der Vorbehalte zur UNKinderrechtskonvention und für die Aufnahme der KinKerstin Griese derrechte ins Grundgesetz. Wir kämpfen jetzt um parlamentarische Mehrheiten - so geht das in der Demokratie - für diese Positionen, damit sie zur Gesetzespraxis werden können. Deshalb lassen Sie mich zu beiden Themen etwas sagen. Die UN-Kinderrechtskonvention trat 1992 in Deutschland unter einer schwarz-gelben Regierung in Kraft. Das war ein wichtiger Schritt. Die erstmalige verbindliche Festschreibung der Kinderrechte war ein Paradigmenwechsel auf internationaler, aber auch auf nationaler Ebene. Die UN-Kinderrechtskonvention sagt klipp und klar, dass Kinder eigene Rechte haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat 1992 aber unter der damaligen Regierung fünf Vorbehalte gegen diese Konvention geltend gemacht. In den letzten Jahren haben wir es geschafft, fast alle dieser Vorbehalte aufzuheben. Jetzt geht es noch um den Punkt IV, die Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zwischen 16 und 18 Jahren. Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung bereits mehrfach zur Rücknahme der Erklärung aufgefordert. In der letzten Legislaturperiode hat die SPD-Bundestagsfraktion gemeinsam mit unserem damaligen grünen Koalitionspartner einen Antrag zur UN-Kinderrechtskonvention in den Bundestag eingebracht. Seinerzeit haben wir festgestellt, dass die gute kinderpolitische Bilanz der Bundesregierung - auch jetzt haben wir eine sehr gute kinder- und familienpolitische Bilanz - durch die nach wie vor bestehende Vorbehaltserklärung geschmälert wird. In der Abstimmung hat die FDP-Fraktion sowohl im Familienausschuss als auch hier im Plenum des Deutschen Bundestages gegen den Antrag zur Aufhebung der Vorbehaltserklärung gestimmt, und die Unionsfraktion hat sich enthalten. Letzteres lässt meine Hoffnung wachsen, dass wir hier zu einer gemeinsamen Position kommen. Leider galt damals und gilt auch noch heute, dass die Rücknahme der Vorbehaltserklärung an der Mehrheit der CDU-geführten Bundesländer scheitert. Unter Rot-Grün hatten wir keinen Erfolg, als wir die Bundesregierung aufforderten, erneut an die Landesregierungen heranzutreten, um ihre Zustimmung zur Rücknahme der Erklärung zu erwirken. Ich möchte heute ganz deutlich sagen: Wir als SPD unternehmen im Bund und in den Ländern einen neuen Vorstoß. Das Bundesland Rheinland-Pfalz hat eine Abfrage unter den A-Ländern mit dem Ziel eines erneuten Vorstoßes zur Aufhebung der Erklärung gemacht. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat soeben beschlossen, sich gegenüber Bund und Ländern für die Rücknahme der Vorbehalte einzusetzen. Wir sind also an dem Thema dran. Deshalb appelliere ich eindringlich an unseren Koalitionspartner, an die Union: Wirken auch Sie auf die von Ihnen regierten Länder ein! Sorgen Sie dafür, dass eine vollständige Unterstützung der UN-Kinderrechtskonvention nicht mehr an den Ländern scheitert! Setzen Sie sich mit uns dafür ein, dass Deutschland auch im internationalen Zusammenhang uneingeschränkt für eine kinderfreundliche Politik steht! Ich denke, wir können gemeinsam eine sehr gute Bilanz unserer Kinder- und Familienpolitik ziehen. Es wäre aber das i-Tüpfelchen, das Highlight, wenn wir das schaffen würden. Das ergäbe eine noch positivere Bilanz unserer Regierungsarbeit in der Kinder- und Familienpolitik. ({0}) Das zweite Thema betrifft die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz: Kinder haben eigene Rechte. Ich darf auch hier daran erinnern, dass wir 1998 mit der Aufnahme des Rechts auf gewaltfreie Erziehung ins BGB damit begonnen haben, Kindern als Subjekte eigene Rechte zu geben. Wir wollen, dass alle Kinder unter den besten Möglichkeiten aufwachsen. Wir wollen die Rechte von Kindern stärken. Ein Anlass der Debatte waren - es ist schon darauf hingewiesen worden - die wirklich schlimmen Fälle von Kindesmisshandlung und Kindesvernachlässigung. Wir wollen Kinder besser vor Gewalt schützen. Dafür brauchen wir viele verschiedene Ansätze. Die SPD hat im Dezember 2007 einen SiebenPunkte-Aktionsplan vorgelegt. Die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten haben davon sechs Punkte beschlossen - alle außer dem Punkt „Kinderrechte ins Grundgesetz“ -, darunter passgenaue Hilfen für Eltern von Anfang an, starke Netze für Kinder und Eltern, Rechtsanspruch auf Bildung und Betreuung, Stärkung der Jugendämter und der Familiengerichte sowie ein verbindliches Einladewesen für Vorsorgeuntersuchungen. Es war gut, dass wir uns darauf geeinigt haben. Es wäre aber noch besser, wenn wir noch mehr schaffen würden, wenn wir es zum Beispiel schaffen würden, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das ist mehr als ein symbolischer Akt. Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion einen konkreten Vorschlag für eine Ergänzung des Art. 6 im Grundgesetz beschlossen. Ich möchte ganz herzlich dem Kinderschutzbund, dem Kinderhilfswerk und UNICEF danken, die mit einer breiten Initiative dafür geworben haben, dass wir eine Mehrheit für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz finden. ({1}) Viele - von der Bundeskanzlerin über die Bundesfamilienministerin und die Bundesjustizministerin bis hin zu vielen Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen; soviel ich weiß, war mehr als das halbe Kabinett dabei - haben sich für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ausgesprochen. Wir brauchen dafür eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Deshalb noch einmal ein Appell an den Koalitionspartner: Schließen Sie sich diesem Vorschlag für eine gute und sinnvolle Grundgesetzänderung an! ({2}) Tun Sie das im Sinne von mehr Kinderfreundlichkeit und mehr Kinderschutz in unserem Land! Geben Sie sich einen Ruck! Wir haben einen guten Vorschlag für eine solche Änderung, einen verfassungsgemäßen Vorschlag, gemacht. Seine Umsetzung würde unsere kinder16352 und familienpolitische Bilanz, die schon sehr gut ist, noch weiter verbessern. Vielen Dank. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jörn Wunderlich spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die UN-Kinderrechtskonvention - 1992 mit Vorbehalten angenommen. Diese Vorbehalte haben sich durch Bundesgesetzgebung inzwischen zum Teil erledigt, aber eben nur zum Teil. Schlimm genug ist, dass Deutschland Kinderrechte nur für die eigenen Kinder, nicht für alle Kinder anerkennt. Noch schlimmer ist, finde ich, wenn dies über Jahre hinweg nicht geändert wird, obgleich alle so tun, als wenn die Kinder dieser Welt das Wichtigste sind, das wir haben. Die noch verbleibenden Vorbehalte betreffen im Ergebnis das Asyl- und Ausländerrecht. Warum wird das nicht endlich geändert, zumal Ausländer- und Asylrecht trotz Föderalismusreform weiterhin in der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes liegen? Insofern reicht der immer wieder vorgetragene Einwand der sogenannten Lindauer Absprache nicht - dabei handelt es sich um ein über 50 Jahre altes Abkommen, eine Verständigung zwischen Bund und Ländern -; denn hier geht es nicht um eine ausschließliche Zuständigkeit der Länder. Rücknahme dieser Vorbehalte. Am 18. Oktober 2006 sollte das Thema im Familienausschuss beraten werden. Auf Antrag der SPD-Fraktion wurde es vertagt. Am 29. November 2006 sollte darüber erneut im Ausschuss beraten werden. Diesmal wurde es auf Antrag der CDU/ CSU-Fraktion vertagt. Zuletzt wurde es am 5. März 2008, wieder auf Betreiben der CDU/CSU-Fraktion, von der Tagesordnung runtergestimmt. Das geschah jeweils - wechselseitig - mit den Stimmen des Koalitionspartners. Geschäftsordnung des Bundestags. Wenn ein Antrag nach zehn Wochen nicht im Ausschuss behandelt worden ist, kann eine Erklärung eingefordert werden, wie sie heute von der Ausschussvorsitzenden abgegeben worden ist. Dieser Antrag auf Rücknahme der Vorbehalte der UN-Kinderrechtskonvention ist seit 102 Wochen nicht im Ausschuss behandelt worden. ({0}) Ich frage mich: Warum wird das durch die Regierungskoalition immer wieder verschoben? Wenn ich zusammenfasse, dann sehe ich bestätigt, was ich immer schon vermutet habe: Diese Regierungskoalition drückt sich vor einem Bekenntnis zu Ihrer Politik. ({1}) Diese Regierung ist ausländerfeindlich. Das spiegelt sich nicht nur in diesem Verfahren zu den Kinderrechten wider. Nein, es spiegelt sich auch in den Möglichkeiten behördlicher Vaterschaftsanfechtungen bei binationalen Partnerschaften wider. Es spiegelt sich an vielen Stellen wider. Es geht um Kinder, die die einzig Unschuldigen in diesem Land sind. Es geht um Kinder, die sich ihr Geburtsland nicht aussuchen. Es geht um Kinder, die aus Krisen- und Kriegsgebieten hierher zu uns flüchten. Es geht um Kinder, die ihre Familien zurücklassen mussten und um Kinder, die all ihre Hoffnungen in uns legen. ({2}) Diesen Kindern versagt diese Regierung ihre Rechte. Kinderrechte in der Verfassung will sie auch nicht. ({3}) Die Kinderkommission will dies partei- und fraktionsübergreifend schon. Die Koalition versagt sich dem. Wenn die Regierung das schon macht, dann soll sie dies zumindest auch in der Öffentlichkeit sagen, sich dazu bekennen und dies nicht immer mit irgendwelchen Ausflüchten und falschen Darstellungen und Bekundungen wie zum Beispiel mit dem Nationalen Aktionsplan „Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010“ schönreden. Lehnen Sie doch die entsprechenden Anträge ab. Bekennen Sie sich zu Ihrer eigenen Politik, aber stellen Sie sich nicht dauernd als Verfechter der Kinderrechte dar, denn das sind Sie wahrlich nicht. ({4}) Herr Singhammer, wenn Sie einleitend sagen, dass diejenigen, die Kindern Rechte verweigern, nicht bei Sinnen sind, dann bestätigt sich in dieser Selbstanzeige mein Eindruck von Ihrer Fraktion. ({5}) Frau Griese, Sie sagen, die SPD sei für die Aufnahme der Kinderrechte in die Verfassung und suche jetzt parlamentarische Mehrheiten. Hier gilt einfachste Mathematik, gilt die Addition. Dazu muss man noch nicht einmal Prozentrechnung können. Mit der SPD plus der Opposition haben Sie eine parlamentarische Mehrheit. Sie müssen einfach addieren. Danke schön. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Zum Abschluss dieser Debatte spricht die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD-Fraktion.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zurzeit immer das Glück oder das Recht, zuletzt zu reden. Mir kann keiner mehr widersprechen, das ist das Schöne. Ich behalte immer das letzte Wort. Marlene Rupprecht ({0}) ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Darauf kann man antworten.

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das machen wir heute nicht aus. - Ich gehöre diesem Parlament seit 12 Jahren an. Ich bin seit 12 Jahren im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 12 Jahre lang begleite ich die Forderung nach der Rücknahme der Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonvention. In dieser Zeit haben wir vieles geschafft. Bis auf einen Vorbehalt haben wir eigentlich alle in harten und zähen Verhandlungen rechtstatsächlich beseitigt. Mancher Minister musste schon sehr bekniet werden, damit er dies in seinem Haus durchsetzt. Manchmal mussten bürokratische Hürden entfernt werden, aber wir haben es geschafft. Es bleibt eine Gruppe von circa 300 Jugendlichen im Jahr, die im Alter zwischen 16 und 18 Jahren nach Deutschland kommen. Das sind die sogenannten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Diese werden bei uns vom Ausländer- und vom Asylrecht sowie von einigen weiteren Rechten berührt. So mancher glaubt, dass diese Jugendlichen die Demokratie in Deutschland erschüttern, indem sie zum Vorbild werden und alle anderen nachfolgen werden, und verweigert deshalb die Aufgabe des letzten Vorbehalts. Man verkennt, dass „Kinder“ nach der UN-Kinderrechtskonvention Kinder im Alter von 0 bis 18 Jahren sind. Das haben wir unterzeichnet. Nur wir leisten uns ein nationales Recht, in dem wir das nicht einhalten. Ich sage dies an alle. Ich habe schon viele Minister des Inneren kommen und gehen sehen. Die Bereitschaft, daran etwas zu ändern, war nicht sehr groß. Ich habe erlebt, dass Länderinnenminister von A- und B-Ländern, das heißt von mehrheitlich von der SPD bzw. der CDU/ CSU regierten Ländern, mal dafür und mal dagegen waren. Derzeit haben wir die Situation, dass alle SPD-regierten Länder dafür sind. Ich kann die Motivation, die dahinter steht, nicht nachvollziehen, denn die Zahl der minderjährigen Flüchtlinge, die unbegleitet kommen, sinkt. Sie steigt nicht. Aber es ist so wie bei einem Grabenkrieg: Man hockt im Bunker, bleibt drin, selbst wenn man darin verhungern muss. Es ist einem völlig wurscht. In den Staatenberichten der UN, in denen wir normalerweise als Staat beschrieben werden, der mit seiner Kinder- und Jugendpolitik in der ersten Liga spielt, bekommen wir hierfür eins auf die Mütze. Bei der letzten Sitzung der Kinderkommission sagte eine Sachverständige: Hört endlich auf! Alles, was ihr macht, hat keinen Wert, wenn ihr nicht in der Lage seid, 300 Kinder oder sogar weniger in einer Art und Weise zu behandeln, die der entspricht, zu der ihr euch mit eurer Unterschrift verpflichtet habt. - Jetzt frage ich das Hohe Haus: Sind wir wirklich nicht in der Lage, das hinzubekommen? Ich will, dass wir das in dieser Periode hinbekommen. Verdammt noch mal, es muss doch machbar sein, dass wir beim nächsten Staatenbericht der UN nicht wieder die Hucke vollbekommen. Diese Forderung der Grünen kann ich voll unterstützen; ich habe diese auch bisher immer unterstützt. ({0}) Ich sage auch gleich etwas dazu, warum wir im Ausschuss so gehandelt haben, wie wir gehandelt haben. Es wird hier immer alles so verklausuliert dargestellt. Hätten wir im Ausschuss über den Antrag abgestimmt, wäre ich wahrscheinlich die Einzige aus meiner Fraktion gewesen, die zugestimmt hätte. Der Rest hätte sich an die Vereinbarung im Koalitionsvertrag gehalten. Damit die Zuschauer wissen, warum das so ist: Früher hatten wir einen Koalitionsvertrag mit den Grünen, ({1}) jetzt haben wir einen mit der CDU/CSU. Wenn es also im Ausschuss zu einer Abstimmung gekommen wäre, hätten die meisten von uns nicht mitstimmen können, um den Koalitionsvertrag nicht zu gefährden. Sie wären dann genauso wie früher die Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, wenn sie bei der Abstimmung in eine Zwickmühle kamen, herausgegangen. Der Antrag aber wäre abgelehnt worden und wäre jetzt nicht mehr im parlamentarischen Verfahren. Deshalb hat man geschaut, welche Verfahrensmöglichkeiten es gemäß der Geschäftsordnung gibt, um den Antrag im Spiel zu lassen. Der Ball ist noch im Spiel. Das garantiere ich Ihnen. ({2}) Das ist also der Grund, warum wir uns so verhalten haben, und ich bin froh, dass wir heute darüber diskutieren. Im vorliegenden Antrag fordern die Grünen nun, die Kinderrechte in die Verfassung aufzunehmen. Ich höre in Diskussionen immer wieder, so zum Beispiel auch von Herrn Singhammer: Was bringt das denn? - Hat sich schon mal jemand gefragt, was ihm „das Recht auf die freie Entfaltung“ in Art. 2 des Grundgesetzes bringt? ({3}) Kein Mensch hat sich das bisher gefragt. Aber sollte man diese Formulierung deshalb herausstreichen? Nein. Es wurde die Gleichberechtigung von Mann und Frau aufgenommen. Warum wurde sie aufgenommen? Weil man darin ein Spiegelbild für eine gesellschaftlichen Entwicklung sah, hat man sich gesagt: Da die Gleichberechtigung noch nicht überall gewährleistet ist, ist staatliche Unterstützung notwendig. Deswegen wurde dieser Punkt in Art. 3 aufgenommen. ({4}) Ich hoffte eigentlich, dass wir gesellschaftlich endlich bereit wären, die Stellung der Kinder in der Gesellschaft sich in der Verfassung widerspiegeln zu lassen. Eine Verfassung ist nämlich ein Spiegelbild der Werteordnung eines Staates bzw. einer Gesellschaft. Unsere Ver16354 Marlene Rupprecht ({5}) fassung ist von Erwachsenen für Erwachsene gemacht worden. Da kommen deshalb die Kinder, wie es Frau Gruß eben gesagt hat, nur als Objekte vor. Mir wäre es wichtig, dass sich, nachdem wir die Aufmerksamkeit auf die Kinder gelenkt haben - ein Ergebnis ist diese Debatte - und erste positive Niederschläge in Gesetzgebungsverfahren zu verzeichnen sind, die geänderte Haltung auch dort widerspiegelt, wo ein Staat ganz eindeutig seine Werteordnung festlegt, nämlich in der Verfassung. Hier ist natürlich die Frage, was es einem bringt, völlig fehl am Platz. ({6}) Vielmehr ist das der Ausdruck des gesellschaftlichen Willens, wem welche Stellung zukommen soll. Wir wollen, dass den Kindern eine Stellung als eigenständige Wesen mit eigenen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten zukommt. ({7}) Ich hoffe, dass wir alle noch da hinkommen, auch unser Koalitionspartner. Ich mache heute wieder den Aufschlag und rufe Ihnen zu: Geben Sie sich einen Ruck! Überlegen Sie es sich! Sie verlieren nichts, im Gegenteil: Sie bekommen gute Demokraten! Danke schön. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich schließe die Aussprache. Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP Haltung der Bundesregierung zur Tätigkeit deutscher Sicherheitskräfte in Libyen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Max Stadler für die FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP tritt seit langem für eine wirksamere Kontrolle der Nachrichtendienste ein. Wir haben dazu längst einen Gesetzentwurf eingebracht. Jetzt - das ist das erfreuliche Ereignis dieser Woche - beginnt die Koalition, unserer Initiative zuzustimmen; sie hat sie aufgegriffen. Wir werden hier einen Schritt vorankommen. ({0}) Aber wir stehen auch nicht an, nach der Sitzung des Kontrollgremiums am Mittwoch ganz offen zu sagen: In der Libyen-Affäre geht es gar nicht um eine Affäre des Bundesnachrichtendienstes, sondern um erhebliche Versäumnisse der Bundesregierung. ({1}) Die Debatte über die Rolle des Bundesnachrichtendienstes hätte beinahe den Blick auf die Unterlassungen der Bundesregierung verstellt. Deswegen ist es notwendig, heute in der Aktuellen Stunde darauf noch einmal zurückzukommen. Da passt sehr gut, dass der Tagesspiegel heute unter der Überschrift „Brutal, korrupt, chaotisch“ eine Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik über die derzeitige politische Lage in Libyen zitiert. Nach dieser Studie sei Europa in der Sicherheitspolitik gut beraten, „eine gewisse Distanz zu Libyen zu wahren“. Die Studie mahnt Vorsicht bei der „Kooperation mit libyschen Sicherheitsapparaten im Kampf gegen den Terrorismus“ an. Gerade Oppositionelle würden in Libyen weiterhin als Terroristen gebrandmarkt. Das ist der aktuelle Hintergrund. Es liegt doch auf der Hand, dass dann, wenn Deutsche, und sei es eine private deutsche Sicherheitsfirma, an der Ausbildung von Polizisten, womöglich von Geheimpolizisten, in einem solchen Staat beteiligt sind, ein solcher Sachverhalt geeignet ist, unser Ansehen in der Welt zu schädigen. ({2}) Wenn dem so ist, dann darf eine Bundesregierung nicht einfach abtauchen und die Dinge laufen lassen. Nicht ohne Grund hat doch Wolfgang Bosbach, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, gesagt - ich zitiere ihn wörtlich -: Allein bei Erwähnung des Namens Libyen müssen beim BND alle roten Lampen angehen. Ich füge hinzu: nicht nur beim BND, sondern auch beim Bundesinnenministerium, beim Auswärtigen Amt und bei der gesamten Bundesregierung. ({3}) Was haben wir stattdessen in den letzten Tagen erlebt? Diese Bundesregierung erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, als hätte sie von den Vorgängen in Libyen überhaupt nichts gewusst. Dieses Wegducken ist nicht weiter zulässig. Denn es ist nachweislich falsch, dass die Bundesregierung hier unwissend gewesen wäre. Leider kommt die Wahrheit nur scheibchenweise ans Tageslicht. Das Bundesinnenministerium hat selber vorgetragen, im November 2007 informiert worden zu sein, und zwar von der Landesregierung Nordrhein-Westfalens. Das Bundesverteidigungsministerium hat vorgetragen, im Jahr 2006 informiert gewesen zu sein. Wir wissen, dass das Auswärtige Amt weitaus früher informiert war; im Dezember 2005 hat das Auswärtige Amt ja zu einer Munitionslieferung nach Libyen Stellung genommen und richtigerweise seine Meinung kundgetan, diese sei zu untersagen. Dann kann man aber doch allenfalls sagen, man habe vielleicht über Details nicht Bescheid gewusst. Auf jeden Fall wusste man: Eine deutsche Sicherheitsfirma ist in einem hochsensiblen Bereich in einem hochproblematischen Land tätig. Deswegen ist die FDP der Meinung, dass die Bundesregierung mindestens einen Rechtsverstoß und drei VerDr. Max Stadler stöße gegen ihre politischen Obliegenheiten begangen hat. ({4}) Den Rechtsverstoß hat die Bundesregierung begangen, indem sie dem Parlamentarischen Kontrollgremium nicht darüber berichtet hat. Außerdem hat sie drei politische Unterlassungen begangen: Erstens. Sie hat nicht die Landesregierungen der betroffenen Bundesländer informiert, die ja beamtenrechtlich hätten einschreiten können. Zweitens. Die Bundesregierung hat nicht den Bundestag über den Sachverhalt in Libyen informiert, wodurch sie eine Debatte darüber hätte herbeiführen können, ob man aus außenpolitischen Gründen sozusagen einen Wandel durch Annäherung anstreben sollte oder ob es die richtige Politik wäre, die Distanz zu Libyen gerade in diesem sensiblen Sicherheitsbereich als Letztes aufzugeben und den Wandel vielleicht erst in anderen Bereichen zu fördern. ({5}) Drittens. Die Bundesregierung sagt, sie habe keine rechtliche Handhabe gehabt, einzuschreiten. Dann hätte sie aber dem Bundestag diesen Sachverhalt „Libyen“ vortragen und eine Debatte etwa über eine Ausweitung des Außenwirtschaftsgesetzes herbeiführen können, vielleicht mit Anzeigepflichten beim Export von problematischen Dienstleistungen in problematische Länder. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU hat 2004 einen sehr schönen Antrag zu diesem Thema gestellt. Warum nehmen Sie diesen Antrag jetzt, wo Sie in der Regierung sind, nicht zum Maßstab Ihres Handelns? ({6}) Es bleibt dabei: Die Affäre Libyen reicht weit über den Bundesnachrichtendienst hinaus.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Stadler, achten Sie bitte auf Ihre Redezeit?

Dr. Max Stadler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002805, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Die Affäre ist ein Beleg für Defizite der Bundesregierung im Umgang mit problematischen Staaten und für Unterlassungen im Umgang mit diesem Parlament. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Holger Haibach das Wort. ({0})

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Angesichts der Versuche der Opposition, einen großen Skandal zu konstruieren, muss ich sagen, dass dies völlig an den Tatsachen vorbeigeht, denen wir uns heute stellen müssen. ({0}) Diese Aktuelle Stunde ist wenigstens dazu geeignet, klarzumachen, worum es eigentlich geht. In den letzten Tagen ist mehrfach von der Verantwortung der Geheimdienste, der Bundesregierung und der Landesregierungen gesprochen worden, ohne dass jemand einmal den Versuch gemacht hat, ganz genau darzulegen, was eigentlich passiert ist. Aktive Mitglieder von Sicherheitsdiensten haben während ihres Urlaubs oder während der Zeit, in der sie krankgeschrieben waren, in Libyen ganz offensichtlich Sicherheitskräfte trainiert, ohne dass sie das ihrem Arbeitgeber mitgeteilt haben. Dieses Verhalten kann nicht angehen; es muss verfolgt werden und muss dienstrechtliche Konsequenzen haben. Das ist unbestreitbar richtig. Getrennt davon muss die Frage behandelt werden, wer davon etwas gewusst hat und ob das Parlament die notwendige Kontrolle über die Handlungen unserer Geheimdienste hat. Darüber hinaus stellt sich die Frage, welche Mittel wir anwenden können, um zu einer besseren Kontrolle zu kommen. Dass die CDU/CSU-Fraktion Handlungsbedarf sieht, erkennt man an der Tatsache, dass wir entsprechende Maßnahmen zur Stärkung des Parlamentarischen Kontrollgremiums vorschlagen. ({1}) Wir sehen also die Notwendigkeit, die Kontrolle zu verbessern. Das heißt aber nicht automatisch, dass wir es mit einem handfesten Skandal zu tun haben. Trotzdem ist eine Aufklärung notwendig. Aber dies sollten wir auf der Basis gesicherter Daten und nicht auf der Basis irgendwelcher Vermutungen tun. ({2}) Wir haben im Jahr 2004 - der Kollege Stadler hat schon darauf hingewiesen - einen Antrag zum Thema Registrierung und Behandlung von nichtstaatlichen Sicherheitsunternehmen eingebracht. Ich finde es sehr bedauerlich, dass die damalige rot-grüne Mehrheit - das will ich erwähnen, weil sich Kollege Ströbele in dieser Debatte so ereifert - dies abgelehnt hat. ({3}) Ganz interessant ist auch die Antwort der damaligen rot-grünen Bundesregierung auf eine Anfrage der FDPFraktion zu diesem Thema. Da heißt es, dass die Registrierung einen erheblichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit bedeuten würde, ohne dass die Aussicht besteht, dadurch ungewollte Aktivitäten privater Sicherheitsunternehmen in Drittstaaten zu erschweren oder zu unterbinden. Das ist schon interessant: Die FDP, die Partei der freien und sozialen Marktwirtschaft, fordert eine Registrierung, und Rot-Grün hat sie abgelehnt. Das ist ein interessanter Nebenaspekt in dieser Angelegenheit. Ich komme zum Kern der heutigen Debatte zurück. Neben der Beantwortung der Frage, wer etwas gewusst haben könnte, ({4}) und neben der Notwendigkeit, all diese Dinge aufzuklären, sollten wir darüber diskutieren, welchen Umgang wir mit einem Staat wie Libyen pflegen wollen. Diese Frage hängt aber nicht an diesem speziellen Fall, in dem es um die Aufklärung von Sachverhalten geht, die nicht im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen stehen. Für einen Außenpolitiker stellt sich die weit darüber hinausreichende Frage, wie man mit einem Staat umgehen soll, der sich seit 2004 verändert hat. Wenn man sich die Berichte der Menschenrechtsorganisationen anschaut, dann muss man allerdings schlussfolgern, dass die Veränderungen, die 2004 - aus welchen Gründen auch immer - begonnen haben, bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten sind, wie wir uns das wünschen. Als Menschenrechtspolitiker bin ich der Letzte, der das bestreiten würde. ({5}) Wenn wir aber sagen, dass wir auf eine - wie auch immer geartete - Zusammenarbeit mit einem solchen Staat angewiesen sind, lautet doch die spannende Frage: Wie können wir diese Zusammenarbeit vernünftig gestalten? ({6}) Für uns stellt sich hier nicht in erster Linie die Frage nach dem Einsatz privater Sicherheitsunternehmen. Wir stehen vielmehr vor derselben Frage, vor der wir zum Beispiel standen, als die sogenannten Kofferbomber entdeckt worden sind. Sie wissen doch ganz genau, dass die Information damals vom syrischen Geheimdienst kam. Was hätten wir damals denn machen sollen? Die Information nicht verwenden? Vor dieser Frage, vor diesem Dilemma werden wir immer wieder stehen. ({7}) Deswegen warne ich vor Vorurteilen und vorschnellen Verurteilungen. Ich glaube, wir haben die Verpflichtung, den Sachverhalt aufzuklären. Das sollten wir in aller Ruhe und in aller Sachlichkeit tun. Wir sollten nicht einen Skandal herbeireden, der keiner ist, sondern uns in Ruhe über die Konsequenzen für die Zukunft unterhalten. Herzlichen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Nešković für die Fraktion Die Linke. ({0})

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, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von einem Fraktionsmitglied der Linken erwarten Sie jetzt sicher, dass es in Sachen Libyen die moralische Keule auspackt, und vor allem, dass es beklagt, dass die Bundesrepublik einerseits weltweit und entschieden für die Wahrung der Menschenrechte eintritt, andererseits aber einen Staat, der diese Menschenrechte geradezu mit Füßen tritt, durch die Ausbildung seines Sicherheitspersonals genau dabei unterstützt. Heute muss ich Ihre Erwartungen aber enttäuschen; denn heute will ich das tun, was Kollegen aus anderen Fraktionen schon das eine oder andere Mal getan haben - größtenteils leider in einem anderen Kontext -: schärfere Kontrollen und härtere Gesetze fordern. Der deutsche Staat vermittelt seinen Polizisten und Soldaten auch das Handwerk des Tötens. Das ist nur gerechtfertigt, weil sie damit unseren Staat und seine Bürger schützen sollen. Deswegen dürfen die so erworbenen Fähigkeiten auch nur zu diesem Zweck eingesetzt werden. ({0}) Wer dafür ausgebildet wird, den Bundespräsidenten zu schützen, darf nicht später einen Diktator oder Mafiaboss schützen. ({1}) Ein solcher Arbeitgeberwechsel muss verhindert werden, nicht nur aus moralischen Gründen, sondern auch, um unsere eigene Sicherheit nicht zu gefährden. Wer sagt uns denn, dass zum Beispiel ein Staat wie Libyen die von deutschen Sicherheitsexperten erworbenen Fähigkeiten nicht eines Tages gegen uns verwendet? Ich darf an den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ erinnern, der, wie sich später herausstellte, von der libyschen Regierung in Auftrag gegeben wurde. Damals waren zuvor deutsche Staatsdiener aus der DDR und der Bundesrepublik ans Mittelmeer gereist, um Gaddafis Truppe zu schulen. Unsere Sicherheit ist auch dadurch gefährdet, dass ein gewaltiger Markt für solche Sicherheitsdienstleistungen besteht. Auf diesem Markt stehen deutsche Ausbilder wegen ihrer Qualitäten weltweit hoch im Kurs. Das ist ein Ruf, der eher Anlass zur Sorge als zum Stolz bietet, und zwar zum einen, weil Libyen nicht das einzige Land war, an das deutsches Sicherheits-Know-how verscherbelt wurde, zum anderen, weil das Verscherbeln nicht mehr nur im Nebenerwerb erfolgt, sondern Soldaten und Polizisten sich dazu verleiten lassen, den Dienst beim Staat vorzeitig zu quittieren. Mit den schwindelerregenden Honoraren der Privatwirtschaft kann der Staat natürlich nicht mithalten. Und so verliert er die, die geschworen haben, ihn zu schützen. Durch diesen schleichenden Export wird die Sicherheit unseres Landes verkauft. Zu diesem gefährlichen Prozess hat meine Fraktion der Bundesregierung bereits Anfang 2006 die richtigen Fragen gestellt. Wir wollten wissen, wie verhindert werden kann, dass staatliches Sicherheitswissen in die falschen Hände gelangt. Wir wollten wissen, wie verhindert werden kann, dass sich Berufssoldaten an diesem Wissenstransfer beteiligen. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer heißt ein Bild von Francisco de Goya, das nicht zuletzt so bekannt geworden ist, weil es genau die Mechanismen beschreibt, um die es hier geht. Es ist ein Bild, das zu dem auffordert, was wir - leider vergeblich - vor zwei Jahren versucht haben: die Bundesregierung wachzurütteln. Denn während sie in aller Seelenruhe an Antworten auf unsere Fragen bastelte, gingen die Schulungen in Libyen ohne störende Einmischung der Regierung über die Bühne. ({2}) Die Bundesregierung teilte uns mit, dass man die vorhandenen Gesetze für den Umgang mit privaten Militärdienstleistern für ausreichend halte. Sie teilte uns weiter mit, dass bereits die Verschwiegenheitspflicht Soldaten daran hindere, das von ihrem Dienstherrn vermittelte Wissen in fremde Hände weiterzugeben. Die Frage, ob die Bundesregierung diesen Wissenstransfer aktiv förderte, etwa um sich für die Kooperation Libyens in der Flüchtlingspolitik, das Freikaufen der Jolo-Geiseln und den offenen Empfang deutscher Wirtschaftsdelegationen erkenntlich zu zeigen, ist in diesem Zusammenhang nicht die wichtigste. Denn ihre Beantwortung hilft uns bei der Lösung der erwähnten Probleme nicht weiter. Etwas weiter hilft uns - das muss ich einräumen - die Ankündigung der Regierung, nun tatsächlich zu prüfen, welche Gesetzesänderungen notwendig sind, um den Ausverkauf von staatlichem Sicherheits-Know-how zu verhindern. Wir mit unserem Denkvorsprung von zwei Jahren stehen gerne für ein paar Nachhilfestunden zur Verfügung, in denen es zum Beispiel darum gehen würde, die Strafandrohung für den Transfer von materiellen Rüstungsgütern in kritische Staaten auf den Transfer von immateriellen Rüstungsgütern auszudehnen, also auf die Vermittlung von Handwerkstechniken und Methoden. In diesen Nachhilfestunden würde es auch darum gehen, die dienstrechtlichen Vorschriften für Soldaten und Polizisten so zu konkretisieren, dass sie weder im Urlaub noch nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ihre erworbenen Kenntnisse ungestraft privatisieren und kapitalisieren können. ({3}) Wir sind bereit - man könnte als Linke sogar sagen: allzeit bereit -, den Grundstein für den Bau eines so gearteten neuen Sicherheitsstaates zu legen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Nešković, das müssen wir jetzt verschieben. ({0})

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, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich bin am Ende meiner Rede. - Lassen Sie die Vernunft im Schlaf nicht länger Ungeheuer gebären, sondern ringen Sie sich dazu durch, endlich aufzuwachen. Vielen Dank. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Michael Hartmann das Wort.

Michael Hartmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003549, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Nešković, Sie haben einige Male über die Vernunft im Staate gesprochen. Wissen Sie - ich wende mich nun auch an den Juristen Nešković -, zur Vernunft im Staate gehört auch, dass man nicht Skandal und Affäre schreit und nicht sofort einen Untersuchungsausschuss fordert, bevor man sich um eine Klärung der Fakten bemüht hat. ({0}) Lassen Sie die Kirche im Dorf, und klären Sie im Interesse unseres Staatswohls die Fakten, bevor Sie schreien. ({1}) Meine zweite Bemerkung. Nachdem heute mit dieser Debatte wieder einmal eine Woche der nationalen Empörung zu Ende geht, ({2}) nehme ich sehr gerne auf, Herr Nešković, was hier über den Umgang mit Diktaturen gesagt wurde. Wenn Sie, Herr Nešković, Nachhilfe erteilen wollen, wären wir bereit, auch Ihnen und Ihrer Fraktion Nachhilfe im Umgang mit der Diktatur in Kuba zu erteilen. ({3}) Wenn wir hier über private Sicherheitskräfte reden, dann sprechen wir über eine Firma, die auf eigene Rechnung und mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften - die Firma ist übrigens mittlerweile pleite -, agiert hat, und zwar in einer Art und Weise, die seitens der Bundesrepublik Deutschland weder gefördert noch geduldet noch gewünscht wurde. ({4}) Das sollten Sie einmal offen aussprechen und nicht einen Verdacht im Raum stehen lassen. Im Übrigen waren keine Dienststellen des Bundes daran beteiligt; die Polizeibeamten, um die es geht, waren nicht mehr im Dienste der Bundesrepublik Deutschland. Auch daran darf man heute erinnern. Das heißt, es wurde weder geduldet noch gefördert noch gar von der Bundesrepublik Deutschland verursacht. Wir haben schon einiges über die Zusammenarbeit mit Libyen gehört. Libyen ist in der Tat, wie viele andere Staaten auch, zum Beispiel Kuba - ich könnte noch weiWolfgang NeškoviæWolfgang Nešković Michael Hartmann ({5}) tere nennen -, ein heikler Staat. Allerdings wurde dieser Staat im Jahre 2005 durch einstimmigen Beschluss der Vereinten Nationen von der Liste der sogenannten Schurkenstaaten gestrichen. Damit wir uns nicht missverstehen: Niemand fühlt sich besonders wohl, wenn er Kontakt zu diesem Staat pflegt. Aber alle Mitglieder dieses Hauses, die seriös über dieses Thema diskutieren, wissen: Es ist notwendig - Herr Staatssekretär Altmaier, auch ich halte das für richtig -, dass wir auch mit diesem Staat Kontakt pflegen. Warum? Weil es im Interesse unserer nationalen inneren Sicherheit ist, dass wir auch mit einem Staat wie diesem behutsam, zurückhaltend, sensibel und vorsichtig agierend umgehen. Wenn Sie sich die bekannten Berichte anschauen, dann stellen Sie beispielsweise fest, dass al-Qaida mittlerweile zu gut einem Drittel einer libyschen Fraktion entspricht. Wenn Sie sich die offen zugänglichen Informationen genau anschauen, dann stellen Sie außerdem fest, dass Libyer im Netzwerk der al-Qaida leider eine große und bedeutende Rolle spielen. Wir brauchen also das dortige Wissen. Wir müssen damit allerdings so umgehen - das werden wir auch tun, und das tun wir bereits -, dass unsere rechtsstaatlichen Grundsätze gewahrt bleiben. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns, anstatt Scheindebatten zu führen und Scheinskandalisierungen vorzunehmen, doch lieber einmal über die spannende Frage sprechen: Wie geht man eigentlich mit der Privatisierung der Sicherheit, die weltweit stattfindet, um? ({6}) Das ist ein heikles Thema. Wir Sozialdemokraten sagen ganz klar: Es ist eine der Kerngarantien des Staates - dafür gibt es überhaupt Staaten -, dass die innere Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet wird. In einer zusammenwachsenden Welt muss man diese Situation natürlich im internationalen Zusammenhang betrachten. Ich möchte sehr gerne in einem konstruktiven Dialog mit Ihnen darüber reden, wie man verhindern kann, dass private Anbieter, die kommerzielle Interessen haben, das von ihren Mitarbeitern im Staatsdienst erworbene Wissen verwenden. Das ist eine spannende Frage. Dieses Problem können wir nicht national und nicht allein lösen, ({7}) sondern nur in einem internationalen Verbund. An den Stellen, an denen wir auf nationaler Ebene aktiv werden können - Herr Ströbele, ich greife Ihren Zwischenruf gerne auf -, sollten wir dies allerdings tun. Eine Auffassung scheint dieses Haus zu einen: dass die Gewährleistung der inneren Sicherheit, der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger eine Aufgabe des Staates ist. Der Staat ist wichtig und darf deshalb nie wirtschaftlichen Interessen geopfert werden. Da wir uns in diesem Punkt einig sind, freue ich mich auf die Debatte und darauf, dass Ratio bald wieder Emotio ersetzt. Vielen Dank. ({8})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt nach wie vor eine Libyen-Affäre, ({0}) auch wenn das manch einer infrage gestellt hat. Diese Affäre war es wert, dass wir uns in der letzten Woche damit beschäftigt haben. Sie ist es auch wert, dass wir uns in dieser Woche und in den kommenden Wochen damit befassen. ({1}) Die Justiz in Nordrhein-Westfalen hat sich sogar vorgenommen, in diesem Fall einige Jahre zu ermitteln; das hat sie zumindest verlautbaren lassen. Dort sind 30 Beamte der Polizei - heute heißt es sogar, dass es 40 Beamte waren - in ihrem Urlaub ({2}) einer etwas eigenartigen Beschäftigung nachgegangen. ({3}) Sie haben in Libyen Sicherheitskräfte ausgebildet und geschult, und das für sehr viel Geld. ({4}) Das darf nicht sein. Das ist nicht nur eine Affäre, sondern auch ein Skandal. ({5}) Der schlimmere Skandal ist aber, dass die Verantwortlichen im Bundesnachrichtendienst und in der Bundesregierung, als sie davon erfahren haben - davon ist nicht etwa nur ein einziges Mitglied der Bundesregierung, sondern sind ein halbes Dutzend Ministerien unterrichtet worden -, offenbar nur mit großen Augen und offenem Mund dastanden ({6}) und sagten: Was sollen wir denn da machen? Das ist doch eine Privatfirma. Die Beamten haben das doch in ihrer Freizeit gemacht. Dürfen sie denn in ihrer Freizeit nicht machen, was sie wollen? - So wurde das bisher behandelt. Das haben wir gerade wieder gehört. Ich frage mich, wie das sein kann: Wenn eine Privatfirma 50 Pistolen nach Libyen bzw. in Staaten, in denen die Menschenrechte nicht gewahrt werden, liefern will, dann braucht sie dafür nach bundesdeutschem Recht eine Genehmigung. Wenn sie diese Genehmigung nicht hat und die Waffen trotzdem liefert, erhält sie Besuch vom Staatsanwalt und bekommt ein Strafverfahren an den Hals. Am Ende muss sie eine hohe Geldstrafe zahlen, oder jemand kommt dafür ins Gefängnis. Wenn aber dieselbe Privatfirma in Deutschland Polizei- oder Sicherheitsbeamte, die über ein großes Know-how in Bezug auf die Sicherheit unseres Landes verfügen, anwirbt, um sie in ihrer Freizeit oder nach ihrer Entlassung aus dem Dienst in Staaten zu schicken, in denen die Menschenrechte nicht gewahrt, sondern mit Füßen getreten werden, bei denen sogar der Verdacht besteht, dass sie terroristische Aktivitäten unterstützen, und dort die Polizei und andere Sicherheitsorgane auszubilden, und zwar auch auf die Gefahr hin, dass diese von Deutschen erlernten Fähigkeiten genutzt werden, um etwa Hausdurchsuchungen oder das Stürmen von Flugzeugen besonders wirkungsvoll durchzuführen, dann bleibt das folgenlos. Das ist ein Skandal. Da müssten BND und Bundesregierung aufschreien und sagen: Wenn wir keine Gesetze haben, die hier zum Tragen kommen, dann müssen sie sofort geschaffen werden. ({7}) Im Außenwirtschaftsgesetz gibt es in Ansätze - Herr Kollege Nešković, Sie haben bereits darauf hingewiesen -, wonach das möglicherweise schon heute zu unterbinden wäre. Man muss sich das einmal genau anschauen und überlegen, was da nachzubessern ist. Ich erwarte von der Bundesregierung und der Koalition - daran beteiligen wir uns gerne -, dass sie in der Weise tätig werden, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommen kann. Auch Privatfirmen müssen um Genehmigungen nachsuchen, die aber für Fälle wie Libyen, Syrien oder ähnliche Staaten nicht erteilt werden dürfen. Diese Regelung muss strafbewehrt sein, damit sich die Menschen auch daran halten. Wir haben bereits die entsprechenden Institutionen, wenn es um Waffen oder Material, das zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen kann, geht. Hier könnten wir also etwas tun. Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen - ich muss mich gleich verabschieden -, ({8}) der auf den ersten Blick nicht zum Thema zu gehören scheint; dennoch gehört er dazu. Heute vor 40 Jahren ist hier in Berlin am Kurfürstendamm Rudi Dutschke mit drei Schüssen in den Kopf niedergestreckt worden. Ich nehme dieses Ereignis zum Anlass - ich eile gleich an den Kurfürstendamm, um dort zu reden und dieses Attentats zu gedenken -, zu sagen: Wir müssen uns dafür engagieren, dass auch von Privatfirmen keine politisch begründete Gewalt gefördert wird. Solche Gewalt darf von privaten deutschen Firmen weder von Berlin aus noch sonst wo auf der Welt ausgehen, schon gar nicht in Libyen. Diese Lehre ziehe ich aus dem 11. April 1968. Danke sehr und auf Wiedersehen. ({9})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Eduard Lintner das Wort.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag ja gesetzlichen Handlungsbedarf geben, was die Tätigkeit von privaten Sicherheitsfirmen angeht. Aber der Anlass für diese Aktuelle Stunde hat nicht die politische Bedeutung, die Sie ihr jetzt zumessen wollen. Sie blähen eine Geschichte auf, die das nicht verdient hat. ({0}) Sie haben aber eigentlich von Anfang an alles gewusst: Schon nach den ersten Meldungen und Hinweisen auf die Ausbildungstätigkeit deutscher Polizeibeamter in Libyen haben Sie den großen Skandal gewittert. Man zog auch gleich die ganz große Keule aus dem Sack: Ein Untersuchungsausschuss sollte her. ({1}) Da schimmert eine gewisse Freude am Skandal durch. Meiner Meinung nach sind wir da auf der falschen Veranstaltung. Wenn man ein passendes Sprachbild bemühen wollte, müsste man davon sprechen, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird bzw. dass hier aus der Mücke ein Elefant gemacht wird. Trotz der neuerlichen Aufwallungen muss man sagen, Herr Kollege Stadler: Die Gemüter haben sich mittlerweile etwas beruhigt. ({2}) Die aufgeregten Angriffe, die weit hergeholt und keineswegs überzeugend sind, wirken künstlich. Von den Verdächtigungen, die gestreut worden sind, ist fast nichts geblieben. ({3}) Weder war es der deutschen Firma verboten, ihre Dienste in Libyen anzubieten - ob das so bleiben kann, ist eine andere Frage -, ({4}) noch kann von heimlich oder konspirativ gesprochen werden; denn die Botschaft und der BND wussten davon, auch wenn sie sich für die Details offensichtlich nicht interessiert haben. Herr Ströbele hat sich hier echauffiert. Deshalb will ich daran erinnern: Außenminister war zum betreffenden Zeitpunkt Herr Fischer. Sollte die Botschaft also tatsächlich dem Auswärtigen Amt Bericht erstattet haben, müssten Sie einmal bei ihm anrufen und ihn fragen, was er veranlasst hat, nachdem die Zentrale in Kenntnis gesetzt worden war. Wir jedenfalls sind da völlig außen vor. Was bleibt, sind Verstöße von Beamten gegen - wenn man es genau nimmt - nachrangige, auf jeden Fall nicht strafrechtlich relevante Vorschriften des Dienstrechts, geregelt in der - der Name zeigt schon, welche Bedeutung dem beizumessen ist - Nebentätigkeitsverordnung. Nimmt man einen Bericht der Wochenzeitung Die Zeit für bare Münze, hat es fast ein halbes Dutzend Mittagessen gegeben, bei denen Botschaftsangehörige und Polizeibeamte an einem Tisch gesessen haben. Im Klartext heißt das: Die Beamten haben aus ihrer Tätigkeit kein Geheimnis gemacht. Es ist anzunehmen, dass man sich darüber unterhalten hat, warum sich die Beamten zu diesem Zeitpunkt in Libyen aufgehalten haben. Mein Kollege Hans-Peter Uhl hat, wie ich finde, zutreffend angemerkt: Es gibt keine Libyen-Affäre. Es gibt keinen Skandal. Die Luft ist raus. ({5}) Diejenigen, die regelmäßig mit solchen Sachverhalten zu tun haben, weil sie die Tätigkeit der Geheimdienste kontrollieren, müssen nun entscheiden, ob es notwendig ist, die Vorschriften für die Arbeit des PKGr zu verändern oder zu ergänzen, um zeitnähere und präzisere Informationen zu erhalten. Bei dieser Überlegung, die die Regierung offenbar teilt, handelt es sich offenbar um das Ergebnis jahrelanger Erfahrungen - es sind sogar alte Gesetzentwürfe dazu vorhanden -, unabhängig von dem Fall, der Gegenstand der heutigen Aktuellen Stunde ist. Auch Überlegungen, das Außenwirtschaftsgesetz zu ergänzen, sind legitim und angebracht; aber das kann man ohne Aufgeregtheit tun. Es ist Zeit, zur friedlichen Sacharbeit zurückzukehren, das Signal „Die Jagd ist aus“ zu blasen und den Frust nicht auf den Schultern der betroffenen Beamten abzuladen. Die Beamten haben aus ihrer Tätigkeit kein Geheimnis gemacht. Ihnen kann allenfalls das dienstrechtliche Versäumnis zur Last gelegt werden, nicht um eine Genehmigung ihrer Nebentätigkeit nachgesucht zu haben. Herr Ströbele sollte das bedenken. Lassen wir also bitte Dampf aus dem Kessel ab, und lassen wir nicht die Beamten ausbaden, wofür die Politik geradestehen muss! Vielen Dank. ({6})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Hellmut Königshaus für die FDP-Fraktion. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat so, dass die Politik hierfür geradezustehen hat. ({0}) Was wir heute von der Koalition gehört haben, erinnert an einen schlechten Film. Wahrscheinlich hat die Kanzlerin deshalb ihren Kulturstaatsminister geschickt; er ist ja auch Filmbeauftragter. ({1}) Aber auch er ist inzwischen gegangen. Offensichtlich hat ihm dieser Film nicht gefallen. Leider ist das Kanzleramt hier nicht vertreten. Immerhin werden Vertreter des BMI und des Auswärtigen Amtes sprechen. Das spricht für die Beteiligten. Es ist der alte Film, den wir schon mehrfach gesehen haben und durch den die Taktik der Regierung hier noch einmal deutlich wird: Skandale werden grundsätzlich nicht aufgearbeitet, nicht zur Kenntnis genommen und auch nicht als Chance betrachtet, Missstände aufzuarbeiten; sie werden ausgesessen - man versucht es wenigstens -, oder man bestreitet einfach die Fakten. Das haben wir in anderen Zusammenhängen von der Bundesregierung und der Koalition schon oft gehört: nichts dran, nur heiße Luft, alles aufgeklärt. - Das ist das Leitmotiv dieses Films. Déjà vu! So war es übrigens auch in der VisaAffäre, bis der Außenminister schließlich selbst eingeräumt hat, dass er schwerwiegende Fehler gemacht hat. So war es auch in der BND-Affäre, die wir gerade aufarbeiten, bei der zunächst behauptet wurde, dass in dem Bericht vom Dezember 2005 alles stehe und dass es nichts Neues mehr gebe. Innerhalb von zwei Jahren hat nun ein anderer Untersuchungsausschuss - nicht zuletzt dank der freundlichen Hilfe des Kollegen Hartmann eine ganze Reihe neuer Verfehlungen und Versäumnisse der Regierung und nachgeordneter Behörden aufgeklärt. ({2}) So ist es auch hier wieder. Es wird gesagt, der Bundesnachrichtendienst selbst habe nichts veranlasst und die Bundesregierung habe von nichts etwas gewusst, deshalb sei alles in Ordnung. Kollege Haibach und andere sagen, der Skandal sei konstruiert. Auch der Kollege Uhl wurde zitiert, ({3}) der sich zu diesem Thema sehr zurückhaltend geäußert habe. Ich hatte schon mehrfach den Verdacht - auch schon im Zusammenhang mit der ersten BND-Affäre -, dass er den „Scholzomaten“ aufgefressen hat, weil er heute ein bisschen anders klingt. ({4}) Wo leben wir eigentlich, dass uns die Zusammenhänge so dargestellt werden? Wurden dem Auswärtigen Amt - wir werden von Herrn Erler nachher noch ein bisschen dazu hören - keine Erkenntnisse von der Botschaft mitgeteilt? ({5}) Was ist denn die Aufgabe der Botschaft dort gewesen? Hat sie es für normal gehalten, dass dort eine solche Firma und erkennbar auch deutsche Beamte tätig wurden? War es nicht Aufgabe des BND, der Bundesregierung und den zuständigen Behörden die Informationen zu geben, die ihm vorlagen? Die empörenswerten Dienstpflichtverletzungen deutscher Beamter, von denen die Rede ist und die hier kleingeredet wurden, waren bekannt, nur dem jeweiligen Dienstherren nicht. Das ist doch der eigentliche Skandal, das eigentliche Problem. ({6}) Die Vorgänge reichen bis hin zum Betrug. Wenn sich Menschen krankmelden und in Libyen für solche Tätigkeiten zur Verfügung stehen, dann ist es ein Skandal, wenn die Informationen darüber nicht weitergegeben werden und dies nicht abgestellt wird. Darum geht es. Der frühere Bundeskanzler Schröder empört sich völlig zu Recht dagegen - wenn es denn stimmt -, dass er im Zusammenhang mit diesem Vorgang verdächtigt wird, davon gewusst zu haben. Was hat der BND eigentlich für ein Selbstverständnis - damit wir das auch heute wieder nicht erfahren, ist das Kanzleramt hier nicht vertreten -, wenn wir nicht sicherstellen können, dass die Bundesregierung von solchen Vorgängen erfährt? Wie haben die politisch Verantwortlichen es eigentlich eingeordnet, wenn in einem Staat, der damals noch auf der Terrorliste stand - das hat sich erst später geändert, Kollege Hartmann -, auf einmal Deutsche auftauchen und sich ganz offenkundig an der Ausbildung beteiligen? Warum wurde das nicht zur Kenntnis genommen und als ein gravierender Vorgang gehalten? ({7}) Es ist doch ganz offenkundig, dass es in der Bundesregierung damals - möglicherweise auch heute - zuging wie bei Hempels unterm Sofa. Wie wir heute wissen, hat das Bundesverteidigungsministerium alle Erkenntnisse an die zuständigen Behörden weitergegeben: ans Bundesinnenministerium, ans Auswärtige Amt, ans BKA, an den BND und an das BfV. ({8}) Aber es wurde nichts veranlasst. Das konnten inzwischen völlig unbestritten und undementiert auch die Aachener Nachrichten berichten. Sie sagen, das sei normal. Sie halten es für aufgeblasen, wenn wir dieses Thema kritisch aufarbeiten. ({9}) Der nordrhein-westfälische Landtag ist an diesem Thema besonders interessiert, weil einige der Beamten dort zu Hause sind. ({10}) - Ja, wer war denn damals Innenminister, verehrter Kollege? Das war unter Steinbrück noch ein SPD-Innenminister. Danke, dass Sie daran erinnern. Ich hätte es Ihnen erspart. ({11}) Unser Kollege Horst Engel hat im Landtag die Verantwortung auch für die Dienstvergehen der beteiligten Landesbeamten dem Bundeskanzleramt zugewiesen. Er hat völlig zu Recht festgestellt, dass die Spur ins Kanzleramt führt. ({12}) Deshalb müssen wir uns hier mit dieser Frage befassen, auch wenn es sich um Landesbedienstete handelt. Das Kanzleramt hat versagt. Deswegen müssen wir uns näher mit diesem Fall befassen. Wenn die Bundesregierung nicht von sich aus dazu bereit ist - wie wir es in anderen Fällen erlebt haben -, für weitere Klarheit zu sorgen, dann müssen wir uns vorbehalten, dass das Parlament von den Instrumenten Gebrauch macht, die die Geschäftsordnung und unsere Rechte vorsehen. ({13}) Danke schön. ({14})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Bundesregierung hat nun der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Dr. Gernot Erler, das Wort.

Not found (Gast)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich einleitend gleich zum Hauptgegenstand dieser Aktuellen Stunde kommen und Folgendes klarstellen: Das Auswärtige Amt bzw. die Botschaft Tripolis hat die Arbeit der Firma BDB in Libyen in keiner Weise unterstützt oder gar gefördert. Als Mitarbeiter der Botschaft im November 2005 zufällig von der Tätigkeit der Firma erfuhren, wurde sichergestellt, dass dies von fachlich kompetenter Seite in der Bundesregierung weiterverfolgt wurde. Ein Skandal sieht wahrlich anders aus. Dr. h. c. Staatsminister Gernot Erler Daran ändern auch alle rhetorischen Bemühungen hier nichts. Darin kann ich dem Kollegen Haibach nur zustimmen. ({0}) Ich möchte zunächst auf die Berührungspunkte zwischen der Firma BDB Protection GmbH und dem Auswärtigen Amt eingehen. Die Aktivitäten der Firma BDB in Libyen kamen der deutschen Botschaft in Tripolis nur zufällig zur Kenntnis, als der damalige Ständige Vertreter und ein Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes am Rande eines Fußballspiels im November 2005 auf einen Vertreter der Firma BDB stießen. Für den Mitarbeiter des Auswärtigen Amts blieb es bei dieser einmaligen Zufallsbegegnung. Weitere Kontakte zwischen Mitarbeitern des Auswärtigen Amts und der Firma BDB hat es danach nicht gegeben. Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages hat sich bekanntlich im Laufe dieser Woche bereits ausführlich mit diesem Vorgang befasst. Im Februar 2006 wurde ein Antrag auf Lieferung von Pistolen an das libysche Innenministerium für die Ausstattung einer Antiterroreinheit, die, wie am Rande erwähnt wurde, durch die Firma BDB ausgebildet würde, von der Bundesregierung abgelehnt. Das gebe ich dem inzwischen enteilten Kollegen Ströbele zur Kenntnis. Danach ist das Auswärtige Amt erst wieder im Dezember 2006 durch die Zuschrift des Wehrdisziplinaranwalts mit der Bitte um Information über die Tätigkeit von BDB-Mitarbeitern mit diesem Fall befasst worden. Die vom Wehrdisziplinaranwalt genannten Personen waren der Botschaft nicht bekannt, lediglich der bei dem besagten Fußballspiel angetroffene Leiter der Firma. Dies wurde dem Wehrdisziplinaranwalt vom Auswärtigen Amt auch so mitgeteilt. Darüber, ob es richtig ist, dass der Export von Dienstleistungen im polizeilichen Bereich - wie bei der Firma BDB - bislang keiner Genehmigungspflicht unterliegt, muss man in Ruhe nachdenken. ({1}) Aber das ist die zurzeit geltende Rechtslage. Ich möchte noch eine Frage im Zusammenhang mit dem politischen Kontext ansprechen, die bisher in der öffentlichen Debatte eher eine untergeordnete Rolle gespielt hat: Welchen Umgang sollen wir mit einem Land wie Libyen pflegen, mit dem wir trotz erheblicher Unterschiede und Gegensätze bei Wertsetzungen und der politischen Kultur auch wichtige gemeinsame Interessen haben? Wie honorieren wir Schritte von Staaten in die richtige Richtung, auch wenn sie uns noch lange nicht weit genug gehen? Der Kollege Michael Hartmann hat dieses Thema schon angesprochen. Libyen hat seit 1999 eine eindrucksvolle Kehrtwende in seiner Außenpolitik vollzogen. ({2}) Es hat mit der Auslieferung der Lockerbie-Attentäter und der Entschädigungsregelung in den Fällen Lockerbie und La Belle den Weg der Normalisierung seiner Beziehungen zu westlichen Staaten eingeschlagen. Es hat im Jahr 2003 seinen Verzicht auf Massenvernichtungswaffen erklärt, das IAEO-Zusatzprotokoll unterzeichnet und ist dem Chemiewaffenübereinkommen, CWÜ, beigetreten. Es war und ist ein genuines Eigeninteresse der Staatengemeinschaft - auch Deutschlands -, Libyen auf diesem Weg weiter zu unterstützen. Libyen ist Teil einer vom islamistischen Terrorismus bedrohten Region. Es ist zugleich Ziel- und Transitland für Tausende illegaler Einwanderer aus Afrika, von denen viele nach Europa streben. Bei der EU-Afrika-Konferenz in Tripolis 2006 wurde daher zu diesem Thema eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Bei aller Anerkennung für Libyens Abkehr vom Terror, für den Beitritt zum Nichtverbreitungsregime und für die Öffnung hin zur westlichen Welt hat die Bundesregierung niemals die fortbestehende autoritäre Natur des libyschen Regimes und die andauernden Menschenrechtsverletzungen ignoriert. Menschenrechtliche Defizite, insbesondere der Fall des zum Tode verurteilten bulgarischen Pflegepersonals, wurden immer klar und deutlich angesprochen. Während der deutschen EURatspräsidentschaft haben wir entscheidend daran mitgewirkt, in diesem Fall die Freilassung der Betroffenen zu erreichen. An der restriktiven Exportpolitik der Bundesregierung gegenüber Libyen hat sich auch nach der Aufhebung der UN-Sanktionen im Jahr 2004 nichts geändert. Eine Vielzahl von Anträgen wurde negativ beschieden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass sich andere europäische Staaten wie Frankreich bereits seit 2005 darum bemüht haben, libysche Sicherheitskräfte auszubilden. Nach 2004 hat Libyen immer wieder bei verschiedenen Stellen in der Bundesregierung auf eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und die Bekämpfung illegaler Migration gedrängt. 2006 - das wird mein Kollege Altmaier sicherlich genauer ausführen - hat das Bundesinnenministerium dazu erste Gespräche geführt. Lassen Sie mich eine Schlussfolgerung ziehen. Als Gesamtfazit möchte ich feststellen: Die Bundesregierung hat nicht nur nachweislich korrekt gehandelt, sondern hat auch politisch angemessen auf den Wandel der libyschen Politik reagiert. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Clemens Binninger das Wort.

Clemens Binninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003507, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Opposition, wenn man Ihnen heute Nachmittag zuhört, kann man den Eindruck gewinnen, dass es für Sie genügt, von einem Skandal zu sprechen, wenn die Worte „Libyen“, „BND“ und „privater Sicherheitsdienst“ hintereinander gesagt werden. Das ist nicht nur oberflächlich, sondern geht an der Sache völlig vorbei. ({0}) Wir haben am Ende dieser Woche eine aufgeregte, teilweise hysterische Debatte über dieses Thema hinter uns. Viele Fakten liegen auf dem Tisch. Viele Fragen wurden beantwortet. Manches hat sich als das entpuppt, was es schon immer war: heiße Luft. Es gibt kaum noch Punkte, die man vertiefen müsste, erst recht keine, bei denen man das Wort „Skandal“ in den Mund nehmen sollte bzw. könnte. Trotzdem gibt es für mich - das will ich ganz offen zugestehen - drei relevante Punkte, die wir ansprechen sollten. Punkt 1 betrifft den Einsatz aktiver Polizeibeamter für eine private Sicherheitsfirma im Ausland. Punkt 2 betrifft das Informationsverhalten deutscher Stellen. Punkt 3 ist die entscheidende Frage, Kollege Stadler, wie wir zukünftig mit Staaten wie Libyen umgehen wollen, wenn es um den Export privater Sicherheitsdienstleistungen geht. Das sind die drei Punkte, über die man sprechen muss. Dazu bedarf es aber nicht der Skandalisierung. Punkt 1. Wir, die CDU/CSU-Fraktion, wollen nicht, dass deutsche Polizeibeamte in irgendeinem Regime nebenher Geld verdienen, obwohl sie es nicht dürfen. Das lehnen wir ab. Das ist inakzeptabel. Das ist ein Verstoß gegen das Dienstrecht. ({1}) - Auch die SPD will das nicht. Das glaube ich Ihnen gerne, Herr Kollege Hartmann. - An dieser Stelle ist sowohl zur Verhinderung solchen Verhaltens als auch zur Aufklärung und Sanktion der Dienstherr dieser Beamten gefordert, im konkreten Fall vor allen Dingen der Innenminister in Nordrhein-Westfalen, Herr Wolf von der FDP. ({2}) Ich will aber der Objektivität halber darauf hinweisen, dass wir uns bei aller Kritikwürdigkeit dieses Verhaltens - wer als Polizeibeamter weiß, dass er in Deutschland aus guten Gründen keine Genehmigung bekommt, im Rahmen einer Nebentätigkeit für eine Sicherheitsfirma zu arbeiten, der weiß natürlich erst recht, dass er diese nicht bekommt, wenn er für die Firma ins Ausland geht; da gibt es nichts zu beschönigen ({3}) nicht mit aller Macht an diesem Teilaspekt abarbeiten sollten. Das ist Sache des Dienstherrn. Es wäre auch nicht richtig, wenn wir wirklich vorankommen wollen. Zu Punkt 2, dem Informationsverhalten deutscher Stellen in diesem Zusammenhang. Es ist unbestritten, dass der BND und Teile der Botschaft und damit auch das Auswärtige Amt von der Tätigkeit gewusst haben. Aber Herr Staatsminister Erler hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das Tätigwerden dieser Firma durch die heutige Rechtslage gedeckt war. Insofern war die Bewertung dieses Umstands offensichtlich vor Ort in Libyen auf der Ebene des BND und der Botschaft eine andere, als Sie sie vielleicht treffen mögen. ({4}) Aber auch das war kein Skandal; das muss man an dieser Stelle deutlich sagen. Die Frage, wie dieser Auftrag zustande kam, wer den Impuls gegeben hat - dafür braucht es einen Vorlauf; das mag im Jahr 2004 oder Anfang 2005 gewesen sein -, ({5}) ist nach meinem Kenntnisstand noch offen. ({6}) Aber ich bin überzeugt, dass auch diese Frage relativ unspektakulär beantwortet werden kann und kein Skandalpotenzial bergen wird. Es bleibt der dritte und entscheidende Punkt. Wir müssen uns in diesem Hohen Hause offen darüber unterhalten, wie wir es in Zukunft handhaben wollen - auch das ist eine Lehre aus dem konkreten Fall -, wenn es darum geht, Sicherheitsdienstleistungen zu exportieren. Wie wollen wir mit einem Staat wie Libyen umgehen? Wir dürfen hier keine scheinheilige Debatte führen; denn - das wurde angesprochen - wir haben Kontakte zu Libyen. Wir pflegen diplomatische Beziehungen, wir unterhalten eine Botschaft, wir sind im Bereich der Terrorismusbekämpfung dringend auf den Kontakt auf der Arbeitsebene angewiesen, auch im Interesse der eigenen Sicherheit. Ich habe auch noch nicht gehört, dass sich jemand beklagt hätte, wenn es dank der Mithilfe des Staates X oder des Staates Y gelungen ist, Geiseln zu befreien, obwohl wir alle wissen, dass die rechtsstaatlichen Verhältnisse dort nicht einmal ansatzweise so gut sind wie bei uns. Auch das ist Teil der Wahrheit. Wir müssen uns klar werden, dass wir darüber reden müssen, ob wir Regeln brauchen und ob wir überhaupt Regelungen treffen können, wenn Private ihre Dienstleistungen ins Ausland exportieren. Das ist Gegenstand einer Diskussion, die wir vernünftig führen müssen, das ist aber nicht Bestandteil eines Skandals. Die Diskussion werden wir führen. Mehr ist aus dieser Sache politisch nicht herauszuholen, auch wenn Sie von der Opposition das noch so gern tun würden. Herzlichen Dank. ({7})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Dieter Wiefelspütz für die SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben heute das Ende einer Woche unterirdischer Oppositionsarbeit, wobei man sich schon die Frage stellen kann, ob das eigentlich Arbeit ist. Das ist eine Tätigkeit, die unterirdisch ist; denn wir können doch alle erwarten, dass ein Mindestmaß an Sorgfalt im Umgang mit Tatsachen oder auch mit Gerüchten und Spekulationen angezeigt ist. Ich werfe das nicht nur Ihnen von der FDP, den Grünen und der Linkspartei vor; ich werfe das auch einem Teil der Medien vor. ({0}) Da genügt ein Foto, auf dem der frühere Bundeskanzler Schröder und Herr Gaddafi abgebildet werden, zum Beweis dafür, dass da wohl irgendeine Verbindung vorhanden sein muss. ({1}) Es genügt die zutreffende Behauptung, dass Libyen bei der Befreiung von Menschen, die in Geiselhaft genommen wurden, eine Rolle gespielt habe und dass zwingend ein Gegengeschäft gemacht werden musste. Spekulationen ohne einen Tatsachenkern, ohne einen Anhaltspunkt sollen genügen, um die Behauptung zu belegen, die Bundesregierung trage Mitverantwortung, der Bundeskanzler selber habe ein Geschäft gemacht oder zumindest der Bundesnachrichtendienst sei aktiv oder passiv beteiligt gewesen. Das alles fällt in sich zusammen und ist unterirdisch, absolut unseriös. ({2}) Das ist im Grunde bis heute der Tenor Ihrer Oppositionstaktik an dieser Stelle. Jetzt relativieren Sie das und wollen es nicht mehr gewesen sein. Ich sage: Das, was Sie sich hier geleistet haben, ist ein verantwortungsloser Umgang mit Fakten. ({3}) Ich finde es unverschämt, der Bundesregierung Vorwürfe zu machen, ohne den geringsten Anhaltspunkt und Tatsachen zu haben. Das gilt auch für Sie, Herr Nešković, und für Herrn Ströbele, der jetzt nicht mehr da ist. Wir haben das auch im Innenausschuss erlebt: bombastisches Gequatsche ohne Substanz. Das ist das, was Sie in den letzten Tagen produziert haben. Ich bin allerdings dagegen, dass wir das verniedlichen, was in der Tat skandalös ist. Ich möchte Herrn Lintner - er ist jetzt nicht mehr da - schon widersprechen: Ein jeder Polizeibeamter weiß - wir haben in Deutschland eine hervorragende Polizei; es gibt über 250 000 Polizeivollzugsbeamte; die deutsche Polizei ist die weltbeste; das ist meine feste Überzeugung -, dass er ohne eine Genehmigung gegen Entgelt nicht einmal Brötchen verkaufen darf. Kein Polizeibeamter darf weder in Deutschland noch anderswo - ich rede gar nicht von Libyen; das gilt auch für Österreich und für Italien ohne Genehmigung seines Dienstherren gegen Entgelt ausbilden. ({4}) Wenn das Ganze in Libyen stattfindet, ist das ein Skandal. Wenn 20 oder 25 deutsche Polizeibeamte da unterwegs waren, dann darf man wohl einmal die Fragen stellen: Wie viele sind in Deutschland denn angesprochen worden? Könnten es nicht einige mehr sein? Warum ist das nicht bekannt geworden? Wenn ein Polizeibeamter auch nur angesprochen wird, muss das weitergegeben werden. Ich möchte nicht, dass solch ein Vorgang verniedlicht wird. ({5}) Das ist ein Skandal. Dieser Skandal spielt hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen. Ich bin mir sehr sicher, dass das mit Sorgfalt aufgeklärt wird. Die Libyen-Politik Deutschlands hat der Staatsminister Erler hier in einer sehr klugen und ausgewogenen Rede völlig angemessen dargestellt. ({6}) Libyen war - das wissen die Sicherheitsexperten - ein Staat, der Terrorismus gefördert hat. ({7}) - Ja, Herr Wieland. Da stimme ich Ihnen ausnahmsweise einmal zu: Es ist ein Staat, der Terrorismus gefördert hat. Dieser Staat ist bemüht, in den Kreis derjenigen Staaten zurückzukehren, die Recht und Gesetz sowie das Völkerrecht einhalten. ({8}) Nicht nur Deutschland, sondern die gesamte westliche Welt hat ein massives Interesse daran, diesen Prozess zu begleiten. Wir wissen aber alle, dass es in Nordafrika und im Nahen Osten - das ist jedenfalls meine Einschätzung als Nichtaußenpolitiker, Herr Staatsminister - nur einen einzigen demokratischen Rechtsstaat gibt - das ist meine Überzeugung -: Das ist Israel. Wollen wir jetzt aufhören, mit den Staaten zusammenzuarbeiten, die eben nicht die Standards haben, die für uns selbstverständlich sind? ({9}) Natürlich muss man diskutieren, was wir da tun und was nicht. Ich bin allerdings der Auffassung: Das, was in den letzten Jahren in Richtung Libyen gemacht worden ist, ist zu würdigen, positiv hervorzuheben und nicht zu kritisieren. Wir begleiten diesen Staat auf dem Weg in den Kreis derjenigen Staaten, die sich zivilisiert benehmen. Ich will zum Schluss noch zwei Sätze sagen. Ich meine, wir haben Grund, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann. Auch wenn die Rechtslage gegenwärtig ziemlich eindeutig ist, was die Tätigkeit privater Unternehmen im Sicherheitsbereich anderer Staaten angeht: Herr Erler, wir sind auf einem sicheren Gelände, wenn Waffen, Panzer, U-Boote oder Faustfeuerwaffen exportiert werden. Was ist mit Software? Was ist mit Knowhow? Was ist mit Ausbildungsleistungen? Da haben wir Interessen. Ich glaube, sagen zu können, dass wir uns dieses Themas ohne Hektik und mit Augenmaß annehmen müssen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wiefelspütz, das ist jetzt ungefähr der vierte Satz. Ich bitte, zum Schluss zu kommen.

Dr. Dieter Wiefelspütz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002506, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich gehorche Ihnen uneingeschränkt sehr gerne. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({0})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Peter Altmaier. ({0})

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte heute hat ihr Gutes, weniger durch das, was gesagt, als vielmehr durch das, was nicht gesagt worden ist. ({0}) Deshalb sage ich erstens noch einmal ganz klar: Es ist ab heute nicht mehr bestritten, dass die Bundesregierung die privaten Schulungsmaßnahmen in Libyen weder initiiert noch organisiert hat. Dieser Vorwurf ist von niemandem in der Debatte erhoben worden, weder von links noch von rechts. Das ist ein wichtiger Fortschritt im Vergleich zu den aufgeregten Diskussionen und Geräuschen zu Beginn dieser Woche. ({1}) Zweitens sage ich genauso klar und deutlich: Dort, wo es im Interesse der Bundesrepublik Deutschland eine Zusammenarbeit mit Ländern wie Libyen gibt und geben muss, die nicht unseren demokratischen und rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechen, ist es gängige Staatspraxis, eine solche vom Staat initiierte Zusammenarbeit ausschließlich von staatlichen Stellen vornehmen zu lassen. Auch dies ist ein ganz wichtiger Punkt. Diese Grenze darf nicht verwischt werden. ({2}) Diese Grenze - lieber Herr Stadler, lieber Herr Königshaus - ist nach allem, was wir heute wissen, im vorliegenden Fall auch zu keinem Zeitpunkt überschritten worden. ({3}) Es geht hier um die private Tätigkeit einer privaten Sicherheitsfirma mit fragwürdigem Ruf. Deshalb halte ich es auch nicht für gerechtfertigt, dass wir in diesem Zusammenhang über Privatisierung von Sicherheit reden. ({4}) Privatisierung von Sicherheit - Herr Kollege Wieland findet statt, wenn sich der Staat zur Wahrnehmung seiner Aufgaben Privater bedient. ({5}) Genau dies ist hier nicht geschehen, und das sollten Sie auch zugeben, wenn Sie einen Rest an Glaubwürdigkeit in dieser Debatte behalten möchten. ({6}) Meine Damen und Herren, davon zu trennen ist der Umstand, dass bei dieser Firma ({7}) ganz offensichtlich aktive und ehemalige Polizisten eingesetzt waren. Soweit es aktive Polizisten sind, ist dies nicht hinnehmbar, weil dadurch der falsche Eindruck einer Verquickung staatlicher und privater Interessen erweckt wird. ({8}) Wenn Herr Ströbele gesagt hat, diese Polizisten dürften in ihrer Freizeit nicht machen, was sie wollten, dann hat er recht. Sie dürfen es nicht, und sie werden dafür auch disziplinar- und strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen, soweit sie entsprechende Verstöße begangen haben. Was nun das BMI angeht, so haben Sie, Herr Kollege Stadler, zu Recht gesagt, das BMI sei Ende November vom nordrhein-westfälischen Innenministerium über eine mögliche Beteiligung ehemaliger GSG-9-Beamter und ein laufendes Ermittlungsverfahren unterrichtet worden. Das BMI unterstützt seither die ermittlungsführenden Behörden der Länder vorbehaltlos. Wir werden alles tun, damit auf Landesebene die entsprechenden dienst- und strafrechtlichen Konsequenzen gezogen werden können. Aber ich würde mir wünschen, dass auch Sie sagen, dass keine aktiven Bundespolizisten an diesen Maßnahmen beteiligt waren. Wir haben dies überprüft, und ich habe es im Innenausschuss vorgetragen. Dies ist eine ganz wichtige Feststellung. Soweit die ehemaligen Kolleginnen und Kollegen ausgeschieden waren, liegt dies zum Teil 15 bis 20 Jahre zurück. Sie sind im Zeitraum von 1982 bis 1997 ausgeschieden, sie sind keine Beamten mehr und haben weder Bezüge noch Ruhestandsbezüge. Wenn heute vor dem Parlament geäußert worden ist, man müsse darüber nachdenken, auch in solchen Fällen unter Umständen Regeln aufzustellen und über den Export von Sicherheitsdienstleistungen zu reden, sage ich für das Bundesinnenministerium ausdrücklich, dass wir einer solchen Debatte offen gegenüberstehen und bereit sind, diese Debatte mit dem Parlament in den nächsten Wochen zu führen. ({9}) Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir an dieser Stelle einen letzten Satz, weil ich meine, dass wir auch dies in der Öffentlichkeit nicht im Unklaren lassen sollten: Das Bundesinnenministerium ist in der Öffentlichkeit einmal mit einem kritischen Soupçon genannt worden, als es darum ging, dass es Kontakte zwischen staatlichen Stellen und libyschen Behörden gegeben hat. Selbstverständlich hat es diese Kontakte gegeben. Diese Kontakte gibt es mit vielen Staaten der Welt, und dies dürfen wir in der öffentlichen Diskussion auch nicht tabuisieren. Es geht um Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland. Im Kampf gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und illegale Migration wollen wir dazu beitragen, dass unseren Interessen Rechnung getragen wird. Wir wollen Libyen auf dem Weg zurück in die Völkergemeinschaft helfen; dazu hat es Gespräche gegeben. All diese Gespräche haben dem genannten Zweck gedient. Es gibt nichts zu verheimlichen und nichts zu verbergen. Wir haben im Innenausschuss ausführlich darüber gesprochen. Deshalb würde ich mir wünschen, dass die Zeit der Spekulationen, der Beschuldigungen und Verdächtigungen mit dem heutigen Tag endgültig beendet ist und dass wir in aller Sachlichkeit über die Fragen weiterreden können, die einer Erklärung bedürfen. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit. ({10})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels aus der SPD-Fraktion. ({0})

Dr. Hans Peter Bartels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003031, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich zu einem Komplex ein paar Worte sagen, der hier noch nicht angesprochen wurde: die Beteiligung von Bundeswehrsoldaten. Genauer gesagt, handelt es sich um einen Hauptfeldwebel der Bundeswehr, einen aktiven Feldjäger, der im März 2006 auffällig geworden ist. Zu diesem Zeitpunkt wurde dem Ministerium bekannt, dass er offenbar versuchte, Kameraden für eine Ausbildungstätigkeit in Libyen anzuwerben, und dass er selbst dort tätig werden wollte. Das Ministerium hat diesen Vorgang sofort und konsequent aufgearbeitet, und zwar indem die weitere Anwerbung unterbunden wurde. Der Soldat wurde von seinem Dienst suspendiert und bekam Uniformtrageverbot. Ein Disziplinarverfahren wurde eingeleitet. Von diesem Bundeswehrsoldaten und auch von anderen Bundeswehrsoldaten hat es keine Ausbildungstätigkeit in Libyen gegeben. Es ist wichtig, hier festzuhalten: Einen Komplex Bundeswehr hat es in dem, was tatsächlich stattgefunden hat, nicht gegeben. Den Versuch hat es zwar gegeben, dieser wurde aber durch die Bundesregierung unterbunden. Es wurde jetzt im Übrigen angekündigt, dass auch der Nebentätigkeitserlass des Ministeriums daraufhin überprüft werden muss, wie genau man erfassen kann, was an Nebentätigkeiten ausgeübt wird. Denn dieser Soldat hatte eine Nebentätigkeitsgenehmigung für Sicherheitsdienstleistungen, aber nicht für diese. Worüber wir heute reden - ich glaube, das ist in der Aktuellen Stunde deutlich geworden -, ist kein Skandal der Regierung, sondern ein Polizeiskandal. Es ist in der Tat ein Skandal, wie Kollege Wiefelspütz und andere gesagt haben, wenn sich deutsche aktive Polizeibeamte in ihrem Urlaub nicht erholen, sondern ins Ausland fahren, um dort Schulungen durchzuführen, wenn sie sich offenbar krankmelden, um Schulungen durchzuführen, wenn sie Anträge auf Nebentätigkeitsgenehmigung gar nicht erst stellen, weil sie nicht genehmigt werden würden, und trotzdem Schulungen durchführen. Das kann nicht sein. Das ist rechtswidrig. Das muss geahndet werden. Das muss disziplinarisch verfolgt werden. Man muss Mechanismen finden, die so etwas für die Zukunft unterbinden. Wir haben heute einen bemerkenswerten Konsens herstellen können - das habe ich Reden aus allen Fraktionen, Bundesregierung eingeschlossen, entnommen -: Wir alle sind bereit, auf die neue Situation zu reagieren. ({0}) Sie besteht darin, dass Sicherheitsdienstleistungen, von privaten Firmen erbracht, ein Gegenstand von politiDr. Hans-Peter Bartels scher und rechtlicher Regulierung sein müssen, jedenfalls wenn es um den Export geht. ({1}) Wir leben nach dem Ende des Kalten Krieges in einer Welt, in der Gewalt und die Gefährdung von Sicherheit zunehmend von privaten Akteuren, von nichtstaatlichen Akteuren ausgeht. Es gibt eine ähnliche Tendenz bei der Sicherheitsdienstleistung durch private Firmen im Auftrag von Staaten. Ich nenne die USA, die nicht nur im Irak davon Gebrauch machen. Staaten nehmen private Dienstleister für Aufgaben in Anspruch, die wir bisher für öffentliche Aufgaben gehalten haben. Ich will ausdrücklich feststellen: Wir sind nach wie vor der Auffassung - dabei bleiben wir auch -, dass Sicherheit eine öffentliche Aufgabe ist, insbesondere wenn sie ins Ausland exportiert werden soll. Das wollen wir nicht privatisieren. ({2}) Aber wir brauchen eine Regelung dafür. Wenn solche Trainingsmaßnahmen - darüber reden wir jetzt - reguliert werden sollen, dann kommt nur eine Regelung in Betracht, die dem Recht für Rüstungsgüter im Rahmen der Rüstungskontrolle nachempfunden ist, auch wenn es sich eben um eine Dienstleistung handelt. ({3}) Die Unterscheidung zwischen Gütern und Dienstleistungen wird zunehmend künstlich. Gleiches gilt für die Unterscheidung zwischen Software und Hardware. Manchmal ist die Dienstleistung wichtiger. Es hat einen Exportantrag für 140 SIG-Sauer-Waffen gegeben. Dieser wurde abgelehnt, aber das Training konnte - wahrscheinlich mit anderen Waffen - stattfinden. Es kann nicht sein, dass hier unterschiedlich vorgegangen wird, wobei ich mir durchaus vorstellen kann, dass man hier eine andere Regelung - möglicherweise aus dem Baurecht - findet. Möglicherweise gibt es hier eine vergleichbare Rechtskonstruktion, wie sie sich bei der Übernahme von deutschen wehrtechnischen Unternehmen durch - wie es im Gesetz heißt - gebietsfremde Unternehmen bewährt hat, indem wir sagen, dies muss angezeigt werden. Wer als deutsche Firma eine Sicherheitsdienstleistung im Ausland erbringen will, der muss dies anzeigen. Wenn innerhalb von vier Wochen nichts passiert, dann ist es okay. Wenn die Bundesregierung und das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle widersprechen wollen, dann muss dies innerhalb von vier Wochen erfolgen. Danach gibt es kein Problem mehr. Das könnte ein praktikabler Weg sein. Ich freue mich, dass wir heute offenbar alle zu der Überzeugung gekommen sind, dass wir in Zukunft darüber reden müssen, wie wir in dieser Wahlperiode eine Regelung schaffen. Vielen Dank. ({4})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Johannes Jung für die SPDFraktion. ({0})

Johannes Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003779, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege Königshaus murmelte gerade, „nicht noch einmal von einem Skandal sprechen“. ({0}) Das tue ich im Gegensatz zu Ihnen auch nicht. ({1}) Das ist ein interessanter Punkt; denn das Fazit dieser Woche lautet: Von Skandal keine Spur, auch wenn es einigen Kollegen offenkundig anders lieber wäre, weil sie ihren taktischen Plan für diese Woche auf vermeintlichen Skandalen aufgebaut haben. Ich habe noch gut die Fernsehinterviews vom Wochenbeginn vor Augen, in denen einige prominente Mitglieder dieses Hauses ohne Kenntnisse des Sachverhalts auf eine Art und Weise daherschwadroniert haben, die peinlich und unseriös ist; vorneweg ihr Fraktionsvorsitzender, Herr Westerwelle, der diese Aktuelle Stunde beantragt hat und uns bei dieser nun allein ließ. ({2}) Auch hier gilt, was gesagt und was nicht gesagt wurde. Ich greife einmal dieses Wort von Herrn Altmaier auf. Meine Damen und Herren, es sind exakt diese obsessiven Reflexhandlungen, mit denen Teile des politischen Führungspersonals das Gemeinwesen und das Parlament eigenhändig beschädigen. Deshalb sage ich: Schluss mit dieser chronischen Skandalisierung, die wir auch hier wieder erlebt haben! Bleiben Sie bitte auf dem Teppich! Ich war in der Zeit Abiturient, als die libyschen Städte Tripolis und Bengasi bombardiert wurden. Ich war seinerzeit auch als Demonstrant gegen diese Attacken auf der Straße. Das waren die Jahre, in denen Libyen Verbrechen wie den La-Belle-Anschlag beging und in denen der Staatschef getrost als Terrorpate bezeichnet werden konnte. Nach wie vor ist Libyen eines der repressivsten Regime dieser Welt. Immerhin ist Libyen von seiner aggressiven Außenpolitik abgekommen. Herr Staatsminister Erler hat das ausgeführt, und ich pflichte ihm voll und ganz bei. Unser Interesse in der internationalen Politik ist es, schwierige Staaten wie Libyen, die wahrlich keine freie und demokratische Gesellschaft zulassen und in denen Menschenrechte klar missachtet werden, dennoch in die Weltgemeinschaft zu führen und sie nicht als Outlaws zu isolieren. Das ist auch im Interesse der Menschen in Johannes Jung ({3}) Libyen. Was die Firma BDB Protection GmbH und diese Polizeibeamten aus Nordrhein-Westfalen unternommen haben, ist ohne Wenn und Aber aufzuklären und zu verurteilen. Das ist ganz klar. Hier haben wir einen erfreulichen Konsens. Auch auf die Gefahr hin, jetzt von Ihnen zum Schluss der Debatte noch mutwillig missverstanden zu werden, sage ich: Unterstützung beim Aufbau einer demokratischen Polizei, die eben nicht die Prügel-, Mord- und Schikanetruppe eines repressiven Systems ist, kann sehr wohl zu unseren Aufgaben in der Außen- und Sicherheitspolitik gehören, aber bitte nicht über private und möglicherweise zweifelhafte Anbieter. ({4}) - Auch das stimmt. - Ich will keine unkontrollierten privaten Sicherheitsdienste in der deutschen Außenpolitik. Auch hier gilt die Losung: Keine privatisierte Gewalt, sondern staatliches Gewaltmonopol, und genau das bedarf der parlamentarischen und öffentlichen Kontrolle. Auch ich schließe mich all denjenigen an, die deshalb hier anregen, den Export von Dienstleistungen im Sicherheitsbereich generell neu zu überprüfen und eine Genehmigungspflicht in Erwägung zu ziehen. Nun ist wieder viel die Rede von einer Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums und der Kontrolle der Dienste insgesamt. Als Mitglied im 1. Untersuchungsausschuss dieser Legislatur, dem sogenannten BND-Untersuchungsausschuss, stelle ich dazu fest: Der Nicht-Skandal Libyen taugt nicht als Anlass zu solch einer Reform. Selbstverständlich wird dieser Vorgang nach der aufklärenden PKGr-Sitzung von dieser Woche kein Untersuchungsgegenstand im Bundestag sein, übrigens entgegen der vollmundigen Interviews, die da teilweise getätigt wurden. Wir sollten besser anhand der kollegialen, zielgerichteten, effizienten und vor allem immer geräuschloseren Arbeit des aktuellen Untersuchungsausschusses Schlüsse für die zukünftige Kontrolle der Dienste ziehen. Die SPD-Bundestagsfraktion kann dazu auf den Vorschlägen aufbauen, die wir immer anhand von Untersuchungsausschüssen gemacht haben. Es freut mich, dass der Koalitionspartner ebenfalls Verbesserungsbedarf erkannt hat. Meine Damen und Herren, es ist die Pflicht eines jeden Mitglieds des Parlaments, mit seinen Informationsund Kontrollrechten verantwortungsvoll und nicht sensationslüstern umzugehen. Die Causa Libyen war eben nur ein Skandal der Schwadronierer. Um eine Metapher des Bundesaußenministers aus dem Untersuchungsausschuss zu zitieren: Aus dem Plankton wird auch in der Großen Syrte kein Wal. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. April 2008, 13 Uhr, ein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende und erfolgreiche Tage. Die Sitzung ist geschlossen.