Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/10/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Die Sitzung ist eröffnet. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten, gibt es einige Mitteilungen und Veränderungen bzw. durchzuführende Entscheidungen. Zunächst möchte ich dem Kollegen Detlef Dzembritzki herzlich gratulieren, der am 23. März seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Ebenso gratuliere ich dem Kollegen Joachim Stünker, der am 29. März seinen 60. Geburtstag feiern konnte. Im Namen des ganzen Hauses beiden Kollegen herzliche Gratulation und alle guten Wünsche. ({0}) Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege Jörg-Otto Spiller als stellvertretendes Mitglied aus dem Vermittlungsausschuss und aus dem Gemeinsamen Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. HansUlrich Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der Kollege Krüger zum stellvertretenden Mitglied sowohl des Vermittlungsausschusses wie des Gemeinsamen Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt. Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern: ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Bundesregierung zur Erhöhung der Biospritbeimischung ({1}) ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008 - Drucksache 16/8744 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen - Drucksache 16/8079 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4}) a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für einen umfassenden Schutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger bei der Verarbeitung ihrer Daten im Bereich der sogenannten dritten Säule der Europäischen Union - Drucksache 16/5473 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({5}) Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Redetext Präsident Dr. Norbert Lammert Schmitt ({6}), Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn - Biologische Vielfalt schützen, nachhaltig und gerecht nutzen - Drucksache 16/8756 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7}) Auswärtiger Ausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({8}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eigenverantwortung und klare Aufgabenteilung als Grundvoraussetzung einer effizienten Präventionsstrategie - Drucksache 16/8751 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Gesundheit ({9}) Sportausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({10}), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse herstellen - Drucksache 16/8742 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({11}) Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD: Aktuelle Lage in Tibet ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen - Drucksache 16/8754 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals - Drucksache 16/8748 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine U-Bootlieferung an Pakistan - Drucksache 16/5594 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14}) Auswärtiger Ausschuss ({15}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Federführung strittig ZP 9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der FDP: Haltung der Bundesregierung zur Tätigkeit deutscher Sicherheitskräfte in Libyen Wir beginnen unsere Beratung gleich also nicht mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbedürftiger junger Menschen, sondern mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008. - Aus der Zusammensetzung des Plenums gewinne ich den begründeten Eindruck, dass die meisten auf diese Veränderung eingestellt sind. Die Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen verschieben sich dadurch jeweils um einen Platz nach hinten. Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 19 abzusetzen und an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 21 aufzurufen. Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden. Schließlich mache ich auf zwei geänderte Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam: Der in der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanzausschuss ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden. Präsident Dr. Norbert Lammert Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts ({17}) - Drucksachen 16/7076, 16/7440 überwiesen: Innenausschuss ({18}) Rechtsausschuss Verteidigungsausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Finanzausschuss Der in der 134. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesene nachfolgende Antrag soll nicht mehr dem Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({19}) zur Mitberatung überwiesen werden. Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck ({20}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise Beck ({21}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Europäisches Jahr der Chancengleichheit für alle - Drucksachen 16/4933, 16/6314, 16/7537 überwiesen: Ältestenrat Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe den Zusatzpunkt 2 unserer Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008 - Drucksache 16/8744 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({22}) Innenausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann kann das als vereinbart gelten. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz. ({23})

Olaf Scholz (Minister:in)

Politiker ID: 11003231

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer Woche hat das ZDF eine Umfrage veröffentlicht. Danach finden 61 Prozent der unter 30-Jährigen, dass die jetzt vorgesehene Erhöhung der Rente um 1,1 Prozent richtig ist. 28 Prozent hätten sich sogar mehr gewünscht, und nur 8 Prozent sagen, diese Erhöhung sei zu hoch. Diese repräsentative Umfrage bei unter 30-Jährigen macht also deutlich: Es gibt keinen Generationenkonflikt in Deutschland. Er wird in den Medien und an vielen anderen Stellen lediglich herbeigeredet. ({0}) Unser Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten wollen, stärkt die Solidarität zwischen den Generationen, die viel größer ist, als oft behauptet wird. Wir haben in Deutschland eine solidarische Mehrheit, die zwischen den Generationen und in jeder Familie in Deutschland vorhanden ist. Darauf können wir uns bei unseren Beratungen auch verlassen. ({1}) Was wollen wir erreichen? - Wir wollen, dass auch die Rentnerinnen und Rentner an dem Aufschwung, den wir jetzt überall beobachten können, teilhaben. ({2}) Gleichzeitig wollen wir stabile Beiträge, die für die jüngere Generation mit ihrer Arbeitsleistung bezahlbar sind. Wir können garantieren, dass die Beitragssätze auch im nächsten Jahrzehnt nicht höher ausfallen werden als jetzt; sie werden unter 20 Prozent bleiben. Das ist eine große Leistung für die Stabilisierung der Rentenfinanzen, die wir in den letzten Jahren zustande gebracht haben. ({3}) Wir gehen einen sehr gut verantwortbaren Schritt. Wir haben im Hinblick auf die Stabilität der Rentenfinanzen in den letzten Jahren beschlossen, bei der Anpassung der Rente über mehrere Jahre hinweg die zusätzliche Altersvorsorge, die die Jüngeren zu betreiben haben, zu berücksichtigen. Das werden wir noch viermal tun. Jetzt wollen wir die Berücksichtigung der privaten Altersvorsorge für zwei Jahre aussetzen, um eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent zu ermöglichen. Gleichzeitig stellen wir klar, dass das zu einem späteren, zu einem günstigeren Zeitpunkt nachgeholt wird. Das ist eine sehr vernünftige, stabile und verantwortbare Politik. ({4}) Das nächste Jahrzehnt ist ein günstigerer Zeitpunkt. ({5}) Was ist in den letzten Jahren geschehen, und wie ist die jetzige Situation? Drei Jahre lang haben die Rentnerin16114 nen und Rentner in Deutschland keine Rentenerhöhung bekommen. Im letzten Jahr gab es nur eine geringe Erhöhung. Deshalb ist es vernünftig, die private Altersvorsorge der Jüngeren nicht jetzt bei der Berechnung der Rente zu berücksichtigen, sondern zu einem Zeitpunkt, in dem wir größere Spielräume haben. Das gilt allerdings nur, wenn wir gleichzeitig all das miteinbeziehen, was zur Stabilisierung der Rentenfinanzen notwendig ist. Genau das tun wir auch. Wir sind prinzipienfest, aber wir sind keine Prinzipienreiter. Das ist gute demokratische und pragmatische Politik. ({6}) Überall ist vom Aufschwung die Rede. Aber wir müssen verhindern, dass es einigen so geht wie jemandem, der sehr lange auf den Bus wartet, einsteigen will, nachdem dieser endlich gekommen ist, aber in genau diesem Moment die Tür wegen Überfüllung zugeht, der Bus wegfährt und er auf den nächsten Bus warten muss. Auch die Älteren in unserer Gesellschaft sollen etwas von dem Aufschwung haben. Darum geht es in unserem heute vorgelegten Gesetzentwurf. ({7}) Seien wir ehrlich: 1,1 Prozent sind nicht viel. Wenn man all die zusätzlichen Belastungen und Aufwendungen berücksichtigt, die in den letzten Jahren auf die ältere Generation zugekommen sind, dann stellt man fest, dass das nur eine kleine Erholung von den schwierigen Situationen ist, die viele beschreiben, wenn sie zum Beispiel über ihre Miete oder die Preise im Supermarkt reden. Aber wir zeigen den Älteren in diesem Lande, dass wir ihre Situation verstehen. Das Signal, das der Deutsche Bundestag heute geben kann, ist notwendig und unverzichtbar. ({8}) Wir sollten die Lage der älteren Menschen in diesem Lande nicht vergessen; sie unterscheidet sich von der anderer Menschen. Ein 35-Jähriger, der von seinem Chef mitgeteilt bekommt, dass das Weihnachtsgeld gestrichen ist, denkt nichts Nettes über diesen, und wenn er klug ist, tritt er in eine Gewerkschaft ein. ({9}) - „Wenn er klug ist, ist er schon drin“, sagt die Kanzlerin. Da muss man ihr recht geben. ({10}) Ein 35-Jähriger, der mit dieser Situation konfrontiert ist, sagt sich, dass er an dieser Situation noch einmal etwas ändern kann. Wer aber 68 oder 72 Jahre alt ist und es jahrelang schwer hatte mit seiner Rente, der kann an seiner Situation nichts mehr ändern. ({11}) Deshalb ist es eine wichtige Botschaft zu zeigen, dass wir die Situation der Älteren in diesem Land im Blick haben. Das haben sie auch verdient. ({12}) Die Rente eignet sich nicht für Diskussionen über Generationenkonflikte. Denn mit der Rente - das muss uns allen klar sein - haben wir alle fast ein Leben lang etwas zu tun. Durchschnittlich werden heutzutage 40 Jahre lang Beiträge gezahlt und wird die Rente 17 Jahre lang bezogen. Wir nehmen alle mit großer Begeisterung zur Kenntnis, dass der Bezugszeitraum immer länger wird. Das funktioniert aber nur, wenn bei den Jüngeren all die Jahrzehnte, in denen sie Beiträge zahlen, die Vorstellung vorherrscht, dass sie zunächst leistbare Beiträge zu zahlen haben, dafür aber im Alter eine Rente in akzeptabler Höhe bekommen werden. Das ist das, was wir zu leisten haben. Das gewährleisten wir. Wir schaffen Vertrauen in die Rentenversicherung. Das ist das Gegenteil von Generationenkonflikt. ({13}) Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ein „alter Bekannter“ nicht mehr da ist. Es gab viele Zeitungsartikel, zahlreiche Sendungen und vieles mehr über das sogenannte Rentenloch, über die Unsicherheit bei den Rentenfinanzen und über die Gefahren, die der Rentenversicherung drohten. ({14}) Davon sind wir heute weit entfernt. Wir haben eine ordentliche Nachhaltigkeitsrücklage gebildet. An eine bestimmte Seite dieses Hauses möchte ich sagen: Die anstrengende Politik der letzten Jahre hat sich gelohnt. Jetzt haben wir in Deutschland stabile Rentenfinanzen. ({15}) In der letzten Woche haben wir den 50. Geburtstag des Sozialbeirates der Bundesregierung gefeiert. Zu diesem Anlass haben bekannte Experten, die sich in Deutschland oft zu diesem Thema zu Wort melden, gesprochen, zum Beispiel Professor Rürup. ({16}) Es haben sich aber auch Experten der EU, der Internationalen Arbeitsorganisation und der OECD geäußert. Alle haben uns übereinstimmend bescheinigt: Deutschland ist eines der wenigen Länder, das die Herausforderungen des demografischen Wandels, der aufgrund der Tatsache, dass unsere Bevölkerung Gott sei Dank immer älter wird, auf uns zukommt, bewältigt und stabile Rentenfinanzen geschaffen hat. Wir haben das, was andere Staaten noch vor sich haben, schon erreicht. Das darf die demokratische Politik in diesem Lande mit Stolz erfüllen, meine Damen und Herren. ({17}) Es wird ja gerne schnell und ohne weiteres Nachdenken über Politiker geschimpft. Aber die verantwortlichen Politiker in Deutschland haben getan, was man von ihnen verlangt. Sie haben nicht auf die nächste Wahl geschielt, ({18}) sondern wichtige und schwierige Entscheidungen getroffen. ({19}) Über die Früchte dieser Arbeit dürfen wir jetzt gemeinsam diskutieren. Das Wichtigste dabei ist, dass wir die Rentenversicherung in eine sichere Zukunft führen. Neben stabilen Rentenfinanzen haben wir aber noch eine zusätzliche Botschaft an die Jüngeren. Diese Botschaft lautet: Es ist notwendig, zusätzlich private und betriebliche Altersvorsorge zu betreiben, damit man seinen Lebensstandard im Alter sichern kann. Darum war es richtig, dass wir in den letzten Jahren die betriebliche Altersvorsorge und die private Zusatzvorsorge mit dem Namen Riester-Rente ausgebaut haben. An dieser Stelle bedanke ich mich bei Walter Riester, der dort hinten sitzt. ({20}) Ende 2007 gab es in Deutschland 10,8 Millionen Riester-Verträge. Das ist eine große politische Leistung. Wir sind bei diesem Thema sehr konsequent. Das Bundeskabinett ermöglicht nicht nur, dass die Renten stärker als erwartet steigen können, sondern wir haben auch beschlossen, einen Berufseinsteigerbonus einzuführen. Dadurch soll jüngeren Leuten nahegelegt werden, möglichst früh mit ihrer Altersvorsorge zu beginnen. Denn wir hoffen, dass derjenige, der früh damit beginnt, auch dabeibleibt. So früh wie möglich mit der Altersvorsorge zu beginnen, ist im Leben eines jeden Berufstätigen die richtige Entscheidung. ({21}) Wir haben dafür gesorgt, dass auch diejenigen, die schon mit 42 oder 51 Jahren nicht mehr erwerbstätig sein können und eine Erwerbsminderungsrente beziehen, private Altersvorsorge betreiben können. Ihnen geben wir die Möglichkeit, in dieser Zeit zusätzlich eine Riester-Rente aufzubauen. Das ist eine gute Leistung, und sie ist konsequent, weil sie zum Gesamtbild unserer Alterssicherungspolitik passt. ({22}) Wir handeln sehr verantwortlich. Die wichtige Botschaft, die heute von diesem Gesetzentwurf ausgeht, kann ganz eindeutig beschrieben werden: Stabile Rentenfinanzen ermöglichen in einer wirtschaftlich guten Situation größere Erhöhungen für die Rentner, und sie sind gleichzeitig etwas, auf das die jüngere Generation vertrauen kann. Lassen Sie uns mit dieser Politik fortfahren. ({23})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb, FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundesminister Scholz, nach dem Echo, das Ihre Rentenanpassung bis in höchste Regierungskreise hinein hervorgerufen hat - Merkel rügt Rentenpolitik ihrer Regierung, hieß es -, finde ich es wirklich erstaunlich, dass Sie Ihr Vorgehen erneut als rentenpolitische Großtat verkaufen wollen. ({0}) Nein, Herr Scholz, die von Ihnen geplante Aufstockung einer als peinlich empfundenen Rentenanpassung in diesem und im nächsten Jahr ist in doppelter Weise eine Beleidigung der Rentner in Deutschland. Sie wollen die Rentner, die in den letzten Jahren in der Tat deutlich an Kaufkraft verloren haben, mit einem Almosen abspeisen. Denn das, was Sie als Erhöhung vorgesehen haben, reicht ja nicht annähernd aus, um die Belastungen auszugleichen, die den Rentnern allein als Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung zuteil wurden: Erhöhung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte, Inflation auf Rekordhöhe, Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge, Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge und vieles andere mehr; ich kann gar nicht alles aufzählen. Ihre Rentenanpassung, Herr Scholz, ist auch deswegen eine Beleidigung der Rentner, weil das Motiv, Wählerstimmen bei den Rentnern zu kaufen, deutlich durchscheint. Wie heißt es nach Goethes Torquato Tasso, den viele der Älteren in der Schule noch gelesen haben? Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt. ({1}) Herr Scholz, glaubt die Regierung wirklich, die Rentner seien nicht in der Lage, über den Wahltag hinaus zu denken? Tatsache ist, dass nach Ihrem Gesetzentwurf die Rentner nach der Wahl einen Gutteil dessen, was sie jetzt vor der Wahl erhalten, selbst werden bezahlen müssen. Die Aufstockung der Rentenerhöhung ist ein Wahlgeschenk - ein vergiftetes Geschenk. Sie kommt nicht von Herzen und ist nicht ehrlich gemeint. ({2}) Herr Scholz, Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie verhalten sich mit Ihrer panischen Aktion im Vorwahljahr wie der junge Mann, dem auf dem Weg zur Erbtante siedend heiß einfällt, dass die Tante Geburtstag hat, und der sich schnell einen Blumentopf von ihrer Fensterbank greift, damit er nicht mit leeren Händen vor die gute Frau treten muss. Der hat auch nicht wirklich das Wohl der Tante im Sinn, er denkt vor allem an sich selbst. Genauso ist es bei Ihnen, Herr Scholz. ({3}) Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Tante ihren Blumentopf erkennt und der Schwindel auffliegt, ist hoch, Herr Scholz. Mit allen aufmerksamen Rentnerinnen und Rentnern in unserem Lande lehnen wir Ihren tagespolitisch motivierten Eingriff in die Rentenformel ab. Die Rentenformel macht doch das, was künftig sein wird, für die Rentner berechenbar, sie schafft Verlässlichkeit. Mit anderen Worten: Die Rentner werden durch die Rentenformel auch geschützt. Heute gibt es als Ergebnis des Herumfummelns an der Rentenformel eine Rentenerhöhung, morgen kann es eine Kürzung sein. Deswegen sage ich: Finger weg von der Rentenformel, Herr Scholz! Mit der geplanten Manipulation brechen Sie mit der langfristig angelegten Politik Ihrer Amtsvorgänger. Rentensystematisch ist das Aufstocken der Erhöhung ein schwerer Sündenfall. Die Rente wird zum Spielball parteipolitischer Interessen. Mit einer nachhaltigen Politik hat das nichts zu tun. ({4}) - Frau Nahles, diese Manipulation der Rentenformel, die wir Ihnen vorwerfen, nimmt zu viel und gibt zu wenig: Sie geben den Rentnern im Durchschnitt 7 Euro pro Monat und beschädigen dafür das Vertrauen in die langfristig angelegte Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir lehnen eine solche Rentenanpassung, die sich allein an den Umfragewerten der Regierung orientiert, ab. ({5}) Ich will ausdrücklich sagen: Auch wir, meine Damen und Herren von der Regierung und von der Koalition, sind sehr dafür, die Kaufkraft der Rentnerinnen und Rentner zu stärken. ({6}) Das gilt zunächst einmal, Herr Kollege Weiß, für die sich aus der Rentenformel auch ohne Manipulation ergebende Erhöhung der Renten. Es ist ja nicht so, dass sich nach der derzeitigen Rechtslage keine Rentenerhöhung ergeben würde. Wenn es darum geht, die Rentner darüber hinaus am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben zu lassen, gibt es Alternativen, über die wir uns durchaus unterhalten können. Eine Verbesserung der Kaufkraft der Rentner muss aber aus dem Steuertopf finanziert werden. Denn die Früchte des Aufschwungs der letzten Jahre hat mit rund 110 Milliarden Euro Mehreinnahmen ganz überwiegend der Bundesfinanzminister, Herr Steinbrück, abgegriffen. ({7}) Eine Alternative, um die Kaufkraft der Rentner zu verbessern, wären gezielte Entlastungen der Rentner bei den Steuern auf den Energieverbrauch. Ehrlicher wäre es aber, Herr Scholz, wenn Sie gemeinsam mit Herrn Steinbrück an jede Rentnerin und an jeden Rentner einen Brief mit etwa folgendem Wortlaut schreiben würden: Sehr geehrte Damen und Herren, als Ergebnis einer verfehlten Politik unserer Regierung sind Sie leider über Gebühr belastet worden. ({8}) Zum Ausgleich für die erlittenen Kaufkraftverluste übersenden wir Ihnen für die Jahre 2008 und 2009 einen Scheck über 200 Euro. Mit freundlichen Grüßen, Ihre Bundesregierung. ({9}) Genau das tun Sie aber nicht. Das Geld für eine solche Aufstockung der Rentenerhöhung ist ja bei der IKB und der KfW gerade eben erst verzockt worden. Nein, Sie machen es sich einfach: Das Geschenk soll aus der Rentenkasse bezahlt werden - von den Beitragszahlern und den Rentnern selbst. Die Rentenkasse kann sich ein solches Geschenk aber nicht leisten. Die Erhöhung der Nachhaltigkeitsrücklage ist nämlich ausschließlich auf den 13. Monatsbeitrag zurückzuführen, den die Unternehmen und die Arbeitnehmer im Jahre 2006 an die Rentenkasse abführen mussten. Aus diesem Grund mache ich mir große Sorgen um die Nachhaltigkeit Ihrer Rentenpolitik. Nachhaltigkeit - das war die Leistung Ihres Vorgängers Walter Riester, mit dem Sie sich nicht vergleichen können, Herr Scholz. ({10}) Die Nachhaltigkeit sollte dadurch erreicht werden, dass den Jüngeren aufgegeben wurde, höhere Beiträge zu zahlen, als es die jetzige Rentnergeneration musste, und auch länger zu arbeiten, während den Älteren zugemutet wurde, Dämpfungen ihrer Rentenzuwächse hinzunehmen, damit für die Jüngeren überhaupt noch ein Spielraum für den Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Vorsorge verbleibt. Ich bezweifle, dass mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008 der durch das Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz vorgegebene Beitragskorridor noch eingehalten werden kann. Die Bugwelle durch die ausgefallene Dämpfung aufgrund des Nachhaltigkeitsfaktors in den Jahren 2005 und 2006 ist noch nicht abgebaut. Mit der Aussetzung der Dämpfung aus dem Riester-Faktor bauen Sie schon eine zweite Bugwelle auf. Beide Bugwellen sollen sich durch Rentenkürzungen vor der übernächsten Bundestagswahl auf wundersame Weise auflösen. Herr Scholz, das glauben Sie doch selbst nicht. ({11}) Ich fürchte eher, es wird Ihnen wie Goethes Zauberlehrling ergehen: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“. - Herr Scholz, deswegen biete ich Ihnen hier und heute eine Wette an: Die Rente mit 67 wird das Superwahljahr 2009 mit 16 Wahlen nicht überstehen. Damit kann ich gut leben; denn die FDP fordert ja statt der Anhebung der starren Regelaltersgrenze von 65 auf 67 einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand bei einem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen, was ohnehin sehr viel sinnvoller ist. Herr Minister Scholz, nach der Blamage beim Mindestlohn - stell dir vor, es ist Mindestlohn und keiner macht mit - stehen Sie nun auch in der Rentenpolitik vor einem Scherbenhaufen - und das schon wenige Monate nach Ihrem Amtsantritt. Unbewusst haben Sie sich längst von der Agendapolitik Gerhard Schröders verabschiedet. Sie wollen sich das aber nicht eingestehen. Deswegen fehlt Ihrer Politik die richtige Richtung. Ein bisschen mehr dürfen die Menschen schon erwarten und erwarte auch ich persönlich von einem Minister, der seinen Amtseid ernst nimmt. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({12})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe, CDU/CSU. ({0})

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Beobachter weiß: Unser Land ist wirtschaftlich auf einem guten Weg. Die Wirtschaft wächst, und wir haben heute 1,7 Millionen Arbeitslose weniger als vor drei Jahren. Wir als Große Koalition haben gesagt: Wir wollen, dass die Rentner an dieser guten wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. - Was ist daran eigentlich so skandalös und so zu kritisieren? Wir schlagen damit den richtigen Weg ein. ({0}) Zwei Faktoren bleiben dabei ganz klar: Es bleibt beim Lohnbezug der Rente und auch dabei, dass die Renten aufgrund unserer demografischen Entwicklung nicht so stark steigen können wie die Löhne. Das heißt, bei einem Anstieg der Lohnsumme um 1,4 Prozent in diesem Jahr steigen die Renten eben nur um 1,1 Prozent. Wir tun das, was möglich ist, um die Rentnerinnen und Rentner am Aufschwung teilhaben zu lassen. Wir schütten nicht das Füllhorn aus, aber wir tun das, was möglich ist. Wir tun das vor dem Hintergrund der Zumutungen, die die Rentner in den letzten Jahren mit drei Nullrunden unzweifelhaft erfahren haben, und auch vor dem Hintergrund dessen, dass wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung halbiert haben, wovon die Rentner, wie wir wissen, nicht unmittelbar betroffen sind. Wir haben erstmals seit der Einführung der Pflegeversicherung den Beitrag zu dieser Versicherung, der die Renterinnen und Rentner voll trifft, erhöhen müssen, weil wir uns richtigerweise dazu entschieden haben, die Leistungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung erheblich auszuweiten. Deswegen ist es zu dieser Beitragserhöhung gekommen. Gelegentlich wird festgestellt, wir machten eine Rente nach Kassenlage. ({1}) Ich finde es durchaus sinnvoll, sich mit der Kassenlage der Rentenversicherung zu beschäftigen. Als die Regierung unter Angela Merkel im November 2005 ins Amt kam, wies die Rentenkasse ein Minus von 636 Millionen Euro auf. Ende 2007 war sie bei einem Plus von 11,7 Milliarden Euro angelangt. Das wäre nicht allein durch Minijobs, Billigjobs und Niedriglöhne möglich gewesen; es ist vielmehr ein Erfolg unserer Arbeitsmarktpolitik, dass wieder mehr Menschen in Beschäftigung sind und Steuern zahlen. Für diese Erfolge, die wir erzielt haben und die uns diese Rentenpolitik ermöglichen, werden wir uns bei niemandem entschuldigen. Das sind große wirtschaftspolitische und sozialpolitische Erfolge. ({2})

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001274

Lieber Kollege Brauksiepe, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb beantworten?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Brauksiepe, stimmen Sie mir zu, dass der Eindruck, den Sie vermitteln wollen, nämlich dass genügend Geld in der Rentenkasse ist, nicht zutrifft? Hängt nicht vielmehr der Anstieg der Rentenreserve ganz überwiegend mit den 10,5 Milliarden Euro zusammenhängt, die der 13. Monatsbeitrag im Jahr 2006 in die Rentenkassen gespült hat? Stimmen Sie mir zu, dass die Rentenversicherung in den zurückliegenden Jahren Jahr für Jahr ein strukturelles Defizit zwischen 2 Milliarden und 4 Milliarden Euro aufgewiesen hat und dass wir auch im letzten Jahr trotz einer Erhöhung des Rentenbeitrags um 0,4 Prozentpunkte - das entspricht 4 Milliarden Euro - einen Überschuss von gerade einmal 1,2 Milliarden Euro erzielt haben, den Sie allein mit der Rentenerhöhung im Jahr 2008 wieder ausgeben wollen?

Dr. Ralf Brauksiepe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003055, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich stimme Ihnen nicht zu, Herr Kollege Kolb. ({0}) Die Behauptung, ein einmalig erzielter Effekt habe dazu geführt, dass die Rücklagen in der Rentenversicherung über Jahre hinweg angestiegen sind, ist völlig unlogisch. Der Natur der Sache nach ist das völlig unmöglich. ({1}) Von daher meine ich, Kollege Kolb: Setzen, sechs! Was Sie hier gesagt haben, kann nicht stimmen. ({2}) Die Lage der Rentenkasse wird zunehmend besser. Dadurch haben wir die Möglichkeit, die Renterinnen und Rentner am Aufschwung zu beteiligen, was wir auch tun. Ich wiederhole: Wir schütten nicht das Füllhorn aus. Wenn wir Ihren unsinnigen und unfinanzierbaren Vorschlag umsetzen würden, allen Betroffenen Schecks zu schicken, dann würden Sie das wiederum als Scheckbuchdiplomatie der Bundesregierung bzw. der Großen Koalition bezeichnen. Das wäre der falsche Weg. ({3}) Herr Kollege Kolb, die FDP hat am 13. Februar eine Aktuelle Stunde beantragt. Sie haben behauptet, der Aufschwung komme bei den Menschen nicht an. ({4}) Er sei nur bei 1 Prozent der Menschen angekommen. Durch die Politik dieser Bundesregierung werden jetzt 20 Millionen Menschen bessergestellt. Diesen Weg können wir beschreiten. Wir legen eben nicht die Preise fest. Sie werfen uns vor, wir wollten beispielsweise den Brotpreis festlegen. Das ist aber nicht der Fall. Wir setzen an der Stelle an, an der man etwas für die Renterinnen und Rentner tun kann, indem sie mehr Geld bekommen. ({5}) Damit, dass wir rund 20 Millionen Renterinnen und Rentner begünstigen, ({6}) schlagen wir den richtigen Weg ein. Natürlich beunruhigt auch uns die Preisentwicklung. Damit wende ich mich an die Grünen: Sie sind doch 1998 mit dem politischen Ziel angetreten, dass der Liter Benzin 5 D-Mark kosten sollte. Zum Glück sind wir noch nicht so weit. Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen uns: Wir wollen niedrigere Energiepreise. Sie hingegen wollen höhere Energiepreise, die den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen. ({7}) Wir führen eine Debatte über die Ordnungspolitik in dieser Frage. Wir sind durchaus bereit, darüber zu diskutieren. Ich erinnere Sie aber in diesem Zusammenhang daran, dass Sie die Rentenformel viermal in sieben Jahren rot-grüner Regierung geändert haben. Sie waren doch an der Aussetzung des demografischen Faktors beteiligt, für die sich Gerhard Schröder später bei den Menschen entschuldigt hat. Sie haben viermal die Rentenformel geändert und drei Nullrunden herbeigeführt. Sie haben nicht nur eine unsystematische Rentenpolitik betrieben, sondern sie waren auch sozial erfolglos und haben die wirtschaftliche Lage der Renterinnen und Rentner verschlechtert. Das ist der Unterschied zwischen uns: Sie mussten Rentenpolitik nach Kassenlage machen, weil Sie die Renten nicht erhöhen konnten. Wir haben dafür gesorgt, dass die Kassen wieder zulassen, dass die Renterinnen und Rentner am Aufschwung teilhaben. ({8}) Ich will noch etwas zu Ihnen sagen, meine Damen und Herren von der Linken. Sie haben in der Tat an den Eingriffen in die gesamtdeutsche Rentenformel nicht teilgenommen. Der letzte rentenpolitische Eingriff, den Sie vorgenommen haben, war 1989. Damals haben Sie zum 40. Jahrestag der DDR die Rente auf mindestens 330 Ost-Mark angehoben. Das ist die rentenpolitische Bilanz Ihrer Partei nach 40 Jahren. Dafür sollten Sie sich schämen, anstatt uns zu kritisieren. ({9}) In einem umlagefinanzierten Rentensystem ist völlig klar, dass jeder zusätzliche Euro, den die Rentner bekommen, nur von den aktiven Beitrags- und Steuerzahlern aufgebracht werden kann. ({10}) Deswegen sind die kritischen Fragen der Jüngeren, wie es um die Generationengerechtigkeit bestellt ist, vollkommen verständlich. Es ist die Aufgabe dieser Regierung genauso wie jeder anderen, auf die Herausforderungen, die sich durch die Alterung unserer Gesellschaft ergeben, generationengerecht zu reagieren. Vielen Älteren erscheint die jetzige Rentenerhöhung viel zu gering, während viele Jüngere mit Recht fragen, wie es um die Beiträge bestellt ist, die sie zu leisten haben, und was sie dafür bekommen. Deswegen ist es uns wichtig, dass klar ist, dass wir mit unserer Gesetzgebung die Beitragsziele für das Jahr 2020 und das Jahr 2030, die wir in der Großen Koalition vereinbart haben, erreichen können. Worüber reden wir denn bis 2020? Wir reden doch nicht über Beitragserhöhungen und höhere Bundeszuschüsse. Vielmehr reden wir darüber, wann wir die Beitragszahler und die Steuerzahler um welchen Betrag entlasten können. Es ist klar, dass wir bis zum Jahr 2020 die Beitrags- und Steuerzahler im Vergleich zum heutigen Beitragssatz in der Rentenversicherung von 19,9 Prozent entlasten können. Auch das ist ein Unterschied zur Vorgängerregierung. Wir streiten nicht über höhere Beiträge, sondern über den Zeitpunkt und das Ausmaß der Entlastung. Das hat auch etwas mit unserer guten Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun, die für mehr Beschäftigung in diesem Land gesorgt hat. ({11}) Wir schütten nicht das Füllhorn aus. Wir bauen keine Wolkenkuckucksheime auf, sondern leisten einen Beitrag dazu, dass die Rentnerinnen und Rentner von der guten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land nicht abgekoppelt werden und gleichzeitig die jüngere Generation nicht auf unzumutbare Weise belastet wird. Das, was wir machen, ist sozial und generationengerecht. Deswegen bitte ich dafür um Unterstützung. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Volker Schneider, Fraktion Die Linke. ({0})

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als die Deutsche Rentenversicherung Bund gerade verkündet hatte, dass die Renten um 0,46 Prozent steigen sollten, sprach mich eine Rentnerin bei einer Veranstaltung im Saarland an. Sie beziehe eine Rente von 651 Euro - das ist immerhin deutlich mehr als der Durchschnitt, der bei Frauen in Westdeutschland bei 465 Euro liegt -, und 0,46 Prozent, sagt sie, seien noch nicht einmal 3 Euro. Dafür könne sie sich allenfalls eine Tasse Kaffee mehr leisten; für ein Stückchen Kuchen reiche das nicht mehr. Tatsächlich hätte sie sogar die Tasse Kaffee vergessen können; denn nach Abzug des höheren Pflegeversicherungsbeitrags bleiben netto gerade einmal 1,37 Euro übrig. Immer habe sie CDU gewählt; aber damit sei nun Schluss. Beim nächsten Mal wähle sie die Linke. ({0}) Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, Sie wissen nur zu genau, dass dies kein Einzelfall ist. Deshalb greifen Sie auf abenteuerliche Weise in die Rentenformel ein. Sie wollen Wahlgeschenke verteilen. Nun sollen die Renten um 1,1 Prozent steigen. Nach Abzug der Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags um 0,25 Prozentpunkte bleibt eine reale Erhöhung von 0,85 Prozent übrig. Jetzt hätte unsere Rentnerin 5,53 Euro mehr in der Tasche. Die gehen aber bei einer 50-Quadratmeter-Wohnung allein für die gestiegenen Heizkosten drauf. Für alle weiteren Preiserhöhungen muss an anderer Stelle gespart werden. Ich befürchte, dass in Zukunft alle Café-Besuche gestrichen werden müssen. ({1}) Bei den Männern und einer durchschnittlichen Rente in Höhe von 969 Euro in den alten Bundesländern bleiben 8,24 Euro statt 2,03 Euro mehr in den Taschen. Auch das ist zu wenig, um die zahlreichen Preiserhöhungen ausgleichen zu können. 0,85 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,3 Prozent im Jahr 2007 und von zuletzt 3,1 Prozent im März 2008! Da besitzen Sie die Frechheit, zu behaupten, es gehe Ihnen darum, die Rentner am Aufschwung teilhaben zu lassen. Es ist ein Stück aus dem Tollhaus, wenn Bundesminister Scholz oder auch Herr Brauksiepe uns hier weismachen wollen, es sei ein Aufschwung, wenn die Rentner real weniger in den Taschen haben. ({2}) Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs; denn die Inflationsrate beinhaltet beispielsweise eine Senkung der Computerpreise von 10 Prozent. ({3}) Rentnern dürfte dies nicht wesentlich geholfen haben. Die Steigerung der Preise für Lebensmittel und Getränke in Höhe von 10 Prozent, die Steigerung der Heizkosten, etwa beim Heizöl, von mehr als 40 Prozent - das ist das, was die Rentnerinnen und Rentner hart trifft. Gemessen am tatsächlichen Konsumverhalten liegen die Preissteigerungen für die Rentner nach Berechnungen der Universität Fribourg aktuell bei 6 Prozent. Real haben Rentnerinnen und Rentner also mehr als 5 Prozent weniger in der Tasche, ich wiederhole: mehr als 5 Prozent. ({4}) Das ist der Aufschwung, von dem Sie sprechen. Das ist kein Aufschwung, sondern das ist eine Verhöhnung von Menschen, denen dieses Land für ihre Aufbauleistung erheblichen Dank schuldet. Sie berauschen sich an Ihrem Aufschwung, den zu bejubeln Sie nicht müde werden. Für das Jahr 2007 hatten Sie eine Lohnentwicklung von 1,8 Prozent prognostiziert. Das ist nicht gerade ein ambitioniertes Ziel für ein Aufschwungjahr. Geworden sind es dann gerade einmal 1,4 Prozent. Auch bei den Arbeitnehmern kommt Ihr Aufschwung nicht an. Statt der zu erwartenden Rentenerhöhung von 1 Prozent beträgt diese ohne Ihre Notoperation nicht einmal ein halbes Prozent. Da trauen Sie sich noch, für 2012 von einer Lohnerhöhung von 2,2 Prozent auszugehen und weiter anzunehmen, dass diese bis 2020 gleichmäßig auf 3 Prozent ansteigt und danach konstant bleibt. Falls Sie es immer noch nicht bemerkt haben: Das Einzige, was bei Ihnen beschäftigungsmäßig explodiert, ist der Niedriglohnsektor, ist Leiharbeit, sind Mini- und Midijobs. Insoweit sind solche Annahmen Wolkenkuckucksheime und völlig unverantwortlich. ({5}) Aber in einem haben Ihre Planungen wirklich innovativen Charakter. Das ist sicherlich das erste Geschenk mit garantierter eingebauter Rückgabeverpflichtung. 46 Euro mehr wird der sogenannte Eckrentner 2008 nach Ihrem Entwurf erhalten. Der Betrag steigert sich auf bis zu 189 Euro im Jahr 2011. Aber ab 2013 wird die Rente nach Ihrem neuen Plan nun niedriger sein als nach dem bisherigen. Das wird auch mindestens bis 2030 so bleiben. Dumm ist nur, wenn man in den fetten Jahren nicht profitieren kann, weil der Rentenbezug erst in den mageren Jahren beginnt. Die heute 60-Jährigen, die 2013 in Rente gehen, profitieren von Ihrer Regelung nicht mehr, sondern sie zahlen nur noch drauf. ({6}) Bei den 17 Bezugsjahren, von denen auch der Bundesminister gerade eben gesprochen hat, wären das rund Volker Schneider ({7}) 400 Euro weniger. Da sagen wir als Linke: Sozial gerecht sieht anders aus. ({8}) Abschließend noch ein Wort zum Thema Generationengerechtigkeit. Auch durch das Dreisäulenmodell wird der Finanzbedarf für die Altersvorsorge insgesamt nicht niedriger. Bei dem Rentenreformgesetz von 1992 war für 2030 ein Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung von maximal 28 Prozent angenommen worden. Die rot-grünen Rentenreformen senkten den zu erwartenden Beitragssatz auf 22 Prozent im selben Jahr. Die daraus resultierenden Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung machen jedoch eine zusätzliche private Altersvorsorge nötig. Das sind 3 Prozent Riester, wenn wir die staatliche Förderung von 25 Prozent abziehen, plus weitere 3 Prozent sonstige private Vorsorge. Das macht zusammen - man staunt - ebenfalls 28 Prozent, nur dass jetzt die Arbeitnehmer nicht mehr 14, sondern 17 Prozent zu tragen haben. Gespart wird also nichts. Im Gegenteil: Die Studie „Altersvorsorge in Deutschland - AVID -“ lässt eher vermuten, dass 6 Prozent private Vorsorge nicht ausreichen werden, um das vorhergehende Versorgungsniveau zu erreichen. Wie sähe die aktuelle Beitragsversorgung aus? Nach der Gesetzeslage von 1992 läge der Beitragssatz heute bei rund 22 Prozent. Die Hälfte, also 11 Prozent, zahlt der Arbeitnehmer. Aktuell sind es für den Arbeitnehmer 9,75 Prozent plus 6 Prozent private Vorsorge, also 15,75 Prozent, oder er riskiert eine deutlich abgesenkte Versorgung im Alter. Was daran generationengerechter sein soll, wenn jüngere Arbeitnehmer schon heute und nicht erst 2030 deutlich höhere Beiträge für die Altersvorsorge einzahlen müssen und sich trotzdem auf niedrigere Versorgungsleistungen im Alter einstellen müssen, bleibt das Geheimnis der Kollegen Spahn, Fuchs und von wem auch immer, der meinte, sich an dieser Debatte beteiligen zu müssen. ({9}) Der Konflikt besteht nicht zwischen Alt und Jung, sondern zwischen oben und unten in dieser Gesellschaft, zwischen Arm und Reich. Unternehmen und Besitzer von Kapitalvermögen sind diejenigen, die den Löwenanteil des Aufschwungs einstreichen. Gleichzeitig entziehen sie sich ihren gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen. Von wegen Eigentum verpflichtet! Sie zahlen schon heute nur 9,75 Prozent statt 11 Prozent und perspektivisch 2030 nur 11 Prozent statt 14 Prozent in die gesetzliche Rente. Für die Linke sind bezahlbare Renten für die jüngere Generation und ein würdevolles Leben im Alter keine Gegensätze. Sie sind eine Frage des politischen Willens. Aber dazu fehlt dieser Bundesregierung der Wille. Mit dem jetzt vorgelegten Taschenspielertrick werden Sie sich auf Dauer nicht über die Runden retten können. Für die Linke gehört der Riester-Faktor nicht aufgeschoben, sondern abgeschafft. Mit ihm sollten alle weiteren rotgrünen Dämpfungsfaktoren abgeschafft werden. Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was der Kollege Schneider von den Linken soeben vorgetragen hat, war nicht ehrlich. ({0}) Wer - wie die Linke - ignoriert, dass es in dieser Gesellschaft ein demografisches Problem gibt, der muss zu Rentenfragen eigentlich schweigen. ({1}) Lafontaine hat immer wieder gesagt, die demografische Frage sei eigentlich eine neoliberale Erfindung. Sie lehnen alle Vorschläge, die als ein sich in der Rentenformel niederschlagender Reflex auf die demografische Entwicklung zu verstehen sind, kategorisch ab. Würde man dem Rentenmodell der Linken folgen - ich habe mir einmal die entsprechenden Zahlen angeschaut -, käme es bis 2030 zu einer Beitragserhöhung auf 28 Prozent. ({2}) Das heißt, der Durchschnittsverdiener müsste im Jahr 1 700 Euro mehr Beitrag zahlen. Deswegen ist das, was Sie hier vortragen, einfach nicht ehrlich. Sie scheiden für mich aus der Diskussion wirklich aus. ({3}) Damit hier kein Missverständnis aufkommt, will ich hinzufügen: Als wir in den Medien gehört haben, der Bundesarbeitsminister wolle die Renten in den Jahren 2008 und 2009 erhöhen, fanden wir es richtig; schließlich können wir die soziale Lage der Rentner, vor allem der kleinen Rentner, natürlich nicht ignorieren. Gerade diejenigen, die kein privates Vermögen haben, die keine Wohnungen besitzen, also diejenigen, die unten sind, haben Probleme. Als wir aber gesehen haben, mit welcher Technik Sie, Herr Scholz, diese Rentenerhöhung vornehmen wollen, sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Das können wir nicht mittragen; denn es ist ein willkürlicher Eingriff. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Kuhn, der Kollege Ernst würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, daran habe ich kein Interesse. ({0}) - Ihnen fehlt die Grundlage für diese Debatte. Deswegen hat es keinen Sinn. ({1}) Die erste Frage, der Sie, Herr Arbeitsminister, sich stellen müssen, ist folgende: Wenn 3,1 Prozent Inflation für den kleinen Rentner eine unzumutbare Belastung sind - das finde ich auch -, warum sind sie das nicht auch für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher? Sie müssen wissen: 3 Prozent Inflation kann für bestimmte Haushaltsformen eine Verteuerung um bis zu 6 Prozent und mehr bedeuten, weil man nicht ausweichen kann. Mit dem, was Sie hier vorlegen, beantworten Sie diese Frage nicht. ({2}) Für eine der Ursachen dieser Kostensteigerung ist diese Bundesregierung verantwortlich, nämlich für die ruhmreiche Mehrwertsteuererhöhung, unter der die Leute weiter leiden. Das, was Sie vorlegen, ist kein rundes Konzept. ({3}) Ordnungspolitisch müsste folgender Grundsatz gelten: Wer durch haushaltsrelevante Politik wie eine Mehrwertsteuererhöhung bei denjenigen Menschen, die sehr wenig haben, soziale Probleme schafft, der muss darauf auf Ebene des Haushalts reagieren und der darf nicht willkürlich in die Rentenformel eingreifen. ({4}) Ein solcher Eingriff darf meines Erachtens nicht möglich sein. Wenn Sie ihn doch vornehmen, dann geraten Sie ordnungspolitisch in ein ziemliches Chaos. Tatsächlich führt der Eingriff in die Rentenformel nur zu einer Verschiebung: Heute etwas geben, morgen wird’s bezahlt. Dies bedeutet Kosten von insgesamt 12 Milliarden Euro, die durch noch nicht vollzogene Lohnnebenkostensenkungen in den Jahren 2011 und 2012 finanziert werden müssen. Die Riester-Stufe muss nachgeholt werden, und dies wird dann später durch zu geringe Rentenerhöhungen wieder von den Rentnern zu bezahlen sein. Das Absurdeste Ihres Vorgehens ist, dass Sie die Erhöhung im Jahr 2009 vornehmen. Zu 2008 kann man ja noch sagen, dies geschehe, weil die Rentenentwicklung der Lohnentwicklung nachhinkt. Aber dass Sie das Gleiche im Jahr 2009 auch machen wollen, obwohl wir im Jahr 2008, also dem Vorjahr, starke Lohnzuwächse haben und die Renten ohnehin über das Maß der vergangenen Jahre hinaus steigen werden, ist mit nichts anderem zu erklären als damit, dass Sie sich gesagt haben: Wenn wir uns jetzt hiermit schon den ordnungspolitischen Ärger einhandeln, dann wollen wir zumindest im Wahljahr noch richtig eins draufpacken. Die Rentenerhöhungen des Wahljahres, des nächsten Jahres, werden mit über 2 Prozent, vielleicht mit 2,2 bis 2,5 Prozent, so hoch sein, wie es diejenigen der darauffolgenden drei Jahre zusammen nicht sein werden. Damit ist doch ganz klar, was Sie da eigentlich vorhaben und anrichten. ({5}) Deswegen werden wir diesem Murks nicht zustimmen, den Sie da vorlegen, denn es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben, die im Jahr 2008 auftretenden Probleme auszugleichen. Sie hätten sich zum Beispiel die Frage stellen können, ob es nicht richtiger wäre, die Grundsicherung zu erhöhen; denn diejenigen, die in der Altersgrundsicherung sind, werden aufgrund Ihres Vorschlags nur 2 Euro monatlich bekommen. Oder Sie hätten sagen können: Es wird einmalig aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen, ({6}) entweder nach dem Modell, das Sie dargestellt haben, oder etwa dadurch, dass Sie ein Jahr lang für die Bezieher von Arbeitslosengeld II die Halbierung vom 1. Januar 2007 zurücknehmen und doch die vollen Rentenversicherungsbeiträge einzahlen. Der Witz ist ja, Herr Scholz: 2 Milliarden Euro kostet es den Bundeshaushalt ohnehin. Mit diesen 2 Milliarden Euro hätten Sie das Problem im Jahr 2008 tatsächlich lösen können, und diese Operation wäre gar nicht nötig. Sie zerstören Vertrauen in die Rentenformel. Welchen anderen Sinn als Verlässlichkeit hat denn die Rentenformel? Wenn Sie wegen eines Problems, das real in einem Jahr besteht, in diese Formel eingreifen, dann zerstören Sie Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit, und Sie schädigen damit in großem Maße das Vertrauen, dass Politik nachhaltige Rentenpolitik überhaupt organisieren und finanzieren kann. ({7}) Deswegen hat die Bundeskanzlerin nicht Recht. Sie hat Herrn Scholz vorgeworfen, er hätte das schlecht verkauft. Aber sie hat nicht dazu gesagt, dass es Murks ist, was er gut hätte verkaufen sollen. ({8}) Ich meine, damit hat sie ihn überfordert. Diesen Murks kann man nicht gut verkaufen. Er gehört so verkauft, wie er verkauft worden ist, weil das schlechte Gewissen und der willkürliche Eingriff in die Rentenformel einfach nicht durch Schauspielerei wegzureden sind. Vielen Dank. ({9})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen Ernst.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Kollege Kuhn, einfach nur zur Klarstellung: Sie haben jetzt eben behauptet, die Linke wäre für eine Rentenerhöhung auf 28 Prozent. ({0}) - Eine Beitragssatzerhöhung auf 28 Prozent; ({1}) keine Aufregung, wir bringen das gleich in Ordnung. Wenn Sie meinem Vorredner Schneider zugehört hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass er gesagt hat: Im Jahr 2030 werden wir tatsächlich einen realen Beitrag von 28 Prozent haben, allerdings mit einem Unterschied. Dieser Beitrag von 28 Prozent wird nicht mehr paritätisch finanziert sein, sondern es werden 11 Prozent Arbeitgeberbeitrag, aber faktisch 17 Prozent Arbeitnehmerbeitrag sein. Sind Sie wenigstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass, wenn dieser Beitrag von 28 Prozent paritätisch finanziert werden würde, der Beitrag für die Arbeitnehmer auf 14 Prozent sinken würde, also 3 Prozent geringer wäre als vorher? Zumindest auf diese mathematische Betrachtung des Problems müsste man sich in diesem Haus doch verständigen können. - Dies ist das Erste, Herr Kuhn. Das Zweite: Wenn ausgerechnet Sie von den Grünen im Zusammenhang mit der Rentenformel von Verlässlichkeit reden, dann haut es einem ja den Gürtel vor. Das kann doch nicht wahr sein! Sie haben doch die Rentenformel in einer Art und Weise verändert, und zwar unter Ihrer Regierung mit der SPD, ({2}) dass heute jeder weiß, dass er als Rentner in Armut leben wird bzw. nicht mehr von seiner Rente wird leben können. Im Übrigen, Herr Kuhn, auch das ist falsch: Der Sinn der Rentenformel ist nicht Verlässlichkeit. Der Sinn der Rentenformel ist, dass die Rentner im Alter vernünftig leben können. Den haben Sie zerstört; das will ich in aller Klarheit sagen. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Kuhn, Sie dürfen antworten.

Fritz Kuhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003577, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die 28 Prozent, Herr Kollege Ernst, kommen folgendermaßen zustande: Wir haben uns angeschaut, was Sie bei den Rentenreformen der letzten Jahre, die unter den Stichworten „Demografie“ und „Generationenvertrag“ gemacht wurden, alles abgelehnt haben. Wenn man dies auf der Basis dessen, was Sie alles abgelehnt haben, rechnet - Sie wollten immer schön populistisch das Händchen fein sauber halten -, ({0}) kommt man auf die 28 Prozent im Jahre 2030. ({1}) Wenn ich das umrechne, dann kann ich Ihnen nachweisen, wie viel mehr das die Beschäftigten kostet. ({2}) Das ist eine einfache Rechnung. Wir können sie einmal öffentlich gemeinsam ausführen. Sie können sich aber nicht bei jedem Punkt, der aus demografischen Gründen im Rentensystem reformiert wird, sozusagen einen schlanken Fuß machen und dann von uns verlangen, nicht mehr daran erinnert zu werden, welche Konsequenzen Ihre Politik hätte. Außerdem möchte ich die willkürlichen Eingriffe ansprechen. Ich nenne es willkürlich, die Rentenformel durch das Aussetzen der Riester-Stufe zu verändern, um ein Problem im Jahre 2008 zu lösen. Die Grundreformen der letzten Jahre - ob von Rot-Grün oder der Großen Koalition - tragen aber einer Grundtatsache Rechnung. ({3}) - Er hat doch eine Frage gestellt. Benehmen Sie sich also und hören Sie bei der Beantwortung zu! Das ist doch nicht so schwer, auch wenn es wehtut. - Die Rentenformel muss eines berücksichtigen: den Generationenvertrag. Wenn die heutigen jungen Einzahler merken, dass sie zwar einzahlen, aber beim Stand der alten Rentenformel keine auskömmlichen Renten bekommen, dann muss der Staat, wenn er Verantwortung übernimmt, in die Rentenformel eingreifen. Dies darf nicht willkürlich und mit schnellem Atem geschehen, sondern prinzipiell, wie wir es zum Beispiel mit der Riester-Rente gemacht haben. Diese lehnen Sie ja draußen immer noch populistisch ab. Deswegen sage ich noch einmal: Sie haben in diesem Hause nicht auf diese Weise über die Seriosität, was den Generationenvertrag angeht, zu sprechen, denn draußen reden Sie anders. Das war der Sinn meiner Ausführungen, Herr Ernst. - Vielen Dank noch für Ihre Frage. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner, SPDFraktion.

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Es ist in den letzten Tagen und Wochen viel zum Thema Generationengerechtigkeit gesagt worden, insbesondere von jüngeren Kollegen und Kolleginnen aus dem Hause. Es heißt, die Aussetzung der sogenannten RiesterTreppe und die damit verbundene höhere Rentenanpassung gefährdeten das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Ich halte das für ebenso falsch wie zynisch; denn diejenigen, die zur heutigen Rentnergeneration gehören - das ist die Generation meiner Eltern -, ({0}) haben den Zweiten Weltkrieg miterleben müssen - wir haben dazu heute früh Eindrucksvolles gehört -, sind in der Nachkriegszeit aufgewachsen. Sie haben wesentlich schlechtere und weniger Bildungschancen gehabt als die Angehörigen meiner Generation, der Generation danach, haben in den 50er- und 60er-Jahren aber die Grundlagen für den relativen Wohlstand unserer Gesellschaft gelegt. ({1}) Wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, sollten wir die Lebensleistung dieser Rentnergeneration, die im Vergleich zu der meiner Generation oder auch der nachfolgenden Generationen eine ganz besondere ist, nicht kleinreden, indem wir jetzt künstlich einen Generationenkonflikt aufmachen, der so überhaupt nicht existiert. Es geht nicht nur um Generationengerechtigkeit, sondern auch um Solidarität zwischen den Generationen. Diese ist nicht nur daran zu messen, ob eine Rentenformel akribisch umgesetzt wird. Es geht auch darum, dass alle Generationen an dem Wohlstand, der erarbeitet worden ist, teilhaben können. Die Rentenformel ist kein Dogma, darf auch kein Dogma sein, sondern muss sich an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren, und die Lebenswirklichkeit ist, dass die Rentner und Rentnerinnen wie die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auch Preissteigerungen zu verkraften haben. Insofern ist jetzt zwar kein vollständiger Ausgleich, aber doch zumindest eine Verbesserung möglich. Herr Kolb, es wundert mich schon ein bisschen, wenn Sie auf der einen Seite beklagen, dass die Rentenanpassung zu gering sei, gleichzeitig aber sagen, an der Rentenformel dürfe nichts geändert werden. Sie fordern steuerliche Entlastungen. Wenn ich mich nicht sehr verhört habe, dann habe ich eben von Ihnen gehört, dass Sie eine Steuerentlastung auf den Energieverbrauch der Rentnerinnen und Rentner fordern. Das habe ich so verstanden. ({2}) Wenn das wirklich ein ernsthafter und seriöser Vorschlag von Ihnen ist, dann weiß ich nicht, was Sie als Mitglied der Regierung Kohl/Genscher überhaupt gelernt haben. In dieser Zeit haben Sie auch in Rentenformeln eingegriffen und beispielsweise die Kosten der deutschen Einheit im Wesentlichen über die Sozialversicherungssysteme und die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler finanziert. ({3})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Kolb?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, gern.

Dr. Heinrich L. Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001171, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin Ferner, ich bedanke mich für die Gelegenheit, die beiden Vorschläge, die ich gemacht habe, näher zu erläutern. Wären Sie bereit, Folgendes zur Kenntnis zu nehmen? Ich habe gesagt, eine Möglichkeit wären gezielte steuerliche Entlastungen der Rentnerhaushalte, zum Beispiel bei den Energiesteuern, weil die Rentner besonders von den Preissteigerungen, die gerade bei den Kraftstoffen wie Benzin und Heizöl zu verzeichnen sind, betroffen sind. Das wäre eine Möglichkeit. ({0}) Die andere Möglichkeit ist ehrlicher. Hier hat mir jetzt sogar der Herr Kollege Kuhn von den Grünen zugestimmt. Die andere Möglichkeit wäre, den Rentnern einfach einen Scheck in der Höhe zu schicken, die sich rechnerisch ergibt. Das sind für die beiden Jahre durchschnittlich 200 Euro. So etwas gibt es in den USA auch immer mal wieder. Dann hätten Sie konkret einen Finanzierungsbeitrag zu dem, was die Rentnerinnen und Rentner Tag für Tag in Deutschland ausgeben müssen, um ihren Unterhalt zu fristen. Das sind die beiden Alternativen. ({1}) Wir können über beide Möglichkeiten reden. Entscheidend ist, dass der Ausgleich nicht aus der Rentenkasse erfolgen kann, weil hier nicht die Masse vorhanden ist. Vielmehr muss die Finanzierung aus dem Haushalt erfolgen. Weil Herr Steinbrück auch das Gros der Mehreinnahmen aus dem Aufschwung für sich vereinnahmt hat, soll er auch für diese Geschenke geradestehen. Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Elke Ferner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000535, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kolb, ich nehme zur Kenntnis, dass Ihre Tätigkeit in einer Bundesregierung offenbar nicht dazu geführt hat, dass Sie die Dinge mit klarem Blick sehen. Erstens. Eine Steuerentlastung auf Energiekosten nur für Rentnerinnen und Rentner entspricht für mich - obwohl ich keine Juristin bin - nicht dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes. Es gibt sehr wohl auch Familien, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen und die unter den hohen Preisen und Energiekosten leiden. Aus diesem Grund haben wir beispielsweise das Wohngeld erhöht. ({0}) - Herr Kolb warten Sie doch die Antwort ab. Sie dürfen gern noch einmal nachfragen. - Wir werden also deshalb das Wohngeld erhöhen und eine Energiekostenkomponente in das Wohngeld einbauen. Zweitens. Sie sagen, wir sollten jetzt einfach 200 Euro ausschütten, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind. Entscheiden Sie bitte, was Sie wollen: Mehrausgaben aus dem Bundeshaushalt oder Einsparungen? ({1}) Sie fordern die Abschaffung der Mehrwertsteuererhöhung. Das bedeutet geringere Einnahmen. Damit kann auch weniger ausgegeben werden. Das ist eigentlich ganz logisch. Das scheinen Sie aber nicht begreifen zu können. ({2}) Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den der Kollege Kuhn eben angesprochen hat. Herr Kuhn, Sie haben eben gesagt, nach Ihrer Auffassung hätte man die Grundsicherung anheben können. Man kann die Grundsicherung zum einen nicht losgelöst sehen, denn sie hängt mit allen Grundsicherungssystemen zusammen. Zum anderen ist auch Ihre Aussage falsch, dass die Grundsicherungsbezieher von der Rentenerhöhung nichts haben; denn die Höhe und die Steigerungsrate der Grundsicherung sind an den Mechanismus der Rentenanpassung gekoppelt. Es gibt also auch dort eine Erhöhung. Wie ich höre, wurde im Arbeits- und Sozialausschuss gesagt, zwei Euro seien viel Geld, wenn es um das Thema SGB II gehe. Wenn es um das Thema Rente geht, dann sind zwei, drei oder sechs Euro aber nicht viel Geld. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, auch hier muss man sich entscheiden. ({3}) Ich muss auch sagen: Die Vorschläge, die alte Rentenformel wieder einzusetzen, wobei man sich fragt, ob dies mit oder ohne den demografischen Faktor von Herrn Blüm erfolgen soll, was auch noch zu klären ist, sind genauso abenteuerlich wie Ihre Finanzierungsvorschläge. Sie müssen zur Kenntnis nehmen, auch wenn es vielleicht ein bisschen unbequem ist, dass die demografische Entwicklung heute Handeln erfordert, damit sowohl die Renten für die zukünftige Generation gesichert sind als auch sichergestellt wird, dass die Rentenbeiträge von denjenigen, die sie bezahlen müssen, noch getragen werden können. Insofern werden wir, wie ich glaube, das Richtige tun. Wir passen gemäß den Möglichkeiten, die wir derzeit haben, die Renten in diesem und im nächsten Jahr an. Ich hoffe, dass wir uns in der nächsten Zeit auch einmal über das Thema unterhalten, wie wir für armutsfeste Renten sorgen können. Meiner Meinung nach könnten wir das erreichen, indem wir durch die Festlegung von Mindestlöhnen für existenzsichernde Löhne sorgen und uns darum kümmern, dass beispielsweise Frauen häufiger Vollzeit statt Teilzeit arbeiten können. Dies wäre in meinen Augen besser als die Einführung eines Erziehungsgehalts bzw. eines Betreuungsgeldes, worüber ja in Teilen des Hauses diskutiert wird. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Max Straubinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Rentenpolitik ist von jeher ein Anlass für Auseinandersetzungen hier im Parlament. Darüber hinaus ist es aber entscheidend, dass es uns gelingt, den Bürgerinnen und Bürgern zu verdeutlichen, dass wir ein gutes Rentensystem haben, das sie im Alter vor Armut schützt. Diese Aussage sollten wir, wie ich glaube, häufiger in den Mittelpunkt unserer politischen Debatten und Diskussionen stellen. Deshalb, verehrter Kollege Kolb, missbillige ich durchaus, dass Sie hier in dieser Debatte, bei der es um die Erhöhung der Renten geht, von Manipulation der Rentenformel, von Almosen für die Rentnerinnen und Rentner bzw. dem Kauf von Wählerstimmen sprechen, nur weil Ihnen der Weg nicht gefällt. ({0}) Ich glaube, dass dies nicht angemessen ist für eine Debatte, in der es um die soziale Sicherung der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland geht. ({1}) Ich möchte hier darlegen, dass unser Rentenversicherungssystem auf stabilen Grundfesten ruht, nämlich auf dem Generationenzusammenhalt. Das heißt, diejenigen, die im Erwerbsleben stehen und damit Beitragszahler sind, können sich im Alter darauf verlassen, dass sie abhängig von den geleisteten Beiträgen eine Rente bekommen. Damit ist zugleich der Anspruch an die gesetzliche Rentenversicherung verbunden, im Alter eine finanzielle Lebensgrundlage zu bieten. Natürlich sind in der Vergangenheit vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung immer wieder Anpassungen im Rentenversicherungssystem erfolgt; diese werden auch in Zukunft - davon bin ich überzeugt - immer wieder nötig sein. Auch die FDP hat ja noch 1992 einen entsprechenden Beitrag geleistet, indem sie mit für die Einführung des Mechanismus gesorgt hat, dass Rentenerhöhungen erst verzögert erfolgen, nämlich nach entsprechenden Lohnerhöhungen in der Vergangenheit. Dies ist meines Erachtens ebenfalls darzustellen. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die geplante Rentenerhöhung betrachtet werden.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schewe-Gerigk?

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Irmingard Schewe-Gerigk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herzlichen Dank, Herr Kollege Straubinger, dass Sie mir Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben. - Sie sind ja Mitglied der CSU. Man hört nun, dass Minister Seehofer und auch Kollege Ramsauer der Meinung seien, man solle die Riester-Treppe, also diese 0,6 Prozent, für die nächsten vier Jahre ganz aussetzen. ({0}) Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Sind Sie auch dieser Meinung? Wenn ja, möchte ich Sie als Zweites gerne fragen, ob Sie wissen, dass das 115 Milliarden Euro kostet. ({1}) Als Drittes möchte ich Sie gerne fragen, wie Sie das finanzieren wollen. ({2})

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Werte Frau Kollegin, herzlichen Dank für die Frage. Das gibt mir die Gelegenheit, darzustellen, dass der Riester-Faktor nicht zu einem beständigen Faktor der Rentengesetzgebung werden darf. Er ist ja daraufhin angelegt, dass er irgendwann ausläuft. ({0}) Ich bin überzeugt davon, dass er dann 2012 auch endgültig auslaufen wird. Natürlich, Frau Kollegin Schewe-Gerigk, sind wir eine Volkspartei. ({1}) Eine Volkspartei ist breit aufgestellt, und in manchen Diskussionsprozessen gibt es viele Meinungen. ({2}) Diese Meinungen werden in einer breiten Volkspartei, wie es die CSU ist, kanalisiert und dementsprechend zu einem guten Gesamtergebnis zusammengeführt. Das ist meines Erachtens das Entscheidende. Wir werden diese Diskussion sehr eindringlich in unseren eigenen Reihen führen. ({3}) - Ich bin nicht dafür. ({4}) - Wir sind immer für vernünftige Lösungen. Werte Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung, den wir heute einbringen, auch bedeutet, dass wir dem sozialpolitischen Beistand für die Rentnerinnen und Rentner besonderes Gewicht beimessen. Dies ist meines Erachtens auch erforderlich. Heute wurde ja bereits vielfältigst dargelegt, dass Preissteigerungen und dergleichen mehr zu großen Belastungen der Rentnerinnen und Rentner ebenso wie aller Bürgerinnen und Bürger - auch derjenigen, die über kleine Einkommen verfügen - führen. ({5}) Deshalb gilt es hier nicht, Preissteigerungen zu berücksichtigen. Vielmehr geht es nach der guten Formel, dass die Rente an die Entwicklung der Löhne und Gehälter angepasst wird. Das wird auch weiterhin so sein - unter den demografischen Gesichtspunkten. Dass die Linke in unserem Haus die demografischen Gesichtspunkte ausblendet, das liegt direkt auf der Hand. Von ihrem Vorsitzenden Lafontaine wurde die demografische Entwicklung immer ausgeblendet. Er war ja einmal SPD-Vorsitzender. Zu diesem Zeitpunkt, 1997, als wir den demografischen Faktor eingeführt haben, hat die SPD die demografische Entwicklung ausgeblendet. Im damaligen Bundestagswahlkampf ist gesagt worden, dieser sei nicht notwendig. Damals wurde er von Lafontaine ausgeblendet. Genauso muss es jetzt bei der Linken weitergehen. Herr Kollege Ernst, Ihr Modell bedeutet, dass die Beitragszahler mit bis zu 28 und 30 Prozent belastet werden. ({6}) Das zeigt natürlich sehr deutlich, dass Sie eine Politik an den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbei betreiben. ({7}) Sie beklagen, dass es keine paritätische Finanzierung der Renten gebe. Dies ist aber in Zukunft mit der Kombination der Riester-Rente gewährleistet; denn die umfangreichen staatlichen Zuschüsse über Steuergelder mit einer Förderung von bis zu 80 Prozent bei der RiesterRente sind eine Form der paritätischen Finanzierung der Zukunftssicherung im Alter. Dies sollten wir in das Blickfeld rücken und nicht einfach kleinkrämerisch ab16126 zählen, welche Beiträge geleistet werden. Dass damit über die Steuerzahler ein wesentlicher Beitrag für die Sicherung der Bürgerinnen und Bürger im Alter geleistet wird, das ist sehr deutlich anzuerkennen. In diesem Sinne erleichtert dies gerade der jüngeren Generation die Möglichkeit, verstärkt Eigenvorsorge zu betreiben, was bereits in der Vergangenheit Gebot der Stunde war. Auch wenn es jetzt 10 Millionen Riester-Verträge gibt, so gab es bereits vor Beginn der Riester-Rentengesetzgebung bzw. der kapitalgestützten Rentengesetzgebung 80 Millionen Lebensversicherungsverträge und Verträge der betrieblichen Altersvorsorge. ({8}) Es ist also nichts Neues, dass wir für das Alter zusätzlich vorsorgen müssen. Das wurde ja nicht im Jahr 2005 oder 2006 erfunden. Ständiges Gebot war vielmehr: Wer seinen Lebensstandard im Alter aufrechterhalten möchte, kann sich nicht nur auf die gesetzliche Rentenversicherung verlassen,

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege!

Max Straubinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

- sondern muss zusätzlich vorsorgen. Das ist das Gebot der Stunde. Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion. ({0})

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich festhalten: Die Opposition im Deutschen Bundestag ist sich in dem Punkt einig, dass sie die Rentenerhöhung um 1,1 Prozent für Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr nicht will. Das ist offensichtlich die Botschaft, die uns allen klar geworden ist. ({0}) Herr Kuhn, Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln. Sie haben gesagt, dass wir sozusagen an Prinzipien rütteln, wenn wir an die Dämpfungsfaktoren herangehen. Die Dämpfungsfaktoren sind aber keine Prinzipien, sondern Instrumente, um Ziele zu erreichen. Eines dieser Instrumente setzen wir jetzt aus, weil wir der festen Überzeugung sind, dass dieses Jahr nach drei Nullrunden eine Minianpassung für Rentnerinnen und Rentner schlicht nicht zumutbar ist. Wir wollen die Rentnerinnen und Rentner nicht auf mögliche Rentensteigerungen aufgrund späterer Lohnzuwächse vertrösten; wir wollen sie jetzt am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben lassen. Darum geht es. Die vorhandenen Möglichkeiten nutzen wir dazu aus. Herr Kolb, Sie haben im Ausschuss das Beispiel gebracht, dass der Blumentopf beim Nachbarn - nicht bei der Erbtante - geklaut worden ist. Außer der materiellen Frage, wer den Blumentopf bezahlt hat, gibt es aber noch eine ideelle Sichtweise: Meine Tante freut sich sehr, wenn ich ihr ein paar Blumen schenke. ({1}) Sie fragt nicht vorrangig danach, wer die Blumen bezahlt hat. Sie freut sich darüber, dass ich an sie denke, sie nicht links liegen lasse und mich um sie kümmere. Die Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande werden sich über diese Erhöhung ebenfalls freuen. ({2}) Dass Sie diese Maßnahme zwei Jahre vor der Bundestagswahl mit Wahlkampf gleichsetzen, ist schon hochinteressant. Herr Kolb, ich sage Ihnen: Während Ihrer Regierungszeit hatten Sie nie den Mut, die großen sozialen Probleme in diesem Lande tatsächlich anzupacken. ({3}) Das haben die Regierung Schröder und die Große Koalition gemacht. Sie aber hatten nie den Mut dazu. Wir müssen kämpfen, der Bevölkerung die Notwendigkeit der großen Sozialreformen zu verdeutlichen. Uns fallen sie sozusagen immer wieder auf die Füße. Aber wir haben im Gegensatz zu Ihnen den Mut zu Reformen. Eine bescheidende Erhöhung jetzt als Wahlgeschenk zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht sehr abenteuerlich. ({4}) Herr Schneider hat gesagt, die Rentenerhöhung würde für manche Rentnerinnen und Rentner, insbesondere im Westen, nur 2 Euro betragen, was sehr wenig sei. Ich will diesen Punkt aufgreifen, weil er sehr gut dokumentiert, wie beliebig Ihre Argumentation ist. ({5}) Wenn es um Arbeitslosengeld-II-Empfänger geht, spricht Frau Kipping jedes Mal davon, dass 2 Euro viel Geld sind. Für Rentnerinnen und Rentner soll das plötzlich nicht mehr gelten? Ihre Argumentation ist beliebig. Was Sie da betreiben, ist Populismus pur. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. Erlauben Sie mir noch die folgende Bemerkung. Sie von der Linken prognostizieren einen Rentenversicherungsbeitrag von 28 Prozent. Indem Sie die Beiträge für die Riester-Rente mit einbeziehen, kommen Sie zu dem Ergebnis, dass wir schon jetzt in Richtung 28 Prozent gehen. Dabei rechnen Sie aber die enorme Förderung bei Riester - das sind ja keine Beiträge des Einzelnen, sondern Steuergelder - als Beitrag mit ein. Wie Sie rechnen, ist schlichtweg unredlich. Das ist der entscheidende Punkt. ({0})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, lassen Sie denn eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zu?

Anton Schaaf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003623, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke. Ein weiterer Punkt. Sie werfen uns vor, dass die paritätische Finanzierung verletzt wird. Sie wollen 14 Prozent Versicherungsbeitrag für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und 14 Prozent für Arbeitgeber. Die Gewerkschaften müssten einmal darüber diskutieren, was die Linke da fordert und was das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet. Sie schlagen vor, dieses Geld bei den Reichen einzusammeln. Ich sage Ihnen, was Sie machen wollen: Sie wollen das Geld bei den Unternehmen einsammeln. Trotzdem sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unmittelbar betroffen, weil nämlich die Sozialversicherungsbeiträge steigen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Herr Kolb, eine letzte Bemerkung zu Ihren Ausführungen. Sie sind nicht konsistent in Ihrer Politik, wenn Sie sagen, wir sollten die Steuern und die Beiträge senken. Seien Sie ehrlich: Wenn wir das tun würden, müssten wir sofort die Renten kürzen, weil sie dann nicht mehr finanzierbar wären. ({0}) Dieses sagen Sie aber den Menschen nicht. Wir machen keine Politik, die sich aus Prinzipienreiterei zusammensetzt. Man kann die Instrumente verändern. Man kann mit ihnen auch variabel umgehen, wenn die Möglichkeit dazu besteht. Keine Prinzipienreiterei, sondern eine an den Menschen orientierte Politik - das ist unsere Prämisse. Danke. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Peter Weiß, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie sieht die Bilanz dieser rentenpolitischen Debatte aus? Den einen ist es zu viel, den anderen ist es zu wenig. Die Wahrheit liegt - wie meist - in der Mitte, und genau deshalb ist der Gesetzentwurf der Großen Koalition zur Rentenanpassung 2008 richtig. ({0}) In einer sich schnell verändernden Gesellschaft, in der die Zahl der Älteren im Verhältnis zu den Jüngeren deutlich zunimmt, wird es immer die Vermutung geben, dass das Alterssicherungssystem den Alten, gemessen an ihrer Lebensleistung, zu wenig gibt. Andererseits werden die Jüngeren vermuten, dass sie zu viel leisten müssten. Angesichts dieses Dilemmas kann es eigentlich nur eine seriöse Antwort geben: Generationengerechtigkeit, gerechte Verteilung der Lasten. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, ob jung oder alt, wollen nicht irgendwelche schönen Sprüche, sondern die Wahrheit hören. In Sachen Altersvorsorge lautet die Wahrheit: Es geht nur, wenn die Lasten zwischen Jung und Alt gerecht verteilt werden. Genau das machen wir. ({1}) Die Rentenerhöhungen orientieren sich weiterhin an der Lohnentwicklung. Seit den Rentenreformen sorgen verschiedene Abschlagsfaktoren aber dafür, dass nicht mehr die volle Lohnerhöhung weitergegeben wird. Die Rentnerinnen und Rentner mussten in den vergangenen Jahren zusätzliche Belastungen verkraften: mehrere Nullrunden, Umstellung auf Zahlung des vollen Pflegeversicherungsbeitrags und teilweise der vollen Krankenversicherungsbeiträge. ({2}) Im Jahr 2008 treffen zwei Sonderbelastungen zusammen: Die im vergangenen Jahr vorgenommene Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages wirkt sich mindernd auf die Rentenerhöhung 2008 aus, ({3}) und die bitternotwendige Reform der Pflegeversicherung, die wir zum 1. Juli 2008 vornehmen, erfordert eine Beitragserhöhung um 0,25 Prozentpunkte, die die Rentnerinnen und Rentner alleine tragen müssen. ({4}) Mit der Aussetzung des sogenannten Riester-Faktors, der die Rentenerhöhung um weitere 0,64 Prozent mindert, ist ein gerechter Ausgleich möglich. Ansonsten hätte die Rentenerhöhung in diesem Jahr nur 0,46 Prozent betragen. Ich finde, wenn solche Sonderbelastungen zusammenkommen, muss in der Politik die Regel gelten: Außergewöhnliche Situationen bedürfen Peter Weiß ({5}) einer außergewöhnlichen Antwort. Genau das ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs. ({6}) Wir verteilen die Lasten nicht einseitig auf die junge Generation. Wir wollen den zeitlich ohnehin begrenzten Riester-Faktor um zwei Jahre verschieben. Viele tun so, als wäre der Riester-Faktor in der Rentenformel dauerhaft gültig. Er ist aber zeitlich begrenzt und soll ohnehin nur bis 2011 wirken. ({7}) Die Stabilität der Rentenfinanzen wird dadurch nicht beeinträchtigt; denn die Rentenversicherung kann dank sprudelnder Mehreinnahmen - sie nimmt mehr ein, als sie ausgibt ({8}) in 2008 und 2009 ihre finanziellen Rücklagen ausbauen, obwohl wir die Renten um 1,1 Prozent erhöhen, was wir jetzt beschließen wollen. ({9}) Dass man für die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland etwas tun muss, dass man dafür sorgen muss, dass sie am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben, zeigen auch die Stellungnahmen der verschiedenen Oppositionsfraktionen. Die Vorschläge, die vonseiten der Opposition heute vorgelegt wurden, sind aber unsystematisch. Zum Teil würden sie aktuell gar nichts bewirken oder stellen simples Almosenverteilen dar. ({10}) Entschuldigung, Herr Kolb und Herr Kuhn, der Vorschlag, einfach einmalig Schecks zu verschicken - weil es Ihnen gerade mal Spaß macht -, ist Almosenpolitik. ({11}) Das, was Sie hier vorgeschlagen haben, Almosen an Rentner zu verteilen, ist schlicht eine Beleidigung der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland. ({12}) Die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land sind keine Almosenempfänger, denen man, wenn es brennt, schnell eine Einmalzahlung überweist. ({13}) Nein, die Rentnerinnen und Rentner haben aufgrund ihrer enormen Lebensleistung einen Anspruch auf eine angemessene Rente. ({14}) Nicht Almosen, sondern Rente ist gefragt. Deshalb lautet der Antrag der Koalitionsfraktionen: Eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent ab 1. Juli 2008. Das erfolgt dadurch, dass ein ohnehin zeitlich befristeter Faktor in der Rente, der sogenannte Altersvorsorgefaktor, um zwei Jahre verschoben wird. Damit wird nicht die Gesamtarchitektur des Rentensystems zerstört, damit wird keine Rentenwillkür oder Rente nach Kassenlage etabliert - oder wie sonst noch die Vorwürfe lauten -, sondern es wird im System gehandelt und der Ausgleich im System herbeigeführt. ({15}) Eines wird erreicht: Wir helfen den Rentnerinnen und Rentnern jetzt, da es dringend notwendig ist und die Rentenfinanzen es erfreulicherweise zulassen. Unsere Rentnerinnen und Rentner sollen angemessen am Wirtschaftserfolg beteiligt werden. Die Große Koalition handelt aber nicht einseitig. Generationengerechtigkeit ist der Maßstab unseres Handelns. Damit auch die heute Jungen für das Alter eine angemessene Versorgung aufbauen können, haben wir - ich nenne einige Stichworte - die Entgeltumwandlung zugunsten der Altersvorsorge dauerhaft steuer- und sozialabgabenfrei gestellt, ({16}) haben wir die Förderung bei der Riester-Rente deutlich verbessert, und werden wir mit dem geplanten Eigenheimrentengesetz eine zusätzliche Förderung der Altersvorsorge ermöglichen. ({17})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Okay.

Klaus Ernst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003753, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Weiß, es freut mich, dass Sie noch bereit sind, eine Zwischenfrage von mir zu beantworten. Das hebt Sie wohltuend von den Vorrednern ab. Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie mit dieser Maßnahme das Rentenniveau wieder anheben wollen. Vorher habe ich etwas von einem Blumentopf gehört, den man der Tante oder sonst wem schenkt. ({0}) Finden Sie es angemessen, dass man diesen Blumentopf nach einigen Jahren wieder einkassiert? Finden Sie es korrekt, von einer Anpassung der Rente zu sprechen, wenn diese Anpassung, wie Sie selber gesagt haben, wieder kassiert wird? Ist es unter dem Aspekt, dass die Anpassung, die Sie jetzt vornehmen, wieder zurückgenommen wird, nicht naheliegend, zu sagen, dass diese Rentenerhöhung mit Wahlkampf zu tun hat?

Peter Weiß (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003255, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ernst, es wurde Ihnen hier schon einmal von einem Kollegen vorgeworfen, dass Sie das Rentensystem in Deutschland schlichtweg nicht verstehen wollen, ({0}) weil Sie den Menschen in diesem Land etwas vorgaukeln, das nicht der Wahrheit entspricht. Das ist Ihr Problem. ({1}) Die gesamten Reformen der vergangenen Jahre im Rentensystem zielen auf eines ab: den Beitrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, den sie für die Rentenversicherung zu zahlen haben, nicht in astronomische Höhen steigen zu lassen. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass Prognos 1987 ({2}) - ja, ich will es Ihnen aber erklären - geschätzt hat, dass wir, wenn wir an der Rente nichts ändern, im Jahr 2030 einen Rentenversicherungsbeitrag zwischen 36 und 41 Prozent haben werden. Das wäre Enteignung der Jungen in Deutschland. Auf der anderen Seite wird die Einhaltung der Beitragsziele dadurch erreicht, dass durch sogenannte Abschlagsfaktoren das Rentenniveau für die künftigen - nicht für die heutigen - Rentnerinnen und Rentner niedriger liegt als in der Vergangenheit. Deswegen sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich ein zweites und drittes Standbein der Altersvorsorge aufbauen, nämlich eine betriebliche und eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge. Wir als Staat - darüber habe ich gerade gesprochen - fördern dies maßgeblich; dies hilft übrigens gerade den Geringverdienern. ({3}) Für einen Geringverdiener ist es möglich, beim Abschluss einer Riester-Rente bis zu 90 Prozent staatliche Förderung zu erhalten. ({4}) Herr Ernst, wenn Sie dieses System verstehen würden, dann bräuchten Sie Ihre Frage nicht zu stellen. ({5}) Denn dieses System funktioniert nur, wenn Sie diese Faktoren beibehalten. Das machen wir. Aber wir helfen jetzt, da in der aktuellen Situation Sonderbelastungen auf die Rentnerinnen und Rentner zugekommen sind: Unser Gesetzentwurf sieht eine einigermaßen angemessene Rentenerhöhung um 1,1 Prozent vor. ({6}) - Herr Kollege Ernst, ich habe Ihnen das System erklärt. Ich stelle aber fest, dass Sie es nicht verstehen wollen und nicht verstehen können. Deswegen sagen Sie den Menschen in Deutschland die Unwahrheit! ({7}) Gerade mit der Förderung der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge, von der die Jungen profitieren werden, zeigen wir als Große Koalition, dass wir die Generationengerechtigkeit ernst nehmen. Generationengerechtigkeit statt Generationenkampf - das ist die Leitlinie der Altersvorsorgepolitik der Großen Koalition. Jetzt sind die Rentnerinnen und Rentnern an der Reihe; das ist dringend notwendig. Deshalb sage ich Ja zur Rentenanpassung 2008. Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8744 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 3 auf: 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise - Drucksache 16/8536 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den Energiemärkten bekämpfen - Drucksache 16/8079 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1}) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Strom ist aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken. Strom ist wichtig für die Wirtschaft sowie für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Stromversorgung ist eine extrem wichtige Frage, die in Deutschland in der Hand von vier großen Energiekonzernen liegt. Die vier großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW beherrschen den deutschen Energiemarkt. Sie kontrollieren 80 Prozent der Stromproduktion und 100 Prozent der Übertragungsnetze. Sie diktieren die Strompreise, die für viele Verbraucher zunehmend zu einer sozialen Last werden. Diese Energiekonzerne machen Rekordgewinne. Damit muss Schluss sein. Dieses Problem müssen wir anpacken! ({0}) Ich weiß, dass das nicht einfach ist; das ist ein Bohren dicker Bretter. Aber wir müssen damit beginnen. Denn wo auch immer man hinschaut, haben die vier großen Energiekonzerne ihre Hände im Spiel: Das betrifft zum Beispiel Wettbewerbsverstöße, Klimakiller-Kohlekraftwerke, Lobbyisten in Ministerien oder das Verfahren der Bundesnetzagentur gegen die vier Energiekonzerne, weil sie den Verbrauchern in den Jahren 2006 und 2007 800 Millionen Euro zu viel berechnet haben sollen. So darf es nicht weitergehen. ({1}) Es ist kein Wunder, dass die vier Energiekonzerne in einer Skala der Beliebtheit von Institutionen bei den Bürgern noch vor den Finanzämtern auf dem allerletzten Platz gelandet sind. ({2}) Die Finanzfachleute wissen, dass es eigentlich nichts Schlimmeres als das Finanzamt gibt. Aber bei den vier Energiekonzernen machen die Verbraucher eine Ausnahme; sie sind noch unbeliebter als die Finanzämter. Die Frage ist, warum es diesen Energiekonzernen trotzdem so gut geht. Es geht ihnen so gut, weil sie einen Freund haben, auf den sie sich verlassen können, der Gold wert ist: das Bundeswirtschaftsministerium. Das dürfen wir nicht zulassen. ({3}) Der Bundeswirtschaftsminister, der leider nicht anwesend ist, weil ihm diese Frage offenbar nicht so wichtig ist, sagt immer wieder, er wolle gegen die vier Energiekonzerne vorgehen. Tatsächlich macht er aber das Gegenteil. Minister Glos hat in Brüssel für mehr Emissionszertifikate gekämpft. Das bedeutet Mehreinnahmen für die vier Energiekonzerne. Das ist die Arbeit von Bundesminister Glos, die er in Brüssel geleistet hat. Bundesminister Glos lässt keine Gelegenheit aus, eine Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu fordern. ({4}) Er begrüßt es praktisch sogar, wenn die Unternehmen aus dem Atomkonsens aussteigen. Auch das bedeutet mehr Geld und Macht für die Energiekonzerne. Das ist die Politik des Bundeswirtschaftsministers. Bundesminister Glos lässt auch keine Gelegenheit aus, deutlich zu machen, dass die Konzerne die Netze behalten sollen. Er will ihnen die Kontrolle über die Märkte in diesem Bereich sichern. Bundesminister Glos lässt noch nicht einmal eine Gelegenheit aus, um auf die Argumente von Herrn Großmann einzugehen, der von einer Stromlücke gesprochen hat. Es ist schließlich das größte Angstargument, dass wir irgendwann einmal ohne Strom dasitzen. Herr Glos warnt vor einer Versorgungslücke und sagt, letztlich müssten wir Strom importieren. Das wäre aus seiner Sicht dramatisch. Der Minister müsste es aber besser wissen. ({5}) Im letzten Jahr waren sieben Atomkraftwerke gleichzeitig nicht am Netz, aber nicht eine einzige Glühbirne hat geflackert. Deutschland hatte immer noch einen Exportüberschuss in Höhe von fast 20 Terawattstunden. Minister Glos sollte nicht mit der Angst der Leute spielen, sondern mit harten Argumenten gegen die Energiekonzerne vorgehen. Das wäre die richtige Politik. ({6}) Wenn er nur halb so viel Einsatz im Kampf gegen die unfairen Energiepreise zeigen würde, dann würden wir uns schon freuen. Wir Grüne verfolgen das Ziel, die Energiekartelle aufzubrechen. Zu diesem Zweck haben wir einen Antrag vorgelegt. Wir hoffen, dass er Ihre Unterstützung findet. Auf drei Aspekte dieses Antrags möchte ich kurz eingehen. Der erste Punkt betrifft den Wettbewerb. Wir haben immer die Trennung von Netz und Produktion gefordert. Aber die Bundesregierung tut nichts, und das, obwohl es eine große Koalition von Befürwortern der Trennung von Netz und Produktion gibt. Dazu gehören Attac, die Deutsche Bank, Verbraucherverbände und die EU-Kommisson. ({7}) - Ja, und die Grünen. - Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sollte sich dieser Koalition anschließen und nicht dagegen Sturm laufen. ({8}) Selbst Eon will mittlerweile sein Netz verkaufen. Aber die Bundesregierung ist uneinsichtig und blockiert. Das tut sie übrigens Seite an Seite mit RWE; das muss man zur Kenntnis nehmen. Damit schadet die Bundesregierung dem Wettbewerb, den Verbrauchern und dem Teil der Wirtschaft, der keine Energie herstellt, sondern auf Energie angewiesen ist. Der zweite Punkt: faire Energiepreise. Je knapper Öl und Gas werden, desto teuerer werden Öl und Gas. Deshalb müssen wir endlich die unfaire Preistreiberei der vier großen Energiekonzerne beenden. Da wir gerade über das Thema Rente diskutiert haben, will ich auf Folgendes hinweisen: Die Renten wurden in den Jahren 2002 bis 2007 um 4 Prozent erhöht. Die Hartz-IV-Leistungen wurden nicht einmal um 1 Prozent erhöht. Aber die Gewinne der Energiekonzerne sind zwischen 2002 und 2007 auf 300 Prozent gestiegen. ({9}) Das sind die Verhältnisse in diesem Land. Diese Situation müssen wir ändern. ({10}) Zu diesem Zweck wollen wir bei den Emissionszertifikaten ansetzen. Die Unternehmen bekommen sie umsonst. Trotzdem preisen sie die Emissionszertifikate in den Strompreis ein. Hierbei geht es um eine Größenordnung von ungefähr 5 Milliarden Euro pro Jahr. In den nächsten vier Jahren soll es sich laut einer Studie sogar um 34 Milliarden Euro handeln. Aber die Bundesregierung schaut tatenlos zu. Wir, die Grünen, fordern eine Abschöpfung dieser Gewinne. ({11}) Wir wollen dieses Geld zur Entwicklung sparsamer Haushaltsgeräte und zur Unterstützung einkommensschwacher Haushalte verwenden. Die Devise muss lauten: Wenn sich der Energiepreis verdoppelt, dann muss der Energieverbrauch halbiert werden. - Das ist das Konzept der Grünen. ({12}) Das dritte Themenfeld, mit dem wir uns beschäftigen wollen, betrifft die Lobbyverknüpfungen zwischen Wirtschaft und Ministerien. Die ehemaligen Wirtschaftsminister Clement und Müller sind nach ihrer Tätigkeit im Ministerium in die Energiewirtschaft gewechselt. Gleichzeitig arbeiten heute viele Mitarbeiter der Energiekonzerne im Ministerium. Der Bundesrechnungshof hat diese Entwicklung kritisch aufgegriffen. Wir wollen den Wechsel von Politikern in die Energielobby ({13}) und den Einsatz von Lobbyisten in den Ministerien beenden ({14}) bzw. für diesen Bereich Regelungen schaffen. Derzeit ist dies nicht geregelt. Das schadet der Politik und dem Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Frau Kollegin Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich komme zum Schluss.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ihre Redezeit ist überschritten.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Wir brauchen eine Politik der fairen Energiepreise. Wir brauchen eine klimaschonende Energieversorgung. Wir brauchen mehr Wettbewerb. Das heißt: Minister Glos muss aus der Kuschelecke, in der er mit den Energiekonzernen ist, heraus. Wir wollen die Energiekartelle aufbrechen. ({0}) Ich fordere die Bundesregierung auf: Machen Sie mit! Tun Sie etwas gegen die Energiekartelle! Denn sie schaden der Wirtschaft dieses Landes und den Interessen der Verbraucher. Vielen Dank. ({1})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Laurenz Meyer, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Höhn, die Überschrift Ihres Antrags lautet: „Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise“. Diese Zielsetzung ist richtig; insofern gibt es Übereinstimmung. ({0}) Laurenz Meyer ({1}) Ihre Forderungen sind jedoch von großer Unglaubwürdigkeit, weil die Grünen überall dort, wo sie Verantwortung tragen, haargenau das Gegenteil tun. ({2}) Sie beschweren sich in Ihrem Antrag darüber, dass die Erzeugungskapazitäten praktisch ausschließlich in den Händen der vier Großen sind, und fordern mehr Wettbewerb, mehr Konkurrenz. Doch wenn in meinem Wahlkreis 21 Stadtwerke ein neues Kraftwerk bauen wollen, mit dem mehr Wettbewerb in den Markt gebracht werden könnte, wird dies von den Grünen auf Landesebene und auf kommunaler Ebene auf Teufel komm raus bekämpft. ({3}) Diese Art von Unglaubwürdigkeit darf man Ihnen nicht durchgehen lassen. In den Jahren 2006 und 2007 ist eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen worden - ich trage sie Ihnen gerne vor, wenn Sie das möchten -: Regulierung der Netzentgelte, Entflechtungsmaßnahmen, Verordnungen zur Erleichterung des Anbieterwechsels, Anreizregulierung, Erleichterung des Anschlusses neuer Kraftwerke ans Netz, Verbesserung der Preismissbrauchsaufsicht, sogar mit einer Umkehrung der Beweislast. All das ist unmittelbar nachdem Sie nicht mehr in der Regierung waren erfolgt.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Meyer, die Kollegin Höhn würde gerne eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie das zu?

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber gerne, jederzeit.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Meyer, ich finde es spannend, dass Sie Wettbewerb im Energiebereich nur auf Kohlekraftwerke beziehen. Wäre es nicht besser für den Wettbewerb, wenn wir für mehr Konkurrenz sorgten, indem wir endlich die erneuerbaren Energien ausbauten, anstatt das eine Kraftwerk durch das nächste zu ersetzen? Das bringt nicht mehr Wettbewerb; das ist die falsche Politik.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Höhn, das ist ein Teilaspekt. Wir sind uns darin einig, dass die erneuerbaren Energien, wie es im Regierungsprogramm heißt, bis 2020 einen Anteil von 25 Prozent ausmachen sollen. Lassen Sie uns, damit wir eine glatte Zahl haben, von 30 Prozent reden. Das ist eine anspruchsvolle Zielsetzung. Doch selbst wenn die erneuerbaren Energien einen Anteil von 30 Prozent ausmachen und selbst wenn wir den Anteil der KraftWärme-Kopplung, wie wir es uns gemeinsam vorgenommen haben, steigern - übrigens auch mit dem uns vorliegenden Gesetz dieser Regierung -, braucht man immer noch Kraftwerke für die reine Stromerzeugung. ({0}) - Es war doch in der Anhörung in der letzten Woche Ihre Position, dass der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung auf 25 Prozent verdoppelt werden solle. Doch selbst wenn wir 25 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung haben, brauchen wir für die Stromerzeugung Kondensationskraftwerke. ({1}) Diese Kraftwerke brauchen wir im Übrigen auch, um Strom zu erzeugen, wenn kein Wind weht, ({2}) oder in den 8 000 Stunden im Jahr, in denen die Sonne nicht scheint; sie scheint in Deutschland ja nur ungefähr 800 Stunden. ({3}) Wir brauchen auch Kohlekraftwerke. Wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, brauchen wir neue Kohlekraftwerke, um die alten abschalten zu können. Man kann nicht gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie aussteigen. Das haben selbst Herr Kuhn und Herr Bütikofer letztens zugegeben. Sie von den Grünen dürfen nicht je nachdem, wo Sie gerade auftreten, sagen, was Ihnen in den Kram passt. ({4})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Meyer, der Kollege Fell würde gerne eine Zwischenfrage stellen. ({0})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Meyer, Sie haben gerade gesagt, wir würden die Kohlekraftwerke aus Klimaschutzgründen benötigen.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Neue statt der alten.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Umso schlimmer. ({0}) Ich möchte Ihnen mitteilen - vielleicht haben Sie davon schon Kenntnis -, dass einer der renommiertesten Klimaforscher der Erde, Herr Hansen von der NASA aus den USA, in der letzten Woche einen neuen Klimabericht vorgelegt hat, in dem er erstmals die Selbstverstärkereffekte dieser Erde berechnet hat und zu dem ErgebHans-Josef Fell nis kommt, dass die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen überhaupt nicht ausreichen. Vor allem schreibt er, dass die Kohlenutzung bis 2030 weltweit beendet werden muss, wenn dieser Planet noch gerettet werden soll. Wie können Sie es verantworten, in den nächsten Jahren noch neue Kohlekraftwerke zu bauen, die sicherlich nicht nur 15 oder 20 Jahre lang in Betrieb sein sollen? Nach unserer festen Überzeugung hat es nichts mit Klimaschutz zu tun, wenn man neue Kohlekraftwerke baut. ({1})

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Alternativen in den nächsten 20 Jahren sind: Entweder importieren wir den Strom aus anderen Ländern, in denen er zu wesentlich schlechteren Bedingungen hergestellt wird, oder - das können Sie sich überlegen - wir verringern die Anzahl neuer Kohlekraftwerke zu einem wesentlichen Teil, indem wir die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern, um den Zeitraum, bis Alternativen vorliegen, zu überbrücken. ({0}) Das ist doch genau der Punkt: Ausgerechnet in der Zeit, in der wir den Umschwung hin zu alternativen Energiekonzepten schaffen müssen, wollen Sie die - CO2-freien - Kernkraftwerke aus dem Betrieb nehmen, wodurch Sie den ohnehin bestehenden Druck erhöhen, neue Kohlekraftwerke zu bauen. Das ist Ihre Widersprüchlichkeit. ({1}) Eines werfe ich Ihnen wirklich vor: Wenn Sie der Meinung sind, dass Kernkraftwerke unsicher sind, dann hätten Sie dem Ausstiegsbeschluss niemals zustimmen dürfen. - Wenn ich der Meinung bin, dass ein Kernkraftwerk unsicher ist, dann muss ich es heute und nicht erst 2015 abstellen. ({2}) Wenn es aber bis 2015 sicher ist und ich es aus Klimaschutzgründen länger brauche, dann muss ich doch bereit sein, die Laufzeit bis 2020 zu verlängern, um auf diese Weise einen vernünftigen Übergang zu erreichen. ({3}) Das ist die Politik, die wir als CDU/CSU-Fraktion ins Auge fassen. Genau da liegen die Widersprüche. Frau Höhn, ich komme zu einem weiteren Punkt, den ich den Grünen vorwerfe; Sie waren damals in der Landesregierung zum Teil mit dafür verantwortlich. Eine der Großtaten der letzten Regierung Kohl war es, endlich Wettbewerb im Energiebereich einzuführen. Viele in den großen Unternehmen haben das überhaupt nicht für möglich gehalten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich in meiner beruflichen Zeit in einer Versammlung von leitenden Angestellten einmal gefragt habe: Wer hat eigentlich Angst vor Wettbewerb? Unsere Vorstände wollten mir damals noch erklären, dass es einen Wettbewerb im Strombereich nicht geben kann. Was für Idioten! Endlich hatten wir auf diesem Gebiet Wettbewerb eingeführt. 1998 kamen Sie dann an die Regierung. Der gerade aufkeimende Wettbewerb wurde wieder gestoppt, weil die rot-grüne Regierung - die Kollegen müssen sich nicht übertrieben angegriffen fühlen, aber es ist so - mit den Energiekonzernen einen stillschweigenden Deal abgeschlossen hatte: Die Konzerne haben sich nicht besonders gegen die zusätzlichen Belastungen am Strommarkt durch alle möglichen Abgaben und Auflagen gewehrt - sie haben den Mund gehalten -, und Sie haben dafür nicht richtig hingeguckt, wenn sie die Preise erhöht haben. Das genau war der Deal, den es in Ihrer Zeit gegeben hat. - Jetzt, nach dem Wechsel der Regierung von Rot-Grün zur Großen Koalition, wird der Wettbewerb wieder eingeführt. ({4}) In dieser Situation stellen Sie solche Anträge. Das ist an Unglaubwürdigkeit wirklich nicht zu überbieten. Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, nämlich zur eigentumsrechtlichen Entflechtung. ({5}) Wenn Sie gestern in der Anhörung gewesen wären, dann hätten Sie sich heute wahrscheinlich nicht so geäußert, wie Sie sich geäußert haben. ({6}) Außer einem Vertreter, den die Linken benannt haben - ich weigere mich, das, was da vorgetragen wurde, hier jetzt zu qualifizieren -, ({7}) gab es niemanden, der mehr oder wenige präzise eine Verstaatlichung des gesamten Energiebereichs vorgeschlagen hat. ({8}) - Das wollen Sie nicht, richtig. Hinzu kam noch ein von Ihnen benannter Vertreter - ein ehemaliger Mitarbeiter der hessischen Landtagsfraktion der Grünen -, der vielleicht eine ähnliche These vertreten hat. Dann kamen die Fragen auf, wie die eigentumsrechtliche Entflechtung erfolgen und wer die Netze kaufen soll. Spätestens an der Stelle hatten komischerweise alle, die sich theoretisch dafür einsetzen könnten, große Bedenken, zum Beispiel als es um die Frage ging, an wen Eon seine Netze verkaufen könnte. Denn die Alternative zu unseren Unternehmen, die wir halbwegs im Griff haben, besteht darin, dass möglicherweise irgendwelche Fonds oder ausländische Unternehmen - vielleicht sogar ausländische Staatsunternehmen - in den Besitz unserer Netze kommen. Diese Alternative gefiel Laurenz Meyer ({9}) niemandem in dieser Anhörung. Deshalb blieb als einzige klare Position eine Verstaatlichung der Netze. ({10}) - Sie können viele Kollegen in Ihrer Fraktion fragen, welche Erfahrungen sie in dem Bereich gemacht haben und in welchem Zustand die Netze waren, als die DDR zusammenbrach. ({11}) Ein riesiger Teil des Investitionsvolumens der letzten Jahre musste für die Netze verwendet werden, weil der Staat zu DDR-Zeiten nicht gerade viel in die Netze investiert hatte, erst recht nicht in Fernwärmenetze. Ich habe mich mit dem Thema Fernwärme sehr intensiv beschäftigt. Es gab allenfalls den Effekt, dass in Halle und Leipzig die Straßen im Winter frostfrei waren, weil die Netze aus der Zeit vor 1920 stammten; ansonsten hat sich in diesem Bereich nicht viel getan. Darauf, dass ausgerechnet der Staat für eine bessere Infrastrukturversorgung mit allen damit verbundenen Kapitalerfordernissen eintreten soll, wusste in der gestrigen Anhörung auch niemand eine Antwort. Es ist nicht nur prinzipiell Unfug, dass der Staat diese Aufgabe wahrnimmt. Hinzu kommt, dass wir, wenn wir etwas für die Verbraucher erreichen wollen, nach meiner Lebenserfahrung eine sehr konsequente Kosten- und Preiskontrolle brauchen, wie wir sie durchgesetzt und eingeführt haben. Meine Lebenserfahrung sagt mir auch, dass der Staat genauer hinsieht, wenn er Private kontrolliert, als wenn er sich selber kontrolliert. Insofern ist es sicherlich richtig, dass die Bundesnetzagentur den Auftrag hat, entsprechende Vorhaben sehr konsequent zu untersuchen und nachzuvollziehen. Im Übrigen sind die Kosten der Netze allein in den letzten zwei Jahren um 20 Prozent gesenkt worden, und zwar durch Maßnahmen, die diese Regierung eingeleitet hat. Die Unterstützung der Bundesnetzagentur durch die Bundesregierung geht auf das Bundeswirtschaftsministerium zurück, das Sie vorhin so angegriffen haben. ({12}) - Frau Höhn, es tut mir für Sie leid, aber akzeptieren Sie doch einfach, dass jetzt etwas passiert. In der Zeit davor ist nichts passiert. ({13}) Notwendig ist also eine klare Kostenkontrolle. Ungerechtfertigte Preise müssen verhindert werden. Ich kenne Sie schon lange und schätze Sie als intelligent ein. Ich erinnere Sie daran, wie schwer wir uns damit getan haben, die Anreizregulierung im kommunalen Bereich durchzusetzen ({14}) und unter welch starkem Druck die Politik vonseiten der Stadtwerke gestanden hat, möglichst wenig strenge Kontrollen vorzunehmen, damit aus den Stromerlösen noch andere Bereiche - beispielsweise Stadtbäder - mitfinanziert werden können. Alle wollten daran festhalten, dass solche Bereiche aus den Stromerlösen finanziert werden. Sie wollten keine harte Regulierung der im Netzbereich anfallenden Kosten. Insofern fordere ich Sie auf: Finger weg vom Staatsbesitz! Der Staat sollte sich nicht selber kontrollieren. Notwendig sind klare Kontrollen und eine Entflechtung der Unternehmen. Über die Frage des Eigentums der Netze sollten wir sehr sorgfältig nachdenken. Alles, was die EU-Kommission vorschlägt, erscheint mir noch nicht ausgegoren. Ich bin froh, dass unsere Bundesregierung diesen Weg ablehnt und unseren Weg zunächst weitergehen will, um zu schauen, ob wir mit den erzielten Erfolgen ein Stück weiterkommen. Sie fordern, dass alles unter einen Hut gebracht werden müsse: faire Energiepreise und Klimaschutz. Lassen Sie uns doch unseren Weg wählen! Wir haben Ziele für die Minderung der CO2-Emissionen und die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien gesetzt. Es muss uns gelingen, diese Ziele so effizient wie möglich zu erreichen; denn die Verbraucher erwarten, dass wir sie nicht über Gebühr belasten. Wenn ich die Summen sehe, die für den relativ kleinen Bereich der Fotovoltaik zur Verfügung gestellt werden, dann muss ich feststellen, dass dieses Ziel noch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wird. Wenn wir das umsetzten, was Sie in Ihrem Antrag fordern, liefen wir Gefahr, neue Sozialleistungen zu benötigen, die das, was oben willkürlich draufgesattelt würde, unten ausgleichen. Diejenigen, die keinen Sozialtransfer erhalten, also die „normalen“ Arbeitnehmer in Deutschland, wären dann die Gekniffenen Ihrer Politik. Diesen Weg wollen wir nicht gehen. Wir gehen unseren eingeschlagenen Weg weiter. ({15})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin Gudrun Kopp. ({0})

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen! Ich stelle fest, dass Ihr Antrag, meine Damen und Herren von den Grünen, viele Ungereimtheiten enthält. Frau Höhn, es ist richtig, dass es auf dem Markt eine Konzentration der vier großen Energieerzeuger gibt und dass wir dringend für mehr Kraftwerkskapazitäten bzw. Erzeugungskapazitäten sorgen müssen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag das Energiekartell der vier großen Konzerne und stellen fest, dass mit Eon Ruhrgas nur ein einzelnes Unternehmen im Gasbereich dominiert. Ich finde es aber wichtig und richtig, dass Sie auch reflektieren, dass dieses sogenannte Energiekartell mit Ihrer Beteiligung unter der Regierung von Rot-Grün geschaffen wurde. Wir bemühen uns nun, Ihre schlechten Entscheidungen von damals auf irgendeine Weise rückgängig zu machen. ({0}) Wir haben Anträge auf Stärkung des Wettbewerbs und Entflechtung eingebracht. Zu den Entflechtungsregelungen wird der Kollege Zeil gleich Stellung nehmen. Sie tun aber nun so, als hätten Sie mit dem Ganzen gar nichts zu tun. Das ist nicht redlich. Ihr Antrag enthält mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Maßnahmen. Sie sprechen über die Energiepolitik und fordern gleichzeitig eine Erhöhung des ALG-II-Satzes. Sie fordern des Weiteren die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und wollen neue Förderprogramme für einkommensschwache Haushalte auflegen. Wir, die FDP-Fraktion, haben bereits vor einigen Wochen den Antrag eingebracht, den zu erwartenden Nettoerlös in Höhe von circa 400 Millionen Euro aus der Versteigerung der Emissionszertifikate komplett den Energiekunden zugute kommen zu lassen. Das heißt, wir wollen den Verbrauchern, die unter ständig steigenden Kosten leiden und übermäßig belastet werden, endlich etwas zurückgeben. ({1}) Dass die Energiepreise, Strom-, Gas- und Spritpreis, längst zu einem riesigen Problem für mehrere Bevölkerungsschichten geworden sind, ist kein Geheimnis; darauf gehe ich später ausführlich ein. Aber Ihr Antrag ist ein Ausweis von Schludrigkeit. Im Zusammenhang mit der Einschränkung der Lobbymacht der Energiekonzerne wollen Sie die Verbraucherrechte durch eine europäische Charta der Rechte der Energieversorger stärken. Ich finde es interessant, dass Ihnen das gar nicht aufgefallen ist. Ich gehe nun auf den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion ein. Wir möchten, dass die Energiepolitik in Deutschland strukturell gestärkt wird. Herr Kollege Meyer, Frau Kollegin Höhn, ich stelle fest, dass weder die Opposition noch die Regierungsfraktionen oder die Bundesregierung ein schlüssiges, in sich konsistentes Energieprogramm haben. Das habe ich schon oft an dieser Stelle bemängelt. Bei Ihnen zeigt sich auch, wie schwierig es ist, ohne eine Grundüberzeugung in der Energiepolitik voranzukommen. Unsere Grundüberzeugung - das sage ich ganz klar ist, dass wir keinen breiten Energiemix haben. Die Klimaziele wird die Bundesregierung aller Voraussicht nach nicht erreichen. Das mag man auch schon daran erkennen, dass Herr Minister Glos einen Brandbrief an die EU-Kommission geschrieben hat, in dem er darum bittet, dass der Bundesrepublik ein Rabatt von 150 Millionen Tonnen CO2 gewährt wird. Das sind 20 Prozent der CO2-Emissionen im Energiebereich in Deutschland. Er möchte einen Nachlass, weil er schon jetzt erkennt, dass wir die Klimaziele und auch die Versorgungssicherheit ohne die Kernenergie im Energiemix nicht erreichen werden und wir nicht zu bezahlbaren Energiepreisen kommen werden. ({2}) Zum Thema Entflechtung haben wir einige Vorschläge eingebracht; dazu kommen wir gleich noch. Wir wollen Ihnen mit unserem Antrag das Konzept der Netz AG nahebringen. Wir möchten, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland ihre Netze in eine sogenannte Netz AG einbringen, wobei sie die Eigentumsanteile in Höhe ihrer Netzwerte behalten sollen. Sie sollen aber innerhalb dieser Netz AG keinen Einfluss auf Betrieb, Instandsetzung und Investitionen insgesamt nehmen. Wir möchten, dass diese Netz AG unabhängig arbeiten kann. Wir nennen dies den vierten Weg, den wir für den richtigen halten, um in Deutschland auf der Netzebene endlich weiterzukommen. Wir wollen mit einer solchen Netz AG ein Zweites erreichen, nämlich dass die Aufteilung Deutschlands in derzeit vier Regelzonen der großen Energieerzeuger endlich wegfällt und diese vier Zonen zu einer verschmolzen werden, damit wir Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen erzielen können. Wir wollen weiterhin mehr Energieerzeugung durch neue Kraftwerke. Ich habe eben gesagt, wie wichtig es ist, nicht auch noch den Neubau von Kohlekraftwerken zu verhindern. Im Übrigen emittieren auch Gaskraftwerke CO2, wenn auch längst nicht in derselben Höhe. ({3}) Es ist ungefähr nur die Hälfte, aber immerhin. Auch uns wäre es lieber, wenn wir im Rahmen des Energiemixes, zu dem auch Kernenergie gehört, weniger Kohlekraftwerke errichten müssten, aber dass wir sie völlig aus dem künftigen Energiemix heraushalten können, ist, so glaube ich, illusorisch. Wir brauchen dringend den Netzausbau, gerade an den Netzkuppelstellen; auch das enthält unser Antrag. Wir wollen mehr Transparenz und schärfere Kontrollen für die Großhandelsmärkte bei der Strombörse, eine unabhängige Marktbeobachtungsstelle, ein wirklich intelligentes Mess- und Zählersystem für Strom, und wir wollen, dass die Bürger endlich entlastet werden und dass nicht ständig mehr Steuern und Abgaben auf Energie durch immer neue Programme erhoben werden. ({4}) Ich nenne Ihnen zum Schluss nur eine Zahl: Würden wir die Stromsteuer abschaffen oder über den Verkauf der Zertifikate an die Bürger zurückführen, dann hätten wir eine Ersparnis von allein 6,3 Milliarden Euro. Das bedeutete pro Haushalt in Deutschland eine Einsparung von 165 Euro pro Jahr. Das wäre eine Größenordnung, die die Bürger gut vertragen könnten. ({5}) Insofern ist es wichtig, dass man sich in diesem Haus endlich Gedanken macht und dass nicht dauernd Steuererhöhungen und neue Förderprogramme beschlossen und nicht immer neue Abgaben auferlegt werden; an16136 sonsten braucht man sich nicht darüber zu beklagen, dass die Bürger kein Geld mehr für den Konsum haben. Wenn wir dies tun, dann brauchen wir uns auch keine Gedanken über irgendwelche Sozialprogramme zu machen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Legen Sie ein konsistentes Programm für die Energieversorgung in Deutschland vor! Beenden Sie Ihr Stückwerk, das die Bürger nur belastet und durch das die Bürger nicht so versorgt werden, wie sie es eigentlich verdient hätten. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann, SPD-Fraktion.

Rolf Hempelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002671, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die vorliegenden Anträge, insbesondere der Antrag der Grünen „Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise“, zeigen, dass die eigentliche Absicht der Antragsteller darin besteht, die Gelegenheit zu haben, eine energiepolitische Generaldebatte zu führen. Das ist auch legitim. Durch das, was vorgetragen worden ist - auch durch das, was der andere Antragsteller, die FDP-Fraktion, gesagt hat -, zeigt sich, dass wir in der Tat mit den bekannten, uns hier immer wieder vorgetragenen Argumenten konfrontiert werden. ({0}) Einige dieser Argumente teilen wir, andere eindeutig nicht. Zum Antrag der Grünen. Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise, das sind in der Tat drei Dimensionen, die unsere Energiepolitik berücksichtigen muss. Hinzu kommt eine weitere Dimension - wir haben es letztlich mit einem Zielviereck zu tun; darüber sind wir uns mittlerweile einig -: die Versorgungssicherheit. Zu unterstellen, dass eine Politik, die für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise sorgt, automatisch Versorgungssicherheit gewährleistet, würde dieser Herausforderung nicht wirklich gerecht. Es hilft auch nicht, immer wieder darauf zu verweisen und immer wieder den eigenen Glauben daran öffentlich vor sich her zu tragen, dass wir Versorgungssicherheit allein mit erneuerbaren Energien und mit Effizienzsteigerungen in jedem Fall kurz-, mittel- und langfristig gewährleisten können. Wir müssen die Leute davon überzeugen. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass zum Beispiel die Deutsche Energie-Agentur - sie ist wirklich keine Lobbyorganisation der großen vier - erst kürzlich deutlich gemacht hat, dass wir sehr genau darauf achten müssen, dass in den nächsten anderthalb Jahrzehnten die notwendigen Investitionen in die Energieerzeugung und in die Netze erfolgen. Damit müssen wir uns seriös auseinandersetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Koalition genau dies tut. Wenn wir wollen, dass Emissionshandel wirkt, dass durch die Kosten des Ausstoßes von CO2 möglichst viele alte Kohlekraftwerke abgestellt werden, dann müssen wir auch wollen - Herr Meyer hat das eben zu Recht dargestellt -, dass diese Kraftwerke kurzfristig durch neue, ich sage jetzt: Kraftwerke ersetzt werden. Wir arbeiten daran, dass ein möglichst hoher Anteil dieser Kraftwerke auf der Basis von erneuerbaren Energien funktioniert. Ein Anteil von 30 Prozent bis 2020, das ist ein durchaus unbescheidenes Ziel. Wenn wir aufgrund der Rahmenbedingungen, die wir setzen, mehr erreichen sollten, dann werden wir uns alle freuen. Aber wir wissen gerade durch die dena-Studie, dass noch eine ganze Menge Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind. ({1}) Es ist beispielsweise so, dass wir bei den Netzen im Augenblick unsere Probleme haben, gerade mit der Anbindung von möglichen Offshore-Windparks. Für Investitionen sind Rahmenbedingungen notwendig. Nur wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, stellen private Investoren entsprechende Mittel zur Verfügung. Natürlich müssen auch die Genehmigungsverfahren so ablaufen, dass diese Netze in absehbarer Zeit tatsächlich errichtet werden können. Wenn wir hierbei erfolgreich sind - dies wollen wir sein -, dann heißt das aber gerade vor dem Hintergrund eines Kernenergieausstiegs, dass wir bis zum Jahre 2020 immer noch einen erheblichen Anteil fossil betriebener Kraftwerke haben werden; ich will mich jetzt gar nicht auf eine konkrete Prozentzahl festlegen, weil wir uns da womöglich von unserem Koalitionspartner unterscheiden, der auch zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung hat. Insofern muss es unser Ziel sein, dass jedenfalls die alten Anlagen - ich habe das gerade schon angedeutet - so früh wie möglich aus dem Verkehr genommen werden. Dies ist der Grund für unsere Anstrengungen, insbesondere beim Thema Kraft-Wärme-Kopplung. ({2}) Aber auch das wird nicht ausreichen, um unsere Energieversorgung bis zum Jahre 2020 tatsächlich zu 100 Prozent abzudecken. Dabei ist schon unterstellt, dass wir auch bei dem Thema Energieeffizienz und beim Ausschöpfen von Energieeinsparvolumen sowohl in den privaten Haushalten als auch in den Unternehmen erfolgreich sind. Zu diesem Zeitpunkt werden wir in Deutschland auch noch das eine oder andere Kondensationskraftwerk haben. In Bezug darauf muss man sich fragen: Sollen das alte Anlagen mit entsprechendem Mehrausstoß an CO2 sein, oder akzeptieren wir, dass auch das eine oder andere neuere, effizientere Kraftwerk darunter ist? Das ist eine Grundsatzfrage, darum dreht sich der Grundsatzstreit insbesondere zwischen den Grünen und sicherlich auch Teilen unserer Fraktion, es ist eine Frage neben vielen anderen, die wir zu lösen haben. Ich persönlich glaube, dass wir nicht völlig ohne Neuinvestitionen in diesem Bereich auskommen werden. Noch einmal: Je mehr Kraft-Wärme-Kopplung, umso besser, aber wenn das eine oder andere Kondensationskraftwerk dabei ist, dann muss das Ziel sein - auch daran wird gearbeitet -, dass diese Kraftwerke möglichst CCSfähig sind, das heißt, dass bei ihnen eine Technik zur CO2-Abscheidung zur Anwendung kommen kann. Ich weiß, dass ich auch mit diesem Thema ein Fass aufgemacht habe. Ich weiß, dass es auch hierbei noch unbeantwortete Fragen gibt. Aber es gibt auch Unternehmen, die zurzeit gerade in dieses Thema investieren, im Übrigen nicht ganz ohne Aufforderung aus dem Bereich der Politik. Deswegen glaube ich, dass wir zumindest offen dafür sein müssen, dass möglicherweise auch eine solche Technologie eine Antwort bieten kann. Ich weiß, dass damit auch Herausforderungen verbunden sind, etwa mit dem Transport und mit der Speicherung von CO2. Dies sind Fragen, die hoffentlich zeitnah beantwortet werden, und zwar auf eine Art und Weise, die dazu führt, dass hier eine echte Alternative besteht. Aber von vornherein und rundheraus zu sagen, dies alles sei keine Alternative, halte ich angesichts der Herausforderungen allein schon hier in Deutschland für ausgesprochen problematisch, aber erst recht, wenn wir über unsere Grenzen hinwegschauen, denn ich bin der festen Überzeugung, dass Kohleverstromung noch lange Jahrzehnte in Europa, insbesondere in Osteuropa, aber auch außerhalb Europas, gerade in den großen Schwellenländern, in Indien und in China, eine erhebliche Rolle spielen wird. Wenn wir das alles wissen, dann ist es meines Erachtens die Aufgabe eines Industrie- und eines Hochtechnologielandes wie Deutschland, mitzuhelfen, dass Technologien entstehen, mit deren Hilfe diese Kohleverstromung jedenfalls so effizient wie möglich, das heißt mit so wenig CO2-Emissionen wie möglich, erfolgt. ({3}) Wenn wir uns an dieser Stelle verweigern und nicht mithelfen, dann haben wir genau das Aufgabenspektrum verfehlt, das ein Land wie Deutschland zu erfüllen hat. Wir sind nicht Frankreich, das einen hohen Anteil an Kernenergie aufweist; die Franzosen haben ihre Aufgaben möglicherweise eher in diesem Bereich. Wir sind ein Industrieland und ein Energieerzeugungsland, und unsere Energieerzeugung ist sehr kohlenstoffintensiv. Deswegen meine ich, dass wir neben der größeren Effizienz im Verbrauch und in der Erzeugung von Energie und neben der Verbreitung von erneuerbaren Energien auch die Aufgabe haben, solche Energieerzeugungsanlagen zu modernisieren und technisch weiterzuentwickeln, die fossile Brennstoffe verwenden. Dies ist meines Erachtens auch die Erwartungshaltung der internationalen Gemeinschaft, und ihr sollten wir uns in Kenntnis der Probleme, die damit verbunden sind und die ich an dieser Stelle überhaupt nicht kleinreden will, nicht völlig verweigern. Nun möchte ich etwas zu dem Thema Eigentumsentflechtung sagen. Frau Höhn hat über das Aufbrechen des Energiekartells gesprochen; auch die Überschrift des Antrages selbst macht dies noch einmal deutlich. Ich glaube, wir sind uns im Parlament weitgehend darüber einig, dass wir mehr Wettbewerb im Energiesektor brauchen. Ich glaube aber auch, dass wir in den letzten Jahren gerade dazu eine ganze Menge gemacht haben. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot sollte an dieser Stelle sein Licht unter den Scheffel stellen, denn wir haben in den letzten Jahren gemeinsam an Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerb gearbeitet; dies habe ich in anderen Debatten schon mehrfach vorgetragen. Wir haben im Jahre 2005 das Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet. Alle Fraktionen haben daran mitgewirkt: RotGrün im Deutschen Bundestag, aber im Grunde auch Schwarz-Gelb, weil es durch den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat ging, nicht aber die Linke, da sie damals im Deutschen Bundestag als Fraktion nicht vertreten war. ({4}) Vor diesem Hintergrund sollten wir ein Stück weit stolz darauf sein, dass wir die Bundesnetzagentur geschaffen haben und dass sie im Bereich der Netze durchaus schon Wirkung erzielt hat: sinkende Netzentgelte - Herr Meyer hat gerade schon darüber gesprochen -, aber auch ein hohes Maß an Diskriminierungsfreiheit beim Zugang zu den Netzen. Dies gilt sowohl für diejenigen, die aus vorhandenen Kraftwerken einspeisen wollen, als auch für diejenigen, die neue Kraftwerke ans Netz bringen wollen. Unter Schwarz-Rot haben wir diese Politik fortgeführt und haben unter anderem eine Kraftwerks-Netzanschlussverordnung verabschiedet, die dieses Ziel noch einmal deutlich unterstützen soll. Sie soll dafür sorgen, dass neue Kraftwerke und damit letztlich auch neue Anbieter bevorzugt ans Netz kommen können. Die gestrige Anhörung hat kein Argument für die eigentumsrechtliche Entflechtung geliefert. ({5}) Von keinem Sachverständigen ist die Behauptung aufrechterhalten worden, dass die eigentumsrechtliche Entflechtung zu niedrigeren Preisen und zu mehr Investitionen führt. Auch der Vertreter der Europäischen Kommission - sie spricht sich bekanntermaßen für die eigentumsrechtliche Entflechtung aus - hat ausdrücklich gesagt, dass es diesen Nachweis, jedenfalls in Reinkultur, nicht gibt. ({6}) Deswegen sollte man mit diesem Thema sachlich umgehen. Wir wollen, dass große Unternehmen ihre Machtposition nicht zulasten von Verbrauchern, egal ob es private oder industrielle Verbraucher sind, ausnutzen können. Deswegen kommt es darauf an, dass wir das Bundeskartellamt, aber auch die Bundesnetzagentur so stärken, dass sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Das ist schon die Politik von Rot-Grün gewesen. Das ist jetzt auch die Politik von Schwarz-Rot. Ich glaube, dass sie auch zunehmend erfolgreich ist. Gerade die letzte Wettbewerbsrechtsnovelle, die Novelle des GWB, zeigt dies. Jetzt sind insbesondere die Gasversorgungsunternehmen sozusagen unter der Lupe des Bundeskartellamts. Sie unterliegen einem Missbrauchsverfahren. Hier ist in absehbarer Zeit auch mit Entscheidungen zu rechnen. Beim Thema Regelenergie betrifft das auch die Stromunternehmen. Die Verfahren sind also im Gange. Wir sollten beobachten, wie das, was wir angestoßen haben, wirkt. Auf dem nationalen Markt müssen wir uns auf das Zusammenspiel von Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur, Wettbewerbsrecht und Regulierung verlassen. International stehen die Unternehmen ohnehin in einem ganz anderen Wettbewerb, im Wettbewerb beispielsweise - das ist eben schon angeklungen - mit großen ausländischen Staatsunternehmen, die in ihren Ländern Monopolisten sind. Ich glaube, dass es deswegen schon wichtig ist, einmal sehr genau darüber nachzudenken: Wie müssen wir die Unternehmen hier eigentlich ausstatten, damit sie in diesem Wettbewerb bestehen können? Auch das ist im Interesse des deutschen Verbrauchers. Wenn wir beispielsweise Gas nicht mehr preisgünstig einkaufen können, etwa in Russland, dann geht das zulasten des deutschen Verbrauchers. Ein guter Preis lässt sich gegenüber Gasprom zum Beispiel, gegenüber den Russen, aber nur durchsetzen, wenn eine entsprechende Nachfragemacht dahintersteht. Wenn wir die Nachfragemacht zersplittern, dann wird es mit Sicherheit nicht einfacher, auch langfristig günstige Preise für deutsche Verbraucher zu erzielen. Damit will ich sagen: Es ist schon ein bisschen komplizierter, als es oft dargestellt wird. Wir sind in dem Dilemma, dass wir uns auf der einen Seite eigentlich starke Unternehmen wünschen müssen, die im internationalen Wettbewerb zugunsten gerade auch deutscher Verbraucher im unternehmerischen wie im privaten Bereich günstige Preise durchsetzen können. Wir müssen uns eine Regulierungs- und Wettbewerbskontrollpraxis wünschen, die dafür sorgt, dass diese günstigen Konditionen auch an den Verbraucher weitergereicht werden. Beim zweiten Punkt sind wir in der Tat auf dem Weg, aber wir sind noch längst nicht am Ziel. Jedenfalls hat für mich die gestrige Anhörung ergeben, dass der Weg nicht unbedingt eine eigentumsrechtliche Entflechtung ist. Hier sind andere Alternativen deutlich geworden, die wir in der Koalition auch verfolgen wollen, ich bin sicher, am Ende mit einem guten Ergebnis. ({7})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion Die Linke. ({0})

Ursula Lötzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003174, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir sind uns mit Ihnen, Frau Höhn, durchaus darin einig, dass es eine eigentumsrechtliche Entflechtung der Übertragungsnetze geben muss. Aber auch wir stellen Ihnen die Frage, wer das Netz betreiben soll. Zumindest in Ihrem Antrag drücken Sie sich um eine Aussage herum. Einerseits wollen Sie eine öffentliche Kontrolle. Andererseits kritisieren Sie uns immer wieder, wir hätten auf alles nur die Antwort einer Überführung der Netze in die öffentliche Hand. ({0}) Glauben Sie im Ernst, dass dann, wenn die Netze beispielsweise in der Hand von privaten Finanzinvestoren sind, mit staatlicher Kontrolle eine soziale und ökologische Energiepolitik durchgesetzt werden könnte? ({1}) Das halte ich allerdings für realitätsfremd. Das wird hier genauso wenig gelingen wie gegenüber dem Energiekartell. Das gilt erst recht für Ihren Vorschlag, Frau Kopp. Die FDP will, dass die Konzerne ihre Netze in eine gemeinsame „Netz AG“ einbringen. In der Anhörung ist das auf breite Ablehnung gestoßen; bei uns auch. ({2}) Die Monopolstellung der großen vier in einer „Netz AG“ zusammenzuführen, verstärkt das Problem und dehnt es höchstens europaweit aus, mehr nicht. ({3}) In der gestrigen Anhörung ist von der Vertreterin der Grünen, der Kollegin Andreae, für eine Netzgesellschaft das Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft in die Diskussion gebracht oder unterstützt worden. Das ist in der Klärung der Eigentumsfrage immerhin ein Schritt in unsere Richtung. 51 Prozent der Netzgesellschaft sollen in die öffentliche Hand überführt werden. Herr Krawinkel hat für die Verbraucher ausdrücklich auch eine öffentliche Mehrheit für wichtig befunden, um volkswirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Das bleibt aber unserer Meinung nach auf halbem Weg stehen. Ich frage Sie: Warum sollen 49 Prozent privat sein? Begründet wurde das in der Anhörung damit, dass die Konzerne damit für Effizienz sorgen würden. Kollegin Andreae, haben die großen vier nicht in den letzten Jahren nachdrücklich bewiesen, dass ihre Effizienz vor allem darin besteht, ihre Rendite zulasten sozialer und ökologischer Interessen zu steigern, dies allerdings sehr effizient? ({4}) Sie haben die Kunden übervorteilt. Sie haben das Land in Regionen aufgeteilt und Preisabsprachen getroffen. Erneut ist jetzt von der Bundesnetzagentur ein Verfahren gegen RWE und Eon eingeleitet worden, weil sie in den letzten Jahren Kosten in Höhe von 800 Millionen Euro zu viel in Rechnung gestellt haben. Herr Meyer, trotz allem sind die Übertragungsnetze hier und jetzt überaltert und nicht auf die heutigen Anforderungen in der EnerUlla Lötzer gieversorgung ausgerichtet, und zwar trotz Gewinnsteigerungen von 6 Milliarden auf 20 Milliarden Euro. ({5}) Frau Höhn, wie Sie selbst in Ihrem Antrag formuliert haben, haben sie diese Gewinne auch dadurch erzielt, dass sie einer schmutzigen und gefährlichen Energieversorgung mit Atomenergie festhalten, wie insbesondere auch die CDU. Die Vertreter von Eon und RWE haben gestern in der Anhörung die Dreistigkeit besessen, zu fordern, die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen, damit sich für sie Investitionen wieder lohnten. Im Klartext heißt dies, sie wollen noch höhere Profite auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher. Damit haben sie nur eines deutlich gemacht: wie dringend die Maßnahmen wären, ihnen die Übertragungsnetze endlich aus der Hand zu nehmen. Solche Interessen haben in einer Netzgesellschaft nichts zu suchen. Ein Austausch der privaten Eigentümer, zum Beispiel RWE gegen Blackstone, löst das Problem aber nicht. ({6}) Auch eine Netzgesellschaft in öffentlicher Hand, Herr Meyer, würde Netzentgelte einnehmen. Diese würden dann allerdings nicht in Form von Dividenden ausgeschüttet, sondern könnten zum Beispiel für Investitionen verwendet werden. Natürlich ist aber auch dann weiterhin eine Regulierung notwendig. Deshalb fordern wir zumindest Sie von den Grünen auf, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, sondern uns bei unserer Forderung zu unterstützen, die Netze in die öffentliche Hand zu überführen, nicht als Allheilmittel, sondern als notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung ökologischer und sozialer Interessen. Das gilt nicht für die Verteilnetze, über die die Energie zum Endverbraucher kommt. Diese sind oft in der Hand der Stadtwerke. Allerdings haben sich auch hier die großen vier ihren Einfluss gesichert. An mehr als 270 Stadtwerken sind RWE und Eon beteiligt. Das Bundeskartellamt hat gestern den Vorschlag in die Diskussion eingebracht, die Unabhängigkeit der Stadtwerke zu stärken, indem dafür gesorgt wird, dass die großen vier ihre Anteile an den Stadtwerken abgeben. Energieversorgung gehört wieder mehr in die Hand der Kommunen. Vor diesem Hintergrund unterstützen auch wir diesen Vorschlag. ({7}) Die Bekämpfung von Energiearmut, zum Beispiel durch Umsetzung der Forderung des Verbraucherschutzverbandes nach einem Aktionsplan zur Sicherstellung des Energiezugangs für alle, ist ein weiterer wichtiger Schritt. Erfreulich ist, dass die Grünen in ihrem Antrag die Position vertreten, dass ein armutsfester gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und die Hartz-IV-Regelsätze angehoben werden sollen. Diese Maßnahmen sind notwendig und tragen auch zur Bekämpfung von Energiearmut bei. Allein in NRW wurde im letzten Jahr 59 000 Privathaushalten der Strom zumindest teilweise abgestellt. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Maßnahmen dringend durch die Bereitstellung von kostenfreien Stromkontingenten und die Einführung eines Sozialtarifs ergänzt werden müssen. Energie für alle, bezahlbar, sicher und ökologisch erzeugt, ist nur durch Entmachtung der großen vier und eine Rekommunalisierung der Stromversorgung möglich. Danke. ({8})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise“ lautet der Titel des Antrags der Grünen. Arbeiten wir einmal auf, was zu fairen Energiepreisen gehört. Der Antrag befasst sich in erster Linie mit Strom; also nehmen wir exemplarisch die Strompreise. Bei der Stromerzeugung fallen zunächst einmal Produktionskosten an. In Deutschland ist die Erzeugung von Strom mithilfe von Kohle, insbesondere Braun- und Steinkohle, sowie Kernenergie am preiswertesten. Aus beiden Stromerzeugungsverfahren möchten die Grünen aussteigen. Das hätte zur Folge, dass teurere Produktionsmethoden die bisherigen substituieren müssen. Das ist so. Derzeit liegen die Produktionskosten für Strom aus Kohle oder Kernenergie zwischen 4 und 5 Cent pro Kilowattstunde. Bei den anderen Produktionsmethoden liegen die Kosten aber teilweise um ein Vielfaches höher. Sie müssen der Bevölkerung also erklären, was Sie vor diesem Hintergrund unter „fairen Energiepreisen“ verstehen. Das Zweite sind die Übertragungskosten, also die Netzkosten. Diese Netzkosten stehen in letzter Zeit - zu Recht - sehr stark in Rede. Darauf hat die Regierung reagiert und dem Kartellamt und der Bundesnetzagentur bei ihren Bemühungen, sich verstärkt um diesen Punkt zu kümmern, den Rücken gestärkt. Frau Höhn, Sie haben den Bundeswirtschaftsminister Michael Glos völlig zu Unrecht kritisiert. Er hat nämlich als Erster mit Macht darauf gedrängt, die Preisgestaltung bei den Netzkosten unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen. Das zeitigt bereits Erfolge. Denn die Bundesnetzagentur hat, wie wir alle wissen, schon die ersten Bescheide entsandt, zur Entlastung unserer Verbraucher. Der Bundeswirtschaftsminister ist im Gegensatz zu seinem Vorvorgänger nicht dafür verantwortlich, dass wir bei der Gasversorgung ein echtes Kartell haben. Verantwortlich ist jemand, der in der Regierung saß, an der Sie von den Grünen beteiligt waren. Jetzt kommen Sie auf uns zu und werfen uns vor, dass es beim Netz ein Kartell gibt. ({0}) Es ist scheinheilig, Frau Höhn, was Sie hier betreiben. Sie hätten während Ihrer Regierungszeit die Möglichkeit gehabt, diese Dinge zu unterbinden. Dann haben wir bei der Strompreisgestaltung als dritten großen Block den staatlich induzierten Teil. Fangen wir einmal mit der Ökosteuer an. Die Ökosteuer macht beim Endverbraucher immerhin 5 bis 6 Cent pro Kilowattstunde Strom aus. Wer hat denn die Ökosteuer eingeführt? Das waren Sie. ({1}) Sie haben die Ökosteuer eingeführt. Sie haben die Zweckentfremdung solcher Einnahmen für die Rentenversicherung induziert. Sie haben das veranlasst. ({2}) Sie sind die Preistreiber auf dem Stromsektor. Das muss man der Öffentlichkeit sagen. Wer hat denn die Kosten erhöht? Übrigens, Frau Lötzer, die beiden Vertreter der Energiekonzerne gestern haben nicht gesagt, der Gesetzgeber solle ihnen den Weg öffnen, damit sie leicht Netze bauen könnten, sondern sie haben gesagt, dass sie eine gesetzliche Regelung wollen, damit sie überhaupt Netze bauen können. Das wird das nächste Problem. Im Übrigen ist diese ganze Situation auch preistreibend. Dies alles zahlt der Verbraucher. Diese staatlich induzierten Kosten nehmen ja einen erheblichen Teil ein. Da darf man nicht zu laut schreien; denn wir sind mit unserer Mehrwertsteuererhöhung daran beteiligt. ({3}) - Das gehört mit zur Wahrheit. Davor scheue ich nicht zurück. Aber der Hauptteil besteht darin, dass die Vorgängerregierung - daran waren Sie von den Grünen beteiligt einen großen Block auf die Stromkosten obendrauf gesetzt hat. Ich bin ein harter Brocken. Im Jahr 2000 haben wir in der Energie-Enquete-Kommission furchtbar über die Frage gestritten, ob der Weg richtig ist, dass man die Strompreise so erhöht, dass der Stromverbrauch in Deutschland zurückgeht. Die alte Strategie der Grünen, dass man die Energiepreise nur genügend erhöhen muss, damit der Verbrauch insgesamt zurückgeht, war Ihre Politik. Heute beschweren Sie sich in Ihrem Antrag über die hohen Preise. ({4}) Dies lassen wir Ihnen nicht durchgehen. ({5}) Wir wehren uns mit Händen und Füßen dagegen, dass Sie vor der Öffentlichkeit eine Politik betreiben, die irreführend ist und mit den Realitäten überhaupt nichts zu tun hat.

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Herr Kollege Obermeier, die Frau Kollegin Kopp würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, Frau Kopp.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Obermeier. - Sie haben eben selbstkritisch gesagt, dass Sie, die Regierung, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer einen Anteil daran haben, dass die Energiepreise in die Höhe getrieben worden sind. Ich finde es fair und richtig, dass Sie das sagen. Sind Sie bereit, zu beantworten, was der Sinn der Erhebung der Mehrwertsteuer auf den Energieverbrauch ist, der zuvor schon durch andere Steuern belegt ist? Ich nenne als Beispiel die Produktpreise bei den Energieformen Gas und Strom. Darauf wird die Gassteuer bzw. die Stromsteuer erhoben, und darauf erhebt die Regierung noch einmal die Mehrwertsteuer. Das ist ein Gesamtkostenblock von 14 Milliarden Euro. Halten Sie es für gerechtfertigt, eine Mehrwertsteuer auf bereits mit Steuern belastete Produkte zu erheben?

Franz Obermeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003201, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie fragen, ob ein solches Vorgehen gerechtfertigt ist. Sie wissen doch ganz genau, wie die Mehrwertsteuer zustande gekommen ist. ({0}) Es ging in erster Linie um die Belange der Länder. ({1}) - Selbstverständlich ist es in erster Linie um die Sanierung der Länderhaushalte gegangen. Die entsprechenden Erfolge gibt es schon. ({2}) Die Doppelbesteuerung ist ein Faktum. Aber nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, Frau Kopp, dass dieser Punkt sicherlich nicht entscheidend ist. Der entscheidende Punkt bei der Preisgestaltung im Energiesektor ist vielmehr, dass es eine Fülle von Begleitmaßnahmen gibt, die sich auf der Produktionsseite wesentlich stärker kostentreibend auswirken als die Mehrwertsteuererhöhung und die Belastung beispielsweise durch die Gassteuer. Ich möchte noch etwas zur Strategie sagen und darstellen, wie widersprüchlich der Antrag der Grünen ist. Was den Bereich der Stromproduktion mit Kohle angeht, haben wir die Situation, dass die Investoren die Absicht haben, alte Kohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad von 35 bis 38 Prozent durch neue Kohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad von rund 50 Prozent zu ersetzen. ({3}) - Entschuldigung, Frau Höhn, da müssen Sie mir überhaupt nichts sagen; davon verstehe ich garantiert mehr als Sie. ({4}) Die Folge Ihrer Strategie wäre - das muss man wissen, wenn man über Energiepreise redet -, dass die alten Kohlekraftwerke mit einem schlechten Wirkungsgrad am Netz blieben und dabei hohe Kosten für Emissionszertifikate verursachten. Diese Kosten würden wiederum auf die Verbraucher umgelegt. Diese Strategie würde also dazu führen, dass die Stromkosten weiter stiegen. ({5}) Die Stromerzeuger könnten höhere Preise rechtfertigen. ({6}) Ich sage in aller Offenheit: Ob der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg letztendlich zu den in der Klimapolitik vorgegebenen Zielen führen wird, Frau Kopp, muss man einmal abwarten. Auch ich bin mir da nicht ganz sicher. Wir müssen jetzt wesentliche Maßnahmen einleiten. Dazu gehört zum einen eine komplette Modernisierung des Kraftwerkparks einschließlich der Anlagen für erneuerbare Energien. Wir müssen mit Macht darauf drängen, dass wir die modernsten Technologien für die Stromproduktion haben. Ich nenne zum anderen die Effizienzstrategie. Da sind wir auf einem guten Weg. Es ist offensichtlich, wie gut die KfW-Programme mittlerweile angenommen werden. ({7}) - Natürlich gibt es sie noch. - Angesichts der Tatsache, dass diese Programme gut laufen, bin ich sicher, dass unsere Strategie erfolgreich ist. Ob wir aber die Klimaschutzziele erreichen, wenn es bei dem vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie bleibt, ist nicht sicher. An dieser Stelle kann ich an die Kolleginnen und Kollegen der SPD nur appellieren: Wenn Sie schon den Ausstieg aus der Kernenergie partout wollen, dann lassen Sie uns doch miteinander darüber reden, ob es nicht eine zeitliche Verzögerung beim Ausstieg geben kann. Mit der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke könnten wir die Zeitspanne, bis die erneuerbaren Energien und Effizienzsteigerungen die Lücke füllen können, überbrücken. Das ist mein Petitum zum Abschluss. Ich bin froh, dass wir in der Energiepolitik schon so weit sind. Ich bin überzeugt, dass wir bald mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD über die Frage der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke reden können. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Energieversorgung ist Daseinsvorsorge, und zwar für die Menschen und für die Wirtschaft. Wir brauchen eine sichere und verlässliche Energieversorgung. Energie muss aber auch bezahlbar sein. Frau Höhn hat schon darauf hingewiesen, wie sich die Preise entwickelt haben, aber auch darauf, wie sich parallel dazu die Gewinne der Energieversorgungsunternehmen entwickelt haben. Das sind keine fairen Preise mehr. ({0}) Es gibt zwei Gründe für steigende Preise. Der eine Grund ist der Ressourcenverbrauch; denn knappe Ressourcen bedeuten höhere Preise. Die Ölpreise von heute waren für uns vor ein paar Jahren noch undenkbar. Wir müssen damit rechnen, dass sie weiter steigen werden; denn was knapp wird, wird teurer. Ungezügelter Energieverbrauch heißt auch hoher Ressourcenverbrauch. Das ist teuer, schädlich für die Umwelt und Ursache für den Klimawandel. Das ist der Hauptgrund, warum wir sagen: Wir brauchen eine Energiewende; wir brauchen ein Umsteuern in Richtung erneuerbarer Energien. Welche Situation haben wir jetzt? Der Energiemarkt wird von den vier großen Energieversorgungsunternehmen dominiert. In Sachen Energiewende sind diese Unternehmen keine Verbündeten. Sie forcieren die erneuerbaren Energien nicht. Deswegen müssen wir uns überlegen, wie wir die erneuerbaren Energien voranbringen können. Eine Möglichkeit ist, das Energiekartell aufzubrechen. ({1}) Die vier großen Energieversorgungsunternehmen haben die Marktmacht inne. Sie kontrollieren die Kraftwerke, den Stromabsatz, und vor allem befinden sich die Übertragungsnetze in ihrem Eigentum. Warum ist das ein Problem? Mangelnder Wettbewerb erschwert den Marktzugang. Die Energieversorgungsunternehmen erschweren neuen Anbietern den Marktzugang. Wir brauchen aber mehr Dynamik, mehr Anbieter, stärker dezentrale Versorgungsstrukturen und einen neutralen und diskriminierungsfreien Netzzugang.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Der Herr Kollege Meyer möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Laurenz Meyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003592, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sie haben gesagt, dass die in diesem Bereich exorbitant hohen Gewinne ausschließlich mit der traditionellen Stromerzeugung zusammenhingen und sich das geben würde, wenn man auf neue, alternative Modelle umsteigen würde. Haben Sie die Kapitalverzinsung und die Umsatzrenditen im Bereich der traditionellen Energieerzeugung einmal berechnet und mit den Umsatzrenditen verglichen, die im Bereich der Fotovoltaik erwirtschaftet werden? ({0}) Wenn Sie sich die Berichte in den Wirtschaftsteilen der Zeitungen anschauen, können Sie feststellen, dass die Fotovoltaikunternehmen, die diesen Bereich in Deutschland stützen, im letzten Jahr eine Umsatzrendite von 45 Prozent verzeichnen konnten. Wir sind uns hier eigentlich alle einig, dass eine Eigenkapitalverzinsung in Höhe von 20 Prozent bei der Deutschen Bank ein ziemlich hoher Wert ist. Angesichts einer Umsatzrendite von 45 Prozent bei Fotovoltaikunternehmen muss ich jedoch sagen: Wir haben noch eine ganze Menge Arbeit vor uns, ehe die Preise für die Verbraucher akzeptabel sind. In den Fachzeitschriften der Fotovoltaikindustrie können Sie nachlesen, dass der Preis für 1 Watt auf dem Weg vom Produzenten zum Verbraucher von 82 Cent auf 2,52 Euro steigt. Angesichts dessen frage ich mich, worauf Sie Ihre These stützen, dass sich die Rendite der Unternehmen durch einen Umstieg von Kohle- und Kernenergie auf zum Beispiel Fotovoltaik ändern würde. Im Moment scheint es eher so zu sein, dass sie dadurch deutlich steigen würde.

Kerstin Andreae (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003493, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe nicht gesagt, dass ein neuer Energieanbieter per se niedrigere Preise anbietet. Ich sage übrigens auch nicht, dass mehr Wettbewerb zwangsläufig zu sinkenden Preisen führt. Das haben Sie angeführt. In der Anhörung wurde klar, dass es dafür keine Belege gibt. Wir können aber erkennen, dass mangelnder Wettbewerb in den letzten Jahren zu diesen enormen Preissteigerungen geführt hat. ({0}) Wir können sehen: Mangelnder Wettbewerb führt zu steigenden Gewinnen, die nicht mehr im Verhältnis zu den steigenden Preisen, die von den Verbraucherinnen und Verbrauchern gezahlt werden, stehen. ({1}) Deswegen bleiben wir dabei: Mangelnder Wettbewerb führt zu steigenden Preisen. ({2}) Das ist im Übrigen unabhängig davon, ob es ein konventioneller oder ein alternativer Energieanbieter ist. Wir haben dieses Preisproblem. Wir brauchen Instrumente, um dieses Preisproblem zu lösen. Ein Instrument ist, das Energiekartell aufzubrechen, Herr Meyer. ({3}) Ein Hauptpunkt - da haben die Grünen die Europäische Union von Anfang an unterstützt - ist das Ownership-Unbundling. Es ist aus unserer Sicht richtig, die eigentumsrechtliche Entflechtung hier voranzubringen. Seit dem 28. Februar 2008 ist Bewegung in die Situation gekommen, weil Eon selber gesagt hat, dass sie ihre Übertragungsnetze hergeben. Übrigens am gleichen Tag hat Wirtschaftsminister Glos in der EU weiterhin für den dritten Weg plädiert. Ich sage Ihnen: Die EU zu unterstützen, ist der richtige Weg, um auf diesem Markt voranzukommen. Wir brauchen eine Entflechtung von Infrastruktur und Energieversorgung. Die Energienetze sind unsere große Systeminfrastruktur. Das ist zum Beispiel mit dem Schienennetz der Bahn vergleichbar; hier haben wir große Sorge, was Sie entwickeln. Wenn wir sagen, Energieversorgung sei Daseinsvorsorge, und Daseinsvorsorge und Energieversorgung brauchen ein funktionierendes Netzsystem, dann weise ich auf Folgendes hin - deswegen habe ich gestern in der Anhörung über ein Modell gesprochen, das wir meiner Meinung nach in die Diskussion einbringen müssen -: Sie müssen Kriterien entwickeln, wer diese Netz AG - oder wie auch immer Sie es nennen wollen - irgendwann verwaltet, wer die Netze besitzt und wie die Politik dieser Netz AG ausgestaltet sein muss. Darüber müssen Sie sich Gedanken machen. Sich heute immer noch darüber Gedanken zu machen, dass die Entflechtung nicht kommt, ist rückwärtsgewandt. Ich bin ziemlich sicher - das haben wir schon vor längerer Zeit gesagt -, dass die Entflechtung kommt. Die EU wird sich an dieser Stelle durchsetzen. Deswegen lassen Sie das mit dem dritten Weg. Es ist Energieverschwendung, den dritten Weg weiter zu forcieren. Überlegen Sie sich vielmehr, wie das Ganze künftig ausgestaltet sein soll. ({4}) Natürlich brauchen wir Regulierung. Wir brauchen das Kartellamt und starke wettbewerbsrechtliche Regelungen auf diesem Markt. Wir brauchen im Übrigen vor allem das Unbundling. Denn wenn Sie die Netz AG gestalten, dann darf einer, der Investor in der Netz AG ist, nicht gleichzeitig Erzeuger sein. Also stimmt die Vorstellung, dass Gasprom dann zum Teil unsere Netze quasi in der Hand hätte, nicht, weil Gasprom als Energieerzeuger nicht Netzbesitzer sein kann. Aber ich glaube, dass wir uns über Folgendes Gedanken machen sollten: staatliche Interessen, Investitionen in die Netze, Wartung der bestehenden Netze, Ausbau eines europäischen Energiebinnenmarktes, Ausbau der Grenzkuppelstellen und Aufbau einer noch effizienteren Regulierung. Wir sollten hier nicht nur über die Variante „nur privat“ und im Übrigen überhaupt nicht über die Variante „nur staatlich“ reden. Vielmehr sollten wir darüber reden, ob es Zwischenmodelle gibt. Das ist die Position, die wir in die Diskussion einbringen wollen. ({5}) Es spricht für mich viel dafür, das private Know-how und das private Kapital, das bei den Energieversorgungsunternehmen vorhanden ist, zu nutzen und in Anspruch zu nehmen. Es spricht auch viel dafür, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir die staatliche Aufgabe zur Leistung einer der großen Systeminfrastrukturen, einer der Lebensadern unserer Volkswirtschaft, gestalten und mit welchen Kriterien wir sie unterlegen wollen. Wir sollten uns sehr genau Gedanken darüber machen, wie wir unsere Netze in Deutschland in Zukunft verwalten und gestalten wollen. Wir sollten auf europäischer Ebene nicht den dritten Weg forcieren, dessen Grab quasi schon geschaufelt ist. Ich bitte Sie ganz dringend, sich hier für mehr Wettbewerb einzusetzen, dem Energiekartell entgegenzustehen, sich für faire Preise einzusetzen, Marktmacht zu verhindern, die Verbraucher zu schützen und das Primat der Ökologie in den Vordergrund zu stellen. Hierauf sollten Sie Ihre Energie verwenden und nicht auf Modelle, die keine Zukunft mehr haben. Vielen Dank. ({6})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Ulrich Kelber. ({0})

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele private Haushalte und viele Unternehmen in unserem Land bekommen in diesen Tagen Briefe von Energieversorgern oder von Vermieterinnen und Vermietern. Die Briefe der Energieversorger sind in der Regel durch eine deutliche Tariferhöhung gekennzeichnet, die übrigens weit über den Prognosen zum Beispiel der Internationalen Energieagentur und weit über dem liegen, was wir als Politiker noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten haben. Viele Mieterinnen und Mieter bekommen in denselben Tagen Rechnungen über Nachzahlungen für den Energieverbrauch, weil der Einkauf von Heizöl und Erdgas sehr viel teurer geworden ist, als bei der Berechnung der Vorauszahlungen für ihre Mietnebenkosten angenommen wurde. Die Energiepreise sind zu einer Belastung geworden. Sie sind für viele private Haushalte nicht mehr oder nur noch unter stärksten Einschränkungen zahlbar. In zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen werden sie zu einem Faktor, der Wachstum begrenzt und Arbeitsplätze gefährdet. Der Anstieg der Energiepreise hat sich in den letzten drei Jahren enorm beschleunigt. Es ist richtig, auf die Gründe für diesen Anstieg zu schauen. Es gibt drei wesentliche Gründe, auf die dieser Anstieg zurückgeht. Als erstes muss man natürlich die Frage nach dem staatlichen Anteil an den Energiepreisen stellen. ({0}) Natürlich hat die Mehrwertsteuererhöhung und natürlich haben leicht gestiegene Abgaben als Folge von Fördergesetzen zu höheren Energiepreisen geführt. Es gibt allerdings zwei wesentliche Unterschiede zu den beiden anderen Gründen des Preisanstiegs. Erstens sind die Fördermaßnahmen teilweise Bestandteil von Programmen, die ihrerseits die Energiekosten senken sollen, indem mehr Wettbewerb entsteht. Sie kommen den Energiekunden also an anderer Stelle wieder zugute, ganz anders als die gestiegenen Gewinnmargen der Energiekonzerne. Zweitens ist der staatliche Anteil an den Energiepreisen in den letzten zwei Jahren wieder gesunken, weil die Preissteigerungen der Privaten weit höher waren als die staatlichen Belastungen. Ich will das einmal am Beispiel des Benzins, nicht des Stroms, deutlich machen, weil es dazu vor kurzem einen Vorschlag des geehrten Kollegen Westerwelle gegeben hat. Er hat gesagt, der Staat habe an den Benzinpreisen einen Anteil von 75 Prozent. Ich habe das einmal überprüft und herausgefunden, dass der Kollege Westerwelle ein ausgesprochen gutes Gedächtnis hat. Er hat nämlich fast auf den Prozentpunkt genau den staatlichen Anteil im Jahr 1998 in Erinnerung gehabt, dem letzten Jahr der FDP-Regierungsbeteiligung. In der Zwischenzeit - das waren einige Jahre unter Rot-Grün und alles Jahre mit SPD-Regierungsbeteiligung - ist der staatliche Anteil von 75 Prozent auf 60 Prozent gesunken. ({1}) - Wir können das gemeinsam nachrechnen, das ist ziemlich einfach nachzuvollziehen. Die zweite Ursache sind die steigenden Weltmarktpreise. Die Politik muss den Menschen deutlich sagen, dass sie sie vor steigenden Weltmarktpreisen kaum schützen kann. Wir können höchstens etwas bei der Diversifizierung der Liefergebiete machen. Aber eigentlich sind wir - auch im Rahmen der Europäischen Union viel zu klein, um etwas gegen steigende Weltmarktpreise unternehmen zu können. Allerdings können wir helfen, den Energieverbrauch zu senken, was dazu führt, dass man von den teurer werdenden Energieträgern weniger importieren muss. Dabei können wir helfen, und darauf müssen wir uns in der Politik konzentrieren. Das ist sehr gut mit den Anstrengungen beim Klimaschutz kompatibel. Denn fast jede Anstrengung beim Klimaschutz läuft darauf hinaus, weniger von den treibhausgasemittierenden Energieträgern zu verbrauchen. Indem wir die Unternehmen und privaten Haushalte dabei unterstützen, weniger Energie zu verbrauchen, wird einer der beiden Faktoren der Energierechnungen gesenkt. Der dritte und wichtigste Grund ist das Oligopol auf unserem Energiemarkt, das es bei der Gas- und bei der Stromversorgung gibt. Es ist gerade gesagt worden, dass die Gewinne der vier großen Strom- und Gasversorger in den letzten Jahren von 6 Milliarden Euro auf 18 Milliarden Euro gestiegen sind. Herr Kollege Meyer, ich hätte mich gefreut, wenn Sie die gleiche Frage, die Sie Frau Andreae gestellt haben, auch mir gestellt hätten; denn ich habe eine Antwort darauf. Es gibt mehrere Zehntausend Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, die sich mit Solarenergie beschäftigen. Sie haben gerade vereinfachend die hohen Renditen von lediglich zwei dieser mehreren Zehntausend Unternehmen genannt. ({2}) Sie sind zum Beispiel nicht darauf eingegangen, dass ein Handwerker heutzutage eine Rendite von 2 Prozent hat, wenn er eine Solaranlage installiert. ({3}) Es gibt außerdem einen wesentlichen volkswirtschaftlichen Unterschied. Während die beiden Unternehmen, die Sie genannt haben, die Gewinne jedes Jahr reinvestieren, um eine jährliche Verdoppelung der Kapazitäten zu erreichen, werden die 18 Milliarden Euro Gewinn der großen Energiekonzerne nicht, wie in den letzten Jahren versprochen, in neue Kraftwerke und die Modernisierung der Netze investiert, sondern sie werden ausgeschüttet. Jedes Jahr gibt es eine neue Ausrede, weshalb man die Gewinne behalten müsse und sie nicht, wie versprochen, investiere. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, selbstverständlich.

Gudrun Kopp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003160, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Kelber, dass Sie die Frage zulassen. - Sind Sie bereit, zu bestätigen, dass es in der Solarbranche in Deutschland 35 000 Arbeitsplätze gibt und dass die Stromkunden über die hohen Abgaben und Steuern auf Energie 153 000 Euro pro Arbeitsplatz pro Jahr mitfinanzieren? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?

Ulrich Kelber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich nehme zunächst einmal zur Kenntnis, dass Sie eine Studie des RWI gelesen haben, zumindest Ausschnitte daraus bzw. die Zusammenfassung für Entscheidungsträger, ({0}) wie wir alle es häufig tun müssen, wenn eine Studie mehrere 100 Seiten lang ist. ({1}) Aber - jetzt kommt der Punkt - wo hat diese Studie recht? Es fängt damit an, dass darin falsche Arbeitsplatzzahlen zugrunde gelegt werden. Man tut so, als seien die Preise, die Sie gerade genannt haben, Preise pro Jahr. Dabei wurden diese Preise über 30 Jahre hochgerechnet. In dieser Studie wird beim Strom aus fossilen Energieträgern eine Preissteigerung in Höhe von 3 Prozent angesetzt. In den letzten Jahren betrug die Preissteigerung allerdings 8 Prozent. Außerdem wird eine Senkung der Vergütung der Kosten für Fotovoltaik in Höhe von 5 Prozent angenommen. Die Koalition wird aber auf jeden Fall eine von 8 Prozent beschließen; das ist ein Vorschlag der Regierung. Darüber hinaus wird in dieser Studie ein weiterer eklatanter Fehler gemacht: Die größten Zubauzahlen werden für die Jahre nach 2015 prognostiziert. In der Studie heißt es, das werde besonders teuer. Aber im Jahre 2015 wird nach den Beschlüssen, die die Bundesregierung vorbereitet hat und die Große Koalition bis zur Sommerpause fassen wird, der Strom aus einer Fotovoltaikanlage unter deutschen Verhältnissen billiger sein als der Strom aus der Steckdose. Das wird der Zeitpunkt sein, zu dem jemand, der eine Fotovoltaikanlage installiert, keine EEG-Vergütung mehr in Anspruch nehmen wird, sondern dafür sorgen wird, dass er den teuren Strom von RWE, Eon & Co. nicht mehr beziehen muss. Das ist der Augenblick, in dem der Boom erst richtig losgehen wird. Deswegen ist die Studie des RWI, was die Kosten betrifft, falsch, und zwar um den Faktor 15. Was die Zahl der Arbeitsplätze, die entstehen sollen, angeht, liegt sie sogar um ein Vielfaches daneben. Roland Berger zum Beispiel geht von 200 000 Arbeitsplätzen und nicht von 35 000 Arbeitsplätzen aus. ({2}) Wie Sie sehen, habe ich die Studie ausführlicher gelesen, als Sie es vermutlich getan haben. ({3}) Viel spannender ist dieses Thema, wenn man nicht die Angaben verwendet, die RWE, Eon und Vattenfall in ihrer Öffentlichkeitsarbeit machen, sondern wenn man sich ansieht, welche Informationen die Unternehmen verbreiten, wenn sie ganz andere Ansprüche bedienen müssen. Ein Beispiel ist die Jahresbilanzpressekonferenz von Vattenfall in Stockholm. ({4}) - In Stockholm war ich schon einmal. Auf dieser Jahresbilanzpressekonferenz war ich aber leider nicht. Ich bin nicht eingeladen worden, Herr Pfeiffer. ({5}) Dort hieß es, dass zwei Drittel des Gewinns dieses Unternehmens aus Deutschland stammen, weil man in Deutschland im Stromgeschäft besonders hohe Margen erzielen kann. Dasselbe Unternehmen erzählt uns, die Preise seien in Deutschland aufgrund der hohen Abgaben so hoch. In Schweden hingegen sagt man, in Deutschland seien besonders hohe Margen zu erzielen. Man sollte sich auch einmal die entsprechenden Folien besorgen, die gezeigt werden, wenn RWE in London Finanzinvestoren dazu motivieren will, in die Aktien des Unternehmens zu investieren. Auf ihnen steht nämlich, dass in 80 Prozent der Kraftwerke Strom für weniger als 2 Cent produziert wird und dass man Kraftwerke vom Markt genommen hat, um eine höhere Marge erzielen zu können. Das steht auf den Folien dieses Unternehmens. Das hört sich anders an als das, was in den Pressemitteilungen steht, die dieses Unternehmen in Deutschland verbreitet. Die Politik kann dennoch einiges tun. Wir können dazu beitragen, dass von den teuren Energieträgern weniger verbraucht wird. Die Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Gebäudedämmung und sparsamere Verwendung. Ich hoffe nach wie vor, dass wir in Deutschland mit aller Kraft gemeinsam daran arbeiten, auf europäischer Ebene das Top-Runner-Programm zu verankern. Dann können wir in Zukunft verlangen, dass man sich bei allen Instrumenten, Maschinen und Geräten, die verkauft werden, am Besten orientieren muss und dass fünf Jahre später nur noch Geräte verkauft werden dürfen, die mindestens so energieeffizient sind wie die besten Geräte fünf Jahre zuvor. Damit würden wir einen Wettlauf der Ingenieure auslösen, der im Interesse der Geldbeutel der Verbraucherinnen und Verbraucher wäre und zu ungeahnten Ergebnissen führen würde. Wer weniger Klimaschutz will, der lässt die Verbraucherinnen und Verbraucher mit den steigenden Energiekosten allein. Viele Umstände werden dazu führen, dass wir nie wieder niedrige Energiepreise haben werden. Die Frage ist: Schaffen wir es, zu fairen Energiepreisen zu gelangen? Wer dazu einen Beitrag leisten will, der muss sich mit dem Oligopol auf dem Energiemarkt befassen. Denn es ist die Situation eingetreten, dass die Renditen im liberalisierten Markt höher sind, als es die Renditen vor dem Jahr 1998 in einer regionalen Monopolsituation waren. Das war nicht der Gedanke, der hinter der Liberalisierung stand. Deswegen sind wir darauf angewiesen, jede einzelne politische Maßnahme zu überprüfen: Stärkt sie das Oligopol, oder bricht sie das Oligopol auf? Ich pflichte dem Bundeswirtschaftsminister bei, wenn er sagt: Wir brauchen als Erstes mehr Kapazität auf dem Markt. Das ist richtig. Aber wir brauchen auch mehr Wettbewerber auf dem Markt, wir brauchen mehr Unternehmen auf dem Markt. Dafür braucht es eine ordnungspolitische Vorgabe, wie viel Marktdominanz wir, die Politik, zu akzeptieren bereit sind und wo wir, wie in anderen Bereichen der Wirtschaft, gegen Marktdominanz Maßnahmen ergreifen. Bei vielen Maßnahmen kann man relativ schnell prüfen, ob sie sinnvoll sind. Eine Stärkung der Stadtwerke zum Beispiel ist sinnvoll, weil sie mehr Wettbewerb bringt. Wir sind dazu aufgerufen, bei allen Energiewirtschaftsgesetzen auf die Bedingungen, zu denen die Stadtwerke arbeiten müssen, stärker zu achten. Wir brauchen ein Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung treten fast immer regionale, kleine Wettbewerber gegen die Oligopolisten an. Eine Förderung der erneuerbaren Energien ist ebenfalls sinnvoll. Sinnvoll ist auch, wenn im Energiesektor ab 2013 100 Prozent der Zertifikate versteigert werden, damit es im Emissionshandel nicht länger Wettbewerbsverzerrungen gibt. Die Grünen fordern in ihrem Antrag, bei der zweiten Emissionshandelsphase nachträglich Abschöpfungen vorzunehmen. Sie wissen, dass das schwierig ist. Als ich in meinem Archiv gekramt habe, habe ich den Brief gefunden, den ich damals als Berichterstatter Klimaschutz an Umweltminister Jürgen Trittin geschrieben habe und in dem ich vor der Verabschiedung der Emissionshandelsrichtlinie nachgefragt habe: Besteht nicht die Gefahr, dass den Energiekonzernen ungerechtfertigte Gewinne entstehen? Antwort des damaligen Umweltministers: Diese Gefahr sehe er nicht. Wir müssen jetzt gemeinsam an der Richtlinie für die dritte Emissionshandelsperiode arbeiten. Die Gefahr ungerechtfertigter Gewinne ist erst dann gebannt, wenn 100 Prozent der Zertifikate auktioniert werden. Wir können die entsprechenden Einnahmen nutzen, um die Energiekosten der Haushalte zu senken. Wir diskutieren immer wieder über eine Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke. Das ist eine Maßnahme, die für mehr Wettbewerb schädlich wäre. ({6}) Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen: Wenn sich ein regionaler Wettbewerber überlegt, ein Kraftwerk zu bauen, muss der Aufsichtsrat den Eigentümern erklären, was für eine Rendite zu erwarten ist. Wenn die jetzige Politik fortgesetzt wird, wenn 100 Prozent der Zertifikate auktioniert werden, wenn bestimmte Nutzungsrechte eingeschränkt werden, ist eine Rendite von 11 Prozent zu erwarten. Vielen Finanzinvestoren wäre das zu wenig; aber ein regionaler Betreiber ist bereit, für eine Rendite von 11 Prozent zu investieren. Eine Folie weiter wird betrachtet, wie die Rendite aussieht, wenn die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert wird. Dann sinkt diese Rendite auf unter 4 Prozent, und das neue Kraftwerk ist nicht mehr refinanzierbar. Das heißt, die Entscheidung eines Unternehmens, ob es in Deutschland in den Markt einsteigt und durch Konkurrenz für niedrigere Energiepreise sorgt, steht und fällt damit, ob die Bundesregierung die Atomkraftwerke - die hoch subventioniert waren und längst abgeschrieben sind und noch heute von der Allgemeinheit subventioniert werden ({7}) abschalten lässt, wie es vorgesehen ist. Sonst bleibt es bei der Monopolrendite, sonst bleiben 80 Prozent der Stromproduktion in den Händen von vier Unternehmen. Wir sind es also, die entscheiden, ob Unternehmen in den Wettbewerb einsteigen oder nicht. ({8}) In den Anträgen der Grünen und der FDP stehen weitere Vorschläge für mehr Wettbewerb. Zum einen geht es dabei um die Netze. Ich glaube, dass wir mit der Bundesnetzagentur auf einem guten Weg sind; allerdings gibt es bei der Netzregulierung noch Ausreißer, wie ein Beispiel aus meiner Heimatstadt Bonn zeigt. In Bonn sind 60 Prozent des Netzes im Besitz der Stadtwerke Bonn und 40 Prozent im Besitz von RWE. Die Kunden werden von den Stadtwerken Bonn beliefert; RWE bekommt Netznutzungsentgelte gezahlt. Nachdem die Bundesnetzagentur die Netzentgelte geregelt hat, darf RWE ein wesentlich höheres Netzentgelt verlangen als die Stadtwerke Bonn. Das führt dazu, dass die Stadtwerke Bonn RWE mit 4 Millionen Euro subventionieren. Ich kann nicht verstehen, wie so etwas das Ergebnis einer Netzentgeltregulierung sein kann. ({9}) Im Jahr 1995 wurde rekommunalisiert, und die Stadtwerke haben Netze zurückgekauft. Wie kann die Bundesnetzagentur die Meinung vertreten, dass der Preis, den die Stadtwerke damals gezahlt haben, zu hoch gewesen sei, und deshalb nicht anerkennen, dass die Stadtwerke die Netzentgelte zu senken haben, während die RWE-Tochter mit dem Geld, das die Stadtwerke damals gezahlt haben, Wettbewerb machen kann? Das kann nicht das Ergebnis von Regulierung sein. Wir brauchen eine Stärkung der Stadtwerke. ({10}) Die Grünen haben vorgeschlagen, Kraftwerksverkäufe und die Privilegierung neuer Wettbewerber zu prüfen. Ich habe dafür eine persönliche Sympathie, aber Sie machen an der Stelle einen Denkfehler: Sie kommen damit vor Gericht nur durch, wenn Sie nachgewiesen haben, dass Sie vorher bei der Förderung von Wettbewerbern und der Ermöglichung des Zubaus an Kapazitäten die notwendigen Maßnahmen ergriffen haben. So weit sind wir nicht. Den Menschen zu erzählen, man könne diese Maßnahmen jetzt ganz schnell ergreifen, ist schlichtweg juristisch falsch. Noch dazu kommen viele der neuen Wettbewerber zu uns und sagen: Wenn ihr diese Privilegierung einführt, dann nutzt sie uns nur in den ersten Jahren. Wissen wir aber, ob ihr nicht nach fünf Jahren dem Nächsten dieses Vorrecht gegenüber unseren Kraftwerken gebt, sodass sich unsere Investition dann nicht mehr rechnet? - Sie säen Misstrauen in den Markt, der im Augenblick leider sehr diffizil ist und in dem die Investitionen nicht so gut fließen, wie wir uns das wünschen. Letzter Punkt. Die FDP schlägt die Absenkung der Mehrwertsteuer vor. Ich finde das spannend. Mit Ausnahme der ersten und der letzten Erhöhung der Mehrwertsteuer waren Sie bei allen in der Regierung. Was glauben Sie, wie viel von dieser Senkung RWE und Eon wieder zurückgeben werden? Die Senkung der Mehrwertsteuer würde dem Gesamtbetrag entsprechen, der in den letzten 18 Monaten aufgrund der Preiserhöhungen der letzten Jahre mehr gezahlt werden musste. Diese Entlastung würde innerhalb kürzester Zeit wieder aufgefressen werden. Dann gäbe es eine staatliche Unfähigkeit, den Menschen bei der Senkung des Energieverbrauchs zu helfen, weil wir die dazu notwendigen Gelder unmittelbar in die Kassen der großen Energieversorger umgelenkt hätten. ({11}) Ich glaube, wenn wir das Ordnungsrecht und die Klimaschutzinstrumente stringent anwenden, dann helfen wir den Menschen sehr viel mehr als mit schnellen Sprüchen, weil wir für mehr Wettbewerb und weniger Energieverbrauch sorgen. Es gibt den alten Satz: Lieber viele erfolgreiche kleine Schritte als einen großen Spruch. Vielen Dank. ({12})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Martin Zeil für die FDP-Fraktion das Wort.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist in der Debatte deutlich geworden, dass uns ein Ziel eint: Wir wollen mehr Wettbewerb. ({0}) In der Debatte geht es um die verschiedenen Wege und Instrumente zu mehr Wettbewerb. Und Wettbewerb ist dabei ja kein Selbstzweck. Wenn wir den Wettbewerb in einer Marktwirtschaft richtig organisieren, dann kann und muss er die soziale Funktion des Marktes zum Ausdruck bringen. Durch die gestrige Anhörung zum 3. BinnenmarktPaket der EU-Kommission wurden hinsichtlich des Themas Entflechtung offensichtlich unterschiedliche Wahrnehmungen ausgelöst. Es ist sicher deutlich geworden, dass insbesondere die Entflechtung auf der Eigentumsebene Ultima Ratio sein kann und muss. Herr Kollege Hempelmann, es war aber doch nicht so, dass alle gesagt haben, wir brauchten keine Entflechtungsinstrumente. Deswegen hat die FDP-Fraktion hier im Bundestag - übrigens wie das Land Hessen im Bundesrat - einen Gesetzentwurf vorgelegt, durch den der kartellrechtliche Instrumentenkasten um das Instrument der Entflechtung für alle verschiedenen Ebenen und Notwendigkeiten erweitert wird. Darüber sollten wir doch Einigkeit erzielen. ({1}) Bemerkenswert ist, dass jetzt gerade noch einmal von Herrn Kollegen Kelber, aber vorhin auch von den Grünen auf die Monopole und Kartelle Bezug genommen worden ist, die aufzubrechen seien. Während Ihrer letzten gemeinsamen Regierungszeit hatten Sie beispielsweise bei der Fusion von Eon/Ruhrgas ganz konkret Gelegenheit, die Bildung von Marktmacht zu verhindern, aber Sie haben die Ministererlaubnis von damals zu verantworten. ({2}) Herr Kollege, interessant in der Debatte ist, dass die Oppositionsparteien gerade im Verhältnis zur EU-Kommission versuchen, Modelle, über die man streitig diskutieren muss, und Konzeptionen vorzulegen, während sich die Regierung in entscheidenden Fragen der Konzeption und der Umsetzung uneinig ist. Das hat ja auch die heutige Debatte noch einmal gezeigt. Herr Kollege Obermeier, weil Sie so stolz auf die GWB-Novelle waren - von Herrn Kollegen Kelber ist gesagt worden, es seien jüngst Briefe an die Bürgerinnen und Bürger wegen einer Preiserhöhung verschickt worden -: Diese GWB-Novelle hat, wie wir das auch vorausgesagt haben, bisher in keiner Weise zu einer Preissenkung beigetragen. ({3}) Unser Vorwurf, dass es sich um eine Placebo-Gesetzgebung handelt, ist insofern bestätigt worden. Was die Atomkraft angeht, hat Herr Kollege Kelber gemeint, eine Laufzeitverlängerung führe zu höheren Preisen. Es geht doch letztlich um eine Wettbewerbsfrage, Herr Kollege. ({4}) Es geht darum, ob es die Aufgabe der Politik ist, aus ideologischen Gründen eine Art der Energieerzeugung vom Markt abzukoppeln und auszuschließen. ({5}) Damit verhindern Sie mehr Wettbewerb. Das Problem besteht eben darin, dass Sie ideologisch verkrampft Energiepolitik betreiben. ({6}) Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Antrag der Grünen. Sie haben sich für einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen, der armutsfest sein soll. Auch dabei rate ich zu etwas mehr Glaubwürdigkeit. Sie haben in Ihrer Regierungszeit - das war auch das erklärte Ziel alles getan, um Energie zu verteuern. Sie haben auf die Energiepreise draufgesattelt. Dass Sie jetzt nach dem Motto „Haltet den Dieb!“ den Mindestlohn einführen wollen, ist nicht sehr glaubwürdig. ({7}) Wir brauchen auf jeden Fall mehr Wettbewerb. Ein Weg dahin kann und muss die Einführung einer Entflechtungsnorm im Kartellrecht auf nationaler Ebene sein. Wir wollen diesen Impuls auch auf die europäische Ebene übertragen. Wir sollten uns gemeinsam bemühen, auf nationaler Ebene zu einer gemeinsamen Initiative zu kommen, um den Überlegungen auf EU-Ebene eine klare deutsche Konzeption entgegensetzen zu können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der Kollege Hans-Kurt Hill. ({0})

Hans Kurt Hill (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003767, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Betrug an den Stromkunden in Deutschland hat System. Ohne Rücksicht wird den Verbraucherinnen und Verbrauchern von den Energieunternehmen das Geld aus der Tasche gezogen. Nun hat die Bundesnetzagentur ein Missbrauchsverfahren gegen die vier Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW eingeleitet. Es besteht der konkrete Verdacht, dass die Monopolisten künstlich teuren Strom erzeugen, obwohl billigere Energie im Netz ist. Vorausgegangen sind, wie wir wissen, zahlreiche Überprüfungen, Kontrollen und Hausdurchsuchungen, die von den EU-Behörden angestrengt wurden. Der Vorwurf ist der Missbrauch des Strommarktes durch das Monopol. Die vier Energiekonzerne verteuern den Strom künstlich, behindern den Ausbau erneuerbarer Energien und kassieren bei den Stromkundinnen und Stromkunden jährlich Milliarden Euro zu viel. Wir nennen das Diebstahl per Steckdose. Das muss ein Ende haben. ({0}) Doch was tut die Bundesregierung? Nichts! Was noch viel peinlicher ist: Die EU-Kommission macht ihre Arbeit, aber was machen Sie, meine Damen und Herren von der Regierung? Sie reden dem Energiekartell auch noch das Wort und blockieren. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich? Auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger offenbar nicht. ({1}) Sie führen im Kanzleramt die üblichen Branchengespräche mit den Strombossen. Wir haben im Wirtschaftsministerium nachgefragt. Aber es wird nicht verraten, was Gegenstand dieser Treffen ist. Wir fordern Sie auf, das Parlament und die Verbraucherinnen und Verbraucher in vollem Umfang über diese Gespräche zu informieren. Das ist unser gutes Recht. Denn wer sich so verhält, sieht sich zu Recht dem Vorwurf der Vetternwirtschaft ausgesetzt. Frau Höhn ist bereits darauf eingegangen. ({2}) Sprechen wir es offen aus: Auch die Nähe einzelner Abgeordneter mit Regierungsverantwortung zur Energiewirtschaft ist meines Erachtens unübersehbar. Ich gebe Herrn Kelber darin recht, Frau Höhn: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Ich erinnere nur an die Frau Kollegin Rösel, die zwischenzeitlich bei einer Tochtergesellschaft von Eon beschäftigt war ({3}) - Entschuldigung, Frau Röstel! -, und den ehemaligen Kollegen Rezzo Schlauch, der heute im EuBW-Beirat sitzt. Das muss man ebenfalls in Betracht ziehen. Ich fordere die Regierung auf, endlich etwas zu unternehmen. Unterstützen Sie die EU in ihren Bemühungen! Zerschlagen Sie endlich die Stromkartelle und schaffen Sie faire Bedingungen auf dem Energiemarkt! An die Adresse der EU: Mit dem Energiezirkus in ganz Europa muss endlich Schluss sein. Immerhin wurden einige Vorschläge, die die Linksfraktion bereits 2006 in den Bundestag eingebracht hatte, aufgegriffen. Ich nenne nur die Erhöhung des Wohngeldes unter Einbeziehung der Heizkosten und Sozialtarife für arme Haushalte. Über die sogenannten Watchdogs, Verbraucherbeiräte, zur Stärkung der Verbraucherrechte auf dem Strommarkt wird ebenfalls diskutiert. Was jetzt noch fehlt, ist: Nehmen Sie den Kartellen die Stadtwerksbeteiligungen weg! Herr Meyer hat darauf hingewiesen, dass sich 21 Stadtwerke an einem Kraftwerk beteiligt haben. Schauen Sie genau hin, um wen es sich dabei handelt, wie viel Prozent in den Händen der großen Energiekonzerne liegen! Trennen Sie den Netzbetrieb von der Stromerzeugung! Überführen Sie die Stromübertragungsnetze in die öffentliche Hand! Führen Sie die Strom- und Gaspreisaufsicht wieder ein! Kassieren Sie die unerlaubten Gewinne der Stromkonzerne in Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich aus dem Emissionshandel über eine Abschöpfungsteuer! ({4}) Zum Antrag der Grünen möchte ich noch sagen: Frau Höhn, gut abgeschrieben von unseren Anträgen. ({5}) Ich sehe, dass sich die Politik der Linken auch bei Ihnen zunehmend durchsetzt. Allerdings ziehen Sie teilweise falsche Schlüsse. Als sogenannte Ökopartei versuchen Sie sich zwar in der Beantwortung sozialer Fragen. Aber Energie kann Ihnen nicht teuer genug sein, und zwar ohne sozialen Ausgleich für arme Haushalte. Das verstehe ich nicht. Ich fasse zusammen: Die Linke will, dass Energie wieder bezahlbar wird und bleibt. Das geht langfristig nur mit einer radikalen Energiewende hin zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Kurzfristig brauchen wir einen fairen Ausgleich. Das bedeutet, die Energiekosten insbesondere für private Haushalte mit geringem Einkommen müssen sofort wirksam gesenkt werden. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind uns darüber einig - das ist schon angeklungen -, dass seit dem Beginn der Liberalisierung 1998 einiges passiert ist - und zwar auf dem Strommarkt mehr als auf dem Gasmarkt -, aber bei weitem noch nicht genug. Wir haben gemeinsam das Ziel, den Wettbewerb weiter zu forcieren und zu stärken. Dabei gibt es einige Dinge zu bedenken, auf die ich später eingehen möchte. Zuerst möchte ich auf die Anträge zu sprechen kommen. Die FDP fordert in ihrem Antrag einen verbesserten Zugang zu den Kraftwerken - Frau Kopp, das haben wir mit der Kraftwerksanschlussverordnung erreicht -, ({0}) einen beschleunigten Ausbau der Kuppelstellen - das ist auf dem Weg - und beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist verabschiedet und in Kraft, hat aber nicht die Wirkung, die wir alle wollen. Deshalb werden wir im Rahmen des zweiten integrierten Klima- und Energiepaketes im Mai mit dem Energieleitungsausbaugesetz die Rechtswege und die Planungsprozesse verbessern. Sie fordern des Weiteren mehr Transparenz beim Stromhandel. Auch hier sind wir auf dem richtigen Weg. Ein anderes Stichwort ist die Marktdurchdringung durch intelligente Zähler. Mit der Liberalisierung des Mess- und Zählwesens werden wir einen völlig neuen Weg beschreiten. Es wird dort zu ganz anderen Entwicklungen kommen, wenn das, was in anderen Bereichen wie der Telekommunikation durch moderne Technologie ermöglicht wurde, auch in den Haushalten Einzug hält. Der Bürger weiß dann, wie viel Strom er verbraucht und wie viel er dafür bezahlt. Er wird zukünftig nicht einmal im Jahr eine Rechnung bekommen - das ist wie eine Blackbox - und Vorauszahlungen leisten, sondern genau wissen, wie viel Strom der Fernseher und andere Elektrogeräte im Stand-by-Modus verbrauchen. Wir sind auch hier auf dem richtigen Weg. Ich könnte das fortführen: Reduzierung der Marktgebiete bei Gas. Natürlich gibt es zu viele Marktgebiete. Wir reduzieren sie jetzt auf acht, aber auch das sind noch zu viele. Insofern kann ich sagen: Ihr Antrag beschreibt eigentlich unser Tun. ({1}) Sie sollten uns eigentlich dafür loben, denn die Dinge, die Sie fordern, sind Dinge, die wir fast alle schon umgesetzt haben. Im Übrigen sind wir dabei, die wenigen Dinge umzusetzen, die noch nicht umgesetzt sind. ({2}) Jetzt zu dem Antrag der Grünen. Frau Höhn, Sie haben vorhin gesagt, die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister würden zu wenig in Richtung Entlastung und Wettbewerb tun. Sie müssen sich schon eines fragen lassen, was der Kollege Kelber vorhin angesprochen hat. Wenn ich mich richtig erinnere, so war eine der größten preistreibenden Aktionen im Strombereich der letzten Jahre der Emissionshandel, aber nicht deshalb, weil der Emissionshandel falsch ist, sondern weil er falsch angegangen wurde. So wurden die Emissionszertifikate kostenlos an die Energieerzeuger vergeben, was zu Windfall Profits in Höhe von 5 Milliarden Euro geführt hat. ({3}) - Stimmt es, oder stimmt es nicht? ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich, gerne.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr, Frau Höhn.

Bärbel Höhn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003774, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Pfeiffer, Sie haben gerade eben gesagt, der größte Fehler sei gewesen, den Emissionshandel ohne Versteigerung zuzulassen. Sagen Sie doch bitte, wie viel Versteigerung die EU in der ersten Periode überhaupt zugelassen hat. Bitte beantworten Sie einmal die Frage, wie viel man hätte machen können.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die beantworte ich Ihnen sehr gern, zunächst einmal mit einer Gegenfrage: Wer hat denn in dieser Zeit die entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt? Die sind doch nicht in Brüssel vom Himmel gefallen, sondern aufgrund nationaler Vorschläge ({0}) dort erarbeitet worden. Dort war derselbe Umweltminister, der den Emissionshandel in Deutschland so eingeführt hat. Herr Kollege Kelber hat vorhin vorgelesen, dass gesagt wurde, dass keine höheren Preise und keine Windfall Profits zu erwarten seien. ({1}) - Sie dürfen ruhig stehenbleiben, ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. ({2}) - Die Frage ist noch nicht beantwortet, Frau Höhn. - Der bvek hat ausgerechnet, dass letztlich der Verbraucher jährlich 5 Milliarden Euro mehr zu zahlen hat. Das sind die Fakten. Insofern frage ich Sie: Wer hat dazu beigetragen? Auch zum Thema Emissionshandel äußern Sie sich in Ihrem Antrag ambivalent. Wir wollten den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument - darin waren wir uns einig -, mit dem man versucht, die externen Kosten zu internalisieren, weil der Emissionshandel diesen einen Preis gibt. Der Fehler bisher war in der Tat, dass die Zertifikate unentgeltlich vergeben wurden. Jetzt werden 10 Prozent auktioniert. Das aber hat die Große Koalition beschlossen. Wir werden in der dritten Periode auf jeden Fall eine hundertprozentige Auktionierung haben. Wenn wir das aber anstreben und dieser Emissionshandel mit dem Cap and Trade funktioniert, dann wird über dieses Instrument auch gesteuert, wie der Kraftwerkspark in Zukunft aussieht. Das betrifft auch den Umweltaspekt. Wenn wir die CO2-Emissionen jährlich senken, dann wird die Stromerzeugung für diejenigen, die Emissionen erzeugen, teurer. Deshalb werden die Emissionshandelspreise steigen, was auch Auswirkungen auf die Kosten der Kohlekraftwerke haben wird. Wir brauchen den Emissionshandel als funktionierendes Instrument. Wir dürfen aber nicht - was Sie fordern - den Neubau von Kohlekraftwerken, die noch effizienter sind, verbieten. Sie sollten sich einmal ordnungspolitische Gedanken machen, weil diese Dinge sonst nicht zusammenpassen. Auch einen weiteren Punkt in Sachen Preistreiberei muss man der Ehrlichkeit halber ansprechen. Der größte Preistreiber neben dem, was ich gerade ausgeführt habe, war und ist der Staat. Von 1998 bis 2005 - man kann es nicht oft genug wiederholen - sind die staatlich administrierten Abgaben von 6,5 Milliarden Euro auf 14 Milliarden Euro gestiegen. Hinzu kommt die Mehrwertsteuer, die Kollege Obermeier angesprochen hat. ({3}) - Haben Sie noch eine Frage? Sie möchte noch eine Frage stellen. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Es sieht nicht so aus, Herr Kollege.

Dr. Joachim Pfeiffer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Insofern muss man die Kirche wirklich im Dorf lassen. Frau Höhn, über das, was wir mittlerweile erreicht haben, sollten wir uns gemeinsam freuen. Die Große Koalition hat mit der Anreiz- bzw. Übergangsregulierung, die nächstes Jahr in Kraft tritt, erreicht, dass die Netzentgelte im letzten Jahr zum ersten Mal eine preisdämpfende und keine preiserhöhende Wirkung hatten. Was den Haushaltsstrom angeht, sind die Preise von 7,3 Cent auf 6,3 Cent zurückgegangen. Bezogen auf den prozentualen Anteil, entspricht dies einem Rückgang von 38,6 Prozent auf 31,5 Prozent. Das ist ein Erfolg; die Preise wären ansonsten noch stärker gestiegen. Insgesamt gab es in dieser Periode 2 Milliarden Euro nicht genehmigter oder gekürzter Netznutzungsentgelte. Diese Entgelte sind also nicht erhöht, sondern gesenkt worden. Mit anderen Worten: Den Bürgern sind letztlich Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro erspart geblieben. Der Wettbewerb im Strombereich hat endlich auch den Endverbraucher erreicht. Während von 1998 bis 2005 nur wenige einen Wechsel des Stromanbieters vorgenommen haben, ist jetzt der Durchbruch gelungen, auch dank unserer Maßnahmen und Instrumente. Mittlerweile haben 4,5 Millionen Haushalte den Stromanbieter gewechselt, davon allein im letzten Jahr 1,3 Millionen. Dass dies dem Wettbewerb guttut, werden Sie wohl nicht bestreiten. Frau Höhn, ich teile die Auffassung des Kollegen Meyer: Sie sind intelligent. Insofern glaube ich nicht, dass Sie sich in die eigene Tasche lügen. Vielmehr unternehmen Sie hier - vielleicht sogar fast etwas bösartig einen Täuschungsversuch. Ich will deshalb etwas klarstellen. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass im letzten Jahr das Licht nicht ausging, obwohl von 17 Kernkraftwerken 6 oder 7 in Revision oder abgeschaltet waren. Das ist richtig. Wir sind uns wahrscheinlich einig: Das Licht wird auch in Zukunft nicht ausgehen. Sofern die Zeit reicht, gehe ich nachher gern auf das Thema der Stromlücke ein. Frau Höhn, Sie haben aber vergessen, zu sagen, dass der Ausfall von Kernkraftwerken in Deutschland im letzten Jahr nicht etwa durch Windenergieproduktion oder gar durch Fotovoltaik ausgeglichen wurde, sondern durch den vermehrten Einsatz von Kohlekraftwerken. Der Ausfall von Kernkraftwerken wurde im letzten Jahr zu 95 Prozent durch die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken ersetzt. Herr Ziesing vom DIW - ich glaube, er ist unverdächtig - hat ausgerechnet, dass die CO2-Emissionen im letzten Jahr, also 2007, durch die Verstromung von Kohle um 3 Prozent angestiegen sind. Das heißt, im letzten Jahr wurden 10 Millionen Tonnen CO2 mehr ausgestoßen. ({0}) Das sind die Konsequenzen für den Umweltschutz aus dem Nichteinsatz von Kernkraftwerken im letzten Jahr. Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein laues Lüftchen, quasi ein Vorgeschmack auf das, was auf uns noch zukommt, wenn wir sämtliche Kernkraftwerke abschalten. ({1}) Dann werden nämlich 160 Millionen Tonnen CO2 mehr emittiert. Der Wegfall der Kernkraftwerke wird ausgeglichen werden müssen. Ein Problem wird sein, dass wir dann gegebenenfalls eine Stromlücke haben. Wenn wir bei der Stromproduktion bis 2020 das ambitionierte Ziel von 30 Prozent aus erneuerbaren Energien erreichen wollen - wenn wir besonders toll sind, dann schaffen wir vielleicht sogar 35 Prozent - und wenn wir im gleichen Zeitraum sämtliche Kernkraftwerke abschalten, dann müssen immer noch 65 bis 70 Prozent des Stroms durch nicht erneuerbare Energien produziert werden. Ich frage Sie, wie dies geschehen soll, wenn nicht durch Kernkraft. Diese Energie kann entweder in fossilen Kraftwerken mit entsprechendem CO2-Ausstoß erzeugt werden, oder sie kann importiert werden. Man muss wirklich beide Seiten der Medaille betrachten. Wir sind gut beraten, wenn wir den eingeschlagenen Weg weitergehen. Wir sollten einen Stromerzeugungsmix beibehalten, und wir sollten uns nicht einseitig in die eine oder andere Richtung begeben. Nur dann wird es uns gelingen, dem energiepolitischen Zieldreieck „Versorgungssicherheit, Umweltschutz/Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit“ gerecht zu werden. Vielen Dank. ({2})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8536 und 16/8079 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Vorlage auf Drucksache 16/8536 soll federführend beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beraten werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d sowie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d auf: 28 Überweisungen im vereinfachten Verfahren a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Dezember 2003 über Politischen Dialog und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Andengemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ({0}) andererseits - Drucksache 16/8654 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Rainder Steenblock, Kerstin Andreae, Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeord- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN EU-Strukturfonds zur nachhaltigen Ent- wicklung einsetzen - Drucksache 16/1069 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({2}), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno- vation in der Wissenschaft - Drucksache 16/8753 - d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- regierung Evaluierungsbericht der Bundesregierung über die Erfahrungen und Ergebnisse mit der Regulierung durch das Energiewirt- schaftsgesetz - Drucksache 16/6532 - ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfah- ren a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Für einen umfassenden Schutz der europäi- schen Bürgerinnen und Bürger bei der Ver- arbeitung ihrer Daten im Bereich der so ge- nannten dritten Säule der Europäischen Union - Drucksache 16/5473 - b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cajus Caesar, Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz Schmitt ({3}), Marco Bülow, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Weltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn - Biolo- gische Vielfalt schützen, nachhaltig und ge- recht nutzen - Drucksache 16/8756 - c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef Parr, Daniel Bahr ({4}), Heinz Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Eigenverantwortung und klare Aufgabentei- lung als Grundvoraussetzung einer effizien- ten Präventionsstrategie - Drucksache 16/8751 - d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({5}), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion DIE LINKE Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und der Beschäftigungsverhältnisse herstellen - Drucksache 16/8742 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen auch hier so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Einheiten im Messwesen und des Eichgesetzes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur Änderung der Einheitenverordnung und zur Änderung der Sommerzeitverordnung - Drucksache 16/8308 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6}) - Drucksache 16/8610 Berichterstattung: Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein Es handelt sich hierbei um die Beschlussfassung zu einer Vorlage, zu der keine Aussprache vorgesehen ist. Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8610, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8308 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion FDP angenommen. Wir kommen zur dritten Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der zweiten Lesung angenommen. Ich rufe nun den Zusatzpunkt Aktuelle Stunde auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD Aktuelle Lage in Tibet Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Bundesregierung Herrn Staatsminister Dr. Gernot Erler das Wort.

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle sind erschüttert und tief besorgt über die Nachrichten und Bilder, die uns seit dem 14. März aus der tibetischen autonomen Region und den angrenzenden Provinzen erreichen und die so gar nicht zu dem olympischen Geist des Friedens, der Freundschaft zwischen den Völkern und des edlen sportlichen Wettbewerbs passen. ({0}) Viele Tausende Menschen haben sich dafür eingesetzt und sich angestrengt, diesen Geist nach Peking zu tragen, viele Hoffnungen haben sich damit verbunden. Viele Millionen Menschen haben sich darauf gefreut, einfach bei diesen traditionsreichen Spielen im bevölkerungsreichsten Land der Erde zuschauen zu dürfen. Bilder der Gewalt und der Zerstörung haben uns jäh aus dieser Vorfreude herausgerissen. Der Blick in die Tiefe, ja, in die Abgründe eines Konflikts war eine böse Überraschung und die Erfahrung beidseitiger Gewaltanwendung ein Schock. Das bezieht sich ebenso auf die blutigen Übergriffe tibetischer Protestler gegen wehrlose und unbewaffnete chinesische Mitbewohner wie auf die Reaktion der chinesischen Staatsgewalt, die nach Augenzeugenberichten erst zurückhaltend, dann aber brutal reagierte: mit massenhaften Festnahmen, mit Einschüchterungsversuchen, mit Umerziehungsmaßnahmen bei den Mönchen und mit einer völligen Abriegelung der betroffenen Gebiete. Die Bundesregierung ist zutiefst davon überzeugt, dass diese beiderseitige Gewaltanwendung kein einziges Problem lösen kann. ({1}) Sie nutzt der tibetischen Seite nicht und kann sogar sehr schnell die berechtigten Forderungen der Tibeter nach kultureller und religiöser Autonomie diskreditieren, eine Gefahr, auf die übrigens der Dalai Lama, der Gewaltanwendung strikt ablehnt, selber hingewiesen hat. Die Gewaltanwendung schadet aber auch der chinesischen Seite, die notwendigerweise mit ihren Zusagen konfrontiert wird, die sie im Zusammenhang mit der Vergabe der Olympischen Spiele gemacht hat, und der es nicht gelingen wird, allein mit Repression die tibetischen Probleme zu lösen, geschweige denn, dass sie auf dieser Basis die gewünschte positive Präsentation des Landes im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen erreichen wird. Deshalb appellieren wir mit allem Nachdruck an beide Seiten, auf jegliche Gewaltanwendung zu verzichten, sich ernsthaft um eine Deeskalation der Situation vor Ort zu bemühen und damit dazu beizutragen, den Weg zu einer zivilisierten und nachhaltigen Lösung des sichtbar gewordenen politisch-kulturellen Konflikts zu ebnen. ({2}) Es gibt einen zweiten Punkt, der uns Sorgen macht. In der chinesischen Öffentlichkeit wird jetzt die westliche Berichterstattung mit harten Worten kritisiert, ja angeprangert, als läge hier das Hauptproblem. Einzelne Berichterstattungen mit falsch zugeordnetem Berichtsmaterial werden als Belege für eine antichinesische Verschwörung dargeboten. Ich möchte hier klarstellen: Die Bundesregierung hat großen Respekt vor den Entwicklungsleistungen, die in den letzten Jahren in China zu beobachten waren. Sie hat einen vielleicht noch größeren Respekt vor der immensen Herausforderung, ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen zusammenzuhalten und zugleich den vielen Erwartungen und Notwendigkeiten zur Veränderung und Reform zu entsprechen. Niemand von uns will China an den Pranger stellen. Niemand ist an einer einseitigen oder unfairen Berichterstattung interessiert. Der beste Weg, das zu vermeiden, sind Transparenz, Offenheit und die Chance auf eine Meinungsbildung auf der Basis selbst gesammelter Fakten. Man kann nicht in einer solchen Krisensituation die Region abriegeln, alle ausländischen Journalisten ausweisen und sich dann darüber beklagen, dass unzutreffend berichtet wird. ({3}) Wir sehen in den drei organisierten Reisen der letzten 14 Tage - zwei mit Journalisten, eine mit Diplomaten ein Bemühen in die richtige Richtung. Aber erst wenn die gesamte tibetische autonome Region und die Nachbarprovinzen wieder frei zugänglich sind, entsteht überhaupt die Chance auf eine auf Eigenrecherchen beruhende, pluralistische und insofern ausgewogene Berichterstattung. Unser dringlicher Rat an die chinesische Führung ist deshalb: Beenden Sie die Abriegelung! Machen Sie Tibet für alle Besucher und alle unabhängigen Journalisten wieder zugänglich! ({4}) Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der politisch wichtigste. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Augenblick für die Wiederaufnahme des sino-tibetischen Dialogs? Ich sage bewusst Wiederaufnahme, da es solche Dialogphasen in der Vergangenheit durchaus gegeben hat, etwa in den 80er-Jahren zur Zeit des KP-Generalsekretärs Hu Yaobang oder in Ansätzen auch zwischen 2002 und 2007. Mit wem, wenn nicht mit dem Dalai Lama selbst, macht es in der jetzigen Situation Sinn, das Gespräch zu führen? Das ist der Mann, der bei der Vertretung tibetischer Interessen noch immer die höchste Autorität genießt, der ausdrücklich eine echte kulturelle und religiöse Autonomie und eben nicht die Loslösung Tibets von China als seine Ziele nennt und der sich glaubwürdig und durchaus mit eigenem Risiko von jeder Gewaltanwendung, auch wenn sie von seinen eigenen Landsleuten kommt, distanziert. Wir hören von der chinesischen Seite schwere Vorwürfe gegen das geistliche Oberhaupt der Tibeter: Der Dalai Lama trage die Verantwortung für die gewaltsamen Proteste, vertrete in Wirklichkeit separatistische Ziele, wofür es Beweise gebe. Solange diese schweren Vorwürfe aufrechterhalten werden, ohne dass man BeDr. h. c. Staatsminister Gernot Erler weise vorlegt, handelt es sich objektiv um Unterstellungen, allerdings solche, die in diesem Fall schwerwiegende Folgen haben, weil sie eine Lösung des TibetKonflikts auf der Basis eines Dialogs und eines verhandelten Interessenausgleichs blockieren. Dieser Weg ist falsch. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass es zu einer Deeskalation und zu einer politischen Lösung des Konfliktes über den Dialog keine vernünftige Alternative gibt. ({5}) Aus unserer Sicht heißt deswegen das Gebot der Stunde - ich fasse das einmal stichwortartig zusammen -: Beendigung der Gewaltanwendung auf beiden Seiten, Verzicht auf einseitige Repressionsmaßnahmen, Aufklärung der tragischen Ereignisse, Aufhebung der Abriegelung, stattdessen Öffnung und Transparenz und vor allem Ebnung des Weges für einen neuen Abschnitt des sino-tibetischen Dialogs unter Einbeziehung des Dalai Lama. Dafür hat Außenminister Frank-Walter Steinmeier in mehren Gesprächen mit seinem chinesischen Kollegen geworben. Dafür wird sich die Bundesregierung bilateral und international auch in Zukunft weiter intensiv einsetzen. Für diesen Ansatz und für diese Botschaft erbitten wir die Zustimmung des Hohen Hauses. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dr. h. c. Susanne Kastner (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001069

Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar von der FDP-Fraktion. ({0})

Dr. Florian Toncar (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003856, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich Tibet vor knapp sechs Wochen besucht habe, ahnte ich nicht, dass heute alle Welt dorthin blicken würde. Das ist spät genug, denn die Menschenrechte werden dort schon seit Jahren verletzt. Das alles ist bei vielen angesichts des beeindruckenden wirtschaftlichen Fortschritts in dem großen Land China in Vergessenheit geraten. Das, was jetzt passiert, ist geradezu eine Ironie der Geschichte. China will die Olympischen Spiele im August auch mit dem Ziel ausrichten, der Welt zu zeigen, was für ein fortschrittliches Land es geworden ist. Gerade dieses Ereignis führt der Welt jetzt jedoch vor Augen, wo die lange unterdrückten Probleme Chinas liegen. Ein Fackellauf gerät zu einem Politikum. Überall auf der Welt sind die gleichen Bilder zu sehen. Menschen protestieren aus Solidarität mit den Menschen in Tibet. Was wir hier erleben, ist auch Globalisierung. Das Eintreten für gemeinsame Werte läuft heute zeitgleich und weltweit ab. Es zeigt auch, was für eine historische Chance die Globalisierung auch für Werte wie Freiheit und Demokratie ist. ({0}) Wenn die olympische Fackel mittlerweile besser bewacht werden muss als die Bank von England, dann darf man das nicht denen anlasten, die von ihrem Recht auf friedlichen Protest Gebrauch machen. Verantwortlich sind diejenigen in China, aber auch bei uns in Europa, die meinten, dass man die Verbesserung der Menschenrechtslage, die bei der Vergabe der Olympischen Spiele fest zugesagt war, einfach hintanstellen oder tiefer hängen kann. Das rächt sich jetzt, und das muss in den nächsten Monaten gelöst werden. ({1}) Ein Wort noch zur Pariser Polizei: Wenn man nicht nur eine Fackel abschirmt - was sicherlich sein muss -, sondern wenn man Demonstranten auch noch ihre Transparente und Tibet-Fahnen wegnimmt, dann ist das nicht akzeptabel. Ich bin sehr verwundert, dass das französische Fernsehen die Übertragung der Demonstrationen unterbrochen hat und stellenweise den Eiffelturm gezeigt hat. Diese Form von Entgegenkommen gegenüber chinesischen Wünschen steht nicht mit meiner Vorstellung von einer offenen Gesellschaft in Einklang. ({2}) Es geht uns nicht darum, dass die Spiele nicht stattfinden. Ein Boykott der Wettkämpfe schadet den Sportlern, ohne die Menschenrechtslage konkret auch nur um einen Deut zu verbessern. Wer aber in China ist, der sollte sich mit der Menschenrechtsproblematik befassen. Politiker müssen das tun, Sportler dürfen es tun. ({3}) Natürlich gilt dabei die IOC-Charta, die offene Meinungsäußerungen an den Wettkampfstätten untersagt. Ich glaube, es tut den Olympischen Spielen sicher auch gut, wenn im Stadion und an den Wettkampfstätten keine offene politische Propaganda gemacht wird; denn man muss sich darüber klar sein: Das, was unsere Sportler gegebenenfalls dürfen, würden Sportler aus allen möglichen anderen Ländern mit anderen Konflikten genauso wahrnehmen. Das würde dem olympischen Klima insgesamt nicht guttun. ({4}) Ich rate dennoch dazu, bei den Spielen auch darauf zu achten, dass Sportler, die für Grundwerte wie Frieden, Respekt und Toleranz nicht nur für einen Teil der Welt, sondern für alle Völker eintreten, dies auch bei den Olympischen Spielen tun können, ohne Konsequenzen zu spüren. Dieses Maß an Sensibilität müssen das IOC und diejenigen, die auf die Regeln achten, aufbringen. ({5}) Ich glaube, man muss der chinesischen Regierung eines klarmachen: Mit der alten Taktik der Vernebelung und dem Leugnen von Problemen, das wir heute oft erle16154 ben, und auch mit der Unterdrückung innerer Kritik schafft sie es nicht, ihr Land zu modernisieren - was sie ja will -, und auch nicht, ihr Land stabil zu halten. Das haben wir in den letzten Wochen beobachten können. Man kann Menschen im 21. Jahrhundert nicht mehr abschotten, und man kann das Denken nicht staatlich lenken. Das ist technisch unmöglich. Deshalb ist die Verteufelung des Dalai Lama auch so schädlich. Er ist ein Gesprächspartner, der erklärt, Autonomie innerhalb der Volksrepublik China anzustreben, der Gewalt offen ablehnt und der sogar für die Olympischen Spiele ist. In vielen Ländern der Welt wäre ein solcher Gesprächspartner geradezu ein Segen für die Regierungen. Viele Regierungen würden sich nach solchen Gesprächspartnern sehnen. Die Chinesen könnten ihn haben. Dass sie darauf nicht eingehen, ist tragisch. Herr Staatsminister, ich habe mich darüber gefreut, dass die Bundesregierung auch an dieser Stelle klargemacht hat, dass sie die Gespräche mit dem Dalai Lama mit den Zielen der einvernehmlichen Lösung dieses Konflikts und der Autonomie Tibets im Rahmen der Volksrepublik China für nötig hält. Ich finde allerdings auch, man kann nicht glaubhaft vertreten, dass China mit dem Dalai Lama sprechen soll, wenn man ihn nicht auch selbst empfängt. Insofern finde ich, auch deutsche Politiker könnten sich diese Courage leisten. ({6}) Wer es gut meint mit China - ich finde, wir sollten es gut meinen mit China und das auch zum Ausdruck bringen -, der muss mit chinesischen Vertretern über diese Fragen sprechen. Wir haben ein Interesse daran, dass sich China nicht isoliert. Wir wollen nicht, dass jetzt durch eine zu aggressive antichinesische Rhetorik die Nationalisten, die es dort zahlreich gibt, die Oberhand gewinnen. Vielmehr wollen wir die Kräfte stärken, die für Öffnung plädieren. Wenn wir das nicht schaffen, können wir über Klimawandel, über Terrorismus und über viele andere wichtige globale Fragen mit den Chinesen gar nicht mehr reden. Wir müssen es schaffen, mit ihnen zu sprechen. Wir müssen es schaffen, den Chinesen zu vermitteln, dass die Wünsche und die Kritik, die wir anbringen, konstruktiv und wohlmeinend sind und nicht dazu dienen, das sich wirtschaftlich entwickelnde China kleinzuhalten. Das muss der Grundtenor sein. Ohne diesen wird man, wie ich glaube, nichts erreichen. Wir müssen uns allerdings auch klarmachen - Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss -, dass Deutschland eine realistischere Perspektive in seiner China-Politik einnehmen muss, als es zum Teil in der Vergangenheit der Fall war. So haben wir vor drei Jahren an dieser Stelle auf Wunsch der rot-grünen Bundesregierung über die Aufhebung des Waffenembargos gegen China diskutiert. Wir müssen also eine realistischere Perspektive einnehmen. Neben den Errungenschaften müssen wir auch die großen Defizite, die es im Menschenrechtsbereich weiterhin gibt, wahrnehmen und uns klarmachen, dass dieses Land noch einen weiten Weg zu gehen hat. Vielen, herzlichen Dank. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege Eckart von Klaeden.

Eckart Klaeden (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002698, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Am 26. Oktober letzten Jahres hat meine Fraktion eine Asien-Strategie vorgestellt, in der es heißt, dass mit China „ein undemokratischer, nicht-liberaler Staat in der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Hierarchie“ aufsteige, dass das chinesische Modell, wirtschaftlich betrachtet, zunächst einmal außerordentlich erfolgreich sei und pragmatische Anpassungen zulasse, dass es aber moderne autoritäre politische Führung „mit staatlich beaufsichtigtem ({0})Kapitalismus“ kombiniere. Wir haben dann Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses Entwicklungsmodells geäußert, weil nach unserer Auffassung „nachhaltige Stabilität tatsächlich nur in einem auf Partizipation ausgerichteten System, das Menschenrechte schützt, möglich“ ist. ({1}) Diese Sätze unserer Asien-Strategie sind bei einigen in der deutschen Politik und in der deutschen Wirtschaft sowie auch bei der KP Chinas auf Kritik gestoßen. Der gleiche Kreis, der diese Sätze kritisiert oder sogar als neokonservativ bezeichnet hat, hat auch den Empfang des Dalai Lama durch die Bundeskanzlerin massiv kritisiert. Wir alle erinnern uns an die Äußerungen des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der die Sprachregelung der chinesischen KP in einem Vortrag in Peking unmittelbar übernommen hat. Auch Kurt Beck hat kurz vor Weihnachten geglaubt, seine China-Expertise unter Beweis stellen zu müssen, ({2}) und den Empfang des Dalai Lama durch die Bundeskanzlerin massiv kritisiert. ({3}) Die Sponsoren der Olympischen Spiele aus der deutschen Wirtschaft haben jetzt, auf ihre Sponsorentätigkeit angesprochen, darauf hingewiesen, dass die Menschenrechte ihnen zwar ein Anliegen seien, aber ein Anliegen, das doch bitte von der deutschen Politik und von der deutschen Diplomatie zu vertreten sei. ({4}) Ich stimme dieser Aufgabenteilung nicht zu, möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Druck auf die deutschen Sponsoren heute wesentlich höher wäre, wenn die Bundeskanzlerin den Dalai Lama nicht empEckart von Klaeden fangen hätte und damit dieses für die deutsche Diplomatie und Politik klare und unmissverständliche Zeichen nicht gesetzt hätte. ({5}) Alle, die mit politischem Verstand die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking beobachtet und begleitet haben, wissen, dass die Demonstrationen und die Reaktionen auf diese Demonstrationen zwar erschreckend sind, aber nicht überraschend. Ich will hier ganz deutlich sagen: Wir lehnen jede Form von Gewalt ab. Sie kann nicht gerechtfertigt werden. Das gilt für die Gewalt von tibetischer Seite am 10. März in Lhasa; das gilt auch für gewalttätige Demonstranten am Rande des Fackellaufs. Aber bei aller Ablehnung der Gewalt darf man doch Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln. ({6}) Chinesische Reaktionen auf die Proteste sind bestens geeignet, ihre Kritiker zu bestätigen. Besonders abstoßend ist es, wie die chinesische Führung auf den Dalai Lama reagiert, wie sie immer wieder versucht, ihn für das verantwortlich zu machen, was geschehen ist, obwohl er sich, wie schon mein Vorredner zutreffend ausgeführt hat, zur Gewaltfreiheit bekennt und zur Gewaltfreiheit aufruft, die Ein-China-Politik nicht infrage stellt und sich auch gegen einen Boykott der Olympischen Spiele ausspricht. Wir brauchen gerade jetzt vonseiten der deutschen Politik dieses klare und unmissverständliche Signal für die Menschenrechte und die universalen Prinzipien, zu deren Einhaltung wir uns alle verpflichtet haben. Deswegen hoffe ich auch, dass der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung im Mai, wenn der Dalai Lama nach Deutschland kommt, dem Beispiel von Joschka Fischer folgen kann und den Dalai Lama in seinen Diensträumen im Auswärtigen Amt empfangen darf. Bisher hat er Dissidenten aus China nicht in seinen Amtsräumen empfangen dürfen. Ich finde, diese Praxis muss überdacht werden. ({7}) Ein Wort noch zu den Forderungen nach einem Boykott der Olympischen Spiele: Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung sind weder verantwortlich für die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking, noch hätten wir sie verhindern können. Ich finde, dass wir ein deutliches Zeichen setzen müssen, dass wir an der Seite all derjenigen Athletinnen und Athleten, all derjenigen Funktionäre stehen, die sich auch in Peking für die universalen Prinzipien der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und des Minderheitenschutzes einsetzen wollen und werden, die unmittelbar mit der olympischen Idee verbunden sind. Die olympische Idee der Friedenspflicht während der Spiele ist eine eminent politische Idee. Die Friedenspflicht ist uns aus der Antike überliefert. Um Vergil zu zitieren - denn Friede bedeutet eben nicht Friedhofsruhe -: Opus iustitiae pax. Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit für alle Menschen, die in China leben, und damit auch für die nationalen Minderheiten. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für die Fraktion Die Linke. ({0})

Michael Leutert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003800, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir bedauern zutiefst die Opfer beider Seiten infolge der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der autonomen Region Tibet. Die autoritäre, mit polizeistaatlichen Mitteln geführte Reaktion der chinesischen Regierung, deren Ursache historisch-politischer und ökonomischer Natur ist, lehnen wir klar und deutlich ab. Moralische Empörung mag zwar den einen oder anderen in ein gutes innenpolitisches Licht stellen, hilft aber bei der Beurteilung einer sehr komplexen Situation wenig und steht vernünftigen Lösungen im Weg. Wir brauchen eine objektive Beurteilung der Lage. ({0}) Auch wenn meine Fraktion mit der Bundesregierung sonst nicht immer einer Meinung ist, möchte ich Außenminister Steinmeier beipflichten - ich zitiere -: Die Tibeter wollen ihre Kultur bewahren, China will politische Stabilität - dafür müssen beide Seiten aufeinander zugehen. In der Beurteilung der Lage wird Staatsminister Erler sogar noch deutlicher, wenn er vor dem Auswärtigen Ausschuss von Pogromen der Tibeter gegenüber den Chinesen spricht. Genau aus diesem Grund ist es richtig, Herr Staatsminister, dass der Aufruf zum Gewaltverzicht an beide Seiten gerichtet ist. ({1}) Insgesamt ist festzustellen, dass derzeit die moderaten Kräfte in der chinesischen Führung das Heft des Handelns in der Hand haben und die Richtung bestimmen. Wir haben heute nicht den Platz des Himmlischen Friedens vor Augen. Was derzeit fehlt, sind zivilgesellschaftliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der zweifellos existierenden Spannungen. Unsere Aufgabe ist es, dies alles zur Kenntnis zu nehmen und adäquat darauf zu reagieren. ({2}) Überlegungen zu einem Boykott der Olympischen Spiele sind meines Erachtens das genaue Gegenteil. Ein Boykott ist eine Sanktion und damit auch ein Signal. Ein Boykott ist ein Signal, dass der Dialog beendet ist. Das aber hilft einerseits nicht den Menschen in Tibet, und andererseits entledigen wir uns damit unserer Instrumente, nämlich der Dialogmöglichkeiten, wie zum Beispiel des Rechtsstaatsdialoges und des Menschenrechtsdialoges. ({3}) Wir entledigen uns außerdem der vielfältigen kommunikativen Möglichkeiten unserer Institutionen wie zum Beispiel der politischen Stiftungen oder des Goethe-Institutes. Es ist nicht die Zeit, leichtfertig auf diplomatische Mittel zu verzichten. Jetzt geht es darum - ohne belehren zu wollen -, die Volksrepublik China bei der Erarbeitung zivilgesellschaftlicher Lösungsstrategien zu unterstützen. Der Journalist und ausgewiesene China-Experte Georg Blume hat in einem taz-Artikel unter der Überschrift „Diplomatie statt Drohgebärden“ auf Folgendes hingewiesen: … in Peking regiert kein menschenverachtendes Willkürregime. Sondern eine Regierung, die gegen die Widersprüche ihres Systems kämpft. ({4}) Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, im Dialog die offenen Fragen bezüglich der in der chinesischen Verfassung ohnehin fixierten Autonomie Tibets und deren Implementierung in das alltägliche Leben der Menschen zu klären. Dieser Experte ist im Übrigen von den Grünen zur öffentlichen Anhörung des Sportausschusses geladen worden. ({5}) Dieser Dialog muss aber in China stattfinden. Wir können ihn von hier aus konstruktiv begleiten. Voraussetzung für diesen Dialog ist aber, dass die oppositionellen Tibeter klar und ohne Abstriche die territoriale Integrität der Volksrepublik China anerkennen und respektieren, und zwar durch ihre Unterschrift und nicht bloß als Lippenbekenntnis. ({6}) Der Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt auf der Ebene eines Staatsbesuches, Herr von Klaeden, hat dazu nicht gerade beigetragen. ({7}) Dieser Empfang war kontraproduktiv und ein Affront gegenüber der chinesischen Seite. ({8}) Die Linke hat die Hoffnung - wir wollen unseren Beitrag dazu leisten -, dass die derzeit stattfindende internationale Menschenrechtsdebatte als Chance verstanden wird, im 60. Jahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Verwirklichung der Menschenrechte ein Stück näher zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, darf der Dialog mit China ({9}) nicht abgebrochen werden, vielmehr muss er intensiviert werden. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion. ({0})

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Entscheidung von 2001, die Olympischen Spiele 2008 nach Peking zu vergeben, hat sich der Sport auf das politische Regime Chinas von heute eingelassen. Auch wir haben uns politisch auf dieses China eingelassen, weil alle Bundesregierungen mit ihren jeweiligen Parlamentsmehrheiten eine Ein-China-Politik getragen haben. Ich bereise China seit 1990 und habe bei diesen Gelegenheiten viele Gespräche führen können. Ich kann feststellen, dass die vielen Chinesen, die ich getroffen habe - das war ein repräsentativer Querschnitt; es waren alle Gruppierungen innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas vertreten -, davon überzeugt sind, dass China wie eine Großmacht behandelt werden muss. Sie erwarten Respekt von uns. Darin sind sich im Übrigen Nichtkommunisten und Kommunisten einig. Auf die Frage nach Chinas Zukunft antworten sie, Demokratie sei nicht so wichtig wie eine Renaissance der konfuzianischen Tradition; ihnen gehe das materielle Wohlergehen von 1,3 Milliarden Chinesen vor Demokratie. Wir streiten mit ihnen darüber. Wir haben einen Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialog begonnen. Wir suchen also das Gespräch und die Auseinandersetzung, um zu überzeugen und um zu gestalten. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen vom 14. März sind 49 Jahre nach dem tibetanischen Aufstand gegen den chinesischen Einmarsch passiert. Das hat uns alle getroffen. Der Herr Staatsminister und die anderen Redner vor mir haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass Gewalt - egal von welcher Seite - keine Lösung sein kann. Hier, im Deutschen Bundestag, stellen wir gemeinsam fest: Der Gewalt muss Einhalt geboten werden, und man muss - das gilt insbesondere für China - zur Besinnung kommen. ({0}) Herr Staatsminister, ich unterstreiche ausdrücklich, was Sie im Namen der Bundesregierung gesagt haben. Unser Appell an die chinesischen Partner lautet: Keine Gewalt ausüben, die Lage im Land transparent darstellen und einen Dialog aufnehmen, um zu einer für beide Seiten tragfähigen Lösung zu gelangen. Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat in Anbetracht der andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen zu Recht die für Mai geplanten Regierungsverhandlungen mit China ausgesetzt. Ich schließe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht aus, dass die SPD-Bundestagsfraktion, falls sich die Lage in China dramatisch zuspitzen sollte, einen Boykott der Olympischen Spiele fordert. Ich weise darauf hin, dass das Europäische Parlament im Jahr 2001, 14 Tage vor der Entscheidung, die Olympischen Spiele an China zu vergeben, angemahnt hat, man solle sich darüber im Klaren sein, welche Wegstrecke man bis 2008 noch vor sich habe. ({1}) Diese Situation ist auf uns zugekommen und verlangt nun von uns eine Positionierung. Ich sage für mich: Ich reise im Mai nach China. Ich werde dort Diskussionen führen. Wir sollten die Debatte nicht auf der Basis eines falschen Verständnisses der Vergangenheit, sondern auf der Basis unseres Demokratieverständnisses führen. Das Parlament kann ein gutes Stück der Arbeit leisten, und zwar vor der Regierung, die, wie wir wissen, Sachzwänge einzuhalten hat. Es ist aber gut, dass sich die Bundesregierung in diesem Zusammenhang trotzdem deutlich äußert. Es geht auch um das Selbstverständnis des Parlaments, gerade an einem Tag, an dem wir den 75. Jahrestag der verweigerten Zustimmung der SPDAbgeordneten zum Ermächtigungsgesetz würdig begangen haben. Das sind wir uns schuldig. ({2}) Das Thema „China und Tibet“ hat immer wieder für kontroverse Diskussionen gesorgt, sowohl auf internationaler Ebene als auch in Deutschland. Herr Kollege Klaeden, da Sie in führender Verantwortung stehende Sozialdemokraten zitiert haben, darf ich in diesem Hause vortragen, was sich in den 90er-Jahren der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, an heftiger Kritik vom Dalai Lama hat gefallen lassen müssen, als er im Rahmen einer China-Reise einen Abstecher in die tibetanische Hauptstadt Lhasa gemacht hat. Der Dalai Lama ließ ihn wissen, was er vom Reiseprogramm des deutschen Regierungschefs hielt: Der Besuch in Lhasa sei naiv; er symbolisiere, dass der Bundeskanzler die chinesische Besatzung Tibets billige. Dies verdeutlicht den schmalen Grat, auf dem sich Politiker beim Thema Tibet bewegen. ({3}) - Ich kritisiere Sie, wenn Sie es genau wissen wollen, Herr Kollege. ({4}) Das erlaube ich mir, weil Ihre Bezüge nicht stimmen. ({5}) Das erlaube ich mir angesichts Ihrer großkoalitionären Selbstgefälligkeit immer noch und allemal, Herr Kollege von Klaeden. ({6}) Gehen Sie einmal nach Tibet, reden Sie mit den jungen Tibetanern, die sich emanzipieren wollen, die sich gegen die Han-Chinesen durchsetzen wollen, die aber quasi durch das Tor der chinesischen Sprache gehen müssen! ({7}) - Herr Kollege, kommen Sie einmal zu mir, ich gebe Ihnen als älterer Kollege einige Informationen, privatissime, sed gratis. Konzentrieren Sie sich einmal auf die wahren Sachverhalte! ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin, ich weiß, Sie rügen mich, weil ich mit einem Koalitionsfreund von Ihnen streite.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das war keine Rüge, sondern ich habe auf die Redezeitüberschreitung hingewiesen.

Walter Kolbow (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001175, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir sollten nicht das tun, was wir hier gerade praktiziert haben. Ich nehme mich jetzt auch wieder in die Disziplin. Wir sollten dafür sorgen, dass die Probleme in China gelöst werden und friedliche Spiele in China stattfinden können. Das ist unser Auftrag, vor allem aber der Auftrag der Chinesen und der jungen tibetanischen Generation. Die Situation in Tibet strahlt auch auf die Exiltibeter aus. Wir müssen auch auf sie einwirken und versuchen, sie in die Pflicht zu nehmen. Wir brauchen einen Ausgleich und eine Perspektive für China als Mitglied der internationalen Gemeinschaft. Danke schön. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat das Wort der Kollege Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Es ist schon ein Trauerspiel, das wir bei diesem Thema immer wieder erleben: Die Große Koalition findet in der Menschenrechts- und Außenpolitik keinen gemeinsamen Nenner und zerstreitet sich vor der nationalen Öffentlichkeit und vor der Weltöffentlichkeit. Das mindert sowohl in der Menschenrechts- als auch in der Außenpolitik unseren Einfluss, der gegenwärtig dringend notwendig wäre. Das ist jammerschade. ({0}) Hinsichtlich der Menschenrechtslage in China gab es in den letzten Monaten, eigentlich schon in den letzten ein bis zwei Jahren durchaus Hoffnungsschimmer: Es gab ein neues Verfahren im Strafrecht, das die Zahl der Todesurteile verringert hat. Die Situation der Journalisten, zumindest der Journalisten aus dem Ausland, hat sich in den letzten Wochen bis zur Tibetkrise verbessert. - Diese Fortschritte muss man durchaus benennen. Aber anhand der Entwicklungen der letzten Wochen sieht man, dass China die Repressionsschraube nicht nur in Tibet, sondern auch landesweit angezogen hat. Dafür steht - Pars pro Toto - das völlig unverhältnismäßige und rechtswidrige Urteil gegen Hu Jia, dem für das Schreiben eines regierungskritischen Blogs dreieinhalb Jahre Haft aufgebrummt wurden. Das ist unverschämt und ungerecht. Dieses Urteil müssen die Chinesen aufheben. Dieses Signal sollten wir hier aus dem Bundestag geben. ({1}) Wir wissen: Nicht nur in Tibet werden die nationalen, religiösen und sprachlichen Rechte einer Minderheit unterdrückt, sondern auch in der Provinz Xinjiang, wo die Uiguren, ein muslimisches Turkvolk, leben, wird in der gleichen Art und Weise versucht, die Bevölkerung zu chinesifizieren und die dort ansässigen ethnischen Minderheiten zu benachteiligen. Die Aufstände, die es jetzt in Tibet gegeben hat, sind eine Spätfolge der langjährigen religiösen und kulturellen Unterdrückung der Tibeter. Die Benachteiligung in der Bildungspolitik hat dazu geführt, dass diese Menschen viel schlechter leben als die Chinesen am gleichen Ort. Sie üben schlechtere Berufe aus, beziehen schlechtere Einkommen und haben einen schlechteren Zugang zur Bildung. Die derzeitige Inflation in China führt dazu, dass diese soziale Lage den Menschen auf der Seele brennt. Deshalb kam es zu diesen Aufständen. Wir müssen sehen, was die chinesische Regierung gegenwärtig macht: Sie setzt auf völlige Repression. Wenn sie den Dalai Lama als Wolf im Schafspelz und die Aufständischen als Dalai-Lama-Clique bezeichnet, dann bedeutet das, dass sie den potenziellen Gesprächspartner, der für Gewaltfreiheit und für die Autonomie und eben nicht für die Unabhängigkeit Tibets steht, denunziert und alle Wege zu einem Dialog verbaut. Hier ist eine Kehrtwende der chinesischen Führung dringend angesagt. Wir müssen alle Möglichkeiten des Dialogs und des politischen Drucks nutzen, um China dazu zu bewegen, mit dem Dalai Lama über eine substanzielle Autonomie zu verhandeln. ({2}) Wenn das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unmittelbar von Erfolg gekrönt ist, müssen wir zeigen, dass wir den Dalai Lama für den geeigneten Gesprächspartner zur Lösung der innerchinesischen Tibetproblematik halten. Deshalb erwarte ich, dass der Dalai Lama bei seinem Deutschlandbesuch im Mai hier in Berlin empfangen wird. Wenn die Bundesregierung keine Zeit hat, sollte sich vielleicht dieses Hohe Haus in angemessener Form die Zeit nehmen, den Dalai Lama entsprechend zu empfangen. Wir als grüne Fraktion sind dazu bereit. ({3}) Ich finde, auch bei der EU-Außenministerkonferenz sollte die deutsche Bundesregierung entsprechende Initiativen unterstützen. Nun zu den Olympischen Spielen. Die Chinesen haben mit ihrer Bewerbung im Jahr 2001 durchaus Versprechungen verbunden. Wörtlich sagte der Vizepräsident des Pekinger Organisationskomitees Wang Wei: Die Olympischen Spiele werden helfen, soziale, ökonomische und Menschrechtsbedingungen weiter zu verbessern. Pekings Vizebürgermeister Liu Jingming kündigte völlige Freiheit für die Presse an. Nichts davon ist bisher eingetreten. Die Chinesen haben alle ihre Zusagen, die sie im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung gemacht haben, gebrochen. Deshalb ist die vorauseilende Duckmäuserei des IOC und des Deutschen Olympischen Sportbundes eine Schande für die olympische Bewegung. ({4}) Es kann doch nicht sein, dass man den Sportlern, die als mündige Sportler nach Peking fahren und dort die Menschenrechtsfrage artikulieren wollen, mit Sanktionen droht, weil sie damit die Olympische Charta verletzen würden, während die Chinesen als Ausrichter die Olympische Charta bereits verletzt haben. Gegenüber Letzteren sagt man nichts, bekommt kaum die Zähne auseinander, und es gibt allenfalls ein leises diplomatisches Flüstern in Richtung Peking. Wenn man die olympische Idee retten und die olympische Bewegung voranbringen will, dann dürfen Sportler, die keine politische Propaganda im engeren Sinne betreiben, sondern zum Beispiel solche T-Shirts tragen, ({5}) mit denen sie für die Menschenrechte in ganz China, einschließlich Tibet, der Hauptstadt Lhasa und der Provinz Xinjiang eintreten, nicht mit Sanktionen belegt werden. Wir erwarten vom Internationalen Olympischen KomiVolker Beck ({6}) tee sowie von unserem deutschen Nationalen Olympischen Komitee, dass sie solchen Sportlerinnen und Sportlern den Rücken stärken, statt mit Sanktionen zu drohen. In diesem Punkt bedarf es einer Korrektur. Andere Korrekturen ist die olympische Bewegung ja offensichtlich bereit, vorzunehmen. Heute war in der Zeitung zu lesen, dass gestern eine Resolution verabschiedet wurde, mit der die Chinesen aufgefordert werden, die innerchinesischen Konflikte zu lösen. Man hat das Wort „Tibet“ aus der Resolution gestrichen, weil man den Chinesen nicht auf die Füße treten wollte. Diese Leisetreterei in Sachen Menschenrechte beschädigt die Olympischen Spiele in Peking. Wir brauchen eine offene Auseinandersetzung und mündige Sportlerinnen und Sportler, die Rückhalt bei uns haben. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz für die CDU/CSU-Fraktion.

Arnold Vaatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003248, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon mehrfach gesagt worden, und ich glaube, in dieser Grundfrage sind wir uns in diesem Hause alle einig: Gewalt auf beiden Seiten muss verurteilt werden, und zwar - ich zitiere Eckart von Klaeden -, ohne Ursache und Wirkung miteinander zu vertauschen. Im Hinblick auf den letzten Satz ist Folgendes zu sagen: Wir finden in China eine Situation vor, in der dem tibetischen Volk seit Generationen grundlegende zivile Rechte, die in Deutschland und Europa selbstverständlich sind, entzogen sind. Dazu gehören das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf kulturelle Autonomie. Diese sind nicht gewährleistet. Auf der anderen Seite gibt es eine chinesische Regierung, die bis jetzt jeden Dialog mit den Tibetern verweigert und dem TibetProblem stattdessen mit einer Politik der Stärke und einer Politik der Demonstration von Macht durch Aggressivität meint zuleibe rücken zu können. Das verdient eine eindeutige Zurückweisung durch dieses Haus. ({0}) In dem Zusammenhang spricht es Bände, Herr Kollege Leutert, wenn Sie sagen, in China seien im Augenblick die moderaten Kräfte am Werk. Man braucht viel Fantasie oder - wenn man im Osten groß geworden ist vielleicht auch wenig Fantasie, um sich vorstellen zu können, was Sie unter normalen oder gar nichtmoderaten Kräften verstehen. Es ist eine Entscheidung des Sports, ob man an den Olympischen Spielen teilnimmt oder nicht. Es ist nicht die Aufgabe der Politik, an die Stelle des Sports zu treten und diese Entscheidung an sich zu ziehen. Aber es verwundert mich doch, wie in letzter Zeit über diese Angelegenheit diskutiert worden ist. Ich gebe dem Kollegen Beck ausdrücklich Recht, wenn er die voreiligen Erklärungen des Vertreters des Nationalen Olympischen Komitees und einiger Sportpolitiker merkwürdig findet, die eine Nichtteilnahme sowie das Spektrum von Zeichen, die wir davon abgesehen setzen können, von vornherein ablehnen. Auch ich bin nicht dafür, einen Boykott zu fordern. Mein wichtigstes Argument ist, dass die Tibeter selbst keinen Boykott fordern. Falls sie später doch wünschen, dass die Olympischen Spiele nicht in der Form stattfinden, in der sie geplant sind, müssten wir noch die Möglichkeit haben, diesen Wunsch ernsthaft in unsere Betrachtungen einzubeziehen. Das kann aber nicht geschehen, wenn wir ihn vorher definitiv ausgeschlossen haben. Nun zu den Argumenten, die in dieser Situation oftmals angeführt werden. Häufig heißt es, Sport dürfe nicht als Instrument der Politik missbraucht werden. Genau dieser Auffassung bin auch ich. Wer so argumentiert, der muss aber mit ins Kalkül ziehen, dass die chinesische Administration den Sport längst als Instrument der Politik fest einplant, ({1}) und zwar als Demonstration gegenüber dem tibetischen Volk. Die Botschaft lautet: Die Weltöffentlichkeit geht zur Tagesordnung über. Sie nimmt euren Protest überhaupt nicht mehr ernst. Packt eure Tücher ein, geht nach Hause und ordnet euch unter! An der Verbreitung dieser Botschaft dürfen wir nicht als nützliche Idioten mitwirken. Ich muss ganz deutlich sagen: Dafür sollten wir uns zu schade sein. ({2}) Zu einem weiteren Punkt, der mir sehr wichtig ist. Oft wird gesagt, eine Nichtteilnahme löse keinerlei Probleme. Selbstverständlich glaube auch ich, dass durch eine Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen keine Kehrtwende der chinesischen Politik erreicht wird; das ist ganz klar. Aber für mich ist es oftmals keine Frage des politischen Effekts, sondern eine Frage des Anstands, ob man sich an einen festlich gedeckten Tisch mit Leuten setzt, die ihre Macht eben noch durch eine große Gewaltorgie gefestigt haben. Das ist, wie ich glaube, mit demokratischen Werten nicht unbedingt vereinbar. ({3}) Meine letzte Bemerkung. Es wird häufig das Argument angeführt, die Olympischen Spiele bewirkten, dass sich China stärker der Weltöffentlichkeit öffnen müsse. Meine Damen und Herren, diese Erwartung kann man hegen. Aber nach allem, was wir bisher erlebt haben, wie Diktaturen mit Olympischen Spielen und ähnlichen Veranstaltungen umgehen, kann die gegensätzliche Entwicklung genauso wenig ausgeschlossen werden. Das hätte zur Folge, dass man in China davon ausgeht: Die Weltöffentlichkeit hat uns bestätigt. Demzufolge können wir in unseren inneren Angelegenheiten, wie sie das nennen, vorgehen, wie wir wollen. Die Möglichkeit, dass die Ausrichtung der Olympiade als Legitimation für das eigene Vorgehen betrachtet wird und dadurch die Situation verschärft und die Lage der Menschenrechte verschlechtert werden, ist also ebenfalls gegeben. Ich erwarte mit Interesse, welche Erklärungen diejenigen, die die umgekehrte Entwicklung erwarten, abgeben, wenn alles andere kommt. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Christoph Strässer für die SPDFraktion das Wort. ({0})

Christoph Strässer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003644, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als aktiver Nichtsportler wollte ich in der heutigen Aktuellen Stunde zur Lage in Tibet eigentlich nicht Stellung nehmen. Ich denke aber, das lässt sich gar nicht umgehen. Lassen Sie mich bitte zwei Dinge sagen, die mir an dieser Stelle auffallen und die wichtig sind. In der jetzigen Situation, im Jahre 2008, diskutieren wir über einen Kotau und über bestimmte Entwicklungen, die uns nicht gefallen. Ich sage Ihnen - ich bin ganz sicher, dass das richtig ist -: Die entscheidende Frage, die wir vielleicht falsch beantwortet haben, ist nicht die, die wir heute stellen - ob die Olympischen Spiele boykottiert werden sollten oder nicht -, sondern war die Frage, die wir uns im Jahre 2001 gestellt haben. Denn was für ein System in China im Jahre 2001 geherrscht hat, das war, wie ich glaube, jedem, der an der Vergabeentscheidung mitgewirkt hat, von Anfang an klar. Für mich ist aus sportlicher Perspektive Folgendes sehr wichtig: Würden wir die politische Verantwortung für Demonstrationen und Proteste auf die Sportlerinnen und Sportler verlagern, die nach Peking fahren, um dort Sport zu treiben und Medaillen zu gewinnen, dann wäre das falsch. ({0}) Kein einziger aktiver Sportler hat im Jahre 2001 für die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking gestimmt. Deshalb haben die Verantwortung dafür, dass die Olympischen Spiele dort stattfinden, nach wie vor diejenigen, die offenbar nichts hinzugelernt haben. Diese Verantwortung tragen diejenigen, die nicht nur die Entscheidung für Peking getroffen haben, sondern vor kurzem auch noch die Olympischen Winterspiele an den bekannten Wintersportort Sotschi vergeben haben. Für die Fehler, die gemacht worden sind, sollten wir diejenigen verantwortlich machen, die verantwortlich sind: Das sind die Funktionäre in den Sportverbänden, die daran verdienen. Wir wissen ja, was für ein Klub das IOC ist. Wir wissen auch, dass sie sich von VW und Adidas sponsern lassen. Das sollte an dieser Stelle einmal gesagt werden. ({1}) Was ist uns im sicheren Westen ein Boykott wert? Wir sollten einmal dahin schauen, wo die Menschen drangsaliert werden, wo die Menschen unter dem politischen System leiden. Ich weiß, dass viele Journalisten, die in Peking aktiv sind, sich darauf freuen, dass diese Olympischen Spiele in China stattfinden. Gestatten Sie mir, jemanden zu zitieren, der die Spiele in Peking befürwortet, aber unverdächtig sein dürfte, weil er nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 vier Jahre im Gefängnis saß: Liu Xiaobo hat dem Spiegel auf die Frage, ob man die Olympischen Spiele in Peking boykottieren sollte, gesagt: Das wäre keine gute Methode, China zu bestrafen. So etwas sagt ein Dissident, einer, der mehrfach inhaftiert worden ist. Er sagt weiter: Wenn die Spiele misslängen, bekäme das den Menschenrechten nicht gut. Dann würde die Regierung überhaupt nicht mehr aufs Ausland hören. Ich persönlich denke: Wir wollen die Spiele, und wir wollen noch mehr die Achtung der Menschenrechte. Wir sollten bei unseren Debatten immer im Hinterkopf behalten, dass sehr viele Menschen in China mit den Olympischen Spielen Hoffnungen verbinden. Diese Hoffnungen sollten wir nicht enttäuschen, indem wir andere auffordern, an den Spielen nicht teilzunehmen. ({2}) Zur Situation der Menschenrechte in Tibet ist eine Menge gesagt worden. Die Marginalisierung der Tibeter hat in den letzten Jahren zugenommen. Auf der anderen Seite hat sich die ökonomische Situation in Tibet deutlich verbessert. Man darf sich allerdings nicht darauf beschränken, die Situation der Tibeter - die zugegebenermaßen schwierig ist - zu kritisieren. Wir müssen den Einfluss, den wir haben, nutzen und zum Beispiel unsere Entwicklungszusammenarbeit so definieren und unsere Investitionsentscheidungen so treffen, dass nicht nur die Han-Chinesen, sondern auch die Tibeter etwas davon haben. Das sollte ein Merkmal unserer Politik sein. ({3}) Abschließend möchte ich ein Zitat bringen, das die Entwicklung in Tibet in den letzten Wochen auf den Punkt bringt. Es stammt vom Dalai Lama, der übrigens auch gesagt hat, dass es falsch wäre, die Olympischen Spiele in Peking zu boykottieren, einfach deshalb, weil sich die Menschen in China, wie er sagt, die Spiele verdient haben, es sich verdient haben, in diesem Sinne in der Öffentlichkeit zu stehen. Man sollte also nicht päpstlicher sein als der Papst; ich weiß, dass dieser Ausspruch nicht ganz passt. Nun zum Zitat des Dalai Lama. Er hat gesagt: Brutale Gewalt, gleichgültig wie intensiv sie angewandt wird, kann niemals das grundlegende Bedürfnis nach Freiheit und Würde unterdrücken. - Wenn wir das beherzigen, müssen wir zu dem Ergebnis kommen, dass die Olympischen Spiele in Peking eine Chance sind. Wir sollten uns mit dem Dalai Lama verbünden, um die Situation in China zu verbessern. Danke schön. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Holger Haibach für die CDU/CSU-Fraktion.

Holger Haibach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003546, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation in Tibet ist schlimm; aber sie hat zumindest ein Gutes: Die Weltöffentlichkeit schaut auf Tibet, sie schaut darauf, wie in China mit den Menschenrechten umgegangen wird. Seien wir ehrlich: Wie viel Aufmerksamkeit wäre der Achtung der Menschenrechte zuteil geworden, wenn das, was in den letzten Wochen und Monaten in Tibet geschehen ist, nicht geschehen wäre? Hätten wir genau hingeschaut? Die Olympischen Spiele wären letztendlich ein tolles Sportfest gewesen, und nur in Fachkreisen hätten Außen- oder Menschenrechtspolitiker oder Nichtregierungsorganisationen über die Situation diskutiert. Eine öffentliche Diskussion hätte es nicht gegeben. Insofern bin ich froh, dass sich der Deutsche Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Ich sage das als Menschenrechtspolitiker, aber eben auch als Vorsitzender des interfraktionellen Tibet-Gesprächskreises; denn ich glaube, eines müssen wir hier ganz klar sehen: Wir werden nur dann einen Einfluss haben - und unser Einfluss ist in dieser Frage nicht völlig unbegrenzt -, wenn wir versuchen, gemeinsam zu agieren und aufzutreten. Gemeinsam auftreten bedeutet, dass die Politik, der Sport - die Sportverbände - und die Wirtschaft, die als Sponsor einen wichtigen Anteil an diesen Fragen hat, gemeinsam vorgehen. Der Vorteil von Deutschland als Demokratie ist, dass hier unterschiedliche Meinungen erstens erlaubt und zweitens erwünscht sind. Wenn wir zitieren, dann sollten wir aber vorsichtig sein. Herr Kollege Kolbow, Sie wissen, dass das Zitat, das Sie dem Kollegen von Klaeden entgegengehalten haben, aus den 90er-Jahren stammt, als auch der Dalai Lama noch eine andere Haltung zur Ein-China-Politik hatte. ({0}) Deswegen sollten Sie noch einmal darüber nachdenken, ob es an der Stelle wirklich angebracht gewesen ist, dieses Zitat zu bringen. Lieber Herr Kollege Leutert, auch die Haltung der Linksfraktion - nicht nur hier im Deutschen Bundestag ist nicht hilfreich. Was Ihre Kollegin Schneider in der Bürgerschaft in Hamburg gesagt hat, sprengt zumindest mein Verständnis dafür, wie man den Dalai Lama und die Tibet-Bewegung sehen kann. ({1}) Den Dalai Lama in die Nähe von Herrn Chomeini zu stellen, zeigt nicht nur, dass einige bei Ihnen offensichtlich nicht verstanden haben, wie die Wirklichkeit ist, sondern das zeigt auch ganz deutlich, dass Sie die Geschichte nicht verstanden haben. Es handelt sich beim Dalai Lama um einen religiösen Führer. Herr Chomeini hat eindeutig Staatsgewalt an sich gerissen. Jemanden, der für Demokratie, Menschenrechte und kulturelle Autonomie eintritt, in die Nähe eines Menschen zu rücken, der vor nichts, aber auch gar nichts zurückgeschreckt hat, halte ich, ehrlich gesagt, für völlig verfehlt. Das hilft der Sache an keiner Stelle weiter. ({2}) Wenn wir über die Frage reden, wer welche Verantwortung hat, dann muss klar sein: Gewalt, egal von welcher Seite, muss immer verurteilt werden. Eines möchte ich an der Stelle aber auch einmal gesagt haben: Der Gewalt der Tibeter geht eine jahrzehntelange Unterdrückung voraus. Wir haben es in Tibet mit der Situation zu tun, dass Menschen über viele Jahrzehnte minorisiert worden sind, indem 7,5 Millionen Han-Chinesen nach Tibet umgesiedelt worden sind. Sie haben erleben müssen, dass ihre eigenen Vorkommen und Bodenschätze von anderen ausgebeutet worden sind. Der Kollege Paech hat in einem Interview geäußert, dass es etwas Besonderes sei, dass in China Hunger und ähnliche Dinge beseitigt worden sind. Das mag generell vielleicht stimmen. Gerade für Tibet stimmt das aber eben nicht. Gerade unter den Tibetern ist die Zahl der Analphabeten wesentlich höher, nämlich beinahe sechsmal so hoch wie in jeder anderen Region. Das durchschnittliche Einkommen ist wesentlich niedriger, und der Zugang zur Bildung ist wesentlich schwieriger. Insofern stimmt das gerade an dieser Stelle nicht. Solche falschen Behauptungen helfen in der Debatte nicht weiter. ({3}) Ich glaube, dass es richtig ist, dass jeder seine Verantwortung trägt. Wir als Politiker sollten klar machen, dass wir menschenrechtsunwürdiges Vorgehen nicht zu akzeptieren bereit sind. Ich denke, dass es richtig und notwendig ist, dass die Sportverbände das, was sie zur Grundlage der Entscheidung über die Vergabe von Olympischen Spielen machen, nämlich auch die Einhaltung von Menschenrechten, nicht nur zwei Wochen vor den Olympischen Spielen und auf internationalen Druck hin überprüfen. Das muss ein regelmäßiger Prozess sein. Der Ethikteil der Olympischen Charta ist genauso wichtig wie jeder andere Teil auch. Auch dieses Signal muss von diesem Hohen Hause heute ausgehen. ({4}) Ich möchte natürlich auch die Position der Wirtschaft nicht außen vor lassen. Wenn Politiker wie die Bundeskanzlerin, der Bundesaußenminister, der polnische Ministerpräsident, der Bundespräsident und auch Václav Klaus beschließen, nicht zu der Eröffnungsfeier zu gehen, dann wäre es nur richtig und konsequent, wenn prominente Wirtschaftsvertreter genau das Gleiche tun würden; denn nur dann bekäme der Protest eine tatsächliche Wirksamkeit. Meine sehr geehrten Damen und Herren, über die heutige Debatte hinaus würde ich gerne erleben, dass wir uns auch über innerparteiliche Diskussionen in Deutschland hinaus regelmäßig mit Tibet und China auseinandersetzen, damit der Spruch, den der Dalai Lama einmal geprägt hat, dass nämlich die Tibeter sozusagen die Pandas der Weltgeschichte sind, die alle lieb haben, für die aber niemand etwas tut, nicht Wirklichkeit wird. Herzlichen Dank. ({5})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz für die SPD-Fraktion. ({0})

Swen Schulz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003630, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass ich als Mitglied des Sportausschusses in dieser Debatte reden darf. ({0}) Dafür gibt es auch gute Gründe. Denn die Tatsache, dass die Lage in Tibet derzeit im Fokus der Weltöffentlichkeit steht, ist eng damit verbunden, dass im Sommer die Olympischen Spiele in Peking stattfinden werden. Das zeigt auch die Bedeutung und die Kraft der olympischen Idee, und es zeigt, welche Chancen die Vergabe der Olympischen Spiele durch das IOC an China mit sich bringt. Auch die großen Menschenrechtsorganisationen begrüßen ebenso wie der Dalai Lama - das ist bereits angesprochen worden - die Chancen, die die Olympischen Spiele in Peking mit sich bringen. Man kann also aus guten Gründen so entscheiden wie das Internationale Olympische Komitee, das 2001 die Olympischen Spiele an Peking vergeben hat. Aber man muss das richtig machen und die Chancen, die sich bieten, tatsächlich nutzen. Dafür sind Vorkehrungen nötig. Es müssen Garantien gegeben werden, deren Einhaltung dann auch überprüft werden muss. Es muss Sanktionsmöglichkeiten geben, und vor allen Dingen muss man den Mund aufmachen, wenn etwas schief läuft. ({1}) Das hat das IOC leider nur sehr spät und meines Erachtens ausgesprochen verhalten getan. Das IOC führt immer wieder das Argument an, dass die Situation in Tibet und auch die Frage der Menschenrechte an anderer Stelle Sache der Politik ist und nichts mit Sport zu tun hat, weswegen es sich heraushält. Das ist blanker Unsinn. ({2}) Denn zum einen hat auch das IOC selbst 2001, als die Spiele an Peking vergeben wurden, mit der Chance der Öffnung Chinas und der Unterstützung der Menschenrechte argumentiert. Zum anderen ist die olympische Idee grundsätzlich hochpolitisch. Das ist auch in der Olympischen Charta schriftlich festgehalten, die sozusagen die Verfassung der olympischen Bewegung ist. Zu den Grundregeln der olympischen Bewegung gehören die Achtung universell gültiger ethischer Grundsätze, die Unterstützung und Schaffung einer friedliebenden Gesellschaft und die Wahrung der Menschenrechte. Jegliche Form der Diskriminierung ist mit der Zugehörigkeit zur olympischen Bewegung unvereinbar. Das soll nicht politisch sein? ({3}) Man kann nicht zuerst solche Grundsätze verfassen, aber dann, wenn sie massiv verletzt werden, einfach darüber hinweggehen und sie sozusagen als politisches Tagesgeschäft abtun, als ob man über die Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung reden würde. Vielmehr sind die olympischen Ideen ein Handlungsauftrag für das IOC. ({4}) Die Olympiade kann nicht alles richten. Damit wäre der Sport überfordert. Er kann nicht alles hinbekommen, was die Politik nicht schafft. Aber das IOC ist in der Verantwortung und muss aktiv seinen Teil beitragen. Manchmal hat man aber nachgerade den Eindruck, als ob genau das Gegenteil passiert. Folgender Vorgang ist aus meiner Sicht der Gipfel: Da gibt es Sportlerinnen und Sportler, die ankündigen, dass sie sich - anders als die IOC-Gewaltigen - erheben und für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen wollen, aber statt sie zu unterstützen, droht ihnen das IOC, sie von den Olympischen Spielen auszuschließen. Das darf nicht wahr sein. Das muss sich ändern. ({5}) Wenn man hört, was IOC-Mitglieder von sich geben, bleibt einem manchmal die Spucke weg. Beispielsweise hat einer - ich glaube, es war der Vertreter aus dem Tschad - gesagt: Athleten sollen nicht denken. Sie sollen an den Spielen teilnehmen. Ich finde, dass nicht die aufrechten Sportlerinnen und Sportler aus der olympischen Familie ausgeschlossen werden sollten, sondern solche Funktionäre, die die olympische Idee verraten. ({6}) Nach Lage der Dinge hilft ein Boykott weder den Menschen in Tibet noch anderswo in China. Er muss aber im Extremfall möglich bleiben. Deswegen war die Swen Schulz ({7}) voreilige Entscheidung des DOSB, auf jeden Fall an den Spielen teilzunehmen, nicht richtig. ({8}) Ich glaube, dass damit der Regierung in Peking ein Freibrief erteilt wurde. Ich füge aber hinzu: Wenn ein Boykott notwendig wäre, dann dürfte er nicht nur auf dem Rücken der Sportlerinnen und Sportler ausgetragen werden, sondern dann sind auch andere Bereiche - zum Beispiel die Wirtschaft - gefragt. Ich glaube, dass es dann eine Gesamtverantwortung gibt. Nach Lage der Dinge ist es ratsam, hinzufahren und Flagge zu zeigen. Das gilt für Politiker, Sportfunktionäre sowie Sportlerinnen und Sportler. Wir erwarten, dass der Einsatz für Menschenrechte nicht unterbunden oder mit Sanktionen belegt wird. Es ist ein Unterschied, ob im Olympiastadion von Peking für eine Partei oder für eine Ideologie gestritten wird oder ob sich jemand für die Wahrung der Menschenrechte einsetzt. Das darf nicht unter Strafe stehen. ({9}) Wir erwarten vom Deutschen Olympischen Sportbund, dass er sich beim IOC für eine entsprechende Änderung der Linie einsetzt sowie die Athletinnen und Athleten, die sich engagieren wollen, berät, ermutigt und unterstützt. Nur auf diese Art und Weise können die Chancen der Olympischen Spiele tatsächlich genutzt werden und kann der notwendige Dialog zwischen der Regierung der Volksrepublik China und den Tibetern unterstützt werden. Wir dürfen die deutsche Mannschaft nicht als eine Art Staffage für eine gigantische PR-Show der Kommunistischen Partei Chinas dorthin schicken. Auch das wäre politisch, aber politisch blind. Vielen Dank. ({10})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für die CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Lintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001351, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann jetzt nicht mehr allzu viele neue Aspekte zu diesem Thema beitragen. Aber lassen Sie mich noch einmal die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass das, was nun geschieht, eigentlich keine Überraschung ist, denn es ist das katastrophale Resultat einer jahrzehntelang gültigen, sehr prinzipiellen Komponente der chinesischen Politik, die sehr zielgenau darauf ausgerichtet ist, Tibet mit dem chinesischen Kernland gleichzuschalten und durch massenhaften Zuzug von Chinesen aus dem Kernland die religiöse und kulturelle Eigenständigkeit, also die ethnische Identität der Tibeter bedeutungslos zu machen. Jeder, der Tibet besucht hat, weiß, dass China als Gegenleistung die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, die Anhebung des Lebensstandards und den Ausbau der Infrastruktur immer wieder anführt. Das trifft durchaus zu. Aber dieses coole Kalkül geht nicht auf; denn nun wird weltweit sichtbar, dass der Wille der Tibeter, ihre Identität zu behaupten, lebendig ist wie eh und je, ja eher wächst. China sollte daher einsehen, dass die bisherige Politik im Ergebnis die Probleme eher verschärft hat und immer unlösbarer macht, statt sie zu reduzieren oder gar zu lösen. Da eine vernünftige Lösung mit einem Autonomiemodell immer schwieriger zu werden droht, weil aufseiten der Tibeter erst belastbares Vertrauen in die Absichten Chinas aufgebaut werden muss, muss die chinesische Politik dazu gebracht werden, sich auf eine Autonomieregelung ernsthaft einzulassen. China hat offenbar eine gewaltige Angst davor, dass jeder Schritt in Richtung Autonomie im Verlangen nach Unabhängigkeit vom chinesischen Staat mündet und dass letztlich die Integrität des Staates gefährdet wird. Aber genau diese Entwicklung - ich glaube, darin sind wir uns alle einig provoziert der von China eingeschlagene Weg. Indem er jedes Vertrauen zerstört, innerhalb Chinas die wichtigen ethnischen Besonderheiten - Religion, Kultur und Sprache - einigermaßen bewahren zu können, zwingt man die Tibeter geradezu in die Radikalität. Die chinesische Führung meint offenbar, ihr gewaltiges Machtpotenzial und eine erdrückende Mehrheit von Chinesen im Lande würden mit dem Widerstand der Tibeter schon fertig werden. Aber diese Rechnung wird sicherlich nicht aufgehen. Die FAZ hat in diesem Zusammenhang an das recht treffende Wort des chinesischen Philosophen Laotse erinnert: „Gewalt zerbricht an sich selbst.“ - Dieses weise Wort aus ihrer eigenen Geschichte sollte der chinesischen Führung ernsthaft zu denken geben. ({0}) So etwas kann insgesamt aber nur mit den Tibetern und nicht gegen sie oder über sie hinweg erfolgreich sein. Dazu gehört zwingend - das wurde schon von vielen betont - die Einbindung des Dalai Lama und seiner Anhänger. China sollte froh sein, dass der Dalai Lama und ein Großteil seiner Anhänger heute noch bereit sind, diesen Weg mitzugehen. Es wird aber auch berichtet, dass die Stimmung unter den Tibetern zu kippen droht, insbesondere bei den Jugendorganisationen. Wenn der Dalai Lama seine Drohung vom 18. März tatsächlich wahrmacht und sich zurückzieht, weil er die Gewalt nicht mehr stoppen kann, dann droht eine unkontrollierbare, blutige Auseinandersetzung, die eigentlich niemand, auch nicht die chinesische Seite, wollen kann. Das Ergebnis einer solchen Entwicklung wäre im Übrigen, dass China in seinen Bemühungen um Ansehen und politisches Gewicht um Jahrzehnte zurückgeworfen würde. Das bliebe, so fürchte ich, auch nicht ohne Konsequenzen im chinesischen Machtapparat. Es brächte die Gefahr eines radikalen Wandels hin zu mehr Unterdrückung und weg von den versprochenen Reformen mit sich, und auch ein Wechsel im Führungspersonal wäre dann nicht mehr auszuschließen. Unsere Reaktion sollte solche Gefahren ganz rational einkalkulieren. Deshalb kann unsere Haltung eigentlich nur sein, dass wir ganz selbstverständlich auf dem Recht auf Protest und freie Meinungsäußerung bestehen, nicht aber mit einem Boykott der Spiele reagieren. Wir sollten im Gegenteil ganz bewusst die Chancen nutzen, die in dem vertraglich verbrieften Recht liegen, dass im Rahmen der Olympischen Spiele fast 30 000 akkreditierte Journalisten aller denkbaren Medien und aus der ganzen Welt sich im ganzen Land frei bewegen dürfen und ihre Berichterstattung auch keinen Beschränkungen unterliegt - so jedenfalls die Zusagen des IOC. Ein Boykott würde das Ende auch dieser recht attraktiven Chance bedeuten und darf deshalb für uns, finde ich, nicht in Betracht kommen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich dem Kollegen Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion das Wort. ({0})

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man sich mit China im Detail befasst, auf die Philosophie - wie zum Beispiel im Tao Te King des Laotse und seine Tradition blickt, kann man sehr genau sehen, dass das, was mit Gewalt zu tun hat - Sie haben es eben zitiert -, an sich selbst zerbrechen wird. Das ist etwas, was gegenwärtig im chinesischen Bewusstsein nicht präsent ist. Aber in der chinesischen Politik ist präsent, dass man das Gesicht wahren muss. Deshalb reagiert man in bestimmten Situationen so hart, wie man es gegenwärtig getan hat. Natürlich ist für uns das Wichtigste - das ist uns gerade an dem heutigen Tag präsent -, dass Menschen ein Recht auf Rechte haben. Das ist in der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen zusammengefasst. Darauf können und dürfen wir nicht verzichten. Das gilt universell, das gilt auch in der Volksrepublik China. Daher bin ich sehr dankbar, dass die Bundesregierung in diesem Punkt so klar und deutlich sagt: Menschenrechte sind für uns etwas, was in jedem Fall zu gelten hat. Wenn wir das sagen, wissen wir aber auch, dass es Regionen auf dieser Erde gibt, von denen wir wissen, dass die Menschenrechte so, wie wir es wünschen, gegenwärtig nicht durchgesetzt werden können. Das gilt eben auch für China. Was wird Ende August oder im September die Bilanz der Olympischen Spiele sein? Können die Olympischen Spiele so etwas werden wie das, was von Beginn an unsere Hoffnung war? Können die Olympischen Spiele zu einem wirklichen Wettbewerb von jungen Menschen werden? Können die Olympischen Spiele zu einer Begegnung werden, zu einer Begegnung des offenen Denkens und des Lernens voneinander? Können die Menschen erfahren, dass der eine genauso Recht hat wie der andere, beide mit einer anderen Meinung in den Wettkampf gehen und trotzdem voneinander gelernt werden kann? Oder müssen wir fürchten, dass nicht das gemeinsame Lernen, sondern die Angst vor dem, was in China auch möglich ist, diese Olympischen Spiele prägen wird? Ich wünschte mir, dass genau das, die Angst vor der staatlichen Gewalt, die Olympischen Spiele nicht prägen wird. Was wir tun können, müssen wir tun, um das, was wir nicht wollen, zu verhindern. Ich hoffe sehr, dass in Peking das, was hier debattiert worden ist, verstanden wird. Es gibt ein paar Hinweise darauf, dass es verstanden wird. Internationale Journalisten werden gegenwärtig eingeladen - zu ihnen gehört ein Journalist der Welt -, damit von den unterschiedlichen Regionen ungeschminkte Bilder gezeigt werden. Ich finde, das ist ein ermutigendes Zeichen. Wenn viele Tausende Journalisten mehr in den nächsten Wochen und Monaten nach China kommen werden, dann ist auch das ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung der Öffnung, der Begegnung, des Ernstnehmens und Wahrnehmens der Chancen für die Modernisierung in diesem Lande - diese Entwicklung gibt es ebenfalls in China - am Ende das Bild Chinas prägt - das wünschen wir - und dass auf jeden Fall dafür gesorgt wird, dass die Ängste vor der staatlichen Gewalt nicht real werden. Ich hoffe, dass das in China verstanden wird. Vielleicht kann der Hinweis, der heute vom Dalai Lama in Tokio gegeben worden ist, auch in China ernst genommen werden. Der Dalai Lama hat auf die Frage, ob er an den Olympischen Spielen teilnehmen möchte, geantwortet, er wünsche, an der Eröffnungszeremonie teilnehmen zu können und die Olympischen Spiele begleiten zu dürfen. Ich hoffe, dass das in China als ein Angebot verstanden wird. Was hier gesagt worden ist, ist richtig: Wenn es den Dalai Lama einmal nicht mehr gibt, mit wem kann man den Dialog fortsetzen? Diesen Dialog hat es bei Deng Xiaoping gegeben. Er hat genau gewusst, wie notwendig es ist, dass ein Dialog zwischen China und Tibet geführt wird. Diese Chance sollte genutzt werden. Ich hoffe sehr, dass in Peking das Angebot vom Dalai Lama ernst genommen wird und dass die Konflikte und Probleme zwischen Tibet und China, die deutlich sind - Modernisierung ist immer mit Konflikt verbunden -, von denen, die jetzt die Chance haben, China auf einen guten Weg zu bringen, genutzt werden. Ich hoffe sehr, dass der Dalai Lama vom Auswärtigen Ausschuss eingeladen wird, wenn er hier im Deutschen Bundestag ist, damit wir mit ihm darüber debattieren können, wie die Chance, dass China und Tibet einen vernünftigen Ausgleich finden, genutzt werden kann. Ich hoffe, dass das in Peking verstanden wird. ({0})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbedürftiger junger Menschen - Drucksache 16/8718 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile als erstem Redner in der jetzt eröffneten Aussprache das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner. ({1})

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Wenn es eine gesellschaftspolitische Aufgabe gibt, die vor allen anderen gelöst werden muss, dann ist es die, für alle jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung sicherzustellen. Nur so gewinnen wir die junge Generation für unsere Gesellschaft, nur so sichern wir den Jugendlichen Teilhabe und die Möglichkeit, ihre Berufsund Lebenschancen aktiv wahrzunehmen. In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung den Berufsbildungsbericht 2008 vorgelegt. Dabei waren gute Entwicklungen zu vermelden: Der Ausbildungspakt wirkt; im Jahre 2007 sind rund 625 900 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen worden. Das ist die zweithöchste Zahl, die seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen ist; nur 1999 waren wir besser. ({0}) Das, meine Damen und Herren, ist auch gut so. Gut ist besonders, dass über 53 000 Betriebe neu als Ausbildungsbetriebe gewonnen werden konnten. Das alles sind gute Nachrichten, keine Frage; denn das Wichtigste, womit wir junge Leute ausstatten können, sind Zugänge zu Bildung und Qualifikation, sind Chancen auf Ausbildung und Arbeit. Aber diese Erfolge reichen noch nicht aus, denn noch immer ist es eine traurige Wahrheit, dass ausbildungswilligen und -fähigen jungen Leuten der Einstieg in die duale Ausbildung nicht gelingt. Vor allem für diejenigen, die schon seit einem oder zwei, manchmal seit drei Jahren einen Ausbildungsplatz im dualen System suchen, hat sich die Situation weiter zugespitzt, ({1}) denn die Zahl der sogenannten Altbewerber ist erneut gestiegen. Erstmals suchen jetzt mehr Alt- als Neubewerber einen Ausbildungsplatz. Diese Entwicklung dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. Dort, wo Menschen abgedrängt und vergessen werden, müssen wir konkret handeln. ({2}) Jeder von Ihnen kann sich vor Augen führen, wie man sich fühlt, wenn man über 100 Bewerbungen geschrieben hat und nur Absagen erhält. Aufs Abstellgleis geschoben, nicht gebraucht zu werden, das ist meines Erachtens die schlimmste Erfahrung für zu viele junge Menschen in unserem Land. Wir wollen, dass diese jungen Leute, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz warten, eine neue Chance im dualen System bekommen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen wir deshalb klare und einfache Ziele. Wir wollen denjenigen, die schon seit mehreren Jahren einen Ausbildungsplatz im dualen System suchen, neue Perspektiven geben, indem wir ihnen zusätzliche Chancen auf dem Ausbildungsmarkt eröffnen. Deswegen wollen wir, für drei Jahre befristet, einen Ausbildungsbonus für förderungsbedürftige Altbewerber schaffen. Wir wollen Schulabgänger, denen der Schritt von der Schule in die Berufsausbildung schwerer fällt, dabei gezielt unterstützen, wir wollen ihnen gezielt Hilfen zuteil werden lassen. Deswegen wollen wir zunächst befristet und modellhaft den Berufseinstiegsbegleiter einführen. Außerdem wollen wir da, wo es ausnahmsweise sinnvoll und wirklich wichtig ist, eine zweite Chance geben und eine zweite Berufsausbildung mit Berufsbeihilfe fördern. Die Zeit zum Handeln ist dabei gut, denn die Wirtschaftsentwicklung in unserem Land ist nach wie vor positiv. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt, die Zahl der arbeitslosen Menschen in unserem Land nimmt ab. Diesen Schwung können wir jetzt aufnehmen, und wir können ihn weiter verstärken. Dabei wollen wir den Ausbildungsbonus befristen, weil wir einen Impuls geben und den Jugendlichen jetzt helfen wollen, ohne - das sei ganz deutlich gesagt - die Wirtschaft grundsätzlich aus ihrer Verantwortung zu entlassen. ({3}) Ich erkenne ausdrücklich an, dass viele Unternehmen und vor allem die mittelständischen Betriebe, besonders die im Handwerk, große Anstrengungen unternehmen, um Ausbildungsplätze zu schaffen. ({4}) Aber ich sage auch - dies tue ich gemeinsam mit denjenigen Handwerkern und Mittelständlern, die häufig genug bis an die Grenze dessen gehen, was sie leisten können -, dass das alles noch nicht ausreicht; denn wer heute nicht ausbildet, sägt sich den Ast ab, auf dem er morgen sitzen will. ({5}) Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Stärke ist es nicht zu verstehen, dass Zigtausende junger Leute ohne Ausbildungschance bleiben, weil zu viele Betriebe zwar vom dualen System profitieren, sich aber noch nicht ausrei16166 chend daran beteiligen. Deshalb richtet sich mein Appell an die, die mehr tun können: Erfüllen Sie Ihre Pflicht, bilden Sie aus! Sie handeln damit auch in Ihrem ureigenen Interesse. Wir fördern unser bewährtes duales Ausbildungssystem; denn wir wollen die betriebliche Ausbildung ausbauen. Deswegen setzen wir mit dem Ausbildungsbonus ganz praxisnah an und zahlen ihn an Arbeitgeber, die in ihrem Betrieb Altbewerber zusätzlich einstellen und ausbilden. Arbeitgeber haben dann einen Anspruch auf den Ausbildungsbonus, wenn sie einen Altbewerber ausbilden, der keinen Schulabschluss oder einen Hauptschul- oder einen Sonderschulabschluss hat, oder wenn sie einen Altbewerber ausbilden, der über einen mittleren Schulabschluss mit einer höchstens ausreichenden Note in Deutsch oder Mathematik verfügt. ({6}) Auch für die zusätzliche Ausbildung eines lernbeeinträchtigen oder sozial benachteiligten jungen Menschen, der im Vorjahr oder früher die allgemeinbildende Schule verlassen hat, erhält der Arbeitgeber zukünftig den Ausbildungsbonus. Darüber hinaus können Arbeitgeber den Ausbildungsbonus unter bestimmten Bedingungen als Ermessensleistung erhalten. Mit den geplanten Förderkriterien vermeiden wir Mitnahmeeffekte, stellen aber gleichzeitig sicher, dass alle, die eine besondere Förderung brauchen, auf jeden Fall unterstützt werden. Wir wollen, dass die Förderung plakativ und einfach ist. Deswegen beträgt der Bonus 4 000, 5 000 oder 6 000 Euro, je nach Höhe der für das erste Ausbildungsjahr tariflich vereinbarten oder ortsüblichen Ausbildungsvergütung. Für die Förderung mit dem Ausbildungsbonus rechnen wir bis 2012 mit Ausgaben von rund 450 Millionen Euro. Weitere 240 Millionen Euro geben wir bis zum Jahr 2014 dafür aus, junge Menschen durch Berufseinstiegsbegleitung beim Übergang von der Schule in die Ausbildung individuell zu unterstützen. Vorbilder hierfür sind die vielen Modelle ehrenamtlicher Ausbildungspatenschaften von Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften und anderen Organisationen, die bisher schon sehr wertvolle Arbeit geleistet haben. ({7}) Unser Ziel ist, mit der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung bis zum Jahr 2010 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Es geht um Menschen. Jede bzw. jeder muss die Chance auf einen Einstieg in das Arbeitsleben haben, die Chance, sich selbst zu beweisen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das ist ein Anspruch, für den wir uns stark machen. Unser Ziel ist ehrgeizig - wir wissen es -, aber es ist möglich, dieses Ziel zu erreichen, wenn alle mit ganzer Kraft mithelfen. Mit diesem Gesetz kommen wir unserem Ziel einen, wie ich finde, wichtigen Schritt näher. ({8}) Ich bitte Sie alle um Mithilfe, damit möglichst viele junge Menschen eine positive Zukunft und einen guten Einstieg ins Arbeitsleben haben. Herzlichen Dank. ({9})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde von der FDPFraktion. ({0})

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, das waren schöne Worte für schwache Inhalte. ({0}) Die Große Koalition steht in dieser Disziplin der Schröder-Regierung kaum nach. Der heute zur Debatte stehende Ausbildungsbonus knüpft nahtlos an diese Tradition an: Die Bundesregierung erkennt ein Problem und gibt dann eine Antwort, die es nicht lösen wird: ({1}) Ihr Gesetzentwurf beinhaltet erstens eine Definition der Zielgruppe, nämlich die „förderungsbedürftigen Auszubildenden“, und zweitens die Zahl der zu fördernden Jugendlichen. Schon hier unterläuft Ihnen von RotSchwarz der erste Fehler. Sie fassen die Kriterien für die Förderungsbedürftigkeit, die Sie eben vorgetragen haben, so weit, dass mehrere Hunderttausend Jugendliche potenzielle Kandidaten für nur 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze sind. Anstatt sich auf die wirklich schwierigen Fälle zu konzentrieren und sich mit ehrgeizigen Zielen von ganz unten langsam nach oben zu arbeiten, zählen Sie bereits Schüler mit Realschulabschluss und einer Vier in Mathematik zu den Problemfällen. ({2}) Natürlich werden diese Jugendlichen schnell einen mit Ihrem Ausbildungsbonus geförderten Ausbildungsplatz bekommen. Der DIHK schätzt, dass allein unter das Kriterium „Realschulabschluss mit höchstens einer Vier in Deutsch oder Mathe“ circa 40 000 bis 50 000 Jugendliche fallen. Auch Jugendliche mit Realschulabschluss, die seit einem Jahr oder länger einen Ausbildungsplatz suchen, werden von Ihnen bereits als förderungswürdig eingestuft. Darunter fallen derzeit über 300 000 Jugendliche. Diese Aufzählung ließe sich anhand der anderen Kriterien fortsetzen. Die Förderbedürftigkeit ist einfach zu weit gefasst. Wir von der FDP sagen Ihnen: Sie schießen weit über das Ziel hinaus. ({3}) Im Endeffekt werden sich die Arbeitgeber die besten Jugendlichen heraussuchen. Die Mitnahmeeffekte, die Sie vermeiden wollen, werden eintreten, Herr Staatssekretär. Die wirklichen Problemfälle bleiben chancenlos, weil viel zu viele Ausbildungsplätze für Jugendliche gefördert werden, die auch ohne eine finanzielle Förderung in eine Ausbildung zu vermitteln wären. Mit der jetzigen Ausgestaltung der Förderkriterien laden Sie die ausbildenden Unternehmen geradezu dazu ein, sich unter den eine Ausbildung suchenden Jugendlichen die Rosinen herauszupicken. Gleichzeitig diskriminieren Sie Erstbewerber mit Hauptschulabschluss; denn ein ausbildender Unternehmer wird künftig vorrangig einen seit längerem suchenden Jugendlichen einstellen, weil er für dessen Ausbildung einen Zuschuss bekommt. Damit erreichen Sie das Gegenteil von dem Erwünschten. ({4}) Sie erschweren einem großen Teil der Haupt- und Realschüler den Einstieg in die Berufsausbildung. Frische Abgänger von Haupt- und Realschulen haben dann einen Nachteil gegenüber denen, die bereits seit längerer Zeit nach einem Ausbildungsplatz suchen. Wollen Sie das wirklich? - Das kann ich mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren. Sie machen auch den Fehler, eine Förderung auszuschließen, wenn der Auszubildende bereits eine Einstiegsqualifizierung im selben Betrieb absolviert hat. ({5}) Durch diese Regelung wird das sinnvolle Instrument der Einstiegsqualifizierung unnötig geschwächt. Unterlassen Sie das bitte im Interesse der Altbewerber. Werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, ein weiteres Erfolgshemmnis in Ihrem Antrag ist die vorgesehene Regelung, bereits nach der Hälfte der Ausbildungszeit den gesamten Bonus auszuzahlen. Wir wissen alle, dass gerade bei besonders förderbedürftigen Auszubildenden die Abbrecherquote hoch ist. Hier muss für die ausbildenden Betriebe ein Anreiz gesetzt werden, die Azubis zum Durchhalten und zu einem Abschluss der Ausbildung zu motivieren. ({6}) Deshalb ist es ratsam, die letzte Tranche der Förderung erst nach einer Abschlussprüfung auszuzahlen. Auch die Finanzierung des Ausbildungsbonus sollte noch einmal überdacht werden. Die Förderung allein aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu bezahlen, kann nicht der richtige Weg sein. ({7}) Mittel der Bundesagentur für Arbeit sind Beitragszahlermittel. Sie werden von den Erwerbstätigen aufgebracht und dienen deren Absicherung. Die Unterstützung förderungsbedürftiger Jugendlicher ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. ({8}) Sie sollte deshalb solidarisch aus Steuermitteln finanziert werden.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Herr Kollege Rohde, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Müller?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr gern.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte schön, Herr Müller.

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Rohde, würden Sie mir beipflichten, dass es in bestimmten Ausnahmefällen durchaus im Interesse des Beitragszahlers sein kann, wenn man gerade junge Menschen frühzeitig aus Beitragsmitteln fördert, um langfristig Arbeitslosigkeit zu verhindern? Würden Sie mir beipflichten, dass dies auch im Interesse der Beitragszahler wäre?

Jörg Rohde (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003831, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Müller, ich pflichte Ihnen bei, dass es im Interesse der Beitragszahler sein kann. Wir müssen uns aber darüber unterhalten, wie die Mittel am sinnvollsten eingesetzt werden können. Es gibt bereits verschiedene versicherungsfremde Leistungen, die durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Wir sollten diesen nicht noch eine weitere hinzufügen. Wir sollten eher die Gegenrichtung verfolgen, um eine reine Versicherung zu bewahren. Darüber können wir aber sicher im Ausschuss oder in Erlangen weiterdiskutieren. ({0}) Jede bürokratische Hürde wird zu weniger Akzeptanz der Förderung und damit zu weniger Ausbildungsplätzen führen. Daher lautet meine Bitte an die Große Koalition: Beziehen Sie die IHK und die Arbeitgeber mit in die Entwicklung der Verwaltungsanordnungen ein. Wir müssen bürokratische Hürden möglichst vermeiden. ({1}) Als behindertenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion möchte ich an dieser Stelle positiv herausheben, dass für schwerbehinderte Jugendliche eine um 30 Prozent erhöhte Förderung vorgesehen ist. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem Gesetzentwurf die besonderen Schwierigkeiten behinderter Jugendlicher bei der Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt anerkannt werden. ({2}) - Man muss auch einmal ein gutes Haar an einem Entwurf lassen; wenigstens eines. Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam die Anhörung und Beratung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales nutzen, um die Fehler des vorliegenden Gesetzentwurfs zu korrigieren. Dass der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände eine gemeinsame Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abgegeben haben, ist der beste Beweis für die glasklaren Fehlanreize des vorliegenden Entwurfs. ({3}) Ich möchte zum Schluss nicht unerwähnt lassen, dass wir mit der heutigen Debatte leider keinen Beitrag dazu leisten, das eigentliche Problem, die fehlende Ausbildungsreife, zu lösen. Mit dem Bonus sollen ausbildende Unternehmen ermuntert werden, das nachzuholen, was in den allermeisten Fällen in der Schule versäumt wurde. ({4}) Fakt ist: Zehntausende Jugendliche verlassen bei uns die Schulen, ohne die nötigen Fähigkeiten für ein existenzsicherndes Erwerbsleben erworben zu haben. Hier müssen wir ansetzen. ({5}) Vom Kleinkindalter an müssen vor allem Kinder mit Sprach- und Lernschwierigkeiten besser gefördert werden. Kindern und Jugendlichen muss Lust am Lernen vermittelt werden. Mehr Praxisbezug in der Schule kann dazu beitragen. Schule muss auch konkreter auf Ausbildung und Beruf vorbereiten. ({6}) Es kann nicht sein, dass Jugendliche am Ende ihrer schulischen Ausbildung völlig orientierungslos im Hinblick auf ihren beruflichen Werdegang sind. Deshalb muss der Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf besser unterstützt und begleitet werden. Der heute zur Debatte stehende Ausbildungsbonus soll vor allem den Jugendlichen helfen, bei denen Schule und Elternhaus diese Aufgaben nicht zufriedenstellend bewältigt haben. Das eigentliche Problem schlechter Berufsvorbereitung löst er nicht. Bund, Länder und alle anderen Beteiligten, also auch wir hier im Hause, müssen gemeinsam neue Strategien entwickeln. Dafür setzt sich die FDP auf allen Ebenen ein. Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verfolgt wirklich einen guten Zweck. Wir erkennen auch an, dass etwas für die benachteiligten Jugendlichen getan werden soll. Aber das muss zielgerichtet geschehen, und die Maßnahmen müssen diejenigen, für die sie gedacht sind, auch erreichen. Ich befürchte, dass das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht passieren wird. Es werden sich Mitnahmeeffekte einstellen. Deswegen bitte ich gerade Sie, meine Damen und Herren von der roten und der schwarzen Fraktion: Bessern Sie im Interesse der Betroffenen nach! Wenn Sie entsprechende Nachbesserungen vorschlagen, können Sie vielleicht auch mit Unterstützung aus der FDP-Fraktion rechnen. Im Moment kann ich das aber noch nicht avisieren. Vielen Dank. ({7})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Franz Romer von der CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Franz Romer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001879, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Lage am Arbeitsmarkt ist so gut wie lange nicht mehr. Ich brauche die positiven Zahlen hier nicht erneut zu verlesen. ({0}) Wir alle kennen sie und wissen um den Beitrag der Großen Koalition. In den vergangenen Jahren hat sich auch der Ausbildungsmarkt insgesamt positiv entwickelt. Der Ausbildungspakt hat Früchte getragen. Allerdings machen wir uns um Teilbereiche der Berufsbildung Sorgen. Besonders der Übergang von der Schule zum Beruf gestaltet sich oft schwierig. Genau diese Probleme gehen wir jetzt an. ({1}) Wir wissen, dass eine gute Bildung und Ausbildung grundsätzlich das Risiko, im späteren Leben arbeitslos zu werden, erheblich senken. Dies gilt sowohl für die Hochschulbildung als auch für die berufliche Bildung. Diese Tatsache ist nicht nur für die individuelle Entwicklung der jungen Menschen wichtig, sondern auch für die gesamte Gesellschaft; denn gute Bildung trägt immer auch zur Vermeidung der hohen Kosten bei, die durch Arbeitslosigkeit entstehen. ({2}) Gut qualifizierte Menschen in unserem Land steigern die Produktivität, zahlen Steuern, halten die Sozialsysteme stabil. Sie haben eine Perspektive, gründen Familien, bekommen Kinder und sind für sich selbst verantwortlich. Die Statistiken zeigen uns, dass beim Übergang von der Schule in die Berufsausbildung ein erhebliches Defizit besteht. Der Anteil der Jugendlichen, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind und ihren Schulabschluss im Jahr zuvor oder früher gemacht haben, ist in den letzten Jahren auf über 52 Prozent der Ausbildungsplatzbewerber angestiegen. Diese Gruppe kennen wir auch unter dem Begriff „Altbewerber“. Ihr Anteil umfasst also inzwischen mehr als die Hälfte aller Bewerber. Bei Gesprächen in meinem Wahlkreis erlebe ich oft, dass Ausbildungsbetriebe hohe Anforderungen an ihre Bewerber stellen, während zugleich viele Jugendliche nur mit mittleren oder unterdurchschnittlichen Ergebnissen die Schule verlassen. Hier wollen wir nun anpacken, und darum unterstützen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Das Ziel sind zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze für Altbewerber. Hier ist ein Ausbildungsbonus in gestaffelter Höhe bis 6 000 Euro der richtige Weg. Auch der Anreiz zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze ist richtig. Eine erfolgsabhängige Auszahlung der Bonusleistung in zwei Stufen halten wir für sinnvoll. Natürlich kann man über die Bürokratiekosten streiten. Wichtig ist, dass das Instrument wirksam ist und gleichfalls ein Missbrauch ausgeschlossen ist. Wir achten darauf, dass durch den Ausbildungsbonus keine regulären Ausbildungsplätze vernichtet werden ({3}) oder nur noch geförderte Plätze entstehen. Der Gesetzentwurf trägt mit seinen Regelungen und Auszahlungsmodalitäten dieser Problematik ausreichend Rechnung. Durch den Ausbildungsbonus hat kein Neubewerber schlechtere Chancen gegenüber Altbewerbern. Wir stellen sicher, dass nur für die Schaffung zusätzlicher Plätze - ich betone: zusätzlicher Plätze - ein Bonus gezahlt wird. Wir haben einen sehr großen Sockel an Altbewerbern, die wir in Ausbildung bringen müssen. Bis 2010 sollen so 100 000 Jugendliche, die bisher weniger Chancen hatten, einen besseren Zugang zum Ausbildungsmarkt bekommen. Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative zur Berufseinstiegsbegleitung aus dem Konzept „Jugend Ausbildung und Arbeit“. Viele Probleme beim Übergang von der Schule in den Beruf resultieren aus fehlender Unterstützung zu Beginn des Berufs- und Arbeitslebens. Die Orientierung des Programms an ehrenamtlichen Projekten aus Verbänden und Vereinen finde ich sehr gut. Aus meinem Wahlkreis und der Region Oberschwaben insgesamt sind mir zahlreiche Projekte zur Berufsorientierung und Berufseinstiegsbegleitung bekannt. So gibt es in der IHK-Region Ulm allein 37 Modellschulen, die im Bildungsnetzwerk Schule und Wirtschaft mitarbeiten, und 21 direkte Partnerschaften von Schulen und Unternehmen. Eine staatliche Unterstützung in diesem Bereich ist nötig und sehr zu begrüßen. In diesem Zusammenhang halte ich die geplante Vergabe des Ausbildungsbonus für Zweitausbildungen als Ermessensleistung für sehr richtig. Wir können es uns nicht leisten, dass motivierte Auszubildende wegen des Abbruchs einer Ausbildung, die ihren Fähigkeiten und Interessen vielleicht nicht entsprach, ihr Leben lang benachteiligt sind. ({4}) Schaffen sie den Sprung in eine neue Ausbildung nicht, muss hier im Einzelfall Unterstützung möglich sein. Ich fasse zusammen: Der Ausbildungsbonus führt zu besseren Chancen für Altbewerber. Berufswahlförderung und Berufseinstiegsbegleitung schon in den Schulen helfen, Perspektiven und Chancen durch die richtige Berufsausbildung zu finden. Die Unterstützung von Zweitausbildungen hilft in Zukunft, den Anteil der Altbewerber zusätzlich zu verringern. Ich bedanke mich. ({5})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Cornelia Hirsch von der Fraktion Die Linke. ({0})

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Brandner, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen: Ausbildung heißt Zukunft. Aber mit Ihrem Gesetzentwurf haben viele junge Menschen auch weiterhin keine Zukunft. ({0}) Die Linke hält den Entwurf aus drei Gründen für ein schlechtes Gesetz: Erstens nehmen Sie darin eine völlig falsche Einschätzung der Lage auf dem Ausbildungsmarkt vor. Zweitens nehmen Sie eine völlig falsche Einschätzung Ihrer eigenen bisherigen Berufsbildungspolitik vor und drittens - das ist die entscheidende Frage für die Linke - stellt das Ganze keine Hilfe für die betroffenen Jugendlichen dar. ({1}) Ich beginne mit dem ersten Punkt: Einschätzung der Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Da möchte ich gleich den ersten Satz aus dem Gesetzentwurf zitieren: Der Ausbildungsmarkt hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt. ({2}) Das ist falsch. ({3}) Richtig müsste es heißen: Die Statistik ist in den letzten Jahren immer gekonnter schöngerechnet worden, um die Misere zu verschleiern. ({4}) - Liebe Kollegen, wenn Sie an dieser Stelle protestieren, dann sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass im Berufsbildungsbericht 385 000 Jugendliche als sogenannte Altbewerber ausgewiesen werden. ({5}) Unter Altbewerber versteht man Jugendliche, die schon mindestens ein Jahr auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. ({6}) Da müssen Sie sich die Frage stellen, warum diese Jugendlichen schon über ein Jahr auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Diese Jugendlichen waren zunächst in der Statistik enthalten; sie sind dann in irgendwelche Übergangsmaßnahmen gesteckt worden und galten als vermittelt. Jetzt aber tauchen sie wieder in der Statistik auf. Deshalb sagt die Linke: Der erste Schritt zu einer besseren Berufsbildungspolitik wäre eine realistische Statistik. ({7}) Zweiter Punkt: Einschätzung Ihrer eigenen Politik. Hier kann ich weiter aus dem Gesetzentwurf zitieren: Die Bundesregierung hat mit den Partnern im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs - für unsere Zuhörer sage ich: Das ist der Ausbildungspakt viel erreicht. Die Frage ist nur, für wen sie viel erreicht hat. Vermutlich hat sie viel erreicht, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. Ganz sicher hat sie auch viel für die Unternehmen erreicht, die sich Jahr für Jahr weiter aus ihrer Verantwortung für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen stehlen. ({8}) Was sie aber nicht erreicht hat, ist, dass die Zukunftschancen der Jugendlichen verbessert wurden. Aber genau das wäre das Entscheidende gewesen. Versetzen Sie sich doch mal in die Lage der Betroffenen: Erstes Beispiel. Mehmet aus Berlin hat vor zwei Jahren sogar einen relativ guten Hauptschulabschluss gemacht. Aber aufgrund des riesigen Bewerberandrangs auf dem Ausbildungsmarkt hat er keine Ausbildungsstelle gefunden. Er hat angefangen zu jobben, aber er ist nirgendwo richtig untergekommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage Ihnen: Wenn diesem jungen Mann nicht geholfen wird, dann bleibt er ohne Berufsausbildung und damit dauerhaft in der Erwerbslosigkeit oder im Niedriglohnbereich. ({9}) Zweites Beispiel. Katharina aus Düsseldorf hat letztes Jahr einen guten Realschulabschluss gemacht. Sie hat sich beworben, aber keine Ausbildungsstelle gefunden. Der Andrang der Bewerber war zu groß. Sie ist dann schließlich in eine Einstiegsqualifizierung gesteckt worden, am Ende aber nicht übernommen worden. Da ist für diese junge Frau eine Welt zusammengebrochen. Sie weiß jetzt überhaupt nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen soll. Drittes Beispiel. Kevin aus Dresden hat nur mit Ach und Krach den Hauptschulabschluss geschafft. Was er bräuchte, wären ein guter Ausbildungsplatz und zusätzlich ausbildungsbegleitende Hilfen. ({10}) Was er gekriegt hat, waren Qualifizierungsmaßnahmen, in denen er mittlerweile schon zwei Jahre steckt. Es wird immer offensichtlicher, dass er aus diesen Warteschleifen nicht herauskommt. Das sind keine fiktiven Beispiele, sondern das ist Realität. ({11}) Mehmet, Katharina und Kevin sind drei Beispiele von 385 000 Jugendlichen. 385 000-mal haben Sie auf diese Weise Zukunft zerstört. Trotzdem behaupten Sie in dem Gesetzentwurf, dass Sie viel erreicht haben. Das sollten Sie den betroffenen Jugendlichen einmal direkt sagen. ({12}) Mein dritter Punkt ist die Frage: Hilft dieser Ausbildungsbonus, den Sie mit diesem Gesetzentwurf einführen wollen, den Betroffenen? Wenn man sich diesen Gesetzentwurf durchliest, dann kann man sagen, dass die Antwort lautet: Nein, Sie helfen den Betroffenen damit nicht. Wir haben bei der Bundesregierung nachgefragt, ob sichergestellt ist, dass es sich um zusätzliche Ausbildungsplätze handelt, die gefördert werden. Sie musste in ihrer Antwort zugeben, dass sogar Unternehmen, die in diesem Jahr weniger ausbilden als im Vorjahr, eine Förderung erhalten können. ({13}) Wir haben weiterhin nachgefragt, ob die Zielgruppe gut eingegrenzt ist. Auch hier wurde offensichtlich, dass die Förderkriterien viel zu weit gefasst sind. Die 450 Millionen Euro, von denen Sie, Herr Brandner, eben sprachen, kommen nicht bei den Betroffenen an, sondern verpuffen weitgehend ohne Wirkung. ({14}) Wir haben schließlich nachgefragt, ob mit diesem Ausbildungsbonus nicht eine Schmalspurausbildung gefördert wird, ({15}) weil der Bonus gleich ist, unabhängig davon, ob es sich um eine zwei- oder dreijährige Ausbildung handelt. Die Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass auch dieser Effekt nicht ausgeschlossen werden kann. ({16}) Deshalb sagt die Linke: Dieser Ausbildungsbonus ist keine Antwort auf die Misere auf dem Ausbildungsmarkt. Für uns ist klar, wo der Hauptfehler liegt. ({17}) - Herr Kollege, vielleicht sollten Sie erst einmal zuhören. - Der Hauptfehler ist, dass dieser Ausbildungsbonus hinkt. ({18}) Er hinkt, weil er nur auf einem Bein der von uns geforderten Umlagefinanzierung steht, nämlich auf dem Bein: Wer ausbildet, soll unterstützt werden. Das zweite Bein, das notwendig ist, um wirklich voranzukommen, wurde aber vergessen. Dieses zweite Bein ist: Wer nicht ausbildet, soll zahlen. ({19}) Der Anspruch der Linken ist ganz klar: Alle müssen das Recht auf ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen haben. Weder der Ausbildungspakt noch dieser Ausbildungsbonus sind der richtige Weg zu diesem Ziel. Die Linke fordert stattdessen eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage. Besten Dank. ({20})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich ist es kaum vorstellbar: Trotz positiver konjunktureller Signale, trotz anwachsenden Fachkräftemangels suchen immer noch 385 000 junge Menschen länger als ein Jahr einen Ausbildungsplatz, und das alles - Herr Brandner hat darauf hingewiesen - mit steigender Tendenz. Jetzt wird so getan, als handele es sich dabei um Jugendliche, die einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss haben. Das ist aber ausweislich des Berufsbildungsberichts eindeutig falsch. ({0}) Die Bundesregierung hat gesagt, 100 000 dieser Jugendlichen mithilfe des Ausbildungsbonus in eine betriebliche Ausbildung vermitteln zu wollen. Das Versprechen ist: zusätzliche Ausbildungsplätze; benachteiligte Jugendliche sollen davon profitieren. Wenn das so wäre, wären wir dafür; das kann ich Ihnen versichern. Herr Romer, Sie halten das Versprechen, das Sie gerade noch einmal gegeben haben, leider nicht. ({1}) Dabei handelt es sich nicht um meine private Einschätzung, Herr Brauksiepe. Ich befinde mich mit dieser Auffassung in guter Gesellschaft: Die BDA - eine Organisation, die Sie gemeinhin anerkennen - weist in ihrer Stellungnahme auf extreme Fehlanreize und erhebliche Mitnahmeeffekte hin, und der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seiner Stellungnahme unter Berufung auf das Bundesinstitut für Berufsbildung - das ist eigentlich auch eine angesehene Adresse - darauf hingewiesen, dass die Kriterien für Zusätzlichkeit, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, dafür sorgen würden, dass bis auf den öffentlichen Dienst alle, aber auch wirklich alle Wirtschaftsbereiche bei gleicher Zahl von Ausbildungsverträgen wie 2007 von dieser Förderung profitieren würden. Damit aber noch nicht genug. Es kommt noch schlimmer: Nach der Regelung, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorsehen, wäre es sogar möglich, dass Unternehmen, die weniger Ausbildungsverträge als 2007 abschließen, über diesen Bonus gefördert werden. Ich bitte Sie: Was soll das? Das ist doch Schmu. ({2}) Das ist eine krasse Fehlsubventionierung. Diese Fehlsubventionierung lehnen der DGB und die Wirtschaftsverbände ab. Auch die Länder kritisieren im Berufsbildungsbericht, dass vom Ausbildungsbonus benachteiligte Jugendliche und leistungsschwache Bewerberinnen und Bewerber eben nicht profitieren. ({3}) - Ich kenne ihn auswendig. Es gibt gute Gründe für diese breite Ablehnung. Ich will Ihnen einmal vortragen, was die Bundesregierung auf unsere Anfrage geantwortet hat: Nach Aussage der Bundesregierung werden mithilfe dieses Ausbildungsbonus - das ist jetzt vollkommen klar - auch Abiturienten gefördert. Das sage nicht ich, das sagt die Bundesregierung. Ich habe nichts gegen Abiturienten. An der einen oder anderen Stelle kann es notwendig sein, sie zu unterstützen. Dass aber ausgerechnet sie zu den Benachteiligten gehören, das können Sie nun wahrlich niemandem erklären. ({4})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gerne.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Bitte, Herr Tauss.

Jörg Tauss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002813, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Liebe Frau Kollegin Pothmer, wir haben neulich schon einmal miteinander diskutiert. Wollen Sie einem Abiturenten oder einer Abiturientin, einer Realschülerin oder einem Realschüler, der oder die möglicherweise nicht das beste Abitur oder den besten Abschluss dieser Welt abgelegt hat, nicht an die Uni kommt oder möchte und zwei, drei Jahre vergeblich einen Ausbildungsplatz sucht, ernsthaft sagen: „Weil ihr nicht Hauptschüler genug seid, kommt ihr nie in den Genuss entsprechender Leistungen, die wir für genau diesen Personenkreis vorsehen“? Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass für genau diesen Personenkreis in Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit ein Ermessensspielraum eingefügt worden ist? ({0}) Das heißt, dass man an dieser Stelle definitiv ausschließen kann, dass in irgendeiner Form missbräuchlich vom Bonus Gebrauch gemacht wird. Haben Sie diesen Teil des Gesetzentwurfes gelesen? Würden Sie ihn zur Kenntnis nehmen? Was sagen Sie den jungen Menschen, die davon betroffen sind? ({1}) Ich könnte mich über diesen Zynismus fast aufregen. ({2})

Brigitte Pothmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003823, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann Ihnen sagen, was aus unserer Sicht und übrigens auch aus Sicht der Wirtschaftsverbände, des DGB, der Länder etc. das Problem ist. ({0}) Nach den Kriterien, so wie Sie sie im Gesetzentwurf formuliert haben, sind ungefähr mehr als 250 000 junge Menschen förderungsfähig. Es ist doch klar wie Kloßbrühe: ({1}) Es gibt nur 100 000 geförderte Plätze, und es wird zu einer Rosinenpickerei kommen. Das Nachsehen werden die haben, die wirklich die Benachteiligten sind. Um die müssen Sie sich kümmern. ({2}) Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Sie dürfen sich jetzt wieder setzen. ({3}) Ich will Ihnen, Herr Tauss, sagen: Für eine wirklich gezielte Förderung von Ausbildungsplätzen brauchen wir den Ausbildungsplatzbonus gar nicht. Dafür haben wir im SGB II längst die Möglichkeiten. Ich muss sagen: Wir hatten unter § 16, sonstige Maßnahmen, die Möglichkeiten. Er war ausdrücklich dafür da, im Einzelfall gezielte Förderung vorzunehmen. Was machen Sie? Sie streichen § 16 zusammen. Das Arbeitsministerium hat dort einen Riegel vorgeschoben, und zwar mit dem Argument, es könne zu Missbrauch kommen. Da lacht doch die Koralle! Bei diesem gezielten Instrument kommen Sie mit der Möglichkeit des Missbrauchs und kassieren es ein. An dessen Stelle setzen Sie ein breit angelegtes Instrument, über das selbst diejenigen, die die Nutznießer sein sollen, sagen, dass es Fehlanreizen Tür und Tor öffnet. ({4}) Es ist nicht klug, ein Instrument, das gut, sinnvoll und zielgerichtet ist, wegzuhauen und stattdessen sozusagen mit der Gießkanne zu fördern. Ich finde, das ist eine zirkusreife Nummer. Damit werden Sie das Ausbildungsplatzproblem nicht lösen. Den Berg der Altbewerber werden Sie damit auch nicht abbauen. ({5}) Lassen Sie mich jetzt noch etwas Grundsätzliches sagen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich finde, wir müssen endlich damit aufhören, die Einlösung des Rechts auf eine Berufsausbildung vom Aufstieg und Fall des Konjunkturbarometers abhängig zu machen. ({6}) Es kann doch nicht richtig sein, dass Jugendliche, die einem geburtenstarken Jahrgang angehören, in einer konjunkturschwachen Phase auf dem Ausbildungsmarkt Pech haben. Ich sage Ihnen: Mit dem, was wir in der Vergangenheit, zum Teil auch gemeinsam, gemacht haben - Appelle an die Wirtschaft, Ausbildungsverbünde und eine stärkere Subventionierung von Ausbildungsplätzen -, haben wir das Problem nicht gelöst. Dadurch haben wir inzwischen fast 400 000 Jugendliche, die länger als ein Jahr einen Ausbildungsplatz suchen. Wir werden den Betroffenen damit nicht gerecht. ({7}) Aber wir werden damit auch der Gesellschaft nicht gerecht, weil diese 400 000 Jugendlichen der Wirtschaft in den nächsten Jahren als Arbeitskräfte fehlen werden. ({8}) Lassen Sie uns überall dort, wo es uns nicht gelingt, genügend betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen, überbetriebliche Ausbildungsplätze ermöglichen. Wir wollen das duale System nicht abschaffen, wir wollen es aber ergänzen. Wir wollen diese 3,5 Milliarden Euro teuren unnützen Warteschleifen in Ausbildungsmodule umgestalten. ({9}) Auf diese Weise setzen wir das Geld vernünftig ein und reden nicht nur über ein Recht auf Ausbildung, sondern ermöglichen dieses auch tatsächlich. Ich denke, das sind wir den Jugendlichen schuldig. Ich danke Ihnen. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Katja Mast von der SPDFraktion. ({0})

Katja Mast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003804, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen sind die beste Arbeitslosenversicherung. ({0}) Deshalb brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik mit Perspektive. Arbeitsmarktpolitik, die nur reagiert und nicht vorsorgt, ist schlechte Arbeitsmarktpolitik. ({1}) Das Gesetz über den Ausbildungsbonus für Altbewerber, das wir heute einbringen, ist ein Musterbeispiel für vorsorgende Arbeitsmarktpolitik. ({2}) Das Kernversprechen ist: Aufstieg und Zukunft durch Bildung auch für die Jugendlichen, die sich schon über ein Jahr lang erfolglos um einen Ausbildungsplatz bemüht haben. Aufstieg durch Bildung: Das ist im Übrigen auch das Kernversprechen sozialdemokratischer Politik. ({3}) Viele meiner Kollegen haben im Hintergrund für dieses Gesetz gekämpft. Heute beginnt der parlamentarische Prozess. Der Ausbildungsbonus ist Teil der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung, die von der Bundesbildungsministerin Annette Schavan im Januar verkündet wurde. Heute gießt das Haus von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz einen finanziell anspruchsvollen Teil dieser Initiative in Gesetzesform. ({4}) Wir sichern 100 000 jugendlichen Altbewerbern mit Hauptschulabschluss oder schlechtem Realschulabschluss zu, sie auf ihrem Weg in den Beruf zu stärken. ({5}) Wir versprechen auch, die Unternehmen zu unterstützen, die diesen Jugendlichen eine Chance geben, und zwar mit Geld und - das ist wichtig - sozialpädagogischer Begleitung über die gesamte Ausbildung hinweg. ({6}) Wir lassen weder Azubi noch Ausbildungsbetrieb allein. ({7}) Wir haben für dieses Gesetz aus Erfahrungen vor Ort gelernt. Nicht Theorie, sondern Praxis leitet diesen Gesetzentwurf - und im Übrigen auch ein Beschluss der Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit. Bei mir zu Hause in Baden-Württemberg - genauer: in Pforzheim und im Enzkreis - haben wir seit einigen Jahren einen solchen Ausbildungsbonus für Schüler des Berufsvorbereitungsjahres. Die junge Aishe ist ein gutes Beispiel: Sie hat 2004 einen schlechten Hauptschulabschluss gemacht und ging dann in ein Berufsvorbereitungsjahr, weil sie keinen Ausbildungsplatz gefunden hat. Nach diesem Jahr hat sie 80 erfolglose Bewerbungen geschrieben. Der Durchbruch kam mit dem Bonus von 7 500 Euro für drei Ausbildungsjahre und dem Versprechen, dass sie während der Ausbildung im Betrieb von einem Jobcoach sozialpädagogisch begleitet wird. Ein Pforzheimer Einzelhandelsunternehmen stellte sie ein. Die Ausbildung verlief nicht ganz ohne Probleme, aber durch Jobcoach und Nachhilfe ging es immer weiter. Im November 2007 hatte sie ihren Abschluss als Einzelhandelskauffrau nach dem zweiten Anlauf in der Tasche. Seither arbeitet sie im Verkauf. ({8}) Mit diesem Gesetz unterstützen wir aber nicht nur, sondern wir formulieren auch eine klare Erwartungshaltung gegenüber der Wirtschaft. Wer den Fachkräftemangel beklagt, der muss dafür sorgen, dass jeder Jugendliche in Deutschland ausgebildet wird. ({9}) Wir vonseiten der Bundespolitik nehmen zur Kenntnis, dass es Jugendliche gibt, denen man beim Eintritt ins Berufsleben helfen muss, und zwar ohne zu fragen, ob das Elternhaus, die Schule oder wer auch immer versagt hat. Uns geht es um die Bildungschancen der Jugendlichen. Wir greifen also denjenigen Unternehmen unter die Arme, die sich ihrer Verantwortung für die Ausbildung Jugendlicher stellen, die sie ohne unsere Hilfe aber nicht einstellen würden. Im Gegenzug erwarten wir, dass wirklich jeder Jugendliche ausgebildet wird. Nur so können wir den Fachkräftebedarf in Zukunft decken. Für mich als Sozialdemokratin ist der Weg der vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik absolut richtig. ({10}) Damit entwickeln wir unsere zehnjährige sozialdemokratische Regierungspolitik und unser Engagement für Jugendliche weiter. Das ist ein guter Schritt für unsere Jugend und unseren vorsorgenden Sozialstaat. Wir müssen in B wie Bildung, in A wie Ausbildung und in LL wie lebenslanges Lernen investieren. Das ist nicht nur die beste Arbeitslosenversicherung; BALL ist auch eine runde Sache. Mit BALL bleibt unser Versprechen gültig: Aufstieg und Zukunft durch Bildung. ({11})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Stefan Müller von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Stefan Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003597, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, zunächst einmal unserer Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass sich die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in den ersten Monaten des Jahres 2008 fortgesetzt hat. Erfreulich ist diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt auch deshalb, weil sie auch auf die Zahl der Ausbildungsplätze durchschlägt. ({0}) Wir freuen uns mit jedem jungen Menschen, der im letzten Jahr eine Ausbildungsstelle gefunden oder in diesem Jahr eine Zusage bekommen hat. Gleichwohl darf das natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Deutschland immer noch 364 000 junge Menschen unter 25 Jahren gibt, die keine Ausbildungsstelle bekommen haben und nach wie vor arbeitslos sind. Es ist zwar ein erfreulicher Rückgang um 73 000 arbeitslose Jugendliche zu verzeichnen. Dennoch sage ich: 364 000 junge Menschen unter 25 Jahren, die keine Lehrstelle haben, sind 364 000 zu viel. ({1}) Insofern kann uns die derzeitige Situation noch nicht zufriedenstellen. Es gibt immer noch junge Menschen, die, nachdem sie die Schule verlassen haben, keine Lehrstelle finden. Es gibt immer noch junge Menschen, die Hunderte von Bewerbungen schreiben, aber keine Lehrstelle finden. Was es für junge Leute, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, bedeutet, das Gefühl zu haben, nicht gebraucht zu werden, kann sich, wie ich glaube, jeder von uns sehr gut vorstellen; wir können uns in diese jungen Leute hineinversetzen. Die Perspektivlosigkeit, die diese jungen Menschen beschleicht, ist letztlich auch der Nährboden für vieles andere. Die Politik muss daher nicht nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, sondern auch aus gesellschaftspolitischen Gründen dazu beitragen, dass junge Menschen eine Lehrstelle finden. ({2}) Je länger die Lehrstellensuche dauert, umso schwieriger wird es, tatsächlich den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen. Von daher ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfes auch in gesellschaftspolitischem Sinne zu verstehen. Uns geht es darum, insbesondere denen eine Chance zu geben, die sich in den vergangenen Jahren vergeblich bemüht haben, eine Lehrstelle zu finden. Der Berufsausbildungsbericht ist bereits angesprochen worden. Auch im Jahr 2007 waren nahezu die Hälfte der Bewerber sogenannte Altbewerber, also Personen, die sich schon vergeblich bemüht hatten, eine Lehrstelle zu finden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns nichts vormachen: Bei diesen jungen Menschen ist der Aufschwung noch nicht angekommen. Wir sind gefordert, dafür zu sorgen, dass auch sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. ({3}) Wir schlagen vor, einen Ausbildungsbonus einzuführen. Wir wollen den Unternehmen einen finanziellen Anreiz geben, damit sie zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen, insbesondere Altbewerber einstellen und vor allem solchen jungen Menschen eine Chance geben, die sozial benachteiligt oder als lernschwach einzustufen sind. Die Betonung liegt auf zusätzlichen Arbeitsplätzen. Freilich, Herr Kollege Rohde: Wenn für Unternehmen finanzielle Anreize geschaffen werden, müssen Mitnahmeeffekte ausgeschlossen werden; das wird niemand von uns bestreiten. Aber Sie können nicht bestreiten, dass im Gesetzentwurf entsprechende Vorschläge enthalten sind, um solche Mitnahmeeffekte auszuschließen. Wir alle haben Briefe bekommen von IHK, DGB und BDA, in denen Vorschläge geäußert wurden. Es gibt ein geordnetes Verfahren hier im Parlament, bei dem wir uns erst am Anfang befinden. ({4}) Wir sollten die Vorschläge in aller Ruhe sorgfältig prüfen, wenn wir diesen Gesetzentwurf in den nächsten Wochen im Plenum bzw. in den Ausschüssen beraten. ({5}) - Gerne, Frau Pothmer. Frau Pothmer, Sie haben gesagt, dass es besser wäre, überbetriebliche Ausbildung zu fördern, anstatt einen Ausbildungsbonus zu zahlen. Glauben Sie tatsächlich, dass eine überbetriebliche Ausbildung besser ist als eine Ausbildung in der Wirtschaft, in den Unternehmen? ({6}) Glauben Sie wirklich, dass überbetriebliche Ausbildung günstiger wäre? Ich jedenfalls bestreite das. Ich glaube, dass der Ansatz, den wir mit dem vorgeschlagenen Ausbildungsbonus verfolgen, vernünftig ist. ({7}) Letztlich geht es darum, jungen Menschen eine Chance zu geben, am Erwerbsleben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Deswegen bitte ich herzlich darum, in den nächsten Wochen nicht in ordnungspolitische Debatten zu verfallen, sondern mitzuhelfen, dass Stefan Müller ({8}) junge Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, eine Zukunftsperspektive bekommen. Die deutsche Volkswirtschaft ist auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen. Wir alle hören ständig, wie die Unternehmen über den Fachkräftemangel klagen. Ich glaube, dass er nicht so dramatisch ist, wie er manchmal dargestellt wird. In manchen Bereichen, in der metallverarbeitenden Industrie beispielsweise, ist er allerdings nicht von der Hand zu weisen. Von daher sind wir gefordert, etwas zu tun, um den Fachkräftemangel zu beheben. Dies ist aber nicht nur Aufgabe der Politik; es ist auch und gerade Aufgabe der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass kein Fachkräftemangel entsteht. ({9}) Ich habe kein Verständnis dafür, dass es in den vergangenen Jahren verhältnismäßig viele Unternehmen gegeben hat, die nicht ausgebildet haben. ({10}) Heute nicht ausbilden und morgen über einen Fachkräftemangel klagen, das geht nicht. ({11}) Der beste Fachkräftenachwuchs ist immer noch derjenige, den man selber ausbildet. Ich will die Gelegenheit nutzen, allen Unternehmen, insbesondere allen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in den letzten Jahren ausgebildet haben, zu danken. ({12}) Diese Unternehmen sind ihrer sozialen Verantwortung gerecht geworden. Einzig und allein diese Unternehmen sollen jetzt in den Genuss finanzieller Unterstützung kommen, wenn sie bereit sind, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen. Es gäbe noch viel zu sagen. Natürlich ist es Aufgabe der Länder, dafür zu sorgen, dass junge Menschen, die die Schule verlassen, als ausbildungsfähig gelten. Unser gemeinsames Ziel muss aber sein, dass jeder, der die Schule verlässt, ein Angebot bekommt: sei es ein Arbeitsplatz, sei es eine Trainingsmaßnahme, sei es eine gemeinnützige Beschäftigung oder - am besten - einen Ausbildungsplatz. Ich glaube, dass wir mit dem, was wir hier vorlegen, einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass junge Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Ich bitte Sie, insbesondere die Oppositionsfraktionen, herzlich um konstruktive Mitarbeit - im Interesse der jungen Menschen. ({13})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Der nächste Redner ist Willi Brase von der SPD-Fraktion. ({0})

Willi Brase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine kleine Bemerkung vorweg: Ich bin bei uns in der IHK seit Jahrzehnten in der beruflichen Bildung aktiv. Nachdem ich mir manche Wortbeiträge hier angehört habe, muss ich sagen, dass es noch einen großen Nachholbedarf hinsichtlich der inhaltlichen Klarheit gibt. ({0}) Ich will auch deutlich sagen: Mir ist es lieber, dass wir 100 000 jungen Leuten zusätzlich eine Chance geben, anstatt sie von anderen - auch hier im Parlament - instrumentalisieren zu lassen, um gegen unsere Politik zu polemisieren. ({1}) Ich halte die Berufseinstiegsbegleitung für einen ganz wichtigen Schritt ({2}) und kann nur sagen: Es ist richtig, dass man Erkenntnisse aus der Praxis, die in vielen Regionen gewonnen wurden - Stichwort: Ausbildungspate -, aufgenommen hat. Wir wissen, dass wir einem Teil der jungen Menschen möglicherweise jemanden zur Seite stellen müssen, damit der Weg von der Schule über die Ausbildung weitergeht. Ich halte das für richtig und notwendig, bitte aber darum, im weiteren Verfahren zu prüfen, ob wir die Zuständigkeit ausschließlich bei der Bundesagentur für Arbeit ansiedeln oder ob wir nicht an der einen oder anderen Stelle zulassen können, dass diejenigen, die das schon jahrelang gut gemacht haben, die Chance haben, dies in der Praxis umzusetzen. ({3}) Ich will ein Projekt aus meiner Heimat anführen, das eine immer größere Verbreitung findet und durch das ein Weg aufgezeigt wird, wie wir junge Leute viel früher und viel besser in Ausbildung bekommen. Mit dem Projekt „Regionales Haus der Berufsvorbereitung“ geben wir jungen Leuten die Möglichkeit, während des Besuchs der zehnten Klasse 580 Stunden im Jahr für Praktika zu nutzen, und zwar freitags nachmittags und samstags morgens sowie in den sechs Wochen Ferien. Im ersten Durchlauf garantieren wir 70 bis 80 Prozent derjenigen, die das durchhalten, dass sie einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben werden. ({4}) Ich freue mich, dass dieses Projekt mittlerweile auch in Berlin-Neukölln und in anderen Regionen unseres Landes aufgegriffen wird. Wir zeigen hiermit, dass Fördern und Fordern der richtige Weg ist. Wir sagen den jungen Leuten, dass wir sie ein Jahr lang fördern und sie, wenn sie durchhalten, einen Ausbildungsplatz bekommen. Da16176 durch werden wir gerade die Chancen von Hauptschülern wesentlich verbessern. ({5}) Wir haben dieses Projekt initiiert, weil wir wissen, dass ein Teil der jungen Leute Schwierigkeiten in der Schule und manchmal auch im sozialen Umfeld hat. Uns kommt es darauf an, dass das Zusammenspiel zwischen Eltern, Lehrern, Schülern und Kammern als Beteiligte und Weiterbildungsträger funktioniert und dass es hohe Übergangsquoten gibt. Wir freuen uns, dass es gelingt, mehr junge Leute und auch andere Regionen für dieses Projekt zu begeistern. Nebenbei gesagt: Wir haben das ohne Landes- und Bundesmittel organisiert. Man kann zusammen mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften schon einiges tun. ({6}) Ich will einen weiteren Punkt erwähnen, der in den letzten Tagen in der Presse stand. Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen hat zusammen mit dem Arbeitgeberverband Metall NRW einen Tarifvertrag zur Förderung der Ausbildungsfähigkeit aufgelegt. Dieser hat zum Inhalt, was wir mit der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher vor Jahren auf den Weg gebracht haben, nämlich dass junge Leute ein Jahr lang im Betrieb sozusagen als Vorstufe zur Ausbildung eingesetzt werden, dass sie an den Inhalten teilhaben und dass sie finanziell vernünftig unterstützt werden. Der Grundgedanke wurde aufgenommen. Es geht um die Einbeziehung in die betrieblichen Arbeitsprozesse mit sozialpädagogischer Begleitung. Das ist nichts anderes als eine Unterstützung der Einstiegsqualifizierung, die wir hier gemeinsam beschlossen haben. ({7}) Ich will einen weiteren Punkt erwähnen. Dass die Fokussierung auf die betriebliche Struktur beim Übergang von der Schule in den Betrieb bzw. von der Schule in die Ausbildung richtig ist, sieht man daran, dass der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung im Dezember beschlossen hat, gerade im Übergangsbereich den Lernort Betrieb sowohl für die Berufsausbildungsvorbereitung als auch für die Berufsausbildung wesentlich stärker ins Zentrum der Qualifizierung zu rücken. Das ist absolut notwendig und richtig. ({8}) Genau das tun wir mit dem, was der Bundesarbeitsminister der schwarz-roten Koalition hier vorgelegt hat. Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, der immer wieder eine Rolle spielt und von dem ich glaube, dass wir ihn noch stärker berücksichtigen sollten. Die Vielfalt der Programme im Übergangsbereich - auf Landesebene, teilweise auf Bundesebene und auch auf kommunaler Ebene, mit und ohne EU-Finanzierung bzw. mit und ohne Finanzierung durch die Gebietskörperschaften ist immer noch groß. Es wäre sinnvoll, den Übergangsbereich neu zu ordnen, die Programmvielfalt nach dem Grundsatz „Weniger ist mehr“ etwas zurückzufahren und klarere Perspektiven der betrieblichen Anwendung zu schaffen. Ich glaube, das wäre ein richtiger Schritt für die jungen Menschen. ({9}) Ich komme zum Schluss. Wir als Große Koalition gehen davon aus, dass die Unternehmen ihr Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen weiter erhöhen, wie wir es 2007 erleben durften. Wir erwarten, dass dies auch 2008 der Fall sein wird. Der Bonus ist dann ein notwendiger Zusatz, um den Altbewerbern eine Chance zu geben. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf in diesem Sinne sachlich und vernünftig weiterberaten! Vielen Dank. ({10})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Uwe Schummer von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Uwe Schummer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003631, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für einen jungen Menschen, der aus der Schule entlassen wird, ist es verheerend, wenn die erste Erfahrung darin besteht, dass er nicht gebraucht wird. 385 000 sogenannte Altbewerber, die vor mehr als zwölf Monaten aus der Schule entlassen wurden, sind 385 000 zu viel. Deshalb müssen wir gemeinsam vermeiden, dass Aussteiger produziert werden und Menschen von vornherein keine Chance haben, in die Arbeitswelt hineinzukommen. ({0}) Der Arbeitsmarkt ist in den letzten beiden Jahren in Bewegung geraten. Im Zweijahresvergleich ist die Zahl der Arbeitslosen um 1,3 Millionen gesunken. Es gibt 40 Millionen Erwerbstätige. Das ist eine Rekordzahl in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben auch den Ausbildungsbonus zum Thema gemacht. Die Union hat sich schon 2003 - gemeinsam mit der SPD - in dem Antrag „Reformen in der beruflichen Bildung vorantreiben - Lehrstellenmangel bekämpfen“ vom 17. März 2003 mit diesem Thema befasst. Das JUMP-Programm, für das 2003 bei einer Weitervermittlungsquote von 30 Prozent 5,2 Milliarden Euro eingesetzt wurden, haben wir sehr kritisch gesehen. Wir wollen dafür sorgen - das ist nach wie vor unsere klare Aussage in der Großen Koalition -, dass so viele betriebliche Arbeitsmarktinstrumente wie möglich und so viele außerbetriebliche wie nötig eingesetzt werden. ({1}) Wir wollen die Arbeitskosten senken. Dies haben wir erreicht, indem wir den Beitrag zur ArbeitslosenverUwe Schummer sicherung von 6,4 Prozent auf 3,3 Prozent gesenkt haben. Die Agentur für Arbeit und die Wirtschaftsinstitute rechnen uns vor, dass 1 Prozent weniger Lohnzusatzkosten etwa 100 000 Beschäftigungsverhältnisse - davon etwa 10 Prozent Ausbildungsplätze - schaffen. Im Jahr 2005 gingen täglich 2 000 Arbeitsplätze verloren. Derzeit werden täglich 1 400 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Das ist die zentrale Kehrtwende, die die Große Koalition gemeinsam bewirkt hat. ({2}) Eine Entlastung bei den Arbeitskosten führt zu mehr Beschäftigung, und mehr Beschäftigung führt zu mehr Ausbildung. Der Berufsbildungsbericht zeigt, dass im letzten Ausbildungsjahr etwa 630 000 neue Ausbildungsverträge geschlossen wurden. Mit einem Plus von mehr als 13 Prozent im Zweijahresvergleich ist das eine Rekordzahl seit der deutschen Wiedervereinigung. Wir müssen uns darum bemühen, dass die Zahl der Schulabgänger bis 29 Jahre ohne berufliche Qualifizierung, die von 2003 bis 2005 von 1,3 Millionen auf 1,57 Millionen gestiegen ist - das ist die negative Botschaft des Berichts -, wieder sinkt, um auch diesen jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Wir brauchen eine Verbesserung der beruflichen Orientierung, um die Abbrecherquote zu senken. Durch die von uns gemeinsam seit zwei Jahren eingesetzten Instrumente ist uns eine Verbesserung der Berufsorientierung gelungen, sodass die Abbrecherquote von knapp 24,7 Prozent im Berufsbildungsbericht 2001 auf 19,8 Prozent im aktuellen Berufsbildungsbericht gesenkt worden ist. ({3}) Auch das ist wichtig, damit die Zunahme der Dequalifizierung und Perspektivlosigkeit reduziert wird. Nur 3 000 der 90 000 Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit in der Berufsberatung tätig. Deshalb ist es wichtig, dass die Berufsbegleitung unter anderem im Rahmen des Programms von Frau Schavan zur Berufsorientierung, das im April startet, weiter ausgebaut wird. Ziel ist das, was Barbara Sommer in Nordrhein-Westfalen proklamiert hat: In jeder Schule muss eine Stelle zur Berufsberatung und Berufsorientierung angesiedelt werden. ({4}) Wir wollen belohnen statt strafen. Es handelt sich daher nicht um eine Strafsteuer, sondern um einen Ausbildungsbonus. Einstiegspraktika sind ein Instrument, das wir im Rahmen des Ausbildungspaktes gemeinsam verbessert haben, mit der Konsequenz, dass die Quote bei der Weitervermittlung in eine betriebliche Qualifizierung bei 75 Prozent liegt. Bei JUMP sind es 30 Prozent und bei der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, EQJ, 75 Prozent. Das zeigt: Die betriebliche Qualifizierung ist besser als die außerbetriebliche, also als die Schaffung von Parallelstrukturen. ({5}) Es gibt natürlich einen Zielkonflikt. Wir wollen ein einfaches und unbürokratisches Verfahren, wie es vom Normenkontrollrat vorgeschlagen wird. Wir wollen aber Mitnahmeeffekte verhindern. Hier müssen wir einen Mittelweg finden. Ausschlaggebend ist aber letztendlich nicht die Schönheit der Ordnungspolitik, die schnell in der Ideologie endet, sondern, dass wir den Menschen helfen. Das ist die Konsequenz. Ob es 100 000 oder 10 000 junge Menschen sind: Jeder Einzelne ist der Mühe wert. ({6})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/8718 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sowie die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: 5 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes - Drucksache 16/8743 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes - Drucksache 16/8653 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen - Drucksache 16/8754 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2}) Rechtsausschuss Finanzausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Haushaltsausschuss Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals - Drucksache 16/8748 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3}) Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Haushaltsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollege Ilse Falk von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

Ilse Falk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000513, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muss gestehen, dass mir die Debatte über den Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nicht leichtfällt. Dabei gibt es eigentlich allen Anlass, zuversichtlich zu sein und sich zu freuen, dass nach unserem Vorstoß, der darauf abzielt, die Renten für Contergangeschädigte zu verdoppeln und nicht nur um 5 Prozent zu erhöhen, heute mit der ersten Lesung auch der erste Schritt zur Verwirklichung getan ist. Ich bin dankbar, dass sich in den Koalitionsfraktionen von Anfang an beide geschäftsführenden Vorstände ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen der Facharbeitsgruppen hinter diesen Wunsch gestellt haben. Ich bin zuversichtlich, dass sich auch die Opposition dem nicht verschließt. Meine Nöte resultieren also nicht aus dem Inhalt des vorgelegten Gesetzentwurfs. Es ist vielmehr die intensive Befassung mit dem Thema Contergan rund um diese Gesetzesänderung, die Begegnung mit den Betroffenen und das Nachdenken über Schädigung und Verursacher, über Opfer und Schuld, kurz: über die Menschen, die mit schwersten Behinderungen auf die Welt gekommen sind, aber auch über diejenigen, die als Verursacher gebrandmarkt sind. Ich glaube, es ist schon unendlich schwer, mit einer angeborenen Behinderung zu leben, deren Ursache man nicht kennt. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn einem diese „Gnade“ des Nichtwissens verwehrt bleibt, wenn man Versäumnisse an konkreten Personen festmachen kann? Da ist der Staat mit dem damals unzureichenden Zulassungsverfahren für neue Medikamente noch relativ anonym. Was ist aber mit dem Unternehmer, der mit dem Medikament Geld verdient hat und sich damit auseinandersetzen muss, es nicht rechtzeitig vom Markt genommen zu haben bzw. es überhaupt angeboten zu haben in dem guten Glauben, dass es hilfreich sei und Nöte lindere? Was ist mit der Mutter, die ja um die verheerende Wirkung gar nicht wissen konnte und sich ganz sicher dennoch mit dem Vorwurf „Hätte ich doch nicht …“ quält? Auch uns Politikern stellt sich bei diesem Thema manche Frage: Wie aufmerksam verfolgen wir neue Entwicklungen? Wie verantwortlich gehen wir mit möglichen Risiken um? Sind wir auf der anderen Seite aber auch bereit, uns die Grenzen des Machbaren einzugestehen? Die contergangeschädigten Menschen selbst standen in den vergangenen Jahrzehnten nicht im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sehr unspektakulär und in beneidenswerter Weise haben sie sich ihren Platz im Berufs- und Privatleben mit großem eigenem Engagement und Selbstbewusstsein erkämpft. Die überwiegende Mehrheit der Geschädigten ist trotz der Behinderung erwerbstätig. Erst das Erinnern an 50 Jahre Contergan Ende letzten Jahres mit bewegenden Filmen, Interviews und Reportagen hat uns vor Augen geführt, wie schwer ihr tägliches Leben ist und dass es zunehmend schwerer wird. Trotzdem war nicht Anklage dabei das vorherrschende Thema, sondern bewundernswerte Akzeptanz des persönlichen Schicksals einerseits und selbstbewusstes Einfordern von Dialog und Unterstützung bei der Bewältigung des schwerer werdenden Alltags andererseits. Diese großartige Lebensleistung so vieler starker Frauen und Männer hat mich tief beeindruckt und verdient ganz sicher unser aller größte Anerkennung und Respekt. ({0}) Die Kehrseite des unermüdlichen Einsatzes macht sich jetzt nach der jahrelangen Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur bemerkbar. Schmerzhafte Spät- und Folgeschäden schränken die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich erheblich ein. Auch psychische Folgeschäden wie depressive Erkrankungen treten aufgrund der Schmerzzustände und der jahrelangen körperlichen Beeinträchtigungen verstärkt zutage. Bei den erwerbstätigen Conterganopfern führt dies oft zu Frühverrentungen mit erheblichen Einbußen bei der Altersversorgung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Erschwerend für die persönliche Situation der Conterganopfer kommt hinzu, dass mit ihnen selbst auch ihre Familienangehörigen immer älter werden, auf deren Hilfe und Unterstützung sie tagtäglich dringend angewiesen sind. Mit zunehmendem Alter benötigen sie daher immer stärker außerhäusliche, kostenintensive Hilfe. Es ist daher wichtig, diesen Spätfolgen der Behinderung, die 1971 bei der Festlegung der Höhe der Entschädigungszahlungen so nicht vorhersehbar waren, durch eine Neubewertung der Conterganrenten Rechnung zu tragen. Die vorgeschlagene Verdoppelung ab 1. Juli bedeutet für den Einzelnen je nach Grad der Behinderung zwischen 242 und 1 090 Euro monatlich. So können wir mit zusätzlichen 15 Millionen Euro jährlich ihre Lebenssituation wenigstens in finanzieller Hinsicht ein wenig verbessern und damit der Mitverantwortung des Staates Rechnung tragen. Damit die auf der Grundlage des Stiftungsgesetzes gezahlten Leistungen den Betroffenen in vollem Umfang und ungeschmälert zur Verfügung stehen, wollen wir auch die bisher geltende Anrechnungsregelung auf die aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Renten aufheben. Bislang gilt für die Renten die Anrechnungsfreiheit nur in Höhe des Betrages, den der behinderte Mensch als Grundrente erhalten würde, wenn er nach dem Bundesversorgungsgesetz versorgungsberechtigt wäre. Diese finanzielle Verbesserung ist ein erster Schritt. Zu weitergehenden Überlegungen, die als Antrag vorliegen, wird sich meine Kollege Antje Blumenthal äußern. Lassen Sie mich noch ein Wort zur Rolle der Firma Grünenthal bzw. der Familie Wirtz sagen, die in all den Jahren unendlich viele Anfeindungen ertragen musste und noch ertragen muss. Ich kann und will mir nicht anmaßen, zu bewerten, ob die Kommunikation mit den Conterganopfern in der Vergangenheit immer klug war. Ich weiß aber, dass inzwischen große Schritte aufeinander zu getan werden, und freue mich deshalb sehr, dass die Firmenleitung nunmehr definitiv beschlossen hat, noch einmal einen - diesmal freiwilligen - Betrag in die Stiftung einzubringen. Die Gespräche mit den Betroffenen sind auf einem guten Weg, sodass sicher in Kürze mit Ergebnissen zu rechnen ist. ({1}) So schließe ich mit einem Dank an alle, die sich hier engagieren und gute Antworten auf schwierige Fragen suchen. Uns allen wünsche ich gute weitere Beratungen. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der FDP-Fraktion.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Conterganskandal war einer der schwersten Medizin- und Arzneimittelskandale der alten Bundesrepublik. Es war der Skandal, der die Menschen kollektiv stark bewegte und noch immer bewegt. Er bewegt die Menschen aus Anteilnahme mit den Opfern. Er bewegt die Menschen aber auch, weil es damals jeden hätte treffen können; denn Contergan war rezeptfrei. Es wurde ab Ende der 50er-Jahre gezielt als das Beruhigungs- und Schlafmittel für Schwangere empfohlen. Wie viele Frauen nahmen ein anderes Schlafmittel, hätten aber jederzeit auch Contergan nehmen können? Genau dies, dass viele Bürger wissen: „Wir haben Glück gehabt; denn es hätte auch uns treffen können“, macht den Conterganskandal auch 50 Jahre nach der Markteinführung immer noch zu einem Thema, das uns Menschen bewegt. Der bemerkenswerte ZDF-Zweiteiler „Nur eine einzige Tablette“ hat daher - Frau Falk hat es schon gesagt - ein Millionenpublikum erreicht. Er ist von uns allen sehr stark diskutiert worden. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass der Film auch die Politik wachgerüttelt hat, auf diesem Gebiet noch einmal initiativ zu werden. Nach der Einführung von Contergan im Oktober 1957 kamen weltweit zehntausend Kinder mit zum Teil schwersten gesundheitlichen Schädigungen zur Welt. Viele Kinder, die bereits vor der Entbindung oder kurz danach starben, kommen noch hinzu. Vier Jahre später musste Contergan vom Markt genommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind sicher mit mir einig: Diese Folgen haben die Republik verändert. Nicht nur das Schadenersatzrecht und das Medizinhaftungsrecht, sondern auch die Zulassung von Arzneimitteln wurden aufgrund dieses Skandals grundlegend revidiert. Für mich sind die Contergangeschädigten und ihre Eltern die Ersten, die vehement für die Gleichstellung und die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen eingetreten sind. Der Kampf der Eltern um ihr Kind und seine Rechte war steinig. Es war der Kampf gegen ärztlichen Rat, gegen eine behindertenfeindliche Gesellschaft und gegen die Firma Grünenthal. Es war ein langer Weg von der gesellschaftlichen Ausgrenzung hin zu gesellschaftlicher gleichberechtigter Teilhabe. Gerade diese Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedarf auch der finanziellen Unterstützung. Die Rente aus der Conterganstiftung - auch das hat Frau Falk schon ausgeführt - wird den heutigen Belastungen der Betroffenen einfach nicht mehr gerecht, da sie lediglich zwischen 121 und 545 Euro monatlich beträgt. Die hohe Selbstständigkeit der Conterganopfer, die sie glücklicherweise erlangten oder für sich selbst auch durchgesetzt haben, geht einher mit der starken Überlastung des gesamten Körpers. Aufgrund der fortschreitenden gesundheitlichen Folgen können viele betroffene Männer und Frauen heute nicht mehr berufstätig sein. Die finanziellen Belastungen durch die Conterganschädigung steigen natürlich mit zunehmendem Alter, da die körperlichen Einschränkungen zunehmen. Die FDP begrüßt, dass die vorgesehene Rentensteigerung von lediglich 5 Prozent vom Tisch ist und dass die Conterganrenten jetzt verdoppelt werden. ({0}) Dieser Schritt wird den steigenden Belastungen der Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung besser gerecht. Ich habe den Eindruck, dass dies im Parlament unstrittig ist. Wünschenswert ist es - das sage ich aus der Opposition heraus -, die nächsten Schritte parlamentarisch gemeinsam zu gehen; denn die Betroffenen haben nach meiner Überzeugung einen Anspruch darauf, dass ein breiter politischer Konsens hergestellt wird. Überfraktionell sollten wir es schaffen, einen gemeinsamen Antrag auf der Grundlage der vorgelegten Anträge zu erarbeiten. In beiden Anträgen fehlen aber Forderungen, die nicht direkt mit dem Stiftungsgesetz zusammenhängen, wohl aber für die Betroffenen von elementarer Bedeutung sind. So schildern mir Betroffene, dass unter anderem die medizinische Rehabilitation durch die Krankenkassen nicht ausreichend sei. Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen, ich erwarte, dass die parlamentarische Anhörung, deren Termin schon feststeht, weitere Gesichtspunkte aufzeigt, die wir würdigen und berücksichtigen müssen. Wenn all dies in einen gemeinsamen Antrag mündete, wäre es ein weiteres gutes Zeichen für die Betroffenen, die in besonderer Weise unserer mitmenschlichen Solidarität bedürfen. ({1})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von der SPD-Fraktion. ({0})

Christel Humme (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003155, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, scheint es heute doch wieder eine Sternstunde des Parlaments zu werden, da wir uns alle offensichtlich einig darüber sind, den Contergangeschädigten zu helfen und sie aktiv zu unterstützen. ({0}) Es wurde bereits gesagt, aber ich wiederhole es gerne: Es ist immerhin ein halbes Jahrhundert her, dass der Leidensweg der Frauen und Männer begann, um die es heute geht. „Eine einzige Tablette“, dieser Titel eines Films, der im letzten Jahr ausgestrahlt wurde - Frau Falk, Sie haben ihn auch genannt -, sagt uns gleichzeitig, welche Ursache für diesen Leidensweg verantwortlich war: Ein Schlafmittel mit dem allen bekannten Namen Contergan löste diese Katastrophe aus. Es war ein rezeptfreies Mittel, das den schwangeren Frauen ruhigen Schlaf in der Nacht versprach, letztlich aber zu schlaflosen Nächten führte. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, dieses Mittel löste in den 60er-Jahren in der Tat den größten Medizinskandal aus. Weltweit kamen 10 000 Kinder fehlgebildet zur Welt; 2 700 Opfer überlebten. Diese Opfer haben zusammen mit ihren Familien unter schwierigsten persönlichen Bedingungen ihren Platz im Leben erkämpfen müssen. Dazu gehörten zehn Jahre lang geführte juristische Auseinandersetzungen zwischen der verantwortlichen Firma Grünenthal, die das Medikament herstellte und vertrieb, und den betroffenen Familien. Erst Ende 1972 setzte die SPD-geführte Bundesregierung mit der Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ den juristischen Auseinandersetzungen ein Ende. Das Stiftungsvermögen wurde damals aus 100 Millionen DM Bundesmitteln und aus 100 Millionen DM der Firma Grünenthal gespeist. Den Conterganopfern wurde eine lebenslange Entschädigungsrente gezahlt, deren Höhe sich aus der Schwere der Behinderung ableitet. Leider wurde damals auch vereinbart, dass weitere Ansprüche gegen das verantwortliche Pharmaunternehmen rechtlich ausgeschlossen werden. „Leider“ sage ich deshalb, weil die 200 Millionen DM der Gründungsstiftung und weitere Aufstockungen durch den Bund in das Vermögen um 220 Millionen DM schnell, nämlich bereits 1997, aufgebraucht waren. Seitdem wurden die Renten allein aus dem Bundeshaushalt gezahlt und in regelmäßigen Abständen erhöht. 2007 standen dafür 15 Millionen Euro zur Verfügung. Die Renten der Conterganopfer betragen zurzeit bis zu 545 Euro. Für 2008 stand eine 5-prozentige Erhöhung an, was einem Höchstbetrag von 27 Euro entspräche. Der Film, den Sie und auch ich anfangs erwähnten, hat uns alle etwas aufgerüttelt. Er hat meiner Ansicht nach ein neues Bewusstsein in der Öffentlichkeit geschaffen, denn seit seiner Ausstrahlung haben uns zahlreiche Zuschriften erreicht. Die Vorsitzende der Conterganstiftung, Regina Schmidt-Zadel, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete, hat uns auch im Ausschuss auf die neuen Problemlagen der Contergangeschädigten aufmerksam gemacht. Wir haben uns die Lebenssituation der Betroffenen daraufhin etwas näher angesehen. Das hätten wir schon früher tun können; das ist richtig, Frau Falk. Manchmal braucht es aber kleine Anlässe, um sich zu bewegen. Die Opfer sind heute um die 50 Jahre alt. Sie haben erhebliche körperliche Beeinträchtigungen und Schmerzzustände - das haben Sie ebenfalls beschrieben -, weil sie Wirbelsäule, Gelenke und Muskulatur fehlbelasten mussten. Oft hat dies erhebliche psychische Belastungen zur Folge. Bei Berufstätigen gibt es die Frühverrentung - auch das haben Sie gesagt, Frau Falk - mit wesentlichen finanziellen Einbußen und auch geringer gesellschaftlicher Teilhabe. Conterganopfer sind auf Hilfe angewiesen. Diese Hilfe haben sie bisher in ihrer Familie gefunden. Da auch diese Familienmitglieder älter werden, sind die Betroffenen immer mehr von außerhäuslicher Hilfe abhängig. Wir wollen gemeinsam das Leben der Contergangeschädigten erleichtern. Deshalb wollen wir die Rentenzahlungen ab dem 1. Juli 2008 verdoppeln. Ich danke allen, die es ermöglicht haben, dass die zusätzlichen Gelder schnell und unbürokratisch für die Conterganopfer zur Verfügung gestellt wurden. Damit können wir das Leben der Betroffenen im Alltag - darum geht es deutlich verbessern. Wir wollen natürlich noch ein bisschen mehr. Dafür liegt heute zusätzlich ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor. Frau Lenke, ich greife Ihren Vorschlag gerne auf, zu diesem Thema einen gemeinsamen Antrag mit gemeinsamen Zielen zu entwickeln, da es ein guter Vorschlag ist. Denn das Thema, das wir heute besprechen, ist nicht dazu geeignet, eine parlamentarische Auseinandersetzung zu führen. Deshalb hoffe ich, dass es uns gelingt, an dieser Stelle gemeinsam zu arbeiten. Wir haben noch viele Probleme zu lösen. Wer versteht, dass Contergangeschädigte zum Beispiel keine Parkerlaubnis für einen Behindertenparkplatz bekommen? Dafür brauchen wir schnell eine Lösung. Es geht manchmal um ganz kleine Dinge, die wir ganz schnell gesetzlich lösen können. Wir wollen aber auch mehr Geld für die Stiftung. Hier erwarten wir natürlich einen wesentlichen Beitrag auch der Firma Grünenthal, auch wenn sie, wie ich das vorhin beschrieben habe, rechtlich nicht dazu verpflichtet ist. Eine moralische Verpflichtung besteht nach wie vor. Das ist meine feste Überzeugung. ({1}) Es gibt Gespräche mit der Unternehmensleitung, die uns hoffen lassen, dass wir für alle Beteiligten zu einer guten Lösung kommen werden. Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich bin stolz darauf, dass es mit dem Koalitionspartner so schnell gelungen ist, eine konstruktive Lösung für die Contergangeschädigten zu finden. Der anfangs erwähnte Film hat die öffentliche Solidarität für die Contergangeschädigten zusätzlich gestärkt. Wir im Parlament haben es geschafft, diese öffentliche Solidarität sichtbar zu machen. Darum geht es uns bei der Verdopplung der Renten. Ich danke allen Beteiligten dafür. Danke schön. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Ilja Seifert von der Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Ilja Seifert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002153, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich selbst ist es emotional sehr bewegend, dass wir in dieser Debatte auf einem guten Weg sind, eine gemeinsame Entschließung des gesamten Parlaments zustande zu bringen. Frau Lenke, ich danke Ihnen für den Vorschlag. Ich denke, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition mitmachen werden. Wir werden das auf jeden Fall tun. Wenn Menschen, die seit einem halben Jahrhundert mit ihren schweren Behinderungen leben, eine Verdopplung des bestehenden Nachteilausgleichs erwarten können: Wer von uns sollte dagegen sein? Selbstverständlich ist das richtig. Wenn wir uns dazu aufraffen können, dies als einen ersten Schritt auf einem längeren Weg zu begreifen, auf dem das Prinzip des Nachteilausgleichs tatsächlich so ausgebaut wird, wie es erforderlich ist, dann sind wir auf einem guten Weg. Dann freue ich mich über die Gemeinsamkeit hier in diesem Hause, die auch von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird. Dennoch erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen, wie es weitergehen muss. So sehr ich die Kollegin SchmidtZadel und die Conterganstiftung schätze: Wir müssen mit den Betroffenen reden. ({0}) Wir müssen die Betroffenen reden lassen. Sie haben ihre Selbsthilfeorganisation. Ich weiß auch, dass es da das eine oder andere Hickhack gibt. Wenn wir aber nicht auch einmal hier im Parlament jemanden von ihnen reden lassen - ({1}) - Ich sage: von diesem Tisch aus, nicht im Ausschuss. Das müssen wir uns einfach einmal antun. Ich finde, das wäre wichtig, damit auch wir das Signal geben, dass wir nicht über Leute reden, sondern dass wir mit ihnen reden und uns ihre Vorschläge anhören. Dann werden wir auch erfahren, welche Dinge am wichtigsten sind. Ist der Parkausweis das Wichtigste, oder sind es vielleicht andere Dinge, die wir hier auf den Weg bringen müssen und die gestaltet werden müssen? Ich erlaube mir, diesen Vorschlag einzubringen. Wenn wir tatsächlich das, was bisher alle gesagt haben, ernst meinen, nämlich dass seinerzeit viele Seiten versagt haben, dann müssen wir im Verlauf dieser Verhandlungen auch eine deutliche Entschuldigung dafür aussprechen, dass die Politik versagt hat. Die Firma hat versagt, aber auch die Politik, die viel zu spät eingegriffen hat, hat versagt. Auch die Justiz hat versagt. Sie haben es gesagt, die Justiz hat seinerzeit alles andere als eine gute Figur gemacht. Was dann am Ende als Kompromiss herauskam, ist alles andere als befriedigend. Wir müssen jetzt, 50 Jahre später, diesen Fehler auch eingestehen. Wir können nicht für die Justiz und für die Firma reden, aber wir können sie auffordern, Ähnliches zu tun, um auf diesem Weg den weiteren Nachteilausgleich voranzubringen, und zwar mit der klaren Ansage, dass er nicht mit anderen Leistungen verrechnet wird. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Maßnahme, dass diejenigen, die aufgrund ihrer jetzt nicht mehr bestehenden Arbeitsfähigkeit frühzeitig in Rente gehen müssen, jetzt eine Rente in der Höhe bekommen, die der entspricht, die sie erhalten hätten, wenn sie bis zum Eintritt in das Rentenalter weitergearbeitet hätten? Warum wollen wir nicht einmal einen solchen Schritt gehen? Hier geht es um mehr als um 15 Millionen Euro, das ist mir schon bewusst. Es geht aber um Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die ihre Situation nicht selbst verändern können. Das ist das wirkliche System des Nachteilausgleichs. Darum muss es wirklich gehen. Es geht nicht um eine milde Gabe, die wir großzügig austeilen. Ich finde, das sind Dinge, die wir uns auf die Fahne schreiben müssen. Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu den Menschen, die damals in der DDR gelebt haben und die die Tabletten geschickt bekamen. Drei ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger sind als Contergan-Opfer anerkannt worden und erhalten die entsprechende Rente. Es leben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aber wesentlich mehr Menschen - das sieht man ihnen an -, die ebenfalls durch Contergan geschädigt sind. Ich denke, wir sollten auch sie noch einmal auffordern, erneut Anträge zu stellen, damit sie in diesen Nachteilsausgleich einbezogen werden können. Ich denke, das ist mehr als recht und billig. Ich will Ihnen noch einmal ausdrücklich sagen: Die Linke ist sehr einverstanden damit, dass jetzt in einem ersten Schritt die Renten um 100 Prozent erhöht werden, statt um diese eher lächerlichen 5 Prozent, die zunächst vorgeschlagen worden waren. Wir wollen aber, dass dies nur als ein erster Schritt auf einer größeren Treppe von Maßnahmen begriffen wird. In Zukunft soll es auch nicht mehr passieren, dass erst von außen bei uns über ein Kunstereignis die Betroffenheit geweckt werden muss, damit wir die entsprechenden Schritte gehen. Die Betroffenen und ihre Selbsthilfeorganisationen haben uns ja immerhin seit Jahren gesagt, dass die Mittel nicht ausreichen. Eine Anfrage der Linken, die ein Jahr vor Ausstrahlung des Films gestellt wurde, hat auch nicht bewirkt, dass irgendjemand hier im Hause oder in der Regierung auf den Gedanken gekommen wäre, wir müssten etwas tun. Jetzt sind wir endlich aufgerüttelt worden. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen. Wir dürfen uns in dieser Frage nicht gegeneinander ausspielen. Herzlichen Dank. ({2})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat der Kollege Markus Kurth von Bündnis 90/Die Grünen.

Markus Kurth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003578, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Conterganarzneimittelskandal zu Beginn der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts stellt, auch aus heutiger Sicht, eine historische Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. Der damals die deutsche Gesellschaft beherrschende, beinahe kindlich-naive Fortschrittsglaube wurde massiv erschüttert. Eine ähnlich dramatische Infragestellung der unbegrenzten, naturwissenschaftlich begründeten Beherrschbarkeit der Welt sollte sich erst ein Vierteljahrhundert später mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ereignen. Das damalige öffentliche Entsetzen war nicht nur wegen des epidemieartigen Auftretens von Fehlbildungen bei Neugeborenen und der neuen Bilder so groß. Auch wegen des hinhaltenden, die Aufklärung verschleppenden Verhaltens der Firma Grünenthal war die emotionale Anteilnahme vieler Menschen sehr viel stärker als bei anderen Schadensereignissen. Schließlich trug auch die vermutete Größenordnung - man befürchtete zunächst bis zu einer halben Million betroffener Menschen - dazu bei, dass die politische Aufarbeitung des Conterganmedizinskandals sogar den Weg in die Regierungserklärung Willy Brandts im Jahr 1969 fand, in der dieser den Geschädigten neue Chancen versprach und die Unterstützung der Bundesregierung in Aussicht stellte. Angesichts der damaligen öffentlichen Resonanz muss allerdings verwundern, welch geringe, ja klägliche Entschädigungsleistung den Opfern des Conterganskandals zugesprochen wurde und wird. Ein Blick ins Ausland und ein Vergleich mit den etwa in Großbritannien gezahlten Entschädigungen zeigt dies überdeutlich und lässt sogar, auch wenn wir die Initiative der Fraktionen von CDU/CSU und SPD begrüßen - ich erwähne das nachher noch einmal -, die Verdopplung in einem anderen Licht erscheinen. Angesichts der vielfältigen Teilhabeeinschränkungen und der großen, auch beeindruckenden individuellen Kompensationsleistungen der Contergangeschädigten ist bereits die bisher geleistete Rente von monatlich maximal 545 Euro mehr als bescheiden gewesen. Dies gilt umso mehr für die Zukunft. Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben hier ja auch ausgeführt, dass jetzt nach einer Zeit des beeindruckenden individuellen Ausgleichs natürlich von vielen Contergangeschädigten der Preis für die vielen körperlichen Anstrengungen, die sie sich selbst auferlegt haben, um ihre Einschränkungen auszugleichen, zu zahlen ist: Überbeanspruchungen des Muskel- und Stützapparats, der Gelenke, Sehnen und der Wirbelsäule fordern ihren Tribut. Diese Entwicklung und die damit verbundenen Herausforderungen waren zu der Zeit, als der zivilrechtliche Vergleich zwischen der Firma Grünenthal und den Geschädigten ausgehandelt wurde, nicht absehbar gewesen. ({0}) Im Vordergrund stand ja damals angesichts eines sich hinziehenden Prozesses die Bestrebung, einigermaßen zeitnah und nicht erst nach Jahren überhaupt eine Entschädigung zu erhalten. Heute, knapp 40 Jahre nach der Errichtung der Conterganstiftung, wissen wir, dass die damalige Regelung nicht annähernd den heute üblichen Standards von Entschädigungsregelungen entspricht und die Geschädigten - wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir das vernachlässigt haben - schon bislang übermäßig benachteiligt hat. Insoweit ist die Initiative zur Verdoppelung der Conterganrenten ein erster Schritt, den wir begrüßen. Ich sage ebenso wie viele Vorredner: Hinzukommen muss eine nennenswerte finanzielle Beteiligung der Firma Grünenthal. ({1}) Diese ist nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Ich meine auch, dass man die näheren Umstände des damaligen Vergleichs noch einmal genau überprüfen sollte. Diese historisch einmaligen Umstände müssen auch juristisch in einem neuen Licht betrachtet werden. Es ist aber auch der Bund gefordert, der mit dem Conterganstiftungsgesetz die Gewährleistung der Haftung übernommen hat. Eine sachgerechte, den modernen Anforderungen an eine Entschädigung gerecht werdende Regelung erfordert eine individuelle Bestandsaufnahme des Schadens und dann eine Schadensbemessung nach dem individuellen Nachteil, der erlitten wurde. Das wäre systematisch und individuell eine sinnvolle Form des Nachteilsausgleichs. Wenn sich die beiden großen Fraktionen hier im Hause dazu entscheiden könnten, diese Überlegungen in ihren Antrag mit einfließen zu lassen, dann könnte ein fraktionsübergreifender Antrag im ganzen Hause möglich gemacht werden. ({2}) Ich will auf eine Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hinweisen. Die vorkommenden Fehlbildungen der Gliedmaßen sind außerordentlich selten und häufig mit besonderen medizinischen Komplikationen verbunden. Die Zahl der Spezialisten unter den Medizinern, die zur Verfügung stehen, wird immer geringer. Sie sind über die ganze Welt verstreut. Es wäre außerordentlich sinnvoll und vernünftig, wenn ein europäisches Zentrum, das die Kompetenzen bündelt und Informationen über diese besonderen Formen der Gliedmaßenschädigung sammelt, errichtet würde und die Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene eine entsprechende Initiative starten würde. Auch darüber sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfraktionen, nachdenken. Wir sollten den Contergangeschädigten zumindest für die Zukunft einen Teil der Bewegungsfreiheit und des Maßes an gesellschaftlicher Teilhabe eröffnen, das wir für uns selber ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen dürfen. Danke. ({3})

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Das Wort hat die Kollegin Antje Blumenthal von der CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Antje Blumenthal (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003480, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Anliegen einer Contergangeschädigten beginnen. Sie hat zu mir gesagt, sie wünsche sich ein „gelungenes menschliches und schmerzfreies Leben“. Diese Äußerung drückt meines Erachtens nicht nur ihre Angst, sondern die Ängste aller Betroffenen aus, die befürchten müssen, ihre Selbstbestimmtheit und vor allem ihre erkämpfte Lebensqualität zu verlieren. Trotz schwergradiger Behinderungen haben sich die Opfer selbstbewusst und unter größten Anstrengungen ihre Selbstständigkeit und ihren Platz in der Gesellschaft erkämpft. Sie mussten die individuelle Geschicklichkeit ihres Körpers herausfinden, und sie mussten erst lernen, diese entsprechend einzusetzen. Füße wurden dabei zum Handersatz bei geschädigten Armen. Ich selbst habe eine bemerkenswerte und bewundernswerte Kollegin gehabt. Bereits vor 25 Jahren hat sie im Finanzamt die Tastatur mit den Füßen, das heißt mit den Zehen, bedient. Diese bemerkenswerte Leistung ist mir wirklich in Erinnerung geblieben. Sie und alle diejenigen Betroffenen, die heute Mitte 40 bis 50 sind, vollbringen meines Erachtens eine bewundernswerte Leistung. ({0}) Für diese errungene Selbstständigkeit mussten sie aber einen sehr hohen Preis zahlen. Aufgrund der extremen Belastungen durch die alltäglichen Verrichtungen und der einseitigen Beanspruchung bzw. Überbeanspruchung bestimmter Körperregionen leiden sie jetzt an Folge- und Spätschäden. Dies sind unter anderem Haltungsschäden, Fehlbelastungen der Muskulatur, Probleme mit dem Knochengerüst, Veränderungen im Knochenbau und äußerst schmerzhafte Schäden an Becken und Rückenwirbeln bei denen, die ihre Füße statt der Hände im Alltag gebrauchen müssen. All diese körperlichen Schäden und die damit einhergehenden Schmerzen bedeuten für die Conterganopfer eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität. Sie sind immer häufiger auf fremde Hilfe angewiesen, können ihrem Beruf nicht mehr uneingeschränkt nachgehen und sind zur Arbeitsunfähigkeit verdammt. Eine Frühverrentung wiederum führt zu weiteren finanziellen Einbußen. Damit verbunden ist der Verlust der gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb ist es unsere Aufgabe - das wurde hier schon angesprochen -, dafür zu sorgen, dass die Contergangeschädigten ihr selbstbestimmtes Leben weiterführen können. ({1}) Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, die gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen zu fördern bzw. die entsprechende Förderung fortzusetzen. Besonders die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen ist für uns dabei von großer Bedeutung. Auch im Contergan-Stiftungsgesetz ist festgelegt, dass die Eingliederung in die Gesellschaft gefördert werden soll. Ich glaube, die Integration ist gelungen. Heute ist es deshalb wichtig, darauf zu achten, dass die aktive Teilhabe der contergangeschädigten Menschen am gesellschaftlichen Leben nicht verloren geht. Die Entschädigungsleistungen reichen nicht aus für ein barrierefreies Wohnumfeld, für den Umbau des Fahrzeugs und für therapeutische Hilfen. Zudem sind mit zunehmendem Alter die Contergangeschädigten immer stärker auf kostenpflichtige außerhäusliche Hilfe angewiesen. Ihre inzwischen betagten Eltern sind oft nicht mehr in der Lage, die alltäglich erforderliche Hilfe zu leisten. An dieser Stelle sollten wir ganz besonders die Lebensleistung dieser Eltern herausstellen. ({2}) Die Verdopplung der Renten ist ein notwendiger und wichtiger Schritt. Aber wir müssen uns auch den übrigen von mir bereits angeschnittenen Problemen stellen. Deswegen haben wir hier zusätzlich zum Gesetzentwurf einen Antrag eingebracht, um den Bedürfnissen der Contergangeschädigten künftig besser gerecht werden zu können. Die Verdopplung der Renten verbessert die Situation der Betroffenen in finanzieller Hinsicht. Darüber hinaus müssen wir aber andere Hilfeleistungen, die die körperlichen Behinderungen mildern, berücksichtigen, um die Verbesserung der Lebensqualität zu gewährleisten. Das erfordert zum Beispiel eine Überprüfung der Strukturen bei der Gewährung von Leistungen in den Bereichen der Gesundheit, der Pflege und der Mobilität. Eine optimierte medizinische Versorgung und Betreuung, angepasst an die individuellen Probleme des Einzelnen, erlangen dabei meines Erachtens zunehmende Bedeutung. Bisher ist festzustellen, dass die meisten contergangeschädigten Menschen medizinische Begleitung durch ihre Hausärzte und Orthopäden erfahren; ein Erfahrungsaustausch in großem Umfang erfolgt jedoch leider nicht überall. Mir stellt sich daher die Frage, wie eine Vernetzung im medizinischen Bereich erfolgen kann. Ich denke, der Erfahrungsaustausch unter Medizinern und eine verbesserte Verknüpfung der Netzwerke müssen deshalb verstärkt werden, um diesen Mangel zu beseitigen und so den einzelnen Betroffenen schneller helfen, Erkenntnisse weiterreichen und neue Heilmethoden entwickeln zu können. ({3}) Weiterhin halten wir es für erforderlich, Infrastrukturen zu schaffen und die bestehenden zu verbessern. Aber der Alltag stellt die Betroffenen täglich vor neue Probleme. Ich nenne hier nur das Stichwort „Barrierefreiheit“; es ist wiederholt schon erwähnt worden. Ich darf darauf hinweisen, dass wir uns - so bitter es klingt - in diesem Hause mit diesen Problemen schon seit 2005 beschäftigen. Es gelang uns bisher nicht, die Länder mit ins Boot zu nehmen, um zu einer schnellen Regelung zu kommen. Es gibt immer noch keine einheitliche, länderübergreifende Regelung für die Nutzung von Behindertenparkplätzen. Wir stehen weiterhin in der Verantwortung, den Conterganopfern mit dem Abbau von Barrieren zu helfen. ({4}) Uns muss auch bewusst sein, dass sich die physische Situation der Betroffenen in Zukunft verschlechtern kann und wir darauf reagieren müssen. Deshalb empfehlen wir in unserem Antrag einen Forschungsauftrag, mit dem die Auswirkungen der Folge- und Spätschäden auf die Lebenssituation der Contergangeschädigten wissenschaftlich untersucht werden. Nur so wird es uns möglich sein, entsprechende Hilfen zu entwickeln. Im Vorfeld haben sich die Fraktionen auf die Durchführung einer Anhörung verständigt. Wir haben hier bisher vorwiegend über die Anträge gesprochen. Ich möchte aber auch auf die Anhörung hinweisen. Wir werden uns mit den Betroffenen und Experten unterhalten und anschließend auf ihre Anliegen und Erfahrungen zurückgreifen können. Ich denke, nach dieser Anhörung werden wir in der Lage sein, auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse über die vorliegenden Anträge zu entscheiden. Vielen Dank. ({5})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Marlene Rupprecht hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Marlene Rupprecht (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003000, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In einer scheinbar perfekten Welt, in der scheinbar perfekte Menschen zur Welt kommen, passiert etwas, was gar nicht in diese Welt passt. Die Menschen sind schockiert. Nach langem Hin und Her hat man Regelungen vereinbart. Über viele Jahre hinweg wurde uns medial vermittelt: Die contergangeschädigten Menschen schaffen es, das Leben mit ihrer schweren Behinderung bzw. Beeinträchtigung zu meistern. Sie sind tough. Öffentlich gezeigt werden die Menschen, die versuchen, mit ihrer Behinderung gut umzugehen. Frau Blumenthal hat ihre Kollegin als Beispiel angeführt. Wenn wir über contergangeschädigte Menschen sprechen, fallen uns doch sofort die Menschen ein, die mit ihren Zehen die Tastatur bedienen. Nicht gezeigt werden die Menschen - das ist der Großteil der Contergangeschädigten -, die mit ihren Zehen die Tastatur nicht bedienen können, die psychische Störungen haben, die täglich an der Welt verzweifeln. Diese Menschen kommen in den Medien nicht vor. Uns beruhigt die gute Nachricht. Wir glauben, alles erledigt zu haben. So war es zumindest über viele Jahre hinweg. Ich nehme mich da nicht aus. Wir haben gesagt: Diese Menschen haben das toll gemacht. Dann kam ein Film, der uns wachgerüttelt hat. Fast wären wir mit der Rentenerhöhung zur Tagesordnung übergegangen. Wir haben vorher aber das gemacht, was Herr Dr. Seifert gefordert hat. Wir haben die Betroffenen eingeladen und angehört. Unsere ehemalige Kollegin Schmidt-Zadel, die Vorstandsvorsitzende der Conterganstiftung ist, kam mit betroffenen Menschen zu uns. Wer sie als Abgeordnete kennengelernt hat, weiß, dass sie sehr aufdringlich sein kann, wenn es um Themen geht, die sie stark beschäftigen. Da wird sie richtig penetrant, und das ist gut so. Im Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, der zuständig ist, hat sie deutlich gemacht, dass es mit einer Rentenerhöhung zum 1. Juli keinesfalls getan ist, dass von den Betroffenen weitaus mehr erwartet wird als eine Rentenerhöhung. Wir haben die Einwände aufgegriffen. Ich denke, das ist etwas, was das Parlament auszeichnet. Es ist aktiv geworden; aus dem, was uns vorgetragen worden ist, wurden Anträge gemacht. Wir wollten beantragen, dass überprüft wird, ob die gegenwärtige Rentenhöhe noch angemessen ist. Damit die Renten aber überhaupt erhöht würden, wollten wir sie um 5 Prozent erhöhen. Ich erzähle das, um deutlich zu machen, wie wir uns auf den Gesetzentwurf der CDU/CSU und der SPD zubewegt haben. Dann kam ein Vorschlag vonseiten der Fraktionsspitzen. An dieser Stelle danke ich Frau Falk von der CDU/ CSU und Frau Humme von meiner Fraktion ganz ausdrücklich. Sie haben gesagt: Wir könnten jetzt zwar einen Forschungsauftrag formulieren. Die Studie würde aber zwei oder drei Jahre dauern. Im Ergebnis würde eine Rentenerhöhung um vielleicht 20 oder 30 Prozent empfohlen werden. Es würden aber keine Summen genannt werden - das sollten wir ehrlicherweise sagen -, wie sie in den USA üblich sind, weil wir in Deutschland Marlene Rupprecht ({0}) kein entsprechendes Entschädigungsrecht haben. Eine Änderung der Rentenhöhe wäre zwar sicher empfohlen worden; die Höhe war aber offen. An dieser Stelle muss ich ganz ehrlich sagen: Ich denke an die Menschen. Ab 1. Juli dieses Jahres soll es doppelt so viel Geld geben. Mir ist diese Verdopplung lieber als eine Erhöhung um 20 oder 30 Prozent. Wenn das in den Koalitionsfraktionen so hingebogen wird, dann bin ich als Berichterstatterin einverstanden. Ich danke, dass Sie das durchgepusht haben. ({1}) Wir wollen zu diesem Gesetzentwurf - wir haben vier Vorlagen -, der parallel zu dem der Bundesregierung eingeht, keine Anhörung durchführen, damit es zu keiner zeitlichen Verzögerung kommt und der Termin 1. Juli eingehalten wird. Wir haben gesagt: Wir lösen auch unseren Antrag, der weitergehend ist, davon ab; Frau Blumenthal hat das gesagt. Das betrifft die Überprüfung der Lebenssituationen all der Menschen, die betroffen sind, das heißt, von den äußeren Umständen bis hin zu den zusätzlichen Hilfen und Rahmenbedingungen. Wir haben noch eine vierte Vorlage: den Antrag der Grünen. Ich freue mich, dass die Grünen einen eigenen Antrag eingebracht haben. Noch mehr freue ich mich, wenn es uns im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gelingt, die Vorschläge der Grünen, die noch nicht enthalten sind und die wir als Ausschuss für sinnvoll erachten, aufzunehmen. Dann haben wir wieder eine Sternstunde im Parlament und können sagen: Wenn es um lebenswichtige Dinge geht, schaffen wir es, gemeinsam Ergebnisse zu erzielen. Frau Blumenthal hat schon signalisiert: Wir werden zu dem Antrag, den wir eingebracht haben, und dem Antrag der Grünen eine Anhörung durchführen. Ich glaube, da haben wir eine richtige Grundlage. Dabei werden nochmals alle Gruppierungen, die uns in der Umsetzung sachverständig unterstützen können, behilflich sein. Ich glaube, es ist notwendig, dass die Anhörung über die Belange der Betroffenen hinausgeht bis hin zur Klärung der Folgeschäden durch Sachverständige der Medizin. ({2}) Das heißt, sie ist ganz umfassend. Ich hoffe, dass wir uns anschließend im Gesetzgebungsverfahren einigen können. Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, die Arbeit und die Struktur der Stiftung anzusehen, damit sie ganz zielgerichtet und effizient für die Menschen, die betroffen sind, eingesetzt werden kann. Aber schon heute über die Ausgestaltung zu reden, wäre verfrüht. Für mich ist wichtig, dass wir es auf unserer Agenda haben. Meiner Ansicht nach wäre es gut, wenn wir in der Schlussberatung hier im Parlament ein einstimmiges Votum im Sinne der betroffenen Menschen erreichen könnten. ({3}) Damit aber nicht genug. Wir müssen die Umsetzung unseres Antrages begleiten und immer wieder nachfragen: Wie ist der Sachstand? Wie sind die Ergebnisse? Ist es eventuell notwendig, dass wir nachsteuern, was wir vorher nicht sehen konnten? Das nennen wir lernende Gesetzgebung. Ich finde den Begriff gar nicht so schlecht. Wenn man lernt und nicht stur, lernunwillig und -resistent ist, dann hat es Sinn, wenn wir so vorgehen. Ich glaube, dass wir als Ausschuss, der nicht immer in allen Punkten einig ist, einen guten Weg beschritten haben und weiterhin gehen werden. Allen Kolleginnen und Kollegen herzlichen Dank! Ich hoffe, dass wir in der Beratung so fortfahren können. Danke schön. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen 16/8743, 16/8653, 16/8754 und 16/8748 an die in der Ta- gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken - Drucksache 16/8115 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({0}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke Stokar von Neuforn, Volker Beck ({1}), Monika Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten - Drucksache 16/8199 Überweisungsvorschlag: Innenausschuss ({2}) Auswärtiger Ausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Tourismus Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die FDP-Fraktion sechs Minuten erhalten soll. - Dazu höre ich ebenfalls keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile dem Kollegen Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort. ({3})

Ernst Burgbacher (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003063, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer, hat es in aller Klarheit gesagt: Wir erleben den Niedergang der Privatheit. ({0}) Der Staat ist zum größten Datensammler der Republik aufgestiegen und schafft immer neue Möglichkeiten, persönliche Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und zu verwenden. Ist es zumutbar, dass für Millionen Menschen gespeichert wird, wohin sie reisen, wo sie wohnen, welches Reisebüro sie nutzen, welche Kreditkarte zur Zahlung eingesetzt wurde, wie die Kontonummer lautet, ob sie allein fliegen oder ob sie jemanden mitnehmen und wen, wie und wo sie erreichbar sind und sogar, welche Essenswünsche sie haben? ({1}) Für uns geht es schlicht zu weit, wenn jetzt auf europäischer Ebene Fluggastdaten auch noch zum Zweck der Strafverfolgung gesammelt und ausgewertet werden sollen. Damit sind alle Grenzen überschritten. ({2}) Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits das Abkommen zwischen der EU und den USA über die Weitergabe von Flugpassagierdaten als erheblichen Einschnitt in den Datenschutz kritisiert. Auch der aktuelle Vorschlag für einen Rahmenbeschluss stellt einen erheblichen Eingriff in das Grundrecht jedes Einzelnen dar, „grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. Das ist eine Formulierung aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983, in dem es das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung konkretisierte. Gerade in seinen jüngsten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht den Datenschutz gestärkt und der übermäßigen Datensammelwut in unserem Land zum Glück erneut einen Riegel vorgeschoben. ({3}) Auch der Europäische Gerichtshof hat bereits im Jahr 2000 klargestellt, dass außerhalb statistischer Zwecke ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener Daten auf Vorrat besteht. Völlig unverständlich sind für mich in diesem Zusammenhang Kommentare von Mitgliedern der Bundesregierung zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Einkassieren von Gesetzen durch das Gericht nichts Ungewöhnliches sei. ({4}) Diese Äußerungen zeugen von einem für mich unfassbaren Selbstverständnis, mit dem die Mitglieder der Bundesregierung ihre eigene Arbeit beurteilen. ({5}) Dies kann und dies darf nicht der Anspruch an die Gesetzgebung sein. ({6}) Die zu beachtende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, die Rechtsgrundlage für den Rahmenbeschluss und der Nutzen der vorgeschlagenen Maßnahmen im Hinblick auf eine Verbesserung der Terrorismusbekämpfung bestimmen den Handlungsrahmen. Der EU-Rahmenbeschluss, um den es heute geht, fällt völlig aus diesem Handlungsrahmen heraus und ist deshalb schlichtweg nicht akzeptabel. EU-Kommissar Frattini hat angekündigt, dass eine Evaluierung der Abkommen zwischen der EU und den USA sowie der EU und Kanada im Laufe des Jahres 2008 erfolgen soll. Im Hinblick darauf verstehen wir überhaupt nicht, warum der EU-Rahmenbeschluss jetzt erfolgen soll und man diese Evaluierung nicht abwartet. Wir fordern die Bundesregierung auf, dem EU-Rahmenbeschluss schlichtweg nicht zuzustimmen, bevor die Ergebnisse dieser Evaluierung vorhanden sind. ({7}) Wir ahnen, dass die Maßnahmen sich als untauglich erweisen werden. Wir haben noch kein einziges Mal belastbare Hinweise dazu bekommen, was die bisherige Flugpassagierdatenübermittlung und -speicherung für die Sicherheit eigentlich bringt. Ich freue mich sehr - das geht an die Adresse des Bundesjustizministeriums -, dass die Ministerin Frau Zypries offensichtlich ebenso denkt. Ihre Aussage, dass die Datenerfassung und -speicherung im Rahmen der PNR-Datenerfassung - Zitat - „ein zu großer Schritt hin zu einem Präventionsstaat“ sei, unterstütze ich ausdrücklich. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen, wenn Frau Zypries diese Bedenken schon zu Zeiten der rot-grünen Koalition geäußert hätte. ({8}) Aber damals war leider Pause. Es geht doch nicht an, dass sie jetzt, da der Innenminister einer anderen Fraktion angehört - auch EU-Kommissar Frattini gehört ja den Konservativen an -, ihre Bedenken äußert. Das ist unglaubwürdig. ({9}) Erstaunlich ist übrigens auch, dass die Grünen in drei Jahren eine Wandlung vom Saulus zum Paulus durchgemacht haben. Jetzt nehmen sie im Hinblick auf die Antiterrorgesetze, die von Schröder und Fischer auf europäischer Ebene vorangetrieben wurden, plötzlich eine völlig andere Position ein. ({10}) Damals hätten Sie einiges verhindern können. Aber Sie haben überall gekuscht und nichts verhindert. ({11}) - Die Grundlagen dafür wurden unter Ihrer Regierung gelegt. Das müssen Sie sich schon sagen lassen. ({12}) - Wie ich sehe, sind Sie getroffen, ({13}) und zwar zu Recht; das ist völlig klar. ({14}) Meine Damen und Herren, das Bild vom gläsernen Bürger wird immer deutlicher. Der europäische Raum der Freiheit und des Rechts entwickelt sich durch diese Maßnahmen immer mehr zu einem Raum der Überwachung. Die FDP-Bundestagsfraktion wird diesen Weg nicht mitgehen. Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger schützen, erst recht in Zeiten der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Aber nicht jede Maßnahme ist durch die Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ zu rechtfertigen. ({15}) Dies gilt national und auf europäischer Ebene. Deshalb fordere ich Sie auf: Nehmen Sie die Bedenken der Datenschützer ernst! Stimmen Sie unserem Antrag, der sehr ausgewogen ist, zu! Ich bitte Sie herzlich darum. ({16})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner. ({0})

Dr. Christoph Bergner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003505

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherheit und Freiheit, Sicherheit und Datenschutz gehören zusammen. Sie bedingen einander. Jeder Vorschlag ist daran zu messen, ob er diese beiden für ein demokratisch und rechtsstaatlich geordnetes Gemeinwesen grundlegenden Werte richtig ausbalanciert. Herr Kollege Burgbacher, es ist in der Tat so, dass der Ministerrat bereits im Jahr 2004 an die Europäische Kommission herangetreten ist und die Bitte geäußert hat, sie möge einen Rahmenbeschluss über die Verwendung von Fluggastdatensätzen, sogenannten PNR-Daten, zu Strafverfolgungszwecken vorlegen. Das war im Jahr 2004. Jetzt ist die Kommission dieser Bitte nachgekommen. Wir haben zunächst einmal festzustellen, dass die Nutzung dieser Daten ein wichtiges Instrument zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder anderer schwerer Straftaten wie organisierter Kriminalität, etwa durch retrograde Verfolgung früheren Täterverhaltens, darstellen kann. Eine EU-weite Regelung würde ermöglichen, dass sich die einzelnen mitgliedstaatlichen Behörden diese Daten einander im Bedarfsfall zur Verfügung stellen. Das Bundesministerium des Innern hat daher schon in der 15. Legislaturperiode - auch hier muss ich Wert auf den Zeitpunkt legen - die Schaffung eines gemeinsamen europäischen PNR-Systems als grundsätzlich erstrebenswert angesehen. ({0}) Die nähere Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses bedarf aber noch sorgfältiger, auch verfassungsrechtlicher Prüfung und fachlicher Erörterung, die gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Bundesregierung erfolgen. Am Ende der Verhandlungen muss ein Rahmenbeschluss stehen, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht und die datenschutzrechtlichen Standards der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten erfüllt - ich denke, daran dürfte kein Zweifel bestehen -, aber auch die Interessen betroffener Luftfahrtunternehmen angemessen wahrt. Die Kommission hat zur Erleichterung einer Prüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Vorschlages zugesagt, die Erfahrungen, die in den USA und im Vereinigten Königreich bei der Verwertung von PNRDaten gewonnen wurden, im Einzelnen darzulegen und die Wirkungsweise der im Entwurf vorgesehenen Risikoanalyse zu erläutern. Auch das steht noch aus. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort zu den sogenannten API-Daten und zur Abgrenzung dieser Daten von den PNR-Daten, um die es bei dem heute diskutierten Vorschlag der Kommission geht; die Kollegen von der FDP haben ja in ihrem Antrag auf diese Frage ausdrücklich Bezug genommen, und auch der Bundesrat hat sich hierzu geäußert. API-Daten - API steht für „Advanced Passenger Information“ - werden seit dem 1. April dieses Jahres im Zuge der Umsetzung einer EU-Richtlinie durch das Bundespolizeigesetz erhoben. Die Übermittlungspflicht des Luftfahrtunternehmens besteht nur im Einzelfall auf konkrete Anordnung der Bundespolizei bei Flügen über die Schengen-Außengrenzen in das Bundesgebiet. Die Bundespolizei wird sich hierbei zunächst auf einige wenige Flugrouten beschränken. Bei den API-Daten handelt es sich nicht wie bei den PNR-Daten um Buchungsdaten, sondern vorwiegend um Passdaten, die das Luftfahrtunternehmen aus den von Fluggästen mitgeführten Dokumenten zu erheben hat. Schließlich ist das Ziel der API-Datenerhebung die Verfolgung grenzpolizeilicher Zwecke; ermöglicht werden soll ein vorgezogener INPOL/SIS-Abgleich zwecks Fahndung und Prüfung der Einreisevoraussetzungen. Gespeichert werden die API-Daten lediglich 24 Stunden. Sie werden erkannt haben, dass hier fein unterschieden werden muss. Der Europaabgeordnete Manfred Weber, der bekanntlich der EVP-Fraktion angehört, hat kürzlich in einem Zeitungsinterview die Datensammelwut der EU kritisiert und sich dabei ausdrücklich auch auf die hier debattierte Fluggastdatensammlung bezogen. ({1}) Manche Vorschläge der Kommission auf dem Feld der Terrorismusbekämpfung griffen, so Weber, zu weitgehend in das Grundrecht des Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung ein. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, für eine verhältnismäßige Ausgestaltung dieser Vorschläge zu sorgen. ({2}) Auch wenn der Bundesrat in seinem Beschluss vom 15. Februar dieses Jahres zum PNR-Vorschlag der Kommission das Fehlen eines Gleichgewichts zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit bemängelt und vor einem erheblichen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewarnt hat, hat er zugleich das mit dem Rahmenbeschluss verfolgte Anliegen geteilt, EU-weite Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zu entwickeln. Der Bundesrat hat besonders die Absicht der Kommission unterstützt, zu diesem Zweck einheitliche Handlungsvorgaben zu erarbeiten, die ein hohes Maß an Sicherheit in den Mitgliedstaaten gewährleisten. Sie werden mir sicher zustimmen, dass der internationale Terrorismus, die organisierte Kriminalität und die illegale Migration zunehmend eine Bedrohung unserer Sicherheit darstellen. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten gerade in diesen Fragen Antworten von Europa. Niemand will dauernd in Angst um Leib und Leben, um Hab und Gut leben müssen. Der Bundesinnenminister hat daher immer wieder darauf hingewiesen, dass bei der Gestaltung und Stärkung des gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität eine herausragende Bedeutung zukommt. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Vorschlag sagen, den die Kommission am 6. November 2007 vorgelegt hat und der auf die Verhütung und Bekämpfung von terroristischen Straftaten und von Straftaten aus dem Bereich der organisierten Kriminalität ausgerichtet ist; diese Themen haben ja auch den Beitrag von Herrn Burgbacher bestimmt. Die Diskussion über die nähere Ausgestaltung des Vorschlages - unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher und rechtsstaatlicher Aspekte hat gerade erst begonnen. Die Diskussionen in den Brüsseler Gremien lassen auch in den anderen Mitgliedstaaten insbesondere zu den Fragen des Datenschutzes einen großen Diskussionsbedarf erkennen. Eine Entscheidung auf europäischer Ebene wird zudem frühestens 2009 zustande kommen. Das heißt, nach dem erwartungsgemäßen Inkrafttreten des EU-Reformvertrages wird das Europäische Parlament mitentscheidend zu beteiligen sein. Auch dadurch wird gewährleistet, dass der Vorschlag auf eine breite Grundlage gestellt wird, da er nur auf einer solchen breiten Grundlage realisiert werden kann. Meine Damen und Herren, wie ich eingangs schon sagte, gehören Sicherheit und Freiheit sowie Sicherheit und Datenschutz zusammen; sie bedingen einander. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nur versichern, dass wir uns auf europäischer Ebene mit Nachdruck für einen Rahmenbeschluss einsetzen werden, durch den das Gleichgewicht zwischen Sicherheits- und Datenschutzinteressen gewahrt wird. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jan Korte spricht jetzt für die Fraktion Die Linke. ({0})

Jan Korte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003790, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann, was nicht oft vorkommt, direkt bei Staatssekretär Bergner anfangen und möchte noch einmal kurz auf das zitierte Interview des EVP-Kollegen Manfred Weber eingehen. Herr Bergner, um ganz genau zu sein: Er ist Mitglied der CSU. Die Süddeutsche Zeitung fragte ihn - ich zitiere -: Ist Innenminister Wolfgang Schäuble zu willfährig gegenüber der EU? Im Gegensatz zu seiner Kollegin Brigitte Zypries hat er sich mit keinem Wort gegen die Vorschläge Frattinis gewandt. Antwort von Manfred Weber, CSU - man kann es nicht oft genug betonen -: Schäuble und Zypries sind beide in der Pflicht. Frattini - das ist übrigens ein Kumpel von Berlusconi, für den er gerade Wahlkampf macht; das ist aber ein anderes Thema kann nur vorschlagen, beschließen müssen die Innen- und Justizminister der EU-Länder. Auch Zypries muss sich fragen lassen, warum sie die vielen Beschlüsse im Rat zur Datensammlung bisher mitgetragen hat. Die deutsche Regierung muss sich gegen die EU-Vorschläge in der jetzigen Form wenden. Sie sind unverhältnismäßig. ({0}) Das sagt Manfred Weber von der CSU. Als geneigter, konstruktiver Oppositionspolitiker fragt man sich natürlich, wie schlimm eigentlich die Situation der Bürgerrechte in Europa und der Bundesrepublik ist, wenn das jetzt schon ein CSU-Europaabgeordneter sagt. ({1}) Wir sind schon so weit gekommen, dass wir jetzt mit der CSU eine Front für die Bürgerrechte aufbauen müssen. Ich finde, das ist mehr als bedenklich. ({2}) Worum geht es? Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir diese Frage hier diskutieren. Vor kurzem haben wir über das Abkommen mit den USA hinsichtlich der Fluggastdatenübermittlung gesprochen. Seit Vereinbarung dieser Fluggastdatenübermittlungen gab es mehrere wirklich skandalöse und schlimme Einzelfälle, bei denen völlig unschuldige Leute aufgrund dieser Fluggastdatenübermittlungen in die Mühlen der US-Geheimdienste geraten sind. Ich finde, auch das müsste uns zu denken geben. Mehr Sicherheit vor Anschlägen hat es nicht gegeben. Das ist zumindest nirgendwo zu lesen - auch nicht auf Anfragen hin. ({3}) Der eigentliche Skandal ist, dass nicht nur die Fluggastdaten von irgendwelchen Menschen, die sich verdächtig gemacht haben oder gegen die ermittelt wird, gespeichert werden sollen, sondern von allen Bürgerinnen und Bürgern in der Europäischen Union, und zwar ohne jeden Tatverdacht. Das ist der Paradigmenwechsel. Das kann doch nicht sein und ist nicht hinnehmbar. Ganz praktisch bedeutet das, dass die 19 Datensätze - darunter E-Mail - Anschrift, Telefonnummer, Kreditkartennummer, Hotel- und Mietwagenbuchungen - nicht nur für ein halbes Jahr - ich weiß nicht, was dort gerade sonst noch diskutiert wird -, sondern, wie vorgesehen, für 13 Jahre gespeichert werden. Was bedeutet das ganz praktisch? Das bedeutet ganz praktisch beispielsweise, dass die Dienste oder andere Ermittlungsbehörden voll und lückenlos alles nachvollziehen können: den Gang ins Reisebüro, wenn ich buche, den Beginn meiner Reise, wohin in fliege, in welches Hotel ich gehe, ob ich einen Mietwagen miete usw. Es kann doch wohl nicht im Sinne einer demokratischen Europäischen Union sein, dass so etwas lückenlos nachvollzogen werden kann. Das kann nicht sein, und es geht im Übrigen niemanden etwas an, wohin ich fahre und wo ich Urlaub mache. ({4}) Verehrte Kollegin Stokar, man muss deutlich sagen: Das war übrigens auch schon eine Strategie von Innenminister Schily. ({5}) Auch bei den Ausweispapieren mit biometrischen Daten haben diese und auch die letzte Bundesregierung die Europäische Union dazu benutzt, massive Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten auf der europäischen Ebene anzuleiern, weil sie sie im einfachen Verfahren hier in der Bundesrepublik nicht durchbringen konnten. ({6}) Insofern wird hier über Bande gespielt. Genau das Gegenteil von dem, was Sie eben ausgeführt haben, lieber Staatssekretär Bergner, ist der Fall. Auch die Linke würde sich freuen, wenn die Bundesregierung das Gegenteil tun würde, nämlich auch auf europäischer Ebene zu versuchen, einen hohen Datenschutzstandard zu erreichen und die Grund- und Freiheitsrechte zu wahren. Das wünschen wir uns, und das würden wir auch sofort unterstützen. ({7}) Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung. Das gesamte Ausmaß auch dieser Maßnahme wird erst dann deutlich, wenn man die Vorratsdatenspeicherung, die auch auf europäischer Ebene initiiert wurde, die biometrischen Merkmale, den Austausch von Gendateien und vor allem alle technischen Möglichkeiten, diese Dateien miteinander zu verbinden, mitberücksichtigt. Das ist ein wahres Panoptikum hin zu einem autoritären Überwachungsstaat in Europa, den wir nicht wollen. ({8}) Deshalb werden wir weiter dagegen Krawall schlagen. Schönen Dank. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Wolfgang Gunkel hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Wolfgang Gunkel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003762, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute erneut über die PNR-Daten, die sogenannten Fluggastdaten. Diesmal steht jedoch kein Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sondern der Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates zur Diskussion. Dieser sieht vor, die Fluggastdaten aller Reisenden zwischen Europa und den Nicht-EU-Staaten auf Vorrat in Datenbänken zu erfassen, sie zur Strafverfolgung von Terrorismus sowie organisierter Kriminalität auszuwerten und 13 Jahre lang zu speichern, und zwar ohne dass gegen die Flugreisenden der Verdacht einer Straftat oder ein Gefahrenverdacht vorliegen muss. 19 Datensätze wie Name, Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift, Beteiligung an Vielflieger-Bonusprogrammen, Hotel- oder Mietwagenbuchungen und vieles mehr sollen erfasst, gespeichert und ausgewertet werden. Dies geht weit über das hinaus, was man für eine ordnungsgemäße Strafverfolgung benötigt, weil es sich um Daten handelt, die den persönlichen Bereich der Betroffenen berühren. Die heute vorliegenden Anträge der FDP und der Grünen stützen sich im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 2008, in der einige Punkte kritisiert werden. Erstens sieht der Bundesrat das in letzter Zeit viel diskutierte Verhältnis zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht in ausreichendem Gleichgewicht. Zweitens stellt die Erhebung der PNR-Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1983 wurde bereits von dem Kollegen Burgbacher erwähnt. Drittens wird gegen eines der Grundprinzipien des Datenschutzes verstoßen: Der Grundsatz der Zweckbindung wird nicht gewahrt. Danach dürfen personenbezogene Daten nur für bereichsspezifisch und präzise festgelegte Zwecke gespeichert und im Rahmen dieser Zwecke verwendet werden. Viertens rügt der Bundesrat, dass die Speicherungsdauer von 13 Jahren die in Deutschland allgemein übliche Regelfrist für polizeiliche Speicherungen weit überschreitet. Damit wird sie als unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen. Diese vom Bundesrat vorgetragenen Punkte sind von erheblicher Bedeutung, da die CDU/CSU dort bekanntlich mit elf Ministerpräsidenten vertreten ist. Man kann also nicht davon sprechen, dass dies ausschließlich auf SPD-Regierungen zurückzuführen ist. Der Vorschlag für den Rahmenbeschluss enthält außerdem keine Möglichkeit für die betroffenen Bürger, Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten sowie zur Berichtigung oder Löschung falscher oder fehlerhaft übermittelter Daten zu erlangen. Auch das ist ein Manko, das den Datenschutzbestimmungen kaum entsprechen dürfte. Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Vorschlags ist, dass ein Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus für alle in Europa von großer Bedeutung ist, wenn die im Schengener Abkommen festgesetzten Grenzen wegfallen. Herr Staatssekretär Dr. Bergner hat bereits die APIDateien erwähnt, die von der Bundespolizei zur Grenzsicherung erhoben werden. Diese API-Dateien sind - auch darauf hat er hingewiesen - am 1. April dieses Jahres in Kraft gesetzt worden. Damit ist nach vierjähriger Dauer die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden. In der API-Datei sind folgende Daten enthalten: Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Nummer und Art des mitgeführten Reisedokuments, Nummer und ausstellender Staat des erforderlichen Aufenthaltstitels oder Flughafentransitvisums, die für die Einreise in das Bundesgebiet vorgesehene Grenzübergangsstelle, die Flugnummer, die planmäßige Abflugs- und Ankunftszeit, der ursprüngliche Abflugsort sowie die gebuchte Flugroute, soweit sie sich aus den vorgelegten oder vorhandenen Buchungsunterlagen ergibt. Das ist doch schon allerhand. Anhand dieser erfassten Daten kann man sehr wohl nachvollziehen, ob sich Leute in der EU illegal bewegen und ob sie möglicherweise etwas Böses im Schilde führen. Die Daten werden nach 24 Stunden gelöscht. Das entspricht den Vorschriften, die man üblicherweise zu beachten hat, wenn gegen die Betreffenden nichts weiter vorliegt. ({0}) In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass der sogenannte Frattini-Vorschlag dazu dient, das Ganze ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments zu beschleunigen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon beim Abkommen über die PNR-Fluggastdaten mit den Vereinigten Staaten große Bauchschmerzen. Aber es gab keinen anderen Weg, wenn man nicht den Verlust des Datenschutzes riskieren wollte. Das haben wir im Falle der USA mit Mühe und Not hingenommen, weil es keine Alternative gab. Hier gibt es aber eine Alternative. Sie besteht darin, den Frattini-Vorschlag in nächster Zeit außer Kraft zu setzen, indem man im Rahmen der EU weiterverhandelt. Wie ich auf der Arbeitsebene erfahren habe, will das Bundesministerium des Innern auch so verfahren. Es gibt also Hoffnung, dass das in dieser Form nicht verabschiedet wird. ({1}) Ich sage zu Ihrer Ehrenrettung: Das ist auch korrekt. Das darf man dabei nicht vergessen. Auf diese Art und Weise wird es ein wenig Bewegung geben, zumal der Vertrag von Lissabon am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Dann wird das Europäische Parlament weitaus mehr Rechte erhalten. Wenn es sich dann mit diesem Thema erneut befasst, wird es mit Sicherheit einen anderen Rahmenbeschluss geben. Es bleibt festzuhalten: Herr Frattini, der nach meiner Meinung mit seinen Maßnahmen sehr weit danebenliegt, hat nicht nur die Überwachung von Flugpassagieren gefordert, sondern auch die Erfassung der Daten von Schiffsreisenden und Zugreisenden. ({2}) Wenn man das alles erfassen will, hat man einen Datenmoloch. Ich frage mich, warum wir den Schengen-Raum überhaupt erweitert haben, wenn wir quasi durch die Hintertür die Grenzen ziehen wollen, die wir gerade vorne abgebaut haben. ({3}) Ich kann mich dem Vorschlag des Rates in dieser Form nicht anschließen. Ich habe Verständnis für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP- und der Grünen-Fraktion, die jeweils Anträge eingebracht haben. Allerdings kommen diese Anträge ein wenig zu früh, da eine Entscheidung darüber aller Wahrscheinlichkeit nach in dieser Legislaturperiode nicht mehr fallen wird. Ich hoffe, dass es spätestens Ende 2009 einen anderen Vorschlag gibt. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Gunkel, als wir unseren Antrag eingebracht haben, saß Bundesinnenminister Schäuble neben Herrn Frattini und hat dessen Vorschläge und den Rahmenbeschluss auf dem 11. Europäischen Polizeikongress vehement begrüßt. Es war interessant, die Mimik der beiden zu sehen, als dann die Bundesjustizministerin Zypries in aller Deutlichkeit sagte - ich finde, das war sehr mutig und richtig -, dass dieser Rahmenbeschluss sowohl gegen nationales als auch gegen europäisches Recht verstößt und dass er nun wahrlich alle Grenzen des Machbaren in Europa überschreitet. Auch heute ist es interessant. Die CDU/CSU-Fraktion hat Ihrer netten Rede zugehört, brummelt vor sich hin und verzichtet auf einen Debattenbeitrag. Sie können aber auch nichts anderes machen, als die Segel zu streichen und zu sagen: Ja, es ist richtig; wir werden es nicht durchsetzen. Der ursprüngliche Zeitplan sah aber anders aus. Es ist im Innenausschuss noch gesagt worden, dass Bundesinnenminister Schäuble, genau bevor der Vertrag von Lissabon in Kraft tritt, aus der Macht der Exekutive heraus unter Umgehung der Parlamente diesen ungehörigen EU-Rahmenbeschluss gemeinsam mit Frattini durchsetzen wollte. Zum Glück ist er von Kritikern aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern gestoppt worden. ({0}) Ich möchte auch etwas zu der 15. Legislaturperiode sagen. Da besteht doch ein Unterschied. Wir befanden uns in der Situation - ich habe das sehr bedauert -, dass wir damals keinen Vertrag von Lissabon hatten. Man sprach damals noch von der EU-Verfassung. ({1}) Ich war doch damals nicht Bundesinnenminister Schily. ({2}) Wir Grüne haben doch ständig Kritik am Koalitionspartner geübt, weil in einer demokratiefeindlichen Art und Weise Beschlüsse gefällt worden sind, und zwar unter Umgehung nationaler Parlamente und unter Umgehung des Europäischen Parlaments. Das war kein guter Zustand ({3}) für die Demokratie in Deutschland. Genau das - das können Sie nachlesen - habe ich auch damals gesagt. ({4}) Herr Burgbacher, die FDP spielt sich hier als Hort der Bürgerrechte auf. ({5}) Ich möchte Sie einfach nur einmal daran erinnern, dass wir bei der Frage der Onlinedurchsuchung die köstliche Situation hatten, dass der altgediente Herr Baum von der FDP, der in Ihrer Partei keine Rolle mehr spielt - Bürgerrechte spielen in Ihrer Partei schon lange keine Rolle mehr, wenn Sie in der Regierung sind -, ({6}) gegen Innenminister Wolf geklagt hat, der verantwortlich für die verfassungswidrige Regelung zur Onlinedurchsuchung war. ({7}) Auch in Niedersachsen hat die FDP geschwiegen, als Bestimmungen über eine verfassungswidrige Telefonüberwachung das Parlament passierten. Also tun Sie hier bitte nicht so, als wäre nicht die FDP, wenn sie in Regierungsverantwortung ist, die Partei, die die meisten verfassungswidrigen Gesetze in den Ländern - in NRW, in Niedersachsen - in den vergangenen Jahren hat durchgehen lassen. ({8}) Zu den EU-Fluggastdaten ist hier genügend gesagt worden. Ich möchte nur, damit sich die Bürger einen Begriff davon machen können, worum es geht, erwähnen, dass geplant ist, für jeden, der in die EU reist und aus der EU ausreist, eine Risikoanalyse zu machen und ein Reiseprofil zu erstellen. In der Konsequenz bedeutet das - so ist es in den USA schon heute -, dass Menschen auf No-Flight-Listen gesetzt werden und die Dateien der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste über die Reisefreiheit entscheiden. Eine solche Situation möchte ich hier in Europa wahrlich nicht haben. Danke schön. ({9})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt spricht der Kollege Gert Winkelmeier. ({0})

Gert Winkelmeier (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003864, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sag mir, wo du wohnst, ({0}) sag mir, wohin du fliegst, sag mir, was du während deines Fluges isst - Sie wollen genau das -, sagen Sie mir auch, wer Sie vom Flughafen abholt. Ach ja, meine Kreditkartennummer könnt ihr selbstverständlich auch noch haben. Wozu denn diese Geheimniskrämerei? Schließlich habe ich mir nichts vorzuwerfen - das sind Ihre Argumente -, also kann mir auch nichts Schlimmes passieren. Das hat der zuständige EU-Kommissar Franco Frattini allen Ernstes ausgesprochen. Ich zitiere: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten. Mich beunruhigt überhaupt nicht, wenn meine Daten den Behörden zur Verfügung gestellt werden. Das ist zitiert nach faz.net vom 6. Dezember 2007. Ich frage mich, warum Sie in der ersten Reihe sich so beunruhigen. Ähnliches haben wir schon von unserem Innenminister zu hören bekommen. 19 verschiedene Angaben sollen laut Herrn Frattinis Entwurf künftig von jedem Fluggast gespeichert werden, der die EU-Grenzen verlässt, und das für eine Dauer von 13 Jahren. Mich beunruhigt das ganz gewaltig. Zum Glück scheine ich in der Bundesjustizministerin eine Verbündete in meiner Beunruhigung gefunden zu haben. Überhaupt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es immer mehr Menschen, sogar Politikerinnen und Politiker dieses Hohen Hauses gibt, die der Datensammelwut deutlich skeptischer gegenüberstehen als noch vor Jahren; Sie mögen da eine Ausnahme sein. Diese Skepsis mag auch an dem Ausmaß liegen, das die Datensammelwut bis jetzt angenommen hat. Selbst aus den Reihen der Union mehren sich die kritischen Stimmen; darauf ist hier zweimal hingewiesen worden. Der CSU-Europaabgeordnete Weber sagte gestern in der taz - ich zitiere -: Aber in diesem Fall lautet die Kernfrage, ob es verhältnismäßig ist, eine solche Menge an persönlichen Daten über 13 Jahre lang zu speichern. Zudem zieht er auch in Zweifel, dass diese ausufernde Datensammlung im Endeffekt wirklich etwas bringt. Ich sage: Dieser Mann hat recht. Es gibt keine stichhaltigen Belege dafür, dass die Fluggastdatenspeicherung umfangreiche Erfolge bringt. Deshalb wäre es zumindest angemessen, abzuwarten, ob sich nennenswerte Ermittlungsergebnisse einstellen. Das bezweifele ich nämlich sehr. Es stellt sich hier eher die ganz prinzipielle Frage, ob es mit der bundesdeutschen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention überhaupt vereinbar ist, dass derart sensible Daten ohne jeglichen Verdacht gesammelt werden. Ich gehe - gerade nach den letzten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu etwaigen vorgeblichen „Sicherheitsgesetzen“ - davon aus, dass das Ansinnen der Herren Schäuble und Frattini unvereinbar ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es kann nicht angehen, dass dieses Land zu einem Präventionsstaat verkommt, der seine Bürgerinnen und Bürger überwacht, kontrolliert und ihre Daten abspeichert, ohne dass irgendein Straftatvorwurf gegen sie vorliegt. Was noch schlimmer ist: Präventiv werden auch Daten von Dritten gespeichert, die mit der eigentlichen Reisetätigkeit überhaupt nichts zu tun haben, daran also völlig unbeteiligt sind. Der Deutsche Bundestag muss das Ansinnen von Herrn Frattini, das von Herrn Schäuble unterstützt wird, klar ablehnen. Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/8115 und 16/8199 sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Drucksache 16/7686 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union ({0}) - Drucksache 16/8533 Berichterstattung: Abgeordnete Helmut Lamp Hans Eichel Michael Link ({1}) Rainder Steenblock Es ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort dem Kollegen Axel Schäfer für die SPD-Fraktion. ({2})

Axel Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003624, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ratifizierung des EU-Eigenmittelbeschlusses ist Angelegenheit unseres nationalen Parlaments, des Deutschen Bundestags. An dieser Stelle wird auch deutlich, dass wir in dieser Europäischen Gemeinschaft in Zukunft eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen haben, und das tun wir heute. Für uns ist das ein wichtiger Tag. Es ist faktisch der Abschluss der deutschen Ratspräsidentschaft. In dieser Präsidentschaft haben wir einen Kompromiss zustande gebracht, der jetzt umgesetzt wird. Es handelt sich um einen Kompromiss, der von allen 27 EU-Staaten getragen wird und der Deutschlands Haushalt um 1 Milliarde Euro entlastet. Das ist ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft; das ist auch ein Erfolg dieser Regierungskoalition. ({0}) Wir wissen, dass in der Zukunft zugleich darüber diskutiert werden muss, wie es auf der einen Seite mit den Einnahmen und auf der anderen mit den Ausgaben aussieht. Was die Einnahmeseite angeht, stellt sich die Frage: Schaffen wir tatsächlich ein hohes Maß an Gerechtigkeit und ein transparenteres System, oder verharren wir in einer Situation, in der bestenfalls noch Fachleute etwas verstehen, etwa weil es um Rabatte oder um Rabatte von Rabatten geht? Auf der Ausgabenseite, auf der Europa ganz überwiegend Struktur- und Agrarpolitik betreibt, werden die Subventionen mit den Aspekten Gerechtigkeit und natürlich auch Nachhaltigkeit verbunden. Was wir jetzt machen, bezieht sich auf die Periode bis 2013. Zu Recht hat die EU-Kommission eine Überprüfung angesetzt, wie damit in der nächsten Finanzierungsperiode 2014 bis 2018 - sie wird nur fünf Jahre lang sein umgegangen werden sollte. Die SPD-Bundestagsfraktion hat gestern dazu einen Beschluss gefasst, den ich den geschätzten Kolleginnen und Kollegen des Hauses zur Lektüre empfehle, weil er wirklich wegweisend ist. Wir heben dort nämlich auf drei zentrale Punkte ab: Wir brauchen eine weitere Reform der gemeinsamen Agrarpolitik - dies wird sicherlich im Mittelpunkt stehen -, eine Abschaffung des Britenrabattes, also mehr Gerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit, und letztlich eine Stärkung des europäischen Eigenmittelsystems. Wer mit Blick auf Europa über Zahlen und Preise redet, muss sie auch kennen. Der Bundeshaushalt hat ein Volumen von 283 Milliarden Euro, der europäische Haushalt nur von 129 Milliarden Euro pro Jahr. Daran wird die Relation dessen klar, was wir in Europa können und was wir auf nationaler Ebene tun müssen. Dabei ist uns folgender Punkt wichtig: Der Parlamentarismus in Europa steht heute auf der Tagesordnung, nicht zuletzt wegen der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon. Dazu gehört auch das alte parlamentarische Selbstverständnis, das noch aus der glorreichen amerikanischen Revolution von 1776 resultiert: „no taxation without representation“, auf Deutsch: keine Steuererhebung, wenn nicht zuvor die Volksvertretung damit befasst war. Nun sind wir in Europa in einer etwas anderen Situation. Wir haben ein Europäisches Parlament, das zu Recht argumentiert: „no representation without taxation“, das also die Frage stellt, wie es mit einer eigenen europäischen Steuer aussieht. Ich sage es hier ganz offen: Niemand, weder die Kommission noch, wie ich vermute, eine der beteiligten Parteien, hat bisher eine Lösung für dieses Problem gefunden, die mehr Gerechtigkeit schafft und zugleich dem heute leider noch üblichen Steuerwettbewerb zwischen Nationalstaaten entgegenwirkt, der dazu führt, dass große Unternehmen versuchen, an der Schraube so lange zu drehen, bis immer weniger Steuern fließen, wodurch auch der europäische Wohlfahrtsstaat, auf den wir alle aufbauen, infrage gestellt wird. Dieser Aufgabe werden wir uns stellen müssen; die SPD hat sich in ihrem Grundsatzprogramm gerade dazu verpflichtet. Dies wird nicht nur von der SPD, sondern von uns allen geleistet werden müssen; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen hier vor einer doppelten Aufgabenstellung: Mit der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon stärken wir den Deutschen Bundestag in seinen europäischen Rechten und Pflichten zugleich. Wir müssen also aus deutscher Sicht auf diese europäische Finanzfrage eine Antwort geben, weil auch nach Lissabon diese Dinge noch der Ratifizierung hier bedürfen. Entscheidungen über Steuern verbleiben beim Prinzip der Einstimmigkeit. Das heißt für uns alle, soweit wir in Europa gemeinsam Verantwortung tragen wollen, was wir in der nächsten Woche hier sicherlich auch zeigen werden, dass dies in unseren europäischen Parteifamilien eine wichtige Aufgabenstellung sein wird. Deshalb sage ich bei dieser europäischen Finanzdebatte heute: Machen wir uns an die Arbeit! Vielen Dank. ({1})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Michael Link hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion. ({0})

Michael Link (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003802, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Heute, zwei Jahre und zwei Monate nachdem sich die Staatsund Regierungschefs in Brüssel in nächtlicher Sitzung auf die Eckpunkte der Finanziellen Vorausschau geeinigt haben, kommen wir endlich zur Ratifizierung und setzen das um, was damals beschlossen wurde. Wenn ich „endlich“ sage, dann nicht, weil ich es nicht erwarten konnte und es fantastisch fand, sondern weil ich damit darauf hinweisen will, dass wir ein legitimatorisches Problem haben. Wir entscheiden über erhebliche Beträge. Wenn wir den deutschen Beitrag auf sieben Jahre hochrechnen, dann stellen wir fest, dass es sich um über 172 Milliarden Euro handelt. Diese Summe ratifizieren wir auf einen Schlag - ex post. Wir wissen doch alle, dass wir die Entscheidung de facto nur abnicken können, dass wir heute de jure zustimmen müssen. Damit meine ich nicht etwas Despektierliches, sondern ich frage mich, wie wir etwas im Nachhinein ändern können, was schon in Kraft ist. Formal wird es natürlich rückwirkend in Kraft gesetzt, aber auf der Ausgabenseite ist es bereits wirksam. Wir dürfen nicht vergessen, dass sämtliche Förderprogramme auf der Ausgabenseite bereits laufen; das haben wir als Finanzielle Vorausschau beschlossen. Wir beschließen heute im Nachhinein über die Einnahmeseite. Das passt doch nicht zusammen. Deshalb hat Kollege Schäfer völlig recht, wenn er sagt: Wir müssen als Bundestag unsere Rechte ernster nehmen. Wir können das jetzt, und das sollte unser Anspruch an uns sein. ({0}) Wir können das, weil wir jetzt - im Gegensatz zu früher nach Art. 23 Abs. 3 GG tatsächlich Stellungnahmen abgeben können, die unsere Minister mandatieren, bevor haushaltswirksame Entscheidungen in Brüssel getroffen werden. Dazu muss es wirklich kommen - das ist die Forderung, die wir als FDP erheben -: Europäische Haushaltsbeschlüsse - bei der Einnahmeseite und indirekt auch bei der Ausgabenseite sind wir als Bundestag voll im Boot müssen wir genauso ernst behandeln, als wenn es sich um einen Einzelplan im Bundeshaushalt handeln würde. Das ist der Anspruch, den wir an uns selbst haben müssen. Wenn unser EU-Beitrag ein Einzelplan wäre, wäre es der fünftgrößte im Bundeshaushalt. Wir ratifizieren ohne wirkliche, streitige Diskussionen auf einmal im Nachhinein für sieben Jahre. Wir können es heute - das stelle ich fest - leider eben nur abnicken. Wir sind nicht wirklich dagegen; auch die FDP ist für eine solide finanzierte Europäische Union und auch eine gut finanzierte Europäische Union. Wie soll man aber heute noch Nein sagen und etwas an einem Beschluss ändern, den die Exekutive quasi freihändig verhandelt hat? Es gibt Schatten, aber auch Licht, das heißt positive Aspekte bei diesem Beschluss. Das BMF und auch die Bundeskanzlerin haben ausgehandelt, dass wir unter dem Strich durchaus etwas weniger bezahlen. Dies geschieht aber nicht durch Reformen, sondern durch neue Rabatte, Sonderzahlungen und Tauschgeschäfte hin und her. Das ist nicht die Art von Transparenz auf der Einnahmeseite, die wir haben wollen. ({1}) Wir wollen nicht Rabatte hin und her, sondern ein transparentes und gerechtes Einnahme- bzw. Finanzierungssystem der EU, das den einzelnen Mitgliedstaaten die Möglichkeit gibt, nach ihrer Leistungskraft zu den Eigenmitteln der EU beizutragen. Für uns ist ganz klar: Mit dem Eigenmittelbeschluss, den wir heute ratifizieren, wird sehr kurz gesprungen. Im Prinzip werden wieder nur Tausch- und Koppelgeschäfte gemacht. Die Rabatte sind schon angesprochen worden. Dass auch Deutschland einen massiven Rabatt erhält - darüber hinaus die Niederlande, Schweden, Österreich, also eben nicht nur Großbritannien -, sei hier nur erwähnt. Wir als Deutsche sparen bei den Mehrwertsteuerabführungen noch einmal ordentlich. Aber das sind ebenfalls Geschäfte und Gegengeschäfte. Wir brauchen in der Bundesrepublik, aber auch in den anderen Mitgliedsländern eine Beitragszahlung, die an das Bruttonationaleinkommen gekoppelt ist. Notwendig ist der Verzicht auf die Mehrwertsteuerabführungen. Das ließe einen verzerrungsfreien Haushalt auf der Einnahmeseite zu. Dafür, dass es in diese Richtung geht, werden wir uns als Liberale bei der anstehenden Finanzrevision einsetzen. Wenn ich sage, dass wir uns als Liberale dafür einsetzen werden, dann meine ich die Liberalen in Berlin und in Brüssel. Von den Kollegen der SPD und in dem Fall sogar von der CDU/CSU im Haushaltsausschuss höre ich, dass man gegen eine EU-Steuer ist. Gleichzeitig höre ich aus der EVP, auch von deutschen Abgeordneten, Stimmen dafür. Nun ist innerparteilicher Pluralismus sicherlich nichts Schlechtes, aber hier geht es um eine Position, zu der wir klar sagen müssen, was wir wollen. Wir als FDP sagen klar, dass eine EU-Steuer zur Erzielung von Einnahmen kein Fortschritt wäre, dass sie im Hinblick auf die Probleme der Intransparenz und Kompliziertheit der Verhandlungen nichts brächte; im Gegenteil. Die Nettozahlerdebatte bekämen wir dadurch nicht vom Tisch. Die Nettozahlerdebatte bekommen wir nur vom Tisch, wenn wir beim Subventionsdschungel aufräumen und nicht weiter einen Großteil des EUHaushalts in den Agrar- und Strukturfonds vergraben. Wir als FDP sind nicht gegen Solidarität. Die ist im EU-Vertrag enthalten und soll auch dort enthalten bleiben. Dazu stehen wir. Wenn aber die Länder oder die Empfänger von Struktur- und Kohäsionsfonds die Mittel oft nicht dazu benutzen, sich von den Subventionen unabhängig zu machen, dann wird Solidarität pervertiert. Aus unserer Sicht muss zu einem wirklich guten und neuen Eigenmittelbeschluss in Zukunft dazugehören, dass Struktur- und Kohäsionsfonds auf europäischer Ebene befristet sein müssen und dass Empfänger von Subventionen auf europäischer Ebene nicht dauerhaft Michael Link ({2}) gefördert werden können. Das fordern wir. Die Haushaltsrevision steht nächstes Jahr mit ersten Entscheidungen an. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diesen Einstieg müssen wir machen. Sonst werden wir weiterhin 80 Prozent des EU-Haushalts für Subventionen ausgeben. ({3}) - Ja, das ist sicherlich schwierig, Herr Steenblock. Ohne große und klare Ziele kommen wir hier aber nicht weiter. Wie aktuell die Gefahr einer bevorstehenden EU-Steuer im Übrigen ist, weist nicht nur Ihr Parteiprogramm auf. Ich verstehe durchaus Ihr Anliegen. Ich glaube nur nicht, dass es ein tauglicher Weg zum Ziel transparenter EUFinanzen ist. Vorgestern hat die französische Ministerin für Wirtschaft und Finanzen erklärt, dass ein Hauptziel der französischen Präsidentschaft sei, während der französischen Präsidentschaft nicht nur eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer zu erreichen, sondern bereits den Einstieg in einen Hebesatz der EU am nationalen Körperschaftsteuereinkommen, der dann vom Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen werden solle. Das ist der Einstieg in die EU-Steuer. Wenn wir damit anfangen, dann wünsche ich viel Spaß dabei. Das führt nicht zu mehr Transparenz. Das führt genau in die falsche Richtung. Kolleginnen und Kollegen, die FDP wird sich heute bei diesem Eigenmittelbeschluss enthalten. Dieser Eigenmittelbeschluss birgt sicherlich auch einige Fortschritte, aber hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts können wir so keinen Blankoscheck erteilen. Die Bundesregierung wird uns aber immer an ihrer Seite haben, wenn es darum geht, den Haushalt wirklich konsequent zu reformieren, und zwar in einer Art und Weise, die den Steuerzahler nicht belastet, sondern die ihn entlastet. Vielen Dank. ({4})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege Helmut Lamp. ({0})

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege von der FDP hat gerade eben gesagt, wir seien heute nur zum Abnicken eines Gesetzentwurfes hier. Dazu muss ich sagen: Wir nicken nicht ab, sondern wir stehen voller Überzeugung und aus ganzem Herzen zu diesem Gesetzentwurf. Dieser Gesetzentwurf verdient es nicht, dass man ihn marginalisiert. Denn wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass wir heute über einen solchen Gesetzentwurf mit diesen Ergebnissen abstimmen können? ({0}) Sie hören schon, dass die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf aus ganzem Herzen zustimmen wird. Das heute zu beschließende neue Eigenmittelsystem der EU ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen Eigenmittelbeschluss aus dem Jahr 2000. Der heutige Beschluss hat das Ziel, das Finanzregime der Europäischen Union von 2007 bis 2013 zu reformieren und eine gerechtere Verteilung der Lasten innerhalb der Europäischen Union zu erreichen. Ich denke, dass die gerechtere Verteilung der Lasten mit dem Ziel, dass kein Mitgliedstaat - gemessen am relativen Wohlstand - unangemessen hohe Haushaltsbelastungen zu schultern hat, ein ganzes Stück vorangekommen ist. Basis des jetzigen Eigenmittelbeschlusses sind die Ergebnisse der sehr erfolgreichen Tagung des Europäischen Rats im Dezember 2005, bei dem die damals gerade frisch ins Amt gewählte Bundeskanzlerin Angela Merkel ein andauerndes Gefeilsche um die Mittelverteilung durch geschicktes Verhandeln hat beenden können. Die Kontroversen zwischen den Franzosen und den Briten über die gemeinsame Agrarpolitik und über den Rabatt für Großbritannien wurden durch geschickte Kompromissvorschläge der Kanzlerin entschärft. Natürlich sind wir mit dem Verhandlungsergebnis insofern nicht zufrieden, als - wie die FDP sagt - alle Rabatte hätten abgeräumt werden müssen. Das war offensichtlich nicht zu erreichen. Wir sind aber ein großes Stück weitergekommen. Die sechs großen Nettozahler der Union, Deutschland, Frankreich, England, die Niederlande, Schweden und Österreich, erhalten einen Ausgleich bei der Zahlung der Eigenmittel. Ganz wichtig ist auch: Wir haben den Finanzrahmen auf 1 Prozent es Bruttonationaleinkommens begrenzen können. Das sind gut 864 Milliarden Euro und nicht, wie ursprünglich von der Kommission geplant, über 1 000 Milliarden Euro, genau 1 025 Milliarden Euro. Unter dem Strich überweist die Bundesregierung durchschnittlich 1 Milliarde Euro pro Jahr weniger an die EU. Das ist ein tolles Ergebnis für uns, insbesondere auch mit Blick auf unsere Bemühungen um die Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Das Ungleichgewicht in der Belastung bei den Nettozahlern wurde deutlich reduziert. Italien und Frankreich sind nämlich verpflichtet worden, deutlich mehr zum EU-Haushalt beizusteuern. Ihr Nettohaushaltsbeitrag wurde erhöht, und der deutsche Beitrag ist dementsprechend angepasst worden. In diesem Kontext - ich habe das schon erwähnt - ist es unbefriedigend, dass der Beitragsrabatt der Briten, den Margaret Thatcher 1984 mit der berüchtigten Forderung: „I want my money back!“ durchgedrückt hatte, nicht noch weiter abgeschmolzen werden konnte. Aber die Absenkung der Beitragskorrektur für Großbritannien, immerhin bis zu einem Betrag von 10,5 Milliarden Euro bis 2013, können wir wohl schon als einen Einstieg in den Ausstieg aus dem Britenrabatt ansehen. ({1}) Ich sehe den Kompromiss, der hier erreicht wurde und der so in dieser Form gar nicht erwartet wurde, durchaus als einen Einstieg in eine künftig gerechtere Beitragsregelung. Hierbei wird es darum gehen - wie der FDP-Kollege es hier angedeutet hat -, das Beitragssystem zu verbessern und mehr Licht in das Dunkel einzelner Sondervorteile zu bringen, um sie dann abzuschmelzen. Wie soll es weitergehen? Das derzeitige Finanzsystem der EU steht auf dem Prüfstand. Bis Mitte des Monats werden dazu erste Vorschläge von den Mitgliedstaaten erwartet. Hierzu möchte ich einige grundsätzliche Gedanken äußern. Das neue, erweiterte Vertragswerk, nämlich der Vertrag von Lissabon, der ja gestern von Österreich ratifiziert wurde und mit dem wir uns ja auch bald wieder beschäftigen werden, ({2}) eröffnet erstmals die Chance, die europäische Teilung zu überwinden und nunmehr alle 27 Mitgliedstaaten für die zukünftigen Herausforderungen fit zu machen. In der künftigen Finanzierungsplanung sollten vorrangig Mittel für die Bewältigung der künftigen Herausforderungen und Aufgaben eingestellt werden. Die Gründerväter der EU ({3}) wussten ja noch nichts von Klimaveränderungen, von der globalen Vernetzung, von den Gefahren des Terrorismus und von den demografischen Problemen. China und Indien waren zu der Zeit, als sich die EU im Gründungsstadium befand, Entwicklungsländer und nicht die Wirtschaftsmächte, die sie heute sind. Die Deutsche Bahn hat mit Blick auf kommende Entwicklungen in diesem Jahr erstmals einen Güterzug von Peking nach Hamburg fahren lassen und geprüft, wie die Verbindung nach Peking zu optimieren ist. Hier deuten sich ganz neue Dimensionen globalen Handels an. Wir müssen uns den enormen wirtschaftlichen Herausforderungen der Globalisierung, die sich ja weiterhin abzeichnen, stellen - das tun wir ja auch schon - und für die europäische Wirtschaft die erforderlichen Rahmenbedingungen setzen. Bei der Bewältigung der Herausforderungen und der Aufgaben der Zukunft dürfen wir nicht die Emotionen und die Empfindlichkeiten der EU-Bürger außer Acht lassen. Die Europäer sollten sich künftig stärker mit ihrem Haus identifizieren können: mit einem gemeinsamen Haus mit 27 unterschiedlichen Zimmern, einem Haus, in dem das europäische Heimatgefühl noch eher unterentwickelt ist. Europa ist einmalig und liebenswert aufgrund seiner regionalen Vielfalt. Die Vielfalt der ländlichen Kulturen spiegelt sich in den unterschiedlichen Sprachen, Dialekten, dem unterschiedlichen Brauchtum und den in Jahrhunderten gewachsenen Kulturlandschaften wider. Diese Vielfalt ist ein Stück Lebensqualität, die gefährdet ist, aber die Touristen aus Amerika und Asien sehr wohl zu schätzen wissen und mittlerweile bei uns suchen. Diese typisch europäische kulturelle Vielfalt muss in die Zukunft gerettet werden. Sie muss in notwendige, die Globalisierung bedenkende Initiativen eingebettet werden. ({4}) Wenn ich von „eingebettet“ spreche, dann bedeutet das, dass auch für den ländlichen Raum entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist richtig, dass wir den Agrarhaushalt dann, wenn es an der Zeit ist, auf den Prüfstand stellen müssen. Aber die zeitlichen Zusagen, die bestehen, können wir nicht kurzfristig über den Haufen werfen und damit die Glaubwürdigkeit der Politik infrage stellen. Während der derzeit stattfindenden Haushaltsüberprüfung können wir zwar Korrekturen vornehmen; aber wir sollten in dieser Zeit, wenn wir die Glaubwürdigkeit der Politik erhalten wollen, die Agrarreform in der derzeitigen Form nicht als Ganzes infrage stellen. Damit sind wir wieder beim EU-Haushalt. Bis Mitte April müssen die nationalen Regierungen, wie ich schon sagte, der Kommission Vorschläge machen, wie die EUAusgaben ab 2014 finanziert werden sollen. Ich fasse kurz zusammen: Es ist richtig, was schon gesagt wurde: Beim Beitragsanteil der Mitgliedstaaten sollte auch in Zukunft 1 Prozent des Nationaleinkommens nicht überschritten werden. Ich teile die Bedenken gegenüber einer EU-Steuer.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, seien Sie so nett und kommen Sie zum Ende.

Helmut Lamp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001275, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir sollten die Rabatte abschaffen. Ein solider Haushalt schafft Vertrauen. Ich bitte Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. ({0})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Für die Linke spricht der Kollege Dr. Diether Dehm. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt zwar punktuelle Übereinstimmungen, aber eine ganz andere Draufsicht. Der ganze Ratsbeschluss wurde einseitig unter dem Gesichtspunkt finanzieller Forderungen der einzelnen Mitgliedstaaten und nicht unter dem einer sinnvollen finanzpolitischen Ausrichtung der EU getroffen. Gebraucht werden dagegen der Umbau der Verkehrssysteme sowie der Energieversorgung, der Ausbau von sozialem Wohnraum gegen eine zunehmende Verwahrlosung ganzer Stadtteile in fast allen Metropolen Europas, soziale Stadterneuerung und der Ausbau der Bildungs- und Weiterbildungsinfrastrukturen in den MitDr. Diether Dehm gliedstaaten. Nur das sichert Zukunft, und das alles schafft neue Arbeitsplätze. Ein besonderer Schwerpunkt sollte der Kampf gegen die Armut sein. Laut Bureau of European Policy Advisers sind in der EU über 100 Millionen Menschen - das ist fast jeder siebte - von Armut betroffen oder bedroht. 25 Prozent aller Kinder in der EU sind arm. Deshalb fordert die Linke konkrete europaweite Programme gegen diesen Skandal. ({0}) Ein Interview von Finanzstaatssekretär Thomas Mirow am 31. März zeigt deutlich, dass die Bundesregierung in der Frage des Eigenmittelbeschlusses nicht seriös argumentiert; denn er sagt dort, das Festhalten an der geltenden 1-Prozent-Regelung führe bis 2020 zu einem Anstieg des Haushaltsvolumens um 40 Prozent. Rein technisch stimmt das. Gleichzeitig verschweigt er, dass das nur funktionieren kann, wenn das Bruttonationalprodukt der EU bis 2020 auch um 40 Prozent steigen würde. Der tatsächliche Haushalt der EU liegt weit unterhalb einer strukturpolitisch vernünftigen Größe. In der interinstitutionellen Übereinkunft vom Mai 1999 wurde für den Zeitraum bis 2006 für die EU-Ausgaben eine Obergrenze von 1,27 Prozent des EU-BIP festgelegt. Schon dies war bei weitem zu niedrig. Mit der jetzigen Festlegung der Eigenmittelobergrenze auf 1,24 Prozent des gesamten Bruttonationalprodukts wurden die Eigenmittel für die EU noch einmal eingeschränkt. Wenn sich gleichzeitig die Bundeskanzlerin dafür feiern lässt, dass sie die tatsächliche Eigenmittelfestschreibung des EU-Haushalts auf 1 Prozent des Bruttonationalprodukts durchgesetzt hat, wird diese Fehlhaltung deutlich. ({1}) Wir sind der Überzeugung, dass eine Erhöhung der Eigenmittel der EU eine Demokratisierung der Strukturen und Verfahren der europäischen Institutionen bedingt. Jegliche Ausgaben auf EU-Ebene für die Verteidigungsagentur, für die schrittweise Verbesserung der militärischen Kapazitäten, wie es in dem unsäglichen Lissabon-Vertrag heißt, lehnen wir und die Mehrheit der Deutschen ab. Deswegen fürchten Sie ja auch eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag. ({2}) Für uns ist die Aufrechterhaltung des 1985 eingeführten Haushaltskorrekturmechanismus nicht akzeptabel, der dem Vereinigten Königreich einen Rabatt auf seine Beitragszahlungen einräumt und Großbritannien 66 Prozent seines Nettosaldos erstattet. Zwar wird durch die neue Regelung der Ausgleichsaldo progressiv gemindert, aber das grundsätzliche Problem von Sonderregelungen für einzelne Mitgliedstaaten nicht gelöst. Die Linke tritt dafür ein, dass alle Ausnahmeregelungen schnellstmöglich abgeschafft werden. Die EU muss zu einer verlässlichen, transparenten Finanzierung kommen und nicht den Eindruck eines Basars erwecken. Die Finanzierung der EU mit der Festschreibung eines gleichen Anteils am Bruttonationalprodukt wäre nichts anderes als gerecht. Gleichzeitig haben wir uns immer gegen die Vereinfachung gewehrt, lediglich über Nettozahler und Nettoempfänger zu sprechen. Das hat zwei Gründe: Zum einen setzt eine solidarische Entwicklung unterschiedlicher regionaler Räume voraus, dass die stärkeren Bereiche einen Beitrag dazu leisten, dass sich die schwächeren Regionen entwickeln können. Aufgrund der Exportstärke Deutschlands fließt massig Geld aus der EU nach Deutschland zurück - nicht in die Portemonnaies der Mehrheit der Menschen, aber in die Konzernkassen. Deswegen ist immer die Frage, Kollege Link, welche Steuerzahler Sie entlasten wollen. Somit ist eine Nettozahlerrolle automatisch vorgegeben. Zum anderen entsteht die Nettozahlerposition Deutschlands durch die problematische EU-Ausgabenstruktur. Solange weiterhin etwa 40 Prozent der Gemeinschaftsausgaben für die Landwirtschaftspolitik verwendet werden, ist doch klar, dass ein hoch industrialisiertes Land wie das unsrige mit einem Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von 1,1 Prozent weniger von diesem Ausgabenbereich profitieren kann. Wir halten mehr Entwicklung und Innovation der ländlichen Räume für zukunftsweisend. Den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen wir aus all diesen genannten Gründen ab. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat Rainder Steenblock das Wort für Bündnis 90/ Die Grünen.

Rainder Steenblock (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002806, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stimme dem Kollegen Dehm an einer Stelle ausdrücklich zu: Die Debatte über einen Anteil von 1 Prozent zur Finanzierung ist eigentlich falsch; denn der Kern einer Debatte über die EU-Finanzen muss immer die Frage beinhalten: Welche Aufgaben wollen diejenigen, die in Europa zu entscheiden haben - also EP, Ministerrat und die nationalen Parlamente -, Europa übertragen? ({0}) Das ist die entscheidende Frage. Danach richtet sich die Finanzierung. Europa so zu stricken, dass alle 1 Prozent ihres Haushaltsvolumens geben, ist der falsche Ansatz. Wir müssen vielmehr die übertragenen Aufgaben zum Ausgangspunkt für unsere Überlegungen machen. ({1}) Ich bin mit all denen völlig einverstanden, die sagen, dass man darauf achten muss, dass die Finanzierung gerecht ist und der Wahrnehmung der festgelegten Aufgaben dient. Niemand darf dabei über den Tisch gezogen werden. Natürlich geht es bei Verhandlungen über Haushalte zu wie auf einem Basar. Das ist auch im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nicht grundsätzlich anders. Aber es muss auf der Grundlage von rationalen Kriterien entschieden werden. Für mich ist der entscheidende Punkt, dass man die rationalen Kriterien in dieser Debatte herausarbeitet. Lieber Herr Kollege Lamp, es geht nicht an, dass man jubelt, wenn es die Bundesregierung beispielsweise geschafft hat, 1 Milliarde Euro aus dem EU-Haushalt wieder in unseren Haushalt zu transferieren. Das ist nicht das richtige Erfolgskriterium. Was wir brauchen, ist eine gerechte Finanzierung. Dazu gehört aber Solidarität. Diether, du weißt auch, wer gesagt hat: „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker.“ Das gilt natürlich auch in Bezug auf die Finanzierung der EU. Wie auf nationaler Ebene gilt auch hier das Grundprinzip: Starke Schultern müssen mehr tragen. ({2}) Es ist falsch, es als Sauerei zu beklagen, wenn wir x Milliarden Euro geben, aber nur y Milliarden Euro herausbekommen. Wir stehen in der Pflicht, mehr Lasten zu übernehmen. Es wäre doch absurd, wenn jemand, der 1 Million Euro Steuern in Deutschland zahlt, fragt, was er vom Staat eigentlich zurückbekomme; wenn jemand sagt, es sei eine Ungerechtigkeit, dass er nur 10 Euro - oder was auch immer - aus den Transferkassen der Sozialsysteme zurückbekomme. Ich kann doch nicht am Ende des Jahres schauen, wie viel ich von dem, was ich in die Gesundheitskasse einbezahlt habe, wieder herausbekommen habe. Das ist eine absurde Diskussion. Dieser Populismus erschwert unser Bemühen, dafür zu sorgen, dass die Menschen Europa als Heimat empfinden. Herr Lamp, ich stimme Ihnen ja zu: Wir brauchen die Identifizierung der Menschen mit Europa. Wenn wir aber argumentieren, Europa kann nicht mit Geld umgehen, deshalb müssen wir das machen, dann machen wir genau das kaputt. Das ist ein Fehler, den wir nicht machen dürfen. ({3}) Wir Grüne wollen diese Finanzdebatte nutzen, um der Europäischen Union ein ökologisches und ein solidarisches Profil zu geben. Das sind die beiden Herausforderungen. Wir haben heute alle geklatscht, als der ehemalige Justizminister hier die Friedensdividende der EU beschworen hat, was richtig ist. Es gibt aber auch eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dividende der europäischen Integration. Wir glauben, dass wir dies in der Finanzdebatte deutlich machen müssen. Das heißt für die Einnahmeseite - darin sind wir uns alle einig -: Ein Anteil des Bruttonationaleinkommens muss eine stabile Säule der Finanzierung sein, weil das ökonomisch gerecht ist. Wir wollen aber eine stärkere Steuerung in Richtung ökologischer und sozialer Gerechtigkeit erwirken. Das heißt zum Beispiel: Wir haben in der Europäischen Union eine Bemessungsgrundlage für die Energiesteuer, was die Mineralölsteuer betrifft, vereinbart und Mindeststeuersätze. Wenn wir einen Teil davon für den EU-Haushalt abzweigen würden - also keine neue Steuer erheben würden -, könnten wir dadurch die ökologische Orientierung und Lenkung deutlich machen. ({4}) Das Zweite ist: Wir brauchen eine soziale Komponente. Auch das kann man deutlich machen. Es gibt unterschiedliche Momente. In der Partei der Grünen sind wir uns zum Beispiel darüber einig, dass wir eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung in Europa brauchen. Daran arbeiten wir. Das brauchen wir. Über dieses Ziel sind wir uns, glaube ich, einig. Ein Teil des Unternehmensteueraufkommens könnte an die EU fließen, nach dem Motto: Die Kraftzentren Europas finanzieren die EU mit. Ein anderes Beispiel: Die Börsenumsatzsteuer ist aus meiner Sicht eine sehr vernünftige Sache. ({5}) Mit diesem Instrument könnten wir auf der Einnahmeseite soziale Gerechtigkeit in der Europäischen Union herstellen. Es ist klar, dass wir auch eine Debatte über die Ausgaben brauchen. Der Agrarhaushalt und die Strukturfonds sind angesprochen worden. Das System der Verteilung von Finanzmitteln zwischen den reichen Staaten über Strukturfonds halte ich für Quatsch. Mithilfe der Strukturfonds müssen Staaten, die keine ausreichende Infrastruktur haben - es geht auch um die soziale Infrastruktur -, konsequent an den EU-Durchschnitt herangeführt werden. Es ist aber absurd, zwischen den reichen Staaten Infrastrukturkosten hin- und herzuschieben. Deshalb brauchen wir an diesen Stellen Reformen; überhaupt keine Frage. Wenn es uns aber nicht gelingt, das Profil der Europäischen Union auch im Finanzbereich in Richtung Zukunftsausgaben zu verschieben - Stichworte: Klima, Ökologie und Solidarität im sozialen Bereich -, dann werden wir es nicht erreichen können, dass die Menschen Europa als Heimat empfinden. Dann werden wir auch die Solidarität in Europa verspielen. Ich glaube, wir brauchen auch in der Finanzdebatte diese Kriterien. Eine letzte Bemerkung: Ich plädiere sehr dafür, dass wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen darauf bestehen, dass das Parlament, die Volksvertretung der deutschen Bürgerinnen und Bürger, die Richtung der Finanzierung der EU beschließt. Wir sollten das nicht der Regierung überlassen. Es ist parlamentarisches Recht des Deutschen Bundestages, über diese Finanzen mitzubestimmen. Vielen Dank. ({6})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Klaus Hagemann hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute Vormittag wurde in der Gedenkstunde deutlich gesagt, dass die europäische Einigung alternativlos ist und wir uns auf einem guten Weg befinden. Dazu gehören Herz, Idealismus und Begeisterung. Kühler Verstand, Finanz- und Haushaltspolitik gehören aber auch dazu. Wichtige Gedanken sind hier schon vorgetragen worden. Ich möchte ebenso wie der Kollege Lamp davor warnen, dass das, was im Jahr 2005 erreicht worden ist und was wir heute ratifizieren, kleingeredet und nicht genügend gewürdigt wird. Wir haben erreicht, dass Deutschland 1 Milliarde Euro weniger zahlen wird. Die Summe entspricht unserem Umwelthaushalt oder 10 bis 11 Prozent des Bildungs- und Forschungshaushalts. Deswegen möchte ich davor warnen, die Erfolge kleinzureden. Wir sollten würdigen, was erreicht worden ist. ({0}) Mit dem, was in der Agrarpolitik eingeleitet worden ist, sind wir meiner Ansicht nach auf dem richtigen Weg. Den Britenrabatt brauche ich nicht noch einmal zu beleuchten; die Diskussion muss weiter geführt werden. Der eingeschlagene Weg ist jedenfalls richtig. Viele Ungerechtigkeiten sind abgeschafft worden; darauf wurde schon hingewiesen. Die EU ist eine Solidargemeinschaft. Betrachten wir einmal Irland: Irland hat sich mit Mitteln aus dieser Solidargemeinschaft weit nach vorne gearbeitet und ist heute aber immer noch Nettoempfänger. Hier müssen und können Ungerechtigkeiten abgeschafft werden. Es ist auch richtig, dass das Bruttonationaleinkommen weiterhin Finanzierungsgrundlage ist. Auch das ist nach unserer Ansicht - ich spreche hier als Haushälter - der richtige Weg. Herr Dehm, ich darf Sie noch einmal kurz ansprechen. In den letzten Jahren ist gerade auf europäischen Ebenen durch den Lissabon- und durch den BolognaProzess Erhebliches in die richtigen Bahnen geleitet worden. Deswegen sollte man das nicht kleinreden, auch Sie von den Linken nicht. ({1}) Auch das, was wir im Forschungs- und Bildungsbereich durch das 7. Forschungsrahmenprogramm erreicht haben, sollten wir nicht kleinreden. All das wird mit diesen Mitteln finanziert. Mit den starken Schultern, die wir als 80-Millionen-Volk nun einmal haben, tragen wir erheblich dazu bei. Es ist auch richtig, dass wir Solidarität üben. Die Europäische Union investiert in Frieden und Stabilität. Ich nenne die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und den Europäischen Entwicklungsfonds. Wir sollten daran erinnern, dass die Mittel für diejenigen, die unserer Solidarität bedürfen, zur Verfügung stehen. ({2}) Erwähnt werden muss noch die Innen- und Sicherheitspolitik. Auch hier sind erhebliche Schritte nach vorne getan worden. Aber wir wissen auch, dass die Medaille nicht nur die eine Seite hat, von der ich gesprochen habe, sondern auch eine andere. Die fehlende Transparenz im Haushalt ist zu nennen. Es gibt immer noch Schattenhaushalte. Als Haushälter, die wir uns in einem Unterausschuss regelmäßig damit beschäftigen, Kollegen Barthle und Schulte-Drüggelte, müssen wir sagen, dass hier mehr Transparenz gefordert ist. Wir beschäftigen uns in diesem Unterausschuss immer wieder mit Haushaltsausgabenresten, die entstehen und von denen keiner weiß, wie sie weiter verwandt werden. Auch in diese Angelegenheit muss Licht. ({3}) Ein weiteres Thema: fehlende Sparsamkeit und Haushaltsdisziplin. Das muss ein Haushälter hier erwähnen. Wir finanzieren mit unseren Mitteln Doppelstrukturen, die zusätzliche Bürokratie erzeugen. Auch hier müssen Veränderungen geschaffen werden. Wir haben gerade durch den Lissabon-Vertrag die Möglichkeit, Herr Dehm, als nationales Parlament mitzureden und diese Strukturen aufzubrechen. Deswegen wäre es sinnvoll, wenn auch Sie diesem Vertrag zustimmen würden. ({4}) Lassen Sie mich diese Doppelstrukturen, die finanziert werden müssen und Mitarbeiter benötigen, beispielhaft an den Agenturen, die jetzt ständig eingerichtet werden, deutlich machen. Wir haben im EU-Unterausschuss einen von den Grünen gestellten Antrag einstimmig beschlossen. Wir als Koalition haben ihn mitgetragen, weil er vernünftig und richtig ist. Die Zahl der Agenturen ist in den letzten sieben Jahren von zwölf auf 35 gestiegen; das ist fast eine Verdreifachung. Die Zahl der Planstellen für Beamte und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist von 1 734 auf 4 436 gestiegen. Das müssen wir geißeln; das ist so nicht in Ordnung. ({5}) 22 Gemeinschaftsagenturen bestehen. - Jetzt muss ich auf mein Manuskript schauen, damit ich die richtigen Zahlen nenne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Dehm zulassen?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gerne.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte. ({0})

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Können Sie sich auch vorstellen, dass wir die Rüstungsagentur streichen?

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Notwendigkeit dazu sehe ich nicht. ({0}) Ich rede jetzt über Agenturen, sehr geehrter Herr Dehm, bei denen es Doppelstrukturen gibt. ({1}) Ich möchte meine Antwort auf Ihre Frage noch ergänzen. Wir haben 22 Gemeinschaftsagenturen, drei Agenturen für Außen- und Sicherheitspolitik, drei Agenturen für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und vier Exekutivagenturen. Da müssen wir ansetzen. Dass Sie jetzt aber die Gemeinsame Sicherheitsund Außenpolitik schlecht reden, die Europa auch stark macht, Herr Dehm, das akzeptiere ich nicht. ({2}) Wir können hier jetzt keinen Dialog führen. Wir können uns meinetwegen hinterher noch auf ein Glas Bier zusammensetzen und das noch einmal im Detail diskutieren. Das kann aber nicht hier im Parlament geschehen, denn die Thematik ist viel zu wichtig. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Diese Verabredung können Sie vielleicht auch nachher konkretisieren, denn sonst kommen womöglich alle mit. ({0})

Klaus Hagemann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002668, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte noch einmal die Problematik in Bezug auf die Agenturen darlegen. Sie können sich setzen, Herr Dehm. ({0}) In manchen Fällen werden die Aufgaben doppelt erledigt; da weiß die eine Agentur nicht, was die andere macht. Es ist zu fragen, wer die Agenturen überhaupt kontrolliert. In manchen Fällen arbeiten Mitarbeiter der Kommission an demselben Thema wie eine, zwei oder drei Agenturen. Es gibt also genügend Stellen, an denen gehandelt werden muss und an denen Geld eingespart werden kann. ({1}) - Das gilt nicht nur für die Rüstung, sondern auch für die Verwaltung und Bürokratie. Wir müssen in Bezug auf Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und Forschung die Zukunft im Blick haben. Das sind die Arbeitsbereiche, bei denen die EU auf dem richtigen Weg ist. Aber der Weg kann in diesem Fall nicht das Ziel sein. Bei diesen Prioritäten muss weiterhin gehandelt werden. Europa zu gestalten heißt, nicht nur mit heißem Herzen dabei zu sein, sondern auch mit kühlem Verstand. Es gehört auch dazu, die Themen hart zu verhandeln, nämlich so, wie es bei diesem Vertrag geschehen ist. Deshalb werden wir als SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf selbstverständlich zustimmen. Vielen Dank. ({2})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Jetzt hat der Kollege Norbert Barthle für die CDU/ CSU-Fraktion das Wort. ({0})

Norbert Barthle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003033, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind jetzt am Schluss der Debatte zum Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007, in dem es um die Neuausrichtung des Systems der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft geht, angekommen. Nachdem wir dieses Thema auch im Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union des Haushaltsausschusses ausführlich beraten haben - die Kollegen Hagemann, Schulte-Drüggelte und Link waren mit dabei -, haben wir jetzt den Punkt erreicht, an dem wir dieser Neuausrichtung des Systems der Eigenmittel guten Gewissens zustimmen können. Nebenbei bemerkt ist der Begriff „Eigenmittel“ etwas euphemistisch, denn es sind ja eigentlich Mittel der Nationen. Das ist ein guter Tag für Europa und ein guter Tag für uns. Warum? - Deutschland ist nach wie vor der größte Zahler in der Europäischen Gemeinschaft. Im Jahr 2007 waren es 23 Milliarden Euro. Wenn man die Rückflüsse abzieht, bleiben netto immer noch rund 7 Milliarden Euro übrig. Deshalb haben insbesondere wir Haushälter ein naheliegendes Interesse daran, dass in diesem Finanzierungssystem mehr Gerechtigkeit herrscht. Es wurde bereits erwähnt, dass es eines der ersten Meisterstücke von Bundeskanzlerin Angela Merkel war, diesen Vertrag so auszuhandeln. Der Widerstand war groß; der Britenrabatt und die französischen Agrarsubventionen wurden erwähnt. Ich will aber noch einmal betonen, dass das eine hervorragende Leistung von Angela Merkel war. Denn unter dem Strich kommt dabei heraus, dass wir von jetzt an bis 2013 Jahr für Jahr eine Milliarde Euro weniger bezahlen werden. Bis zum Jahr 2013 ergibt das 6 Milliarden Euro, die wir weniger zu zahlen haben. Diese 6 Milliarden Euro verbleiben im Bundeshaushalt, reduzieren unsere Schulden und eröffNorbert Barthle nen neue Spielräume. Das ist die gute Botschaft dieses Tages. In letzter Zeit war in den Medien immer wieder die Rede davon, dass zu viele Ausgaben beschlossen würden. Jetzt können wir auch einmal die Botschaft verbreiten, dass wir weniger Geld ausgeben und deshalb neue Spielräume zur Verfügung haben. ({0}) Gleichzeitig, so denke ich, sollten wir diesen Tag nutzen, um in die Grundsatzdebatte einzusteigen, wie die Finanzierung ab 2013 ausgestaltet werden soll. Hier benennt die CDU/CSU-Fraktion vier Schwerpunkte: Erstens. Wir sind der Auffassung, dass die Ausgabenobergrenze in Höhe von 1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens konsequent beibehalten werden soll. Diese Grenze sollte nicht überschritten werden. Warum? Alle Mitgliedstaaten sind derzeit dabei, ihre Haushalte zu konsolidieren, zu sparen und ihre Ausgaben, wo es möglich ist, einzuschränken, weil die finanziellen Ressourcen überall knapper werden. Das darf durch einen Ausgabenzuwachs auf europäischer Ebene nicht konterkariert werden. Daher muss die Ausgabenobergrenze nach wie vor Bestand haben. Zweiter Schwerpunkt. Kernpunkte der Neuausrichtung müssen sein: Subsidiarität, Effizienz und Sparsamkeit. Im Hinblick auf die Subsidiarität sollten wir vor allem konsequent darauf achten, dass sich sowohl der Europäische Rat als auch das Europäische Parlament auf die Kompetenzen beschränken, die ihnen tatsächlich zugeschrieben sind, statt immer wieder neue Kompetenzen und neue Aufgaben an sich zu ziehen. Denn dadurch kommt es, wie Kollege Hagemann bereits ausgeführt hat, zu Doppelstrukturen. Im Haushaltsausschuss erleben wir immer wieder, dass an verschiedenen Stellen noch erhebliche Sparpotenziale vorhanden sind. Hier muss konsequent weitergearbeitet werden. Der dritte Schwerpunkt, den ich anführen möchte, lautet: mehr Transparenz und mehr Beitragsgerechtigkeit. Die Menschen fragen uns: Warum sind wir Deutschen eigentlich die Zahlmeister in Europa? All diejenigen, die Europa gegenüber ein bisschen skeptisch eingestellt sind, äußern diesen Vorwurf immer wieder. Deshalb ist es notwendig, dass wir in diesem Bereich für mehr Gerechtigkeit sorgen. Führt man unsere relative Finanzkraft bzw. unsere Wirtschaftskraft ins Feld, stellt man fest, dass Deutschland im Mittelfeld der 27 Mitgliedsländer der EU liegt. Betrachtet man aber unsere Nettozahlerposition, wird deutlich, dass wir an der Spitze aller Mitgliedstaaten liegen. An dieser Stelle muss mehr Gerechtigkeit hergestellt werden, auch um bei den Menschen noch mehr Akzeptanz für Europa zu schaffen. ({1}) Unsere Forderungen lauten: Alle Sonderregelungen und Rabatte müssen weg, und wir sollten uns konsequent am Bruttonationaleinkommen orientieren. Wenn wir es schaffen würden, die Finanzierung auf dieser Säule aufzubauen, dann würde sich ganz von allein mehr Gerechtigkeit ergeben. Dann wäre Europa auch ein Stück weit unabhängiger von den jeweiligen nationalen Mehrheiten, Herr Kollege von den Grünen. Ihr Vorschlag hingegen würde an dieser Stelle eine Gefahr darstellen. Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen. Viertens. Wir treffen die klare Aussage: Wir wollen keine eigene EU-Steuer. Denn eine eigene EU-Steuer würde dazu führen, dass die Haushaltsdisziplin auf europäischer Ebene nachlässt. Bislang kann Europa keine Schulden machen. Das hat sich bewährt. Wir sollten an diesem Prinzip nicht ohne Not rütteln. Wenn es eine eigene EU-Steuer gäbe, würde sich ein Problem ergeben: Da Steuern schwer abwägbar sind, käme es zu Schwankungen. Um diese Schwankungen auszugleichen, müsste man Schulden aufnehmen. Das wäre der Weg in einen Verschuldungsprozess in Europa. Das wollen wir nicht. Deshalb lehnen wir dieses System ab. Wir sind dafür, das bisherige Stabilität garantierende System zu verändern, indem wir es noch mehr als bisher auf das Bruttonationaleinkommen ausrichten. ({2}) Lassen Sie uns diesen Diskussionsprozess jetzt entschieden anstoßen und diesen Vorschlag als die Position Deutschlands in die Diskussion auf europäischer Ebene einbringen. Wir hoffen, dass die Finanzierungsvoraussetzungen ab dem Jahr 2013 noch besser sein werden, als sie es heute sind. Das wäre nicht nur im Sinne Deutschlands, sondern vor allem auch im Sinne von uns Haushältern. Ich danke. ({3})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften. Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8533, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7686 anzunehmen. Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der FDP-Fraktion. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt Dr. Lothar Bisky, Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE Einkommensteuertarif gerecht gestalten Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen - Drucksachen 16/5277, 16/6799 Berichterstattung: Abgeordnete Olav Gutting Dr. Axel Troost Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin Gabriele Frechen für die SPD-Fraktion das Wort.

Gabriele Frechen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003529, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag erheben die Linken vier Forderungen, wie Menschen mit wenig Einkommen entlastet werden sollen: Erstens soll der Grundfreibetrag um 28 Euro monatlich erhöht werden. Damit die Dimension klar wird: Es geht um die Erhöhung des Freibetrags um 28 Euro, es geht nicht um 28 Euro weniger Steuern. Der Familienvater mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 20 000 Euro, den Sie auf Seite 1 Ihres Antrags als Beispiel anführen, hätte davon eine Entlastung von 0 Euro, in Worten: nichts. Das Gleiche gilt für den Familienvater oder das Rentnerehepaar mit einem Einkommen von 35 000 Euro; auch sie würden keine Entlastung erfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie schreiben in schönen Überschriften, dass Sie Menschen, die wenig Einkommen haben, entlasten wollen - wir handeln. ({0}) Mit dem Kinderzuschlag ({1}) in Höhe von 140 Euro monatlich helfen wir Eltern, die zwar ihren Lebensunterhalt, nicht aber den ihrer Kinder bestreiten können. Ab 2009 werden 250 000 Kinder Anspruch auf den Kinderzuschlag haben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft den Familien direkt. ({2}) Darüber hinaus erhöhen wir das Wohngeld, im Schnitt um 50 Euro pro Monat; auch diese Verbesserung kommt direkt bei den Menschen an, besonders bei kinderreichen Familien. Über 800 000 Haushalte werden von dieser Maßnahme profitieren, davon 300 000 Rentnerhaushalte. Zweitens fordern Sie einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent - den haben wir bereits; ich erwähne das nur der Vollständigkeit halber. Drittens fordern Sie, dass der Spitzensteuersatz bei einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro einsetzen soll und auf 50 Prozent angehoben werden soll. Hinzu kommen Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer und nach einer deutlichen Anhebung der Erbschaftsteuer. ({3}) Hierzu erlaube ich mir nur einen kurzen Hinweis auf den Halbteilungsgrundsatz, den das Bundesverfassungsgericht 1995 bekräftigt hat, auch wenn er in der Zwischenzeit relativiert wurde. Der amerikanische Schriftsteller Austin O’Malley hat einmal gesagt: Beim Steuereintreiben wie beim Schafscheren soll man aufhören, wenn die Haut kommt. ({4}) Ich meine, da ist was dran, auch wenn ich zugeben muss, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent, der seinerzeit bei den Verhandlungen herauskam, nicht mein Wunschergebnis war. Zum Teil haben wir das korrigiert durch die 3-prozentige - ({5}) - durch den 3-prozentigen Zuschlag auf die Einkommensteuer bei höheren Einkommen, auch Reichensteuer genannt. ({6}) - Dieser Begriff ist in der Tat falsch. ({7}) Durch diesen Zuschlag, so rechnen wir, kommt es zu Mehreinnahmen in Höhe von 1 Milliarde Euro. Wer das für Symbolik hält, für den sind die 12 Milliarden Euro, die es kosten würde, wenn umgesetzt würde, was in diesem Antrag gefordert wird, ebenfalls Peanuts. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben Gott sei Dank nicht in einer Republik, um die Mauern und Stacheldraht gezogen sind, Sie von den Linken auch nicht mehr, auch wenn man das Gefühl hat, dass sich einige von Ihnen - ich erinnere nur an Ihre Kollegin im Niedersächsischen Landtag - das zurückwünschen. Die Umsetzung Ihrer Forderungen würde in der realen Welt nicht ohne Auswirkungen bleiben. Oder gehen Sie wirklich von der naiven Vorstellung aus, dass Ausweichreaktionen vermieden werden könnten? Ich halte es da mit unserem Finanzminister Peer Steinbrück: Lieber 45 Prozent von X als 50 Prozent von nix. ({8}) Ich stehe dazu, dass starke Schultern mehr zu tragen haben, viel wichtiger als die Steuersatzerhöhung ist aber, dass die 42 oder 45 Prozent auch wirklich bezahlt werden. ({9}) Durch die Streichung von Ausnahmen, die Eindämmung von Steuerumgehungen und die Abschaffung von Steuerspar- und -stundungsmodellen sind wir hier auf einem guten Weg. Das Finanzamt Bad Homburg, das immer wieder gerne als Beispiel genommen wird und überdurchschnittlich viele gut verdienende Menschen betreut, musste 1997, als der Steuersatz noch bei 53 Prozent lag, 3,1 Millionen Euro mehr auszahlen, als es an Einkommensteuer eingenommen hatte. In der FAS vom 11. September 2005 war dazu zu lesen: Die Steuereinnahmen im Finanzamt Bad Homburg sind in den letzten Jahren von minus zwei Millionen Euro - sie hat als Beispiel die Zahlen des Jahres 1998 genommen auf aktuell plus 105 Millionen Euro gestiegen. Ich möchte nur einmal erwähnen: Das ist bei einem Finanzamt ein Spread von 107 Millionen Euro. Zwischenzeitlich betrugen die Einnahmen schon 182 Millionen Euro. Der Anstieg ist sowohl auf das Auslaufen spezieller steuerlicher Förderungen der Kohl-Regierung … als auch auf das Schließen von Steuerschlupflöchern durch die Regierung von Rot/ Grün … zurückzuführen. ({10}) Das ist der richtige Weg. Auf dem bewegen wir uns gemeinsam mit unseren Kollegen in der Großen Koalition. ({11}) Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und die Verbesserung des Vollzugs in den Ländern gehören natürlich dazu. Ich nenne nur das Reizwort Bundessteuerverwaltung. Einen Wettbewerb unter den Bundesländern, wer bei hohen Einkommen oder bei Unternehmen weniger genau hinschaut, wird es mit uns nicht geben. Wenn ich mich an die Debatten erinnere, bei denen es um die Umgehung und um einen besseren Steuervollzug ging, dann weiß ich, dass wir uns relativ einig und auf einem guten Weg waren - selbst mit den Kolleginnen und Kollegen der Linken. Für mich ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass jeder nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert wird. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass es so ist, und sie vertrauen darauf, dass wir das umsetzen. Das ist keine Frage des Steuersatzes, sondern eine Frage der Steuerehrlichkeit. Zum Fair Play gehören aber immer zwei. Ansonsten hat der Faire schon verloren. Viertens fordern Sie die Einführung eines neuen Tarifs. Die Grenzsteuerbelastung läge dann bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von 39 600 Euro höher als nach geltendem Recht. Ihr Modell würde also nicht wirklich die Reichen treffen, sondern die gut verdienenden Facharbeiter, den Mittelstand und die Mittelschicht. Wollen Sie diese Menschen wirklich treffen? ({12}) - Sie alle machen drei Kreuze, dass die FDP nichts zu sagen hat, Herr Kollege Dr. Wissing. ({13}) Dabei soll es auch noch einige Jahre bleiben. ({14}) - Ja. Ein Wort zum Stil des Antrags muss ich doch noch verlieren. Sie schreiben wörtlich: Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf 12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern bezahlt werden müssen. ({15}) - Das steht wörtlich im Antrag. Ich habe extra noch einmal nachgeguckt. Lesen Sie unten auf der ersten Seite den letzten Satz. - Warum schreiben Sie so etwas? Diese Frage drängt sich doch geradezu auf. Sie müssen doch genauso gut wie ich wissen, dass das grober Unfug ist. ({16}) Der Steuersatz liegt bei 7,7 Prozent. ({17}) - Das haben Sie aber nicht geschrieben. Entweder jonglieren Sie mit Begriffen oder Sie kennen die Unterschiede nicht. Beides steht einer Finanzpolitikerin nicht wirklich gut an, Frau Dr. Höll. ({18}) Sie wollten die Horrorzahlen irgendwo in Ihren Antrag einfließen lassen, um den Menschen Angst einzujagen und um den Antrag ein bisschen aufzumotzen und aufzupeppen, weil er sonst nichts hergibt. Beides hat mit verantwortungsvoller Politik nichts zu tun. ({19}) Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Er geht nämlich ziemlich weit am Ziel vorbei. ({20})

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die FDP-Fraktion.

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung eine mehr als missglückte Einkommensteuerreform auf den Weg gebracht. Es hat acht Jahre gedauert, bis die Linken gemerkt haben, dass dieses Steuersystem ungerecht ist. Herzlichen Glückwunsch! Man sagt immer „Gut Ding will Weile haben“, aber nach so langer Zeit hätten Sie uns schon etwas Besseres vorlegen müssen. Den vorliegenden Antrag kann man nicht als „gut Ding“ bezeichnen. Sie wollen das Steuersystem verbessern und fordern einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, den gibt es schon. ({0}) Sie fordern einen linear progressiven Tarifverlauf. Auch den gibt es bereits jetzt. Außerdem fordern Sie ein steuerfreies Existenzminimum in Höhe von 8 000 Euro, dabei liegt es bereits bei 7 664 Euro. Ich frage mich, warum Sie acht Jahre gebraucht haben, um uns diesen Antrag vorzulegen. ({1}) - Klatschen Sie ruhig, Frau Frechen. Das ist in Ordnung. Dort, wo Sie regieren - zum Beispiel in Berlin -, bringen Sie keine gescheiten Reformen zustande. Sie könnten aber zumindest in der Opposition im Bundestag etwas mutiger sein, statt nur vorzuschlagen, den Status quo eines ungerechten und schlechten Einkommensteuersystems zu erhalten. Das kann ich nicht nachvollziehen. ({2}) Es wäre interessant, den Blick auf das zu richten, worauf Ihr Antrag nicht eingeht, nämlich auf die wirklichen Ungerechtigkeiten im System. Nehmen Sie zum Beispiel die kalte Progression. Darauf gehen Sie nicht ein. ({3}) - Sie legen einen Antrag vor, mit dem Sie das Einkommensteuersystem gerechter gestalten wollen, und lassen die kalte Progression völlig außen vor. Man kann mit unterschiedlichen Anträgen Flickwerk fabrizieren, aber so bringen Sie keine Steuerreform auf den Weg. Der Finanzminister macht es sich leicht, wenn er sagt, dass bei den Tarifverhandlungen alle einen kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen sollen. ({4}) Für ihn wäre das von großem Vorteil, weil die kalte Progression dazu führt, dass jede Lohnerhöhung zu einer kräftigen Steuererhöhung führt. Man hat es leicht, wenn man von der Regierungsbank aus fordert, dass die Unternehmen mehr zahlen sollen. Dann kann der Finanzminister kräftig abkassieren. Dank der linear progressiven Besteuerung führt jeder Euro mehr Lohn zu einer stärkeren Steuerbelastung. Die kräftigen Schlucke aus der Pulle versickern in den Kassen des Bundesfinanzministers. Wenn Sie von Gerechtigkeit sprechen und ausgerechnet die kalte Progression völlig außen vor lassen, dann sind Ihre Vorstellungen von einem neuen Steuersystem nicht viel wert. Es bleibt genauso unflexibel und statisch wie das bisherige. Ich finde es in hohem Maße unfair, wenn die Lohnsteigerungen hinter der Inflation zurückbleiben.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Herr Wissing, möchten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höll zulassen?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Katrin Dagmar Göring-Eckardt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003132

Bitte schön.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Wissing, wir wollten weder Sie noch die anderen Mitglieder des Hohen Hauses überfordern. Könnten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir deshalb die kalte Progression in einem zweiten Antrag behandeln, der ebenfalls schon seinen parlamentarischen Gang geht, sodass Sie Ihre Aufregung ein kleines bisschen dämpfen könnten?

Dr. Volker Wissing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003702, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Liebe Frau Kollegin Höll, wenn Sie in Ihrem vorliegenden Antrag an der linear progressiven Besteuerung festhalten und gleichzeitig feststellen, dass Sie ein Problem mit der kalten Progression haben, dann ist das ein gewisser Widerspruch. Es wäre deshalb sinnvoll, Ihre widersprüchlichen Anträge gleichzeitig vorzulegen. Dann könnte man auf diese Widersprüche eingehen. Aus dem, was Sie uns vorgelegt haben - das gilt sicherlich auch für das, was Sie uns in Zukunft vorlegen werden -, wird jedenfalls keine Steuerreform. Insofern können Sie das Ziel, den Menschen etwas Gutes zu tun, die von der Großen Koalition über Gebühr abkassiert worden sind, nicht erreichen. Das schaffen Sie weder mit diesem noch mit dem anderen Antrag, vor alDr. Volker Wissing lem dann nicht, wenn er dem vorliegenden Antrag widerspricht. Was Ihre Realitätsnähe angeht, will ich Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, einen weiteren Widerspruch in Ihrem Antrag aufzeigen. Die Realität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahrzunehmen, scheint für Sie zunehmend schwierig zu werden. Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Beschäftigten hätten in den letzten Jahren ein Einkommensplus von 4 Prozent gehabt. Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Zahl kommen. Aber diejenigen, mit denen ich spreche, haben kein Einkommensplus von 4 Prozent zu verzeichnen. Die Bundesregierung und die Große Koalition reden alles immer schön. Die Kanzlerin sagt: „Der Aufschwung kommt bei den Menschen an“, und draußen merkt es niemand. Aber selbst diese Bundesregierung erklärt, dass die Beschäftigten jährlich ein Einkommensminus von 1 Prozent zu verkraften haben. Wie Sie auf ein Plus von 4 Prozent kommen, möchte ich gerne einmal wissen. Ihr Antrag entbehrt sowohl in den tatsächlichen Feststellungen als auch in der Begründung jeglicher Realität. Sie nehmen die Wahrheit und die Wirklichkeit der Beschäftigten in Deutschland offensichtlich nicht mehr wahr. Deswegen können Sie auch keine vernünftige Steuerreform vorschlagen. So ist das, liebe Kollegin Höll. ({0}) Die Bundesregierung redet die Dinge schön. Tatsächlich sind die Einkommen gesunken. Frau Frechen, Sie haben gesagt, das liege daran, dass es dem Mittelstand zunehmend schlechter gehe, und die Linken planten noch weitere Anschläge auf den Mittelstand. Die Hauptanschläge auf die Mitte in Deutschland haben Sie von der Großen Koalition mit Ihrer Steuererhöhungsorgie verübt. ({1}) Frau Frechen, Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Versicherungsteuer sowie Kürzung der Pendlerpauschale ({2}) und des Sparerfreibetrages, das alles sind Anschläge auf den deutschen Mittelstand. Die Mitte in Deutschland schrumpft. 14 Prozent der Mitte sind in sozial schwache Schichten abgesunken und sind aufgrund Ihrer Politik in soziale Not geraten. Sie haben mit Ihrer unverantwortlichen Steuererhöhungspolitik den größten Anschlag auf die Mitte in Deutschland verübt, den es jemals in dieser Republik gab. ({3}) Liebe Kollegin Höll, ich will Ihnen sagen, wie man eine vernünftige Steuerreform macht. Für eine vernünftige Steuerreform bedarf es niedriger, einfacher und gerechter Tarife sowie einer Struktur, eines Systems, das die Menschen verstehen und das es ihnen wieder ermöglicht, am Aufschwung in Deutschland teilzuhaben. Sie, meine Damen und Herren von der Großen Koalition, haben dafür gesorgt, dass der Aufschwung ausschließlich in den Kassen des Bundesfinanzministers angekommen ist. Die Menschen spüren das. Sie können hundertmal dagegen reden, die Menschen, die zuhören, wissen ganz genau, wer sie in Deutschland abkassiert hat ({4}) und wer dafür verantwortlich ist, dass der Aufschwung an ihnen vorbeigegangen ist und ausschließlich in den Kassen des Staates angekommen ist. Sie haben vor der Wahl gesagt, dass Sie keine Steuererhöhungen vornehmen werden. Aber nach der Wahl haben Sie die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht. ({5}) Die Menschen wissen das. Herr Kollege Binding, Ihre Glaubwürdigkeit in dieser Frage ist längst zerstört. Sie werden die Quittung dafür erhalten. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich erteile das Wort Kollegen Olav Gutting, CDU/ CSU-Fraktion. ({0})

Olav Gutting (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003544, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion erkennt bei der Einkommensteuer dringenden Handlungsbedarf. Dabei geht es uns aber in erster Linie um ein einfacheres und schon deswegen gerechteres System. ({0}) Der Antrag der Fraktion Die Linke ist hierzu leider nicht geeignet. Bei aller Kritik an der jetzigen Form der Einkommensteuer und am komplizierten deutschen Steuerrecht ist die Einkommensteuer eine Steuer, die neben der objektiven die subjektive Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen berücksichtigt. Die Fraktion Die Linke ist bekannt dafür, dass sie versucht, mit populistischen Forderungen auf sich aufmerksam zu machen. Ein gerechtes Einkommensteuersystem klingt gut. Wer möchte sich einer solchen Forderung ernsthaft verweigern? Doch wenn man den Antrag der Linken genau prüft, dann stellt man fest, dass er sich als eine Forderung nach einer weiteren Umverteilung entpuppt und den Bürgerinnen und Bürgern mit niedrigen Einkommen nicht einen Cent mehr im Portemonnaie bringt. ({1}) Ihr Antrag ist wie so oft eine Mogelpackung. Ich darf mich bei der Kollegin Frechen bedanken. Es ist genauso, wie Sie es sagen. Die Linken erwecken mit ihrem Antrag den Eindruck, dass auf ein Einkommen in Höhe von 12 700 Euro jährlich bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt werden müssen. Das, was Sie in Ihrem Antrag auf der ersten Seite unten als Gesamtsteuerabgabe etikettieren, ist nichts anderes als die Grenzsteuerbelastung. Liebe Kollegin, Sie sagen, das sei nicht so. Wir haben schon einmal über diesen Antrag debattiert. Wir haben Sie schon einmal darauf hingewiesen. ({2}) Wenn es Ihnen darum ginge, das wirklich klarzustellen, dann frage ich Sie, warum Sie das nicht umformulieren. Fakt ist: Der Durchschnittssteuersatz bei einem Einkommen von 12 700 Euro beträgt bei einem Single lediglich 7,7 Prozent. ({3}) Aber viel wichtiger ist doch, wirklich etwas für die Bürger mit niedrigem Einkommen zu tun. Wir in der Großen Koalition haben es vorgemacht. Wir haben die Lohnnebenkosten gesenkt. ({4}) Diese Senkung der Lohnnebenkosten macht sich direkt im Portemonnaie der Arbeitnehmer bemerkbar. ({5}) Allein durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags werden so über 20 Milliarden Euro an die Beitragszahler zurückgegeben. ({6}) Ein Arbeitnehmer mit einem Durchschnittseinkommen von 2 800 Euro monatlich erhält allein durch diese Beitragssenkung der Regierung jährlich 500 Euro netto mehr. Das ist eine spürbare Entlastung. Die Linke hat leider dagegen gestimmt. ({7}) Ihrem Ansinnen, eine Steuerentlastung für Bezieher geringer Einkommen zu erreichen, wird dieser Antrag nicht gerecht. Schließlich kann nur derjenige von einer Änderung der Einkommensteuertarife profitieren, der auch Einkommensteuer zahlt. Die niedrigen Einkommen - das wissen auch Sie - sind nicht oder wenn, dann nur in geringer Weise von der Einkommensteuer betroffen. Kollegin Frechen hat das vorhin schon gesagt. Eine vierköpfige Familie zahlt unter Berücksichtigung der Sonderausgaben und der Kinderfreibeträge bis zu einem Betrag von über 30 000 Euro keinen Cent Einkommensteuer. Daran sieht man, dass Ihr Antrag lediglich dazu dient, eine Neidkampagne zu entfachen. Man kann es auf den Punkt bringen: Die Leistungsträger unserer Gesellschaft, die arbeitende Bevölkerung mit den mittleren und höheren Einkommen, sollen noch mehr Einkommensteuer bezahlen. Sie wollen 50 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer bei einem Einkommen ab 60 000 Euro. ({8}) Ich kann Ihnen nur sagen: Sie vergessen dabei offenbar völlig, dass bereits heute die oberen 10 Prozent der Steuerpflichtigen mehr als 50 Prozent des Gesamteinkommensteueraufkommens tragen. Es kann deshalb nicht unser Ziel sein, einzelne Bevölkerungsschichten wie beispielsweise die Facharbeiter im Schichtdienst übermäßig zu belasten. Wer diesen Leistungsträgern noch mehr aufbürden will, der zerstört unseres Erachtens die Grundlage des Wohlstands in diesem Land. Nehmen Sie diesen Leistungsträgern die Motivation, sich anzustrengen - das tun Sie mit diesen Steuersätzen -, dann haben Sie bald gar nichts mehr zum Umverteilen. Leider bleibt Ihr Antrag auch Antworten zur Finanzierbarkeit schuldig. Ihr Antrag - das hat das Finanzministerium berechnet - würde zu Steuermindereinnahmen von 13 Milliarden Euro führen. Wer soll das bezahlen? ({9}) Für uns in der Union hat der eingeschlagene Haushaltskonsolidierungskurs absoluten Vorrang vor irgendwelchen populistischen Schnellschüssen. Es heißt immer: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. - Leider sind wir zwischenzeitlich im Morgen angekommen. Fakt ist, und so müsste es eigentlich richtig lauten: Die Schulden von gestern sind die Steuern von heute. Vor einer Einkommensteuerreform, die diesen Namen auch wirklich verdient und die eine runde Sache ist, müssen deshalb die Staatsfinanzen saniert werden. Da sind wir in der Großen Koalition auf einem guten Weg. ({10}) Mit steuerpolitischen Mätzchen und mit Herumgeschraube am bestehenden System ist den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land jedenfalls nicht geholfen. Wir werden deshalb in der Großen Koalition weiterhin daran arbeiten, die Staatsfinanzen zu sanieren und das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Dass die Arbeit der Großen Koalition Früchte trägt, zeigt das Wirtschaftswachstum, das wir auch in einer international schwierigen Lage und in schwierigen Zeiten haben. Dass dieses auch beim Bürger ankommt, zeigen die Arbeitsmarktdaten. ({11}) Das zeigen auch die aktuellen Tarifabschlüsse. ({12}) Die von der Koalition angegangenen Reformen zeigen Wirkung, und sie machen sich auch in der Geldbörse der Bürger positiv bemerkbar. ({13}) Wenn wir die unteren Einkommen beim Aufschwung noch stärker mitnehmen wollen - wie auch Sie es wollen -, dann funktioniert das am besten durch eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten. ({14})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Barbara Höll, Fraktion Die Linke. ({0})

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte, dass die Grundfreibeträge angehoben werden und die steuerliche Progression gerade für untere Einkommen abgeflacht wird. Die Arbeitnehmer brauchen mehr Geld in der Tasche, also mehr Netto vom Brutto. Das ist kein Zitat von mir, auch nicht von Oskar Lafontaine, sondern von Erwin Huber. Er sagte es am 22. März dieses Jahres. Ich freue mich, dass unsere diesbezüglichen Vorschläge auch von der Regierungskoalition aufgenommen werden, auch wenn sie hier mächtig herumeiert. Wir haben eine entsprechende Vorlage bereits vor einem Jahr eingebracht. Ich möchte aber nicht nur Herrn Huber zitieren. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Fritz Rudolf Körper sagte in den Stuttgarter Nachrichten und in der Kölnischen Rundschau am 17. März dieses Jahres Ähnliches. ({0}) Herr Bernhardt, Sie haben eine Reform der Einkommensteuer vorgeschlagen, die mit der Anwendung des Spitzensteuersatzes für Ledige ab einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro, der Anhebung des Grundfreibetrags auf 8 000 Euro und der Glättung des Steuertarifs im mittleren Einkommensbereich unserem Vorschlag nahekommt. Herr Gutting hat genau das - Ihre Vorschläge! - eben als „Mätzchen“ kritisiert. In der ersten Lesung hat er gesagt: Das ist die Fortsetzung des sozialistischen Klassenkampfes. Sie sollten innerhalb der CDU vielleicht einmal ein bisschen überlegen, was es denn nun ist. Ich finde mich da noch nicht ganz zurecht. Ich kann nur sagen: Ich begrüße, dass Herr Bernhardt diese Erkenntnisse ebenfalls hat, auch wenn er ein paar Probleme mit der Gegenfinanzierung hat. Herr Gutting, ganz verstanden habe ich es nicht: Während eines Großteils Ihrer Rede haben Sie gesagt, durch die Umsetzung unserer Vorschläge würden alle mehr belastet, es komme zu einer großartigen Mehrbelastung der unteren und mittleren Einkommen, und dadurch komme es zu Steuermindereinnahmen von 13 Milliarden Euro. Wir entlasten eben wirklich, und wir zeigen auch auf, dass es sehr wohl Möglichkeiten der Gegenfinanzierung gibt. Eine dieser Möglichkeiten, die wir vorschlagen, ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes. ({1}) Laut Untersuchung des DIW haben die reichsten 10 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik ihr reales Nettoeinkommen von 1992 bis 2006 um 31 Prozent steigern können. Das Einkommen der ärmsten 10 Prozent ist dagegen um 13 Prozent gesunken. ({2}) Wir sollten wirklich weitergehen und hier über Mindestlohn und anderes reden. Realität ist, dass die sogenannte Mittelschicht in Deutschland in den vergangenen Jahren geschrumpft ist. Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik. ({3}) Laut Untersuchung des DIW ging der Anteil der Bezieherinnen und Bezieher mittlerer Einkommen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von 62 Prozent - das waren etwas mehr als 49 Millionen Personen - im Jahr 2000 auf 54 Prozent im Jahr 2006 zurück. Das ist ein Ergebnis rot-grüner, aber auch rot-schwarzer Politik. ({4}) Also haben mindestens 5 Millionen Menschen eine absolute Verschlechterung ihres sozialen Status erlitten. Zudem gibt es einen deutlichen Zuwachs an Menschen mit niedrigstem Einkommen. Diese Menschen machten 2006 über ein Viertel der gesamten Bevölkerung aus. Ihr Anteil ist um 7 Prozent gestiegen. Ein Ergebnis Ihrer Politik sind die unterschiedlichen Belastungen, die hier in Deutschland zu verzeichnen sind. Es ist an der Zeit, eine Änderung in Angriff zu nehmen. Wir brauchen dazu natürlich eine Änderung im Einkommensteuerrecht. Wir brauchen eine weiter gehende Anhebung des steuerfreien Grundbetrags. Seien Sie gewiss: Sie werden auch hierzu noch einen Antrag von uns bekommen. ({5}) Aber wir wollten Ihnen auch die Chance geben, das hier Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen. Wir haben hier einen Antrag vorgelegt, in dem es um die Gestaltung eines linear-progressiven Tarifs und die Anhebung des Spitzensteuersatzes geht. Außerdem haben wir in das parlamentarische Verfahren einen Antrag eingebracht, in dem dargestellt wird - darüber kann man miteinander reden -, wie man die „kalte Progression“ auf unterschiedliche Weise aufheben kann. Hier liegt ein Strauß von Vorschlägen für mehr Steuergerechtigkeit vor. Das ist ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit. Das Niveau dieser Debatte - das muss ich Ihnen hier auch einmal sagen - ist wirklich unterirdisch. Sie drehen und wenden sich. Ich erwähne als Beispiel das Zitat aus dem Antrag: Stellen Sie alle miteinander doch bitte nicht Ihr Licht unter den Scheffel! Die Formulierung ist eindeutig. ({6}) - Natürlich ist sie eindeutig, ({7}) wenn man den Satz davor und den Satz dahinter liest. So weit sollte unser parlamentarisches Verständnis reichen. Wir sind für diesen Antrag als Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit. Angesichts der vorhandenen Anzeichen - die Zitate habe ich vorgetragen, und unser Ausschussvorsitzender hat das Zeichen gesetzt, dass auch der Koalitionsausschuss darüber weiterdiskutiert - hoffe ich, dass wir in einigen Wochen hier im Hause erneut über dieses Thema sprechen werden. Danke. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ({0})

Christine Scheel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002771, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Barbara Höll hat gerade das Niveau der Debatte angesprochen. Sie hat allerdings, was ihren eigenen Beitrag anbelangt, Dinge gesagt, die einfach nicht richtig sind. ({0}) Ich belege dies an dem Beispiel, wer wie viel zahlt. Wir alle wissen, dass diejenigen, die gut verdienen, die oberen 10 Prozent der Bevölkerung, die steuerpflichtig und einkommensteuerzahlend sind, etwa 70 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens leisten. ({1}) Dann ist vonseiten der Linken gesagt worden, sie wolle jetzt die Bezieher der ganz kleinen Einkommen entlasten, weil dies ja diejenigen seien, die belastet sind. Dazu muss man sagen, dass die untersten 10 Prozent der Einkommensbezieher in der Bundesrepublik Deutschland keine Einkommensteuer zahlen. Das gehört auch zur Wahrheit dazu. ({2}) Es gibt in dieser Diskussion auch Überlegungen - die CSU hat dies jetzt durch Minister Huber und auch andere angekündigt; ich nehme an, dass Günther Beckstein auch dieser Auffassung ist, das ist ja ein Duo, das neuerdings zusammenhält, wie wir gelernt haben -, ({3}) hinsichtlich der kalten Progression sowie der Belastung im unteren Bereich einen Vorschlag vorzulegen. Dies halte ich für richtig; in dieser Richtung sind auch die Grünen aufgestellt. Im Zusammenhang damit brauchen wir eine Diskussion darüber, wie hoch das steuerfreie Existenzminimum in Zukunft sein soll. ({4}) Diese wichtige und notwendige Debatte muss natürlich auch geführt werden. Des Weiteren brauchen wir eine Diskussion darüber, dass die Inflation die Steuerentlastungen der letzten Jahre und übrigens auch die Entlastungen auffrisst, die Rot-Grün beschlossen hatte. Dies geschieht, weil unser Steuertarif nicht an die Inflation gekoppelt ist, wie zum Beispiel in anderen Ländern. Wenn man sich die Zeit der Großen Koalition von 2005 bis 2008 anschaut, dann erkennt man, dass allein durch diesen Effekt der kalten Progression - dies besagen nachvollziehbare Berechnungen von Wirtschaftsinstituten - den Menschen etwa 20 Milliarden Euro abgenommen wurden. Die Progressionswirkung insgesamt ist noch wesentlich höher; sie liegt bei ungefähr 35 Milliarden Euro. ({5}) Deswegen müssen wir uns natürlich überlegen, wie man den Steuertarif für die Zukunft ausgestaltet. ({6}) Aber es geht nicht an, Frau Höll, dass die Linke vorschlägt, den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent plus Soli anzuheben und - heute Morgen hatten wir die Rentendebatte - die Sozialversicherungsbeiträge so nach oben schnellen zu lassen, dass sie in der Perspektive - wir reden hier beispielsweise auch über den Zeitraum bis 2030 in der Größenordnung von über 60 Prozent liegen. Hinzu käme ein Steuersatz von über 50 Prozent, sodass, ausgelöst durch die Vorschläge der Linken, Gesamtbelastungen der Leistungsträger und Leistungsträgerinnen in dieser Gesellschaft von über 110 Prozent vorhanden wären. Das ist verrückt. So kann man keine vernünftige Wirtschaftspolitik machen. ({7}) Das hat nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun, sondern das wäre der blanke Wahnsinn. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Einkommensteuertarif gerecht gestalten Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6799, den Antrag Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5277 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen. Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes - Drucksache 16/8546 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0}) Innenausschuss Rechtsausschuss Ausschuss für Kultur und Medien Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Bundesministerin Ursula von der Leyen.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jugendschutz ist manchmal wie ein Wettlauf. Die Medien, zum Beispiel Handys und das, was man mit ihnen machen kann, sowie Computerspiele, ändern sich rasant. Einerseits bieten sich faszinierende Möglichkeiten, sich zu informieren, mit anderen ins Gespräch zu kommen oder einfach nur in der Freizeit Spaß zu haben - das ist alles gut -, andererseits müssen wir aber immer aufpassen, dass wir neue Gefährdungen, die sich daraus für Kinder und Jugendliche ergeben, rechtzeitig erfassen und darauf reagieren. Der Staat muss also immer wieder überprüfen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kinder oder Jugendliche keinen Zugang zu schädlichen Medieninhalten haben. Wir haben deshalb gemeinsam mit den Ländern im Mai 2006 beschlossen, sämtliche Vorschriften zum Jugendmedienschutz bis zum Herbst 2007 extern überprüfen zu lassen. Beim Bereich der Computerspiele - dieser Teil war als Erstes fertig - haben wir gesehen, dass wir nicht so lange warten wollen und können, bis alle anderen Prozesse abgeschlossen sind. Deshalb habe ich vor einem Jahr gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Familienminister Armin Laschet - das ist das federführende Land in der USK - ein Sofortprogramm gestartet, um Kinder und Jugendliche wirksamer vor extrem gewalthaltigen Computerspielen zu schützen. Die Änderungsvorschläge zum Jugendschutzgesetz sind eine von vier Säulen dieses Sofortprogramms. Außerdem wollen wir den Gesetzesvollzug verbessern dazu muss es eine ganz enge Zusammenarbeit mit den Kommunen geben. Wir wollen die Qualität und die Transparenz von Jugendschutzentscheidungen erhöhen, also deutlich machen, warum was indiziert worden ist oder nicht, und den Jugendmedienschutz besser kommunizieren, damit klar ist, wie die Regeln sind. Natürlich gibt es keinen Automatismus. Nicht jeder, der gewalttätige Spiele spielt, wird selbst gewalttätig. Aber wir alle wissen: Es bleibt nicht ohne Auswirkung auf Kinder und Jugendliche, wenn Gewalt in den Medien, die sie täglich bedienen, zum normalen Begleiter im Alltag wird. Wenn andere Probleme dazukommen, zum Beispiel in der Familie oder in der Schule, ist die Folge die Identifikation mit den Gewaltszenarien, und dann wird es gefährlich. Nun kann man natürlich fragen: Was heißt denn „Gewalt“? Genau das ist der Punkt, bei dem wir ansetzen. Wir wollen künftig auch solche Spiele und Filme von vornherein indizieren, bei denen besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen von Gewalt Selbstzweck sind und das Geschehen beherrschen. Das heißt, die Definition von Gewalt allgemein wird verschärft und fokussiert, damit härter durchgegriffen werden kann. Zu nennen sind zum Beispiel Filme und Spiele, bei denen Folter, Vergewaltigung und Verstümmelung ausführlich gezeigt werden, aber auch Spiele - das ist wichtig -, bei denen die Spieler für Folter und Gewalt, die sie selbst ausüben, eigens belohnt werden, also einen Bonus erhalten, zum Beispiel in den nächsten Level gehen können. Außerdem wollen wir die Alterskennzeichnung sichtbarer machen. Wenn man sich die Produkte heute anschaut, dann sieht man: Die Kennzeichnung ist auch mit der Lupe kaum zu erkennen. Ich würde ohne Lesebrille schon nicht mehr identifizieren können, für welches Alter ein Produkt zugelassen oder ausgeschlossen ist. Das bringt dann in der Praxis rein gar nichts. Es muss auf den ersten Blick erkennbar und auch für die Umgebung deutlich sichtbar sein, ob ein Spiel für Kinder und Jugendliche freigegeben ist oder nicht. Das Alterskennzeichen soll - ähnlich wie auf den Zigarettenpackungen - auch auf Video- und Computerspielen nicht mehr zu übersehen sein. Hier hat sich einiges getan. Natürlich werden wir an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir etwas, was jeder, der mit Computern arbeitet, kennt. Ich darf das einmal so ausdrücken: Wir machen eine Zwischenspeicherung, wenn ein wichtiger Schritt erreicht ist. Von diesem Punkt aus können wir die nächste Aufgabe in Angriff nehmen. Übersetzt heißt dies: Die Ergebnisse der Gesamtevaluation - insbesondere im Onlinebereich der Jugendschutzvorschriften - liegen uns seit Ende Oktober 2007 vor. Derzeit beraten wir mit den Ländern darüber, wie wir das Jugendschutzgesetz und vor allem den Jugendmedienschutzstaatsvertrag, der ein wichtiges Feld ist und in dem besonders die Länder eine Rolle spielen, weiter verbessern können und müssen. Das ist gerade im Bereich der Onlinethematik entscheidend. Soweit zur Hardware, nämlich dem Gesetz. Gesetzlicher Jugendschutz allein reicht aber nicht aus. Wenn ich in dem Bild bleiben darf, dann ist die dazugehörige Software die Medienkompetenz. Diese ist insbe16210 sondere für die Politik viel schwerer zu fassen. Sie ist aber eigentlich viel wichtiger und wirksamer. Sie umfasst den verantwortlichen, selbstbestimmten und informierten Umgang mit Medien. Für Kinder und Jugendliche ist Medienkompetenz heute - auch was den Schutz angeht - eine der Schlüsselfragen schlechthin. Natürlich müssen auch Eltern in der Lage sein, ihren Kindern diese Kompetenz zu vermitteln, obwohl wir alle wissen, dass es gerade auf diesem Gebiet das eigenwillige Phänomen gibt, dass die Kinder fast immer schlauer und versierter sind als die Eltern. ({0}) Wir haben deshalb mit Partnern aus den Medien - zum Beispiel mit den großen Fernsehanstalten - die Kampagne „Schau hin! Was Deine Kinder machen.“ gestartet. Wir wollen über Medien und Mediennutzung informieren. Auch wenn es für Eltern nicht einfach ist in Zeiten, in denen Dinge wie Web 2.0 oder LAN-Partys für Kinder eine Selbstverständlichkeit, für viele von uns hier im Raum jedoch schwer nachzuvollziehen sind, auch wenn jede neue Entwicklung unendlich schnell auf dem Markt, jedoch schwer zu verfolgen ist: Wir sind gefordert, uns mit der Mediennutzung unserer Kinder auseinanderzusetzen und immer wieder neue Instrumente zu entwickeln, um gemeinsam mit den Eltern, den Schulen und den Kindergärten diese Medienkompetenz und insbesondere die kritische Auseinandersetzung der Kinder mit Medien schärfen zu können. Wir sind sicherlich auch gefordert, uns mit unserer eigenen Mediennutzung auseinanderzusetzen. Es braucht eine kritische Distanz zu problematischen Inhalten, klare Spielregeln innerhalb einer Familie, die auch von allen eingehalten werden, und nicht zuletzt unsere Souveränität, auszuschalten. Danke. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Christoph Waitz, FDP-Fraktion.

Christoph Waitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003859, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einfache Funktelefone haben sich zu massenhaft verfügbaren Geräten entwickelt, mit denen Filme und Bilder verbreitet werden können. Wir alle haben vergleichbare Handys und PDAs in unseren Taschen. Wissen wir aber, dass über 70 Prozent aller Kinder im Alter von 12 bis 13 Jahren auch schon ein solches Handy haben? Die Kinder haben also ein Handy, mit dem sie Bilder und Filme produzieren und auch zugesandt bekommen. Wissen wir, dass über 9 Prozent der Kinder im Alter von 6 bis 13 Jahren schon einmal - so nennt es der Hans-Bredow-Bericht - seltsame oder unangenehme Sachen auf ihr Handy geschickt bekommen haben? Das waren nicht nur Werbesendungen für Gummibärchen, sondern das waren konkrete sexuelle Angebote, Bilder und Videos. Nicht neu, aber problematisch ist der steigende Umfang der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen. Frau von der Leyen hat darauf hingewiesen. Wir haben uns an die intensive und selbstverständliche Nutzung des Fernsehers gewöhnt. Heute steht der Fernseher aber nicht nur in der Küche und im Wohnzimmer. Jedes zweite Kind im Grundschulalter verfügt über einen eigenen Fernseher, und es schaut 90 Minuten lang fern. Hinzu kommt die Nutzung des Computers für Computerspiele. Jedes fünfte Kind zwischen 6 und 12 Jahren spielt täglich allein oder gemeinsam mit anderen Kindern. Als man Schüler der siebten und achten Klasse eines Berliner Gymnasiums in Neukölln gefragt hat: „Wie lange spielst du jeden Tag Computerspiele?“, da ergab sich aus den Antworten, dass der Durchschnitt bei über drei Stunden lag. Es ist der Umfang der Mediennutzung, der für unsere Kinder und Jugendlichen zu einem besonderen Problem zu werden beginnt. Bei der Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien zum Thema Onlinesucht haben uns die Sachverständigen gestern gesagt, dass es von entscheidender Bedeutung ist, präventiv tätig zu werden. Erstens müssen Eltern in den entscheidenden Entwicklungs- und Reifungsphasen einen regulierenden Einfluss auf den Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen nehmen. Wir Eltern tragen nämlich die besondere Verantwortung dafür, mit welchen Inhalten sich unsere Kinder auseinandersetzen, und müssen begrenzend eingreifen. Zweitens müssen wir die Schulen und Lehrer als Multiplikatoren der Medienerziehung nutzen. Über Lehrer lassen sich diese Informationen an die Eltern vermitteln. Bei auffälligen Kindern können so frühzeitiger Gegenmaßnahmen ergriffen und Hilfsangebote unterbreitet werden. Dazu ist es aber nötig und notwendig, dass möglichst viele Lehrer an Fortbildungsveranstaltungen zum Thema Medienpädagogik teilnehmen. Die Teilnahme an solchen Fortbildungsveranstaltungen muss in unseren Augen zur Pflicht gemacht werden. ({0}) Frau Ministerin von der Leyen, das ist natürlich kein Thema, das wir mit Änderungen im Jugendschutzgesetz lösen können. Aber es ist wichtig - ich würde mich freuen, wenn Sie sich da entsprechend einsetzen könnten -, gemeinsam mit den Kultusministern der Länder die Möglichkeiten zu einer verbesserten Prävention auszuloten und entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Mit Ihrer vorgeschlagenen Gesetzesänderung soll die Alterskennzeichnung auf den Trägermedien deutlicher und größer werden. Das ist sicherlich eine vernünftige Maßnahme; denn die derzeitige Alterskennzeichnung war so klein und unauffällig, dass man genau wissen musste, wo man hinschauen muss, um sie zu entdecken. Es ist aber wichtig, dass diese gesonderte Kennzeichnung so auf den Verpackungen platziert ist, dass sie ein Kunde im Laden als Erstes mit wahrnimmt. Wir haben uns heute den Spaß gemacht, im Internet nach Tauschbörsen für Computerspiele zu suchen. Es hat keine drei Minuten gedauert, bis wir eine Seite mit einer Vielzahl von indizierten Computerspielen wie „Resident Evil 2“ oder „Postal 2“ gefunden hatten. ({1}) - Ich habe es noch nie gespielt, Frau Kollegin. - Auf dieser Internetseite spielten sich zu diesem Zeitpunkt nur im Bereich der indizierten Spiele mehrere Tausend Downloadvorgänge ab. Sie wissen wie ich, dass das ein illegaler, aber anscheinend weitverbreiteter Weg unter Jugendlichen ist, um an Computerspiele der besonderen Art zu gelangen. Frau von der Leyen, auf diese Herausforderung müssen wir eine Antwort finden. Es nutzt nichts, ein gutes oder vielleicht sogar sehr gutes Jugendschutzgesetz zu haben, wenn die Wirklichkeit an ihm vorbeigeht. Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Mangel: Er vermittelt nur den Anschein, dass der Jugendschutz verbessert würde, aber er löst nicht die eigentlichen Probleme. Diese eigentlichen Probleme liegen im Internet. Deswegen möchte ich hier von einem Gesetzesplacebo sprechen. Eine problematische Rolle spielen aber auch Eltern und Großeltern bei der Verbreitung von nicht altersgerechten Spielen. Ich darf hier zitieren, was ein 13-jähriger Junge im Internet schrieb, als er sich nach einem Computerspiel erkundigte, das ab 16 Jahren freigegeben ist: „Ich bin 13 und will das Spiel gerne spielen. Ist es schlimm? Wie könnte ich meine Eltern überreden? Bitte helft mir!“ Ihm wurde dann beispielsweise geantwortet: „Ich bin 12, und meine Eltern haben nichts dagegen, nur die USK; richtig tolles Spiel, Blut ({2}), keine Wunden!“ Das Ganze endet mit: „Vielen Dank euch allen. Ich darf das Spiel jetzt kaufen.“ - Dieses Beispiel macht deutlich, wo die eigentlichen Probleme liegen und dass wir insbesondere bei den Eltern ansetzen müssen, damit diese einsehen und verstehen, warum ein bestimmtes Spiel nicht für eine ganz spezielle Altersgruppe geeignet ist. Daran fehlt es noch. In den Niederlanden, aber auch in den Vereinigten Staaten wird uns vorgemacht, dass man solche Informationsvermittlung leisten kann. Ein letztes Wort: Das Evaluierungsgutachten des Hans-Bredow-Instituts hat eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen erbracht, mit denen der Jugendschutz effizienter und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren vereinfacht werden könnte. Leider finden sich diese Vorschläge nicht im Entwurf der Bundesregierung. Wir wollen in den Ausschussberatungen über diese konkreten Verbesserungsvorschläge diskutieren und die eigentlichen Probleme angehen. Das sind wir den Kindern und Jugendlichen schuldig. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Jürgen Kucharczyk, SPD-Fraktion. ({0})

Jürgen Kucharczyk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003794, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschlands Jugendschutzsystem kommt eine Vorreiterrolle in Europa zu. Unser Jugendschutz ist wirkungsvoll, und seine verschiedenen Instrumente wie die Freiwillige Selbstkontrolle oder die Indizierung haben sich grundsätzlich bewährt. Wir brauchen deshalb das Rad nicht neu zu erfinden, sondern müssen unser Jugendschutzgesetz in Detailfragen einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterziehen. ({0}) Zu diesem Ergebnis sind übrigens auch die von der Bund-Länder-Kommission in Auftrag gegebenen Studien und Berichte des Hans-Bredow-Instituts gekommen. Im Ergebnis der Untersuchung des Hans-BredowInstituts steht: Um das Niveau des Jugendschutzes hochzuhalten und damit den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sie gefährdenden Inhalten zu verbessern, müssen wir nachjustieren. - Das wollen wir unterstützen. Nur so gelingt es uns, auf der Höhe der gesellschaftlichen, aber auch der technischen Entwicklung zu bleiben. ({1}) Die Erkenntnisse aus der Mediengewaltforschung machen deutlich, dass die Vereinfachung der Indizierung sogenannter Killerspiele und Gewaltvideos dringend gefordert ist. Medien dieser Art gehören nur noch in Erwachsenenvideotheken und haben auf der Ladentheke oder im Regal nichts mehr zu suchen. ({2}) Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird die Verbesserung des effektiven Jugendschutzsystems beabsichtigt. Der Verbotskatalog für schwer jugendgefährdende Trägermedien, die kraft Gesetzes indiziert sind, wird im Hinblick auf Gewaltdarstellungen erweitert. Über die im Gesetz aufgeführten Inhalte hinaus werden Trägermedien, die besonders realistische, grausame und reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien mit weitreichenden Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten belegt. Für diese Medien, zu denen Killerspiele und Horrorfilme zählen, gelten dann auch ohne ein spezielles Indizierungsverfahren gesetzliche Vertriebsbeschränkungen. Insbesondere dies ist ein Erfolg, da das Medium bislang bis zum Abschluss des herkömmlichen Indizierungsprozesses einige Monate vertrieben und beworben werden konnte. Die im Gesetz genannten Indizierungskriterien in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen werden erweitert und präzisiert. Die Aufzählung ist richtungweisend für die Bundesprüfstelle und ergänzt den Verbotskatalog, der vorsieht, Medien mit diesen Inhalten zu indizieren. § 18 des Jugendschutzgesetzes wird um Kriterien ergänzt, die darauf abstellen, dass entweder Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahegelegt wird. Die Mindestgröße und die Sichtbarkeit der Alterskennzeichnung der FSK und USK werden gesetzlich festgeschrieben. Es ist wichtig, dass die Kennzeichnung künftig eine einheitliche Größe hat und sichtbar platziert ist. ({3}) Eltern, Großeltern sowie dem Verkaufspersonal muss die Altersklassifizierung ins Auge springen. Diese Regelung soll dem Problem entgegenwirken, dass viel zu häufig Spiele und DVDs verkauft werden, die dem Altersbedarf nicht angemessen sind. Klare, einfache Botschaften müssen durch Größe, Form und Alterszahl ersichtlich sein - und dies nicht versteckt auf der Rückseite, sondern vorne auf den Produkten. ({4}) Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt zurzeit keine wissenschaftlichen Beweise, dass der Konsum von Killerspielen zur Auslebung von Gewalt in der Realität führt. Es stimmt mich allerdings nachdenklich, dass die Empathie beim Spielen völlig auf der Strecke bleibt. Das Leiden von Opfern bleibt ausgespart, und es wird stark vereinfacht und die Welt in Gut und Böse aufgeteilt. Daneben drohen den Kindern und Jugendlichen, die für ihre Altersgruppe ungeeignete Gewaltspiele konsumieren, ein erhöhtes Aggressionspotenzial und eine niedrige Konzentrationsfähigkeit. Eine reine Verbotspolitik ist meines Erachtens allerdings Ausdruck einer hysterisch geführten Debatte. ({5}) Ein Totalverbot von Killerspielen bringt uns auch vor dem Hintergrund der Onlineproblematik von jugendgefährdenden Spielen nicht weiter. Vielmehr spiegelt ein Verbot auf populistische Art und Weise eine falsche Sicherheit vor. Denn eines ist vollkommen klar: Kein generelles Verbot von Gewaltspielen könnte real vorkommende Gewalt verhindern. Zensur ist daher für uns keine Lösung. Wichtig ist, dass wir in Zukunft darauf achten, mit welchen Medien unsere Kinder und Enkel ihre Freizeit verbringen. Sie müssen lernen, kritisch und verantwortungsvoll mit Medien aller Art umzugehen. Dazu sind wir alle aufgefordert. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion Die Linke. ({0})

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz: „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor medialen Gewaltdarstellungen, insbesondere gewaltbeherrschten Computerspielen.“ So steht es unter der Überschrift „Problem und Ziel“ im Gesetzentwurf. Reicht eine Katalogerweiterung? Reicht eine vorgeschriebene Mindestgröße der Alterskennzeichnung? Wird damit der gewünschte Schutz erreicht? Es gibt eine Farbkennzeichnung: weiß, gelb, grün, blau und rot. Diese markanten Kennzeichen sind schon jedem von uns an der Verkaufstheke begegnet. Schon am 26. April 2007, also vor fast einem Jahr, wurde im Expertengespräch „Jugendmedienschutz und gewalthaltige Computerspiele“ im Unterausschuss Neue Medien festgestellt, dass Verbotsforderungen und Verschärfungen bestehender Gesetze nicht zielführend sind. Was brauchen unsere Kinder und Jugendlichen wirklich? Brauchen wir deutlich sichtbare Aufkleber „FSK 16“, damit man gleich sieht, wo die interessanten Spiele stehen? Man sollte sich da nichts vormachen: Im Zuge des globalen Wettbewerbs werden Spiele teilweise künstlich altersmäßig hochgesetzt, um sie interessanter zu machen. Jeder, der Kinder hat, weiß ganz genau, dass Spiele mit den grünen „FSK 12“-Schildern nicht so interessant sind wie die mit den blauen „FSK 16“-Schildern. Das weiß man doch. Wer will schon diesen Kinderkram? So hört man oftmals. Unser Nachwuchs - das ist das Problem - braucht Medienkompetenz und elterliche Kontrolle in dieser immer komplexer werdenden Medienwelt. Frau von der Leyen, Sie haben es schon angesprochen. Die Kampagnen „Schau hin! Was deine Kinder machen.“ und die Internetseite www.klicksafe.de sind wirklich gute Ansatzpunkte. In der Studie des Hans-Bredow-Instituts wurde festgestellt - das wurde hier ebenfalls schon angesprochen -, dass ein Handeln anstelle der Eltern, wo diese ihren Einfluss verlieren, an Bedeutung zunehme. Aber hier darf die Realität nicht ausgeblendet werden. Die Verbreitung solcher Spiele - auch das wurde hier schon angesprochen - erfolgt doch nicht nur über die Ladentheke, sondern oftmals über Tauschbörsen, durch den Kauf in Nachbarländern oder durch Downloads aus dem Internet. An dieser Stelle muss man hellhörig werden. Wenn ich etwas verbiete, muss ich es auch kontrollieren. Konsequenterweise wird von den Verfechtern solcher Verbote immer auch die Ausweitung der Überwachung des Internets gefordert. Das kann aber nicht die Lösung sein. Kinder und Jugendliche müssen lernen, mit virtuellen Welten umzugehen und Risiken abzuschätzen. Moderne Medienpädagogik ist gefragt. Orte des Lernens wie Familie, Schule, Hort und Kindergarten sind dabei entscheidend. Bestehende Beratungsangebote für Eltern müssen gefördert und weitere Aufklärung muss betrieben werden. Ich denke, das ist der effektivste Schutz vor Gewaltdarstellung. Mit Verboten allein kommen wir nicht unbedingt weiter. Nach dem Motto „Nutzt’s nix, dann schadt’s nix!“ zu handeln, dürfte möglicherweise verfehlt sein, da vielleicht auch die Stimmen nach mehr Kontrolle - Stichwort: Cyber-Police à la Beckstein - laut werden könnten. Es geht nicht darum, nichts zu sehen, sondern darum, mögliche negative Folgen für unsere Kinder - ob nun wissenschaftlich evaluiert oder nicht - zu minimieJörn Wunderlich ren. Statt Verbote und Sanktionen muss die Regierung Angebote zur Medienpädagogik und zur Medienkompetenz flächendeckend und altersgerecht machen. Angebote statt Verbote: Das fordert die Linke. Frau von der Leyen, Sie haben gesagt, Sie seien im Gespräch mit den Ländern. Wir sind daher gespannt, was für Angebote seitens der Regierung gemacht werden. Danke schön. ({0})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Kollege Kai Gehring, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Kai Gehring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003756, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein starker Jugendschutz ist eine wichtige gesellschaftliche und politische Aufgabe. Er muss daher kontinuierlich an neue Herausforderungen angepasst werden. Eltern beklagen Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalt, Rassismus und Pornografie im Internet und in Computerspielen. Daher ist es wichtig, Eltern in ihrer Erziehungs- und Medienkompetenz zu stärken und zu unterstützen. Jugendliche wiederum müssen befähigt werden, mit solchen Herausforderungen und mit neuen medialen Einflüssen verantwortlich umzugehen. Was ist dabei die Rolle der Politik? Die Politik muss für klare Jugendschutzregeln und deren effektive Umsetzung sorgen. Frau von der Leyen, mit der vorliegenden Novelle lässt sich kein zeitgemäßer Jugendschutz erreichen. Ihren ursprünglichen Gesetzentwurf mussten Sie zurückziehen, weil Sie Kinder als Testkäufer einsetzen wollten. Im zweiten Anlauf lassen Sie die Frage der Testkäufer nun völlig ungeregelt. Warum schließen Sie Kinder, also unter 14-Jährige, als Testkäufer im Jugendschutzgesetz nicht definitiv aus? Es muss verhindert werden, dass 9- und 10-Jährige von Behörden zum Kauf von Tequila geschickt werden. ({0}) Keine Regelung heißt, dass der verantwortungslose Wildwuchs vor Ort und in den Bundesländern weitergehen kann. Was wird überhaupt neu in diesem Gesetz verankert? Die Altershinweise auf Videos, DVDs und Computerspielen werden zwar größer, aber nicht verständlicher. Mit unklaren Gewaltbegriffen schaffen Sie zusätzliche Rechtsunsicherheit. Formulierungen wie „gewaltbeherrschte Computerspiele“ und „selbstzweckhafte Gewalt“ drohen zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Juristen und Gerichte zu werden. ({1}) Wo bleiben denn die wirklich durchgreifenden und wirksamen Maßnahmen? Wann wird zum Beispiel endlich der Bußgeldkatalog verschärft, wie wir es am runden Tisch auf grüne Initiative hin gemeinsam verabredet haben? Wir brauchen ein einheitliches und abschreckendes Mindestbußgeld für Verstöße gegen den Jugendschutz; denn wenn das durchschnittliche Bußgeld, wie in Nordrhein-Westfalen der Fall, weit unter 100 Euro liegt, dann bleibt es ein zahnloser Tiger und wirkt nicht. ({2}) Wann wird endlich der Vollzug verbessert? Das ist eine Schlüsselfrage. Um Jugendliche nachhaltiger zu schützen, brauchen wir regelmäßige Schwerpunktkontrollen vor Ort. Nur so lässt sich das Risiko erhöhen, bei Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz erwischt zu werden. Die Politik der Jugendministerin in Fragen des Jugendschutzes ist ziemlich sprunghaft. Vor Monaten haben Sie ein allgemeines Alkoholverbot für unter 18-Jährige gefordert. Da niemand diese überzogene und unwirksame Forderung aufgegriffen hat, blieben Sie hinsichtlich der Frage, wie man exzessiven Alkoholkonsum und Flatrate-Partys verhindern kann, nahezu untätig. Auch hier gilt: Große Worte, aber wenig Taten. Dagegen hat die rot-grüne Reform des Jugendmedienschutzes Wirkung gezeigt. Das Prinzip der regulierten Selbstkontrolle hat sich bewährt. Das zeigt die seit einem Jahr vorliegende Evaluation des Hans-Bredow-Instituts. Das Gutachten enthält in der Tat gute Vorschläge zur Effektivierung des Jugendmedienschutzes. ({3}) Diese werden von der Koalition leider völlig ignoriert. ({4}) Zwei Beispiele dafür. Auf neue technische Entwicklungen geht Ihr Gesetzentwurf an keiner Stelle ein. Wir sagen: Es darf nicht sein, dass Onlinespiele weiterhin überhaupt nicht geprüft werden. Systematische Kooperationsregeln zwischen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und der Selbstkontrolle fehlen auch. Wir sagen: Jedes Computerspiel, das von der USK als indizierungswürdig eingestuft wird und deshalb keine Kennzeichnung erhält, muss automatisch von der Bundesprüfstelle geprüft werden, damit man nicht zwischenzeitlich Geld damit verdienen kann. Zu einem modernen Jugendmedienschutz gehört übrigens auch, dass das Suchtpotenzial von Computerspielen bei der Altersfreigabe berücksichtigt wird. Wenn die Koalition die Vorschläge des Hans-Bredow-Instituts nicht in dieser Novelle aufgreift, wird ihre Umsetzung letztlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Dann bekommen Sie das in dieser Legislaturperiode wahrscheinlich nicht mehr hin. ({5}) Fazit. Wir brauchen gerade im Jugendschutz keine Symbolpolitik, sondern praktikable Maßnahmen und konsistente gesetzliche Regelungen. Wir brauchen keine populistischen Verschärfungen und Verbotsforderungen, sondern eine wirksame Weiterentwicklung und einen besseren Gesetzesvollzug. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet das nicht. Deshalb können wir ihn nicht unterstützen. Vielen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Caren Marks, SPD-Fraktion. ({0})

Caren Marks (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003587, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder und jede von uns kennt die Presseberichte: Gewaltverherrlichende Computerspiele fördern die Aggressivität von Jugendlichen. Jugendliche trinken zu viel Alkohol und landen mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus. Die dargestellten Fälle müssen uns zu Recht nachdenklich stimmen. Häufig wird der Ruf nach schärferen Gesetzen laut. Wir müssen uns aber fragen, ob die komplexen Probleme tatsächlich mit schärferen Gesetzen zu lösen sind. Wir dürfen auch heute, in dieser jugendpolitischen Debatte, nicht vergessen, dass die meisten Jugendlichen verantwortungsvoll und engagiert sind. ({0}) Sie gestalten aktiv ihre Freizeit. Das Gros der Jugend geht sehr verantwortungsvoll mit Alkohol- oder auch Medienkonsum um. Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Natürlich dürfen wir die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Sogenannte Flatrate-Partys, auf denen man für wenig Geld unbegrenzt viel Alkohol trinken kann, sind leider keine Randerscheinung. Kinder und Jugendliche brauchen Schutz und Regeln. ({1}) Wir haben in Deutschland in erster Linie kein Problem mit der Gesetzeslage, sondern Defizite bei der Prävention vor Ort und im Gesetzesvollzug. ({2}) Das Jugendschutzgesetz, das die rot-grüne Bundesregierung 2002 auf den Weg gebracht hat, enthält sehr wirkungsvolle Regelungen und hat sich bewährt. Es schützt unsere Jugend, es gibt ihr Regeln und setzt Grenzen. Das bestätigt auch die aktuelle Studie des Hans-Bredow-Instituts. Ich möchte dieser eindeutigen Rechtslage Beispiele aus dem täglichen Leben gegenüberstellen. Das Jugendschutzgesetz verbietet den Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche, doch der Verkauf von Schnaps an Minderjährige am Kiosk, an der Tankstelle oder in der Kneipe kommt häufig vor. Sogenannte Flatrate-Partys finden statt, obwohl sie bereits nach geltender Rechtslage untersagt werden können; einige Kommunen machen das auch vorbildlich. ({3}) Gesetze zum Schutz von Kindern und Jugendlichen stoßen an ihre Grenzen, wenn Erwachsene sie nicht einhalten, wenn ein Kiosk- oder Tankstellenbesitzer oder eine -besitzerin dem 15-Jährigen die Flasche Wodka verkauft, obwohl dies verboten ist; wenn Behörden vor Ort die Einhaltung der Gesetze nicht oder nur unzureichend kontrollieren. Wir müssen die geltenden Gesetze konsequent anwenden; sonst ist unser gutes Jugendschutzgesetz ein zahnloser Papiertiger. ({4}) Die Bundesdrogenbeauftragte, Sabine Bätzing, macht immer wieder eindrucksvoll deutlich: Wir alle sind gefragt, wenn es um Prävention und um wirksame Alkoholprävention geht. Seien wir doch ehrlich: Viele sind der Überzeugung, dass zu einer guten Party oder zu einer guten Stimmung im Festzelt auch viel Alkohol gehört. Wir alle wissen, dass Alkohol in unserer Gesellschaft verankert ist. Umso mehr zählt neben der Prävention ein maßvoller Umgang, zum Beispiel mit Alkohol, den wir als Erwachsene den Kindern und Jugendlichen vorleben müssen. ({5}) Der Ruf nach schärferen Gesetzen verkennt die geltende Rechtslage. Er ist durchaus verlockend, aber auch verantwortungslos. Wenn wir es mit dem Schutz unserer Kinder und Jugendlichen ernst meinen, dann müssen wir den Ursachen auf den Grund gehen und unsere eigenen Verhaltensmuster kritisch hinterfragen. Das Jugendschutzgesetz, das wir jetzt punktuell weiterentwickeln, ist ein hervorragendes jugendpolitisches Instrument. Es liegt an uns, dieses Instrument sinnvoll einzusetzen. Herzlichen Dank. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8546 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik Von der Verpackungsverordnung zur Wertstoffverordnung - Drucksache 16/8537 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.

Sylvia Kotting-Uhl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003792, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wertstofftonne heißt das Konzept, zu dem kluge Kommunen oder Kreise wie zum Beispiel der Rhein-NeckarKreis, in dem ich lange gelebt habe, die gelbe Tonne weiterentwickelt haben. Mit der 5. Novelle der Verpackungsverordnung wird es jetzt jeder Kommune ganz offiziell anheimgestellt, Wertstoffe jenseits der Verpackungen in der gelben Tonne einzusammeln. Warum? Weil es sich herumgesprochen hat, dass es sinnvoller ist, Wertstoffe einzusammeln, als sie wegzuschmeißen. Das heißt, die Praxis ist diesbezüglich weiter als das dahinterstehende politische Regelwerk. Denn wir haben keine Wertstoffverordnung in der Abfallpolitik, wir haben eine Verpackungsverordnung. Wir haben eine Verpackungsverordnung, die jetzt erlaubt, stoffgleiche Nichtverpackungen mit einzusammeln, das aber weder vorschreibt noch eine Lizenzgebühr von den Herstellern dafür verlangt. Das ist sozusagen eine offiziell verfügte Form der Trittbrettfahrerei in derselben Novelle, die die unerwünschte Form der Trittbrettfahrerei mit viel Aufwand zu beenden versucht. Dabei entfällt aber völlig, was die Lizenzgebühren auf Verpackungen ohnehin nur unbefriedigend leisten: Lenkungswirkung und Produktverantwortung. In welcher Situation sind wir denn heute? Was sind die Schlagworte in jeder Umweltdebatte? Es sind CO2Reduktion, Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Ressourcenverknappung. 10 Prozent des Erdöls, das in Deutschland verbraucht wird, fließen in die Herstellung immer neuer Kunststoffprodukte. Von einer echten Kreislaufwirtschaft sind wir genauso weit entfernt wie von einer ressourceneffizienten Wirtschaftsweise. ({0}) Gleichzeitig ziehen die Preise für Sekundärrohstoffe an, weil Primärrohstoffe auf dem Weltmarkt knapp werden. Uns allen geläufige Beispiele dafür sind Metalle und Papier. Wir können davon ausgehen, dass wir in absehbarer Zeit eine lange Reihe von Beispielen aufzuzählen haben werden. Der Markt reagiert hier nicht vorsorgend. Das ist Aufgabe der Politik. In der Abfallpolitik sind wir in Deutschland besser als viele andere Länder. Das heißt aber nicht, dass wir gut wären oder die Aufgaben der Zukunft bereits im Blick hätten. Wir brauchen eine echte Kreislaufwirtschaft und eine echte Produktverantwortung. Sich mit circa 1,6 Milliarden Euro im Jahr und einem System sich selbst generierender Novellierungen um Verpackungen zu kümmern, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wir schlagen Ihnen den Abschied von der ökologisch nicht optimierbaren, ökonomisch viel zu teuren und sich im Übrigen bei allen Bemühungen dem Wettbewerb hartnäckig widersetzenden Verpackungsverordnung vor. ({1}) Klima- und Ressourcenschutz verlangen, dass wir uns um die Wertstoffe kümmern. Also brauchen wir eine Wertstoffverordnung. Klima- und Ressourcenschutz verlangen eine energie- und ressourcensparende Produktionsweise. Also brauchen wir ein Lenkungsinstrument, das Herstellern ökonomische Vorteile für die Produktion langlebiger und kreislauffähiger Produkte verschafft. Unser Konzept sieht folgendermaßen aus: Kern ist eine Ressourcenabgabe mit Lenkungswirkung auf perspektivisch alle Produkte anstelle von Lizenzgebühren auf Verpackungen, die inzwischen einem Ablasshandel ähneln. Berechnet und erhoben wird die Ressourcenabgabe von einer öffentlich-rechtlichen und damit unabhängigen Ressourcenagentur, die das inzwischen zu Recht umstrittene DSD ablöst. Bezahlt wird sie von Produzenten sowie von Importeuren, um Wettbewerbsnachteile auszuschließen. Das Entscheidende sind die Kriterien, nach denen sich die Höhe der Ressourcenabgabe richtet. Dabei geht es um das Vorkommen im Abfall, also die Lang- oder Kurzlebigkeit des Produktes, um seine Kreislauffähigkeit, also ob es leicht auseinanderzunehmen und wiederzuverwerten ist, oder darum, ob das Produkt vielleicht sogar schon aus einem Sekundärrohstoff hergestellt wurde. Nach diesen Kriterien gestaffelt bekommt die Ressourcenabgabe eine ökologische Lenkungsfunktion und definiert Produktverantwortung im eigentlichen Sinn. ({2}) Auf kurzlebigen Billigplunder wird eine hohe Ressourcenabgabe erhoben, während sie bei einem langlebigen, kreislauffähigen Produkt gegen null gehen kann. Eine Frage, die Sie sicher aufwerfen werden und die auch wir uns natürlich gestellt haben, ist die nach dem bürokratischen Aufwand. Nein, wir Grünen sind keine Freunde von Bürokratie. Aber wir wissen auch, dass berechtigte Schutzinteressen nicht immer mit wenigen Federstrichen zu regeln sind. Im Hinblick auf die Materialzusammensetzung von Produkten trifft die Produzenten eine zusätzliche Berichtspflicht. Aber sie hält sich in zumutbaren Grenzen. Jeder Produzent von bearbeiteten Nahrungsmitteln ist verpflichtet, die Inhaltsstoffe seines Produktes aufzulis16216 ten; das geht also. Bedenken Sie bitte zudem, dass auch die heutige Verpackungsverordnung durchaus nicht ohne Bürokratie auskommt. Neuerdings kommt noch die abzugebende Vollständigkeitserklärung hinzu. Tatsächlich vereinfacht die Wertstoffverordnung vieles. Das System ist transparent, verständlich und in sich logisch; all das hat die Verpackungsverordnung längst hinter sich gelassen. Vor allem aber ist es zukunftsfähig. Eine Wertstoffverordnung kann entscheidend dazu beitragen, dass Produkte anders designt werden, entlang der Maßstäbe, die für die Zukunft entscheidend sind: CO2Einsparung, Energieeffizienz und Ressourcenschonung. Vorausschauende Abfallpolitik muss schon heute Ressourcensicherung sein. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Michael Brand (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003742, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach der Novelle ist vor der Novelle, das haben wir bereits bei der Verabschiedung der 5. Novelle zur Verpackungsverordnung vor ein paar Wochen im Plenum festgestellt. Die Novelle ist erst vor wenigen Tagen im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und wird zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Dass es auch nach der 5. Novelle zum Teil konträre Positionen geben würde, war allen Beteiligten schon während des Verfahrens klar. Dennoch gibt es in diesem Hause mit Blick auf die langfristige Ausrichtung der Abfallwirtschaft eine Reihe wichtiger Gemeinsamkeiten. Das ist ein Beleg dafür, dass in dieser Frage ein verantwortliches Klima herrscht. Wir, die CDU/CSU, sind für eine Produktverantwortung, die ernst genommen wird. Wir haben die individuelle, an die Unternehmen gerichtete Produktverantwortung nicht nur als eine für Verpackungen verstanden. Wir haben sie immer so verstanden, dass es Anreize geben muss, um die Produzenten bzw. Hersteller zu veranlassen, schon zu Beginn des Kreislaufs, also bei der Herstellung eines Produkts, an die Verwertung zu denken und eine möglichst ressourcenschonende Produktionsweise zu verfolgen. Auf diesem Feld hat es bei der ökonomischen Erschließung von ökologischen Potenzialen große Fortschritte gegeben. Heute liegt uns ein Antrag vor, der einige Positionen beinhaltet, die mit denen der CDU/CSU grundsätzlich identisch sind. Die schwarz-grünen Übereinstimmungen haben sich auch gestern im Hessischen Landtag gezeigt, ({0}) als mein Ministerpräsident Roland Koch angekündigt hat - das habe ich mit sehr großer Freude zur Kenntnis genommen -, Hessen zum Musterland erneuerbarer Energien machen zu wollen. ({1}) - Roland Koch ist dafür bekannt, dass er das, was er ankündigt, auch tut, lieber Herr Kollege Hoyer. ({2}) Letztlich sollte man jeden an seinen Taten messen und nicht an seinen Zwischenrufen. Lassen Sie mich auf den Antrag zurückkommen. Zu den Gemeinsamkeiten von Schwarz und Grün zählt auch das Thema Ressourcenschonung. Die Union tritt an dieser Stelle für die Bewahrung der Schöpfung ein. Das ist es, was uns in diesem Punkt mit den Grünen verbindet. Auch bei globalen Steuerungs- und Lenkungsmechanismen wie der Abgabe war und bleibt die Union prinzipiell offen für durchdachte und belastbare Konzepte. Auch hier gilt, wie im Übrigen bei der geltenden Systematik der Verpackungsverordnung: Man achte auf die Nebenwirkungen und erkenne frühzeitig den Teufel im Detail. Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie selbst haben deutlich gemacht, wo der Teufel im Detail steckt. Was bei der Lektüre Ihres Konzepts allerdings überrascht, ist der überbürokratisierte Ansatz, den die Grünen für die Umsetzung gewählt haben. Da ist von einer Agentur die Rede, die in bürokratischer Machtfülle alle Produkte listet und einstuft, ihnen eine Abgabenhöhe zuweist und auch noch die Ausschreibung und Sammlung durchführt bzw. überwacht. ({3}) Da ist mehr als Skepsis angebracht; denn schon heute müssen wir mit sehr umstrittenen Schätzungen leben, wenn es um die Berechnung von Recyclingquoten für wenige Stoffgruppen geht. Mit dem Ansatz, den Sie vorschlagen, würden wir die individuelle Produktverantwortung indirekt aushebeln zugunsten eines kollektiven Systems. ({4}) Wenn zum Beispiel die Quote eines Produkts im Abfall über dessen Abgabehöhe entscheidet, dann wird der umweltbewusste Produzent mit abgestraft für diejenigen, die nicht ressourcenschonend produzieren und ihre weniger ökologisch erstellten Produkte in den Abfall kippen lassen. ({5}) Das würde in der Konsequenz den Anteil dieser Produkte am Abfall erhöhen. Nach dem Konzept der Grünen würden so auch die Kosten für umweltbewusste Produzenten in die Höhe getrieben. Das kann nicht der richtige Weg sein. ({6}) Dermaßen überbürokratisierte Ansätze führen bekanntlich häufig zu Monopolisierungstendenzen. Wenn ich Ihr Konzept richtig gelesen habe, wollen Sie aber gerade, dass das Beispiel „Monopol und DSD“ nicht fortgesetzt wird. Auch was die Verpackungsverordnung und die Verhinderung von Monopolen angeht, gibt es also große Gemeinsamkeit zwischen Grün und Schwarz; das will ich sehr wohl anerkennen. Dass Sie den Kommunen über Ihre Abgabe die Müllgebühren und damit natürlich auch die dezentrale kommunale Abfallwirtschaft aus der Hand nehmen wollen, findet - da bin ich mir mit dem Kollegen Bollmann von der SPD wahrscheinlich einig - vielleicht den Beifall der großen Entsorgungskonzerne. Doch für die Kommunen und für die Arbeitsplätze beim regional verankerten Mittelstand ist das nicht das richtige Signal. ({7}) Insgesamt findet sich in der aktuellen Fassung der Wertstoffstrategie der Grünen ohnehin zu wenig Subsidiarität, und das, wo Subsidiarität den Grünen doch sonst so wichtig ist. Daraus spricht erstaunlich wenig Zutrauen in fairen Wettbewerb. Dabei haben wir funktionierende Märkte, die eine Vielzahl vor allem mittelständischer Spezialisten und fairen Wettbewerb aufweisen. Das gilt nicht nur für das aktuell heiß begehrte Altpapier; das gilt auch für Glas, für Stahlschrott, eine Reihe von Kunststoffen und Elektroaltgeräte. Insofern ist es keine parteipolitische Taktik, wenn wir den Kollegen von den Grünen ans Herz legen, die Prinzipien der Ressourcenschonung weiter zu verfolgen, die konkreten Ableitungen aber nochmals auf ihre Nebenwirkungen zu überprüfen. Wir als CDU/CSU empfehlen Ihnen mehr Vertrauen in fairen Wettbewerb und weniger Bürokratie. ({8}) Eine Debatte zum Thema Verpackungen können wir nicht führen, ohne die akute Krise des ökologisch vorteilhaften Mehrwegsystems zu besprechen, die der Bundesumweltminister trotz Mahnung - das will ich hier sehr deutlich sagen - mit der letzten Novelle nicht lösen wollte. Beim Mehrweg kämpfen wir heute mit den fatalen Nebenwirkungen früherer Entscheidungen. Als wir, die Union, für die Abgabe eingetreten sind, hat die damalige rot-grüne Bundesregierung mit dem Pfand auf Einweg die Grenze zum ökologisch wertvolleren Mehrweg in den Augen der Verbraucher verwischt und das Tor zum Einweg weit aufgerissen. Die Verbraucher sind von Mehrweg zu Einweg abgewandert, ohne es zu wissen; denn Einweg und Mehrweg sind am Pfand kaum mehr zu unterscheiden. Die Krise treibt die vor allem mittelständischen Mineralbrunnen in existenzielle Schwierigkeiten. Die CDU/CSU hat den Bundesumweltminister ein ums andere Mal gedrängt, die Mehrwegquote in der Verpackungsverordnung zu retten. Heute ist festzuhalten: Wenn der Bundesumweltminister nicht sehr zeitnah entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringt, dann droht vielen Betrieben mitsamt ihren oftmals in ländlichen Regionen befindlichen Tausenden von Arbeitsplätzen das Aus. ({9}) - Deswegen spreche ich das kritisch an. Es gibt durchaus Nuancen in der Politik der Großen Koalition. Wenn das irgendwo der Fall ist, dann hier. ({10}) Diese Betriebe sind bei der Befüllung und Rückholung ihrer Flaschen auf das Mehrwegsystem angewiesen. Sie können nicht mal eben zweistellige Millionenbeträge investieren wie die Lieferanten von Aldi und Co., um ihre Produktion umzubauen. Das ist einer der schweren Nachteile, mit denen die mittelständischen Unternehmen zu kämpfen haben. Der Bundesumweltminister kann angesichts dieser Dramatik nicht, wie er es angekündigt hat, bis 2010 warten; dann könnte er nur noch den Tod des Mehrwegsystems feststellen. Herr Bundesminister Gabriel, wir bitten Sie: Reagieren Sie hier bitte nicht schwerfällig! Bewegen Sie sich, helfen Sie dem Mehrwegsystem! ({11}) Für heute also gilt: Die CDU/CSU drängt auf die Rettung des Mehrwegsystems. Wir lehnen den Grünen-Antrag zur Wertstoffverordnung ab. Bei allem eigenen Engagement für Umwelt und Bewahrung der Schöpfung sehen wir als Union noch einigen Prüfungsbedarf. Es gibt in dem Antrag der Grünen Irrwege; auf die sollten wir als Parlament die Bundesregierung nicht schicken. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Horst Meierhofer, FDP-Fraktion. ({0})

Horst Meierhofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003806, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben erst vor kurzer Zeit über die 5. Novelle zur Verpackungsverordnung gesprochen. Es war zu erwarten, dass das weitergeht; doch dass dies so schnell der Fall sein würde, konnte man nicht ahnen. Wir haben bei der Diskussion über die 5. Novelle unsere Ideen eingebracht, wie eine sachgerecht novellierte Verpackungsverordnung aussehen könnte. Sie sind leider nicht berücksichtigt worden, trotz aller möglichen Irritationen, die es aufseiten der Umweltpolitiker vor allem der Union gab. Bei der Verpackungsverordnung fängt die eigentliche Arbeit, nämlich die grundsätzliche Modernisierung des derzeitigen Systems, erst an. Ich kann feststellen, dass in der FDP genauso wie bei den Grünen große Übereinstimmung besteht, wenn es darum geht, die Probleme zu benennen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass auch Teile der Koalition, zum Beispiel die CSU oder das Wirtschaftsministerium, erkannt haben, dass hier mit wenig wirtschaftlicher Vernunft ein sehr teures System unterhalten wird. Das hat man aber nicht gemerkt, als es um die 5. Novelle zur Verpackungsverordnung ging; das ist schade. Im Antrag der Grünen werden in der Analyse einige richtige Punkte dargestellt. Wir sind ebenfalls grundsätzlich davon überzeugt, dass die Verpackungsverordnung in der momentanen Fassung konzeptionell überholt, unflexibel, extrem kostspielig und zumindest ökologisch widersinnig ist. ({0}) Wir sind uns auch darin einig, dass es in Zeiten knapper Ressourcen keinen Sinn macht, danach zu differenzieren, welche Form ein bestimmtes Plastikteilchen hat. Wir haben in unserem Antrag als Beispiele die Shampooflasche und die Quietscheentchen genannt. Frau Kotting-Uhl hat geschrieben: Doch auch die Kunststoffsammlung folgt nicht dem „gesunden Menschenverstand“. Das ist sicherlich richtig. - Wir sind uns auch einig, dass es ein erster Schritt sein könnte, der aber bei weitem nicht ausreicht und im Endeffekt nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, dass die Kommunen nun die Möglichkeit haben, auch andere Materialien, nämlich stoffgleiche Nichtverpackungen, in der Gelben Tonne zu sammeln. Das reicht aber bei weitem nicht, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen. ({1}) Man kann sagen, dass eine grundlegende Neuausrichtung der Ressourcen- und Abfallpolitik von uns als FDP insgesamt befürwortet wird - das scheint auch bei den Grünen so zu sein - und dies durch das derzeitige System der Verpackungsverordnung nicht geleistet werden kann. Wir würden uns freuen, wenn die Große Koalition in der Lage wäre, das anzuerkennen. Herr Brand hat ja darauf hingewiesen. Vor kurzer Zeit gab es jedoch noch eine Übereinstimmung zwischen der SPD und der CDU/CSU hinsichtlich der 5. Novelle, mit der genau das Gegenteil erreicht wurde, nämlich die Manifestierung des alten Zustandes. Deswegen fehlt mir ein bisschen der Glaube, dass hier tatsächlich der Wille vorhanden ist. Es kann aber im Windschatten von Roland Koch als Umweltpolitiker noch einiges passieren. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. ({2}) Ich habe jetzt dargestellt, wo wir mit den Grünen übereinstimmen. Bevor meine Fraktion Probleme bekommt, muss ich auch noch darstellen, an welchen Stellen es Unterschiede gibt. ({3}) Die Unterschiede zwischen uns liegen in den Lösungsansätzen. Wenn man ein modernes und zeitgemäßes Verfahren will, dann ist weniger Staat nötig. Genau das Gegenteil scheint bei Ihrem Verfahren der Fall zu sein. Ich glaube, durch die Verwirklichung Ihrer Vorschläge würden wir mehr Staat erreichen; es gäbe mehr Bürokratie. Eine Ressourcenabgabe wird natürlich auch erst einmal zu einer Mehrbelastung führen, was ebenfalls nicht unbedingt zu den gewünschten Effekten führt. Ich glaube, wenn der Staat festlegt, welche Abgaben an welcher Stelle bezahlt werden müssen, dann wird es eher undurchsichtig, kompliziert und vermutlich auch sehr viel teurer. ({4}) Wir als FDP haben im Herbst letzten Jahres eine Antwort vorgeschlagen und gesagt, dass wir es uns gut vorstellen können, ein Mengensteuerungsmodell einzuführen und mit Quoten zu arbeiten. ({5}) Wir glauben, dass der Umweltschutz damit flexibler und marktorientierter gestaltet werden könnte. Ich kenne den Vorwurf, dass mehr Markt zwangsläufig zu weniger Umweltschutz führen würde. Das ist natürlich Unsinn, weil wir die Quoten festlegen würden. So könnte man mindestens genauso gute Ergebnisse erzielen wie mit einer Ressourcenabgabe, wenn nicht sogar noch bessere. Insgesamt soll es ein vernünftiges Konzept sein, das für alle Bereiche gilt. Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, an der einen Stelle eine Abgabe zu schaffen und an der anderen Stelle - wie beim EEG - eine Zertifizierung einzuführen. Das sind unterschiedliche Systeme, die überhaupt nicht zusammenpassen. Deswegen entfalten sie auch nicht die Wirkung, die sie entfalten könnten, wenn man einheitlich vorginge. Ich glaube, hier fehlt es auch ein bisschen am grundsätzlichen Verständnis. ({6}) Unsere Idee ist sehr grundsätzlicher Natur. Deshalb ist es auch nicht möglich, sie sofort umzusetzen, weswegen wir eine Übergangsfrist wollen. Das fehlt mir bei Ihrem Antrag, Frau Kotting-Uhl. Wir wissen natürlich, dass es sehr viele Mittelständler gibt, die sich auf die jetzige Situation eingestellt und ihre Geschäftsmodelle in der Entsorgungsbranche auf das Duale System abgestimmt haben. Man kann sie natürlich nicht von heute auf morgen einer vollkommen neuen Situation aussetzen. Deswegen glaube ich, dass es vernünftig wäre, mehr Öffnungsmöglichkeiten im bestehenden System zuzulassen, zum Beispiel die Möglichkeit zu eröffnen, in verschiedenen Kommunen von diesem System abzuweichen, und in den Kommunen, in denen das jetzige System gut funktioniert, es weiterhin bestehen zu lassen. Das könnte einen langsamen, sanften und sowohl ökologisch als auch ökonomisch vertretbaren Übergang ermöglichen. Dafür wollen wir uns einsetzen. ({7}) Ich glaube schon, dass es möglich ist, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, weil wir alle gemeinsam das Problem sehen. Wenn wir die Scheuklappen ablegen, haben wir die Möglichkeit, einen wirklich großen Wurf zu machen, und zwar nicht einen in den Gelben Sack, sondern einen, der uns alle sehr viel weiterbringt. Ich freue mich auf die Beratungen. Danke. ({8})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Gerd Bollmann, SPD-Fraktion. ({0})

Gerd Bollmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003508, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um vorweg eines deutlich zu machen: Deutschland nimmt im europäischen und internationalen Vergleich bei der Verpackungsverwertung eine Spitzenstellung ein. Daran waren im Laufe der Jahre alle - Christdemokraten, Grüne und Sozialdemokraten - beteiligt. Das sollten wir der gesamten Diskussion vorwegschicken. ({0}) Ressourcenschonung und Materialeinsparung durch eine weiterentwickelte Kreislaufwirtschaft sind auch das Ziel der SPD. Abfallwirtschaft bedeutet nicht mehr die möglichst hygienische und umweltfreundliche Beseitigung von Müll, und auch Vermeidung ist nicht mehr das alleinige Kriterium. Eine moderne Abfallwirtschaft beginnt bei der Produktion. Das Produktdesign sollte so gestaltet sein, dass zum Ende des Lebenszyklus eine technisch einfache und fast vollständige Wiederverwertung möglich ist. Gleichzeitig sollte der Einsatz von Rohstoffen und Energie so gering wie möglich sein. Dies ist nicht nur im Sinne der Umwelt, sondern angesichts hoher Energie- und Rohstoffpreise auch ökonomisch sinnvoll. Das Ziel dieses Antrags, die Ressourcenschonung zu verbessern, ist daher völlig richtig. Viele Aspekte, die angesprochen werden - zum Beispiel mehr Recycling und Herstellerverantwortung -, sind lobenswert. Den vorgeschlagenen Weg, diese Ziele zu erreichen, halten wir aber in der beschriebenen Form für falsch. Mit einer Ressourcenabgabe soll ein ökologisch nachteiliges Produkt von kurzer Haltbarkeit gegenüber einem aus gut recyclebarem Material hergestellten Produkt deutlich verteuert werden. Die Abgabenhöhe soll nach mehreren Kriterien festgelegt werden. Höheres Vorkommen im Abfall und Verwendung von Primärrohstoffen sollen die Abgabe erhöhen. Ebenso soll schlechte Recyclingfähigkeit zu einer höheren Abgabe führen. Gleichzeitig sollen der Marktwert von den aus Produkten gewonnenen Sekundärrohstoffen und der Einsatz von Sekundärrohstoffen bei der Produktion die Abgabenhöhe verringern. Allein diese Aufzählung zeigt die Problematik. Ich frage mich, wie so etwas funktionieren soll. Es gibt Millionen von Produkten. Soll an jedem Produktionsstandort ein Kontrolleur stehen, um festzustellen, ob und in welcher Menge Primär- oder Sekundärrohstoffe eingesetzt werden? Oder sollen alle Produkte und die Produktionsart zertifiziert werden? Wer soll das entscheiden? Wie soll das kontrolliert werden? So ehrenwert das Ziel einer ressourcensparenden Recyclingwirtschaft ist - der vorgeschlagene Weg ist nicht praktikabel. Alleine um die Durchführung zu organisieren, müsste eine riesige Bürokratie aufgebaut werden. Dabei ist ein Missbrauch nicht auszuschließen. Wer soll überprüfen, ob Sekundärrohstoffe verarbeitet wurden? Oder andersherum: Man muss sich auf die Angaben der Hersteller verlassen. Damit ist dem Betrug Tür und Tor geöffnet. ({1}) Die gerade geschilderten Probleme betreffen nur die Produktion in Deutschland. Wie soll das erst bei Importen funktionieren? Wer will kontrollieren, ob Spielzeug aus China aus Kunststoffrecyclaten oder Primärstoffen hergestellt wurde? Was ist im Übrigen, wenn eine Produktion aus Sekundärrohstoffen wesentlich energieintensiver ist als eine aus Primärrohstoffen? Was ist, wenn durch die Verwendung von Primärrohstoffen die Produktion in großem Maße energieeffizienter ist? Was zählt dann mehr: die Energieeinsparung oder die Verwendung von Sekundärrohstoffen? Was ist mit unserer Wettbewerbsfähigkeit, wenn wir unsere Produkte verteuern? Wie wird Recycling in der Recyclingwirtschaft bewertet? Ich lese in Ihrem Antrag wieder das ominöse Wort Downcycling. Ist Recycling wirklich nur dann gut, wenn zum Beispiel aus Flaschen wieder Flaschen und aus Spielzeug wieder Spielzeug wird? Ist es schlecht, wenn aus Kunststoffrecyclaten zum Beispiel Kleidung oder andere Gebrauchsgüter hergestellt werden, um damit Rohöl zu sparen? Soll bei Downcycling etwa die Ressourcenabgabe höher sein? Wir müssen zwar die Kreislaufwirtschaft stärken, aber der vorgeschlagene Weg ist unrealistisch. ({2}) Es gibt viele, zu viele offene Fragen. Durchführung und Kontrolle sind in der Praxis nicht möglich. Für eine Verbesserung der Ressourcenschonung sind vielmehr viele einzelne Schritte notwendig: einzelne Auflagen, Aufklärung, eine bessere Sammlung, Forschungsförderung und vieles mehr. Es gilt - darauf wurde bereits hingewiesen -, die Gelbe Tonne zur Wertstofftonne weiterzuentwickeln, wie es in der 5. Novelle zur Verpackungsverordnung vorgesehen ist. Dazu kann eine Kennzeichnung als ökologisch vorteilhaftes Produkt gehören. Dazu gehört der Zwang zur weitestgehenden stofflichen Wiederverwertung des Abfalls. Dazu gehören auch Überlegungen - darauf hat Herr Brand gerade hingewiesen -, insbesondere im Hinblick auf die wegbrechenden Quoten bei den Mehrwegverpackungen auf ökologisch nicht vorteilhafte Einwegverpackungen eine Abgabe zu erheben. Im Übrigen werden wir uns um die Erfindung des Pfandes nicht streiten. Es gibt sicherlich andere, die darauf ein Anrecht haben. Vor langer Zeit ist die SPD für eine Abgabe eingetreten. Dann kamen verschiedenste Pfandregelungen, die schließlich von Rot-Grün konsequent umgesetzt wurden. Das ist die richtige Reihenfolge. ({3}) Ich weiß, dass ein solcher Weg mühsam ist. Aber er ist der einzig mögliche Weg. Wir müssen nämlich Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit beachten. Ebenso müssen wir den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt berücksichtigen. Was heute ökologisch gut ist, kann morgen überholt sein. Wichtig sind aber vor allem Durchführbarkeit und Durchsetzbarkeit. Wir tun dem ökologischen Gedanken der Recyclingwirtschaft keinen Gefallen, wenn wir Gesetze verabschieden, deren Durchsetzung wir nicht garantieren können. Wir wollen die Abfallwirtschaft zu einer nachhaltigen, ressourcenschonenden Stoffwirtschaft weiterentwickeln. Die Verpackungsverordnung - mit deren Evaluierung und Weiterentwicklung noch in diesem Jahr mit einem Forschungsvorhaben begonnen werden - wird ein Element dieser Politik sein. Wir laden die Antragsteller ein, sich an der Fortsetzung des Dialogs über die Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft zu einer Stoffwirtschaft zu beteiligen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Nun hat Kollegin Bulling-Schröter, Fraktion Die Linke, das Wort. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die 5. Novelle zur Verpackungsverordnung hatte kaum ökologische Komponenten. Es ging nur darum, Verzerrungen im Wettbewerb und Missbrauchsmöglichkeiten auszuräumen. Die Linke hatte die Novelle deshalb abgelehnt. Schließlich wurde unserer Meinung nach die Chance vertan, die Verordnung umweltpolitisch weiterzuentwickeln, und zwar erstens um der dramatisch sinkenden Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen entgegenzuwirken - dieses Thema wurde schon angesprochen - und zweitens um aus der Verpackungsverordnung eine Wertstoffverordnung zu machen. Aus diesem Grunde unterstützen wir den Antrag der Grünen grundsätzlich. Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist es tatsächlich wenig logisch, dass Spülflaschen in die Gelbe Tonne gehören, nicht aber Gießkannen, Kinderbadewannen und kleine Entchen aus ähnlichem Material. Es macht auch ökologisch keinen Sinn, wenn stoffgleiche Nichtverpackungen in die Graue Tonne des Restabfalls zu werfen sind. Damit befinden sie sich nämlich in einem Stoffstrom, der primär nicht dafür gedacht ist, effizient Wertstoffe zu erfassen und zu recyceln. Die Betreiber von biologisch-mechanischen Anlagen zum Beispiel könnten auf die anfallende heizwertreiche Fraktion solcher nichtorganischer Stoffe verzichten. Zudem ist das DSD - weil hier Wertstoffe eben nicht von vornherein möglichst sortenrein getrennt werden - im Wesentlichen auf Downrecycling - es gibt noch andere Möglichkeiten - oder auf Verbrennung angelegt. Mit Ressourcenwirtschaft hat das unserer Meinung nach sehr wenig zu tun. Schließlich macht die Unterscheidung nach Herkunft statt nach Stoff auch ökonomisch wenig Sinn. Ich glaube, die wenigsten wissen genau, was laut Gesetz in die Tonnen des DSD und was in die Tonnen der kommunalen Reststoffentsorgung gehört. Die Fehlwürfe bei Verpackungen bürden den Bürgern jedoch über die Abfallgebühren noch einmal Kosten auf, die sie über den Grünen Punkt, das Interseroh oder über andere DSDSysteme längst bezahlt haben. Aus all diesen Gründen sind wir sehr dafür, aus der Verpackungsverordnung eine ökologische Wertstoffverordnung zu machen, die schrittweise die Produktverantwortung der Hersteller auf alle Produkte ausweitet. ({0}) Ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, um auf zwei aktuelle Entwicklungen im Abfallbereich aufmerksam zu machen, die einer Ressourcenwirtschaft Hohn sprechen. Zunächst ist da der Boom bei der Planung und beim Bau sogenannter Ersatzbrennstoffkraftwerke. Industrieunternehmen wie Holzverarbeitungsund Papierverarbeitungsbetriebe bauen Heizkraftwerke, die mit eigenen Produktionsabfällen beschickt werden sollen. So weit, so gut. Leider sind die Rahmenbedingungen derart, dass die Anlagen aus Sicht einer nachhaltigen Abfallwirtschaft vollkommen überdimensioniert sind. Sie werden nicht im Entferntesten mit eigenen Abfällen gefüttert werden können. In Brandenburg etwa sind Anlagen in Betrieb, in Bau oder in Planung mit einer Gesamtkapazität von 3 Millionen Jahrestonnen. Das ist das Sechsfache dessen, was an Ersatzbrennstoffen im Land anfällt. Hier steht ein gigantischer Mülltourismus bevor, nicht nur in Brandenburg. Wir wissen um den Mülltourismus; dafür gibt es viele Beispiele. Zudem scheint Ostdeutschland zur Müllkippe der Nation zu werden. Weil laut Einigungsvertrag im Osten - und nur im Osten - Kies- und Tongruben dem Bergrecht unterliegen, ist hier offensichtlich die Abfallablagerungsverordnung ausgehebelt. Die unabgedichteten Gruben werden mit gemischten Siedlungsabfällen bis hin zum Giftmüll aus ganz Deutschland verfüllt; Sie haben sicherlich den Bericht im Fernsehen darüber gesehen. Das halte ich für einen Skandal. Wir sollten uns schnellstmöglich damit beschäftigen und das abstellen, und zwar gemeinsam. Ich denke, das ist dringend notwendig. ({1})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/8537 an die in der Tagesordnung aufge- führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 10 a und 10 b: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vorschriften ({0}) - Drucksache 16/7955 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1}) - Drucksache 16/8640 - Berichterstattung: Abgeordnete Robert Hochbaum Rolf Kramer Birgit Homburger Dr. Hakki Keskin Winfried Nachtwei b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Winfried Nachtwei, Grietje Bettin, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen - Drucksachen 16/8044, 16/8640 - Berichterstattung: Abgeordnete Robert Hochbaum Rolf Kramer Birgit Homburger Dr. Hakki Keskin Winfried Nachtwei Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle- ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Rolf Kramer für die SPD, Birgit Homburger für die FDP, Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke, Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bundesminis- ter Franz Josef Jung für die Bundesregierung.1) Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge- setzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vor- schriften. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8640, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck- sache 16/7955 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz- entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak- tion Die Linke und der Grünen bei Stimmenthaltung der FDP angenommen. 1) Anlage 2 Dritte Beratung und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der zweiten Beratung angenommen. Tagesordnungspunkt 10 b: Beschlussempfehlung des Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung schützen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8640, den An- trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck- sache 16/8044 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be- schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak- tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenom- men. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 d auf: a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Finanzierungsberatung für Studierwillige und Studierende - Drucksache 16/8196 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({3}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Förderung von Studierenden durch Aufbau eines nationalen Stipendiensystems - Drucksache 16/8407 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia Hirsch, Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen, Volker Schneider ({5}) und der Fraktion DIE LINKE Studienfinanzierung ausbauen - Soziale Hürden abbauen - Drucksache 16/8741 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({6}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz ({7}), Krista Sager, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Auswirkungen von Studiengebühren evaluieren - Monitoringsystem umgehend aufbauen - Drucksache 16/8749 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({8}) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle- ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Marion Seib und Monika Grütters für die CDU/CSU, Jörg Tauss für die SPD, Uwe Barth für die FDP, Cornelia Hirsch für die Linke und Kai Gehring für Bündnis 90/ Die Grünen.1) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 16/8196, 16/8407, 16/8741 und 16/8749 zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie zur Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Tech- nologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie an den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Ju- gend vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be- schlossen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf: a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Anette Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaften zwischen der EU und den AKPStaaten - Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität - zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik statt Freihandelsdiktat - zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck ({10}), weiterer 1) Anlage 3 Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKPStaaten entwicklungsfreundlich gestalten - zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu den Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen oder der zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen führenden Abkommen für Waren mit Ursprung in bestimmten Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans ({11}) gehören KOM ({12}) 717 endg.; Ratsdok. 14968/07 - Drucksachen 16/7487, 16/7473, 16/7469, 16/7575 Nr. 1.45, 16/8244 - Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Hellmut Königshaus b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13}) zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für ein Entwicklungspartnerschaftsabkommen der Europäischen Union ({14}) mit den Staaten der Afrika-, Karibik-, Pazifikgruppe ({15}) - Drucksachen 16/4055, 16/4839 Berichterstattung: Abgeordnete Anette Hübinger Hellmut Königshaus Thilo Hoppe Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Sascha Raabe, SPD-Fraktion, das Wort. ({16})

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir - damit meine ich zumindest die Entwicklungspolitiker, aber auch die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz - uns hier im Plenum über die Neufassung der Nahrungsmittelhilfekonvention unterhalten. Wenn Menschen in einer Hungersnot sind, dann ist es wichtig - darin waren wir uns sehr einig -, ihnen über das World Food Programme und über andere humanitäre Soforthilfen erst einmal das Nötigste zu geben, was sie brauchen, um das Überleben zu sichern. Wir haben in der damaligen Debatte zu Recht festgestellt, dass es nicht damit getan ist, Menschen nur dann Nahrungsmittel - ich möchte es mit dem Wort „Almosen“ bezeichnen - zu geben, wenn sie sich gerade in einer akuten Hungersnot befinden. Es sollte also nicht allein darum gehen, diesen Menschen etwas zu geben, damit sie sich den Magen füllen können. Viel wichtiger ist es, dass Menschen in die Lage versetzt werden, Nahrungsmittel selbst zu produzieren und sich - wie es bei uns in Deutschland und in Europa der Fall ist - in einer Wirtschaftsstruktur auf eigenen Füßen zu bewähren und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Darum geht es heute in der Debatte über die Economic Partnership Agreements zwischen der Europäischen Union und den Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans gehören. Mit diesen Übereinkünften werden die Bedingungen dafür geschaffen, dass es Menschen besser geht, die in Ländern leben, die sich aus vielerlei historischen, aber zum Teil auch aus klimatischen Gründen in einer schwierigen Situation befinden. Hinzu kommt, dass sich unsere Welt auch durch den Klimawandel verändert. Wir sehen im Fernsehen immer wieder Bilder mit verhungernden Kindern aus diesen Ländern. Wir reden hier über eine von Hunger und Armut geprägte Region, in der täglich fast 25 000 Menschen, vor allem Kinder, sterben. Die Frage ist: Wie können wir dafür sorgen, dass die Menschen in diesen Ländern an der Globalisierung partizipieren können? Wie können wir dafür sorgen, dass nicht nur die Eliten, die Oberschicht, die Unternehmen dort gewinnen, sondern auch die Ärmsten der Armen? Unsere Koalitionsfraktion hat zu diesen Verhandlungen ganz bewusst einen Antrag erstellt, in dem entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaften und keine reinen Freihandelsabkommen gefordert werden, die meistens nur dem stärkeren Partner dienen. Wir wollen Partnerschaftsabkommen, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen und die auch den ärmsten Ländern zum Beispiel die Chance eröffnen, ihre Märkte in den für die Armen in der Bevölkerung sensiblen Bereichen zu schützen, etwa im Bereich der Grundnahrungsmittel oder auch im Bereich der im Aufbau befindlichen Dienstleistungsbetriebe. Ende des letzten Jahres lief die Frist aus, innerhalb der diese Partnerschaftsabkommen hätten abgeschlossen werden sollen. Aber ich halte es für richtig, dass wir diese Frist seitens der Europäischen Union und aufgrund der Bemühungen der Bundesregierung, allen voran unserer für die Bundesregierung federführenden Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, verlängert haben. Zum einen ging uns Qualität vor Schnelligkeit, und zum anderen wollten wir auch die Bedenken der ärmsten Länder ernst nehmen und ein Abkommen abzuschließen versuchen, in denen vor allem die Wörter „Entwicklung“ und „Partnerschaft“ gar nicht fett genug unterstrichen werden konnten. Es ist im Dezember gelungen, mit der Karibikregion ein umfassendes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen abzuschließen. Mit den anderen Regionen haben wir erst sogenannte Interimsabkommen abschließen können, die sicherstellen sollen, dass dort durch das Auslaufen des Cotonou-Abkommens zum 1. Januar dieses Jahres keine gravierenden Nachteile eintreten. Mit diesen Staaten haben wir vereinbart, dass der Güterverkehr so weiterlaufen kann, wie es das Cotonou-Präferenzabkommen vorsah, und wir über die entwicklungsrelevanten Punkte anschließend verhandeln werden. Dazu gehören auch Bereiche, die bei manchen Partnern umstritten sind, etwa Transparenz im öffentlichen Beschaffungswesen oder Investitionsregeln. Allerdings sollte niemand Scheu vor diesen Themen haben, wenn man sie richtig ausgestaltet. Sie sollen nicht so ausgestaltet werden, wie es damals bei der WTO mit den sogenannten Singapur-Themen geschah, bei denen man Angst haben musste, dass interessierte Gruppen der Industrieländer Bedingungen schaffen wollten, um weiteren Marktzugang zulasten auch der ärmeren Bevölkerungsschichten zu erlangen. Aber niemand kann sich dagegen wehren, dass Transparenz im Beschaffungswesen gerade für die armen Menschen in den Entwicklungsländern von Vorteil ist. Daher kann man nicht von vornherein so tun, als sei es eine Erfindung der bösen Europäischen Union und der Industrienationen, dies auf die Tagesordnung zu setzen. Dies kann durchaus ein entwicklungsförderndes Thema sein, wenn man es richtig ausgestaltet. Ganz wichtig ist aber für uns - das ist ein Kernbestandteil unseres Antrags -, dass die ärmsten Länder einen Marktzugang bei uns bekommen, der wesentlich weiter als das geht, was bisher der Fall war. Erinnern wir uns: Bei dem Präferenzsystem hatten die sogenannten Least Developed Countries, also die am wenigsten entwickelten Länder, auch schon einen quoten- und zollfreien Marktzugang in die Europäische Union. Aber was hat denn dieser Marktzugang den 49 ärmsten Ländern der Erde gebracht? Sie haben gar keine Kapazitäten gehabt, um ihn zu nutzen, und haben zusammen noch nicht einmal das Handelsvolumen von Südkorea erreicht. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir mit dem Baustein „Aid for Trade“, der auch bei der WTO vereinbart war und für den sich die Bundesregierung beim G-8-Gipfel eingesetzt hat, hier zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen, mit denen Menschen zum Beispiel in die Lage versetzt werden, nicht nur landwirtschaftliche Produkte anzubauen, sondern sie auch weiterzuverarbeiten, sodass die Wertschöpfung in den Ländern bleibt. Außerdem sollen diese Produkte mittels einer guten Infrastruktur wie Verkehrswege, Häfen und Flughäfen zu uns gelangen können. Jetzt wird viel davon geredet, dass die Nahrungsmittelpreise stiegen. Das ist ein großes Problem für die ärmsten Menschen in vielen Entwicklungsländern. Wir sehen doch die Bilder von hungernden und verzweifelten Menschen, die demonstrieren, woraus wiederum Unru16224 hen entstehen. Dies müssen wir ernst nehmen und aufgreifen. Aber langfristig müssen wir vor allem die Chance nutzen, die darin liegt, dass auch afrikanische Kleinbauern wieder gute Preise für ihre Agrarprodukte erzielen; denn dann können sie sie wieder auf ihren lokalen Märkten verkaufen, ohne von den Dumpingpreisen der Europäischen Union und der US-Amerikaner behindert zu werden. Das geht natürlich nur dann, wenn wir sie in die Lage versetzen, solche Produkte anzubauen, wenn wir ihnen also das entsprechende Know-how vermitteln. Dies tut unsere deutsche Entwicklungszusammenarbeit sehr vorbildlich. Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht nur heute mit dem Antrag bessere Handelsregeln schaffen, sondern wir nicht nur werden, um die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, auch dafür sorgen müssen, dass diesen Menschen mit technischer und finanzieller Zusammenarbeit geholfen wird. Deswegen bekennen wir uns als SPD-Fraktion ganz klar zum ODA-Stufenplan und werden die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit entsprechend weiter erhöhen. Das ist sehr notwendig. ({0}) Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen harte Verhandlungen führen müssen - die Interessenlagen sind natürlich unterschiedlich -, aber wir haben uns international verpflichtet und werden an dem Ziel festhalten. ({1}) Bei allen Problemen, die wir in Deutschland haben im Zusammenhang mit der Rentenerhöhung reden wir darüber, wie problematisch es ist, dass die Beitragszahler belastet werden; zu nennen ist auch das höhere Renteneintrittsalter von 67 Jahren -, sollten wir nicht vergessen: In den Ländern, über die wir reden, in den afrikanischen Ländern etwa, beträgt die Lebenserwartung oft nur 37 oder 38 Jahre. Angesichts dessen sollten wir wirklich nicht so schäbig sein, über jeden Cent zu reden, den wir für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Das ist eine Verpflichtung, die wir der Menschheit gegenüber haben, eine Verpflichtung, der wir einfach nachkommen müssen. Ich sage klar: Dieses Geld muss herangeschafft werden, damit wir den Menschen dort endlich ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können, damit sie sich selbst helfen können, damit sie in Wohlstand und Würde leben können, wie auch wir uns das wünschen. In diesem Sinne bitte ich Sie: Stimmen Sie dem Antrag zu! Ich wünsche mir, dass wir in der Debatte sachlich bleiben und dieses Ziel gemeinsam weiter verfolgen. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Als Nächster hat Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion, das Wort. ({0})

Hellmut Königshaus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003709, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bewertung der drei Anträge kann man eigentlich ganz kurz zusammenfassen. Die einen - Grüne und Linke - wollen es nicht besser, und die anderen - die Große Koalition können es nicht besser. Sie halten es wahrscheinlich mit Karl Valentin: Mögen täten wir ja gerne, aber dürfen haben wir uns nicht getraut. ({0}) Die Linken und die Grünen beschwören die angeblichen Gefahren der Marktöffnung und ignorieren die offenkundigen Chancen, die gerade für die Entwicklungsländer in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen liegen. Sie biedern sich mit Ihren Anträgen bei der globalisierungskritischen Szene an und machen in Wirklichkeit Wahlkampf anstatt Entwicklungszusammenarbeit. ({1}) Die Große Koalition ist da schon etwas besser - etwas. Das kann man zumindest sagen, wenn man nur den Antrag betrachtet. Er lobt die Chancen des Handels für die Entwicklungsländer und preist die Wichtigkeit der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. So weit, so gut, kann man sagen. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, findet sich aber kein Wort dazu, dass es die von Ihnen getragene Bundesregierung ist, die in dieser Frage wirklich auf der ganzen Linie gescheitert ist. Vor genau einem Jahr hatte die Bundesregierung im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft die Chance, die Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Diese Chance hat sie wirklich komplett vertan. Stattdessen hat sie Zeit verplempert und unausgegorene EU-Verhaltensregeln in der Entwicklungszusammenarbeit durchgedrückt. Sie hat die Last der Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auf - ausgerechnet - die Portugiesen abgewälzt. Das haben übrigens auch sie selbst so gesehen. Sie ist vor den selbsternannten Weltverbesserern eingeknickt, die mit ihren Antiglobalisierungsdemos auch in den Entwicklungsländern gegen den Handel mit der EU Stimmung gemacht haben. Da hat die Ministerin gesagt: Hannemann, geh du voran! Liebe Portugiesen, macht ihr doch die Drecksarbeit! Nehmt doch ihr die Schwierigkeiten mit den Verhandlungen auf euch! - Die feine Art ist das nicht. Die Ergebnisse sind entsprechend. Daran ändern auch die Anträge nichts. ({2}) Die Bundesregierung trägt also Mitverantwortung dafür, dass bis heute kein einziges Wirtschaftspartnerschaftsabkommen unterzeichnet ist, und dafür, dass der Handel mit den AKP-Staaten auf rechtlich unsicherer Basis abläuft, da er den Handelsregeln der WTO widerspricht. Es gab vorher schon hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass die Grünen und die Linke diesem Zeitgeist hinterherrennen würden; das war zu erwarten. Dass aber auch die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft nicht die Kraft hatte, sich gegen diese Lobby durchzusetzen, war und ist für die Entwicklungschancen der AKP-Staaten fatal. Besonders dramatisch ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Doha-Runde der Welthandelsorganisation, der WTO, auf Eis liegt, die ja als Entwicklungsrunde besonders den Interessen der ärmsten Länder entgegenkommen sollte. Wenn der internationale Handel frei und nach transparenten Regeln gestaltet wird, können insbesondere für die am wenigsten entwickelten Länder gewaltige Entwicklungsmöglichkeiten entstehen, Entwicklungsmöglichkeiten, die die Ergebnisse unserer Entwicklungszusammenarbeit - übrigens unabhängig davon, ob es ihnen gelingt, Herrn Steinbrück noch zu überzeugen oder nicht - um ein Vielfaches übertreffen würden. Das zeigt alle Empirie, das zeigen alle Erfahrungen. Offene Märkte verbessern die Entwicklungschancen gerade der ärmsten Länder der Welt. Alle Untersuchungen belegen dies. Die Öffnung der Märkte führt zu mehr Wohlstand, zu mehr Bildung, zu Gesundheit und zu Rechtssicherheit, und zwar unabhängig davon, welche Politik andere Staaten betreiben. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal die Fakten in Erinnerung rufen. Bisher ist kein einziges Abkommen verabschiedet worden. Die schwierigen Verhandlungen über die Investitionen, über die Transparenz, über das öffentliche Beschaffungswesen usw. wurden noch nicht einmal begonnen. Sie wurden nicht einmal in der Zeit unserer EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Wir haben nach wie vor die Situation, dass wir gegen die Handelsrichtlinien verstoßen und dass wir hier mit konkreten und schmerzhaften Gegenmaßnahmen der WTO rechnen müssen. Die Bundesregierung ist noch nicht einmal in der Lage, uns zu sagen, welche Konsequenzen sie in diesem Zusammenhang erwartet. ({3}) Das sind die Probleme. Diese lösen Ihre Anträge hier nicht. Wir haben genug schöne Worte gehört, wir wollen Taten sehen. Bei den Linken und bei den Grünen kommt das nicht zum Ausdruck. Deshalb lehnen wir die Anträge von Ihnen ab. Das wird Sie nicht überraschen. ({4}) Ich sagte es, der Koalitionsantrag enthält nichts Falsches. Er enthält aber auch zu wenig Richtiges. Deshalb werden wir uns hier enthalten. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({5})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Anette Hübinger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! In allen heute behandelten Anträgen der verschiedenen Fraktionen geht es um die Frage: Können Handel und Entwicklung sich gegenseitig begünstigen? Wir sagen Ja. In einer immer stärker globalisierten Weltordnung gewinnen gute und stabile Handelsbeziehungen für jedes Land immer mehr an Bedeutung. Für die am wenigsten entwickelten und ärmsten Länder stellt die Teilhabe am Welthandel eine besonders große Herausforderung, aber auch eine große Chance dar. Hierfür brauchen diese Länder unsere Unterstützung und finanzielle Hilfen. Für die CDU/CSU-Fraktion war deshalb der Kernpunkt von neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten ihre entwicklungsförderliche Ausgestaltung über den Charakter bloßer Freihandelsabkommen hinaus. Reine Wirtschaftschancen führen keineswegs automatisch zu besseren Entwicklungschancen für die betroffenen Menschen. Handelspolitische Vereinbarungen müssen mit entwicklungspolitischen Instrumenten verbunden werden, um eine abgefederte, schrittweise Integration in den Welthandel zu ermöglichen. Nur so wird es den Ländern gelingen, neue Entwicklungspotenziale für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nutzen zu können. Mit diesem Anspruch haben die EPA-Verhandlungen zwischen den AKP-Staaten und der EU begonnen, und wir als CDU/CSU-Fraktion werden diesen Prozess weiterhin kritisch begleiten. ({0}) Meine Damen und Herren, mit der Karibikregion - Herr Raabe hat es schon erwähnt - hat es erfreulicherweise bereits im Dezember 2007 eine Einigung über ein vollständiges Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gegeben. Dieses enthält neben dem Güterhandel und den Bereichen Dienstleistungen und Umwelt auch ein Entwicklungshilfekapitel zu sozialen Auswirkungen und die Schaffung eines interparlamentarischen Ausschusses. Das ist ein Erfolg und sollte für die anderen Verhandlungen als Modell dienen. Die Interimsabkommen mit den anderen Regionen entsprechen nun WTO-konformen Vorschriften, Herr Königshaus. Es ist gelungen, im Sinne der AKP-Staaten einen präferenziellen Marktzugang weiterhin zu gewährleisten. ({1}) So werden im Durchschnitt 80 Prozent des Güterhandels über einen Zeitraum von 15 Jahren liberalisiert werden. In Ausnahmefällen wurden Übergangsfristen von bis zu 25 Jahren vereinbart. Dieses Entgegenkommen der EU begrüße ich aus entwicklungspolitischer Sicht ausdrücklich. Die WTO-Konformität der Verträge, die von vielen als ein an den Haaren herbeigezogenes Argument verschrien wurde, hat meines Erachtens eine politische Dimension, die nicht genug herausgestellt wurde. Die größtenteils bilateral ausgestaltete Entwicklungspolitik muss endlich in einen global gültigen Zusammenhang gestellt werden; denn gerade für die Entwicklungsländer sind weltweit geltende handels- und finanzpolitische Regelwerke wichtig, um sie vor der Willkür von machtpolitischen Einzelinteressen zu schützen. Gerade bei Themen wie Biodiversität und Ressourcenschutz, mit denen sich meine Fraktion auf ihrem entwicklungspolitischen Kongress gestern auseinandergesetzt hat, wird es für unsere Zukunft entscheidend sein, ob wir es schaffen, international verbindliche Abkommen zu vereinbaren. ({2}) Den Bedeutungszuwachs von entwicklungspolitischen Ansätzen haben wir auch dem Engagement unserer Kanzlerin zu verdanken, die immer wieder mit klaren Worten für eine viel stärkere Verzahnung von Entwicklungspolitik mit anderen Politikfeldern plädiert. So hat sie sich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft maßgeblich für eine klare entwicklungspolitische Ausgestaltung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ausgesprochen. Auf Initiative der deutschen Präsidentschaft hat die EU im vergangenen Jahr ein großzügiges wie weltweit einmaliges Marktzugangsangebot an die AKP-Staaten beschlossen. Seit 2008 haben alle AKP-Staaten einen zoll- und quotenfreien Zugang zu den europäischen Märkten. Lediglich bei Reis und Zucker gibt es noch bis 2015 eine Übergangsregelung. Das war ein Meilenstein. Die AKP-Staaten dagegen müssen ihre eigenen Märkte nicht im gleichen Umfang öffnen. Sie können sensible Produkte zur Ernährungssicherheit oder zum Schutz noch nicht wettbewerbsfähiger Wirtschaftszweige von der Liberalisierung ausnehmen oder lange Übergangsfristen wählen. Mit diesen Vereinbarungen wird das von meiner Fraktion befürwortete Konzept einer asymmetrischen, flexiblen und entwicklungunterstützenden Marktöffnung mit politischem Inhalt gefüllt. In den kommenden Monaten wird es nun die Aufgabe weiterer Verhandlungen sein, die Interimsabkommen in umfassende Wirtschaftspartnerschaftsabkommen umzuwandeln sowie parallel dazu die Umsetzung der Abkommen zu beginnen. Hierbei wird die Finanzierung der EPA-bezogenen Anpassungsmaßnahmen an Bedeutung gewinnen. Mit Mitteln des zehnten EEF sollen schwerpunktmäßig die regionale Integration und der Handelsbereich unterstützt werden. Darüber hinaus werden im Rahmen von „Aid for Trade“ ab 2010 jährlich 2 Milliarden Euro für handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit von der EU und den Mitgliedstaaten aufgebracht. In den nächsten Monaten muss es nun darum gehen, diese finanzielle Unterstützung weiter zu konkretisieren. Weitere offene Fragen sind noch zu klären, beispielsweise wie die am wenigsten entwickelten Länder motiviert werden können, trotz des für sie bereits gültigen zoll- und quotenfreien Marktzugangs aufgrund der „Everything but Arms“-Initiative der EU den regionalen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen beizutreten, oder wie ein begleitendes Monitoringsystem eingeführt werden kann. Doch schon heute können wir feststellen: Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden den Ländern einen erheblichen Vorteil bringen. ({3}) So wurden neben dem zoll- und quotenfreien Marktzugang für die AKP-Länder die Ursprungsregeln im Vergleich zu den Regeln des Cotonou-Abkommens verbessert. Auch die regionale Integration der AKP-Länder wird durch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen unterstützt: Der Abbau regionaler Handelsschranken und die Einrichtung von Zollunionen werden dem wirtschaftlichen Wachstum innerhalb der jeweiligen Regionen dienen. Sie sind damit zugleich ein wesentlicher Faktor zur Stabilisierung und Intensivierung der Beziehungen untereinander. In diesem Zusammenhang ist auch die Zusage der EU, bis 2013 alle Formen von Agrarsubventionen auslaufen zu lassen, ein wichtiger Schritt, um die Marktchancen von Produkten aus den AKP-Staaten zu erhöhen. ({4}) Zum anderen ist es ein Erfolg auf dem Weg zu einer verbesserten Politikkohärenz. Dieser Erfolg sollte uns alle ermutigen, uns weiterhin und stärker für mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Politikfeldern einzusetzen. ({5}) Entwicklung ohne regionale Integration und Teilhabe am Handel ist in unserer Welt nicht möglich. Hier setzen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen an, nicht als bloße Freihandelsabkommen, sondern durch die Verzahnung von handels- und entwicklungspolitischen Instrumenten. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich auch weiterhin für ihre klare Ausgestaltung als Entwicklungsinstrumente eines völlig neuen Typus einsetzen, zum Nutzen der Entwicklung in unseren Partnerländern. Diese Zielrichtung verfolgt unser heutiger Antrag. Ich bitte um Ihre Zustimmung. ({6})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. ({0})

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Lieber Herr Königshaus, Sie können ja gerne unsere Anträge kritisieren, aber wer hier gar keinen Antrag vorlegt, braucht den Mund nicht so weit aufzureißen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, über die wir heute sprechen, sind eben keine Entwicklungsabkommen, wie dies auch Frau Wiezcorek-Zeul ständig wiederholt, sondern Freihandelsabkommen. Die Hungeraufstände der letzten Tage in Ägypten, Kamerun, Burkina Faso und Haiti aufgrund der gestiegenen Lebensmittelpreise zeigen eines sehr deutlich, Herr Kollege Raabe: Die Freihandelspolitik der letzten Jahrzehnte ist gescheitert. Sie bekämpft nämlich keine Armut, sondern ist die Ursache für Hunger und Armut. ({0}) Der Freihandel hat der Mehrheit der Menschen in den Ländern des Südens keinen Zugang zu ausreichend günstiger Nahrung gebracht; er hat ihnen im Gegenteil die Ernährungssouveränität genommen. Der jetzige Preisanstieg, der natürlich durch die Agrotreibstoffe aus Weizen, Soja, Mais und Reis angeheizt wird, zeigt ganz klar, wie schwierig es ist, wenn die Menschen bei der Sicherstellung ihrer Ernährung auf den Weltmarkt angewiesen sind: Die Verteuerung von Nahrungsmitteln auf dem Weltmarkt trifft genau die Länder am stärksten, die durch die Freihandelspolitik in die Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten oder Nahrungsmittelhilfen getrieben wurden. In Haiti gibt es ganz aktuell enorme Aufstände. Dort wurden bereits 1986 die Zölle für die Einfuhr von Nahrungsmitteln massiv gesenkt. Was ist passiert? Die heimische Produktion ist um mehr als zwei Drittel zurückgegangen, und zwar durch Billigimporte aus den USA. ({1}) Das ist ein Riesenproblem, denn jetzt sind sie abhängig von Nahrungsmittelimporten, und sie treffen ganz direkt die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt. ({2}) Umgekehrt - Herr Raabe, Sie können das dann nachher kommentieren - findet leider auch die heimische Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern zunehmend nur noch für den Export statt. Diese Tendenz wird auch von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert.

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Raabe?

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ja.

Dr. Sascha Raabe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003614, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Zeit ist zwar schon fortgeschritten, Frau Kollegin, ({0}) aber wenn Sie sagen, dass sämtliche Probleme des Hungers darin begründet sind, dass der Freihandel die Menschen in Armut getrieben hätte, dann können Sie mir vielleicht noch Folgendes beantworten: Warum sind denn gerade die 49 ärmsten Länder, die sowohl einen quoten- und zollfreien Marktzugang als auch das Recht hatten, sich durch ihre Zölle zu schützen, in den letzten Jahrzehnten nicht vorangekommen, genau die Länder, von denen Sie jetzt sagen, dass dort Hunger herrscht? Warum haben die Länder, die sich wie die südasiatischen Länder graduell geöffnet haben, gute Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zu verzeichnen? Warum sind die, bei denen Sie so tun, als wäre es der Freihandel gewesen, eigentlich die Ärmsten der Armen? Ich glaube, wir sollten mit der Wahrheit in der Mitte bleiben: Weder der Freihandel noch die Abschottung vom Weltmarkt ist eine Lösung, so wie Sie es sich vorstellen. Wir werden nicht 9 Milliarden Menschen auf einer kleinen Scholle als Kleinbauern ernähren können, sondern nur dann, wenn sie auch eine Chance haben, von der Globalisierung zu profitieren.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Raabe, wenn Sie noch kurz stehen bleiben, kommentiere ich es noch gern. ({0}) Ich habe ganz konkret von den Nahrungsmitteln gesprochen, nicht aber von allen Produkten, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden. In meinen Augen bedeutet es ein großes Problem, die Grundnahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu handeln. Dies ist für den Großteil der Länder ein riesengroßer Nachteil, weil sie einerseits exportorientiert sein sollen und daher viel produzieren, aber gar nicht für die heimische Bevölkerung, sondern auf dem Weltmarkt mit diesen wenig verarbeiteten Produkten konkurrieren sollen, bei denen sie geringe Gewinnspannen haben; andererseits müssen sie dann aber viele andere billige Nahrungsmittel in das Land hineinlassen. Es geht also vor allem um Nahrungsmittel - ich habe nicht von allen Produkten auf dem Weltmarkt gesprochen -, die für die Länder des Südens ein ganz wichtiger Faktor sind. Ich bin dafür, dass Ernährungssouveränität im Mittelpunkt stehen und Vorrang vor Weltmarktstrukturen und vor Weltmarktkonkurrenz haben muss. ({1}) Zurück zum Thema. In meinen Augen verstößt dieses Welthandelssystem tagtäglich gegen das Menschenrecht auf Nahrung. Das Ergebnis können wir sehen: 80 Prozent der Hungernden weltweit sind Kleinbauern und Kleinbäuerinnen, Landarbeiter und Landarbeiterinnen, Fischer und Nomaden. Sie leiden unter der Kommerzialisierung der Landwirtschaft. Darunter fallen Saatgut - zunehmend gentechnisch verändertes Saatgut -, die Privatisierung von Wasservorkommen und die Importfluten, die ich bereits genannt habe. Schon jetzt gibt es das große Problem, dass die EU in die AKP-Staaten massiv landwirtschaftliche Produkte exportiert. Diese Entwicklung wird durch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht gestoppt, sondern eher noch verschärft werden. Deswegen finde ich es absurd, dass wir einerseits Anträge zur Stärkung der sozialen Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern ver16228 abschieden, wir uns andererseits für Zollsenkungen einsetzen, die bewirken, dass Mittel zur Finanzierung dieser sozialen Sicherungssysteme fehlen. ({2}) Ein anderer Schwerpunkt ist die Frauenförderung in der Entwicklungszusammenarbeit. Gerade Frauen arbeiten mehrheitlich in der Landwirtschaft. Daher sind gerade sie durch diese Abkommen massiv in ihrer Existenz gefährdet. In meinen Augen ist es deswegen ein Glück, dass es die globalisierungskritische Bewegung gibt, Herr Königshaus. Denn sie mobilisiert mittlerweise gemeinsam mit den Regierungen in den afrikanischen Ländern gegen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Herr Raabe, es war nicht Zeitdruck, der dazu geführt hat, dass die EU jetzt Zugeständnisse gemacht hat, sondern es war der massive Widerstand von Regierungen und Bevölkerungen der AKP-Staaten gegen diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Erst durch diesen Widerstand kam es zu Interimsabkommen. Die Finanz- und Handelsminister der Afrikanischen Union fordern schon jetzt Neuverhandlungen dieser Interimsabkommen, weil sie mit dem Ergebnis der bisherigen Verhandlungen völlig unzufrieden sind. Auch wir schließen uns diesen Forderungen an. Wir sagen vor allem: faire Verhandlungen, kein Druck auf die Verhandlungspartner. Es braucht mehr Zeit und eine wirkungsvolle Einbeziehung der Zivilgesellschaft. ({3}) Das African Trade Network hat sich im Februar in Kapstadt getroffen. In einer dort verabschiedeten Deklaration heißt es: Heute ist mehr als je zuvor offensichtlich, dass die EPAs die Mittel der EU sind, die grundsätzlich ungerechten Beziehungen zwischen Afrika und Europa zu zementieren. Aus afrikanischer Sicht ist das nichts anderes als eine Rekolonialisierung. Es ist dringender denn je, dass die afrikanischen Bürgerinnen und Bürger und ihre Fürsprecher sich zusammenschließen, um diese Agenda zu stoppen. Dem schließt sich die Linksfraktion an. ({4})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Das Wort hat nun Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

Thilo Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003558, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die einfachen Antworten sind meistens nicht die richtigen. Pauschal zu sagen, Freihandel sei an allem schuld und sei die einzige Ursache für den Hunger in der Welt, ist zu einfach. Aber das, was bei der FDP durchschimmerte, nämlich dass Freihandel die beste Entwicklungspolitik sei, ist eine Vereinfachung in die andere Richtung. ({0}) Kommen wir nun zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Alle vorgelegten Anträge sind Ende des letzten Jahres eingereicht worden und eigentlich nicht mehr aktuell. Inzwischen haben sich die Horrorszenarien nicht bestätigt. In letzter Sekunde konnten viele Interimsabkommen abgeschlossen werden, auch einige endgültige Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Aber es gibt überhaupt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit aufseiten der Europäischen Union. Denn in dem Verhandlungsprozess ist sehr viel Porzellan im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten zerschlagen worden. Wenn es stimmt, dass diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, wie von Herrn Dr. Raabe und Frau Hübinger bezeichnet, so entwicklungsfreundlich sind und gut auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer zugeschnitten sind, stellt sich mir die Frage: Warum gibt es dann diese großen Protestbewegungen, die wahrlich nicht nur von linksradikalen, globalisierungskritischen Bewegungen aus dem Westen initiiert werden? Auch der Allafrikanische Christenrat, in dem alle großen Kirchen Afrikas versammelt sind, hat vor den Risiken dieser Abkommen deutlich gewarnt. Allerdings haben sie die Abkommen nicht von vornherein vom Tisch gewischt und verteufelt. Wenn die Abkommen so katastrophal und entwicklungsschädlich wären, wie von den Gegnern der Abkommen behauptet wird, warum haben dann fast alle afrikanischen Staaten solche Interimsabkommen unterzeichnet? Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen. ({1}) Die Europäische Union hatte ein großes Kohärenzproblem. Das stellt man fest, wenn man mit den Akteuren redet, zum Beispiel mit Herrn Michel. Man spricht zwar von Entwicklungspartnerschaften, die Gespräche wurden aber von der Generaldirektion Trade, von Mr. Mandelson, geführt. Die Generaldirektion Trade ist ganz anders zur Sache gegangen. Sie hat sich nicht auf die Gesprächspartner aus Burkina Faso oder Mali eingestellt, sondern mit sehr viel Druck gearbeitet. Auf der Parlamentarierkonferenz im Vorfeld des EUAfrika-Gipfels haben mehrere Kollegen aus Afrika - nicht nur Abgeordnete kleiner Parteien, sondern auch einige Minister - das Wort „Erpressung“ nicht nur in den Mund genommen, sondern sogar offen ausgesprochen. Wenn Sie sich mit den Kollegen im Entwicklungsausschuss des Europaparlaments rückkoppeln würden, wüssten Sie, dass sowohl die Sozialdemokraten, zum Beispiel Frau Kinnock von der Labour Party, als auch die Konservativen auf dieser Parlamentarierkonferenz scharfe Kritik an der Verhandlungsführung der Europäischen Kommission geübt haben. Wenn man die Interimsabkommen bewerten möchte, steht man vor einem großen Problem: Sie sind gar nicht öffentlich zugänglich. Wir haben es versucht, aber auf dem offiziellen Weg konnten wir nicht Einsicht nehmen. Wir mussten den Umweg über ein niederländisches Institut nehmen. Wenn man die Abkommen einsieht, stellt man fest, dass es gute Beispiele für einigermaßen harmlose, positive Abkommen, die Schutzklauseln enthalten, gibt. Genauso findet man aber auch negative Beispiele. Die Elfenbeinküste, ein schwacher Verhandlungspartner, hat sich beispielsweise verpflichtet, bis 2012 den Handel mit 60 Prozent aller Güter zu liberalisieren. Kenia, das möglicherweise ein besserer Verhandlungspartner ist, muss erst 2015 die ersten Liberalisierungsschritte vornehmen. Man merkt: Das ist ein großer Flickenteppich mit sehr unterschiedlichen Abkommen, die darüber hinaus große Probleme schaffen. Viele Abkommen sind nämlich bilateral abgeschlossen, obwohl man eigentlich die regionale Integration fördern will. Deshalb müssen viele dieser Abkommen, die mit heißer Nadel gestrickt wurden, zugunsten regionaler Abkommen wieder aufgeknüpft werden. Das bietet aber auch eine große Chance hinsichtlich der Achtung der Schutzbedürfnisse der Entwicklungsländer. Hinsichtlich der Ernährungssouveränität brauchen die Entwicklungsländer sehr viel mehr Schutzmöglichkeiten. Wir haben mit Kleinbauern aus Sambia und Ghana viele Gespräche geführt. Sie werden mit Billigimporten aus der Europäischen Union überflutet, vor denen sie sich nicht ausreichend schützen können. Diese Schutzklauseln gelten eingeschränkt oder enthalten Übergangsfristen. Die Abkommen müssen noch kräftig nachgebessert werden, damit sie dem Etikett „Entwicklungspartnerschaft“ gerecht werden. Per se sind sie es bisher nicht. Ein Nacharbeiten ist dringend notwendig. ({2}) Dafür plädieren wir mit unserem Antrag, der differenziert ist. Das ist keine Pauschalverurteilung, aber auch kein Abfeiern sehr zweifelhafter Ergebnisse. Ich bitte um Unterstützung für diesen Antrag. ({3})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/8244. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/7487 mit dem Titel „Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaft zwischen der EU und den AKP-Staaten - Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Stimmenthaltung der FDP angenommen. Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7473 mit dem Titel „EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik statt Freihandelsdiktat“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/7469 mit dem Titel „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKP-Staaten entwicklungsfreundlich gestalten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung der Linksfraktion angenommen. Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8244 empfiehlt der Ausschuss, die Unterrichtung durch die Bundesregierung über eine Verordnung des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu den Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen oder der zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen führenden Abkommen für Waren mit Ursprung in bestimmten Staaten, die zur Gruppe der AKP-Staaten gehören, zur Kenntnis zu nehmen. ({0}) Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? ({1}) Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist - trotz des Titels - einstimmig angenommen. Tagesordnungspunkt 12 b. Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen mit dem Titel „Für ein Entwicklungspartnerschaftsabkommen der Europäischen Union ({2}) mit den Staaten der Afrika-, Karibik-, Pazifikgruppe ({3})“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/4839, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4055 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie zuvor angenommen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf: Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Drucksache 16/6379 Überweisungsvorschlag: Rechtsausschuss ({4}) Auswärtiger Ausschuss Verteidigungsausschuss Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Ich erteile Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke, das Wort. Alle anderen Redner haben ihre Reden zu Protokoll gegeben. ({5})

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie wieder Krieg - diese Forderung war eine Konsequenz aus zwei Weltkriegen, die durch deutsche Großmachtpolitik und für deutsche Interessen entfesselt wurden. „Nie wieder Krieg“ wurde 1949 Verfassungsrealität. 1949 trat das Grundgesetz in Kraft, und die Bundesrepublik Deutschland wurde zu einem militärfreien Land. Damals wurde in Art. 26 des Grundgesetzes ausdrücklich die Vorbereitung eines Angriffskrieges untersagt. In Art. 26 Abs. 1 finden wir noch heute die Regelung: Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen. Die Absicht ist klar und muss in vollem Umfang unterstützt werden. Um zukünftige Angriffskriege im Keim ersticken zu können, soll bereits die Vorbereitung strafbar sein. ({0}) Leider wurde das Grundgesetz schon 1956 geändert. Die Wehrpflicht wurde eingeführt und die Bundeswehr geschaffen. Doch für die Mehrheit der Menschen in Deutschland stand immer noch fest: Nie wieder Krieg. In detaillierten Regelungen wurde den bitteren Erfahrungen von Militarismus und Krieg Rechnung getragen. Um Entwicklungen zu bremsen, die aus der Bundeswehr ein beliebig einsetzbares Instrument der Politik machen würden, setzte und setzt das Grundgesetz einen engen Rahmen. In Art. 87 a steht: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“, also definitiv nicht für Angriffskriege. Nie wieder Krieg von deutschem Boden - das wurde anlässlich der deutschen Wiedervereinigung noch einmal ausdrücklich im Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 festgelegt. Trotzdem wurde die Bundeswehr seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr zu einer Einsatzarmee umgebaut und damit für Angriffskriege fähig. So nahm die Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien teil und unterstützte die Vorbereitung und Durchführung des Irak-Krieges. Dies waren eindeutige Verstöße gegen das Grundgesetz und wurde deswegen von Friedensgruppen und Einzelpersonen bei der Generalbundesanwaltschaft angezeigt. ({1}) Der Generalbundesanwalt sah das weniger problematisch und teilte der Friedenskooperative am 6. Januar 2006 mit: Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten Angriffskrieg nicht strafbar ist. Eine solche Rechtsauffassung ist für die Linken nicht nur völlig unverständlich, sondern auch nicht akzeptabel. ({2}) Die Lesart des Generalbundesanwalts widerspricht auch der Einschätzung des zweiten Wehrdienstsenats des Bundesverfassungsgerichts. ({3}) Dieser kam am 21. Juni 2005 zu folgendem Schluss: Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs wegen bereits nicht „vorbereitet“ werden darf, so darf er nach dem offenkundigen Sinn und Zweck der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden. Die Absicht der Väter und Mütter des Grundgesetzes zur Friedenssicherung war und ist eindeutig. Alle Handlungen, die den Frieden stören könnten, müssen als verfassungswidrige Handlungen unter Strafe gestellt werden. Wenn jedoch die bisherigen Regelungen sinnverkehrend ausgelegt werden können, ist es eine dringende Aufgabe des Gesetzgebers, diese Strafbarkeitslücke zu schließen. ({4}) Wir, die Angehörigen des Parlaments, müssen den Gesetzgebungsauftrag aus dem Grundgesetz in vollem Umfang erfüllen. Der von der Fraktion Die Linke vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches schließt diese Lücke ({5}) und stellt sowohl die Vorbereitung als auch die Auslösung und Durchführung von Angriffskriegen sowie die Beteiligung an diesen unter Strafe. Es ist eine politische Aufgabe, eindeutig und verbindlich aufzuzeigen, welche Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Wir müssen uns wieder zurückbesinnen auf die Friedensstaatlichkeit des Grundgesetzes. ({6}) Nie wieder Krieg von deutschem Boden! ({7})

Dr. h. c. Wolfgang Thierse (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002318

Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden folgende Kollegen: Siegfried Kauder, CDU/CSU, Jörn Thießen und Matthias Miersch, SPD, Jörg van Essen, FDP, und Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.1) Damit ist die Aussprache geschlossen. 1) Anlage 4 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- wurfs auf Drucksache 16/6379 an die in der Tagesord- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf: Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz des Chemiewaffenübereinkommens und eine Stärkung des Vertragsregimes - Drucksache 16/8755 - Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle- ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Uta Zapf, Elke Hoff, Paul Schäfer und Winfried Nachtwei.1) Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/8755. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den Zusatzpunkt 8 auf: 17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Kerstin Müller ({0}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen Stabilisierung Pakistans - Drucksache 16/8752 Überweisungsvorschlag: Auswärtiger Ausschuss ({1}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Keine U-Bootlieferung an Pakistan - Drucksache 16/5594 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2}) Auswärtiger Ausschuss ({3}) Verteidigungsausschuss Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Haushaltsausschuss Federführung strittig Es sind die Reden folgender Kolleginnen und Kolle- gen zu Protokoll gegeben worden: für die CDU/CSU 1) Anlage 5 Ruprecht Polenz, für die SPD Johannes Pflug, für die FDP Elke Hoff, für die Linke Norman Paech und für Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin.2) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen auf Drucksachen 16/8752 und 16/5594 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung bei der Vorlage auf Drucksache 16/5594, Zusatzpunkt 8, ist jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim Auswärtigen Ausschuss. Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der Fraktion der Grünen, also die Federführung beim Auswärtigen Ausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der Grünen und der Linken abgelehnt. Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, also über die Federführung beim Wirtschaftsausschuss. Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie der vorherige angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ({4}) zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer, Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Ulla Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für Berufsbildung - Drucksachen 16/8382, 16/8738 Berichterstattung: Abgeordnete Uwe Schummer Patrick Meinhardt Priska Hinz ({5}) Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle- ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Uwe Schummer, Willi Brase, Patrick Meinhardt, Cornelia Hirsch und Priska Hinz.3) Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- che 16/8738, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU 2) Anlage 6 3) Anlage 7 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse und der SPD auf Drucksache 16/8382 anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken angenommen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Christine Scheel, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Steuerverlagerung ins Ausland verhindern - Drucksache 16/6451 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss ({6}) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Es ist vereinbart, die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen zu Protokoll zu geben: Manfred Kolbe, Antje Tillmann, Lothar Binding, Carl-Ludwig Thiele, Barbara Höll und Gerhard Schick.1) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf Drucksache 16/6451 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7}) - zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Krogmann, Laurenz Meyer ({8}), Veronika Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Martin Dörmann, Dr. Rainer Wend, Doris Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Breitbandversorgung in ländlichen Räumen schnell verbessern - zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Otto ({9}), Gudrun Kopp, Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP Datenbasis für flächendeckende Versorgung mit breitbandigem Internetzugang schaffen - zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Lothar Bisky, Katrin Kunert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Schnelles Internet für alle - Unternehmen zum Breitbandanschluss gesetzlich ver- pflichten 1) Anlage 8 - zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin, Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur flä- chendeckend voranbringen - Drucksachen 16/8381, 16/7862, 16/8195, 16/8372, 16/8781 - Berichterstattung: Abgeordnete Gudrun Kopp Es ist vereinbart, die Reden der folgenden Kollegin- nen und Kollegen zu Protokoll zu geben: Martina Krogmann, Hans-Heinrich Jordan, Martin Dörmann, Manfred Zöllmer, Hans-Joachim Otto, Sabine Zimmermann und Grietje Staffelt.2) Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno- logie auf Drucksache 16/8781. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss- empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/8381 mit dem Titel „Breitbandversorgung in ländlichen Räumen schnell verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss- empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko- alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositions- fraktionen angenommen. Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7862 mit dem Titel „Datenbasis für flächendeckende Versorgung mit breitbandigem Internetzugang schaffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8195 mit dem Ti- tel „Schnelles Internet für alle - Unternehmen zum Breitbandanschluss gesetzlich verpflichten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen. Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8781 die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 16/8372 mit dem Titel „Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur flächendeckend vo- ranbringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh- lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be- schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion der Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses ange- nommen. 2) Anlage 9 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann sehen, dass zu demselben Thema Anträge mit ganz unterschiedlichen Titeln formuliert werden. Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und die Rechtsstellung seines Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien, dem Königreich Spanien und dem Großherzogtum Luxemburg ({10}) - Drucksache 16/8250 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({11}) - Drucksache 16/8780 Berichterstattung: Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({12}) Gerd Höfer Dr. Rainer Stinner Winfried Nachtwei Es ist vereinbart, die Reden der folgenden Kollegin- nen und Kollegen zu Protokoll zu geben: Ernst-Reinhard Beck, Gerd Höfer, Rainer Stinner, Inge Höger und Omid Nouripour.1) Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Straßburger Vertrag. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8780, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8250 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 11. April 2008, 9 Uhr, ein. Ich wünsche Ihnen einen freundlichen Heimweg und eine gute Nacht. Die Sitzung ist geschlossen.