Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsere
heutige Tagesordnung eintreten, gibt es einige Mitteilungen und Veränderungen bzw. durchzuführende Entscheidungen.
Zunächst möchte ich dem Kollegen Detlef
Dzembritzki herzlich gratulieren, der am 23. März seinen 65. Geburtstag gefeiert hat. Ebenso gratuliere ich
dem Kollegen Joachim Stünker, der am 29. März seinen 60. Geburtstag feiern konnte. Im Namen des ganzen
Hauses beiden Kollegen herzliche Gratulation und alle
guten Wünsche.
({0})
Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass der Kollege
Jörg-Otto Spiller als stellvertretendes Mitglied aus dem
Vermittlungsausschuss und aus dem Gemeinsamen
Ausschuss nach Art. 53 a des Grundgesetzes ausscheidet. Als Nachfolger wird der Kollege Dr. HansUlrich Krüger vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Damit ist der
Kollege Krüger zum stellvertretenden Mitglied sowohl
des Vermittlungsausschusses wie des Gemeinsamen
Ausschusses nach Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte zu erweitern:
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der
Bundesregierung zur Erhöhung der Biospritbeimischung ({1})
ZP 2 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Rentenanpassung 2008
- Drucksache 16/8744 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({2})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den
Energiemärkten bekämpfen
- Drucksache 16/8079 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({3})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren ({4})
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Für einen umfassenden Schutz der europäischen Bürgerinnen und Bürger bei der Verarbeitung ihrer Daten im Bereich der sogenannten dritten Säule der Europäischen Union
- Drucksache 16/5473 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({5})
Rechtsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cajus
Caesar, Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz
Redetext
Präsident Dr. Norbert Lammert
Schmitt ({6}), Marco Bülow, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn - Biologische Vielfalt schützen, nachhaltig und gerecht nutzen
- Drucksache 16/8756 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({7})
Auswärtiger Ausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Daniel Bahr ({8}), Heinz Lanfermann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Eigenverantwortung und klare Aufgabenteilung als Grundvoraussetzung einer effizienten
Präventionsstrategie
- Drucksache 16/8751 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit ({9})
Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Petra
Sitte, Cornelia Hirsch, Volker Schneider ({10}), Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion
DIE LINKE
Gleichstellung in der Wissenschaft durch Modernisierung der Nachwuchsförderung und
der Beschäftigungsverhältnisse herstellen
- Drucksache 16/8742 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({11})
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD:
Aktuelle Lage in Tibet
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD
Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen
- Drucksache 16/8754 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({12})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang
mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals
- Drucksache 16/8748 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({13})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen
Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine U-Bootlieferung an Pakistan
- Drucksache 16/5594 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({14})
Auswärtiger Ausschuss ({15})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
ZP 9 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
FDP:
Haltung der Bundesregierung zur Tätigkeit
deutscher Sicherheitskräfte in Libyen
Wir beginnen unsere Beratung gleich also nicht mit
dem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbedürftiger junger Menschen, sondern mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008. - Aus der Zusammensetzung des
Plenums gewinne ich den begründeten Eindruck, dass
die meisten auf diese Veränderung eingestellt sind. Die
Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen verschieben sich dadurch jeweils um einen Platz nach hinten.
Außerdem ist vorgesehen, den Tagesordnungspunkt 19 abzusetzen und an dieser Stelle den Tagesordnungspunkt 21 aufzurufen.
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, soweit erforderlich, abgewichen werden.
Schließlich mache ich auf zwei geänderte Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste aufmerksam:
Der in der 126. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Finanzausschuss ({16}) zur Mitberatung überwiesen werden.
Präsident Dr. Norbert Lammert
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts ({17})
- Drucksachen 16/7076, 16/7440 überwiesen:
Innenausschuss ({18})
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Finanzausschuss
Der in der 134. Sitzung des Deutschen Bundestages
überwiesene nachfolgende Antrag soll nicht mehr dem
Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({19}) zur Mitberatung überwiesen
werden.
Entschließungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Volker Beck
({20}), Irmingard Schewe-Gerigk, Marieluise
Beck ({21}), weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Europäisches Jahr der Chancengleichheit für
alle
- Drucksachen 16/4933, 16/6314, 16/7537 überwiesen:
Ältestenrat
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? Das ist offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 unserer Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und der SPD eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Rentenanpassung 2008
- Drucksache 16/8744 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({22})
Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann kann das als vereinbart gelten.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zunächst dem Bundesminister für Arbeit und Soziales,
Olaf Scholz.
({23})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor einer
Woche hat das ZDF eine Umfrage veröffentlicht. Danach finden 61 Prozent der unter 30-Jährigen, dass die
jetzt vorgesehene Erhöhung der Rente um 1,1 Prozent
richtig ist. 28 Prozent hätten sich sogar mehr gewünscht,
und nur 8 Prozent sagen, diese Erhöhung sei zu hoch.
Diese repräsentative Umfrage bei unter 30-Jährigen
macht also deutlich: Es gibt keinen Generationenkonflikt
in Deutschland. Er wird in den Medien und an vielen anderen Stellen lediglich herbeigeredet.
({0})
Unser Gesetzentwurf, den wir jetzt beraten wollen,
stärkt die Solidarität zwischen den Generationen, die
viel größer ist, als oft behauptet wird. Wir haben in
Deutschland eine solidarische Mehrheit, die zwischen
den Generationen und in jeder Familie in Deutschland
vorhanden ist. Darauf können wir uns bei unseren Beratungen auch verlassen.
({1})
Was wollen wir erreichen? - Wir wollen, dass auch
die Rentnerinnen und Rentner an dem Aufschwung, den
wir jetzt überall beobachten können, teilhaben.
({2})
Gleichzeitig wollen wir stabile Beiträge, die für die jüngere Generation mit ihrer Arbeitsleistung bezahlbar sind.
Wir können garantieren, dass die Beitragssätze auch im
nächsten Jahrzehnt nicht höher ausfallen werden als
jetzt; sie werden unter 20 Prozent bleiben. Das ist eine
große Leistung für die Stabilisierung der Rentenfinanzen, die wir in den letzten Jahren zustande gebracht haben.
({3})
Wir gehen einen sehr gut verantwortbaren Schritt.
Wir haben im Hinblick auf die Stabilität der Rentenfinanzen in den letzten Jahren beschlossen, bei der Anpassung der Rente über mehrere Jahre hinweg die zusätzliche Altersvorsorge, die die Jüngeren zu betreiben
haben, zu berücksichtigen. Das werden wir noch viermal
tun. Jetzt wollen wir die Berücksichtigung der privaten
Altersvorsorge für zwei Jahre aussetzen, um eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent zu ermöglichen. Gleichzeitig
stellen wir klar, dass das zu einem späteren, zu einem
günstigeren Zeitpunkt nachgeholt wird. Das ist eine sehr
vernünftige, stabile und verantwortbare Politik.
({4})
Das nächste Jahrzehnt ist ein günstigerer Zeitpunkt.
({5})
Was ist in den letzten Jahren geschehen, und wie ist die
jetzige Situation? Drei Jahre lang haben die Rentnerin16114
nen und Rentner in Deutschland keine Rentenerhöhung
bekommen. Im letzten Jahr gab es nur eine geringe Erhöhung. Deshalb ist es vernünftig, die private Altersvorsorge der Jüngeren nicht jetzt bei der Berechnung der
Rente zu berücksichtigen, sondern zu einem Zeitpunkt,
in dem wir größere Spielräume haben. Das gilt allerdings nur, wenn wir gleichzeitig all das miteinbeziehen,
was zur Stabilisierung der Rentenfinanzen notwendig
ist. Genau das tun wir auch. Wir sind prinzipienfest, aber
wir sind keine Prinzipienreiter. Das ist gute demokratische und pragmatische Politik.
({6})
Überall ist vom Aufschwung die Rede. Aber wir
müssen verhindern, dass es einigen so geht wie jemandem, der sehr lange auf den Bus wartet, einsteigen will,
nachdem dieser endlich gekommen ist, aber in genau
diesem Moment die Tür wegen Überfüllung zugeht, der
Bus wegfährt und er auf den nächsten Bus warten muss.
Auch die Älteren in unserer Gesellschaft sollen etwas
von dem Aufschwung haben. Darum geht es in unserem
heute vorgelegten Gesetzentwurf.
({7})
Seien wir ehrlich: 1,1 Prozent sind nicht viel. Wenn
man all die zusätzlichen Belastungen und Aufwendungen berücksichtigt, die in den letzten Jahren auf die ältere Generation zugekommen sind, dann stellt man fest,
dass das nur eine kleine Erholung von den schwierigen
Situationen ist, die viele beschreiben, wenn sie zum Beispiel über ihre Miete oder die Preise im Supermarkt reden. Aber wir zeigen den Älteren in diesem Lande, dass
wir ihre Situation verstehen. Das Signal, das der Deutsche Bundestag heute geben kann, ist notwendig und unverzichtbar.
({8})
Wir sollten die Lage der älteren Menschen in diesem Lande nicht vergessen; sie unterscheidet sich von
der anderer Menschen. Ein 35-Jähriger, der von seinem
Chef mitgeteilt bekommt, dass das Weihnachtsgeld gestrichen ist, denkt nichts Nettes über diesen, und wenn er
klug ist, tritt er in eine Gewerkschaft ein.
({9})
- „Wenn er klug ist, ist er schon drin“, sagt die Kanzlerin. Da muss man ihr recht geben. ({10})
Ein 35-Jähriger, der mit dieser Situation konfrontiert ist,
sagt sich, dass er an dieser Situation noch einmal etwas
ändern kann. Wer aber 68 oder 72 Jahre alt ist und es
jahrelang schwer hatte mit seiner Rente, der kann an seiner Situation nichts mehr ändern.
({11})
Deshalb ist es eine wichtige Botschaft zu zeigen, dass
wir die Situation der Älteren in diesem Land im Blick
haben. Das haben sie auch verdient.
({12})
Die Rente eignet sich nicht für Diskussionen über
Generationenkonflikte. Denn mit der Rente - das muss
uns allen klar sein - haben wir alle fast ein Leben lang
etwas zu tun. Durchschnittlich werden heutzutage
40 Jahre lang Beiträge gezahlt und wird die Rente
17 Jahre lang bezogen. Wir nehmen alle mit großer Begeisterung zur Kenntnis, dass der Bezugszeitraum immer länger wird. Das funktioniert aber nur, wenn bei den
Jüngeren all die Jahrzehnte, in denen sie Beiträge zahlen,
die Vorstellung vorherrscht, dass sie zunächst leistbare
Beiträge zu zahlen haben, dafür aber im Alter eine Rente
in akzeptabler Höhe bekommen werden. Das ist das, was
wir zu leisten haben. Das gewährleisten wir. Wir schaffen Vertrauen in die Rentenversicherung. Das ist das Gegenteil von Generationenkonflikt.
({13})
Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ein „alter Bekannter“ nicht mehr da ist. Es gab viele Zeitungsartikel,
zahlreiche Sendungen und vieles mehr über das sogenannte Rentenloch, über die Unsicherheit bei den Rentenfinanzen und über die Gefahren, die der Rentenversicherung drohten.
({14})
Davon sind wir heute weit entfernt. Wir haben eine ordentliche Nachhaltigkeitsrücklage gebildet. An eine
bestimmte Seite dieses Hauses möchte ich sagen: Die
anstrengende Politik der letzten Jahre hat sich gelohnt.
Jetzt haben wir in Deutschland stabile Rentenfinanzen.
({15})
In der letzten Woche haben wir den 50. Geburtstag
des Sozialbeirates der Bundesregierung gefeiert. Zu diesem Anlass haben bekannte Experten, die sich in
Deutschland oft zu diesem Thema zu Wort melden, gesprochen, zum Beispiel Professor Rürup.
({16})
Es haben sich aber auch Experten der EU, der Internationalen Arbeitsorganisation und der OECD geäußert. Alle
haben uns übereinstimmend bescheinigt: Deutschland ist
eines der wenigen Länder, das die Herausforderungen
des demografischen Wandels, der aufgrund der Tatsache,
dass unsere Bevölkerung Gott sei Dank immer älter
wird, auf uns zukommt, bewältigt und stabile Rentenfinanzen geschaffen hat. Wir haben das, was andere
Staaten noch vor sich haben, schon erreicht. Das darf die
demokratische Politik in diesem Lande mit Stolz erfüllen, meine Damen und Herren.
({17})
Es wird ja gerne schnell und ohne weiteres Nachdenken über Politiker geschimpft. Aber die verantwortlichen Politiker in Deutschland haben getan, was man von
ihnen verlangt. Sie haben nicht auf die nächste Wahl geschielt,
({18})
sondern wichtige und schwierige Entscheidungen getroffen.
({19})
Über die Früchte dieser Arbeit dürfen wir jetzt gemeinsam diskutieren. Das Wichtigste dabei ist, dass wir die
Rentenversicherung in eine sichere Zukunft führen.
Neben stabilen Rentenfinanzen haben wir aber noch
eine zusätzliche Botschaft an die Jüngeren. Diese Botschaft lautet: Es ist notwendig, zusätzlich private und
betriebliche Altersvorsorge zu betreiben, damit man
seinen Lebensstandard im Alter sichern kann. Darum
war es richtig, dass wir in den letzten Jahren die betriebliche Altersvorsorge und die private Zusatzvorsorge mit
dem Namen Riester-Rente ausgebaut haben. An dieser
Stelle bedanke ich mich bei Walter Riester, der dort hinten sitzt.
({20})
Ende 2007 gab es in Deutschland 10,8 Millionen
Riester-Verträge. Das ist eine große politische Leistung.
Wir sind bei diesem Thema sehr konsequent. Das
Bundeskabinett ermöglicht nicht nur, dass die Renten
stärker als erwartet steigen können, sondern wir haben
auch beschlossen, einen Berufseinsteigerbonus einzuführen. Dadurch soll jüngeren Leuten nahegelegt werden, möglichst früh mit ihrer Altersvorsorge zu beginnen. Denn wir hoffen, dass derjenige, der früh damit
beginnt, auch dabeibleibt. So früh wie möglich mit der
Altersvorsorge zu beginnen, ist im Leben eines jeden
Berufstätigen die richtige Entscheidung.
({21})
Wir haben dafür gesorgt, dass auch diejenigen, die
schon mit 42 oder 51 Jahren nicht mehr erwerbstätig
sein können und eine Erwerbsminderungsrente beziehen, private Altersvorsorge betreiben können. Ihnen geben wir die Möglichkeit, in dieser Zeit zusätzlich eine
Riester-Rente aufzubauen. Das ist eine gute Leistung,
und sie ist konsequent, weil sie zum Gesamtbild unserer
Alterssicherungspolitik passt.
({22})
Wir handeln sehr verantwortlich. Die wichtige Botschaft, die heute von diesem Gesetzentwurf ausgeht,
kann ganz eindeutig beschrieben werden: Stabile Rentenfinanzen ermöglichen in einer wirtschaftlich guten Situation größere Erhöhungen für die Rentner, und sie sind
gleichzeitig etwas, auf das die jüngere Generation vertrauen kann. Lassen Sie uns mit dieser Politik fortfahren.
({23})
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Heinrich Kolb,
FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Bundesminister Scholz, nach dem Echo, das Ihre
Rentenanpassung bis in höchste Regierungskreise hinein
hervorgerufen hat - Merkel rügt Rentenpolitik ihrer Regierung, hieß es -, finde ich es wirklich erstaunlich, dass
Sie Ihr Vorgehen erneut als rentenpolitische Großtat verkaufen wollen.
({0})
Nein, Herr Scholz, die von Ihnen geplante Aufstockung einer als peinlich empfundenen Rentenanpassung
in diesem und im nächsten Jahr ist in doppelter Weise
eine Beleidigung der Rentner in Deutschland. Sie wollen
die Rentner, die in den letzten Jahren in der Tat deutlich
an Kaufkraft verloren haben, mit einem Almosen abspeisen. Denn das, was Sie als Erhöhung vorgesehen haben,
reicht ja nicht annähernd aus, um die Belastungen auszugleichen, die den Rentnern allein als Ergebnis der Politik
dieser Bundesregierung zuteil wurden: Erhöhung der
Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte, Inflation auf Rekordhöhe, Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge,
Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge und vieles
andere mehr; ich kann gar nicht alles aufzählen.
Ihre Rentenanpassung, Herr Scholz, ist auch deswegen eine Beleidigung der Rentner, weil das Motiv, Wählerstimmen bei den Rentnern zu kaufen, deutlich durchscheint. Wie heißt es nach Goethes Torquato Tasso, den
viele der Älteren in der Schule noch gelesen haben? Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
({1})
Herr Scholz, glaubt die Regierung wirklich, die Rentner
seien nicht in der Lage, über den Wahltag hinaus zu denken? Tatsache ist, dass nach Ihrem Gesetzentwurf die
Rentner nach der Wahl einen Gutteil dessen, was sie
jetzt vor der Wahl erhalten, selbst werden bezahlen müssen. Die Aufstockung der Rentenerhöhung ist ein Wahlgeschenk - ein vergiftetes Geschenk. Sie kommt nicht
von Herzen und ist nicht ehrlich gemeint.
({2})
Herr Scholz, Frau Bundeskanzlerin Merkel, Sie verhalten sich mit Ihrer panischen Aktion im Vorwahljahr
wie der junge Mann, dem auf dem Weg zur Erbtante siedend heiß einfällt, dass die Tante Geburtstag hat, und der
sich schnell einen Blumentopf von ihrer Fensterbank
greift, damit er nicht mit leeren Händen vor die gute
Frau treten muss. Der hat auch nicht wirklich das Wohl
der Tante im Sinn, er denkt vor allem an sich selbst. Genauso ist es bei Ihnen, Herr Scholz.
({3})
Doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Tante ihren Blumentopf erkennt und der Schwindel auffliegt, ist hoch,
Herr Scholz. Mit allen aufmerksamen Rentnerinnen und
Rentnern in unserem Lande lehnen wir Ihren tagespolitisch motivierten Eingriff in die Rentenformel ab.
Die Rentenformel macht doch das, was künftig sein
wird, für die Rentner berechenbar, sie schafft Verlässlichkeit. Mit anderen Worten: Die Rentner werden durch
die Rentenformel auch geschützt. Heute gibt es als Ergebnis des Herumfummelns an der Rentenformel eine
Rentenerhöhung, morgen kann es eine Kürzung sein.
Deswegen sage ich: Finger weg von der Rentenformel,
Herr Scholz! Mit der geplanten Manipulation brechen
Sie mit der langfristig angelegten Politik Ihrer Amtsvorgänger. Rentensystematisch ist das Aufstocken der Erhöhung ein schwerer Sündenfall. Die Rente wird zum
Spielball parteipolitischer Interessen. Mit einer nachhaltigen Politik hat das nichts zu tun.
({4})
- Frau Nahles, diese Manipulation der Rentenformel, die
wir Ihnen vorwerfen, nimmt zu viel und gibt zu wenig:
Sie geben den Rentnern im Durchschnitt 7 Euro pro Monat und beschädigen dafür das Vertrauen in die langfristig angelegte Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir lehnen eine solche Rentenanpassung, die
sich allein an den Umfragewerten der Regierung orientiert, ab.
({5})
Ich will ausdrücklich sagen: Auch wir, meine Damen
und Herren von der Regierung und von der Koalition,
sind sehr dafür, die Kaufkraft der Rentnerinnen und
Rentner zu stärken.
({6})
Das gilt zunächst einmal, Herr Kollege Weiß, für die
sich aus der Rentenformel auch ohne Manipulation ergebende Erhöhung der Renten. Es ist ja nicht so, dass sich
nach der derzeitigen Rechtslage keine Rentenerhöhung
ergeben würde. Wenn es darum geht, die Rentner darüber hinaus am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben
zu lassen, gibt es Alternativen, über die wir uns durchaus
unterhalten können. Eine Verbesserung der Kaufkraft
der Rentner muss aber aus dem Steuertopf finanziert
werden. Denn die Früchte des Aufschwungs der letzten
Jahre hat mit rund 110 Milliarden Euro Mehreinnahmen
ganz überwiegend der Bundesfinanzminister, Herr
Steinbrück, abgegriffen.
({7})
Eine Alternative, um die Kaufkraft der Rentner zu verbessern, wären gezielte Entlastungen der Rentner bei
den Steuern auf den Energieverbrauch.
Ehrlicher wäre es aber, Herr Scholz, wenn Sie gemeinsam mit Herrn Steinbrück an jede Rentnerin und an
jeden Rentner einen Brief mit etwa folgendem Wortlaut
schreiben würden: Sehr geehrte Damen und Herren, als
Ergebnis einer verfehlten Politik unserer Regierung sind
Sie leider über Gebühr belastet worden.
({8})
Zum Ausgleich für die erlittenen Kaufkraftverluste übersenden wir Ihnen für die Jahre 2008 und 2009 einen
Scheck über 200 Euro. Mit freundlichen Grüßen, Ihre
Bundesregierung.
({9})
Genau das tun Sie aber nicht. Das Geld für eine solche Aufstockung der Rentenerhöhung ist ja bei der IKB
und der KfW gerade eben erst verzockt worden. Nein,
Sie machen es sich einfach: Das Geschenk soll aus der
Rentenkasse bezahlt werden - von den Beitragszahlern
und den Rentnern selbst. Die Rentenkasse kann sich ein
solches Geschenk aber nicht leisten. Die Erhöhung der
Nachhaltigkeitsrücklage ist nämlich ausschließlich auf
den 13. Monatsbeitrag zurückzuführen, den die Unternehmen und die Arbeitnehmer im Jahre 2006 an die
Rentenkasse abführen mussten. Aus diesem Grund mache ich mir große Sorgen um die Nachhaltigkeit Ihrer
Rentenpolitik.
Nachhaltigkeit - das war die Leistung Ihres Vorgängers Walter Riester, mit dem Sie sich nicht vergleichen
können, Herr Scholz.
({10})
Die Nachhaltigkeit sollte dadurch erreicht werden, dass
den Jüngeren aufgegeben wurde, höhere Beiträge zu
zahlen, als es die jetzige Rentnergeneration musste, und
auch länger zu arbeiten, während den Älteren zugemutet
wurde, Dämpfungen ihrer Rentenzuwächse hinzunehmen, damit für die Jüngeren überhaupt noch ein Spielraum für den Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Vorsorge verbleibt.
Ich bezweifle, dass mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung 2008 der durch das
Rentenversicherungsnachhaltigkeitsgesetz vorgegebene
Beitragskorridor noch eingehalten werden kann. Die
Bugwelle durch die ausgefallene Dämpfung aufgrund des
Nachhaltigkeitsfaktors in den Jahren 2005 und 2006 ist
noch nicht abgebaut. Mit der Aussetzung der Dämpfung
aus dem Riester-Faktor bauen Sie schon eine zweite Bugwelle auf. Beide Bugwellen sollen sich durch Rentenkürzungen vor der übernächsten Bundestagswahl auf wundersame Weise auflösen. Herr Scholz, das glauben Sie
doch selbst nicht.
({11})
Ich fürchte eher, es wird Ihnen wie Goethes Zauberlehrling ergehen: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun
nicht los“. - Herr Scholz, deswegen biete ich Ihnen hier
und heute eine Wette an: Die Rente mit 67 wird das
Superwahljahr 2009 mit 16 Wahlen nicht überstehen. Damit kann ich gut leben; denn die FDP fordert ja statt
der Anhebung der starren Regelaltersgrenze von 65 auf
67 einen flexiblen Übergang vom Erwerbsleben in den
Ruhestand bei einem Wegfall aller Zuverdienstgrenzen,
was ohnehin sehr viel sinnvoller ist.
Herr Minister Scholz, nach der Blamage beim Mindestlohn - stell dir vor, es ist Mindestlohn und keiner
macht mit - stehen Sie nun auch in der Rentenpolitik vor
einem Scherbenhaufen - und das schon wenige Monate
nach Ihrem Amtsantritt. Unbewusst haben Sie sich
längst von der Agendapolitik Gerhard Schröders verabschiedet. Sie wollen sich das aber nicht eingestehen.
Deswegen fehlt Ihrer Politik die richtige Richtung. Ein
bisschen mehr dürfen die Menschen schon erwarten und
erwarte auch ich persönlich von einem Minister, der seinen Amtseid ernst nimmt.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({12})
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe,
CDU/CSU.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder Beobachter weiß: Unser Land ist wirtschaftlich auf
einem guten Weg. Die Wirtschaft wächst, und wir haben
heute 1,7 Millionen Arbeitslose weniger als vor drei Jahren. Wir als Große Koalition haben gesagt: Wir wollen,
dass die Rentner an dieser guten wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben. - Was ist daran eigentlich so skandalös und so zu kritisieren? Wir schlagen damit den richtigen Weg ein.
({0})
Zwei Faktoren bleiben dabei ganz klar: Es bleibt beim
Lohnbezug der Rente und auch dabei, dass die Renten
aufgrund unserer demografischen Entwicklung nicht so
stark steigen können wie die Löhne. Das heißt, bei einem
Anstieg der Lohnsumme um 1,4 Prozent in diesem Jahr
steigen die Renten eben nur um 1,1 Prozent. Wir tun das,
was möglich ist, um die Rentnerinnen und Rentner am
Aufschwung teilhaben zu lassen. Wir schütten nicht das
Füllhorn aus, aber wir tun das, was möglich ist.
Wir tun das vor dem Hintergrund der Zumutungen,
die die Rentner in den letzten Jahren mit drei Nullrunden
unzweifelhaft erfahren haben, und auch vor dem Hintergrund dessen, dass wir den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung halbiert haben, wovon die Rentner, wie
wir wissen, nicht unmittelbar betroffen sind.
Wir haben erstmals seit der Einführung der Pflegeversicherung den Beitrag zu dieser Versicherung, der die
Renterinnen und Rentner voll trifft, erhöhen müssen,
weil wir uns richtigerweise dazu entschieden haben, die
Leistungen in der gesetzlichen Pflegeversicherung erheblich auszuweiten. Deswegen ist es zu dieser Beitragserhöhung gekommen.
Gelegentlich wird festgestellt, wir machten eine
Rente nach Kassenlage.
({1})
Ich finde es durchaus sinnvoll, sich mit der Kassenlage
der Rentenversicherung zu beschäftigen. Als die Regierung unter Angela Merkel im November 2005 ins
Amt kam, wies die Rentenkasse ein Minus von 636 Millionen Euro auf. Ende 2007 war sie bei einem Plus von
11,7 Milliarden Euro angelangt. Das wäre nicht allein
durch Minijobs, Billigjobs und Niedriglöhne möglich
gewesen; es ist vielmehr ein Erfolg unserer Arbeitsmarktpolitik, dass wieder mehr Menschen in Beschäftigung sind und Steuern zahlen. Für diese Erfolge, die wir
erzielt haben und die uns diese Rentenpolitik ermöglichen, werden wir uns bei niemandem entschuldigen. Das
sind große wirtschaftspolitische und sozialpolitische Erfolge.
({2})
Lieber Kollege Brauksiepe, möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb beantworten?
Gern.
Herr Kollege Brauksiepe, stimmen Sie mir zu, dass
der Eindruck, den Sie vermitteln wollen, nämlich dass
genügend Geld in der Rentenkasse ist, nicht zutrifft?
Hängt nicht vielmehr der Anstieg der Rentenreserve
ganz überwiegend mit den 10,5 Milliarden Euro zusammenhängt, die der 13. Monatsbeitrag im Jahr 2006 in die
Rentenkassen gespült hat?
Stimmen Sie mir zu, dass die Rentenversicherung in
den zurückliegenden Jahren Jahr für Jahr ein strukturelles Defizit zwischen 2 Milliarden und 4 Milliarden Euro
aufgewiesen hat und dass wir auch im letzten Jahr trotz
einer Erhöhung des Rentenbeitrags um 0,4 Prozentpunkte - das entspricht 4 Milliarden Euro - einen Überschuss von gerade einmal 1,2 Milliarden Euro erzielt haben, den Sie allein mit der Rentenerhöhung im Jahr 2008
wieder ausgeben wollen?
Ich stimme Ihnen nicht zu, Herr Kollege Kolb.
({0})
Die Behauptung, ein einmalig erzielter Effekt habe dazu
geführt, dass die Rücklagen in der Rentenversicherung
über Jahre hinweg angestiegen sind, ist völlig unlogisch.
Der Natur der Sache nach ist das völlig unmöglich.
({1})
Von daher meine ich, Kollege Kolb: Setzen, sechs! Was
Sie hier gesagt haben, kann nicht stimmen.
({2})
Die Lage der Rentenkasse wird zunehmend besser.
Dadurch haben wir die Möglichkeit, die Renterinnen
und Rentner am Aufschwung zu beteiligen, was wir
auch tun.
Ich wiederhole: Wir schütten nicht das Füllhorn aus.
Wenn wir Ihren unsinnigen und unfinanzierbaren Vorschlag umsetzen würden, allen Betroffenen Schecks zu
schicken, dann würden Sie das wiederum als Scheckbuchdiplomatie der Bundesregierung bzw. der Großen
Koalition bezeichnen. Das wäre der falsche Weg.
({3})
Herr Kollege Kolb, die FDP hat am 13. Februar eine
Aktuelle Stunde beantragt. Sie haben behauptet, der
Aufschwung komme bei den Menschen nicht an.
({4})
Er sei nur bei 1 Prozent der Menschen angekommen.
Durch die Politik dieser Bundesregierung werden jetzt
20 Millionen Menschen bessergestellt. Diesen Weg können wir beschreiten. Wir legen eben nicht die Preise fest.
Sie werfen uns vor, wir wollten beispielsweise den Brotpreis festlegen. Das ist aber nicht der Fall. Wir setzen an
der Stelle an, an der man etwas für die Renterinnen und
Rentner tun kann, indem sie mehr Geld bekommen.
({5})
Damit, dass wir rund 20 Millionen Renterinnen und
Rentner begünstigen,
({6})
schlagen wir den richtigen Weg ein.
Natürlich beunruhigt auch uns die Preisentwicklung.
Damit wende ich mich an die Grünen: Sie sind doch
1998 mit dem politischen Ziel angetreten, dass der Liter
Benzin 5 D-Mark kosten sollte. Zum Glück sind wir
noch nicht so weit. Das ist ein wesentlicher Unterschied
zwischen uns: Wir wollen niedrigere Energiepreise. Sie
hingegen wollen höhere Energiepreise, die den Menschen das Geld aus der Tasche ziehen.
({7})
Wir führen eine Debatte über die Ordnungspolitik in
dieser Frage. Wir sind durchaus bereit, darüber zu diskutieren. Ich erinnere Sie aber in diesem Zusammenhang
daran, dass Sie die Rentenformel viermal in sieben Jahren rot-grüner Regierung geändert haben. Sie waren
doch an der Aussetzung des demografischen Faktors beteiligt, für die sich Gerhard Schröder später bei den
Menschen entschuldigt hat. Sie haben viermal die Rentenformel geändert und drei Nullrunden herbeigeführt.
Sie haben nicht nur eine unsystematische Rentenpolitik
betrieben, sondern sie waren auch sozial erfolglos und
haben die wirtschaftliche Lage der Renterinnen und
Rentner verschlechtert. Das ist der Unterschied zwischen uns: Sie mussten Rentenpolitik nach Kassenlage
machen, weil Sie die Renten nicht erhöhen konnten. Wir
haben dafür gesorgt, dass die Kassen wieder zulassen,
dass die Renterinnen und Rentner am Aufschwung teilhaben.
({8})
Ich will noch etwas zu Ihnen sagen, meine Damen
und Herren von der Linken. Sie haben in der Tat an den
Eingriffen in die gesamtdeutsche Rentenformel nicht
teilgenommen. Der letzte rentenpolitische Eingriff, den
Sie vorgenommen haben, war 1989. Damals haben Sie
zum 40. Jahrestag der DDR die Rente auf mindestens
330 Ost-Mark angehoben. Das ist die rentenpolitische
Bilanz Ihrer Partei nach 40 Jahren. Dafür sollten Sie sich
schämen, anstatt uns zu kritisieren.
({9})
In einem umlagefinanzierten Rentensystem ist völlig
klar, dass jeder zusätzliche Euro, den die Rentner bekommen, nur von den aktiven Beitrags- und Steuerzahlern aufgebracht werden kann.
({10})
Deswegen sind die kritischen Fragen der Jüngeren, wie
es um die Generationengerechtigkeit bestellt ist, vollkommen verständlich. Es ist die Aufgabe dieser Regierung genauso wie jeder anderen, auf die Herausforderungen, die sich durch die Alterung unserer Gesellschaft
ergeben, generationengerecht zu reagieren. Vielen Älteren erscheint die jetzige Rentenerhöhung viel zu gering,
während viele Jüngere mit Recht fragen, wie es um die
Beiträge bestellt ist, die sie zu leisten haben, und was sie
dafür bekommen. Deswegen ist es uns wichtig, dass klar
ist, dass wir mit unserer Gesetzgebung die Beitragsziele
für das Jahr 2020 und das Jahr 2030, die wir in der Großen Koalition vereinbart haben, erreichen können.
Worüber reden wir denn bis 2020? Wir reden doch
nicht über Beitragserhöhungen und höhere Bundeszuschüsse. Vielmehr reden wir darüber, wann wir die Beitragszahler und die Steuerzahler um welchen Betrag entlasten können. Es ist klar, dass wir bis zum Jahr 2020 die
Beitrags- und Steuerzahler im Vergleich zum heutigen
Beitragssatz in der Rentenversicherung von 19,9 Prozent
entlasten können. Auch das ist ein Unterschied zur Vorgängerregierung. Wir streiten nicht über höhere Beiträge, sondern über den Zeitpunkt und das Ausmaß der
Entlastung. Das hat auch etwas mit unserer guten Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun, die für mehr Beschäftigung in diesem Land gesorgt hat.
({11})
Wir schütten nicht das Füllhorn aus. Wir bauen keine
Wolkenkuckucksheime auf, sondern leisten einen Beitrag dazu, dass die Rentnerinnen und Rentner von der
guten wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land
nicht abgekoppelt werden und gleichzeitig die jüngere
Generation nicht auf unzumutbare Weise belastet wird.
Das, was wir machen, ist sozial und generationengerecht. Deswegen bitte ich dafür um Unterstützung.
Herzlichen Dank.
({12})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Volker Schneider,
Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als die Deutsche Rentenversicherung Bund gerade verkündet hatte, dass die Renten um 0,46 Prozent steigen
sollten, sprach mich eine Rentnerin bei einer Veranstaltung im Saarland an. Sie beziehe eine Rente von
651 Euro - das ist immerhin deutlich mehr als der
Durchschnitt, der bei Frauen in Westdeutschland bei
465 Euro liegt -, und 0,46 Prozent, sagt sie, seien noch
nicht einmal 3 Euro. Dafür könne sie sich allenfalls eine
Tasse Kaffee mehr leisten; für ein Stückchen Kuchen reiche das nicht mehr. Tatsächlich hätte sie sogar die Tasse
Kaffee vergessen können; denn nach Abzug des höheren
Pflegeversicherungsbeitrags bleiben netto gerade einmal
1,37 Euro übrig. Immer habe sie CDU gewählt; aber damit sei nun Schluss. Beim nächsten Mal wähle sie die
Linke.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, Sie wissen nur zu genau, dass dies kein Einzelfall
ist. Deshalb greifen Sie auf abenteuerliche Weise in die
Rentenformel ein. Sie wollen Wahlgeschenke verteilen.
Nun sollen die Renten um 1,1 Prozent steigen. Nach
Abzug der Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags
um 0,25 Prozentpunkte bleibt eine reale Erhöhung von
0,85 Prozent übrig. Jetzt hätte unsere Rentnerin 5,53 Euro
mehr in der Tasche. Die gehen aber bei einer 50-Quadratmeter-Wohnung allein für die gestiegenen Heizkosten drauf. Für alle weiteren Preiserhöhungen muss an
anderer Stelle gespart werden. Ich befürchte, dass in Zukunft alle Café-Besuche gestrichen werden müssen.
({1})
Bei den Männern und einer durchschnittlichen Rente
in Höhe von 969 Euro in den alten Bundesländern bleiben 8,24 Euro statt 2,03 Euro mehr in den Taschen.
Auch das ist zu wenig, um die zahlreichen Preiserhöhungen ausgleichen zu können. 0,85 Prozent bei einer Inflationsrate von 2,3 Prozent im Jahr 2007 und von zuletzt
3,1 Prozent im März 2008! Da besitzen Sie die Frechheit, zu behaupten, es gehe Ihnen darum, die Rentner am
Aufschwung teilhaben zu lassen. Es ist ein Stück aus
dem Tollhaus, wenn Bundesminister Scholz oder auch
Herr Brauksiepe uns hier weismachen wollen, es sei ein
Aufschwung, wenn die Rentner real weniger in den Taschen haben.
({2})
Dabei ist das nur die Spitze des Eisbergs; denn die Inflationsrate beinhaltet beispielsweise eine Senkung der
Computerpreise von 10 Prozent.
({3})
Rentnern dürfte dies nicht wesentlich geholfen haben.
Die Steigerung der Preise für Lebensmittel und Getränke
in Höhe von 10 Prozent, die Steigerung der Heizkosten,
etwa beim Heizöl, von mehr als 40 Prozent - das ist das,
was die Rentnerinnen und Rentner hart trifft. Gemessen
am tatsächlichen Konsumverhalten liegen die Preissteigerungen für die Rentner nach Berechnungen der Universität Fribourg aktuell bei 6 Prozent. Real haben Rentnerinnen und Rentner also mehr als 5 Prozent weniger in
der Tasche, ich wiederhole: mehr als 5 Prozent.
({4})
Das ist der Aufschwung, von dem Sie sprechen. Das ist
kein Aufschwung, sondern das ist eine Verhöhnung von
Menschen, denen dieses Land für ihre Aufbauleistung
erheblichen Dank schuldet.
Sie berauschen sich an Ihrem Aufschwung, den zu bejubeln Sie nicht müde werden. Für das Jahr 2007 hatten
Sie eine Lohnentwicklung von 1,8 Prozent prognostiziert. Das ist nicht gerade ein ambitioniertes Ziel für ein
Aufschwungjahr. Geworden sind es dann gerade einmal
1,4 Prozent. Auch bei den Arbeitnehmern kommt Ihr
Aufschwung nicht an. Statt der zu erwartenden Rentenerhöhung von 1 Prozent beträgt diese ohne Ihre Notoperation nicht einmal ein halbes Prozent. Da trauen Sie
sich noch, für 2012 von einer Lohnerhöhung von 2,2 Prozent auszugehen und weiter anzunehmen, dass diese bis
2020 gleichmäßig auf 3 Prozent ansteigt und danach
konstant bleibt. Falls Sie es immer noch nicht bemerkt
haben: Das Einzige, was bei Ihnen beschäftigungsmäßig
explodiert, ist der Niedriglohnsektor, ist Leiharbeit, sind
Mini- und Midijobs. Insoweit sind solche Annahmen
Wolkenkuckucksheime und völlig unverantwortlich.
({5})
Aber in einem haben Ihre Planungen wirklich innovativen Charakter. Das ist sicherlich das erste Geschenk
mit garantierter eingebauter Rückgabeverpflichtung.
46 Euro mehr wird der sogenannte Eckrentner 2008
nach Ihrem Entwurf erhalten. Der Betrag steigert sich
auf bis zu 189 Euro im Jahr 2011. Aber ab 2013 wird die
Rente nach Ihrem neuen Plan nun niedriger sein als nach
dem bisherigen. Das wird auch mindestens bis 2030 so
bleiben. Dumm ist nur, wenn man in den fetten Jahren
nicht profitieren kann, weil der Rentenbezug erst in den
mageren Jahren beginnt. Die heute 60-Jährigen, die 2013
in Rente gehen, profitieren von Ihrer Regelung nicht
mehr, sondern sie zahlen nur noch drauf.
({6})
Bei den 17 Bezugsjahren, von denen auch der Bundesminister gerade eben gesprochen hat, wären das rund
Volker Schneider ({7})
400 Euro weniger. Da sagen wir als Linke: Sozial gerecht sieht anders aus.
({8})
Abschließend noch ein Wort zum Thema Generationengerechtigkeit. Auch durch das Dreisäulenmodell
wird der Finanzbedarf für die Altersvorsorge insgesamt
nicht niedriger. Bei dem Rentenreformgesetz von 1992
war für 2030 ein Beitragssatz in der gesetzlichen Rentenversicherung von maximal 28 Prozent angenommen
worden. Die rot-grünen Rentenreformen senkten den zu
erwartenden Beitragssatz auf 22 Prozent im selben Jahr.
Die daraus resultierenden Leistungskürzungen in der gesetzlichen Rentenversicherung machen jedoch eine zusätzliche private Altersvorsorge nötig. Das sind 3 Prozent
Riester, wenn wir die staatliche Förderung von 25 Prozent
abziehen, plus weitere 3 Prozent sonstige private Vorsorge. Das macht zusammen - man staunt - ebenfalls
28 Prozent, nur dass jetzt die Arbeitnehmer nicht mehr 14,
sondern 17 Prozent zu tragen haben. Gespart wird also
nichts.
Im Gegenteil: Die Studie „Altersvorsorge in Deutschland - AVID -“ lässt eher vermuten, dass 6 Prozent private Vorsorge nicht ausreichen werden, um das vorhergehende Versorgungsniveau zu erreichen. Wie sähe die
aktuelle Beitragsversorgung aus? Nach der Gesetzeslage
von 1992 läge der Beitragssatz heute bei rund
22 Prozent. Die Hälfte, also 11 Prozent, zahlt der Arbeitnehmer. Aktuell sind es für den Arbeitnehmer 9,75 Prozent plus 6 Prozent private Vorsorge, also 15,75 Prozent,
oder er riskiert eine deutlich abgesenkte Versorgung im
Alter. Was daran generationengerechter sein soll, wenn
jüngere Arbeitnehmer schon heute und nicht erst 2030
deutlich höhere Beiträge für die Altersvorsorge einzahlen müssen und sich trotzdem auf niedrigere Versorgungsleistungen im Alter einstellen müssen, bleibt das
Geheimnis der Kollegen Spahn, Fuchs und von wem
auch immer, der meinte, sich an dieser Debatte beteiligen zu müssen.
({9})
Der Konflikt besteht nicht zwischen Alt und Jung,
sondern zwischen oben und unten in dieser Gesellschaft,
zwischen Arm und Reich. Unternehmen und Besitzer
von Kapitalvermögen sind diejenigen, die den Löwenanteil des Aufschwungs einstreichen. Gleichzeitig entziehen sie sich ihren gesamtgesellschaftlichen Verpflichtungen. Von wegen Eigentum verpflichtet! Sie zahlen
schon heute nur 9,75 Prozent statt 11 Prozent und perspektivisch 2030 nur 11 Prozent statt 14 Prozent in die
gesetzliche Rente.
Für die Linke sind bezahlbare Renten für die jüngere
Generation und ein würdevolles Leben im Alter keine
Gegensätze. Sie sind eine Frage des politischen Willens.
Aber dazu fehlt dieser Bundesregierung der Wille. Mit
dem jetzt vorgelegten Taschenspielertrick werden Sie
sich auf Dauer nicht über die Runden retten können. Für
die Linke gehört der Riester-Faktor nicht aufgeschoben,
sondern abgeschafft. Mit ihm sollten alle weiteren rotgrünen Dämpfungsfaktoren abgeschafft werden.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das, was der Kollege Schneider von den Linken soeben vorgetragen hat, war nicht ehrlich.
({0})
Wer - wie die Linke - ignoriert, dass es in dieser Gesellschaft ein demografisches Problem gibt, der muss zu
Rentenfragen eigentlich schweigen.
({1})
Lafontaine hat immer wieder gesagt, die demografische Frage sei eigentlich eine neoliberale Erfindung. Sie
lehnen alle Vorschläge, die als ein sich in der Rentenformel niederschlagender Reflex auf die demografische
Entwicklung zu verstehen sind, kategorisch ab. Würde
man dem Rentenmodell der Linken folgen - ich habe
mir einmal die entsprechenden Zahlen angeschaut -,
käme es bis 2030 zu einer Beitragserhöhung auf 28 Prozent.
({2})
Das heißt, der Durchschnittsverdiener müsste im Jahr
1 700 Euro mehr Beitrag zahlen. Deswegen ist das, was
Sie hier vortragen, einfach nicht ehrlich. Sie scheiden für
mich aus der Diskussion wirklich aus.
({3})
Damit hier kein Missverständnis aufkommt, will ich
hinzufügen: Als wir in den Medien gehört haben, der
Bundesarbeitsminister wolle die Renten in den Jahren
2008 und 2009 erhöhen, fanden wir es richtig; schließlich können wir die soziale Lage der Rentner, vor allem
der kleinen Rentner, natürlich nicht ignorieren. Gerade
diejenigen, die kein privates Vermögen haben, die keine
Wohnungen besitzen, also diejenigen, die unten sind, haben Probleme. Als wir aber gesehen haben, mit welcher
Technik Sie, Herr Scholz, diese Rentenerhöhung vornehmen wollen, sind wir zu dem Ergebnis gekommen:
Das können wir nicht mittragen; denn es ist ein willkürlicher Eingriff.
({4})
Herr Kollege Kuhn, der Kollege Ernst würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
Nein, daran habe ich kein Interesse.
({0})
- Ihnen fehlt die Grundlage für diese Debatte. Deswegen
hat es keinen Sinn.
({1})
Die erste Frage, der Sie, Herr Arbeitsminister, sich
stellen müssen, ist folgende: Wenn 3,1 Prozent Inflation für den kleinen Rentner eine unzumutbare Belastung sind - das finde ich auch -, warum sind sie das
nicht auch für die Arbeitslosengeld-II-Bezieher? Sie
müssen wissen: 3 Prozent Inflation kann für bestimmte
Haushaltsformen eine Verteuerung um bis zu 6 Prozent
und mehr bedeuten, weil man nicht ausweichen kann.
Mit dem, was Sie hier vorlegen, beantworten Sie diese
Frage nicht.
({2})
Für eine der Ursachen dieser Kostensteigerung ist
diese Bundesregierung verantwortlich, nämlich für die
ruhmreiche Mehrwertsteuererhöhung, unter der die
Leute weiter leiden. Das, was Sie vorlegen, ist kein rundes Konzept.
({3})
Ordnungspolitisch müsste folgender Grundsatz gelten: Wer durch haushaltsrelevante Politik wie eine Mehrwertsteuererhöhung bei denjenigen Menschen, die sehr
wenig haben, soziale Probleme schafft, der muss darauf
auf Ebene des Haushalts reagieren und der darf nicht
willkürlich in die Rentenformel eingreifen.
({4})
Ein solcher Eingriff darf meines Erachtens nicht möglich
sein. Wenn Sie ihn doch vornehmen, dann geraten Sie
ordnungspolitisch in ein ziemliches Chaos.
Tatsächlich führt der Eingriff in die Rentenformel
nur zu einer Verschiebung: Heute etwas geben, morgen
wird’s bezahlt. Dies bedeutet Kosten von insgesamt
12 Milliarden Euro, die durch noch nicht vollzogene
Lohnnebenkostensenkungen in den Jahren 2011 und
2012 finanziert werden müssen. Die Riester-Stufe muss
nachgeholt werden, und dies wird dann später durch zu
geringe Rentenerhöhungen wieder von den Rentnern zu
bezahlen sein.
Das Absurdeste Ihres Vorgehens ist, dass Sie die Erhöhung im Jahr 2009 vornehmen. Zu 2008 kann man ja
noch sagen, dies geschehe, weil die Rentenentwicklung
der Lohnentwicklung nachhinkt. Aber dass Sie das Gleiche im Jahr 2009 auch machen wollen, obwohl wir im
Jahr 2008, also dem Vorjahr, starke Lohnzuwächse haben und die Renten ohnehin über das Maß der vergangenen Jahre hinaus steigen werden, ist mit nichts anderem
zu erklären als damit, dass Sie sich gesagt haben: Wenn
wir uns jetzt hiermit schon den ordnungspolitischen Ärger einhandeln, dann wollen wir zumindest im Wahljahr
noch richtig eins draufpacken. Die Rentenerhöhungen
des Wahljahres, des nächsten Jahres, werden mit über
2 Prozent, vielleicht mit 2,2 bis 2,5 Prozent, so hoch
sein, wie es diejenigen der darauffolgenden drei Jahre
zusammen nicht sein werden. Damit ist doch ganz klar,
was Sie da eigentlich vorhaben und anrichten.
({5})
Deswegen werden wir diesem Murks nicht zustimmen, den Sie da vorlegen, denn es hätte auch andere
Möglichkeiten gegeben, die im Jahr 2008 auftretenden
Probleme auszugleichen. Sie hätten sich zum Beispiel
die Frage stellen können, ob es nicht richtiger wäre, die
Grundsicherung zu erhöhen; denn diejenigen, die in
der Altersgrundsicherung sind, werden aufgrund Ihres
Vorschlags nur 2 Euro monatlich bekommen. Oder Sie
hätten sagen können: Es wird einmalig aus dem Bundeshaushalt ausgeglichen,
({6})
entweder nach dem Modell, das Sie dargestellt haben,
oder etwa dadurch, dass Sie ein Jahr lang für die Bezieher von Arbeitslosengeld II die Halbierung vom 1. Januar 2007 zurücknehmen und doch die vollen Rentenversicherungsbeiträge einzahlen.
Der Witz ist ja, Herr Scholz: 2 Milliarden Euro kostet
es den Bundeshaushalt ohnehin. Mit diesen 2 Milliarden
Euro hätten Sie das Problem im Jahr 2008 tatsächlich lösen können, und diese Operation wäre gar nicht nötig.
Sie zerstören Vertrauen in die Rentenformel. Welchen anderen Sinn als Verlässlichkeit hat denn die Rentenformel? Wenn Sie wegen eines Problems, das real in
einem Jahr besteht, in diese Formel eingreifen, dann zerstören Sie Verlässlichkeit und Kalkulierbarkeit, und Sie
schädigen damit in großem Maße das Vertrauen, dass
Politik nachhaltige Rentenpolitik überhaupt organisieren
und finanzieren kann.
({7})
Deswegen hat die Bundeskanzlerin nicht Recht. Sie
hat Herrn Scholz vorgeworfen, er hätte das schlecht verkauft. Aber sie hat nicht dazu gesagt, dass es Murks ist,
was er gut hätte verkaufen sollen.
({8})
Ich meine, damit hat sie ihn überfordert. Diesen Murks
kann man nicht gut verkaufen. Er gehört so verkauft, wie
er verkauft worden ist, weil das schlechte Gewissen und
der willkürliche Eingriff in die Rentenformel einfach
nicht durch Schauspielerei wegzureden sind.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Ernst.
Herr Kollege Kuhn, einfach nur zur Klarstellung: Sie
haben jetzt eben behauptet, die Linke wäre für eine Rentenerhöhung auf 28 Prozent.
({0})
- Eine Beitragssatzerhöhung auf 28 Prozent;
({1})
keine Aufregung, wir bringen das gleich in Ordnung.
Wenn Sie meinem Vorredner Schneider zugehört hätten, dann hätten Sie festgestellt, dass er gesagt hat: Im
Jahr 2030 werden wir tatsächlich einen realen Beitrag
von 28 Prozent haben, allerdings mit einem Unterschied.
Dieser Beitrag von 28 Prozent wird nicht mehr paritätisch finanziert sein, sondern es werden 11 Prozent Arbeitgeberbeitrag, aber faktisch 17 Prozent Arbeitnehmerbeitrag sein.
Sind Sie wenigstens bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
dass, wenn dieser Beitrag von 28 Prozent paritätisch finanziert werden würde, der Beitrag für die Arbeitnehmer
auf 14 Prozent sinken würde, also 3 Prozent geringer
wäre als vorher? Zumindest auf diese mathematische
Betrachtung des Problems müsste man sich in diesem
Haus doch verständigen können. - Dies ist das Erste,
Herr Kuhn.
Das Zweite: Wenn ausgerechnet Sie von den Grünen
im Zusammenhang mit der Rentenformel von Verlässlichkeit reden, dann haut es einem ja den Gürtel vor. Das
kann doch nicht wahr sein! Sie haben doch die Rentenformel in einer Art und Weise verändert, und zwar unter
Ihrer Regierung mit der SPD,
({2})
dass heute jeder weiß, dass er als Rentner in Armut leben
wird bzw. nicht mehr von seiner Rente wird leben können.
Im Übrigen, Herr Kuhn, auch das ist falsch: Der Sinn
der Rentenformel ist nicht Verlässlichkeit. Der Sinn der
Rentenformel ist, dass die Rentner im Alter vernünftig
leben können. Den haben Sie zerstört; das will ich in aller Klarheit sagen.
({3})
Herr Kollege Kuhn, Sie dürfen antworten.
Die 28 Prozent, Herr Kollege Ernst, kommen folgendermaßen zustande: Wir haben uns angeschaut, was Sie
bei den Rentenreformen der letzten Jahre, die unter den
Stichworten „Demografie“ und „Generationenvertrag“
gemacht wurden, alles abgelehnt haben. Wenn man dies
auf der Basis dessen, was Sie alles abgelehnt haben,
rechnet - Sie wollten immer schön populistisch das
Händchen fein sauber halten -,
({0})
kommt man auf die 28 Prozent im Jahre 2030.
({1})
Wenn ich das umrechne, dann kann ich Ihnen nachweisen, wie viel mehr das die Beschäftigten kostet.
({2})
Das ist eine einfache Rechnung. Wir können sie einmal
öffentlich gemeinsam ausführen. Sie können sich aber
nicht bei jedem Punkt, der aus demografischen Gründen
im Rentensystem reformiert wird, sozusagen einen
schlanken Fuß machen und dann von uns verlangen,
nicht mehr daran erinnert zu werden, welche Konsequenzen Ihre Politik hätte.
Außerdem möchte ich die willkürlichen Eingriffe ansprechen. Ich nenne es willkürlich, die Rentenformel
durch das Aussetzen der Riester-Stufe zu verändern, um
ein Problem im Jahre 2008 zu lösen. Die Grundreformen
der letzten Jahre - ob von Rot-Grün oder der Großen
Koalition - tragen aber einer Grundtatsache Rechnung.
({3})
- Er hat doch eine Frage gestellt. Benehmen Sie sich
also und hören Sie bei der Beantwortung zu! Das ist
doch nicht so schwer, auch wenn es wehtut. - Die Rentenformel muss eines berücksichtigen: den Generationenvertrag.
Wenn die heutigen jungen Einzahler merken, dass sie
zwar einzahlen, aber beim Stand der alten Rentenformel
keine auskömmlichen Renten bekommen, dann muss der
Staat, wenn er Verantwortung übernimmt, in die Rentenformel eingreifen. Dies darf nicht willkürlich und mit
schnellem Atem geschehen, sondern prinzipiell, wie wir
es zum Beispiel mit der Riester-Rente gemacht haben.
Diese lehnen Sie ja draußen immer noch populistisch ab.
Deswegen sage ich noch einmal: Sie haben in diesem
Hause nicht auf diese Weise über die Seriosität, was den
Generationenvertrag angeht, zu sprechen, denn draußen
reden Sie anders. Das war der Sinn meiner Ausführungen, Herr Ernst. - Vielen Dank noch für Ihre Frage.
({4})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner, SPDFraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
Es ist in den letzten Tagen und Wochen viel zum Thema
Generationengerechtigkeit gesagt worden, insbesondere von jüngeren Kollegen und Kolleginnen aus dem
Hause. Es heißt, die Aussetzung der sogenannten RiesterTreppe und die damit verbundene höhere Rentenanpassung gefährdeten das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Ich halte das für ebenso falsch wie zynisch; denn
diejenigen, die zur heutigen Rentnergeneration gehören
- das ist die Generation meiner Eltern -,
({0})
haben den Zweiten Weltkrieg miterleben müssen - wir
haben dazu heute früh Eindrucksvolles gehört -, sind in
der Nachkriegszeit aufgewachsen. Sie haben wesentlich
schlechtere und weniger Bildungschancen gehabt als die
Angehörigen meiner Generation, der Generation danach,
haben in den 50er- und 60er-Jahren aber die Grundlagen
für den relativen Wohlstand unserer Gesellschaft gelegt.
({1})
Wenn wir über Generationengerechtigkeit reden, sollten wir die Lebensleistung dieser Rentnergeneration, die
im Vergleich zu der meiner Generation oder auch der
nachfolgenden Generationen eine ganz besondere ist,
nicht kleinreden, indem wir jetzt künstlich einen Generationenkonflikt aufmachen, der so überhaupt nicht existiert.
Es geht nicht nur um Generationengerechtigkeit, sondern auch um Solidarität zwischen den Generationen.
Diese ist nicht nur daran zu messen, ob eine Rentenformel akribisch umgesetzt wird. Es geht auch darum, dass
alle Generationen an dem Wohlstand, der erarbeitet worden ist, teilhaben können. Die Rentenformel ist kein
Dogma, darf auch kein Dogma sein, sondern muss sich
an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientieren,
und die Lebenswirklichkeit ist, dass die Rentner und
Rentnerinnen wie die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen auch Preissteigerungen zu verkraften haben. Insofern ist jetzt zwar kein vollständiger Ausgleich, aber
doch zumindest eine Verbesserung möglich.
Herr Kolb, es wundert mich schon ein bisschen, wenn
Sie auf der einen Seite beklagen, dass die Rentenanpassung zu gering sei, gleichzeitig aber sagen, an der Rentenformel dürfe nichts geändert werden. Sie fordern
steuerliche Entlastungen. Wenn ich mich nicht sehr verhört habe, dann habe ich eben von Ihnen gehört, dass Sie
eine Steuerentlastung auf den Energieverbrauch der
Rentnerinnen und Rentner fordern. Das habe ich so verstanden.
({2})
Wenn das wirklich ein ernsthafter und seriöser Vorschlag
von Ihnen ist, dann weiß ich nicht, was Sie als Mitglied
der Regierung Kohl/Genscher überhaupt gelernt haben.
In dieser Zeit haben Sie auch in Rentenformeln eingegriffen und beispielsweise die Kosten der deutschen Einheit im Wesentlichen über die Sozialversicherungssysteme und die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler
finanziert.
({3})
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Herrn Kollegen Kolb?
Ja, gern.
Frau Kollegin Ferner, ich bedanke mich für die Gelegenheit, die beiden Vorschläge, die ich gemacht habe,
näher zu erläutern. Wären Sie bereit, Folgendes zur
Kenntnis zu nehmen? Ich habe gesagt, eine Möglichkeit
wären gezielte steuerliche Entlastungen der Rentnerhaushalte, zum Beispiel bei den Energiesteuern, weil
die Rentner besonders von den Preissteigerungen, die
gerade bei den Kraftstoffen wie Benzin und Heizöl zu
verzeichnen sind, betroffen sind. Das wäre eine Möglichkeit.
({0})
Die andere Möglichkeit ist ehrlicher. Hier hat mir jetzt
sogar der Herr Kollege Kuhn von den Grünen zugestimmt. Die andere Möglichkeit wäre, den Rentnern einfach einen Scheck in der Höhe zu schicken, die sich
rechnerisch ergibt. Das sind für die beiden Jahre durchschnittlich 200 Euro. So etwas gibt es in den USA auch
immer mal wieder. Dann hätten Sie konkret einen Finanzierungsbeitrag zu dem, was die Rentnerinnen und Rentner Tag für Tag in Deutschland ausgeben müssen, um ihren Unterhalt zu fristen. Das sind die beiden
Alternativen.
({1})
Wir können über beide Möglichkeiten reden. Entscheidend ist, dass der Ausgleich nicht aus der Rentenkasse
erfolgen kann, weil hier nicht die Masse vorhanden ist.
Vielmehr muss die Finanzierung aus dem Haushalt erfolgen. Weil Herr Steinbrück auch das Gros der Mehreinnahmen aus dem Aufschwung für sich vereinnahmt
hat, soll er auch für diese Geschenke geradestehen. Wären Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen?
Herr Kollege Kolb, ich nehme zur Kenntnis, dass Ihre
Tätigkeit in einer Bundesregierung offenbar nicht dazu
geführt hat, dass Sie die Dinge mit klarem Blick sehen.
Erstens. Eine Steuerentlastung auf Energiekosten nur
für Rentnerinnen und Rentner entspricht für mich - obwohl ich keine Juristin bin - nicht dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes. Es gibt sehr wohl auch Familien,
die mit sehr wenig Geld auskommen müssen und die unter den hohen Preisen und Energiekosten leiden. Aus
diesem Grund haben wir beispielsweise das Wohngeld
erhöht.
({0})
- Herr Kolb warten Sie doch die Antwort ab. Sie dürfen
gern noch einmal nachfragen. - Wir werden also deshalb
das Wohngeld erhöhen und eine Energiekostenkomponente in das Wohngeld einbauen.
Zweitens. Sie sagen, wir sollten jetzt einfach
200 Euro ausschütten, die aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren sind. Entscheiden Sie bitte, was Sie wollen:
Mehrausgaben aus dem Bundeshaushalt oder Einsparungen?
({1})
Sie fordern die Abschaffung der Mehrwertsteuererhöhung. Das bedeutet geringere Einnahmen. Damit kann
auch weniger ausgegeben werden. Das ist eigentlich
ganz logisch. Das scheinen Sie aber nicht begreifen zu
können.
({2})
Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen, den der
Kollege Kuhn eben angesprochen hat. Herr Kuhn, Sie
haben eben gesagt, nach Ihrer Auffassung hätte man die
Grundsicherung anheben können. Man kann die
Grundsicherung zum einen nicht losgelöst sehen, denn
sie hängt mit allen Grundsicherungssystemen zusammen. Zum anderen ist auch Ihre Aussage falsch, dass die
Grundsicherungsbezieher von der Rentenerhöhung
nichts haben; denn die Höhe und die Steigerungsrate der
Grundsicherung sind an den Mechanismus der Rentenanpassung gekoppelt. Es gibt also auch dort eine Erhöhung. Wie ich höre, wurde im Arbeits- und Sozialausschuss gesagt, zwei Euro seien viel Geld, wenn es um
das Thema SGB II gehe. Wenn es um das Thema Rente
geht, dann sind zwei, drei oder sechs Euro aber nicht viel
Geld. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
auch hier muss man sich entscheiden.
({3})
Ich muss auch sagen: Die Vorschläge, die alte Rentenformel wieder einzusetzen, wobei man sich fragt, ob dies
mit oder ohne den demografischen Faktor von Herrn
Blüm erfolgen soll, was auch noch zu klären ist, sind genauso abenteuerlich wie Ihre Finanzierungsvorschläge.
Sie müssen zur Kenntnis nehmen, auch wenn es vielleicht ein bisschen unbequem ist, dass die demografische
Entwicklung heute Handeln erfordert, damit sowohl die
Renten für die zukünftige Generation gesichert sind als
auch sichergestellt wird, dass die Rentenbeiträge von
denjenigen, die sie bezahlen müssen, noch getragen werden können. Insofern werden wir, wie ich glaube, das
Richtige tun. Wir passen gemäß den Möglichkeiten, die
wir derzeit haben, die Renten in diesem und im nächsten
Jahr an.
Ich hoffe, dass wir uns in der nächsten Zeit auch einmal über das Thema unterhalten, wie wir für armutsfeste
Renten sorgen können. Meiner Meinung nach könnten
wir das erreichen, indem wir durch die Festlegung von
Mindestlöhnen für existenzsichernde Löhne sorgen und
uns darum kümmern, dass beispielsweise Frauen häufiger Vollzeit statt Teilzeit arbeiten können. Dies wäre in
meinen Augen besser als die Einführung eines Erziehungsgehalts bzw. eines Betreuungsgeldes, worüber ja in
Teilen des Hauses diskutiert wird.
Vielen Dank.
({4})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Max Straubinger,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Die Rentenpolitik ist von jeher ein Anlass für Auseinandersetzungen hier im Parlament. Darüber hinaus ist es
aber entscheidend, dass es uns gelingt, den Bürgerinnen
und Bürgern zu verdeutlichen, dass wir ein gutes Rentensystem haben, das sie im Alter vor Armut schützt.
Diese Aussage sollten wir, wie ich glaube, häufiger in
den Mittelpunkt unserer politischen Debatten und Diskussionen stellen. Deshalb, verehrter Kollege Kolb,
missbillige ich durchaus, dass Sie hier in dieser Debatte,
bei der es um die Erhöhung der Renten geht, von Manipulation der Rentenformel, von Almosen für die Rentnerinnen und Rentner bzw. dem Kauf von Wählerstimmen
sprechen, nur weil Ihnen der Weg nicht gefällt.
({0})
Ich glaube, dass dies nicht angemessen ist für eine Debatte, in der es um die soziale Sicherung der Rentnerinnen und Rentner in Deutschland geht.
({1})
Ich möchte hier darlegen, dass unser Rentenversicherungssystem auf stabilen Grundfesten ruht, nämlich auf
dem Generationenzusammenhalt. Das heißt, diejenigen, die im Erwerbsleben stehen und damit Beitragszahler sind, können sich im Alter darauf verlassen, dass sie
abhängig von den geleisteten Beiträgen eine Rente bekommen. Damit ist zugleich der Anspruch an die gesetzliche Rentenversicherung verbunden, im Alter eine finanzielle Lebensgrundlage zu bieten.
Natürlich sind in der Vergangenheit vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung immer wieder
Anpassungen im Rentenversicherungssystem erfolgt; diese
werden auch in Zukunft - davon bin ich überzeugt - immer wieder nötig sein. Auch die FDP hat ja noch 1992
einen entsprechenden Beitrag geleistet, indem sie mit für
die Einführung des Mechanismus gesorgt hat, dass Rentenerhöhungen erst verzögert erfolgen, nämlich nach
entsprechenden Lohnerhöhungen in der Vergangenheit.
Dies ist meines Erachtens ebenfalls darzustellen. Auch
unter diesem Gesichtspunkt muss die geplante Rentenerhöhung betrachtet werden.
Herr Straubinger, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Schewe-Gerigk?
Ja.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Straubinger, dass Sie
mir Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben. - Sie
sind ja Mitglied der CSU. Man hört nun, dass Minister
Seehofer und auch Kollege Ramsauer der Meinung
seien, man solle die Riester-Treppe, also diese 0,6 Prozent, für die nächsten vier Jahre ganz aussetzen.
({0})
Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund fragen: Sind Sie
auch dieser Meinung? Wenn ja, möchte ich Sie als Zweites gerne fragen, ob Sie wissen, dass das 115 Milliarden
Euro kostet.
({1})
Als Drittes möchte ich Sie gerne fragen, wie Sie das finanzieren wollen.
({2})
Werte Frau Kollegin, herzlichen Dank für die Frage.
Das gibt mir die Gelegenheit, darzustellen, dass der
Riester-Faktor nicht zu einem beständigen Faktor der
Rentengesetzgebung werden darf. Er ist ja daraufhin angelegt, dass er irgendwann ausläuft.
({0})
Ich bin überzeugt davon, dass er dann 2012 auch endgültig auslaufen wird.
Natürlich, Frau Kollegin Schewe-Gerigk, sind wir
eine Volkspartei.
({1})
Eine Volkspartei ist breit aufgestellt, und in manchen
Diskussionsprozessen gibt es viele Meinungen.
({2})
Diese Meinungen werden in einer breiten Volkspartei,
wie es die CSU ist, kanalisiert und dementsprechend zu
einem guten Gesamtergebnis zusammengeführt. Das ist
meines Erachtens das Entscheidende. Wir werden diese
Diskussion sehr eindringlich in unseren eigenen Reihen
führen.
({3})
- Ich bin nicht dafür.
({4})
- Wir sind immer für vernünftige Lösungen.
Werte Damen und Herren, ich glaube, dass dieser Entwurf eines Gesetzes zur Rentenanpassung, den wir heute
einbringen, auch bedeutet, dass wir dem sozialpolitischen Beistand für die Rentnerinnen und Rentner besonderes Gewicht beimessen. Dies ist meines Erachtens
auch erforderlich. Heute wurde ja bereits vielfältigst dargelegt, dass Preissteigerungen und dergleichen mehr zu
großen Belastungen der Rentnerinnen und Rentner
ebenso wie aller Bürgerinnen und Bürger - auch derjenigen, die über kleine Einkommen verfügen - führen.
({5})
Deshalb gilt es hier nicht, Preissteigerungen zu berücksichtigen. Vielmehr geht es nach der guten Formel, dass
die Rente an die Entwicklung der Löhne und Gehälter
angepasst wird. Das wird auch weiterhin so sein - unter
den demografischen Gesichtspunkten.
Dass die Linke in unserem Haus die demografischen
Gesichtspunkte ausblendet, das liegt direkt auf der
Hand. Von ihrem Vorsitzenden Lafontaine wurde die demografische Entwicklung immer ausgeblendet. Er war ja
einmal SPD-Vorsitzender. Zu diesem Zeitpunkt, 1997,
als wir den demografischen Faktor eingeführt haben, hat
die SPD die demografische Entwicklung ausgeblendet.
Im damaligen Bundestagswahlkampf ist gesagt worden,
dieser sei nicht notwendig. Damals wurde er von
Lafontaine ausgeblendet. Genauso muss es jetzt bei der
Linken weitergehen.
Herr Kollege Ernst, Ihr Modell bedeutet, dass die Beitragszahler mit bis zu 28 und 30 Prozent belastet werden.
({6})
Das zeigt natürlich sehr deutlich, dass Sie eine Politik an
den Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vorbei betreiben.
({7})
Sie beklagen, dass es keine paritätische Finanzierung
der Renten gebe. Dies ist aber in Zukunft mit der Kombination der Riester-Rente gewährleistet; denn die umfangreichen staatlichen Zuschüsse über Steuergelder mit
einer Förderung von bis zu 80 Prozent bei der RiesterRente sind eine Form der paritätischen Finanzierung der
Zukunftssicherung im Alter. Dies sollten wir in das
Blickfeld rücken und nicht einfach kleinkrämerisch ab16126
zählen, welche Beiträge geleistet werden. Dass damit
über die Steuerzahler ein wesentlicher Beitrag für die Sicherung der Bürgerinnen und Bürger im Alter geleistet
wird, das ist sehr deutlich anzuerkennen. In diesem
Sinne erleichtert dies gerade der jüngeren Generation die
Möglichkeit, verstärkt Eigenvorsorge zu betreiben, was
bereits in der Vergangenheit Gebot der Stunde war.
Auch wenn es jetzt 10 Millionen Riester-Verträge
gibt, so gab es bereits vor Beginn der Riester-Rentengesetzgebung bzw. der kapitalgestützten Rentengesetzgebung 80 Millionen Lebensversicherungsverträge und Verträge der betrieblichen Altersvorsorge.
({8})
Es ist also nichts Neues, dass wir für das Alter zusätzlich
vorsorgen müssen. Das wurde ja nicht im Jahr 2005 oder
2006 erfunden. Ständiges Gebot war vielmehr: Wer seinen Lebensstandard im Alter aufrechterhalten möchte,
kann sich nicht nur auf die gesetzliche Rentenversicherung verlassen,
Herr Kollege!
- sondern muss zusätzlich vorsorgen. Das ist das Gebot der Stunde.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
({0})
Das Wort hat der Kollege Anton Schaaf, SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich
festhalten: Die Opposition im Deutschen Bundestag ist
sich in dem Punkt einig, dass sie die Rentenerhöhung um
1,1 Prozent für Rentnerinnen und Rentner in diesem Jahr
nicht will. Das ist offensichtlich die Botschaft, die uns
allen klar geworden ist.
({0})
Herr Kuhn, Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln. Sie haben gesagt, dass wir sozusagen an Prinzipien
rütteln, wenn wir an die Dämpfungsfaktoren herangehen.
Die Dämpfungsfaktoren sind aber keine Prinzipien, sondern Instrumente, um Ziele zu erreichen. Eines dieser Instrumente setzen wir jetzt aus, weil wir der festen Überzeugung sind, dass dieses Jahr nach drei Nullrunden eine
Minianpassung für Rentnerinnen und Rentner schlicht
nicht zumutbar ist. Wir wollen die Rentnerinnen und
Rentner nicht auf mögliche Rentensteigerungen aufgrund späterer Lohnzuwächse vertrösten; wir wollen sie
jetzt am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben lassen.
Darum geht es. Die vorhandenen Möglichkeiten nutzen
wir dazu aus.
Herr Kolb, Sie haben im Ausschuss das Beispiel gebracht, dass der Blumentopf beim Nachbarn - nicht bei
der Erbtante - geklaut worden ist. Außer der materiellen
Frage, wer den Blumentopf bezahlt hat, gibt es aber noch
eine ideelle Sichtweise: Meine Tante freut sich sehr,
wenn ich ihr ein paar Blumen schenke.
({1})
Sie fragt nicht vorrangig danach, wer die Blumen bezahlt hat. Sie freut sich darüber, dass ich an sie denke, sie
nicht links liegen lasse und mich um sie kümmere. Die
Rentnerinnen und Rentner in diesem Lande werden sich
über diese Erhöhung ebenfalls freuen.
({2})
Dass Sie diese Maßnahme zwei Jahre vor der Bundestagswahl mit Wahlkampf gleichsetzen, ist schon hochinteressant. Herr Kolb, ich sage Ihnen: Während Ihrer Regierungszeit hatten Sie nie den Mut, die großen sozialen
Probleme in diesem Lande tatsächlich anzupacken.
({3})
Das haben die Regierung Schröder und die Große Koalition gemacht. Sie aber hatten nie den Mut dazu. Wir
müssen kämpfen, der Bevölkerung die Notwendigkeit
der großen Sozialreformen zu verdeutlichen. Uns fallen
sie sozusagen immer wieder auf die Füße. Aber wir haben im Gegensatz zu Ihnen den Mut zu Reformen. Eine
bescheidende Erhöhung jetzt als Wahlgeschenk zu bezeichnen, ist aus meiner Sicht sehr abenteuerlich.
({4})
Herr Schneider hat gesagt, die Rentenerhöhung
würde für manche Rentnerinnen und Rentner, insbesondere im Westen, nur 2 Euro betragen, was sehr wenig
sei. Ich will diesen Punkt aufgreifen, weil er sehr gut dokumentiert, wie beliebig Ihre Argumentation ist.
({5})
Wenn es um Arbeitslosengeld-II-Empfänger geht, spricht
Frau Kipping jedes Mal davon, dass 2 Euro viel Geld
sind. Für Rentnerinnen und Rentner soll das plötzlich
nicht mehr gelten? Ihre Argumentation ist beliebig. Was
Sie da betreiben, ist Populismus pur.
({6})
Herr Kollege Schaaf, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schneider?
Nein, danke.
Erlauben Sie mir noch die folgende Bemerkung. Sie
von der Linken prognostizieren einen Rentenversicherungsbeitrag von 28 Prozent. Indem Sie die Beiträge
für die Riester-Rente mit einbeziehen, kommen Sie zu
dem Ergebnis, dass wir schon jetzt in Richtung 28 Prozent gehen. Dabei rechnen Sie aber die enorme Förderung bei Riester - das sind ja keine Beiträge des Einzelnen, sondern Steuergelder - als Beitrag mit ein. Wie Sie
rechnen, ist schlichtweg unredlich. Das ist der entscheidende Punkt.
({0})
Herr Kollege, lassen Sie denn eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst zu?
Nein, danke.
Ein weiterer Punkt. Sie werfen uns vor, dass die paritätische Finanzierung verletzt wird. Sie wollen 14 Prozent Versicherungsbeitrag für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer und 14 Prozent für Arbeitgeber. Die Gewerkschaften müssten einmal darüber diskutieren, was
die Linke da fordert und was das für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet. Sie schlagen vor, dieses
Geld bei den Reichen einzusammeln. Ich sage Ihnen,
was Sie machen wollen: Sie wollen das Geld bei den
Unternehmen einsammeln. Trotzdem sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unmittelbar betroffen,
weil nämlich die Sozialversicherungsbeiträge steigen.
Das kann nicht Sinn der Sache sein.
Herr Kolb, eine letzte Bemerkung zu Ihren Ausführungen. Sie sind nicht konsistent in Ihrer Politik, wenn
Sie sagen, wir sollten die Steuern und die Beiträge senken. Seien Sie ehrlich: Wenn wir das tun würden, müssten wir sofort die Renten kürzen, weil sie dann nicht
mehr finanzierbar wären.
({0})
Dieses sagen Sie aber den Menschen nicht. Wir machen
keine Politik, die sich aus Prinzipienreiterei zusammensetzt. Man kann die Instrumente verändern. Man kann
mit ihnen auch variabel umgehen, wenn die Möglichkeit
dazu besteht. Keine Prinzipienreiterei, sondern eine an
den Menschen orientierte Politik - das ist unsere Prämisse.
Danke.
({1})
Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Peter
Weiß, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Wie sieht die Bilanz dieser rentenpolitischen Debatte
aus? Den einen ist es zu viel, den anderen ist es zu wenig. Die Wahrheit liegt - wie meist - in der Mitte, und
genau deshalb ist der Gesetzentwurf der Großen Koalition zur Rentenanpassung 2008 richtig.
({0})
In einer sich schnell verändernden Gesellschaft, in der
die Zahl der Älteren im Verhältnis zu den Jüngeren deutlich zunimmt, wird es immer die Vermutung geben, dass
das Alterssicherungssystem den Alten, gemessen an ihrer Lebensleistung, zu wenig gibt. Andererseits werden
die Jüngeren vermuten, dass sie zu viel leisten müssten.
Angesichts dieses Dilemmas kann es eigentlich nur eine
seriöse Antwort geben: Generationengerechtigkeit, gerechte Verteilung der Lasten. Die Bürgerinnen und Bürger in unserem Land, ob jung oder alt, wollen nicht irgendwelche schönen Sprüche, sondern die Wahrheit
hören. In Sachen Altersvorsorge lautet die Wahrheit: Es
geht nur, wenn die Lasten zwischen Jung und Alt gerecht
verteilt werden. Genau das machen wir.
({1})
Die Rentenerhöhungen orientieren sich weiterhin an
der Lohnentwicklung. Seit den Rentenreformen sorgen
verschiedene Abschlagsfaktoren aber dafür, dass nicht
mehr die volle Lohnerhöhung weitergegeben wird. Die
Rentnerinnen und Rentner mussten in den vergangenen
Jahren zusätzliche Belastungen verkraften: mehrere
Nullrunden, Umstellung auf Zahlung des vollen Pflegeversicherungsbeitrags und teilweise der vollen Krankenversicherungsbeiträge.
({2})
Im Jahr 2008 treffen zwei Sonderbelastungen zusammen: Die im vergangenen Jahr vorgenommene Erhöhung des Rentenversicherungsbeitrages wirkt sich mindernd auf die Rentenerhöhung 2008 aus,
({3})
und die bitternotwendige Reform der Pflegeversicherung, die wir zum 1. Juli 2008 vornehmen, erfordert eine
Beitragserhöhung um 0,25 Prozentpunkte, die die Rentnerinnen und Rentner alleine tragen müssen.
({4})
Mit der Aussetzung des sogenannten Riester-Faktors,
der die Rentenerhöhung um weitere 0,64 Prozent mindert, ist ein gerechter Ausgleich möglich. Ansonsten
hätte die Rentenerhöhung in diesem Jahr nur
0,46 Prozent betragen. Ich finde, wenn solche Sonderbelastungen zusammenkommen, muss in der Politik die
Regel gelten: Außergewöhnliche Situationen bedürfen
Peter Weiß ({5})
einer außergewöhnlichen Antwort. Genau das ist der Inhalt unseres Gesetzentwurfs.
({6})
Wir verteilen die Lasten nicht einseitig auf die junge
Generation. Wir wollen den zeitlich ohnehin begrenzten
Riester-Faktor um zwei Jahre verschieben. Viele tun so,
als wäre der Riester-Faktor in der Rentenformel dauerhaft gültig. Er ist aber zeitlich begrenzt und soll ohnehin
nur bis 2011 wirken.
({7})
Die Stabilität der Rentenfinanzen wird dadurch nicht beeinträchtigt; denn die Rentenversicherung kann dank
sprudelnder Mehreinnahmen - sie nimmt mehr ein, als
sie ausgibt ({8})
in 2008 und 2009 ihre finanziellen Rücklagen ausbauen,
obwohl wir die Renten um 1,1 Prozent erhöhen, was wir
jetzt beschließen wollen.
({9})
Dass man für die Rentnerinnen und Rentner in
Deutschland etwas tun muss, dass man dafür sorgen
muss, dass sie am wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben, zeigen auch die Stellungnahmen der verschiedenen
Oppositionsfraktionen. Die Vorschläge, die vonseiten
der Opposition heute vorgelegt wurden, sind aber unsystematisch. Zum Teil würden sie aktuell gar nichts bewirken oder stellen simples Almosenverteilen dar.
({10})
Entschuldigung, Herr Kolb und Herr Kuhn, der Vorschlag, einfach einmalig Schecks zu verschicken - weil
es Ihnen gerade mal Spaß macht -, ist Almosenpolitik.
({11})
Das, was Sie hier vorgeschlagen haben, Almosen an
Rentner zu verteilen, ist schlicht eine Beleidigung der
Rentnerinnen und Rentner in Deutschland.
({12})
Die Rentnerinnen und Rentner in unserem Land sind
keine Almosenempfänger, denen man, wenn es brennt,
schnell eine Einmalzahlung überweist.
({13})
Nein, die Rentnerinnen und Rentner haben aufgrund ihrer enormen Lebensleistung einen Anspruch auf eine angemessene Rente.
({14})
Nicht Almosen, sondern Rente ist gefragt. Deshalb lautet
der Antrag der Koalitionsfraktionen: Eine Rentenerhöhung um 1,1 Prozent ab 1. Juli 2008. Das erfolgt dadurch, dass ein ohnehin zeitlich befristeter Faktor in der
Rente, der sogenannte Altersvorsorgefaktor, um zwei
Jahre verschoben wird. Damit wird nicht die Gesamtarchitektur des Rentensystems zerstört, damit wird keine
Rentenwillkür oder Rente nach Kassenlage etabliert
- oder wie sonst noch die Vorwürfe lauten -, sondern es
wird im System gehandelt und der Ausgleich im System
herbeigeführt.
({15})
Eines wird erreicht: Wir helfen den Rentnerinnen und
Rentnern jetzt, da es dringend notwendig ist und die
Rentenfinanzen es erfreulicherweise zulassen. Unsere
Rentnerinnen und Rentner sollen angemessen am Wirtschaftserfolg beteiligt werden.
Die Große Koalition handelt aber nicht einseitig. Generationengerechtigkeit ist der Maßstab unseres Handelns. Damit auch die heute Jungen für das Alter eine
angemessene Versorgung aufbauen können, haben wir
- ich nenne einige Stichworte - die Entgeltumwandlung
zugunsten der Altersvorsorge dauerhaft steuer- und sozialabgabenfrei gestellt,
({16})
haben wir die Förderung bei der Riester-Rente deutlich
verbessert, und werden wir mit dem geplanten Eigenheimrentengesetz eine zusätzliche Förderung der Altersvorsorge ermöglichen.
({17})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ernst?
Okay.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Weiß, es freut
mich, dass Sie noch bereit sind, eine Zwischenfrage von
mir zu beantworten. Das hebt Sie wohltuend von den
Vorrednern ab.
Sie haben eben davon gesprochen, dass Sie mit dieser
Maßnahme das Rentenniveau wieder anheben wollen.
Vorher habe ich etwas von einem Blumentopf gehört,
den man der Tante oder sonst wem schenkt.
({0})
Finden Sie es angemessen, dass man diesen Blumentopf
nach einigen Jahren wieder einkassiert? Finden Sie es
korrekt, von einer Anpassung der Rente zu sprechen,
wenn diese Anpassung, wie Sie selber gesagt haben,
wieder kassiert wird? Ist es unter dem Aspekt, dass die
Anpassung, die Sie jetzt vornehmen, wieder zurückgenommen wird, nicht naheliegend, zu sagen, dass diese
Rentenerhöhung mit Wahlkampf zu tun hat?
Herr Kollege Ernst, es wurde Ihnen hier schon einmal
von einem Kollegen vorgeworfen, dass Sie das Rentensystem in Deutschland schlichtweg nicht verstehen wollen,
({0})
weil Sie den Menschen in diesem Land etwas vorgaukeln, das nicht der Wahrheit entspricht. Das ist Ihr Problem.
({1})
Die gesamten Reformen der vergangenen Jahre im
Rentensystem zielen auf eines ab: den Beitrag für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land,
den sie für die Rentenversicherung zu zahlen haben,
nicht in astronomische Höhen steigen zu lassen. Ich darf
noch einmal daran erinnern, dass Prognos 1987
({2})
- ja, ich will es Ihnen aber erklären - geschätzt hat, dass
wir, wenn wir an der Rente nichts ändern, im Jahr 2030
einen Rentenversicherungsbeitrag zwischen 36 und
41 Prozent haben werden. Das wäre Enteignung der Jungen in Deutschland.
Auf der anderen Seite wird die Einhaltung der Beitragsziele dadurch erreicht, dass durch sogenannte Abschlagsfaktoren das Rentenniveau für die künftigen - nicht
für die heutigen - Rentnerinnen und Rentner niedriger
liegt als in der Vergangenheit. Deswegen sollen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzlich ein zweites und drittes Standbein der Altersvorsorge aufbauen,
nämlich eine betriebliche und eine private kapitalgedeckte Altersvorsorge. Wir als Staat - darüber habe ich
gerade gesprochen - fördern dies maßgeblich; dies hilft
übrigens gerade den Geringverdienern.
({3})
Für einen Geringverdiener ist es möglich, beim Abschluss einer Riester-Rente bis zu 90 Prozent staatliche
Förderung zu erhalten.
({4})
Herr Ernst, wenn Sie dieses System verstehen würden, dann bräuchten Sie Ihre Frage nicht zu stellen.
({5})
Denn dieses System funktioniert nur, wenn Sie diese
Faktoren beibehalten. Das machen wir. Aber wir helfen
jetzt, da in der aktuellen Situation Sonderbelastungen
auf die Rentnerinnen und Rentner zugekommen sind:
Unser Gesetzentwurf sieht eine einigermaßen angemessene Rentenerhöhung um 1,1 Prozent vor.
({6})
- Herr Kollege Ernst, ich habe Ihnen das System erklärt.
Ich stelle aber fest, dass Sie es nicht verstehen wollen
und nicht verstehen können. Deswegen sagen Sie den
Menschen in Deutschland die Unwahrheit!
({7})
Gerade mit der Förderung der zweiten und dritten
Säule der Altersvorsorge, von der die Jungen profitieren
werden, zeigen wir als Große Koalition, dass wir die Generationengerechtigkeit ernst nehmen. Generationengerechtigkeit statt Generationenkampf - das ist die Leitlinie der Altersvorsorgepolitik der Großen Koalition. Jetzt
sind die Rentnerinnen und Rentnern an der Reihe; das ist
dringend notwendig. Deshalb sage ich Ja zur Rentenanpassung 2008.
Vielen Dank.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8744 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 sowie den Zusatzpunkt 3 auf:
4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise
- Drucksache 16/8536 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Gudrun
Kopp, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Strukturelle Wettbewerbsdefizite auf den
Energiemärkten bekämpfen
- Drucksache 16/8079 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({1})
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Strom ist aus dem täglichen Leben nicht wegzudenken.
Strom ist wichtig für die Wirtschaft sowie für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Stromversorgung
ist eine extrem wichtige Frage, die in Deutschland in der
Hand von vier großen Energiekonzernen liegt. Die vier
großen Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und
EnBW beherrschen den deutschen Energiemarkt. Sie
kontrollieren 80 Prozent der Stromproduktion und
100 Prozent der Übertragungsnetze. Sie diktieren die
Strompreise, die für viele Verbraucher zunehmend zu einer sozialen Last werden. Diese Energiekonzerne machen Rekordgewinne. Damit muss Schluss sein. Dieses
Problem müssen wir anpacken!
({0})
Ich weiß, dass das nicht einfach ist; das ist ein Bohren
dicker Bretter. Aber wir müssen damit beginnen. Denn
wo auch immer man hinschaut, haben die vier großen
Energiekonzerne ihre Hände im Spiel: Das betrifft zum
Beispiel Wettbewerbsverstöße, Klimakiller-Kohlekraftwerke, Lobbyisten in Ministerien oder das Verfahren der
Bundesnetzagentur gegen die vier Energiekonzerne, weil
sie den Verbrauchern in den Jahren 2006 und 2007
800 Millionen Euro zu viel berechnet haben sollen. So
darf es nicht weitergehen.
({1})
Es ist kein Wunder, dass die vier Energiekonzerne in
einer Skala der Beliebtheit von Institutionen bei den
Bürgern noch vor den Finanzämtern auf dem allerletzten
Platz gelandet sind.
({2})
Die Finanzfachleute wissen, dass es eigentlich nichts
Schlimmeres als das Finanzamt gibt. Aber bei den vier
Energiekonzernen machen die Verbraucher eine Ausnahme; sie sind noch unbeliebter als die Finanzämter.
Die Frage ist, warum es diesen Energiekonzernen
trotzdem so gut geht. Es geht ihnen so gut, weil sie einen
Freund haben, auf den sie sich verlassen können, der
Gold wert ist: das Bundeswirtschaftsministerium. Das
dürfen wir nicht zulassen.
({3})
Der Bundeswirtschaftsminister, der leider nicht anwesend ist, weil ihm diese Frage offenbar nicht so wichtig ist, sagt immer wieder, er wolle gegen die vier Energiekonzerne vorgehen. Tatsächlich macht er aber das
Gegenteil. Minister Glos hat in Brüssel für mehr Emissionszertifikate gekämpft. Das bedeutet Mehreinnahmen
für die vier Energiekonzerne. Das ist die Arbeit von
Bundesminister Glos, die er in Brüssel geleistet hat.
Bundesminister Glos lässt keine Gelegenheit aus, eine
Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke zu fordern.
({4})
Er begrüßt es praktisch sogar, wenn die Unternehmen
aus dem Atomkonsens aussteigen. Auch das bedeutet
mehr Geld und Macht für die Energiekonzerne. Das ist
die Politik des Bundeswirtschaftsministers. Bundesminister Glos lässt auch keine Gelegenheit aus, deutlich zu
machen, dass die Konzerne die Netze behalten sollen. Er
will ihnen die Kontrolle über die Märkte in diesem Bereich sichern.
Bundesminister Glos lässt noch nicht einmal eine Gelegenheit aus, um auf die Argumente von Herrn
Großmann einzugehen, der von einer Stromlücke gesprochen hat. Es ist schließlich das größte Angstargument, dass wir irgendwann einmal ohne Strom dasitzen.
Herr Glos warnt vor einer Versorgungslücke und sagt,
letztlich müssten wir Strom importieren. Das wäre aus
seiner Sicht dramatisch. Der Minister müsste es aber
besser wissen.
({5})
Im letzten Jahr waren sieben Atomkraftwerke gleichzeitig nicht am Netz, aber nicht eine einzige Glühbirne hat
geflackert. Deutschland hatte immer noch einen Exportüberschuss in Höhe von fast 20 Terawattstunden. Minister Glos sollte nicht mit der Angst der Leute spielen,
sondern mit harten Argumenten gegen die Energiekonzerne vorgehen. Das wäre die richtige Politik.
({6})
Wenn er nur halb so viel Einsatz im Kampf gegen die
unfairen Energiepreise zeigen würde, dann würden wir
uns schon freuen.
Wir Grüne verfolgen das Ziel, die Energiekartelle aufzubrechen. Zu diesem Zweck haben wir einen Antrag
vorgelegt. Wir hoffen, dass er Ihre Unterstützung findet.
Auf drei Aspekte dieses Antrags möchte ich kurz eingehen.
Der erste Punkt betrifft den Wettbewerb. Wir haben
immer die Trennung von Netz und Produktion gefordert.
Aber die Bundesregierung tut nichts, und das, obwohl es
eine große Koalition von Befürwortern der Trennung
von Netz und Produktion gibt. Dazu gehören Attac, die
Deutsche Bank, Verbraucherverbände und die EU-Kommisson.
({7})
- Ja, und die Grünen. - Meine Damen und Herren, die
Bundesregierung sollte sich dieser Koalition anschließen
und nicht dagegen Sturm laufen.
({8})
Selbst Eon will mittlerweile sein Netz verkaufen.
Aber die Bundesregierung ist uneinsichtig und blockiert.
Das tut sie übrigens Seite an Seite mit RWE; das muss
man zur Kenntnis nehmen. Damit schadet die Bundesregierung dem Wettbewerb, den Verbrauchern und dem
Teil der Wirtschaft, der keine Energie herstellt, sondern
auf Energie angewiesen ist.
Der zweite Punkt: faire Energiepreise. Je knapper Öl
und Gas werden, desto teuerer werden Öl und Gas. Deshalb müssen wir endlich die unfaire Preistreiberei der
vier großen Energiekonzerne beenden. Da wir gerade
über das Thema Rente diskutiert haben, will ich auf Folgendes hinweisen: Die Renten wurden in den Jahren
2002 bis 2007 um 4 Prozent erhöht. Die Hartz-IV-Leistungen wurden nicht einmal um 1 Prozent erhöht. Aber
die Gewinne der Energiekonzerne sind zwischen 2002
und 2007 auf 300 Prozent gestiegen.
({9})
Das sind die Verhältnisse in diesem Land. Diese Situation müssen wir ändern.
({10})
Zu diesem Zweck wollen wir bei den Emissionszertifikaten ansetzen. Die Unternehmen bekommen sie umsonst. Trotzdem preisen sie die Emissionszertifikate in
den Strompreis ein. Hierbei geht es um eine Größenordnung von ungefähr 5 Milliarden Euro pro Jahr. In den
nächsten vier Jahren soll es sich laut einer Studie sogar
um 34 Milliarden Euro handeln. Aber die Bundesregierung schaut tatenlos zu. Wir, die Grünen, fordern eine
Abschöpfung dieser Gewinne.
({11})
Wir wollen dieses Geld zur Entwicklung sparsamer
Haushaltsgeräte und zur Unterstützung einkommensschwacher Haushalte verwenden. Die Devise muss lauten: Wenn sich der Energiepreis verdoppelt, dann muss
der Energieverbrauch halbiert werden. - Das ist das
Konzept der Grünen.
({12})
Das dritte Themenfeld, mit dem wir uns beschäftigen
wollen, betrifft die Lobbyverknüpfungen zwischen Wirtschaft und Ministerien. Die ehemaligen Wirtschaftsminister Clement und Müller sind nach ihrer Tätigkeit im
Ministerium in die Energiewirtschaft gewechselt. Gleichzeitig arbeiten heute viele Mitarbeiter der Energiekonzerne im Ministerium. Der Bundesrechnungshof hat diese
Entwicklung kritisch aufgegriffen. Wir wollen den Wechsel von Politikern in die Energielobby
({13})
und den Einsatz von Lobbyisten in den Ministerien beenden
({14})
bzw. für diesen Bereich Regelungen schaffen. Derzeit ist
dies nicht geregelt. Das schadet der Politik und dem Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher.
({15})
Frau Kollegin Höhn.
Ich komme zum Schluss.
Ihre Redezeit ist überschritten.
Ja. - Wir brauchen eine Politik der fairen Energiepreise. Wir brauchen eine klimaschonende Energieversorgung. Wir brauchen mehr Wettbewerb. Das heißt: Minister Glos muss aus der Kuschelecke, in der er mit den
Energiekonzernen ist, heraus. Wir wollen die Energiekartelle aufbrechen.
({0})
Ich fordere die Bundesregierung auf: Machen Sie mit!
Tun Sie etwas gegen die Energiekartelle! Denn sie schaden der Wirtschaft dieses Landes und den Interessen der
Verbraucher.
Vielen Dank.
({1})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Laurenz Meyer,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Frau Höhn, die Überschrift Ihres Antrags lautet:
„Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz,
Wettbewerb und faire Energiepreise“. Diese Zielsetzung
ist richtig; insofern gibt es Übereinstimmung.
({0})
Laurenz Meyer ({1})
Ihre Forderungen sind jedoch von großer Unglaubwürdigkeit, weil die Grünen überall dort, wo sie Verantwortung tragen, haargenau das Gegenteil tun.
({2})
Sie beschweren sich in Ihrem Antrag darüber, dass die
Erzeugungskapazitäten praktisch ausschließlich in den
Händen der vier Großen sind, und fordern mehr Wettbewerb, mehr Konkurrenz. Doch wenn in meinem Wahlkreis 21 Stadtwerke ein neues Kraftwerk bauen wollen,
mit dem mehr Wettbewerb in den Markt gebracht werden könnte, wird dies von den Grünen auf Landesebene
und auf kommunaler Ebene auf Teufel komm raus bekämpft.
({3})
Diese Art von Unglaubwürdigkeit darf man Ihnen nicht
durchgehen lassen.
In den Jahren 2006 und 2007 ist eine Vielzahl von
Maßnahmen ergriffen worden - ich trage sie Ihnen gerne
vor, wenn Sie das möchten -: Regulierung der Netzentgelte, Entflechtungsmaßnahmen, Verordnungen zur Erleichterung des Anbieterwechsels, Anreizregulierung,
Erleichterung des Anschlusses neuer Kraftwerke ans
Netz, Verbesserung der Preismissbrauchsaufsicht, sogar
mit einer Umkehrung der Beweislast. All das ist unmittelbar nachdem Sie nicht mehr in der Regierung waren
erfolgt.
Herr Kollege Meyer, die Kollegin Höhn würde gerne
eine Zwischenfrage stellen. Lassen Sie das zu?
Aber gerne, jederzeit.
Herr Kollege Meyer, ich finde es spannend, dass Sie
Wettbewerb im Energiebereich nur auf Kohlekraftwerke beziehen. Wäre es nicht besser für den Wettbewerb, wenn wir für mehr Konkurrenz sorgten, indem wir
endlich die erneuerbaren Energien ausbauten, anstatt das
eine Kraftwerk durch das nächste zu ersetzen? Das
bringt nicht mehr Wettbewerb; das ist die falsche Politik.
Frau Höhn, das ist ein Teilaspekt. Wir sind uns darin
einig, dass die erneuerbaren Energien, wie es im Regierungsprogramm heißt, bis 2020 einen Anteil von
25 Prozent ausmachen sollen. Lassen Sie uns, damit wir
eine glatte Zahl haben, von 30 Prozent reden. Das ist
eine anspruchsvolle Zielsetzung. Doch selbst wenn die
erneuerbaren Energien einen Anteil von 30 Prozent ausmachen und selbst wenn wir den Anteil der KraftWärme-Kopplung, wie wir es uns gemeinsam vorgenommen haben, steigern - übrigens auch mit dem uns
vorliegenden Gesetz dieser Regierung -, braucht man
immer noch Kraftwerke für die reine Stromerzeugung.
({0})
- Es war doch in der Anhörung in der letzten Woche Ihre
Position, dass der Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung auf
25 Prozent verdoppelt werden solle. Doch selbst wenn
wir 25 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung haben, brauchen
wir für die Stromerzeugung Kondensationskraftwerke.
({1})
Diese Kraftwerke brauchen wir im Übrigen auch, um
Strom zu erzeugen, wenn kein Wind weht,
({2})
oder in den 8 000 Stunden im Jahr, in denen die Sonne
nicht scheint; sie scheint in Deutschland ja nur ungefähr
800 Stunden.
({3})
Wir brauchen auch Kohlekraftwerke. Wenn wir die
Klimaschutzziele erreichen wollen, brauchen wir neue
Kohlekraftwerke, um die alten abschalten zu können.
Man kann nicht gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie
aussteigen. Das haben selbst Herr Kuhn und Herr
Bütikofer letztens zugegeben. Sie von den Grünen dürfen nicht je nachdem, wo Sie gerade auftreten, sagen,
was Ihnen in den Kram passt.
({4})
Herr Kollege Meyer, der Kollege Fell würde gerne
eine Zwischenfrage stellen.
({0})
Bitte schön.
Herr Kollege Meyer, Sie haben gerade gesagt, wir
würden die Kohlekraftwerke aus Klimaschutzgründen
benötigen.
Neue statt der alten.
Umso schlimmer.
({0})
Ich möchte Ihnen mitteilen - vielleicht haben Sie davon schon Kenntnis -, dass einer der renommiertesten
Klimaforscher der Erde, Herr Hansen von der NASA aus
den USA, in der letzten Woche einen neuen Klimabericht vorgelegt hat, in dem er erstmals die Selbstverstärkereffekte dieser Erde berechnet hat und zu dem ErgebHans-Josef Fell
nis kommt, dass die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen
überhaupt nicht ausreichen. Vor allem schreibt er, dass
die Kohlenutzung bis 2030 weltweit beendet werden
muss, wenn dieser Planet noch gerettet werden soll.
Wie können Sie es verantworten, in den nächsten Jahren noch neue Kohlekraftwerke zu bauen, die sicherlich
nicht nur 15 oder 20 Jahre lang in Betrieb sein sollen?
Nach unserer festen Überzeugung hat es nichts mit Klimaschutz zu tun, wenn man neue Kohlekraftwerke baut.
({1})
Die Alternativen in den nächsten 20 Jahren sind: Entweder importieren wir den Strom aus anderen Ländern,
in denen er zu wesentlich schlechteren Bedingungen hergestellt wird, oder - das können Sie sich überlegen - wir
verringern die Anzahl neuer Kohlekraftwerke zu einem
wesentlichen Teil, indem wir die Laufzeit der Kernkraftwerke in Deutschland verlängern, um den Zeitraum, bis
Alternativen vorliegen, zu überbrücken.
({0})
Das ist doch genau der Punkt: Ausgerechnet in der
Zeit, in der wir den Umschwung hin zu alternativen
Energiekonzepten schaffen müssen, wollen Sie die
- CO2-freien - Kernkraftwerke aus dem Betrieb nehmen, wodurch Sie den ohnehin bestehenden Druck erhöhen, neue Kohlekraftwerke zu bauen. Das ist Ihre Widersprüchlichkeit.
({1})
Eines werfe ich Ihnen wirklich vor: Wenn Sie der Meinung sind, dass Kernkraftwerke unsicher sind, dann hätten Sie dem Ausstiegsbeschluss niemals zustimmen dürfen. - Wenn ich der Meinung bin, dass ein Kernkraftwerk
unsicher ist, dann muss ich es heute und nicht erst 2015
abstellen.
({2})
Wenn es aber bis 2015 sicher ist und ich es aus Klimaschutzgründen länger brauche, dann muss ich doch bereit sein, die Laufzeit bis 2020 zu verlängern, um auf
diese Weise einen vernünftigen Übergang zu erreichen.
({3})
Das ist die Politik, die wir als CDU/CSU-Fraktion ins
Auge fassen. Genau da liegen die Widersprüche.
Frau Höhn, ich komme zu einem weiteren Punkt, den
ich den Grünen vorwerfe; Sie waren damals in der Landesregierung zum Teil mit dafür verantwortlich. Eine der
Großtaten der letzten Regierung Kohl war es, endlich
Wettbewerb im Energiebereich einzuführen. Viele in
den großen Unternehmen haben das überhaupt nicht für
möglich gehalten. Ich kann mich noch daran erinnern,
dass ich in meiner beruflichen Zeit in einer Versammlung von leitenden Angestellten einmal gefragt habe:
Wer hat eigentlich Angst vor Wettbewerb? Unsere Vorstände wollten mir damals noch erklären, dass es einen
Wettbewerb im Strombereich nicht geben kann. Was für
Idioten!
Endlich hatten wir auf diesem Gebiet Wettbewerb
eingeführt. 1998 kamen Sie dann an die Regierung. Der
gerade aufkeimende Wettbewerb wurde wieder gestoppt,
weil die rot-grüne Regierung - die Kollegen müssen sich
nicht übertrieben angegriffen fühlen, aber es ist so - mit
den Energiekonzernen einen stillschweigenden Deal abgeschlossen hatte: Die Konzerne haben sich nicht besonders gegen die zusätzlichen Belastungen am Strommarkt
durch alle möglichen Abgaben und Auflagen gewehrt
- sie haben den Mund gehalten -, und Sie haben dafür
nicht richtig hingeguckt, wenn sie die Preise erhöht haben. Das genau war der Deal, den es in Ihrer Zeit gegeben hat. - Jetzt, nach dem Wechsel der Regierung von
Rot-Grün zur Großen Koalition, wird der Wettbewerb
wieder eingeführt.
({4})
In dieser Situation stellen Sie solche Anträge. Das ist an
Unglaubwürdigkeit wirklich nicht zu überbieten.
Jetzt komme ich zum nächsten Punkt, nämlich zur eigentumsrechtlichen Entflechtung.
({5})
Wenn Sie gestern in der Anhörung gewesen wären, dann
hätten Sie sich heute wahrscheinlich nicht so geäußert,
wie Sie sich geäußert haben.
({6})
Außer einem Vertreter, den die Linken benannt haben
- ich weigere mich, das, was da vorgetragen wurde, hier
jetzt zu qualifizieren -,
({7})
gab es niemanden, der mehr oder wenige präzise eine
Verstaatlichung des gesamten Energiebereichs vorgeschlagen hat.
({8})
- Das wollen Sie nicht, richtig.
Hinzu kam noch ein von Ihnen benannter Vertreter - ein
ehemaliger Mitarbeiter der hessischen Landtagsfraktion
der Grünen -, der vielleicht eine ähnliche These vertreten hat. Dann kamen die Fragen auf, wie die eigentumsrechtliche Entflechtung erfolgen und wer die Netze kaufen soll. Spätestens an der Stelle hatten komischerweise
alle, die sich theoretisch dafür einsetzen könnten, große
Bedenken, zum Beispiel als es um die Frage ging, an
wen Eon seine Netze verkaufen könnte. Denn die Alternative zu unseren Unternehmen, die wir halbwegs im
Griff haben, besteht darin, dass möglicherweise irgendwelche Fonds oder ausländische Unternehmen - vielleicht sogar ausländische Staatsunternehmen - in den
Besitz unserer Netze kommen. Diese Alternative gefiel
Laurenz Meyer ({9})
niemandem in dieser Anhörung. Deshalb blieb als einzige klare Position eine Verstaatlichung der Netze.
({10})
- Sie können viele Kollegen in Ihrer Fraktion fragen,
welche Erfahrungen sie in dem Bereich gemacht haben
und in welchem Zustand die Netze waren, als die DDR
zusammenbrach.
({11})
Ein riesiger Teil des Investitionsvolumens der letzten
Jahre musste für die Netze verwendet werden, weil der
Staat zu DDR-Zeiten nicht gerade viel in die Netze investiert hatte, erst recht nicht in Fernwärmenetze. Ich
habe mich mit dem Thema Fernwärme sehr intensiv beschäftigt. Es gab allenfalls den Effekt, dass in Halle und
Leipzig die Straßen im Winter frostfrei waren, weil die
Netze aus der Zeit vor 1920 stammten; ansonsten hat
sich in diesem Bereich nicht viel getan.
Darauf, dass ausgerechnet der Staat für eine bessere
Infrastrukturversorgung mit allen damit verbundenen
Kapitalerfordernissen eintreten soll, wusste in der gestrigen Anhörung auch niemand eine Antwort. Es ist nicht
nur prinzipiell Unfug, dass der Staat diese Aufgabe
wahrnimmt. Hinzu kommt, dass wir, wenn wir etwas für
die Verbraucher erreichen wollen, nach meiner Lebenserfahrung eine sehr konsequente Kosten- und Preiskontrolle brauchen, wie wir sie durchgesetzt und eingeführt haben. Meine Lebenserfahrung sagt mir auch, dass
der Staat genauer hinsieht, wenn er Private kontrolliert,
als wenn er sich selber kontrolliert. Insofern ist es sicherlich richtig, dass die Bundesnetzagentur den Auftrag hat,
entsprechende Vorhaben sehr konsequent zu untersuchen
und nachzuvollziehen.
Im Übrigen sind die Kosten der Netze allein in den
letzten zwei Jahren um 20 Prozent gesenkt worden, und
zwar durch Maßnahmen, die diese Regierung eingeleitet
hat. Die Unterstützung der Bundesnetzagentur durch die
Bundesregierung geht auf das Bundeswirtschaftsministerium zurück, das Sie vorhin so angegriffen haben.
({12})
- Frau Höhn, es tut mir für Sie leid, aber akzeptieren Sie
doch einfach, dass jetzt etwas passiert. In der Zeit davor
ist nichts passiert.
({13})
Notwendig ist also eine klare Kostenkontrolle. Ungerechtfertigte Preise müssen verhindert werden. Ich kenne
Sie schon lange und schätze Sie als intelligent ein. Ich
erinnere Sie daran, wie schwer wir uns damit getan haben, die Anreizregulierung im kommunalen Bereich
durchzusetzen
({14})
und unter welch starkem Druck die Politik vonseiten der
Stadtwerke gestanden hat, möglichst wenig strenge Kontrollen vorzunehmen, damit aus den Stromerlösen noch
andere Bereiche - beispielsweise Stadtbäder - mitfinanziert werden können. Alle wollten daran festhalten, dass
solche Bereiche aus den Stromerlösen finanziert werden.
Sie wollten keine harte Regulierung der im Netzbereich
anfallenden Kosten.
Insofern fordere ich Sie auf: Finger weg vom Staatsbesitz! Der Staat sollte sich nicht selber kontrollieren.
Notwendig sind klare Kontrollen und eine Entflechtung
der Unternehmen. Über die Frage des Eigentums der
Netze sollten wir sehr sorgfältig nachdenken. Alles, was
die EU-Kommission vorschlägt, erscheint mir noch
nicht ausgegoren. Ich bin froh, dass unsere Bundesregierung diesen Weg ablehnt und unseren Weg zunächst weitergehen will, um zu schauen, ob wir mit den erzielten
Erfolgen ein Stück weiterkommen.
Sie fordern, dass alles unter einen Hut gebracht werden müsse: faire Energiepreise und Klimaschutz. Lassen Sie uns doch unseren Weg wählen! Wir haben Ziele
für die Minderung der CO2-Emissionen und die Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien gesetzt. Es
muss uns gelingen, diese Ziele so effizient wie möglich
zu erreichen; denn die Verbraucher erwarten, dass wir
sie nicht über Gebühr belasten. Wenn ich die Summen
sehe, die für den relativ kleinen Bereich der Fotovoltaik
zur Verfügung gestellt werden, dann muss ich feststellen,
dass dieses Ziel noch nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wird. Wenn wir das umsetzten, was Sie in
Ihrem Antrag fordern, liefen wir Gefahr, neue Sozialleistungen zu benötigen, die das, was oben willkürlich
draufgesattelt würde, unten ausgleichen. Diejenigen, die
keinen Sozialtransfer erhalten, also die „normalen“ Arbeitnehmer in Deutschland, wären dann die Gekniffenen
Ihrer Politik. Diesen Weg wollen wir nicht gehen. Wir
gehen unseren eingeschlagenen Weg weiter.
({15})
Für die FDP-Fraktion gebe ich das Wort der Kollegin
Gudrun Kopp.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
Ich stelle fest, dass Ihr Antrag, meine Damen und Herren
von den Grünen, viele Ungereimtheiten enthält. Frau
Höhn, es ist richtig, dass es auf dem Markt eine Konzentration der vier großen Energieerzeuger gibt und dass wir
dringend für mehr Kraftwerkskapazitäten bzw. Erzeugungskapazitäten sorgen müssen. Sie kritisieren in Ihrem Antrag das Energiekartell der vier großen Konzerne
und stellen fest, dass mit Eon Ruhrgas nur ein einzelnes
Unternehmen im Gasbereich dominiert. Ich finde es aber
wichtig und richtig, dass Sie auch reflektieren, dass dieses sogenannte Energiekartell mit Ihrer Beteiligung unter der Regierung von Rot-Grün geschaffen wurde. Wir
bemühen uns nun, Ihre schlechten Entscheidungen von
damals auf irgendeine Weise rückgängig zu machen.
({0})
Wir haben Anträge auf Stärkung des Wettbewerbs und
Entflechtung eingebracht. Zu den Entflechtungsregelungen wird der Kollege Zeil gleich Stellung nehmen. Sie
tun aber nun so, als hätten Sie mit dem Ganzen gar
nichts zu tun. Das ist nicht redlich.
Ihr Antrag enthält mehr oder weniger willkürlich zusammengestellte Maßnahmen. Sie sprechen über die
Energiepolitik und fordern gleichzeitig eine Erhöhung
des ALG-II-Satzes. Sie fordern des Weiteren die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und wollen neue
Förderprogramme für einkommensschwache Haushalte
auflegen. Wir, die FDP-Fraktion, haben bereits vor einigen Wochen den Antrag eingebracht, den zu erwartenden Nettoerlös in Höhe von circa 400 Millionen Euro
aus der Versteigerung der Emissionszertifikate komplett
den Energiekunden zugute kommen zu lassen. Das heißt,
wir wollen den Verbrauchern, die unter ständig steigenden Kosten leiden und übermäßig belastet werden, endlich etwas zurückgeben.
({1})
Dass die Energiepreise, Strom-, Gas- und Spritpreis,
längst zu einem riesigen Problem für mehrere Bevölkerungsschichten geworden sind, ist kein Geheimnis; darauf gehe ich später ausführlich ein. Aber Ihr Antrag ist
ein Ausweis von Schludrigkeit. Im Zusammenhang mit
der Einschränkung der Lobbymacht der Energiekonzerne wollen Sie die Verbraucherrechte durch eine europäische Charta der Rechte der Energieversorger stärken.
Ich finde es interessant, dass Ihnen das gar nicht aufgefallen ist.
Ich gehe nun auf den Antrag der FDP-Bundestagsfraktion ein. Wir möchten, dass die Energiepolitik in
Deutschland strukturell gestärkt wird. Herr Kollege
Meyer, Frau Kollegin Höhn, ich stelle fest, dass weder
die Opposition noch die Regierungsfraktionen oder die
Bundesregierung ein schlüssiges, in sich konsistentes
Energieprogramm haben. Das habe ich schon oft an dieser Stelle bemängelt. Bei Ihnen zeigt sich auch, wie
schwierig es ist, ohne eine Grundüberzeugung in der
Energiepolitik voranzukommen.
Unsere Grundüberzeugung - das sage ich ganz klar ist, dass wir keinen breiten Energiemix haben. Die Klimaziele wird die Bundesregierung aller Voraussicht nach
nicht erreichen. Das mag man auch schon daran erkennen, dass Herr Minister Glos einen Brandbrief an die
EU-Kommission geschrieben hat, in dem er darum bittet, dass der Bundesrepublik ein Rabatt von 150 Millionen Tonnen CO2 gewährt wird. Das sind 20 Prozent der
CO2-Emissionen im Energiebereich in Deutschland. Er
möchte einen Nachlass, weil er schon jetzt erkennt, dass
wir die Klimaziele und auch die Versorgungssicherheit
ohne die Kernenergie im Energiemix nicht erreichen
werden und wir nicht zu bezahlbaren Energiepreisen
kommen werden.
({2})
Zum Thema Entflechtung haben wir einige Vorschläge eingebracht; dazu kommen wir gleich noch. Wir
wollen Ihnen mit unserem Antrag das Konzept der
Netz AG nahebringen. Wir möchten, dass die vier Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland ihre Netze in eine
sogenannte Netz AG einbringen, wobei sie die Eigentumsanteile in Höhe ihrer Netzwerte behalten sollen. Sie
sollen aber innerhalb dieser Netz AG keinen Einfluss auf
Betrieb, Instandsetzung und Investitionen insgesamt
nehmen. Wir möchten, dass diese Netz AG unabhängig
arbeiten kann. Wir nennen dies den vierten Weg, den wir
für den richtigen halten, um in Deutschland auf der
Netzebene endlich weiterzukommen. Wir wollen mit einer solchen Netz AG ein Zweites erreichen, nämlich
dass die Aufteilung Deutschlands in derzeit vier Regelzonen der großen Energieerzeuger endlich wegfällt und
diese vier Zonen zu einer verschmolzen werden, damit
wir Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen erzielen
können.
Wir wollen weiterhin mehr Energieerzeugung durch
neue Kraftwerke. Ich habe eben gesagt, wie wichtig es
ist, nicht auch noch den Neubau von Kohlekraftwerken
zu verhindern. Im Übrigen emittieren auch Gaskraftwerke CO2, wenn auch längst nicht in derselben Höhe.
({3})
Es ist ungefähr nur die Hälfte, aber immerhin. Auch uns
wäre es lieber, wenn wir im Rahmen des Energiemixes,
zu dem auch Kernenergie gehört, weniger Kohlekraftwerke errichten müssten, aber dass wir sie völlig aus
dem künftigen Energiemix heraushalten können, ist, so
glaube ich, illusorisch.
Wir brauchen dringend den Netzausbau, gerade an
den Netzkuppelstellen; auch das enthält unser Antrag.
Wir wollen mehr Transparenz und schärfere Kontrollen
für die Großhandelsmärkte bei der Strombörse, eine unabhängige Marktbeobachtungsstelle, ein wirklich intelligentes Mess- und Zählersystem für Strom, und wir wollen, dass die Bürger endlich entlastet werden und dass
nicht ständig mehr Steuern und Abgaben auf Energie
durch immer neue Programme erhoben werden.
({4})
Ich nenne Ihnen zum Schluss nur eine Zahl: Würden
wir die Stromsteuer abschaffen oder über den Verkauf
der Zertifikate an die Bürger zurückführen, dann hätten
wir eine Ersparnis von allein 6,3 Milliarden Euro. Das
bedeutete pro Haushalt in Deutschland eine Einsparung
von 165 Euro pro Jahr. Das wäre eine Größenordnung,
die die Bürger gut vertragen könnten.
({5})
Insofern ist es wichtig, dass man sich in diesem Haus
endlich Gedanken macht und dass nicht dauernd Steuererhöhungen und neue Förderprogramme beschlossen
und nicht immer neue Abgaben auferlegt werden; an16136
sonsten braucht man sich nicht darüber zu beklagen,
dass die Bürger kein Geld mehr für den Konsum haben.
Wenn wir dies tun, dann brauchen wir uns auch keine
Gedanken über irgendwelche Sozialprogramme zu machen. Machen Sie Ihre Hausaufgaben! Legen Sie ein
konsistentes Programm für die Energieversorgung in
Deutschland vor! Beenden Sie Ihr Stückwerk, das die
Bürger nur belastet und durch das die Bürger nicht so
versorgt werden, wie sie es eigentlich verdient hätten.
Vielen Dank.
({6})
Ich gebe das Wort dem Kollegen Rolf Hempelmann,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Die vorliegenden Anträge, insbesondere der Antrag
der Grünen „Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise“, zeigen,
dass die eigentliche Absicht der Antragsteller darin besteht, die Gelegenheit zu haben, eine energiepolitische
Generaldebatte zu führen. Das ist auch legitim. Durch
das, was vorgetragen worden ist - auch durch das, was
der andere Antragsteller, die FDP-Fraktion, gesagt hat -,
zeigt sich, dass wir in der Tat mit den bekannten, uns
hier immer wieder vorgetragenen Argumenten konfrontiert werden.
({0})
Einige dieser Argumente teilen wir, andere eindeutig
nicht.
Zum Antrag der Grünen. Klimaschutz, Wettbewerb
und faire Energiepreise, das sind in der Tat drei Dimensionen, die unsere Energiepolitik berücksichtigen muss.
Hinzu kommt eine weitere Dimension - wir haben es
letztlich mit einem Zielviereck zu tun; darüber sind wir
uns mittlerweile einig -: die Versorgungssicherheit. Zu
unterstellen, dass eine Politik, die für Klimaschutz, Wettbewerb und faire Energiepreise sorgt, automatisch Versorgungssicherheit gewährleistet, würde dieser Herausforderung nicht wirklich gerecht.
Es hilft auch nicht, immer wieder darauf zu verweisen
und immer wieder den eigenen Glauben daran öffentlich
vor sich her zu tragen, dass wir Versorgungssicherheit
allein mit erneuerbaren Energien und mit Effizienzsteigerungen in jedem Fall kurz-, mittel- und langfristig gewährleisten können. Wir müssen die Leute davon überzeugen. Man muss auch zur Kenntnis nehmen, dass zum
Beispiel die Deutsche Energie-Agentur - sie ist wirklich
keine Lobbyorganisation der großen vier - erst kürzlich
deutlich gemacht hat, dass wir sehr genau darauf achten
müssen, dass in den nächsten anderthalb Jahrzehnten die
notwendigen Investitionen in die Energieerzeugung und
in die Netze erfolgen. Damit müssen wir uns seriös auseinandersetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die
Koalition genau dies tut.
Wenn wir wollen, dass Emissionshandel wirkt, dass
durch die Kosten des Ausstoßes von CO2 möglichst viele
alte Kohlekraftwerke abgestellt werden, dann müssen
wir auch wollen - Herr Meyer hat das eben zu Recht
dargestellt -, dass diese Kraftwerke kurzfristig durch
neue, ich sage jetzt: Kraftwerke ersetzt werden. Wir arbeiten daran, dass ein möglichst hoher Anteil dieser
Kraftwerke auf der Basis von erneuerbaren Energien
funktioniert. Ein Anteil von 30 Prozent bis 2020, das ist
ein durchaus unbescheidenes Ziel. Wenn wir aufgrund
der Rahmenbedingungen, die wir setzen, mehr erreichen
sollten, dann werden wir uns alle freuen. Aber wir wissen gerade durch die dena-Studie, dass noch eine ganze
Menge Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind.
({1})
Es ist beispielsweise so, dass wir bei den Netzen im
Augenblick unsere Probleme haben, gerade mit der Anbindung von möglichen Offshore-Windparks. Für Investitionen sind Rahmenbedingungen notwendig. Nur
wenn diese Rahmenbedingungen erfüllt sind, stellen private Investoren entsprechende Mittel zur Verfügung. Natürlich müssen auch die Genehmigungsverfahren so ablaufen, dass diese Netze in absehbarer Zeit tatsächlich
errichtet werden können.
Wenn wir hierbei erfolgreich sind - dies wollen wir
sein -, dann heißt das aber gerade vor dem Hintergrund
eines Kernenergieausstiegs, dass wir bis zum Jahre 2020
immer noch einen erheblichen Anteil fossil betriebener
Kraftwerke haben werden; ich will mich jetzt gar nicht
auf eine konkrete Prozentzahl festlegen, weil wir uns da
womöglich von unserem Koalitionspartner unterscheiden, der auch zum Thema Kernenergie eine andere Auffassung hat. Insofern muss es unser Ziel sein, dass jedenfalls die alten Anlagen - ich habe das gerade schon
angedeutet - so früh wie möglich aus dem Verkehr genommen werden. Dies ist der Grund für unsere Anstrengungen, insbesondere beim Thema Kraft-Wärme-Kopplung.
({2})
Aber auch das wird nicht ausreichen, um unsere Energieversorgung bis zum Jahre 2020 tatsächlich zu
100 Prozent abzudecken. Dabei ist schon unterstellt,
dass wir auch bei dem Thema Energieeffizienz und beim
Ausschöpfen von Energieeinsparvolumen sowohl in den
privaten Haushalten als auch in den Unternehmen erfolgreich sind.
Zu diesem Zeitpunkt werden wir in Deutschland auch
noch das eine oder andere Kondensationskraftwerk haben. In Bezug darauf muss man sich fragen: Sollen das
alte Anlagen mit entsprechendem Mehrausstoß an CO2
sein, oder akzeptieren wir, dass auch das eine oder andere neuere, effizientere Kraftwerk darunter ist? Das ist
eine Grundsatzfrage, darum dreht sich der Grundsatzstreit insbesondere zwischen den Grünen und sicherlich
auch Teilen unserer Fraktion, es ist eine Frage neben vielen anderen, die wir zu lösen haben.
Ich persönlich glaube, dass wir nicht völlig ohne Neuinvestitionen in diesem Bereich auskommen werden.
Noch einmal: Je mehr Kraft-Wärme-Kopplung, umso
besser, aber wenn das eine oder andere Kondensationskraftwerk dabei ist, dann muss das Ziel sein - auch daran
wird gearbeitet -, dass diese Kraftwerke möglichst CCSfähig sind, das heißt, dass bei ihnen eine Technik zur
CO2-Abscheidung zur Anwendung kommen kann.
Ich weiß, dass ich auch mit diesem Thema ein Fass
aufgemacht habe. Ich weiß, dass es auch hierbei noch
unbeantwortete Fragen gibt. Aber es gibt auch Unternehmen, die zurzeit gerade in dieses Thema investieren, im
Übrigen nicht ganz ohne Aufforderung aus dem Bereich
der Politik. Deswegen glaube ich, dass wir zumindest offen dafür sein müssen, dass möglicherweise auch eine
solche Technologie eine Antwort bieten kann.
Ich weiß, dass damit auch Herausforderungen verbunden sind, etwa mit dem Transport und mit der Speicherung von CO2. Dies sind Fragen, die hoffentlich zeitnah
beantwortet werden, und zwar auf eine Art und Weise,
die dazu führt, dass hier eine echte Alternative besteht.
Aber von vornherein und rundheraus zu sagen, dies alles
sei keine Alternative, halte ich angesichts der Herausforderungen allein schon hier in Deutschland für ausgesprochen problematisch, aber erst recht, wenn wir über unsere Grenzen hinwegschauen, denn ich bin der festen
Überzeugung, dass Kohleverstromung noch lange Jahrzehnte in Europa, insbesondere in Osteuropa, aber auch
außerhalb Europas, gerade in den großen Schwellenländern, in Indien und in China, eine erhebliche Rolle spielen wird.
Wenn wir das alles wissen, dann ist es meines Erachtens die Aufgabe eines Industrie- und eines Hochtechnologielandes wie Deutschland, mitzuhelfen, dass
Technologien entstehen, mit deren Hilfe diese Kohleverstromung jedenfalls so effizient wie möglich, das
heißt mit so wenig CO2-Emissionen wie möglich, erfolgt.
({3})
Wenn wir uns an dieser Stelle verweigern und nicht
mithelfen, dann haben wir genau das Aufgabenspektrum
verfehlt, das ein Land wie Deutschland zu erfüllen hat.
Wir sind nicht Frankreich, das einen hohen Anteil an
Kernenergie aufweist; die Franzosen haben ihre Aufgaben möglicherweise eher in diesem Bereich. Wir sind ein
Industrieland und ein Energieerzeugungsland, und unsere Energieerzeugung ist sehr kohlenstoffintensiv. Deswegen meine ich, dass wir neben der größeren Effizienz
im Verbrauch und in der Erzeugung von Energie und neben der Verbreitung von erneuerbaren Energien auch die
Aufgabe haben, solche Energieerzeugungsanlagen zu
modernisieren und technisch weiterzuentwickeln, die
fossile Brennstoffe verwenden. Dies ist meines Erachtens auch die Erwartungshaltung der internationalen Gemeinschaft, und ihr sollten wir uns in Kenntnis der Probleme, die damit verbunden sind und die ich an dieser
Stelle überhaupt nicht kleinreden will, nicht völlig verweigern.
Nun möchte ich etwas zu dem Thema Eigentumsentflechtung sagen. Frau Höhn hat über das Aufbrechen
des Energiekartells gesprochen; auch die Überschrift des
Antrages selbst macht dies noch einmal deutlich.
Ich glaube, wir sind uns im Parlament weitgehend
darüber einig, dass wir mehr Wettbewerb im Energiesektor brauchen. Ich glaube aber auch, dass wir in den letzten Jahren gerade dazu eine ganze Menge gemacht haben. Weder Rot-Grün noch Schwarz-Rot sollte an dieser
Stelle sein Licht unter den Scheffel stellen, denn wir haben in den letzten Jahren gemeinsam an Rahmenbedingungen für mehr Wettbewerb gearbeitet; dies habe ich in
anderen Debatten schon mehrfach vorgetragen. Wir haben im Jahre 2005 das Energiewirtschaftsgesetz verabschiedet. Alle Fraktionen haben daran mitgewirkt: RotGrün im Deutschen Bundestag, aber im Grunde auch
Schwarz-Gelb, weil es durch den Vermittlungsausschuss
von Bundestag und Bundesrat ging, nicht aber die Linke,
da sie damals im Deutschen Bundestag als Fraktion nicht
vertreten war.
({4})
Vor diesem Hintergrund sollten wir ein Stück weit stolz
darauf sein, dass wir die Bundesnetzagentur geschaffen
haben und dass sie im Bereich der Netze durchaus schon
Wirkung erzielt hat: sinkende Netzentgelte - Herr Meyer
hat gerade schon darüber gesprochen -, aber auch ein hohes Maß an Diskriminierungsfreiheit beim Zugang zu
den Netzen. Dies gilt sowohl für diejenigen, die aus vorhandenen Kraftwerken einspeisen wollen, als auch für
diejenigen, die neue Kraftwerke ans Netz bringen wollen.
Unter Schwarz-Rot haben wir diese Politik fortgeführt und haben unter anderem eine Kraftwerks-Netzanschlussverordnung verabschiedet, die dieses Ziel noch
einmal deutlich unterstützen soll. Sie soll dafür sorgen,
dass neue Kraftwerke und damit letztlich auch neue Anbieter bevorzugt ans Netz kommen können.
Die gestrige Anhörung hat kein Argument für die eigentumsrechtliche Entflechtung geliefert.
({5})
Von keinem Sachverständigen ist die Behauptung aufrechterhalten worden, dass die eigentumsrechtliche
Entflechtung zu niedrigeren Preisen und zu mehr Investitionen führt. Auch der Vertreter der Europäischen
Kommission - sie spricht sich bekanntermaßen für die
eigentumsrechtliche Entflechtung aus - hat ausdrücklich
gesagt, dass es diesen Nachweis, jedenfalls in Reinkultur, nicht gibt.
({6})
Deswegen sollte man mit diesem Thema sachlich umgehen.
Wir wollen, dass große Unternehmen ihre Machtposition nicht zulasten von Verbrauchern, egal ob es private
oder industrielle Verbraucher sind, ausnutzen können.
Deswegen kommt es darauf an, dass wir das Bundeskartellamt, aber auch die Bundesnetzagentur so stärken, dass sie ihrer Aufgabe gerecht werden können. Das
ist schon die Politik von Rot-Grün gewesen. Das ist jetzt
auch die Politik von Schwarz-Rot. Ich glaube, dass sie
auch zunehmend erfolgreich ist. Gerade die letzte Wettbewerbsrechtsnovelle, die Novelle des GWB, zeigt dies.
Jetzt sind insbesondere die Gasversorgungsunternehmen sozusagen unter der Lupe des Bundeskartellamts.
Sie unterliegen einem Missbrauchsverfahren. Hier ist in
absehbarer Zeit auch mit Entscheidungen zu rechnen.
Beim Thema Regelenergie betrifft das auch die
Stromunternehmen.
Die Verfahren sind also im Gange. Wir sollten beobachten, wie das, was wir angestoßen haben, wirkt. Auf
dem nationalen Markt müssen wir uns auf das Zusammenspiel von Bundeskartellamt, Bundesnetzagentur,
Wettbewerbsrecht und Regulierung verlassen.
International stehen die Unternehmen ohnehin in einem ganz anderen Wettbewerb, im Wettbewerb beispielsweise - das ist eben schon angeklungen - mit großen ausländischen Staatsunternehmen, die in ihren
Ländern Monopolisten sind. Ich glaube, dass es deswegen schon wichtig ist, einmal sehr genau darüber nachzudenken: Wie müssen wir die Unternehmen hier eigentlich ausstatten, damit sie in diesem Wettbewerb bestehen
können?
Auch das ist im Interesse des deutschen Verbrauchers.
Wenn wir beispielsweise Gas nicht mehr preisgünstig
einkaufen können, etwa in Russland, dann geht das zulasten des deutschen Verbrauchers. Ein guter Preis lässt
sich gegenüber Gasprom zum Beispiel, gegenüber den
Russen, aber nur durchsetzen, wenn eine entsprechende
Nachfragemacht dahintersteht. Wenn wir die Nachfragemacht zersplittern, dann wird es mit Sicherheit nicht einfacher, auch langfristig günstige Preise für deutsche Verbraucher zu erzielen.
Damit will ich sagen: Es ist schon ein bisschen komplizierter, als es oft dargestellt wird.
Wir sind in dem Dilemma, dass wir uns auf der einen
Seite eigentlich starke Unternehmen wünschen müssen,
die im internationalen Wettbewerb zugunsten gerade
auch deutscher Verbraucher im unternehmerischen wie
im privaten Bereich günstige Preise durchsetzen können. Wir müssen uns eine Regulierungs- und Wettbewerbskontrollpraxis wünschen, die dafür sorgt, dass
diese günstigen Konditionen auch an den Verbraucher
weitergereicht werden.
Beim zweiten Punkt sind wir in der Tat auf dem Weg,
aber wir sind noch längst nicht am Ziel. Jedenfalls hat
für mich die gestrige Anhörung ergeben, dass der Weg
nicht unbedingt eine eigentumsrechtliche Entflechtung
ist. Hier sind andere Alternativen deutlich geworden, die
wir in der Koalition auch verfolgen wollen, ich bin sicher, am Ende mit einem guten Ergebnis.
({7})
Ich gebe das Wort der Kollegin Ulla Lötzer, Fraktion
Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Wir
sind uns mit Ihnen, Frau Höhn, durchaus darin einig,
dass es eine eigentumsrechtliche Entflechtung der
Übertragungsnetze geben muss. Aber auch wir stellen
Ihnen die Frage, wer das Netz betreiben soll. Zumindest
in Ihrem Antrag drücken Sie sich um eine Aussage herum. Einerseits wollen Sie eine öffentliche Kontrolle.
Andererseits kritisieren Sie uns immer wieder, wir hätten
auf alles nur die Antwort einer Überführung der Netze in
die öffentliche Hand.
({0})
Glauben Sie im Ernst, dass dann, wenn die Netze beispielsweise in der Hand von privaten Finanzinvestoren
sind, mit staatlicher Kontrolle eine soziale und ökologische Energiepolitik durchgesetzt werden könnte?
({1})
Das halte ich allerdings für realitätsfremd. Das wird hier
genauso wenig gelingen wie gegenüber dem Energiekartell. Das gilt erst recht für Ihren Vorschlag, Frau Kopp.
Die FDP will, dass die Konzerne ihre Netze in eine gemeinsame „Netz AG“ einbringen. In der Anhörung ist
das auf breite Ablehnung gestoßen; bei uns auch.
({2})
Die Monopolstellung der großen vier in einer „Netz AG“
zusammenzuführen, verstärkt das Problem und dehnt es
höchstens europaweit aus, mehr nicht.
({3})
In der gestrigen Anhörung ist von der Vertreterin der
Grünen, der Kollegin Andreae, für eine Netzgesellschaft
das Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft in die
Diskussion gebracht oder unterstützt worden. Das ist in
der Klärung der Eigentumsfrage immerhin ein Schritt in
unsere Richtung. 51 Prozent der Netzgesellschaft sollen
in die öffentliche Hand überführt werden. Herr Krawinkel
hat für die Verbraucher ausdrücklich auch eine öffentliche Mehrheit für wichtig befunden, um volkswirtschaftliche Interessen durchzusetzen. Das bleibt aber unserer
Meinung nach auf halbem Weg stehen. Ich frage Sie: Warum sollen 49 Prozent privat sein? Begründet wurde das
in der Anhörung damit, dass die Konzerne damit für Effizienz sorgen würden. Kollegin Andreae, haben die großen vier nicht in den letzten Jahren nachdrücklich bewiesen, dass ihre Effizienz vor allem darin besteht, ihre
Rendite zulasten sozialer und ökologischer Interessen zu
steigern, dies allerdings sehr effizient?
({4})
Sie haben die Kunden übervorteilt. Sie haben das Land
in Regionen aufgeteilt und Preisabsprachen getroffen.
Erneut ist jetzt von der Bundesnetzagentur ein Verfahren
gegen RWE und Eon eingeleitet worden, weil sie in den
letzten Jahren Kosten in Höhe von 800 Millionen Euro
zu viel in Rechnung gestellt haben. Herr Meyer, trotz allem sind die Übertragungsnetze hier und jetzt überaltert
und nicht auf die heutigen Anforderungen in der EnerUlla Lötzer
gieversorgung ausgerichtet, und zwar trotz Gewinnsteigerungen von 6 Milliarden auf 20 Milliarden Euro.
({5})
Frau Höhn, wie Sie selbst in Ihrem Antrag formuliert haben, haben sie diese Gewinne auch dadurch erzielt, dass
sie einer schmutzigen und gefährlichen Energieversorgung mit Atomenergie festhalten, wie insbesondere auch
die CDU.
Die Vertreter von Eon und RWE haben gestern in der
Anhörung die Dreistigkeit besessen, zu fordern, die Politik müsse die Rahmenbedingungen schaffen, damit
sich für sie Investitionen wieder lohnten. Im Klartext
heißt dies, sie wollen noch höhere Profite auf Kosten der
Verbraucherinnen und Verbraucher. Damit haben sie nur
eines deutlich gemacht: wie dringend die Maßnahmen
wären, ihnen die Übertragungsnetze endlich aus der
Hand zu nehmen. Solche Interessen haben in einer Netzgesellschaft nichts zu suchen.
Ein Austausch der privaten Eigentümer, zum Beispiel
RWE gegen Blackstone, löst das Problem aber nicht.
({6})
Auch eine Netzgesellschaft in öffentlicher Hand, Herr
Meyer, würde Netzentgelte einnehmen. Diese würden
dann allerdings nicht in Form von Dividenden ausgeschüttet, sondern könnten zum Beispiel für Investitionen
verwendet werden. Natürlich ist aber auch dann weiterhin eine Regulierung notwendig. Deshalb fordern wir
zumindest Sie von den Grünen auf, nicht auf halbem
Wege stehen zu bleiben, sondern uns bei unserer Forderung zu unterstützen, die Netze in die öffentliche Hand
zu überführen, nicht als Allheilmittel, sondern als notwendige Voraussetzung für die Wahrnehmung ökologischer und sozialer Interessen.
Das gilt nicht für die Verteilnetze, über die die Energie zum Endverbraucher kommt. Diese sind oft in der
Hand der Stadtwerke. Allerdings haben sich auch hier
die großen vier ihren Einfluss gesichert. An mehr als
270 Stadtwerken sind RWE und Eon beteiligt. Das Bundeskartellamt hat gestern den Vorschlag in die Diskussion eingebracht, die Unabhängigkeit der Stadtwerke zu
stärken, indem dafür gesorgt wird, dass die großen vier
ihre Anteile an den Stadtwerken abgeben. Energieversorgung gehört wieder mehr in die Hand der Kommunen. Vor diesem Hintergrund unterstützen auch wir diesen Vorschlag.
({7})
Die Bekämpfung von Energiearmut, zum Beispiel
durch Umsetzung der Forderung des Verbraucherschutzverbandes nach einem Aktionsplan zur Sicherstellung
des Energiezugangs für alle, ist ein weiterer wichtiger
Schritt. Erfreulich ist, dass die Grünen in ihrem Antrag
die Position vertreten, dass ein armutsfester gesetzlicher
Mindestlohn eingeführt und die Hartz-IV-Regelsätze angehoben werden sollen. Diese Maßnahmen sind notwendig und tragen auch zur Bekämpfung von Energiearmut
bei. Allein in NRW wurde im letzten Jahr 59 000 Privathaushalten der Strom zumindest teilweise abgestellt. Wir
sind allerdings der Meinung, dass diese Maßnahmen
dringend durch die Bereitstellung von kostenfreien
Stromkontingenten und die Einführung eines Sozialtarifs
ergänzt werden müssen.
Energie für alle, bezahlbar, sicher und ökologisch erzeugt, ist nur durch Entmachtung der großen vier und
eine Rekommunalisierung der Stromversorgung möglich.
Danke.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Franz Obermeier,
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „Das Energiekartell aufbrechen - Für Klimaschutz,
Wettbewerb und faire Energiepreise“ lautet der Titel des
Antrags der Grünen. Arbeiten wir einmal auf, was zu fairen Energiepreisen gehört. Der Antrag befasst sich in
erster Linie mit Strom; also nehmen wir exemplarisch
die Strompreise.
Bei der Stromerzeugung fallen zunächst einmal Produktionskosten an. In Deutschland ist die Erzeugung
von Strom mithilfe von Kohle, insbesondere Braun- und
Steinkohle, sowie Kernenergie am preiswertesten. Aus
beiden Stromerzeugungsverfahren möchten die Grünen
aussteigen. Das hätte zur Folge, dass teurere Produktionsmethoden die bisherigen substituieren müssen. Das
ist so. Derzeit liegen die Produktionskosten für Strom
aus Kohle oder Kernenergie zwischen 4 und 5 Cent pro
Kilowattstunde. Bei den anderen Produktionsmethoden
liegen die Kosten aber teilweise um ein Vielfaches höher. Sie müssen der Bevölkerung also erklären, was Sie
vor diesem Hintergrund unter „fairen Energiepreisen“
verstehen.
Das Zweite sind die Übertragungskosten, also die
Netzkosten. Diese Netzkosten stehen in letzter Zeit - zu
Recht - sehr stark in Rede. Darauf hat die Regierung reagiert und dem Kartellamt und der Bundesnetzagentur
bei ihren Bemühungen, sich verstärkt um diesen Punkt
zu kümmern, den Rücken gestärkt. Frau Höhn, Sie haben den Bundeswirtschaftsminister Michael Glos völlig
zu Unrecht kritisiert. Er hat nämlich als Erster mit Macht
darauf gedrängt, die Preisgestaltung bei den Netzkosten
unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten zu untersuchen.
Das zeitigt bereits Erfolge. Denn die Bundesnetzagentur
hat, wie wir alle wissen, schon die ersten Bescheide entsandt, zur Entlastung unserer Verbraucher.
Der Bundeswirtschaftsminister ist im Gegensatz zu
seinem Vorvorgänger nicht dafür verantwortlich, dass
wir bei der Gasversorgung ein echtes Kartell haben. Verantwortlich ist jemand, der in der Regierung saß, an der
Sie von den Grünen beteiligt waren. Jetzt kommen Sie
auf uns zu und werfen uns vor, dass es beim Netz ein
Kartell gibt.
({0})
Es ist scheinheilig, Frau Höhn, was Sie hier betreiben.
Sie hätten während Ihrer Regierungszeit die Möglichkeit
gehabt, diese Dinge zu unterbinden.
Dann haben wir bei der Strompreisgestaltung als dritten großen Block den staatlich induzierten Teil. Fangen
wir einmal mit der Ökosteuer an. Die Ökosteuer macht
beim Endverbraucher immerhin 5 bis 6 Cent pro Kilowattstunde Strom aus. Wer hat denn die Ökosteuer eingeführt? Das waren Sie.
({1})
Sie haben die Ökosteuer eingeführt. Sie haben die
Zweckentfremdung solcher Einnahmen für die Rentenversicherung induziert. Sie haben das veranlasst.
({2})
Sie sind die Preistreiber auf dem Stromsektor. Das muss
man der Öffentlichkeit sagen. Wer hat denn die Kosten
erhöht?
Übrigens, Frau Lötzer, die beiden Vertreter der Energiekonzerne gestern haben nicht gesagt, der Gesetzgeber
solle ihnen den Weg öffnen, damit sie leicht Netze bauen
könnten, sondern sie haben gesagt, dass sie eine gesetzliche Regelung wollen, damit sie überhaupt Netze bauen
können. Das wird das nächste Problem.
Im Übrigen ist diese ganze Situation auch preistreibend. Dies alles zahlt der Verbraucher. Diese staatlich induzierten Kosten nehmen ja einen erheblichen Teil ein.
Da darf man nicht zu laut schreien; denn wir sind mit unserer Mehrwertsteuererhöhung daran beteiligt.
({3})
- Das gehört mit zur Wahrheit. Davor scheue ich nicht
zurück.
Aber der Hauptteil besteht darin, dass die Vorgängerregierung - daran waren Sie von den Grünen beteiligt einen großen Block auf die Stromkosten obendrauf gesetzt hat. Ich bin ein harter Brocken. Im Jahr 2000 haben
wir in der Energie-Enquete-Kommission furchtbar über
die Frage gestritten, ob der Weg richtig ist, dass man die
Strompreise so erhöht, dass der Stromverbrauch in
Deutschland zurückgeht. Die alte Strategie der Grünen,
dass man die Energiepreise nur genügend erhöhen muss,
damit der Verbrauch insgesamt zurückgeht, war Ihre Politik. Heute beschweren Sie sich in Ihrem Antrag über
die hohen Preise.
({4})
Dies lassen wir Ihnen nicht durchgehen.
({5})
Wir wehren uns mit Händen und Füßen dagegen, dass
Sie vor der Öffentlichkeit eine Politik betreiben, die irreführend ist und mit den Realitäten überhaupt nichts zu
tun hat.
Herr Kollege Obermeier, die Frau Kollegin Kopp
würde gerne eine Zwischenfrage stellen.
Selbstverständlich, Frau Kopp.
Vielen Dank, Herr Kollege Obermeier. - Sie haben
eben selbstkritisch gesagt, dass Sie, die Regierung,
durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer einen Anteil
daran haben, dass die Energiepreise in die Höhe getrieben worden sind. Ich finde es fair und richtig, dass Sie
das sagen. Sind Sie bereit, zu beantworten, was der Sinn
der Erhebung der Mehrwertsteuer auf den Energieverbrauch ist, der zuvor schon durch andere Steuern belegt
ist? Ich nenne als Beispiel die Produktpreise bei den
Energieformen Gas und Strom. Darauf wird die Gassteuer bzw. die Stromsteuer erhoben, und darauf erhebt
die Regierung noch einmal die Mehrwertsteuer. Das ist
ein Gesamtkostenblock von 14 Milliarden Euro. Halten
Sie es für gerechtfertigt, eine Mehrwertsteuer auf bereits
mit Steuern belastete Produkte zu erheben?
Sie fragen, ob ein solches Vorgehen gerechtfertigt ist.
Sie wissen doch ganz genau, wie die Mehrwertsteuer zustande gekommen ist.
({0})
Es ging in erster Linie um die Belange der Länder.
({1})
- Selbstverständlich ist es in erster Linie um die Sanierung der Länderhaushalte gegangen. Die entsprechenden
Erfolge gibt es schon.
({2})
Die Doppelbesteuerung ist ein Faktum. Aber nehmen
Sie bitte auch zur Kenntnis, Frau Kopp, dass dieser
Punkt sicherlich nicht entscheidend ist. Der entscheidende Punkt bei der Preisgestaltung im Energiesektor ist
vielmehr, dass es eine Fülle von Begleitmaßnahmen
gibt, die sich auf der Produktionsseite wesentlich stärker
kostentreibend auswirken als die Mehrwertsteuererhöhung und die Belastung beispielsweise durch die Gassteuer.
Ich möchte noch etwas zur Strategie sagen und darstellen, wie widersprüchlich der Antrag der Grünen ist.
Was den Bereich der Stromproduktion mit Kohle angeht,
haben wir die Situation, dass die Investoren die Absicht
haben, alte Kohlekraftwerke mit einem Wirkungsgrad
von 35 bis 38 Prozent durch neue Kohlekraftwerke mit
einem Wirkungsgrad von rund 50 Prozent zu ersetzen.
({3})
- Entschuldigung, Frau Höhn, da müssen Sie mir überhaupt nichts sagen; davon verstehe ich garantiert mehr
als Sie.
({4})
Die Folge Ihrer Strategie wäre - das muss man wissen, wenn man über Energiepreise redet -, dass die alten
Kohlekraftwerke mit einem schlechten Wirkungsgrad
am Netz blieben und dabei hohe Kosten für Emissionszertifikate verursachten. Diese Kosten würden wiederum
auf die Verbraucher umgelegt. Diese Strategie würde
also dazu führen, dass die Stromkosten weiter stiegen.
({5})
Die Stromerzeuger könnten höhere Preise rechtfertigen.
({6})
Ich sage in aller Offenheit: Ob der von der Bundesregierung eingeschlagene Weg letztendlich zu den in der
Klimapolitik vorgegebenen Zielen führen wird, Frau
Kopp, muss man einmal abwarten. Auch ich bin mir da
nicht ganz sicher. Wir müssen jetzt wesentliche Maßnahmen einleiten. Dazu gehört zum einen eine komplette Modernisierung des Kraftwerkparks einschließlich
der Anlagen für erneuerbare Energien. Wir müssen mit
Macht darauf drängen, dass wir die modernsten Technologien für die Stromproduktion haben. Ich nenne zum
anderen die Effizienzstrategie. Da sind wir auf einem
guten Weg. Es ist offensichtlich, wie gut die KfW-Programme mittlerweile angenommen werden.
({7})
- Natürlich gibt es sie noch. - Angesichts der Tatsache,
dass diese Programme gut laufen, bin ich sicher, dass unsere Strategie erfolgreich ist.
Ob wir aber die Klimaschutzziele erreichen, wenn es
bei dem vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie
bleibt, ist nicht sicher. An dieser Stelle kann ich an die
Kolleginnen und Kollegen der SPD nur appellieren:
Wenn Sie schon den Ausstieg aus der Kernenergie partout wollen, dann lassen Sie uns doch miteinander darüber reden, ob es nicht eine zeitliche Verzögerung beim
Ausstieg geben kann. Mit der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke könnten wir die Zeitspanne, bis
die erneuerbaren Energien und Effizienzsteigerungen die
Lücke füllen können, überbrücken. Das ist mein Petitum
zum Abschluss.
Ich bin froh, dass wir in der Energiepolitik schon so
weit sind. Ich bin überzeugt, dass wir bald mit den Kolleginnen und Kollegen der SPD über die Frage der Verlängerung der Laufzeiten für Kernkraftwerke reden können.
Vielen Dank.
({8})
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Andreae
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Energieversorgung ist Daseinsvorsorge, und
zwar für die Menschen und für die Wirtschaft. Wir brauchen eine sichere und verlässliche Energieversorgung.
Energie muss aber auch bezahlbar sein. Frau Höhn hat
schon darauf hingewiesen, wie sich die Preise entwickelt
haben, aber auch darauf, wie sich parallel dazu die Gewinne der Energieversorgungsunternehmen entwickelt
haben. Das sind keine fairen Preise mehr.
({0})
Es gibt zwei Gründe für steigende Preise. Der eine
Grund ist der Ressourcenverbrauch; denn knappe Ressourcen bedeuten höhere Preise. Die Ölpreise von heute
waren für uns vor ein paar Jahren noch undenkbar. Wir
müssen damit rechnen, dass sie weiter steigen werden;
denn was knapp wird, wird teurer. Ungezügelter Energieverbrauch heißt auch hoher Ressourcenverbrauch.
Das ist teuer, schädlich für die Umwelt und Ursache für
den Klimawandel. Das ist der Hauptgrund, warum wir
sagen: Wir brauchen eine Energiewende; wir brauchen
ein Umsteuern in Richtung erneuerbarer Energien.
Welche Situation haben wir jetzt? Der Energiemarkt
wird von den vier großen Energieversorgungsunternehmen dominiert. In Sachen Energiewende sind diese Unternehmen keine Verbündeten. Sie forcieren die erneuerbaren Energien nicht. Deswegen müssen wir uns
überlegen, wie wir die erneuerbaren Energien voranbringen können. Eine Möglichkeit ist, das Energiekartell
aufzubrechen.
({1})
Die vier großen Energieversorgungsunternehmen haben die Marktmacht inne. Sie kontrollieren die Kraftwerke, den Stromabsatz, und vor allem befinden sich die
Übertragungsnetze in ihrem Eigentum. Warum ist das
ein Problem? Mangelnder Wettbewerb erschwert den
Marktzugang. Die Energieversorgungsunternehmen erschweren neuen Anbietern den Marktzugang. Wir brauchen aber mehr Dynamik, mehr Anbieter, stärker dezentrale Versorgungsstrukturen und einen neutralen und
diskriminierungsfreien Netzzugang.
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Der Herr
Kollege Meyer möchte gerne eine Zwischenfrage stellen.
Bitte.
Sie haben gesagt, dass die in diesem Bereich exorbitant hohen Gewinne ausschließlich mit der traditionellen
Stromerzeugung zusammenhingen und sich das geben
würde, wenn man auf neue, alternative Modelle umsteigen würde. Haben Sie die Kapitalverzinsung und die
Umsatzrenditen im Bereich der traditionellen Energieerzeugung einmal berechnet und mit den Umsatzrenditen verglichen, die im Bereich der Fotovoltaik erwirtschaftet werden?
({0})
Wenn Sie sich die Berichte in den Wirtschaftsteilen
der Zeitungen anschauen, können Sie feststellen, dass
die Fotovoltaikunternehmen, die diesen Bereich in
Deutschland stützen, im letzten Jahr eine Umsatzrendite
von 45 Prozent verzeichnen konnten. Wir sind uns hier
eigentlich alle einig, dass eine Eigenkapitalverzinsung in
Höhe von 20 Prozent bei der Deutschen Bank ein ziemlich hoher Wert ist. Angesichts einer Umsatzrendite von
45 Prozent bei Fotovoltaikunternehmen muss ich jedoch
sagen: Wir haben noch eine ganze Menge Arbeit vor
uns, ehe die Preise für die Verbraucher akzeptabel sind.
In den Fachzeitschriften der Fotovoltaikindustrie können Sie nachlesen, dass der Preis für 1 Watt auf dem
Weg vom Produzenten zum Verbraucher von 82 Cent auf
2,52 Euro steigt. Angesichts dessen frage ich mich, worauf Sie Ihre These stützen, dass sich die Rendite der Unternehmen durch einen Umstieg von Kohle- und Kernenergie auf zum Beispiel Fotovoltaik ändern würde. Im
Moment scheint es eher so zu sein, dass sie dadurch
deutlich steigen würde.
Sehr geehrter Herr Kollege, ich habe nicht gesagt,
dass ein neuer Energieanbieter per se niedrigere Preise
anbietet. Ich sage übrigens auch nicht, dass mehr Wettbewerb zwangsläufig zu sinkenden Preisen führt. Das
haben Sie angeführt. In der Anhörung wurde klar, dass
es dafür keine Belege gibt.
Wir können aber erkennen, dass mangelnder Wettbewerb in den letzten Jahren zu diesen enormen Preissteigerungen geführt hat.
({0})
Wir können sehen: Mangelnder Wettbewerb führt zu
steigenden Gewinnen, die nicht mehr im Verhältnis zu
den steigenden Preisen, die von den Verbraucherinnen
und Verbrauchern gezahlt werden, stehen.
({1})
Deswegen bleiben wir dabei: Mangelnder Wettbewerb
führt zu steigenden Preisen.
({2})
Das ist im Übrigen unabhängig davon, ob es ein konventioneller oder ein alternativer Energieanbieter ist. Wir
haben dieses Preisproblem. Wir brauchen Instrumente,
um dieses Preisproblem zu lösen. Ein Instrument ist, das
Energiekartell aufzubrechen, Herr Meyer.
({3})
Ein Hauptpunkt - da haben die Grünen die Europäische Union von Anfang an unterstützt - ist das Ownership-Unbundling. Es ist aus unserer Sicht richtig, die
eigentumsrechtliche Entflechtung hier voranzubringen.
Seit dem 28. Februar 2008 ist Bewegung in die Situation
gekommen, weil Eon selber gesagt hat, dass sie ihre
Übertragungsnetze hergeben. Übrigens am gleichen Tag
hat Wirtschaftsminister Glos in der EU weiterhin für den
dritten Weg plädiert. Ich sage Ihnen: Die EU zu unterstützen, ist der richtige Weg, um auf diesem Markt voranzukommen. Wir brauchen eine Entflechtung von Infrastruktur und Energieversorgung. Die Energienetze
sind unsere große Systeminfrastruktur. Das ist zum Beispiel mit dem Schienennetz der Bahn vergleichbar; hier
haben wir große Sorge, was Sie entwickeln.
Wenn wir sagen, Energieversorgung sei Daseinsvorsorge, und Daseinsvorsorge und Energieversorgung
brauchen ein funktionierendes Netzsystem, dann weise
ich auf Folgendes hin - deswegen habe ich gestern in der
Anhörung über ein Modell gesprochen, das wir meiner
Meinung nach in die Diskussion einbringen müssen -:
Sie müssen Kriterien entwickeln, wer diese Netz AG
- oder wie auch immer Sie es nennen wollen - irgendwann verwaltet, wer die Netze besitzt und wie die Politik
dieser Netz AG ausgestaltet sein muss. Darüber müssen
Sie sich Gedanken machen.
Sich heute immer noch darüber Gedanken zu machen,
dass die Entflechtung nicht kommt, ist rückwärtsgewandt. Ich bin ziemlich sicher - das haben wir schon vor
längerer Zeit gesagt -, dass die Entflechtung kommt. Die
EU wird sich an dieser Stelle durchsetzen. Deswegen
lassen Sie das mit dem dritten Weg. Es ist Energieverschwendung, den dritten Weg weiter zu forcieren. Überlegen Sie sich vielmehr, wie das Ganze künftig ausgestaltet sein soll.
({4})
Natürlich brauchen wir Regulierung. Wir brauchen
das Kartellamt und starke wettbewerbsrechtliche Regelungen auf diesem Markt. Wir brauchen im Übrigen vor
allem das Unbundling. Denn wenn Sie die Netz AG gestalten, dann darf einer, der Investor in der Netz AG ist,
nicht gleichzeitig Erzeuger sein. Also stimmt die Vorstellung, dass Gasprom dann zum Teil unsere Netze
quasi in der Hand hätte, nicht, weil Gasprom als Energieerzeuger nicht Netzbesitzer sein kann.
Aber ich glaube, dass wir uns über Folgendes Gedanken machen sollten: staatliche Interessen, Investitionen
in die Netze, Wartung der bestehenden Netze, Ausbau
eines europäischen Energiebinnenmarktes, Ausbau der
Grenzkuppelstellen und Aufbau einer noch effizienteren
Regulierung. Wir sollten hier nicht nur über die Variante
„nur privat“ und im Übrigen überhaupt nicht über die
Variante „nur staatlich“ reden. Vielmehr sollten wir darüber reden, ob es Zwischenmodelle gibt. Das ist die Position, die wir in die Diskussion einbringen wollen.
({5})
Es spricht für mich viel dafür, das private Know-how
und das private Kapital, das bei den Energieversorgungsunternehmen vorhanden ist, zu nutzen und in Anspruch
zu nehmen. Es spricht auch viel dafür, sich Gedanken
darüber zu machen, wie wir die staatliche Aufgabe zur
Leistung einer der großen Systeminfrastrukturen, einer
der Lebensadern unserer Volkswirtschaft, gestalten und
mit welchen Kriterien wir sie unterlegen wollen. Wir
sollten uns sehr genau Gedanken darüber machen, wie
wir unsere Netze in Deutschland in Zukunft verwalten
und gestalten wollen. Wir sollten auf europäischer Ebene
nicht den dritten Weg forcieren, dessen Grab quasi schon
geschaufelt ist.
Ich bitte Sie ganz dringend, sich hier für mehr Wettbewerb einzusetzen, dem Energiekartell entgegenzustehen, sich für faire Preise einzusetzen, Marktmacht zu
verhindern, die Verbraucher zu schützen und das Primat
der Ökologie in den Vordergrund zu stellen. Hierauf sollten Sie Ihre Energie verwenden und nicht auf Modelle,
die keine Zukunft mehr haben.
Vielen Dank.
({6})
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Ulrich
Kelber.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Viele private Haushalte und viele Unternehmen
in unserem Land bekommen in diesen Tagen Briefe von
Energieversorgern oder von Vermieterinnen und Vermietern. Die Briefe der Energieversorger sind in der Regel
durch eine deutliche Tariferhöhung gekennzeichnet, die
übrigens weit über den Prognosen zum Beispiel der Internationalen Energieagentur und weit über dem liegen,
was wir als Politiker noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten haben.
Viele Mieterinnen und Mieter bekommen in denselben Tagen Rechnungen über Nachzahlungen für den
Energieverbrauch, weil der Einkauf von Heizöl und
Erdgas sehr viel teurer geworden ist, als bei der Berechnung der Vorauszahlungen für ihre Mietnebenkosten angenommen wurde. Die Energiepreise sind zu einer Belastung geworden. Sie sind für viele private Haushalte
nicht mehr oder nur noch unter stärksten Einschränkungen zahlbar. In zahlreichen kleinen und mittelständischen Unternehmen werden sie zu einem Faktor, der
Wachstum begrenzt und Arbeitsplätze gefährdet.
Der Anstieg der Energiepreise hat sich in den letzten
drei Jahren enorm beschleunigt. Es ist richtig, auf die
Gründe für diesen Anstieg zu schauen. Es gibt drei wesentliche Gründe, auf die dieser Anstieg zurückgeht.
Als erstes muss man natürlich die Frage nach dem
staatlichen Anteil an den Energiepreisen stellen.
({0})
Natürlich hat die Mehrwertsteuererhöhung und natürlich
haben leicht gestiegene Abgaben als Folge von Fördergesetzen zu höheren Energiepreisen geführt. Es gibt allerdings zwei wesentliche Unterschiede zu den beiden
anderen Gründen des Preisanstiegs. Erstens sind die Fördermaßnahmen teilweise Bestandteil von Programmen,
die ihrerseits die Energiekosten senken sollen, indem
mehr Wettbewerb entsteht. Sie kommen den Energiekunden also an anderer Stelle wieder zugute, ganz anders als die gestiegenen Gewinnmargen der Energiekonzerne. Zweitens ist der staatliche Anteil an den
Energiepreisen in den letzten zwei Jahren wieder gesunken, weil die Preissteigerungen der Privaten weit höher
waren als die staatlichen Belastungen.
Ich will das einmal am Beispiel des Benzins, nicht
des Stroms, deutlich machen, weil es dazu vor kurzem
einen Vorschlag des geehrten Kollegen Westerwelle gegeben hat. Er hat gesagt, der Staat habe an den Benzinpreisen einen Anteil von 75 Prozent. Ich habe das einmal
überprüft und herausgefunden, dass der Kollege
Westerwelle ein ausgesprochen gutes Gedächtnis hat. Er
hat nämlich fast auf den Prozentpunkt genau den staatlichen Anteil im Jahr 1998 in Erinnerung gehabt, dem
letzten Jahr der FDP-Regierungsbeteiligung. In der Zwischenzeit - das waren einige Jahre unter Rot-Grün und
alles Jahre mit SPD-Regierungsbeteiligung - ist der
staatliche Anteil von 75 Prozent auf 60 Prozent gesunken.
({1})
- Wir können das gemeinsam nachrechnen, das ist ziemlich einfach nachzuvollziehen.
Die zweite Ursache sind die steigenden Weltmarktpreise. Die Politik muss den Menschen deutlich sagen,
dass sie sie vor steigenden Weltmarktpreisen kaum
schützen kann. Wir können höchstens etwas bei der Diversifizierung der Liefergebiete machen. Aber eigentlich
sind wir - auch im Rahmen der Europäischen Union viel zu klein, um etwas gegen steigende Weltmarktpreise
unternehmen zu können. Allerdings können wir helfen,
den Energieverbrauch zu senken, was dazu führt, dass
man von den teurer werdenden Energieträgern weniger
importieren muss. Dabei können wir helfen, und darauf
müssen wir uns in der Politik konzentrieren.
Das ist sehr gut mit den Anstrengungen beim Klimaschutz kompatibel. Denn fast jede Anstrengung beim
Klimaschutz läuft darauf hinaus, weniger von den treibhausgasemittierenden Energieträgern zu verbrauchen.
Indem wir die Unternehmen und privaten Haushalte dabei unterstützen, weniger Energie zu verbrauchen, wird
einer der beiden Faktoren der Energierechnungen gesenkt.
Der dritte und wichtigste Grund ist das Oligopol auf
unserem Energiemarkt, das es bei der Gas- und bei der
Stromversorgung gibt. Es ist gerade gesagt worden, dass
die Gewinne der vier großen Strom- und Gasversorger in
den letzten Jahren von 6 Milliarden Euro auf 18 Milliarden Euro gestiegen sind. Herr Kollege Meyer, ich hätte
mich gefreut, wenn Sie die gleiche Frage, die Sie Frau
Andreae gestellt haben, auch mir gestellt hätten; denn
ich habe eine Antwort darauf. Es gibt mehrere Zehntausend Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland,
die sich mit Solarenergie beschäftigen. Sie haben gerade
vereinfachend die hohen Renditen von lediglich zwei
dieser mehreren Zehntausend Unternehmen genannt.
({2})
Sie sind zum Beispiel nicht darauf eingegangen, dass ein
Handwerker heutzutage eine Rendite von 2 Prozent hat,
wenn er eine Solaranlage installiert.
({3})
Es gibt außerdem einen wesentlichen volkswirtschaftlichen Unterschied. Während die beiden Unternehmen,
die Sie genannt haben, die Gewinne jedes Jahr reinvestieren, um eine jährliche Verdoppelung der Kapazitäten
zu erreichen, werden die 18 Milliarden Euro Gewinn der
großen Energiekonzerne nicht, wie in den letzten Jahren
versprochen, in neue Kraftwerke und die Modernisierung der Netze investiert, sondern sie werden ausgeschüttet. Jedes Jahr gibt es eine neue Ausrede, weshalb
man die Gewinne behalten müsse und sie nicht, wie versprochen, investiere.
({4})
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, selbstverständlich.
Vielen Dank, Herr Kollege Kelber, dass Sie die Frage
zulassen. - Sind Sie bereit, zu bestätigen, dass es in der
Solarbranche in Deutschland 35 000 Arbeitsplätze gibt
und dass die Stromkunden über die hohen Abgaben und
Steuern auf Energie 153 000 Euro pro Arbeitsplatz pro
Jahr mitfinanzieren? Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu
nehmen?
Ich nehme zunächst einmal zur Kenntnis, dass Sie
eine Studie des RWI gelesen haben, zumindest Ausschnitte daraus bzw. die Zusammenfassung für Entscheidungsträger,
({0})
wie wir alle es häufig tun müssen, wenn eine Studie
mehrere 100 Seiten lang ist.
({1})
Aber - jetzt kommt der Punkt - wo hat diese Studie
recht? Es fängt damit an, dass darin falsche Arbeitsplatzzahlen zugrunde gelegt werden. Man tut so, als seien die
Preise, die Sie gerade genannt haben, Preise pro Jahr.
Dabei wurden diese Preise über 30 Jahre hochgerechnet.
In dieser Studie wird beim Strom aus fossilen Energieträgern eine Preissteigerung in Höhe von 3 Prozent
angesetzt. In den letzten Jahren betrug die Preissteigerung allerdings 8 Prozent. Außerdem wird eine Senkung
der Vergütung der Kosten für Fotovoltaik in Höhe von
5 Prozent angenommen. Die Koalition wird aber auf jeden Fall eine von 8 Prozent beschließen; das ist ein Vorschlag der Regierung.
Darüber hinaus wird in dieser Studie ein weiterer
eklatanter Fehler gemacht: Die größten Zubauzahlen
werden für die Jahre nach 2015 prognostiziert. In der
Studie heißt es, das werde besonders teuer. Aber im
Jahre 2015 wird nach den Beschlüssen, die die Bundesregierung vorbereitet hat und die Große Koalition bis zur
Sommerpause fassen wird, der Strom aus einer
Fotovoltaikanlage unter deutschen Verhältnissen billiger
sein als der Strom aus der Steckdose. Das wird der Zeitpunkt sein, zu dem jemand, der eine Fotovoltaikanlage
installiert, keine EEG-Vergütung mehr in Anspruch nehmen wird, sondern dafür sorgen wird, dass er den teuren
Strom von RWE, Eon & Co. nicht mehr beziehen muss.
Das ist der Augenblick, in dem der Boom erst richtig
losgehen wird.
Deswegen ist die Studie des RWI, was die Kosten betrifft, falsch, und zwar um den Faktor 15. Was die Zahl
der Arbeitsplätze, die entstehen sollen, angeht, liegt sie
sogar um ein Vielfaches daneben. Roland Berger zum
Beispiel geht von 200 000 Arbeitsplätzen und nicht von
35 000 Arbeitsplätzen aus.
({2})
Wie Sie sehen, habe ich die Studie ausführlicher gelesen,
als Sie es vermutlich getan haben.
({3})
Viel spannender ist dieses Thema, wenn man nicht die
Angaben verwendet, die RWE, Eon und Vattenfall in ihrer Öffentlichkeitsarbeit machen, sondern wenn man
sich ansieht, welche Informationen die Unternehmen
verbreiten, wenn sie ganz andere Ansprüche bedienen
müssen. Ein Beispiel ist die Jahresbilanzpressekonferenz
von Vattenfall in Stockholm.
({4})
- In Stockholm war ich schon einmal. Auf dieser Jahresbilanzpressekonferenz war ich aber leider nicht. Ich bin
nicht eingeladen worden, Herr Pfeiffer. ({5})
Dort hieß es, dass zwei Drittel des Gewinns dieses Unternehmens aus Deutschland stammen, weil man in
Deutschland im Stromgeschäft besonders hohe Margen
erzielen kann. Dasselbe Unternehmen erzählt uns, die
Preise seien in Deutschland aufgrund der hohen Abgaben so hoch. In Schweden hingegen sagt man, in
Deutschland seien besonders hohe Margen zu erzielen.
Man sollte sich auch einmal die entsprechenden Folien besorgen, die gezeigt werden, wenn RWE in London Finanzinvestoren dazu motivieren will, in die Aktien des Unternehmens zu investieren. Auf ihnen steht
nämlich, dass in 80 Prozent der Kraftwerke Strom für
weniger als 2 Cent produziert wird und dass man Kraftwerke vom Markt genommen hat, um eine höhere Marge
erzielen zu können. Das steht auf den Folien dieses Unternehmens. Das hört sich anders an als das, was in den
Pressemitteilungen steht, die dieses Unternehmen in
Deutschland verbreitet.
Die Politik kann dennoch einiges tun. Wir können
dazu beitragen, dass von den teuren Energieträgern weniger verbraucht wird. Die Stichworte lauten: erneuerbare Energien, Gebäudedämmung und sparsamere Verwendung. Ich hoffe nach wie vor, dass wir in
Deutschland mit aller Kraft gemeinsam daran arbeiten,
auf europäischer Ebene das Top-Runner-Programm zu
verankern.
Dann können wir in Zukunft verlangen, dass man sich
bei allen Instrumenten, Maschinen und Geräten, die verkauft werden, am Besten orientieren muss und dass fünf
Jahre später nur noch Geräte verkauft werden dürfen, die
mindestens so energieeffizient sind wie die besten Geräte fünf Jahre zuvor. Damit würden wir einen Wettlauf
der Ingenieure auslösen, der im Interesse der Geldbeutel
der Verbraucherinnen und Verbraucher wäre und zu ungeahnten Ergebnissen führen würde. Wer weniger Klimaschutz will, der lässt die Verbraucherinnen und Verbraucher mit den steigenden Energiekosten allein.
Viele Umstände werden dazu führen, dass wir nie
wieder niedrige Energiepreise haben werden. Die Frage
ist: Schaffen wir es, zu fairen Energiepreisen zu gelangen?
Wer dazu einen Beitrag leisten will, der muss sich mit
dem Oligopol auf dem Energiemarkt befassen. Denn es
ist die Situation eingetreten, dass die Renditen im liberalisierten Markt höher sind, als es die Renditen vor dem
Jahr 1998 in einer regionalen Monopolsituation waren.
Das war nicht der Gedanke, der hinter der Liberalisierung stand. Deswegen sind wir darauf angewiesen, jede
einzelne politische Maßnahme zu überprüfen: Stärkt sie
das Oligopol, oder bricht sie das Oligopol auf? Ich
pflichte dem Bundeswirtschaftsminister bei, wenn er
sagt: Wir brauchen als Erstes mehr Kapazität auf dem
Markt. Das ist richtig. Aber wir brauchen auch mehr
Wettbewerber auf dem Markt, wir brauchen mehr Unternehmen auf dem Markt. Dafür braucht es eine ordnungspolitische Vorgabe, wie viel Marktdominanz wir, die Politik, zu akzeptieren bereit sind und wo wir, wie in
anderen Bereichen der Wirtschaft, gegen Marktdominanz Maßnahmen ergreifen.
Bei vielen Maßnahmen kann man relativ schnell
prüfen, ob sie sinnvoll sind. Eine Stärkung der Stadtwerke zum Beispiel ist sinnvoll, weil sie mehr Wettbewerb bringt. Wir sind dazu aufgerufen, bei allen Energiewirtschaftsgesetzen auf die Bedingungen, zu denen die
Stadtwerke arbeiten müssen, stärker zu achten. Wir brauchen ein Gesetz zur Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung. Bei der Kraft-Wärme-Kopplung treten fast immer
regionale, kleine Wettbewerber gegen die Oligopolisten
an. Eine Förderung der erneuerbaren Energien ist ebenfalls sinnvoll. Sinnvoll ist auch, wenn im Energiesektor
ab 2013 100 Prozent der Zertifikate versteigert werden,
damit es im Emissionshandel nicht länger Wettbewerbsverzerrungen gibt.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag, bei der zweiten
Emissionshandelsphase nachträglich Abschöpfungen vorzunehmen. Sie wissen, dass das schwierig ist. Als ich in
meinem Archiv gekramt habe, habe ich den Brief gefunden, den ich damals als Berichterstatter Klimaschutz an
Umweltminister Jürgen Trittin geschrieben habe und in
dem ich vor der Verabschiedung der Emissionshandelsrichtlinie nachgefragt habe: Besteht nicht die Gefahr,
dass den Energiekonzernen ungerechtfertigte Gewinne
entstehen? Antwort des damaligen Umweltministers:
Diese Gefahr sehe er nicht.
Wir müssen jetzt gemeinsam an der Richtlinie für die
dritte Emissionshandelsperiode arbeiten. Die Gefahr ungerechtfertigter Gewinne ist erst dann gebannt, wenn
100 Prozent der Zertifikate auktioniert werden. Wir können die entsprechenden Einnahmen nutzen, um die Energiekosten der Haushalte zu senken.
Wir diskutieren immer wieder über eine Verlängerung
der Laufzeit der Atomkraftwerke. Das ist eine Maßnahme, die für mehr Wettbewerb schädlich wäre.
({6})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel verdeutlichen:
Wenn sich ein regionaler Wettbewerber überlegt, ein
Kraftwerk zu bauen, muss der Aufsichtsrat den Eigentümern erklären, was für eine Rendite zu erwarten ist.
Wenn die jetzige Politik fortgesetzt wird, wenn
100 Prozent der Zertifikate auktioniert werden, wenn bestimmte Nutzungsrechte eingeschränkt werden, ist eine
Rendite von 11 Prozent zu erwarten. Vielen Finanzinvestoren wäre das zu wenig; aber ein regionaler Betreiber ist bereit, für eine Rendite von 11 Prozent zu investieren. Eine Folie weiter wird betrachtet, wie die Rendite
aussieht, wenn die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert wird. Dann sinkt diese Rendite auf unter 4 Prozent,
und das neue Kraftwerk ist nicht mehr refinanzierbar.
Das heißt, die Entscheidung eines Unternehmens, ob es
in Deutschland in den Markt einsteigt und durch Konkurrenz für niedrigere Energiepreise sorgt, steht und fällt
damit, ob die Bundesregierung die Atomkraftwerke - die
hoch subventioniert waren und längst abgeschrieben
sind und noch heute von der Allgemeinheit subventioniert werden ({7})
abschalten lässt, wie es vorgesehen ist. Sonst bleibt es
bei der Monopolrendite, sonst bleiben 80 Prozent der
Stromproduktion in den Händen von vier Unternehmen.
Wir sind es also, die entscheiden, ob Unternehmen in
den Wettbewerb einsteigen oder nicht.
({8})
In den Anträgen der Grünen und der FDP stehen weitere Vorschläge für mehr Wettbewerb. Zum einen geht es
dabei um die Netze. Ich glaube, dass wir mit der Bundesnetzagentur auf einem guten Weg sind; allerdings
gibt es bei der Netzregulierung noch Ausreißer, wie ein
Beispiel aus meiner Heimatstadt Bonn zeigt.
In Bonn sind 60 Prozent des Netzes im Besitz der
Stadtwerke Bonn und 40 Prozent im Besitz von RWE.
Die Kunden werden von den Stadtwerken Bonn beliefert; RWE bekommt Netznutzungsentgelte gezahlt.
Nachdem die Bundesnetzagentur die Netzentgelte geregelt hat, darf RWE ein wesentlich höheres Netzentgelt
verlangen als die Stadtwerke Bonn. Das führt dazu, dass
die Stadtwerke Bonn RWE mit 4 Millionen Euro subventionieren. Ich kann nicht verstehen, wie so etwas das
Ergebnis einer Netzentgeltregulierung sein kann.
({9})
Im Jahr 1995 wurde rekommunalisiert, und die Stadtwerke haben Netze zurückgekauft. Wie kann die Bundesnetzagentur die Meinung vertreten, dass der Preis,
den die Stadtwerke damals gezahlt haben, zu hoch gewesen sei, und deshalb nicht anerkennen, dass die Stadtwerke die Netzentgelte zu senken haben, während die
RWE-Tochter mit dem Geld, das die Stadtwerke damals
gezahlt haben, Wettbewerb machen kann? Das kann
nicht das Ergebnis von Regulierung sein. Wir brauchen
eine Stärkung der Stadtwerke.
({10})
Die Grünen haben vorgeschlagen, Kraftwerksverkäufe und die Privilegierung neuer Wettbewerber zu
prüfen. Ich habe dafür eine persönliche Sympathie, aber
Sie machen an der Stelle einen Denkfehler: Sie kommen
damit vor Gericht nur durch, wenn Sie nachgewiesen haben, dass Sie vorher bei der Förderung von Wettbewerbern und der Ermöglichung des Zubaus an Kapazitäten
die notwendigen Maßnahmen ergriffen haben. So weit
sind wir nicht. Den Menschen zu erzählen, man könne
diese Maßnahmen jetzt ganz schnell ergreifen, ist
schlichtweg juristisch falsch.
Noch dazu kommen viele der neuen Wettbewerber zu
uns und sagen: Wenn ihr diese Privilegierung einführt,
dann nutzt sie uns nur in den ersten Jahren. Wissen wir
aber, ob ihr nicht nach fünf Jahren dem Nächsten dieses
Vorrecht gegenüber unseren Kraftwerken gebt, sodass
sich unsere Investition dann nicht mehr rechnet? - Sie
säen Misstrauen in den Markt, der im Augenblick leider
sehr diffizil ist und in dem die Investitionen nicht so gut
fließen, wie wir uns das wünschen.
Letzter Punkt. Die FDP schlägt die Absenkung der
Mehrwertsteuer vor. Ich finde das spannend. Mit Ausnahme der ersten und der letzten Erhöhung der Mehrwertsteuer waren Sie bei allen in der Regierung. Was
glauben Sie, wie viel von dieser Senkung RWE und Eon
wieder zurückgeben werden? Die Senkung der Mehrwertsteuer würde dem Gesamtbetrag entsprechen, der in
den letzten 18 Monaten aufgrund der Preiserhöhungen
der letzten Jahre mehr gezahlt werden musste. Diese
Entlastung würde innerhalb kürzester Zeit wieder aufgefressen werden. Dann gäbe es eine staatliche Unfähigkeit, den Menschen bei der Senkung des Energieverbrauchs zu helfen, weil wir die dazu notwendigen Gelder
unmittelbar in die Kassen der großen Energieversorger
umgelenkt hätten.
({11})
Ich glaube, wenn wir das Ordnungsrecht und die Klimaschutzinstrumente stringent anwenden, dann helfen
wir den Menschen sehr viel mehr als mit schnellen Sprüchen, weil wir für mehr Wettbewerb und weniger Energieverbrauch sorgen. Es gibt den alten Satz: Lieber viele
erfolgreiche kleine Schritte als einen großen Spruch.
Vielen Dank.
({12})
Nun hat der Kollege Martin Zeil für die FDP-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist in der Debatte deutlich geworden, dass
uns ein Ziel eint: Wir wollen mehr Wettbewerb.
({0})
In der Debatte geht es um die verschiedenen Wege und
Instrumente zu mehr Wettbewerb. Und Wettbewerb ist
dabei ja kein Selbstzweck. Wenn wir den Wettbewerb in
einer Marktwirtschaft richtig organisieren, dann kann
und muss er die soziale Funktion des Marktes zum
Ausdruck bringen.
Durch die gestrige Anhörung zum 3. BinnenmarktPaket der EU-Kommission wurden hinsichtlich des Themas Entflechtung offensichtlich unterschiedliche Wahrnehmungen ausgelöst. Es ist sicher deutlich geworden,
dass insbesondere die Entflechtung auf der Eigentumsebene Ultima Ratio sein kann und muss. Herr Kollege
Hempelmann, es war aber doch nicht so, dass alle gesagt
haben, wir brauchten keine Entflechtungsinstrumente.
Deswegen hat die FDP-Fraktion hier im Bundestag
- übrigens wie das Land Hessen im Bundesrat - einen
Gesetzentwurf vorgelegt, durch den der kartellrechtliche
Instrumentenkasten um das Instrument der Entflechtung
für alle verschiedenen Ebenen und Notwendigkeiten erweitert wird. Darüber sollten wir doch Einigkeit erzielen.
({1})
Bemerkenswert ist, dass jetzt gerade noch einmal von
Herrn Kollegen Kelber, aber vorhin auch von den Grünen auf die Monopole und Kartelle Bezug genommen
worden ist, die aufzubrechen seien. Während Ihrer letzten gemeinsamen Regierungszeit hatten Sie beispielsweise bei der Fusion von Eon/Ruhrgas ganz konkret Gelegenheit, die Bildung von Marktmacht zu verhindern,
aber Sie haben die Ministererlaubnis von damals zu verantworten.
({2})
Herr Kollege, interessant in der Debatte ist, dass die
Oppositionsparteien gerade im Verhältnis zur EU-Kommission versuchen, Modelle, über die man streitig diskutieren muss, und Konzeptionen vorzulegen, während
sich die Regierung in entscheidenden Fragen der Konzeption und der Umsetzung uneinig ist. Das hat ja auch
die heutige Debatte noch einmal gezeigt.
Herr Kollege Obermeier, weil Sie so stolz auf die
GWB-Novelle waren - von Herrn Kollegen Kelber ist
gesagt worden, es seien jüngst Briefe an die Bürgerinnen
und Bürger wegen einer Preiserhöhung verschickt worden -: Diese GWB-Novelle hat, wie wir das auch vorausgesagt haben, bisher in keiner Weise zu einer Preissenkung beigetragen.
({3})
Unser Vorwurf, dass es sich um eine Placebo-Gesetzgebung handelt, ist insofern bestätigt worden.
Was die Atomkraft angeht, hat Herr Kollege Kelber
gemeint, eine Laufzeitverlängerung führe zu höheren
Preisen. Es geht doch letztlich um eine Wettbewerbsfrage, Herr Kollege.
({4})
Es geht darum, ob es die Aufgabe der Politik ist, aus ideologischen Gründen eine Art der Energieerzeugung vom
Markt abzukoppeln und auszuschließen.
({5})
Damit verhindern Sie mehr Wettbewerb. Das Problem
besteht eben darin, dass Sie ideologisch verkrampft
Energiepolitik betreiben.
({6})
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zum Antrag
der Grünen. Sie haben sich für einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen, der armutsfest sein soll. Auch
dabei rate ich zu etwas mehr Glaubwürdigkeit. Sie haben
in Ihrer Regierungszeit - das war auch das erklärte Ziel alles getan, um Energie zu verteuern. Sie haben auf die
Energiepreise draufgesattelt. Dass Sie jetzt nach dem
Motto „Haltet den Dieb!“ den Mindestlohn einführen
wollen, ist nicht sehr glaubwürdig.
({7})
Wir brauchen auf jeden Fall mehr Wettbewerb. Ein
Weg dahin kann und muss die Einführung einer Entflechtungsnorm im Kartellrecht auf nationaler Ebene
sein. Wir wollen diesen Impuls auch auf die europäische
Ebene übertragen. Wir sollten uns gemeinsam bemühen,
auf nationaler Ebene zu einer gemeinsamen Initiative zu
kommen, um den Überlegungen auf EU-Ebene eine
klare deutsche Konzeption entgegensetzen zu können.
Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der
Kollege Hans-Kurt Hill.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Betrug an den Stromkunden in Deutschland hat System. Ohne Rücksicht wird den Verbraucherinnen und
Verbrauchern von den Energieunternehmen das Geld aus
der Tasche gezogen. Nun hat die Bundesnetzagentur ein
Missbrauchsverfahren gegen die vier Energiekonzerne
Eon, RWE, Vattenfall und EnBW eingeleitet. Es besteht
der konkrete Verdacht, dass die Monopolisten künstlich
teuren Strom erzeugen, obwohl billigere Energie im
Netz ist.
Vorausgegangen sind, wie wir wissen, zahlreiche
Überprüfungen, Kontrollen und Hausdurchsuchungen,
die von den EU-Behörden angestrengt wurden. Der Vorwurf ist der Missbrauch des Strommarktes durch das
Monopol. Die vier Energiekonzerne verteuern den
Strom künstlich, behindern den Ausbau erneuerbarer
Energien und kassieren bei den Stromkundinnen und
Stromkunden jährlich Milliarden Euro zu viel. Wir nennen das Diebstahl per Steckdose. Das muss ein Ende haben.
({0})
Doch was tut die Bundesregierung? Nichts! Was noch
viel peinlicher ist: Die EU-Kommission macht ihre Arbeit, aber was machen Sie, meine Damen und Herren
von der Regierung? Sie reden dem Energiekartell auch
noch das Wort und blockieren. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?
Auf der Seite der Bürgerinnen und Bürger offenbar
nicht.
({1})
Sie führen im Kanzleramt die üblichen Branchengespräche mit den Strombossen. Wir haben im Wirtschaftsministerium nachgefragt. Aber es wird nicht verraten,
was Gegenstand dieser Treffen ist. Wir fordern Sie auf,
das Parlament und die Verbraucherinnen und Verbraucher
in vollem Umfang über diese Gespräche zu informieren.
Das ist unser gutes Recht. Denn wer sich so verhält, sieht
sich zu Recht dem Vorwurf der Vetternwirtschaft ausgesetzt. Frau Höhn ist bereits darauf eingegangen.
({2})
Sprechen wir es offen aus: Auch die Nähe einzelner
Abgeordneter mit Regierungsverantwortung zur Energiewirtschaft ist meines Erachtens unübersehbar. Ich
gebe Herrn Kelber darin recht, Frau Höhn: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Ich erinnere
nur an die Frau Kollegin Rösel, die zwischenzeitlich bei
einer Tochtergesellschaft von Eon beschäftigt war
({3})
- Entschuldigung, Frau Röstel! -, und den ehemaligen
Kollegen Rezzo Schlauch, der heute im EuBW-Beirat
sitzt. Das muss man ebenfalls in Betracht ziehen.
Ich fordere die Regierung auf, endlich etwas zu unternehmen. Unterstützen Sie die EU in ihren Bemühungen!
Zerschlagen Sie endlich die Stromkartelle und schaffen
Sie faire Bedingungen auf dem Energiemarkt! An die
Adresse der EU: Mit dem Energiezirkus in ganz Europa
muss endlich Schluss sein.
Immerhin wurden einige Vorschläge, die die Linksfraktion bereits 2006 in den Bundestag eingebracht
hatte, aufgegriffen. Ich nenne nur die Erhöhung des
Wohngeldes unter Einbeziehung der Heizkosten und
Sozialtarife für arme Haushalte. Über die sogenannten
Watchdogs, Verbraucherbeiräte, zur Stärkung der Verbraucherrechte auf dem Strommarkt wird ebenfalls diskutiert.
Was jetzt noch fehlt, ist: Nehmen Sie den Kartellen
die Stadtwerksbeteiligungen weg! Herr Meyer hat darauf
hingewiesen, dass sich 21 Stadtwerke an einem Kraftwerk beteiligt haben. Schauen Sie genau hin, um wen es
sich dabei handelt, wie viel Prozent in den Händen der
großen Energiekonzerne liegen! Trennen Sie den Netzbetrieb von der Stromerzeugung! Überführen Sie die
Stromübertragungsnetze in die öffentliche Hand! Führen
Sie die Strom- und Gaspreisaufsicht wieder ein! Kassieren Sie die unerlaubten Gewinne der Stromkonzerne in
Höhe von bis zu 10 Milliarden Euro jährlich aus dem
Emissionshandel über eine Abschöpfungsteuer!
({4})
Zum Antrag der Grünen möchte ich noch sagen: Frau
Höhn, gut abgeschrieben von unseren Anträgen.
({5})
Ich sehe, dass sich die Politik der Linken auch bei Ihnen
zunehmend durchsetzt. Allerdings ziehen Sie teilweise
falsche Schlüsse. Als sogenannte Ökopartei versuchen
Sie sich zwar in der Beantwortung sozialer Fragen. Aber
Energie kann Ihnen nicht teuer genug sein, und zwar
ohne sozialen Ausgleich für arme Haushalte. Das verstehe ich nicht.
Ich fasse zusammen: Die Linke will, dass Energie
wieder bezahlbar wird und bleibt. Das geht langfristig
nur mit einer radikalen Energiewende hin zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien. Kurzfristig brauchen wir einen fairen Ausgleich. Das bedeutet, die Energiekosten insbesondere für private Haushalte mit
geringem Einkommen müssen sofort wirksam gesenkt
werden.
Vielen Dank.
({6})
Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege
Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir sind uns darüber einig - das ist schon angeklungen -, dass seit dem Beginn der Liberalisierung
1998 einiges passiert ist - und zwar auf dem Strommarkt
mehr als auf dem Gasmarkt -, aber bei weitem noch
nicht genug. Wir haben gemeinsam das Ziel, den Wettbewerb weiter zu forcieren und zu stärken. Dabei gibt es
einige Dinge zu bedenken, auf die ich später eingehen
möchte.
Zuerst möchte ich auf die Anträge zu sprechen kommen. Die FDP fordert in ihrem Antrag einen verbesserten Zugang zu den Kraftwerken - Frau Kopp, das haben
wir mit der Kraftwerksanschlussverordnung erreicht -,
({0})
einen beschleunigten Ausbau der Kuppelstellen - das ist
auf dem Weg - und beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren. Das Infrastrukturplanungsbeschleunigungsgesetz ist verabschiedet und in Kraft, hat aber
nicht die Wirkung, die wir alle wollen. Deshalb werden
wir im Rahmen des zweiten integrierten Klima- und
Energiepaketes im Mai mit dem Energieleitungsausbaugesetz die Rechtswege und die Planungsprozesse verbessern. Sie fordern des Weiteren mehr Transparenz beim
Stromhandel. Auch hier sind wir auf dem richtigen Weg.
Ein anderes Stichwort ist die Marktdurchdringung
durch intelligente Zähler. Mit der Liberalisierung des
Mess- und Zählwesens werden wir einen völlig neuen
Weg beschreiten. Es wird dort zu ganz anderen Entwicklungen kommen, wenn das, was in anderen Bereichen
wie der Telekommunikation durch moderne Technologie
ermöglicht wurde, auch in den Haushalten Einzug hält.
Der Bürger weiß dann, wie viel Strom er verbraucht und
wie viel er dafür bezahlt. Er wird zukünftig nicht einmal
im Jahr eine Rechnung bekommen - das ist wie eine
Blackbox - und Vorauszahlungen leisten, sondern genau
wissen, wie viel Strom der Fernseher und andere Elektrogeräte im Stand-by-Modus verbrauchen. Wir sind
auch hier auf dem richtigen Weg.
Ich könnte das fortführen: Reduzierung der Marktgebiete bei Gas. Natürlich gibt es zu viele Marktgebiete.
Wir reduzieren sie jetzt auf acht, aber auch das sind noch
zu viele. Insofern kann ich sagen: Ihr Antrag beschreibt
eigentlich unser Tun.
({1})
Sie sollten uns eigentlich dafür loben, denn die Dinge,
die Sie fordern, sind Dinge, die wir fast alle schon umgesetzt haben. Im Übrigen sind wir dabei, die wenigen
Dinge umzusetzen, die noch nicht umgesetzt sind.
({2})
Jetzt zu dem Antrag der Grünen. Frau Höhn, Sie haben vorhin gesagt, die Bundesregierung und der Bundeswirtschaftsminister würden zu wenig in Richtung Entlastung und Wettbewerb tun. Sie müssen sich schon eines
fragen lassen, was der Kollege Kelber vorhin angesprochen hat. Wenn ich mich richtig erinnere, so war eine der
größten preistreibenden Aktionen im Strombereich der
letzten Jahre der Emissionshandel, aber nicht deshalb,
weil der Emissionshandel falsch ist, sondern weil er
falsch angegangen wurde. So wurden die Emissionszertifikate kostenlos an die Energieerzeuger vergeben, was
zu Windfall Profits in Höhe von 5 Milliarden Euro geführt hat.
({3})
- Stimmt es, oder stimmt es nicht?
({4})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höhn?
Selbstverständlich, gerne.
Bitte sehr, Frau Höhn.
Herr Pfeiffer, Sie haben gerade eben gesagt, der
größte Fehler sei gewesen, den Emissionshandel ohne
Versteigerung zuzulassen. Sagen Sie doch bitte, wie viel
Versteigerung die EU in der ersten Periode überhaupt zugelassen hat. Bitte beantworten Sie einmal die Frage,
wie viel man hätte machen können.
Die beantworte ich Ihnen sehr gern, zunächst einmal
mit einer Gegenfrage: Wer hat denn in dieser Zeit die
entsprechenden Rahmenbedingungen gesetzt? Die sind
doch nicht in Brüssel vom Himmel gefallen, sondern
aufgrund nationaler Vorschläge
({0})
dort erarbeitet worden. Dort war derselbe Umweltminister, der den Emissionshandel in Deutschland so eingeführt hat. Herr Kollege Kelber hat vorhin vorgelesen,
dass gesagt wurde, dass keine höheren Preise und keine
Windfall Profits zu erwarten seien.
({1})
- Sie dürfen ruhig stehenbleiben, ich bin noch bei der
Beantwortung Ihrer Frage.
({2})
- Die Frage ist noch nicht beantwortet, Frau Höhn. - Der
bvek hat ausgerechnet, dass letztlich der Verbraucher
jährlich 5 Milliarden Euro mehr zu zahlen hat. Das sind
die Fakten. Insofern frage ich Sie: Wer hat dazu beigetragen?
Auch zum Thema Emissionshandel äußern Sie sich in
Ihrem Antrag ambivalent. Wir wollten den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Instrument - darin waren wir uns einig -, mit dem man versucht, die externen
Kosten zu internalisieren, weil der Emissionshandel diesen einen Preis gibt. Der Fehler bisher war in der Tat,
dass die Zertifikate unentgeltlich vergeben wurden. Jetzt
werden 10 Prozent auktioniert. Das aber hat die Große
Koalition beschlossen. Wir werden in der dritten Periode
auf jeden Fall eine hundertprozentige Auktionierung haben.
Wenn wir das aber anstreben und dieser Emissionshandel mit dem Cap and Trade funktioniert, dann wird
über dieses Instrument auch gesteuert, wie der Kraftwerkspark in Zukunft aussieht. Das betrifft auch den
Umweltaspekt. Wenn wir die CO2-Emissionen jährlich
senken, dann wird die Stromerzeugung für diejenigen,
die Emissionen erzeugen, teurer. Deshalb werden die
Emissionshandelspreise steigen, was auch Auswirkungen auf die Kosten der Kohlekraftwerke haben wird. Wir
brauchen den Emissionshandel als funktionierendes Instrument. Wir dürfen aber nicht - was Sie fordern - den
Neubau von Kohlekraftwerken, die noch effizienter
sind, verbieten. Sie sollten sich einmal ordnungspolitische Gedanken machen, weil diese Dinge sonst nicht zusammenpassen.
Auch einen weiteren Punkt in Sachen Preistreiberei
muss man der Ehrlichkeit halber ansprechen. Der größte
Preistreiber neben dem, was ich gerade ausgeführt habe,
war und ist der Staat. Von 1998 bis 2005 - man kann es
nicht oft genug wiederholen - sind die staatlich administrierten Abgaben von 6,5 Milliarden Euro auf
14 Milliarden Euro gestiegen. Hinzu kommt die Mehrwertsteuer, die Kollege Obermeier angesprochen hat.
({3})
- Haben Sie noch eine Frage? Sie möchte noch eine
Frage stellen. ({4})
Es sieht nicht so aus, Herr Kollege.
Insofern muss man die Kirche wirklich im Dorf lassen.
Frau Höhn, über das, was wir mittlerweile erreicht haben, sollten wir uns gemeinsam freuen. Die Große Koalition hat mit der Anreiz- bzw. Übergangsregulierung,
die nächstes Jahr in Kraft tritt, erreicht, dass die
Netzentgelte im letzten Jahr zum ersten Mal eine preisdämpfende und keine preiserhöhende Wirkung hatten.
Was den Haushaltsstrom angeht, sind die Preise von
7,3 Cent auf 6,3 Cent zurückgegangen. Bezogen auf den
prozentualen Anteil, entspricht dies einem Rückgang
von 38,6 Prozent auf 31,5 Prozent. Das ist ein Erfolg;
die Preise wären ansonsten noch stärker gestiegen.
Insgesamt gab es in dieser Periode 2 Milliarden Euro
nicht genehmigter oder gekürzter Netznutzungsentgelte.
Diese Entgelte sind also nicht erhöht, sondern gesenkt
worden. Mit anderen Worten: Den Bürgern sind letztlich
Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro erspart geblieben.
Der Wettbewerb im Strombereich hat endlich auch
den Endverbraucher erreicht. Während von 1998 bis
2005 nur wenige einen Wechsel des Stromanbieters
vorgenommen haben, ist jetzt der Durchbruch gelungen,
auch dank unserer Maßnahmen und Instrumente. Mittlerweile haben 4,5 Millionen Haushalte den Stromanbieter gewechselt, davon allein im letzten Jahr
1,3 Millionen. Dass dies dem Wettbewerb guttut, werden
Sie wohl nicht bestreiten.
Frau Höhn, ich teile die Auffassung des Kollegen
Meyer: Sie sind intelligent. Insofern glaube ich nicht,
dass Sie sich in die eigene Tasche lügen. Vielmehr unternehmen Sie hier - vielleicht sogar fast etwas bösartig einen Täuschungsversuch. Ich will deshalb etwas klarstellen. Sie haben vorhin davon gesprochen, dass im
letzten Jahr das Licht nicht ausging, obwohl von
17 Kernkraftwerken 6 oder 7 in Revision oder abgeschaltet waren. Das ist richtig. Wir sind uns wahrscheinlich einig: Das Licht wird auch in Zukunft nicht ausgehen. Sofern die Zeit reicht, gehe ich nachher gern auf das
Thema der Stromlücke ein.
Frau Höhn, Sie haben aber vergessen, zu sagen, dass
der Ausfall von Kernkraftwerken in Deutschland im
letzten Jahr nicht etwa durch Windenergieproduktion
oder gar durch Fotovoltaik ausgeglichen wurde, sondern
durch den vermehrten Einsatz von Kohlekraftwerken.
Der Ausfall von Kernkraftwerken wurde im letzten Jahr
zu 95 Prozent durch die Stromerzeugung in Kohlekraftwerken ersetzt. Herr Ziesing vom DIW - ich glaube, er
ist unverdächtig - hat ausgerechnet, dass die CO2-Emissionen im letzten Jahr, also 2007, durch die Verstromung von Kohle um 3 Prozent angestiegen sind. Das
heißt, im letzten Jahr wurden 10 Millionen Tonnen CO2
mehr ausgestoßen.
({0})
Das sind die Konsequenzen für den Umweltschutz aus
dem Nichteinsatz von Kernkraftwerken im letzten Jahr.
Dazu kann ich nur sagen: Das ist ein laues Lüftchen,
quasi ein Vorgeschmack auf das, was auf uns noch zukommt, wenn wir sämtliche Kernkraftwerke abschalten.
({1})
Dann werden nämlich 160 Millionen Tonnen CO2 mehr
emittiert. Der Wegfall der Kernkraftwerke wird ausgeglichen werden müssen.
Ein Problem wird sein, dass wir dann gegebenenfalls
eine Stromlücke haben. Wenn wir bei der Stromproduktion bis 2020 das ambitionierte Ziel von 30 Prozent aus
erneuerbaren Energien erreichen wollen - wenn wir besonders toll sind, dann schaffen wir vielleicht sogar
35 Prozent - und wenn wir im gleichen Zeitraum sämtliche Kernkraftwerke abschalten, dann müssen immer
noch 65 bis 70 Prozent des Stroms durch nicht erneuerbare Energien produziert werden. Ich frage Sie, wie dies
geschehen soll, wenn nicht durch Kernkraft. Diese Energie kann entweder in fossilen Kraftwerken mit entsprechendem CO2-Ausstoß erzeugt werden, oder sie kann
importiert werden.
Man muss wirklich beide Seiten der Medaille betrachten. Wir sind gut beraten, wenn wir den eingeschlagenen Weg weitergehen. Wir sollten einen Stromerzeugungsmix beibehalten, und wir sollten uns nicht
einseitig in die eine oder andere Richtung begeben. Nur
dann wird es uns gelingen, dem energiepolitischen Zieldreieck „Versorgungssicherheit, Umweltschutz/Nachhaltigkeit
und Wettbewerbsfähigkeit“ gerecht zu werden.
Vielen Dank.
({2})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 16/8536 und 16/8079 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Die Vorlage auf Drucksache 16/8536 soll federführend
beim Ausschuss für Wirtschaft und Technologie beraten
werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 d sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 d auf:
28 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Abkommen vom 15. Dezember 2003 über
Politischen Dialog und Zusammenarbeit
zwischen der Europäischen Gemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der
Andengemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten ({0}) andererseits
- Drucksache 16/8654 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Rainder Steenblock, Kerstin Andreae,
Marieluise Beck ({1}), weiterer Abgeord-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
EU-Strukturfonds zur nachhaltigen Ent-
wicklung einsetzen
- Drucksache 16/1069 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Sager, Kai Gehring, Priska Hinz ({2}),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gleichstellung und Genderkompetenz als
Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Inno-
vation in der Wissenschaft
- Drucksache 16/8753 -
d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung
Evaluierungsbericht der Bundesregierung
über die Erfahrungen und Ergebnisse mit
der Regulierung durch das Energiewirt-
schaftsgesetz
- Drucksache 16/6532 -
ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfah-
ren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Gisela
Piltz, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Christian Ahrendt, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der FDP
Für einen umfassenden Schutz der europäi-
schen Bürgerinnen und Bürger bei der Ver-
arbeitung ihrer Daten im Bereich der so ge-
nannten dritten Säule der Europäischen Union
- Drucksache 16/5473 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cajus
Caesar, Marie-Luise Dött, Dr. Christian Ruck,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Heinz
Schmitt ({3}), Marco Bülow, Dirk Becker,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Weltnaturschutzgipfel 2008 in Bonn - Biolo-
gische Vielfalt schützen, nachhaltig und ge-
recht nutzen
- Drucksache 16/8756 -
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Detlef
Parr, Daniel Bahr ({4}), Heinz
Lanfermann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Eigenverantwortung und klare Aufgabentei-
lung als Grundvoraussetzung einer effizien-
ten Präventionsstrategie
- Drucksache 16/8751 -
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Petra Sitte, Cornelia Hirsch, Volker
Schneider ({5}), Dr. Kirsten
Tackmann und der Fraktion DIE LINKE
Gleichstellung in der Wissenschaft durch
Modernisierung der Nachwuchsförderung
und der Beschäftigungsverhältnisse herstellen
- Drucksache 16/8742 Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen auch hier so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 29 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes über Einheiten im
Messwesen und des Eichgesetzes, zur Aufhebung des Zeitgesetzes, zur Änderung der Einheitenverordnung und zur Änderung der
Sommerzeitverordnung
- Drucksache 16/8308 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({6})
- Drucksache 16/8610 Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein
Es handelt sich hierbei um die Beschlussfassung zu
einer Vorlage, zu der keine Aussprache vorgesehen ist.
Wir kommen zur Abstimmung.
Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
16/8610, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 16/8308 anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen, um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion FDP angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlussabstimmung.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? Der Gesetzentwurf ist damit mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie bei der zweiten Lesung angenommen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt Aktuelle Stunde auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD
Aktuelle Lage in Tibet
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner für die Bundesregierung Herrn Staatsminister
Dr. Gernot Erler das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir alle sind erschüttert und tief besorgt über die Nachrichten und Bilder, die uns seit dem 14. März aus der tibetischen autonomen Region und den angrenzenden Provinzen erreichen und die so gar nicht zu dem
olympischen Geist des Friedens, der Freundschaft zwischen den Völkern und des edlen sportlichen Wettbewerbs passen.
({0})
Viele Tausende Menschen haben sich dafür eingesetzt
und sich angestrengt, diesen Geist nach Peking zu tragen, viele Hoffnungen haben sich damit verbunden.
Viele Millionen Menschen haben sich darauf gefreut,
einfach bei diesen traditionsreichen Spielen im bevölkerungsreichsten Land der Erde zuschauen zu dürfen.
Bilder der Gewalt und der Zerstörung haben uns jäh
aus dieser Vorfreude herausgerissen. Der Blick in die
Tiefe, ja, in die Abgründe eines Konflikts war eine böse
Überraschung und die Erfahrung beidseitiger Gewaltanwendung ein Schock. Das bezieht sich ebenso auf die
blutigen Übergriffe tibetischer Protestler gegen wehrlose
und unbewaffnete chinesische Mitbewohner wie auf die
Reaktion der chinesischen Staatsgewalt, die nach Augenzeugenberichten erst zurückhaltend, dann aber brutal
reagierte: mit massenhaften Festnahmen, mit Einschüchterungsversuchen, mit Umerziehungsmaßnahmen bei
den Mönchen und mit einer völligen Abriegelung der betroffenen Gebiete.
Die Bundesregierung ist zutiefst davon überzeugt,
dass diese beiderseitige Gewaltanwendung kein einziges
Problem lösen kann.
({1})
Sie nutzt der tibetischen Seite nicht und kann sogar sehr
schnell die berechtigten Forderungen der Tibeter nach
kultureller und religiöser Autonomie diskreditieren, eine
Gefahr, auf die übrigens der Dalai Lama, der Gewaltanwendung strikt ablehnt, selber hingewiesen hat. Die Gewaltanwendung schadet aber auch der chinesischen
Seite, die notwendigerweise mit ihren Zusagen konfrontiert wird, die sie im Zusammenhang mit der Vergabe der
Olympischen Spiele gemacht hat, und der es nicht gelingen wird, allein mit Repression die tibetischen Probleme
zu lösen, geschweige denn, dass sie auf dieser Basis die
gewünschte positive Präsentation des Landes im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen erreichen wird.
Deshalb appellieren wir mit allem Nachdruck an
beide Seiten, auf jegliche Gewaltanwendung zu verzichten, sich ernsthaft um eine Deeskalation der Situation
vor Ort zu bemühen und damit dazu beizutragen, den
Weg zu einer zivilisierten und nachhaltigen Lösung des
sichtbar gewordenen politisch-kulturellen Konflikts zu
ebnen.
({2})
Es gibt einen zweiten Punkt, der uns Sorgen macht. In
der chinesischen Öffentlichkeit wird jetzt die westliche
Berichterstattung mit harten Worten kritisiert, ja angeprangert, als läge hier das Hauptproblem. Einzelne Berichterstattungen mit falsch zugeordnetem Berichtsmaterial werden als Belege für eine antichinesische
Verschwörung dargeboten.
Ich möchte hier klarstellen: Die Bundesregierung hat
großen Respekt vor den Entwicklungsleistungen, die in
den letzten Jahren in China zu beobachten waren. Sie hat
einen vielleicht noch größeren Respekt vor der immensen Herausforderung, ein Land mit 1,4 Milliarden Menschen zusammenzuhalten und zugleich den vielen Erwartungen und Notwendigkeiten zur Veränderung und
Reform zu entsprechen.
Niemand von uns will China an den Pranger stellen.
Niemand ist an einer einseitigen oder unfairen Berichterstattung interessiert. Der beste Weg, das zu vermeiden,
sind Transparenz, Offenheit und die Chance auf eine
Meinungsbildung auf der Basis selbst gesammelter Fakten. Man kann nicht in einer solchen Krisensituation die
Region abriegeln, alle ausländischen Journalisten ausweisen und sich dann darüber beklagen, dass unzutreffend berichtet wird.
({3})
Wir sehen in den drei organisierten Reisen der letzten
14 Tage - zwei mit Journalisten, eine mit Diplomaten ein Bemühen in die richtige Richtung. Aber erst wenn
die gesamte tibetische autonome Region und die Nachbarprovinzen wieder frei zugänglich sind, entsteht überhaupt
die Chance auf eine auf Eigenrecherchen beruhende, pluralistische und insofern ausgewogene Berichterstattung.
Unser dringlicher Rat an die chinesische Führung ist
deshalb: Beenden Sie die Abriegelung! Machen Sie Tibet für alle Besucher und alle unabhängigen Journalisten
wieder zugänglich!
({4})
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist der
politisch wichtigste. Wann, wenn nicht jetzt, ist der richtige Augenblick für die Wiederaufnahme des sino-tibetischen Dialogs? Ich sage bewusst Wiederaufnahme, da es
solche Dialogphasen in der Vergangenheit durchaus gegeben hat, etwa in den 80er-Jahren zur Zeit des KP-Generalsekretärs Hu Yaobang oder in Ansätzen auch zwischen 2002 und 2007.
Mit wem, wenn nicht mit dem Dalai Lama selbst,
macht es in der jetzigen Situation Sinn, das Gespräch zu
führen? Das ist der Mann, der bei der Vertretung tibetischer Interessen noch immer die höchste Autorität genießt, der ausdrücklich eine echte kulturelle und religiöse Autonomie und eben nicht die Loslösung Tibets
von China als seine Ziele nennt und der sich glaubwürdig und durchaus mit eigenem Risiko von jeder Gewaltanwendung, auch wenn sie von seinen eigenen Landsleuten kommt, distanziert.
Wir hören von der chinesischen Seite schwere Vorwürfe gegen das geistliche Oberhaupt der Tibeter: Der
Dalai Lama trage die Verantwortung für die gewaltsamen Proteste, vertrete in Wirklichkeit separatistische
Ziele, wofür es Beweise gebe. Solange diese schweren
Vorwürfe aufrechterhalten werden, ohne dass man BeDr. h. c. Staatsminister Gernot Erler
weise vorlegt, handelt es sich objektiv um Unterstellungen, allerdings solche, die in diesem Fall schwerwiegende Folgen haben, weil sie eine Lösung des TibetKonflikts auf der Basis eines Dialogs und eines verhandelten Interessenausgleichs blockieren.
Dieser Weg ist falsch. Die Bundesregierung ist überzeugt, dass es zu einer Deeskalation und zu einer politischen Lösung des Konfliktes über den Dialog keine vernünftige Alternative gibt.
({5})
Aus unserer Sicht heißt deswegen das Gebot der
Stunde - ich fasse das einmal stichwortartig zusammen -:
Beendigung der Gewaltanwendung auf beiden Seiten,
Verzicht auf einseitige Repressionsmaßnahmen, Aufklärung der tragischen Ereignisse, Aufhebung der Abriegelung, stattdessen Öffnung und Transparenz und vor allem Ebnung des Weges für einen neuen Abschnitt des
sino-tibetischen Dialogs unter Einbeziehung des Dalai
Lama. Dafür hat Außenminister Frank-Walter
Steinmeier in mehren Gesprächen mit seinem chinesischen Kollegen geworben. Dafür wird sich die Bundesregierung bilateral und international auch in Zukunft
weiter intensiv einsetzen. Für diesen Ansatz und für
diese Botschaft erbitten wir die Zustimmung des Hohen
Hauses.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({6})
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar von
der FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Als ich Tibet vor knapp sechs Wochen besucht
habe, ahnte ich nicht, dass heute alle Welt dorthin blicken würde. Das ist spät genug, denn die Menschenrechte werden dort schon seit Jahren verletzt. Das alles
ist bei vielen angesichts des beeindruckenden wirtschaftlichen Fortschritts in dem großen Land China in Vergessenheit geraten. Das, was jetzt passiert, ist geradezu eine
Ironie der Geschichte. China will die Olympischen
Spiele im August auch mit dem Ziel ausrichten, der Welt
zu zeigen, was für ein fortschrittliches Land es geworden
ist. Gerade dieses Ereignis führt der Welt jetzt jedoch
vor Augen, wo die lange unterdrückten Probleme Chinas
liegen.
Ein Fackellauf gerät zu einem Politikum. Überall auf
der Welt sind die gleichen Bilder zu sehen. Menschen
protestieren aus Solidarität mit den Menschen in Tibet.
Was wir hier erleben, ist auch Globalisierung. Das Eintreten für gemeinsame Werte läuft heute zeitgleich und
weltweit ab. Es zeigt auch, was für eine historische
Chance die Globalisierung auch für Werte wie Freiheit
und Demokratie ist.
({0})
Wenn die olympische Fackel mittlerweile besser bewacht werden muss als die Bank von England, dann darf
man das nicht denen anlasten, die von ihrem Recht auf
friedlichen Protest Gebrauch machen. Verantwortlich
sind diejenigen in China, aber auch bei uns in Europa,
die meinten, dass man die Verbesserung der Menschenrechtslage, die bei der Vergabe der Olympischen Spiele
fest zugesagt war, einfach hintanstellen oder tiefer hängen kann. Das rächt sich jetzt, und das muss in den
nächsten Monaten gelöst werden.
({1})
Ein Wort noch zur Pariser Polizei: Wenn man nicht
nur eine Fackel abschirmt - was sicherlich sein muss -,
sondern wenn man Demonstranten auch noch ihre
Transparente und Tibet-Fahnen wegnimmt, dann ist das
nicht akzeptabel. Ich bin sehr verwundert, dass das französische Fernsehen die Übertragung der Demonstrationen unterbrochen hat und stellenweise den Eiffelturm
gezeigt hat. Diese Form von Entgegenkommen gegenüber chinesischen Wünschen steht nicht mit meiner Vorstellung von einer offenen Gesellschaft in Einklang.
({2})
Es geht uns nicht darum, dass die Spiele nicht stattfinden. Ein Boykott der Wettkämpfe schadet den Sportlern,
ohne die Menschenrechtslage konkret auch nur um einen
Deut zu verbessern. Wer aber in China ist, der sollte sich
mit der Menschenrechtsproblematik befassen. Politiker
müssen das tun, Sportler dürfen es tun.
({3})
Natürlich gilt dabei die IOC-Charta, die offene Meinungsäußerungen an den Wettkampfstätten untersagt.
Ich glaube, es tut den Olympischen Spielen sicher auch
gut, wenn im Stadion und an den Wettkampfstätten keine
offene politische Propaganda gemacht wird; denn man
muss sich darüber klar sein: Das, was unsere Sportler gegebenenfalls dürfen, würden Sportler aus allen möglichen anderen Ländern mit anderen Konflikten genauso
wahrnehmen. Das würde dem olympischen Klima insgesamt nicht guttun.
({4})
Ich rate dennoch dazu, bei den Spielen auch darauf zu
achten, dass Sportler, die für Grundwerte wie Frieden,
Respekt und Toleranz nicht nur für einen Teil der Welt,
sondern für alle Völker eintreten, dies auch bei den
Olympischen Spielen tun können, ohne Konsequenzen
zu spüren. Dieses Maß an Sensibilität müssen das IOC
und diejenigen, die auf die Regeln achten, aufbringen.
({5})
Ich glaube, man muss der chinesischen Regierung eines klarmachen: Mit der alten Taktik der Vernebelung
und dem Leugnen von Problemen, das wir heute oft erle16154
ben, und auch mit der Unterdrückung innerer Kritik
schafft sie es nicht, ihr Land zu modernisieren - was sie
ja will -, und auch nicht, ihr Land stabil zu halten. Das
haben wir in den letzten Wochen beobachten können.
Man kann Menschen im 21. Jahrhundert nicht mehr
abschotten, und man kann das Denken nicht staatlich
lenken. Das ist technisch unmöglich. Deshalb ist die Verteufelung des Dalai Lama auch so schädlich. Er ist ein
Gesprächspartner, der erklärt, Autonomie innerhalb der
Volksrepublik China anzustreben, der Gewalt offen ablehnt und der sogar für die Olympischen Spiele ist. In
vielen Ländern der Welt wäre ein solcher Gesprächspartner geradezu ein Segen für die Regierungen. Viele Regierungen würden sich nach solchen Gesprächspartnern
sehnen. Die Chinesen könnten ihn haben. Dass sie darauf nicht eingehen, ist tragisch.
Herr Staatsminister, ich habe mich darüber gefreut,
dass die Bundesregierung auch an dieser Stelle klargemacht hat, dass sie die Gespräche mit dem Dalai Lama
mit den Zielen der einvernehmlichen Lösung dieses
Konflikts und der Autonomie Tibets im Rahmen der
Volksrepublik China für nötig hält. Ich finde allerdings
auch, man kann nicht glaubhaft vertreten, dass China mit
dem Dalai Lama sprechen soll, wenn man ihn nicht auch
selbst empfängt. Insofern finde ich, auch deutsche Politiker könnten sich diese Courage leisten.
({6})
Wer es gut meint mit China - ich finde, wir sollten es
gut meinen mit China und das auch zum Ausdruck bringen -, der muss mit chinesischen Vertretern über diese
Fragen sprechen. Wir haben ein Interesse daran, dass
sich China nicht isoliert. Wir wollen nicht, dass jetzt
durch eine zu aggressive antichinesische Rhetorik die
Nationalisten, die es dort zahlreich gibt, die Oberhand
gewinnen. Vielmehr wollen wir die Kräfte stärken, die
für Öffnung plädieren. Wenn wir das nicht schaffen,
können wir über Klimawandel, über Terrorismus und
über viele andere wichtige globale Fragen mit den Chinesen gar nicht mehr reden. Wir müssen es schaffen, mit
ihnen zu sprechen. Wir müssen es schaffen, den Chinesen zu vermitteln, dass die Wünsche und die Kritik, die
wir anbringen, konstruktiv und wohlmeinend sind und
nicht dazu dienen, das sich wirtschaftlich entwickelnde
China kleinzuhalten. Das muss der Grundtenor sein.
Ohne diesen wird man, wie ich glaube, nichts erreichen.
Wir müssen uns allerdings auch klarmachen - Frau
Präsidentin, ich komme zum Schluss -, dass Deutschland eine realistischere Perspektive in seiner China-Politik einnehmen muss, als es zum Teil in der Vergangenheit der Fall war. So haben wir vor drei Jahren an dieser
Stelle auf Wunsch der rot-grünen Bundesregierung über
die Aufhebung des Waffenembargos gegen China diskutiert. Wir müssen also eine realistischere Perspektive
einnehmen. Neben den Errungenschaften müssen wir
auch die großen Defizite, die es im Menschenrechtsbereich weiterhin gibt, wahrnehmen und uns klarmachen,
dass dieses Land noch einen weiten Weg zu gehen hat.
Vielen, herzlichen Dank.
({7})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht nun der Kollege
Eckart von Klaeden.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Am 26. Oktober letzten Jahres hat meine Fraktion
eine Asien-Strategie vorgestellt, in der es heißt, dass mit
China „ein undemokratischer, nicht-liberaler Staat in der
weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Hierarchie“
aufsteige, dass das chinesische Modell, wirtschaftlich
betrachtet, zunächst einmal außerordentlich erfolgreich
sei und pragmatische Anpassungen zulasse, dass es aber
moderne autoritäre politische Führung „mit staatlich beaufsichtigtem ({0})Kapitalismus“ kombiniere. Wir haben dann Zweifel an der Nachhaltigkeit dieses Entwicklungsmodells geäußert, weil nach unserer Auffassung
„nachhaltige Stabilität tatsächlich nur in einem auf Partizipation ausgerichteten System, das Menschenrechte
schützt, möglich“ ist.
({1})
Diese Sätze unserer Asien-Strategie sind bei einigen
in der deutschen Politik und in der deutschen Wirtschaft
sowie auch bei der KP Chinas auf Kritik gestoßen. Der
gleiche Kreis, der diese Sätze kritisiert oder sogar als neokonservativ bezeichnet hat, hat auch den Empfang des
Dalai Lama durch die Bundeskanzlerin massiv kritisiert.
Wir alle erinnern uns an die Äußerungen des ehemaligen
Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der die Sprachregelung der chinesischen KP in einem Vortrag in Peking unmittelbar übernommen hat. Auch Kurt Beck hat kurz vor
Weihnachten geglaubt, seine China-Expertise unter Beweis stellen zu müssen,
({2})
und den Empfang des Dalai Lama durch die Bundeskanzlerin massiv kritisiert.
({3})
Die Sponsoren der Olympischen Spiele aus der deutschen Wirtschaft haben jetzt, auf ihre Sponsorentätigkeit
angesprochen, darauf hingewiesen, dass die Menschenrechte ihnen zwar ein Anliegen seien, aber ein Anliegen,
das doch bitte von der deutschen Politik und von der
deutschen Diplomatie zu vertreten sei.
({4})
Ich stimme dieser Aufgabenteilung nicht zu, möchte
aber ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Druck auf
die deutschen Sponsoren heute wesentlich höher wäre,
wenn die Bundeskanzlerin den Dalai Lama nicht empEckart von Klaeden
fangen hätte und damit dieses für die deutsche Diplomatie und Politik klare und unmissverständliche Zeichen
nicht gesetzt hätte.
({5})
Alle, die mit politischem Verstand die Vergabe der
Olympischen Spiele an Peking beobachtet und begleitet
haben, wissen, dass die Demonstrationen und die Reaktionen auf diese Demonstrationen zwar erschreckend
sind, aber nicht überraschend. Ich will hier ganz deutlich
sagen: Wir lehnen jede Form von Gewalt ab. Sie kann
nicht gerechtfertigt werden. Das gilt für die Gewalt von
tibetischer Seite am 10. März in Lhasa; das gilt auch für
gewalttätige Demonstranten am Rande des Fackellaufs.
Aber bei aller Ablehnung der Gewalt darf man doch Ursache und Wirkung nicht miteinander verwechseln.
({6})
Chinesische Reaktionen auf die Proteste sind bestens
geeignet, ihre Kritiker zu bestätigen. Besonders abstoßend ist es, wie die chinesische Führung auf den Dalai
Lama reagiert, wie sie immer wieder versucht, ihn für
das verantwortlich zu machen, was geschehen ist, obwohl er sich, wie schon mein Vorredner zutreffend ausgeführt hat, zur Gewaltfreiheit bekennt und zur Gewaltfreiheit aufruft, die Ein-China-Politik nicht infrage stellt
und sich auch gegen einen Boykott der Olympischen
Spiele ausspricht.
Wir brauchen gerade jetzt vonseiten der deutschen
Politik dieses klare und unmissverständliche Signal für
die Menschenrechte und die universalen Prinzipien, zu
deren Einhaltung wir uns alle verpflichtet haben. Deswegen hoffe ich auch, dass der Menschenrechtsbeauftragte
der Bundesregierung im Mai, wenn der Dalai Lama nach
Deutschland kommt, dem Beispiel von Joschka Fischer
folgen kann und den Dalai Lama in seinen Diensträumen
im Auswärtigen Amt empfangen darf. Bisher hat er Dissidenten aus China nicht in seinen Amtsräumen empfangen dürfen. Ich finde, diese Praxis muss überdacht werden.
({7})
Ein Wort noch zu den Forderungen nach einem Boykott der Olympischen Spiele: Der Deutsche Bundestag
und die Bundesregierung sind weder verantwortlich für
die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking, noch
hätten wir sie verhindern können. Ich finde, dass wir ein
deutliches Zeichen setzen müssen, dass wir an der Seite
all derjenigen Athletinnen und Athleten, all derjenigen
Funktionäre stehen, die sich auch in Peking für die universalen Prinzipien der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und des Minderheitenschutzes einsetzen wollen und werden, die unmittelbar
mit der olympischen Idee verbunden sind. Die olympische Idee der Friedenspflicht während der Spiele ist eine
eminent politische Idee. Die Friedenspflicht ist uns aus
der Antike überliefert. Um Vergil zu zitieren - denn
Friede bedeutet eben nicht Friedhofsruhe -: Opus iustitiae pax. Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit, der
Gerechtigkeit für alle Menschen, die in China leben, und
damit auch für die nationalen Minderheiten.
({8})
Nächster Redner ist der Kollege Michael Leutert für
die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir bedauern zutiefst die Opfer beider Seiten infolge der gewalttätigen Auseinandersetzungen in der
autonomen Region Tibet. Die autoritäre, mit polizeistaatlichen Mitteln geführte Reaktion der chinesischen
Regierung, deren Ursache historisch-politischer und ökonomischer Natur ist, lehnen wir klar und deutlich ab.
Moralische Empörung mag zwar den einen oder anderen in ein gutes innenpolitisches Licht stellen, hilft
aber bei der Beurteilung einer sehr komplexen Situation
wenig und steht vernünftigen Lösungen im Weg.
Wir brauchen eine objektive Beurteilung der Lage.
({0})
Auch wenn meine Fraktion mit der Bundesregierung
sonst nicht immer einer Meinung ist, möchte ich Außenminister Steinmeier beipflichten - ich zitiere -:
Die Tibeter wollen ihre Kultur bewahren, China
will politische Stabilität - dafür müssen beide Seiten aufeinander zugehen.
In der Beurteilung der Lage wird Staatsminister Erler
sogar noch deutlicher, wenn er vor dem Auswärtigen
Ausschuss von Pogromen der Tibeter gegenüber den
Chinesen spricht. Genau aus diesem Grund ist es richtig,
Herr Staatsminister, dass der Aufruf zum Gewaltverzicht
an beide Seiten gerichtet ist.
({1})
Insgesamt ist festzustellen, dass derzeit die moderaten
Kräfte in der chinesischen Führung das Heft des Handelns in der Hand haben und die Richtung bestimmen.
Wir haben heute nicht den Platz des Himmlischen Friedens vor Augen. Was derzeit fehlt, sind zivilgesellschaftliche Lösungsstrategien zur Bewältigung der zweifellos
existierenden Spannungen. Unsere Aufgabe ist es, dies
alles zur Kenntnis zu nehmen und adäquat darauf zu reagieren.
({2})
Überlegungen zu einem Boykott der Olympischen
Spiele sind meines Erachtens das genaue Gegenteil. Ein
Boykott ist eine Sanktion und damit auch ein Signal. Ein
Boykott ist ein Signal, dass der Dialog beendet ist. Das
aber hilft einerseits nicht den Menschen in Tibet, und andererseits entledigen wir uns damit unserer Instrumente,
nämlich der Dialogmöglichkeiten, wie zum Beispiel des
Rechtsstaatsdialoges und des Menschenrechtsdialoges.
({3})
Wir entledigen uns außerdem der vielfältigen kommunikativen Möglichkeiten unserer Institutionen wie zum
Beispiel der politischen Stiftungen oder des Goethe-Institutes. Es ist nicht die Zeit, leichtfertig auf diplomatische Mittel zu verzichten. Jetzt geht es darum - ohne belehren zu wollen -, die Volksrepublik China bei der
Erarbeitung zivilgesellschaftlicher Lösungsstrategien zu
unterstützen.
Der Journalist und ausgewiesene China-Experte
Georg Blume hat in einem taz-Artikel unter der Überschrift „Diplomatie statt Drohgebärden“ auf Folgendes
hingewiesen:
… in Peking regiert kein menschenverachtendes
Willkürregime. Sondern eine Regierung, die gegen
die Widersprüche ihres Systems kämpft.
({4})
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, im Dialog die offenen
Fragen bezüglich der in der chinesischen Verfassung ohnehin fixierten Autonomie Tibets und deren Implementierung in das alltägliche Leben der Menschen zu klären.
Dieser Experte ist im Übrigen von den Grünen zur öffentlichen Anhörung des Sportausschusses geladen worden.
({5})
Dieser Dialog muss aber in China stattfinden. Wir
können ihn von hier aus konstruktiv begleiten. Voraussetzung für diesen Dialog ist aber, dass die oppositionellen
Tibeter klar und ohne Abstriche die territoriale Integrität
der Volksrepublik China anerkennen und respektieren,
und zwar durch ihre Unterschrift und nicht bloß als Lippenbekenntnis.
({6})
Der Empfang des Dalai Lama im Kanzleramt auf der
Ebene eines Staatsbesuches, Herr von Klaeden, hat dazu
nicht gerade beigetragen.
({7})
Dieser Empfang war kontraproduktiv und ein Affront
gegenüber der chinesischen Seite.
({8})
Die Linke hat die Hoffnung - wir wollen unseren Beitrag dazu leisten -, dass die derzeit stattfindende internationale Menschenrechtsdebatte als Chance verstanden
wird, im 60. Jahr der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Verwirklichung der Menschenrechte ein
Stück näher zu kommen. Um dieses Ziel zu erreichen,
darf der Dialog mit China
({9})
nicht abgebrochen werden, vielmehr muss er intensiviert
werden.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Walter Kolbow für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit der Entscheidung von 2001, die Olympischen Spiele
2008 nach Peking zu vergeben, hat sich der Sport auf das
politische Regime Chinas von heute eingelassen. Auch
wir haben uns politisch auf dieses China eingelassen,
weil alle Bundesregierungen mit ihren jeweiligen Parlamentsmehrheiten eine Ein-China-Politik getragen haben.
Ich bereise China seit 1990 und habe bei diesen Gelegenheiten viele Gespräche führen können. Ich kann feststellen, dass die vielen Chinesen, die ich getroffen habe
- das war ein repräsentativer Querschnitt; es waren alle
Gruppierungen innerhalb der Kommunistischen Partei
Chinas vertreten -, davon überzeugt sind, dass China
wie eine Großmacht behandelt werden muss. Sie erwarten Respekt von uns. Darin sind sich im Übrigen Nichtkommunisten und Kommunisten einig.
Auf die Frage nach Chinas Zukunft antworten sie,
Demokratie sei nicht so wichtig wie eine Renaissance
der konfuzianischen Tradition; ihnen gehe das materielle
Wohlergehen von 1,3 Milliarden Chinesen vor Demokratie. Wir streiten mit ihnen darüber. Wir haben einen
Menschenrechts- und Rechtsstaatsdialog begonnen. Wir
suchen also das Gespräch und die Auseinandersetzung,
um zu überzeugen und um zu gestalten.
Die gewaltsamen Auseinandersetzungen vom 14. März
sind 49 Jahre nach dem tibetanischen Aufstand gegen
den chinesischen Einmarsch passiert. Das hat uns alle
getroffen. Der Herr Staatsminister und die anderen Redner vor mir haben völlig zu Recht darauf hingewiesen,
dass Gewalt - egal von welcher Seite - keine Lösung
sein kann. Hier, im Deutschen Bundestag, stellen wir gemeinsam fest: Der Gewalt muss Einhalt geboten werden,
und man muss - das gilt insbesondere für China - zur
Besinnung kommen.
({0})
Herr Staatsminister, ich unterstreiche ausdrücklich,
was Sie im Namen der Bundesregierung gesagt haben.
Unser Appell an die chinesischen Partner lautet: Keine
Gewalt ausüben, die Lage im Land transparent darstellen
und einen Dialog aufnehmen, um zu einer für beide Seiten tragfähigen Lösung zu gelangen.
Frau Ministerin Wieczorek-Zeul hat in Anbetracht der
andauernden gewaltsamen Auseinandersetzungen zu
Recht die für Mai geplanten Regierungsverhandlungen
mit China ausgesetzt. Ich schließe zum gegenwärtigen
Zeitpunkt nicht aus, dass die SPD-Bundestagsfraktion,
falls sich die Lage in China dramatisch zuspitzen sollte,
einen Boykott der Olympischen Spiele fordert. Ich weise
darauf hin, dass das Europäische Parlament im Jahr 2001,
14 Tage vor der Entscheidung, die Olympischen Spiele an
China zu vergeben, angemahnt hat, man solle sich darüber
im Klaren sein, welche Wegstrecke man bis 2008 noch
vor sich habe.
({1})
Diese Situation ist auf uns zugekommen und verlangt
nun von uns eine Positionierung. Ich sage für mich: Ich
reise im Mai nach China. Ich werde dort Diskussionen
führen. Wir sollten die Debatte nicht auf der Basis eines
falschen Verständnisses der Vergangenheit, sondern auf
der Basis unseres Demokratieverständnisses führen. Das
Parlament kann ein gutes Stück der Arbeit leisten, und
zwar vor der Regierung, die, wie wir wissen, Sachzwänge einzuhalten hat. Es ist aber gut, dass sich die
Bundesregierung in diesem Zusammenhang trotzdem
deutlich äußert. Es geht auch um das Selbstverständnis
des Parlaments, gerade an einem Tag, an dem wir den
75. Jahrestag der verweigerten Zustimmung der SPDAbgeordneten zum Ermächtigungsgesetz würdig begangen haben. Das sind wir uns schuldig.
({2})
Das Thema „China und Tibet“ hat immer wieder für
kontroverse Diskussionen gesorgt, sowohl auf internationaler Ebene als auch in Deutschland. Herr Kollege
Klaeden, da Sie in führender Verantwortung stehende
Sozialdemokraten zitiert haben, darf ich in diesem
Hause vortragen, was sich in den 90er-Jahren der damalige Bundeskanzler, Helmut Kohl, an heftiger Kritik
vom Dalai Lama hat gefallen lassen müssen, als er im
Rahmen einer China-Reise einen Abstecher in die tibetanische Hauptstadt Lhasa gemacht hat. Der Dalai Lama
ließ ihn wissen, was er vom Reiseprogramm des deutschen Regierungschefs hielt: Der Besuch in Lhasa sei
naiv; er symbolisiere, dass der Bundeskanzler die chinesische Besatzung Tibets billige. Dies verdeutlicht den
schmalen Grat, auf dem sich Politiker beim Thema Tibet
bewegen.
({3})
- Ich kritisiere Sie, wenn Sie es genau wissen wollen,
Herr Kollege.
({4})
Das erlaube ich mir, weil Ihre Bezüge nicht stimmen.
({5})
Das erlaube ich mir angesichts Ihrer großkoalitionären
Selbstgefälligkeit immer noch und allemal, Herr Kollege
von Klaeden.
({6})
Gehen Sie einmal nach Tibet, reden Sie mit den jungen Tibetanern, die sich emanzipieren wollen, die sich
gegen die Han-Chinesen durchsetzen wollen, die aber
quasi durch das Tor der chinesischen Sprache gehen
müssen!
({7})
- Herr Kollege, kommen Sie einmal zu mir, ich gebe Ihnen als älterer Kollege einige Informationen, privatissime, sed gratis. Konzentrieren Sie sich einmal auf die
wahren Sachverhalte!
({8})
Herr Kollege, denken Sie bitte an Ihre Redezeit.
Frau Präsidentin, ich weiß, Sie rügen mich, weil ich
mit einem Koalitionsfreund von Ihnen streite.
Das war keine Rüge, sondern ich habe auf die Redezeitüberschreitung hingewiesen.
Wir sollten nicht das tun, was wir hier gerade praktiziert haben. Ich nehme mich jetzt auch wieder in die Disziplin.
Wir sollten dafür sorgen, dass die Probleme in China
gelöst werden und friedliche Spiele in China stattfinden
können. Das ist unser Auftrag, vor allem aber der Auftrag der Chinesen und der jungen tibetanischen Generation. Die Situation in Tibet strahlt auch auf die Exiltibeter aus. Wir müssen auch auf sie einwirken und
versuchen, sie in die Pflicht zu nehmen. Wir brauchen
einen Ausgleich und eine Perspektive für China als Mitglied der internationalen Gemeinschaft.
Danke schön.
({0})
Nun hat das Wort der Kollege Volker Beck für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Meine Damen und Herren! Es ist schon ein Trauerspiel, das wir bei diesem Thema immer wieder erleben:
Die Große Koalition findet in der Menschenrechts- und
Außenpolitik keinen gemeinsamen Nenner und zerstreitet sich vor der nationalen Öffentlichkeit und vor der
Weltöffentlichkeit. Das mindert sowohl in der Menschenrechts- als auch in der Außenpolitik unseren Einfluss, der gegenwärtig dringend notwendig wäre. Das ist
jammerschade.
({0})
Hinsichtlich der Menschenrechtslage in China gab es
in den letzten Monaten, eigentlich schon in den letzten
ein bis zwei Jahren durchaus Hoffnungsschimmer: Es
gab ein neues Verfahren im Strafrecht, das die Zahl der
Todesurteile verringert hat. Die Situation der Journalisten,
zumindest der Journalisten aus dem Ausland, hat sich in
den letzten Wochen bis zur Tibetkrise verbessert. - Diese
Fortschritte muss man durchaus benennen. Aber anhand
der Entwicklungen der letzten Wochen sieht man, dass
China die Repressionsschraube nicht nur in Tibet, sondern auch landesweit angezogen hat. Dafür steht - Pars
pro Toto - das völlig unverhältnismäßige und rechtswidrige Urteil gegen Hu Jia, dem für das Schreiben eines regierungskritischen Blogs dreieinhalb Jahre Haft aufgebrummt wurden. Das ist unverschämt und ungerecht.
Dieses Urteil müssen die Chinesen aufheben. Dieses Signal sollten wir hier aus dem Bundestag geben.
({1})
Wir wissen: Nicht nur in Tibet werden die nationalen,
religiösen und sprachlichen Rechte einer Minderheit unterdrückt, sondern auch in der Provinz Xinjiang, wo die
Uiguren, ein muslimisches Turkvolk, leben, wird in der
gleichen Art und Weise versucht, die Bevölkerung zu
chinesifizieren und die dort ansässigen ethnischen Minderheiten zu benachteiligen. Die Aufstände, die es jetzt
in Tibet gegeben hat, sind eine Spätfolge der langjährigen religiösen und kulturellen Unterdrückung der Tibeter. Die Benachteiligung in der Bildungspolitik hat dazu
geführt, dass diese Menschen viel schlechter leben als
die Chinesen am gleichen Ort. Sie üben schlechtere Berufe aus, beziehen schlechtere Einkommen und haben einen schlechteren Zugang zur Bildung. Die derzeitige Inflation in China führt dazu, dass diese soziale Lage den
Menschen auf der Seele brennt. Deshalb kam es zu diesen Aufständen.
Wir müssen sehen, was die chinesische Regierung gegenwärtig macht: Sie setzt auf völlige Repression. Wenn
sie den Dalai Lama als Wolf im Schafspelz und die Aufständischen als Dalai-Lama-Clique bezeichnet, dann bedeutet das, dass sie den potenziellen Gesprächspartner,
der für Gewaltfreiheit und für die Autonomie und eben
nicht für die Unabhängigkeit Tibets steht, denunziert und
alle Wege zu einem Dialog verbaut. Hier ist eine Kehrtwende der chinesischen Führung dringend angesagt. Wir
müssen alle Möglichkeiten des Dialogs und des politischen Drucks nutzen, um China dazu zu bewegen, mit
dem Dalai Lama über eine substanzielle Autonomie zu
verhandeln.
({2})
Wenn das zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unmittelbar von Erfolg gekrönt ist, müssen wir zeigen, dass
wir den Dalai Lama für den geeigneten Gesprächspartner zur Lösung der innerchinesischen Tibetproblematik
halten. Deshalb erwarte ich, dass der Dalai Lama bei seinem Deutschlandbesuch im Mai hier in Berlin empfangen wird. Wenn die Bundesregierung keine Zeit hat,
sollte sich vielleicht dieses Hohe Haus in angemessener
Form die Zeit nehmen, den Dalai Lama entsprechend zu
empfangen. Wir als grüne Fraktion sind dazu bereit.
({3})
Ich finde, auch bei der EU-Außenministerkonferenz
sollte die deutsche Bundesregierung entsprechende Initiativen unterstützen.
Nun zu den Olympischen Spielen. Die Chinesen haben mit ihrer Bewerbung im Jahr 2001 durchaus Versprechungen verbunden. Wörtlich sagte der Vizepräsident des Pekinger Organisationskomitees Wang Wei:
Die Olympischen Spiele werden helfen, soziale,
ökonomische und Menschrechtsbedingungen weiter zu verbessern.
Pekings Vizebürgermeister Liu Jingming kündigte
völlige Freiheit für die Presse an. Nichts davon ist bisher
eingetreten. Die Chinesen haben alle ihre Zusagen, die
sie im Zusammenhang mit der Olympiabewerbung gemacht haben, gebrochen. Deshalb ist die vorauseilende
Duckmäuserei des IOC und des Deutschen Olympischen
Sportbundes eine Schande für die olympische Bewegung.
({4})
Es kann doch nicht sein, dass man den Sportlern, die
als mündige Sportler nach Peking fahren und dort die
Menschenrechtsfrage artikulieren wollen, mit Sanktionen droht, weil sie damit die Olympische Charta verletzen würden, während die Chinesen als Ausrichter die
Olympische Charta bereits verletzt haben. Gegenüber
Letzteren sagt man nichts, bekommt kaum die Zähne
auseinander, und es gibt allenfalls ein leises diplomatisches Flüstern in Richtung Peking.
Wenn man die olympische Idee retten und die olympische Bewegung voranbringen will, dann dürfen Sportler,
die keine politische Propaganda im engeren Sinne betreiben, sondern zum Beispiel solche T-Shirts tragen,
({5})
mit denen sie für die Menschenrechte in ganz China, einschließlich Tibet, der Hauptstadt Lhasa und der Provinz
Xinjiang eintreten, nicht mit Sanktionen belegt werden.
Wir erwarten vom Internationalen Olympischen KomiVolker Beck ({6})
tee sowie von unserem deutschen Nationalen Olympischen Komitee, dass sie solchen Sportlerinnen und
Sportlern den Rücken stärken, statt mit Sanktionen zu
drohen. In diesem Punkt bedarf es einer Korrektur.
Andere Korrekturen ist die olympische Bewegung ja
offensichtlich bereit, vorzunehmen. Heute war in der
Zeitung zu lesen, dass gestern eine Resolution verabschiedet wurde, mit der die Chinesen aufgefordert werden, die innerchinesischen Konflikte zu lösen. Man hat
das Wort „Tibet“ aus der Resolution gestrichen, weil
man den Chinesen nicht auf die Füße treten wollte.
Diese Leisetreterei in Sachen Menschenrechte beschädigt die Olympischen Spiele in Peking. Wir brauchen
eine offene Auseinandersetzung und mündige Sportlerinnen und Sportler, die Rückhalt bei uns haben.
({7})
Nächster Redner ist der Kollege Arnold Vaatz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Es ist schon mehrfach gesagt worden, und ich
glaube, in dieser Grundfrage sind wir uns in diesem
Hause alle einig: Gewalt auf beiden Seiten muss verurteilt
werden, und zwar - ich zitiere Eckart von Klaeden -,
ohne Ursache und Wirkung miteinander zu vertauschen.
Im Hinblick auf den letzten Satz ist Folgendes zu sagen: Wir finden in China eine Situation vor, in der dem
tibetischen Volk seit Generationen grundlegende zivile
Rechte, die in Deutschland und Europa selbstverständlich sind, entzogen sind. Dazu gehören das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf kulturelle Autonomie.
Diese sind nicht gewährleistet. Auf der anderen Seite
gibt es eine chinesische Regierung, die bis jetzt jeden
Dialog mit den Tibetern verweigert und dem TibetProblem stattdessen mit einer Politik der Stärke und einer Politik der Demonstration von Macht durch Aggressivität meint zuleibe rücken zu können. Das verdient
eine eindeutige Zurückweisung durch dieses Haus.
({0})
In dem Zusammenhang spricht es Bände, Herr Kollege Leutert, wenn Sie sagen, in China seien im Augenblick die moderaten Kräfte am Werk. Man braucht viel
Fantasie oder - wenn man im Osten groß geworden ist vielleicht auch wenig Fantasie, um sich vorstellen zu
können, was Sie unter normalen oder gar nichtmoderaten Kräften verstehen.
Es ist eine Entscheidung des Sports, ob man an den
Olympischen Spielen teilnimmt oder nicht. Es ist nicht
die Aufgabe der Politik, an die Stelle des Sports zu treten
und diese Entscheidung an sich zu ziehen. Aber es verwundert mich doch, wie in letzter Zeit über diese Angelegenheit diskutiert worden ist. Ich gebe dem Kollegen
Beck ausdrücklich Recht, wenn er die voreiligen Erklärungen des Vertreters des Nationalen Olympischen Komitees und einiger Sportpolitiker merkwürdig findet, die
eine Nichtteilnahme sowie das Spektrum von Zeichen,
die wir davon abgesehen setzen können, von vornherein
ablehnen.
Auch ich bin nicht dafür, einen Boykott zu fordern.
Mein wichtigstes Argument ist, dass die Tibeter selbst
keinen Boykott fordern. Falls sie später doch wünschen,
dass die Olympischen Spiele nicht in der Form stattfinden, in der sie geplant sind, müssten wir noch die Möglichkeit haben, diesen Wunsch ernsthaft in unsere Betrachtungen einzubeziehen. Das kann aber nicht
geschehen, wenn wir ihn vorher definitiv ausgeschlossen
haben.
Nun zu den Argumenten, die in dieser Situation oftmals angeführt werden. Häufig heißt es, Sport dürfe
nicht als Instrument der Politik missbraucht werden. Genau dieser Auffassung bin auch ich. Wer so argumentiert, der muss aber mit ins Kalkül ziehen, dass die chinesische Administration den Sport längst als Instrument
der Politik fest einplant,
({1})
und zwar als Demonstration gegenüber dem tibetischen
Volk. Die Botschaft lautet: Die Weltöffentlichkeit geht
zur Tagesordnung über. Sie nimmt euren Protest überhaupt nicht mehr ernst. Packt eure Tücher ein, geht nach
Hause und ordnet euch unter! An der Verbreitung dieser
Botschaft dürfen wir nicht als nützliche Idioten mitwirken. Ich muss ganz deutlich sagen: Dafür sollten wir uns
zu schade sein.
({2})
Zu einem weiteren Punkt, der mir sehr wichtig ist. Oft
wird gesagt, eine Nichtteilnahme löse keinerlei Probleme. Selbstverständlich glaube auch ich, dass durch
eine Nichtteilnahme an den Olympischen Spielen keine
Kehrtwende der chinesischen Politik erreicht wird; das
ist ganz klar. Aber für mich ist es oftmals keine Frage
des politischen Effekts, sondern eine Frage des Anstands, ob man sich an einen festlich gedeckten Tisch
mit Leuten setzt, die ihre Macht eben noch durch eine
große Gewaltorgie gefestigt haben. Das ist, wie ich
glaube, mit demokratischen Werten nicht unbedingt vereinbar.
({3})
Meine letzte Bemerkung. Es wird häufig das Argument angeführt, die Olympischen Spiele bewirkten, dass
sich China stärker der Weltöffentlichkeit öffnen müsse.
Meine Damen und Herren, diese Erwartung kann man
hegen. Aber nach allem, was wir bisher erlebt haben,
wie Diktaturen mit Olympischen Spielen und ähnlichen
Veranstaltungen umgehen, kann die gegensätzliche Entwicklung genauso wenig ausgeschlossen werden. Das
hätte zur Folge, dass man in China davon ausgeht: Die
Weltöffentlichkeit hat uns bestätigt. Demzufolge können
wir in unseren inneren Angelegenheiten, wie sie das
nennen, vorgehen, wie wir wollen.
Die Möglichkeit, dass die Ausrichtung der Olympiade
als Legitimation für das eigene Vorgehen betrachtet wird
und dadurch die Situation verschärft und die Lage der
Menschenrechte verschlechtert werden, ist also ebenfalls
gegeben. Ich erwarte mit Interesse, welche Erklärungen
diejenigen, die die umgekehrte Entwicklung erwarten,
abgeben, wenn alles andere kommt.
({4})
Nun hat der Kollege Christoph Strässer für die SPDFraktion das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als aktiver Nichtsportler wollte ich in der heutigen Aktuellen Stunde zur Lage in Tibet eigentlich nicht Stellung
nehmen. Ich denke aber, das lässt sich gar nicht umgehen. Lassen Sie mich bitte zwei Dinge sagen, die mir an
dieser Stelle auffallen und die wichtig sind.
In der jetzigen Situation, im Jahre 2008, diskutieren
wir über einen Kotau und über bestimmte Entwicklungen, die uns nicht gefallen. Ich sage Ihnen - ich bin ganz
sicher, dass das richtig ist -: Die entscheidende Frage,
die wir vielleicht falsch beantwortet haben, ist nicht die,
die wir heute stellen - ob die Olympischen Spiele boykottiert werden sollten oder nicht -, sondern war die
Frage, die wir uns im Jahre 2001 gestellt haben. Denn
was für ein System in China im Jahre 2001 geherrscht
hat, das war, wie ich glaube, jedem, der an der Vergabeentscheidung mitgewirkt hat, von Anfang an klar.
Für mich ist aus sportlicher Perspektive Folgendes
sehr wichtig: Würden wir die politische Verantwortung
für Demonstrationen und Proteste auf die Sportlerinnen
und Sportler verlagern, die nach Peking fahren, um dort
Sport zu treiben und Medaillen zu gewinnen, dann wäre
das falsch.
({0})
Kein einziger aktiver Sportler hat im Jahre 2001 für die
Vergabe der Olympischen Spiele an Peking gestimmt.
Deshalb haben die Verantwortung dafür, dass die Olympischen Spiele dort stattfinden, nach wie vor diejenigen,
die offenbar nichts hinzugelernt haben. Diese Verantwortung tragen diejenigen, die nicht nur die Entscheidung für Peking getroffen haben, sondern vor kurzem
auch noch die Olympischen Winterspiele an den bekannten Wintersportort Sotschi vergeben haben. Für die Fehler, die gemacht worden sind, sollten wir diejenigen verantwortlich machen, die verantwortlich sind: Das sind
die Funktionäre in den Sportverbänden, die daran verdienen. Wir wissen ja, was für ein Klub das IOC ist. Wir
wissen auch, dass sie sich von VW und Adidas sponsern
lassen. Das sollte an dieser Stelle einmal gesagt werden.
({1})
Was ist uns im sicheren Westen ein Boykott wert? Wir
sollten einmal dahin schauen, wo die Menschen drangsaliert werden, wo die Menschen unter dem politischen
System leiden. Ich weiß, dass viele Journalisten, die in
Peking aktiv sind, sich darauf freuen, dass diese Olympischen Spiele in China stattfinden. Gestatten Sie mir, jemanden zu zitieren, der die Spiele in Peking befürwortet,
aber unverdächtig sein dürfte, weil er nach dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989 vier Jahre im Gefängnis saß: Liu Xiaobo hat dem Spiegel auf die Frage,
ob man die Olympischen Spiele in Peking boykottieren
sollte, gesagt:
Das wäre keine gute Methode, China zu bestrafen.
So etwas sagt ein Dissident, einer, der mehrfach inhaftiert worden ist. Er sagt weiter:
Wenn die Spiele misslängen, bekäme das den Menschenrechten nicht gut. Dann würde die Regierung
überhaupt nicht mehr aufs Ausland hören. Ich persönlich denke: Wir wollen die Spiele, und wir wollen noch mehr die Achtung der Menschenrechte.
Wir sollten bei unseren Debatten immer im Hinterkopf behalten, dass sehr viele Menschen in China mit
den Olympischen Spielen Hoffnungen verbinden. Diese
Hoffnungen sollten wir nicht enttäuschen, indem wir andere auffordern, an den Spielen nicht teilzunehmen.
({2})
Zur Situation der Menschenrechte in Tibet ist eine
Menge gesagt worden. Die Marginalisierung der Tibeter
hat in den letzten Jahren zugenommen. Auf der anderen
Seite hat sich die ökonomische Situation in Tibet deutlich verbessert. Man darf sich allerdings nicht darauf beschränken, die Situation der Tibeter - die zugegebenermaßen schwierig ist - zu kritisieren. Wir müssen den
Einfluss, den wir haben, nutzen und zum Beispiel unsere
Entwicklungszusammenarbeit so definieren und unsere
Investitionsentscheidungen so treffen, dass nicht nur die
Han-Chinesen, sondern auch die Tibeter etwas davon haben. Das sollte ein Merkmal unserer Politik sein.
({3})
Abschließend möchte ich ein Zitat bringen, das die
Entwicklung in Tibet in den letzten Wochen auf den
Punkt bringt. Es stammt vom Dalai Lama, der übrigens
auch gesagt hat, dass es falsch wäre, die Olympischen
Spiele in Peking zu boykottieren, einfach deshalb, weil
sich die Menschen in China, wie er sagt, die Spiele verdient haben, es sich verdient haben, in diesem Sinne in
der Öffentlichkeit zu stehen. Man sollte also nicht päpstlicher sein als der Papst; ich weiß, dass dieser Ausspruch
nicht ganz passt. Nun zum Zitat des Dalai Lama. Er hat
gesagt: Brutale Gewalt, gleichgültig wie intensiv sie angewandt wird, kann niemals das grundlegende Bedürfnis
nach Freiheit und Würde unterdrücken. - Wenn wir das
beherzigen, müssen wir zu dem Ergebnis kommen, dass
die Olympischen Spiele in Peking eine Chance sind. Wir
sollten uns mit dem Dalai Lama verbünden, um die
Situation in China zu verbessern.
Danke schön.
({4})
Das Wort hat nun der Kollege Holger Haibach für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Situation
in Tibet ist schlimm; aber sie hat zumindest ein Gutes:
Die Weltöffentlichkeit schaut auf Tibet, sie schaut darauf, wie in China mit den Menschenrechten umgegangen wird. Seien wir ehrlich: Wie viel Aufmerksamkeit
wäre der Achtung der Menschenrechte zuteil geworden,
wenn das, was in den letzten Wochen und Monaten in
Tibet geschehen ist, nicht geschehen wäre? Hätten wir
genau hingeschaut? Die Olympischen Spiele wären
letztendlich ein tolles Sportfest gewesen, und nur in
Fachkreisen hätten Außen- oder Menschenrechtspolitiker oder Nichtregierungsorganisationen über die Situation diskutiert. Eine öffentliche Diskussion hätte es nicht
gegeben. Insofern bin ich froh, dass sich der Deutsche
Bundestag in einer Aktuellen Stunde mit diesem wichtigen Thema beschäftigt. Ich sage das als Menschenrechtspolitiker, aber eben auch als Vorsitzender des interfraktionellen Tibet-Gesprächskreises; denn ich
glaube, eines müssen wir hier ganz klar sehen: Wir werden nur dann einen Einfluss haben - und unser Einfluss
ist in dieser Frage nicht völlig unbegrenzt -, wenn wir
versuchen, gemeinsam zu agieren und aufzutreten.
Gemeinsam auftreten bedeutet, dass die Politik, der
Sport - die Sportverbände - und die Wirtschaft, die als
Sponsor einen wichtigen Anteil an diesen Fragen hat,
gemeinsam vorgehen. Der Vorteil von Deutschland als
Demokratie ist, dass hier unterschiedliche Meinungen
erstens erlaubt und zweitens erwünscht sind. Wenn wir
zitieren, dann sollten wir aber vorsichtig sein. Herr Kollege Kolbow, Sie wissen, dass das Zitat, das Sie dem
Kollegen von Klaeden entgegengehalten haben, aus den
90er-Jahren stammt, als auch der Dalai Lama noch eine
andere Haltung zur Ein-China-Politik hatte.
({0})
Deswegen sollten Sie noch einmal darüber nachdenken,
ob es an der Stelle wirklich angebracht gewesen ist, dieses Zitat zu bringen.
Lieber Herr Kollege Leutert, auch die Haltung der
Linksfraktion - nicht nur hier im Deutschen Bundestag ist nicht hilfreich. Was Ihre Kollegin Schneider in der
Bürgerschaft in Hamburg gesagt hat, sprengt zumindest
mein Verständnis dafür, wie man den Dalai Lama und
die Tibet-Bewegung sehen kann.
({1})
Den Dalai Lama in die Nähe von Herrn Chomeini zu
stellen, zeigt nicht nur, dass einige bei Ihnen offensichtlich nicht verstanden haben, wie die Wirklichkeit ist,
sondern das zeigt auch ganz deutlich, dass Sie die Geschichte nicht verstanden haben.
Es handelt sich beim Dalai Lama um einen religiösen
Führer. Herr Chomeini hat eindeutig Staatsgewalt an
sich gerissen. Jemanden, der für Demokratie, Menschenrechte und kulturelle Autonomie eintritt, in die Nähe eines Menschen zu rücken, der vor nichts, aber auch gar
nichts zurückgeschreckt hat, halte ich, ehrlich gesagt, für
völlig verfehlt. Das hilft der Sache an keiner Stelle weiter.
({2})
Wenn wir über die Frage reden, wer welche Verantwortung hat, dann muss klar sein: Gewalt, egal von welcher Seite, muss immer verurteilt werden. Eines möchte
ich an der Stelle aber auch einmal gesagt haben: Der
Gewalt der Tibeter geht eine jahrzehntelange Unterdrückung voraus. Wir haben es in Tibet mit der Situation
zu tun, dass Menschen über viele Jahrzehnte minorisiert
worden sind, indem 7,5 Millionen Han-Chinesen nach
Tibet umgesiedelt worden sind. Sie haben erleben müssen, dass ihre eigenen Vorkommen und Bodenschätze
von anderen ausgebeutet worden sind.
Der Kollege Paech hat in einem Interview geäußert,
dass es etwas Besonderes sei, dass in China Hunger und
ähnliche Dinge beseitigt worden sind. Das mag generell
vielleicht stimmen. Gerade für Tibet stimmt das aber
eben nicht. Gerade unter den Tibetern ist die Zahl der
Analphabeten wesentlich höher, nämlich beinahe sechsmal so hoch wie in jeder anderen Region. Das durchschnittliche Einkommen ist wesentlich niedriger, und der
Zugang zur Bildung ist wesentlich schwieriger. Insofern
stimmt das gerade an dieser Stelle nicht. Solche falschen
Behauptungen helfen in der Debatte nicht weiter.
({3})
Ich glaube, dass es richtig ist, dass jeder seine Verantwortung trägt. Wir als Politiker sollten klar machen, dass
wir menschenrechtsunwürdiges Vorgehen nicht zu akzeptieren bereit sind. Ich denke, dass es richtig und notwendig ist, dass die Sportverbände das, was sie zur
Grundlage der Entscheidung über die Vergabe von
Olympischen Spielen machen, nämlich auch die Einhaltung von Menschenrechten, nicht nur zwei Wochen vor
den Olympischen Spielen und auf internationalen Druck
hin überprüfen. Das muss ein regelmäßiger Prozess sein.
Der Ethikteil der Olympischen Charta ist genauso wichtig wie jeder andere Teil auch. Auch dieses Signal muss
von diesem Hohen Hause heute ausgehen.
({4})
Ich möchte natürlich auch die Position der Wirtschaft
nicht außen vor lassen. Wenn Politiker wie die Bundeskanzlerin, der Bundesaußenminister, der polnische Ministerpräsident, der Bundespräsident und auch Václav
Klaus beschließen, nicht zu der Eröffnungsfeier zu gehen, dann wäre es nur richtig und konsequent, wenn prominente Wirtschaftsvertreter genau das Gleiche tun würden; denn nur dann bekäme der Protest eine tatsächliche
Wirksamkeit.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, über die
heutige Debatte hinaus würde ich gerne erleben, dass wir
uns auch über innerparteiliche Diskussionen in Deutschland hinaus regelmäßig mit Tibet und China auseinandersetzen, damit der Spruch, den der Dalai Lama einmal
geprägt hat, dass nämlich die Tibeter sozusagen die Pandas der Weltgeschichte sind, die alle lieb haben, für die
aber niemand etwas tut, nicht Wirklichkeit wird.
Herzlichen Dank.
({5})
Nächster Redner ist der Kollege Swen Schulz für die
SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich freue mich, dass ich als Mitglied des Sportausschusses in dieser Debatte reden darf.
({0})
Dafür gibt es auch gute Gründe. Denn die Tatsache, dass
die Lage in Tibet derzeit im Fokus der Weltöffentlichkeit
steht, ist eng damit verbunden, dass im Sommer die
Olympischen Spiele in Peking stattfinden werden. Das
zeigt auch die Bedeutung und die Kraft der olympischen
Idee, und es zeigt, welche Chancen die Vergabe der
Olympischen Spiele durch das IOC an China mit sich
bringt. Auch die großen Menschenrechtsorganisationen
begrüßen ebenso wie der Dalai Lama - das ist bereits angesprochen worden - die Chancen, die die Olympischen
Spiele in Peking mit sich bringen.
Man kann also aus guten Gründen so entscheiden wie
das Internationale Olympische Komitee, das 2001 die
Olympischen Spiele an Peking vergeben hat. Aber man
muss das richtig machen und die Chancen, die sich bieten, tatsächlich nutzen. Dafür sind Vorkehrungen nötig.
Es müssen Garantien gegeben werden, deren Einhaltung
dann auch überprüft werden muss. Es muss Sanktionsmöglichkeiten geben, und vor allen Dingen muss man
den Mund aufmachen, wenn etwas schief läuft.
({1})
Das hat das IOC leider nur sehr spät und meines Erachtens ausgesprochen verhalten getan.
Das IOC führt immer wieder das Argument an, dass
die Situation in Tibet und auch die Frage der Menschenrechte an anderer Stelle Sache der Politik ist und nichts
mit Sport zu tun hat, weswegen es sich heraushält. Das
ist blanker Unsinn.
({2})
Denn zum einen hat auch das IOC selbst 2001, als die
Spiele an Peking vergeben wurden, mit der Chance der
Öffnung Chinas und der Unterstützung der Menschenrechte argumentiert.
Zum anderen ist die olympische Idee grundsätzlich
hochpolitisch. Das ist auch in der Olympischen Charta
schriftlich festgehalten, die sozusagen die Verfassung
der olympischen Bewegung ist. Zu den Grundregeln der
olympischen Bewegung gehören die Achtung universell
gültiger ethischer Grundsätze, die Unterstützung und
Schaffung einer friedliebenden Gesellschaft und die
Wahrung der Menschenrechte. Jegliche Form der Diskriminierung ist mit der Zugehörigkeit zur olympischen
Bewegung unvereinbar. Das soll nicht politisch sein?
({3})
Man kann nicht zuerst solche Grundsätze verfassen,
aber dann, wenn sie massiv verletzt werden, einfach darüber hinweggehen und sie sozusagen als politisches Tagesgeschäft abtun, als ob man über die Änderung der
Straßenverkehrs-Ordnung reden würde. Vielmehr sind
die olympischen Ideen ein Handlungsauftrag für das
IOC.
({4})
Die Olympiade kann nicht alles richten. Damit wäre
der Sport überfordert. Er kann nicht alles hinbekommen,
was die Politik nicht schafft. Aber das IOC ist in der
Verantwortung und muss aktiv seinen Teil beitragen.
Manchmal hat man aber nachgerade den Eindruck, als
ob genau das Gegenteil passiert.
Folgender Vorgang ist aus meiner Sicht der Gipfel:
Da gibt es Sportlerinnen und Sportler, die ankündigen,
dass sie sich - anders als die IOC-Gewaltigen - erheben
und für die Wahrung der Menschenrechte einsetzen wollen, aber statt sie zu unterstützen, droht ihnen das IOC,
sie von den Olympischen Spielen auszuschließen. Das
darf nicht wahr sein. Das muss sich ändern.
({5})
Wenn man hört, was IOC-Mitglieder von sich geben,
bleibt einem manchmal die Spucke weg. Beispielsweise
hat einer - ich glaube, es war der Vertreter aus dem
Tschad - gesagt:
Athleten sollen nicht denken. Sie sollen an den
Spielen teilnehmen.
Ich finde, dass nicht die aufrechten Sportlerinnen und
Sportler aus der olympischen Familie ausgeschlossen
werden sollten, sondern solche Funktionäre, die die
olympische Idee verraten.
({6})
Nach Lage der Dinge hilft ein Boykott weder den
Menschen in Tibet noch anderswo in China. Er muss
aber im Extremfall möglich bleiben. Deswegen war die
Swen Schulz ({7})
voreilige Entscheidung des DOSB, auf jeden Fall an den
Spielen teilzunehmen, nicht richtig.
({8})
Ich glaube, dass damit der Regierung in Peking ein Freibrief erteilt wurde. Ich füge aber hinzu: Wenn ein Boykott notwendig wäre, dann dürfte er nicht nur auf dem
Rücken der Sportlerinnen und Sportler ausgetragen werden, sondern dann sind auch andere Bereiche - zum Beispiel die Wirtschaft - gefragt. Ich glaube, dass es dann
eine Gesamtverantwortung gibt.
Nach Lage der Dinge ist es ratsam, hinzufahren und
Flagge zu zeigen. Das gilt für Politiker, Sportfunktionäre
sowie Sportlerinnen und Sportler. Wir erwarten, dass der
Einsatz für Menschenrechte nicht unterbunden oder mit
Sanktionen belegt wird. Es ist ein Unterschied, ob im
Olympiastadion von Peking für eine Partei oder für eine
Ideologie gestritten wird oder ob sich jemand für die
Wahrung der Menschenrechte einsetzt. Das darf nicht
unter Strafe stehen.
({9})
Wir erwarten vom Deutschen Olympischen Sportbund, dass er sich beim IOC für eine entsprechende
Änderung der Linie einsetzt sowie die Athletinnen und
Athleten, die sich engagieren wollen, berät, ermutigt und
unterstützt. Nur auf diese Art und Weise können die
Chancen der Olympischen Spiele tatsächlich genutzt
werden und kann der notwendige Dialog zwischen der
Regierung der Volksrepublik China und den Tibetern unterstützt werden. Wir dürfen die deutsche Mannschaft
nicht als eine Art Staffage für eine gigantische PR-Show
der Kommunistischen Partei Chinas dorthin schicken.
Auch das wäre politisch, aber politisch blind.
Vielen Dank.
({10})
Nächster Redner ist der Kollege Eduard Lintner für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Ich kann jetzt nicht mehr allzu viele neue
Aspekte zu diesem Thema beitragen. Aber lassen Sie
mich noch einmal die Aufmerksamkeit darauf lenken,
dass das, was nun geschieht, eigentlich keine Überraschung ist, denn es ist das katastrophale Resultat einer
jahrzehntelang gültigen, sehr prinzipiellen Komponente
der chinesischen Politik, die sehr zielgenau darauf ausgerichtet ist, Tibet mit dem chinesischen Kernland
gleichzuschalten und durch massenhaften Zuzug von
Chinesen aus dem Kernland die religiöse und kulturelle
Eigenständigkeit, also die ethnische Identität der Tibeter
bedeutungslos zu machen. Jeder, der Tibet besucht hat,
weiß, dass China als Gegenleistung die Verbesserung der
wirtschaftlichen Situation, die Anhebung des Lebensstandards und den Ausbau der Infrastruktur immer wieder anführt. Das trifft durchaus zu. Aber dieses coole
Kalkül geht nicht auf; denn nun wird weltweit sichtbar,
dass der Wille der Tibeter, ihre Identität zu behaupten,
lebendig ist wie eh und je, ja eher wächst. China sollte
daher einsehen, dass die bisherige Politik im Ergebnis
die Probleme eher verschärft hat und immer unlösbarer
macht, statt sie zu reduzieren oder gar zu lösen.
Da eine vernünftige Lösung mit einem Autonomiemodell immer schwieriger zu werden droht, weil
aufseiten der Tibeter erst belastbares Vertrauen in die
Absichten Chinas aufgebaut werden muss, muss die chinesische Politik dazu gebracht werden, sich auf eine Autonomieregelung ernsthaft einzulassen. China hat offenbar eine gewaltige Angst davor, dass jeder Schritt in
Richtung Autonomie im Verlangen nach Unabhängigkeit
vom chinesischen Staat mündet und dass letztlich die Integrität des Staates gefährdet wird. Aber genau diese
Entwicklung - ich glaube, darin sind wir uns alle einig provoziert der von China eingeschlagene Weg. Indem er
jedes Vertrauen zerstört, innerhalb Chinas die wichtigen
ethnischen Besonderheiten - Religion, Kultur und Sprache - einigermaßen bewahren zu können, zwingt man
die Tibeter geradezu in die Radikalität. Die chinesische
Führung meint offenbar, ihr gewaltiges Machtpotenzial
und eine erdrückende Mehrheit von Chinesen im Lande
würden mit dem Widerstand der Tibeter schon fertig
werden. Aber diese Rechnung wird sicherlich nicht aufgehen. Die FAZ hat in diesem Zusammenhang an das
recht treffende Wort des chinesischen Philosophen
Laotse erinnert: „Gewalt zerbricht an sich selbst.“ - Dieses weise Wort aus ihrer eigenen Geschichte sollte der
chinesischen Führung ernsthaft zu denken geben.
({0})
So etwas kann insgesamt aber nur mit den Tibetern
und nicht gegen sie oder über sie hinweg erfolgreich
sein. Dazu gehört zwingend - das wurde schon von vielen betont - die Einbindung des Dalai Lama und seiner
Anhänger. China sollte froh sein, dass der Dalai Lama
und ein Großteil seiner Anhänger heute noch bereit sind,
diesen Weg mitzugehen. Es wird aber auch berichtet,
dass die Stimmung unter den Tibetern zu kippen droht,
insbesondere bei den Jugendorganisationen. Wenn der
Dalai Lama seine Drohung vom 18. März tatsächlich
wahrmacht und sich zurückzieht, weil er die Gewalt
nicht mehr stoppen kann, dann droht eine unkontrollierbare, blutige Auseinandersetzung, die eigentlich niemand, auch nicht die chinesische Seite, wollen kann.
Das Ergebnis einer solchen Entwicklung wäre im Übrigen, dass China in seinen Bemühungen um Ansehen und
politisches Gewicht um Jahrzehnte zurückgeworfen
würde. Das bliebe, so fürchte ich, auch nicht ohne Konsequenzen im chinesischen Machtapparat. Es brächte die
Gefahr eines radikalen Wandels hin zu mehr Unterdrückung und weg von den versprochenen Reformen mit
sich, und auch ein Wechsel im Führungspersonal wäre
dann nicht mehr auszuschließen.
Unsere Reaktion sollte solche Gefahren ganz rational
einkalkulieren. Deshalb kann unsere Haltung eigentlich
nur sein, dass wir ganz selbstverständlich auf dem Recht
auf Protest und freie Meinungsäußerung bestehen, nicht
aber mit einem Boykott der Spiele reagieren. Wir sollten
im Gegenteil ganz bewusst die Chancen nutzen, die in
dem vertraglich verbrieften Recht liegen, dass im Rahmen der Olympischen Spiele fast 30 000 akkreditierte
Journalisten aller denkbaren Medien und aus der ganzen
Welt sich im ganzen Land frei bewegen dürfen und ihre
Berichterstattung auch keinen Beschränkungen unterliegt - so jedenfalls die Zusagen des IOC. Ein Boykott
würde das Ende auch dieser recht attraktiven Chance bedeuten und darf deshalb für uns, finde ich, nicht in Betracht kommen.
({1})
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich
dem Kollegen Gert Weisskirchen von der SPD-Fraktion
das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man sich mit China im Detail befasst, auf die Philosophie - wie zum Beispiel im Tao Te King des Laotse und seine Tradition blickt, kann man sehr genau sehen,
dass das, was mit Gewalt zu tun hat - Sie haben es eben
zitiert -, an sich selbst zerbrechen wird. Das ist etwas,
was gegenwärtig im chinesischen Bewusstsein nicht präsent ist. Aber in der chinesischen Politik ist präsent, dass
man das Gesicht wahren muss. Deshalb reagiert man in
bestimmten Situationen so hart, wie man es gegenwärtig
getan hat.
Natürlich ist für uns das Wichtigste - das ist uns gerade an dem heutigen Tag präsent -, dass Menschen ein
Recht auf Rechte haben. Das ist in der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen zusammengefasst.
Darauf können und dürfen wir nicht verzichten. Das gilt
universell, das gilt auch in der Volksrepublik China. Daher bin ich sehr dankbar, dass die Bundesregierung in
diesem Punkt so klar und deutlich sagt: Menschenrechte
sind für uns etwas, was in jedem Fall zu gelten hat.
Wenn wir das sagen, wissen wir aber auch, dass es Regionen auf dieser Erde gibt, von denen wir wissen, dass
die Menschenrechte so, wie wir es wünschen, gegenwärtig nicht durchgesetzt werden können. Das gilt eben
auch für China.
Was wird Ende August oder im September die Bilanz
der Olympischen Spiele sein? Können die Olympischen
Spiele so etwas werden wie das, was von Beginn an unsere Hoffnung war? Können die Olympischen Spiele zu
einem wirklichen Wettbewerb von jungen Menschen
werden? Können die Olympischen Spiele zu einer Begegnung werden, zu einer Begegnung des offenen Denkens und des Lernens voneinander? Können die Menschen erfahren, dass der eine genauso Recht hat wie der
andere, beide mit einer anderen Meinung in den Wettkampf gehen und trotzdem voneinander gelernt werden
kann? Oder müssen wir fürchten, dass nicht das gemeinsame Lernen, sondern die Angst vor dem, was in China
auch möglich ist, diese Olympischen Spiele prägen
wird? Ich wünschte mir, dass genau das, die Angst vor
der staatlichen Gewalt, die Olympischen Spiele nicht
prägen wird. Was wir tun können, müssen wir tun, um
das, was wir nicht wollen, zu verhindern.
Ich hoffe sehr, dass in Peking das, was hier debattiert
worden ist, verstanden wird. Es gibt ein paar Hinweise
darauf, dass es verstanden wird. Internationale Journalisten werden gegenwärtig eingeladen - zu ihnen gehört ein
Journalist der Welt -, damit von den unterschiedlichen
Regionen ungeschminkte Bilder gezeigt werden. Ich
finde, das ist ein ermutigendes Zeichen. Wenn viele Tausende Journalisten mehr in den nächsten Wochen und
Monaten nach China kommen werden, dann ist auch das
ein Zeichen dafür, dass die Entwicklung der Öffnung,
der Begegnung, des Ernstnehmens und Wahrnehmens
der Chancen für die Modernisierung in diesem Lande
- diese Entwicklung gibt es ebenfalls in China - am
Ende das Bild Chinas prägt - das wünschen wir - und
dass auf jeden Fall dafür gesorgt wird, dass die Ängste
vor der staatlichen Gewalt nicht real werden. Ich hoffe,
dass das in China verstanden wird.
Vielleicht kann der Hinweis, der heute vom Dalai
Lama in Tokio gegeben worden ist, auch in China ernst
genommen werden. Der Dalai Lama hat auf die Frage,
ob er an den Olympischen Spielen teilnehmen möchte,
geantwortet, er wünsche, an der Eröffnungszeremonie
teilnehmen zu können und die Olympischen Spiele begleiten zu dürfen. Ich hoffe, dass das in China als ein
Angebot verstanden wird. Was hier gesagt worden ist, ist
richtig: Wenn es den Dalai Lama einmal nicht mehr gibt,
mit wem kann man den Dialog fortsetzen? Diesen Dialog hat es bei Deng Xiaoping gegeben. Er hat genau gewusst, wie notwendig es ist, dass ein Dialog zwischen
China und Tibet geführt wird. Diese Chance sollte genutzt werden. Ich hoffe sehr, dass in Peking das Angebot
vom Dalai Lama ernst genommen wird und dass die
Konflikte und Probleme zwischen Tibet und China, die
deutlich sind - Modernisierung ist immer mit Konflikt
verbunden -, von denen, die jetzt die Chance haben,
China auf einen guten Weg zu bringen, genutzt werden.
Ich hoffe sehr, dass der Dalai Lama vom Auswärtigen
Ausschuss eingeladen wird, wenn er hier im Deutschen
Bundestag ist, damit wir mit ihm darüber debattieren
können, wie die Chance, dass China und Tibet einen vernünftigen Ausgleich finden, genutzt werden kann. Ich
hoffe, dass das in Peking verstanden wird.
({0})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - Verbesserung der Ausbildungschancen
förderungsbedürftiger junger Menschen
- Drucksache 16/8718 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile als erstem Redner in der jetzt eröffneten
Aussprache das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär Klaus Brandner.
({1})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Wenn es eine gesellschaftspolitische Aufgabe gibt, die
vor allen anderen gelöst werden muss, dann ist es die,
für alle jungen Menschen eine qualifizierte Ausbildung
sicherzustellen. Nur so gewinnen wir die junge Generation für unsere Gesellschaft, nur so sichern wir den Jugendlichen Teilhabe und die Möglichkeit, ihre Berufsund Lebenschancen aktiv wahrzunehmen.
In der vergangenen Woche hat die Bundesregierung
den Berufsbildungsbericht 2008 vorgelegt. Dabei waren
gute Entwicklungen zu vermelden: Der Ausbildungspakt
wirkt; im Jahre 2007 sind rund 625 900 Ausbildungsverträge neu abgeschlossen worden. Das ist die zweithöchste Zahl, die seit der Wiedervereinigung zu verzeichnen ist; nur 1999 waren wir besser.
({0})
Das, meine Damen und Herren, ist auch gut so. Gut ist
besonders, dass über 53 000 Betriebe neu als Ausbildungsbetriebe gewonnen werden konnten. Das alles sind
gute Nachrichten, keine Frage; denn das Wichtigste, womit wir junge Leute ausstatten können, sind Zugänge zu
Bildung und Qualifikation, sind Chancen auf Ausbildung und Arbeit.
Aber diese Erfolge reichen noch nicht aus, denn noch
immer ist es eine traurige Wahrheit, dass ausbildungswilligen und -fähigen jungen Leuten der Einstieg in die
duale Ausbildung nicht gelingt. Vor allem für diejenigen,
die schon seit einem oder zwei, manchmal seit drei Jahren einen Ausbildungsplatz im dualen System suchen,
hat sich die Situation weiter zugespitzt,
({1})
denn die Zahl der sogenannten Altbewerber ist erneut
gestiegen. Erstmals suchen jetzt mehr Alt- als Neubewerber einen Ausbildungsplatz. Diese Entwicklung dürfen wir nicht tatenlos hinnehmen. Dort, wo Menschen
abgedrängt und vergessen werden, müssen wir konkret
handeln.
({2})
Jeder von Ihnen kann sich vor Augen führen, wie man
sich fühlt, wenn man über 100 Bewerbungen geschrieben hat und nur Absagen erhält. Aufs Abstellgleis geschoben, nicht gebraucht zu werden, das ist meines Erachtens die schlimmste Erfahrung für zu viele junge
Menschen in unserem Land. Wir wollen, dass diese jungen Leute, die schon lange auf einen Ausbildungsplatz
warten, eine neue Chance im dualen System bekommen.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgen wir
deshalb klare und einfache Ziele. Wir wollen denjenigen,
die schon seit mehreren Jahren einen Ausbildungsplatz
im dualen System suchen, neue Perspektiven geben, indem wir ihnen zusätzliche Chancen auf dem Ausbildungsmarkt eröffnen. Deswegen wollen wir, für drei
Jahre befristet, einen Ausbildungsbonus für förderungsbedürftige Altbewerber schaffen. Wir wollen Schulabgänger, denen der Schritt von der Schule in die Berufsausbildung schwerer fällt, dabei gezielt unterstützen, wir
wollen ihnen gezielt Hilfen zuteil werden lassen. Deswegen wollen wir zunächst befristet und modellhaft den Berufseinstiegsbegleiter einführen. Außerdem wollen wir
da, wo es ausnahmsweise sinnvoll und wirklich wichtig
ist, eine zweite Chance geben und eine zweite Berufsausbildung mit Berufsbeihilfe fördern.
Die Zeit zum Handeln ist dabei gut, denn die Wirtschaftsentwicklung in unserem Land ist nach wie vor positiv. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten steigt, die Zahl der arbeitslosen Menschen in
unserem Land nimmt ab. Diesen Schwung können wir
jetzt aufnehmen, und wir können ihn weiter verstärken.
Dabei wollen wir den Ausbildungsbonus befristen, weil
wir einen Impuls geben und den Jugendlichen jetzt helfen wollen, ohne - das sei ganz deutlich gesagt - die
Wirtschaft grundsätzlich aus ihrer Verantwortung zu entlassen.
({3})
Ich erkenne ausdrücklich an, dass viele Unternehmen
und vor allem die mittelständischen Betriebe, besonders
die im Handwerk, große Anstrengungen unternehmen,
um Ausbildungsplätze zu schaffen.
({4})
Aber ich sage auch - dies tue ich gemeinsam mit denjenigen Handwerkern und Mittelständlern, die häufig genug bis an die Grenze dessen gehen, was sie leisten können -, dass das alles noch nicht ausreicht; denn wer
heute nicht ausbildet, sägt sich den Ast ab, auf dem er
morgen sitzen will.
({5})
Gerade in Zeiten wirtschaftlicher Stärke ist es nicht zu
verstehen, dass Zigtausende junger Leute ohne Ausbildungschance bleiben, weil zu viele Betriebe zwar vom
dualen System profitieren, sich aber noch nicht ausrei16166
chend daran beteiligen. Deshalb richtet sich mein Appell
an die, die mehr tun können: Erfüllen Sie Ihre Pflicht,
bilden Sie aus! Sie handeln damit auch in Ihrem ureigenen Interesse.
Wir fördern unser bewährtes duales Ausbildungssystem; denn wir wollen die betriebliche Ausbildung ausbauen. Deswegen setzen wir mit dem Ausbildungsbonus
ganz praxisnah an und zahlen ihn an Arbeitgeber, die in
ihrem Betrieb Altbewerber zusätzlich einstellen und ausbilden.
Arbeitgeber haben dann einen Anspruch auf den Ausbildungsbonus, wenn sie einen Altbewerber ausbilden,
der keinen Schulabschluss oder einen Hauptschul- oder
einen Sonderschulabschluss hat, oder wenn sie einen
Altbewerber ausbilden, der über einen mittleren Schulabschluss mit einer höchstens ausreichenden Note in
Deutsch oder Mathematik verfügt.
({6})
Auch für die zusätzliche Ausbildung eines lernbeeinträchtigen oder sozial benachteiligten jungen Menschen,
der im Vorjahr oder früher die allgemeinbildende Schule
verlassen hat, erhält der Arbeitgeber zukünftig den Ausbildungsbonus. Darüber hinaus können Arbeitgeber den
Ausbildungsbonus unter bestimmten Bedingungen als
Ermessensleistung erhalten.
Mit den geplanten Förderkriterien vermeiden wir Mitnahmeeffekte, stellen aber gleichzeitig sicher, dass alle,
die eine besondere Förderung brauchen, auf jeden Fall
unterstützt werden. Wir wollen, dass die Förderung plakativ und einfach ist. Deswegen beträgt der Bonus
4 000, 5 000 oder 6 000 Euro, je nach Höhe der für das
erste Ausbildungsjahr tariflich vereinbarten oder ortsüblichen Ausbildungsvergütung. Für die Förderung mit
dem Ausbildungsbonus rechnen wir bis 2012 mit Ausgaben von rund 450 Millionen Euro.
Weitere 240 Millionen Euro geben wir bis zum Jahr
2014 dafür aus, junge Menschen durch Berufseinstiegsbegleitung beim Übergang von der Schule in die Ausbildung individuell zu unterstützen. Vorbilder hierfür sind
die vielen Modelle ehrenamtlicher Ausbildungspatenschaften von Verbänden, Vereinen, Gewerkschaften und
anderen Organisationen, die bisher schon sehr wertvolle
Arbeit geleistet haben.
({7})
Unser Ziel ist, mit der Qualifizierungsinitiative der
Bundesregierung bis zum Jahr 2010 100 000 zusätzliche
Ausbildungsplätze zu schaffen. Es geht um Menschen.
Jede bzw. jeder muss die Chance auf einen Einstieg in
das Arbeitsleben haben, die Chance, sich selbst zu beweisen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Das
ist ein Anspruch, für den wir uns stark machen.
Unser Ziel ist ehrgeizig - wir wissen es -, aber es ist
möglich, dieses Ziel zu erreichen, wenn alle mit ganzer
Kraft mithelfen. Mit diesem Gesetz kommen wir unserem Ziel einen, wie ich finde, wichtigen Schritt näher.
({8})
Ich bitte Sie alle um Mithilfe, damit möglichst viele
junge Menschen eine positive Zukunft und einen guten
Einstieg ins Arbeitsleben haben.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Kollege Jörg Rohde von der FDPFraktion.
({0})
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Herr Staatssekretär, das waren schöne Worte für
schwache Inhalte.
({0})
Die Große Koalition steht in dieser Disziplin der
Schröder-Regierung kaum nach. Der heute zur Debatte
stehende Ausbildungsbonus knüpft nahtlos an diese Tradition an: Die Bundesregierung erkennt ein Problem und
gibt dann eine Antwort, die es nicht lösen wird:
({1})
Ihr Gesetzentwurf beinhaltet erstens eine Definition
der Zielgruppe, nämlich die „förderungsbedürftigen
Auszubildenden“, und zweitens die Zahl der zu fördernden Jugendlichen. Schon hier unterläuft Ihnen von RotSchwarz der erste Fehler. Sie fassen die Kriterien für die
Förderungsbedürftigkeit, die Sie eben vorgetragen haben, so weit, dass mehrere Hunderttausend Jugendliche
potenzielle Kandidaten für nur 100 000 zusätzliche Ausbildungsplätze sind.
Anstatt sich auf die wirklich schwierigen Fälle zu
konzentrieren und sich mit ehrgeizigen Zielen von ganz
unten langsam nach oben zu arbeiten, zählen Sie bereits
Schüler mit Realschulabschluss und einer Vier in Mathematik zu den Problemfällen.
({2})
Natürlich werden diese Jugendlichen schnell einen mit
Ihrem Ausbildungsbonus geförderten Ausbildungsplatz
bekommen.
Der DIHK schätzt, dass allein unter das Kriterium
„Realschulabschluss mit höchstens einer Vier in Deutsch
oder Mathe“ circa 40 000 bis 50 000 Jugendliche fallen.
Auch Jugendliche mit Realschulabschluss, die seit einem Jahr oder länger einen Ausbildungsplatz suchen,
werden von Ihnen bereits als förderungswürdig eingestuft. Darunter fallen derzeit über 300 000 Jugendliche.
Diese Aufzählung ließe sich anhand der anderen Kriterien fortsetzen. Die Förderbedürftigkeit ist einfach zu
weit gefasst. Wir von der FDP sagen Ihnen: Sie schießen
weit über das Ziel hinaus.
({3})
Im Endeffekt werden sich die Arbeitgeber die besten Jugendlichen heraussuchen. Die Mitnahmeeffekte, die Sie
vermeiden wollen, werden eintreten, Herr Staatssekretär.
Die wirklichen Problemfälle bleiben chancenlos, weil
viel zu viele Ausbildungsplätze für Jugendliche gefördert werden, die auch ohne eine finanzielle Förderung in
eine Ausbildung zu vermitteln wären. Mit der jetzigen
Ausgestaltung der Förderkriterien laden Sie die ausbildenden Unternehmen geradezu dazu ein, sich unter den
eine Ausbildung suchenden Jugendlichen die Rosinen
herauszupicken. Gleichzeitig diskriminieren Sie Erstbewerber mit Hauptschulabschluss; denn ein ausbildender
Unternehmer wird künftig vorrangig einen seit längerem
suchenden Jugendlichen einstellen, weil er für dessen
Ausbildung einen Zuschuss bekommt. Damit erreichen
Sie das Gegenteil von dem Erwünschten.
({4})
Sie erschweren einem großen Teil der Haupt- und Realschüler den Einstieg in die Berufsausbildung. Frische
Abgänger von Haupt- und Realschulen haben dann einen
Nachteil gegenüber denen, die bereits seit längerer Zeit
nach einem Ausbildungsplatz suchen. Wollen Sie das
wirklich? - Das kann ich mir nicht vorstellen, meine Damen und Herren.
Sie machen auch den Fehler, eine Förderung auszuschließen, wenn der Auszubildende bereits eine Einstiegsqualifizierung im selben Betrieb absolviert hat.
({5})
Durch diese Regelung wird das sinnvolle Instrument der
Einstiegsqualifizierung unnötig geschwächt. Unterlassen
Sie das bitte im Interesse der Altbewerber.
Werte Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, ein weiteres Erfolgshemmnis in Ihrem Antrag ist
die vorgesehene Regelung, bereits nach der Hälfte der
Ausbildungszeit den gesamten Bonus auszuzahlen. Wir
wissen alle, dass gerade bei besonders förderbedürftigen
Auszubildenden die Abbrecherquote hoch ist. Hier muss
für die ausbildenden Betriebe ein Anreiz gesetzt werden,
die Azubis zum Durchhalten und zu einem Abschluss
der Ausbildung zu motivieren.
({6})
Deshalb ist es ratsam, die letzte Tranche der Förderung
erst nach einer Abschlussprüfung auszuzahlen.
Auch die Finanzierung des Ausbildungsbonus sollte
noch einmal überdacht werden. Die Förderung allein aus
Mitteln der Bundesagentur für Arbeit zu bezahlen, kann
nicht der richtige Weg sein.
({7})
Mittel der Bundesagentur für Arbeit sind Beitragszahlermittel. Sie werden von den Erwerbstätigen aufgebracht
und dienen deren Absicherung. Die Unterstützung förderungsbedürftiger Jugendlicher ist jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
({8})
Sie sollte deshalb solidarisch aus Steuermitteln finanziert werden.
Herr Kollege Rohde, erlauben Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Müller?
Sehr gern.
Bitte schön, Herr Müller.
Vielen Dank, Herr Präsident. - Herr Kollege Rohde,
würden Sie mir beipflichten, dass es in bestimmten Ausnahmefällen durchaus im Interesse des Beitragszahlers
sein kann, wenn man gerade junge Menschen frühzeitig
aus Beitragsmitteln fördert, um langfristig Arbeitslosigkeit zu verhindern? Würden Sie mir beipflichten, dass
dies auch im Interesse der Beitragszahler wäre?
Herr Müller, ich pflichte Ihnen bei, dass es im Interesse der Beitragszahler sein kann. Wir müssen uns aber
darüber unterhalten, wie die Mittel am sinnvollsten eingesetzt werden können. Es gibt bereits verschiedene versicherungsfremde Leistungen, die durch die Bundesagentur für Arbeit finanziert werden. Wir sollten diesen
nicht noch eine weitere hinzufügen. Wir sollten eher die
Gegenrichtung verfolgen, um eine reine Versicherung zu
bewahren. Darüber können wir aber sicher im Ausschuss
oder in Erlangen weiterdiskutieren.
({0})
Jede bürokratische Hürde wird zu weniger Akzeptanz
der Förderung und damit zu weniger Ausbildungsplätzen
führen. Daher lautet meine Bitte an die Große Koalition:
Beziehen Sie die IHK und die Arbeitgeber mit in die
Entwicklung der Verwaltungsanordnungen ein. Wir
müssen bürokratische Hürden möglichst vermeiden.
({1})
Als behindertenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion möchte ich an dieser Stelle positiv herausheben, dass für schwerbehinderte Jugendliche eine um
30 Prozent erhöhte Förderung vorgesehen ist. Ich begrüße ausdrücklich, dass mit dem Gesetzentwurf die besonderen Schwierigkeiten behinderter Jugendlicher bei
der Integration in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt
anerkannt werden.
({2})
- Man muss auch einmal ein gutes Haar an einem Entwurf lassen; wenigstens eines.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemeinsam die Anhörung und Beratung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales nutzen, um die Fehler
des vorliegenden Gesetzentwurfs zu korrigieren. Dass
der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände eine gemeinsame Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf abgegeben haben, ist der beste Beweis für die glasklaren
Fehlanreize des vorliegenden Entwurfs.
({3})
Ich möchte zum Schluss nicht unerwähnt lassen, dass
wir mit der heutigen Debatte leider keinen Beitrag dazu
leisten, das eigentliche Problem, die fehlende Ausbildungsreife, zu lösen. Mit dem Bonus sollen ausbildende
Unternehmen ermuntert werden, das nachzuholen, was
in den allermeisten Fällen in der Schule versäumt wurde.
({4})
Fakt ist: Zehntausende Jugendliche verlassen bei uns die
Schulen, ohne die nötigen Fähigkeiten für ein existenzsicherndes Erwerbsleben erworben zu haben. Hier müssen
wir ansetzen.
({5})
Vom Kleinkindalter an müssen vor allem Kinder mit
Sprach- und Lernschwierigkeiten besser gefördert werden. Kindern und Jugendlichen muss Lust am Lernen
vermittelt werden. Mehr Praxisbezug in der Schule kann
dazu beitragen. Schule muss auch konkreter auf Ausbildung und Beruf vorbereiten.
({6})
Es kann nicht sein, dass Jugendliche am Ende ihrer schulischen Ausbildung völlig orientierungslos im Hinblick
auf ihren beruflichen Werdegang sind. Deshalb muss der
Übergang von der Schule in die Ausbildung und den Beruf besser unterstützt und begleitet werden.
Der heute zur Debatte stehende Ausbildungsbonus
soll vor allem den Jugendlichen helfen, bei denen Schule
und Elternhaus diese Aufgaben nicht zufriedenstellend
bewältigt haben. Das eigentliche Problem schlechter Berufsvorbereitung löst er nicht. Bund, Länder und alle anderen Beteiligten, also auch wir hier im Hause, müssen
gemeinsam neue Strategien entwickeln. Dafür setzt sich
die FDP auf allen Ebenen ein.
Meine Damen und Herren, dieses Gesetz verfolgt
wirklich einen guten Zweck. Wir erkennen auch an, dass
etwas für die benachteiligten Jugendlichen getan werden
soll. Aber das muss zielgerichtet geschehen, und die
Maßnahmen müssen diejenigen, für die sie gedacht sind,
auch erreichen. Ich befürchte, dass das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht passieren wird. Es werden
sich Mitnahmeeffekte einstellen. Deswegen bitte ich gerade Sie, meine Damen und Herren von der roten und
der schwarzen Fraktion: Bessern Sie im Interesse der
Betroffenen nach! Wenn Sie entsprechende Nachbesserungen vorschlagen, können Sie vielleicht auch mit Unterstützung aus der FDP-Fraktion rechnen. Im Moment
kann ich das aber noch nicht avisieren.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Kollege Franz Romer von der CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Lage am Arbeitsmarkt ist so gut
wie lange nicht mehr. Ich brauche die positiven Zahlen
hier nicht erneut zu verlesen.
({0})
Wir alle kennen sie und wissen um den Beitrag der Großen Koalition.
In den vergangenen Jahren hat sich auch der Ausbildungsmarkt insgesamt positiv entwickelt. Der Ausbildungspakt hat Früchte getragen. Allerdings machen wir
uns um Teilbereiche der Berufsbildung Sorgen. Besonders der Übergang von der Schule zum Beruf gestaltet
sich oft schwierig. Genau diese Probleme gehen wir jetzt
an.
({1})
Wir wissen, dass eine gute Bildung und Ausbildung
grundsätzlich das Risiko, im späteren Leben arbeitslos
zu werden, erheblich senken. Dies gilt sowohl für die
Hochschulbildung als auch für die berufliche Bildung.
Diese Tatsache ist nicht nur für die individuelle Entwicklung der jungen Menschen wichtig, sondern auch für die
gesamte Gesellschaft; denn gute Bildung trägt immer
auch zur Vermeidung der hohen Kosten bei, die durch
Arbeitslosigkeit entstehen.
({2})
Gut qualifizierte Menschen in unserem Land steigern die
Produktivität, zahlen Steuern, halten die Sozialsysteme
stabil. Sie haben eine Perspektive, gründen Familien, bekommen Kinder und sind für sich selbst verantwortlich.
Die Statistiken zeigen uns, dass beim Übergang von
der Schule in die Berufsausbildung ein erhebliches Defizit besteht. Der Anteil der Jugendlichen, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind und ihren Schulabschluss im Jahr zuvor oder früher gemacht haben, ist
in den letzten Jahren auf über 52 Prozent der Ausbildungsplatzbewerber angestiegen. Diese Gruppe kennen
wir auch unter dem Begriff „Altbewerber“. Ihr Anteil
umfasst also inzwischen mehr als die Hälfte aller Bewerber.
Bei Gesprächen in meinem Wahlkreis erlebe ich oft,
dass Ausbildungsbetriebe hohe Anforderungen an ihre
Bewerber stellen, während zugleich viele Jugendliche
nur mit mittleren oder unterdurchschnittlichen Ergebnissen die Schule verlassen.
Hier wollen wir nun anpacken, und darum unterstützen wir den Gesetzentwurf der Bundesregierung. Das
Ziel sind zusätzliche betriebliche Ausbildungsplätze für
Altbewerber. Hier ist ein Ausbildungsbonus in gestaffelter Höhe bis 6 000 Euro der richtige Weg. Auch der Anreiz zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze ist
richtig. Eine erfolgsabhängige Auszahlung der Bonusleistung in zwei Stufen halten wir für sinnvoll.
Natürlich kann man über die Bürokratiekosten streiten. Wichtig ist, dass das Instrument wirksam ist und
gleichfalls ein Missbrauch ausgeschlossen ist. Wir achten darauf, dass durch den Ausbildungsbonus keine regulären Ausbildungsplätze vernichtet werden
({3})
oder nur noch geförderte Plätze entstehen. Der Gesetzentwurf trägt mit seinen Regelungen und Auszahlungsmodalitäten dieser Problematik ausreichend Rechnung.
Durch den Ausbildungsbonus hat kein Neubewerber
schlechtere Chancen gegenüber Altbewerbern. Wir stellen sicher, dass nur für die Schaffung zusätzlicher
Plätze - ich betone: zusätzlicher Plätze - ein Bonus gezahlt wird. Wir haben einen sehr großen Sockel an Altbewerbern, die wir in Ausbildung bringen müssen. Bis
2010 sollen so 100 000 Jugendliche, die bisher weniger
Chancen hatten, einen besseren Zugang zum Ausbildungsmarkt bekommen.
Wir unterstützen ausdrücklich die Initiative zur Berufseinstiegsbegleitung aus dem Konzept „Jugend Ausbildung und Arbeit“. Viele Probleme beim Übergang
von der Schule in den Beruf resultieren aus fehlender
Unterstützung zu Beginn des Berufs- und Arbeitslebens.
Die Orientierung des Programms an ehrenamtlichen Projekten aus Verbänden und Vereinen finde ich sehr gut.
Aus meinem Wahlkreis und der Region Oberschwaben
insgesamt sind mir zahlreiche Projekte zur Berufsorientierung und Berufseinstiegsbegleitung bekannt. So gibt
es in der IHK-Region Ulm allein 37 Modellschulen, die
im Bildungsnetzwerk Schule und Wirtschaft mitarbeiten,
und 21 direkte Partnerschaften von Schulen und Unternehmen. Eine staatliche Unterstützung in diesem Bereich ist nötig und sehr zu begrüßen.
In diesem Zusammenhang halte ich die geplante Vergabe des Ausbildungsbonus für Zweitausbildungen als
Ermessensleistung für sehr richtig. Wir können es uns
nicht leisten, dass motivierte Auszubildende wegen des
Abbruchs einer Ausbildung, die ihren Fähigkeiten und
Interessen vielleicht nicht entsprach, ihr Leben lang benachteiligt sind.
({4})
Schaffen sie den Sprung in eine neue Ausbildung nicht,
muss hier im Einzelfall Unterstützung möglich sein.
Ich fasse zusammen: Der Ausbildungsbonus führt zu
besseren Chancen für Altbewerber. Berufswahlförderung und Berufseinstiegsbegleitung schon in den Schulen helfen, Perspektiven und Chancen durch die richtige
Berufsausbildung zu finden. Die Unterstützung von
Zweitausbildungen hilft in Zukunft, den Anteil der Altbewerber zusätzlich zu verringern.
Ich bedanke mich.
({5})
Das Wort hat die Kollegin Cornelia Hirsch von der
Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Brandner, ich stimme Ihnen zu, wenn Sie sagen:
Ausbildung heißt Zukunft. Aber mit Ihrem Gesetzentwurf haben viele junge Menschen auch weiterhin keine
Zukunft.
({0})
Die Linke hält den Entwurf aus drei Gründen für ein
schlechtes Gesetz: Erstens nehmen Sie darin eine völlig
falsche Einschätzung der Lage auf dem Ausbildungsmarkt vor. Zweitens nehmen Sie eine völlig falsche Einschätzung Ihrer eigenen bisherigen Berufsbildungspolitik vor und drittens - das ist die entscheidende Frage für
die Linke - stellt das Ganze keine Hilfe für die betroffenen Jugendlichen dar.
({1})
Ich beginne mit dem ersten Punkt: Einschätzung der
Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Da möchte ich gleich
den ersten Satz aus dem Gesetzentwurf zitieren:
Der Ausbildungsmarkt hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt.
({2})
Das ist falsch.
({3})
Richtig müsste es heißen: Die Statistik ist in den letzten
Jahren immer gekonnter schöngerechnet worden, um die
Misere zu verschleiern.
({4})
- Liebe Kollegen, wenn Sie an dieser Stelle protestieren,
dann sollten Sie zur Kenntnis nehmen, dass im Berufsbildungsbericht 385 000 Jugendliche als sogenannte Altbewerber ausgewiesen werden.
({5})
Unter Altbewerber versteht man Jugendliche, die schon
mindestens ein Jahr auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind.
({6})
Da müssen Sie sich die Frage stellen, warum diese Jugendlichen schon über ein Jahr auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Diese Jugendlichen waren
zunächst in der Statistik enthalten; sie sind dann in irgendwelche Übergangsmaßnahmen gesteckt worden und
galten als vermittelt. Jetzt aber tauchen sie wieder in der
Statistik auf. Deshalb sagt die Linke: Der erste Schritt zu
einer besseren Berufsbildungspolitik wäre eine realistische Statistik.
({7})
Zweiter Punkt: Einschätzung Ihrer eigenen Politik.
Hier kann ich weiter aus dem Gesetzentwurf zitieren:
Die Bundesregierung hat mit den Partnern im Nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs
- für unsere Zuhörer sage ich: Das ist der Ausbildungspakt viel erreicht.
Die Frage ist nur, für wen sie viel erreicht hat. Vermutlich hat sie viel erreicht, um ihr eigenes Gewissen zu beruhigen. Ganz sicher hat sie auch viel für die Unternehmen erreicht, die sich Jahr für Jahr weiter aus ihrer
Verantwortung für die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen stehlen.
({8})
Was sie aber nicht erreicht hat, ist, dass die Zukunftschancen der Jugendlichen verbessert wurden. Aber genau das wäre das Entscheidende gewesen.
Versetzen Sie sich doch mal in die Lage der Betroffenen: Erstes Beispiel. Mehmet aus Berlin hat vor zwei
Jahren sogar einen relativ guten Hauptschulabschluss
gemacht. Aber aufgrund des riesigen Bewerberandrangs
auf dem Ausbildungsmarkt hat er keine Ausbildungsstelle gefunden. Er hat angefangen zu jobben, aber er ist
nirgendwo richtig untergekommen. Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich sage Ihnen: Wenn diesem jungen
Mann nicht geholfen wird, dann bleibt er ohne Berufsausbildung und damit dauerhaft in der Erwerbslosigkeit
oder im Niedriglohnbereich.
({9})
Zweites Beispiel. Katharina aus Düsseldorf hat letztes
Jahr einen guten Realschulabschluss gemacht. Sie hat
sich beworben, aber keine Ausbildungsstelle gefunden.
Der Andrang der Bewerber war zu groß. Sie ist dann
schließlich in eine Einstiegsqualifizierung gesteckt worden, am Ende aber nicht übernommen worden. Da ist für
diese junge Frau eine Welt zusammengebrochen. Sie
weiß jetzt überhaupt nicht, wie sie mit dieser Situation
umgehen soll.
Drittes Beispiel. Kevin aus Dresden hat nur mit Ach
und Krach den Hauptschulabschluss geschafft. Was er
bräuchte, wären ein guter Ausbildungsplatz und zusätzlich ausbildungsbegleitende Hilfen.
({10})
Was er gekriegt hat, waren Qualifizierungsmaßnahmen,
in denen er mittlerweile schon zwei Jahre steckt. Es wird
immer offensichtlicher, dass er aus diesen Warteschleifen nicht herauskommt.
Das sind keine fiktiven Beispiele, sondern das ist
Realität.
({11})
Mehmet, Katharina und Kevin sind drei Beispiele von
385 000 Jugendlichen. 385 000-mal haben Sie auf diese
Weise Zukunft zerstört. Trotzdem behaupten Sie in dem
Gesetzentwurf, dass Sie viel erreicht haben. Das sollten
Sie den betroffenen Jugendlichen einmal direkt sagen.
({12})
Mein dritter Punkt ist die Frage: Hilft dieser Ausbildungsbonus, den Sie mit diesem Gesetzentwurf einführen wollen, den Betroffenen? Wenn man sich diesen Gesetzentwurf durchliest, dann kann man sagen, dass die
Antwort lautet: Nein, Sie helfen den Betroffenen damit
nicht.
Wir haben bei der Bundesregierung nachgefragt, ob
sichergestellt ist, dass es sich um zusätzliche Ausbildungsplätze handelt, die gefördert werden. Sie musste in
ihrer Antwort zugeben, dass sogar Unternehmen, die in
diesem Jahr weniger ausbilden als im Vorjahr, eine Förderung erhalten können.
({13})
Wir haben weiterhin nachgefragt, ob die Zielgruppe
gut eingegrenzt ist. Auch hier wurde offensichtlich, dass
die Förderkriterien viel zu weit gefasst sind. Die
450 Millionen Euro, von denen Sie, Herr Brandner, eben
sprachen, kommen nicht bei den Betroffenen an, sondern
verpuffen weitgehend ohne Wirkung.
({14})
Wir haben schließlich nachgefragt, ob mit diesem
Ausbildungsbonus nicht eine Schmalspurausbildung gefördert wird,
({15})
weil der Bonus gleich ist, unabhängig davon, ob es sich
um eine zwei- oder dreijährige Ausbildung handelt. Die
Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass auch dieser
Effekt nicht ausgeschlossen werden kann.
({16})
Deshalb sagt die Linke: Dieser Ausbildungsbonus ist
keine Antwort auf die Misere auf dem Ausbildungsmarkt. Für uns ist klar, wo der Hauptfehler liegt.
({17})
- Herr Kollege, vielleicht sollten Sie erst einmal zuhören. - Der Hauptfehler ist, dass dieser Ausbildungsbonus
hinkt.
({18})
Er hinkt, weil er nur auf einem Bein der von uns geforderten Umlagefinanzierung steht, nämlich auf dem Bein:
Wer ausbildet, soll unterstützt werden. Das zweite Bein,
das notwendig ist, um wirklich voranzukommen, wurde
aber vergessen. Dieses zweite Bein ist: Wer nicht ausbildet, soll zahlen.
({19})
Der Anspruch der Linken ist ganz klar: Alle müssen
das Recht auf ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen haben. Weder der Ausbildungspakt noch
dieser Ausbildungsbonus sind der richtige Weg zu diesem Ziel. Die Linke fordert stattdessen eine gesetzliche
Ausbildungsplatzumlage.
Besten Dank.
({20})
Das Wort hat die Kollegin Brigitte Pothmer von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich
ist es kaum vorstellbar: Trotz positiver konjunktureller
Signale, trotz anwachsenden Fachkräftemangels suchen
immer noch 385 000 junge Menschen länger als ein Jahr
einen Ausbildungsplatz, und das alles - Herr Brandner
hat darauf hingewiesen - mit steigender Tendenz.
Jetzt wird so getan, als handele es sich dabei um Jugendliche, die einen schlechten oder gar keinen Schulabschluss haben. Das ist aber ausweislich des Berufsbildungsberichts eindeutig falsch.
({0})
Die Bundesregierung hat gesagt, 100 000 dieser Jugendlichen mithilfe des Ausbildungsbonus in eine betriebliche Ausbildung vermitteln zu wollen. Das Versprechen
ist: zusätzliche Ausbildungsplätze; benachteiligte Jugendliche sollen davon profitieren. Wenn das so wäre,
wären wir dafür; das kann ich Ihnen versichern. Herr
Romer, Sie halten das Versprechen, das Sie gerade noch
einmal gegeben haben, leider nicht.
({1})
Dabei handelt es sich nicht um meine private Einschätzung, Herr Brauksiepe. Ich befinde mich mit dieser
Auffassung in guter Gesellschaft: Die BDA - eine Organisation, die Sie gemeinhin anerkennen - weist in ihrer
Stellungnahme auf extreme Fehlanreize und erhebliche
Mitnahmeeffekte hin, und der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in seiner Stellungnahme unter Berufung auf das
Bundesinstitut für Berufsbildung - das ist eigentlich auch
eine angesehene Adresse - darauf hingewiesen, dass die
Kriterien für Zusätzlichkeit, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, dafür sorgen würden, dass bis auf den öffentlichen Dienst alle, aber auch wirklich alle Wirtschaftsbereiche bei gleicher Zahl von Ausbildungsverträgen wie
2007 von dieser Förderung profitieren würden.
Damit aber noch nicht genug. Es kommt noch schlimmer: Nach der Regelung, die Sie in Ihrem Gesetzentwurf
vorsehen, wäre es sogar möglich, dass Unternehmen, die
weniger Ausbildungsverträge als 2007 abschließen, über
diesen Bonus gefördert werden. Ich bitte Sie: Was soll
das? Das ist doch Schmu.
({2})
Das ist eine krasse Fehlsubventionierung. Diese Fehlsubventionierung lehnen der DGB und die Wirtschaftsverbände ab. Auch die Länder kritisieren im Berufsbildungsbericht, dass vom Ausbildungsbonus benachteiligte
Jugendliche und leistungsschwache Bewerberinnen und
Bewerber eben nicht profitieren.
({3})
- Ich kenne ihn auswendig.
Es gibt gute Gründe für diese breite Ablehnung. Ich
will Ihnen einmal vortragen, was die Bundesregierung
auf unsere Anfrage geantwortet hat: Nach Aussage der
Bundesregierung werden mithilfe dieses Ausbildungsbonus - das ist jetzt vollkommen klar - auch Abiturienten
gefördert.
Das sage nicht ich, das sagt die Bundesregierung. Ich
habe nichts gegen Abiturienten. An der einen oder anderen Stelle kann es notwendig sein, sie zu unterstützen.
Dass aber ausgerechnet sie zu den Benachteiligten gehören, das können Sie nun wahrlich niemandem erklären.
({4})
Frau Kollegin Pothmer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Tauss?
Gerne.
Bitte, Herr Tauss.
Liebe Frau Kollegin Pothmer, wir haben neulich
schon einmal miteinander diskutiert. Wollen Sie einem
Abiturenten oder einer Abiturientin, einer Realschülerin
oder einem Realschüler, der oder die möglicherweise
nicht das beste Abitur oder den besten Abschluss dieser
Welt abgelegt hat, nicht an die Uni kommt oder möchte
und zwei, drei Jahre vergeblich einen Ausbildungsplatz
sucht, ernsthaft sagen: „Weil ihr nicht Hauptschüler genug seid, kommt ihr nie in den Genuss entsprechender
Leistungen, die wir für genau diesen Personenkreis vorsehen“? Haben Sie zur Kenntnis genommen, dass für genau diesen Personenkreis in Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit ein Ermessensspielraum eingefügt
worden ist?
({0})
Das heißt, dass man an dieser Stelle definitiv ausschließen kann, dass in irgendeiner Form missbräuchlich vom
Bonus Gebrauch gemacht wird. Haben Sie diesen Teil
des Gesetzentwurfes gelesen? Würden Sie ihn zur
Kenntnis nehmen? Was sagen Sie den jungen Menschen,
die davon betroffen sind?
({1})
Ich könnte mich über diesen Zynismus fast aufregen.
({2})
Ich kann Ihnen sagen, was aus unserer Sicht und übrigens auch aus Sicht der Wirtschaftsverbände, des DGB,
der Länder etc. das Problem ist.
({0})
Nach den Kriterien, so wie Sie sie im Gesetzentwurf formuliert haben, sind ungefähr mehr als 250 000 junge
Menschen förderungsfähig. Es ist doch klar wie Kloßbrühe:
({1})
Es gibt nur 100 000 geförderte Plätze, und es wird zu einer Rosinenpickerei kommen. Das Nachsehen werden
die haben, die wirklich die Benachteiligten sind. Um die
müssen Sie sich kümmern.
({2})
Ich danke Ihnen für Ihre Frage. Sie dürfen sich jetzt wieder setzen.
({3})
Ich will Ihnen, Herr Tauss, sagen: Für eine wirklich
gezielte Förderung von Ausbildungsplätzen brauchen
wir den Ausbildungsplatzbonus gar nicht. Dafür haben
wir im SGB II längst die Möglichkeiten. Ich muss sagen:
Wir hatten unter § 16, sonstige Maßnahmen, die Möglichkeiten. Er war ausdrücklich dafür da, im Einzelfall
gezielte Förderung vorzunehmen. Was machen Sie? Sie
streichen § 16 zusammen. Das Arbeitsministerium hat
dort einen Riegel vorgeschoben, und zwar mit dem Argument, es könne zu Missbrauch kommen. Da lacht
doch die Koralle! Bei diesem gezielten Instrument kommen Sie mit der Möglichkeit des Missbrauchs und kassieren es ein. An dessen Stelle setzen Sie ein breit angelegtes Instrument, über das selbst diejenigen, die die
Nutznießer sein sollen, sagen, dass es Fehlanreizen Tür
und Tor öffnet.
({4})
Es ist nicht klug, ein Instrument, das gut, sinnvoll und
zielgerichtet ist, wegzuhauen und stattdessen sozusagen
mit der Gießkanne zu fördern. Ich finde, das ist eine zirkusreife Nummer. Damit werden Sie das Ausbildungsplatzproblem nicht lösen. Den Berg der Altbewerber
werden Sie damit auch nicht abbauen.
({5})
Lassen Sie mich jetzt noch etwas Grundsätzliches sagen, das mir sehr am Herzen liegt. Ich finde, wir müssen
endlich damit aufhören, die Einlösung des Rechts auf
eine Berufsausbildung vom Aufstieg und Fall des Konjunkturbarometers abhängig zu machen.
({6})
Es kann doch nicht richtig sein, dass Jugendliche, die einem geburtenstarken Jahrgang angehören, in einer konjunkturschwachen Phase auf dem Ausbildungsmarkt
Pech haben. Ich sage Ihnen: Mit dem, was wir in der
Vergangenheit, zum Teil auch gemeinsam, gemacht haben - Appelle an die Wirtschaft, Ausbildungsverbünde
und eine stärkere Subventionierung von Ausbildungsplätzen -, haben wir das Problem nicht gelöst. Dadurch
haben wir inzwischen fast 400 000 Jugendliche, die länger als ein Jahr einen Ausbildungsplatz suchen. Wir werden den Betroffenen damit nicht gerecht.
({7})
Aber wir werden damit auch der Gesellschaft nicht gerecht, weil diese 400 000 Jugendlichen der Wirtschaft in
den nächsten Jahren als Arbeitskräfte fehlen werden.
({8})
Lassen Sie uns überall dort, wo es uns nicht gelingt,
genügend betriebliche Ausbildungsplätze zu schaffen,
überbetriebliche Ausbildungsplätze ermöglichen. Wir
wollen das duale System nicht abschaffen, wir wollen es
aber ergänzen. Wir wollen diese 3,5 Milliarden Euro teuren unnützen Warteschleifen in Ausbildungsmodule umgestalten.
({9})
Auf diese Weise setzen wir das Geld vernünftig ein
und reden nicht nur über ein Recht auf Ausbildung, sondern ermöglichen dieses auch tatsächlich. Ich denke, das
sind wir den Jugendlichen schuldig.
Ich danke Ihnen.
({10})
Das Wort hat die Kollegin Katja Mast von der SPDFraktion.
({0})
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Bildung, Ausbildung und lebenslanges Lernen sind die
beste Arbeitslosenversicherung.
({0})
Deshalb brauchen wir eine Arbeitsmarktpolitik mit Perspektive. Arbeitsmarktpolitik, die nur reagiert und nicht
vorsorgt, ist schlechte Arbeitsmarktpolitik.
({1})
Das Gesetz über den Ausbildungsbonus für Altbewerber, das wir heute einbringen, ist ein Musterbeispiel für
vorsorgende Arbeitsmarktpolitik.
({2})
Das Kernversprechen ist: Aufstieg und Zukunft durch
Bildung auch für die Jugendlichen, die sich schon über
ein Jahr lang erfolglos um einen Ausbildungsplatz bemüht haben. Aufstieg durch Bildung: Das ist im Übrigen
auch das Kernversprechen sozialdemokratischer Politik.
({3})
Viele meiner Kollegen haben im Hintergrund für dieses Gesetz gekämpft. Heute beginnt der parlamentarische Prozess. Der Ausbildungsbonus ist Teil der Qualifizierungsinitiative der Bundesregierung, die von der
Bundesbildungsministerin Annette Schavan im Januar
verkündet wurde. Heute gießt das Haus von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz einen finanziell anspruchsvollen Teil dieser Initiative in Gesetzesform.
({4})
Wir sichern 100 000 jugendlichen Altbewerbern mit
Hauptschulabschluss oder schlechtem Realschulabschluss zu, sie auf ihrem Weg in den Beruf zu stärken.
({5})
Wir versprechen auch, die Unternehmen zu unterstützen,
die diesen Jugendlichen eine Chance geben, und zwar
mit Geld und - das ist wichtig - sozialpädagogischer Begleitung über die gesamte Ausbildung hinweg.
({6})
Wir lassen weder Azubi noch Ausbildungsbetrieb allein.
({7})
Wir haben für dieses Gesetz aus Erfahrungen vor Ort
gelernt. Nicht Theorie, sondern Praxis leitet diesen Gesetzentwurf - und im Übrigen auch ein Beschluss der
Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus dem Verwaltungsrat
der Bundesagentur für Arbeit.
Bei mir zu Hause in Baden-Württemberg - genauer:
in Pforzheim und im Enzkreis - haben wir seit einigen
Jahren einen solchen Ausbildungsbonus für Schüler des
Berufsvorbereitungsjahres. Die junge Aishe ist ein gutes
Beispiel: Sie hat 2004 einen schlechten Hauptschulabschluss gemacht und ging dann in ein Berufsvorbereitungsjahr, weil sie keinen Ausbildungsplatz gefunden
hat. Nach diesem Jahr hat sie 80 erfolglose Bewerbungen geschrieben. Der Durchbruch kam mit dem Bonus
von 7 500 Euro für drei Ausbildungsjahre und dem Versprechen, dass sie während der Ausbildung im Betrieb
von einem Jobcoach sozialpädagogisch begleitet wird.
Ein Pforzheimer Einzelhandelsunternehmen stellte sie
ein. Die Ausbildung verlief nicht ganz ohne Probleme,
aber durch Jobcoach und Nachhilfe ging es immer weiter. Im November 2007 hatte sie ihren Abschluss als Einzelhandelskauffrau nach dem zweiten Anlauf in der Tasche. Seither arbeitet sie im Verkauf.
({8})
Mit diesem Gesetz unterstützen wir aber nicht nur,
sondern wir formulieren auch eine klare Erwartungshaltung gegenüber der Wirtschaft. Wer den Fachkräftemangel beklagt, der muss dafür sorgen, dass jeder Jugendliche in Deutschland ausgebildet wird.
({9})
Wir vonseiten der Bundespolitik nehmen zur Kenntnis, dass es Jugendliche gibt, denen man beim Eintritt
ins Berufsleben helfen muss, und zwar ohne zu fragen,
ob das Elternhaus, die Schule oder wer auch immer versagt hat. Uns geht es um die Bildungschancen der Jugendlichen. Wir greifen also denjenigen Unternehmen
unter die Arme, die sich ihrer Verantwortung für die
Ausbildung Jugendlicher stellen, die sie ohne unsere
Hilfe aber nicht einstellen würden. Im Gegenzug erwarten wir, dass wirklich jeder Jugendliche ausgebildet
wird. Nur so können wir den Fachkräftebedarf in Zukunft decken.
Für mich als Sozialdemokratin ist der Weg der vorsorgenden Arbeitsmarktpolitik absolut richtig.
({10})
Damit entwickeln wir unsere zehnjährige sozialdemokratische Regierungspolitik und unser Engagement für
Jugendliche weiter. Das ist ein guter Schritt für unsere
Jugend und unseren vorsorgenden Sozialstaat. Wir müssen in B wie Bildung, in A wie Ausbildung und in LL
wie lebenslanges Lernen investieren. Das ist nicht nur
die beste Arbeitslosenversicherung; BALL ist auch eine
runde Sache. Mit BALL bleibt unser Versprechen gültig:
Aufstieg und Zukunft durch Bildung.
({11})
Das Wort hat der Kollege Stefan Müller von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
sollten diese Debatte zum Anlass nehmen, zunächst einmal unserer Freude darüber Ausdruck zu verleihen, dass
sich die positive Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in
den ersten Monaten des Jahres 2008 fortgesetzt hat. Erfreulich ist diese Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt
auch deshalb, weil sie auch auf die Zahl der Ausbildungsplätze durchschlägt.
({0})
Wir freuen uns mit jedem jungen Menschen, der im letzten Jahr eine Ausbildungsstelle gefunden oder in diesem
Jahr eine Zusage bekommen hat.
Gleichwohl darf das natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in Deutschland immer noch
364 000 junge Menschen unter 25 Jahren gibt, die keine
Ausbildungsstelle bekommen haben und nach wie vor
arbeitslos sind. Es ist zwar ein erfreulicher Rückgang um
73 000 arbeitslose Jugendliche zu verzeichnen. Dennoch
sage ich: 364 000 junge Menschen unter 25 Jahren, die
keine Lehrstelle haben, sind 364 000 zu viel.
({1})
Insofern kann uns die derzeitige Situation noch nicht zufriedenstellen. Es gibt immer noch junge Menschen, die,
nachdem sie die Schule verlassen haben, keine Lehrstelle finden. Es gibt immer noch junge Menschen, die
Hunderte von Bewerbungen schreiben, aber keine Lehrstelle finden.
Was es für junge Leute, die am Anfang ihres Berufslebens stehen, bedeutet, das Gefühl zu haben, nicht gebraucht zu werden, kann sich, wie ich glaube, jeder von
uns sehr gut vorstellen; wir können uns in diese jungen
Leute hineinversetzen. Die Perspektivlosigkeit, die diese
jungen Menschen beschleicht, ist letztlich auch der
Nährboden für vieles andere. Die Politik muss daher
nicht nur aus arbeitsmarktpolitischen Gründen, sondern
auch aus gesellschaftspolitischen Gründen dazu beitragen, dass junge Menschen eine Lehrstelle finden.
({2})
Je länger die Lehrstellensuche dauert, umso schwieriger wird es, tatsächlich den Einstieg ins Berufsleben zu
schaffen. Von daher ist der Inhalt dieses Gesetzentwurfes
auch in gesellschaftspolitischem Sinne zu verstehen.
Uns geht es darum, insbesondere denen eine Chance zu
geben, die sich in den vergangenen Jahren vergeblich bemüht haben, eine Lehrstelle zu finden. Der Berufsausbildungsbericht ist bereits angesprochen worden. Auch im
Jahr 2007 waren nahezu die Hälfte der Bewerber sogenannte Altbewerber, also Personen, die sich schon vergeblich bemüht hatten, eine Lehrstelle zu finden. Liebe
Kolleginnen und Kollegen, wir sollten uns nichts vormachen: Bei diesen jungen Menschen ist der Aufschwung
noch nicht angekommen. Wir sind gefordert, dafür zu
sorgen, dass auch sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt
bekommen.
({3})
Wir schlagen vor, einen Ausbildungsbonus einzuführen. Wir wollen den Unternehmen einen finanziellen Anreiz geben, damit sie zusätzliche Ausbildungsplätze
schaffen, insbesondere Altbewerber einstellen und vor
allem solchen jungen Menschen eine Chance geben, die
sozial benachteiligt oder als lernschwach einzustufen
sind. Die Betonung liegt auf zusätzlichen Arbeitsplätzen.
Freilich, Herr Kollege Rohde: Wenn für Unternehmen finanzielle Anreize geschaffen werden, müssen Mitnahmeeffekte ausgeschlossen werden; das wird niemand
von uns bestreiten. Aber Sie können nicht bestreiten,
dass im Gesetzentwurf entsprechende Vorschläge enthalten sind, um solche Mitnahmeeffekte auszuschließen.
Wir alle haben Briefe bekommen von IHK, DGB und
BDA, in denen Vorschläge geäußert wurden. Es gibt ein
geordnetes Verfahren hier im Parlament, bei dem wir uns
erst am Anfang befinden.
({4})
Wir sollten die Vorschläge in aller Ruhe sorgfältig prüfen, wenn wir diesen Gesetzentwurf in den nächsten Wochen im Plenum bzw. in den Ausschüssen beraten.
({5})
- Gerne, Frau Pothmer.
Frau Pothmer, Sie haben gesagt, dass es besser wäre,
überbetriebliche Ausbildung zu fördern, anstatt einen
Ausbildungsbonus zu zahlen. Glauben Sie tatsächlich,
dass eine überbetriebliche Ausbildung besser ist als eine
Ausbildung in der Wirtschaft, in den Unternehmen?
({6})
Glauben Sie wirklich, dass überbetriebliche Ausbildung
günstiger wäre? Ich jedenfalls bestreite das. Ich glaube,
dass der Ansatz, den wir mit dem vorgeschlagenen Ausbildungsbonus verfolgen, vernünftig ist.
({7})
Letztlich geht es darum, jungen Menschen eine
Chance zu geben, am Erwerbsleben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Deswegen bitte ich herzlich darum, in den nächsten Wochen nicht in ordnungspolitische Debatten zu verfallen, sondern mitzuhelfen, dass
Stefan Müller ({8})
junge Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt,
eine Zukunftsperspektive bekommen.
Die deutsche Volkswirtschaft ist auf gut ausgebildete
Fachkräfte angewiesen. Wir alle hören ständig, wie die
Unternehmen über den Fachkräftemangel klagen. Ich
glaube, dass er nicht so dramatisch ist, wie er manchmal
dargestellt wird. In manchen Bereichen, in der metallverarbeitenden Industrie beispielsweise, ist er allerdings
nicht von der Hand zu weisen. Von daher sind wir gefordert, etwas zu tun, um den Fachkräftemangel zu beheben. Dies ist aber nicht nur Aufgabe der Politik; es ist
auch und gerade Aufgabe der Wirtschaft, dafür zu sorgen, dass kein Fachkräftemangel entsteht.
({9})
Ich habe kein Verständnis dafür, dass es in den vergangenen Jahren verhältnismäßig viele Unternehmen gegeben
hat, die nicht ausgebildet haben.
({10})
Heute nicht ausbilden und morgen über einen Fachkräftemangel klagen, das geht nicht.
({11})
Der beste Fachkräftenachwuchs ist immer noch derjenige, den man selber ausbildet.
Ich will die Gelegenheit nutzen, allen Unternehmen,
insbesondere allen kleinen und mittelständischen Unternehmen, die in den letzten Jahren ausgebildet haben, zu
danken.
({12})
Diese Unternehmen sind ihrer sozialen Verantwortung
gerecht geworden. Einzig und allein diese Unternehmen
sollen jetzt in den Genuss finanzieller Unterstützung
kommen, wenn sie bereit sind, zusätzliche Ausbildungsplätze zu schaffen.
Es gäbe noch viel zu sagen. Natürlich ist es Aufgabe
der Länder, dafür zu sorgen, dass junge Menschen, die
die Schule verlassen, als ausbildungsfähig gelten. Unser
gemeinsames Ziel muss aber sein, dass jeder, der die
Schule verlässt, ein Angebot bekommt: sei es ein Arbeitsplatz, sei es eine Trainingsmaßnahme, sei es eine
gemeinnützige Beschäftigung oder - am besten - einen
Ausbildungsplatz.
Ich glaube, dass wir mit dem, was wir hier vorlegen,
einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass junge
Menschen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Ich bitte Sie, insbesondere die Oppositionsfraktionen, herzlich um konstruktive Mitarbeit - im Interesse
der jungen Menschen.
({13})
Der nächste Redner ist Willi Brase von der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Gestatten Sie mir eine
kleine Bemerkung vorweg: Ich bin bei uns in der IHK
seit Jahrzehnten in der beruflichen Bildung aktiv. Nachdem ich mir manche Wortbeiträge hier angehört habe,
muss ich sagen, dass es noch einen großen Nachholbedarf hinsichtlich der inhaltlichen Klarheit gibt.
({0})
Ich will auch deutlich sagen: Mir ist es lieber, dass wir
100 000 jungen Leuten zusätzlich eine Chance geben,
anstatt sie von anderen - auch hier im Parlament - instrumentalisieren zu lassen, um gegen unsere Politik zu
polemisieren.
({1})
Ich halte die Berufseinstiegsbegleitung für einen ganz
wichtigen Schritt
({2})
und kann nur sagen: Es ist richtig, dass man Erkenntnisse aus der Praxis, die in vielen Regionen gewonnen
wurden - Stichwort: Ausbildungspate -, aufgenommen
hat. Wir wissen, dass wir einem Teil der jungen Menschen möglicherweise jemanden zur Seite stellen müssen, damit der Weg von der Schule über die Ausbildung
weitergeht. Ich halte das für richtig und notwendig, bitte
aber darum, im weiteren Verfahren zu prüfen, ob wir die
Zuständigkeit ausschließlich bei der Bundesagentur für
Arbeit ansiedeln oder ob wir nicht an der einen oder anderen Stelle zulassen können, dass diejenigen, die das
schon jahrelang gut gemacht haben, die Chance haben,
dies in der Praxis umzusetzen.
({3})
Ich will ein Projekt aus meiner Heimat anführen, das
eine immer größere Verbreitung findet und durch das ein
Weg aufgezeigt wird, wie wir junge Leute viel früher
und viel besser in Ausbildung bekommen. Mit dem Projekt „Regionales Haus der Berufsvorbereitung“ geben
wir jungen Leuten die Möglichkeit, während des Besuchs der zehnten Klasse 580 Stunden im Jahr für Praktika zu nutzen, und zwar freitags nachmittags und samstags morgens sowie in den sechs Wochen Ferien. Im
ersten Durchlauf garantieren wir 70 bis 80 Prozent derjenigen, die das durchhalten, dass sie einen Ausbildungsvertrag in der Tasche haben werden.
({4})
Ich freue mich, dass dieses Projekt mittlerweile auch in
Berlin-Neukölln und in anderen Regionen unseres Landes aufgegriffen wird. Wir zeigen hiermit, dass Fördern
und Fordern der richtige Weg ist. Wir sagen den jungen
Leuten, dass wir sie ein Jahr lang fördern und sie, wenn
sie durchhalten, einen Ausbildungsplatz bekommen. Da16176
durch werden wir gerade die Chancen von Hauptschülern wesentlich verbessern.
({5})
Wir haben dieses Projekt initiiert, weil wir wissen,
dass ein Teil der jungen Leute Schwierigkeiten in der
Schule und manchmal auch im sozialen Umfeld hat. Uns
kommt es darauf an, dass das Zusammenspiel zwischen
Eltern, Lehrern, Schülern und Kammern als Beteiligte
und Weiterbildungsträger funktioniert und dass es hohe
Übergangsquoten gibt. Wir freuen uns, dass es gelingt,
mehr junge Leute und auch andere Regionen für dieses
Projekt zu begeistern. Nebenbei gesagt: Wir haben das
ohne Landes- und Bundesmittel organisiert. Man kann
zusammen mit der Wirtschaft und den Gewerkschaften
schon einiges tun.
({6})
Ich will einen weiteren Punkt erwähnen, der in den
letzten Tagen in der Presse stand. Die IG Metall in Nordrhein-Westfalen hat zusammen mit dem Arbeitgeberverband Metall NRW einen Tarifvertrag zur Förderung der
Ausbildungsfähigkeit aufgelegt. Dieser hat zum Inhalt,
was wir mit der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher vor
Jahren auf den Weg gebracht haben, nämlich dass junge
Leute ein Jahr lang im Betrieb sozusagen als Vorstufe
zur Ausbildung eingesetzt werden, dass sie an den Inhalten teilhaben und dass sie finanziell vernünftig unterstützt werden. Der Grundgedanke wurde aufgenommen.
Es geht um die Einbeziehung in die betrieblichen Arbeitsprozesse mit sozialpädagogischer Begleitung. Das
ist nichts anderes als eine Unterstützung der Einstiegsqualifizierung, die wir hier gemeinsam beschlossen haben.
({7})
Ich will einen weiteren Punkt erwähnen. Dass die Fokussierung auf die betriebliche Struktur beim Übergang
von der Schule in den Betrieb bzw. von der Schule in die
Ausbildung richtig ist, sieht man daran, dass der Hauptausschuss des Bundesinstituts für Berufsbildung im Dezember beschlossen hat, gerade im Übergangsbereich
den Lernort Betrieb sowohl für die Berufsausbildungsvorbereitung als auch für die Berufsausbildung wesentlich stärker ins Zentrum der Qualifizierung zu rücken.
Das ist absolut notwendig und richtig.
({8})
Genau das tun wir mit dem, was der Bundesarbeitsminister der schwarz-roten Koalition hier vorgelegt hat.
Lassen Sie mich noch einen Punkt erwähnen, der immer wieder eine Rolle spielt und von dem ich glaube,
dass wir ihn noch stärker berücksichtigen sollten. Die
Vielfalt der Programme im Übergangsbereich - auf Landesebene, teilweise auf Bundesebene und auch auf kommunaler Ebene, mit und ohne EU-Finanzierung bzw. mit
und ohne Finanzierung durch die Gebietskörperschaften ist immer noch groß. Es wäre sinnvoll, den Übergangsbereich neu zu ordnen, die Programmvielfalt nach dem
Grundsatz „Weniger ist mehr“ etwas zurückzufahren
und klarere Perspektiven der betrieblichen Anwendung
zu schaffen. Ich glaube, das wäre ein richtiger Schritt für
die jungen Menschen.
({9})
Ich komme zum Schluss. Wir als Große Koalition gehen davon aus, dass die Unternehmen ihr Angebot an betrieblichen Ausbildungsplätzen weiter erhöhen, wie wir
es 2007 erleben durften. Wir erwarten, dass dies auch
2008 der Fall sein wird. Der Bonus ist dann ein notwendiger Zusatz, um den Altbewerbern eine Chance zu geben. Lassen Sie uns den Gesetzentwurf in diesem Sinne
sachlich und vernünftig weiterberaten!
Vielen Dank.
({10})
Das Wort als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat der Kollege Uwe Schummer von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Meine Damen! Meine Herren! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Für einen jungen Menschen, der aus der
Schule entlassen wird, ist es verheerend, wenn die erste
Erfahrung darin besteht, dass er nicht gebraucht wird.
385 000 sogenannte Altbewerber, die vor mehr als zwölf
Monaten aus der Schule entlassen wurden, sind 385 000
zu viel. Deshalb müssen wir gemeinsam vermeiden, dass
Aussteiger produziert werden und Menschen von vornherein keine Chance haben, in die Arbeitswelt hineinzukommen.
({0})
Der Arbeitsmarkt ist in den letzten beiden Jahren in
Bewegung geraten. Im Zweijahresvergleich ist die Zahl
der Arbeitslosen um 1,3 Millionen gesunken. Es gibt
40 Millionen Erwerbstätige. Das ist eine Rekordzahl in
der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir
haben auch den Ausbildungsbonus zum Thema gemacht.
Die Union hat sich schon 2003 - gemeinsam mit der
SPD - in dem Antrag „Reformen in der beruflichen Bildung vorantreiben - Lehrstellenmangel bekämpfen“
vom 17. März 2003 mit diesem Thema befasst. Das
JUMP-Programm, für das 2003 bei einer Weitervermittlungsquote von 30 Prozent 5,2 Milliarden Euro eingesetzt wurden, haben wir sehr kritisch gesehen. Wir wollen dafür sorgen - das ist nach wie vor unsere klare
Aussage in der Großen Koalition -, dass so viele betriebliche Arbeitsmarktinstrumente wie möglich und so viele
außerbetriebliche wie nötig eingesetzt werden.
({1})
Wir wollen die Arbeitskosten senken. Dies haben wir
erreicht, indem wir den Beitrag zur ArbeitslosenverUwe Schummer
sicherung von 6,4 Prozent auf 3,3 Prozent gesenkt haben. Die Agentur für Arbeit und die Wirtschaftsinstitute
rechnen uns vor, dass 1 Prozent weniger Lohnzusatzkosten etwa 100 000 Beschäftigungsverhältnisse - davon
etwa 10 Prozent Ausbildungsplätze - schaffen.
Im Jahr 2005 gingen täglich 2 000 Arbeitsplätze verloren. Derzeit werden täglich 1 400 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen. Das ist die zentrale Kehrtwende, die
die Große Koalition gemeinsam bewirkt hat.
({2})
Eine Entlastung bei den Arbeitskosten führt zu mehr Beschäftigung, und mehr Beschäftigung führt zu mehr
Ausbildung.
Der Berufsbildungsbericht zeigt, dass im letzten Ausbildungsjahr etwa 630 000 neue Ausbildungsverträge
geschlossen wurden. Mit einem Plus von mehr als
13 Prozent im Zweijahresvergleich ist das eine Rekordzahl seit der deutschen Wiedervereinigung. Wir müssen
uns darum bemühen, dass die Zahl der Schulabgänger
bis 29 Jahre ohne berufliche Qualifizierung, die von
2003 bis 2005 von 1,3 Millionen auf 1,57 Millionen gestiegen ist - das ist die negative Botschaft des Berichts -,
wieder sinkt, um auch diesen jungen Menschen eine Perspektive zu bieten. Wir brauchen eine Verbesserung der
beruflichen Orientierung, um die Abbrecherquote zu
senken.
Durch die von uns gemeinsam seit zwei Jahren eingesetzten Instrumente ist uns eine Verbesserung der Berufsorientierung gelungen, sodass die Abbrecherquote
von knapp 24,7 Prozent im Berufsbildungsbericht 2001
auf 19,8 Prozent im aktuellen Berufsbildungsbericht gesenkt worden ist.
({3})
Auch das ist wichtig, damit die Zunahme der Dequalifizierung und Perspektivlosigkeit reduziert wird.
Nur 3 000 der 90 000 Beschäftigten der Bundesagentur für Arbeit sind derzeit in der Berufsberatung tätig.
Deshalb ist es wichtig, dass die Berufsbegleitung unter
anderem im Rahmen des Programms von Frau Schavan
zur Berufsorientierung, das im April startet, weiter ausgebaut wird. Ziel ist das, was Barbara Sommer in Nordrhein-Westfalen proklamiert hat: In jeder Schule muss
eine Stelle zur Berufsberatung und Berufsorientierung
angesiedelt werden.
({4})
Wir wollen belohnen statt strafen. Es handelt sich daher nicht um eine Strafsteuer, sondern um einen Ausbildungsbonus. Einstiegspraktika sind ein Instrument, das
wir im Rahmen des Ausbildungspaktes gemeinsam verbessert haben, mit der Konsequenz, dass die Quote bei
der Weitervermittlung in eine betriebliche Qualifizierung bei 75 Prozent liegt. Bei JUMP sind es 30 Prozent
und bei der Einstiegsqualifizierung Jugendlicher, EQJ,
75 Prozent. Das zeigt: Die betriebliche Qualifizierung ist
besser als die außerbetriebliche, also als die Schaffung
von Parallelstrukturen.
({5})
Es gibt natürlich einen Zielkonflikt. Wir wollen ein
einfaches und unbürokratisches Verfahren, wie es vom
Normenkontrollrat vorgeschlagen wird. Wir wollen aber
Mitnahmeeffekte verhindern. Hier müssen wir einen
Mittelweg finden. Ausschlaggebend ist aber letztendlich
nicht die Schönheit der Ordnungspolitik, die schnell in
der Ideologie endet, sondern, dass wir den Menschen
helfen. Das ist die Konsequenz. Ob es 100 000 oder
10 000 junge Menschen sind: Jeder Einzelne ist der
Mühe wert.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/8718 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b sowie
die Zusatzpunkte 6 und 7 auf:
5 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
- Drucksache 16/8743 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
- Drucksache 16/8653 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({1})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Angemessene und zukunftsorientierte finanzielle Unterstützung der Contergangeschädigten sicherstellen
- Drucksache 16/8754 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({2})
Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Birgitt Bender, Britta Haßelmann, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für einen umfassenden Ansatz beim Umgang
mit den Folgen des Contergan-Medizinskandals
- Drucksache 16/8748 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({3})
Rechtsausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin der Kollege Ilse Falk von der CDU/CSU-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
muss gestehen, dass mir die Debatte über den Entwurf
eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes nicht leichtfällt. Dabei gibt es eigentlich
allen Anlass, zuversichtlich zu sein und sich zu freuen,
dass nach unserem Vorstoß, der darauf abzielt, die Renten für Contergangeschädigte zu verdoppeln und nicht
nur um 5 Prozent zu erhöhen, heute mit der ersten Lesung auch der erste Schritt zur Verwirklichung getan ist.
Ich bin dankbar, dass sich in den Koalitionsfraktionen
von Anfang an beide geschäftsführenden Vorstände
ebenso wie die Kolleginnen und Kollegen der Facharbeitsgruppen hinter diesen Wunsch gestellt haben. Ich
bin zuversichtlich, dass sich auch die Opposition dem
nicht verschließt.
Meine Nöte resultieren also nicht aus dem Inhalt des
vorgelegten Gesetzentwurfs. Es ist vielmehr die intensive Befassung mit dem Thema Contergan rund um
diese Gesetzesänderung, die Begegnung mit den Betroffenen und das Nachdenken über Schädigung und Verursacher, über Opfer und Schuld, kurz: über die Menschen,
die mit schwersten Behinderungen auf die Welt gekommen sind, aber auch über diejenigen, die als Verursacher
gebrandmarkt sind.
Ich glaube, es ist schon unendlich schwer, mit einer
angeborenen Behinderung zu leben, deren Ursache man
nicht kennt. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn einem diese „Gnade“ des Nichtwissens verwehrt bleibt,
wenn man Versäumnisse an konkreten Personen festmachen kann? Da ist der Staat mit dem damals unzureichenden Zulassungsverfahren für neue Medikamente
noch relativ anonym. Was ist aber mit dem Unternehmer,
der mit dem Medikament Geld verdient hat und sich damit auseinandersetzen muss, es nicht rechtzeitig vom
Markt genommen zu haben bzw. es überhaupt angeboten
zu haben in dem guten Glauben, dass es hilfreich sei und
Nöte lindere? Was ist mit der Mutter, die ja um die verheerende Wirkung gar nicht wissen konnte und sich ganz
sicher dennoch mit dem Vorwurf „Hätte ich doch nicht …“
quält? Auch uns Politikern stellt sich bei diesem Thema
manche Frage: Wie aufmerksam verfolgen wir neue Entwicklungen? Wie verantwortlich gehen wir mit möglichen Risiken um? Sind wir auf der anderen Seite aber
auch bereit, uns die Grenzen des Machbaren einzugestehen?
Die contergangeschädigten Menschen selbst standen
in den vergangenen Jahrzehnten nicht im Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Sehr unspektakulär und in
beneidenswerter Weise haben sie sich ihren Platz im Berufs- und Privatleben mit großem eigenem Engagement
und Selbstbewusstsein erkämpft. Die überwiegende
Mehrheit der Geschädigten ist trotz der Behinderung erwerbstätig. Erst das Erinnern an 50 Jahre Contergan
Ende letzten Jahres mit bewegenden Filmen, Interviews
und Reportagen hat uns vor Augen geführt, wie schwer
ihr tägliches Leben ist und dass es zunehmend schwerer
wird. Trotzdem war nicht Anklage dabei das vorherrschende Thema, sondern bewundernswerte Akzeptanz
des persönlichen Schicksals einerseits und selbstbewusstes Einfordern von Dialog und Unterstützung bei der Bewältigung des schwerer werdenden Alltags andererseits.
Diese großartige Lebensleistung so vieler starker Frauen
und Männer hat mich tief beeindruckt und verdient ganz
sicher unser aller größte Anerkennung und Respekt.
({0})
Die Kehrseite des unermüdlichen Einsatzes macht
sich jetzt nach der jahrelangen Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur bemerkbar.
Schmerzhafte Spät- und Folgeschäden schränken die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich erheblich ein.
Auch psychische Folgeschäden wie depressive Erkrankungen treten aufgrund der Schmerzzustände und der
jahrelangen körperlichen Beeinträchtigungen verstärkt
zutage. Bei den erwerbstätigen Conterganopfern führt
dies oft zu Frühverrentungen mit erheblichen Einbußen
bei der Altersversorgung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Erschwerend für die persönliche Situation der
Conterganopfer kommt hinzu, dass mit ihnen selbst auch
ihre Familienangehörigen immer älter werden, auf deren
Hilfe und Unterstützung sie tagtäglich dringend angewiesen sind. Mit zunehmendem Alter benötigen sie daher immer stärker außerhäusliche, kostenintensive Hilfe.
Es ist daher wichtig, diesen Spätfolgen der Behinderung, die 1971 bei der Festlegung der Höhe der Entschädigungszahlungen so nicht vorhersehbar waren, durch
eine Neubewertung der Conterganrenten Rechnung zu
tragen. Die vorgeschlagene Verdoppelung ab 1. Juli bedeutet für den Einzelnen je nach Grad der Behinderung
zwischen 242 und 1 090 Euro monatlich. So können wir
mit zusätzlichen 15 Millionen Euro jährlich ihre Lebenssituation wenigstens in finanzieller Hinsicht ein wenig
verbessern und damit der Mitverantwortung des Staates
Rechnung tragen. Damit die auf der Grundlage des Stiftungsgesetzes gezahlten Leistungen den Betroffenen in
vollem Umfang und ungeschmälert zur Verfügung stehen, wollen wir auch die bisher geltende Anrechnungsregelung auf die aus der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlten Renten aufheben. Bislang gilt für die
Renten die Anrechnungsfreiheit nur in Höhe des Betrages, den der behinderte Mensch als Grundrente erhalten
würde, wenn er nach dem Bundesversorgungsgesetz versorgungsberechtigt wäre. Diese finanzielle Verbesserung
ist ein erster Schritt. Zu weitergehenden Überlegungen,
die als Antrag vorliegen, wird sich meine Kollege Antje
Blumenthal äußern.
Lassen Sie mich noch ein Wort zur Rolle der Firma
Grünenthal bzw. der Familie Wirtz sagen, die in all den
Jahren unendlich viele Anfeindungen ertragen musste
und noch ertragen muss. Ich kann und will mir nicht anmaßen, zu bewerten, ob die Kommunikation mit den
Conterganopfern in der Vergangenheit immer klug war.
Ich weiß aber, dass inzwischen große Schritte aufeinander zu getan werden, und freue mich deshalb sehr, dass
die Firmenleitung nunmehr definitiv beschlossen hat,
noch einmal einen - diesmal freiwilligen - Betrag in die
Stiftung einzubringen. Die Gespräche mit den Betroffenen sind auf einem guten Weg, sodass sicher in Kürze
mit Ergebnissen zu rechnen ist.
({1})
So schließe ich mit einem Dank an alle, die sich hier
engagieren und gute Antworten auf schwierige Fragen
suchen. Uns allen wünsche ich gute weitere Beratungen.
({2})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ina Lenke von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Conterganskandal war einer der schwersten Medizin- und
Arzneimittelskandale der alten Bundesrepublik. Es war
der Skandal, der die Menschen kollektiv stark bewegte
und noch immer bewegt. Er bewegt die Menschen aus
Anteilnahme mit den Opfern. Er bewegt die Menschen
aber auch, weil es damals jeden hätte treffen können;
denn Contergan war rezeptfrei. Es wurde ab Ende der
50er-Jahre gezielt als das Beruhigungs- und Schlafmittel
für Schwangere empfohlen. Wie viele Frauen nahmen
ein anderes Schlafmittel, hätten aber jederzeit auch Contergan nehmen können? Genau dies, dass viele Bürger
wissen: „Wir haben Glück gehabt; denn es hätte auch
uns treffen können“, macht den Conterganskandal auch
50 Jahre nach der Markteinführung immer noch zu einem Thema, das uns Menschen bewegt.
Der bemerkenswerte ZDF-Zweiteiler „Nur eine einzige Tablette“ hat daher - Frau Falk hat es schon
gesagt - ein Millionenpublikum erreicht. Er ist von uns
allen sehr stark diskutiert worden. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass der Film auch die Politik
wachgerüttelt hat, auf diesem Gebiet noch einmal initiativ zu werden.
Nach der Einführung von Contergan im Oktober 1957
kamen weltweit zehntausend Kinder mit zum Teil
schwersten gesundheitlichen Schädigungen zur Welt.
Viele Kinder, die bereits vor der Entbindung oder kurz
danach starben, kommen noch hinzu.
Vier Jahre später musste Contergan vom Markt genommen werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie
sind sicher mit mir einig: Diese Folgen haben die Republik verändert. Nicht nur das Schadenersatzrecht und das
Medizinhaftungsrecht, sondern auch die Zulassung von
Arzneimitteln wurden aufgrund dieses Skandals grundlegend revidiert. Für mich sind die Contergangeschädigten und ihre Eltern die Ersten, die vehement für die
Gleichstellung und die Teilhabe von Menschen mit
Behinderungen eingetreten sind. Der Kampf der Eltern
um ihr Kind und seine Rechte war steinig. Es war der
Kampf gegen ärztlichen Rat, gegen eine behindertenfeindliche Gesellschaft und gegen die Firma Grünenthal.
Es war ein langer Weg von der gesellschaftlichen
Ausgrenzung hin zu gesellschaftlicher gleichberechtigter
Teilhabe. Gerade diese Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben bedarf auch der finanziellen Unterstützung. Die
Rente aus der Conterganstiftung - auch das hat Frau
Falk schon ausgeführt - wird den heutigen Belastungen
der Betroffenen einfach nicht mehr gerecht, da sie lediglich zwischen 121 und 545 Euro monatlich beträgt.
Die hohe Selbstständigkeit der Conterganopfer, die
sie glücklicherweise erlangten oder für sich selbst auch
durchgesetzt haben, geht einher mit der starken Überlastung des gesamten Körpers. Aufgrund der fortschreitenden gesundheitlichen Folgen können viele betroffene
Männer und Frauen heute nicht mehr berufstätig sein.
Die finanziellen Belastungen durch die Conterganschädigung steigen natürlich mit zunehmendem Alter, da
die körperlichen Einschränkungen zunehmen.
Die FDP begrüßt, dass die vorgesehene Rentensteigerung von lediglich 5 Prozent vom Tisch ist und
dass die Conterganrenten jetzt verdoppelt werden.
({0})
Dieser Schritt wird den steigenden Belastungen der
Betroffenen aufgrund ihrer Behinderung besser gerecht.
Ich habe den Eindruck, dass dies im Parlament unstrittig ist. Wünschenswert ist es - das sage ich aus der
Opposition heraus -, die nächsten Schritte parlamentarisch gemeinsam zu gehen; denn die Betroffenen haben
nach meiner Überzeugung einen Anspruch darauf, dass
ein breiter politischer Konsens hergestellt wird. Überfraktionell sollten wir es schaffen, einen gemeinsamen
Antrag auf der Grundlage der vorgelegten Anträge zu
erarbeiten.
In beiden Anträgen fehlen aber Forderungen, die
nicht direkt mit dem Stiftungsgesetz zusammenhängen,
wohl aber für die Betroffenen von elementarer Bedeutung sind. So schildern mir Betroffene, dass unter anderem die medizinische Rehabilitation durch die Krankenkassen nicht ausreichend sei.
Meine Damen und Herren, liebe Kollegen und Kolleginnen, ich erwarte, dass die parlamentarische
Anhörung, deren Termin schon feststeht, weitere
Gesichtspunkte aufzeigt, die wir würdigen und berücksichtigen müssen. Wenn all dies in einen gemeinsamen
Antrag mündete, wäre es ein weiteres gutes Zeichen für
die Betroffenen, die in besonderer Weise unserer mitmenschlichen Solidarität bedürfen.
({1})
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christel Humme von
der SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen!
Wenn ich Sie gerade richtig verstanden habe, scheint es
heute doch wieder eine Sternstunde des Parlaments zu
werden, da wir uns alle offensichtlich einig darüber sind,
den Contergangeschädigten zu helfen und sie aktiv zu
unterstützen.
({0})
Es wurde bereits gesagt, aber ich wiederhole es gerne:
Es ist immerhin ein halbes Jahrhundert her, dass der
Leidensweg der Frauen und Männer begann, um die es
heute geht. „Eine einzige Tablette“, dieser Titel eines
Films, der im letzten Jahr ausgestrahlt wurde - Frau
Falk, Sie haben ihn auch genannt -, sagt uns gleichzeitig, welche Ursache für diesen Leidensweg verantwortlich war: Ein Schlafmittel mit dem allen bekannten
Namen Contergan löste diese Katastrophe aus. Es war
ein rezeptfreies Mittel, das den schwangeren Frauen
ruhigen Schlaf in der Nacht versprach, letztlich aber zu
schlaflosen Nächten führte.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, dieses Mittel löste
in den 60er-Jahren in der Tat den größten Medizinskandal aus. Weltweit kamen 10 000 Kinder fehlgebildet
zur Welt; 2 700 Opfer überlebten. Diese Opfer haben
zusammen mit ihren Familien unter schwierigsten
persönlichen Bedingungen ihren Platz im Leben erkämpfen müssen. Dazu gehörten zehn Jahre lang geführte juristische Auseinandersetzungen zwischen der
verantwortlichen Firma Grünenthal, die das Medikament
herstellte und vertrieb, und den betroffenen Familien.
Erst Ende 1972 setzte die SPD-geführte Bundesregierung mit der Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für
behinderte Kinder“ den juristischen Auseinandersetzungen ein Ende. Das Stiftungsvermögen wurde
damals aus 100 Millionen DM Bundesmitteln und aus
100 Millionen DM der Firma Grünenthal gespeist. Den
Conterganopfern wurde eine lebenslange Entschädigungsrente gezahlt, deren Höhe sich aus der Schwere der
Behinderung ableitet. Leider wurde damals auch vereinbart, dass weitere Ansprüche gegen das verantwortliche
Pharmaunternehmen rechtlich ausgeschlossen werden.
„Leider“ sage ich deshalb, weil die 200 Millionen DM
der Gründungsstiftung und weitere Aufstockungen durch
den Bund in das Vermögen um 220 Millionen DM
schnell, nämlich bereits 1997, aufgebraucht waren. Seitdem wurden die Renten allein aus dem Bundeshaushalt
gezahlt und in regelmäßigen Abständen erhöht. 2007
standen dafür 15 Millionen Euro zur Verfügung. Die
Renten der Conterganopfer betragen zurzeit bis zu
545 Euro. Für 2008 stand eine 5-prozentige Erhöhung
an, was einem Höchstbetrag von 27 Euro entspräche.
Der Film, den Sie und auch ich anfangs erwähnten,
hat uns alle etwas aufgerüttelt. Er hat meiner Ansicht
nach ein neues Bewusstsein in der Öffentlichkeit geschaffen, denn seit seiner Ausstrahlung haben uns zahlreiche Zuschriften erreicht.
Die Vorsitzende der Conterganstiftung, Regina
Schmidt-Zadel, eine ehemalige Bundestagsabgeordnete,
hat uns auch im Ausschuss auf die neuen Problemlagen
der Contergangeschädigten aufmerksam gemacht. Wir
haben uns die Lebenssituation der Betroffenen daraufhin
etwas näher angesehen. Das hätten wir schon früher tun
können; das ist richtig, Frau Falk. Manchmal braucht es
aber kleine Anlässe, um sich zu bewegen.
Die Opfer sind heute um die 50 Jahre alt. Sie haben erhebliche körperliche Beeinträchtigungen und Schmerzzustände - das haben Sie ebenfalls beschrieben -, weil
sie Wirbelsäule, Gelenke und Muskulatur fehlbelasten
mussten. Oft hat dies erhebliche psychische Belastungen
zur Folge.
Bei Berufstätigen gibt es die Frühverrentung - auch
das haben Sie gesagt, Frau Falk - mit wesentlichen
finanziellen Einbußen und auch geringer gesellschaftlicher Teilhabe. Conterganopfer sind auf Hilfe angewiesen. Diese Hilfe haben sie bisher in ihrer Familie gefunden. Da auch diese Familienmitglieder älter werden, sind
die Betroffenen immer mehr von außerhäuslicher Hilfe
abhängig.
Wir wollen gemeinsam das Leben der Contergangeschädigten erleichtern. Deshalb wollen wir die Rentenzahlungen ab dem 1. Juli 2008 verdoppeln. Ich danke
allen, die es ermöglicht haben, dass die zusätzlichen
Gelder schnell und unbürokratisch für die Conterganopfer zur Verfügung gestellt wurden. Damit können wir
das Leben der Betroffenen im Alltag - darum geht es deutlich verbessern.
Wir wollen natürlich noch ein bisschen mehr. Dafür
liegt heute zusätzlich ein Antrag der Koalitionsfraktionen vor. Frau Lenke, ich greife Ihren Vorschlag gerne
auf, zu diesem Thema einen gemeinsamen Antrag mit
gemeinsamen Zielen zu entwickeln, da es ein guter Vorschlag ist. Denn das Thema, das wir heute besprechen,
ist nicht dazu geeignet, eine parlamentarische
Auseinandersetzung zu führen. Deshalb hoffe ich, dass
es uns gelingt, an dieser Stelle gemeinsam zu arbeiten.
Wir haben noch viele Probleme zu lösen. Wer versteht, dass Contergangeschädigte zum Beispiel keine
Parkerlaubnis für einen Behindertenparkplatz bekommen? Dafür brauchen wir schnell eine Lösung. Es geht
manchmal um ganz kleine Dinge, die wir ganz schnell
gesetzlich lösen können.
Wir wollen aber auch mehr Geld für die Stiftung. Hier
erwarten wir natürlich einen wesentlichen Beitrag auch
der Firma Grünenthal, auch wenn sie, wie ich das vorhin
beschrieben habe, rechtlich nicht dazu verpflichtet ist.
Eine moralische Verpflichtung besteht nach wie vor. Das
ist meine feste Überzeugung.
({1})
Es gibt Gespräche mit der Unternehmensleitung, die uns
hoffen lassen, dass wir für alle Beteiligten zu einer guten
Lösung kommen werden.
Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, ich bin stolz darauf, dass es mit dem Koalitionspartner so schnell gelungen ist, eine konstruktive Lösung für die Contergangeschädigten zu finden. Der anfangs erwähnte Film hat die
öffentliche Solidarität für die Contergangeschädigten zusätzlich gestärkt. Wir im Parlament haben es geschafft,
diese öffentliche Solidarität sichtbar zu machen. Darum
geht es uns bei der Verdopplung der Renten. Ich danke
allen Beteiligten dafür.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat der Kollege Ilja Seifert von der Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für mich
selbst ist es emotional sehr bewegend, dass wir in dieser
Debatte auf einem guten Weg sind, eine gemeinsame
Entschließung des gesamten Parlaments zustande zu
bringen. Frau Lenke, ich danke Ihnen für den Vorschlag.
Ich denke, dass auch die Kolleginnen und Kollegen der
Großen Koalition mitmachen werden. Wir werden das
auf jeden Fall tun. Wenn Menschen, die seit einem halben Jahrhundert mit ihren schweren Behinderungen leben, eine Verdopplung des bestehenden Nachteilausgleichs erwarten können: Wer von uns sollte dagegen
sein? Selbstverständlich ist das richtig. Wenn wir uns
dazu aufraffen können, dies als einen ersten Schritt auf
einem längeren Weg zu begreifen, auf dem das Prinzip
des Nachteilausgleichs tatsächlich so ausgebaut wird,
wie es erforderlich ist, dann sind wir auf einem guten
Weg. Dann freue ich mich über die Gemeinsamkeit hier
in diesem Hause, die auch von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird.
Dennoch erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen, wie
es weitergehen muss. So sehr ich die Kollegin SchmidtZadel und die Conterganstiftung schätze: Wir müssen
mit den Betroffenen reden.
({0})
Wir müssen die Betroffenen reden lassen. Sie haben ihre
Selbsthilfeorganisation. Ich weiß auch, dass es da das
eine oder andere Hickhack gibt. Wenn wir aber nicht
auch einmal hier im Parlament jemanden von ihnen reden lassen - ({1})
- Ich sage: von diesem Tisch aus, nicht im Ausschuss. Das müssen wir uns einfach einmal antun. Ich finde, das
wäre wichtig, damit auch wir das Signal geben, dass wir
nicht über Leute reden, sondern dass wir mit ihnen reden
und uns ihre Vorschläge anhören. Dann werden wir auch
erfahren, welche Dinge am wichtigsten sind. Ist der
Parkausweis das Wichtigste, oder sind es vielleicht andere Dinge, die wir hier auf den Weg bringen müssen
und die gestaltet werden müssen? Ich erlaube mir, diesen
Vorschlag einzubringen.
Wenn wir tatsächlich das, was bisher alle gesagt haben, ernst meinen, nämlich dass seinerzeit viele Seiten
versagt haben, dann müssen wir im Verlauf dieser Verhandlungen auch eine deutliche Entschuldigung dafür
aussprechen, dass die Politik versagt hat. Die Firma hat
versagt, aber auch die Politik, die viel zu spät eingegriffen hat, hat versagt. Auch die Justiz hat versagt. Sie haben es gesagt, die Justiz hat seinerzeit alles andere als
eine gute Figur gemacht. Was dann am Ende als Kompromiss herauskam, ist alles andere als befriedigend.
Wir müssen jetzt, 50 Jahre später, diesen Fehler auch
eingestehen. Wir können nicht für die Justiz und für die
Firma reden, aber wir können sie auffordern, Ähnliches
zu tun, um auf diesem Weg den weiteren Nachteilausgleich voranzubringen, und zwar mit der klaren Ansage,
dass er nicht mit anderen Leistungen verrechnet wird.
Wie wäre es zum Beispiel mit einer Maßnahme, dass
diejenigen, die aufgrund ihrer jetzt nicht mehr bestehenden Arbeitsfähigkeit frühzeitig in Rente gehen müssen,
jetzt eine Rente in der Höhe bekommen, die der entspricht, die sie erhalten hätten, wenn sie bis zum Eintritt
in das Rentenalter weitergearbeitet hätten? Warum wollen wir nicht einmal einen solchen Schritt gehen? Hier
geht es um mehr als um 15 Millionen Euro, das ist mir
schon bewusst. Es geht aber um Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, die ihre Situation nicht selbst verändern können. Das ist das wirkliche System des Nachteilausgleichs. Darum muss es wirklich gehen. Es geht nicht
um eine milde Gabe, die wir großzügig austeilen. Ich
finde, das sind Dinge, die wir uns auf die Fahne schreiben müssen.
Erlauben Sie mir noch eine Bemerkung zu den Menschen, die damals in der DDR gelebt haben und die die
Tabletten geschickt bekamen. Drei ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger sind als Contergan-Opfer anerkannt worden und erhalten die entsprechende Rente. Es
leben auf dem Gebiet der ehemaligen DDR aber wesentlich mehr Menschen - das sieht man ihnen an -, die
ebenfalls durch Contergan geschädigt sind. Ich denke,
wir sollten auch sie noch einmal auffordern, erneut Anträge zu stellen, damit sie in diesen Nachteilsausgleich
einbezogen werden können. Ich denke, das ist mehr als
recht und billig.
Ich will Ihnen noch einmal ausdrücklich sagen: Die
Linke ist sehr einverstanden damit, dass jetzt in einem
ersten Schritt die Renten um 100 Prozent erhöht werden,
statt um diese eher lächerlichen 5 Prozent, die zunächst
vorgeschlagen worden waren. Wir wollen aber, dass dies
nur als ein erster Schritt auf einer größeren Treppe von
Maßnahmen begriffen wird. In Zukunft soll es auch
nicht mehr passieren, dass erst von außen bei uns über
ein Kunstereignis die Betroffenheit geweckt werden
muss, damit wir die entsprechenden Schritte gehen.
Die Betroffenen und ihre Selbsthilfeorganisationen
haben uns ja immerhin seit Jahren gesagt, dass die Mittel
nicht ausreichen. Eine Anfrage der Linken, die ein Jahr
vor Ausstrahlung des Films gestellt wurde, hat auch
nicht bewirkt, dass irgendjemand hier im Hause oder in
der Regierung auf den Gedanken gekommen wäre, wir
müssten etwas tun. Jetzt sind wir endlich aufgerüttelt
worden. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen.
Wir dürfen uns in dieser Frage nicht gegeneinander ausspielen.
Herzlichen Dank.
({2})
Das Wort hat der Kollege Markus Kurth von
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Conterganarzneimittelskandal zu Beginn der 60er-Jahre
des vergangenen Jahrhunderts stellt, auch aus heutiger
Sicht, eine historische Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dar. Der damals die deutsche
Gesellschaft beherrschende, beinahe kindlich-naive
Fortschrittsglaube wurde massiv erschüttert. Eine ähnlich dramatische Infragestellung der unbegrenzten, naturwissenschaftlich begründeten Beherrschbarkeit der
Welt sollte sich erst ein Vierteljahrhundert später mit der
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl ereignen.
Das damalige öffentliche Entsetzen war nicht nur wegen des epidemieartigen Auftretens von Fehlbildungen
bei Neugeborenen und der neuen Bilder so groß. Auch
wegen des hinhaltenden, die Aufklärung verschleppenden Verhaltens der Firma Grünenthal war die emotionale
Anteilnahme vieler Menschen sehr viel stärker als bei
anderen Schadensereignissen. Schließlich trug auch die
vermutete Größenordnung - man befürchtete zunächst
bis zu einer halben Million betroffener Menschen - dazu
bei, dass die politische Aufarbeitung des Conterganmedizinskandals sogar den Weg in die Regierungserklärung Willy Brandts im Jahr 1969 fand, in der dieser den
Geschädigten neue Chancen versprach und die Unterstützung der Bundesregierung in Aussicht stellte.
Angesichts der damaligen öffentlichen Resonanz
muss allerdings verwundern, welch geringe, ja klägliche
Entschädigungsleistung den Opfern des Conterganskandals zugesprochen wurde und wird. Ein Blick ins
Ausland und ein Vergleich mit den etwa in Großbritannien gezahlten Entschädigungen zeigt dies überdeutlich
und lässt sogar, auch wenn wir die Initiative der Fraktionen von CDU/CSU und SPD begrüßen - ich erwähne
das nachher noch einmal -, die Verdopplung in einem
anderen Licht erscheinen.
Angesichts der vielfältigen Teilhabeeinschränkungen
und der großen, auch beeindruckenden individuellen
Kompensationsleistungen der Contergangeschädigten ist
bereits die bisher geleistete Rente von monatlich maximal 545 Euro mehr als bescheiden gewesen. Dies gilt
umso mehr für die Zukunft. Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben hier ja auch ausgeführt, dass jetzt
nach einer Zeit des beeindruckenden individuellen Ausgleichs natürlich von vielen Contergangeschädigten der
Preis für die vielen körperlichen Anstrengungen, die sie
sich selbst auferlegt haben, um ihre Einschränkungen
auszugleichen, zu zahlen ist: Überbeanspruchungen des
Muskel- und Stützapparats, der Gelenke, Sehnen und der
Wirbelsäule fordern ihren Tribut.
Diese Entwicklung und die damit verbundenen Herausforderungen waren zu der Zeit, als der zivilrechtliche Vergleich zwischen der Firma Grünenthal und den
Geschädigten ausgehandelt wurde, nicht absehbar gewesen.
({0})
Im Vordergrund stand ja damals angesichts eines sich
hinziehenden Prozesses die Bestrebung, einigermaßen
zeitnah und nicht erst nach Jahren überhaupt eine Entschädigung zu erhalten.
Heute, knapp 40 Jahre nach der Errichtung der Conterganstiftung, wissen wir, dass die damalige Regelung
nicht annähernd den heute üblichen Standards von Entschädigungsregelungen entspricht und die Geschädigten
- wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass wir
das vernachlässigt haben - schon bislang übermäßig benachteiligt hat. Insoweit ist die Initiative zur Verdoppelung der Conterganrenten ein erster Schritt, den wir
begrüßen. Ich sage ebenso wie viele Vorredner: Hinzukommen muss eine nennenswerte finanzielle Beteiligung der Firma Grünenthal.
({1})
Diese ist nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Ich
meine auch, dass man die näheren Umstände des damaligen Vergleichs noch einmal genau überprüfen sollte.
Diese historisch einmaligen Umstände müssen auch juristisch in einem neuen Licht betrachtet werden.
Es ist aber auch der Bund gefordert, der mit dem Conterganstiftungsgesetz die Gewährleistung der Haftung
übernommen hat. Eine sachgerechte, den modernen Anforderungen an eine Entschädigung gerecht werdende
Regelung erfordert eine individuelle Bestandsaufnahme
des Schadens und dann eine Schadensbemessung nach
dem individuellen Nachteil, der erlitten wurde. Das wäre
systematisch und individuell eine sinnvolle Form des
Nachteilsausgleichs. Wenn sich die beiden großen Fraktionen hier im Hause dazu entscheiden könnten, diese
Überlegungen in ihren Antrag mit einfließen zu lassen,
dann könnte ein fraktionsübergreifender Antrag im ganzen Hause möglich gemacht werden.
({2})
Ich will auf eine Forderung im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hinweisen. Die vorkommenden Fehlbildungen der Gliedmaßen sind außerordentlich selten
und häufig mit besonderen medizinischen Komplikationen verbunden. Die Zahl der Spezialisten unter den Medizinern, die zur Verfügung stehen, wird immer geringer.
Sie sind über die ganze Welt verstreut. Es wäre außerordentlich sinnvoll und vernünftig, wenn ein europäisches Zentrum, das die Kompetenzen bündelt und
Informationen über diese besonderen Formen der Gliedmaßenschädigung sammelt, errichtet würde und die
Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene
eine entsprechende Initiative starten würde. Auch darüber sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Koalitionsfraktionen, nachdenken. Wir sollten den
Contergangeschädigten zumindest für die Zukunft einen
Teil der Bewegungsfreiheit und des Maßes an gesellschaftlicher Teilhabe eröffnen, das wir für uns selber
ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen dürfen.
Danke.
({3})
Das Wort hat die Kollegin Antje Blumenthal von der
CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich
möchte mit einem Anliegen einer Contergangeschädigten beginnen. Sie hat zu mir gesagt, sie wünsche sich ein
„gelungenes menschliches und schmerzfreies Leben“.
Diese Äußerung drückt meines Erachtens nicht nur ihre
Angst, sondern die Ängste aller Betroffenen aus, die befürchten müssen, ihre Selbstbestimmtheit und vor allem
ihre erkämpfte Lebensqualität zu verlieren.
Trotz schwergradiger Behinderungen haben sich die
Opfer selbstbewusst und unter größten Anstrengungen
ihre Selbstständigkeit und ihren Platz in der Gesellschaft
erkämpft. Sie mussten die individuelle Geschicklichkeit
ihres Körpers herausfinden, und sie mussten erst lernen,
diese entsprechend einzusetzen. Füße wurden dabei zum
Handersatz bei geschädigten Armen.
Ich selbst habe eine bemerkenswerte und bewundernswerte Kollegin gehabt. Bereits vor 25 Jahren hat
sie im Finanzamt die Tastatur mit den Füßen, das heißt
mit den Zehen, bedient. Diese bemerkenswerte Leistung
ist mir wirklich in Erinnerung geblieben. Sie und alle
diejenigen Betroffenen, die heute Mitte 40 bis 50 sind,
vollbringen meines Erachtens eine bewundernswerte
Leistung.
({0})
Für diese errungene Selbstständigkeit mussten sie
aber einen sehr hohen Preis zahlen. Aufgrund der extremen Belastungen durch die alltäglichen Verrichtungen
und der einseitigen Beanspruchung bzw. Überbeanspruchung bestimmter Körperregionen leiden sie jetzt an
Folge- und Spätschäden. Dies sind unter anderem Haltungsschäden, Fehlbelastungen der Muskulatur, Probleme mit dem Knochengerüst, Veränderungen im Knochenbau und äußerst schmerzhafte Schäden an Becken
und Rückenwirbeln bei denen, die ihre Füße statt der
Hände im Alltag gebrauchen müssen.
All diese körperlichen Schäden und die damit einhergehenden Schmerzen bedeuten für die Conterganopfer
eine erhebliche Einschränkung ihrer Lebensqualität. Sie
sind immer häufiger auf fremde Hilfe angewiesen, können ihrem Beruf nicht mehr uneingeschränkt nachgehen
und sind zur Arbeitsunfähigkeit verdammt. Eine Frühverrentung wiederum führt zu weiteren finanziellen Einbußen. Damit verbunden ist der Verlust der gesellschaftlichen Teilhabe. Deshalb ist es unsere Aufgabe - das
wurde hier schon angesprochen -, dafür zu sorgen, dass
die Contergangeschädigten ihr selbstbestimmtes Leben
weiterführen können.
({1})
Wir haben im Koalitionsvertrag beschlossen, die gesellschaftliche Teilhabe behinderter Menschen zu fördern bzw. die entsprechende Förderung fortzusetzen. Besonders die berufliche Integration von Menschen mit
Behinderungen ist für uns dabei von großer Bedeutung.
Auch im Contergan-Stiftungsgesetz ist festgelegt, dass
die Eingliederung in die Gesellschaft gefördert werden
soll. Ich glaube, die Integration ist gelungen. Heute ist es
deshalb wichtig, darauf zu achten, dass die aktive Teilhabe der contergangeschädigten Menschen am gesellschaftlichen Leben nicht verloren geht.
Die Entschädigungsleistungen reichen nicht aus für
ein barrierefreies Wohnumfeld, für den Umbau des Fahrzeugs und für therapeutische Hilfen. Zudem sind mit zunehmendem Alter die Contergangeschädigten immer
stärker auf kostenpflichtige außerhäusliche Hilfe angewiesen. Ihre inzwischen betagten Eltern sind oft nicht
mehr in der Lage, die alltäglich erforderliche Hilfe zu
leisten. An dieser Stelle sollten wir ganz besonders die
Lebensleistung dieser Eltern herausstellen.
({2})
Die Verdopplung der Renten ist ein notwendiger und
wichtiger Schritt. Aber wir müssen uns auch den übrigen
von mir bereits angeschnittenen Problemen stellen. Deswegen haben wir hier zusätzlich zum Gesetzentwurf einen Antrag eingebracht, um den Bedürfnissen der Contergangeschädigten künftig besser gerecht werden zu
können. Die Verdopplung der Renten verbessert die Situation der Betroffenen in finanzieller Hinsicht. Darüber
hinaus müssen wir aber andere Hilfeleistungen, die die
körperlichen Behinderungen mildern, berücksichtigen,
um die Verbesserung der Lebensqualität zu gewährleisten. Das erfordert zum Beispiel eine Überprüfung der
Strukturen bei der Gewährung von Leistungen in den
Bereichen der Gesundheit, der Pflege und der Mobilität.
Eine optimierte medizinische Versorgung und Betreuung, angepasst an die individuellen Probleme des Einzelnen, erlangen dabei meines Erachtens zunehmende
Bedeutung.
Bisher ist festzustellen, dass die meisten contergangeschädigten Menschen medizinische Begleitung durch
ihre Hausärzte und Orthopäden erfahren; ein Erfahrungsaustausch in großem Umfang erfolgt jedoch leider
nicht überall. Mir stellt sich daher die Frage, wie eine
Vernetzung im medizinischen Bereich erfolgen kann. Ich
denke, der Erfahrungsaustausch unter Medizinern und
eine verbesserte Verknüpfung der Netzwerke müssen
deshalb verstärkt werden, um diesen Mangel zu beseitigen und so den einzelnen Betroffenen schneller helfen,
Erkenntnisse weiterreichen und neue Heilmethoden entwickeln zu können.
({3})
Weiterhin halten wir es für erforderlich, Infrastrukturen zu schaffen und die bestehenden zu verbessern. Aber
der Alltag stellt die Betroffenen täglich vor neue Probleme. Ich nenne hier nur das Stichwort „Barrierefreiheit“; es ist wiederholt schon erwähnt worden. Ich darf
darauf hinweisen, dass wir uns - so bitter es klingt - in
diesem Hause mit diesen Problemen schon seit 2005 beschäftigen. Es gelang uns bisher nicht, die Länder mit ins
Boot zu nehmen, um zu einer schnellen Regelung zu
kommen. Es gibt immer noch keine einheitliche, länderübergreifende Regelung für die Nutzung von Behindertenparkplätzen. Wir stehen weiterhin in der Verantwortung, den Conterganopfern mit dem Abbau von
Barrieren zu helfen.
({4})
Uns muss auch bewusst sein, dass sich die physische
Situation der Betroffenen in Zukunft verschlechtern
kann und wir darauf reagieren müssen. Deshalb empfehlen wir in unserem Antrag einen Forschungsauftrag, mit
dem die Auswirkungen der Folge- und Spätschäden auf
die Lebenssituation der Contergangeschädigten wissenschaftlich untersucht werden. Nur so wird es uns möglich sein, entsprechende Hilfen zu entwickeln.
Im Vorfeld haben sich die Fraktionen auf die Durchführung einer Anhörung verständigt. Wir haben hier bisher vorwiegend über die Anträge gesprochen. Ich
möchte aber auch auf die Anhörung hinweisen. Wir werden uns mit den Betroffenen und Experten unterhalten
und anschließend auf ihre Anliegen und Erfahrungen zurückgreifen können. Ich denke, nach dieser Anhörung
werden wir in der Lage sein, auf Basis der gewonnenen
Erkenntnisse über die vorliegenden Anträge zu entscheiden.
Vielen Dank.
({5})
Die Kollegin Marlene Rupprecht hat jetzt das Wort
für die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In einer scheinbar perfekten Welt, in der scheinbar perfekte Menschen zur Welt kommen, passiert etwas, was
gar nicht in diese Welt passt. Die Menschen sind schockiert. Nach langem Hin und Her hat man Regelungen
vereinbart.
Über viele Jahre hinweg wurde uns medial vermittelt:
Die contergangeschädigten Menschen schaffen es, das
Leben mit ihrer schweren Behinderung bzw. Beeinträchtigung zu meistern. Sie sind tough. Öffentlich gezeigt
werden die Menschen, die versuchen, mit ihrer Behinderung gut umzugehen. Frau Blumenthal hat ihre Kollegin
als Beispiel angeführt. Wenn wir über contergangeschädigte Menschen sprechen, fallen uns doch sofort die
Menschen ein, die mit ihren Zehen die Tastatur bedienen. Nicht gezeigt werden die Menschen - das ist der
Großteil der Contergangeschädigten -, die mit ihren Zehen die Tastatur nicht bedienen können, die psychische
Störungen haben, die täglich an der Welt verzweifeln.
Diese Menschen kommen in den Medien nicht vor. Uns
beruhigt die gute Nachricht. Wir glauben, alles erledigt
zu haben. So war es zumindest über viele Jahre hinweg.
Ich nehme mich da nicht aus. Wir haben gesagt: Diese
Menschen haben das toll gemacht.
Dann kam ein Film, der uns wachgerüttelt hat. Fast
wären wir mit der Rentenerhöhung zur Tagesordnung
übergegangen. Wir haben vorher aber das gemacht, was
Herr Dr. Seifert gefordert hat. Wir haben die Betroffenen
eingeladen und angehört. Unsere ehemalige Kollegin
Schmidt-Zadel, die Vorstandsvorsitzende der Conterganstiftung ist, kam mit betroffenen Menschen zu uns. Wer
sie als Abgeordnete kennengelernt hat, weiß, dass sie
sehr aufdringlich sein kann, wenn es um Themen geht,
die sie stark beschäftigen. Da wird sie richtig penetrant,
und das ist gut so. Im Ausschuss für Familien, Senioren,
Frauen und Jugend, der zuständig ist, hat sie deutlich gemacht, dass es mit einer Rentenerhöhung zum 1. Juli
keinesfalls getan ist, dass von den Betroffenen weitaus
mehr erwartet wird als eine Rentenerhöhung.
Wir haben die Einwände aufgegriffen. Ich denke, das
ist etwas, was das Parlament auszeichnet. Es ist aktiv geworden; aus dem, was uns vorgetragen worden ist, wurden Anträge gemacht. Wir wollten beantragen, dass
überprüft wird, ob die gegenwärtige Rentenhöhe noch
angemessen ist. Damit die Renten aber überhaupt erhöht
würden, wollten wir sie um 5 Prozent erhöhen. Ich erzähle das, um deutlich zu machen, wie wir uns auf den
Gesetzentwurf der CDU/CSU und der SPD zubewegt
haben.
Dann kam ein Vorschlag vonseiten der Fraktionsspitzen. An dieser Stelle danke ich Frau Falk von der CDU/
CSU und Frau Humme von meiner Fraktion ganz ausdrücklich. Sie haben gesagt: Wir könnten jetzt zwar einen Forschungsauftrag formulieren. Die Studie würde
aber zwei oder drei Jahre dauern. Im Ergebnis würde
eine Rentenerhöhung um vielleicht 20 oder 30 Prozent
empfohlen werden. Es würden aber keine Summen genannt werden - das sollten wir ehrlicherweise sagen -,
wie sie in den USA üblich sind, weil wir in Deutschland
Marlene Rupprecht ({0})
kein entsprechendes Entschädigungsrecht haben. Eine
Änderung der Rentenhöhe wäre zwar sicher empfohlen
worden; die Höhe war aber offen.
An dieser Stelle muss ich ganz ehrlich sagen: Ich
denke an die Menschen. Ab 1. Juli dieses Jahres soll es
doppelt so viel Geld geben. Mir ist diese Verdopplung
lieber als eine Erhöhung um 20 oder 30 Prozent. Wenn
das in den Koalitionsfraktionen so hingebogen wird,
dann bin ich als Berichterstatterin einverstanden. Ich
danke, dass Sie das durchgepusht haben.
({1})
Wir wollen zu diesem Gesetzentwurf - wir haben vier
Vorlagen -, der parallel zu dem der Bundesregierung
eingeht, keine Anhörung durchführen, damit es zu keiner
zeitlichen Verzögerung kommt und der Termin 1. Juli
eingehalten wird. Wir haben gesagt: Wir lösen auch unseren Antrag, der weitergehend ist, davon ab; Frau
Blumenthal hat das gesagt. Das betrifft die Überprüfung
der Lebenssituationen all der Menschen, die betroffen
sind, das heißt, von den äußeren Umständen bis hin zu
den zusätzlichen Hilfen und Rahmenbedingungen.
Wir haben noch eine vierte Vorlage: den Antrag der
Grünen. Ich freue mich, dass die Grünen einen eigenen
Antrag eingebracht haben. Noch mehr freue ich mich,
wenn es uns im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens gelingt, die Vorschläge der Grünen, die noch nicht enthalten sind und die wir als Ausschuss für sinnvoll erachten,
aufzunehmen. Dann haben wir wieder eine Sternstunde
im Parlament und können sagen: Wenn es um lebenswichtige Dinge geht, schaffen wir es, gemeinsam Ergebnisse zu erzielen.
Frau Blumenthal hat schon signalisiert: Wir werden
zu dem Antrag, den wir eingebracht haben, und dem Antrag der Grünen eine Anhörung durchführen. Ich glaube,
da haben wir eine richtige Grundlage. Dabei werden
nochmals alle Gruppierungen, die uns in der Umsetzung
sachverständig unterstützen können, behilflich sein. Ich
glaube, es ist notwendig, dass die Anhörung über die Belange der Betroffenen hinausgeht bis hin zur Klärung der
Folgeschäden durch Sachverständige der Medizin.
({2})
Das heißt, sie ist ganz umfassend. Ich hoffe, dass wir uns
anschließend im Gesetzgebungsverfahren einigen können.
Ein wichtiger Punkt ist sicherlich, die Arbeit und die
Struktur der Stiftung anzusehen, damit sie ganz zielgerichtet und effizient für die Menschen, die betroffen
sind, eingesetzt werden kann. Aber schon heute über die
Ausgestaltung zu reden, wäre verfrüht. Für mich ist
wichtig, dass wir es auf unserer Agenda haben. Meiner
Ansicht nach wäre es gut, wenn wir in der Schlussberatung hier im Parlament ein einstimmiges Votum im
Sinne der betroffenen Menschen erreichen könnten.
({3})
Damit aber nicht genug. Wir müssen die Umsetzung
unseres Antrages begleiten und immer wieder nachfragen: Wie ist der Sachstand? Wie sind die Ergebnisse? Ist
es eventuell notwendig, dass wir nachsteuern, was wir
vorher nicht sehen konnten? Das nennen wir lernende
Gesetzgebung. Ich finde den Begriff gar nicht so
schlecht. Wenn man lernt und nicht stur, lernunwillig
und -resistent ist, dann hat es Sinn, wenn wir so vorgehen.
Ich glaube, dass wir als Ausschuss, der nicht immer in
allen Punkten einig ist, einen guten Weg beschritten haben und weiterhin gehen werden. Allen Kolleginnen und
Kollegen herzlichen Dank! Ich hoffe, dass wir in der Beratung so fortfahren können.
Danke schön.
({4})
Ich schließe die Aussprache.
Es ist verabredet, die Vorlagen auf den Drucksachen
16/8743, 16/8653, 16/8754 und 16/8748 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen.
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Jetzt rufe ich die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b
auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ernst
Burgbacher, Gisela Piltz, Sabine LeutheusserSchnarrenberger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über die Verwendung von Fluggastdatensätzen zu Strafverfolgungszwecken
- Drucksache 16/8115 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({0})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Silke
Stokar von Neuforn, Volker Beck ({1}), Monika
Lazar, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Speicherung von EU-Fluggastdaten
- Drucksache 16/8199 Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss ({2})
Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Es ist verabredet, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren, wobei die FDP-Fraktion sechs Minuten erhalten
soll. - Dazu höre ich ebenfalls keinen Widerspruch.
Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile dem Kollegen Ernst Burgbacher für die FDP-Fraktion das Wort.
({3})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts,
Winfried Hassemer, hat es in aller Klarheit gesagt: Wir
erleben den Niedergang der Privatheit.
({0})
Der Staat ist zum größten Datensammler der Republik
aufgestiegen und schafft immer neue Möglichkeiten,
persönliche Daten seiner Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und zu verwenden. Ist es zumutbar, dass für
Millionen Menschen gespeichert wird, wohin sie reisen,
wo sie wohnen, welches Reisebüro sie nutzen, welche
Kreditkarte zur Zahlung eingesetzt wurde, wie die
Kontonummer lautet, ob sie allein fliegen oder ob sie jemanden mitnehmen und wen, wie und wo sie erreichbar
sind und sogar, welche Essenswünsche sie haben?
({1})
Für uns geht es schlicht zu weit, wenn jetzt auf europäischer Ebene Fluggastdaten auch noch zum Zweck der
Strafverfolgung gesammelt und ausgewertet werden
sollen. Damit sind alle Grenzen überschritten.
({2})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat bereits das Abkommen zwischen der EU und den USA über die Weitergabe
von Flugpassagierdaten als erheblichen Einschnitt in den
Datenschutz kritisiert. Auch der aktuelle Vorschlag für
einen Rahmenbeschluss stellt einen erheblichen Eingriff
in das Grundrecht jedes Einzelnen dar, „grundsätzlich
selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“. Das ist eine Formulierung
aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
1983, in dem es das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung konkretisierte. Gerade in seinen
jüngsten Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht den Datenschutz gestärkt und der übermäßigen
Datensammelwut in unserem Land zum Glück erneut
einen Riegel vorgeschoben.
({3})
Auch der Europäische Gerichtshof hat bereits im Jahr
2000 klargestellt, dass außerhalb statistischer Zwecke
ein striktes Verbot der Sammlung personenbezogener
Daten auf Vorrat besteht.
Völlig unverständlich sind für mich in diesem Zusammenhang Kommentare von Mitgliedern der Bundesregierung zu Urteilen des Bundesverfassungsgerichts,
wonach das Einkassieren von Gesetzen durch das
Gericht nichts Ungewöhnliches sei.
({4})
Diese Äußerungen zeugen von einem für mich unfassbaren Selbstverständnis, mit dem die Mitglieder der
Bundesregierung ihre eigene Arbeit beurteilen.
({5})
Dies kann und dies darf nicht der Anspruch an die
Gesetzgebung sein.
({6})
Die zu beachtende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, die Rechtsgrundlage für den Rahmenbeschluss
und der Nutzen der vorgeschlagenen Maßnahmen im
Hinblick auf eine Verbesserung der Terrorismusbekämpfung bestimmen den Handlungsrahmen. Der
EU-Rahmenbeschluss, um den es heute geht, fällt völlig
aus diesem Handlungsrahmen heraus und ist deshalb
schlichtweg nicht akzeptabel.
EU-Kommissar Frattini hat angekündigt, dass eine
Evaluierung der Abkommen zwischen der EU und den
USA sowie der EU und Kanada im Laufe des Jahres
2008 erfolgen soll. Im Hinblick darauf verstehen wir
überhaupt nicht, warum der EU-Rahmenbeschluss jetzt
erfolgen soll und man diese Evaluierung nicht abwartet.
Wir fordern die Bundesregierung auf, dem EU-Rahmenbeschluss schlichtweg nicht zuzustimmen, bevor die
Ergebnisse dieser Evaluierung vorhanden sind.
({7})
Wir ahnen, dass die Maßnahmen sich als untauglich erweisen werden. Wir haben noch kein einziges Mal
belastbare Hinweise dazu bekommen, was die bisherige
Flugpassagierdatenübermittlung und -speicherung für
die Sicherheit eigentlich bringt.
Ich freue mich sehr - das geht an die Adresse des
Bundesjustizministeriums -, dass die Ministerin Frau
Zypries offensichtlich ebenso denkt. Ihre Aussage, dass
die Datenerfassung und -speicherung im Rahmen der
PNR-Datenerfassung - Zitat - „ein zu großer Schritt hin
zu einem Präventionsstaat“ sei, unterstütze ich ausdrücklich. Es wäre allerdings wünschenswert gewesen,
wenn Frau Zypries diese Bedenken schon zu Zeiten der
rot-grünen Koalition geäußert hätte.
({8})
Aber damals war leider Pause. Es geht doch nicht an,
dass sie jetzt, da der Innenminister einer anderen
Fraktion angehört - auch EU-Kommissar Frattini gehört
ja den Konservativen an -, ihre Bedenken äußert. Das ist
unglaubwürdig.
({9})
Erstaunlich ist übrigens auch, dass die Grünen in drei
Jahren eine Wandlung vom Saulus zum Paulus durchgemacht haben. Jetzt nehmen sie im Hinblick auf die
Antiterrorgesetze, die von Schröder und Fischer auf
europäischer Ebene vorangetrieben wurden, plötzlich
eine völlig andere Position ein.
({10})
Damals hätten Sie einiges verhindern können. Aber Sie
haben überall gekuscht und nichts verhindert.
({11})
- Die Grundlagen dafür wurden unter Ihrer Regierung
gelegt. Das müssen Sie sich schon sagen lassen.
({12})
- Wie ich sehe, sind Sie getroffen,
({13})
und zwar zu Recht; das ist völlig klar.
({14})
Meine Damen und Herren, das Bild vom gläsernen
Bürger wird immer deutlicher. Der europäische Raum
der Freiheit und des Rechts entwickelt sich durch diese
Maßnahmen immer mehr zu einem Raum der
Überwachung. Die FDP-Bundestagsfraktion wird diesen
Weg nicht mitgehen. Der Staat muss die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger schützen, erst recht in
Zeiten der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Aber nicht jede Maßnahme ist durch die Überschrift „Terrorismusbekämpfung“ zu rechtfertigen.
({15})
Dies gilt national und auf europäischer Ebene. Deshalb
fordere ich Sie auf: Nehmen Sie die Bedenken der Datenschützer ernst! Stimmen Sie unserem Antrag, der sehr
ausgewogen ist, zu! Ich bitte Sie herzlich darum.
({16})
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sicherheit und Freiheit, Sicherheit und Datenschutz gehören
zusammen. Sie bedingen einander. Jeder Vorschlag ist
daran zu messen, ob er diese beiden für ein demokratisch
und rechtsstaatlich geordnetes Gemeinwesen grundlegenden Werte richtig ausbalanciert.
Herr Kollege Burgbacher, es ist in der Tat so, dass der
Ministerrat bereits im Jahr 2004 an die Europäische
Kommission herangetreten ist und die Bitte geäußert hat,
sie möge einen Rahmenbeschluss über die Verwendung
von Fluggastdatensätzen, sogenannten PNR-Daten, zu
Strafverfolgungszwecken vorlegen. Das war im
Jahr 2004. Jetzt ist die Kommission dieser Bitte nachgekommen.
Wir haben zunächst einmal festzustellen, dass die
Nutzung dieser Daten ein wichtiges Instrument zur
Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder
anderer schwerer Straftaten wie organisierter Kriminalität, etwa durch retrograde Verfolgung früheren Täterverhaltens, darstellen kann. Eine EU-weite Regelung
würde ermöglichen, dass sich die einzelnen mitgliedstaatlichen Behörden diese Daten einander im Bedarfsfall zur Verfügung stellen. Das Bundesministerium des
Innern hat daher schon in der 15. Legislaturperiode
- auch hier muss ich Wert auf den Zeitpunkt legen - die
Schaffung eines gemeinsamen europäischen PNR-Systems als grundsätzlich erstrebenswert angesehen.
({0})
Die nähere Ausgestaltung des Rahmenbeschlusses
bedarf aber noch sorgfältiger, auch verfassungsrechtlicher Prüfung und fachlicher Erörterung, die
gegenwärtig zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der Bundesregierung erfolgen. Am Ende der Verhandlungen muss ein Rahmenbeschluss stehen, der den
verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht und
die datenschutzrechtlichen Standards der Europäischen
Union und der Mitgliedstaaten erfüllt - ich denke, daran
dürfte kein Zweifel bestehen -, aber auch die Interessen
betroffener Luftfahrtunternehmen angemessen wahrt.
Die Kommission hat zur Erleichterung einer Prüfung
der Geeignetheit und Erforderlichkeit des Vorschlages
zugesagt, die Erfahrungen, die in den USA und im
Vereinigten Königreich bei der Verwertung von PNRDaten gewonnen wurden, im Einzelnen darzulegen und
die Wirkungsweise der im Entwurf vorgesehenen
Risikoanalyse zu erläutern. Auch das steht noch aus.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein Wort
zu den sogenannten API-Daten und zur Abgrenzung dieser Daten von den PNR-Daten, um die es bei dem heute
diskutierten Vorschlag der Kommission geht; die Kollegen von der FDP haben ja in ihrem Antrag auf diese
Frage ausdrücklich Bezug genommen, und auch der
Bundesrat hat sich hierzu geäußert.
API-Daten - API steht für „Advanced Passenger
Information“ - werden seit dem 1. April dieses Jahres
im Zuge der Umsetzung einer EU-Richtlinie durch das
Bundespolizeigesetz erhoben.
Die Übermittlungspflicht des Luftfahrtunternehmens
besteht nur im Einzelfall auf konkrete Anordnung der
Bundespolizei bei Flügen über die Schengen-Außengrenzen in das Bundesgebiet. Die Bundespolizei wird
sich hierbei zunächst auf einige wenige Flugrouten beschränken. Bei den API-Daten handelt es sich nicht wie
bei den PNR-Daten um Buchungsdaten, sondern vorwiegend um Passdaten, die das Luftfahrtunternehmen aus
den von Fluggästen mitgeführten Dokumenten zu erheben hat.
Schließlich ist das Ziel der API-Datenerhebung die
Verfolgung grenzpolizeilicher Zwecke; ermöglicht werden soll ein vorgezogener INPOL/SIS-Abgleich zwecks
Fahndung und Prüfung der Einreisevoraussetzungen.
Gespeichert werden die API-Daten lediglich 24 Stunden.
Sie werden erkannt haben, dass hier fein unterschieden
werden muss.
Der Europaabgeordnete Manfred Weber, der bekanntlich der EVP-Fraktion angehört, hat kürzlich in einem
Zeitungsinterview die Datensammelwut der EU kritisiert
und sich dabei ausdrücklich auch auf die hier debattierte
Fluggastdatensammlung bezogen.
({1})
Manche Vorschläge der Kommission auf dem Feld der
Terrorismusbekämpfung griffen, so Weber, zu weitgehend in das Grundrecht des Bürgers auf informationelle
Selbstbestimmung ein. Er hat die Bundesregierung aufgefordert, für eine verhältnismäßige Ausgestaltung dieser Vorschläge zu sorgen.
({2})
Auch wenn der Bundesrat in seinem Beschluss vom
15. Februar dieses Jahres zum PNR-Vorschlag der Kommission das Fehlen eines Gleichgewichts zwischen der
Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit bemängelt und vor einem erheblichen
Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gewarnt hat, hat er zugleich das mit dem
Rahmenbeschluss verfolgte Anliegen geteilt, EU-weite
Maßnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus und
organisierter Kriminalität zu entwickeln. Der Bundesrat
hat besonders die Absicht der Kommission unterstützt,
zu diesem Zweck einheitliche Handlungsvorgaben zu
erarbeiten, die ein hohes Maß an Sicherheit in den
Mitgliedstaaten gewährleisten.
Sie werden mir sicher zustimmen, dass der internationale Terrorismus, die organisierte Kriminalität und
die illegale Migration zunehmend eine Bedrohung
unserer Sicherheit darstellen. Die Bürgerinnen und
Bürger erwarten gerade in diesen Fragen Antworten von
Europa. Niemand will dauernd in Angst um Leib und
Leben, um Hab und Gut leben müssen. Der Bundesinnenminister hat daher immer wieder darauf hingewiesen, dass bei der Gestaltung und Stärkung des gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts
der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität eine
herausragende Bedeutung zukommt.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem
Zusammenhang ein Wort zu dem Vorschlag sagen, den
die Kommission am 6. November 2007 vorgelegt hat
und der auf die Verhütung und Bekämpfung von terroristischen Straftaten und von Straftaten aus dem Bereich
der organisierten Kriminalität ausgerichtet ist; diese
Themen haben ja auch den Beitrag von Herrn
Burgbacher bestimmt. Die Diskussion über die nähere
Ausgestaltung des Vorschlages - unter Einbeziehung
verfassungsrechtlicher und rechtsstaatlicher Aspekte hat gerade erst begonnen. Die Diskussionen in den Brüsseler Gremien lassen auch in den anderen Mitgliedstaaten insbesondere zu den Fragen des Datenschutzes einen
großen Diskussionsbedarf erkennen.
Eine Entscheidung auf europäischer Ebene wird zudem frühestens 2009 zustande kommen. Das heißt, nach
dem erwartungsgemäßen Inkrafttreten des EU-Reformvertrages wird das Europäische Parlament mitentscheidend zu beteiligen sein. Auch dadurch wird gewährleistet, dass der Vorschlag auf eine breite Grundlage gestellt
wird, da er nur auf einer solchen breiten Grundlage realisiert werden kann.
Meine Damen und Herren, wie ich eingangs schon
sagte, gehören Sicherheit und Freiheit sowie Sicherheit
und Datenschutz zusammen; sie bedingen einander. Zum
gegenwärtigen Zeitpunkt kann ich Ihnen von dieser
Stelle aus nur versichern, dass wir uns auf europäischer
Ebene mit Nachdruck für einen Rahmenbeschluss einsetzen werden, durch den das Gleichgewicht zwischen
Sicherheits- und Datenschutzinteressen gewahrt wird.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Jan Korte spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich kann, was nicht oft vorkommt, direkt bei Staatssekretär Bergner anfangen und möchte noch einmal kurz
auf das zitierte Interview des EVP-Kollegen Manfred
Weber eingehen. Herr Bergner, um ganz genau zu sein:
Er ist Mitglied der CSU.
Die Süddeutsche Zeitung fragte ihn - ich zitiere -:
Ist Innenminister Wolfgang Schäuble zu willfährig
gegenüber der EU? Im Gegensatz zu seiner Kollegin Brigitte Zypries hat er sich mit keinem Wort gegen die Vorschläge Frattinis gewandt.
Antwort von Manfred Weber, CSU - man kann es nicht
oft genug betonen -:
Schäuble und Zypries sind beide in der Pflicht.
Frattini
- das ist übrigens ein Kumpel von Berlusconi, für den er
gerade Wahlkampf macht; das ist aber ein anderes
Thema kann nur vorschlagen, beschließen müssen die Innen- und Justizminister der EU-Länder. Auch
Zypries muss sich fragen lassen, warum sie die vielen Beschlüsse im Rat zur Datensammlung bisher
mitgetragen hat. Die deutsche Regierung muss sich
gegen die EU-Vorschläge in der jetzigen Form wenden. Sie sind unverhältnismäßig.
({0})
Das sagt Manfred Weber von der CSU.
Als geneigter, konstruktiver Oppositionspolitiker
fragt man sich natürlich, wie schlimm eigentlich die Situation der Bürgerrechte in Europa und der Bundesrepublik ist, wenn das jetzt schon ein CSU-Europaabgeordneter sagt.
({1})
Wir sind schon so weit gekommen, dass wir jetzt mit der
CSU eine Front für die Bürgerrechte aufbauen müssen.
Ich finde, das ist mehr als bedenklich.
({2})
Worum geht es? Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir
diese Frage hier diskutieren. Vor kurzem haben wir über
das Abkommen mit den USA hinsichtlich der Fluggastdatenübermittlung gesprochen. Seit Vereinbarung dieser
Fluggastdatenübermittlungen gab es mehrere wirklich
skandalöse und schlimme Einzelfälle, bei denen völlig
unschuldige Leute aufgrund dieser Fluggastdatenübermittlungen in die Mühlen der US-Geheimdienste geraten
sind. Ich finde, auch das müsste uns zu denken geben.
Mehr Sicherheit vor Anschlägen hat es nicht gegeben.
Das ist zumindest nirgendwo zu lesen - auch nicht auf
Anfragen hin.
({3})
Der eigentliche Skandal ist, dass nicht nur die Fluggastdaten von irgendwelchen Menschen, die sich verdächtig gemacht haben oder gegen die ermittelt wird, gespeichert werden sollen, sondern von allen Bürgerinnen
und Bürgern in der Europäischen Union, und zwar ohne
jeden Tatverdacht. Das ist der Paradigmenwechsel. Das
kann doch nicht sein und ist nicht hinnehmbar.
Ganz praktisch bedeutet das, dass die 19 Datensätze
- darunter E-Mail - Anschrift, Telefonnummer, Kreditkartennummer, Hotel- und Mietwagenbuchungen - nicht
nur für ein halbes Jahr - ich weiß nicht, was dort gerade
sonst noch diskutiert wird -, sondern, wie vorgesehen,
für 13 Jahre gespeichert werden. Was bedeutet das ganz
praktisch? Das bedeutet ganz praktisch beispielsweise,
dass die Dienste oder andere Ermittlungsbehörden voll
und lückenlos alles nachvollziehen können: den Gang
ins Reisebüro, wenn ich buche, den Beginn meiner
Reise, wohin in fliege, in welches Hotel ich gehe, ob ich
einen Mietwagen miete usw. Es kann doch wohl nicht im
Sinne einer demokratischen Europäischen Union sein,
dass so etwas lückenlos nachvollzogen werden kann.
Das kann nicht sein, und es geht im Übrigen niemanden
etwas an, wohin ich fahre und wo ich Urlaub mache.
({4})
Verehrte Kollegin Stokar, man muss deutlich sagen:
Das war übrigens auch schon eine Strategie von Innenminister Schily.
({5})
Auch bei den Ausweispapieren mit biometrischen Daten
haben diese und auch die letzte Bundesregierung die Europäische Union dazu benutzt, massive Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten auf der europäischen Ebene anzuleiern, weil sie sie im einfachen
Verfahren hier in der Bundesrepublik nicht durchbringen
konnten.
({6})
Insofern wird hier über Bande gespielt. Genau das Gegenteil von dem, was Sie eben ausgeführt haben, lieber
Staatssekretär Bergner, ist der Fall.
Auch die Linke würde sich freuen, wenn die Bundesregierung das Gegenteil tun würde, nämlich auch auf europäischer Ebene zu versuchen, einen hohen Datenschutzstandard zu erreichen und die Grund- und
Freiheitsrechte zu wahren. Das wünschen wir uns, und
das würden wir auch sofort unterstützen.
({7})
Gestatten Sie mir eine letzte Anmerkung. Das gesamte Ausmaß auch dieser Maßnahme wird erst dann
deutlich, wenn man die Vorratsdatenspeicherung, die
auch auf europäischer Ebene initiiert wurde, die biometrischen Merkmale, den Austausch von Gendateien und
vor allem alle technischen Möglichkeiten, diese Dateien
miteinander zu verbinden, mitberücksichtigt. Das ist ein
wahres Panoptikum hin zu einem autoritären Überwachungsstaat in Europa, den wir nicht wollen.
({8})
Deshalb werden wir weiter dagegen Krawall schlagen.
Schönen Dank.
({9})
Der Kollege Wolfgang Gunkel hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute erneut
über die PNR-Daten, die sogenannten Fluggastdaten.
Diesmal steht jedoch kein Abkommen zwischen den
Vereinigten Staaten und der Europäischen Union, sondern der Vorschlag eines Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates zur Diskussion. Dieser sieht vor, die
Fluggastdaten aller Reisenden zwischen Europa und den
Nicht-EU-Staaten auf Vorrat in Datenbänken zu erfassen, sie zur Strafverfolgung von Terrorismus sowie organisierter Kriminalität auszuwerten und 13 Jahre lang zu
speichern, und zwar ohne dass gegen die Flugreisenden
der Verdacht einer Straftat oder ein Gefahrenverdacht
vorliegen muss.
19 Datensätze wie Name, Anschrift, Kreditkartennummer, Telefonnummer, E-Mail-Anschrift, Beteiligung
an Vielflieger-Bonusprogrammen, Hotel- oder Mietwagenbuchungen und vieles mehr sollen erfasst, gespeichert und ausgewertet werden. Dies geht weit über das
hinaus, was man für eine ordnungsgemäße Strafverfolgung benötigt, weil es sich um Daten handelt, die den
persönlichen Bereich der Betroffenen berühren.
Die heute vorliegenden Anträge der FDP und der
Grünen stützen sich im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Februar 2008, in der einige Punkte kritisiert werden.
Erstens sieht der Bundesrat das in letzter Zeit viel diskutierte Verhältnis zwischen der Wahrung der Freiheitsrechte und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit nicht
in ausreichendem Gleichgewicht.
Zweitens stellt die Erhebung der PNR-Daten einen
Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
von 1983 wurde bereits von dem Kollegen Burgbacher
erwähnt.
Drittens wird gegen eines der Grundprinzipien des
Datenschutzes verstoßen: Der Grundsatz der Zweckbindung wird nicht gewahrt. Danach dürfen personenbezogene Daten nur für bereichsspezifisch und präzise festgelegte Zwecke gespeichert und im Rahmen dieser
Zwecke verwendet werden.
Viertens rügt der Bundesrat, dass die Speicherungsdauer von 13 Jahren die in Deutschland allgemein übliche Regelfrist für polizeiliche Speicherungen weit überschreitet. Damit wird sie als unvereinbar mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen.
Diese vom Bundesrat vorgetragenen Punkte sind von
erheblicher Bedeutung, da die CDU/CSU dort bekanntlich mit elf Ministerpräsidenten vertreten ist. Man kann
also nicht davon sprechen, dass dies ausschließlich auf
SPD-Regierungen zurückzuführen ist.
Der Vorschlag für den Rahmenbeschluss enthält außerdem keine Möglichkeit für die betroffenen Bürger,
Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten sowie
zur Berichtigung oder Löschung falscher oder fehlerhaft
übermittelter Daten zu erlangen. Auch das ist ein Manko,
das den Datenschutzbestimmungen kaum entsprechen
dürfte.
Ein weiterer Grund für die Ablehnung des Vorschlags
ist, dass ein Instrument zur Bekämpfung des Terrorismus
für alle in Europa von großer Bedeutung ist, wenn die im
Schengener Abkommen festgesetzten Grenzen wegfallen. Herr Staatssekretär Dr. Bergner hat bereits die APIDateien erwähnt, die von der Bundespolizei zur Grenzsicherung erhoben werden. Diese API-Dateien sind - auch
darauf hat er hingewiesen - am 1. April dieses Jahres in
Kraft gesetzt worden. Damit ist nach vierjähriger Dauer
die EU-Richtlinie in nationales Recht umgesetzt worden.
In der API-Datei sind folgende Daten enthalten: Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Nummer und Art des mitgeführten Reisedokuments, Nummer und ausstellender Staat des
erforderlichen Aufenthaltstitels oder Flughafentransitvisums, die für die Einreise in das Bundesgebiet vorgesehene Grenzübergangsstelle, die Flugnummer, die planmäßige Abflugs- und Ankunftszeit, der ursprüngliche
Abflugsort sowie die gebuchte Flugroute, soweit sie sich
aus den vorgelegten oder vorhandenen Buchungsunterlagen ergibt.
Das ist doch schon allerhand. Anhand dieser erfassten
Daten kann man sehr wohl nachvollziehen, ob sich
Leute in der EU illegal bewegen und ob sie möglicherweise etwas Böses im Schilde führen. Die Daten werden
nach 24 Stunden gelöscht. Das entspricht den Vorschriften, die man üblicherweise zu beachten hat, wenn gegen
die Betreffenden nichts weiter vorliegt.
({0})
In diesem Zusammenhang bleibt festzuhalten, dass
der sogenannte Frattini-Vorschlag dazu dient, das Ganze
ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments zu beschleunigen. Die SPD-Bundestagsfraktion hatte schon
beim Abkommen über die PNR-Fluggastdaten mit den
Vereinigten Staaten große Bauchschmerzen. Aber es gab
keinen anderen Weg, wenn man nicht den Verlust des
Datenschutzes riskieren wollte. Das haben wir im Falle
der USA mit Mühe und Not hingenommen, weil es keine
Alternative gab. Hier gibt es aber eine Alternative. Sie
besteht darin, den Frattini-Vorschlag in nächster Zeit außer Kraft zu setzen, indem man im Rahmen der EU weiterverhandelt. Wie ich auf der Arbeitsebene erfahren
habe, will das Bundesministerium des Innern auch so
verfahren. Es gibt also Hoffnung, dass das in dieser
Form nicht verabschiedet wird.
({1})
Ich sage zu Ihrer Ehrenrettung: Das ist auch korrekt. Das
darf man dabei nicht vergessen. Auf diese Art und Weise
wird es ein wenig Bewegung geben, zumal der Vertrag
von Lissabon am 1. Januar 2009 in Kraft tritt. Dann wird
das Europäische Parlament weitaus mehr Rechte erhalten. Wenn es sich dann mit diesem Thema erneut befasst,
wird es mit Sicherheit einen anderen Rahmenbeschluss
geben.
Es bleibt festzuhalten: Herr Frattini, der nach meiner
Meinung mit seinen Maßnahmen sehr weit danebenliegt,
hat nicht nur die Überwachung von Flugpassagieren gefordert, sondern auch die Erfassung der Daten von
Schiffsreisenden und Zugreisenden.
({2})
Wenn man das alles erfassen will, hat man einen Datenmoloch. Ich frage mich, warum wir den Schengen-Raum
überhaupt erweitert haben, wenn wir quasi durch die
Hintertür die Grenzen ziehen wollen, die wir gerade
vorne abgebaut haben.
({3})
Ich kann mich dem Vorschlag des Rates in dieser
Form nicht anschließen. Ich habe Verständnis für die
Kolleginnen und Kollegen von der FDP- und der Grünen-Fraktion, die jeweils Anträge eingebracht haben. Allerdings kommen diese Anträge ein wenig zu früh, da
eine Entscheidung darüber aller Wahrscheinlichkeit nach
in dieser Legislaturperiode nicht mehr fallen wird. Ich
hoffe, dass es spätestens Ende 2009 einen anderen Vorschlag gibt.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Die Kollegin Silke Stokar von Neuforn hat jetzt das
Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Gunkel, als wir unseren Antrag eingebracht haben, saß Bundesinnenminister Schäuble neben Herrn
Frattini und hat dessen Vorschläge und den Rahmenbeschluss auf dem 11. Europäischen Polizeikongress vehement begrüßt. Es war interessant, die Mimik der beiden
zu sehen, als dann die Bundesjustizministerin Zypries in
aller Deutlichkeit sagte - ich finde, das war sehr mutig
und richtig -, dass dieser Rahmenbeschluss sowohl gegen nationales als auch gegen europäisches Recht verstößt und dass er nun wahrlich alle Grenzen des Machbaren in Europa überschreitet.
Auch heute ist es interessant. Die CDU/CSU-Fraktion
hat Ihrer netten Rede zugehört, brummelt vor sich hin
und verzichtet auf einen Debattenbeitrag. Sie können
aber auch nichts anderes machen, als die Segel zu streichen und zu sagen: Ja, es ist richtig; wir werden es nicht
durchsetzen. Der ursprüngliche Zeitplan sah aber anders
aus.
Es ist im Innenausschuss noch gesagt worden, dass
Bundesinnenminister Schäuble, genau bevor der Vertrag
von Lissabon in Kraft tritt, aus der Macht der Exekutive
heraus unter Umgehung der Parlamente diesen ungehörigen EU-Rahmenbeschluss gemeinsam mit Frattini
durchsetzen wollte. Zum Glück ist er von Kritikern aus
Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern gestoppt worden.
({0})
Ich möchte auch etwas zu der 15. Legislaturperiode
sagen. Da besteht doch ein Unterschied. Wir befanden
uns in der Situation - ich habe das sehr bedauert -, dass
wir damals keinen Vertrag von Lissabon hatten. Man
sprach damals noch von der EU-Verfassung.
({1})
Ich war doch damals nicht Bundesinnenminister Schily.
({2})
Wir Grüne haben doch ständig Kritik am Koalitionspartner geübt, weil in einer demokratiefeindlichen Art und
Weise Beschlüsse gefällt worden sind, und zwar unter
Umgehung nationaler Parlamente und unter Umgehung
des Europäischen Parlaments. Das war kein guter Zustand
({3})
für die Demokratie in Deutschland. Genau das - das
können Sie nachlesen - habe ich auch damals gesagt.
({4})
Herr Burgbacher, die FDP spielt sich hier als Hort der
Bürgerrechte auf.
({5})
Ich möchte Sie einfach nur einmal daran erinnern, dass
wir bei der Frage der Onlinedurchsuchung die köstliche
Situation hatten, dass der altgediente Herr Baum von der
FDP, der in Ihrer Partei keine Rolle mehr spielt - Bürgerrechte spielen in Ihrer Partei schon lange keine Rolle
mehr, wenn Sie in der Regierung sind -,
({6})
gegen Innenminister Wolf geklagt hat, der verantwortlich für die verfassungswidrige Regelung zur Onlinedurchsuchung war.
({7})
Auch in Niedersachsen hat die FDP geschwiegen, als
Bestimmungen über eine verfassungswidrige Telefonüberwachung das Parlament passierten. Also tun Sie hier
bitte nicht so, als wäre nicht die FDP, wenn sie in Regierungsverantwortung ist, die Partei, die die meisten verfassungswidrigen Gesetze in den Ländern - in NRW, in
Niedersachsen - in den vergangenen Jahren hat durchgehen lassen.
({8})
Zu den EU-Fluggastdaten ist hier genügend gesagt
worden. Ich möchte nur, damit sich die Bürger einen Begriff davon machen können, worum es geht, erwähnen,
dass geplant ist, für jeden, der in die EU reist und aus der
EU ausreist, eine Risikoanalyse zu machen und ein Reiseprofil zu erstellen. In der Konsequenz bedeutet das
- so ist es in den USA schon heute -, dass Menschen auf
No-Flight-Listen gesetzt werden und die Dateien der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste über die Reisefreiheit entscheiden. Eine solche Situation möchte ich
hier in Europa wahrlich nicht haben.
Danke schön.
({9})
Jetzt spricht der Kollege Gert Winkelmeier.
({0})
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Sag mir, wo du wohnst,
({0})
sag mir, wohin du fliegst, sag mir, was du während deines Fluges isst - Sie wollen genau das -, sagen Sie mir
auch, wer Sie vom Flughafen abholt. Ach ja, meine Kreditkartennummer könnt ihr selbstverständlich auch noch
haben. Wozu denn diese Geheimniskrämerei? Schließlich habe ich mir nichts vorzuwerfen - das sind Ihre Argumente -, also kann mir auch nichts Schlimmes passieren. Das hat der zuständige EU-Kommissar Franco
Frattini allen Ernstes ausgesprochen. Ich zitiere:
Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu
befürchten. Mich beunruhigt überhaupt nicht, wenn
meine Daten den Behörden zur Verfügung gestellt
werden.
Das ist zitiert nach faz.net vom 6. Dezember 2007. Ich
frage mich, warum Sie in der ersten Reihe sich so beunruhigen.
Ähnliches haben wir schon von unserem Innenminister zu hören bekommen. 19 verschiedene Angaben sollen laut Herrn Frattinis Entwurf künftig von jedem Fluggast gespeichert werden, der die EU-Grenzen verlässt,
und das für eine Dauer von 13 Jahren. Mich beunruhigt
das ganz gewaltig. Zum Glück scheine ich in der Bundesjustizministerin eine Verbündete in meiner Beunruhigung gefunden zu haben.
Überhaupt kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es immer mehr Menschen, sogar Politikerinnen
und Politiker dieses Hohen Hauses gibt, die der Datensammelwut deutlich skeptischer gegenüberstehen als
noch vor Jahren; Sie mögen da eine Ausnahme sein.
Diese Skepsis mag auch an dem Ausmaß liegen, das die
Datensammelwut bis jetzt angenommen hat. Selbst aus
den Reihen der Union mehren sich die kritischen Stimmen; darauf ist hier zweimal hingewiesen worden. Der
CSU-Europaabgeordnete Weber sagte gestern in der taz
- ich zitiere -:
Aber in diesem Fall lautet die Kernfrage, ob es verhältnismäßig ist, eine solche Menge an persönlichen Daten über 13 Jahre lang zu speichern.
Zudem zieht er auch in Zweifel, dass diese ausufernde
Datensammlung im Endeffekt wirklich etwas bringt.
Ich sage: Dieser Mann hat recht. Es gibt keine stichhaltigen Belege dafür, dass die Fluggastdatenspeicherung umfangreiche Erfolge bringt. Deshalb wäre es zumindest angemessen, abzuwarten, ob sich nennenswerte
Ermittlungsergebnisse einstellen. Das bezweifele ich
nämlich sehr.
Es stellt sich hier eher die ganz prinzipielle Frage, ob
es mit der bundesdeutschen Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention überhaupt vereinbar
ist, dass derart sensible Daten ohne jeglichen Verdacht
gesammelt werden.
Ich gehe - gerade nach den letzten Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts zu etwaigen vorgeblichen „Sicherheitsgesetzen“ - davon aus, dass das Ansinnen der Herren Schäuble und Frattini unvereinbar ist mit
dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es
kann nicht angehen, dass dieses Land zu einem Präventionsstaat verkommt, der seine Bürgerinnen und Bürger
überwacht, kontrolliert und ihre Daten abspeichert, ohne
dass irgendein Straftatvorwurf gegen sie vorliegt. Was
noch schlimmer ist: Präventiv werden auch Daten von
Dritten gespeichert, die mit der eigentlichen Reisetätigkeit überhaupt nichts zu tun haben, daran also völlig unbeteiligt sind.
Der Deutsche Bundestag muss das Ansinnen von
Herrn Frattini, das von Herrn Schäuble unterstützt wird,
klar ablehnen.
Vielen Dank.
({1})
Die Vorlagen auf den Drucksachen 16/8115 und 16/8199
sollen an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom
7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel
der Europäischen Gemeinschaften
- Drucksache 16/7686 Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen
Union ({0})
- Drucksache 16/8533 Berichterstattung:
Abgeordnete Helmut Lamp
Hans Eichel
Michael Link ({1})
Rainder Steenblock
Es ist verabredet, hierzu eine Dreiviertelstunde zu debattieren. - Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
das so beschlossen.
Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile das Wort
dem Kollegen Axel Schäfer für die SPD-Fraktion.
({2})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Ratifizierung des EU-Eigenmittelbeschlusses ist Angelegenheit unseres nationalen Parlaments, des Deutschen Bundestags. An dieser Stelle wird auch deutlich,
dass wir in dieser Europäischen Gemeinschaft in Zukunft eine wichtige Aufgabe wahrzunehmen haben, und
das tun wir heute.
Für uns ist das ein wichtiger Tag. Es ist faktisch der
Abschluss der deutschen Ratspräsidentschaft. In dieser
Präsidentschaft haben wir einen Kompromiss zustande
gebracht, der jetzt umgesetzt wird. Es handelt sich um
einen Kompromiss, der von allen 27 EU-Staaten getragen wird und der Deutschlands Haushalt um 1 Milliarde
Euro entlastet. Das ist ein Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft; das ist auch ein Erfolg dieser Regierungskoalition.
({0})
Wir wissen, dass in der Zukunft zugleich darüber diskutiert werden muss, wie es auf der einen Seite mit den
Einnahmen und auf der anderen mit den Ausgaben aussieht. Was die Einnahmeseite angeht, stellt sich die
Frage: Schaffen wir tatsächlich ein hohes Maß an Gerechtigkeit und ein transparenteres System, oder verharren wir in einer Situation, in der bestenfalls noch Fachleute etwas verstehen, etwa weil es um Rabatte oder um
Rabatte von Rabatten geht? Auf der Ausgabenseite, auf
der Europa ganz überwiegend Struktur- und Agrarpolitik
betreibt, werden die Subventionen mit den Aspekten Gerechtigkeit und natürlich auch Nachhaltigkeit verbunden.
Was wir jetzt machen, bezieht sich auf die Periode bis
2013. Zu Recht hat die EU-Kommission eine Überprüfung angesetzt, wie damit in der nächsten Finanzierungsperiode 2014 bis 2018 - sie wird nur fünf Jahre lang sein umgegangen werden sollte. Die SPD-Bundestagsfraktion hat gestern dazu einen Beschluss gefasst, den ich
den geschätzten Kolleginnen und Kollegen des Hauses
zur Lektüre empfehle, weil er wirklich wegweisend ist.
Wir heben dort nämlich auf drei zentrale Punkte ab: Wir
brauchen eine weitere Reform der gemeinsamen Agrarpolitik - dies wird sicherlich im Mittelpunkt stehen -,
eine Abschaffung des Britenrabattes, also mehr Gerechtigkeit und Nachvollziehbarkeit, und letztlich eine Stärkung des europäischen Eigenmittelsystems.
Wer mit Blick auf Europa über Zahlen und Preise redet, muss sie auch kennen. Der Bundeshaushalt hat ein
Volumen von 283 Milliarden Euro, der europäische
Haushalt nur von 129 Milliarden Euro pro Jahr. Daran
wird die Relation dessen klar, was wir in Europa können
und was wir auf nationaler Ebene tun müssen. Dabei ist
uns folgender Punkt wichtig: Der Parlamentarismus in
Europa steht heute auf der Tagesordnung, nicht zuletzt
wegen der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon.
Dazu gehört auch das alte parlamentarische Selbstverständnis, das noch aus der glorreichen amerikanischen
Revolution von 1776 resultiert: „no taxation without
representation“, auf Deutsch: keine Steuererhebung,
wenn nicht zuvor die Volksvertretung damit befasst war.
Nun sind wir in Europa in einer etwas anderen Situation.
Wir haben ein Europäisches Parlament, das zu Recht argumentiert: „no representation without taxation“, das
also die Frage stellt, wie es mit einer eigenen europäischen Steuer aussieht. Ich sage es hier ganz offen: Niemand, weder die Kommission noch, wie ich vermute,
eine der beteiligten Parteien, hat bisher eine Lösung für
dieses Problem gefunden, die mehr Gerechtigkeit schafft
und zugleich dem heute leider noch üblichen Steuerwettbewerb zwischen Nationalstaaten entgegenwirkt, der
dazu führt, dass große Unternehmen versuchen, an der
Schraube so lange zu drehen, bis immer weniger Steuern
fließen, wodurch auch der europäische Wohlfahrtsstaat,
auf den wir alle aufbauen, infrage gestellt wird.
Dieser Aufgabe werden wir uns stellen müssen; die
SPD hat sich in ihrem Grundsatzprogramm gerade dazu
verpflichtet. Dies wird nicht nur von der SPD, sondern
von uns allen geleistet werden müssen; denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen hier vor einer doppelten Aufgabenstellung: Mit der Ratifizierung des Vertrages von Lissabon stärken wir den Deutschen Bundestag
in seinen europäischen Rechten und Pflichten zugleich.
Wir müssen also aus deutscher Sicht auf diese europäische Finanzfrage eine Antwort geben, weil auch nach
Lissabon diese Dinge noch der Ratifizierung hier bedürfen. Entscheidungen über Steuern verbleiben beim Prinzip der Einstimmigkeit. Das heißt für uns alle, soweit
wir in Europa gemeinsam Verantwortung tragen wollen,
was wir in der nächsten Woche hier sicherlich auch zeigen werden, dass dies in unseren europäischen Parteifamilien eine wichtige Aufgabenstellung sein wird. Deshalb sage ich bei dieser europäischen Finanzdebatte
heute: Machen wir uns an die Arbeit!
Vielen Dank.
({1})
Der Kollege Michael Link hat jetzt das Wort für die
FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Heute,
zwei Jahre und zwei Monate nachdem sich die Staatsund Regierungschefs in Brüssel in nächtlicher Sitzung
auf die Eckpunkte der Finanziellen Vorausschau geeinigt
haben, kommen wir endlich zur Ratifizierung und setzen
das um, was damals beschlossen wurde.
Wenn ich „endlich“ sage, dann nicht, weil ich es nicht
erwarten konnte und es fantastisch fand, sondern weil
ich damit darauf hinweisen will, dass wir ein legitimatorisches Problem haben. Wir entscheiden über erhebliche
Beträge. Wenn wir den deutschen Beitrag auf sieben
Jahre hochrechnen, dann stellen wir fest, dass es sich um
über 172 Milliarden Euro handelt. Diese Summe ratifizieren wir auf einen Schlag - ex post.
Wir wissen doch alle, dass wir die Entscheidung de
facto nur abnicken können, dass wir heute de jure zustimmen müssen. Damit meine ich nicht etwas Despektierliches, sondern ich frage mich, wie wir etwas im
Nachhinein ändern können, was schon in Kraft ist. Formal wird es natürlich rückwirkend in Kraft gesetzt, aber
auf der Ausgabenseite ist es bereits wirksam. Wir dürfen
nicht vergessen, dass sämtliche Förderprogramme auf
der Ausgabenseite bereits laufen; das haben wir als Finanzielle Vorausschau beschlossen. Wir beschließen
heute im Nachhinein über die Einnahmeseite. Das passt
doch nicht zusammen.
Deshalb hat Kollege Schäfer völlig recht, wenn er
sagt: Wir müssen als Bundestag unsere Rechte ernster
nehmen. Wir können das jetzt, und das sollte unser Anspruch an uns sein.
({0})
Wir können das, weil wir jetzt - im Gegensatz zu früher nach Art. 23 Abs. 3 GG tatsächlich Stellungnahmen abgeben können, die unsere Minister mandatieren, bevor
haushaltswirksame Entscheidungen in Brüssel getroffen
werden.
Dazu muss es wirklich kommen - das ist die Forderung, die wir als FDP erheben -: Europäische Haushaltsbeschlüsse - bei der Einnahmeseite und indirekt auch bei
der Ausgabenseite sind wir als Bundestag voll im Boot müssen wir genauso ernst behandeln, als wenn es sich
um einen Einzelplan im Bundeshaushalt handeln würde.
Das ist der Anspruch, den wir an uns selbst haben müssen. Wenn unser EU-Beitrag ein Einzelplan wäre, wäre
es der fünftgrößte im Bundeshaushalt.
Wir ratifizieren ohne wirkliche, streitige Diskussionen auf einmal im Nachhinein für sieben Jahre. Wir können es heute - das stelle ich fest - leider eben nur abnicken. Wir sind nicht wirklich dagegen; auch die FDP ist
für eine solide finanzierte Europäische Union und auch
eine gut finanzierte Europäische Union. Wie soll man
aber heute noch Nein sagen und etwas an einem Beschluss ändern, den die Exekutive quasi freihändig verhandelt hat?
Es gibt Schatten, aber auch Licht, das heißt positive
Aspekte bei diesem Beschluss. Das BMF und auch die
Bundeskanzlerin haben ausgehandelt, dass wir unter
dem Strich durchaus etwas weniger bezahlen. Dies geschieht aber nicht durch Reformen, sondern durch neue
Rabatte, Sonderzahlungen und Tauschgeschäfte hin und
her. Das ist nicht die Art von Transparenz auf der Einnahmeseite, die wir haben wollen.
({1})
Wir wollen nicht Rabatte hin und her, sondern ein transparentes und gerechtes Einnahme- bzw. Finanzierungssystem der EU, das den einzelnen Mitgliedstaaten die
Möglichkeit gibt, nach ihrer Leistungskraft zu den Eigenmitteln der EU beizutragen.
Für uns ist ganz klar: Mit dem Eigenmittelbeschluss,
den wir heute ratifizieren, wird sehr kurz gesprungen. Im
Prinzip werden wieder nur Tausch- und Koppelgeschäfte
gemacht. Die Rabatte sind schon angesprochen worden.
Dass auch Deutschland einen massiven Rabatt erhält
- darüber hinaus die Niederlande, Schweden, Österreich,
also eben nicht nur Großbritannien -, sei hier nur erwähnt.
Wir als Deutsche sparen bei den Mehrwertsteuerabführungen noch einmal ordentlich. Aber das sind ebenfalls Geschäfte und Gegengeschäfte. Wir brauchen in der
Bundesrepublik, aber auch in den anderen Mitgliedsländern eine Beitragszahlung, die an das Bruttonationaleinkommen gekoppelt ist. Notwendig ist der Verzicht auf
die Mehrwertsteuerabführungen. Das ließe einen verzerrungsfreien Haushalt auf der Einnahmeseite zu. Dafür,
dass es in diese Richtung geht, werden wir uns als Liberale bei der anstehenden Finanzrevision einsetzen.
Wenn ich sage, dass wir uns als Liberale dafür einsetzen werden, dann meine ich die Liberalen in Berlin und
in Brüssel. Von den Kollegen der SPD und in dem Fall
sogar von der CDU/CSU im Haushaltsausschuss höre
ich, dass man gegen eine EU-Steuer ist. Gleichzeitig
höre ich aus der EVP, auch von deutschen Abgeordneten, Stimmen dafür. Nun ist innerparteilicher Pluralismus sicherlich nichts Schlechtes, aber hier geht es um
eine Position, zu der wir klar sagen müssen, was wir
wollen.
Wir als FDP sagen klar, dass eine EU-Steuer zur Erzielung von Einnahmen kein Fortschritt wäre, dass sie
im Hinblick auf die Probleme der Intransparenz und
Kompliziertheit der Verhandlungen nichts brächte; im
Gegenteil. Die Nettozahlerdebatte bekämen wir dadurch
nicht vom Tisch. Die Nettozahlerdebatte bekommen wir
nur vom Tisch, wenn wir beim Subventionsdschungel
aufräumen und nicht weiter einen Großteil des EUHaushalts in den Agrar- und Strukturfonds vergraben.
Wir als FDP sind nicht gegen Solidarität. Die ist im
EU-Vertrag enthalten und soll auch dort enthalten bleiben. Dazu stehen wir. Wenn aber die Länder oder die
Empfänger von Struktur- und Kohäsionsfonds die Mittel
oft nicht dazu benutzen, sich von den Subventionen unabhängig zu machen, dann wird Solidarität pervertiert.
Aus unserer Sicht muss zu einem wirklich guten und
neuen Eigenmittelbeschluss in Zukunft dazugehören,
dass Struktur- und Kohäsionsfonds auf europäischer
Ebene befristet sein müssen und dass Empfänger von
Subventionen auf europäischer Ebene nicht dauerhaft
Michael Link ({2})
gefördert werden können. Das fordern wir. Die Haushaltsrevision steht nächstes Jahr mit ersten Entscheidungen an. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Diesen Einstieg
müssen wir machen. Sonst werden wir weiterhin 80 Prozent des EU-Haushalts für Subventionen ausgeben.
({3})
- Ja, das ist sicherlich schwierig, Herr Steenblock. Ohne
große und klare Ziele kommen wir hier aber nicht weiter.
Wie aktuell die Gefahr einer bevorstehenden EU-Steuer
im Übrigen ist, weist nicht nur Ihr Parteiprogramm auf.
Ich verstehe durchaus Ihr Anliegen. Ich glaube nur nicht,
dass es ein tauglicher Weg zum Ziel transparenter EUFinanzen ist.
Vorgestern hat die französische Ministerin für Wirtschaft und Finanzen erklärt, dass ein Hauptziel der französischen Präsidentschaft sei, während der französischen
Präsidentschaft nicht nur eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer zu erreichen, sondern bereits den Einstieg in einen Hebesatz der EU am
nationalen Körperschaftsteuereinkommen, der dann vom
Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen werden solle. Das ist der Einstieg in die EU-Steuer. Wenn wir
damit anfangen, dann wünsche ich viel Spaß dabei. Das
führt nicht zu mehr Transparenz. Das führt genau in die
falsche Richtung.
Kolleginnen und Kollegen, die FDP wird sich heute
bei diesem Eigenmittelbeschluss enthalten. Dieser Eigenmittelbeschluss birgt sicherlich auch einige Fortschritte, aber hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts
können wir so keinen Blankoscheck erteilen. Die Bundesregierung wird uns aber immer an ihrer Seite haben,
wenn es darum geht, den Haushalt wirklich konsequent
zu reformieren, und zwar in einer Art und Weise, die den
Steuerzahler nicht belastet, sondern die ihn entlastet.
Vielen Dank.
({4})
Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Helmut Lamp.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Kollege von der FDP hat gerade eben gesagt, wir
seien heute nur zum Abnicken eines Gesetzentwurfes
hier. Dazu muss ich sagen: Wir nicken nicht ab, sondern
wir stehen voller Überzeugung und aus ganzem Herzen
zu diesem Gesetzentwurf. Dieser Gesetzentwurf verdient es nicht, dass man ihn marginalisiert. Denn wer
hätte vor wenigen Jahren gedacht, dass wir heute über
einen solchen Gesetzentwurf mit diesen Ergebnissen abstimmen können?
({0})
Sie hören schon, dass die CDU/CSU-Fraktion diesem
Gesetzentwurf aus ganzem Herzen zustimmen wird. Das
heute zu beschließende neue Eigenmittelsystem der EU
ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber dem bisherigen
Eigenmittelbeschluss aus dem Jahr 2000. Der heutige
Beschluss hat das Ziel, das Finanzregime der Europäischen Union von 2007 bis 2013 zu reformieren und eine
gerechtere Verteilung der Lasten innerhalb der Europäischen Union zu erreichen. Ich denke, dass die gerechtere
Verteilung der Lasten mit dem Ziel, dass kein Mitgliedstaat - gemessen am relativen Wohlstand - unangemessen hohe Haushaltsbelastungen zu schultern hat, ein ganzes Stück vorangekommen ist.
Basis des jetzigen Eigenmittelbeschlusses sind die Ergebnisse der sehr erfolgreichen Tagung des Europäischen Rats im Dezember 2005, bei dem die damals gerade frisch ins Amt gewählte Bundeskanzlerin Angela
Merkel ein andauerndes Gefeilsche um die Mittelverteilung durch geschicktes Verhandeln hat beenden können.
Die Kontroversen zwischen den Franzosen und den Briten über die gemeinsame Agrarpolitik und über den Rabatt für Großbritannien wurden durch geschickte Kompromissvorschläge der Kanzlerin entschärft. Natürlich
sind wir mit dem Verhandlungsergebnis insofern nicht
zufrieden, als - wie die FDP sagt - alle Rabatte hätten
abgeräumt werden müssen. Das war offensichtlich nicht
zu erreichen. Wir sind aber ein großes Stück weitergekommen. Die sechs großen Nettozahler der Union,
Deutschland, Frankreich, England, die Niederlande,
Schweden und Österreich, erhalten einen Ausgleich bei
der Zahlung der Eigenmittel.
Ganz wichtig ist auch: Wir haben den Finanzrahmen
auf 1 Prozent es Bruttonationaleinkommens begrenzen
können. Das sind gut 864 Milliarden Euro und nicht, wie
ursprünglich von der Kommission geplant, über
1 000 Milliarden Euro, genau 1 025 Milliarden Euro.
Unter dem Strich überweist die Bundesregierung
durchschnittlich 1 Milliarde Euro pro Jahr weniger an
die EU. Das ist ein tolles Ergebnis für uns, insbesondere
auch mit Blick auf unsere Bemühungen um die Konsolidierung des Bundeshaushaltes. Das Ungleichgewicht in
der Belastung bei den Nettozahlern wurde deutlich reduziert. Italien und Frankreich sind nämlich verpflichtet
worden, deutlich mehr zum EU-Haushalt beizusteuern.
Ihr Nettohaushaltsbeitrag wurde erhöht, und der deutsche Beitrag ist dementsprechend angepasst worden.
In diesem Kontext - ich habe das schon erwähnt - ist
es unbefriedigend, dass der Beitragsrabatt der Briten,
den Margaret Thatcher 1984 mit der berüchtigten Forderung: „I want my money back!“ durchgedrückt hatte,
nicht noch weiter abgeschmolzen werden konnte. Aber
die Absenkung der Beitragskorrektur für Großbritannien, immerhin bis zu einem Betrag von 10,5 Milliarden
Euro bis 2013, können wir wohl schon als einen Einstieg
in den Ausstieg aus dem Britenrabatt ansehen.
({1})
Ich sehe den Kompromiss, der hier erreicht wurde
und der so in dieser Form gar nicht erwartet wurde,
durchaus als einen Einstieg in eine künftig gerechtere
Beitragsregelung. Hierbei wird es darum gehen - wie
der FDP-Kollege es hier angedeutet hat -, das Beitragssystem zu verbessern und mehr Licht in das Dunkel einzelner Sondervorteile zu bringen, um sie dann abzuschmelzen.
Wie soll es weitergehen? Das derzeitige Finanzsystem der EU steht auf dem Prüfstand. Bis Mitte des Monats werden dazu erste Vorschläge von den Mitgliedstaaten erwartet. Hierzu möchte ich einige grundsätzliche
Gedanken äußern.
Das neue, erweiterte Vertragswerk, nämlich der Vertrag von Lissabon, der ja gestern von Österreich ratifiziert wurde und mit dem wir uns ja auch bald wieder beschäftigen werden,
({2})
eröffnet erstmals die Chance, die europäische Teilung zu
überwinden und nunmehr alle 27 Mitgliedstaaten für die
zukünftigen Herausforderungen fit zu machen. In der
künftigen Finanzierungsplanung sollten vorrangig Mittel
für die Bewältigung der künftigen Herausforderungen
und Aufgaben eingestellt werden. Die Gründerväter der
EU
({3})
wussten ja noch nichts von Klimaveränderungen, von
der globalen Vernetzung, von den Gefahren des Terrorismus und von den demografischen Problemen. China und
Indien waren zu der Zeit, als sich die EU im Gründungsstadium befand, Entwicklungsländer und nicht die Wirtschaftsmächte, die sie heute sind.
Die Deutsche Bahn hat mit Blick auf kommende Entwicklungen in diesem Jahr erstmals einen Güterzug von
Peking nach Hamburg fahren lassen und geprüft, wie die
Verbindung nach Peking zu optimieren ist. Hier deuten
sich ganz neue Dimensionen globalen Handels an. Wir
müssen uns den enormen wirtschaftlichen Herausforderungen der Globalisierung, die sich ja weiterhin abzeichnen, stellen - das tun wir ja auch schon - und für die
europäische Wirtschaft die erforderlichen Rahmenbedingungen setzen.
Bei der Bewältigung der Herausforderungen und der
Aufgaben der Zukunft dürfen wir nicht die Emotionen
und die Empfindlichkeiten der EU-Bürger außer Acht
lassen. Die Europäer sollten sich künftig stärker mit ihrem Haus identifizieren können: mit einem gemeinsamen Haus mit 27 unterschiedlichen Zimmern, einem
Haus, in dem das europäische Heimatgefühl noch eher
unterentwickelt ist. Europa ist einmalig und liebenswert
aufgrund seiner regionalen Vielfalt. Die Vielfalt der
ländlichen Kulturen spiegelt sich in den unterschiedlichen Sprachen, Dialekten, dem unterschiedlichen
Brauchtum und den in Jahrhunderten gewachsenen Kulturlandschaften wider. Diese Vielfalt ist ein Stück Lebensqualität, die gefährdet ist, aber die Touristen aus
Amerika und Asien sehr wohl zu schätzen wissen und
mittlerweile bei uns suchen. Diese typisch europäische
kulturelle Vielfalt muss in die Zukunft gerettet werden.
Sie muss in notwendige, die Globalisierung bedenkende
Initiativen eingebettet werden.
({4})
Wenn ich von „eingebettet“ spreche, dann bedeutet
das, dass auch für den ländlichen Raum entsprechende
Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es ist richtig, dass
wir den Agrarhaushalt dann, wenn es an der Zeit ist, auf
den Prüfstand stellen müssen. Aber die zeitlichen Zusagen, die bestehen, können wir nicht kurzfristig über den
Haufen werfen und damit die Glaubwürdigkeit der Politik infrage stellen. Während der derzeit stattfindenden
Haushaltsüberprüfung können wir zwar Korrekturen
vornehmen; aber wir sollten in dieser Zeit, wenn wir die
Glaubwürdigkeit der Politik erhalten wollen, die Agrarreform in der derzeitigen Form nicht als Ganzes infrage
stellen.
Damit sind wir wieder beim EU-Haushalt. Bis Mitte
April müssen die nationalen Regierungen, wie ich schon
sagte, der Kommission Vorschläge machen, wie die EUAusgaben ab 2014 finanziert werden sollen.
Ich fasse kurz zusammen: Es ist richtig, was schon
gesagt wurde: Beim Beitragsanteil der Mitgliedstaaten
sollte auch in Zukunft 1 Prozent des Nationaleinkommens nicht überschritten werden. Ich teile die Bedenken
gegenüber einer EU-Steuer.
Herr Kollege, seien Sie so nett und kommen Sie zum
Ende.
Wir sollten die Rabatte abschaffen. Ein solider Haushalt schafft Vertrauen.
Ich bitte Sie, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen.
({0})
Für die Linke spricht der Kollege Dr. Diether Dehm.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt zwar punktuelle Übereinstimmungen, aber eine
ganz andere Draufsicht. Der ganze Ratsbeschluss wurde
einseitig unter dem Gesichtspunkt finanzieller Forderungen der einzelnen Mitgliedstaaten und nicht unter dem
einer sinnvollen finanzpolitischen Ausrichtung der EU
getroffen.
Gebraucht werden dagegen der Umbau der Verkehrssysteme sowie der Energieversorgung, der Ausbau von
sozialem Wohnraum gegen eine zunehmende Verwahrlosung ganzer Stadtteile in fast allen Metropolen Europas, soziale Stadterneuerung und der Ausbau der
Bildungs- und Weiterbildungsinfrastrukturen in den MitDr. Diether Dehm
gliedstaaten. Nur das sichert Zukunft, und das alles
schafft neue Arbeitsplätze.
Ein besonderer Schwerpunkt sollte der Kampf gegen
die Armut sein. Laut Bureau of European Policy Advisers sind in der EU über 100 Millionen Menschen - das
ist fast jeder siebte - von Armut betroffen oder bedroht.
25 Prozent aller Kinder in der EU sind arm. Deshalb fordert die Linke konkrete europaweite Programme gegen
diesen Skandal.
({0})
Ein Interview von Finanzstaatssekretär Thomas
Mirow am 31. März zeigt deutlich, dass die Bundesregierung in der Frage des Eigenmittelbeschlusses nicht
seriös argumentiert; denn er sagt dort, das Festhalten an
der geltenden 1-Prozent-Regelung führe bis 2020 zu einem Anstieg des Haushaltsvolumens um 40 Prozent.
Rein technisch stimmt das. Gleichzeitig verschweigt er,
dass das nur funktionieren kann, wenn das Bruttonationalprodukt der EU bis 2020 auch um 40 Prozent steigen
würde.
Der tatsächliche Haushalt der EU liegt weit unterhalb
einer strukturpolitisch vernünftigen Größe. In der interinstitutionellen Übereinkunft vom Mai 1999 wurde für
den Zeitraum bis 2006 für die EU-Ausgaben eine Obergrenze von 1,27 Prozent des EU-BIP festgelegt. Schon
dies war bei weitem zu niedrig. Mit der jetzigen Festlegung der Eigenmittelobergrenze auf 1,24 Prozent des gesamten Bruttonationalprodukts wurden die Eigenmittel
für die EU noch einmal eingeschränkt. Wenn sich gleichzeitig die Bundeskanzlerin dafür feiern lässt, dass sie die
tatsächliche Eigenmittelfestschreibung des EU-Haushalts auf 1 Prozent des Bruttonationalprodukts durchgesetzt hat, wird diese Fehlhaltung deutlich.
({1})
Wir sind der Überzeugung, dass eine Erhöhung der
Eigenmittel der EU eine Demokratisierung der Strukturen und Verfahren der europäischen Institutionen bedingt. Jegliche Ausgaben auf EU-Ebene für die Verteidigungsagentur, für die schrittweise Verbesserung der
militärischen Kapazitäten, wie es in dem unsäglichen
Lissabon-Vertrag heißt, lehnen wir und die Mehrheit der
Deutschen ab. Deswegen fürchten Sie ja auch eine
Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag.
({2})
Für uns ist die Aufrechterhaltung des 1985 eingeführten Haushaltskorrekturmechanismus nicht akzeptabel,
der dem Vereinigten Königreich einen Rabatt auf seine
Beitragszahlungen einräumt und Großbritannien 66 Prozent seines Nettosaldos erstattet. Zwar wird durch die
neue Regelung der Ausgleichsaldo progressiv gemindert, aber das grundsätzliche Problem von Sonderregelungen für einzelne Mitgliedstaaten nicht gelöst. Die
Linke tritt dafür ein, dass alle Ausnahmeregelungen
schnellstmöglich abgeschafft werden. Die EU muss zu
einer verlässlichen, transparenten Finanzierung kommen
und nicht den Eindruck eines Basars erwecken.
Die Finanzierung der EU mit der Festschreibung eines gleichen Anteils am Bruttonationalprodukt wäre
nichts anderes als gerecht. Gleichzeitig haben wir uns
immer gegen die Vereinfachung gewehrt, lediglich über
Nettozahler und Nettoempfänger zu sprechen. Das hat
zwei Gründe: Zum einen setzt eine solidarische Entwicklung unterschiedlicher regionaler Räume voraus,
dass die stärkeren Bereiche einen Beitrag dazu leisten,
dass sich die schwächeren Regionen entwickeln können.
Aufgrund der Exportstärke Deutschlands fließt massig
Geld aus der EU nach Deutschland zurück - nicht in die
Portemonnaies der Mehrheit der Menschen, aber in die
Konzernkassen. Deswegen ist immer die Frage, Kollege
Link, welche Steuerzahler Sie entlasten wollen. Somit ist
eine Nettozahlerrolle automatisch vorgegeben.
Zum anderen entsteht die Nettozahlerposition
Deutschlands durch die problematische EU-Ausgabenstruktur. Solange weiterhin etwa 40 Prozent der Gemeinschaftsausgaben für die Landwirtschaftspolitik verwendet werden, ist doch klar, dass ein hoch industrialisiertes
Land wie das unsrige mit einem Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von 1,1 Prozent weniger
von diesem Ausgabenbereich profitieren kann.
Wir halten mehr Entwicklung und Innovation der
ländlichen Räume für zukunftsweisend.
Den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen wir aus all diesen genannten Gründen ab.
({3})
Jetzt hat Rainder Steenblock das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich stimme dem Kollegen Dehm an einer Stelle ausdrücklich zu: Die Debatte über einen Anteil von 1 Prozent zur Finanzierung ist eigentlich falsch; denn der
Kern einer Debatte über die EU-Finanzen muss immer
die Frage beinhalten: Welche Aufgaben wollen diejenigen, die in Europa zu entscheiden haben - also EP, Ministerrat und die nationalen Parlamente -, Europa übertragen?
({0})
Das ist die entscheidende Frage. Danach richtet sich die
Finanzierung. Europa so zu stricken, dass alle 1 Prozent
ihres Haushaltsvolumens geben, ist der falsche Ansatz.
Wir müssen vielmehr die übertragenen Aufgaben zum
Ausgangspunkt für unsere Überlegungen machen.
({1})
Ich bin mit all denen völlig einverstanden, die sagen,
dass man darauf achten muss, dass die Finanzierung gerecht ist und der Wahrnehmung der festgelegten Aufgaben dient. Niemand darf dabei über den Tisch gezogen
werden. Natürlich geht es bei Verhandlungen über Haushalte zu wie auf einem Basar. Das ist auch im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nicht grundsätzlich anders. Aber es muss auf der Grundlage von
rationalen Kriterien entschieden werden.
Für mich ist der entscheidende Punkt, dass man die
rationalen Kriterien in dieser Debatte herausarbeitet.
Lieber Herr Kollege Lamp, es geht nicht an, dass man
jubelt, wenn es die Bundesregierung beispielsweise geschafft hat, 1 Milliarde Euro aus dem EU-Haushalt wieder in unseren Haushalt zu transferieren. Das ist nicht
das richtige Erfolgskriterium. Was wir brauchen, ist eine
gerechte Finanzierung. Dazu gehört aber Solidarität.
Diether, du weißt auch, wer gesagt hat: „Solidarität ist
die Zärtlichkeit der Völker.“ Das gilt natürlich auch in
Bezug auf die Finanzierung der EU. Wie auf nationaler
Ebene gilt auch hier das Grundprinzip: Starke Schultern
müssen mehr tragen.
({2})
Es ist falsch, es als Sauerei zu beklagen, wenn wir
x Milliarden Euro geben, aber nur y Milliarden Euro herausbekommen. Wir stehen in der Pflicht, mehr Lasten
zu übernehmen. Es wäre doch absurd, wenn jemand, der
1 Million Euro Steuern in Deutschland zahlt, fragt, was er
vom Staat eigentlich zurückbekomme; wenn jemand sagt,
es sei eine Ungerechtigkeit, dass er nur 10 Euro - oder
was auch immer - aus den Transferkassen der Sozialsysteme zurückbekomme. Ich kann doch nicht am Ende des
Jahres schauen, wie viel ich von dem, was ich in die Gesundheitskasse einbezahlt habe, wieder herausbekommen habe. Das ist eine absurde Diskussion. Dieser Populismus erschwert unser Bemühen, dafür zu sorgen, dass
die Menschen Europa als Heimat empfinden. Herr
Lamp, ich stimme Ihnen ja zu: Wir brauchen die Identifizierung der Menschen mit Europa. Wenn wir aber argumentieren, Europa kann nicht mit Geld umgehen, deshalb müssen wir das machen, dann machen wir genau
das kaputt. Das ist ein Fehler, den wir nicht machen dürfen.
({3})
Wir Grüne wollen diese Finanzdebatte nutzen, um der
Europäischen Union ein ökologisches und ein solidarisches Profil zu geben. Das sind die beiden Herausforderungen. Wir haben heute alle geklatscht, als der ehemalige Justizminister hier die Friedensdividende der EU
beschworen hat, was richtig ist. Es gibt aber auch eine
ökologische, eine soziale und eine ökonomische Dividende der europäischen Integration. Wir glauben, dass
wir dies in der Finanzdebatte deutlich machen müssen.
Das heißt für die Einnahmeseite - darin sind wir uns
alle einig -: Ein Anteil des Bruttonationaleinkommens
muss eine stabile Säule der Finanzierung sein, weil das
ökonomisch gerecht ist. Wir wollen aber eine stärkere
Steuerung in Richtung ökologischer und sozialer Gerechtigkeit erwirken. Das heißt zum Beispiel: Wir haben
in der Europäischen Union eine Bemessungsgrundlage
für die Energiesteuer, was die Mineralölsteuer betrifft,
vereinbart und Mindeststeuersätze. Wenn wir einen Teil
davon für den EU-Haushalt abzweigen würden - also
keine neue Steuer erheben würden -, könnten wir dadurch die ökologische Orientierung und Lenkung deutlich machen.
({4})
Das Zweite ist: Wir brauchen eine soziale Komponente. Auch das kann man deutlich machen. Es gibt unterschiedliche Momente. In der Partei der Grünen sind
wir uns zum Beispiel darüber einig, dass wir eine harmonisierte Unternehmensbesteuerung in Europa brauchen.
Daran arbeiten wir. Das brauchen wir. Über dieses Ziel
sind wir uns, glaube ich, einig. Ein Teil des Unternehmensteueraufkommens könnte an die EU fließen, nach
dem Motto: Die Kraftzentren Europas finanzieren die
EU mit. Ein anderes Beispiel: Die Börsenumsatzsteuer
ist aus meiner Sicht eine sehr vernünftige Sache.
({5})
Mit diesem Instrument könnten wir auf der Einnahmeseite soziale Gerechtigkeit in der Europäischen Union
herstellen.
Es ist klar, dass wir auch eine Debatte über die Ausgaben brauchen. Der Agrarhaushalt und die Strukturfonds sind angesprochen worden. Das System der Verteilung von Finanzmitteln zwischen den reichen Staaten
über Strukturfonds halte ich für Quatsch. Mithilfe der
Strukturfonds müssen Staaten, die keine ausreichende
Infrastruktur haben - es geht auch um die soziale Infrastruktur -, konsequent an den EU-Durchschnitt herangeführt werden. Es ist aber absurd, zwischen den reichen
Staaten Infrastrukturkosten hin- und herzuschieben. Deshalb brauchen wir an diesen Stellen Reformen; überhaupt keine Frage.
Wenn es uns aber nicht gelingt, das Profil der Europäischen Union auch im Finanzbereich in Richtung Zukunftsausgaben zu verschieben - Stichworte: Klima,
Ökologie und Solidarität im sozialen Bereich -, dann
werden wir es nicht erreichen können, dass die Menschen Europa als Heimat empfinden. Dann werden wir
auch die Solidarität in Europa verspielen. Ich glaube, wir
brauchen auch in der Finanzdebatte diese Kriterien.
Eine letzte Bemerkung: Ich plädiere sehr dafür, dass
wir als Parlamentarier des Deutschen Bundestages unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen darauf bestehen,
dass das Parlament, die Volksvertretung der deutschen
Bürgerinnen und Bürger, die Richtung der Finanzierung
der EU beschließt. Wir sollten das nicht der Regierung
überlassen. Es ist parlamentarisches Recht des Deutschen Bundestages, über diese Finanzen mitzubestimmen.
Vielen Dank.
({6})
Der Kollege Klaus Hagemann hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Heute Vormittag wurde in der Gedenkstunde
deutlich gesagt, dass die europäische Einigung alternativlos ist und wir uns auf einem guten Weg befinden.
Dazu gehören Herz, Idealismus und Begeisterung. Kühler Verstand, Finanz- und Haushaltspolitik gehören aber
auch dazu.
Wichtige Gedanken sind hier schon vorgetragen worden. Ich möchte ebenso wie der Kollege Lamp davor
warnen, dass das, was im Jahr 2005 erreicht worden ist
und was wir heute ratifizieren, kleingeredet und nicht
genügend gewürdigt wird. Wir haben erreicht, dass
Deutschland 1 Milliarde Euro weniger zahlen wird. Die
Summe entspricht unserem Umwelthaushalt oder 10 bis
11 Prozent des Bildungs- und Forschungshaushalts. Deswegen möchte ich davor warnen, die Erfolge kleinzureden. Wir sollten würdigen, was erreicht worden ist.
({0})
Mit dem, was in der Agrarpolitik eingeleitet worden
ist, sind wir meiner Ansicht nach auf dem richtigen Weg.
Den Britenrabatt brauche ich nicht noch einmal zu beleuchten; die Diskussion muss weiter geführt werden.
Der eingeschlagene Weg ist jedenfalls richtig.
Viele Ungerechtigkeiten sind abgeschafft worden;
darauf wurde schon hingewiesen. Die EU ist eine Solidargemeinschaft. Betrachten wir einmal Irland: Irland
hat sich mit Mitteln aus dieser Solidargemeinschaft weit
nach vorne gearbeitet und ist heute aber immer noch
Nettoempfänger. Hier müssen und können Ungerechtigkeiten abgeschafft werden. Es ist auch richtig, dass das
Bruttonationaleinkommen weiterhin Finanzierungsgrundlage ist. Auch das ist nach unserer Ansicht - ich
spreche hier als Haushälter - der richtige Weg.
Herr Dehm, ich darf Sie noch einmal kurz ansprechen. In den letzten Jahren ist gerade auf europäischen
Ebenen durch den Lissabon- und durch den BolognaProzess Erhebliches in die richtigen Bahnen geleitet
worden. Deswegen sollte man das nicht kleinreden, auch
Sie von den Linken nicht.
({1})
Auch das, was wir im Forschungs- und Bildungsbereich durch das 7. Forschungsrahmenprogramm erreicht
haben, sollten wir nicht kleinreden. All das wird mit diesen Mitteln finanziert. Mit den starken Schultern, die wir
als 80-Millionen-Volk nun einmal haben, tragen wir erheblich dazu bei. Es ist auch richtig, dass wir Solidarität
üben.
Die Europäische Union investiert in Frieden und Stabilität. Ich nenne die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und den Europäischen Entwicklungsfonds.
Wir sollten daran erinnern, dass die Mittel für diejenigen, die unserer Solidarität bedürfen, zur Verfügung stehen.
({2})
Erwähnt werden muss noch die Innen- und Sicherheitspolitik. Auch hier sind erhebliche Schritte nach vorne
getan worden.
Aber wir wissen auch, dass die Medaille nicht nur die
eine Seite hat, von der ich gesprochen habe, sondern
auch eine andere. Die fehlende Transparenz im Haushalt
ist zu nennen. Es gibt immer noch Schattenhaushalte.
Als Haushälter, die wir uns in einem Unterausschuss regelmäßig damit beschäftigen, Kollegen Barthle und
Schulte-Drüggelte, müssen wir sagen, dass hier mehr
Transparenz gefordert ist. Wir beschäftigen uns in diesem Unterausschuss immer wieder mit Haushaltsausgabenresten, die entstehen und von denen keiner weiß, wie
sie weiter verwandt werden. Auch in diese Angelegenheit muss Licht.
({3})
Ein weiteres Thema: fehlende Sparsamkeit und Haushaltsdisziplin. Das muss ein Haushälter hier erwähnen.
Wir finanzieren mit unseren Mitteln Doppelstrukturen,
die zusätzliche Bürokratie erzeugen. Auch hier müssen
Veränderungen geschaffen werden. Wir haben gerade
durch den Lissabon-Vertrag die Möglichkeit, Herr
Dehm, als nationales Parlament mitzureden und diese
Strukturen aufzubrechen. Deswegen wäre es sinnvoll,
wenn auch Sie diesem Vertrag zustimmen würden.
({4})
Lassen Sie mich diese Doppelstrukturen, die finanziert werden müssen und Mitarbeiter benötigen, beispielhaft an den Agenturen, die jetzt ständig eingerichtet
werden, deutlich machen. Wir haben im EU-Unterausschuss einen von den Grünen gestellten Antrag einstimmig beschlossen. Wir als Koalition haben ihn mitgetragen, weil er vernünftig und richtig ist. Die Zahl der
Agenturen ist in den letzten sieben Jahren von zwölf auf
35 gestiegen; das ist fast eine Verdreifachung. Die Zahl
der Planstellen für Beamte und Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter ist von 1 734 auf 4 436 gestiegen. Das müssen wir geißeln; das ist so nicht in Ordnung.
({5})
22 Gemeinschaftsagenturen bestehen. - Jetzt muss ich
auf mein Manuskript schauen, damit ich die richtigen
Zahlen nenne.
Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Dr. Dehm zulassen?
Gerne.
Bitte.
({0})
Können Sie sich auch vorstellen, dass wir die Rüstungsagentur streichen?
Die Notwendigkeit dazu sehe ich nicht.
({0})
Ich rede jetzt über Agenturen, sehr geehrter Herr Dehm,
bei denen es Doppelstrukturen gibt.
({1})
Ich möchte meine Antwort auf Ihre Frage noch ergänzen. Wir haben 22 Gemeinschaftsagenturen, drei Agenturen für Außen- und Sicherheitspolitik, drei Agenturen
für polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und vier Exekutivagenturen. Da müssen wir ansetzen. Dass Sie jetzt aber die Gemeinsame Sicherheitsund Außenpolitik schlecht reden, die Europa auch stark
macht, Herr Dehm, das akzeptiere ich nicht.
({2})
Wir können hier jetzt keinen Dialog führen. Wir können
uns meinetwegen hinterher noch auf ein Glas Bier zusammensetzen und das noch einmal im Detail diskutieren. Das kann aber nicht hier im Parlament geschehen,
denn die Thematik ist viel zu wichtig.
({3})
Diese Verabredung können Sie vielleicht auch nachher konkretisieren, denn sonst kommen womöglich alle
mit.
({0})
Ich möchte noch einmal die Problematik in Bezug auf
die Agenturen darlegen. Sie können sich setzen, Herr
Dehm.
({0})
In manchen Fällen werden die Aufgaben doppelt erledigt; da weiß die eine Agentur nicht, was die andere
macht. Es ist zu fragen, wer die Agenturen überhaupt
kontrolliert. In manchen Fällen arbeiten Mitarbeiter der
Kommission an demselben Thema wie eine, zwei oder
drei Agenturen. Es gibt also genügend Stellen, an denen
gehandelt werden muss und an denen Geld eingespart
werden kann.
({1})
- Das gilt nicht nur für die Rüstung, sondern auch für die
Verwaltung und Bürokratie. Wir müssen in Bezug auf
Wachstum, Arbeitsplätze, Bildung und Forschung die
Zukunft im Blick haben. Das sind die Arbeitsbereiche,
bei denen die EU auf dem richtigen Weg ist. Aber der
Weg kann in diesem Fall nicht das Ziel sein. Bei diesen
Prioritäten muss weiterhin gehandelt werden.
Europa zu gestalten heißt, nicht nur mit heißem Herzen dabei zu sein, sondern auch mit kühlem Verstand. Es
gehört auch dazu, die Themen hart zu verhandeln, nämlich so, wie es bei diesem Vertrag geschehen ist. Deshalb
werden wir als SPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf
selbstverständlich zustimmen.
Vielen Dank.
({2})
Jetzt hat der Kollege Norbert Barthle für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir sind jetzt am
Schluss der Debatte zum Beschluss des Rates vom
7. Juni 2007, in dem es um die Neuausrichtung des Systems der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft
geht, angekommen. Nachdem wir dieses Thema auch im
Unterausschuss zu Fragen der Europäischen Union des
Haushaltsausschusses ausführlich beraten haben - die
Kollegen Hagemann, Schulte-Drüggelte und Link waren
mit dabei -, haben wir jetzt den Punkt erreicht, an dem
wir dieser Neuausrichtung des Systems der Eigenmittel
guten Gewissens zustimmen können. Nebenbei bemerkt
ist der Begriff „Eigenmittel“ etwas euphemistisch, denn
es sind ja eigentlich Mittel der Nationen.
Das ist ein guter Tag für Europa und ein guter Tag für
uns. Warum? - Deutschland ist nach wie vor der größte
Zahler in der Europäischen Gemeinschaft. Im Jahr 2007
waren es 23 Milliarden Euro. Wenn man die Rückflüsse
abzieht, bleiben netto immer noch rund 7 Milliarden
Euro übrig. Deshalb haben insbesondere wir Haushälter
ein naheliegendes Interesse daran, dass in diesem Finanzierungssystem mehr Gerechtigkeit herrscht.
Es wurde bereits erwähnt, dass es eines der ersten
Meisterstücke von Bundeskanzlerin Angela Merkel war,
diesen Vertrag so auszuhandeln. Der Widerstand war
groß; der Britenrabatt und die französischen Agrarsubventionen wurden erwähnt. Ich will aber noch einmal
betonen, dass das eine hervorragende Leistung von
Angela Merkel war. Denn unter dem Strich kommt dabei
heraus, dass wir von jetzt an bis 2013 Jahr für Jahr eine
Milliarde Euro weniger bezahlen werden. Bis zum Jahr
2013 ergibt das 6 Milliarden Euro, die wir weniger zu
zahlen haben. Diese 6 Milliarden Euro verbleiben im
Bundeshaushalt, reduzieren unsere Schulden und eröffNorbert Barthle
nen neue Spielräume. Das ist die gute Botschaft dieses
Tages. In letzter Zeit war in den Medien immer wieder
die Rede davon, dass zu viele Ausgaben beschlossen
würden. Jetzt können wir auch einmal die Botschaft verbreiten, dass wir weniger Geld ausgeben und deshalb
neue Spielräume zur Verfügung haben.
({0})
Gleichzeitig, so denke ich, sollten wir diesen Tag nutzen, um in die Grundsatzdebatte einzusteigen, wie die
Finanzierung ab 2013 ausgestaltet werden soll. Hier benennt die CDU/CSU-Fraktion vier Schwerpunkte:
Erstens. Wir sind der Auffassung, dass die Ausgabenobergrenze in Höhe von 1 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens konsequent beibehalten werden
soll. Diese Grenze sollte nicht überschritten werden. Warum? Alle Mitgliedstaaten sind derzeit dabei, ihre Haushalte zu konsolidieren, zu sparen und ihre Ausgaben, wo
es möglich ist, einzuschränken, weil die finanziellen
Ressourcen überall knapper werden. Das darf durch einen Ausgabenzuwachs auf europäischer Ebene nicht
konterkariert werden. Daher muss die Ausgabenobergrenze nach wie vor Bestand haben.
Zweiter Schwerpunkt. Kernpunkte der Neuausrichtung müssen sein: Subsidiarität, Effizienz und Sparsamkeit. Im Hinblick auf die Subsidiarität sollten wir vor allem konsequent darauf achten, dass sich sowohl der
Europäische Rat als auch das Europäische Parlament auf
die Kompetenzen beschränken, die ihnen tatsächlich zugeschrieben sind, statt immer wieder neue Kompetenzen
und neue Aufgaben an sich zu ziehen. Denn dadurch
kommt es, wie Kollege Hagemann bereits ausgeführt
hat, zu Doppelstrukturen. Im Haushaltsausschuss erleben wir immer wieder, dass an verschiedenen Stellen
noch erhebliche Sparpotenziale vorhanden sind. Hier
muss konsequent weitergearbeitet werden.
Der dritte Schwerpunkt, den ich anführen möchte,
lautet: mehr Transparenz und mehr Beitragsgerechtigkeit. Die Menschen fragen uns: Warum sind wir Deutschen eigentlich die Zahlmeister in Europa? All diejenigen, die Europa gegenüber ein bisschen skeptisch
eingestellt sind, äußern diesen Vorwurf immer wieder.
Deshalb ist es notwendig, dass wir in diesem Bereich für
mehr Gerechtigkeit sorgen.
Führt man unsere relative Finanzkraft bzw. unsere
Wirtschaftskraft ins Feld, stellt man fest, dass Deutschland im Mittelfeld der 27 Mitgliedsländer der EU liegt.
Betrachtet man aber unsere Nettozahlerposition, wird
deutlich, dass wir an der Spitze aller Mitgliedstaaten liegen. An dieser Stelle muss mehr Gerechtigkeit hergestellt werden, auch um bei den Menschen noch mehr Akzeptanz für Europa zu schaffen.
({1})
Unsere Forderungen lauten: Alle Sonderregelungen
und Rabatte müssen weg, und wir sollten uns konsequent am Bruttonationaleinkommen orientieren. Wenn
wir es schaffen würden, die Finanzierung auf dieser
Säule aufzubauen, dann würde sich ganz von allein mehr
Gerechtigkeit ergeben. Dann wäre Europa auch ein
Stück weit unabhängiger von den jeweiligen nationalen
Mehrheiten, Herr Kollege von den Grünen. Ihr Vorschlag hingegen würde an dieser Stelle eine Gefahr darstellen. Dieses Risiko wollen wir nicht eingehen.
Viertens. Wir treffen die klare Aussage: Wir wollen
keine eigene EU-Steuer. Denn eine eigene EU-Steuer
würde dazu führen, dass die Haushaltsdisziplin auf europäischer Ebene nachlässt. Bislang kann Europa keine
Schulden machen. Das hat sich bewährt. Wir sollten an
diesem Prinzip nicht ohne Not rütteln.
Wenn es eine eigene EU-Steuer gäbe, würde sich ein
Problem ergeben: Da Steuern schwer abwägbar sind,
käme es zu Schwankungen. Um diese Schwankungen
auszugleichen, müsste man Schulden aufnehmen. Das
wäre der Weg in einen Verschuldungsprozess in Europa.
Das wollen wir nicht. Deshalb lehnen wir dieses System
ab. Wir sind dafür, das bisherige Stabilität garantierende
System zu verändern, indem wir es noch mehr als bisher
auf das Bruttonationaleinkommen ausrichten.
({2})
Lassen Sie uns diesen Diskussionsprozess jetzt entschieden anstoßen und diesen Vorschlag als die Position
Deutschlands in die Diskussion auf europäischer Ebene
einbringen. Wir hoffen, dass die Finanzierungsvoraussetzungen ab dem Jahr 2013 noch besser sein werden,
als sie es heute sind. Das wäre nicht nur im Sinne
Deutschlands, sondern vor allem auch im Sinne von uns
Haushältern.
Ich danke.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu
dem Beschluss des Rates vom 7. Juni 2007 über das System der Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften.
Der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/8533, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/7686 anzunehmen. Ich
bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist angenommen mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und bei
Enthaltung der FDP-Fraktion.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({0}) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Höll,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Dr. Lothar Bisky, Dr. Gregor Gysi, Oskar
Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE
Einkommensteuertarif gerecht gestalten Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen umsetzen
- Drucksachen 16/5277, 16/6799 Berichterstattung:
Abgeordnete Olav Gutting
Dr. Axel Troost
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattieren. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Gabriele Frechen für die SPD-Fraktion das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag erheben die
Linken vier Forderungen, wie Menschen mit wenig Einkommen entlastet werden sollen: Erstens soll der Grundfreibetrag um 28 Euro monatlich erhöht werden. Damit
die Dimension klar wird: Es geht um die Erhöhung des
Freibetrags um 28 Euro, es geht nicht um 28 Euro weniger Steuern.
Der Familienvater mit zwei Kindern und einem Bruttoeinkommen von 20 000 Euro, den Sie auf Seite 1 Ihres
Antrags als Beispiel anführen, hätte davon eine Entlastung von 0 Euro, in Worten: nichts. Das Gleiche gilt für
den Familienvater oder das Rentnerehepaar mit einem
Einkommen von 35 000 Euro; auch sie würden keine
Entlastung erfahren. Liebe Kolleginnen und Kollegen
von den Linken, Sie schreiben in schönen Überschriften,
dass Sie Menschen, die wenig Einkommen haben, entlasten wollen - wir handeln.
({0})
Mit dem Kinderzuschlag
({1})
in Höhe von 140 Euro monatlich helfen wir Eltern, die
zwar ihren Lebensunterhalt, nicht aber den ihrer Kinder
bestreiten können. Ab 2009 werden 250 000 Kinder Anspruch auf den Kinderzuschlag haben. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, hilft den Familien direkt.
({2})
Darüber hinaus erhöhen wir das Wohngeld, im Schnitt
um 50 Euro pro Monat; auch diese Verbesserung kommt
direkt bei den Menschen an, besonders bei kinderreichen
Familien. Über 800 000 Haushalte werden von dieser
Maßnahme profitieren, davon 300 000 Rentnerhaushalte.
Zweitens fordern Sie einen Eingangssteuersatz von
15 Prozent - den haben wir bereits; ich erwähne das nur
der Vollständigkeit halber.
Drittens fordern Sie, dass der Spitzensteuersatz bei einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro einsetzen soll und auf 50 Prozent angehoben werden soll.
Hinzu kommen Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer und nach einer deutlichen Anhebung der Erbschaftsteuer.
({3})
Hierzu erlaube ich mir nur einen kurzen Hinweis auf den
Halbteilungsgrundsatz, den das Bundesverfassungsgericht 1995 bekräftigt hat, auch wenn er in der Zwischenzeit relativiert wurde.
Der amerikanische Schriftsteller Austin O’Malley hat
einmal gesagt:
Beim Steuereintreiben wie beim Schafscheren soll
man aufhören, wenn die Haut kommt.
({4})
Ich meine, da ist was dran, auch wenn ich zugeben muss,
dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent, der seinerzeit
bei den Verhandlungen herauskam, nicht mein Wunschergebnis war. Zum Teil haben wir das korrigiert durch
die 3-prozentige - ({5})
- durch den 3-prozentigen Zuschlag auf die Einkommensteuer bei höheren Einkommen, auch Reichensteuer
genannt.
({6})
- Dieser Begriff ist in der Tat falsch.
({7})
Durch diesen Zuschlag, so rechnen wir, kommt es zu
Mehreinnahmen in Höhe von 1 Milliarde Euro. Wer das
für Symbolik hält, für den sind die 12 Milliarden Euro,
die es kosten würde, wenn umgesetzt würde, was in diesem Antrag gefordert wird, ebenfalls Peanuts.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir leben Gott sei
Dank nicht in einer Republik, um die Mauern und Stacheldraht gezogen sind, Sie von den Linken auch nicht
mehr, auch wenn man das Gefühl hat, dass sich einige
von Ihnen - ich erinnere nur an Ihre Kollegin im Niedersächsischen Landtag - das zurückwünschen.
Die Umsetzung Ihrer Forderungen würde in der realen Welt nicht ohne Auswirkungen bleiben. Oder gehen
Sie wirklich von der naiven Vorstellung aus, dass Ausweichreaktionen vermieden werden könnten? Ich halte
es da mit unserem Finanzminister Peer Steinbrück: Lieber 45 Prozent von X als 50 Prozent von nix.
({8})
Ich stehe dazu, dass starke Schultern mehr zu tragen
haben, viel wichtiger als die Steuersatzerhöhung ist aber,
dass die 42 oder 45 Prozent auch wirklich bezahlt werden.
({9})
Durch die Streichung von Ausnahmen, die Eindämmung
von Steuerumgehungen und die Abschaffung von Steuerspar- und -stundungsmodellen sind wir hier auf einem
guten Weg.
Das Finanzamt Bad Homburg, das immer wieder
gerne als Beispiel genommen wird und überdurchschnittlich viele gut verdienende Menschen betreut,
musste 1997, als der Steuersatz noch bei 53 Prozent lag,
3,1 Millionen Euro mehr auszahlen, als es an Einkommensteuer eingenommen hatte. In der FAS vom
11. September 2005 war dazu zu lesen:
Die Steuereinnahmen im Finanzamt Bad Homburg
sind in den letzten Jahren von minus zwei Millionen Euro
- sie hat als Beispiel die Zahlen des Jahres 1998 genommen auf aktuell plus 105 Millionen Euro gestiegen.
Ich möchte nur einmal erwähnen: Das ist bei einem Finanzamt ein Spread von 107 Millionen Euro.
Zwischenzeitlich betrugen die Einnahmen schon
182 Millionen Euro. Der Anstieg ist sowohl auf das
Auslaufen spezieller steuerlicher Förderungen der
Kohl-Regierung … als auch auf das Schließen von
Steuerschlupflöchern durch die Regierung von Rot/
Grün … zurückzuführen.
({10})
Das ist der richtige Weg. Auf dem bewegen wir uns gemeinsam mit unseren Kollegen in der Großen Koalition.
({11})
Die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und die
Verbesserung des Vollzugs in den Ländern gehören natürlich dazu. Ich nenne nur das Reizwort Bundessteuerverwaltung. Einen Wettbewerb unter den Bundesländern, wer bei hohen Einkommen oder bei Unternehmen
weniger genau hinschaut, wird es mit uns nicht geben.
Wenn ich mich an die Debatten erinnere, bei denen es
um die Umgehung und um einen besseren Steuervollzug
ging, dann weiß ich, dass wir uns relativ einig und auf
einem guten Weg waren - selbst mit den Kolleginnen
und Kollegen der Linken.
Für mich ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass jeder nach seiner persönlichen Leistungsfähigkeit besteuert wird. Die Menschen haben ein Recht darauf, dass es
so ist, und sie vertrauen darauf, dass wir das umsetzen.
Das ist keine Frage des Steuersatzes, sondern eine Frage
der Steuerehrlichkeit. Zum Fair Play gehören aber immer zwei. Ansonsten hat der Faire schon verloren.
Viertens fordern Sie die Einführung eines neuen Tarifs. Die Grenzsteuerbelastung läge dann bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von 39 600 Euro höher als nach geltendem Recht. Ihr Modell würde also
nicht wirklich die Reichen treffen, sondern die gut verdienenden Facharbeiter, den Mittelstand und die Mittelschicht. Wollen Sie diese Menschen wirklich treffen?
({12})
- Sie alle machen drei Kreuze, dass die FDP nichts zu
sagen hat, Herr Kollege Dr. Wissing.
({13})
Dabei soll es auch noch einige Jahre bleiben.
({14})
- Ja.
Ein Wort zum Stil des Antrags muss ich doch noch
verlieren. Sie schreiben wörtlich:
Dies führt in der Konsequenz dazu, dass auf
12 700 Euro bereits 23,5 Prozent Steuern bezahlt
werden müssen.
({15})
- Das steht wörtlich im Antrag. Ich habe extra noch einmal nachgeguckt. Lesen Sie unten auf der ersten Seite
den letzten Satz. - Warum schreiben Sie so etwas? Diese
Frage drängt sich doch geradezu auf. Sie müssen doch
genauso gut wie ich wissen, dass das grober Unfug ist.
({16})
Der Steuersatz liegt bei 7,7 Prozent.
({17})
- Das haben Sie aber nicht geschrieben. Entweder jonglieren Sie mit Begriffen oder Sie kennen die Unterschiede nicht. Beides steht einer Finanzpolitikerin nicht
wirklich gut an, Frau Dr. Höll.
({18})
Sie wollten die Horrorzahlen irgendwo in Ihren Antrag einfließen lassen, um den Menschen Angst einzujagen und um den Antrag ein bisschen aufzumotzen und
aufzupeppen, weil er sonst nichts hergibt. Beides hat mit
verantwortungsvoller Politik nichts zu tun.
({19})
Wir werden Ihren Antrag ablehnen. Er geht nämlich
ziemlich weit am Ziel vorbei.
({20})
Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Im Jahr 2000 hat die rot-grüne Bundesregierung eine
mehr als missglückte Einkommensteuerreform auf den
Weg gebracht. Es hat acht Jahre gedauert, bis die Linken
gemerkt haben, dass dieses Steuersystem ungerecht ist.
Herzlichen Glückwunsch!
Man sagt immer „Gut Ding will Weile haben“, aber
nach so langer Zeit hätten Sie uns schon etwas Besseres
vorlegen müssen. Den vorliegenden Antrag kann man
nicht als „gut Ding“ bezeichnen.
Sie wollen das Steuersystem verbessern und fordern
einen Eingangssteuersatz von 15 Prozent. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, den gibt es schon.
({0})
Sie fordern einen linear progressiven Tarifverlauf. Auch
den gibt es bereits jetzt. Außerdem fordern Sie ein steuerfreies Existenzminimum in Höhe von 8 000 Euro, dabei liegt es bereits bei 7 664 Euro.
Ich frage mich, warum Sie acht Jahre gebraucht haben, um uns diesen Antrag vorzulegen.
({1})
- Klatschen Sie ruhig, Frau Frechen. Das ist in Ordnung.
Dort, wo Sie regieren - zum Beispiel in Berlin -,
bringen Sie keine gescheiten Reformen zustande. Sie
könnten aber zumindest in der Opposition im Bundestag
etwas mutiger sein, statt nur vorzuschlagen, den Status
quo eines ungerechten und schlechten Einkommensteuersystems zu erhalten. Das kann ich nicht nachvollziehen.
({2})
Es wäre interessant, den Blick auf das zu richten, worauf Ihr Antrag nicht eingeht, nämlich auf die wirklichen
Ungerechtigkeiten im System. Nehmen Sie zum Beispiel
die kalte Progression. Darauf gehen Sie nicht ein.
({3})
- Sie legen einen Antrag vor, mit dem Sie das Einkommensteuersystem gerechter gestalten wollen, und lassen
die kalte Progression völlig außen vor. Man kann mit unterschiedlichen Anträgen Flickwerk fabrizieren, aber so
bringen Sie keine Steuerreform auf den Weg.
Der Finanzminister macht es sich leicht, wenn er sagt,
dass bei den Tarifverhandlungen alle einen kräftigen
Schluck aus der Pulle nehmen sollen.
({4})
Für ihn wäre das von großem Vorteil, weil die kalte Progression dazu führt, dass jede Lohnerhöhung zu einer
kräftigen Steuererhöhung führt. Man hat es leicht, wenn
man von der Regierungsbank aus fordert, dass die Unternehmen mehr zahlen sollen. Dann kann der Finanzminister kräftig abkassieren. Dank der linear progressiven
Besteuerung führt jeder Euro mehr Lohn zu einer stärkeren Steuerbelastung. Die kräftigen Schlucke aus der
Pulle versickern in den Kassen des Bundesfinanzministers.
Wenn Sie von Gerechtigkeit sprechen und ausgerechnet die kalte Progression völlig außen vor lassen, dann
sind Ihre Vorstellungen von einem neuen Steuersystem
nicht viel wert. Es bleibt genauso unflexibel und statisch
wie das bisherige.
Ich finde es in hohem Maße unfair, wenn die Lohnsteigerungen hinter der Inflation zurückbleiben.
Herr Wissing, möchten Sie eine Zwischenfrage der
Kollegin Höll zulassen?
Ja.
Bitte schön.
Herr Wissing, wir wollten weder Sie noch die anderen
Mitglieder des Hohen Hauses überfordern. Könnten Sie
bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir deshalb die kalte
Progression in einem zweiten Antrag behandeln, der
ebenfalls schon seinen parlamentarischen Gang geht, sodass Sie Ihre Aufregung ein kleines bisschen dämpfen
könnten?
Liebe Frau Kollegin Höll, wenn Sie in Ihrem vorliegenden Antrag an der linear progressiven Besteuerung
festhalten und gleichzeitig feststellen, dass Sie ein Problem mit der kalten Progression haben, dann ist das ein
gewisser Widerspruch. Es wäre deshalb sinnvoll, Ihre
widersprüchlichen Anträge gleichzeitig vorzulegen.
Dann könnte man auf diese Widersprüche eingehen. Aus
dem, was Sie uns vorgelegt haben - das gilt sicherlich
auch für das, was Sie uns in Zukunft vorlegen werden -,
wird jedenfalls keine Steuerreform.
Insofern können Sie das Ziel, den Menschen etwas
Gutes zu tun, die von der Großen Koalition über Gebühr
abkassiert worden sind, nicht erreichen. Das schaffen Sie
weder mit diesem noch mit dem anderen Antrag, vor alDr. Volker Wissing
lem dann nicht, wenn er dem vorliegenden Antrag widerspricht.
Was Ihre Realitätsnähe angeht, will ich Ihnen, meine
Damen und Herren von der Linken, einen weiteren Widerspruch in Ihrem Antrag aufzeigen. Die Realität der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wahrzunehmen,
scheint für Sie zunehmend schwierig zu werden. Sie
schreiben in Ihrem Antrag, die Beschäftigten hätten in
den letzten Jahren ein Einkommensplus von 4 Prozent
gehabt. Ich weiß nicht, wie Sie auf diese Zahl kommen.
Aber diejenigen, mit denen ich spreche, haben kein Einkommensplus von 4 Prozent zu verzeichnen. Die Bundesregierung und die Große Koalition reden alles immer
schön. Die Kanzlerin sagt: „Der Aufschwung kommt bei
den Menschen an“, und draußen merkt es niemand. Aber
selbst diese Bundesregierung erklärt, dass die Beschäftigten jährlich ein Einkommensminus von 1 Prozent zu
verkraften haben. Wie Sie auf ein Plus von 4 Prozent
kommen, möchte ich gerne einmal wissen. Ihr Antrag
entbehrt sowohl in den tatsächlichen Feststellungen als
auch in der Begründung jeglicher Realität. Sie nehmen
die Wahrheit und die Wirklichkeit der Beschäftigten in
Deutschland offensichtlich nicht mehr wahr. Deswegen
können Sie auch keine vernünftige Steuerreform vorschlagen. So ist das, liebe Kollegin Höll.
({0})
Die Bundesregierung redet die Dinge schön. Tatsächlich sind die Einkommen gesunken. Frau Frechen, Sie
haben gesagt, das liege daran, dass es dem Mittelstand
zunehmend schlechter gehe, und die Linken planten
noch weitere Anschläge auf den Mittelstand. Die Hauptanschläge auf die Mitte in Deutschland haben Sie von
der Großen Koalition mit Ihrer Steuererhöhungsorgie
verübt.
({1})
Frau Frechen, Erhöhung der Mehrwertsteuer und der
Versicherungsteuer sowie Kürzung der Pendlerpauschale
({2})
und des Sparerfreibetrages, das alles sind Anschläge auf
den deutschen Mittelstand. Die Mitte in Deutschland
schrumpft. 14 Prozent der Mitte sind in sozial schwache
Schichten abgesunken und sind aufgrund Ihrer Politik in
soziale Not geraten. Sie haben mit Ihrer unverantwortlichen Steuererhöhungspolitik den größten Anschlag auf
die Mitte in Deutschland verübt, den es jemals in dieser
Republik gab.
({3})
Liebe Kollegin Höll, ich will Ihnen sagen, wie man
eine vernünftige Steuerreform macht. Für eine vernünftige Steuerreform bedarf es niedriger, einfacher und gerechter Tarife sowie einer Struktur, eines Systems, das
die Menschen verstehen und das es ihnen wieder ermöglicht, am Aufschwung in Deutschland teilzuhaben. Sie,
meine Damen und Herren von der Großen Koalition, haben dafür gesorgt, dass der Aufschwung ausschließlich
in den Kassen des Bundesfinanzministers angekommen
ist. Die Menschen spüren das. Sie können hundertmal
dagegen reden, die Menschen, die zuhören, wissen ganz
genau, wer sie in Deutschland abkassiert hat
({4})
und wer dafür verantwortlich ist, dass der Aufschwung
an ihnen vorbeigegangen ist und ausschließlich in den
Kassen des Staates angekommen ist. Sie haben vor der
Wahl gesagt, dass Sie keine Steuererhöhungen vornehmen werden. Aber nach der Wahl haben Sie die Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte erhöht.
({5})
Die Menschen wissen das. Herr Kollege Binding, Ihre
Glaubwürdigkeit in dieser Frage ist längst zerstört. Sie
werden die Quittung dafür erhalten.
({6})
Ich erteile das Wort Kollegen Olav Gutting, CDU/
CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die CDU/CSU-Fraktion erkennt bei der Einkommensteuer dringenden Handlungsbedarf. Dabei geht
es uns aber in erster Linie um ein einfacheres und schon
deswegen gerechteres System.
({0})
Der Antrag der Fraktion Die Linke ist hierzu leider nicht
geeignet. Bei aller Kritik an der jetzigen Form der Einkommensteuer und am komplizierten deutschen Steuerrecht ist die Einkommensteuer eine Steuer, die neben der
objektiven die subjektive Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen berücksichtigt.
Die Fraktion Die Linke ist bekannt dafür, dass sie versucht, mit populistischen Forderungen auf sich aufmerksam zu machen. Ein gerechtes Einkommensteuersystem
klingt gut. Wer möchte sich einer solchen Forderung
ernsthaft verweigern? Doch wenn man den Antrag der
Linken genau prüft, dann stellt man fest, dass er sich als
eine Forderung nach einer weiteren Umverteilung entpuppt und den Bürgerinnen und Bürgern mit niedrigen
Einkommen nicht einen Cent mehr im Portemonnaie
bringt.
({1})
Ihr Antrag ist wie so oft eine Mogelpackung. Ich darf
mich bei der Kollegin Frechen bedanken. Es ist genauso,
wie Sie es sagen. Die Linken erwecken mit ihrem Antrag
den Eindruck, dass auf ein Einkommen in Höhe von
12 700 Euro jährlich bereits 23,5 Prozent Steuern gezahlt werden müssen. Das, was Sie in Ihrem Antrag auf
der ersten Seite unten als Gesamtsteuerabgabe etikettieren, ist nichts anderes als die Grenzsteuerbelastung.
Liebe Kollegin, Sie sagen, das sei nicht so. Wir haben
schon einmal über diesen Antrag debattiert. Wir haben
Sie schon einmal darauf hingewiesen.
({2})
Wenn es Ihnen darum ginge, das wirklich klarzustellen,
dann frage ich Sie, warum Sie das nicht umformulieren.
Fakt ist: Der Durchschnittssteuersatz bei einem Einkommen von 12 700 Euro beträgt bei einem Single lediglich
7,7 Prozent.
({3})
Aber viel wichtiger ist doch, wirklich etwas für die
Bürger mit niedrigem Einkommen zu tun. Wir in der
Großen Koalition haben es vorgemacht. Wir haben die
Lohnnebenkosten gesenkt.
({4})
Diese Senkung der Lohnnebenkosten macht sich direkt
im Portemonnaie der Arbeitnehmer bemerkbar.
({5})
Allein durch die Senkung des Arbeitslosenversicherungsbeitrags werden so über 20 Milliarden Euro an die
Beitragszahler zurückgegeben.
({6})
Ein Arbeitnehmer mit einem Durchschnittseinkommen
von 2 800 Euro monatlich erhält allein durch diese Beitragssenkung der Regierung jährlich 500 Euro netto
mehr. Das ist eine spürbare Entlastung. Die Linke hat
leider dagegen gestimmt.
({7})
Ihrem Ansinnen, eine Steuerentlastung für Bezieher
geringer Einkommen zu erreichen, wird dieser Antrag
nicht gerecht. Schließlich kann nur derjenige von einer
Änderung der Einkommensteuertarife profitieren, der
auch Einkommensteuer zahlt. Die niedrigen Einkommen
- das wissen auch Sie - sind nicht oder wenn, dann nur
in geringer Weise von der Einkommensteuer betroffen.
Kollegin Frechen hat das vorhin schon gesagt. Eine vierköpfige Familie zahlt unter Berücksichtigung der Sonderausgaben und der Kinderfreibeträge bis zu einem Betrag
von über 30 000 Euro keinen Cent Einkommensteuer.
Daran sieht man, dass Ihr Antrag lediglich dazu dient,
eine Neidkampagne zu entfachen. Man kann es auf den
Punkt bringen: Die Leistungsträger unserer Gesellschaft,
die arbeitende Bevölkerung mit den mittleren und höheren Einkommen, sollen noch mehr Einkommensteuer
bezahlen. Sie wollen 50 Prozent plus Soli plus Kirchensteuer bei einem Einkommen ab 60 000 Euro.
({8})
Ich kann Ihnen nur sagen: Sie vergessen dabei offenbar
völlig, dass bereits heute die oberen 10 Prozent der Steuerpflichtigen mehr als 50 Prozent des Gesamteinkommensteueraufkommens tragen. Es kann deshalb nicht
unser Ziel sein, einzelne Bevölkerungsschichten wie beispielsweise die Facharbeiter im Schichtdienst übermäßig
zu belasten. Wer diesen Leistungsträgern noch mehr aufbürden will, der zerstört unseres Erachtens die Grundlage
des Wohlstands in diesem Land. Nehmen Sie diesen Leistungsträgern die Motivation, sich anzustrengen - das tun
Sie mit diesen Steuersätzen -, dann haben Sie bald gar
nichts mehr zum Umverteilen.
Leider bleibt Ihr Antrag auch Antworten zur Finanzierbarkeit schuldig. Ihr Antrag - das hat das Finanzministerium berechnet - würde zu Steuermindereinnahmen
von 13 Milliarden Euro führen. Wer soll das bezahlen?
({9})
Für uns in der Union hat der eingeschlagene Haushaltskonsolidierungskurs absoluten Vorrang vor irgendwelchen populistischen Schnellschüssen. Es heißt immer:
Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen.
- Leider sind wir zwischenzeitlich im Morgen angekommen. Fakt ist, und so müsste es eigentlich richtig lauten:
Die Schulden von gestern sind die Steuern von heute. Vor einer Einkommensteuerreform, die diesen Namen
auch wirklich verdient und die eine runde Sache ist,
müssen deshalb die Staatsfinanzen saniert werden. Da
sind wir in der Großen Koalition auf einem guten Weg.
({10})
Mit steuerpolitischen Mätzchen und mit Herumgeschraube am bestehenden System ist den Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Land jedenfalls nicht geholfen.
Wir werden deshalb in der Großen Koalition weiterhin
daran arbeiten, die Staatsfinanzen zu sanieren und das
Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Dass die Arbeit der Großen Koalition Früchte trägt,
zeigt das Wirtschaftswachstum, das wir auch in einer international schwierigen Lage und in schwierigen Zeiten
haben. Dass dieses auch beim Bürger ankommt, zeigen
die Arbeitsmarktdaten.
({11})
Das zeigen auch die aktuellen Tarifabschlüsse.
({12})
Die von der Koalition angegangenen Reformen zeigen Wirkung, und sie machen sich auch in der Geldbörse
der Bürger positiv bemerkbar.
({13})
Wenn wir die unteren Einkommen beim Aufschwung
noch stärker mitnehmen wollen - wie auch Sie es wollen -,
dann funktioniert das am besten durch eine weitere Senkung der Lohnnebenkosten.
({14})
Das Wort hat nun Kollegin Barbara Höll, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte, dass die Grundfreibeträge angehoben
werden und die steuerliche Progression gerade für
untere Einkommen abgeflacht wird. Die Arbeitnehmer brauchen mehr Geld in der Tasche, also mehr
Netto vom Brutto.
Das ist kein Zitat von mir, auch nicht von Oskar
Lafontaine, sondern von Erwin Huber. Er sagte es am
22. März dieses Jahres. Ich freue mich, dass unsere diesbezüglichen Vorschläge auch von der Regierungskoalition aufgenommen werden, auch wenn sie hier mächtig
herumeiert. Wir haben eine entsprechende Vorlage bereits vor einem Jahr eingebracht. Ich möchte aber nicht
nur Herrn Huber zitieren. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion Fritz Rudolf Körper sagte in
den Stuttgarter Nachrichten und in der Kölnischen
Rundschau am 17. März dieses Jahres Ähnliches.
({0})
Herr Bernhardt, Sie haben eine Reform der Einkommensteuer vorgeschlagen, die mit der Anwendung des
Spitzensteuersatzes für Ledige ab einem zu versteuernden Einkommen von 60 000 Euro, der Anhebung des
Grundfreibetrags auf 8 000 Euro und der Glättung des
Steuertarifs im mittleren Einkommensbereich unserem
Vorschlag nahekommt. Herr Gutting hat genau das - Ihre
Vorschläge! - eben als „Mätzchen“ kritisiert. In der ersten Lesung hat er gesagt: Das ist die Fortsetzung des sozialistischen Klassenkampfes. Sie sollten innerhalb der
CDU vielleicht einmal ein bisschen überlegen, was es
denn nun ist. Ich finde mich da noch nicht ganz zurecht.
Ich kann nur sagen: Ich begrüße, dass Herr Bernhardt
diese Erkenntnisse ebenfalls hat, auch wenn er ein paar
Probleme mit der Gegenfinanzierung hat.
Herr Gutting, ganz verstanden habe ich es nicht:
Während eines Großteils Ihrer Rede haben Sie gesagt,
durch die Umsetzung unserer Vorschläge würden alle
mehr belastet, es komme zu einer großartigen Mehrbelastung der unteren und mittleren Einkommen, und dadurch komme es zu Steuermindereinnahmen von
13 Milliarden Euro. Wir entlasten eben wirklich, und wir
zeigen auch auf, dass es sehr wohl Möglichkeiten der
Gegenfinanzierung gibt. Eine dieser Möglichkeiten, die
wir vorschlagen, ist die Anhebung des Spitzensteuersatzes.
({1})
Laut Untersuchung des DIW haben die reichsten
10 Prozent der Bevölkerung in der Bundesrepublik ihr
reales Nettoeinkommen von 1992 bis 2006 um 31 Prozent steigern können. Das Einkommen der ärmsten
10 Prozent ist dagegen um 13 Prozent gesunken.
({2})
Wir sollten wirklich weitergehen und hier über Mindestlohn und anderes reden.
Realität ist, dass die sogenannte Mittelschicht in
Deutschland in den vergangenen Jahren geschrumpft ist.
Das ist ein Ergebnis Ihrer Politik.
({3})
Laut Untersuchung des DIW ging der Anteil der Bezieherinnen und Bezieher mittlerer Einkommen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von 62 Prozent - das
waren etwas mehr als 49 Millionen Personen - im
Jahr 2000 auf 54 Prozent im Jahr 2006 zurück. Das ist
ein Ergebnis rot-grüner, aber auch rot-schwarzer Politik.
({4})
Also haben mindestens 5 Millionen Menschen eine absolute Verschlechterung ihres sozialen Status erlitten.
Zudem gibt es einen deutlichen Zuwachs an Menschen
mit niedrigstem Einkommen. Diese Menschen machten
2006 über ein Viertel der gesamten Bevölkerung aus. Ihr
Anteil ist um 7 Prozent gestiegen.
Ein Ergebnis Ihrer Politik sind die unterschiedlichen
Belastungen, die hier in Deutschland zu verzeichnen
sind. Es ist an der Zeit, eine Änderung in Angriff zu nehmen. Wir brauchen dazu natürlich eine Änderung im
Einkommensteuerrecht. Wir brauchen eine weiter gehende Anhebung des steuerfreien Grundbetrags. Seien
Sie gewiss: Sie werden auch hierzu noch einen Antrag
von uns bekommen.
({5})
Aber wir wollten Ihnen auch die Chance geben, das
hier Schritt für Schritt in Angriff zu nehmen. Wir haben
hier einen Antrag vorgelegt, in dem es um die Gestaltung eines linear-progressiven Tarifs und die Anhebung
des Spitzensteuersatzes geht. Außerdem haben wir in
das parlamentarische Verfahren einen Antrag eingebracht, in dem dargestellt wird - darüber kann man miteinander reden -, wie man die „kalte Progression“ auf
unterschiedliche Weise aufheben kann. Hier liegt ein
Strauß von Vorschlägen für mehr Steuergerechtigkeit
vor. Das ist ein Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit.
Das Niveau dieser Debatte - das muss ich Ihnen hier
auch einmal sagen - ist wirklich unterirdisch. Sie drehen
und wenden sich. Ich erwähne als Beispiel das Zitat aus
dem Antrag: Stellen Sie alle miteinander doch bitte nicht
Ihr Licht unter den Scheffel! Die Formulierung ist eindeutig.
({6})
- Natürlich ist sie eindeutig,
({7})
wenn man den Satz davor und den Satz dahinter liest. So
weit sollte unser parlamentarisches Verständnis reichen.
Wir sind für diesen Antrag als Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit. Angesichts der vorhandenen Anzeichen - die Zitate habe ich vorgetragen, und unser Ausschussvorsitzender hat das Zeichen gesetzt, dass auch
der Koalitionsausschuss darüber weiterdiskutiert - hoffe
ich, dass wir in einigen Wochen hier im Hause erneut
über dieses Thema sprechen werden.
Danke.
({8})
Das Wort hat nun Kollegin Christine Scheel, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Barbara Höll hat gerade das Niveau der Debatte angesprochen. Sie hat allerdings, was ihren eigenen Beitrag
anbelangt, Dinge gesagt, die einfach nicht richtig sind.
({0})
Ich belege dies an dem Beispiel, wer wie viel zahlt. Wir
alle wissen, dass diejenigen, die gut verdienen, die oberen 10 Prozent der Bevölkerung, die steuerpflichtig und
einkommensteuerzahlend sind, etwa 70 Prozent des gesamten Einkommensteueraufkommens leisten.
({1})
Dann ist vonseiten der Linken gesagt worden, sie
wolle jetzt die Bezieher der ganz kleinen Einkommen
entlasten, weil dies ja diejenigen seien, die belastet sind.
Dazu muss man sagen, dass die untersten 10 Prozent der
Einkommensbezieher in der Bundesrepublik Deutschland keine Einkommensteuer zahlen. Das gehört auch
zur Wahrheit dazu.
({2})
Es gibt in dieser Diskussion auch Überlegungen - die
CSU hat dies jetzt durch Minister Huber und auch andere angekündigt; ich nehme an, dass Günther Beckstein
auch dieser Auffassung ist, das ist ja ein Duo, das neuerdings zusammenhält, wie wir gelernt haben -,
({3})
hinsichtlich der kalten Progression sowie der Belastung
im unteren Bereich einen Vorschlag vorzulegen. Dies
halte ich für richtig; in dieser Richtung sind auch die
Grünen aufgestellt. Im Zusammenhang damit brauchen
wir eine Diskussion darüber, wie hoch das steuerfreie
Existenzminimum in Zukunft sein soll.
({4})
Diese wichtige und notwendige Debatte muss natürlich
auch geführt werden.
Des Weiteren brauchen wir eine Diskussion darüber,
dass die Inflation die Steuerentlastungen der letzten
Jahre und übrigens auch die Entlastungen auffrisst, die
Rot-Grün beschlossen hatte. Dies geschieht, weil unser
Steuertarif nicht an die Inflation gekoppelt ist, wie zum
Beispiel in anderen Ländern. Wenn man sich die Zeit der
Großen Koalition von 2005 bis 2008 anschaut, dann erkennt man, dass allein durch diesen Effekt der kalten
Progression - dies besagen nachvollziehbare Berechnungen von Wirtschaftsinstituten - den Menschen etwa
20 Milliarden Euro abgenommen wurden. Die Progressionswirkung insgesamt ist noch wesentlich höher; sie
liegt bei ungefähr 35 Milliarden Euro.
({5})
Deswegen müssen wir uns natürlich überlegen, wie man
den Steuertarif für die Zukunft ausgestaltet.
({6})
Aber es geht nicht an, Frau Höll, dass die Linke vorschlägt, den Spitzensteuersatz auf 50 Prozent plus Soli
anzuheben und - heute Morgen hatten wir die Rentendebatte - die Sozialversicherungsbeiträge so nach oben
schnellen zu lassen, dass sie in der Perspektive - wir reden hier beispielsweise auch über den Zeitraum bis 2030 in der Größenordnung von über 60 Prozent liegen. Hinzu
käme ein Steuersatz von über 50 Prozent, sodass, ausgelöst durch die Vorschläge der Linken, Gesamtbelastungen der Leistungsträger und Leistungsträgerinnen in dieser Gesellschaft von über 110 Prozent vorhanden wären.
Das ist verrückt. So kann man keine vernünftige Wirtschaftspolitik machen.
({7})
Das hat nichts mehr mit Gerechtigkeit zu tun, sondern
das wäre der blanke Wahnsinn.
({8})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit
dem Titel „Einkommensteuertarif gerecht gestalten Steuerentlastung für geringe und mittlere Einkommen
umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/6799, den Antrag
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/5277 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke mit den Stimmen der übrigen Fraktionen des Hauses angenommen.
Ich rufe nunmehr den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Jugendschutzgesetzes
- Drucksache 16/8546 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ({0})
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Kultur und Medien
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Ursula von der Leyen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Jugendschutz ist manchmal wie ein Wettlauf. Die Medien,
zum Beispiel Handys und das, was man mit ihnen machen kann, sowie Computerspiele, ändern sich rasant.
Einerseits bieten sich faszinierende Möglichkeiten, sich
zu informieren, mit anderen ins Gespräch zu kommen
oder einfach nur in der Freizeit Spaß zu haben - das ist
alles gut -, andererseits müssen wir aber immer aufpassen, dass wir neue Gefährdungen, die sich daraus für
Kinder und Jugendliche ergeben, rechtzeitig erfassen
und darauf reagieren.
Der Staat muss also immer wieder überprüfen und die
Voraussetzungen dafür schaffen, dass Kinder oder Jugendliche keinen Zugang zu schädlichen Medieninhalten
haben. Wir haben deshalb gemeinsam mit den Ländern
im Mai 2006 beschlossen, sämtliche Vorschriften zum
Jugendmedienschutz bis zum Herbst 2007 extern überprüfen zu lassen.
Beim Bereich der Computerspiele - dieser Teil war
als Erstes fertig - haben wir gesehen, dass wir nicht so
lange warten wollen und können, bis alle anderen Prozesse abgeschlossen sind. Deshalb habe ich vor einem
Jahr gemeinsam mit dem nordrhein-westfälischen Familienminister Armin Laschet - das ist das federführende
Land in der USK - ein Sofortprogramm gestartet, um
Kinder und Jugendliche wirksamer vor extrem gewalthaltigen Computerspielen zu schützen.
Die Änderungsvorschläge zum Jugendschutzgesetz
sind eine von vier Säulen dieses Sofortprogramms. Außerdem wollen wir den Gesetzesvollzug verbessern dazu muss es eine ganz enge Zusammenarbeit mit den
Kommunen geben. Wir wollen die Qualität und die
Transparenz von Jugendschutzentscheidungen erhöhen,
also deutlich machen, warum was indiziert worden ist
oder nicht, und den Jugendmedienschutz besser kommunizieren, damit klar ist, wie die Regeln sind.
Natürlich gibt es keinen Automatismus. Nicht jeder,
der gewalttätige Spiele spielt, wird selbst gewalttätig.
Aber wir alle wissen: Es bleibt nicht ohne Auswirkung
auf Kinder und Jugendliche, wenn Gewalt in den Medien, die sie täglich bedienen, zum normalen Begleiter
im Alltag wird. Wenn andere Probleme dazukommen,
zum Beispiel in der Familie oder in der Schule, ist die
Folge die Identifikation mit den Gewaltszenarien, und
dann wird es gefährlich.
Nun kann man natürlich fragen: Was heißt denn „Gewalt“? Genau das ist der Punkt, bei dem wir ansetzen.
Wir wollen künftig auch solche Spiele und Filme von
vornherein indizieren, bei denen besonders realistische,
grausame und reißerische Darstellungen von Gewalt
Selbstzweck sind und das Geschehen beherrschen. Das
heißt, die Definition von Gewalt allgemein wird verschärft und fokussiert, damit härter durchgegriffen werden kann.
Zu nennen sind zum Beispiel Filme und Spiele, bei
denen Folter, Vergewaltigung und Verstümmelung ausführlich gezeigt werden, aber auch Spiele - das ist wichtig -, bei denen die Spieler für Folter und Gewalt, die sie
selbst ausüben, eigens belohnt werden, also einen Bonus
erhalten, zum Beispiel in den nächsten Level gehen können.
Außerdem wollen wir die Alterskennzeichnung sichtbarer machen. Wenn man sich die Produkte heute anschaut, dann sieht man: Die Kennzeichnung ist auch mit
der Lupe kaum zu erkennen. Ich würde ohne Lesebrille
schon nicht mehr identifizieren können, für welches Alter ein Produkt zugelassen oder ausgeschlossen ist. Das
bringt dann in der Praxis rein gar nichts. Es muss auf den
ersten Blick erkennbar und auch für die Umgebung deutlich sichtbar sein, ob ein Spiel für Kinder und Jugendliche freigegeben ist oder nicht. Das Alterskennzeichen
soll - ähnlich wie auf den Zigarettenpackungen - auch
auf Video- und Computerspielen nicht mehr zu übersehen sein. Hier hat sich einiges getan.
Natürlich werden wir an diesem Punkt nicht stehenbleiben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen
wir etwas, was jeder, der mit Computern arbeitet, kennt.
Ich darf das einmal so ausdrücken: Wir machen eine
Zwischenspeicherung, wenn ein wichtiger Schritt erreicht ist. Von diesem Punkt aus können wir die nächste
Aufgabe in Angriff nehmen. Übersetzt heißt dies: Die
Ergebnisse der Gesamtevaluation - insbesondere im Onlinebereich der Jugendschutzvorschriften - liegen uns
seit Ende Oktober 2007 vor. Derzeit beraten wir mit den
Ländern darüber, wie wir das Jugendschutzgesetz und
vor allem den Jugendmedienschutzstaatsvertrag, der ein
wichtiges Feld ist und in dem besonders die Länder eine
Rolle spielen, weiter verbessern können und müssen.
Das ist gerade im Bereich der Onlinethematik entscheidend. Soweit zur Hardware, nämlich dem Gesetz.
Gesetzlicher Jugendschutz allein reicht aber nicht aus.
Wenn ich in dem Bild bleiben darf, dann ist die dazugehörige Software die Medienkompetenz. Diese ist insbe16210
sondere für die Politik viel schwerer zu fassen. Sie ist
aber eigentlich viel wichtiger und wirksamer. Sie umfasst den verantwortlichen, selbstbestimmten und informierten Umgang mit Medien. Für Kinder und Jugendliche ist Medienkompetenz heute - auch was den Schutz
angeht - eine der Schlüsselfragen schlechthin. Natürlich
müssen auch Eltern in der Lage sein, ihren Kindern diese
Kompetenz zu vermitteln, obwohl wir alle wissen, dass
es gerade auf diesem Gebiet das eigenwillige Phänomen
gibt, dass die Kinder fast immer schlauer und versierter
sind als die Eltern.
({0})
Wir haben deshalb mit Partnern aus den Medien
- zum Beispiel mit den großen Fernsehanstalten - die
Kampagne „Schau hin! Was Deine Kinder machen.“ gestartet. Wir wollen über Medien und Mediennutzung informieren. Auch wenn es für Eltern nicht einfach ist in
Zeiten, in denen Dinge wie Web 2.0 oder LAN-Partys
für Kinder eine Selbstverständlichkeit, für viele von uns
hier im Raum jedoch schwer nachzuvollziehen sind,
auch wenn jede neue Entwicklung unendlich schnell auf
dem Markt, jedoch schwer zu verfolgen ist: Wir sind gefordert, uns mit der Mediennutzung unserer Kinder auseinanderzusetzen und immer wieder neue Instrumente zu
entwickeln, um gemeinsam mit den Eltern, den Schulen
und den Kindergärten diese Medienkompetenz und insbesondere die kritische Auseinandersetzung der Kinder
mit Medien schärfen zu können.
Wir sind sicherlich auch gefordert, uns mit unserer eigenen Mediennutzung auseinanderzusetzen. Es braucht
eine kritische Distanz zu problematischen Inhalten, klare
Spielregeln innerhalb einer Familie, die auch von allen
eingehalten werden, und nicht zuletzt unsere Souveränität, auszuschalten.
Danke.
({1})
Das Wort hat nun Christoph Waitz, FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Einfache Funktelefone haben sich zu massenhaft verfügbaren Geräten entwickelt, mit denen Filme
und Bilder verbreitet werden können. Wir alle haben
vergleichbare Handys und PDAs in unseren Taschen.
Wissen wir aber, dass über 70 Prozent aller Kinder im
Alter von 12 bis 13 Jahren auch schon ein solches Handy
haben? Die Kinder haben also ein Handy, mit dem sie
Bilder und Filme produzieren und auch zugesandt bekommen. Wissen wir, dass über 9 Prozent der Kinder im
Alter von 6 bis 13 Jahren schon einmal - so nennt es der
Hans-Bredow-Bericht - seltsame oder unangenehme Sachen auf ihr Handy geschickt bekommen haben? Das
waren nicht nur Werbesendungen für Gummibärchen,
sondern das waren konkrete sexuelle Angebote, Bilder
und Videos.
Nicht neu, aber problematisch ist der steigende Umfang der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen.
Frau von der Leyen hat darauf hingewiesen. Wir haben
uns an die intensive und selbstverständliche Nutzung des
Fernsehers gewöhnt. Heute steht der Fernseher aber
nicht nur in der Küche und im Wohnzimmer. Jedes
zweite Kind im Grundschulalter verfügt über einen eigenen Fernseher, und es schaut 90 Minuten lang fern.
Hinzu kommt die Nutzung des Computers für Computerspiele. Jedes fünfte Kind zwischen 6 und 12 Jahren
spielt täglich allein oder gemeinsam mit anderen Kindern. Als man Schüler der siebten und achten Klasse eines Berliner Gymnasiums in Neukölln gefragt hat: „Wie
lange spielst du jeden Tag Computerspiele?“, da ergab
sich aus den Antworten, dass der Durchschnitt bei über
drei Stunden lag.
Es ist der Umfang der Mediennutzung, der für unsere
Kinder und Jugendlichen zu einem besonderen Problem
zu werden beginnt. Bei der Anhörung im Ausschuss für
Kultur und Medien zum Thema Onlinesucht haben uns
die Sachverständigen gestern gesagt, dass es von entscheidender Bedeutung ist, präventiv tätig zu werden.
Erstens müssen Eltern in den entscheidenden Entwicklungs- und Reifungsphasen einen regulierenden
Einfluss auf den Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen nehmen. Wir Eltern tragen nämlich die besondere
Verantwortung dafür, mit welchen Inhalten sich unsere
Kinder auseinandersetzen, und müssen begrenzend eingreifen.
Zweitens müssen wir die Schulen und Lehrer als Multiplikatoren der Medienerziehung nutzen. Über Lehrer
lassen sich diese Informationen an die Eltern vermitteln.
Bei auffälligen Kindern können so frühzeitiger Gegenmaßnahmen ergriffen und Hilfsangebote unterbreitet
werden. Dazu ist es aber nötig und notwendig, dass möglichst viele Lehrer an Fortbildungsveranstaltungen zum
Thema Medienpädagogik teilnehmen. Die Teilnahme an
solchen Fortbildungsveranstaltungen muss in unseren
Augen zur Pflicht gemacht werden.
({0})
Frau Ministerin von der Leyen, das ist natürlich kein
Thema, das wir mit Änderungen im Jugendschutzgesetz lösen können. Aber es ist wichtig - ich würde mich
freuen, wenn Sie sich da entsprechend einsetzen könnten -, gemeinsam mit den Kultusministern der Länder
die Möglichkeiten zu einer verbesserten Prävention auszuloten und entsprechende Maßnahmen umzusetzen.
Mit Ihrer vorgeschlagenen Gesetzesänderung soll die
Alterskennzeichnung auf den Trägermedien deutlicher
und größer werden. Das ist sicherlich eine vernünftige
Maßnahme; denn die derzeitige Alterskennzeichnung
war so klein und unauffällig, dass man genau wissen
musste, wo man hinschauen muss, um sie zu entdecken.
Es ist aber wichtig, dass diese gesonderte Kennzeichnung so auf den Verpackungen platziert ist, dass sie ein
Kunde im Laden als Erstes mit wahrnimmt.
Wir haben uns heute den Spaß gemacht, im Internet
nach Tauschbörsen für Computerspiele zu suchen. Es hat
keine drei Minuten gedauert, bis wir eine Seite mit einer
Vielzahl von indizierten Computerspielen wie „Resident
Evil 2“ oder „Postal 2“ gefunden hatten.
({1})
- Ich habe es noch nie gespielt, Frau Kollegin. - Auf
dieser Internetseite spielten sich zu diesem Zeitpunkt nur
im Bereich der indizierten Spiele mehrere Tausend
Downloadvorgänge ab. Sie wissen wie ich, dass das ein
illegaler, aber anscheinend weitverbreiteter Weg unter
Jugendlichen ist, um an Computerspiele der besonderen
Art zu gelangen.
Frau von der Leyen, auf diese Herausforderung müssen wir eine Antwort finden. Es nutzt nichts, ein gutes
oder vielleicht sogar sehr gutes Jugendschutzgesetz zu
haben, wenn die Wirklichkeit an ihm vorbeigeht. Der
von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf hat einen entscheidenden Mangel: Er vermittelt nur den Anschein, dass der
Jugendschutz verbessert würde, aber er löst nicht die eigentlichen Probleme. Diese eigentlichen Probleme liegen im Internet. Deswegen möchte ich hier von einem
Gesetzesplacebo sprechen.
Eine problematische Rolle spielen aber auch Eltern
und Großeltern bei der Verbreitung von nicht altersgerechten Spielen. Ich darf hier zitieren, was ein 13-jähriger Junge im Internet schrieb, als er sich nach einem
Computerspiel erkundigte, das ab 16 Jahren freigegeben
ist: „Ich bin 13 und will das Spiel gerne spielen. Ist es
schlimm? Wie könnte ich meine Eltern überreden? Bitte
helft mir!“ Ihm wurde dann beispielsweise geantwortet:
„Ich bin 12, und meine Eltern haben nichts dagegen, nur
die USK; richtig tolles Spiel, Blut ({2}),
keine Wunden!“ Das Ganze endet mit: „Vielen Dank
euch allen. Ich darf das Spiel jetzt kaufen.“ - Dieses Beispiel macht deutlich, wo die eigentlichen Probleme liegen und dass wir insbesondere bei den Eltern ansetzen
müssen, damit diese einsehen und verstehen, warum ein
bestimmtes Spiel nicht für eine ganz spezielle Altersgruppe geeignet ist. Daran fehlt es noch. In den Niederlanden, aber auch in den Vereinigten Staaten wird uns
vorgemacht, dass man solche Informationsvermittlung
leisten kann.
Ein letztes Wort: Das Evaluierungsgutachten des
Hans-Bredow-Instituts hat eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen erbracht, mit denen der Jugendschutz
effizienter und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren vereinfacht werden könnte. Leider
finden sich diese Vorschläge nicht im Entwurf der Bundesregierung. Wir wollen in den Ausschussberatungen
über diese konkreten Verbesserungsvorschläge diskutieren und die eigentlichen Probleme angehen. Das sind wir
den Kindern und Jugendlichen schuldig.
({3})
Das Wort hat nun Jürgen Kucharczyk, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Deutschlands Jugendschutzsystem kommt eine Vorreiterrolle in Europa zu. Unser
Jugendschutz ist wirkungsvoll, und seine verschiedenen
Instrumente wie die Freiwillige Selbstkontrolle oder die
Indizierung haben sich grundsätzlich bewährt. Wir brauchen deshalb das Rad nicht neu zu erfinden, sondern
müssen unser Jugendschutzgesetz in Detailfragen einem
kontinuierlichen Verbesserungsprozess unterziehen.
({0})
Zu diesem Ergebnis sind übrigens auch die von der
Bund-Länder-Kommission in Auftrag gegebenen Studien und Berichte des Hans-Bredow-Instituts gekommen. Im Ergebnis der Untersuchung des Hans-BredowInstituts steht: Um das Niveau des Jugendschutzes hochzuhalten und damit den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sie gefährdenden Inhalten zu verbessern, müssen wir nachjustieren. - Das wollen wir unterstützen.
Nur so gelingt es uns, auf der Höhe der gesellschaftlichen, aber auch der technischen Entwicklung zu bleiben.
({1})
Die Erkenntnisse aus der Mediengewaltforschung
machen deutlich, dass die Vereinfachung der Indizierung
sogenannter Killerspiele und Gewaltvideos dringend gefordert ist. Medien dieser Art gehören nur noch in Erwachsenenvideotheken und haben auf der Ladentheke
oder im Regal nichts mehr zu suchen.
({2})
Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird die
Verbesserung des effektiven Jugendschutzsystems beabsichtigt. Der Verbotskatalog für schwer jugendgefährdende Trägermedien, die kraft Gesetzes indiziert sind,
wird im Hinblick auf Gewaltdarstellungen erweitert.
Über die im Gesetz aufgeführten Inhalte hinaus werden
Trägermedien, die besonders realistische, grausame und
reißerische Darstellungen selbstzweckhafter Gewalt beinhalten, auch ohne Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien mit weitreichenden
Abgabe-, Vertriebs- und Werbeverboten belegt. Für
diese Medien, zu denen Killerspiele und Horrorfilme
zählen, gelten dann auch ohne ein spezielles Indizierungsverfahren gesetzliche Vertriebsbeschränkungen.
Insbesondere dies ist ein Erfolg, da das Medium bislang
bis zum Abschluss des herkömmlichen Indizierungsprozesses einige Monate vertrieben und beworben werden
konnte.
Die im Gesetz genannten Indizierungskriterien in Bezug auf mediale Gewaltdarstellungen werden erweitert
und präzisiert. Die Aufzählung ist richtungweisend für
die Bundesprüfstelle und ergänzt den Verbotskatalog,
der vorsieht, Medien mit diesen Inhalten zu indizieren.
§ 18 des Jugendschutzgesetzes wird um Kriterien ergänzt, die darauf abstellen, dass entweder Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft
und detailliert dargestellt werden oder Selbstjustiz als
einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahegelegt wird.
Die Mindestgröße und die Sichtbarkeit der Alterskennzeichnung der FSK und USK werden gesetzlich
festgeschrieben. Es ist wichtig, dass die Kennzeichnung
künftig eine einheitliche Größe hat und sichtbar platziert
ist.
({3})
Eltern, Großeltern sowie dem Verkaufspersonal muss die
Altersklassifizierung ins Auge springen. Diese Regelung
soll dem Problem entgegenwirken, dass viel zu häufig
Spiele und DVDs verkauft werden, die dem Altersbedarf
nicht angemessen sind. Klare, einfache Botschaften
müssen durch Größe, Form und Alterszahl ersichtlich
sein - und dies nicht versteckt auf der Rückseite, sondern vorne auf den Produkten.
({4})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt zurzeit keine
wissenschaftlichen Beweise, dass der Konsum von Killerspielen zur Auslebung von Gewalt in der Realität
führt. Es stimmt mich allerdings nachdenklich, dass die
Empathie beim Spielen völlig auf der Strecke bleibt. Das
Leiden von Opfern bleibt ausgespart, und es wird stark
vereinfacht und die Welt in Gut und Böse aufgeteilt. Daneben drohen den Kindern und Jugendlichen, die für ihre
Altersgruppe ungeeignete Gewaltspiele konsumieren,
ein erhöhtes Aggressionspotenzial und eine niedrige
Konzentrationsfähigkeit.
Eine reine Verbotspolitik ist meines Erachtens allerdings Ausdruck einer hysterisch geführten Debatte.
({5})
Ein Totalverbot von Killerspielen bringt uns auch vor
dem Hintergrund der Onlineproblematik von jugendgefährdenden Spielen nicht weiter. Vielmehr spiegelt ein
Verbot auf populistische Art und Weise eine falsche Sicherheit vor. Denn eines ist vollkommen klar: Kein generelles Verbot von Gewaltspielen könnte real vorkommende Gewalt verhindern. Zensur ist daher für uns keine
Lösung.
Wichtig ist, dass wir in Zukunft darauf achten, mit
welchen Medien unsere Kinder und Enkel ihre Freizeit
verbringen. Sie müssen lernen, kritisch und verantwortungsvoll mit Medien aller Art umzugehen. Dazu sind
wir alle aufgefordert.
({6})
Das Wort hat nun Kollege Jörn Wunderlich, Fraktion
Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Jugendschutz: „Schutz von Kindern und Jugendlichen vor medialen Gewaltdarstellungen, insbesondere
gewaltbeherrschten Computerspielen.“ So steht es unter
der Überschrift „Problem und Ziel“ im Gesetzentwurf.
Reicht eine Katalogerweiterung? Reicht eine vorgeschriebene Mindestgröße der Alterskennzeichnung?
Wird damit der gewünschte Schutz erreicht? Es gibt eine
Farbkennzeichnung: weiß, gelb, grün, blau und rot.
Diese markanten Kennzeichen sind schon jedem von uns
an der Verkaufstheke begegnet.
Schon am 26. April 2007, also vor fast einem Jahr,
wurde im Expertengespräch „Jugendmedienschutz und
gewalthaltige Computerspiele“ im Unterausschuss Neue
Medien festgestellt, dass Verbotsforderungen und Verschärfungen bestehender Gesetze nicht zielführend sind.
Was brauchen unsere Kinder und Jugendlichen wirklich?
Brauchen wir deutlich sichtbare Aufkleber „FSK 16“,
damit man gleich sieht, wo die interessanten Spiele stehen? Man sollte sich da nichts vormachen: Im Zuge des
globalen Wettbewerbs werden Spiele teilweise künstlich
altersmäßig hochgesetzt, um sie interessanter zu machen. Jeder, der Kinder hat, weiß ganz genau, dass
Spiele mit den grünen „FSK 12“-Schildern nicht so interessant sind wie die mit den blauen „FSK 16“-Schildern.
Das weiß man doch. Wer will schon diesen Kinderkram?
So hört man oftmals.
Unser Nachwuchs - das ist das Problem - braucht
Medienkompetenz und elterliche Kontrolle in dieser immer komplexer werdenden Medienwelt. Frau von der
Leyen, Sie haben es schon angesprochen. Die Kampagnen „Schau hin! Was deine Kinder machen.“ und die Internetseite www.klicksafe.de sind wirklich gute Ansatzpunkte. In der Studie des Hans-Bredow-Instituts wurde
festgestellt - das wurde hier ebenfalls schon angesprochen -, dass ein Handeln anstelle der Eltern, wo diese ihren Einfluss verlieren, an Bedeutung zunehme.
Aber hier darf die Realität nicht ausgeblendet werden.
Die Verbreitung solcher Spiele - auch das wurde hier
schon angesprochen - erfolgt doch nicht nur über die Ladentheke, sondern oftmals über Tauschbörsen, durch den
Kauf in Nachbarländern oder durch Downloads aus dem
Internet. An dieser Stelle muss man hellhörig werden.
Wenn ich etwas verbiete, muss ich es auch kontrollieren.
Konsequenterweise wird von den Verfechtern solcher
Verbote immer auch die Ausweitung der Überwachung
des Internets gefordert. Das kann aber nicht die Lösung
sein.
Kinder und Jugendliche müssen lernen, mit virtuellen
Welten umzugehen und Risiken abzuschätzen. Moderne
Medienpädagogik ist gefragt. Orte des Lernens wie Familie, Schule, Hort und Kindergarten sind dabei entscheidend. Bestehende Beratungsangebote für Eltern
müssen gefördert und weitere Aufklärung muss betrieben werden. Ich denke, das ist der effektivste Schutz vor
Gewaltdarstellung.
Mit Verboten allein kommen wir nicht unbedingt weiter. Nach dem Motto „Nutzt’s nix, dann schadt’s nix!“ zu
handeln, dürfte möglicherweise verfehlt sein, da vielleicht auch die Stimmen nach mehr Kontrolle - Stichwort: Cyber-Police à la Beckstein - laut werden könnten. Es geht nicht darum, nichts zu sehen, sondern
darum, mögliche negative Folgen für unsere Kinder - ob
nun wissenschaftlich evaluiert oder nicht - zu minimieJörn Wunderlich
ren. Statt Verbote und Sanktionen muss die Regierung
Angebote zur Medienpädagogik und zur Medienkompetenz flächendeckend und altersgerecht machen. Angebote statt Verbote: Das fordert die Linke.
Frau von der Leyen, Sie haben gesagt, Sie seien im
Gespräch mit den Ländern. Wir sind daher gespannt,
was für Angebote seitens der Regierung gemacht werden.
Danke schön.
({0})
Das Wort hat nun Kollege Kai Gehring, Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein
starker Jugendschutz ist eine wichtige gesellschaftliche
und politische Aufgabe. Er muss daher kontinuierlich an
neue Herausforderungen angepasst werden.
Eltern beklagen Alkohol- und Drogenmissbrauch,
Gewalt, Rassismus und Pornografie im Internet und in
Computerspielen. Daher ist es wichtig, Eltern in ihrer
Erziehungs- und Medienkompetenz zu stärken und zu
unterstützen. Jugendliche wiederum müssen befähigt
werden, mit solchen Herausforderungen und mit neuen
medialen Einflüssen verantwortlich umzugehen.
Was ist dabei die Rolle der Politik? Die Politik muss
für klare Jugendschutzregeln und deren effektive Umsetzung sorgen.
Frau von der Leyen, mit der vorliegenden Novelle
lässt sich kein zeitgemäßer Jugendschutz erreichen. Ihren ursprünglichen Gesetzentwurf mussten Sie zurückziehen, weil Sie Kinder als Testkäufer einsetzen wollten.
Im zweiten Anlauf lassen Sie die Frage der Testkäufer
nun völlig ungeregelt. Warum schließen Sie Kinder, also
unter 14-Jährige, als Testkäufer im Jugendschutzgesetz
nicht definitiv aus? Es muss verhindert werden, dass
9- und 10-Jährige von Behörden zum Kauf von Tequila
geschickt werden.
({0})
Keine Regelung heißt, dass der verantwortungslose
Wildwuchs vor Ort und in den Bundesländern weitergehen kann.
Was wird überhaupt neu in diesem Gesetz verankert?
Die Altershinweise auf Videos, DVDs und Computerspielen werden zwar größer, aber nicht verständlicher.
Mit unklaren Gewaltbegriffen schaffen Sie zusätzliche
Rechtsunsicherheit. Formulierungen wie „gewaltbeherrschte Computerspiele“ und „selbstzweckhafte Gewalt“ drohen zu einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
für Juristen und Gerichte zu werden.
({1})
Wo bleiben denn die wirklich durchgreifenden und
wirksamen Maßnahmen? Wann wird zum Beispiel endlich der Bußgeldkatalog verschärft, wie wir es am runden Tisch auf grüne Initiative hin gemeinsam verabredet
haben? Wir brauchen ein einheitliches und abschreckendes Mindestbußgeld für Verstöße gegen den Jugendschutz; denn wenn das durchschnittliche Bußgeld, wie in
Nordrhein-Westfalen der Fall, weit unter 100 Euro liegt,
dann bleibt es ein zahnloser Tiger und wirkt nicht.
({2})
Wann wird endlich der Vollzug verbessert? Das ist
eine Schlüsselfrage. Um Jugendliche nachhaltiger zu
schützen, brauchen wir regelmäßige Schwerpunktkontrollen vor Ort. Nur so lässt sich das Risiko erhöhen, bei
Verstößen gegen das Jugendschutzgesetz erwischt zu
werden.
Die Politik der Jugendministerin in Fragen des Jugendschutzes ist ziemlich sprunghaft. Vor Monaten haben Sie ein allgemeines Alkoholverbot für unter 18-Jährige gefordert. Da niemand diese überzogene und
unwirksame Forderung aufgegriffen hat, blieben Sie hinsichtlich der Frage, wie man exzessiven Alkoholkonsum
und Flatrate-Partys verhindern kann, nahezu untätig.
Auch hier gilt: Große Worte, aber wenig Taten.
Dagegen hat die rot-grüne Reform des Jugendmedienschutzes Wirkung gezeigt. Das Prinzip der regulierten Selbstkontrolle hat sich bewährt. Das zeigt die seit
einem Jahr vorliegende Evaluation des Hans-Bredow-Instituts. Das Gutachten enthält in der Tat gute Vorschläge
zur Effektivierung des Jugendmedienschutzes.
({3})
Diese werden von der Koalition leider völlig ignoriert.
({4})
Zwei Beispiele dafür. Auf neue technische Entwicklungen geht Ihr Gesetzentwurf an keiner Stelle ein. Wir
sagen: Es darf nicht sein, dass Onlinespiele weiterhin
überhaupt nicht geprüft werden. Systematische Kooperationsregeln zwischen der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und der Selbstkontrolle fehlen
auch. Wir sagen: Jedes Computerspiel, das von der USK
als indizierungswürdig eingestuft wird und deshalb
keine Kennzeichnung erhält, muss automatisch von der
Bundesprüfstelle geprüft werden, damit man nicht zwischenzeitlich Geld damit verdienen kann.
Zu einem modernen Jugendmedienschutz gehört übrigens auch, dass das Suchtpotenzial von Computerspielen
bei der Altersfreigabe berücksichtigt wird. Wenn die
Koalition die Vorschläge des Hans-Bredow-Instituts
nicht in dieser Novelle aufgreift, wird ihre Umsetzung
letztlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.
Dann bekommen Sie das in dieser Legislaturperiode
wahrscheinlich nicht mehr hin.
({5})
Fazit. Wir brauchen gerade im Jugendschutz keine
Symbolpolitik, sondern praktikable Maßnahmen und
konsistente gesetzliche Regelungen. Wir brauchen keine
populistischen Verschärfungen und Verbotsforderungen,
sondern eine wirksame Weiterentwicklung und einen
besseren Gesetzesvollzug. Der vorliegende Gesetzentwurf leistet das nicht. Deshalb können wir ihn nicht unterstützen.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat nun Caren Marks, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrte Damen und Herren! Jeder und jede von uns
kennt die Presseberichte: Gewaltverherrlichende Computerspiele fördern die Aggressivität von Jugendlichen.
Jugendliche trinken zu viel Alkohol und landen mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus.
Die dargestellten Fälle müssen uns zu Recht nachdenklich stimmen. Häufig wird der Ruf nach schärferen
Gesetzen laut. Wir müssen uns aber fragen, ob die komplexen Probleme tatsächlich mit schärferen Gesetzen zu
lösen sind. Wir dürfen auch heute, in dieser jugendpolitischen Debatte, nicht vergessen, dass die meisten Jugendlichen verantwortungsvoll und engagiert sind.
({0})
Sie gestalten aktiv ihre Freizeit. Das Gros der Jugend
geht sehr verantwortungsvoll mit Alkohol- oder auch
Medienkonsum um.
Ich möchte nicht falsch verstanden werden. Natürlich
dürfen wir die Augen vor den Problemen nicht verschließen. Sogenannte Flatrate-Partys, auf denen man für wenig Geld unbegrenzt viel Alkohol trinken kann, sind leider keine Randerscheinung. Kinder und Jugendliche
brauchen Schutz und Regeln.
({1})
Wir haben in Deutschland in erster Linie kein Problem mit der Gesetzeslage, sondern Defizite bei der Prävention vor Ort und im Gesetzesvollzug.
({2})
Das Jugendschutzgesetz, das die rot-grüne Bundesregierung 2002 auf den Weg gebracht hat, enthält sehr wirkungsvolle Regelungen und hat sich bewährt. Es schützt
unsere Jugend, es gibt ihr Regeln und setzt Grenzen. Das
bestätigt auch die aktuelle Studie des Hans-Bredow-Instituts.
Ich möchte dieser eindeutigen Rechtslage Beispiele
aus dem täglichen Leben gegenüberstellen. Das Jugendschutzgesetz verbietet den Verkauf von Alkohol an Kinder und Jugendliche, doch der Verkauf von Schnaps an
Minderjährige am Kiosk, an der Tankstelle oder in der
Kneipe kommt häufig vor. Sogenannte Flatrate-Partys
finden statt, obwohl sie bereits nach geltender Rechtslage untersagt werden können; einige Kommunen machen das auch vorbildlich.
({3})
Gesetze zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
stoßen an ihre Grenzen, wenn Erwachsene sie nicht einhalten, wenn ein Kiosk- oder Tankstellenbesitzer oder
eine -besitzerin dem 15-Jährigen die Flasche Wodka verkauft, obwohl dies verboten ist; wenn Behörden vor Ort
die Einhaltung der Gesetze nicht oder nur unzureichend
kontrollieren. Wir müssen die geltenden Gesetze konsequent anwenden; sonst ist unser gutes Jugendschutzgesetz ein zahnloser Papiertiger.
({4})
Die Bundesdrogenbeauftragte, Sabine Bätzing, macht
immer wieder eindrucksvoll deutlich: Wir alle sind gefragt, wenn es um Prävention und um wirksame Alkoholprävention geht. Seien wir doch ehrlich: Viele sind
der Überzeugung, dass zu einer guten Party oder zu einer
guten Stimmung im Festzelt auch viel Alkohol gehört.
Wir alle wissen, dass Alkohol in unserer Gesellschaft
verankert ist. Umso mehr zählt neben der Prävention ein
maßvoller Umgang, zum Beispiel mit Alkohol, den wir
als Erwachsene den Kindern und Jugendlichen vorleben
müssen.
({5})
Der Ruf nach schärferen Gesetzen verkennt die geltende Rechtslage. Er ist durchaus verlockend, aber auch
verantwortungslos. Wenn wir es mit dem Schutz unserer
Kinder und Jugendlichen ernst meinen, dann müssen wir
den Ursachen auf den Grund gehen und unsere eigenen
Verhaltensmuster kritisch hinterfragen. Das Jugendschutzgesetz, das wir jetzt punktuell weiterentwickeln,
ist ein hervorragendes jugendpolitisches Instrument. Es
liegt an uns, dieses Instrument sinnvoll einzusetzen.
Herzlichen Dank.
({6})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 16/8546 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, weiVizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik Von der Verpackungsverordnung zur Wertstoffverordnung
- Drucksache 16/8537 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ({0})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fünf Minuten erhalten
soll. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wertstofftonne heißt das Konzept, zu dem kluge Kommunen oder Kreise wie zum Beispiel der Rhein-NeckarKreis, in dem ich lange gelebt habe, die gelbe Tonne
weiterentwickelt haben. Mit der 5. Novelle der Verpackungsverordnung wird es jetzt jeder Kommune ganz offiziell anheimgestellt, Wertstoffe jenseits der Verpackungen in der gelben Tonne einzusammeln. Warum? Weil es
sich herumgesprochen hat, dass es sinnvoller ist, Wertstoffe einzusammeln, als sie wegzuschmeißen. Das
heißt, die Praxis ist diesbezüglich weiter als das dahinterstehende politische Regelwerk. Denn wir haben keine
Wertstoffverordnung in der Abfallpolitik, wir haben eine
Verpackungsverordnung.
Wir haben eine Verpackungsverordnung, die jetzt erlaubt, stoffgleiche Nichtverpackungen mit einzusammeln, das aber weder vorschreibt noch eine Lizenzgebühr von den Herstellern dafür verlangt. Das ist
sozusagen eine offiziell verfügte Form der Trittbrettfahrerei in derselben Novelle, die die unerwünschte Form
der Trittbrettfahrerei mit viel Aufwand zu beenden versucht. Dabei entfällt aber völlig, was die Lizenzgebühren
auf Verpackungen ohnehin nur unbefriedigend leisten:
Lenkungswirkung und Produktverantwortung.
In welcher Situation sind wir denn heute? Was sind
die Schlagworte in jeder Umweltdebatte? Es sind CO2Reduktion, Energieeffizienz, Ressourcenschonung und
Ressourcenverknappung. 10 Prozent des Erdöls, das in
Deutschland verbraucht wird, fließen in die Herstellung
immer neuer Kunststoffprodukte. Von einer echten
Kreislaufwirtschaft sind wir genauso weit entfernt wie
von einer ressourceneffizienten Wirtschaftsweise.
({0})
Gleichzeitig ziehen die Preise für Sekundärrohstoffe
an, weil Primärrohstoffe auf dem Weltmarkt knapp werden. Uns allen geläufige Beispiele dafür sind Metalle
und Papier. Wir können davon ausgehen, dass wir in absehbarer Zeit eine lange Reihe von Beispielen aufzuzählen haben werden. Der Markt reagiert hier nicht vorsorgend. Das ist Aufgabe der Politik.
In der Abfallpolitik sind wir in Deutschland besser als
viele andere Länder. Das heißt aber nicht, dass wir gut
wären oder die Aufgaben der Zukunft bereits im Blick
hätten. Wir brauchen eine echte Kreislaufwirtschaft und
eine echte Produktverantwortung. Sich mit circa 1,6 Milliarden Euro im Jahr und einem System sich selbst generierender Novellierungen um Verpackungen zu kümmern, ist nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Wir schlagen
Ihnen den Abschied von der ökologisch nicht optimierbaren, ökonomisch viel zu teuren und sich im Übrigen
bei allen Bemühungen dem Wettbewerb hartnäckig widersetzenden Verpackungsverordnung vor.
({1})
Klima- und Ressourcenschutz verlangen, dass wir uns
um die Wertstoffe kümmern. Also brauchen wir eine
Wertstoffverordnung. Klima- und Ressourcenschutz verlangen eine energie- und ressourcensparende Produktionsweise. Also brauchen wir ein Lenkungsinstrument,
das Herstellern ökonomische Vorteile für die Produktion
langlebiger und kreislauffähiger Produkte verschafft.
Unser Konzept sieht folgendermaßen aus: Kern ist
eine Ressourcenabgabe mit Lenkungswirkung auf perspektivisch alle Produkte anstelle von Lizenzgebühren
auf Verpackungen, die inzwischen einem Ablasshandel
ähneln. Berechnet und erhoben wird die Ressourcenabgabe von einer öffentlich-rechtlichen und damit unabhängigen Ressourcenagentur, die das inzwischen zu
Recht umstrittene DSD ablöst. Bezahlt wird sie von Produzenten sowie von Importeuren, um Wettbewerbsnachteile auszuschließen.
Das Entscheidende sind die Kriterien, nach denen
sich die Höhe der Ressourcenabgabe richtet. Dabei geht
es um das Vorkommen im Abfall, also die Lang- oder
Kurzlebigkeit des Produktes, um seine Kreislauffähigkeit, also ob es leicht auseinanderzunehmen und wiederzuverwerten ist, oder darum, ob das Produkt vielleicht
sogar schon aus einem Sekundärrohstoff hergestellt
wurde. Nach diesen Kriterien gestaffelt bekommt die
Ressourcenabgabe eine ökologische Lenkungsfunktion
und definiert Produktverantwortung im eigentlichen
Sinn.
({2})
Auf kurzlebigen Billigplunder wird eine hohe Ressourcenabgabe erhoben, während sie bei einem langlebigen, kreislauffähigen Produkt gegen null gehen kann.
Eine Frage, die Sie sicher aufwerfen werden und die
auch wir uns natürlich gestellt haben, ist die nach dem
bürokratischen Aufwand. Nein, wir Grünen sind keine
Freunde von Bürokratie. Aber wir wissen auch, dass berechtigte Schutzinteressen nicht immer mit wenigen Federstrichen zu regeln sind.
Im Hinblick auf die Materialzusammensetzung von
Produkten trifft die Produzenten eine zusätzliche Berichtspflicht. Aber sie hält sich in zumutbaren Grenzen.
Jeder Produzent von bearbeiteten Nahrungsmitteln ist
verpflichtet, die Inhaltsstoffe seines Produktes aufzulis16216
ten; das geht also. Bedenken Sie bitte zudem, dass auch
die heutige Verpackungsverordnung durchaus nicht ohne
Bürokratie auskommt. Neuerdings kommt noch die abzugebende Vollständigkeitserklärung hinzu.
Tatsächlich vereinfacht die Wertstoffverordnung vieles. Das System ist transparent, verständlich und in sich
logisch; all das hat die Verpackungsverordnung längst
hinter sich gelassen. Vor allem aber ist es zukunftsfähig.
Eine Wertstoffverordnung kann entscheidend dazu beitragen, dass Produkte anders designt werden, entlang der
Maßstäbe, die für die Zukunft entscheidend sind: CO2Einsparung, Energieeffizienz und Ressourcenschonung.
Vorausschauende Abfallpolitik muss schon heute Ressourcensicherung sein.
({3})
Das Wort hat nun Michael Brand, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nach der Novelle ist vor der Novelle, das haben wir bereits bei der Verabschiedung der 5. Novelle zur Verpackungsverordnung vor ein paar Wochen im Plenum festgestellt. Die Novelle ist erst vor wenigen Tagen im
Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und wird zum
1. Januar 2009 in Kraft treten. Dass es auch nach der
5. Novelle zum Teil konträre Positionen geben würde,
war allen Beteiligten schon während des Verfahrens klar.
Dennoch gibt es in diesem Hause mit Blick auf die langfristige Ausrichtung der Abfallwirtschaft eine Reihe
wichtiger Gemeinsamkeiten. Das ist ein Beleg dafür,
dass in dieser Frage ein verantwortliches Klima herrscht.
Wir, die CDU/CSU, sind für eine Produktverantwortung, die ernst genommen wird. Wir haben die individuelle, an die Unternehmen gerichtete Produktverantwortung nicht nur als eine für Verpackungen verstanden. Wir
haben sie immer so verstanden, dass es Anreize geben
muss, um die Produzenten bzw. Hersteller zu veranlassen, schon zu Beginn des Kreislaufs, also bei der Herstellung eines Produkts, an die Verwertung zu denken
und eine möglichst ressourcenschonende Produktionsweise zu verfolgen. Auf diesem Feld hat es bei der ökonomischen Erschließung von ökologischen Potenzialen
große Fortschritte gegeben.
Heute liegt uns ein Antrag vor, der einige Positionen
beinhaltet, die mit denen der CDU/CSU grundsätzlich
identisch sind. Die schwarz-grünen Übereinstimmungen
haben sich auch gestern im Hessischen Landtag gezeigt,
({0})
als mein Ministerpräsident Roland Koch angekündigt
hat - das habe ich mit sehr großer Freude zur Kenntnis genommen -, Hessen zum Musterland erneuerbarer Energien machen zu wollen.
({1})
- Roland Koch ist dafür bekannt, dass er das, was er ankündigt, auch tut, lieber Herr Kollege Hoyer.
({2})
Letztlich sollte man jeden an seinen Taten messen und
nicht an seinen Zwischenrufen.
Lassen Sie mich auf den Antrag zurückkommen. Zu
den Gemeinsamkeiten von Schwarz und Grün zählt auch
das Thema Ressourcenschonung. Die Union tritt an dieser Stelle für die Bewahrung der Schöpfung ein. Das ist
es, was uns in diesem Punkt mit den Grünen verbindet.
Auch bei globalen Steuerungs- und Lenkungsmechanismen wie der Abgabe war und bleibt die Union prinzipiell
offen für durchdachte und belastbare Konzepte. Auch
hier gilt, wie im Übrigen bei der geltenden Systematik
der Verpackungsverordnung: Man achte auf die Nebenwirkungen und erkenne frühzeitig den Teufel im Detail.
Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie selbst haben deutlich gemacht, wo der Teufel im Detail steckt.
Was bei der Lektüre Ihres Konzepts allerdings überrascht, ist der überbürokratisierte Ansatz, den die Grünen für die Umsetzung gewählt haben. Da ist von einer
Agentur die Rede, die in bürokratischer Machtfülle alle
Produkte listet und einstuft, ihnen eine Abgabenhöhe zuweist und auch noch die Ausschreibung und Sammlung
durchführt bzw. überwacht.
({3})
Da ist mehr als Skepsis angebracht; denn schon heute
müssen wir mit sehr umstrittenen Schätzungen leben,
wenn es um die Berechnung von Recyclingquoten für
wenige Stoffgruppen geht.
Mit dem Ansatz, den Sie vorschlagen, würden wir die
individuelle Produktverantwortung indirekt aushebeln zugunsten eines kollektiven Systems.
({4})
Wenn zum Beispiel die Quote eines Produkts im Abfall
über dessen Abgabehöhe entscheidet, dann wird der umweltbewusste Produzent mit abgestraft für diejenigen,
die nicht ressourcenschonend produzieren und ihre weniger ökologisch erstellten Produkte in den Abfall kippen lassen.
({5})
Das würde in der Konsequenz den Anteil dieser Produkte am Abfall erhöhen. Nach dem Konzept der Grünen würden so auch die Kosten für umweltbewusste Produzenten in die Höhe getrieben. Das kann nicht der
richtige Weg sein.
({6})
Dermaßen überbürokratisierte Ansätze führen bekanntlich häufig zu Monopolisierungstendenzen. Wenn
ich Ihr Konzept richtig gelesen habe, wollen Sie aber gerade, dass das Beispiel „Monopol und DSD“ nicht fortgesetzt wird. Auch was die Verpackungsverordnung und
die Verhinderung von Monopolen angeht, gibt es also
große Gemeinsamkeit zwischen Grün und Schwarz; das
will ich sehr wohl anerkennen.
Dass Sie den Kommunen über Ihre Abgabe die Müllgebühren und damit natürlich auch die dezentrale kommunale Abfallwirtschaft aus der Hand nehmen wollen,
findet - da bin ich mir mit dem Kollegen Bollmann von
der SPD wahrscheinlich einig - vielleicht den Beifall der
großen Entsorgungskonzerne. Doch für die Kommunen
und für die Arbeitsplätze beim regional verankerten Mittelstand ist das nicht das richtige Signal.
({7})
Insgesamt findet sich in der aktuellen Fassung der
Wertstoffstrategie der Grünen ohnehin zu wenig Subsidiarität, und das, wo Subsidiarität den Grünen doch sonst
so wichtig ist. Daraus spricht erstaunlich wenig Zutrauen
in fairen Wettbewerb. Dabei haben wir funktionierende
Märkte, die eine Vielzahl vor allem mittelständischer
Spezialisten und fairen Wettbewerb aufweisen. Das gilt
nicht nur für das aktuell heiß begehrte Altpapier; das gilt
auch für Glas, für Stahlschrott, eine Reihe von Kunststoffen und Elektroaltgeräte. Insofern ist es keine parteipolitische Taktik, wenn wir den Kollegen von den Grünen ans
Herz legen, die Prinzipien der Ressourcenschonung weiter zu verfolgen, die konkreten Ableitungen aber nochmals auf ihre Nebenwirkungen zu überprüfen. Wir als
CDU/CSU empfehlen Ihnen mehr Vertrauen in fairen
Wettbewerb und weniger Bürokratie.
({8})
Eine Debatte zum Thema Verpackungen können wir
nicht führen, ohne die akute Krise des ökologisch vorteilhaften Mehrwegsystems zu besprechen, die der Bundesumweltminister trotz Mahnung - das will ich hier
sehr deutlich sagen - mit der letzten Novelle nicht lösen
wollte. Beim Mehrweg kämpfen wir heute mit den fatalen Nebenwirkungen früherer Entscheidungen. Als wir,
die Union, für die Abgabe eingetreten sind, hat die damalige rot-grüne Bundesregierung mit dem Pfand auf
Einweg die Grenze zum ökologisch wertvolleren Mehrweg in den Augen der Verbraucher verwischt und das
Tor zum Einweg weit aufgerissen. Die Verbraucher sind
von Mehrweg zu Einweg abgewandert, ohne es zu wissen; denn Einweg und Mehrweg sind am Pfand kaum
mehr zu unterscheiden. Die Krise treibt die vor allem
mittelständischen Mineralbrunnen in existenzielle
Schwierigkeiten. Die CDU/CSU hat den Bundesumweltminister ein ums andere Mal gedrängt, die Mehrwegquote in der Verpackungsverordnung zu retten. Heute ist
festzuhalten: Wenn der Bundesumweltminister nicht
sehr zeitnah entsprechende Maßnahmen auf den Weg
bringt, dann droht vielen Betrieben mitsamt ihren oftmals in ländlichen Regionen befindlichen Tausenden
von Arbeitsplätzen das Aus.
({9})
- Deswegen spreche ich das kritisch an. Es gibt durchaus
Nuancen in der Politik der Großen Koalition. Wenn das
irgendwo der Fall ist, dann hier.
({10})
Diese Betriebe sind bei der Befüllung und Rückholung ihrer Flaschen auf das Mehrwegsystem angewiesen. Sie können nicht mal eben zweistellige Millionenbeträge investieren wie die Lieferanten von Aldi und
Co., um ihre Produktion umzubauen. Das ist einer der
schweren Nachteile, mit denen die mittelständischen
Unternehmen zu kämpfen haben. Der Bundesumweltminister kann angesichts dieser Dramatik nicht, wie er es
angekündigt hat, bis 2010 warten; dann könnte er nur
noch den Tod des Mehrwegsystems feststellen. Herr
Bundesminister Gabriel, wir bitten Sie: Reagieren Sie
hier bitte nicht schwerfällig! Bewegen Sie sich, helfen
Sie dem Mehrwegsystem!
({11})
Für heute also gilt: Die CDU/CSU drängt auf die Rettung des Mehrwegsystems. Wir lehnen den Grünen-Antrag zur Wertstoffverordnung ab. Bei allem eigenen Engagement für Umwelt und Bewahrung der Schöpfung
sehen wir als Union noch einigen Prüfungsbedarf. Es
gibt in dem Antrag der Grünen Irrwege; auf die sollten
wir als Parlament die Bundesregierung nicht schicken.
Herzlichen Dank.
({12})
Das Wort hat nun Horst Meierhofer, FDP-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
haben erst vor kurzer Zeit über die 5. Novelle zur Verpackungsverordnung gesprochen. Es war zu erwarten, dass
das weitergeht; doch dass dies so schnell der Fall sein
würde, konnte man nicht ahnen. Wir haben bei der Diskussion über die 5. Novelle unsere Ideen eingebracht,
wie eine sachgerecht novellierte Verpackungsverordnung aussehen könnte. Sie sind leider nicht berücksichtigt worden, trotz aller möglichen Irritationen, die es
aufseiten der Umweltpolitiker vor allem der Union gab.
Bei der Verpackungsverordnung fängt die eigentliche
Arbeit, nämlich die grundsätzliche Modernisierung des
derzeitigen Systems, erst an.
Ich kann feststellen, dass in der FDP genauso wie bei
den Grünen große Übereinstimmung besteht, wenn es
darum geht, die Probleme zu benennen. Ich habe manchmal das Gefühl, dass auch Teile der Koalition, zum Beispiel die CSU oder das Wirtschaftsministerium, erkannt
haben, dass hier mit wenig wirtschaftlicher Vernunft ein
sehr teures System unterhalten wird. Das hat man aber
nicht gemerkt, als es um die 5. Novelle zur Verpackungsverordnung ging; das ist schade. Im Antrag der
Grünen werden in der Analyse einige richtige Punkte
dargestellt.
Wir sind ebenfalls grundsätzlich davon überzeugt,
dass die Verpackungsverordnung in der momentanen
Fassung konzeptionell überholt, unflexibel, extrem kostspielig und zumindest ökologisch widersinnig ist.
({0})
Wir sind uns auch darin einig, dass es in Zeiten knapper Ressourcen keinen Sinn macht, danach zu differenzieren, welche Form ein bestimmtes Plastikteilchen hat.
Wir haben in unserem Antrag als Beispiele die Shampooflasche und die Quietscheentchen genannt. Frau
Kotting-Uhl hat geschrieben:
Doch auch die Kunststoffsammlung folgt nicht dem
„gesunden Menschenverstand“.
Das ist sicherlich richtig. - Wir sind uns auch einig, dass
es ein erster Schritt sein könnte, der aber bei weitem
nicht ausreicht und im Endeffekt nur ein Tropfen auf
dem heißen Stein ist, dass die Kommunen nun die Möglichkeit haben, auch andere Materialien, nämlich stoffgleiche Nichtverpackungen, in der Gelben Tonne zu
sammeln. Das reicht aber bei weitem nicht, um die Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen.
({1})
Man kann sagen, dass eine grundlegende Neuausrichtung der Ressourcen- und Abfallpolitik von uns als FDP
insgesamt befürwortet wird - das scheint auch bei den
Grünen so zu sein - und dies durch das derzeitige System der Verpackungsverordnung nicht geleistet werden
kann. Wir würden uns freuen, wenn die Große Koalition
in der Lage wäre, das anzuerkennen. Herr Brand hat ja
darauf hingewiesen.
Vor kurzer Zeit gab es jedoch noch eine Übereinstimmung zwischen der SPD und der CDU/CSU hinsichtlich
der 5. Novelle, mit der genau das Gegenteil erreicht
wurde, nämlich die Manifestierung des alten Zustandes.
Deswegen fehlt mir ein bisschen der Glaube, dass hier
tatsächlich der Wille vorhanden ist. Es kann aber im
Windschatten von Roland Koch als Umweltpolitiker
noch einiges passieren. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
({2})
Ich habe jetzt dargestellt, wo wir mit den Grünen
übereinstimmen. Bevor meine Fraktion Probleme bekommt, muss ich auch noch darstellen, an welchen Stellen es Unterschiede gibt.
({3})
Die Unterschiede zwischen uns liegen in den Lösungsansätzen.
Wenn man ein modernes und zeitgemäßes Verfahren
will, dann ist weniger Staat nötig. Genau das Gegenteil
scheint bei Ihrem Verfahren der Fall zu sein. Ich glaube,
durch die Verwirklichung Ihrer Vorschläge würden wir
mehr Staat erreichen; es gäbe mehr Bürokratie.
Eine Ressourcenabgabe wird natürlich auch erst einmal zu einer Mehrbelastung führen, was ebenfalls nicht
unbedingt zu den gewünschten Effekten führt. Ich
glaube, wenn der Staat festlegt, welche Abgaben an welcher Stelle bezahlt werden müssen, dann wird es eher
undurchsichtig, kompliziert und vermutlich auch sehr
viel teurer.
({4})
Wir als FDP haben im Herbst letzten Jahres eine Antwort vorgeschlagen und gesagt, dass wir es uns gut vorstellen können, ein Mengensteuerungsmodell einzuführen und mit Quoten zu arbeiten.
({5})
Wir glauben, dass der Umweltschutz damit flexibler und
marktorientierter gestaltet werden könnte. Ich kenne den
Vorwurf, dass mehr Markt zwangsläufig zu weniger
Umweltschutz führen würde. Das ist natürlich Unsinn,
weil wir die Quoten festlegen würden. So könnte man
mindestens genauso gute Ergebnisse erzielen wie mit einer Ressourcenabgabe, wenn nicht sogar noch bessere.
Insgesamt soll es ein vernünftiges Konzept sein, das für
alle Bereiche gilt.
Es stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, an der einen Stelle eine Abgabe zu schaffen und an der anderen
Stelle - wie beim EEG - eine Zertifizierung einzuführen. Das sind unterschiedliche Systeme, die überhaupt
nicht zusammenpassen. Deswegen entfalten sie auch
nicht die Wirkung, die sie entfalten könnten, wenn man
einheitlich vorginge. Ich glaube, hier fehlt es auch ein
bisschen am grundsätzlichen Verständnis.
({6})
Unsere Idee ist sehr grundsätzlicher Natur. Deshalb
ist es auch nicht möglich, sie sofort umzusetzen, weswegen wir eine Übergangsfrist wollen. Das fehlt mir bei Ihrem Antrag, Frau Kotting-Uhl. Wir wissen natürlich,
dass es sehr viele Mittelständler gibt, die sich auf die jetzige Situation eingestellt und ihre Geschäftsmodelle in
der Entsorgungsbranche auf das Duale System abgestimmt haben. Man kann sie natürlich nicht von heute
auf morgen einer vollkommen neuen Situation aussetzen. Deswegen glaube ich, dass es vernünftig wäre,
mehr Öffnungsmöglichkeiten im bestehenden System
zuzulassen, zum Beispiel die Möglichkeit zu eröffnen, in
verschiedenen Kommunen von diesem System abzuweichen, und in den Kommunen, in denen das jetzige System gut funktioniert, es weiterhin bestehen zu lassen.
Das könnte einen langsamen, sanften und sowohl ökologisch als auch ökonomisch vertretbaren Übergang ermöglichen. Dafür wollen wir uns einsetzen.
({7})
Ich glaube schon, dass es möglich ist, zu gemeinsamen Lösungen zu kommen, weil wir alle gemeinsam das
Problem sehen. Wenn wir die Scheuklappen ablegen, haben wir die Möglichkeit, einen wirklich großen Wurf zu
machen, und zwar nicht einen in den Gelben Sack, sondern einen, der uns alle sehr viel weiterbringt. Ich freue
mich auf die Beratungen.
Danke.
({8})
Das Wort hat nun Gerd Bollmann, SPD-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Um vorweg eines deutlich zu machen: Deutschland
nimmt im europäischen und internationalen Vergleich
bei der Verpackungsverwertung eine Spitzenstellung ein.
Daran waren im Laufe der Jahre alle - Christdemokraten, Grüne und Sozialdemokraten - beteiligt. Das sollten
wir der gesamten Diskussion vorwegschicken.
({0})
Ressourcenschonung und Materialeinsparung durch
eine weiterentwickelte Kreislaufwirtschaft sind auch das
Ziel der SPD. Abfallwirtschaft bedeutet nicht mehr die
möglichst hygienische und umweltfreundliche Beseitigung von Müll, und auch Vermeidung ist nicht mehr das
alleinige Kriterium.
Eine moderne Abfallwirtschaft beginnt bei der Produktion. Das Produktdesign sollte so gestaltet sein, dass
zum Ende des Lebenszyklus eine technisch einfache und
fast vollständige Wiederverwertung möglich ist. Gleichzeitig sollte der Einsatz von Rohstoffen und Energie so
gering wie möglich sein. Dies ist nicht nur im Sinne der
Umwelt, sondern angesichts hoher Energie- und Rohstoffpreise auch ökonomisch sinnvoll. Das Ziel dieses
Antrags, die Ressourcenschonung zu verbessern, ist daher völlig richtig. Viele Aspekte, die angesprochen werden - zum Beispiel mehr Recycling und Herstellerverantwortung -, sind lobenswert.
Den vorgeschlagenen Weg, diese Ziele zu erreichen,
halten wir aber in der beschriebenen Form für falsch.
Mit einer Ressourcenabgabe soll ein ökologisch nachteiliges Produkt von kurzer Haltbarkeit gegenüber einem
aus gut recyclebarem Material hergestellten Produkt
deutlich verteuert werden. Die Abgabenhöhe soll nach
mehreren Kriterien festgelegt werden. Höheres Vorkommen im Abfall und Verwendung von Primärrohstoffen
sollen die Abgabe erhöhen. Ebenso soll schlechte Recyclingfähigkeit zu einer höheren Abgabe führen. Gleichzeitig sollen der Marktwert von den aus Produkten gewonnenen Sekundärrohstoffen und der Einsatz von
Sekundärrohstoffen bei der Produktion die Abgabenhöhe verringern.
Allein diese Aufzählung zeigt die Problematik. Ich
frage mich, wie so etwas funktionieren soll. Es gibt Millionen von Produkten. Soll an jedem Produktionsstandort ein Kontrolleur stehen, um festzustellen, ob und in
welcher Menge Primär- oder Sekundärrohstoffe eingesetzt werden? Oder sollen alle Produkte und die Produktionsart zertifiziert werden? Wer soll das entscheiden?
Wie soll das kontrolliert werden?
So ehrenwert das Ziel einer ressourcensparenden Recyclingwirtschaft ist - der vorgeschlagene Weg ist nicht
praktikabel. Alleine um die Durchführung zu organisieren, müsste eine riesige Bürokratie aufgebaut werden.
Dabei ist ein Missbrauch nicht auszuschließen. Wer soll
überprüfen, ob Sekundärrohstoffe verarbeitet wurden?
Oder andersherum: Man muss sich auf die Angaben der
Hersteller verlassen. Damit ist dem Betrug Tür und Tor
geöffnet.
({1})
Die gerade geschilderten Probleme betreffen nur die
Produktion in Deutschland. Wie soll das erst bei Importen funktionieren? Wer will kontrollieren, ob Spielzeug
aus China aus Kunststoffrecyclaten oder Primärstoffen
hergestellt wurde?
Was ist im Übrigen, wenn eine Produktion aus Sekundärrohstoffen wesentlich energieintensiver ist als eine
aus Primärrohstoffen? Was ist, wenn durch die Verwendung von Primärrohstoffen die Produktion in großem
Maße energieeffizienter ist? Was zählt dann mehr: die
Energieeinsparung oder die Verwendung von Sekundärrohstoffen? Was ist mit unserer Wettbewerbsfähigkeit,
wenn wir unsere Produkte verteuern?
Wie wird Recycling in der Recyclingwirtschaft bewertet? Ich lese in Ihrem Antrag wieder das ominöse
Wort Downcycling. Ist Recycling wirklich nur dann gut,
wenn zum Beispiel aus Flaschen wieder Flaschen und
aus Spielzeug wieder Spielzeug wird? Ist es schlecht,
wenn aus Kunststoffrecyclaten zum Beispiel Kleidung
oder andere Gebrauchsgüter hergestellt werden, um damit Rohöl zu sparen? Soll bei Downcycling etwa die
Ressourcenabgabe höher sein?
Wir müssen zwar die Kreislaufwirtschaft stärken,
aber der vorgeschlagene Weg ist unrealistisch.
({2})
Es gibt viele, zu viele offene Fragen. Durchführung und
Kontrolle sind in der Praxis nicht möglich. Für eine Verbesserung der Ressourcenschonung sind vielmehr viele
einzelne Schritte notwendig: einzelne Auflagen, Aufklärung, eine bessere Sammlung, Forschungsförderung und
vieles mehr. Es gilt - darauf wurde bereits hingewiesen -,
die Gelbe Tonne zur Wertstofftonne weiterzuentwickeln,
wie es in der 5. Novelle zur Verpackungsverordnung
vorgesehen ist. Dazu kann eine Kennzeichnung als ökologisch vorteilhaftes Produkt gehören. Dazu gehört der
Zwang zur weitestgehenden stofflichen Wiederverwertung des Abfalls. Dazu gehören auch Überlegungen
- darauf hat Herr Brand gerade hingewiesen -, insbesondere im Hinblick auf die wegbrechenden Quoten bei den
Mehrwegverpackungen auf ökologisch nicht vorteilhafte
Einwegverpackungen eine Abgabe zu erheben. Im Übrigen werden wir uns um die Erfindung des Pfandes nicht
streiten. Es gibt sicherlich andere, die darauf ein Anrecht
haben. Vor langer Zeit ist die SPD für eine Abgabe eingetreten. Dann kamen verschiedenste Pfandregelungen,
die schließlich von Rot-Grün konsequent umgesetzt
wurden. Das ist die richtige Reihenfolge.
({3})
Ich weiß, dass ein solcher Weg mühsam ist. Aber er
ist der einzig mögliche Weg. Wir müssen nämlich Wirtschaftlichkeit und Wettbewerbsfähigkeit beachten.
Ebenso müssen wir den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt berücksichtigen. Was heute ökologisch gut ist, kann morgen überholt sein. Wichtig sind
aber vor allem Durchführbarkeit und Durchsetzbarkeit.
Wir tun dem ökologischen Gedanken der Recyclingwirtschaft keinen Gefallen, wenn wir Gesetze verabschieden, deren Durchsetzung wir nicht garantieren können.
Wir wollen die Abfallwirtschaft zu einer nachhaltigen,
ressourcenschonenden Stoffwirtschaft weiterentwickeln. Die Verpackungsverordnung - mit deren Evaluierung und Weiterentwicklung noch in diesem Jahr mit einem Forschungsvorhaben begonnen werden - wird ein
Element dieser Politik sein.
Wir laden die Antragsteller ein, sich an der Fortsetzung des Dialogs über die Weiterentwicklung der Abfallwirtschaft zu einer Stoffwirtschaft zu beteiligen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Nun hat Kollegin Bulling-Schröter, Fraktion Die
Linke, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
5. Novelle zur Verpackungsverordnung hatte kaum ökologische Komponenten. Es ging nur darum, Verzerrungen im Wettbewerb und Missbrauchsmöglichkeiten auszuräumen. Die Linke hatte die Novelle deshalb
abgelehnt. Schließlich wurde unserer Meinung nach die
Chance vertan, die Verordnung umweltpolitisch weiterzuentwickeln, und zwar erstens um der dramatisch sinkenden Mehrwegquote bei Getränkeverpackungen entgegenzuwirken - dieses Thema wurde schon
angesprochen - und zweitens um aus der Verpackungsverordnung eine Wertstoffverordnung zu machen. Aus
diesem Grunde unterstützen wir den Antrag der Grünen
grundsätzlich.
Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher ist
es tatsächlich wenig logisch, dass Spülflaschen in die
Gelbe Tonne gehören, nicht aber Gießkannen, Kinderbadewannen und kleine Entchen aus ähnlichem Material.
Es macht auch ökologisch keinen Sinn, wenn stoffgleiche Nichtverpackungen in die Graue Tonne des Restabfalls zu werfen sind. Damit befinden sie sich nämlich in
einem Stoffstrom, der primär nicht dafür gedacht ist, effizient Wertstoffe zu erfassen und zu recyceln. Die Betreiber von biologisch-mechanischen Anlagen zum Beispiel könnten auf die anfallende heizwertreiche Fraktion
solcher nichtorganischer Stoffe verzichten. Zudem ist
das DSD - weil hier Wertstoffe eben nicht von vornherein möglichst sortenrein getrennt werden - im Wesentlichen auf Downrecycling - es gibt noch andere Möglichkeiten - oder auf Verbrennung angelegt. Mit
Ressourcenwirtschaft hat das unserer Meinung nach sehr
wenig zu tun.
Schließlich macht die Unterscheidung nach Herkunft
statt nach Stoff auch ökonomisch wenig Sinn. Ich
glaube, die wenigsten wissen genau, was laut Gesetz in
die Tonnen des DSD und was in die Tonnen der kommunalen Reststoffentsorgung gehört. Die Fehlwürfe bei
Verpackungen bürden den Bürgern jedoch über die Abfallgebühren noch einmal Kosten auf, die sie über den
Grünen Punkt, das Interseroh oder über andere DSDSysteme längst bezahlt haben.
Aus all diesen Gründen sind wir sehr dafür, aus der
Verpackungsverordnung eine ökologische Wertstoffverordnung zu machen, die schrittweise die Produktverantwortung der Hersteller auf alle Produkte ausweitet.
({0})
Ich möchte abschließend die Gelegenheit nutzen, um
auf zwei aktuelle Entwicklungen im Abfallbereich aufmerksam zu machen, die einer Ressourcenwirtschaft
Hohn sprechen. Zunächst ist da der Boom bei der Planung und beim Bau sogenannter Ersatzbrennstoffkraftwerke. Industrieunternehmen wie Holzverarbeitungsund Papierverarbeitungsbetriebe bauen Heizkraftwerke,
die mit eigenen Produktionsabfällen beschickt werden
sollen. So weit, so gut. Leider sind die Rahmenbedingungen derart, dass die Anlagen aus Sicht einer nachhaltigen Abfallwirtschaft vollkommen überdimensioniert
sind. Sie werden nicht im Entferntesten mit eigenen Abfällen gefüttert werden können. In Brandenburg etwa
sind Anlagen in Betrieb, in Bau oder in Planung mit einer Gesamtkapazität von 3 Millionen Jahrestonnen. Das
ist das Sechsfache dessen, was an Ersatzbrennstoffen im
Land anfällt. Hier steht ein gigantischer Mülltourismus
bevor, nicht nur in Brandenburg. Wir wissen um den
Mülltourismus; dafür gibt es viele Beispiele.
Zudem scheint Ostdeutschland zur Müllkippe der Nation zu werden. Weil laut Einigungsvertrag im Osten
- und nur im Osten - Kies- und Tongruben dem Bergrecht unterliegen, ist hier offensichtlich die Abfallablagerungsverordnung ausgehebelt. Die unabgedichteten
Gruben werden mit gemischten Siedlungsabfällen bis
hin zum Giftmüll aus ganz Deutschland verfüllt; Sie haben sicherlich den Bericht im Fernsehen darüber gesehen. Das halte ich für einen Skandal. Wir sollten uns
schnellstmöglich damit beschäftigen und das abstellen,
und zwar gemeinsam. Ich denke, das ist dringend notwendig.
({1})
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/8537 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
verstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 10 a
und 10 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung wehrrechtlicher und anderer
Vorschriften ({0})
- Drucksache 16/7955 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({1})
- Drucksache 16/8640 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Robert Hochbaum
Rolf Kramer
Birgit Homburger
Dr. Hakki Keskin
Winfried Nachtwei
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses ({2}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kai
Gehring, Winfried Nachtwei, Grietje Bettin, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Wehrpflichtige in Studium und Ausbildung
vollständig vor Einberufung schützen
- Drucksachen 16/8044, 16/8640 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Robert Hochbaum
Rolf Kramer
Birgit Homburger
Dr. Hakki Keskin
Winfried Nachtwei
Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Rolf
Kramer für die SPD, Birgit Homburger für die FDP, Paul
Schäfer für die Fraktion Die Linke, Winfried Nachtwei
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Bundesminis-
ter Franz Josef Jung für die Bundesregierung.1)
Wir kommen damit zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Ge-
setzes zur Änderung wehrrechtlicher und anderer Vor-
schriften. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter
Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8640,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 16/7955 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. -
Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich? - Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der Grünen bei Stimmenthaltung der
FDP angenommen.
1) Anlage 2
Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie in der
zweiten Beratung angenommen.
Tagesordnungspunkt 10 b: Beschlussempfehlung des
Verteidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Wehrpflichtige
in Studium und Ausbildung vollständig vor Einberufung
schützen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 2 seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8640, den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 16/8044 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? - Gegenprobe! - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Frak-
tionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 d auf:
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Finanzierungsberatung für Studierwillige und
Studierende
- Drucksache 16/8196 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({3})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Barth, Cornelia Pieper, Patrick Meinhardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Förderung von Studierenden durch Aufbau eines nationalen Stipendiensystems
- Drucksache 16/8407 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({4})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Hirsch, Dr. Petra Sitte, Dr. Lukrezia Jochimsen,
Volker Schneider ({5}) und der Fraktion
DIE LINKE
Studienfinanzierung ausbauen - Soziale Hürden
abbauen
- Drucksache 16/8741 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({6})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Priska Hinz ({7}), Krista Sager,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Auswirkungen von Studiengebühren evaluieren - Monitoringsystem umgehend aufbauen
- Drucksache 16/8749 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung ({8})
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Marion Seib und Monika Grütters für die CDU/CSU,
Jörg Tauss für die SPD, Uwe Barth für die FDP, Cornelia
Hirsch für die Linke und Kai Gehring für Bündnis 90/
Die Grünen.1)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den
Drucksachen 16/8196, 16/8407, 16/8741 und 16/8749 zur
federführenden Beratung an den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung sowie zur
Mitberatung an den Ausschuss für Wirtschaft und Tech-
nologie, den Ausschuss für Arbeit und Soziales sowie an
den Ausschuss für Familien, Senioren, Frauen und Ju-
gend vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? -
Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
schlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:
a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({9})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Anette
Hübinger, Dr. Christian Ruck, Dr. Wolf Bauer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Sascha
Raabe, Gabriele Groneberg, Stephan Hilsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der
SPD
Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaften zwischen der EU und den AKPStaaten - Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität
- zu dem Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel,
Hüseyin-Kenan Aydin, Monika Knoche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik
statt Freihandelsdiktat
- zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Marieluise Beck ({10}), weiterer
1) Anlage 3
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKPStaaten entwicklungsfreundlich gestalten
- zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag für eine Verordnung des Rates
mit Durchführungsbestimmungen zu den
Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen oder der zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen führenden Abkommen
für Waren mit Ursprung in bestimmten
Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas,
des karibischen Raums und des Pazifischen
Ozeans ({11}) gehören
KOM ({12}) 717 endg.; Ratsdok. 14968/07
- Drucksachen 16/7487, 16/7473, 16/7469,
16/7575 Nr. 1.45, 16/8244 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Hellmut Königshaus
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ({13})
zu dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Renate Künast, Fritz Kuhn und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für ein Entwicklungspartnerschaftsabkommen
der Europäischen Union ({14}) mit den Staaten
der Afrika-, Karibik-, Pazifikgruppe ({15})
- Drucksachen 16/4055, 16/4839 Berichterstattung:
Abgeordnete Anette Hübinger
Hellmut Königshaus
Thilo Hoppe
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Debatte eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Sascha Raabe, SPD-Fraktion, das Wort.
({16})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Vor gar nicht allzu langer Zeit haben wir - damit
meine ich zumindest die Entwicklungspolitiker, aber
auch die Mitglieder des Ausschusses für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz - uns hier im Plenum über die Neufassung der Nahrungsmittelhilfekonvention unterhalten. Wenn Menschen in einer Hungersnot sind, dann ist es wichtig - darin waren wir uns sehr
einig -, ihnen über das World Food Programme und über
andere humanitäre Soforthilfen erst einmal das Nötigste
zu geben, was sie brauchen, um das Überleben zu sichern.
Wir haben in der damaligen Debatte zu Recht festgestellt, dass es nicht damit getan ist, Menschen nur dann
Nahrungsmittel - ich möchte es mit dem Wort „Almosen“ bezeichnen - zu geben, wenn sie sich gerade in einer akuten Hungersnot befinden. Es sollte also nicht allein darum gehen, diesen Menschen etwas zu geben,
damit sie sich den Magen füllen können. Viel wichtiger
ist es, dass Menschen in die Lage versetzt werden, Nahrungsmittel selbst zu produzieren und sich - wie es bei
uns in Deutschland und in Europa der Fall ist - in einer
Wirtschaftsstruktur auf eigenen Füßen zu bewähren und
ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Darum geht es
heute in der Debatte über die Economic Partnership
Agreements zwischen der Europäischen Union und den
Staaten, die zur Gruppe der Staaten Afrikas, des karibischen Raums und des Pazifischen Ozeans gehören.
Mit diesen Übereinkünften werden die Bedingungen
dafür geschaffen, dass es Menschen besser geht, die in
Ländern leben, die sich aus vielerlei historischen, aber
zum Teil auch aus klimatischen Gründen in einer
schwierigen Situation befinden. Hinzu kommt, dass sich
unsere Welt auch durch den Klimawandel verändert. Wir
sehen im Fernsehen immer wieder Bilder mit verhungernden Kindern aus diesen Ländern. Wir reden hier
über eine von Hunger und Armut geprägte Region, in
der täglich fast 25 000 Menschen, vor allem Kinder, sterben.
Die Frage ist: Wie können wir dafür sorgen, dass die
Menschen in diesen Ländern an der Globalisierung partizipieren können? Wie können wir dafür sorgen, dass
nicht nur die Eliten, die Oberschicht, die Unternehmen
dort gewinnen, sondern auch die Ärmsten der Armen?
Unsere Koalitionsfraktion hat zu diesen Verhandlungen ganz bewusst einen Antrag erstellt, in dem entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaften und keine
reinen Freihandelsabkommen gefordert werden, die
meistens nur dem stärkeren Partner dienen. Wir wollen
Partnerschaftsabkommen, die eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen und die auch den ärmsten Ländern
zum Beispiel die Chance eröffnen, ihre Märkte in den
für die Armen in der Bevölkerung sensiblen Bereichen
zu schützen, etwa im Bereich der Grundnahrungsmittel
oder auch im Bereich der im Aufbau befindlichen
Dienstleistungsbetriebe.
Ende des letzten Jahres lief die Frist aus, innerhalb
der diese Partnerschaftsabkommen hätten abgeschlossen
werden sollen. Aber ich halte es für richtig, dass wir
diese Frist seitens der Europäischen Union und aufgrund
der Bemühungen der Bundesregierung, allen voran unserer für die Bundesregierung federführenden Ministerin
Heidemarie Wieczorek-Zeul, verlängert haben. Zum einen ging uns Qualität vor Schnelligkeit, und zum anderen wollten wir auch die Bedenken der ärmsten Länder
ernst nehmen und ein Abkommen abzuschließen versuchen, in denen vor allem die Wörter „Entwicklung“ und
„Partnerschaft“ gar nicht fett genug unterstrichen werden konnten.
Es ist im Dezember gelungen, mit der Karibikregion
ein umfassendes Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
abzuschließen. Mit den anderen Regionen haben wir erst
sogenannte Interimsabkommen abschließen können, die
sicherstellen sollen, dass dort durch das Auslaufen des
Cotonou-Abkommens zum 1. Januar dieses Jahres keine
gravierenden Nachteile eintreten. Mit diesen Staaten haben wir vereinbart, dass der Güterverkehr so weiterlaufen kann, wie es das Cotonou-Präferenzabkommen vorsah, und wir über die entwicklungsrelevanten Punkte
anschließend verhandeln werden.
Dazu gehören auch Bereiche, die bei manchen Partnern umstritten sind, etwa Transparenz im öffentlichen
Beschaffungswesen oder Investitionsregeln. Allerdings
sollte niemand Scheu vor diesen Themen haben, wenn
man sie richtig ausgestaltet. Sie sollen nicht so ausgestaltet werden, wie es damals bei der WTO mit den sogenannten Singapur-Themen geschah, bei denen man
Angst haben musste, dass interessierte Gruppen der Industrieländer Bedingungen schaffen wollten, um weiteren Marktzugang zulasten auch der ärmeren Bevölkerungsschichten zu erlangen. Aber niemand kann sich
dagegen wehren, dass Transparenz im Beschaffungswesen gerade für die armen Menschen in den Entwicklungsländern von Vorteil ist. Daher kann man nicht von
vornherein so tun, als sei es eine Erfindung der bösen
Europäischen Union und der Industrienationen, dies auf
die Tagesordnung zu setzen. Dies kann durchaus ein entwicklungsförderndes Thema sein, wenn man es richtig
ausgestaltet.
Ganz wichtig ist aber für uns - das ist ein Kernbestandteil unseres Antrags -, dass die ärmsten Länder einen Marktzugang bei uns bekommen, der wesentlich
weiter als das geht, was bisher der Fall war. Erinnern wir
uns: Bei dem Präferenzsystem hatten die sogenannten
Least Developed Countries, also die am wenigsten entwickelten Länder, auch schon einen quoten- und zollfreien Marktzugang in die Europäische Union. Aber was
hat denn dieser Marktzugang den 49 ärmsten Ländern
der Erde gebracht? Sie haben gar keine Kapazitäten gehabt, um ihn zu nutzen, und haben zusammen noch nicht
einmal das Handelsvolumen von Südkorea erreicht. Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir mit dem Baustein
„Aid for Trade“, der auch bei der WTO vereinbart war
und für den sich die Bundesregierung beim G-8-Gipfel
eingesetzt hat, hier zusätzliche Mittel zur Verfügung
stellen, mit denen Menschen zum Beispiel in die Lage
versetzt werden, nicht nur landwirtschaftliche Produkte
anzubauen, sondern sie auch weiterzuverarbeiten, sodass
die Wertschöpfung in den Ländern bleibt. Außerdem sollen diese Produkte mittels einer guten Infrastruktur wie
Verkehrswege, Häfen und Flughäfen zu uns gelangen
können.
Jetzt wird viel davon geredet, dass die Nahrungsmittelpreise stiegen. Das ist ein großes Problem für die
ärmsten Menschen in vielen Entwicklungsländern. Wir
sehen doch die Bilder von hungernden und verzweifelten
Menschen, die demonstrieren, woraus wiederum Unru16224
hen entstehen. Dies müssen wir ernst nehmen und aufgreifen. Aber langfristig müssen wir vor allem die
Chance nutzen, die darin liegt, dass auch afrikanische
Kleinbauern wieder gute Preise für ihre Agrarprodukte
erzielen; denn dann können sie sie wieder auf ihren lokalen Märkten verkaufen, ohne von den Dumpingpreisen
der Europäischen Union und der US-Amerikaner behindert zu werden. Das geht natürlich nur dann, wenn wir
sie in die Lage versetzen, solche Produkte anzubauen,
wenn wir ihnen also das entsprechende Know-how vermitteln. Dies tut unsere deutsche Entwicklungszusammenarbeit sehr vorbildlich. Deswegen ist es wichtig,
dass wir nicht nur heute mit dem Antrag bessere Handelsregeln schaffen, sondern wir nicht nur werden, um
die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen, auch
dafür sorgen müssen, dass diesen Menschen mit technischer und finanzieller Zusammenarbeit geholfen wird.
Deswegen bekennen wir uns als SPD-Fraktion ganz
klar zum ODA-Stufenplan und werden die Mittel für
Entwicklungszusammenarbeit entsprechend weiter erhöhen. Das ist sehr notwendig.
({0})
Wir werden im Rahmen der Haushaltsberatungen harte
Verhandlungen führen müssen - die Interessenlagen sind
natürlich unterschiedlich -, aber wir haben uns international verpflichtet und werden an dem Ziel festhalten.
({1})
Bei allen Problemen, die wir in Deutschland haben im Zusammenhang mit der Rentenerhöhung reden wir
darüber, wie problematisch es ist, dass die Beitragszahler belastet werden; zu nennen ist auch das höhere Renteneintrittsalter von 67 Jahren -, sollten wir nicht vergessen: In den Ländern, über die wir reden, in den
afrikanischen Ländern etwa, beträgt die Lebenserwartung oft nur 37 oder 38 Jahre. Angesichts dessen sollten
wir wirklich nicht so schäbig sein, über jeden Cent zu reden, den wir für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Das ist eine Verpflichtung, die wir der Menschheit
gegenüber haben, eine Verpflichtung, der wir einfach
nachkommen müssen.
Ich sage klar: Dieses Geld muss herangeschafft werden, damit wir den Menschen dort endlich ein menschenwürdiges Leben ermöglichen können, damit sie
sich selbst helfen können, damit sie in Wohlstand und
Würde leben können, wie auch wir uns das wünschen.
In diesem Sinne bitte ich Sie: Stimmen Sie dem Antrag zu! Ich wünsche mir, dass wir in der Debatte sachlich bleiben und dieses Ziel gemeinsam weiter verfolgen.
Vielen Dank.
({2})
Als Nächster hat Kollege Hellmut Königshaus, FDPFraktion, das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bewertung der drei Anträge kann man eigentlich ganz kurz
zusammenfassen. Die einen - Grüne und Linke - wollen
es nicht besser, und die anderen - die Große Koalition können es nicht besser. Sie halten es wahrscheinlich mit
Karl Valentin: Mögen täten wir ja gerne, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.
({0})
Die Linken und die Grünen beschwören die angeblichen Gefahren der Marktöffnung und ignorieren die offenkundigen Chancen, die gerade für die Entwicklungsländer in den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
liegen. Sie biedern sich mit Ihren Anträgen bei der globalisierungskritischen Szene an und machen in Wirklichkeit Wahlkampf anstatt Entwicklungszusammenarbeit.
({1})
Die Große Koalition ist da schon etwas besser - etwas. Das kann man zumindest sagen, wenn man nur den
Antrag betrachtet. Er lobt die Chancen des Handels für
die Entwicklungsländer und preist die Wichtigkeit der
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. So weit, so gut,
kann man sagen. In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Koalition, findet sich aber kein Wort dazu,
dass es die von Ihnen getragene Bundesregierung ist, die
in dieser Frage wirklich auf der ganzen Linie gescheitert
ist.
Vor genau einem Jahr hatte die Bundesregierung im
Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft die Chance, die
Verhandlungen zwischen der EU und den AKP-Staaten
zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Diese
Chance hat sie wirklich komplett vertan. Stattdessen hat
sie Zeit verplempert und unausgegorene EU-Verhaltensregeln in der Entwicklungszusammenarbeit durchgedrückt. Sie hat die Last der Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen auf - ausgerechnet - die
Portugiesen abgewälzt. Das haben übrigens auch sie
selbst so gesehen.
Sie ist vor den selbsternannten Weltverbesserern eingeknickt, die mit ihren Antiglobalisierungsdemos auch
in den Entwicklungsländern gegen den Handel mit der
EU Stimmung gemacht haben. Da hat die Ministerin gesagt: Hannemann, geh du voran! Liebe Portugiesen,
macht ihr doch die Drecksarbeit! Nehmt doch ihr die
Schwierigkeiten mit den Verhandlungen auf euch! - Die
feine Art ist das nicht. Die Ergebnisse sind entsprechend.
Daran ändern auch die Anträge nichts.
({2})
Die Bundesregierung trägt also Mitverantwortung dafür, dass bis heute kein einziges Wirtschaftspartnerschaftsabkommen unterzeichnet ist, und dafür, dass der
Handel mit den AKP-Staaten auf rechtlich unsicherer
Basis abläuft, da er den Handelsregeln der WTO widerspricht.
Es gab vorher schon hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass die Grünen und die Linke diesem Zeitgeist hinterherrennen würden; das war zu erwarten. Dass aber
auch die Bundesregierung während ihrer EU-Ratspräsidentschaft nicht die Kraft hatte, sich gegen diese Lobby
durchzusetzen, war und ist für die Entwicklungschancen
der AKP-Staaten fatal.
Besonders dramatisch ist in diesem Zusammenhang
auch, dass die Doha-Runde der Welthandelsorganisation,
der WTO, auf Eis liegt, die ja als Entwicklungsrunde besonders den Interessen der ärmsten Länder entgegenkommen sollte. Wenn der internationale Handel frei
und nach transparenten Regeln gestaltet wird, können
insbesondere für die am wenigsten entwickelten Länder gewaltige Entwicklungsmöglichkeiten entstehen,
Entwicklungsmöglichkeiten, die die Ergebnisse unserer
Entwicklungszusammenarbeit - übrigens unabhängig davon, ob es ihnen gelingt, Herrn Steinbrück noch zu
überzeugen oder nicht - um ein Vielfaches übertreffen
würden. Das zeigt alle Empirie, das zeigen alle Erfahrungen.
Offene Märkte verbessern die Entwicklungschancen
gerade der ärmsten Länder der Welt. Alle Untersuchungen belegen dies. Die Öffnung der Märkte führt zu mehr
Wohlstand, zu mehr Bildung, zu Gesundheit und zu
Rechtssicherheit, und zwar unabhängig davon, welche
Politik andere Staaten betreiben.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal
die Fakten in Erinnerung rufen. Bisher ist kein einziges
Abkommen verabschiedet worden. Die schwierigen Verhandlungen über die Investitionen, über die Transparenz,
über das öffentliche Beschaffungswesen usw. wurden
noch nicht einmal begonnen. Sie wurden nicht einmal in
der Zeit unserer EU-Ratspräsidentschaft begonnen. Wir
haben nach wie vor die Situation, dass wir gegen die
Handelsrichtlinien verstoßen und dass wir hier mit konkreten und schmerzhaften Gegenmaßnahmen der WTO
rechnen müssen. Die Bundesregierung ist noch nicht
einmal in der Lage, uns zu sagen, welche Konsequenzen
sie in diesem Zusammenhang erwartet.
({3})
Das sind die Probleme. Diese lösen Ihre Anträge hier
nicht. Wir haben genug schöne Worte gehört, wir wollen
Taten sehen. Bei den Linken und bei den Grünen kommt
das nicht zum Ausdruck. Deshalb lehnen wir die Anträge von Ihnen ab. Das wird Sie nicht überraschen.
({4})
Ich sagte es, der Koalitionsantrag enthält nichts Falsches. Er enthält aber auch zu wenig Richtiges. Deshalb
werden wir uns hier enthalten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
({5})
Das Wort hat nun Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion.
({0})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! In allen heute behandelten
Anträgen der verschiedenen Fraktionen geht es um die
Frage: Können Handel und Entwicklung sich gegenseitig begünstigen? Wir sagen Ja. In einer immer stärker
globalisierten Weltordnung gewinnen gute und stabile
Handelsbeziehungen für jedes Land immer mehr an Bedeutung. Für die am wenigsten entwickelten und ärmsten Länder stellt die Teilhabe am Welthandel eine besonders große Herausforderung, aber auch eine große
Chance dar. Hierfür brauchen diese Länder unsere Unterstützung und finanzielle Hilfen.
Für die CDU/CSU-Fraktion war deshalb der Kernpunkt von neuen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
zwischen der EU und den AKP-Staaten ihre entwicklungsförderliche Ausgestaltung über den Charakter bloßer Freihandelsabkommen hinaus. Reine Wirtschaftschancen führen keineswegs automatisch zu besseren
Entwicklungschancen für die betroffenen Menschen.
Handelspolitische Vereinbarungen müssen mit entwicklungspolitischen Instrumenten verbunden werden, um
eine abgefederte, schrittweise Integration in den Welthandel zu ermöglichen. Nur so wird es den Ländern gelingen, neue Entwicklungspotenziale für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung nutzen zu können. Mit
diesem Anspruch haben die EPA-Verhandlungen zwischen den AKP-Staaten und der EU begonnen, und wir
als CDU/CSU-Fraktion werden diesen Prozess weiterhin
kritisch begleiten.
({0})
Meine Damen und Herren, mit der Karibikregion - Herr
Raabe hat es schon erwähnt - hat es erfreulicherweise
bereits im Dezember 2007 eine Einigung über ein vollständiges Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gegeben.
Dieses enthält neben dem Güterhandel und den Bereichen Dienstleistungen und Umwelt auch ein Entwicklungshilfekapitel zu sozialen Auswirkungen und die
Schaffung eines interparlamentarischen Ausschusses.
Das ist ein Erfolg und sollte für die anderen Verhandlungen als Modell dienen. Die Interimsabkommen mit den
anderen Regionen entsprechen nun WTO-konformen
Vorschriften, Herr Königshaus. Es ist gelungen, im
Sinne der AKP-Staaten einen präferenziellen Marktzugang weiterhin zu gewährleisten.
({1})
So werden im Durchschnitt 80 Prozent des Güterhandels
über einen Zeitraum von 15 Jahren liberalisiert werden.
In Ausnahmefällen wurden Übergangsfristen von bis zu
25 Jahren vereinbart. Dieses Entgegenkommen der EU
begrüße ich aus entwicklungspolitischer Sicht ausdrücklich.
Die WTO-Konformität der Verträge, die von vielen
als ein an den Haaren herbeigezogenes Argument verschrien wurde, hat meines Erachtens eine politische Dimension, die nicht genug herausgestellt wurde. Die
größtenteils bilateral ausgestaltete Entwicklungspolitik
muss endlich in einen global gültigen Zusammenhang
gestellt werden; denn gerade für die Entwicklungsländer
sind weltweit geltende handels- und finanzpolitische Regelwerke wichtig, um sie vor der Willkür von machtpolitischen Einzelinteressen zu schützen. Gerade bei Themen wie Biodiversität und Ressourcenschutz, mit denen
sich meine Fraktion auf ihrem entwicklungspolitischen
Kongress gestern auseinandergesetzt hat, wird es für unsere Zukunft entscheidend sein, ob wir es schaffen, international verbindliche Abkommen zu vereinbaren.
({2})
Den Bedeutungszuwachs von entwicklungspolitischen Ansätzen haben wir auch dem Engagement unserer Kanzlerin zu verdanken, die immer wieder mit klaren
Worten für eine viel stärkere Verzahnung von Entwicklungspolitik mit anderen Politikfeldern plädiert. So hat
sie sich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft
maßgeblich für eine klare entwicklungspolitische Ausgestaltung der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen ausgesprochen.
Auf Initiative der deutschen Präsidentschaft hat die
EU im vergangenen Jahr ein großzügiges wie weltweit
einmaliges Marktzugangsangebot an die AKP-Staaten
beschlossen. Seit 2008 haben alle AKP-Staaten einen
zoll- und quotenfreien Zugang zu den europäischen
Märkten. Lediglich bei Reis und Zucker gibt es noch bis
2015 eine Übergangsregelung. Das war ein Meilenstein.
Die AKP-Staaten dagegen müssen ihre eigenen Märkte
nicht im gleichen Umfang öffnen. Sie können sensible
Produkte zur Ernährungssicherheit oder zum Schutz
noch nicht wettbewerbsfähiger Wirtschaftszweige von
der Liberalisierung ausnehmen oder lange Übergangsfristen wählen. Mit diesen Vereinbarungen wird das von
meiner Fraktion befürwortete Konzept einer asymmetrischen, flexiblen und entwicklungunterstützenden Marktöffnung mit politischem Inhalt gefüllt.
In den kommenden Monaten wird es nun die Aufgabe
weiterer Verhandlungen sein, die Interimsabkommen in
umfassende Wirtschaftspartnerschaftsabkommen umzuwandeln sowie parallel dazu die Umsetzung der Abkommen zu beginnen. Hierbei wird die Finanzierung der
EPA-bezogenen Anpassungsmaßnahmen an Bedeutung
gewinnen. Mit Mitteln des zehnten EEF sollen schwerpunktmäßig die regionale Integration und der Handelsbereich unterstützt werden. Darüber hinaus werden im
Rahmen von „Aid for Trade“ ab 2010 jährlich 2 Milliarden Euro für handelsbezogene Entwicklungszusammenarbeit von der EU und den Mitgliedstaaten aufgebracht.
In den nächsten Monaten muss es nun darum gehen,
diese finanzielle Unterstützung weiter zu konkretisieren.
Weitere offene Fragen sind noch zu klären, beispielsweise wie die am wenigsten entwickelten Länder
motiviert werden können, trotz des für sie bereits gültigen zoll- und quotenfreien Marktzugangs aufgrund der
„Everything but Arms“-Initiative der EU den regionalen
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen beizutreten, oder
wie ein begleitendes Monitoringsystem eingeführt werden kann.
Doch schon heute können wir feststellen: Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen werden den Ländern einen erheblichen Vorteil bringen.
({3})
So wurden neben dem zoll- und quotenfreien Marktzugang für die AKP-Länder die Ursprungsregeln im Vergleich zu den Regeln des Cotonou-Abkommens verbessert.
Auch die regionale Integration der AKP-Länder wird
durch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen unterstützt: Der Abbau regionaler Handelsschranken und die
Einrichtung von Zollunionen werden dem wirtschaftlichen Wachstum innerhalb der jeweiligen Regionen dienen. Sie sind damit zugleich ein wesentlicher Faktor zur
Stabilisierung und Intensivierung der Beziehungen untereinander.
In diesem Zusammenhang ist auch die Zusage der
EU, bis 2013 alle Formen von Agrarsubventionen auslaufen zu lassen, ein wichtiger Schritt, um die
Marktchancen von Produkten aus den AKP-Staaten zu
erhöhen.
({4})
Zum anderen ist es ein Erfolg auf dem Weg zu einer
verbesserten Politikkohärenz. Dieser Erfolg sollte uns
alle ermutigen, uns weiterhin und stärker für mehr Kohärenz zwischen den einzelnen Politikfeldern einzusetzen.
({5})
Entwicklung ohne regionale Integration und Teilhabe
am Handel ist in unserer Welt nicht möglich. Hier setzen
die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen an, nicht als
bloße Freihandelsabkommen, sondern durch die Verzahnung von handels- und entwicklungspolitischen Instrumenten. Die CDU/CSU-Fraktion wird sich auch weiterhin
für ihre klare Ausgestaltung als Entwicklungsinstrumente eines völlig neuen Typus einsetzen, zum Nutzen
der Entwicklung in unseren Partnerländern. Diese Zielrichtung verfolgt unser heutiger Antrag. Ich bitte um
Ihre Zustimmung.
({6})
Das Wort hat nun Heike Hänsel, Fraktion Die Linke.
({0})
Herr Präsident! Lieber Herr Königshaus, Sie können
ja gerne unsere Anträge kritisieren, aber wer hier gar
keinen Antrag vorlegt, braucht den Mund nicht so weit
aufzureißen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, über die wir heute sprechen, sind
eben keine Entwicklungsabkommen, wie dies auch Frau
Wiezcorek-Zeul ständig wiederholt, sondern Freihandelsabkommen. Die Hungeraufstände der letzten Tage in
Ägypten, Kamerun, Burkina Faso und Haiti aufgrund
der gestiegenen Lebensmittelpreise zeigen eines sehr
deutlich, Herr Kollege Raabe: Die Freihandelspolitik der
letzten Jahrzehnte ist gescheitert. Sie bekämpft nämlich
keine Armut, sondern ist die Ursache für Hunger und
Armut.
({0})
Der Freihandel hat der Mehrheit der Menschen in den
Ländern des Südens keinen Zugang zu ausreichend
günstiger Nahrung gebracht; er hat ihnen im Gegenteil
die Ernährungssouveränität genommen. Der jetzige
Preisanstieg, der natürlich durch die Agrotreibstoffe aus
Weizen, Soja, Mais und Reis angeheizt wird, zeigt ganz
klar, wie schwierig es ist, wenn die Menschen bei der Sicherstellung ihrer Ernährung auf den Weltmarkt angewiesen sind: Die Verteuerung von Nahrungsmitteln auf
dem Weltmarkt trifft genau die Länder am stärksten, die
durch die Freihandelspolitik in die Abhängigkeit von
Nahrungsmittelimporten oder Nahrungsmittelhilfen getrieben wurden.
In Haiti gibt es ganz aktuell enorme Aufstände. Dort
wurden bereits 1986 die Zölle für die Einfuhr von Nahrungsmitteln massiv gesenkt. Was ist passiert? Die heimische Produktion ist um mehr als zwei Drittel zurückgegangen, und zwar durch Billigimporte aus den USA.
({1})
Das ist ein Riesenproblem, denn jetzt sind sie abhängig
von Nahrungsmittelimporten, und sie treffen ganz direkt
die Preissteigerungen auf dem Weltmarkt.
({2})
Umgekehrt - Herr Raabe, Sie können das dann nachher kommentieren - findet leider auch die heimische
Nahrungsmittelproduktion in den Entwicklungsländern
zunehmend nur noch für den Export statt. Diese Tendenz
wird auch von der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gefördert.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Raabe?
Ja.
Die Zeit ist zwar schon fortgeschritten, Frau Kollegin,
({0})
aber wenn Sie sagen, dass sämtliche Probleme des Hungers darin begründet sind, dass der Freihandel die Menschen in Armut getrieben hätte, dann können Sie mir
vielleicht noch Folgendes beantworten: Warum sind
denn gerade die 49 ärmsten Länder, die sowohl einen
quoten- und zollfreien Marktzugang als auch das Recht
hatten, sich durch ihre Zölle zu schützen, in den letzten
Jahrzehnten nicht vorangekommen, genau die Länder,
von denen Sie jetzt sagen, dass dort Hunger herrscht?
Warum haben die Länder, die sich wie die südasiatischen
Länder graduell geöffnet haben, gute Fortschritte bei der
Armutsbekämpfung zu verzeichnen? Warum sind die,
bei denen Sie so tun, als wäre es der Freihandel gewesen,
eigentlich die Ärmsten der Armen?
Ich glaube, wir sollten mit der Wahrheit in der Mitte
bleiben: Weder der Freihandel noch die Abschottung
vom Weltmarkt ist eine Lösung, so wie Sie es sich vorstellen. Wir werden nicht 9 Milliarden Menschen auf einer kleinen Scholle als Kleinbauern ernähren können,
sondern nur dann, wenn sie auch eine Chance haben, von
der Globalisierung zu profitieren.
Herr Raabe, wenn Sie noch kurz stehen bleiben, kommentiere ich es noch gern.
({0})
Ich habe ganz konkret von den Nahrungsmitteln gesprochen, nicht aber von allen Produkten, die auf dem
Weltmarkt gehandelt werden. In meinen Augen bedeutet
es ein großes Problem, die Grundnahrungsmittel auf
dem Weltmarkt zu handeln. Dies ist für den Großteil der
Länder ein riesengroßer Nachteil, weil sie einerseits exportorientiert sein sollen und daher viel produzieren,
aber gar nicht für die heimische Bevölkerung, sondern
auf dem Weltmarkt mit diesen wenig verarbeiteten Produkten konkurrieren sollen, bei denen sie geringe Gewinnspannen haben; andererseits müssen sie dann aber
viele andere billige Nahrungsmittel in das Land hineinlassen.
Es geht also vor allem um Nahrungsmittel - ich habe
nicht von allen Produkten auf dem Weltmarkt gesprochen -, die für die Länder des Südens ein ganz wichtiger
Faktor sind. Ich bin dafür, dass Ernährungssouveränität
im Mittelpunkt stehen und Vorrang vor Weltmarktstrukturen und vor Weltmarktkonkurrenz haben muss.
({1})
Zurück zum Thema. In meinen Augen verstößt dieses
Welthandelssystem tagtäglich gegen das Menschenrecht
auf Nahrung. Das Ergebnis können wir sehen:
80 Prozent der Hungernden weltweit sind Kleinbauern
und Kleinbäuerinnen, Landarbeiter und Landarbeiterinnen, Fischer und Nomaden. Sie leiden unter der Kommerzialisierung der Landwirtschaft. Darunter fallen
Saatgut - zunehmend gentechnisch verändertes Saatgut -,
die Privatisierung von Wasservorkommen und die Importfluten, die ich bereits genannt habe.
Schon jetzt gibt es das große Problem, dass die EU in
die AKP-Staaten massiv landwirtschaftliche Produkte
exportiert. Diese Entwicklung wird durch die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht gestoppt, sondern
eher noch verschärft werden. Deswegen finde ich es absurd, dass wir einerseits Anträge zur Stärkung der sozialen Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern ver16228
abschieden, wir uns andererseits für Zollsenkungen
einsetzen, die bewirken, dass Mittel zur Finanzierung
dieser sozialen Sicherungssysteme fehlen.
({2})
Ein anderer Schwerpunkt ist die Frauenförderung in
der Entwicklungszusammenarbeit. Gerade Frauen arbeiten mehrheitlich in der Landwirtschaft. Daher sind gerade sie durch diese Abkommen massiv in ihrer Existenz
gefährdet.
In meinen Augen ist es deswegen ein Glück, dass es
die globalisierungskritische Bewegung gibt, Herr
Königshaus. Denn sie mobilisiert mittlerweise gemeinsam mit den Regierungen in den afrikanischen Ländern
gegen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Herr
Raabe, es war nicht Zeitdruck, der dazu geführt hat, dass
die EU jetzt Zugeständnisse gemacht hat, sondern es war
der massive Widerstand von Regierungen und Bevölkerungen der AKP-Staaten gegen diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Erst durch diesen Widerstand kam es
zu Interimsabkommen.
Die Finanz- und Handelsminister der Afrikanischen
Union fordern schon jetzt Neuverhandlungen dieser Interimsabkommen, weil sie mit dem Ergebnis der bisherigen Verhandlungen völlig unzufrieden sind. Auch wir
schließen uns diesen Forderungen an. Wir sagen vor allem: faire Verhandlungen, kein Druck auf die Verhandlungspartner. Es braucht mehr Zeit und eine wirkungsvolle Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
({3})
Das African Trade Network hat sich im Februar in
Kapstadt getroffen. In einer dort verabschiedeten Deklaration heißt es:
Heute ist mehr als je zuvor offensichtlich, dass die
EPAs die Mittel der EU sind, die grundsätzlich ungerechten Beziehungen zwischen Afrika und Europa zu zementieren. Aus afrikanischer Sicht ist das
nichts anderes als eine Rekolonialisierung. Es ist
dringender denn je, dass die afrikanischen Bürgerinnen und Bürger und ihre Fürsprecher sich zusammenschließen, um diese Agenda zu stoppen.
Dem schließt sich die Linksfraktion an.
({4})
Das Wort hat nun Thilo Hoppe, Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
einfachen Antworten sind meistens nicht die richtigen.
Pauschal zu sagen, Freihandel sei an allem schuld und
sei die einzige Ursache für den Hunger in der Welt, ist zu
einfach. Aber das, was bei der FDP durchschimmerte,
nämlich dass Freihandel die beste Entwicklungspolitik
sei, ist eine Vereinfachung in die andere Richtung.
({0})
Kommen wir nun zu den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Alle vorgelegten Anträge sind Ende des letzten Jahres eingereicht worden und eigentlich nicht mehr
aktuell. Inzwischen haben sich die Horrorszenarien nicht
bestätigt. In letzter Sekunde konnten viele Interimsabkommen abgeschlossen werden, auch einige endgültige
Wirtschaftspartnerschaftsabkommen. Aber es gibt überhaupt keinen Grund zur Selbstzufriedenheit aufseiten der
Europäischen Union. Denn in dem Verhandlungsprozess
ist sehr viel Porzellan im Verhältnis zwischen der Europäischen Union und den AKP-Staaten zerschlagen worden.
Wenn es stimmt, dass diese Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, wie von Herrn Dr. Raabe und
Frau Hübinger bezeichnet, so entwicklungsfreundlich
sind und gut auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer
zugeschnitten sind, stellt sich mir die Frage: Warum gibt
es dann diese großen Protestbewegungen, die wahrlich
nicht nur von linksradikalen, globalisierungskritischen
Bewegungen aus dem Westen initiiert werden?
Auch der Allafrikanische Christenrat, in dem alle großen Kirchen Afrikas versammelt sind, hat vor den Risiken dieser Abkommen deutlich gewarnt. Allerdings haben sie die Abkommen nicht von vornherein vom Tisch
gewischt und verteufelt. Wenn die Abkommen so katastrophal und entwicklungsschädlich wären, wie von den
Gegnern der Abkommen behauptet wird, warum haben
dann fast alle afrikanischen Staaten solche Interimsabkommen unterzeichnet? Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen.
({1})
Die Europäische Union hatte ein großes Kohärenzproblem. Das stellt man fest, wenn man mit den Akteuren redet, zum Beispiel mit Herrn Michel. Man spricht
zwar von Entwicklungspartnerschaften, die Gespräche
wurden aber von der Generaldirektion Trade, von
Mr. Mandelson, geführt. Die Generaldirektion Trade ist
ganz anders zur Sache gegangen. Sie hat sich nicht auf
die Gesprächspartner aus Burkina Faso oder Mali eingestellt, sondern mit sehr viel Druck gearbeitet.
Auf der Parlamentarierkonferenz im Vorfeld des EUAfrika-Gipfels haben mehrere Kollegen aus Afrika
- nicht nur Abgeordnete kleiner Parteien, sondern auch
einige Minister - das Wort „Erpressung“ nicht nur in den
Mund genommen, sondern sogar offen ausgesprochen.
Wenn Sie sich mit den Kollegen im Entwicklungsausschuss des Europaparlaments rückkoppeln würden,
wüssten Sie, dass sowohl die Sozialdemokraten, zum
Beispiel Frau Kinnock von der Labour Party, als auch
die Konservativen auf dieser Parlamentarierkonferenz
scharfe Kritik an der Verhandlungsführung der Europäischen Kommission geübt haben.
Wenn man die Interimsabkommen bewerten möchte,
steht man vor einem großen Problem: Sie sind gar nicht
öffentlich zugänglich. Wir haben es versucht, aber auf
dem offiziellen Weg konnten wir nicht Einsicht nehmen.
Wir mussten den Umweg über ein niederländisches Institut nehmen. Wenn man die Abkommen einsieht, stellt
man fest, dass es gute Beispiele für einigermaßen harmlose, positive Abkommen, die Schutzklauseln enthalten,
gibt. Genauso findet man aber auch negative Beispiele.
Die Elfenbeinküste, ein schwacher Verhandlungspartner,
hat sich beispielsweise verpflichtet, bis 2012 den Handel
mit 60 Prozent aller Güter zu liberalisieren. Kenia, das
möglicherweise ein besserer Verhandlungspartner ist,
muss erst 2015 die ersten Liberalisierungsschritte vornehmen.
Man merkt: Das ist ein großer Flickenteppich mit sehr
unterschiedlichen Abkommen, die darüber hinaus große
Probleme schaffen. Viele Abkommen sind nämlich bilateral abgeschlossen, obwohl man eigentlich die regionale Integration fördern will. Deshalb müssen viele dieser Abkommen, die mit heißer Nadel gestrickt wurden,
zugunsten regionaler Abkommen wieder aufgeknüpft
werden.
Das bietet aber auch eine große Chance hinsichtlich
der Achtung der Schutzbedürfnisse der Entwicklungsländer. Hinsichtlich der Ernährungssouveränität brauchen die Entwicklungsländer sehr viel mehr Schutzmöglichkeiten. Wir haben mit Kleinbauern aus Sambia und
Ghana viele Gespräche geführt. Sie werden mit Billigimporten aus der Europäischen Union überflutet, vor denen sie sich nicht ausreichend schützen können. Diese
Schutzklauseln gelten eingeschränkt oder enthalten
Übergangsfristen.
Die Abkommen müssen noch kräftig nachgebessert
werden, damit sie dem Etikett „Entwicklungspartnerschaft“ gerecht werden. Per se sind sie es bisher nicht.
Ein Nacharbeiten ist dringend notwendig.
({2})
Dafür plädieren wir mit unserem Antrag, der differenziert ist. Das ist keine Pauschalverurteilung, aber auch
kein Abfeiern sehr zweifelhafter Ergebnisse. Ich bitte
um Unterstützung für diesen Antrag.
({3})
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auf Drucksache 16/8244.
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/7487
mit dem Titel „Entwicklungsorientierte Wirtschaftspartnerschaft zwischen der EU und den AKP-Staaten
- Chance für politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei
Stimmenthaltung der FDP angenommen.
Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/7473 mit dem
Titel „EU-AKP-Abkommen: Faire Handelspolitik statt
Freihandelsdiktat“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
mit den Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache
16/7469 mit dem Titel „Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und
AKP-Staaten entwicklungsfreundlich gestalten“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Wer enthält sich? - Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP
gegen die Stimmen der Grünen bei Stimmenthaltung der
Linksfraktion angenommen.
Unter Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 16/8244 empfiehlt der Ausschuss, die Unterrichtung durch die Bundesregierung über eine Verordnung des Rates mit Durchführungsbestimmungen zu den
Regelungen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
oder der zu Wirtschaftspartnerschaftsabkommen führenden Abkommen für Waren mit Ursprung in bestimmten
Staaten, die zur Gruppe der AKP-Staaten gehören, zur
Kenntnis zu nehmen.
({0})
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? ({1})
Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist - trotz des Titels - einstimmig angenommen.
Tagesordnungspunkt 12 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Für ein Entwicklungspartnerschaftsabkommen der Europäischen Union ({2}) mit den
Staaten der Afrika-, Karibik-, Pazifikgruppe ({3})“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 16/4839, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 16/4055 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist mit den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie
zuvor angenommen.
Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE LINKE
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Strafgesetzbuches
- Drucksache 16/6379 Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss ({4})
Auswärtiger Ausschuss
Verteidigungsausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen, wobei die
Fraktion Die Linke fünf Minuten erhalten soll. - Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ich erteile Kollegin Inge Höger, Fraktion Die Linke,
das Wort.
Alle anderen Redner haben ihre Reden zu Protokoll
gegeben.
({5})
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nie
wieder Krieg - diese Forderung war eine Konsequenz
aus zwei Weltkriegen, die durch deutsche Großmachtpolitik und für deutsche Interessen entfesselt wurden. „Nie
wieder Krieg“ wurde 1949 Verfassungsrealität. 1949 trat
das Grundgesetz in Kraft, und die Bundesrepublik
Deutschland wurde zu einem militärfreien Land. Damals
wurde in Art. 26 des Grundgesetzes ausdrücklich die
Vorbereitung eines Angriffskrieges untersagt. In Art. 26
Abs. 1 finden wir noch heute die Regelung:
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht
vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung
eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.
Die Absicht ist klar und muss in vollem Umfang unterstützt werden. Um zukünftige Angriffskriege im Keim
ersticken zu können, soll bereits die Vorbereitung strafbar sein.
({0})
Leider wurde das Grundgesetz schon 1956 geändert.
Die Wehrpflicht wurde eingeführt und die Bundeswehr
geschaffen. Doch für die Mehrheit der Menschen in
Deutschland stand immer noch fest: Nie wieder Krieg.
In detaillierten Regelungen wurde den bitteren Erfahrungen von Militarismus und Krieg Rechnung getragen. Um
Entwicklungen zu bremsen, die aus der Bundeswehr ein
beliebig einsetzbares Instrument der Politik machen
würden, setzte und setzt das Grundgesetz einen engen
Rahmen. In Art. 87 a steht: „Der Bund stellt Streitkräfte
zur Verteidigung auf“, also definitiv nicht für Angriffskriege.
Nie wieder Krieg von deutschem Boden - das wurde
anlässlich der deutschen Wiedervereinigung noch einmal ausdrücklich im Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990
festgelegt. Trotzdem wurde die Bundeswehr seit den
90er-Jahren des letzten Jahrhunderts immer mehr zu einer Einsatzarmee umgebaut und damit für Angriffskriege fähig. So nahm die Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien teil und
unterstützte die Vorbereitung und Durchführung des
Irak-Krieges. Dies waren eindeutige Verstöße gegen das
Grundgesetz und wurde deswegen von Friedensgruppen
und Einzelpersonen bei der Generalbundesanwaltschaft
angezeigt.
({1})
Der Generalbundesanwalt sah das weniger problematisch und teilte der Friedenskooperative am 6. Januar
2006 mit:
Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist
nur die Vorbereitung an einem Angriffskrieg und
nicht der Angriffskrieg selbst strafbar, so dass auch
die Beteiligung an einem von anderen vorbereiteten
Angriffskrieg nicht strafbar ist.
Eine solche Rechtsauffassung ist für die Linken nicht
nur völlig unverständlich, sondern auch nicht akzeptabel.
({2})
Die Lesart des Generalbundesanwalts widerspricht
auch der Einschätzung des zweiten Wehrdienstsenats des
Bundesverfassungsgerichts.
({3})
Dieser kam am 21. Juni 2005 zu folgendem Schluss:
Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassungs
wegen bereits nicht „vorbereitet“ werden darf, so
darf er nach dem offenkundigen Sinn und Zweck
der Regelung erst recht nicht geführt oder unterstützt werden.
Die Absicht der Väter und Mütter des Grundgesetzes
zur Friedenssicherung war und ist eindeutig. Alle Handlungen, die den Frieden stören könnten, müssen als verfassungswidrige Handlungen unter Strafe gestellt werden.
Wenn jedoch die bisherigen Regelungen sinnverkehrend
ausgelegt werden können, ist es eine dringende Aufgabe
des Gesetzgebers, diese Strafbarkeitslücke zu schließen.
({4})
Wir, die Angehörigen des Parlaments, müssen den
Gesetzgebungsauftrag aus dem Grundgesetz in vollem
Umfang erfüllen. Der von der Fraktion Die Linke vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches schließt diese Lücke
({5})
und stellt sowohl die Vorbereitung als auch die Auslösung und Durchführung von Angriffskriegen sowie die
Beteiligung an diesen unter Strafe. Es ist eine politische
Aufgabe, eindeutig und verbindlich aufzuzeigen, welche
Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Wir müssen
uns wieder zurückbesinnen auf die Friedensstaatlichkeit
des Grundgesetzes.
({6})
Nie wieder Krieg von deutschem Boden!
({7})
Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden folgende
Kollegen: Siegfried Kauder, CDU/CSU, Jörn Thießen
und Matthias Miersch, SPD, Jörg van Essen, FDP, und
Jerzy Montag, Bündnis 90/Die Grünen.1)
Damit ist die Aussprache geschlossen.
1) Anlage 4
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 16/6379 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD
Für eine erfolgreiche Überprüfungskonferenz
des Chemiewaffenübereinkommens und eine
Stärkung des Vertragsregimes
- Drucksache 16/8755 -
Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden:
Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Uta Zapf, Elke
Hoff, Paul Schäfer und Winfried Nachtwei.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 16/8755.
Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? Enthaltungen? - Der Antrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Grünen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 sowie den
Zusatzpunkt 8 auf:
17 Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Kerstin Müller ({0}), Ute Koczy, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine umfassende Strategie zur demokratieverträglichen und zivilgesellschaftlichen
Stabilisierung Pakistans
- Drucksache 16/8752 Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss ({1})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Alexander
Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Keine U-Bootlieferung an Pakistan
- Drucksache 16/5594 Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ({2})
Auswärtiger Ausschuss ({3})
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss
Federführung strittig
Es sind die Reden folgender Kolleginnen und Kolle-
gen zu Protokoll gegeben worden: für die CDU/CSU
1) Anlage 5
Ruprecht Polenz, für die SPD Johannes Pflug, für die
FDP Elke Hoff, für die Linke Norman Paech und für
Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin.2)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf Drucksachen 16/8752 und 16/5594 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung bei der Vorlage auf Drucksache 16/5594,
Zusatzpunkt 8, ist jedoch strittig. Die Fraktionen der
CDU/CSU und SPD wünschen die Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht die Federführung beim
Auswärtigen Ausschuss.
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion der Grünen, also die Federführung beim Auswärtigen Ausschuss, abstimmen. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Fraktionen der Grünen und der Linken abgelehnt.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD abstimmen, also
über die Federführung beim Wirtschaftsausschuss. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? - Wer
stimmt dagegen? - Der Überweisungsvorschlag ist mit
den gleichen Mehrheitsverhältnissen wie der vorherige
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung ({4})
zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Schummer,
Ilse Aigner, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie
der Abgeordneten Willi Brase, Jörg Tauss, Ulla
Burchardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Neuausrichtung der Europäischen Stiftung für
Berufsbildung
- Drucksachen 16/8382, 16/8738 Berichterstattung:
Abgeordnete Uwe Schummer
Patrick Meinhardt
Priska Hinz ({5})
Es ist vereinbart, dass die Reden der folgenden Kolle-
ginnen und Kollegen zu Protokoll gegeben werden: Uwe
Schummer, Willi Brase, Patrick Meinhardt, Cornelia
Hirsch und Priska Hinz.3)
Wir kommen gleich zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 16/8738, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
2) Anlage 6
3) Anlage 7
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
und der SPD auf Drucksache 16/8382 anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Grünen bei Enthaltung der Linken
angenommen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Gerhard
Schick, Christine Scheel, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Steuerverlagerung ins Ausland verhindern
- Drucksache 16/6451 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss ({6})
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Es ist vereinbart, die Reden folgender Kolleginnen
und Kollegen zu Protokoll zu geben: Manfred Kolbe,
Antje Tillmann, Lothar Binding, Carl-Ludwig Thiele,
Barbara Höll und Gerhard Schick.1)
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 16/6451 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ({7})
- zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
Krogmann, Laurenz Meyer ({8}), Veronika
Bellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten
Martin Dörmann, Dr. Rainer Wend, Doris
Barnett, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Breitbandversorgung in ländlichen Räumen
schnell verbessern
- zu dem Antrag der Abgeordneten HansJoachim Otto ({9}), Gudrun Kopp,
Martin Zeil, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der FDP
Datenbasis für flächendeckende Versorgung
mit breitbandigem Internetzugang schaffen
- zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Zimmermann, Dr. Lothar Bisky, Katrin Kunert,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Schnelles Internet für alle - Unternehmen
zum Breitbandanschluss gesetzlich ver-
pflichten
1) Anlage 8
- zu dem Antrag der Abgeordneten Grietje Bettin,
Kerstin Andreae, Cornelia Behm, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Den Ausbau der Breitbandinfrastruktur flä-
chendeckend voranbringen
- Drucksachen 16/8381, 16/7862, 16/8195,
16/8372, 16/8781 -
Berichterstattung:
Abgeordnete Gudrun Kopp
Es ist vereinbart, die Reden der folgenden Kollegin-
nen und Kollegen zu Protokoll zu geben: Martina
Krogmann, Hans-Heinrich Jordan, Martin Dörmann,
Manfred Zöllmer, Hans-Joachim Otto, Sabine Zimmermann
und Grietje Staffelt.2)
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Techno-
logie auf Drucksache 16/8781.
Der Ausschuss empfiehlt unter Nr. 1 seiner Beschluss-
empfehlung die Annahme des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 16/8381 mit
dem Titel „Breitbandversorgung in ländlichen Räumen
schnell verbessern“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? -
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositions-
fraktionen angenommen.
Unter Nr. 2 empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des
Antrags der Fraktion der FDP auf Drucksache 16/7862 mit
dem Titel „Datenbasis für flächendeckende Versorgung
mit breitbandigem Internetzugang schaffen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt
dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung
ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP mit den
Stimmen des übrigen Hauses angenommen.
Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 3 seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 16/8195 mit dem Ti-
tel „Schnelles Internet für alle - Unternehmen zum
Breitbandanschluss gesetzlich verpflichten“. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? - Wer stimmt dagegen?
- Enthaltungen? - Die Beschlussempfehlung ist gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen
des übrigen Hauses angenommen.
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Nr. 4 sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8781 die
Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 16/8372 mit dem Titel „Den
Ausbau der Breitbandinfrastruktur flächendeckend vo-
ranbringen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Be-
schlussempfehlung ist gegen die Stimmen der Fraktion
der Grünen mit den Stimmen des übrigen Hauses ange-
nommen.
2) Anlage 9
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann sehen,
dass zu demselben Thema Anträge mit ganz unterschiedlichen Titeln formuliert werden.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 22. November 2004 über das Europäische Korps und
die Rechtsstellung seines Hauptquartiers zwischen der Französischen Republik, der Bundesrepublik Deutschland, dem Königreich Belgien,
dem Königreich Spanien und dem Großherzogtum Luxemburg ({10})
- Drucksache 16/8250 Beschlussempfehlung und Bericht des Verteidigungsausschusses ({11})
- Drucksache 16/8780 Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck ({12})
Gerd Höfer
Dr. Rainer Stinner
Winfried Nachtwei
Es ist vereinbart, die Reden der folgenden Kollegin-
nen und Kollegen zu Protokoll zu geben: Ernst-Reinhard
Beck, Gerd Höfer, Rainer Stinner, Inge Höger und Omid
Nouripour.1)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum
Straßburger Vertrag. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 16/8780,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 16/8250 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. - Wer
stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf
ist mit den Stimmen des Hauses gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, 11. April 2008, 9 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen einen freundlichen Heimweg und
eine gute Nacht. Die Sitzung ist geschlossen.