Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/9/2008

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die Sitzung ist eröffnet. Ich begrüße Sie recht herzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Befragung der Bundesregierung Die Bundesregierung hat als Thema der gestrigen Kabinettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeskindergeldgesetzes. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht hat die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Dr. Ursula von der Leyen. - Bitte sehr.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Kabinett hat gestern beschlossen, dass der Kinderzuschlag zum 1. Oktober 2008 weiterentwickelt werden soll. Dies geschieht im Zusammenspiel mit der Reform des Wohngeldes zum 1. Januar 2009. Damit können deutlich mehr Kinder und ihre Eltern aus dem Kreis der Arbeitslosengeld-II-Bezieher herausgeholt werden. Ab 2009 werden rund 250 000 Kinder durch den Kinderzuschlag erreicht. Das ist ein wichtiger familienpolitischer Schritt; denn Familien im Niedriglohnbereich werden dadurch deutlich entlastet. Das ist aber auch ein richtiger arbeitsmarktpolitischer Schritt; denn die Erwerbsbereitschaft der Eltern wird deutlich gestärkt. Wenn man sich anschaut, welche Gruppe insbesondere betroffen ist, stellt man fest, dass das die Gruppe der sogenannten Aufstocker ist. Wir wissen, dass 15 Prozent der alleinstehenden Arbeitslosengeld-II-Bezieher Aufstocker sind, also etwas dazuverdienen, während es bei den Paarhaushalten mit Kindern rund 50 Prozent sind. Das heißt, in Bedarfsgemeinschaften mit Kindern besteht eine sehr hohe Erwerbsbereitschaft. Diese Bereitschaft wollen wir über den Kinderzuschlag nachhaltig stützen und fördern. Der Kinderzuschlag wies bisher zwei gravierende Probleme auf: Erstens. Der Einstiegskorridor war sehr eng und die Beantragung kompliziert. Insbesondere den Antragstellern fiel es schwer, festzustellen, ob sie überhaupt für den Kinderzuschlag in Betracht kommen. Das zeigt sich daran, dass deutlich mehr als 80 Prozent der Anträge abgelehnt worden sind. Es gab also auch eine hohe Bürokratielast. Das zweite Problem war die sogenannte Abschmelzrate in Höhe von 70 Prozent. Von jedem hinzuverdienten Euro wurden bisher 70 Cent angerechnet. Dadurch wurde der Erwerbsanreiz deutlich gemindert. An diesen beiden Stellen wird jetzt nachgebessert. Die bisher individuell geprüfte Mindesteinkommensgrenze wird auf einen einheitlichen Betrag festgesetzt: 600 Euro Mindesteinkommen für Alleinerziehende und 900 Euro für Paare. Die Mindesteinkommensgrenze wird damit deutlich abgesenkt. Eltern können nun leicht erkennen, ob sie für den Kinderzuschlag in Betracht kommen oder nicht. Wir signalisieren, dass Arbeit sich lohnt. Ein Paar, das 900 Euro zum Lebensunterhalt beiträgt, und eine Alleinerziehende, die 600 Euro zum Lebensunterhalt beiträgt, die nur wegen der Kinder Arbeitslosengeld II beziehen, werden durch den Kinderzuschlag jetzt unabhängig davon. Die zweite Änderung betrifft die Abschmelzrate. Neben der Einkommensgrenze wird auch die Abschmelzrate für Einkommen aus Erwerbstätigkeit von 70 auf 50 Prozent abgesenkt. Dadurch wird gewährleistet, dass im Geltungsbereich des Kinderzuschlages durchgehend ein Erwerbsanreiz besteht. Im Zusammenspiel von Kinderzuschlag und Wohngeld entstehen ab dem Jahr 2009 für den Kinderzuschlag zusätzliche Ausgaben in Höhe von 252 Millionen Euro brutto. Berücksichtigt man die Minderausgaben für Unterstützung nach dem SGB II und die im Rahmen der Finanzplanung bereits veranschlagten Mittel für den Kinderzuschlag in Höhe von 150 Millionen Euro per annum, dann ergeben sich per saldo für diese Reform Mehrkosten in Höhe von maximal 200 Millionen Euro netto für den Bund. Vielen Dank. Redetext

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Herzlichen Dank, Frau Ministerin. - Die erste Frage stellt die Kollegin Elke Reinke.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Ministerin. - Sie hatten einmal angekündigt, dass Sie mit 500 000 Kindern bzw. Berechtigten rechnen. Jetzt haben Sie die Zahl auf 250 000 reduziert. Ich frage mich: Ist der Bedarf geringer geworden? Worauf stützen sich Ihre Zahlen? Woher kommt diese Veränderung? Wieso sind es auf einmal 250 000?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Diese Veränderung setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Erste Komponente. Wir sehen, dass die deutlich bessere wirtschaftliche Entwicklung Auswirkungen hatte. Der Kinderzuschlag erreichte im Jahr 2006 noch 124 000 Kinder und im Jahr 2007 100 000 Kinder. Es haben also mehr Familien vom wirtschaftlichen Aufschwung profitiert. Es gibt mehr Arbeitsplätze und damit Unabhängigkeit vom Arbeitslosengeld II. Zweite Komponente. Man könnte den Kinderzuschlag sehr wohl weiterentwickeln. Ich nenne als Stichworte die Wahlmöglichkeit zwischen Arbeitslosengeld II und Kinderzuschlag und die Höchsteinkommensgrenze. Dies würde aber deutlich mehr kosten. Wir hatten eine klare Vorgabe von 200 Millionen Euro per annum und haben deshalb deutliche Prioritäten gesetzt, nämlich den Einstieg zu erleichtern und das Plateau abzubauen. Deshalb erreichen wir eine viertel Million Kinder.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ingrid Fischbach.

Ingrid Fischbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003117, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, wir haben seinerzeit die sehr niedrige Bewilligungsquote kritisiert. Das lag unter anderem daran, dass die Verwaltungsvereinbarung viel zu kompliziert war. Wird darüber nachgedacht, die Verwaltungswege zu vereinfachen und dadurch die Bewilligungsquote zu erhöhen?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Der entscheidende Faktor war, dass die individuelle Berechnung des Mindesteinkommens durch die Verwaltung ein hochkomplizierter Vorgang gewesen ist. Auch für diejenigen, die den Antrag gestellt haben, war völlig unklar, ob sie eine Chance auf Bewilligung hatten oder nicht. Deshalb lag die Ablehnungsquote für den Kinderzuschlag durchgehend weit über 80 Prozent. Jetzt ist eine deutliche Mindesteinkommensgrenze vorgesehen: 600 Euro für eine Alleinerziehende und 900 Euro für ein Paar, die als eigenes Einkommen erarbeitet oder erwirtschaftet werden müssen. Damit wird erstens für die Verwaltung und zweitens für die betroffenen Familien, die nun sehr genau wissen, ob sie über oder unter der Grenze liegen, Transparenz geschaffen. Wichtig ist, sich die einfache Formel zu merken, dass man bis auf Kindergeld und Wohngeld - das bleibt außerhalb der Berechnung alles als Einkommen einbringen muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, grundsätzlich ist es richtig, Familien vor Hartz IV zu bewahren. Die Regierung hat jedoch unter anderem durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer selber dazu beigetragen, dass es den Familien schlechter geht. Richtig ist, dass die Regierung und wir von der Opposition sicher mehr in diesem Bereich machen wollen. Es hat sich aber gezeigt, dass das Konzept des Kinderzuschlages nicht gegriffen hat, weil 88 Prozent der Anträge abgelehnt worden sind. Da haben Sie in diesem Gesetzentwurf eine Verbesserung versprochen. Trotzdem sagen wir: Es fehlt ein Gesamtkonzept. Meine erste Frage lautet: Haben Sie ein Gesamtkonzept? Es geht nicht nur um den Kinderzuschlag, sondern auch die mehr als 140 familienbezogenen Leistungen gehören auf den Prüfstand, bevor sie in ein solches Konzept einfließen. Ich habe noch eine zweite Frage. Die Kosten für Bürokratie liegen bei 18 Prozent der Gesamtausgaben. Sie aber haben gesagt, dass die Regelungen einfacher werden und es so zu weniger Bürokratie kommen wird. Mir liegt der Gesetzentwurf vor. In diesem Gesetzentwurf steht: Für den Kinderzuschlag ist ab dem Jahr 2009 mit einem Anstieg der Verwaltungskosten um 50 Prozent zu rechnen. Genau das verstehe ich nicht. Hier gibt es eine Differenz zwischen dem Entwurf, den Ihr Ministerium veröffentlicht hat, und Ihrer jetzt gemachten Aussage.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Sie fragen nach einem Gesamtkonzept für Familien, die Arbeitslosengeld II beziehen; Stichwort Kinderarmut. Dabei müssen wir sehen, welche Familien mit Kindern Arbeitslosengeld II beziehen. Kinderarmut setzt sich aus zwei großen Komponenten zusammen. Das sind vor allem die Alleinerziehenden, und zwar im Vergleich zur Bevölkerung weit überproportional. Das sind aber auch die kinderreichen Familien. Kinderarmut setzt sich also vor allem aus diesen beiden Komponenten zusammen. Daher sollten Eltern befähigt sein, auf eigenen Füßen zu stehen - Stichwort: Vereinbarkeit von Beruf und Familie - und selber das Einkommen zu verdienen. Internationale Erfahrungen haben gezeigt, dass die Kopplung Einführung des Elterngeldes mit dem Ausbau der Kinderbetreuung ein maßgeblicher Schritt ist, um die Kinderarmut zu senken und vor allen Dingen die Selbstständigkeit der Eltern, also die Fähigkeit, das Einkommen selber zu verdienen, zu erhöhen. Die zweite Gruppe betrifft die kinderreichen Familien. Mit der steigenden Zahl der Kinder wird es insbesondere bei geringerer Qualifikation immer schwieriger, das nötige Einkommen zu verdienen. Außerdem wird das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie komplexer, wenn ich es einmal so nennen darf. Weil wir aus Untersuchungen wissen, dass hier eine hohe Erwerbsbereitschaft vorhanden ist - die Familien möchten ihren Lebensunterhalt selber verdienen -, brauchen gerade sie oft eine finanzielle Unterstützung, damit sie erwerbstätig bleiben und nicht wieder auf den Bezug von Leistungen nach Hartz IV angewiesen sind. Dafür sind zwei Komponenten entscheidend. Der erste Punkt ist der Kinderzuschlag. Damit werden genau die kinderreichen Familien erreicht. Er geht an Familien, die im Durchschnitt 2,8 Kinder haben. Da wir die Geburtenrate und Familienverhältnisse kennen, wissen wir, dass das weit mehr Kinder pro Familie sind als im Bevölkerungsdurchschnitt. Der zweite Punkt betrifft die Staffelung der Höhe des Kindergeldes nach der Kinderzahl. Sie wissen, dass ich dies favorisiere, weil das nach allen wissenschaftlichen Untersuchungen ein entscheidender Faktor dafür ist, kinderreiche Familien vor dem Abrutschen in die Armut zu bewahren. Sie sehen, dass der Kinderzuschlag in ein Gesamtkonzept eingebettet ist, das mit der Einführung des Elterngeldes begonnen hat, durch den Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen fortgeführt und jetzt mit der Weiterentwicklung des Kinderzuschlages fortgesetzt wird. Ihre zweite Frage betraf die Verwaltungskosten. Es wird zu einem Plus von 150 Prozent der Berechtigten kommen. Es sinkt jedoch - Prozente müssen immer in Relation zu der Gesamtheit gesehen werden - der Anteil der Verwaltungskosten. Denn diese steigen deutlich geringer als die Zahl der profitierenden Menschen. Eine Steigerung der Verwaltungskosten um 50 Prozent ist im Vergleich zu den 150 Prozent der Berechtigten, die jetzt zusätzlich einen Anspruch haben, nicht hoch.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Johannes Singhammer.

Johannes Singhammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002800, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, es kommt eher selten vor, dass alle wichtigen gesellschaftlichen Gruppen ein Gesetzgebungsvorhaben begrüßen. In diesem Fall sprechen sich sowohl die Arbeitgeber als auch die Gewerkschaften ausdrücklich für den Kinderzuschlag aus. Ich frage Sie: Für welche Gruppe von Familien ist der Kinderzuschlag maßgeschneidert? Welcher speziellen Gruppe von Familien wird dadurch mehr Gerechtigkeit verschafft?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Es sind vor allem die Familien mit einer hohen Bereitschaft zur Erwerbstätigkeit - sie wollen ihren Lebensunterhalt selber verdienen - und mehreren Kindern. Das heißt, das Einkommen, mit dem ein Paar ohne Kinder auskommen würde, reicht nun für die Familie mit Kindern nicht mehr aus. Unser Grundsatz ist: Menschen sollen nicht deshalb auf den Bezug von Arbeitslosengeld II angewiesen sein, weil sie Kinder haben. Daher ist der Kinderzuschlag genau darauf die spezifische Antwort. So wie er jetzt konzipiert ist, stellt er sicher, dass diejenigen, die ihren Unterhalt selbst verdienen können, nicht wegen ihrer Kinder ALG-II-Bezieher bleiben müssen, sondern durch Kindergeld, Kinderzuschlag und Wohngeld aus dem ALG-II-Bezug herauskommen können.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt die Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank, Frau Ministerin. - Ich möchte auf die Zahlen zurückkommen. Meine Kollegin Reinke hat schon erwähnt, dass ursprünglich davon gesprochen wurde, mit dem Kinderzuschlag eine halbe Million Kinder zu erreichen, dass jetzt aber nur noch von einer viertel Million Kinder die Rede ist. Ich frage Sie, ob Sie tatsächlich davon ausgehen, dass dieser Umfang ausreichend ist. Diese Frage stellt sich vor allen Dingen dann, wenn man die Veröffentlichungen des Deutschen Kinderschutzbundes aus diesem Jahr berücksichtigt, in denen - trotz des Aufschwungs, den Sie geltend machen festgestellt wurde, dass eigentlich 700 000 Kinder auf dieses Geld angewiesen sind, weil sie ansonsten, obwohl ihre Eltern arbeiten, in den ALG-II-Bezug fallen würden. Daher meine Frage: Wie können Sie ernsthaft sagen, der Aufschwung legitimiere diese drastische Reduzierung Ihrer ursprünglichen Zielvorstellung?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Das Ziel ist nach wie vor - ich glaube, das ist ein gesamtgesellschaftliches und partei- und fraktionsübergreifendes Ziel -, konsequent gegen Kinderarmut in diesem Land vorzugehen. Einige der wesentlichen Pfeiler habe ich schon genannt: das Elterngeld, den Ausbau der Kinderbetreuung und jetzt die Reform des Kinderzuschlags. Ich möchte - sozusagen in Klammern - hinzufügen: Auch die Kinderbetreuung ist ein entscheidender Faktor zur Bekämpfung der Kinderarmut. Hierbei geht es um den Ausbau der frühkindlichen Bildung und darum, den Teufelskreis, dass Kinderarmut von Generation zu Generation weitergetragen wird, zu durchbrechen. Jetzt komme ich auf den spezifischen Baustein, nach dem Sie gerade gefragt haben, zu sprechen. Wir haben den Kinderzuschlag in zwei Schritten weiterentwickelt: Erstens - das habe ich bisher noch nicht erwähnt - hat im Januar dieses Jahres eine Entfristung stattgefunden. Zweitens wurde der Einstiegskorridor deutlich erweitert. Noch weiter darf man die Mindesteinkommensgrenze allerdings nicht senken, weil sonst das Signal wäre, dass ein Paar mit zwei Minijobs über die Runden kommen kann. Das darf nicht das Signal sein, das wir aussenden. Vielmehr muss es darum gehen, dass die Eltern, die Paare oder die Alleinerziehenden durch ihre eigene Arbeit genug verdienen, um ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten zu können. Für diejenigen, die mehr verdienen, gibt es außerdem den Anreiz, mehr zu tun, weil nicht so stark abgeschmolzen wird. Auch diesen Schritt haben wir gemacht. Ich nannte noch zwei weitere wünschenswerte Schritte, die im Augenblick aber nicht finanzierbar sind: die sogenannte Wahlmöglichkeit und die Höchsteinkommensgrenze. Auch dazu möchte ich noch eine Bemerkung machen. Bei den Überlegungen, die Höchsteinkommensgrenze noch weiter zu senken - das würde Geld kosten -, beschreitet man einen sehr schmalen Grat. Denn es darf nicht sein, dass man mit dem Kinderzuschlag bis weit in die mittleren Einkommensschichten hinein subventioniert, während andere Familien mit Kindern den Lebensunterhalt auf dem gleichem Niveau für sich und ihre Kinder aus eigener Kraft verdienen müssen. Solche Entscheidungen sind für die Sozialpolitik immer Gratwanderungen. Vor diesem Hintergrund haben wir den Beschluss gefasst, mit den 200 Millionen Euro, die uns netto zur Verfügung stehen, die wichtigsten Schritte zuerst zu machen: den Einstieg zu verbessern und das Plateau abzuschmelzen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Deligöz.

Ekin Deligöz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003068, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Ministerin, was Ihre letzte Bemerkung betrifft, bin ich nicht ganz einsichtig. Denn wer in Deutschland gut verdient und dementsprechend hohe Steuern zahlt, der bekommt für Unterhalt und Erziehung seiner Kinder auch eine größere absolute steuerliche Entlastung als derjenige, der wenig Steuern zahlt, weil er nicht so viel verdient, obwohl er erwerbstätig ist. Von daher lasse ich Ihre letzte Aussage nicht gelten. Ich würde gerne auf die Mindesteinkommensgrenze zu sprechen kommen. Sie haben gesagt, dass Sie die Minijobs nicht fördern möchten. Wenn man den Betrag von 900 Euro durch zwei Personen, durch Mutter und Vater, teilt, dann hat man schon das Niveau der Minijobs erreicht. Daher finde ich auch dieses Argument nicht befriedigend. Können Sie uns erläutern, warum Sie festgelegt haben, dass die Mindesteinkommensgrenze für Paare bei 900 Euro und für Alleinerziehende bei 600 Euro liegen soll? Denn dazu hätte es durchaus Alternativen gegeben.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Die Grenze zum Minijob liegt bei 400 Euro; das ist die gesetzliche Definition eines Minijobs. Wenn das Einkommen diese Grenze übersteigt, kommt das Thema Sozialversicherung zum Tragen, und man befindet sich im Bereich eines Midijobs. Im Rahmen der Ressortabstimmung haben wir gemeinsam den Entschluss gefasst, dass wir das ganz klare Signal aussenden müssen: Ein Minijob reicht für eine Person nicht aus, sondern der Betrag muss höher sein. Deshalb haben wir die Entscheidung getroffen, die beiden Grenzen zu erhöhen. Für ein Paar liegt die Mindesteinkommensgrenze also bei 900 Euro, für einen Alleinerziehenden bei 600 Euro. Ich glaube, diese Entscheidung ist richtig. Das Bestreben, den eigenen Unterhalt zu verdienen, ist - es liegt uns daran, dies deutlich zu machen - die Conditio sine qua non, die Grundvoraussetzung, um den Kinderzuschlag zu bekommen; denn er soll ja aus dem Arbeitslosengeld II, aus Hartz IV herausführen. Ich habe mich, was die Höchsteinkommensgrenze angeht, vielleicht missverständlich ausgedrückt. Der Punkt ist der: Es darf nicht passieren, dass Eltern, die genug für sich und für den Lebensunterhalt ihrer Kinder verdienen, zusätzlich den Kinderzuschlag bekämen. Deshalb ist das mit der Höchsteinkommensgrenze diffizil. Ich will nicht ausschließen, dass man in der Frage der Höchsteinkommensgrenze eines Tages etwas machen kann. Man muss aber, wie gesagt, vorsichtig vorgehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Markus Grübel.

Markus Grübel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003542, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ist erwogen worden, den Kinderzuschlag zu erhöhen oder ihn zu staffeln, zum Beispiel indem für ältere Kinder ein höherer Kinderzuschlag gezahlt wird?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Dies ist nicht erwogen worden. Der Kinderzuschlag beträgt maximal 140 Euro. Denn man muss sich immer vor Augen führen: Der Kinderzuschlag soll gemeinsam mit dem Kindergeld und dem anteiligen Wohngeld den Bedarf des Kindes decken. Diese Funktion erfüllt er mit 140 Euro.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Jörn Wunderlich.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Ministerin, schönen Dank für Ihre einführenden Worte! Im Sommer letzten Jahres haben Sie angekündigt, mit dem Kinderzuschlag 500 000 Kinder aus der Armut herauszuholen. Im November hat die Kanzlerin hier im Plenum erklärt: Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag erhöhen und vereinfachen. - Gerade einmal 16 Tage später hat Ihr Ministerium geschrieben: Von einer Erhöhung des Kinderzuschlags geht die Bundesregierung nicht aus. 40 Tage später haben Sie im Ausschuss mir gegenüber erklärt, dass es da keinen Widerspruch gebe, und hier im Plenum hat Staatssekretär Thönnes gesagt: Von einer Erhöhung des Kinderzuschlags war nie die Rede. Inzwischen sind es nicht mehr 500 000 Kinder, inzwischen ist nur noch von 250 000 Kindern, die mit dem Kinderzuschlag aus der Armut geführt werden sollen, die Rede. Die Frage ist: Welche Kinder werden erreicht, was kommt als Nächstes, wem kann man noch vertrauen? - Nein, von vertrauen kann man nicht mehr reden. Sagen wir lieber: Wem kann man am ehesten glauben? ({0}) - Das musste einmal gesagt werden, und ich bin noch ruhig geblieben. 44,5 Prozent der bedürftigen Kinder, der Kinder, die Anspruch auf den Kinderzuschlag haben, leben in Alleinverdienerhaushalten. Auf den Kinderzuschlag werden Unterhaltsleistungen voll angerechnet. Herr Singhammer, Sie haben gesagt, alle Verbände seien damit einverstanden. Ich muss Ihnen widersprechen: Der Familienbund der Katholiken, die Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen usw. sind nicht einverstanden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Kollege Wunderlich, formulieren Sie jetzt bitte die Frage, damit die Frau Ministerin antworten kann.

Jörn Wunderlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003867, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Warum wird an dieser Mindesteinkommensgrenze festgehalten? Warum werden die Kinder von Alleinerziehenden faktisch von der Leistung ausgeschlossen, und warum wird es jetzt reduziert? Wieso begründen Sie es mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, wenn die Zahl der bewilligten Anträge sinkt? Die Zahl der in Armut lebenden Kinder steigt weiter.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ich filtere aus Ihrem Plädoyer, Herr Wunderlich, zwei Fragen heraus: Ihre erste Frage betrifft die Erhöhung des Kinderzuschlags. Sie haben hier zwei Dinge vermischt: Wie ich Ihnen im Ausschuss bereits sagte, ist mit der Erhöhung des Kinderzuschlags gemeint, dass das Volumen des Kinderzuschlags von bisher 150 Millionen Euro um 200 Millionen Euro erhöht wird. Diese Erhöhung findet statt. Ihre Frage ist Ihnen also beantwortet worden. Auf die Frage, ob der Betrag des Kinderzuschlags - 140 Euro pro Kind und Monat - erhöht wird, haben Sie von der Bundesregierung nie eine andere Antwort als Nein bekommen, aus den genannten Gründen. 140 Euro Kinderzuschlag plus - gehen wir vom ersten Kind aus 154 Euro Kindergeld plus anteilig Wohngeld decken den Bedarf eines Kindes. Ihre zweite Frage betrifft die Alleinerziehenden; auch hier haben Sie eine relativ ungenaue Frage gestellt. Sie haben behauptet, der Unterhalt werde voll angerechnet. Hierbei muss man unterscheiden zwischen Unterhalt für die Mutter und Unterhalt für das Kind. Das Prinzip ist immer dasselbe: Wenn die Mutter Unterhalt bekommt, kann sie diesen zu ihrem eigenen Einkommen rechnen, um auf die 600 Euro zu kommen, ab denen sie Anspruch auf den Kinderzuschlag hat. Aber Einkommen des Kindes, zum Beispiel Unterhaltsvorschuss, kann von den Eltern nicht als ihr Einkommen angesehen werden. Es ist Einkommen des Kindes; deshalb bleibt es außen vor. Gerade der Unterhaltsvorschuss, der höchstens sechs Jahre lang und maximal bis zum 12. Lebensjahr gezahlt wird, ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, wie passgenau der Kinderzuschlag wirkt. Es gibt immer wieder Alleinerziehende, die, wenn sie vom dritten bis zum neunten Lebensjahr des Kindes sechs Jahre lang den Unterhaltsvorschuss bekommen haben, anschließend einen Einbruch erleben. Dieser Alleinerziehenden wird künftig der Kinderzuschlag passgenau helfen, weiterhin aus dem Arbeitslosengeld II herauszubleiben. Man sollte also das Einkommen der Eltern und das Einkommen des Kindes sauber trennen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder.

Paul Lehrieder (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003799, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, bereits nach jetzigem Recht gelangt über die Bemessungsgrenze hinaus verdientes eigenes Einkommen der Kindeseltern zum Teil zur Anrechnung. Wie ist es bei der Neuregelung vorgesehen? Bleibt es bei den 70 Cent pro Euro, die bei eigenem Einkommen derzeit angerechnet werden, oder wie wird die neue Einkommensanrechnung funktionieren?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

In Zukunft werden von jedem hinzuverdienten Euro nur 50 Cent und nicht, wie bisher, 70 Cent angerechnet. Umgekehrt gesprochen: Von jedem Euro, der über die Bemessungsgrenze hinaus von den Eltern selbst verdient wird, bleiben ihnen 50 Cent sowie der daraus zu errechnende Anteil des Kinderzuschlags.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth WinkelmeierBecker.

Elisabeth Winkelmeier-Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003865, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich habe eine Nachfrage zu der Höchsteinkommensgrenze. Sie haben dazu gerade einige Ausführungen gemacht; ich wünsche mir, noch ein paar Kriterien zur Berechnung zu hören. Wonach richtet sich das ungefähr, und wie soll an dieser Stelle die Abschmelzrate verlaufen? Welches sind hier die tragenden Gedanken?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

An der Höchsteinkommensgrenze ändert sich gegenüber dem bisherigen Recht nichts. Es ändern sich allerdings zwei Kriterien. Zum einen ist dies die Mindesteinkommensgrenze. Der Einstieg wird auf einer Ebene festgesetzt und abgesenkt. Was zum anderen die Abschmelzung anbelangt, so mache ich dies an einem Beispiel deutlich: Wenn ein Paar mit einem Kind oder zwei Kindern 1 200 Euro verdient - die Bemessungsgrenze, die besagt, was diese Gemeinschaft zum Leben braucht, liegt bei 1 100 Euro -, dann bekommt es den Kinderzuschlag, aber weniger als die 140 Euro. Er wird also abgeschmolzen: Von jedem Euro, den das Paar über der Bemessungsgrenze liegt, wird ihm 50 Cent gelassen, und die anderen 50 Cent werden auf den Kinderzuschlag angerechnet.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Carl-Ludwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Ministerin, zu Beginn dieser Wahlperiode richteten wir seitens der FDP eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung, die Sie beantwortet haben. Dort wie auch später haben Sie aufgelistet, dass es etwa 145 unterschiedliche familienbezogene Leistungen gebe. In der Aufstellung Ihres Ministeriums sind Sie auf Leistungen des Staates in Höhe von etwa 180 Milliarden Euro gekommen, wobei man darüber diskutieren kann, ob es Leistungen des Staates oder Ansprüche des Bürgers sind. Beim Existenzminimum handelt es sich meiner Ansicht nach nicht um eine Leistung des Staates, sondern um einen Anspruch des Bürgers. Sie haben seinerzeit gesagt, Sie wollten ein Gesamtkonzept erstellen. Ein solches Gesamtkonzept liegt aber immer noch nicht vor. Daher frage ich Sie: Ist es sinnvoll, die jetzt in Rede stehende Maßnahme vor das Gesetz zu ziehen, oder wäre es nicht sinnvoller, sie in ein Gesamtkonzept einzubinden? Wir fragten danach zu Beginn dieser Wahlperiode und befinden uns inzwischen in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode. Möglicherweise kommt es nicht mehr zu einer grundsätzlichen Überarbeitung der familienpolitischen Leistungen, was wir sehr bedauerten. Halten Sie es nicht für richtig, endlich das grundlegende Konzept vorzulegen?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Auf die erste Frage von Frau Lenke hin habe ich schon das grundlegende Konzept für die Bekämpfung von Kinderarmut innerhalb der Familienleistungen dargelegt. Am Beispiel Ausbau der Kinderbetreuung kann ich Ihnen verdeutlichen, dass sich eine Leistung nicht immer nur auf ein Thema bzw. ein Problem bezieht. Der Ausbau der Kinderbetreuung für die unter Dreijährigen ist ein Posten innerhalb der familienpolitischen Leistungen. Dadurch wird sowohl die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für alle Familien als auch die frühkindliche Bildung für alle Kinder - insbesondere aber für die Kinder aus benachteiligten Schichten - deutlich verbessert. Dies ist aber eben nicht nur spezifisch für Familien im mittleren Einkommensbereich oder für Alleinerziehende, die aus dem Bezug von Arbeitslosengeld II herausfallen möchten und das dank einer guten Kinderbetreuung auch können. Genauso ist der Kinderzuschlag ein Teil des Gesamtkonzeptes zur Bekämpfung der Kinderarmut. Er ist auch ein Teil der familienpolitischen Leistungen, die Sie eben angesprochen haben, zu denen zum Beispiel - ich darf einmal etwas ganz anderes nennen - die Witwenrente gehört. Sie sehen also, dass der Kinderzuschlag ein Instrument ist, das von allen gesellschaftlichen Gruppen und Fraktionen als sinnvolle und richtige arbeitsmarkt- und familienpolitische Maßnahme angesehen wird und es verdient, weiterentwickelt und verbessert zu werden. In dem großen Kontext der familienpolitischen Leistung darf diesbezüglich nicht gesagt werden: Wir tun gar nichts, solange wir von der Witwenrente bis zur Jugendhilfe - um einmal alle Themen zu nennen - nicht alles analysiert haben. Ich glaube, dies ist ein absolut richtiger und wichtiger Schritt. Es gibt im öffentlichen Raum niemanden, der das bestreitet. Ich kann Ihnen dazu sagen - das ist auch wichtig -: Der Kinderzuschlag wird von der Geltung des Gesetzes an evaluiert werden, so, wie wir das beim Elterngeldgesetz auch getan haben. Das ist bei Gesetzen nicht selbstverständlich. Ich halte dies aufgrund der Entwicklung der Gesetze in einer sich verändernden Welt für ein wichtiges politisches Vorgehen, damit ein Feinmonitoring vorliegt, aus dem hervorgeht, wie das Gesetz wirkt und wie effizient es ist. Was sind die Daten, die wir aus der dauernden Evaluation ablesen können? An welchem Punkt müssen wir etwas verbessern oder verändern? Dies werden wir beim Kinderzuschlag von Tag eins an betrachten, was keine Selbstverständlichkeit ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Eva Möllring.

Dr. Eva Möllring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003812, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Ministerin, ich denke, dass der Kinderzuschlag besonders für viele Alleinerziehende wichtig ist, die zwar eine Arbeitsstelle haben, aber damit aus zeitlichen und fachlichen Gründen kein besonders hohes Einkommen erwirtschaften können, und die häufig keinen Unterhalt erhalten. Können Sie sagen oder gibt es irgendwelche Schätzungen darüber, wie hoch der Anteil der Alleinerziehenden ist, die von dem Kindergeld profitieren und es nutzen können, und wie sich der Anteil gegenüber dem heutigen Anteil steigert?

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Diese Schätzungen liegen nicht vor. Oder sagen mir die Fachleute des Ministeriums etwas anderes? - Nein. Schätzungen darüber liegen nicht vor. Aus der Evaluation des Kinderzuschlages im vergangenen Jahr weiß ich aber, dass der Anteil der Alleinerziehenden relativ gering war - er lag bei rund 7 Prozent -, weil es so hoch komplex war, die Mindesteinkommensgrenze zu berechnen. Man muss dazu sagen: Dieser Anteil bezieht sich auf die wenigen, die den Kinderzuschlag erhalten haben. Die Zahl derer, die Anträge gestellt haben, war sehr viel höher. Das zeigt schon, dass diese sehr schwierig zu beantwortende Frage, wer überhaupt den Kinderzuschlag bekommt, für viele aus der Zielgruppe sicherlich eine hohe Hemmschwelle bedeutete, den Kinderzuschlag zu beantragen und dann auch zu erhalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Zahl steigen wird, weil die Zahl der Alleinerziehenden in Relation zur Gesamtbevölkerung steigen wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ich mache darauf aufmerksam, dass mir noch drei Wortmeldungen zur Regierungsbefragung vorliegen und ich alle drei zulassen möchte. Das setzt voraus, dass sich die Fragestellerinnen und Fragesteller bitte auf die Fragen konzentrieren und es dadurch ermöglichen, dass kurz geantwortet werden kann. Das Wort hat die Kollegin Elke Reinke.

Elke Reinke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003829, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank. - Ich möchte noch einmal auf das Problem der Absenkung der Zahl der berechtigten Kinder von 500 000 auf 250 000 eingehen. Sie sagten vorhin, es sei der guten Arbeitsmarktsituation oder dem Aufschwung geschuldet, dass so viele Eltern wieder in Arbeit gekommen sind. Es ist uns allen bekannt, dass der Niedriglohnsektor boomt und dass eine halbe Million Menschen ergänzend Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Ich weiß nicht, woher Sie Ihr Zahlenmaterial haben. Wenn Ihnen entsprechende Zahlen vorliegen, dann wäre es nett, wenn Sie sie uns zur Verfügung stellen oder erläutern könnten. Ich kann Ihre Angaben nicht nachvollziehen. Denn die Zahl der armen Kinder hat sich seit der Einführung der Hartz-IV-Regelungen verdoppelt. Das ist die Realität.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Ihre Aussage, die Zahl der armen Kinder habe sich seit der Einführung der Hartz-IV-Regelungen verdoppelt, ist völlig irreführend. Denn das Arbeitslosengeld II ist aus der Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hervorgegangen. ({0}) Es versteht sich von selbst, dass bei der Zusammenlegung dieser zwei Systeme, die vorher getrennt betrachtet worden sind, die Zahl der Leistungsbezieher rein statistisch steigt. Ich will damit nicht suggerieren, dass ich nicht meine, was ich in diesem Parlament schon mehrfach gesagt habe, nämlich dass es unser vorrangiges Ziel ist, die Kinderarmut in diesem Land konsequent zu bekämpfen. Zu Ihrer Eingangsfrage, woher die Zahlen stammen: Die Zahlen liegen auch Ihnen vor. Was die Entwicklung des Kinderzuschlags in den Jahren 2006 und 2007 angeht - in diesem Zeitraum sind keine Gesetzesänderungen erfolgt; die Grundvoraussetzung ist also unverändert geblieben -, sind im Jahr 2006 durch den Kinderzuschlag 124 000 Kinder erreicht worden und im Jahr 2007 rund 100 000. Das heißt, mehr Kinder - das entspricht dem Ziel des Kinderzuschlags - und ihre Familien sind aus dem Transferbezug heraus in Arbeit gegangen. Das ist die Grundlage dessen, was ich eben ausgeführt habe. Es muss unser Grundanliegen bleiben - ich glaube, in diesem Bestreben sind wir uns alle einig -, Familien auf Dauer zu befähigen, unabhängig von den Transfersystemen auf eigenen Füßen zu stehen. Ein weiterer Schritt besteht darin, durch das Absenken der Mindesteinkommensgrenze weitere Familien zu erreichen, die vorher keine Chance gehabt hätten, den Kinderzuschlag zu bekommen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat die Kollegin Ina Lenke.

Ina Lenke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003170, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Ministerin, die Wohlfahrtsverbände kritisieren den Gesetzentwurf zum Kinderzuschlag, den Sie uns heute in Teilen vorstellen. Sie kritisieren, dass trotz des neuen Kinderzuschlages rund zwei Millionen Kinder und Jugendliche weiterhin Sozialleistungen beziehen. Insofern frage ich Sie, ob Sie die Notwendigkeit sehen, etwas für diese zwei Millionen Kinder zu tun. Meine Anschlussfrage knüpft an Carl-Ludwig Thiele an: Inwieweit ist beabsichtigt, zunächst einmal auszuwerten, welche der 145 familien- und ehebezogenen Leistungen in die falsche bzw. in die richtige Richtung gehen, und dann ein Gesamtkonzept zu erstellen? Insofern haben auch die Wohlfahrtsverbände Fragen an Sie.

Dr. Ursula Leyen (Minister:in)

Politiker ID: 11004092

Was die Kritik der Wohlfahrtsverbände angeht, begrüßen sie - übrigens wie die Gewerkschaften - den Kinderzuschlag an sich. Sie halten die von uns vorgesehenen Verbesserungen beim Kinderzuschlag für absolut richtig, aber sie wünschen sich mehr. Das betrifft die eben bereits genannten Komponenten, nämlich entweder Wahlmöglichkeit - also die Vermeidung von Hilfebedürftigkeit - oder Höchstgrenzen. Ihre Aussage, dass deutlich mehr Kinder in Familien leben, die Arbeitslosengeld II beziehen, ist richtig. Das bezieht sich zum Beispiel auch auf Kinder in Familien, in denen niemand ein Einkommen erwirtschaftet. Bei ihnen greift der Kinderzuschlag naturgemäß nicht. Der Kinderzuschlag ist für die Eltern definiert, die aus eigener Kraft ihr Einkommen verdienen können. Deshalb bleibt er das richtige arbeitsmarktpolitische Instrument. Unser Ziel muss grundsätzlich sein, dass Eltern ein eigenes Einkommen beziehen, für das der Kinderzuschlag gewährt wird. Es kann nicht sein, dass der Kinderzuschlag bei den Hartz-IV-Beziehern greift. Denn die Familien, die Hartz-IV-Leistungen beziehen, erhalten diese, wenn sie keine Arbeit haben. Der Kinderzuschlag betrifft vor allem die Aufstocker. Dabei ist unser Ansinnen, dass niemand nur deshalb Arbeitlosengeld II bezieht, weil er Kinder hat, obwohl er auf eigenen Füßen stehen könnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Vielen Dank, Frau Ministerin. Die letzte Frage bezieht sich auf andere Themen der gestrigen Kabinettssitzung. Das Wort hat die Kollegin Gesine Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Frage an die Bundesregierung zu folgendem Sachverhalt - das Thema hat schon häufig eine Rolle gespielt -: Es geht um das Verhalten von Bahnchef Mehdorn. Wie in der vergangenen Woche in der Presse bekannt wurde, hat Bahnchef Mehdorn in einem Papier mit offiziellem Briefkopf der Deutschen Bahn die 74 einflussreichsten deutschen Unternehmer aufgefordert, beim Volksbegehren zu Tempelhof zugunsten des Flughafens Stellung zu beziehen. Ich möchte von der Bundesregierung gerne wissen, wie sie bewertet, dass der Bahnchef die logistischen Möglichkeiten des Unternehmens missbraucht, um in ein Volksbegehren in seinem Sinne einzugreifen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Frau Staatsministerin Müller.

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Frau Kollegin Lötzsch, Ihre Frage fällt sicherlich in die Zuständigkeit des Verkehrsministeriums, das hier vertreten ist. Es geht hier um die gestrige Kabinettssitzung, an der ich teilgenommen habe. Aber da das Thema, das Sie ansprechen, nicht Gegenstand dieser Sitzung war, möchte ich Ihre Ausführungen zu diesem Punkt nicht kommentieren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Danke, Frau Staatsministerin. - Ich beende die Befragung der Bundesregierung. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Fragestunde - Drucksachen 16/8714, 16/8739 Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Ziffer 10 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen auf Drucksache 16/8739 auf. Diese beziehen sich auf den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der dringlichen Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Nicolette Kressl zur Verfügung. Ich rufe die dringliche Frage 1 des Kollegen Frank Schäffler auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den Konzernverlust der Kreditanstalt für Wiederaufbau Bankengruppe, KfW, von rund 6,2 Milliarden Euro für das Jahr 2007, und welche Auswirkungen auf das Fördergeschäft der KfW ergeben sich nach Ansicht der Bundesregierung daraus?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr Kollege Schäffler, der Verlustausweis der KfW nach HGB beträgt für das Geschäftsjahr 2007 1,4 Milliarden Euro und nach IFRS - dazu ist die KfW nun verpflichtet 6,2 Milliarden Euro. Diese Tatsache beeinflusst natürlich die Fördertätigkeit im Zusammenhang mit dem ERP, da die Erträge der KfW dazu beitragen. Allerdings wird die ERP-Förderung an sich dadurch nicht beeinflusst - das ist ein Unterschied -, da der Bund die im Rahmen der Neuordnung des ERP-Sondervermögens zugesagte Förderung und den Substanzerhalt garantiert. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass es eine schriftliche Zusage von Herrn Mirow und Herrn Gatzer, die dem Haushaltsausschuss vorliegt, gibt, dass von Bundesseite für eine entsprechende Sicherung gesorgt wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre erste Zusatzfrage, bitte.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich habe nicht nur nach dem ERP-Sondervermögen gefragt, sondern auch danach, wie das Fördergeschäft der KfW im Allgemeinen aussieht. Wie Sie wissen, gibt es einen Feuerwehrfonds, der im Zusammenhang mit den Rettungsmaßnahmen für die IKB aufgezehrt wurde. Die Zinserträge aus diesem Fonds kamen ebenfalls dem Fördergeschäft zugute. Wie hoch ist der Ausfall für die KfW an dieser Stelle?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, ich will bei der Beantwortung der Frage nach der Beeinträchtigung der Förderung durch die KfW auf die Aussage des Ministers verweisen, dass auch das allgemeine Fördergeschäft der KfW auf dem durchschnittlichen Niveau der vergangenen Jahre fortgesetzt werden kann. Eine konkrete Ausfallzahl kann ich Ihnen nicht nennen, weil die Bundesregierung noch keine Möglichkeit hat, solche Zahlen vorzulegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Zusatzfrage.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ursache für die Verluste ist das Engagement der KfW bei der IKB. Es kommt nun im Wesentlichen auf den Verkaufsprozess an. Wir haben in Deutschland mehrere Banken, im Wesentlichen im öffentlichen Bereich, die Schwierigkeiten haben, die aber diesen Verkaufsprozess und insbesondere das, was das notleidende Geschäft betrifft, sehr unterschiedlich regeln. Deshalb meine Frage: Wieso hat die KfW nicht darauf gedrungen, dass das risikobehaftete Geschäft bei der IKB in eine sogenannte „bad bank“ ausgegliedert wird und man nur das positive Geschäft zu verkaufen versucht? Denn wir stellen aktuell fest, dass dann, wenn man versucht, das zusammen zu verkaufen, es niemand haben will.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, Sie beschreiben richtig die öffentlich geführte Debatte darüber, inwieweit risikobehaftetes Geschäft und „sicheres“ Geschäft getrennt werden können. Ich als Vertreterin der Bundesregierung bin allerdings keineswegs befugt, Ihnen zu sagen, wieso die Geschäftsentscheidung der KfW in der vorliegenden Form getroffen worden ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Hermann Otto Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, wenn ich die Informationen richtig verstanden habe, kann die Bundesregierung nicht garantieren, dass der Schaden in Höhe von 6,2 Milliarden Euro, der eingetreten ist, tatsächlich das Ende der Fahnenstange ist, sondern es können durchaus im Laufe der Zeit weitere Schäden eintreten. Vor diesem Hintergrund: Wie können Sie garantieren, wenn auf die KfW möglicherweise weitere Belastungen zukommen, der Reservefonds aber aufgezehrt ist, dass das nicht zulasten der Förderpolitik der Kreditanstalt für Wiederaufbau geht bzw. sich das nicht auf das ERP-Sondervermögen auswirken wird?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Solms, es ist völlig richtig, dass die letztendliche Bewertung der Risiken und der Verluste der IKB nicht möglich ist. Darauf hat die Bundesregierung mehrfach hingewiesen. Ich will Ihre Frage in zwei Bereiche aufteilen. Zuerst zur Frage nach der Fördertätigkeit im Zusammenhang mit dem ERP-Sondervermögen. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Förderung zum Teil unabhängig von der derzeitigen Situation der KfW finanziert werden kann, weil Eigenkapital und Nachrangkapital eingebracht worden sind. Allein daraus ergeben sich ungefähr 470 Millionen Euro pro Jahr an Eingängen, die für die Förderung verwendet werden können. Eventuell anstehende weitere Notwendigkeiten werden durch eine Garantie - ich erinnere an das Schreiben an den Haushaltsausschuss, das ich vorhin erwähnt hatte - durch den Bund abgesichert. Zum zweiten Teil Ihrer Frage, was die sonstige Förderung angeht, muss ich darauf hinweisen - ich hatte vorhin schon Herrn Schäffler diesbezüglich geantwortet -, dass wir die Lücken, die sich bisher ergeben, nicht beziffern können, dass es aber notwendig sein wird, gemeinsam - Bundesregierung und KfW - entsprechende Lösungen zu finden, weil es wichtig ist, dass die Geschäftstätigkeit der KfW erhalten bleibt. Ich wiederhole die Aussage des Ministers, dass die durchschnittliche Fördertätigkeit der KfW auch im Geschäft außerhalb des ERP-Sondervermögens erhalten bleiben muss.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Zusatzfrage stellt die Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Mich würde interessieren, warum in der Bundesregierung bisher noch nicht über Konsequenzen auch für den Bundesfinanzminister, beispielsweise in Form eines Rücktritts, nachgedacht wird, da er sich persönlich noch vor einigen Monaten in diversen Veröffentlichungen dafür gelobt hat, dass er solche Geschäfte, die sich jetzt als Verlustgeschäfte herausstellen, maßgeblich vereinfacht hat.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Frau Kollegin Hirsch, ich bezweifle ausdrücklich, dass die Öffentlichkeitsarbeit des Ministers so stattgefunden hat, wie Sie sie beschreiben, und weise darauf hin, dass die vorrangige Aufgabe des Finanzministers unter anderem darin besteht, sich über Strukturfragen des Finanzmarkts Gedanken zu machen. Er hat auch entsprechende Initiativen auf europäischer und internationaler Ebene auf den Weg gebracht. Insofern besteht überhaupt kein Anlass für den Minister, über das nachzudenken, was Sie mit Ihrer Frage nahelegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Zusatzfrage stellt der Kollege Martin Zeil.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Sie sind schon vorhin auf die Zahlen eingegangen, die die Verluste des Konzerns beschreiben. Die Garantien der KfW belaufen sich auf über 8 Milliarden Euro. Wir sollten einmal das maximale Risiko sehen. Sie haben gesagt, man sei bestrebt - Sie haben auf einen Brief des Finanzministeriums hingewiesen -, Defizite auszugleichen. In welcher Höhe wird der Steuerzahler aus jetziger Sicht in Mithaftung genommen?

Nicolette Kressl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002706, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, dieser Brief ist eine Antwort auf die Frage nach der Fördertätigkeit aus dem ERP-Sondervermögen. Um es aufrechtzuerhalten, gibt es einen Benchmark von ungefähr 590 Millionen Euro pro Jahr. Ich habe Ihnen schon vorhin dargestellt, in welcher Höhe die von der momentanen Situation unabhängigen Erträge eingehen. Insofern können wir von einer Lücke von maximal etwas mehr als 100 Millionen Euro ausgehen. Ich will auch die sich dahinter verbergende Frage aufgreifen. Im Moment ist noch nicht geklärt, in welcher Form diese Garantien eingelöst werden. Die Aussage, der Steuerzahler werde automatisch belastet, kann so nicht stimmen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur dringlichen Frage 2 des Kollegen Frank Schäffler: Wie beurteilt die Bundesregierung die Auswirkungen der Rettungsmaßnahmen zugunsten der Deutschen Industriebank AG, IKB, auf die KfW und den Bundeshaushalt vor dem Hintergrund der am 7. April 2008 bekannt gewordenen neuen Belastungen für die KfW?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, um Ihre Frage zu beantworten, will ich einen Teil der Antworten von vorhin aufgreifen. Wie ich schon beschrieben habe, werden wir darauf achten, dass die Fördertätigkeit aus dem ERPSondervermögen in entsprechender Höhe fortgesetzt werden kann. Wir werden darauf achten müssen, dass auch die Fördertätigkeit der KfW im anderen Geschäft erhalten bleibt. Konkrete Auswirkungen können natürlich erst benannt werden, wenn konkrete Zahlen vorliegen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zu einer Zusatzfrage.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, das jüngste Rettungspaket für die IKB sieht vor, dass 2,3 Milliarden Euro über verschiedene Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden: 1,2 Milliarden Euro sollen direkt über den Bundeshaushalt als außerplanmäßige Ausgabe bereitgestellt werden; hinzukommen 300 Millionen Euro des Bankenverbandes; außerdem ist ein fiktiver Verkaufspreis von 800 Millionen Euro eingeplant worden. Ist die Zahl von 800 Millionen Euro Ihrer Ansicht nach aus heutiger Sicht realistisch, und war sie zum damaligen Zeitpunkt realistisch?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Die Bewertung der Zahlen ist nicht allein von der Bundesregierung auf den Weg gebracht worden; das ist auch Ihnen bekannt. Nach unserer Einschätzung ist der Wert 800 Millionen Euro, so die damalige Bewertung, am unteren Rand anzusiedeln. Das heißt, wir halten diese Schätzung der Einnahmen durch den Verkauf der IKB für sehr konservativ.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Zusatzfrage.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Finanzminister hat diese Zahl in seiner Regierungserklärung am 15. Februar genannt, wissend, dass der Börsenkurs der IKB zum damaligen Zeitpunkt in der Summe bei 648 Millionen Euro lag. Mit anderen Worten: Die Kapitalisierung der IKB betrug am 15. Februar 2008 648 Millionen Euro. Der Anteil des Bundes betrug zum damaligen Zeitpunkt 37 Prozent bzw. knapp 240 Millionen Euro. Hat der Bundesfinanzminister zum damaligen Zeitpunkt das Parlament wissentlich falsch über die Erwartungen, was den Verkaufserlös betrifft, informiert? Ich finde schon, dass eine Differenz der Marktkapitalisierung von 561 Millionen Euro zum damaligen Zeitpunkt etwas ist, was dem Parlament erklärt werden muss.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, Sie unterstellen in Ihrer Frage, es sei die alleinige Entscheidung und Bewertung des Bundesfinanzministers gewesen. Dies war nicht so. Wie Sie wissen, kam die Aufteilung der entsprechenden Kosten in einer gemeinsamen Bewertung durch verschiedene Ministerien und den KfW-Verwaltungsrat zustande. Insofern bitte ich Sie ausdrücklich, dies zur Kenntnis zu nehmen. Die Summe von 800 Millionen Euro, die der Finanzminister im Übrigen im Ausschuss noch einmal erläutert hat, war nicht vom Finanzminister allein gegriffen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Hermann Otto Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich habe die Pressemeldungen so verstanden, dass die Rücklagen der KfW nicht ausgereicht haben, um die eingetretenen Verluste abzudecken, und dass Sie deshalb nicht nur einen möglichen Verkaufserlös gegengerechnet haben, sondern auch zukünftige Gewinne - mögliche Gewinne - gegen eingetretene Verluste gerechnet haben. Ich möchte Sie fragen: Entspricht das den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bilanzierung und Buchführung? Entspricht es insbesondere dem in Deutschland üblichen Vorsichtsprinzip im Rahmen der Bilanzierung, dass Sie mögliche zukünftige Gewinne gegen faktisch bereits eingetretene Verluste rechnen? In der Privatwirtschaft wäre das undenkbar, und jeder Wirtschaftsprüfer würde es verwerfen.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Solms, unabhängig davon, dass Sie die Antwort in Ihrer Frage eigentlich schon gegeben haben, möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Ich gehe davon aus, dass die Verfahrensweise den notwendigen Sorgfaltspflichten entsprochen hat.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Martin Zeil das Wort.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, eine der angedachten Maßnamen ist eine Kapitalerhöhung der IKB. Halten Sie diese Maßnahme vor dem Hintergrund, dass die KfW eine beherrschende Stellung damit nicht nur erhalten, sondern auch ausbauen würde und damit andere Gesellschafter aus dem Obligo wären, nach wie vor für richtig?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, Sie wissen, dass es dazu eine Grundsatzentscheidung der Hauptversammlung gegeben hat. Insofern halte ich die Entscheidung für richtig.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Eine weitere Zusatzfrage stellt nun der Kollege CarlLudwig Thiele.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, reichen der Schirm und die Mittel, die jetzt zur Verfügung gestellt worden sind, Ihrer Auffassung nach aus, oder können noch weitere Belastungen entstehen?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, wie gerade auch in dieser Fragestunde schon klar geworden ist, wird es nicht möglich sein, alle Risiken endgültig zu bewerten. Ich halte es aber für völlig falsch, jetzt Anlass zu weiteren Spekulationen zu geben. Wir haben deutlich gemacht, dass wir in dem aufgezeigten Rahmen abschirmen, dass wir das Ganze aber nicht endgültig bewerten können - das hat sich in den Wochen zuvor gezeigt -, ehe beispielsweise der Verkauf der IKB abgeschlossen ist.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur dringlichen Frage 3 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele: Ist die Bundesregierung angesichts des Rücktritts von Ingrid Matthäus-Maier als Vorstandsvorsitzende der KfW der Ansicht, dass die Übernahme der IKB-Anteile durch den Bund richtig war?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Frau Präsidentin! Herr Kollege Thiele, zu Ihrer Frage ist Folgendes zu bemerken: Für mich ist nicht erkennbar, dass die Bewertung der Entscheidung, die IKB-Anteile zu übernehmen, durch den Rücktritt von Frau MatthäusMaier in irgendeiner Weise beeinflusst wird. Dass ein Zusammenhang aufgezeigt wird, hat womöglich damit zu tun, dass nur auf diese Art und Weise eine dringliche Frage gestellt werden konnte.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Zusatzfrage.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, vielleicht können Sie mir dann die Frage beantworten, ob Sie der Auffassung sind, dass die Übernahme der IKB-Anteile sinnvoll war.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, Sie wissen, dass diese Entscheidung im Jahr 2001 getroffen worden ist. Sie wissen auch, dass es im Kern nicht Aufgabe der jetzigen Bundesregierung ist, diese Entscheidung nachträglich zu bewerten. Ich will aber darauf hinweisen, dass inzwischen sehr häufig der Eindruck erweckt wird, als sei es eine alleinige politische Entscheidung der Regierung - oder des Finanzministers - gewesen. Ich glaube, es macht Sinn, eventuell auch durch Presseartikel aus der damaligen Zeit deutlich zu machen, dass es dem wirtschaftlichen Umfeld und ganz besonders auch den Mittelstandskunden der IKB ein dringendes Anliegen war, dass diese Anteile übernommen werden, weil damals mit der Gefahr einer Zerschlagung der IKB gerechnet werden musste.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Zusatzfrage.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, der zuständige Minister war seinerzeit ein SPD-Minister, Hans Eichel. Die gerade zurückgetretene Vorstandssprecherin hat in ihrer Funktion als Vorstandssprecherin, aber auch schon als Vorstand der KfW immer erklärt, die IKB sei für die KfW zwingend erforderlich, um - Zitat -„das Ohr am Markt zu halten.“ Das ist nicht nur mir gegenüber von ihr erklärt worden, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit. Jetzt kann man erkennen, an welchem Markt die KfW über die IKB tatsächlich das Ohr hatte. Ich muss schon sagen, hier ist im Nachhinein durchaus eine gewisse Schwerhörigkeit festzustellen; denn das, was dort knirschte, führt nicht nur zu Problemen bei der IKB, sondern auch zu Problemen bei der KfW und über die Probleme bei der KfW zu Problemen des Bundes und des Bundeshaushalts. Deshalb stelle ich noch einmal meine Frage; denn es wäre aus meiner Sicht das erste Mal, dass die Regierung sagt: Die Wirtschaft äußert einen Wunsch, wir kommen ihm nach. - Der Wunsch ist von der Wirtschaft geäußert worden. Daher möchte ich Sie in diesem Zusammenhang noch einmal fragen, ob auch rückblickend, aus der Sicht der derzeitigen Bundesregierung, die Entscheidung, Anteile an der IKB zu erwerben, richtig war.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, zuerst will ich noch einmal deutlich machen, dass ich in der Antwort auf Ihre Frage vorhin nicht beschrieben habe, dass der Wunsch von der Wirtschaft geäußert worden sei und dass die Bundesregierung dem sozusagen gefolgt sei. Ich wollte nur der in der Frage mitklingenden Unterstellung, es sei ausschließlich eine politisch geprägte Entscheidung gewesen, ein anderes und, wie ich finde, nicht unwichtiges Argument entgegensetzen. Zweitens. Es ist so - wir haben im Ausschuss schon häufiger miteinander darüber diskutieren können -, dass diese falsche Geschäftspolitik im Nachhinein und nachdem sie als solche erkannt werden konnte, nicht akzeptiert werden kann. Daraus aber im Nachhinein die Entscheidung hinsichtlich der Frage der IKB-Übernahme - die damals aus anderen Gründen, die ich auch beschrieben habe, getroffen wurde - zu hinterfragen, halte ich für logisch nicht konsequent, weil dies unterstellen würde, dass die Problematik der Bundesregierung damals bekannt gewesen sei.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Zusatzfrage hat Herr Kollege Solms das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, im Gegensatz zu dem, was Sie eben sagten, ist meine Erkenntnis die, dass die Übernahme des Anteils an der IKB durch die KfW im Jahr 2001 ursächlich damit begründet worden war, dass man verhindern wollte, dass eine ausländische Bank - insbesondere in Rede stand die Royal Bank of Scotland 16068 diese Anteile übernimmt. Vor dem Hintergrund dieser Tatsache, die auch der Herr Bundesfinanzminister im Finanzausschuss bestätigt und nicht dementiert hat, frage ich Sie: Würden Sie bzw. die Bundesregierung heute nicht der Meinung sein, dass es sehr viel klüger gewesen wäre, man hätte diese Übernahme durch die Royal Bank of Scotland durchführen lassen? Das ist eine Bank, die in der Europäischen Union angesiedelt ist. Insofern spräche kein Grund dagegen. Fremdenfeindlichkeit sollte für uns auch kein Argument sein. Meine Frage ist also: Sind Sie vor diesem Hintergrund nicht auch der Meinung, dass es sehr viel klüger gewesen wäre, man hätte diese Übernahme stattfinden lassen, weil der deutsche Steuerzahler so vor einem riesigen Milliardenschaden bewahrt worden wäre?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Solms, zum einen lässt sich im Nachhinein natürlich nicht bewerten, welche Konsequenzen zum Beispiel für die Mittelstandsfinanzierung eine derartige Übernahme gehabt hätte. Diese hätte ja durchaus auch realwirtschaftliche Konsequenzen haben können. Wir beide betreiben ja jetzt einen Rückblick und bewegen uns in einem spekulativen Bereich. Insofern muss ich Sie um Verständnis bitten, dass es mir nicht möglich ist, die Frage, die Sie gestellt haben, anders als mit Nein zu beantworten. Es ist nämlich tatsächlich so. Ich habe zum anderen den Widerspruch, den Sie angesprochen haben, nicht erkennen können. Das, was Sie beschrieben haben, und die Aussage, es seien durchaus Sorgen auch vonseiten der Wirtschaft formuliert worden, hängen ja mit der möglichen Entwicklung der IKB zusammen. Das ist kein Widerspruch, sondern beides ergänzt sich eher.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Die nächste Frage stellt der Kollege Zeil.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, würden Sie denn, wenn Sie rückblickend keine klare Bewertung vornehmen können, mir für die Zukunft zustimmen, dass das Geschäftsmodell der öffentlichen Banken aufgrund der gemachten Erfahrungen dringend der Überprüfung bedarf und es auf ihre eigentliche Tätigkeit zurückgeführt werden sollte, damit künftig ausgeschlossen werden kann, dass solche Spekulationsgeschäfte auf dem Rücken der Steuerzahler stattfinden?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, erstens möchte ich feststellen, dass es nicht darum geht, dass ich keine klare Bewertung vornehmen kann, sondern vielmehr darum, dass es nicht Aufgabe der jetzigen Bundesregierung ist, eine Entscheidung der damaligen Bundesregierung zu bewerten. Zweitens stelle ich fest: Ja, es ist durchaus sinnvoll, eine Debatte, aber in einem etwas breiteren Rahmen als den, den Sie aufgezeigt haben, über die Frage der Aufgaben und im Übrigen auch der Struktur der öffentlichen Banken zu führen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort hat der Kollege Schäffler.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ist zum einen zum damaligen Zeitpunkt, also 2001, vonseiten der KfW oder der Bundesregierung geprüft worden, ob das damalige Geschäftsmodell der KfW, also das klassische Mittelstandsgeschäft, ertragreich war? Sind Sie zum anderen der Meinung, dass das Mittelstandsgeschäft der KfW heute immer noch ertragreich ist?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, als jemand, der der Bundesregierung im Jahre 2001 nicht angehört hat, kann ich Ihre erste Frage nicht beantworten. Ich müsste ansonsten vage um den Sachverhalt herumreden. Bezüglich Ihrer zweiten Frage möchte ich darauf hinweisen, dass die Verluste bei der KfW, von denen wir gerade gesprochen haben, nachweisbar durch die Problematik IKB entstanden sind und ansonsten durchaus ein Ertrag erzielt worden wäre. ({0}) - Entschuldigung, dann habe ich Sie missverstanden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Wir kommen damit zur dringlichen Frage 4 des Kollegen Carl-Ludwig Thiele: Wie will die Bundesregierung angesichts des Rücktritts von Ingrid Matthäus-Maier als Vorstandsvorsitzende die weiteren Belastungen bei der KfW ausgleichen, ohne dass es zu Einschränkungen bei der Fördertätigkeit der Bank kommt und es zu weiteren Belastungen des Bundeshaushalts führt?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Frau Präsidentin, bezüglich der Frage von Herrn Thiele verweise ich auf die vorhin gegebenen Antworten und darauf, dass es eine Zusage der Bundesregierung bezüglich des ERP-Sondervermögens und die Aussage des Finanzministers gibt, dass bei der regulären Fördertätigkeit das durchschnittliche Fördervolumen erhalten bleiben soll. Für die technische Ausgestaltung - das betrifft ja auch die Frage des Haushalts - müssen allerdings tatsächlich noch gemeinsam mit der KfW Lösungen gefunden werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Zusatzfrage.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Staatssekretärin, haben Sie vor dem Hintergrund dessen, dass inzwischen viele Milliarden dorthin geflossen sind, dass Rücklagen aufgebraucht wurden und dass die KfW im letzten Jahr aufgrund des gerade und auch vorher schon geschilderten Vorganges einen Verlust ausgewiesen hat, nicht auch den Eindruck, dass diese Art der Fördertätigkeit - die KfW ist eine Förderbank; das ist ihre Aufgabe -, die über die Parteigrenzen hinweg begrüßt und auch von vergangenen Regierungen entsprechend getragen wurde, erheblich dadurch beeinträchtigt wurde, dass eine private Beteiligung an einem normalen Marktteilnehmer eingegangen wurde, der entsprechende Probleme birgt? Insofern noch einmal die Frage: Haben Sie nicht die Sorge, dass Fördermaßnahmen durch ein Fehlverhalten zukünftig nicht erfolgen können, die eigentlich sehr wohl erfolgen sollten oder sogar müssten?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, Ihre Formulierung der Frage widerspricht den von mir gerade mehrfach wiederholten Aussagen, dass bei dem ERP-Sondervermögen das Fördervolumen garantiert wird und dass das durchschnittliche sonstige Fördervolumen sichergestellt werden wird.

Carl Ludwig Thiele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002315, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich bitte sehr um Nachsicht, Frau Staatssekretärin, dass ich nicht zwingend Ihre Bewertung übernehmen muss und auch nicht übernommen habe. Mich treibt um, dass bei einem über die Parteigrenzen hinweg unterstützten Förderinstitut, welches in vergangener Zeit sogar erheblich ausgebaut wurde, durch die erfolgten finanziellen Transaktionen, insbesondere durch die Beteiligung und durch die Verluste aus der Beteiligung, das Fördervolumen über das ERP-Sondervermögen hinaus massiv gefährdet ist und zumindest vonseiten der Regierung auch nicht mehr ausgeweitet werden kann - wenn es überhaupt in diesem Umfang aufrechterhalten werden kann. Insofern habe ich die Frage: Können Sie das tatsächlich sicherstellen? Diese Sorge treibt nicht nur mich um, sie treibt viele um.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Thiele, ich verstehe, dass diese Sorge formuliert wird, weil es richtig ist, dass die Fördertätigkeit der KfW wichtig ist. Es freut mich übrigens, dass Sie noch einmal bestätigen, dass das über alle Parteigrenzen hinweg so gesehen wird; manchmal hatte man in der Debatte in den letzten Wochen den Eindruck, dass dem nicht ganz so sei. Ich kann aber nur noch einmal wiederholen: Beim ERP-Sondervermögen ist das Fördervolumen schriftlich garantiert; bei der allgemeinen Fördertätigkeit müssen wir noch die Zahlen abwarten. Ich gehe aber davon aus, dass es gelingen wird, die durchschnittliche Fördertätigkeit der letzten Jahre aufrechtzuerhalten. Ich weise noch einmal auf die Aussage von Minister Steinbrück in dem Zusammenhang hin.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Hermann Otto Solms das Wort.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich habe in Erinnerung, dass die bisherige Vorstandsvorsitzende der KfW, Frau MatthäusMaier, schon nach der zweiten Schadensrunde im letzten Jahr gesagt hat, hätte sie das Ausmaß des Schadens geahnt, dann hätte sie dieser Sanierung nicht zugestimmt. Es ist ja ihre Aufgabe, die KfW vor Schaden zu schützen. Ist, nachdem sie jetzt nach der vierten Schadensrunde zurückgetreten ist, meine Schlussfolgerung richtig, dass sie in der aufsichtsführenden Behörde, nämlich dem Bundesfinanzministerium, nicht den notwendigen Rückhalt dafür gefunden hat, die KfW vor weiteren Schäden zu schützen, sie stattdessen gezwungen war, sämtliche Reserven der KfW aufzugeben und sie auch in die Zukunft hinein zu verschulden, und dass das tatsächlich ihren Rücktritt ausgelöst hat?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Solms, diese Schlussfolgerung kann ich aus dem Rücktritt von Frau Matthäus-Maier, die diesen ja auch mit persönlichen und gesundheitlichen Gründen erklärt hat, nicht ziehen.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Zeil.

Martin Zeil (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003868, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, Frau Matthäus-Maier hat ja als Grund unter anderem das Hin und Her zwischen zwei Ministerien angegeben und dass sie es leid sei, den Kopf für Fehler hinzuhalten, die andere gemacht haben. Haben Sie eine Interpretation dafür, was und wen sie damit gemeint haben könnte?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege, zum einen stehen mir in der Funktion, in der ich hier stehe, Interpretationen von Aussagen von wem auch immer - in diesem Fall von Frau MatthäusMaier - nicht zu. Zum anderen ist unabhängig davon festzustellen gewesen, dass beispielsweise in den Fraktionen, in den Ministerien und auch in der Debatte hier im Plenum bei der Frage der Entlastung des IKB-Aufsichtsrats in Details und in Nuancen unterschiedliche Auffassungen bestanden. Ich wiederhole: Mir steht eine Interpretation hier nicht zu.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die nächste Frage geht an die Kollegin Hirsch.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Ich hatte vorhin die Verantwortung des Bundesfinanzministers angesprochen, was Sie lediglich mit einem leichten Lächeln quittiert haben. Ich möchte daher auf diesen Punkt zurückkommen. In dem Monatsbericht des BMF für März 2006 schreibt Bundesfinanzminister Peer Steinbrück unter der Überschrift „Was darf die deutsche Kreditwirtschaft von der neuen Bundesregierung erwarten?“, dass das Kapitel „Finanzmarktpolitik“ ein Eckpfeiler des Koalitionsvertrages ist. Der Minister lobt sich in diesem Artikel selbst, indem er weiterhin schreibt: Wie wichtig schnelles und unbürokratisches Handeln sein kann, zeigt sich bei unseren Anstrengungen zum Ausbau des deutschen Verbriefungsmarktes. Ich möchte Sie deshalb fragen, ob Sie an Ihrer vorherigen Aussage, dass der Bundesfinanzminister an dieser Stelle keine Verantwortung trägt, festhalten wollen.

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Selbstverständlich, sehr geehrte Frau Kollegin Hirsch. Ich halte die Verknüpfung, die Sie vorgenommen haben, für absolut unzulässig. In Ihrer vorherigen Frage haben Sie eine direkte und persönliche Verantwortung des Bundesfinanzministers für die Situation bei der IKB unterstellt. Was Sie hier gerade vorgelesen haben - Sie haben im Übrigen nicht, wie Sie behauptet haben, wörtlich zitiert ({0}) - ist ja auch egal -, zeigt, dass es hier um die Grundsätze des Verbriefungsmarktes geht. Das ist ein völlig anderer Aspekt. Auch heute gibt es keinen Anlass, zu sagen, es dürfe keinen Verbriefungsmarkt geben. Es geht vielmehr um die Bewertung der Risiken, um eine effektive Aufsicht und um sachgerechtes Handeln der Banken. Ich bitte Sie ausdrücklich - ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass sie es absichtlich in einen unzulässigen Zusammenhang bringen wollen, oder an fachlicher Unkenntnis ({1}) und fordere Sie auf, diesen Zusammenhang so nicht herzustellen.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Die letzte Frage geht an den Kollegen Schäffler.

Frank Schäffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003834, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal auf die Ursprungsfrage von Herrn Thiele bezüglich des Fördergeschäftes zurückkommen. Der Fonds für allgemeine Bankrisiken bei der KfW - das haben wir schon festgestellt - ist aufgebraucht. Bei der Zugrundelegung einer Verzinsung von 5 Prozent hat der Fonds einen Ertrag von 250 Millionen Euro pro Jahr erbracht. Dieser Betrag wurde in der Vergangenheit für das Fördergeschäft genutzt. Wenn dieses Geld nun fehlt, wie können Sie dann vor dem Parlament die Aussage treffen, dass das Fördergeschäft davon künftig nicht beeinflusst ist?

Nicolette Kressl (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002706

Herr Kollege Schäffler, in Bezug auf das ERP-Sondervermögen gibt es die definitive Aussage der Garantie. Hinsichtlich des allgemeinen Fördergeschäfts gibt es die Aussage des Finanzministers, dass dieses Geschäft auf der durchschnittlichen Höhe erhalten bleiben soll. In diesem Zusammenhang habe ich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass wir aufgrund der noch nicht vorliegenden Zahlen zurzeit keine Lösung formulieren können. Ich weise ebenfalls darauf hin, dass es unterschiedliche Volumina bei der Förderung durch die KfW mit Peaks in einzelnen Jahren gegeben hat. Es gibt, wie gesagt, die Aussage, dass dieses Geschäft auf der durchschnittlichen Höhe weitergeführt werden soll.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002190

Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. Wir kommen jetzt zur Beantwortung der Fragen auf Drucksache 16/8714. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Bender sollen schriftlich beantwortet werden. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Storm zur Verfügung. Ich rufe zunächst die Frage 3 der Kollegin Cornelia Hirsch auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Ergebnissen der Studie „Studienberechtigte 2006 ein halbes Jahr nach Schulabschluss“, die bereits im Februar 2008 der Öffentlichkeit präsentiert werden sollten, und warum wurden die Ergebnisse noch nicht publiziert?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Die Frage der Abgeordneten Hirsch beantworte ich wie folgt: Die Studie „Studienberechtigte 2006 ein halbes Jahr nach Schulabschluss“ wurde am 4. April 2008 als HIS-Publikation - HIS ist das Hochschul-Informations-System - „Forum Hochschule“, 4/2008, veröffentlicht und ist über die Homepage der HIS abrufbar. Die Studie zeigt beispielsweise, dass die Attraktivität von naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen zunimmt. Der Anteil der Studienberechtigten, die sich für Maschinenbau entscheiden, vergrößerte sich um knapp ein Viertel, von 7 auf 9 Prozent. Maschinenbau gehört jetzt zu den drei beliebtesten Studienfächern. Der Anteil der Bereiche Elektrotechnik - 3 Prozent - und Mathematik/Informatik - 5 Prozent - erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr um jeweils 1 Prozentpunkt. Diese Entwicklung zeigt, dass die Aktivitäten der Bundesregierung und der Länder, die Attraktivität von naturwissenschaftlich-technischen Studiengängen zu steigern, Früchte tragen. Der in der Studie konstatierte leichte Rückgang der Studierquote - das ist der Anteil der StudienberechtigParl. Staatssekretär Andreas Storm ten, die sich für ein Studium entscheiden - ist für die Bundesregierung ein Hinweis darauf, dass die Bemühungen um eine deutliche Erhöhung des Akademikeranteils nicht nachlassen dürfen. Der Hochschulpakt 2020 zwischen der Bundesregierung und den Ländern, dessen Zwischenziel es ist, die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger an deutschen Hochschulen bis zum Jahr 2010 um über 90 000 zu steigern, setzt sehr positive und wirkungsvolle Anreize.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In dieser Studie wurde sehr viel über Studienfinanzierung geschrieben. Dort steht unter anderem, dass ein Viertel der Befragten, die auf ein Studium verzichten, angeben, dies aufgrund finanzieller Schwierigkeiten zu tun. Sie verzichten auf ein Studium, weil sie fürchten, sich ein Studium nicht leisten zu können. Hat die Bundesregierung über diesen Punkt diskutiert, und welche Schlussfolgerungen zieht sie aus diesen Aussagen der Studie?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung hat diesen Punkt zur Kenntnis genommen. Im vergangenen Jahr wurde mit der BAföG-Novelle - Erhöhung des BAföG zum Wintersemester 2008/2009, Anhebung der Bedarfssätze um 10 Prozent sowie Anhebung der Einkommensgrenzen um 8 Prozent - dafür Sorge getragen, dass insbesondere Studierende mit einer schwächeren finanziellen Basis eine erhebliche Besserstellung erfuhren.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Ihre zweite Nachfrage, bitte.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Besten Dank. - Über diese BAföG-Novelle haben wir uns schon einige Male unterhalten. Wir von der Linken haben sie als unzureichend kritisiert. Nichtsdestotrotz möchte ich in meiner zweiten Nachfrage auf den zweiten Aspekt eingehen. Es geht ja nicht nur um die Finanzierung des individuellen Lebensunterhalts, sondern auch um die Frage, ob der Zugang zur Hochschule durch Gebühren verschlossen wird. Wir haben schon mehrere Male nachgefragt, wie die Bundesregierung zum UNSozialpakt steht, der von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde. Er enthält die Forderung, dass ein Hochschulstudium gebührenfrei sein soll. In diesem Zusammenhang würde mich interessieren, wie die Bundesregierung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einschätzt, die Revision einer Studentin aus NRW zuzulassen, die gegen die Einführung von Studiengebühren mit der Begründung geklagt hat, dass Studiengebühren gegen Völkerrecht verstoßen.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Zum jetzigen Zeitpunkt ist eine abschließende Beurteilung dieses rechtlichen Verfahrens noch nicht möglich. Die Bundesregierung ist generell der Auffassung, dass die von Ihnen angesprochene internationale Vorgabe von den Bundesländern, die in Deutschland Studienbeiträge eingeführt haben, in vollem Umfang erfüllt wird, weil die eingeführten Studienbeitragssysteme alle von sozialen Ausgleichssystemen in Form von sehr günstigen Darlehen mit sozial abgefederten Konditionen hinsichtlich der Rückzahlung flankiert werden. So wird sichergestellt, dass niemand durch die Studienbeitragssysteme und damit aus finanziellen Gründen vom Studium abgehalten wird.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Damit kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Hirsch: Wann gedenkt die Bundesregierung ihre offizielle Antwort zum Bericht des UN-Menschenrechtsinspektors Vernor Muñoz über das Recht auf Bildung vom 21. März 2007 zu veröffentlichen, da der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen offensichtlich eine umfangreichere Stellungnahme erwartet ({0}) als die gemeinsame Stellungnahme mit der Kultusministerkonferenz in der vierten Sitzung des UN-Menschenrechtsrats ({1}), bzw. wie wird sie gegebenenfalls erklären, dass sie keine offizielle Antwort verfassen wird? Bitte, Herr Staatssekretär.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Ich antworte wie folgt: Die Bundesregierung hat in zweifacher Weise zu dem Bericht Stellung genommen. Vorab hatte der Sonderberichterstatter einen Entwurf an die Bundesregierung mit der Bitte übermittelt, sachliche Richtigstellungen vorzunehmen. Da der Bericht hauptsächlich die vorschulische und schulische Bildung, die in die Zuständigkeit der Länder fällt, thematisiert, ist die Bundesregierung dieser Bitte gemeinsam mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister, KMK, nachgekommen. Im Zusammenhang mit der Präsentation des Berichtes vor dem VN-Menschenrechtsrat hat die deutsche Delegation in Genf zudem eine Erklärung der Bundesregierung und der KMK vorgetragen. Deutschland hat sich damit im gesamten Verfahren so verhalten, wie es die internationalen Vereinbarungen vorsehen. Weder sieht das reguläre Verfahren eine Verpflichtung für Staaten zur Stellungnahme vor, noch ist eine offizielle Anforderung zu einer Stellungnahme an Regierungsvertreter ergangen. Schriftliche Stellungnahmen in Form eines Letters oder einer Note Verbale, wie sie von einigen Staaten, zum Beispiel den USA 2001, der Türkei 2002 oder China 2003, zu Berichten der damaligen VN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung abgegeben wurden, erfolgten auf freiwilliger Basis. Verschiedentlich in der Presse zitierte Erwartungen des VN-Sonderberichterstatters Professor Muñoz in Richtung einer Stellungnahme konnten durch das Büro der Hochkommissarin für Menschenrechte nicht bestätigt werden.

Petra Pau (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11003206

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön. - Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass Vernor Muñoz in der Anhörung des Bildungsausschusses in der letzten Sitzungswoche deutlich gemacht hat, dass er sich eine deutlich ausführlichere Stellungnahme gewünscht hätte, die ganz klar darauf zielt, dass in Deutschland entsprechende Konsequenzen gezogen werden?

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, mir ist eine solche Stellungnahme von Professor Muñoz nicht erinnerlich. Ich hatte bei seinem letzten Besuch in Deutschland vor einigen Wochen die Gelegenheit zu einem mehr als einstündigen Gespräch mit ihm, bei dem wir über eine Reihe der von ihm angesprochenen inhaltlichen Fragen diskutiert haben. Dabei hat die Frage einer weitergehenden Stellungnahme keine Rolle gespielt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine zweite Nachfrage, Frau Kollegin? Bitte sehr.

Cornelia Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003770, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Meine zweite Nachfrage bezieht sich darauf, dass heute von der OECD eine Empfehlung an Deutschland gerichtet worden ist, die unter anderem beinhaltet, das gegliederte Schulsystem abzuschaffen. Da es bisher vonseiten der Bundesregierung immer sehr positive und unterstützende Ausführungen hinsichtlich des gegliederten Schulsystems gab, wollte ich mich erkundigen, ob im Zuge dieser Empfehlung der OECD jetzt darüber nachgedacht wird, diese Position zu überdenken und auf die Länder einzuwirken, das gegliederte Schulsystem zu ändern.

Andreas Storm (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002811

Frau Abgeordnete Hirsch, die Bundesregierung sieht hierzu keinerlei Veranlassung. Es ist in den Stellungnahmen, die die KMK gemeinsam mit dem Bundesbildungsministerium und bei anderer Gelegenheit selber abgegeben hat, immer deutlich gemacht worden, dass der Schlüssel für eine Verbesserung der Qualität des Bildungssystems nicht in der Frage der Organisation des Schulsystems liegt. Im Übrigen gibt es hierzu empirische Befunde, die alles andere als eindeutig sind. Ich darf zum Beispiel auf die auf umfangreichen Vorläuferuntersuchungen basierende Längsschnittstudie Lebensverläufe von der späten Kindheit ins frühe Erwachsenenalter - LIFE verweisen, die nach ersten Verlautbarungen des Bildungsforschers Helmut Fend zu dem Ergebnis kommt, dass die Gesamtschulen nicht mehr Bildungsgerechtigkeit als die Schulen des gegliederten Schulsystems schaffen. Die empirischen Befunde machen also deutlich, dass hier keineswegs eine eindeutige Situation besteht. Im Hinblick auf die Instrumente zur Verbesserung der Qualität des deutschen Bildungssystems halten wir andere Aspekte für zielführend, nicht die Organisation des Schulsystems.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich bei Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 5 und 6 der Kollegin Cornelia Behm werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes. Für die Beantwortung der Fragen steht zur Verfügung Herr Staatsminister Dr. Gernot Erler. Ich rufe die Frage 7 der Kollegin Inge Höger auf: Welche Position bezieht die Bundesregierung, insbesondere angesichts der restriktiven Vorgaben durch die UN-Resolution 1244, zu der am 19. März 2008 getroffenen Entscheidung der US-amerikanischen Administration, zukünftig Waffenlieferungen an das Kosovo zu genehmigen?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Höger, die Antwort der Bundesregierung lautet: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat das mit seiner Resolution 1160 vom 31. März 1998 gegenüber der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien einschließlich Kosovo verhängte Waffenembargo, auf das die Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 in ihrer Ziffer 16 Bezug nimmt, mit seiner Resolution 1367 vom 10. September 2001 aufgehoben. Nach Kenntnis der Bundesregierung handelt es sich bei der in der Frage genannten Entscheidung der US-Regierung um einen formellen, nach der völkerrechtlichen Anerkennung durch die USA für erforderlich gehaltenen Akt, der zwischen den USA und Kosovo eine grundsätzliche Zusammenarbeit auf militärischem Gebiet ermöglichen soll. Von konkreten Vorhaben zur Ausfuhr von Rüstungsgütern in diesem Zusammenhang hat die Bundesregierung keine Kenntnis.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin? - Bitte sehr.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Erler, unabhängig davon, dass auch ich nicht von konkreten Waffenlieferungen weiß, ist damit zumindest die Möglichkeit eröffnet. Außerdem gibt es Untersuchungen des Bundesnachrichtendienstes, wonach die Regierung Kosovos von der Mafia unterwandert ist. Meines Erachtens besteht die Gefahr, dass die Waffen dann bei der Mafia landen. Sehen nicht auch Sie diese Gefahr im Falle einer Waffenlieferung?

Not found (Gast)

Ich will noch einmal betonen, dass sich diese Entscheidung der USA nicht auf eine konkrete Waffenlieferung bezieht. Die Amerikaner haben in Bezug auf Serbien einen ähnlichen Beschluss gefasst. In dem amerikanischen Text ist von „Eligibility“ die Rede. Das heißt, es gibt eine grundsätzliche Entscheidung darüber, dass Waffen geliefert werden könnten. Insofern gibt es keinen direkten Anlass zur Sorge.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte schön.

Inge Höger-Neuling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003773, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Präsident Bush hat die Möglichkeit der Waffenlieferung damit begründet, dass dies zum Weltfrieden beitrage. Sind auch Sie der Ansicht, dass Waffenlieferungen zum Frieden beitragen?

Not found (Gast)

Nein, eine solch grundsätzliche Aussage kann man sicherlich nicht treffen. Aber es ist klar, dass Sicherheitskräfte entsprechende Waffen haben müssen. Sie wissen, dass es in Kosovo nach den Vorschlägen von Ahtisaari eine Kosovo Security Force geben wird, die sozusagen mit beschränkter Haftung für einige Sicherheitsbereiche zuständig sein wird. Dass sie eine entsprechende Ausrüstung haben muss, ist selbstverständlich.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe nun die Frage 8 der Kollegin Marieluise Beck auf: Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass das jüngste Vorgehen der russischen Behörden gegen das russisch-britische Unternehmen TNK-BP, dessen Büroräume wie auch die Räume von BP selbst am 19. März 2008 von Mitarbeitern des Inlandsgeheimdienstes FSB und des Innenministeriums durchsucht wurden, dessen 148 ausländische Mitarbeiter zwischenzeitlich aufgrund von angeblichen Visaproblemen aus den Büros abgezogen wurden und dem gleichzeitig eine Inspektion seines größten Ölfeldes durch die russische Umweltbehörde bevorsteht, im Zusammenhang zu sehen ist mit dem am 2. April 2008 von der russischen Duma verabschiedeten Gesetz zur Beschränkung ausländischer Investitionen in 42 „strategischen Bereichen“, darunter auch dem Energiebereich, und dass beides Anzeichen einer zunehmenden Verschlechterung des Investitionsklimas in Russland sind?

Not found (Gast)

Frau Kollegin Beck, Sie haben der Bundesregierung praktisch drei Fragen gestellt. Meine Antwort für die Bundesregierung lautet folgendermaßen: Für einen direkten Zusammenhang zwischen dem zitierten Vorgehen der Behörden der Russischen Föderation gegenüber dem russisch-britischen Unternehmen TNK-BP und dem von der Staatsduma der Russischen Föderation am 2. April 2008 in dritter Lesung verabschiedeten Gesetz zum „Verfahren der Durchführung von ausländischen Kapitalanlagen und Wirtschaftsgesellschaften, die strategische Bedeutung für die nationale Sicherheit der Russischen Föderation haben“ hat die Bundesregierung keine Anhaltspunkte. Die Bundesregierung beobachtet - auch im Zusammenhang mit dem zitierten Vorgehen der Behörden der Russischen Föderation - die Entwicklung des allgemeinen Investitionsklimas in der Russischen Föderation mit großer Wachsamkeit. Von einer „Verschlechterung des Investitionsklimas“ wäre auszugehen, wenn sich Vorgänge wie im Fall TNK-BP häufen würden und sich deshalb eine relevante Anzahl von Investoren aus der Russischen Föderation zurückziehen müsste. Die ausländischen Investitionen in Russland haben sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Zusatzfrage? - Bitte.

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, wie schön, dass das Auswärtige Amt bis drei zählen kann. - Wann würden Sie denn von einer relevanten Anzahl ausgehen? Wie würden Sie das definieren? Ist es nicht so, dass dieses Vorgehen gegenüber TNK-BP quasi wie eine Blaupause dem entspricht, was bei Shell gemacht worden ist, was letztlich dazu führte, dass Gasprom Mehrheitsanteile übernehmen konnte? Ist es nicht ein Vorzeichen dafür, dass die avisierte Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, die auch für die Einhaltung der Menschenrechte notwendig ist - und die wir von Medwedew erwarten -, durch das reale Handeln der russischen Regierung und Behörden im Augenblick nicht gedeckt ist?

Not found (Gast)

Auch das waren mehrere Teile. - Zunächst einmal geht es um die Frage: Ab wann sind tatsächlich Auswirkungen auf das allgemeine Investitionsklima zu spüren? Frau Beck, ich glaube, Sie kennen die Entwicklung sehr gut. Allein im Jahr 2007 kam es zu einer Zunahme der deutschen Direktinvestitionen in Russland in Höhe von 1,17 Milliarden US-Dollar, und die Gesamtsumme ist bis zum Jahr 2007 auf 4,5 Milliarden US-Dollar gestiegen. Es gibt also überhaupt keine Anzeichen dafür, dass, was die Direktinvestitionen in Russland angeht, Zurückhaltung geübt wird; im Gegenteil. Insofern kann man nicht sagen, dass dieser Fall bisher eine besondere Wirkung im negativen Sinne hatte. Das erwarten wir auch nicht. Wer genau beobachtet hat, wie BP reagiert hat, konnte feststellen, dass auch von dieser Seite der Versuch unternommen wurde, die Vorfälle nicht zu dramatisieren. Sie wurden eher als unglücklicher Umstand bezeichnet. Wie Sie wissen, stehen auch Vorwürfe gegen Einzelpersonen im Raum, die noch geprüft werden; dabei geht es unter anderem um den Vorwurf der Spionage. Auch BP hat kein Interesse daran, dass diese Vorfälle zu einer nachhaltigen Schädigung des Russlandgeschäfts führen, sondern setzt auf eine konstruktive Zukunft.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Marieluise Beck-Oberdorf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002624, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. - Wir haben heute Morgen darüber diskutiert, dass die Europäische Union gerade mit Russland über ein neues PKA verhandelt, das bald verabschiedet wird. In diesem PKA werden die Bedingungen der Transparenz und der Rechtssicherheit in Russland festgeschrieben. Insofern bin ich etwas erstaunt, dass Sie die Vorgänge bei TNK-BP als unglücklichen Umständen geschuldet ansehen. Es ist doch wohl nicht durch einen unglücklichen Umstand zu erklären, dass auf einmal sonderbarerweise bei 148 ausländischen Mitarbeitern einer Firma Visaprobleme auftreten. Ich bin etwas verwundert, mit welcher Harmlosigkeit - wenn ich das einmal so ausdrücken darf - das Auswärtige Amt mit diesem Vorfall umgeht.

Not found (Gast)

Frau Beck, ich fürchte, ich habe mich vielleicht nicht genau genug ausgedrückt. Ich habe die Reaktion der Führung von BP geschildert, nicht die Reaktion der Bundesregierung. Ich habe darauf hingewiesen, dass BP sich auf eine Art und Weise äußert, die beruhigend und nicht dramatisierend wirkt. Das war der Punkt, den ich deutlich machen wollte. Ich habe mir diese Auffassung nicht zu eigen gemacht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer Zusatzfrage Herr Beck, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie haben gerade betont, dass Sie nicht die Reaktion der Bundesregierung geschildert haben. Wie ist denn die Reaktion der Bundesregierung auf diese Vorfälle?

Not found (Gast)

Herr Kollege Beck, wir haben uns natürlich sehr intensiv mit dem Inhalt des Gesetzes vom 2. April dieses Jahres beschäftigt. Mit diesem Gesetz wird ganz eindeutig der Versuch unternommen, im Hinblick auf ausländische Direktinvestitionen in Russland klare Grenzen einzuziehen. So wurde unter anderem eine generelle Genehmigungsschwelle bei 50 Prozent beschlossen. Wenn es um Bodenschätze geht, liegt diese Schwelle für Privatunternehmer sogar bei nur 10 Prozent. Das ist ein Punkt, der uns durchaus Sorgen macht und dazu führen wird, dass wir unseren russischen Kollegen die eine oder andere Frage stellen müssen. Wir alle wissen, dass in Russland insbesondere im Energiebereich bzw. bei den Bodenschätzen enormer Investitionsbedarf besteht. Dass in 42 Bereichen, die als strategisch eingeschätzt werden, für ausländische Direktinvestitionen, die dringend gebraucht werden, solche Grenzen gezogen werden, ist eigentlich ein Widerspruch zu den Interessen Russlands. Wir werden noch viele Gelegenheiten haben, mit unseren russischen Kollegen über dieses Thema zu diskutieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatsminister, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Ulrich Kasparick zur Verfügung. Die Frage 9 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich die Frage 10 der Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter auf: Ist es zutreffend, dass die Schweiz in ihrem Bemühen, die Deutsche Verordnung, DVO, die die Anflüge zum Züricher Flughafen über deutsches Gebiet begrenzt, aufzulockern, ein Angebot an das Auswärtige Amt geschickt hat mit dem Ziel, die Nutzung des deutschen Luftraumes auszuweiten, und, wenn ja, welchen konkreten Inhalt umfasst dieser Brief?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Frau Kollegin, ich kann Ihnen dazu sagen: Es hat am 25. März in Berlin ein Gespräch der Außenämter auf Staatssekretärsebene gegeben. Dabei hat die Schweizer Seite Unterlagen vorgelegt, mit denen sie eine „umfassende Partnerschaft für die Region Südbaden/Nordschweiz“ angeboten hat. Diese Unterlagen wurden von der Schweiz als das Ergebnis langwieriger nationaler Abstimmungen zwischen Verwaltung und Wirtschaft vorgestellt, mit großzügigen jährlichen Investitionen. Aus Schweizer Sicht sollte das Thema „Flughafen Zürich“ nicht isoliert betrachtet werden, sondern im Zusammenhang mit den Fragen des Wirtschaftsraumes Nordschweiz/Südbaden. Die deutsche Seite hat diese Vorschläge mit Zurückhaltung entgegengenommen und noch einmal daran erinnert, dass die Regelung für das Anflugsregime des Flughafens Zürich von den Verkehrsministerien, die hier federführend sind, vorgenommen wird. Sie wissen, dass wir mit den Kollegen in der Schweiz darüber Gespräche führen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage? - Bitte.

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat die Bundesregierung Kenntnis von Paketlösungen, die seit längerem zwischen der Schweiz und der Landesregierung Baden-Württembergs verhandelt werden?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Sie wissen, dass wir uns mit der Schweizer Seite in ständigem Gespräch befinden. Wir haben uns darauf verständigt, eine gemeinsame Arbeitsgruppe einzurichten. Wir warten allerdings auf konkrete Vorschläge der schweizerischen Seite. Die Bereitschaft der deutschen Seite, die Gespräche fortzusetzen, sobald konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, besteht unbenommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage dazu? - Nein. Dann kommen wir zur Frage 11 der Kollegin Schwarzelühr-Sutter: Wie wird die Bundesregierung auf das Ansinnen der Schweiz, die Deutsche Verordnung, DVO, zu lockern, reagieren?

Ulrich Kasparick (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003158

Für uns ist Grundlage der runde Tisch auf Ministerebene vom 31. Oktober 2006, bei dem wir uns mit den Schweizern einvernehmlich darauf verständigt haben, in einer Arbeitsgruppe Lösungen entwickeln zu lassen - ich habe eben schon kurz darauf Bezug genommen -, die für alle Betroffenen, für die Betroffenen beider Seiten, Verbesserungen bewirken. Bauliche Veränderungen am Flughafen Zürich sind als eine Lösungsmöglichkeit in die Gespräche einbezogen worden. Für uns - das bezieht sich jetzt direkt auf Ihre Frage gibt es keine Veranlassung, von dieser Vereinbarung abzuweichen. Das heißt, konkrete Lösungsansätze seitens der Schweiz mit erkennbaren Verbesserungen für die süddeutsche Grenzregion bleiben - das ist unverändert unsere Auffassung - der Schlüssel für eine erfolgversprechende Fortsetzung der Arbeiten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Zusatzfrage?

Rita Schwarzelühr-Sutter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003847, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, danke.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage 12 der Kollegin Sevim Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Ebenso werden die Fragen 13 und 14 des Kollegen Rainder Steenblock und die Fragen 15 und 16 des Kollegen Peter Hettlich schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit auf. Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Undine Kurth werden schriftlich beantwortet, ebenso die Fragen 19 und 20 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl und die Fragen 21 und 22 des Kollegen Hans-Josef Fell sowie die Frage 23 der Kollegin Bärbel Höhn und die Frage 24 der Kollegin Ulrike Höfken. Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Für die Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Peter Altmaier zur Verfügung. Ich rufe die Frage 25 der Kollegin Veronika Bellmann auf: Wie bewertet die Bundesregierung die Kollision von Beförderungspflicht nach den Bestimmungen des Personenbeförderungsgesetzes, PBefG, im Zusammenhang mit dem Verbot der Diskriminierung von Ausländern und der fehlenden Pflicht zur Vorlage von Ausweis- bzw. Passdokumenten vor Aufnahme des Fahrgastes in Taxis innerhalb der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die anschließende strafrechtliche Verfolgung dieser Taxifahrer wegen Transportes illegal Eingereister?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Frau Kollegin, ich habe Ihre Frage so verstanden, dass sie sich vor allen Dingen auf den Transport im Inland bezieht. Es gab eine Reihe von Äußerungen der Bundesregierung auch zum Transport im Grenzbereich. Im Inland besteht grundsätzlich die Beförderungspflicht nach § 22 des Personenbeförderungsgesetzes, und zwar innerhalb des sogenannten Pflichtfahrbereichs. Eine etwaige Strafbarkeit ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Allerdings gehen wir davon aus, dass es sich vor allen Dingen um solche Fälle handelt, die sich im grenzüberschreitenden Verkehr zutragen. Darüber hinaus stellt die Kontrolle von Ausweispapieren von Fahrgästen durch Taxifahrer keinen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz dar. Die Taxifahrer sind nicht dazu verpflichtet; sie sind aber auch nicht gehindert, sich Ausweispapiere vorlegen zu lassen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja. - Ich kenne das Personenbeförderungsgesetz nicht so detailliert, als dass ich wüsste, ob in diesem Gesetz eine Berechtigung verankert ist, die Taxifahrer berechtigt, sich Ausweispapiere vorlegen zu lassen. Sie können ja Beförderungen ablehnen, wenn offensichtliche Beeinträchtigungen des Fahrgastes den Transport erschweren. Könnten sie dies auch, sofern im Personenbeförderungsgesetz die Berechtigung enthalten wäre, sich Ausweispapiere vorlegen zu lassen, wenn sie den Verdacht oder die Vermutung hätten, dass der zu befördernde Fahrgast illegal eingereist sei?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Nach Auffassung unseres Hauses ist es jedenfalls durchaus zulässig, dass sich der Taxifahrer auch heute schon diese Papiere vorlegen lässt.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Beck, bitte sehr.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dieser Austausch von Fragen und Antworten irritiert mich schon etwas. Wie will denn die Bundesregierung vermeiden und verhindern, dass es zur Diskriminierung kommt, wenn von Berlin das Signal ausgeht, dass man sich im Taxi von Menschen, die illegal eingereist sein könnten, in Zukunft die Ausweise vorzeigen lässt? Was heißt denn dies anderes, als dass jeder, der von seiner Haut- oder Haarfarbe her irgendwie fremdländisch aussieht, nach seinen Papieren gefragt wird? Dies hielte ich für eine erhebliche Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft. Die Bundesrepublik hat sich durch Zustimmung zu der entsprechenden Antidiskriminierungsrichtlinie der EU dazu verpflichtet, so etwas bekämpfen und nicht noch fördern zu wollen. Wie sieht man jemandem an der Nasenspitze an, dass er illegal ist? Man kann ihm allenfalls ansehen, dass seine Eltern vielleicht nicht in Hannover oder Hamburg geboren sind. Viel mehr kann man dem Menschen nicht ansehen.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Beck, nach Auffassung der Bundesregierung wäre es durchaus auch in Ordnung, wenn der Taxifahrer von Ihnen die Vorlage von Ausweispapieren verlangte, wenn er einen konkreten Verdacht oder Hinweise darauf hätte, dass Sie versuchten, illegal ins Bundesgebiet einzureisen. Dies ist in erster Linie keine Frage der Hautfarbe. Wie Sie wissen, sind viele derer, die aus den uns umgebenden Ländern illegal einreisen, anhand der Hautfarbe jedenfalls nicht als illegal Einreisende zu erkennen. Es gibt aber ein Problem, das Ihnen aufgrund Ihrer Erfahrung sicherlich auch bekannt ist: Wenn es den betreffenden Personen gelungen ist, die Grenze illegal zu überschreiten, kann man in dem Schleier, dem 20-Kilometer-Raum entlang der Grenze, durchaus verschärfte Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines solchen Transports haben. Uns geht es insbesondere darum, zu vermeiden, dass sich Taxifahrer wissentlich und willentlich an der Schleusung illegal Eingereister beteiligen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Bellmann, bitte sehr.

Veronika Bellmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003501, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jetzt muss ich doch noch einmal eine Nachfrage stellen. Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben von dem Schleier, also dem Grenzraum. Genau darauf habe ich mit meiner Frage abgezielt, weil in meiner Bürgersprechstunde gehäuft Bürger vorsprechen, die Taxiunternehmer oder deren Angestellte sind und im Grenzraum, also innerhalb dieser 35-Kilometer-Zone, Fahrgäste aufgenommen und nach einer Stichprobe einen Strafbefehl erhalten haben. Sie haben bemängelt, dass sie nicht die Pflicht haben, sich die Ausweise vorlegen zu lassen, während sie im Inland gleichzeitig der Beförderungspflicht unterliegen. Wie eben angeklungen, haben sie Angst, gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu verstoßen, wenn sie die Fahrgäste nach den Ausweispapieren fragen. Deswegen meine Frage: Gibt es Bestrebungen der Bundesregierung, diese kleine Lücke im Gesetz zu schließen und zumindest für den grenznahen Raum die Berechtigung einzuführen, sich die Ausweispapiere vorlegen zu lassen? Die Taxifahrer befinden sich hier in einer Grauzone.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich gebe Ihnen ausdrücklich recht, dass es sich hier um schwierige Einzelfallfragen handelt, denen sich ein betreffender Taxifahrer gegenübersieht. Aus diesem Grund ist die Aussage der Bundesregierung heute sehr eindeutig: Es ist kein Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, wenn sich der Taxifahrer die Ausweispapiere vorlegen lässt. Der Kollege Beck ist anderer Auffassung, aber er spricht insoweit nicht für die Bundesregierung. ({0}) Sollte sich in der nächsten Zeit herausstellen, dass diese Auffassung der Bundesregierung nicht von allen relevanten Stellen - insbesondere von den Rechtspflegeorganen nicht - geteilt wird, müsste man in der Tat über entsprechende Klarstellungen nachdenken.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Frage 26 der Kollegin Sevim Dağdelen wird schriftlich beantwortet. Damit rufe ich die Frage 27 der Kollegin Dr. Gesine Lötzsch auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Bericht des Bundesrechnungshofes über die Mitarbeit von Beschäftigten aus Verbänden und Unternehmen in obersten Bundesbehörden, und was hat die Bundesregierung unternommen, um auszuschließen, dass Partikularinteressen von Verbänden und Unternehmen in Gesetzentwürfe der Regierung einfließen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Lötzsch, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung nimmt diesen Bericht sehr ernst. Der Bundesrechnungshof erkennt in seinem Bericht das Instrument des Personalaustausches mit Wirtschaftsunternehmen und -verbänden und die Einbeziehung von verwaltungsfremdem Sachverstand im Übrigen grundsätzlich an. Durch den Personalaustausch sollen den Beschäftigten Einblicke in die Entscheidungsabläufe der jeweils anderen Stelle vermittelt werden; so soll ein gegenseitiges Verständnis zwischen privater Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung gefördert werden. Das war der Grund, warum diese Praktiken unter der Vorgängerregierung initiiert worden sind. Es ist dann Sache jeder obersten Bundesbehörde, durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass Partikularinteressen von Verbänden und Unternehmen nicht in GeParl. Staatssekretär Peter Altmaier setzentwürfe einfließen. Dem Bericht des Bundesrechnungshofes ist zu entnehmen, dass die Prüfung keine Anhaltspunkte für einen konkreten Verdacht auf Missbrauch und Schaden für den Bund und das von ihm zu vertretende Gemeinwohl ergeben hat. Im Interesse des Vertrauens in die Integrität und die Funktionsfähigkeit der Bundesverwaltung unterstützt die Bundesregierung allerdings das Anliegen des Bundesrechnungshofes, den Einsatz dieser Personen einheitlich auszugestalten. Deshalb hat das Bundesinnenministerium einen Vorschlag entwickelt, mit dem die Anmerkungen des Bundesrechnungshofes aufgegriffen werden. Dieser Entwurf wird derzeit innerhalb der Bundesregierung erörtert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage, bitte.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Vor meiner ersten Nachfrage möchte ich Sie erst einmal dafür loben, dass Sie den Bericht sehr ernst nehmen. Der Bericht wurde ja durch Fragen unserer Fraktion und auch Fragen anderer Fraktionen sowie durch Recherchen von Journalisten angeregt. Quasi zeitgleich ist ein Buch der Autoren Kim Otto und Sascha Adamek mit dem Titel Der gekaufte Staat vorgestellt worden, das beim renommierten Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen ist. ({0}) Jetzt komme ich zu meiner ersten Frage. Ein Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums hat das Buch als „spätpubertäres Geschreibsel“ bezeichnet. Darf ich davon ausgehen, dass diese Aussage von der Bundesregierung insgesamt nicht geteilt wird und dass diese Dinge auch in Ihrem Sinne, Herr Staatssekretär, sehr ernst genommen werden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Lötzsch, da ich diese Aussage im Moment nicht verifizieren kann, möchte ich mir auch eine Kommentierung verkneifen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben noch eine zweite Frage, die aber hoffentlich nicht wieder mit Schleichwerbung verbunden ist. ({0})

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Nein, ich glaube, das haben jetzt alle gut verstanden. Herr Staatssekretär, meine zweite Frage bezieht sich konkret auf den Bericht des Rechnungshofes, der in den verschiedenen Gremien diskutiert werden wird. In dem Bericht wird zum Ausdruck gebracht, dass es der Rechnungshof für problematisch hält, Unternehmensinteressen oder Interessen einzelner Wirtschaftsbranchen mit staatlichen Zielen gleichzusetzen. Ich gehe davon aus, dass Sie diese Auffassung teilen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, wie die Bundesregierung die Tatsache bewertet, dass im Rahmen eines Austauschprogrammes eine Mitarbeiterin des DAXUnternehmens SAP im Auswärtigen Amt hoheitliche Aufgaben übernommen hat - das wird auf Seite 42 des Berichts festgestellt -, und welche Aufträge der Bundesregierung das Unternehmen SAP in den letzten fünf Jahren einwerben konnte.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Lötzsch, wie Sie wissen, handelt es sich ressortweit um insgesamt rund 100 Personen pro Jahr. Insoweit bitte ich Sie um Verständnis, dass ich an dieser Stelle nicht zu jeder einzelnen dieser Personen umfängliche Detailaussagen machen kann. Wir werden Sie aber gerne schriftlich informieren.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer weiteren Zusatzfrage hat der Kollege Volker Beck das Wort.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

In gewisser Weise handelt es sich um ein freundliches Wiedersehen mit diesem Thema; denn im Oktober 2006 haben wir uns zum ersten Mal damit befasst. Seinerzeit haben Sie uns noch darüber informiert, dass es keine solchen Mitarbeiter gibt und dass alle externen Mitarbeiter von der Bundesregierung bezahlt werden. Als ihre Existenz nicht mehr zu leugnen war, haben Sie auf unsere Kleine Anfrage geantwortet, dass keine externen Mitarbeiter an Gesetzen und Rechtsverordnungen mitgewirkt haben. All dies hat sich nach dem Bericht des Bundesrechnungshofes als falsch erwiesen. Wenn Sie sagen, es sei kein Schaden entstanden, frage ich Sie, welche Auffassung des Begriffs Schaden die Bundesregierung in diesem Fall hat. Zumindest in einem Fall - insofern frage ich Sie, ob Sie das bestätigen können - hat ein entsandter Mitarbeiter im Interesse des entsendenden Unternehmens vorgeschlagen, eine EURichtlinie in Brüssel zu Fall zu bringen, die zum Ziel gehabt hätte, dass das Geschäftsmodell des entsendenden Unternehmens künftig nicht mehr zulässig ist. Meinen Sie nicht, dass es - selbst wenn es keinen ökonomischen Schaden für Mitbewerber bedeuten sollte, was ich im Einzelfall nicht beurteilen kann, weil ich die Richtlinien nicht kenne - zumindest ein Schaden für die Rechtskultur ist, wenn Unternehmen ihre Interessen unmittelbar in Regierungshandeln umsetzen können und Deutschland in Brüssel im Interesse von Unternehmen statt der gesamten deutschen Wirtschaft handelt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Beck, ich habe Ihnen sehr genau zugehört. Sie haben davon gesprochen, dass der betreffende Mitarbeiter - ich kenne den Fall im Einzelnen nicht - ei16078 nen Vorschlag gemacht hat. Sie haben nicht gesagt, dass diesem Vorschlag entsprochen und dass er umgesetzt worden ist. ({0}) Ich glaube, dass der Umstand, dass Vorschläge gemacht worden sind, als solcher keinen Schaden konstituieren kann. Ich will Ihnen aber in einem Punkt ausdrücklich recht geben. Es muss in der Verantwortung eines jeden Ressorts darauf geachtet werden, dass Externe, soweit sie zum Einsatz kommen, so eingesetzt werden, dass beispielsweise die Gefahr einer Interessenkollision und Interessenvermengung bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen und der Mitwirkung an Rechtsetzungsprozessen auf europäischer Ebene oder im internationalen Bereich ausgeschlossen ist. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Hänsel, bitte.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke, Frau Präsidentin. - Ich habe eine Nachfrage, Herr Staatssekretär. Sie haben ausgeführt, dass ein Entwurf vorliegt, um den Einsatz von Leiharbeitern und Leiharbeiterinnen aus Unternehmen, wie ich sie einmal nennen möchte, einheitlich zu regeln. Was heißt für Sie „einheitlich“, und können Sie persönlich garantieren, dass an diesem Entwurf kein Vertreter der Konzerne mitgewirkt hat?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin, „einheitlich“ heißt, dass wir in einer Verwaltungsvorschrift oder Empfehlung - je nachdem, wie wir die Bestimmung ausgestalten werden - bestimmte Regelungen für alle Ressorts gemeinsam und einheitlich vornehmen, insbesondere bezogen auf die Einsatzdauer und den Einsatzbereich der Externen, die Offenlegung ihres Status - das entspricht dem Ziel einer verbesserten Transparenz - und schließlich auch in Bezug auf die Übernahme der Bezahlung der Externen durch die Verwaltung. Wir befinden uns bei der Erarbeitung dieser Verwaltungsvorschrift in der Ressortabstimmung. Wir haben für den 24. April zu einer weiteren Ressortabstimmung eingeladen. Wir hoffen, dass die Abstimmung bis Ende Mai 2008 abgeschlossen ist. Es kann sicherlich zu einer Verschiebung von ein bis zwei Wochen kommen. Aber wie Sie sehen, werden wir zügig zu einem Ergebnis kommen. Ich kann Ihnen im Augenblick nicht sagen, wer an der Erarbeitung dieser Vorschrift mitgewirkt hat. Wir werden aber überprüfen und sicherstellen, dass keine Externen daran beteiligt waren. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Frage hat Frau Kollegin Dr. Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben zu Beginn Ihrer Antwort gesagt, dass die Bundesregierung den Bericht des Bundesrechnungshofes sehr ernst nimmt. Ich gehe davon aus, dass jede Bundesregierung auch Anfragen von Abgeordneten ernst nimmt. Ich möchte darauf hinweisen, dass im Jahre 2003 meine Kollegin Gesine Lötzsch nach einem Fall gefragt hatte, in dem eine Juristin des Bundesverbandes Investment und Asset Management maßgeblich bzw. federführend an der Erarbeitung eines Gesetzentwurfs des Finanzministeriums zu den Hedgefonds beteiligt war. Das spielte damals im Bundestag eine Rolle. Das war noch unter Rot-Grün. Angesichts solcher Erfahrungen wäre es sinnvoll gewesen, bei der Regierungsübernahme darauf hinzuwirken, dass solche Praktiken eingedämmt werden. Stattdessen müssen wir - auch anhand des Berichtes des Bundesrechnungshofes leider konstatieren, dass die Zahl solcher Fälle explosionsartig angestiegen ist. Vor diesem Hintergrund interessieren mich die Beweggründe, warum man bislang nicht tätig geworden ist. Wie können wir sicher sein, dass der Sinneswandel, den Sie hier ausgedrückt haben, tatsächlich fundamental sein wird?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin, ich bitte um Verständnis, dass sich die jetzige Bundesregierung ungern für Entscheidungen in Haftung nehmen lässt, die die Vorgängerregierung getroffen hat, zumal ich selbst damals noch nicht die Ehre hatte, für die Bundesregierung zu sprechen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass wir uns, unmittelbar nachdem dieses Thema wieder an uns herangetragen wurde - auch durch die Medien, was ich ausdrücklich anerkenne -, dieser Sache angenommen haben. Wir haben nicht gewartet, bis der Bericht des Bundesrechnungshofes vorliegt, sondern sind aus eigenem Antrieb aktiv geworden und haben als zuständiges Bundesinnenministerium die Erarbeitung dieser Verwaltungsvorschrift auf den Weg gebracht.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Frage hat nun Herr Kollege Schneider.

Volker Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003843, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie haben einleitend gesagt, dass Sie solche Praktika in einem gewissen Umfang für unproblematisch hielten, weil man die Verfahrensabläufe kennenlernen müsse. Nun diskutieren wir im Bereich von Forschung und Bildung ebenfalls über Praktika; auch Ihr Kollege Scholz befasst sich damit. In diesem Zusammenhang höre ich immer wieder, dass Praktika zeitlich befristet sein sollen. Stimmen Sie mir daher zu, dass in dem Bericht eine Reihe von Praktika genannt Volker Schneider ({0}) sind, die von ihrer Dauer her über das Kennenlernen von Verfahrensabläufen hinausgehen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Das Thema der zeitlichen Befristung spielt eine gewisse Rolle im Bericht des Bundesrechnungshofes. Es gibt dazu konkrete Empfehlungen. Die Bundesregierung prüft derzeit, inwieweit sie diese Empfehlungen aufgreift.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir kommen nun zu Frage 28 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann: Wie bewertet die Bundesregierung die Vorwürfe des Bundesrechnungshofes in Bezug auf die Beteiligung von Lobbyisten an der Gesetzgebung des Bundes? Bitte, Herr Staatssekretär.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Enkelmann, ich kann nur das wiederholen, was ich auf die vorherige Frage geantwortet habe: Wir nehmen den Bericht des Bundesrechnungshofes sehr ernst. Wir bemühen uns, daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Aus diesem Grunde erarbeiten wir derzeit eine Verwaltungsvorschrift, die für eine einheitliche Praxis der obersten Bundesbehörden Sorge tragen soll.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, Ihre Nachfrage.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, die Bundesregierung hat nun inzwischen erklärt, dass einer der Gründe für die Beschäftigung von Lobbyisten, zum Beispiel bei der Ausarbeitung von Gesetzentwürfen, ist, dass es offenkundig zu wenig Kompetenz in den Ministerien selbst gibt. Was will die Bundesregierung tun, um die Kompetenz in den Ministerien zu stärken und damit den Einsatz von Lobbyisten bei Gesetzgebungsverfahren zu minimieren?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Das haben Sie, Frau Kollegin, wahrscheinlich falsch verstanden. Die Bundesregierung würde nie behaupten, dass es zu wenig Kompetenz in den Ministerien selbst gibt. Es gibt allerdings auch in der öffentlichen Debatte seit vielen Jahren einen Konsens darüber, dass es gerade für die öffentliche Verwaltung sinnvoll sein kann, externen Sachverstand mit heranzuziehen, zumal dann, wenn die Sachverhalte, die zu klären sind, solche sind, mit denen die Verwaltung nicht jeden Tag beschäftigt ist. Insofern hat der Bundesrechnungshof ausdrücklich anerkannt, dass dieses Instrument des Austausches seine Berechtigung hat. Man muss allerdings immer darauf achten, dass keine Interessenkonflikte entstehen, und deshalb muss ausgeschlossen sein, und zwar zu jeder Zeit, dass solche externen Mitarbeiter beispielsweise federführend an der Erarbeitung von Gesetzentwürfen beteiligt sind. Das ist nach meiner Kenntnis - es gibt noch eine Frage des Kollegen Beck zu diesem Komplex - bislang auch nicht vorgekommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ein uns bekannter Haushaltsexperte der CDU hat gegenüber der Berliner Zeitung Folgendes geäußert: Wir brauchen eine klare Grenzziehung zwischen der notwendigen Beratung durch Private und nicht erwünschten Kumpanei. Wie viel nicht erwünschte Kumpanei war denn tatsächlich bei der Beschäftigung von Lobbyisten in den Ministerien vorhanden?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich kann der Aussage des Kollegen aus dem Haushaltsausschuss überhaupt nichts hinzufügen. Sie ist in vollem Umfang berechtigt. Mir ist von Kumpanei nichts bekannt. Für das Bundesinnenministerium und seinen Geschäftsbereich kann ich dies ausdrücklich ausschließen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage hat nun die Kollegin Dr. Lötzsch.

Dr. Gesine Lötzsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003584, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass dann, wenn Lobbyisten an Gesetzen oder wesentlichen Bestandteilen von Gesetzen federführend oder wesentlich mitarbeiten, die demokratischen Rechte der Abgeordneten eingeschränkt werden, solange es keine Kennzeichnungspflicht für die von den Lobbyisten formulierten Passagen in den Gesetzen gibt?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Lötzsch, die Bundesregierung legt Wert darauf, dass man ihr nicht das Wort im Munde umdreht. Wenn Sie mir zugehört haben, dann wissen Sie, dass ich darauf hingewiesen habe, dass uns keine Anhaltspunkte vorliegen, dass solche externen Beschäftigten federführend an Gesetzentwürfen der Bundesregierung mitgearbeitet haben. Deshalb erübrigt sich Ihre Frage.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat die Kollegin Dr. Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, ich bin jetzt ein kleines bisschen verwirrt. Auf meine vorige Nachfrage haben Sie mir versichert, dass Sie sofort aktiv geworden sind, als Sie von der Presse informiert wurden. Also, Ihnen ist nichts von Kumpanei bekannt. Ihnen war vorher nicht aufgefallen, dass das vielleicht ein sensibler Bereich ist, obwohl es nach meinem Wissen, das ich hier im Parlament erworben habe, beim Gesetzgebungsverfahren so ist, dass Entwürfe der Regierung vorgestellt und mit offiziellen Sachverständigen beraten werden - die Listen sind bekannt - und das Parlament sich dann das Recht nimmt, selbst mit den Sachverständigen zu diskutieren. Diese praktischen Dinge werden also sehr intensiv beraten. Mir leuchtet Ihr Argument des Praxisaustauschs nicht ganz ein, weil, wie ich glaube, dort große Gefahren liegen. Warum denn nun trotzdem eine Aktivität? Alles ist paletti, und nun werden Sie auf einmal aktiv. In welche Richtung werden Sie denn aktiv, und warum denken Sie, doch aktiv werden zu müssen? Das hat sich mir noch nicht ganz erschlossen.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Frau Kollegin Höll, ich habe vorhin gesagt, dass es Sache jedes einzelnen Ressorts, jeder einzelnen obersten Bundesbehörde ist, sicherzustellen, dass diese Praktika gemäß den gesetzlichen Vorschriften und ohne unzulässige Interessenkollisionen durchgeführt werden. Der Bundesrechnungshof hat in seinem Bericht - das werden Sie wissen, wenn Sie ihn gelesen haben - darauf hingewiesen, dass es gewisse einheitliche Regelungen geben soll. Das ist auch nachvollziehbar und macht Sinn. Deshalb hat sich die Bundesregierung dem geöffnet, indem sie in Gestalt des Bundesinnenministeriums eine entsprechende Verwaltungsvorschrift erarbeitet hat, die im Augenblick im Ressortkreis abgestimmt wird.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Zusatzfrage hat der Kollege Beck ({0}).

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte noch einmal auf die Schadensthematik zu sprechen kommen. Sie haben vorhin ausgeschlossen, dass es Schäden für andere oder für den Bund gegeben hat. Im Bericht des Bundesrechnungshofs wird ein Unternehmen erwähnt, das sich bei der Bundesregierung beschwert, dass die Konkurrenz einen Mitarbeiter im Ministerium hat. Das ist verständlich, wenn man in Rechnung stellt, dass offensichtlich auch bei Genehmigungsverfahren und dergleichen solche externen Mitarbeiter - zumindest nach Ausweis des Bundesrechnungshofs, dessen Glaubwürdigkeit wir alle wohl nicht anzweifeln werden - beteiligt waren. Wie beurteilen Sie Ihre Aussage von vorhin, dass es keinen Schaden gegeben hat, wenn sich Unternehmen darüber beschweren, dass die Konkurrenz im Ministerium einen Mitarbeiter implantieren konnte, obwohl es einem selber nicht gelungen war?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Der Umstand, dass ein Unternehmen einen Mitarbeiter für die Mitarbeit im Ministerium abgestellt hat, bedeutet nicht, dass es zu einem Schaden gekommen ist. Das wäre nur dann der Fall, wenn dieser Mitarbeiter in Verletzung seiner Pflichten beispielsweise internes Wissen an sein entsendendes Unternehmen weitergegeben hätte. ({0}) Das sind theoretische Konstellationen. Sofern das im Einzelfall vorgekommen sein sollte, müsste es entsprechend verfolgt, abgestellt und geahndet werden. Mir ist dies zum jetzigen Zeitpunkt aber nicht bekannt. Wenn Sie einen solchen Fall kennen, sind wir gerne bereit, dem nachzugehen. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege Beck, Sie können stehen bleiben. Wir kommen zur Frage 29 des Kollegen Beck ({0}): An welchen Gesetz- und Verordnungsentwürfen der Bundesregierung oder anderer oberster Bundesbehörden waren externe Mitarbeiter von Unternehmen und Verbänden bei der Erarbeitung in den letzten fünf Jahren beteiligt ({1}), und wie - beispielsweise Zeitpunkt, Rechtsform, Übernahme welcher Vorschläge - wird die Bundesregierung die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes in diesem Bericht aufgreifen und umsetzen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Frage, wie die Bundesregierung die Empfehlungen des Bundesrechnungshofes aufgreifen und umsetzen wird, habe ich bereits beantwortet. Was die Frage nach den Gesetz- und Verordnungsentwürfen angeht: Es war in der Kürze der Zeit nicht möglich, sämtliche Gesetz- und Verordnungsentwürfe der Bundesregierung aus den letzten fünf Jahren zu erheben. Nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen ist allerdings nur eine relativ geringe Anzahl von Gesetz- oder Verordnungsentwürfen betroffen. Externe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiteten in der Regel an aktuellen Themenstellungen rein beratend mit. Sie waren weisungsgebunden in die Hierarchie der Fachabteilung eingegliedert und übernahmen, wie ich eben schon gesagt habe, keine eigenverantwortliche oder federführende Bearbeitung von Gesetz- und Verordnungsentwürfen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja. Meine Nachfrage besteht in meiner eigentlichen Frage. Ich habe nicht „Wie viele?“ oder „Waren es viele oder wenige?“ gefragt, sondern „Welche?“. Ist die Bundesregierung bereit, uns, dem Parlament, eine genaue Volker Beck ({0}) Liste der Gesetze und Verordnungen zu übermitteln, an denen externe Mitarbeiter beteiligt waren? Wenn nein, warum ist die Bundesregierung nicht bereit, uns diese Liste zu übermitteln, obwohl sie Besserung aufgrund des Bundesrechnungshofberichts gelobt hat, der eine solche Transparenz nicht nur empfiehlt, sondern ausdrücklich fordert?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich habe vorhin gesagt, dass eine vollständige Erhebung der Daten innerhalb der Kürze der Zeit bislang nicht möglich war. Wir haben uns bemüht, diese Daten zu erheben. Ich denke, dass, wenn Daten übermittelt werden, der Anspruch auf Vollständigkeit gegeben sein muss. Das heißt, sobald wir über die entsprechenden Daten verfügen, werden wir darüber entscheiden, ob wir sie dem Parlament mitteilen können.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Von welchen Umständen hängt die Entscheidung ab, ob Sie uns, dem Parlament, die entsprechenden Informationen zuleiten oder nicht? Ich gehe einmal davon aus, dass beim Bundesnachrichtendienst, wo Geheimschutzbelange gegeben sind, keine externen Mitarbeiter beschäftigt werden. Deshalb kann es eigentlich keine verfassungsrechtlich zulässige Begründung für das Zurückhalten dieser Informationen geben. Wovon hängt ab, ob Sie uns diese Liste unverzüglich zugänglich machen oder uns verweigern?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Herr Kollege Beck, ich möchte bitten, dass wir dieses Thema nicht unnötig dramatisieren. Ich habe Ihnen doch gesagt: Wir haben mit der Erhebung begonnen. Wir werden diese Erhebung in einem absehbaren Zeitraum abschließen und werden dann zügig entscheiden. Allerdings bitte ich um Verständnis, dass ich einer solchen Entscheidung an dieser Stelle nicht vorgreifen kann.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Nachfrage hat nun die Kollegin Frau Dr. Höll.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, mich interessiert noch, nach welchen Kriterien Sie bewerten, wenn Sie daran weiterarbeiten. Sie haben hier einen Negativausschluss vorgenommen und behauptet, es sei niemand zu Schaden gekommen, das Allgemeinwohl sei sichergestellt worden. Nicht nur das interessiert uns. Uns interessiert auch die andere Seite - ich möchte explizit vorschlagen, dass Sie das entsprechend in die Bewertung einbeziehen -: Wo gab es Vorteilsnahmen? Nach welchen Kriterien werden Sie vorgehen?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ehrlich gesagt habe ich Ihre Frage nicht ganz verstanden. „Vorteilsnahme“ ist ein Begriff aus dem Strafrecht. Wenn irgendwo der Verdacht auf Vorteilsnahme besteht, wäre das ein Fall für die Strafverfolgungsbehörden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin Höll, der Sachverhalt ist so weit diskutiert worden, dass wir diesen Komplex jetzt abschließen können. Ich rufe die Frage 30 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf: Welche Auskünfte gibt die Bundesregierung über jeweilige Zeiträume, Art, Empfänger und Kosten von Ausbildungsunterstützung, welche die GSG 9 seit ihrer Gründung Spezialeinheiten anderer Staaten leistete, und wie bewertet die Bundesregierung jeweils die Wirkung jener Hilfe vor allem angesichts der Menschenrechtslage in den Empfängerstaaten?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Antwort kann ich sehr kurz halten: Herr Kollege Ströbele, sofern Sie einzelfallbezogene Auskünfte zu erfolgten Ausbildungsunterstützungen haben möchten, ist die Bundesregierung bereit, diese auf eine Anfrage von Ihnen zu erteilen, soweit sie noch aktenkundig und recherchierbar sind und inhaltlich nicht dem Kontrollgremiumsgesetz, PKGrG, unterliegen. Zur Vermittlung rechtsstaatlicher Polizeiarbeit unterstützen im Einzelfall und nach offizieller Beantragung auch Beamte der GSG 9, der Bundespolizei polizeiliche oder mit Polizeiaufgaben betraute Vollzugskräfte anderer Staaten durch Ausbildungshilfe. Die Bundesregierung entscheidet insbesondere mit Blick auf die Menschenrechtslage über die Durchführbarkeit und die Unterstützung sowie in der Folge über deren Art, Umfang und Dauer. Sie ist der Auffassung, dass insbesondere die Vermittlung rechtsstaatlicher Grundsätze der Polizeiarbeit eine positive Wirkung im jeweiligen Empfängerstaat entfaltet.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage, bitte.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ihr Hinweis auf das Parlamentarische Kontrollgremium ging hier fehl, weil nicht die Aktivitäten der GSG 9, sondern die der Geheimdienste in dessen Kontroll- und Prüfungskompetenz fallen, und noch ist die GSG 9 kein Geheimdienst. An das anschließend, was Sie gesagt haben, stelle ich die Frage: Bedeutet Ihre Antwort, dass es sehr wohl solche Einsätze von GSG-9-Beamten im Ausland, Unterstützung in anderen Staaten gegeben hat? Gab es das bis in die jüngste Zeit hinein, wenn ja, in welchen Staaten und mit welchem Ergebnis? Waren darunter problematische Staaten wie Libyen oder Syrien?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Die Antwort lautet: Ja, es hat Unterstützungen gegeben. Die Antwort auf Libyen bezogen lautet: Nein.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sind Sie bereit, mir wenigstens für das letzte Jahrzehnt eine Auflistung dieser Einsätze zu geben und insbesondere darzustellen, welche Staaten davon betroffen waren und welche Überlegungen die Bundesregierung im Hinblick auf die fragliche Einhaltung von Menschenrechten in diesen Staaten und den möglichen Missbrauch der Fähigkeiten der GSG 9 zur Repression der eigenen Bevölkerung angestellt hat?

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Ich kann Ihnen zusichern, dass wir jedes Auskunftsersuchen von Ihnen, das sich auf konkrete Staaten bezieht, selbstverständlich prüfen und, soweit wir dies können, auch beantworten werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Dann hat der Kollege Beck eine Zusatzfrage.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Altmaier, welche anderweitigen Unterstützungen für die Ausbildung von libyschen Sicherheitskräften sind der Bundesregierung bekannt? Welchen Stellen der Bundesregierung ist dazu was bekannt? Sollten Sie das jetzt nicht abschließend beantworten können, wäre ich auch für eine schriftliche Beantwortung dieser Frage dankbar.

Peter Altmaier (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002617

Wir haben diese Frage heute Morgen auch im Innenausschuss des Deutschen Bundestages beantwortet. Ich kann Ihnen für den Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums sagen, hier sind mir keine bekannt. Das muss überprüft werden und wird dann schriftlich beantwortet. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Justiz. Für die Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Alfred Hartenbach zur Verfügung. Ich rufe Frage 31 der Kollegin Dr. Barbara Höll auf: Welche Position hat die Bundesregierung nach Ablauf der Zweimonatsfrist für eine Stellungnahme auf die Kritik der Europäischen Kommission zur Nachbesserung des nationalen Gleichbehandlungs- und Antidiskriminierungsrechts zum 1. April 2008 eingenommen?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Frau Präsidentin! Frau Dr. Höll, meine Antwort wird Ihnen nicht gefallen. Die Bundesregierung hat zu der angesprochenen Kritik der Kommission noch nicht Stellung genommen. Die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme wurde seitens der Kommission bis zum 1. Juni 2008 verlängert.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, haben Sie eine Nachfrage? - Bitte.

Dr. Barbara Höll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000921, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Können Sie das begründen? Haben Sie das beantragt, oder hat das die Kommission von sich aus gemacht?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Wir haben die Fristverlängerung beantragt, weil es sich um Sachverhalte von großer politischer Bedeutung in unterschiedlichen Politikbereichen handelt. Es gibt hier Abstimmungsfragen, die geklärt werden müssen. Die Kommission hat dem zugestimmt. Sie sehen also, die Kommission teilt unsere Einschätzung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Keine weitere Nachfrage? - Doch, Herr Beck, bitte.

Volker Beck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002625, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Deutschland hat bereits ein erstes Urteil wegen der Verletzung der Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien im Bereich der Rentenversicherung bei eingetragenen Lebenspartnerschaften kassiert. Deshalb möchte ich Sie fragen, inwiefern die Bundesregierung zur Kenntnis genommen hat, dass die Europäische Kommission die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinien bei den Entgeltfragen, zu denen auch die in dieser Woche diskutierten Fragen der Beamtenversorgung gehören, rügt. Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil aus der vorletzten Woche im Prinzip klargemacht, dass bei der Beamtenversorgung der Bundes- und Landesbeamten die eingetragenen Partnerschaften in die Regelungen für Ehegatten endlich einbezogen werden müssen. Teilt die Bundesregierung diese unsere Auffassung? Oder welche Ressorts haben dazu eine abweichende Auffassung?

Alfred Hartenbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002669

Herr Kollege Beck, Sie haben zweimal das Wort „Beamte“ wiederholt. Damit dürfte klar sein, dass in dieser Frage das Innenministerium als zuständiges Ressort auch die Antwort geben wird. Ich kann Ihnen allerdings sagen, dass das zuständige Ressort dieses Urteil sehr genau prüft. Ich weiß das. Es wird - nach Abstimmung die entsprechenden Dinge in die Wege leiten.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Fragen 32 und 33 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden schriftlich beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen für die Beantwortung der Fragen. Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 34 und 35 des Kollegen Dr. Hermann Otto Solms und die Fragen 36 und 37 der Kollegin Christine Scheel werden schriftlich beantwortet. Damit rufe ich den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie auf. Für die Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Peter Hintze zur Verfügung. Ich rufe Frage 38 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann auf: Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Urteil des EuGH zum niedersächsischen Vergabegesetz?

Peter Hintze (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000907

Frau Präsidentin! Die Bundesregierung beachtet sorgfältig die Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den Europäischen Gerichtshof. Anders als in Niedersachsen und einigen weiteren Bundesländern hat die Bundesregierung jedoch für ihren Geschäftsbereich keine Regelung getroffen, nach der bei der Vergabe öffentlicher Bauaufträge der jeweils am Ort der Leistung geltende Tarifvertrag zugrunde zu legen ist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Keine Nachfrage? - Damit kommen wir zur Frage 39 der Kollegin Bärbel Höhn. Sie ist aber, wie ich sehe, nicht da. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 40 und 41 werden schriftlich beantwortet. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Klaus Brandner zur Verfügung. Wir kommen zur Frage 42 der Kollegin Silke Stokar von Neuforn: Wann wird die Bundesregierung das vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Horst Seehofer, öffentlich geforderte und angesichts der aktuellen Fälle von Mitarbeiterüberwachung bei Lebensmitteldiscountern wie Lidl auch dringend notwendige Arbeitnehmerdatenschutzgesetz einbringen? Bitte sehr.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete, auf Ihre Frage antworte ich wie folgt: Nach Auffassung der Bundesregierung werden die Mitarbeiter von Lebensmitteldiscountern wie andere Arbeitnehmer bereits jetzt vor einer unzulässigen Überwachung durch den Arbeitgeber geschützt, auch wenn es in Deutschland noch kein einheitliches Arbeitnehmerdatenschutzgesetz gibt. Der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird durch die Grundsätze des allgemeinen Datenschutzes und des Arbeitnehmerdatenschutzes gewährleistet. Diese ergeben sich aus den Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes, aus den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates sowie aus den von der Rechtsprechung und Rechtslehre zum Schutz des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers entwickelten Regeln des allgemeinen arbeitsrechtlichen Informationsund Datenschutzes. Dies gilt auch für die Videoüberwachung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe eine Nachfrage.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Bitte sehr.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister Seehofer hatte öffentlich - ich teile seine Auffassung - gesagt, dass wir ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz brauchen. Meine Frage lautete nicht, was nach den gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten heute schon gemacht wird, sondern meine Frage lautete - die haben Sie noch nicht einmal beantwortet -: Wann wird die Bundesregierung das von Minister Seehofer öffentlich angekündigte Arbeitnehmerdatenschutzgesetz in den Bundestag einbringen? Das ist eine ganz einfache Frage. In Ihrer Antwort sind Sie dieser Frage gänzlich ausgewichen.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Über ein allgemeines Arbeitnehmerdatenschutzgesetz ist noch nicht beraten worden. Ich habe Ihnen, Frau Abgeordnete, gesagt, dass die Arbeitnehmer in Deutschland vor unrechtmäßiger Videoüberwachung auch jetzt schon gesetzlich geschützt sind.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Frage?

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja, ich habe eine Zusatzfrage. - Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, dass die Bundesregierung ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz für nicht erforderlich hält und sie sich somit gegen die öffentlich von Minister Seehofer erhobene Forderung stellt?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Das können Sie aus meinen Ausführungen nicht schließen. Wir haben gesetzliche Grundlagen, um die Arbeitnehmer schon jetzt entsprechend zu schützen. Wir werden natürlich beobachten, welche weiteren Aktivitäten es in diesem Bereich gibt, und dann prüfen, ob sich daraus weiterer gesetzlicher Handlungsbedarf ergibt und ob die einzelnen gesetzlichen Bestimmungen zum Beispiel in einem separaten Gesetz zusammengefasst werden müssten, um zu einem noch wirkungsvolleren Arbeitnehmerdatenschutz zu kommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Ich rufe die Frage 43 des Kollegen Dr. Diether Dehm auf: Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, damit in allen vom Urteil des Europäischen Gerichtshofes, EuGH, im Fall „Rüffert“ betroffenen Branchen die Möglichkeit von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen für die betroffenen Tarifverträge durchgesetzt werden kann, um die selbst von der Sprecherin der EU-Kommission genannten drei Möglichkeiten für Lohnvorgaben bei öffentlichen Aufträgen - einen allgemein verbindlichen Tarifabschluss, einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn oder aber einen Tarifvertrag zwischen den größten Tarifpartnern, der eine große Mehrheit der Arbeitnehmer betreffe - zur Sicherung von sozialen und tariflichen Mindeststandards bei öffentlichen Aufträgen durchzusetzen?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Kollege Dr. Dehm, die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Rüffert“ betrifft das Baugewerbe, wie Sie wissen. Das ArbeitnehmerEntsendegesetz kennt zwei Wege einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung für Tarifverträge des Bauhauptund Baunebengewerbes: zum einen über eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach den Regeln des Tarifvertragsgesetzes, zum anderen über den Erlass einer Rechtsverordnung.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine Nachfrage, Herr Kollege? - Bitte.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Der Berliner Wirtschaftssenator, Harald Wolf von der Partei Die Linke, sieht im EuGH-Urteil zum Fall „Rüffert“ - ich zitiere - „eine dramatische Zäsur für die Vergabepraxis der Länder“. Er vertritt die Auffassung, dass - Zitat - „wichtige soziale Standards, die fairen Wettbewerb bewirken und Arbeitnehmerinteressen sichern sollen, … in Gefahr“ stünden. Weiter führt er aus, dass das Gerichtsurteil -

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, darf ich Sie bitten, sich auf die Frage zu konzentrieren? Es gibt noch einige Kollegen, die Fragen haben, und die Zeit läuft uns davon.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Und Sie sind sich ganz sicher, dass Sie diesen Einwand auch gebracht hätten, wenn ich nicht die Partei Die Linke zitiert hätte?

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Wir sind hier in einer Fragestunde, wo jeder gleich behandelt wird.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Ich habe ja nur gefragt. - Deshalb möchte ich Sie fragen, ob Sie die Forderung des Berliner Wirtschaftssenators, Harald Wolf - ich sage nicht, von welcher Partei er ist -, teilen, dass die Bundesregierung gefordert sei, die Kriterien für die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen und zur Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz zu vereinfachen, und dass dies auch bedeute, dass hier über eine Aufhebung des Zwangs zur Einigung zwischen den Sozialpartnern nachgedacht werden müsse.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Dr. Dehm, Sie wissen, dass die Bundesregierung verabredet hat, Mindestlöhne sowohl über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz als auch über das Mindestarbeitsbedingungengesetz zu ermöglichen. Der Zeitraum der Interessensbekundung für die erste Tranche endete am 31. März 2008. Sie wissen, dass sich bereits acht Branchen gemeldet haben. Das zuständige Ministerium prüft, inwiefern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Auch das ist ein Schritt, um zu weiteren Allgemeinverbindlichkeiten zu kommen, damit bei einer Vergabe Tarifkriterien rechtmäßige Voraussetzungen darstellen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie haben eine weitere Zusatzfrage?

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, Sie erinnern sich wahrscheinlich, dass wir vor vier Wochen hier gestanden haben. Ich habe Ihnen damals nach Ihren optimistischen Äußerungen gesagt, dass wir uns wahrscheinlich in vier Wochen hier im Plenum wiedersehen werden. Das ist jetzt der Fall. ({0}) - Ich kann Sie leider nicht verstehen; aber das werden Sie sicherlich noch in Ordnung bringen. - Denn der EuGH hat ganz im Sinne der Urteile zu den Fällen „Viking“ und „Vaxholm“ mit einem ebenso skandalösen Urteil aufgewartet. Herr Staatssekretär Thönnes hat im März auf meine Frage ausgeführt, dass nationale Gerichte am Zug seien. Im Fall „Rüffert“ hat ein nationales Gericht eine Anfrage an den EuGH gerichtet. Der EuGH hat jetzt entschieden, dass die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit gefährdet sind, wenn Mindestanforderungen in die Ausschreibungen aufgenommen werden, wie das zum Beispiel in Berlin und Niedersachsen in den Tariftreuegesetzen der Fall ist. Er führte vor vier Wochen dazu aus

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Herr Kollege, ich darf Sie wirklich bitten, sich auf die Frage zu konzentrieren.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

- das ist die Frage, entschuldigen Sie; ich bin aber gleich am Ende; seien Sie nicht ganz so ungeduldig, dann schaffen wir das -, dass nach Auffassung der Bundesregierung mit der Entsenderichtlinie gewisse Mindestbedingungen festgelegt würden, die aber national überschritten werden könnten. Aus diesem Grunde frage ich Sie, ob Sie nun endlich konkreten Handlungsbedarf sehen, zum Beispiel zur Einführung von allgemeinverbindlichen Tarifverträgen in allen betroffenen Branchen, und ob es hierzu in der Koalition schon konkrete Gespräche gibt.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Abgeordneter Dehm, Sie wissen, dass die Koalition sich auf zwei Verfahren verständigt hat, in denen branchenspezifische Mindestlöhne vereinbart werden können. Auf der einen Seite sind die Branchen, die durch tarifvertragliche Regelungen eine bestimmte Durchdringung vorsehen, indem 50 Prozent der Arbeitnehmer einer Branche von einem Tarifvertrag erreicht werden müssen. Das betrifft genau den Bereich, der aufgefordert war, sich bis zum 31. März zu melden, damit wir eine erste Übersicht bekommen. Immerhin haben sich acht Branchen mit etwa 1,6 Millionen Arbeitnehmern gemeldet, zumindest nach der Aussage der entsprechenden Tarifvertragspartner der Branchen. Auf der anderen Seite haben wir die politische Verabredung, eine Novelle des Mindestarbeitsbedingungengesetzes zu verabschieden - daran wird zurzeit gearbeitet -, wodurch den Branchen zukünftig die Möglichkeit eröffnet wird, zu branchenspezifischen Mindestlöhnen zu kommen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Zu einer weiteren Frage hat der Kollege Ulrich das Wort.

Alexander Ulrich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003858, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, die SPD-Europaabgeordnete Karin Jöns hat in einer Pressemitteilung das EuGH-Urteil im Fall „Rüffert“ scharf kritisiert. Frau Jöns wies darauf hin, dass die Entsenderichtlinie als Mindestgarantie zugunsten der entsandten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausdrücklich vorsieht, dass der festgeschriebene Mindestschutz der Anwendung von Arbeitsbedingungen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind, nicht entgegenstehen dürfe. Können Sie die Aussage von Frau Jöns teilen? Wenn ja: Welche konkreten Handlungsnotwendigkeiten ergeben sich aus Ihrer Sicht für die Bundesregierung, um eine solche Regelung europafest zu machen?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Die Handlungsnotwendigkeit für die Bundesregierung aus diesem Urteil ist, im Rahmen der gesetzlichen oder noch zu schaffenden gesetzlichen Möglichkeiten Mindeststandards zu vereinbaren. Das ArbeitnehmerEntsendegesetz, das Mindestarbeitsbedingungengesetz, aber auch die Allgemeinverbindlichkeit aus dem Tarifvertragsgesetz sind die drei möglichen Instrumente. Wenn eine von diesen drei Möglichkeiten genutzt wird, ist eine nach unserer Auffassung europataugliche Voraussetzung geschaffen, bei Ausschreibungsverfahren zu rechtssicheren Kriterien zu kommen und Mindestbedingungen zur Grundlage von Ausschreibungen zu machen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Eine weitere Frage der Kollegin Dr. Enkelmann.

Dr. Dagmar Enkelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000479, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, der schnellere Weg zu einer europafesten Regelung ist unzweifelhaft ein flächendeckender gesetzlich garantierter Mindestlohn. Immerhin haben ihn schon 20 EU-Staaten. Wie weit ist die Bundesregierung auf diesem Weg?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Frau Abgeordnete Enkelmann, Sie haben gerade von mir gehört, welche Verabredung die Koalitionspartner getroffen haben. An der Umsetzung dieser Verabredung arbeiten die Partner zielgerichtet. Wir erwarten bald entsprechende Vorlagen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat Frau Hänsel das Wort zu einer weiteren Nachfrage.

Heike Hänsel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003763, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Danke schön, Frau Präsidentin. - Dieses Urteil hat eine enorme Tragweite für die Tariftreue von Unternehmen in den entsprechenden Branchen. Meine Frage an die Bundesregierung ist, ob sie erwägt, in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission einen europarechtlichen Rahmen zu schaffen, der zu regionalen Lösungen gegen Lohn- und Sozialdumping führt. Wird die Bundesregierung hinsichtlich der Koordinierung auf europäischer Ebene aktiv?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Die Bundesregierung wird auch solche Wege prüfen. Aber vorrangig sieht sie ihre Aufgabe darin, das, was uns die europäischen Vorgaben ermöglichen, in nationales Recht umzusetzen. Wir sind zuallererst selbst gefordert, diese Möglichkeiten gesetzgeberisch umzusetzen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun kommen wir zur Frage 44 des Kollegen Dr. Diether Dehm: Welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung zur Weiterentwicklung der Entsenderichtlinie und der Vergaberichtlinie ergreifen, damit die Auswirkungen durch das Urteil des EuGH im Fall „Rüffert“ nicht zu einer flächendeckenden Aushebelung der durch die Tariftreuegesetze festgelegten sozialen und tariflichen Mindeststandards führen können? Bitte, Herr Staatssekretär.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Dr. Dehm, die Antwort lautet: Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache „Rüffert“ ist, wie Sie wissen, am 3. April 2008 ergangen. Die Bundesregierung wird das Urteil auswerten und prüfen, ob Maßnahmen auf europäischer Ebene angezeigt sind. Darüber haben wir gerade schon gesprochen.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Gibt es eine Nachfrage? - Bitte sehr.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

In Randnotiz 15 führt der EuGH im Urteil zum Fall „Rüffert“ aus, dass die Tariftreueverpflichtungen im niedersächsischen Landesvergabegesetz - ich zitiere - über das hinausgingen, was zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erforderlich sei. Dabei definiert der EuGH das, was zum Schutz der Arbeitnehmer erforderlich ist, als - ich zitiere - durch den Mindestlohnstandard markiert, der sich in Deutschland aus der Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 26. Februar 1996 ergibt. Welche Auswirkungen wird es auf Kommunen, Bundesländer und Bund haben, wenn Sie eine vertragliche oder gesetzliche Festlegung von Standards bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge beibehalten wollen, nun aber vonseiten des EuGH die Definition an Mindestlohnstandards festgemacht würde? Sehen Sie nicht die Gefahr, dass eingeforderte ökologische, gleichstellungspolitische und sozialpolitische Standards, mit denen versucht wird, Benachteiligungen verschiedener Art einen Riegel vorzuschieben, in Zukunft durch den EuGH auch als gegen die „Grundfreiheiten“ verstoßend definiert werden könnten?

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Abgeordneter Dr. Dehm, die Bundesregierung arbeitet zurzeit auch an den Vergaberichtlinien. Wie Sie wissen, ist unter anderem geplant, soziale Kriterien aufzunehmen. Ich gehe davon aus, dass die Kriterien, die vereinbart werden, Grundlage für eine rechtssichere Ausschreibepraxis in Deutschland sein werden und die befürchteten negativen Folgen für Kommunen ausbleiben werden.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Dr. Jörg Diether Dehm-Desoi (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000365, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Herr Staatssekretär, der EuGH folgt in seiner Argumentation vor allen Dingen der Interpretation der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen. Er argumentiert damit, dass das niedersächsische Vergabegesetz gegen diese Richtlinie verstoße, da - Zitat - „der Baugewerbe-Tarifvertrag kein für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes“ ist. Deshalb frage ich die Bundesregierung, ob es nicht sinnvoll wäre, den Baugewerbe-Tarifvertrag in einem ersten Schritt schnellstens für allgemeinverbindlich zu erklären, um die Möglichkeit der Tariftreue im Rahmen von Ausschreibungen öffentlicher Aufträge nach diesem skandalösen Urteil des EuGH zu heilen, um dann im zweiten Schritt eine klare Strategie vorzulegen, damit die vom EuGH angesprochenen Richtlinien weiterentwickelt werden können.

Klaus Brandner (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11003053

Herr Dr. Dehm, Sie haben richtigerweise ausgeführt, dass der EuGH kritisiert, dass es sich hierbei um einen regionalen Tarifvertrag handelt, der nicht flächendeckend anwendbar, das heißt nicht allgemeinverbindlich ist. Aus unserer Sicht kommt es darauf an, dass wir Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Allgemeinverbindlichkeit über eine Rechtsverordnung oder über das Mindestarbeitsbedingungengesetz hergestellt werden kann. Wenn das geschieht, ist auch das Kriterium des EuGH, nach dem flächendeckende, für alle Arbeitnehmer gleichwertige Bedingungen bei der Ausschreibepraxis zur Anwendung zu bringen sind, erfüllt. Ich sage noch einmal deutlich: Der Weg ist vorgezeichnet. Die Bundesregierung will diesen Weg gehen. Wenn das Ganze umgesetzt wird, haben die Kritik und die Sorge, die einzelne in Deutschland haben, keine Grundlage mehr. Wir haben in Deutschland die Möglichkeit, im Wege der nationalen Gesetzgebung Lohndumping zu verhindern.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Damit sind wir zeitlich am Ende der Fragestunde. Die noch nicht beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. - Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Unterschiedliche Auffassungen innerhalb der Bundesregierung zur Erhöhung der Biospritbeimischung Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Rednerin das Wort der Kollegin Renate Künast.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute, nach dem Desaster der letzten Wochen, muss man feststellen: Die Klimapolitik der schwarz-roten Bundesregierung ist gerade wie ein Kartenhaus zusammengefallen. ({0}) - Ich vernehme ein Aufstöhnen des Bedauerns bei Ihnen zu Recht. Ein besonderes Problem hat Herr Gabriel - da brauchen Sie von der CDU/CSU gar nicht zu jubeln -: Nach dem Rußfilterskandal kam jetzt die Biospritpleite. Herr Gabriel, grün sein ist eben doch mehr als schöner Schein. Grün sein heißt an dieser Stelle auch, eine ganze Menge Mut aufzubringen. Man muss sich auch einmal eine andere Strategie überlegen und darf nicht nur die kurzfristigen Profitinteressen der großen Konzerne, der großen Anlagenbauer oder der Automobilkonzerne in diesem Land, im Auge haben. ({1}) Die Biokraftstoffstrategie dieser Bundesregierung war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sie war in ihrer Art und Weise und mit ihren Instrumenten ein kapitaler Fehler. Ich will Ihnen sagen, warum. Ihr erster Fehler ist die Besteuerung reiner Pflanzentreibstoffe. Mit dieser Besteuerung haben Sie den heimischen Bauern die Grundlage entzogen, um nachhaltig Energielandwirte in diesem Land zu werden. ({2}) Sie haben denen, die in Anlagen investiert haben, die finanzielle Grundlage entzogen. Sie haben die heimischen Bioraffinerien ruiniert. Das ist Ihr erster kapitaler Fehler. ({3}) Ihr zweiter Fehler ist die Zwangsbeimischung. Sie haben zu sehr auf den kurzfristigen Effekt für den Haushalt geschaut. Mit der Zwangsbeimischung haben Sie nur eines erreicht, nämlich dass statt der Landwirte und Beschäftigten im ländlichen Raum die großen Mineralölkonzerne das Geld verdienen. Diese - gar nicht blöd haben gesagt: Die hiesigen Kraftstoffe und Rohstoffe sind durch die Besteuerung viel zu teuer, gehen wir doch den internationalen Weg. Das Ergebnis der Zwangsbeimischung ist, dass Treibstoff aus Übersee importiert wird und dass die Zuckerrohrplantagen sich immer weiter ausdehnen. Damit wird die Rinderzucht weiter verschoben. Sie können zwar sagen, dass für die Zuckerrohrplantagen kein Urwald gerodet wird, aber für die Rinderzucht werden am Ende große Einschnitte in den Amazonaswald gemacht. So, meine Damen und Herren von der schwarz-roten Regierung, macht man definitiv keine Klimaschutzpolitik. ({4}) Dann erleben wir jetzt noch ein gruseliges Schauspiel, den Hahnenkampf zwischen dem sogenannten Bundeswirtschaftsminister Glos und dem Umweltminister, Herrn Gabriel. ({5}) - Ich muss „sogenannter“ sagen, weil er sich nicht wirklich um die wirtschaftlichen Interessen dieses Landes, zum Beispiel des Mittelstandes, kümmert. ({6}) - Ich meine an dieser Stelle Herrn Glos. Wir sollten ihn nicht außen vor lassen. Denn wir wissen, dass hier sozusagen ein Gesamtkunstwerk angerichtet wurde. ({7}) Das Verhalten der Kanzlerin finde ich schon bezeichnend: Sie ist viel um die Welt geflogen, hat sich vor allen Gletschern dieser Welt fotografieren lassen, und an dieser Stelle hat sie es nicht einmal nötig, ein klärendes Wort zu sprechen. Lassen wir uns nicht in die Irre führen mit dem, was sie aus internen Sitzungen der CDU/CSU durchgestochen hat. Sie habe Herrn Glos gesagt: Nun kritisier mal nicht so sehr den Kollegen Gabriel. - Damit hat man gezeigt, dass man diesen Unsinn in der Koalition zusammen angerichtet hat. Deshalb darf Glos den Gabriel nicht kritisieren. Frau Merkel hat immer noch nicht gesagt, wie eigentlich ihre Klimaschutzstrategie aussieht. Wie will sie denn das behauptete Ziel, CO2-Emissionen um 40 Prozent zu reduzieren, erreichen, wenn auch bei der Biospritstrategie das Kartenhaus zusammenfällt? So kommen Sie nie ans Ziel. ({8}) Wir erleben an dieser Stelle die Entwicklung von der Merkel-Show zum klimapolitischen Horrorkabinett. Die Kanzlerin schlägt sich immer wieder auf die Seite der Autolobby. Herr Glos kämpft für die Atomkraft. Wir erleben eines: Vorne wird immer wieder Nettes erzählt, und sobald man nach Brüssel fährt, wird das Gegenteil getan. Vorne wird erzählt, man wolle etwas fürs Klima tun. Mittlerweile ist selbst Herr Gabriel so weit, gegen die Koalitionsverhandlungen in Hamburg und für das Kohlekraftwerk in Moorburg zu kämpfen. Mit 4 000 Tonnen CO2 mehr macht man keinen Klimaschutz! ({9}) Wir wollen keine Potemkinschen Dörfer. Wir wollen vielmehr wissen, wie die Bundesregierung die Klimaschutzziele erreichen will. Mit welchen Instrumenten wollen Sie das tun? Ich sage Ihnen eines ganz klar: Sie brauchen eine Änderung der Autostrategie in Brüssel. Wir brauchen eine Kanzlerin, die in Brüssel nicht gegen Dimas kämpft, sondern klar sagt: CO2-Ausstoß in Höhe von 120 Gramm pro Kilometer für Neuwagen. Das muss die Devise sein. ({10}) Wir brauchen Sanktionen. Wir wissen doch aufgrund des Scheiterns des Biosprits, wie die Konzerne versucht haben, Herrn Gabriel und die Regierung am Nasenring durch die Republik zu führen. Wir brauchen in Brüssel die 120-Gramm-Regel und Sanktionen. Denn ohne Sanktionen hält diese Wirtschaft keine einzige Regel freiwillig ein. Das ist der Dreh- und Angelpunkt für guten Klimaschutz. ({11})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Renate Künast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003576, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren, das Ganze können Sie mit der Abschaffung des Dienstwagenprivilegs und einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen garnieren. Ich sage Ihnen ganz klar: Nach diesem Biospritdesaster muss die Regierung endlich damit aufhören, herumzutricksen. Vielmehr muss sie den Mut haben, die Strukturen in dieser Republik zu ändern. Wenn sie nur auf dem Schoß der Vorstände der Automobilkonzerne sitzt, dann wird sie keinen Klimaschutz, keine modernen Autos und auch keine Arbeitsplätze in der Automobilindustrie schaffen. ({0})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Katherina Reiche für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Katherina Reiche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003209, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass wir heute über das Thema Biokraftstoffe sprechen. Ich mache zunächst eine Feststellung - das kann in der Tat nicht verwundern -: Frau Künast, Ihr Neid auf die Kanzlerin scheint grenzenlos zu sein. ({0}) Wir stehen zu unseren nationalen Klimaschutzzielen. Deutschland will - das wird es auch schaffen - seine Emissionen bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 absenken. Wir stehen zu dem, was Bundeskanzlerin Angela Merkel - das haben Sie zu Ihren Zeiten niemals geschafft - gemacht hat, nämlich sowohl die EUals auch die G-8-Präsidentschaft bzw. den G-8-Gipfel dafür zu nutzen, um sich ganz klar für verbindliche Klimaschutzziele auszusprechen. ({1}) Es war sicherlich richtig, die Verordnung jetzt zu stoppen, weil die große Zahl der betroffenen Autos keine andere Entscheidung zuließ. Dessen unbeschadet ist der Energieträger Biomasse mit 67 Prozent am Mix der erneuerbaren Energien das Zugpferd. Biokraftstoffe liegen mit immerhin 20 Prozent noch vor der Windenergie mit 18 Prozent. Wir brauchen eine wissenschaftlich fundierte Strategie, die Wege aufzeigt, wie Biomasse als Schwergewicht der erneuerbaren Energie im klassischen Zieldreieck Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltschutz optimal zu nutzen ist. ({2}) Hier müssen die Biotreibstoffe ihren angemessenen Platz haben. Sie haben eben auf die Regierung eingeschlagen, Frau Künast. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass Sie eine Einschätzung auch zu den Biokraftstoffen der ersten Generation abgegeben hätten. Es ist noch nicht so lange her, dass auch Sie den Einsatz von Biokraftstoffen der ersten Generation unterstützt haben. Dazu habe ich von Ihnen heute nichts gehört. Die Biomasse leistet einen wertvollen Beitrag zu unserer nationalen Energiesicherheit. Sie vermindert unsere Abhängigkeit von Rohöl- und Gasimporten. Das wollen wir in den Vordergrund stellen. Jede Energie, egal ob aus Kohle, Wind oder Sonne, hat ihren Pferdefuß. Bei Biokraftstoffen der ersten Generation stellen sich zwei Kernfragen, nämlich zum einen die Frage der Nahrungsmittelerzeugung in Konkurrenz zur Energieerzeugung und zum anderen die Frage der Nachhaltigkeit sowie des tatsächlichen CO2-Einsparpotenzials. Weltweit wird - das haben Sie gesagt - immer mehr Anbaufläche benötigt. Die Frage Nahrungsmittel- oder Energieerzeugung dürfte sich in den nächsten Jahren aufgrund von Entscheidungen, die nicht in unserer Hand liegen, weiter zuspitzen. So wollen die USA Anbauflächen vermehrt zum Anbau von Biokraftstoffpflanzen verwenden. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Nachhaltigkeit. Unser Kollege Josef Göppel hat hier im Plenum mehrfach eindringlich seine Erfahrungen in Indonesien geschildert, uns die Brandrodungen mehr als deutlich gemacht und dargelegt, wie wichtig es ist, sich dem Thema Nachhaltigkeit zu widmen. Auch Bundesminister Gabriel hat, wenn ich ihn richtig verstanden habe, gefordert, Biokraftstoffe und Nahrungsmittelproduktion in Sachen Nachhaltigkeit mittels gleicher Kriterien zu beurteilen. Dies ist in einem Land, in dem niemand hungert, leicht gesagt. Der Ehrlichkeit halber sollte aber derjenige, der eine Zertifizierung von nicht im EU-Raum erzeugten Nahrungsmitteln fordert, den Verbrauchern auch sagen, dass dies zu Preissteigerungen bei Lebensmitteln führen könnte. ({3}) Nationale Alleingänge in Sachen Nachhaltigkeit bei Importen, etwa von Palmöl, sind kaum möglich. Das zeigt die Tatsache, dass unsere nationale BiomasseNachhaltigkeitsverordnung von der EU-Kommission zunächst bis 2008 ausgesetzt wurde. Das kann auch nicht Katherina Reiche ({4}) dadurch kaschiert werden, dass man sagt, die EU-Kommission arbeite an einer Richtlinie nach deutschem Vorbild. Klar ist: Wir brauchen innerhalb der Europäischen Union schnell eine Lösung. Trotz aller gegenwärtigen Schwierigkeiten und Probleme sollten und müssen wir an den Biokraftstoffen festhalten. Wir müssen versuchen, die vorhandenen Probleme, die ja niemand wegdiskutiert, zu lösen. ({5}) Die eine oder andere Korrektur wird dabei nicht zu vermeiden sein. Gefragt ist jetzt eine nüchterne Bestandsaufnahme. Beispielsweise will die Firma Choren Industries in Freiberg, Sachsen, noch in diesem Frühjahr die erste größere Anlage zur Produktion von Biokraftstoffen der zweiten Generation in Deutschland in Betrieb nehmen. ({6}) Die zweite Generation von Biokraftstoffen, mit deren Produktion sich auch andere deutsche Projekte beschäftigen, soll ermöglichen, nicht nur aus den Früchten der Pflanzen, sondern auch aus ihrem Rest Treibstoff zu erzeugen. ({7}) Dadurch können wir das Tor für die Zukunft der Biokraftstoffe weltweit aufstoßen. Vielen Dank. ({8})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nun hat der Kollege Michael Kauch für die FDPFraktion das Wort. ({0})

Michael Kauch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003698, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der jetzige Umweltminister noch Popbeauftragter der SPD war, hatte er den Spitznamen „Sigi Pop“. Aus „Sigi Pop“ wurde nach Rußfilter und Biosprit „Sigi Flop“. Das hat eine große deutsche Zeitung sehr gut auf den Punkt gebracht. ({0}) Heute haben wir im Umweltausschuss erfahren, dass man diese Flops möglicherweise sogar verbinden kann. Denn in der Anhörung wurde uns gesagt, dass durch die Beimischung von Biodiesel eventuell die Rußpartikelfilter verstopft werden. Herr Minister, wir fordern Sie auf, diese Frage, die heute von Vertretern der Verbände aufgeworfen wurde, zu beantworten. Denn es darf nicht sein, dass Ihre schlampige Gesetzgebung erneut zulasten der Autofahrer geht. ({1}) Durch dieses Desaster wird letztendlich auch der Klimaschutz diskreditiert. Die zwangsweise Einführung der Beimischung von Ethanol, die E10-Beimischung, haben Sie gestoppt. Sie haben so getan, als sei damit die ganze Verordnung gestoppt. Wenn man aber das Kleingedruckte Ihrer Erklärungen liest, dann stellt man fest, dass beim Diesel alles gleich bleibt. Sie wollen Diesel weiterhin einen Biodieselanteil von 7 Prozent beimischen, und das, obwohl wir es gerade beim Diesel mit Rohstoffen zu tun haben - Stichworte „Sojaöl“ und „Palmöl“ -, hinter deren Anbau wir mehr als nur ein Fragezeichen setzen müssen. ({2}) Es kann nicht sein, dass Sie, der Umweltminister, sich aus Ihrer Verantwortung für den Schutz der Regenwälder stehlen, indem Sie Nachhaltigkeitskriterien ins Gesetz aufnehmen, die lediglich besagen, dass diese Rohstoffe nicht aus dem Regenwald kommen dürfen. Falls Sie glauben, dadurch sei dieses Problem gelöst, muss ich Ihnen sagen: So einfach ist das nicht. Sie müssen sicherstellen, dass die Rohstoffe aus Indonesien, Malaysia und Brasilien, die für die von Ihnen festgelegte Quote von Bedeutung sind, nicht aus Regenwäldern stammen. Solange sie das nicht sicherstellen können, so lange muss diese Quote auf Eis gelegt werden. ({3}) Interessant ist, dass Herr Gabriel, als es um die Rücknahme der Ethanolbeimischung ging, nicht als Umweltminister gesprochen hat. Ich zumindest habe nicht gehört, dass Sie gesagt haben, die Ethanolbeimischung sei aus ökologischen Gründen zurückzunehmen. Sie haben sie doch nur zurückgenommen, weil Sie es sich nicht mit Millionen Autofahrern verscherzen wollten. Das war parteipolitisch motiviert. Sie wollten nicht, dass die SPD in den Umfragen unter 20 Prozent fällt. ({4}) Meine Damen und Herren, die FDP hat von Anfang an vor der Einführung der Biokraftstoffquote gewarnt. Wir haben uns immer dafür ausgesprochen, den Weg der Steuervergünstigungen zu gehen. Denn durch Steuervergünstigungen unterstützen wir tendenziell unsere heimischen Produkte aus kontrolliertem Anbau. Hier können wir sicher sein, dass für diese Produkte keine naturnahen Flächen verbraucht werden. Wir müssen diese Problematik auch dann ernst nehmen, wenn es um die Zertifizierung der Importe geht. Wir müssen Zertifizierungen einführen; hier gebe ich Ihnen völlig recht. ({5}) Wir müssen sie aber auf internationaler Ebene einführen und sicherstellen, dass die Lieferländer das, was wir in Deutschland richtig finden, übernehmen und darüber einen Dialog mit uns führen. Auf diesem Gebiet sehe ich von der Bundesregierung leider viel zu wenig. Im Übrigen muss man sich einmal grundsätzlich fragen, ob die Fixierung auf den Transportsektor, die im Bereich der Biomassenutzung zu beobachten ist und die die Diskussion in den letzten Wochen bestimmt hat, unter klimapolitischen Gesichtspunkten überhaupt richtig ist. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat heute noch einmal deutlich gesagt: Wenn aus Biomasse Strom und Wärme erzeugt werden, ist das klimapolitisch im Durchschnitt dreimal effizienter, als wenn aus Biomasse Biokraftstoffe hergestellt werden. Wenn wir nicht Klientelpolitik für bestimmte Produzenten, für bestimmte Landwirte betreiben wollen, wenn es uns wirklich um Klimaschutz geht, dann müssen wir doch Instrumente wählen, mit denen wir mit dem eingesetzten Geld so viel Klimaschutz wie möglich schaffen - sei es nun im Stromsektor, sei es im Wärmesektor. ({6}) Wenn wir uns auf den Verkehr und auf Biokraftstoffe konzentrieren, ist das, als wenn wir wie das Kaninchen auf die Schlange schauen. Wir haben die Zahlen bekommen: Wenn europäische Zuckerrüben mithilfe von Braunkohlestrom zu Bioethanol umgewandelt werden, kostet jede Tonne CO2, die man durch den Einsatz des Bioethanols vermeidet, 368 Euro. Wird Biomasse verstromt, kostet die Tonne CO2, die man vermeidet, nur zwischen 40 und 80 Euro. Wenn man es also ernst meint mit einem wirtschaftlich vertretbaren und ökologisch sinnvollen Klimaschutz, sollte man nicht, wie es Frau Künast wieder getan hat, einzig den Verkehrssektor sehen. Wir brauchen ein Gesamtkonzept. ({7}) Wir als FDP-Fraktion haben vorgeschlagen, den Emissionshandel nicht auf den Stromsektor zu beschränken, sondern sektorübergreifend zu arbeiten. Auch der Straßenverkehr, der Flugverkehr und der Schiffsverkehr müssen langfristig - mit vernünftigen Übergangszeiten in den Emissionshandel einbezogen werden. ({8}) Dann müssten wir uns nicht mehr über die Problematik der Instrumente Gedanken machen, sondern hätten eine Strategie, um das Klima wirksam und kostengünstig zu schützen. Vielen Dank. ({9})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die Bundesregierung hat nun Herr Bundesminister Sigmar Gabriel das Wort. ({0})

Sigmar Gabriel (Minister:in)

Politiker ID: 11003755

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zuerst ein paar Bemerkungen zu dem, was Frau Künast und Herr Kauch gesagt haben. Frau Künast, ich kann verstehen, dass Sie die Themen Partikelfilter und Biokraftstoffe gerne zusammenbringen; aber sagen Sie wenigstens, dass die nicht funktionierenden Partikelfilter durch Betrüger in den Markt gekommen sind und nicht durch, wie Herr Kauch das nennt, schlampige Arbeit bei uns. ({0}) - Herr Kauch, Sie haben im Ausschuss keinen einzigen Beleg für Ihre Behauptung gefunden, wir hätten diesen Betrug früher aufdecken können. Wenn man Betrüger, kriminelles Handeln, Unternehmen, gegen die die Staatsanwaltschaft ermittelt, benutzt, um den politischen Wettbewerber zu schädigen, dann ist das unanständig, Herr Kauch. Das geht nicht! ({1}) Zweitens. Frau Kollegin Künast, die Steuerbefreiung für Reinkraftstoffe war schon unter Ihrer Regierung bis 2009 begrenzt; sie sollte dann auslaufen. Sagen Sie der Öffentlichkeit, dass die Steuerbefreiungen, die Sie in Ihrer Regierungsverantwortung gegenüber der EU durchsetzen konnten, von uns sogar verlängert wurden. ({2}) In Wahrheit ist es doch so, dass nicht wir, sondern die EU es war, die die Debatte über die Begrenzung der Steuerbefreiung geführt hat. Drittens. Herr Kauch und Frau Künast haben zwei Dinge miteinander vermischt, die man, wenn man Schäden im Regenwald, in den Mooren und bei der Grünbrachennutzung wirklich ausschließen will, auseinanderhalten muss. Herr Kauch, Sie und die Grünen und die Linkspartei haben sich hier mit Forderungen nach höheren Beimischungsquoten überboten. ({3}) - Natürlich, und zwar im Reinkraftstoffbereich. ({4}) Wie Sie mit Ihrem Zwischenruf belegt haben, verwechseln Sie hier etwas: Mit dem Biokraftstoffquotengesetz wird lediglich der Anteil festgelegt, den Biokraftstoffe am Kraftstoffmarkt in Deutschland haben müssen; es sagt nichts darüber aus, ob es um eine Beimischung oder um Reinkraftstoffe geht. ({5}) E10 und B7 werden durch die 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung über Kraftstoffnormen geregelt. Sie haben sich dafür ausgesprochen, dass die Biokraftstoffquoten ständig gesteigert werden. Wenn das nicht über E10 und B7 erfolgen soll, muss das mittels Reinkraftstoffen geschehen. Sie verschweigen der Öffentlichkeit, dass in Deutschland für die hohen Quoten, die Sie fordern, nicht genug Reinkraftstoff produziert wird, dieser somit importiert werden muss. Ihre Kritik an der Zerstörung der Regenwälder und Moore ist berechtigt. Doch in dieser Hinsicht gibt es keinen Unterschied zwischen Ihrer Strategie und einer Erhöhung der Beimischungsquoten über die 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung. Es ist einfach falsch, zu behaupten, der Weg über Reinkraftstoffe sei der ökologisch sichere. Ganz im Gegenteil, wenn Sie die Quoten ständig anheben, werden Sie immer mehr importieren müssen. Deswegen haben die Begrenzung auf E5, das Nichteinführen von E10 und das Beibehalten von B7 nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, ob man die Zerstörung von Regenwäldern verhindert oder befördert. Entscheidend ist - hier haben Sie allerdings recht; dieser Überzeugung bin auch ich - die Durchsetzung nationaler, europaweiter und internationaler Nachhaltigkeitskriterien. Die Bundesregierung wird nicht dabei stehenbleiben, in fünf oder acht Jahren Zertifizierungssysteme international durchzusetzen. Vielmehr wollen wir - bei der EEGNovelle haben wir es bereits getan - durchsetzen, dass von bestimmten Anbaustandorten die Einfuhr von Biomasse in Deutschland weder beimischungszulässig ist noch auf die Quoten anrechenbar ist noch über das EEG gefördert werden kann. Dies ist der richtige Weg, um auszuschließen, dass wir uns hier bei der Klimabilanz in die Tasche lügen und woanders Moore und Regenwälder zerstört werden. Das ist der richtige Weg, nicht aber die Behauptung, über Reinkraftstoffe gehe das alles. ({6}) Sie haben den Unterschied zwischen dem Biokraftstoffquotengesetz und der 10. Bundes-Immissionsschutzverordnung im Hinblick auf E10 oder B7 entweder nicht verstanden oder ihn der Öffentlichkeit bewusst verheimlicht. Beides würde ich wenigstens als Flop bezeichnen, Herr Kauch. Von daher sollte man vorsichtig sein, wenn man so vollmundig daherkommt. Eine weitere Bemerkung, Frau Künast: Moorburg nicht zu bauen führt zu zusätzlichen CO2-Emissionen in einer Größenordnung von 2 Millionen Tonnen, weil alte Kohlekraftwerke weiter in Betrieb bleiben. ({7}) Das wäre das Ergebnis Ihrer Politik. ({8}) Sie müssen sich endlich einmal entscheiden, ob Sie den Emissionshandel nun wollen oder nicht. ({9}) Meine Damen und Herren, hier ging es in der Tat um ein mehr als schwieriges Verfahren. Anderthalb Jahre lang - seit März 2006 - sprachen wir gemeinsam mit der Fahrzeugindustrie, der Mineralölwirtschaft und dem ADAC im zuständigen DIN-Ausschuss, in dem es um die Deutsche Industrienorm geht, über die Kraftstoffqualitätsnormen, und zwar auch unter Beteiligung des Wirtschaftsministeriums. Anderthalb Jahre lang sagten uns die deutsche Automobilindustrie, die Mineralölindustrie und der ADAC, sie hätten mit unserem Vorhaben kein echtes Problem. Als wir den Verordnungsentwurf zur Anhörung verschickt hatten, hat der ADAC nicht geantwortet, und der internationale Verband der Automobilhersteller hat gesagt, man schließe sich der deutschen Automobilindustrie an. Ich sage Ihnen, was unser Fehler war - Frau Künast, damit haben Sie auch recht -: Wir hätten nicht den Verbänden glauben dürfen, sondern von Anfang an die Hersteller befragen müssen. Diesen Fehler haben wir in der Anhörung gemacht. Das unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oder mir oder wem auch immer vorzuwerfen, ist zwar möglich, aber bis zu jenem Zeitpunkt sind wir davon ausgegangen, dass diejenigen, die uns auf Anhörungsfragen schriftlich antworten, ihrer Pflicht nachkommen und wissen, worüber sie reden. Wenn sich der ADAC nun, nach der Veröffentlichung der Verordnung, meldet und sagt, betroffen seien soundso viele Millionen Fahrzeuge, dann ist dies kein besonders sachgerechtes Vorgehen. Ich wäre froh gewesen, Sie hätten in den anderthalb Jahren einen Satz dazu fallen lassen, dass Sie den Zahlen der deutschen Automobilindustrie nicht trauen, meine Damen und Herren. Das wäre vernünftig gewesen. ({10}) Zum Schluss meines Beitrags weise ich auf Folgendes hin: Herr Kauch, die Biokraftstoffquote von 6,25 Prozent hat das Parlament beschlossen, nicht die Bundesregierung. Die Bundesregierung hatte eine geringere Biokraftstoffquote vorgeschlagen; unser Gesetzentwurf sah nicht 6,25 Prozent vor. ({11}) - Ich sage ja, wir haben das alle beschlossen. ({12}) Ich verzichte darauf, vorzulesen, wie wir uns in der Euphorie über die Biokraftstoffe überboten haben. Die einen haben von Reinkraftstoffen geredet, andere von Beimischung. Ich bin sehr dafür kritisiert worden, dass ich hier bei meiner ersten Rede gesagt habe, die erste Generation der Biokraftstoffe sei schwierig. Ich war dafür, die Steuerbefreiung stärker zurückzunehmen - dafür bin ich in meiner Fraktion sehr kritisiert worden -, aber die Steuerbefreiung für die zweite Generation der Biokraftstoffe deutlich auszubauen. Das war der Vorschlag der Bundesregierung. Dieser Vorschlag der Bundesregierung - auch des Bundesfinanzministers -, des Kabinetts, hat im Deutschen Bundestag keine Akzeptanz gefunden. So ist das manchmal: Da gilt das Struck’sche Gesetz. Wenn wir die Biokraftstoffquote von 6,25 Prozent beibehalten wollen, dann müssen wir das Verhältnis von Reinkraftstoff und Beimischungsquote neu austarieren. Ich will vorsichtig darauf hinweisen, dass das keine ganz unproblematische Angelegenheit ist, weil wir dabei natürlich auch über Förderinstrumentarien reden. Ich sage das nur der Fairness halber. Das müssen wir jetzt tun. Weil die Linkspartei an der Stelle so schön geklatscht hat: Das Einfrieren bringt dabei gar nichts, denn selbst bei E5 und B5 - ({13}) - Die haben natürlich auch mehr Reinkraftstoffe gefordert. Ich will nur nicht alles vorlesen. ({14}) - Na klar. Frau Künast hat erklärt, sie würde die Landwirte zu den Ölscheichs von morgen machen. ({15}) - Dabei gibt es aber das kleine Problem, dass in Deutschland lebende Landwirte die Menge an Reinkraftstoffen, die Sie wollen, nicht alleine herstellen können. Deswegen brauchen wir die Zertifizierungssysteme. Dies müssen wir jetzt neu austarieren. ({16}) Ich stimme Herrn Kauch, Frau Künast und auch den Entwicklungspolitikern von SPD und CDU/CSU, die darauf sehr viel Wert legen, ausdrücklich zu: Wir müssen im Zweifel bereit sein, auch einen Konflikt mit der WTO einzugehen, indem wir sagen, dass wir bestimmte Dinge nicht nach Deutschland hineinlassen wollen. ({17}) Aber - Frau Kollegin Reiche, hier liegt das Problem -: Ich will Brasilien nicht vorschreiben, wie es Nahrungsmittel anbaut. Ich will aber auch nicht unbeachtet lassen, dass der größte Importeur von Soja in Europa - Europa ist in der Welt insgesamt der größte, Deutschland ist der größte Sojaimporteur hier - das in die Futtermittelindustrie bringt und in Brasilien für 80 Prozent der Zerstörung der Regenwälder verantwortlich ist. Wir diskutieren über einen kleinen Anteil an Biokraftstoffen, als hätten wir das Problem damit gelöst, wobei wir immer noch übersehen, dass man auch mit Palmöl Blockheizkraftwerke betreiben kann - sozusagen nach dem EEG -, was wir auch ausschließen wollen, aber wir trauen uns nicht, über den Riesenanteil zu reden, den die Kosmetikindustrie und die Futtermittelindustrie am Sojaimport haben, weswegen gerade in Brasilien Regenwälder zerstört werden. Das geht nicht. Das muss mit auf den Tisch. Dafür plädiere ich. ({18}) Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({19})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächste Rednerin ist die Kollegin Eva BullingSchröter für die Fraktion Die Linke. ({0})

Eva Maria Bulling-Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002636, Fraktion: DIE LINKE. (DIE LINKE.)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben gerade gehört: Minister sind unfehlbar. ({0}) „Ein guter Tag fürs Klima“ titelte Der Spiegel in dieser Woche in Bezug auf den Stopp der Biospritverordnung. Ich bin mir da überhaupt nicht sicher; denn Umweltminister Gabriel ist ja nicht wegen der miesen Klimabilanz des Bioethanols oder wegen der irrwitzigen Auswirkungen der Agrospritimporte auf Tropenwälder und Menschenrechte auf die Notbremse getreten. Nein, die Strategie wurde nur ins Wanken gebracht, weil Bioethanol den Motoren schaden könnte. Er, Gabriel, erklärte in einer Presseerklärung zudem entwaffnend offen, die Agrospritstrategie habe eigentlich nie primär etwas mit Klimaschutz zu tun gehabt. Es sei vielmehr darum gegangen, den Automobilherstellern Investitionen in sparsamere Autos zu ersparen. ({1}) Nunmehr soll das Weniger an Bioethanol zum Teil durch ein Mehr an Biodiesel ausgeglichen werden. Diese 15 Prozent - ursprünglich waren es 17 Prozent - wären aber immer noch rund das Dreifache dessen, was inländisch nachhaltig an Biomasse produziert werden kann. Der Rapsanbau in Deutschland stößt bereits jetzt an seine Grenzen. Schon heute basiert Biodiesel hierzulande zu rund einem Fünftel auf tropischem Sojaöl. Herr Gabriel, wir haben damals gefordert, dass es keine Beimischungspflicht gibt. Das wissen Sie auch. Die Anträge liegen vor. ({2}) Steigende Importe von Agrokraftstoffen sind weiterhin Ihr Programm, so, als gäbe es überhaupt keine Debatten über die erschreckenden Auswirkungen vieler Agroenergien auf die Tropenwälder und die Welternährung. Schauen Sie sich die Dinge an, die von Misereor und anderen christlichen Organisationen dazu geschrieben wurden. Dann werden Sie sehen, was hier geschieht. Stattdessen wird immer wieder auf Zertifizierung gesetzt, die jedoch - das versichern uns die meisten NGOs - zur Erfolglosigkeit verurteilt ist. Das liegt nicht nur an Korruption, mafiösen Strukturen und mangelnder Überwachung in vielen Produzentenländern, sondern es sind vor allem die indirekten Verdrängungseffekte der Agroenergie, die die Zertifizierungen ins Leere laufen lassen. Sorgen macht uns in diesem Zusammenhang zusätzlich eine neue Verordnung, die Ende letzten Jahres verEva Bulling-Schröter abschiedet wurde. Sie erlaubt ab 2010 die Hydrierung solcher Pflanzenöle, die bisher nur in Kraftwerken einsetzbar waren. Palmöl aus Indonesien etwa, für das dort riesige Urwaldgebiete gerodet werden, lässt sich dann auch in Autos verfahren. Das ist ja klasse: Der Druck auf die Wälder in Borneo und Sumatra wird also noch weiter zunehmen. Wie steht es eigentlich mit Wirtschaftsminister Glos? Er ist leider nicht anwesend. ({3}) Wie ich der Welt am Sonntag entnehmen durfte, hat er - wie im Übrigen auch Herr Söder und die gesamte CSU - angeblich schon seit Jahren gewusst, dass der Run auf den Agrosprit zulasten tropischer Wälder und ihrer Bewohner erfolgt. Allerdings wird man den Verdacht nicht los, dass Herr Glos lediglich Argumente sammelt, die belegen könnten, dass sich das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung langsam in Luft auflöst. Solche Argumente kann er nämlich gerade gut gebrauchen, beispielsweise um die Atomkraft wieder ins Spiel zu bringen. Dafür wird neuerdings - wenn nötig mit der Brechstange - auch eine Stromlücke beschworen. Aber Entschuldigung, es handelt sich natürlich um fundierte Analysen der Deutschen Energie-Agentur. Man kann froh sein, wenn man zu diesem Thema eine Auskunft erhält. Als mein Abgeordnetenbüro nach besagter dena-Studie fragte, wurde es zuerst an die Pressestelle verwiesen, die uns dann mitteilte, die Langfassung der Studie sei nicht öffentlich. Ferner dürfe nicht darüber informiert werden, wer der Auftraggeber der Studie sei. Das ist schon seltsam. Statt Rohdaten darf man sich eine Power-Point-Präsentation aus dem Internet laden. Ich denke, das ist keine Grundlage seriöser Energiepolitik. ({4}) Gleichzeitig pöbelt Wirtschaftsminister Glos gegen das Umweltbundesamt, weil dieses in einer eigenen Studie keine Stromlücke feststellen konnte. Das UBA habe für Energieprognosen keinerlei Kompetenz, schreibt er. Ich finde, nach Transrapid und Landesbankskandalen sollten Sie, meine Damen und Herren von der CSU, sich in Sachen Kompetenzbeurteilung etwas zurückhalten. ({5}) Ich komme abschließend noch einmal auf den Agrosprit zurück und fordere die Bundesregierung auf: Zwingen Sie deutsche Autofahrer nicht, Urwälder Südamerikas oder Asiens in ihren Tanks zu verheizen! Reduzieren Sie die Agrospritziele auf ein Maß, welches mit inländischer Produktion erreicht werden kann! Ich komme zum Schluss. Wir müssen weiter über die Verkehrsvermeidung reden. Es muss dringend gehandelt werden. Das Tempolimit ist sehr wichtig. Wenn wir es im Übrigen schaffen, den Spritverbrauch jedes Autos um einen Liter zu reduzieren, dann sparen wir 12 Prozent Kraftstoff oder 10 Millionen Tonnen CO2 ein. ({6}) - Sie sagen, dies sei zu wenig. Es ist immerhin ein Anfang. Ich kann aber nur eine Zugabe fordern. Wir könnten im Sinne des Klimaschutzes noch weiter diskutieren. ({7})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Frau Kollegin, wir diskutieren aber nicht mehr hier weiter. Das Wort hat nun der Kollege Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Andreas Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003780, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus den bekannten Gründen war es sicherlich richtig, die zum 1. Januar nächsten Jahres vorgesehene Erhöhung der Beimischungsquote zu stoppen. Aber wenn Sie diese Entscheidung zum Anlass nehmen, Frau Künast, das Scheitern der Klimapolitik der Bundesregierung insgesamt festzustellen, dann will ich deutlich sagen: Lassen wir die Kirche im Dorf! ({0}) Es ist zwar wahr, dass die Beimischung von Biokraftstoffen eine Maßnahme ist, um den Klimaschutz voranzubringen. Sie ist aber nur eine Maßnahme in einem ganzen Maßnahmenbündel mit ehrgeizigen Zielen in den Bereichen Industrie, in der Wirtschaft insgesamt, Energie, in den Privathaushalten und im Verkehr. Sie haben konkret nach den Instrumenten und den Zielen gefragt. Bleiben wir einfach bei den Fakten. Wir können feststellen: Wir sind sowohl bei den Instrumenten als auch bei den Zielen auf einem guten Weg. Zu den Instrumenten: Ob es um die Förderung erneuerbarer Energien, das Gebäudesanierungsprogramm oder den Emissionshandel geht, in allen diesen Bereichen betreiben wir mehr Klimaschutz und sparen mehr CO2 ein als Sie, Frau Künast, und Herr Trittin in der letzten Legislaturperiode der rot-grünen Regierung. ({1}) Wir sind nicht nur bei den Instrumenten auf einem guten Weg, sondern auch bei den Zielen. Wieder zu den Fakten: Die jüngsten Studien belegen, dass Deutschland seine sehr ehrgeizigen Klimaschutzziele in allernächster Zeit erreichen wird. Es ist richtig, dass wir nun darüber diskutieren, wie es mit den Biokraftstoffen weitergehen soll. Wahr ist - das wurde schon angesprochen -, dass sich neben der Frage nach der Verträglichkeit für die Automobile ökologische Herausforderungen mit globaler Dimension stellen. Andreas Jung ({2}) Nicht zuletzt während unserer letzten Delegationsreise konnten wir uns selbst ein Bild davon machen, dass Regenwälder nicht nur, aber auch zur Produktion von Biokraftstoffen abgeholzt werden. Es ist unsere Aufgabe, dieser Herausforderung zu begegnen. Herr Minister, Sie haben jede Unterstützung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wenn es darum geht, eine Nachhaltigkeitsverordnung in der Europäischen Union voranzubringen. Das Allerbeste wäre eine weltweite Einigung gewesen. Da aber diese noch nicht erreicht werden konnte, finden wir es richtig, dies auf europäischer Ebene anzugehen und eine echte Nachhaltigkeitsverordnung durchzusetzen, die verhindert, dass für Biokraftstoffe Regenwälder abgeholzt und Moore zerstört werden, und die sicherstellt, dass bei uns nur solche Biokraftstoffe auf den Markt kommen, die eine um 30 oder sogar 35 Prozent bessere CO2- bzw. Treibhausgasbilanz, von der Produktion über die Herstellung bis hin zum Transport, aufweisen als herkömmliche Kraftstoffe. Wenn das gelingt, können wir guten Gewissens die Förderung von Biokraftstoffen auch durch die Beimischung vorantreiben. ({3}) Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der in dieser Debatte bereits erwähnt wurde. Wir haben zwei Instrumente, um Biokraftstoffe zu fördern. Das eine ist die Beimischungsquote, das andere ist die Steuerbegünstigung. Unsere Position, die von vielen Kollegen geteilt wird, ist schon seit Monaten: Wir halten die zweite Stufe der Besteuerung des reinen Biokraftstoffs für falsch; denn hier handelt es sich um einen Markt, auf dem mittelständische Hersteller und Landwirte in Deutschland dominieren. Hier stellen sich damit die globalen Herausforderungen nicht in dem Maße, genauso wenig wie die Frage nach der Verträglichkeit bei den Automobilen. Wir haben festgestellt, dass schon die erste Steuerstufe dazu geführt hat, dass der Markt gelitten hat, dass der Umsatz zurückgegangen ist und dass einige Hersteller erhebliche Einbußen haben hinnehmen müssen. Wir sind der Auffassung, dass man nun dieses Problem angehen muss und zumindest die zweite Stufe, die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, infrage stellen sollte; denn wenn wir bei der Beimischung langsamer vorankommen, als wir es erhofft hatten, müssen wir bei den reinen Biokraftstoffen einen anderen Weg gehen als den beschlossenen. Deshalb wird die Unionsfraktion diese Diskussion in den nächsten Tagen und Wochen aufgreifen. Herzlichen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Hans-Josef Fell für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Hans Josef Fell (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003115, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Jung, Frau Künast hat völlig recht: Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung zerbröselt immer mehr. In Meseberg noch groß gefeiert, im Kabinettsbeschluss schon deutlich abgeschwächt, zeigt sich nun, dass die Große Koalition beim Klimaschutz ihre Ziele voll verfehlen wird. Frau Reiche, es genügt nicht, zu den Klimaschutzzielen zu stehen. Sie müssen auch Maßnahmen ergreifen, um sie zu erreichen. ({0}) Ein wichtiger Punkt nach dem anderen bricht aus Ihrem Klimaschutzpaket heraus. Beispielsweise hat die Anhörung zum Entwurf eines Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes am letzten Montag ergeben, dass der vorgelegte Gesetzentwurf äußerst mangelhaft ist und dass sich mit diesem Gesetz niemals der angestrebte 25-Prozent-Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung erreichen lässt. Ein zweites gravierendes Beispiel ist nun die verfehlte Biokraftstoffstrategie dieser Bundesregierung. Von Anfang an hat die Große Koalition mit der Beimischung statt Steuererleichterung auf die falsche Strategie gesetzt und landet nun zunehmend im Umsetzungspfusch. Der Grund ist schnell gefunden: Die Minister Gabriel, Seehofer, Steinbrück und andere haben sich ausschließlich von den Konzernen der Mineralölwirtschaft beraten lassen, statt die Belange des ökologischer orientierten Mittelstandes zu beachten. Die von der Mineralölwirtschaft vorgeschlagene und leider sogar vom Bauernverband unterstützte Beimischung statt Steuerbefreiung hat bereits erfolgreich aufgebaute Strukturen zerstört. Die ersten Biodieselproduzenten stehen vor dem Konkurs. Die ökologisch orientierte Pflanzenölwirtschaft mit dezentralen Ölmühlen und mittelständischen Umrüstern wurde bereits plattgemacht, die E85-Entwicklung wurde im Keim erstickt. Dass dabei Folgeschäden wie ein Wegbrechen der Versorgung des Viehs mit heimischem Eiweiß aus dem Presskuchen von Raps und Sonnenblumen auftreten, interessiert Sie nicht. Dass stattdessen wieder mehr Sojaschrot als Viehfutter nach Deutschland importiert werden muss, interessiert Sie auch nicht, obwohl wegen des Sojaanbaus immer mehr tropische Regenwälder abgeholzt werden müssen. So unterstützen gerade Sie, Herr Gabriel, mit diesem Beimischungszwang indirekt die großen Sojaimporteure aus Brasilien. ({1}) Es genügt nicht, Herr Gabriel, die Urwaldabholzungen zu beklagen. Sie müssen endlich auch die Strukturen im Biokraftstoffmarkt so ändern, dass eben nicht die Konzerne, die kein Interesse an sozial gerechten und ökologisch sauberen Anbaumethoden für Biosprit haben, genau diese Biokraftstoffe in die Hände bekommen. Führen Sie endlich die Steuererleichterungen ein, die wir, Herr Gabriel, nur deswegen bis 2009 beschränkt hatten, weil das EU-Recht dies vorschrieb. Wir von RotGrün haben immer gesagt, dass wir das fortführen wollen. Aber Sie haben lange vor 2009 den Vertrauensschutz missachtet, den die Investoren gebraucht hätten. ({2}) Nun pfuschen Sie auch noch bei der Umsetzung der Beimischungsstrategie. Es war von Anfang an abzusehen, dass eine Erhöhung der Beimischungsquote schnell an technische Grenzen stoßen wird, weil eben nicht alle Motorentypen eine höhere Beimischung vertragen. Schieben Sie nicht dem ADAC die Schuld zu! Das hätten Sie sehr gut vorher analysieren können und müssen. Doch der Pfusch Marke Gabriel hat noch größere Dimensionen. Mit einer von den Mineralölkonzernen gewünschten Verordnung für die Hydrierung von Pflanzenölen öffnen Sie nun die Tür für die Beimischung von Palmöl zum deutschen Diesel. Konnte Palmöl bisher aus technischen Gründen nicht dem Diesel beigemischt werden, so wird mit der Hydrierung genau dieser Weg eröffnet. Die erste Palmölhydrierungsanlage wird bereits in Indonesien gebaut. So sind Sie indirekt für Urwaldabholzung in Indonesien verantwortlich. Das ist beschämend für einen Bundesumweltminister, der gerade noch in Bali Urwaldschutz gefordert hat. ({3}) Urwaldabholzungen und Abwürgen von nachhaltig angebauten Biokraftstoffen - beides heizt das Klima auf. Das ist eine beschämende Bilanz des Klimapaketes der Bundesregierung und des Umweltministers. Dabei haben die jüngsten Forschungsergebnisse des US-Klimaforschers Hansen von der NASA in der letzten Woche die Dramatik der Klimaerwärmung erneut wissenschaftlich belegt. Er hat sogar nachgewiesen, dass die Empfehlungen des Weltklimarates nicht ausreichend sind, da die Selbstverstärkerprozesse der Welterwärmung bisher weit unterschätzt wurden. Hansen appelliert an die Weltgemeinschaft, endlich eine Strategie der Nullemissionen statt der bloßen Emissionsreduktion einzuschlagen. So verlangt er völlig zu Recht, dass bis 2030 die weltweiten CO2-Emissionen aus der Kohlenutzung vollständig beendet werden. Ich weiß nicht, wie Sie, Herr Gabriel, Moorburg da noch verantworten wollen. Herr Hansen sagt auch, dass die Konzentration des heutigen CO2-Gehaltes von 385 parts per million auf 350 parts per million sogar gesenkt werden muss. Das geht am besten mit nachhaltiger und ökologischer Landwirtschaft, bei der der über Pflanzen gefilterte atmosphärische Kohlenstoff im Humus des Bodens gespeichert wird. Die Erzeugung ökologischer Lebensmittel und ökologischer Biokraftstoffe ist ein entscheidendes Instrument für den Klimaschutz. Herr Gabriel, Frau Merkel, gehen Sie endlich ab von dem Irrweg der Biokraftstoffpolitik der Bundesregierung, hören Sie nicht weiter auf die Vorschläge der Mineralölkonzerne, und setzen Sie sich endlich auch in der Biokraftstoffstrategie für ein ökologisches Wissen und ökologische dezentrale Strukturen ein! ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Marko Mühlstein für die SPD-Fraktion. ({0})

Marko Mühlstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003814, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Im Zuge der Debatte um die Einführung von E10 sind Biokraftstoffe, aber auch der gesamte Bereich der Bioenergie ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. In diesem Komplex der Diskussion kursieren leider - das muss man an dieser Stelle einmal deutlich sagen - viele Falschinformationen und Halbwahrheiten. Deshalb erachte ich eine Versachlichung der Diskussion um Bioenergie, insbesondere um Biokraftstoffe, für notwendig. Die Bioenergie ist eine tragende Säule im heutigen und zukünftigen Energiemix. Der Anteil der Bioenergien an den erneuerbaren Energien liegt bei immerhin zwei Dritteln. Ich glaube, man kann an dieser Stelle sagen, dass die Bioenergie die tragende Säule der erneuerbaren Energien ist. Wenn der Ausbau der Bioenergie voranschreiten soll - ich glaube, das wollen wir alle in diesem Hause -, dann müssen wir in Zukunft genauer hinschauen. An dieser Stelle bin ich dem Bundesminister Sigmar Gabriel sehr dankbar, dass er in der vergangenen Woche ein Papier vorgestellt hat, in dem die Weiterentwicklung der Bioenergie und vor allem die Kriterien, die in Zukunft eingehalten werden müssen, deutlich gemacht werden. Wir sind uns in der Großen Koalition einig, dass wir den Einbau von Leitplanken brauchen, wenn wir Bioenergie zukunftsfähig machen wollen. Die Hauptkritik in den vergangenen Wochen und Monaten war, dass die Nachhaltigkeitsaspekte, gerade was den Anbau von Rohstoffen angeht, vernachlässigt wurden. Diese Kritik ist gerechtfertigt. Deswegen war es richtig, dass die Bundesregierung am 5. Dezember vergangenen Jahres die Nachhaltigkeitsverordnung verabschiedet hat, Herr Kauch. Ich glaube, das war ein Schritt in die richtige Richtung. Der Schritt, der in der letzten Woche vom Bundesministerium vorgegeben wurde - nicht darauf zu vertrauen, die Nachhaltigkeitsverordnung irgendwann in den kommenden Jahren auf internationaler Ebene zu verankern, sondern nach Zwischenschritten zu suchen -, ist richtig und notwendig. ({0}) Möglichkeiten ergeben sich zum Beispiel im Bereich der bilateralen Abkommen mit einzelnen Staaten oder der gutachterlichen Tätigkeiten. Die Nachhaltigkeit darf in Zukunft nicht nur das Kriterium für die Biokraftstoffe sein - der Bundesminister sagte das vorhin richtig -; das greift zu kurz. Wir müssen genauer hinsehen. Beispielsweise werden rund 90 Prozent des in die EU importierten Palmöls in der Lebensund Futtermittelindustrie oder in der Kosmetikindustrie verwendet. Selbst Greenpeace stellt eindeutig fest, dass ein Großteil des Palmöls im wahrsten Sinne des Wortes in die Lebensmittelindustrie fließt. Deshalb brauchen wir ein Zertifizierungssystem für alle Agrarrohstoffe. Damit meine ich die Futtermittel genauso wie die Nahrungsmittel; sonst greift die Zertifizierung auch langfristig zu kurz. Zum Thema Biokraftstoffe. Es ist sinnvoll - das hat der Bundesminister vorhin sehr gut dargestellt -, die Quotenziele für 2015 und 2020, über die wir noch vor Monaten diskutiert haben, auf den Prüfstand zu stellen und sie gegebenenfalls zu korrigieren. Wer weiß schon, wie sich die Dinge entwickeln? Wer weiß, wann beispielsweise BtL tatsächlich marktfähig wird? Viel wichtiger ist es, eine Politik für einen absehbaren Zeitraum zu machen. Ich schlage an dieser Stelle vor, die Quotenziele einmal pro Legislatur, also alle vier Jahre, zu überprüfen. Klar ist, dass E10 nicht kommen wird. Aber klar ist auch, dass der Biosprit, wie die Bezeichnung in einer großen Tageszeitung lautete, kein Schnee von gestern ist, sondern dass wir E5 und B7 bekommen werden und dass wir eine Gesamtquote von 6,25 Prozent, wie sie bereits jetzt im Gesetz festgelegt ist, als Maßgabe für die weiteren Diskussionen, auch für die über den reinen Biokraftstoff, haben müssen. Ich denke, wir brauchen den reinen Biokraftstoff der ersten Generation in den nächsten Jahren. Wir müssen darüber diskutieren, wie wir dieses Austarieren - so sagte es der Bundesminister vorhin tatsächlich realisieren können. Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben ganz klare Vorstellungen. Wir wollen beispielsweise in Zukunft eine Steuerbefreiung für den öffentlichen Personennahverkehr oder auch den Schienenpersonennahverkehr umsetzen. Das ist nur ein Mittel, aber ich denke, dass dies der richtige Weg ist. ({1}) Effizienzsteigerung und Einsatz von Biokraftstoffen - das ist auch heute in der Anhörung deutlich geworden - dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Ganz im Gegenteil: Eine effektive Klimaschutzpolitik braucht beide Ansätze. Das heißt, dass die Automobilindustrie heute anfangen muss, sparsamere und emissionsärmere Autos zu entwickeln. Ich möchte an dieser Stelle noch etwas sagen, auch wenn meine Zeit bereits überschritten ist.

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Sie sollten aber auch die Konsequenz daraus ziehen.

Marko Mühlstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003814, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das werde ich tun, Frau Präsidentin. Ich hoffe, dass wir im Jahre 2009 nicht nur über eine CO2-Kfz-Steuer sprechen, sondern dass wir diese ab dem 1. Januar 2009 schon haben werden. ({0}) Zum Schluss möchte ich die Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen, nicht nur die der Großen Koalition, herzlich einladen, eine konstruktive Debatte zu führen und gemeinsam einen Weg für eine nachhaltige und umweltfreundliche Bioenergienutzung zu suchen. Herzlichen Dank. ({1})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Das Wort hat nun der Kollege Josef Göppel für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Josef Göppel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003537, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Monaten geht ein regelrechtes Trommelfeuer auf die Biokraftstoffe nieder. Das ist so eine deutsche Eigenart: Voll rein in die Kartoffeln und dann fluchtartig wieder raus. Wir müssen aufpassen, dass die Biokraftstoffe nicht als solche insgesamt verdammt werden. Das geben die naturwissenschaftlichen Grundlagen nicht her. ({0}) Wenn man Gewinnung, Anbau, Transport, Verarbeitung und Verbrennung betrachtet, stellt man fest, dass bei 1 Liter Benzin oder Diesel etwa 3 Kilogramm CO2 freigesetzt werden; bei 1 Liter Biodiesel oder Pflanzenöl ist es nur die Hälfte. Das ist die Quintessenz aller Untersuchungen, die uns vorliegen. Deswegen ist es richtig, dass wir als Bundestag und Bundesregierung generell an den Biokraftstoffen festhalten. Es ist wohl nur zu viel Gewicht auf die Beimischung gelegt worden. Ich bin der Meinung, dass jetzt wieder mehr die Reinkraftstoffe ins Spiel kommen müssen. ({1}) Natürlich kann man überlegen, was alles noch entwickelt wird: neuartige Kraftstoffe, Elektroantriebe. Nur, was haben wir jetzt, 2008? Was können wir in der Zeit von 2009 bis 2014 oder 2015 einsetzen, bis all diese Dinge verfügbar sind? Das sind der Biodiesel, umgeestertes Pflanzenöl, mit einem Anteil von rund 75 Prozent, das reine abgepresste Pflanzenöl mit einem Anteil von rund 20 Prozent - das sind zusammen 95 Prozent und Ethanol. Wir brauchen jetzt eine schnelle Entlastung für den Einsatz dieser Reinkraftstoffe. ({2}) Dieser Markt hat sich mittelständisch entwickelt. Da ist die Frage: Welche Instrumente wählen wir? Ich bin der Überzeugung - die allermeisten bei uns in der Unionsfraktion sind es auch -: Wir brauchen erstens eine Unterkompensationsrechnung, die zeitnah erfolgt, sodass bei einer Veränderung der Preisrelationen der Biokraftstoff an der Tankstelle nicht teurer ist als der Kraftstoff aus Erdöl. Wir brauchen zweitens eine echte Anwendung der Nachhaltigkeitsverordnung. Erst wenn wir bei dem ersten Schiff in einem Hafen das Ausladen verhindern, merkt man dort, dass wir es ernst meinen mit unserer Nachhaltigkeitsverordnung. Die Konflikte mit der WTO hat Herr Minister Gabriel völlig richtig angesprochen. Ich denke, hier muss die Probe aufs Exempel gemacht werden. Drittens. Ich unterstütze auch, was Herr Kollege Mühlstein sagt. Es ist meine Meinung, dass wir dem Markt mit der Ausweitung des Landwirteprivilegs auf den öffentlichen Nahverkehr, und zwar auf die Busse und die Schienenfahrzeuge, eine direkte Entlastung geben müssen. Wir würden aber auch unserer Bevölkerung ein direktes Signal dahin gehend geben, dass sich aus dem Klimaschutz auch einmal etwas Positives für die normalen Menschen ergibt, dass es also nicht nur Kostensteigerungen gibt, sondern dass es auch bei Einhaltung der Nachhaltigkeit aus sozialen Gesichtspunkten ein Entgegenkommen für Menschen gibt, die den öffentlichen Nahverkehr benutzen. ({3})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Petra Bierwirth. ({0})

Petra Bierwirth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11003049, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bei der Biokraftstoffstrategie ein ambitioniertes Ziel vor Augen gehabt. Ich will die Biokraftstoffe nicht verteufeln, aber ich denke, heute ist der Zeitpunkt gekommen, um zu sagen: Wir sind mit unseren hier im Parlament getroffenen Beschlüssen etwas über das Ziel hinausgeschossen. Wir müssen erkennen, dass der eingeschlagene Weg nicht ganz der richtige war und dass er so nicht gangbar ist. Wir müssen heute sagen: Es ist Zeit, vergangene Fehler zu korrigieren und den von uns eingeschlagenen Weg zu überdenken, bevor es zu spät ist und zu teuer wird. ({0}) Ich denke, das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hat uns mit dem Papier zur Weiterentwicklung der Strategie zur Bioenergie einen guten und richtigen Ansatz vorgelegt, den wir in unsere Diskussion einbeziehen sollten. ({1}) Auch mich hat geärgert, dass in der öffentlichen Debatte mit dem Stopp der E10-Verordnung nur die Kraftfahrer erwähnt worden sind. Es wurden nur die Autos erwähnt, die diesen Kraftstoff nicht vertragen. Es wurden die Leute erwähnt, die teures Benzin kaufen müssen. Das ist sicher richtig und auch angemessen. Es ist aber auch wichtig, über die anderen Aspekte zu sprechen, die ebenfalls in diese Entscheidung einbezogen werden müssen. Diese gibt es. Wir haben in den letzten Monaten in unserem Ausschuss verschiedene Anhörungen durchgeführt, die uns auch die anderen Problematiken der Biokraftstoffstrategie und der Biomasse insgesamt vor Augen geführt haben. Es wurde zum Beispiel deutlich, dass die derzeitige Gewinnung von Biomasse nicht nachhaltig ist und dass wir noch große Anstrengungen unternehmen müssen, um eine nachhaltige Gewinnung auf den Weg zu bringen. Die Nachhaltigkeitsstrategie liegt auf dem Tisch. Ich denke aber, uns allen ist klar, dass es noch ein langer Weg wird, diese Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen. Das haben wir in unserer heutigen Anhörung im Ausschuss noch einmal vor Augen geführt bekommen. Unser Besuch in Indonesien ist schon mehrfach angesprochen worden. Dort haben wir hautnah die Probleme erlebt, die wir in unsere Diskussion einbeziehen müssen. Ich möchte heute noch ein weiteres Problem ansprechen; auch der Vertreter des Bauernverbandes hat dies kurz angesprochen. Es handelt sich dabei um die Herausnahme von Flächen, die eigentlich zur Produktion von landwirtschaftlichen Gütern verwendet werden, und zwar durch Leute, die eigentlich nichts mit der Landwirtschaft zu tun haben. Diese Leute kaufen landwirtschaftliche Flächen zu spekulativen Zwecken auf. Dass dies nicht nur bloße Theorie ist, davon konnte ich mich Anfang dieser Woche mit einigen Kollegen überzeugen. Wir haben ein Biosphärenreservat besucht. Hier gibt es die größte zusammenhängende Fläche, auf der ökologischer Landbau betrieben wird. Dort kaufen zum Beispiel Bankleute und Besitzer von Möbelhäusern landwirtschaftliche Flächen auf. In dieser Landschaft, in der es keinerlei Infrastruktur gibt, planen diese Leute, auf engstem Raum zehn Biogasanlagen zu bauen und die Felder ringsum zum Maisanbau zu nutzen. ({2}) Man muss sich dies vor Augen führen. Dies geschieht in einem Biosphärenreservat. Ich muss Ihnen nicht erläutern, was das für Auswirkungen haben wird. Auch diese Aspekte müssen wir jetzt dringend in unsere Diskussion einbeziehen. Ich meine daher, dass wir unseren Umgang mit Biomasse insgesamt überdenken sollten. Das betrifft sowohl die Größenordnung, in der wir die Biomasse nutzen wollen, als auch ihre umweltverträgliche Produktion. Klar ist - auch das ist heute schon mehrfach angesprochen worden -: Um unseren Bedarf an Biomasse abzudecken, verfügen wir in Deutschland nicht über ausreichende Flächen. Wir sind also auf Importe angewiesen, die hauptsächlich aus den Entwicklungs- und Schwellenländern stammen. Wir müssen auch einmal miteinander darüber diskutieren, dass wir damit die Menschen dort unweigerlich vor die Entscheidung stellen, entweder ihre Grundbedürfnisse oder unsere stetig steigenden und teilweise auch maßlosen Konsumansprüche zu befriedigen. Wir beschwören im Konzert mit den weiteren reichen Industrieländern durch unsere Politik eine Entwicklung herauf, die in den Ländern, in denen der finanzielle Anteil, der für die tägliche Ernährung aufgewendet werden muss, schon sehr hoch ist, noch höher und damit untragbar wird. Wir Deutschen mögen uns eine Erhöhung der Lebensmittelpreise, wie wir sie zurzeit erleben, gerade noch leisten können, ein Tagelöhner in Lagos oder Johannesburg kann das bald wohl nicht mehr. ({3}) Darüber hinaus sehe ich auch noch eine weitere Konfliktlinie, die meines Erachtens viel zu wenig in die Diskussion eingebracht wird, nämlich die zwischen der Erzeugung von Biomasse und dem nachhaltigen und effizienten Umgang mit der Ressource Wasser. Klar ist, durch die Biomasseerzeugung steigt der Wasserverbrauch. Wir alle wissen zugleich, dass in Zukunft die Wasserressourcen knapper werden. Hinzu kommt, dass die Produktion von Biomasse durch den Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln negative Folgen für das Grund- und Oberflächenwasser haben wird. Auch diesen Aspekt müssen wir dringend auf die Tagesordnung setzen und in die Diskussion einbringen. Ich denke, wir Parlamentarier sind jetzt gefordert, unsere Hausaufgaben zu machen und zu sagen, in welche Richtung wir in Zukunft marschieren wollen. Ich freue mich auf eine gemeinsame Diskussion darüber hier im Parlament. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Schindler für die CDU/CSU-Fraktion. ({0})

Norbert Schindler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002776, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer droben auf den Tribünen! In der Financial Times Deutschland vom 9. April 2008 steht im Gastkommentar unter der Überschrift „Künstlicher Konflikt“: Biokraftstoffe geraten zu Unrecht in Verruf. Ihre Ökobilanz ist besser als die von Benzin und Diesel auf Erdölbasis. Und eine Konkurrenz zwischen Teller und Tankstelle gibt es de facto nicht. Jetzt fragt man sich schon, warum in den letzten acht Wochen so viel Gegenteiliges in unserer Medienlandschaft verkündet worden ist. ({0}) Dass wir nun darüber debattieren, möchte ich mit einem Sprichwort aus der Pfalz kommentieren: Nichts ist so schlecht, als dass es nicht für irgendetwas gut ist. - In diesem Punkt stehe ich ganz auf der Seite unseres Umweltministers Gabriel und hoffe, dass der genannte Artikel aus der Financial Times Deutschland dafür sorgt, dass die Debatte wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird. Wir, die Entscheidungsträger hier im Parlament, müssen schon schauen, wo Lobbypolitik dafür gesorgt hat, dass insbesondere in der öffentlichen Meinung Extrempositionen Beachtung fanden, und welche Grundsatzziele sich die Bundesregierung, das Parlament oder die Europäische Union gesetzt haben. Wir lassen uns auch nicht beeindrucken, wenn der eine oder die andere versucht, uns zu beeinflussen. Das Biokraftstoffquotengesetz bleibt. Punkt. Darüber gibt es keine Diskussion. Wir verfolgen damit die ehrgeizigen Ziele, die Herr Gabriel vorgegeben hat. Diese haben wir alle im Dezember im Parlament als einen guten Beitrag für die Umweltpolitik begrüßt. Wir alle haben auch immer wieder gepredigt, wie notwendig eine Minderung der CO2-Emissionen ist. Jetzt stehen wir vor dem Problem, dass 3 Millionen von 41 Millionen Autos eine andere Kraftstoffsorte benötigen und damit ihre Fahrer eine höhere finanzielle Belastung an der Tankstelle in Kauf nehmen müssen. Diese Tatsache hat ja die Emotionen geschürt. Zur Relativierung: Die Zahl der betroffenen Autos deutscher Automarken beträgt nur 170 000 bis 300 000, je nach Schätzung. Es wissen auch alle, dass die 3 Millionen, zum größten Teil importierten Altautos in drei bis fünf Jahren nicht mehr auf den Straßen fahren werden. Hier greift der ganz normale Abgang und Wechsel von Kraftfahrzeugen. Die momentane Empörung unserer Bevölkerung hat Herrn Gabriel aber bewogen, mit Unterstützung der Kanzlerin und der Union diese Vorlage zurückzuziehen. Nachhaltigkeit ist ein Thema. Herr Gabriel, ich pflichte Ihnen ausdrücklich bei: Haben wir den Mut, mit der WTO zu streiten! Warum nicht drei, vier Jahre einen Prozess über Nachhaltigkeitskriterien, wie Josef Göppel sagte? Wie kann es denn sein, dass unsere gut gemeinte Politik durch Billigstimporte ausgehöhlt wird, und das auf Kosten des Umweltschutzgedankens in der Dritten Welt? Orang-Utans haben keinen Lebensraum mehr, weil wir die CO2-Bilanz in Europa erfüllen wollen. Deutschland - auch das muss man zu der Kritik der Opposition sagen - ist Wegbereiter und führend in Europa, was die aktive Umsetzung von umweltschutzpolitischen Maßnahmen angeht. Wir haben der Bevölkerung etwas zugemutet, unter Rot-Grün mit der Ökosteuer, die wir nicht abgeschafft haben, und jetzt mit dem Biokraftstoffgesetz, dem EEG und anderem. Das alles wird in dieser Republik positiv mitgetragen, weil es unter Generationsgesichtspunkten verantwortungsvoll ist; denn es wird darauf geachtet, dass diese Erde auch für unsere Kinder und Kindeskinder noch lebenswert ist. ({1}) Deswegen der Ansatz, über Nachhaltigkeit in Europa zu reden, auch unter dem Aspekt, was international möglich ist. Denn während die Motoren in Kalifornien und Schweden die Voraussetzungen erfüllen können, kommen bei uns die Reichsbedenkenträger von den Lobbyisten, ob Auto oder Mineralik, und sagen, das sei in der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich. Was in anderen Ländern möglich ist, auch beim 100-prozentigen Einsatz von Biokraftstoffen, könnte, Josef, auch in der Bundesrepublik Deutschland möglich sein. Wir wollten einen großen Anteil auch bei der Beimischung erreichen. Diesen Weg müssen wir kontinuierlich begleiten, auch im Streit und auch mit Herrn Dimas, unserem Bedenkenträger in der Europäischen Union. Das muss WTO-verträglich sein. Das ist eine Aufgabe, die wir in den Ressorts unserer beiden Erzengel - der eine heißt Michael, der andere heißt Gabriel - abzustimmen haben. ({2}) Und auch „Angie“ ist ja sozusagen ein Engelsname. Die Aufgaben der Ressorts in diesem Bereich müssen gebündelt werden. Die aktuelle Diskussion draußen, dass wir als Bundesregierung oder als Parlament jetzt von diesem Weg abgehen, hat mich nicht beeindruckt. Wir brauchen Nachhaltigkeit bei den Kriterien, auch im Sinne der Wertschöpfung der europäischen Landwirtschaft. Wir Bauern in Europa brauchen auch ein Ventil in unserer Agrarproduktion. Ich bin es leid, dass es uns so ergeht, wie es uns 2003 und 2004 ergangen ist, als uns, ob das die Mühlenindustrie oder sonst wer war, das Getreide zu Sklavenlöhnen abgekauft wurde. Wir brauchen diese Alternative, weil wir aktiv einen Beitrag zum Umweltschutz in Europa leisten; wir delegieren das nicht nach Malaysia oder nach Brasilien. Was wir uns in Europa selbst zumuten an Auflagen zur Erhaltung des Flora-Fauna-Habitats und was in der Cross Compliance geregelt ist, das mute ich auch allen Partnern weltweit zu, wenn sie ihre Produkte in unseren Häfen abladen. ({3}) Der Begriff der Nachhaltigkeit geht uns weltweit alle an. Da sind wir in Europa federführend; wir haben eine Beispielfunktion wie beim Katalysator vor 15 Jahren. Dann müssen wir auch den Streit mit der WTO führen; damit bestätigen wir unseren richtigen Kurs. Ob wir in der Zwischenzeit in der Koalition und darüber hinaus noch einmal über die Aussetzung einer Steuerstufe bei Biodiesel oder über die Beimischung im ÖPNV diskutieren das dient einem guten Ziel. Die Verantwortung haben wir jetzt. Wir müssen in solchen Fragen auch dann, wenn es von vorne stürmt und von hinten hagelt, das Kreuz durchdrücken. Dafür bin ich schon immer gewesen. Danke schön. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Letzter Redner in dieser Debatte ist nun der Kollege Reinhard Schultz für die SPD-Fraktion. ({0})

Reinhard Schultz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002791, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den letzten Tagen, auch zu Beginn dieser Debatte, hatte ich den Eindruck, dass der Anteil des Ethanols, der nicht mehr beigemischt werden kann, weil Herr Gabriel die Verordnung aussetzt, von denen, die hier geredet haben, vorher getrunken worden ist. ({0}) Das ist ja reiner Alkohol. Da haben sich die Balken gebogen, selbst in diesem Gebäude von Foster, wo sich eigentlich nichts biegen kann. Es werden von vornherein Unterstellungen gemacht - als wären die Biokraftstoffstrategie und die Biomassestrategie insgesamt gescheitert, als würden die Vereinbarungen von Meseberg gebrochen, als wären durch Moorburg, ein Kraftwerk, das dem Emissionshandel unterliegt und das überhaupt nur unter dem Deckel des Emissionshandelregimes errichtet werden kann, die CO2-Ziele nicht einhaltbar. Alles das wird hier zu einer sehr giftigen Brühe miteinander vermischt, natürlich mit dem Ziel, die Klimaschutzpolitik insgesamt madig zu machen. Das werden wir aber nicht zulassen. ({1}) In Sachen Biokraftstoff E10 ging es um eine technische Norm. Bei dieser Frage haben sich Vertreter des Ministeriums von interessierten Kreisen offensichtlich hinter die Fichte führen lassen. Informationen, die eigentlich rechtzeitig vorlagen, waren nicht bekannt. Man ist in die Ecke getrieben worden und hat zum Schluss die Reißleine gezogen. Bei B7 wird das Ziel voll erreicht. Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist, wie es künftig weitergeht. Viel wichtiger als die Diskussion über E10 ist die seit Monaten andauernde Diskussion über den nachhaltigen Einsatz von Biokraftstoffen angesichts der Tatsache, dass nicht nur Deutschland und Europa, sondern die gesamte Welt entsprechende Strategien verfolgen und damit ein Nachfragedruck erzeugt wird, durch den wir bezüglich der verfügbaren Flächen an Grenzen stoßen. Man muss an dieser Stelle einmal innehalten und sich fragen: Ist das Mengenziel, das wir mit Blick auf Biokraftstoffe auch in den Verhandlungen von Meseberg verfolgt haben, aus heutiger Sicht überhaupt genau festzuschreiben, oder müssen wir nicht ein bisschen mehr auf Sicht fahren? Im nächsten und im übernächsten Jahr gibt es jenseits technischer Normen keinerlei Probleme mit den diskutierten Quoten. Auch in den Jahren 2011 und 2012 gibt es keine Probleme. Danach könnte die Situation vielleicht kritischer werden. Deswegen rate ich dringend dazu, den ursprünglich vorgesehenen Pfad kurzfristig beizubehalten; denn die Marktteilnehmer würden ansonsten in ziemliche Irritationen gestürzt werden. Es ist besser, wir sagen erst zu einem späteren Zeitpunkt, wie es danach weitergehen soll. Die Frage der Nachhaltigkeit berührt ausschließlich ein Mengenproblem. Sie hängt nicht davon ab, ob wir eine Quote einführen oder eine steuerliche Förderung vorsehen. Auch die steuerliche Förderung hat eine Sogwirkung auf ausländische Produkte. Im Bereich Pflanzenöl hatten ausländische Produkte einen Anteil von bis Reinhard Schultz ({2}) zu 70 Prozent: Jeder, der in der Lage war, Öle zu produzieren, war der Meinung, er würde in Deutschland aufgrund der Steuersubventionen Verhältnisse wie im Schlaraffenland vorfinden, und hat deshalb seine Produkte in Deutschland verkauft. Daher wollten wir diese Förderung nicht mehr und haben Übergangsfristen eingeführt. Auch die steuerliche Förderung, würde sie unendlich weitergeführt, würde ein Mengenproblem mit sich bringen und würde uns damit, was die Nachhaltigkeit angeht, ins Abseits führen. Das Gleiche gilt natürlich auch für die Quote. Letztendlich geht es um die Mengensteuerung und nicht um die Alternative Quote oder steuerliche Förderung. In der Diskussion müssen wir über den Feinschliff diskutieren, damit wir möglichst schnell zuverlässige Rahmenbedingungen schaffen. Wir sollten uns auf das konzentrieren, was in Deutschland und in Europa oder in Vertragsstaaten produziert werden kann. Die Mengen reichen aus, um die kurzfristig angekündigten Quotenziele zu erreichen. Parallel dazu brauchen wir insbesondere für Biodiesel eine Senke. Seit langem vertrete ich die Idee, für ÖPNV und SPNV einen gut abgrenzbaren und gut begründbaren Beihilfetatbestand zu schaffen, mit dessen Hilfe die Biokraftstoffe mineralölsteuerfrei eingesetzt werden können. Diese Lösung ist hinsichtlich der Steuerausfälle überschaubar und führt nicht wie bei anderen Steuern zu jährlich stattfindenden Diskussionen über Steuerstufen. Das wäre für die Marktteilnehmer nicht sehr spaßig, weil sie die Rahmenbedingungen dann nicht genau kennen würden. Eine letzte Bemerkung zur Quote. Es gibt zwar eine Quote, aber keine Beimischungsquote. Diese Quote kann durch Beimischung oder durch das Inverkehrbringen reiner Kraftstoffe erfüllt werden. So ist es im Biokraftstoffquotengesetz geregelt. Wenn dieser Weg aufgrund einer technischen Norm nicht möglich ist, dann muss man das, was übrig bleibt, als reine Kraftstoffe in den Verkehr bringen. Die Mineralölwirtschaft, die gerade im Bereich der Kraftstoffe für Ottomotoren daran interessiert ist, nicht allzu viel beizumischen, weil es Überkapazitäten bei den Raffinerien gibt, will ich nicht aus der Pflicht entlassen. Wenn sie die entsprechenden Vertriebsnetze nicht hat, soll sie die freien Tankstellen einbinden. ({3}) Ich denke, wir können sie dazu zwingen. Das ist die einzige Möglichkeit, sicherzustellen, dass auch die kleineren Hersteller eine Chance auf dem Markt haben. Die Debatte lohnt sich. Klar ist: Wir sollten den Mund nicht zu voll nehmen, wenn wir über das sprechen, was in 15 oder 20 Jahren sein wird. Das, was wir jetzt machen können, sollten wir aber wirklich machen. Vielen Dank. ({4})

Gerda Hasselfeldt (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000825

Die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 10. April 2008, 10.30 Uhr, ein. Ich schließe die Sitzung.