Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Einen schönen guten Tag! Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat mitgeteilt, dass das Thema
der heutigen Kabinettssitzung war: Politik für ländliche
Räume.
Für den einleitenden fünfminütigen Beitrag gebe ich
das Wort dem Herrn Bundesminister Horst Seehofer.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Bundeskabinett hat sich heute zum wiederholten
Male mit der Stärkung der ländlichen Räume in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt und, quasi als
zweite Stufe der Politik für die ländlichen Räume, eine
interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt, die aus Vertretern von acht Bundesministerien besteht und deren
Federführung bei meinem Haus liegt. In dieser Arbeitsgruppe soll bis Ende des Jahres über die Fragen einer integrierten Förderung der ländlichen Räume, die auf Bundesebene zu lösen sind, diskutiert werden: von der
Sicherstellung der ärztlichen Versorgung bis hin zur
Stärkung der Wirtschaftskraft durch Wertschöpfung im
ländlichen Raum.
Der Einsetzung dieser interministeriellen Arbeitsgruppe ging in den letzten beiden Jahren ein sehr intensiver Dialog mit Beteiligten aus verschiedenen Bundesländern voraus. Die Lage der ländlichen Räume wurde
analysiert, und Lösungsansätze zur Stärkung der ländlichen Räume wurden entwickelt. Außerdem hat jedes
Bundesministerium im Rahmen seiner Möglichkeiten
Maßnahmen eingeleitet, die in die Zuständigkeit des jeweiligen Ressorts fielen.
Ein ganz wesentlicher Aspekt, mit dem sich mein
Ressort beschäftigt hat, war die Frage, wie man dünnbesiedelte Räume besser mit schnellen Internetzugängen
versorgen kann. Dafür ist Geld zur Verfügung gestellt
worden. Die Bundesländer haben ihrerseits ebenfalls die
Mittel erhöht. Es ist also eine große Gemeinschaftsaufgabe, die heute noch vorhandenen 1 700 unversorgten
Gemeinden in Deutschland in absehbarer Zeit mit
schnellen Internetzugängen zu versorgen. Wir rechnen
damit, dass in den nächsten drei Jahren etwa zwei Drittel
dieser sogenannten weißen Flecken mit einem entsprechenden Internetanschluss versorgt werden können.
Darüber hinaus haben wir seit vielen Jahren erstmals
wieder die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes erhöht. Mithilfe dieser können strukturelle Maßnahmen
für den ländlichen Raum gefördert werden; so ist neuerdings der Bau von Energieleitungen im ländlichen Raum
förderfähig. Das ist zum Beispiel bei Biogasanlagen sehr
wichtig und attraktiv: Die Energiebilanz der Biogasanlagen kann nämlich dadurch verbessert werden, dass Fernwärmeleitungen zwischen der Biogasanlage und Gewerbe- oder Siedlungsgebieten ausgebaut werden. Auch
die für die Einspeisung von Biogas in Gasleitungen notwendigen Investitionen sind jetzt ebenfalls förderfähig.
In den letzten zwei Jahren haben wir also innerhalb
der einzelnen Ressorts sehr viel vorangebracht. Jetzt ist
es notwendig, dass die integrierte, ressortübergreifende
Politik für den ländlichen Raum verbessert wird. Die
Bundesregierung hält nach wie vor an dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland fest; das ist
ein klares Ergebnis der Kabinettssitzung gewesen. Wir
machen keine Politik nach dem Motto Stadt oder
Land, sondern halten gemäß dem Motto Stadt und
Land - Hand in Hand an dem Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland fest. Diese ergeben sich
jedoch nicht von alleine, sondern bedürfen einer wohlüberlegten und klugen politischen Strategie, die jetzt
auch mit dieser interministeriellen Arbeitsgruppe verfolgt wird.
Wir kommen zuerst zu Fragen zu diesem Themenbereich. Ich gebe das Wort an Frau Happach-Kasan für die
FDP-Fraktion.
Redetext
Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. Sie haben
im Zusammenhang mit dem heutigen Beschluss der
Bundesregierung sehr zutreffend die Lage in den ländlichen Räumen beschrieben. Von daher müssen wir
schauen, ob die geplanten Maßnahmen tatsächlich helfen werden, die schwierige Lage in verschiedenen ländlichen Räumen zu verbessern. Sie haben auch dargestellt, dass wir im Bereich der Breitbandversorgung
einen Schritt vorangekommen sind. Das ist richtig; das
sehen wir als FDP genauso. Wir sehen aber gleichzeitig,
dass es durch die Politik der Bundesregierung im Bereich der Biokraftstoffe zu Wertvernichtung gekommen
ist.
Vor diesem Hintergrund möchte ich fragen, was konkret die koordinierende Rolle Ihres Ministeriums dabei
ist: Bedeutet das, dass Sie koordinieren und die anderen
das machen, was Sie wollen? Oder bedeutet das - insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Landwirtschaft in
den funktionierenden, strukturstarken ländlichen Räumen den prägenden Faktor darstellt -, dass Sie sich dafür
einsetzen, dass die EU-Agrarmittel vor allem in die erste
Säule fließen, damit die ländlichen Räume durch die
Landwirtschaft gestärkt werden und sich aus eigener
Kraft weiterentwickeln können?
Frau Kollegin, die parlamentarische Demokratie wäre
so schön, wenn man keine Mehrheiten bräuchte; aber andere richten sich nicht automatisch nach einem, sondern
man muss sie überzeugen. Man kann koordinieren, aber
man kann nicht bevormunden. Das nur vorneweg gesagt.
Dass wir diese Koordinierungsfunktion wahrnehmen,
gilt auch für die Biokraftstoffe. Hier müssen wir in den
nächsten Monaten sicher noch einige Fragen zur Besteuerung, Beimischung und zu anderen Maßnahmen beantworten. Dies kann vielleicht dazu beitragen, nicht nur
wichtige Klimaschutzziele zu erreichen, sondern auch
Wertschöpfung im ländlichen Raum zu garantieren. Das
ist ja oft ein unterschätzter Gesichtspunkt bei der Förderung der regenerativen Energien. Ich werde weiterhin
dafür kämpfen. Ich glaube, da hat die Regierung bisher
auch eine sehr gute Bilanz vorzuweisen.
Hinsichtlich der Landwirtschaft als Rückgrat des
ländlichen Raumes kann man nur unterstreichen: Landwirtschaft ist nicht gleich ländlicher Raum, aber ohne
eine dynamische und zukunftsorientierte Landwirtschaft
ist nicht zu erwarten, dass sich der ländliche Raum in
Zukunft vernünftig entwickelt. Deshalb bin ich froh,
dass es in den letzten zwei Jahren gelungen ist, in der
Landwirtschaft wieder für einen innovativen und zukunftsorientierten Geist zu sorgen. Ich glaube nämlich,
dass alles, was mit Agrarwirtschaft zusammenhängt, sozusagen das Fundament für den ländlichen Raum ist.
Ich darf darauf hinweisen, dass Landwirtschaft nicht
nur aus der eigentlichen Urproduktion besteht - so wird es
ja in der Öffentlichkeit oft gesehen -, sondern aus vielen
Bereichen: der Verarbeitung, dem Handel und der Ernährungswirtschaft. Die jüngste Zahl, die hierzu zur Verfügung steht, lautet: In diesem Bereich sind in Deutschland
4,9 Millionen Menschen beschäftigt. Das übertrifft bei
weitem Wirtschaftsbereiche, die stärker im öffentlichen
Fokus und in der öffentlichen Diskussion stehen. Die
Landwirtschaft mit all ihren Produktionsprofilen - Biolandwirtschaft und konventionelle Landwirtschaft sowie
regionale Landwirtschaft wie Landwirtschaft, die Weltmarktanteile erobert - ist selbstverständlich ein Pfeiler für
die Zukunft des ländlichen Raums.
Darum geht es bei der interministeriellen Arbeitsgruppe aber nicht; Landwirtschaft fällt in meine Ressortzuständigkeit. Bei der interministeriellen Arbeitsgruppe
geht es zum Beispiel um die Frage: Wie stellen wir angesichts zurückgehender Bevölkerungszahlen die medizinische Versorgung durch niedergelassene Ärzte sicher?
Wie können wir gewährleisten, dass wir flächendeckend
und wohnortnah genug Ärzte für die Versorgung der Bevölkerung zur Verfügungen haben?
Frau Happach-Kasan, ich schreibe Sie gern noch einmal auf die Liste der Fragesteller. Aber es haben sich
sehr viele gemeldet; deswegen gehen wir der Reihe
nach.
Der Kollege Klaus Hofbauer stellt die nächste Frage.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir begrüßen zunächst, dass
diese interministerielle Einrichtung geschaffen wurde,
weil damit gewährleistet ist, dass eine gute Zusammenarbeit zugunsten des ländlichen Raumes erfolgt. Ich darf
herausstreichen, dass die Große Koalition dazu einen
entsprechenden Antrag eingebracht hat. Darin wird unter
anderem die Zusammenarbeit der Ministerien gefordert.
Ich bin sehr dankbar, dass diese Initiative vom Parlament
innerhalb weniger Wochen aufgegriffen wurde und die
Chance genutzt wird, den ländlichen Raum als ganzheitlichen Lebens- und Wirtschaftsraum darzustellen und
gleichwertig neben den Ballungsräumen ins Bewusstsein
der Bevölkerung zu rücken.
Dazu, Herr Minister, habe ich zwei Anliegen:
Erstens. Natürlich geht es auch um die finanzielle
Ausstattung des ländlichen Raumes. Wird in dieser Arbeitsgruppe auch eine gewisse Koordination der Programme vorgenommen? Wie geht es mit der Breitbandversorgung weiter? Ich darf hier erwähnen, dass von
Ihrem Haus wie vom Wirtschaftsministerium entsprechende Impulse ausgegangen sind. Wie sieht die praktische Umsetzung aus?
Erlauben Sie mir, Herr Minister, auch mein zweites
Anliegen vorzutragen. Wir diskutieren zurzeit - Sie haben es angesprochen - den Entwurf des Erneuerbare-Energien-Wärmegesetzes. Für den ländlichen Raum ist es
von ganz entscheidender Bedeutung, dass die Wertschöpfung im ländlichen Raum verbleibt. Für mich ist
vor allen Dingen sehr wichtig ist, dass die Bauern mit ihren Betrieben von dieser Wertschöpfung profitieren. Ich
formuliere es einmal ein bisschen überspitzt: Es darf
nicht sein, dass jetzt wieder die Konzerne einsteigen und
die Bauern zu Lieferanten von Rohprodukten degradiert
werden. Dies ist ein zentrales Anliegen des Parlaments.
Ich wäre dankbar, wenn das auch in der Arbeitsgruppe
eine entsprechende Rolle spielen könnte.
Ich komme zu Ihrem ersten Anliegen. Natürlich geht
es auch darum, Programme zu koordinieren und deren
Effizienz zu erhöhen. Natürlich ist es auch mein Anliegen, dass wir mehr Mittel für die Programme bekommen,
die sich unmittelbar im ländlichen Raum auswirken,
denn nur Programme zusammenzulegen und zu koordinieren, ohne die Mittel zu erhöhen, stellt keine Verbesserung der Politik für den ländlichen Raum dar. Dadurch,
dass man zwei Kranke zusammenlegt, werden die ja auch
nicht gesund. Man muss die Programme schon mit mehr
Mitteln ausstatten. Darum werde ich kämpfen; das habe
ich mehrfach im Parlament gesagt. Die Mittel für dieses
Jahr wurden aber schon erhöht, sodass es hier also um die
Fortsetzung einer bereits eingeschlagenen Politik geht
und nicht um leere Ankündigungen.
Dabei muss man immer darauf hinweisen, dass nach
unserer Verfassungslage primär die Bundesländer für die
Entwicklung der ländlichen Räume zuständig sind. Wir
schieben Programme an. Wir versuchen, in einem guten
Miteinander mit den Bundesländern Ideen zu entwickeln, wie man das Ganze optimieren kann. Aber primär
liegt die Zuständigkeit bei den Bundesländern.
Ihr zweites Anliegen bezog sich auf die regenerativen
Energien. Dazu möchte ich sagen, dass die regenerativen
Energien in ihrer klima- und wirtschaftspolitischen Wirkung von vielen Seiten oft infrage gestellt werden. Dahinter stehen oft sehr durchsichtige Motive. Ich teile
diese Auffassung überhaupt nicht. Ich glaube, dass wir
einerseits gut beraten sind, zur Stärkung des ländlichen
Raumes und zur Beibehaltung der Wertschöpfung vor
Ort die regenerativen Energien zu fördern, weil ihre
Wertschöpfung primär im ländlichen Raum erfolgt.
Wir sind aber auch aus der gesamtpolitischen Situation heraus gut beraten, wenn wir für eine stärkere dezentrale Energieversorgung in der Bundesrepublik Deutschland sorgen. Die Diskussion darüber, wie groß deren
Anteil sein soll, ist dabei zweitrangig. Wir müssen über
den Einsatz von Biogas, Biokraftstoffe und Biomasse sowie anderen regenerativen Energieformen zu einer stärkeren dezentralen Energieversorgung in Deutschland
beitragen. Das ist in erster Linie eine gute Zielsetzung
vor dem Hintergrund des Klimaschutzes, der eine große
Herausforderung darstellt. Aber das trägt vor allem auch
ganz wesentlich zur Stärkung des ländlichen Raums bei,
weil dort dann die Wertschöpfung stattfindet. Ich teile
Ihre Ansicht, dass wir hier sehr aufmerksam sein müssen,
um Konzentrationsbestrebungen und -entwicklungen
entgegenzutreten. Wir haben nichts gewonnen, wenn am
Schluss alles in der Hand von ein oder zwei Konzernen
ist.
Deshalb ist es gut, wie beim EEWärmeG vorgesehen,
jetzt die Strukturen so zu gestalten, dass hier Vielfalt,
also einzelne Bauern oder der Zusammenschluss mehrerer Bauern, zum Tragen kommt und die Entwicklung
nicht auf wenige Konzerne zentralisiert wird. Deshalb
fördert die öffentliche Hand auch massiv den Bau von
Energieleitungen, zum Beispiel von einer Biogasanlage
in ein Gewerbegebiet; diese Leitungen könnte ja der einzelne Bauer nicht aus eigener Kraft finanzieren.
Es folgt die Kollegin Cornelia Behm.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben sich nach dem
Regierungswechsel, als Sie Ihr Amt als Bundesminister
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
antraten, die Federführung für den Bereich Entwicklung der ländlichen Räume in der Nachfolge von Frau
Künast gesichert - eine politisch durchaus kluge Entscheidung, wie ich sagen muss -, und Sie haben im vergangenen Jahr eine Reihe von Veranstaltungen zu dem
Thema durchgeführt. Das waren sehr schöne, sehr nette,
zum Teil auch sehr inhaltsreiche Veranstaltungen, teilweise mit Publikum aus der ganzen Welt. Auf diesen
Veranstaltungen wurde noch einmal die ganze Schärfe
der Situation, in der sich ländliche Räume befinden, dargelegt. Es ist klar geworden, dass die Entwicklung ländlicher Räume eine Querschnittsaufgabe ist.
Es ist aber auch deutlich geworden, dass ein Instrument zur Förderung der ländlichen Räume, nämlich die
Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes, aufgrund ihrer Agrarzentriertheit nicht ausreichend geeignet ist, um das umzusetzen,
was man mit europäischen Mitteln über den ELERFonds machen kann. Sie haben sich dazu in der Weise
geäußert, es sei sinnvoll, die GAK auszuweiten, und angekündigt, sie zu einer Gemeinschaftsaufgabe für den
ländlichen Raum weiterzuentwickeln. Meine Fraktion
hat dazu im Übrigen entsprechende Vorschläge gemacht,
weil auch wir uns mit dieser Frage dezidiert auseinandergesetzt haben.
Ich würde gern von Ihnen wissen, wie weit dieses
Projekt bis jetzt gediehen ist; denn man muss feststellen,
was ich sehr traurig finde: Sie haben gute Veranstaltungen durchgeführt, aber politisch resultierte bisher wenig
daraus.
Sie werden mir nicht böse sein, wenn ich das etwas
anders beurteile. Ihre Schlussbemerkung war nach Ihrem
langen Lob am Anfang, für das ich mich bedanke, zu erwarten.
Ich wollte zunächst einmal keine Theoriediskussion
über unser Grundgesetz führen, sondern mir waren ganz
konkrete Projekte, ganz konkrete Diskussionen auf Kongressen und auch ganz konkrete Mittelerhöhungen wichtig. Ich selbst kann es auch nicht ertragen, wenn den
Sonntagsreden zum ländlichen Raum keine Taten folgen.
In einem zweiten Schritt wird es um die Frage gehen:
Was können wir im Zuge dieser Gemeinschaftsaufgabe
leisten? Die Gemeinschaftsaufgabe ist verfassungsrechtlich immer begrenzt, und zwar für jeden Finanzminister,
auf agrarstrukturelle Förderungen.
({0})
- Ja, das gehört dazu. - Über die Gemeinschaftsaufgabe,
über die wir hier sprechen, ist zum Beispiel keine Wirtschaftsförderung möglich. Das kann der Wirtschaftsminister tun, und das tut er auch. Aber mir wäre es noch
lieber, wenn der Bund, vielleicht als Ergebnis dieser interministeriellen Arbeitsgruppe, ohne diese Schranke
Reduzierung auf Agrarstruktur mit den Ländern eine
Gemeinschaftsaufgabe für den ländlichen Raum vereinbarte. Das verschweige ich nicht. Das ist allerdings nur
mit einer Grundgesetzänderung machbar, und deshalb
macht diese interministerielle Arbeitsgruppe Sinn.
Aber noch wichtiger war, Frau Kollegin, die Mittel zu
erhöhen und konkrete Projekte auf den Weg zu bringen;
denn die Bevölkerung sowie die Bürgermeister und
Landräte hätten kein Verständnis, wenn wir zwei Jahre
nur über eine Verfassungsänderung diskutieren würden,
ohne dass sich ihre konkrete Situation verändern würde.
Die Antwort ist also: Das eine tun, ohne das andere zu
lassen.
Nun folgt der Kollege Peter Bleser.
Herr Minister, Sie und die Koalitionsfraktionen waren
die ersten, die die Notwendigkeit einer flächendeckenden Breitbandversorgung im ländlichen Raum erkannt
haben. Dafür stehen im Bundeshaushalt Mittel in Höhe
von jährlich 10 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren bereit. Ich weiß, dass die Resonanz groß ist. Haben
Sie einen Überblick darüber, wie sich der Mittelabfluss
gestaltet und welche Aktivitäten in den verschiedenen
Bundesländern schon unternommen worden sind?
({0})
Ich halte es auch für sehr zielführend, dass Sie eine
interministerielle Arbeitsgruppe eingerichtet haben. Verfolgen Sie damit auch das Ziel, für eine Gleichbehandlung ländlicher und städtischer Räume zu sorgen, indem
verstärkt auch Infrastrukturmaßnahmen anderer Art
- Stichworte: Straßen, Schulen und ärztliche Versorgung durchgeführt werden? Dadurch könnte ja die Besiedlung
der ländlichen Räume dauerhaft gesichert und unsere dezentrale Struktur, die sicher ökologisch sinnvoll ist, aufrechterhalten werden.
Das Programm zur Breitbandversorgung, das, wie gesagt, gemeinsam von Bund und Ländern finanziert wird
- 60 Prozent der Kosten trägt der Bund, den Rest übernehmen die Länder im Rahmen von Zuschüssen -, ist
ein Renner. Mich freut besonders, dass es vor allem dort,
wo man am Anfang Bedenken hatte, zu einem Renner
geworden ist.
({0})
Es ist ja oft so im politischen Leben, dass zunächst
einmal gefragt wird: Passt es eigentlich in eine Marktwirtschaft, dass die öffentliche Hand den Ausbau der
Breitbandversorgung fördert? Dazu ist zu sagen: Eine
ähnliche Förderung zur Entwicklung der ländlichen
Räume praktizieren wir bei vielen Infrastrukturmaßnahmen seit 60 Jahren. Denn die marktwirtschaftlichen Gesetze können nicht alles regeln.
Ich kann Ihnen jetzt keine konkrete Zahl nennen. Wir
rechnen aber damit, dass etwa zwei Drittel der 1 700 Gemeinden, die derzeit noch nicht mit Breitbandanschlüssen versorgt sind, von dem Programm, das jetzt aufgelegt worden ist, erfasst werden.
({1})
- Sie dürfen nicht nur die 30 Millionen Euro, die der
Bund zur Verfügung stellt, in den Blick nehmen, sondern
Sie müssen auch die Beteiligung der Länder berücksichtigen. Manche Bundesländer steuern mittlerweile nicht
nur ihre anteilige Finanzierung bei, sondern noch mehr.
({2})
- Ich will mich jetzt nicht zu einzelnen Bundesländern
äußern. Denn dann würden Sie sagen, das sei Wahlkampf. Zu diesen Bundesländern gehört allerdings auch
ein Bundesland, in dem gerade Wahlkampf ist.
({3})
Hier ist also viel Bewegung entstanden. Ich finde, das ist
sehr gut.
Im Kabinett haben wir heute auch kurz über das Verhältnis von Stadt und Land gesprochen. Der Kollege
Tiefensee, mit dem wir übrigens, was Fragen der Raumordnung betrifft, hervorragend zusammenarbeiten, wird
im April dieses Jahres ein Programm zur Stadtentwicklung und zu den Metropolregionen Deutschlands vorstellen. Heute haben wir erneut bekräftigt, dass wir die Entwicklung in Städten und ländlichen Räumen nicht als
Gegensatz betrachten.
Auch auf den Kongressen, die durchgeführt worden
sind, wurde deutlich, dass beide Raumtypen aufeinander
angewiesen sind. Der ländliche Raum braucht die Städte
- zu ihm gehört auch die eine oder andere kleinere
Stadt -, und umgekehrt ist auch der ländliche Raum für
die Städte aus unterschiedlichen Gründen ungeheuer
wichtig. Deshalb ist es nicht etwa ein Schlagwort, wenn
ich sage: Stadt und Land - Hand in Hand. Vielmehr
wird daran deutlich, dass wir beides im Blick haben:
eine gute organische Stadtentwicklung und die Wertschöpfung im ländlichen Raum.
Der ländliche Raum hat aufgrund der demografischen
Entwicklung - ich verweise auf die neuen Länder - natürlich größere Herausforderungen zu bewältigen. Denn
der Wegzug der Bevölkerung aus den ländlichen Räumen, jedenfalls aus den peripher gelegenen ländlichen
Räumen, führt, was die Situation in Kindergärten und
Schulen, die Wirtschaftskraft und die Auslastung der Infrastruktur betrifft, zu ganz anderen Problemen, als es in
Städten der Fall ist.
Es wurde ja eine Reihe von Gutachten und Studien in
Auftrag gegeben. Dabei wurde unter anderem am Beispiel Brandenburgs untersucht, welche Folgen es hat,
wenn Schulen geschlossen werden und die Kinder sozusagen abwandern. Man kam zu dem Ergebnis: Dann ist
es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch die Eltern abwandern. Auf jeden Fall birgt diese Entwicklung die Gefahr, dass der ländliche Raum irgendwann daniederliegt.
Dem muss man durch die richtige Strukturpolitik entgegenwirken.
In den neuen Ländern ist diese Entwicklung gewissermaßen mit Händen zu greifen, wie übrigens auch in
manchen peripher gelegenen ländlichen Räumen im
Westen unseres Landes. Das sind aber nur die Vorboten.
Mit den echten Herausforderungen, die der demografische Wandel mit sich bringt, werden wir es erst im Laufe
der nächsten 20, 30 Jahre zu tun bekommen. Daher bedarf es sehr kluger Entscheidungen und - davon bin ich
überzeugt - auch völlig neuer Überlegungen und Maßnahmen.
Wenn wir die Bildungspolitik der Vergangenheit fortsetzen, werden wir die wohnortnahe Versorgung unserer
Kinder mit Bildung nach dem Prinzip Kurze Beine,
kurze Wege in den nächsten 20, 30 Jahren nicht mehr
gewährleisten können. Außerdem müssen wir die überkommene Planung nach dem Motto Hier das Krankenhaus, dort der niedergelassene Arzt überdenken. Um
die Versorgung des ländlichen Raumes sicherzustellen,
brauchen wir neue Konzepte und innovative Ideen.
Die Kollegin Tackmann hat eine Frage. Bitte schön.
Vielen Dank für den Kurzreport, Herr Minister. In der
dazugehörigen Pressemitteilung hieß es, dass Sie schon
eine beachtliche Reihe von Maßnahmen ergriffen haben.
Die Situation in den ländlichen Räumen ist aber dermaßen dramatisch, dass man sich fragen muss: Haben die
Maßnahmen nicht gegriffen? Müssen wir uns etwas anderes überlegen? Einige Aspekte haben Sie ja eben
genannt. Ich hoffe, dass die interministerielle Arbeitsgruppe nicht unter dem Motto Wenn ich nicht mehr
weiter weiß, gründ ich einen Arbeitskreis einberufen
worden ist und es hier nicht nur um strukturelle Entscheidungen geht, sondern dass tatsächlich etwas Konkretes unternommen wird.
Wir wissen, dass die Abwanderung aus den ländlichen Räumen sozialselektiv und geschlechtsselektiv
erfolgt: Insbesondere junge Frauen verlassen die ländlichen Räume, weil sie die entsprechenden Lebensbedingungen dort nicht mehr vorfinden. Ich vermisse aber
eine Beteiligung des Familienministeriums an Ihrer interministeriellen Arbeitsgruppe. Doch gerade für dieses
spezielle Problem brauchen wir zügig Antworten, brauchen wir spezifische Handlungsansätze. Deswegen frage
ich: Wie sehen Sie dieses Problem? Welche Handlungsmöglichkeiten würden Sie entwickeln wollen?
Es ist dann schon darauf hingewiesen worden, dass
die Landesregierungen etwas tun müssen. Diese Handlungsebene muss aber einbezogen werden. Wenn zum
Beispiel die Landesregierung von Brandenburg sagt:
Wir können in peripheren Räumen nur noch Bildung
anbieten; die Menschen müssen halt wissen, ob sie dort
dann noch leben wollen oder nicht, konterkariert das in
gewisser Weise unsere Bemühungen. Wie wollen Sie mit
diesem Problem umgehen?
Die Gründung der interministeriellen Arbeitsgruppe
folgte nicht dem Motto Wenn du nicht mehr weiterweißt,
gründe einen Arbeitskreis. Diese Arbeitsgruppe ist die
zweite Stufe der integrierten Politik. Zunächst einmal hat
jedes Bundesministerium - das Raumordnungsministerium, das Wirtschaftsministerium, das Finanzministerium die Anstrengungen, die in der Zuständigkeit seines Ressorts liegen, verstärkt. Jetzt geht es um Querschnittsaufgaben. Wir wollen nämlich eine integrierte Politik machen. Da nutzt es aber nichts, isoliert die Landwirtschaft,
die Energiewirtschaft oder die regenerativen Energien zu
sehen, wenn man gleichzeitig zum Beispiel die Bildungspolitik aus dem Auge verliert.
Zumal wir aus belastbaren aktuellen Studien wissen,
dass der Anker für die Zukunft des ländlichen Raumes
die Bildungseinrichtungen sind. Die Studie, die das Berlin-Institut im Auftrag des Landtags Brandenburg erstellt
hat, hat belegt: Wenn Schulen geschlossen werden und
Kinder erst in eine weiter entfernte Schule transportiert
werden müssen, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis
die Eltern mit den Kindern umziehen.
({0})
Wer also die jungen Leute, die Familien im ländlichen
Raum halten will, der muss neben der Wertschöpfung im
ländlichen Raum - damit dieser nicht nur eine Schlafstätte ist - insbesondere die Bildungseinrichtungen im
Auge behalten.
Es ist immer schwierig, eine Arbeitsgruppe abzugrenzen. Wir haben uns für eine bestimmte Abgrenzung entschieden; das bedeutet aber nicht, dass die Ebenen bzw.
Ressorts, die an diesem Arbeitskreis nicht teilnehmen,
nicht beteiligt werden könnten. Natürlich wird man bei
Spezialthemen andere Ressorts, die Kommunen oder die
Länder beteiligen, um dieses integrierte Vorgehen in der
Praxis mit Leben zu erfüllen. Ich glaube, wenn acht
Ministerien eines Kabinetts einen Arbeitskreis bilden,
kann man davon ausgehen, dass ein breiter Sachverstand
für die gewünschte integrierte Konzeption vorhanden ist.
Wir werden darüber hinaus sicherlich Rückkopplungen
mit den zuständigen Ausschüssen vornehmen, sodass
auch der Sachverstand des Parlaments einfließen kann.
Es muss aber eine Kerntruppe geben, die sich kraft ihrer
Ressortzuständigkeit primär um die Fragen kümmert.
({1})
- Natürlich werden wir uns, wenn es um Familienthemen geht, mit dem Familienministerium und Frau Kollegin von der Leyen in Verbindung setzen. Gerade was die
Kinderbetreuung angeht, hat sie ja in Deutschland den
Durchbruch geschafft.
Also bitte nicht daraus, dass die Länder oder die
Kommunen an diesem Arbeitskreis nicht beteiligt sind,
schließen, wir würden den Föderalismus vernachlässigen! Wir werden in dieser interministeriellen Arbeitsgruppe auch mit Verbänden reden müssen. Aber diese
Arbeitsgruppe muss in ihrer Kernzusammensetzung arbeitsfähig bleiben.
Der Kollege Franz-Josef Holzenkamp, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Minister, Sie
haben die Gefahr angesprochen, dass die ländlichen
Räume zunehmend menschenleer werden. Wollen wir
diese Entwicklung zulassen, und was können wir andernfalls dagegen tun?
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die
Gemeinsame Agrarpolitik, und zwar insbesondere die
zweite Säule? Sind Sie für eine Umschichtung von Mitteln von der ersten zur zweiten Säule?
Ich habe noch eine kurze Nachfrage zu der von Ihnen
angesprochenen GAK, bei der vielleicht eine breitere
Zuständigkeit von Vorteil wäre. Setzt das eine Aufstockung der Mittel voraus, um zu verhindern, dass ein solcher Schritt zulasten der Landwirtschaft erfolgt?
Was Ihre letzte Frage angeht, ist es meines Erachtens
notwendig, dass man die Gemeinschaftsaufgabe auch
durch eine entsprechende Aufstockung der Mittel unterstützt. Das Beispiel der Breitbandverkabelung hat gezeigt, was eine gemeinsame Anstrengung von Bund,
Ländern und Kommunen zu leisten vermag. Wir wären
von allen guten Geistern verlassen, wenn wir die dabei
entstehende Dynamik nicht weiter nutzen würden.
Was die erste und zweite Säule angeht, verfolge ich
bekanntlich das Anliegen, verlässliche Bedingungen für
die Beteiligten zu schaffen. Verlässlichkeit schafft Vertrauen, und Vertrauen fördert Investitionen. In diesem
Sinne sollten wir darauf verzichten, jedes Jahr die Bedingungen zu ändern, wenn es um die Unterstützung der
Bauern oder der Agrarwirtschaft geht.
Vor dem Hintergrund der beginnenden Diskussionen
innerhalb der Europäischen Union empfehle ich, sich
nicht auf die Alternative einer Umverteilung von der ersten zur zweiten Säule zu beschränken, sondern auch die
Umschichtung nicht ausgeschöpfter EU-Mittel in die
zweite Säule in Erwägung zu ziehen. Es geht nicht immer um ein Entweder-oder. Es wäre bei der Gemeinschaftsaufgabe auch kaum vermittelbar, wenn man den
ländlichen Raum unterstützen will, aber denjenigen, die
dort Wertschöpfung betreiben - nämlich die landwirtschaftlichen Betriebe -, die dafür notwendigen Mittel
nimmt. Damit hat man nichts für den ländlichen Raum
gewonnen oder richtet sogar Schaden an.
Nun komme ich zu Ihrer ersten Frage. Ich bin ein entschiedener Gegner, durch die Politik die Entleerung des
ländlichen Raumes zu fördern. Die seitens der Wissenschaft erhobene Forderung, eine Prämie dafür zu zahlen,
dass Menschen vom ländlichen Raum in die Städte
ziehen, um Infrastrukturmaßnahmen einzusparen, teilt
die Bundesregierung ausdrücklich nicht. Ich habe das
Thema in der heutigen Kabinettssitzung angesprochen.
Wir teilen die klare Auffassung, die Gleichwertigkeit der
Lebensverhältnisse in Deutschland weiterhin als politisches Ziel zu verfolgen. Das gilt für Stadt und Land. Die
Zahlung einer Prämie zur Förderung der Landflucht ist
für uns kein Thema. Wir wollen lebensfähige ländliche
Räume. Neben der Bildung halte ich die Wertschöpfung
der Landwirtschaft und für kleine und mittlere Betriebe
im ländlichen Raum für unabdingbar.
Als Nächster hat der Kollege Dr. Edmund Geisen das
Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrter Herr
Minister, Ihr Ressort ist für die Koordination zuständig.
Mich interessiert vor allen Dingen, wie Sie frühzeitig die
betroffenen Länder und Kommunen einbinden wollen.
In diesem Zusammenhang frage ich Sie, ob Sie noch
derselben Meinung sind wie am 26. September 2006 in
Oulu, dass in Bayern pausenlos Gelder ohne Sinn und
Verstand verteilt werden, wie Sie in der FAZ vom
27. September 2006 zitiert wurden, oder hat sich seitdem
etwas geändert?
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die Landwirtschaft vor großen neuen Herausforderungen steht,
was die effiziente und nachhaltige Nahrungsmittel- und
Energieproduktion im Sinne des Klimaschutzes angeht
und dass dadurch weitere neue Mittel und Programme
notwendig sind, die vor allen Dingen im Sinne des Klimaschutzes zu dem Ziel beitragen, die CO2-Senken zu
erhalten?
Zu Letzterem kann ich nur uneingeschränkt Ja sagen.
Auf der einen Seite ist die Landwirtschaft Hauptbetroffene des Klimawandels. Ich führe zum Beispiel die besorgniserregende Entwicklung der Blauzungenkrankheit
auf die Veränderung des Klimas zurück; denn ein Virus
ist aus den Tropen zu uns gewandert. Auf der anderen
Seite kann die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Deshalb sind die Fördermittel, die in die Landwirtschaft fließen, um dieses Ziel
zu erreichen oder um Nachteile aufgrund der Maßnahmen zum Klimaschutz auszugleichen - wir wollen
schließlich, dass die Nahrungsmittelproduktion bei uns
erfolgt, um uns nicht in größerem Maße von Importen
abhängig zu machen -, gut angelegtes Geld. Was die
Lebensmittelpreise angeht: Wären wir bei der Nahrungsmittelversorgung genauso abhängig wie bei der Energieversorgung, bräuchten wir über die Preise und die Qualität unserer Lebensmittel nicht mehr zu reden; denn dann
wären wir auf den Weltmarkt angewiesen. Wir sind hier
also völlig daccord.
Wenn man für Förderprogramme und die Förderung
durch die öffentliche Hand eintritt, muss man darauf
achten, ob die Verwendung der Steuergelder effizient
und für den richtigen Zweck erfolgt. Deshalb habe ich an
meiner Äußerung aus dem Jahre 2006 nichts zu korrigieren. Ich denke, sie hat auch gewirkt. Die Effizienz wurde
verbessert. Wenn mir aber in einem Landkreis ein Gipsmuseum, gefördert mit ELER- und Europamitteln, vorgeführt wird, stellt sich mir schon die Frage, ob das dem
eigentlichen Zweck der Förderung entspricht.
Herr Kollege Geisen, alle Beteiligten sind einbezogen. Wir führen seit zwei Jahren einen breiten Dialog.
Der Landkreistag, der Städtetag, der Städte- und Gemeindebund, also die gesamte kommunale Ebene, und
die Bundesländer sind einbezogen. Wir reden auch auf
der Agrarministerkonferenz darüber. Ich habe vorhin in
meiner Antwort gesagt, dass wir diesen breiten Dialog
weiter pflegen wollen. Es sind hochkomplizierte Sachverhalte, die es zu lösen gilt, gerade wenn es um die
Sicherstellung der öffentlichen Infrastruktur bei zurückgehender Bevölkerung - sie wird von 80 Millionen auf
70 Millionen sinken - geht. Hier müssen völlig neue
Wege gegangen werden. Die einschlägigen Pfade der
Fachplanung werden in den nächsten 20, 30 Jahren nicht
zu halten sein.
Für das Protokoll: Ich bedanke mich für die Zustimmung des Kollegen Goldmann. Das ist ein seltener historischer Moment im Hause.
({0})
Dass wir eine historische Stunde haben, zeigt sich
auch daran, dass wir sehr viel mehr Fragebedarf als Zeit
haben. Diese ist für die Regierungsbefragung um.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
- Drucksachen 16/8446, 16/8487 Gemäß Nr. 10 der Richtlinien für die Fragestunde
kommen wir zuerst zu den dringlichen Fragen.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Volker Schneider ({0}) auf:
Trifft eine Meldung der Agentur Reuters vom 9. März
2008 bzw. der Berliner Zeitung vom 10. März 2008 zu, dass
nach einem Verordnungsentwurf des Bundesministeriums für
Arbeit und Soziales sogenannte Aufstocker, die Arbeitslosengeld I beziehen und sozialversicherungspflichtig beschäftigt
sind oder einer sonstigen Erwerbsarbeit mit einem Mindesteinkommen von 400 Euro monatlich nachgehen, von einer Ausnahmeregelung bei drohender Zwangsverrentung ab
dem 63. Lebensjahr profitieren, sogenannte Minijobs mit bis
zu 400 Euro Einkommen aber nicht unter die Ausnahmeregelung fallen?
Herr Thönnes, bitte schön.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Volker Schneider, Sie haben zwei dringliche Fragen gestellt. Ich bitte darum, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Herr Schneider, sind Sie damit einverstanden? - Das
scheint der Fall zu sein. Dann rufe ich auch die dringliche Frage 2 des Kollegen Volker Schneider ({0}) auf:
Trifft es ebenfalls zu, dass die Bundesregierung in diesem
Entwurf davon ausgeht, dass es sich bei einem Minijob auf
400-Euro-Basis lediglich um eine reine Nebenerwerbstätigkeit handelt und deshalb die betroffenen Personen auch weiterhin ab dem 63. Lebensjahr mit einer Zwangsverrentung zu
rechnen haben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung stimmt den Entwurf einer Unbilligkeitsverordnung derzeit ab. Zu der konkreten Ausgestaltung der Unbilligkeitsverordnung kann vor Inkrafttreten der im Siebten Gesetz zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vorgesehenen Verordnungsermächtigung keine Aussage getroffen werden. Die Bundesregierung weist allerdings darauf hin, dass vorgesehen ist, in der Verordnung nicht
nur einen, sondern mehrere Unbilligkeitsgründe zu
regeln, bei deren Vorliegen Hilfebedürftige trotz Vollendung des 63. Lebensjahres nicht auf eine Abschlagsrente zu verweisen sind. Anders als in den Fragestellungen impliziert, sind vom zuständigen Träger der
Grundsicherung alle Unbilligkeitsgründe im Einzelfall
zu prüfen. Das Vorliegen eines Unbilligkeitsgrundes
reicht aus.
Herr Schneider, eine Nachfrage, bitte.
Danke schön, Herr Staatssekretär. - Leider gehen Sie
mit meiner Frage ähnlich um, wie wir es in den letzten
Wochen und Monaten im Zusammenhang mit Zeitungsartikeln immer erlebt haben. Deshalb erlaube ich mir folgende Nachfrage: Die Nachrichtenagentur Reuters hat
behauptet, dass ihr der angesprochene Entwurf einer
Verordnung des Bundesarbeitsministeriums vorgelegen
habe. Können Sie definitiv erklären, dass Reuters hier
die Unwahrheit behauptet, weil es derzeit einen solchen
Entwurf in Ihrem Haus nicht gibt? Falls ein solcher Entwurf doch existieren sollte, können Sie verbindlich erklären, dass die von Reuters berichteten Regelungen so
nicht in dem Entwurf enthalten sind? Wären Sie des
Weiteren so freundlich, das Parlament darüber zu informieren, was in dem Entwurf tatsächlich steht, soweit es
einen gibt?
Herr Kollege Schneider, ich habe gerade ausgeführt,
dass erst einmal eine Verordnungsermächtigung vorhanden sein muss, um überhaupt eine Verordnung herbeizuführen, in diesem Fall eine Unbilligkeitsverordnung. Ich
habe Ihnen auch gesagt, dass das Siebte Gesetz zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch noch nicht
in Kraft getreten und damit auch noch nicht verkündet
worden ist. Damit gibt es keinen Anlass, jetzt schon Stellung zu nehmen oder irgendwelche Zeitungsartikel zu
kommentieren.
Herr Schneider, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Ich habe noch drei, wenn ich es richtig sehe; ich habe
zwei Fragen gestellt.
Ja, Sie haben recht.
Ich habe befürchtet, dass das Frage-und-AntwortSpiel in dieser Weise abläuft. Herr Staatssekretär, ich
komme nicht umhin, darauf hinzuweisen, dass ich Ihnen
eben eine präzise Frage gestellt habe. Völlig unabhängig
davon, ob Sie schon eine Ermächtigung durch das Gesetz haben, behauptet Reuters, dass Sie in Ihrem Haus an
einem solchen Entwurf arbeiten und dass dieser Entwurf
Reuters vorliegt. Ich habe Sie gefragt, ob dies sein kann
oder ob Sie es als Unwahrheit zurückweisen, weil es einen solchen Entwurf nicht gibt. Ich bitte Sie, diese Frage
auch zu beantworten.
Herr Kollege Schneider, ich habe Ihnen bei meiner
ersten Antwort auf Ihre beiden Fragen gesagt, die Bundesregierung stimme den Entwurf einer Unbilligkeitsverordnung derzeit ab. Das heißt, sie befindet sich im
Abstimmungsverfahren innerhalb der Bundesregierung.
Solange dieses Abstimmungsverfahren nicht abgeschlossen ist und solange es die gesetzlichen Grundlagen
dafür nicht gibt, gibt es - das habe ich Ihnen eben auch
deutlich zu machen versucht - keine Veranlassung, zu irgendwelchen Zeitungsberichten Stellung zu nehmen.
Herr Schneider, bitte schön, die dritte Frage.
Da es offensichtlich Überlegungen gibt, bitte ich Sie
um Verständnis, dass ich zu diesen Überlegungen nachfrage, weil sie, wenn sie denn tatsächlich in eine Unbilligkeitsverordnung münden, weitreichende Konsequenzen für die Betroffenen haben werden, über die wir uns
bestimmte Gedanken machen. Ich frage nach, weil meiner Fraktion aus den Reihen der Großen Koalition - der
Kollege Brauksiepe, der sich hier besonders hervorgetan
hat, ist gerade eingetroffen - immer wieder der Vorwurf
gemacht worden ist, dass wir das Thema Zwangsverrentung künstlich aufbauschten. Dies wurde damit begründet, dass die Zahl der betroffenen Personen eher klein sei
- Sie selbst geben sie mit 25 000 bis 30 000 Personen
an - und dass durch diese Unbilligkeitsverordnung weitere Ausnahmen vom Grundsatz der Nachrangigkeit geschaffen werden könnten. Wenn jetzt aber, wie ich es in
dem Artikel lese, selbst solche Personen zwangsverrentet werden sollen, die einer Beschäftigung nachgehen,
würden Sie mir dann nicht zustimmen, dass die angekündigte Rechtsverordnung anscheinend eher dem
Zweck dienen soll, Ausnahmen von der Zwangsverrentung zu vermeiden, als solche zu ermöglichen?
Ich habe gerade dargestellt, dass es in dieser Unbilligkeitsverordnung mehrere Gründe geben wird. Wenn Sie
jetzt das Kriterium der Beschäftigung ansprechen, dann
muss schlichtweg darauf hingewiesen werden, dass bei
der Frage des Nachrangigkeitsgrundsatzes immer zu beachten ist, dass man bei einem Betroffenen, der einer Beschäftigung nachgeht, davon ausgehen können muss,
dass alles getan wird, um aus der Situation der Bedürftigkeit herauszukommen. Deswegen wird es natürlich
Kriterien geben, die etwas mit der Beschäftigung zu tun
haben. Das Kriterium Beschäftigung wird so bewertet
werden, dass der Einsatz der Arbeitskraft überwiegend
dazu da sein muss, um gar nicht erst hilfebedürftig zu
werden. So etwas wird mit Sicherheit Eingang in diese
Unbilligkeitsverordnung finden.
Sie haben noch eine Frage, Herr Schneider.
Das finde ich angesichts dessen, was uns jetzt hier berichtet worden ist, einigermaßen überraschend; denn
wenn ich mir überlege, dass die Ausweitung der Möglichkeiten von Mini- und Midijobs im Rahmen der
Hartz-Reformen stets damit begründet worden ist, dass
diese die Chance eröffnen, möglicherweise wieder in
eine Vollzeitbeschäftigung zu kommen - man sprach
von der sogenannten Brückenfunktion -, dann wundere
ich mich doch, dass hier im Grunde genommen steht,
dass 63-Jährige, die einen Minijob ausüben, zwangsverrentet werden sollen. Heißt das, dass Sie nicht mehr davon ausgehen, dass diesen Jobs tatsächlich eine Brückenfunktion zukommt, oder gehen Sie davon aus, dass
diese für 63-Jährige und Ältere keine Brückenfunktion
mehr haben? Wenn ja, dürfen wir damit rechnen, dass
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beabsichtigt, die Begünstigung solcher prekären Beschäftigungsverhältnisse wieder abzuschaffen, damit deren
Umfang zurückgeht, der allein zwischen 2003 und 2005
um 1,2 Millionen Stellen angestiegen ist?
Auch mit dem geschickten Versuch, etwas aus dem
Zeitungsartikel zu zitieren, wird es Ihnen nicht gelingen,
dass ich von meinen vorherigen Antworten abweiche,
was die Inhalte der Verordnung angeht. Ich sage Ihnen
nur so viel und will damit das unterstreichen, was ich gerade geantwortet habe: Die abhängige Beschäftigung
oder die sonstige Erwerbstätigkeit, über die wir hier
sprechen, müssten in einem zeitlichen Umfang ausgeübt
werden, der zeigt, dass die hilfebedürftige Person ihre
Arbeitskraft überwiegend zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit einsetzt. Reine Nebentätigkeiten scheiden dabei aus. Mit dem Ziel, Eingliederung in Arbeit zu fördern, das wir mit dem SGB II verfolgen, wäre es nicht
vereinbar, gerade diese in Arbeit eingegliederten Personen zur Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente zu verpflichten.
Damit sind die dringlichen Fragen beantwortet, und
ich komme zu den Fragen auf Drucksache 16/8446 in
der üblichen Reihenfolge.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Die Fragen 1
und 2 der Abgeordneten Sabine Zimmermann werden
schriftlich beantwortet.
Somit komme ich zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Antworten wird der Parlamentarische Staatssekretär
Ulrich Kasparick.
Wir kommen zur Frage 3 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter:
Inwieweit treffen Aussagen zu, dass die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, LuFV, zwischen Bund und Deutscher Bahn AG, DB AG, unterschriftsreif im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung vorliegt, und
inwieweit ist die LuFV mit den Bundesländern abgestimmt?
Dazu kann ich Ihnen sagen, dass diese Auskunft nicht
zutreffend ist. Die LuFV liegt nicht unterschriftsreif im
Bundesministerium vor. Das hat einen einfachen Grund.
Man kann eine LuFV erst endverhandeln, wenn klar ist,
welches Modell bei einer Beteiligung privaten Kapitals
an der Deutschen Bahn AG gewählt werden wird. Sie
wissen, wir sind da mitten in einer aktuellen Debatte.
Herr Hofreiter, Sie haben eine Nachfrage.
Danke, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr Staatssekretär, könnten Sie vielleicht auch meine zweite Frage
direkt beantworten? Denn sie steht in einem engen Zusammenhang mit der ersten Frage. Das wäre sehr nett.
Ich rufe Frage 4 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
auf:
Wann wird die LuFV dem Parlament vorgelegt, und welchen Zeitplan zur Umsetzung der LuFV hat die Bundesregierung?
In Frage 3 haben Sie auch nach dem Prozess der Abstimmung mit den Ländern gefragt. Es gehört zu unserer
selbstverständlichen Alltagspraxis, die wesentlichen
Fragen der Infrastruktur mit den Ländern abzusprechen.
Ich komme zu Frage 4. Wir haben in den Ausschüssen
immer wieder deutlich gemacht - wir haben es den zuständigen Ausschussvorsitzenden schriftlich mitgeteilt -, dass
wir die parlamentarischen Gremien vor der Unterzeichnung einer LuFV selbstverständlich über den Sachverhalt informieren werden. Das ist aktenkundig und für
uns selbstverständlich.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Hofreiter? - Bitte
schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, wenn ich mich richtig erinnere, bestand
eigentlich sowohl im Ausschuss als auch im Unterausschuss Konsens darüber, dass wir völlig unabhängig
vom Privatisierungsmodell eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung benötigen. Selbst wenn sich bei
der Bahn überhaupt nichts ändert, wenn also jegliche
Privatisierungsmodelle scheitern - das ist angesichts der
momentanen Debattenlage durchaus möglich -, ist es
dringend nötig, eine LuFV abzuschließen.
Das, was in einer LuFV vereinbart wird, ist unabhängig davon, ob 48 Prozent der Holding, in der die Transporttöchter der Bahn zusammengefasst sind, an Private
verkauft werden; es ist auch egal, welches Privatisierungsmodell gewählt wird. Das ist, wenn ich mich richtig erinnere, der Stand der Debatte im Ausschuss. Deswegen kann ich Ihre Aussage nicht nachvollziehen, nach
der wir die LuFV erst vorgelegt bekommen, wenn sich
die Bundesregierung oder die großen Fraktionen oder
Transnet und Herr Mehdorn auf ein Modell geeinigt haben. Eigentlich bestand Konsens darüber, dass die LuFV
dem Parlament vorgelegt wird, sobald ein Entwurf vorhanden ist. Hat sich das jetzt plötzlich geändert?
Nein, Herr Dr. Hofreiter, das hat sich nicht geändert.
Der Sachverhalt stellt sich folgendermaßen dar: Eine
LuFV ist zwingend erforderlich. Es geht darum, Qualitätskriterien für den Ausbau der Infrastruktur festzulegen, die es ermöglichen, dass der Ausbau für den Bund
finanziell überschaubar bleibt und dass andererseits die
zuständigen Unternehmen Investitionssicherheit erhalten. Die Frage ist, wie man eine solche Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung ausgestaltet. Das hängt davon ab, welches Privatisierungsmodell verfolgt wird
bzw. politisch durchsetzbar ist. Es stellen sich beispielsweise die Fragen: Muss man einzelvertragliche Regelungen treffen? Kann man bei einem Vorschlag eventuelle
Privatisierungserlöse berücksichtigen?
Wenn sich der Deutsche Bundestag auf ein bestimmtes Modell geeinigt hat - der Deutsche Bundestag muss
es beschließen -, kann man eine entsprechende LuFV
entwickeln. Sie wissen, dass verschiedene Modelle einer
LuFV in der Debatte sind. Wir sind uns politisch einig
darüber, dass wir eine LuFV brauchen; aber in welcher
Ausformung wir sie am Ende durchsetzen oder politisch
verabreden können, hängt davon ab, auf welches Modell
einer Teilprivatisierung der DB AG man sich einigt.
Herr Hofreiter, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Wann sieht sich die Bundesregierung in der Lage, vernünftige Eckpunkte für eine LuFV im Ausschuss vorzulegen? Wir haben extra einen Unterausschuss Infrastruktur eingerichtet, um ebendiese Dinge zu besprechen. Es
mag in einem gewissen Umfang richtig sein, dass letzte
juristische Details der LuFV vom Privatisierungsmodell
abhängen; aber die entscheidenden Qualitätskennziffern
der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung sind völlig unabhängig vom Modell. Der Ausschuss und der
Bundestag interessieren sich für genau diese Qualitätskennziffern. Hierbei ist es nicht entscheidend, wie die Einigung unter Berücksichtigung des konkreten Modells
im letzten juristischen Detail aussieht. Das Entscheidende ist: Welche Qualitätskennziffern werden in die
LuFV aufgenommen? Meine Frage ist: Wann sieht sich
die Bundesregierung in der Lage, die Qualitätskennziffern für eine LuFV dem Ausschuss vorzulegen?
Mein Kollege Achim Großmann - er betreut in unserem Haus diesen Politikbereich für das Parlament - hat
mich darüber informiert, dass diese Dinge auch im Unterausschuss mehrfach sehr detailliert diskutiert wurden.
Deswegen bin ich ein wenig von Ihrer Frage überrascht;
denn genau das war Gegenstand der Sitzungen.
Zum Ablauf kann ich Ihnen nur noch einmal sagen:
Die Bundesregierung kann dem Parlament erst einen
sachgerechten Vorschlag für die Ausgestaltung einer
LuFV unterbreiten, wenn politisch klar ist, mit welchem
Modell wir bei der DB AG weiterarbeiten können; das
ist der sachliche Zusammenhang.
Herr Hofreiter, Sie wollen jetzt die Nachfragen zu Ihren beiden Fragen stellen? Sehe ich das richtig? - Dann
können Sie noch zwei Fragen stellen.
Es tut mir leid, dass ich weiter nachfragen muss, aber
die entscheidende Frage wurde nicht beantwortet.
Sie haben es richtig dargestellt: Wir haben das im Unterausschuss ausführlich diskutiert. Nach der Debatte
sollte dargestellt werden, welche dieser Qualitätskennziffern in welcher Form der Bahn von der Bundesregierung
vorgeschlagen - wie auch immer man es nennen will und welche übernommen werden sollen.
Wir haben die verschiedensten Modelle diskutiert.
Wir haben die Vor- und Nachteile bestimmter Regelungen diskutiert. Nur weil wir sie diskutiert haben - ich
präferiere ganz bestimmte Modelle und Qualitätskennziffern -, heißt das noch lange nicht, dass sie Gegenstand
Ihrer Regelung sein werden. Genau das würde mich aber
interessieren: Welche Qualitätskennziffern sollen in die
LuFV übernommen werden und welche nicht? Das ist
beantwortbar - unabhängig vom Modell.
Es hilft also nichts, nochmals zu antworten - das haben Sie bereits zweimal getan -, dass Sie uns die detaillierte LuFV erst vorlegen können, wenn über das Modell
entschieden ist. Das mag ja sein - ich würde dies allerdings auch bestreiten, aber darüber wollen wir jetzt nicht
diskutieren -; die Qualitätskennziffern können Sie uns
trotzdem nennen. Bis wann ist dies möglich? Wollen Sie
sie dem Ausschuss überhaupt vorlegen? Das ist beantwortbar.
Herr Dr. Hofreiter, ich möchte noch einmal auf das
Verfahren aufmerksam machen. Sie haben im Unterausschuss, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, in mehreren Sitzungen die Qualitätskriterien mehrfach ausgiebig
diskutiert. Sie wissen also, dass abhängig davon, welches Bahnprivatisierungsmodell politisch durchsetzbar
ist, unterschiedliche Kriterien zum Zuge kommen werden.
Je nachdem, wie das Parlament sich entscheidet - die
Bundesregierung wird entsprechende Vorschläge machen -, wird, daraus abgeleitet, eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung getroffen, die wir dem Parlament selbstverständlich vor der Unterzeichnung vorlegen
werden, sodass ausreichend Zeit zur Diskussion besteht.
Herr Hofreiter, eine letzte Nachfrage? - Bitte.
Auch wenn ich glaube, dass es keinen Sinn hat - Sie
wollen es uns einfach nicht sagen -, frage ich noch einmal nach. Völlig unabhängig vom juristischen Modell Holdingmodell, Eigentumssicherungsmodell, Trennung,
Modell von Attac, Modell der Volksaktie oder Modell
von wem auch immer - ist die Frage, welche Qualitätskriterien genannt werden. Danach frage ich. Es gibt in
Ihrem Ministerium - das wissen wir - einen Vorschlag
dafür. Wir kommen leider nicht daran; sonst brauchte ich
jetzt hier nicht nachzufragen. Ihr Ministerium - das nur
am Rande - ist normalerweise ein Sieb, aber in dem
Punkt leider nicht.
Noch einmal die Frage: Sehen Sie sich in der Lage,
uns Qualitätskennziffern zu nennen, ja oder nein? Sie
brauchen nicht noch einmal auf das Verfahren hinzuweisen. Sagen Sie einfach ja oder nein.
Herr Dr. Hofreiter die Frage ist, ob wir eine LuFV auf
Basis des geltenden Bundesschienenwegeausbaugesetzes verabreden oder ob wir eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage schaffen müssen. Davon hängt
die Diskussion um die Qualitätskriterien ab. Ob wir spezialgesetzliche Regelungen brauchen oder auf der Basis
des geltenden Gesetzes agieren können, hängt zentral
davon ab, wie die nächsten Schritte bei der Bahnprivatisierung sein werden.
Wir kommen jetzt zur Frage 5 der Abgeordneten
Bettina Herlitzius:
Inwieweit nimmt die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und DB AG Einfluss auf die Höhe der
Trassenpreise, und inwieweit wird mit der LuFV eine Quersubventionierung, zum Beispiel des Schienenpersonenfernverkehrs, SPFV, mit Einnahmen aus den Trassenerlösen aus
dem Schienenpersonennahverkehr, SPNV, vermieden?
Frau Kollegin Herlitzius, Sie beziehen sich auf denselben Sachverhalt, die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung. Sie wissen, wie der Mechanismus ist. Der
Bund wird mit den Infrastrukturunternehmen und den zu
beteiligenden Unternehmen deshalb die LuFV abschließen, weil wir im Netz Qualität erreichen wollen. Dafür
wird der Bund eine feste Summe verabreden. Sie wissen,
wir sprechen über etwa 2,5 Milliarden Euro. Wir wollen
diese Mittel auf der Basis der heutigen Ertragsstruktur
der Unternehmen zur Verfügung stellen. Das bedeutet,
dass die LuFV keinen Einfluss auf die Trassenpreisgestaltung haben wird.
Frau Herlitzius, eine Nachfrage?
Ich bitte Sie, beide Fragen zusammen zu beantworten.
Dann werde ich Nachfragen stellen.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Herlitzius auf:
Wie stellt die LuFV eine Erneuerung der überwiegend für
den SPNV genutzten Strecken sicher, und auf welche Weise
spielen Kriterien eines integralen Taktfahrplanes wie Reisegeschwindigkeiten, Pünktlichkeit, Fahrzeitreserve, Anschlusssicherung und Zahl möglicher Anschlüsse mit kurzen Umsteigezeiten eine Rolle?
Wir haben verabredet, dass Qualitätsparameter auf
Nahverkehrsstrecken dasselbe Gewicht erhalten sollen
wie auf Strecken des Fernverkehrs. Wir wollen eine
Gleichstellung zwischen Nahverkehrs- und Fernverkehrsstrecken im Fern- und Ballungsraumnetz. Dadurch
ist gewährleistet, dass es sich die Unternehmen nicht
werden leisten können, Nahverkehrsstrecken mit minderer Qualität zu betreiben. Es geht gerade darum, im Gesamtnetz eine hohe Qualität zu erreichen. Wenn die
Unternehmen das nicht tun würden, dann hätte dies finanzielle Konsequenzen für sie.
Man muss dabei beachten, dass die LuFV nur auf die
Qualität der Infrastruktur abstellt. Wenn es also bei einer
fertig ausgebauten Strecke zu Zugverspätungen kommt,
weil das Unternehmen die Züge nicht pünktlich verkehren lässt, dann geht dies nicht zulasten des Bundes, sondern zulasten des Unternehmens. Wir können über die
LuFV die Qualität der Infrastruktur regeln. Wir wollen
dafür sorgen, dass die Schiene in Ordnung ist und befahren werden kann. Wenn ein Unternehmen, obwohl die
Infrastruktur eine entsprechende Qualität aufweist, die
Qualitätsnormen nicht einhält, dann hat es mit Sanktionen zu rechnen. Das ist der Sinn der LuFV. Auf diesem
Weg wollen wir Qualität erreichen.
Frau Herlitzius, Ihre Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie wissen ebenso wie
die meisten Anwesenden hier, dass das Netz der DB in
Bezug auf den Standard und die Qualität heute sehr unterschiedlich ist. Gerade im ländlichen Raum gibt es
Bahnstrecken, deren Ausbaustandard nur gewisse Geschwindigkeiten und somit auch nur gewisse Taktverkehre zulässt. Das liegt daran, dass Bahnübergänge nicht
ausgebaut sind; das liegt aber auch daran, dass Zweigleisigkeit und Überholstrecken nicht Standard sind.
Wenn Sie die Qualität des Service und die Qualität
des Bahntransports von Investitionen in den Ausbau der
Trasse abkoppeln, werden Sie die Qualität nicht verbessern können. Denn die Qualität der Trasse und die Qualität des Service hängen eng mit den Investitionen zusammen. Daher habe ich eine Nachfrage: Wieso kann diese
Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung jetzt nicht
abgeschlossen werden? Denn sie kann nichts mit der Privatisierung zu tun haben. Die Ansprüche an die Fahrleistung der Bahn gibt es jetzt schon. Wenn Sie dies - wie
von Ihnen gerade gesagt - koppeln, so heißt dies, dass es
in den Regionen in Abhängigkeit von dem Modell der
Privatisierung, das Sie wählen, zu Veränderungen
kommt. Ich nenne einmal eine Negativinterpretation:
Das hieße, die Strecken im ländlichen Raum werden sich
mit Blick auf ihre Qualität und auf die Fahrleistung verändern. Ansonsten könnte dieses Modell bei der einfachen Verabredung einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung nicht so wichtig sein.
Frau Kollegin, ich sage es vielleicht auch noch einmal
für unsere Zuschauer: Die LuFV hat die Funktion, dass
wir hinsichtlich des Qualitätsstandards beim Ausbau der
Schieneninfrastruktur besser werden als in der Vergangenheit. Wir sind uns einig: Dafür wollen wir eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung abschließen.
Diese Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung hat das
Ziel, im gesamten Netz die Qualität zu steigern, und
zwar so, dass die finanzielle Belastung für den Bund
überschaubar und fest kalkulierbar bleibt und für die Unternehmen Investitionssicherheit entsteht. Das Ziel ist,
im Vergleich zur Vergangenheit im gesamten Netz zu einer besseren Qualität zu kommen. Denn die Verkehre,
auch die internationalen Verkehre nehmen zu. Zudem
wollen wir mehr Verkehr auf die Schiene verlagern.
Sie beschreiben zu Recht die Defizite; auch wir sehen
sie, die Länder ebenfalls. Jeder, der mit der Bahn unterwegs ist, kennt das. Das, was wir mit der LuFV regeln
wollen, ist die Frage, wie wir die Infrastrukturqualität
verbessern können. Ob das Unternehmen, das diese Infrastruktur nachher nutzt, pünktlich fährt, ob es zu Verspätungen kommt, ob ein schlechter Service angeboten
wird, liegt zunächst nicht in der Verantwortung des Bundes. Vielmehr ist der Bund verantwortlich für die Infrastruktur. Darum geht es.
Frau Kollegin, Sie haben eine weitere Nachfrage? Bitte sehr.
Der Zusammenhang zwischen Ausbaustandard der
Infrastruktur und dem möglichen Angebot eines Betreibers ist Ihnen aber doch klar.
Es besteht natürlich ein ganz enger Zusammenhang,
weil Sie auf einer Langsamfahrstrecke nicht schnell fahren können. Aber ich sage noch einmal: Welche Form einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung wir am
Ende treffen können, hängt von der Entscheidung des
Deutschen Bundestages bezüglich des Privatisierungsmodells ab, mit dem wir im Ministerium weiterarbeiten
können.
Frau Herlitzius, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Bitte sehr.
Ja, Frau Präsidentin, ich habe eine konkrete Nachfrage. Nehmen wir einfach einmal die Strecke
Aachen-Düsseldorf; denn ich komme aus NRW. Heißt
das, dass konkrete Veränderungen für diese Strecke - bezüglich Taktverkehr, Anbindung kleinerer Bahnhöfe und
Geschwindigkeit - davon abhängen, welches Bahnprivatisierungsmodell am Ende herauskommt?
Ich kann Ihnen das noch einmal darstellen, damit es
da keine Irritationen gibt. Das Bundesverkehrsministerium hat ein Interesse daran, dass sich die Infrastruktur,
die wir in Deutschland haben, und zwar die gesamte Infrastruktur, sowohl im Fernverkehr als auch im Nahverkehr, verbessert. Das wollen wir erreichen durch eine
klare finanzielle Obergrenze; da ist uns auch der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages immer sehr
hilfreich zur Seite. Ferner wollen wir den Unternehmen
Investitionssicherheit geben. Innerhalb dieses Rahmens
wird es natürlich Prioritäten geben müssen, an welchen
Strecken man zuerst investiert. Da werden wir uns besonders um Langsamfahrstrecken kümmern müssen, um
die Durchgangsverkehre besser fahren lassen zu können.
Man wird sich auch um besonders belastete Strecken
kümmern müssen. Das ist aber schon jetzt das übliche
Verfahren, dass Investitionen in Schienenwege nach
Prioritäten abgeschichtet vorgenommen werden.
Noch eine weitere Nachfrage, Frau Herlitzius?
Ja, danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich glaube, wir reden - bewusst oder unbewusst - ein
Stück weit aneinander vorbei. Sie haben meine Sorge
- die Sorge von jemandem, der aus einer etwas strukturschwächeren Gegend als Berlin kommt - um den öffentlichen Nahverkehr aber wohl verstanden. Diese Sorge
wird gesteigert durch Ihre Äußerung, dass Sie die LuFV,
die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung, im Prinzip sehr eng mit der Bahnprivatisierung koppeln. Das
halte ich für äußerst kritisch. Es zeigt eigentlich, dass die
Bahnprivatisierung, anders als es bisher von Ihrem Haus
dargestellt wird, doch konkrete Auswirkungen auf den
Nahverkehr hat. Gehe ich also recht in der Annahme,
dass Sie, wenn das Privatisierungsmodell vorliegt, sich
die einzelnen Strecken im Land noch einmal genau ansehen und danach Leistungsvereinbarungen abschließen
werden? Das heißt, wirtschaftliche Strecken - denn Privatisierung hat ja auch etwas mit Wirtschaftlichkeit zu
tun - werden von der Bahn oder von den Betreibern, die
dann die Ausschreibung gewinnen, weiterbetrieben und
unwirtschaftliche Strecken werden dann vermutlich geschlossen. Ist das so richtig?
Nein, das ist so nicht richtig. Ich will deswegen noch
einmal ausdrücklich auf Ihre Sorge eingehen, dass es im
Nahverkehr oder in ländlichen Gebieten eventuell zu
Schwierigkeiten kommen könnte. Im Moment haben wir
als gesetzliche Grundlage § 8 Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz und Art. 3 § 21 des Gesetzentwurfes
der Bundesregierung zur Neuorganisation der Eisenbahnen des Bundes. In beiden Gesetzen ist vorgesehen, dass
20 Prozent der Mittel, die der Bund für die Schienenwege nach dem Bundesschienenwegeausbaugesetz den
Eisenbahnen zur Verfügung stellt, für Maßnahmen in die
Schienenwege, die dem Schienenpersonennahverkehr
dienen, zu verwenden sind. Das ist ein ganz zentraler
Punkt, und wir wollen auch künftig dafür sorgen, dass
wir in diese Infrastruktur investieren können.
Ich versuche, noch einmal das Interesse des Bundes
an dieser Stelle deutlich zu machen, damit das ganz unmissverständlich und klar ist: Wir wollen besser werden
beim Ausbau der Schieneninfrastruktur, weil wir mit
stark wachsenden Verkehren zu rechnen haben, die wir
irgendwie bewältigen müssen. Unser Ziel dabei ist es,
deutlich mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Dazu
müssen Langsamfahrstellen beseitigt und Fahrplanzeiten
besser eingehalten werden. Die Infrastruktur in ihrer dienenden Funktion muss mehr ertüchtigt werden. Dem
dient die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.
Welche gesetzliche Ausgestaltung diese Leistungs- und
Finanzierungsvereinbarung haben kann, hängt allerdings
ab von der Entscheidung des Deutschen Bundestages bezüglich der Art der Teilprivatisierung der Bahn, mit der
wir politisch im Ministerium weiterarbeiten können.
Frau Herlitzius, Sie haben jetzt Ihr Fragerecht
ausgeschöpft. - Jetzt gibt es noch eine Nachfrage des
Kollegen Hofreiter.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Sehr geehrter Herr
Staatssekretär, da Sie uns anscheinend wenig Konkretes
sagen wollen, möchte ich eine Nachfrage stellen, die Sie
eigentlich beantworten können müssten, weil sie relativ
allgemeiner Natur ist.
Wir haben im Moment das Problem, dass die Trassengelder nicht dort verwendet werden, wo sie generiert
werden. Kurz zur Erklärung: Trassengelder sind von einem Schienenverkehrsunternehmen für die Benutzung
der Gleise zu zahlen. Man spricht verkürzt auch von
Schienenmaut.
Wie gedenken Sie in der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung Transparenz sicherzustellen, sodass
klar ist, in welchen Bereichen des Netzes die Einnahmen, die über die Trassengelder generiert werden, reinvestiert werden? Im Moment haben wir das große Problem, dass der durch die öffentliche Hand finanzierte
Personenschienennahverkehr den pseudoeigenwirtschaftlichen Personenfernverkehr der DB AG, also einen
privatwirtschaftlichen Bereich, über erhöhte Trassengelder querfinanziert. Die Frage stellt sich also, wie man die
Transparenz herzustellen und die Querfinanzierung abzustellen gedenkt. Eine solche Regelung ist wirklich völlig unabhängig vom Modell.
Das ist Gegenstand der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.
Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Winfried Hermann
werden schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 9
der Kollegin Sevim Dağdelen.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr
Parlamentarische Staatssekretär Michael Müller zur Verfügung.
Die Fragen 10 und 11 der Kollegin Undine Kurth
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 12 des Abgeordneten Jörg
Rohde:
Erwartet die Bundesregierung innerhalb der nächsten zehn
Jahre auf EU-Ebene eine Veränderung von Emissionsgrenzwerten, die für den Betrieb von Asphaltwerken relevant sind,
und wird die Bundesregierung selbst auf eine Verschärfung
entsprechender Grenzwerte hinwirken?
({0})
- Ja. Dann rufe ich auch noch die Frage 13 des Kollegen
Jörg Rohde auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die unterschiedlichen
Emissionsgrenzwerte für die Verbrennung von Kohlestaub im
Vergleich zur Verbrennung von Öl, und beabsichtigt die Bundesregierung, auf eine Veränderung der Differenz zwischen
den Emissionsgrenzwerten hinzuwirken?
Zu Ihrer ersten Frage. Ich kann natürlich nicht wissen,
was in einem Zeitraum von zehn Jahren passiert. Aber
aufgrund unseres derzeitigen Kenntnisstandes muss man
davon ausgehen, dass es in der zugrunde liegenden
Richtlinie - das ist die Richtlinie 96/61/EG aus dem
Jahre 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung - keinen Ansatz gibt,
der die Herstellung von Asphalt betrifft. Bisher gibt es
dafür also kein gemeinschaftliches Recht. Veränderungen des europäischen Rechtes sind derzeit auch nicht absehbar. Die Bundesregierung beabsichtigt zudem keine
Verschärfung.
Zu Ihrer zweiten Frage. Man muss wissen, dass die
Anforderung hinsichtlich der Emissionsbegrenzung nach
dem Stand der Technik erfolgt. Der Stand der Technik
umfasst im Wesentlichen vier Eckpunkte: erstens den
Entwicklungsstand bestimmter technischer Verfahren,
zweitens die Gewährleistung der Anlagensicherheit,
drittens die Gewährleistung einer umweltverträglichen
Abfallentsorgung und viertens die generelle Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt.
Die Unterschiedlichkeit der Verfahren zur Verbrennung von Kohlestaub und von Öl bedingt deshalb auch
unterschiedliche Festlegungen bei den einzuhaltenden
Emissionsgrenzwerten. Veränderungen hinsichtlich der
Differenz zwischen Emissionsgrenzwerten dieser unterschiedlichen Verfahren können sich somit nur aus Veränderungen beim Stand der Technik ergeben.
Ihre Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
habe ich Sie richtig verstanden, dass die unterschiedlichen Grenzwerte technisch begründet sind? Der eine
Grenzwert liegt höher als der andere. Es gibt aber keinen
Druck auf die Asphalthersteller, sich dem niedrigen
Grenzwert anzunähern, indem beispielsweise technisch
umgerüstet wird.
Es gilt generell, dass von Zeit zu Zeit der Stand der
Technik bewertet wird. Wenn die Bundesregierung beispielsweise der Auffassung ist, dass der Stand der Technik verbessert werden könnte, könnte es unter anderem
sein, dass wir durch entsprechende Forschungsinitiativen deutlich machen, dass es zu einem höheren Stand
der Technik kommen müsste.
Eine weitere Nachfrage.
Es bleibt dann bei dem Stand der Technik der einzelnen Verfahren, der Ölverfeuerung oder der Kohlestaubverfeuerung. Angesichts des derzeit hohen Ölpreises
scheint es vielen Asphaltherstellern in Deutschland aus
wirtschaftlichen Gründen sinnvoll zu sein, auf Kohlestaubverfeuerung umzurüsten. Sind da, wenn Sie das
kurz sagen könnten, die Grenzwerte höher oder niedriger, und wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Es ist so, dass wir aufgrund der Veränderungen der
Ressourcenpreise Verschiebungen erleben. Das ist ein
generelles Problem, mit dem sich sicherlich dieses Haus
und vor allem auch die zuständigen Ausschüsse beschäftigen müssen. Ich glaube, da sind wir erst am Beginn.
Wir erleben, dass in vielen Bereichen aus reinen Kostengründen Verfahren gewählt werden, die beispielsweise
aus ökologischen Gründen eher problematisch sind; das
ist gar keine Frage.
Trotzdem bleibt es dabei: Was Stand der Technik ist,
wird nicht von der Politik festgelegt, sondern von Gremien, beispielsweise von Ingenieuren des VDI. In dem
Bereich können wir also nur durch politische Initiativen
etwas ändern. Darüber muss man nachdenken. Darüber
können wir Ihnen sicherlich berichten.
Sie haben eine weitere Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrem Eingangsstatement schon bestätigt, dass es derzeit solche Überlegungen in der Bundesregierung nicht gibt. Der Hintergrund meiner Frage ist folgender: Es gibt ein
Asphaltwerk in meinem Wahlkreis und eine Bürgerinitiative, die nicht sehr glücklich über das Asphaltwerk
vor Ort ist. Es gibt weitere Emissionen, und zwar nicht
nur Verbrennungsemissionen, sondern auch Lärmemissionen. Gibt es bei den Lärmemissionen in dem Bereich
der Asphaltwerke - um es konkret zu machen und bei
der Frage zu bleiben - irgendwelche Veränderungen?
Wir hatten ja vor kurzem eine Veränderung aufgrund
der sogenannten Umgebungslärmrichtlinie. Ich weiß
nicht, wie dies vor Ort eingehalten wird und ob das alles
schon vollzogen ist. Wir bieten Ihnen natürlich an, dass
wir, wenn Sie uns den konkreten Fall schildern, einmal
genauer hinschauen.
Ihre letzte Nachfrage.
Ich ziehe daraus für mich den Schluss, dass ein Asphaltwerk, das alle Richtlinien einhält, seinen Betrieb
natürlich ordnungsgemäß weiterführen darf und ich mir
deswegen andere Lösungen ausdenken muss, um zum
Beispiel einer Bürgerinitiative, die sich das Ziel gesetzt
hat: Das Asphaltwerk muss weg, zur Hilfe zu kommen.
Um es einmal auf den Punkt zu bringen: Die Entwicklung, die sich hier zeigt, ist natürlich eine Regulierung
des Marktes, die, wenn ich das richtig sehe, Ihre Partei ja
immer besonders hochhält. Aber tatsächlich ist es so,
dass manche ökologisch problematischen Entwicklungen gerade dadurch entstehen. Insofern muss man
schauen, ob man Instrumente, die solche Verlagerungen
ermöglichen, einsetzen muss. Darüber zu reden, halte
ich - ich sage es noch einmal - für einen wichtigen
Punkt vor dem Hintergrund, dass sich im Augenblick
manches durch die dramatische Veränderung der Rohstoffpreise verschiebt.
Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Hier
wird der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel
die gestellten Fragen beantworten.
Ich rufe die Frage 14 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Welcher Zusammenhang besteht nach Ansicht der Bundesregierung zwischen den im Februar 2008 bekannt gewordenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen zwei leiVizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
tende Mitarbeiter aus dem Geschäftsbereich Stilllegung des
Forschungszentrums Karlsruhe wegen Bestechlichkeit und
Korruption und den exorbitanten Kostensteigerungen beim
Rückbau atomarer Anlagen, und welche Verstöße gegen
atomrechtliche Bestimmungen spielen bei den Ermittlungen
eine Rolle?
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung besteht zwischen den
genannten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und
den Kostensteigerungen beim Rückbau atomarer Anlagen in Karlsruhe kein Zusammenhang. Die größeren
Kostensteigerungen bei den Rückbauprojekten auf dem
Gelände des Forschungszentrums Karlsruhe, die sich im
Vergleich zum Bericht des BMBF zum mittel- und langfristigen Mittelbedarf für die Stilllegung und Entsorgung
nuklearer Versuchsanlagen vom 6. November 2006 ergeben, betreffen nur das WAK-Projekt. Die dazu dem
Haushaltsausschuss des Bundestages Anfang 2008 vom
BMBF vorgelegte Projektkostenschätzung 2007 beruht
ausschließlich auf dem im Jahr 2006 angepassten technischen Gesamtkonzept und den hieraus zukünftig resultierenden terminlichen und dann auch kostenmäßigen
Auswirkungen. Im Übrigen spielen Verstöße gegen
atomrechtliche Bestimmungen bei den staatsanwaltlichen Ermittlungen keine Rolle.
Sie haben eine Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär,
laut Meldungen aus Baden-Württemberg hat die Staatsanwaltschaft einen Zusammenhang nicht ausgeschlossen. Ist Ihnen das bekannt? Wie bewerten Sie das?
Diese Pressemeldung ist mir nicht bekannt. Ich kann
Ihnen nur mitteilen, dass nach den Erkenntnissen der
Bundesregierung ein Zusammenhang zwischen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und Kostensteigerungen
beim Rückbau atomarer Anlagen nicht vorhanden ist.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Meine zweite Nachfrage zielt in die gleiche Richtung;
Herr Staatssekretär, Sie werden es verzeihen. Selbst
Peter Fritz vom Vorstand des Forschungszentrums
Karlsruhe schließt einen Zusammenhang zwischen den
Bestechungsvorwürfen und den Kostensteigerungen
nicht aus. Ich frage Sie: Woraus schließt die Bundesregierung, dass sie einen Zusammenhang ausschließen
kann?
Die Informationen, die wir haben, ergeben sich aus
der Kontaktaufnahme mit der Staatsanwaltschaft. Die Information ist: Hier wird kein Zusammenhang gesehen.
Ich rufe die Frage 15 der Kollegin Kotting-Uhl auf:
Seit wann wusste das Bundesministerium für Bildung und
Forschung von den Bestechungsvorwürfen, und weshalb
wurde die baden-württembergische Atomaufsicht erst am
12. Februar 2008 informiert?
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
hat die anonyme Anzeige, die zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt hat, am 8. März 2007 der Staatsanwaltschaft Karlsruhe per Telefax übermittelt. Diese
hat das BMBF um strikte Vertraulichkeit gebeten, um
die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen nicht zu gefährden. Das baden-württembergische Umweltministerium als zuständige Atomaufsichtsbehörde wurde am
12. Februar 2008 darüber informiert, dass polizeiliche
Durchsuchungen im Forschungszentrum Karlsruhe
durchgeführt werden sollen. Das baden-württembergische Umweltministerium wurde nicht in die Ermittlungen einbezogen, da die in der Anzeige erhobenen Vorwürfe nicht mit einer atomrechtlichen Genehmigung
oder Zulassung in Zusammenhang stehen.
Frau Kotting-Uhl, bitte.
Wenn wegen Korruption und Bestechlichkeit ermittelt
wird, muss es neben demjenigen, der bestochen worden
ist - in diesem Fall werden zwei Angestellte verdächtigt -, jemanden geben, der bestochen hat. Ein solches
Geschäft hat ja immer zwei Seiten. Haben Sie irgendwelche Hinweise darauf, dass Personen aus politischen
Kreisen daran beteiligt sind?
Die Bundesregierung äußert sich nicht zu Vermutungen.
({0})
Haben Sie eine weitere Nachfrage?
Nein. Da ich diese Antwort erwartet habe, erübrigt
sich die Nachfrage. Danke schön.
Die Frage 16 der Kollegin Hirsch wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht der Staatsminister Günter Gloser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Volker Beck
auf:
Welche konkreten Initiativen und Gespräche hat die Bundesregierung bilateral oder multilateral ergriffen, um Gefangene aus Guantánamo, die von den USA nicht als Terroristen
eingestuft werden ({0}),
freizubekommen und damit auch einen Beitrag dazu zu leisten, das rechtsstaatswidrige Gefangenenlager aufzulösen, und
warum hat sie - gegebenenfalls auch gemeinsam mit anderen
Staaten - bisher kein Angebot zur Aufnahme eines Teiles dieser Gefangenen gemacht?
Ich darf wie folgt antworten: Die Bundesregierung
setzt sich, wie auch die Europäische Union, seit geraumer Zeit bei der US-Regierung für die Schließung des
Gefangenenlagers in Guantánamo ein. Die Bundesregierung tut das nicht nur aufgrund ihrer eigenen Überzeugung, sondern auch, weil eine Schließung im Interesse
unserer transatlantischen Wertegemeinschaft liegt. USPräsident Bush hat selbst erklärt, Guantánamo so bald
wie möglich schließen zu wollen. Die Bundesregierung
sieht die US-Regierung in der Pflicht, deutliche Schritte
zur Schließung des Lagers zu unternehmen.
Ich darf grundsätzlich anmerken: Die Aufnahme von
Personen, die in Guantánamo gefangen gehalten werden,
ohne von den USA als Terroristen eingestuft zu sein,
liegt in erster Linie in der Verantwortung der Länder, deren Staatsangehörigkeit sie besitzen. Diesem Prinzip folgend, haben inzwischen mehrere Staaten, darunter auch
EU-Mitgliedstaaten, ehemalige Insassen des Lagers in
Guantánamo Bay aufgenommen. Die USA führen außerdem mit mehreren Ländern, deren Staatsangehörige in
Guantánamo inhaftiert sind, Verhandlungen über eine
Rückführung oder haben solche bereits geführt. Soweit
eine Aufnahme in den Heimatländern der Betroffenen
nicht in Betracht kommt, liegt die humanitäre Verantwortung für die Lösung der durch die Inhaftierung der
Personen entstandenen Situation bei den Vereinigten
Staaten.
Herr Beck, Sie haben eine Nachfrage?
Ja. Ich habe diese Frage gestellt, weil wir uns - damals mit dem Kollegen Erler - am 17. Januar 2007 hier
schon einmal darüber unterhalten haben. Er hatte mir damals geantwortet:
Die Bundesregierung ist durchaus bereit, einen Beitrag dazu zu leisten, wenn sie dazu aufgefordert
wird und wenn es, auch unter Berücksichtigung anderer politischer Wirkungen einer solchen Maßnahme, Sinn macht, das zu tun.
Wir sind jetzt über ein Jahr weiter. Ich habe das Gefühl, dass es nicht sehr glaubwürdig ist, dass man einerseits gegen Guantánamo ist, aber andererseits keinen
Beitrag zur Entlassung leistet.
Ihnen ist doch sicher bekannt, dass es unter den Gefangenen in Guantánamo Personen aus Algerien, China,
Jordanien, Libyen, den palästinensischen Gebieten,
Russland, Somalia, Sudan, Syrien, Tadschikistan, Tunesien und Usbekistan gibt. Das alles sind Länder, die sowohl bei uns als auch in den Vereinigten Staaten als klassische Länder gelten, in denen wir politische Verfolgung
durchaus für möglich halten. Es gibt von den Verwandten einiger Gefangener Hinweise darauf, dass diese Opfer von Übergriffen durch die dortige Staatsmacht bis hin
zu Folter und unmenschlicher Behandlung geworden
sind.
Ist die Bundesregierung vor diesem Hintergrund bereit, zu erklären, auf Grundlage von § 23 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz oder auf einer anderen Rechtsgrundlage
- welche, ist mir egal - eine begrenzte Anzahl von Personen aufzunehmen, zumal das Europäische Parlament
den Europäischen Rat im Dezember des letzten Jahres
aufgefordert hat, auf europäischer und internationaler
Ebene eine Initiative zur Umsiedlung von Gefangenen
aus Guantánamo einzuleiten, die aus Drittstaaten stammen, die aber aufgrund der Gefahr von Hinrichtung oder
Folter nicht in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden können?
Herr Kollege Beck, diese Erklärung kann ich nicht
abgeben. Ich habe schon einmal die Position der Bundesregierung deutlich gemacht. Ich glaube, Kollege
Erler hatte in seiner Antwort gesagt, dass man die politischen und sonstigen Wirkungen generell prüfen müsse.
So etwas wäre eventuell im Rahmen der Europäischen
Union möglich. Das ist auf europäischer Ebene aber bisher nicht geschehen.
Herr Beck, Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte
sehr.
Das Europäische Parlament hat diese Aufforderung
beschlossen. Sie richtet sich an den Ministerrat. Die
Bundesregierung ist im Ministerrat vertreten. Hat die
Bundesregierung diese Aufforderung des Europäischen
Parlaments im Ministerrat in irgendeiner Weise thematisiert, oder wurde es von anderer Seite thematisiert?
Wenn ja, in welcher Weise?
Ich kann nur mit der Einschränkung sagen: Soweit
mir bekannt ist, ist das im Ministerrat nicht thematisiert
worden.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben eine Nachfrage
dazu.
Herr Staatsminister, ich gebe Ihnen ja recht, dass die
fortdauernde Inhaftierung von Gefangenen in Guantánamo, bei denen die US-Regierung selber der Auffassung ist, dass sie in keinerlei terroristischem Zusammenhang stehen, und denen keinerlei Vorwürfe in dieser
Richtung gemacht werden können, ein moralischer, humanitärer und politischer Skandal ist und dass das in erster Linie den USA auf die Füße fällt. Wir wissen, dass
mindestens 50 solcher Gefangener derzeit noch in
Guantánamo sind. Die Bundesregierung weiß, dass,
wenn sie bereit ist, ein, zwei, drei, zehn dieser Gefangenen aufzunehmen, diesen weitere unmenschliche Behandlung, möglicherweise Folter, erspart bleibt, wenn
sie nicht mehr in Guantánamo sind. Sieht die Bundesregierung aufgrund dieser Tatsache nicht eine humanitäre,
eine menschliche Verpflichtung, gerade wenn wir die
Menschenrechte in unserer Politik ganz hoch halten, hier
einen Schritt zu tun und zu sagen: Wir nehmen Gefangene auf und empfehlen auch anderen europäischen
Staaten, dies zu tun?
Ist es in diesem Zusammenhang nicht völlig falsch, zu
sagen: Wir warten so lange, bis es eine gemeinsame
Überzeugung aller Staaten Europas gibt und dann handeln wir gemeinsam? Das könnte möglicherweise noch
Monate oder Jahre dauern, und die Gefangenen, von denen man glaubt, dass sie nicht in terroristische Aktivitäten verstrickt sind, würden dann möglicherweise noch
monate- oder jahrelang unschuldig dahinvegetieren.
Meinen Sie nicht, dass man hier politisch einige Maßstäbe zurechtrücken und sich humanitären Gesichtspunkten annähern muss?
Herr Kollege Ströbele, ich habe am Anfang betont,
dass dies erst einmal - das haben Sie bestätigt - in der
Verantwortung der Vereinigten Staaten liegt, gerade auch
was die Personengruppe der Nichtterroristen angeht. Wir
haben ausdrücklich bei verschiedenen Begegnungen, sowohl bilateral zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten als auch im letzten Jahr während unserer EURatspräsidentschaft, darauf hingewiesen, dass das Lager
baldmöglichst geschlossen werden sollte, damit nicht
das eintritt, was Sie eben gesagt haben, also die Gefangenen eine nicht fixierte Zeit inhaftiert bleiben. Im Übrigen ist die Initiative nur eines EU-Landes nicht richtig,
wenn überhaupt, dann muss das auf der europäischen
Ebene abgestimmt werden.
Herr Ströbele, Sie können nur eine Frage stellen.
Die Fragen 18 und 19 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt zur Frage 20 des Kollegen Paul
Schäfer ({0}):
Was unternimmt die Bundesregierung, um zu verhindern,
dass von der afghanischen Armee Kinder unter 18 Jahren eingezogen, ausgebildet und bei militärischen Operationen eingesetzt werden?
Herr Gloser, bitte.
Ich darf wie folgt antworten: In Afghanistan gibt es
keine Wehrpflicht. Das Verfahren der Anwerbung von
Freiwilligen für die afghanischen Streitkräfte ist durch
ein afghanisches Gesetz geregelt. Dieses sieht ein Mindestalter von 18 Jahren für die Anwerbung von männlichen Bewerbern vor. Im Einklang mit dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des
Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten vom 25. Mai 2000, dem Afghanistan beigetreten ist, dürfen Freiwillige ab vollendetem
16. Lebensjahr als Mindestaltersgrenze angeworben
werden.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die afghanische Regierung das in ihren Kräften Stehende tut, um
die Einhaltung afghanischer Gesetze und der übernommenen freiwilligen Selbstverpflichtungen zu überwachen.
Herr Schäfer, Sie haben eine Nachfrage? - Bitte
schön.
Danke, Frau Präsidentin. - Herr Staatssekretär, ich
bin dankbar, dass Sie auf das abgehoben haben, worum
es hier geht, nämlich um das Fakultativprotokoll, dem
Deutschland beigetreten ist und das es mit umsetzen
muss und sollte.
Meine Frage ist: Wenn es so ist, wie Sie es beschreiben, warum findet sich dann auf einer Homepage, die die
Bundesregierung zu verantworten hat, seit dem 8. Februar dieses Jahres ein Bericht, in dem dargelegt wird,
wie ein Angehöriger deutscher Streitkräfte an der Ausbildung beteiligt ist? Es heißt hier wörtlich:
Er
- der Hauptmann kennt die Rekruten seit dem ersten Tag, war bei der
Ausbildung dabei, hat beobachtet, beraten und hin
und wieder selbst mit angepackt.
Dann wird ausgeführt, der Jüngste, der dort ausgebildet
werde, sei 16 Jahre alt und würde für Kampfeinsätze
vorbereitet. Wie erklären Sie sich diesen Sachverhalt,
dargestellt auf einer Homepage der Bundesregierung?
Herr Kollege Schäfer, wir müssen hier differenzieren.
Zum einen geht es darum, inwieweit die Bundesregierung ihren eigenen Bürgern verpflichtet ist. Zum anderen geht es Ihnen darum - so verstehe ich Ihre Anmerkung -, was dann ist, wenn Deutsche in Afghanistan bei
der Ausbildung aktiv werden. Ich kann gerne noch einmal sagen, dass im Fakultativprotokoll, das ich vorhin
erwähnt habe und das auch Afghanistan ratifiziert hat,
ausdrücklich auch die Altersgruppe der 16-Jährigen erfasst wird. Afghanistan hat sich jedoch verpflichtet, dass
diese jungen Menschen nicht im aktiven Einsatz verwendet werden.
({0})
Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte, Herr
Schäfer.
Es ist völlig richtig: Auch Afghanistan ist diesem Protokoll beigetreten. Trotzdem bleibt die Frage, ob aus der
Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland an Ausbildungsvorgängen der afghanischen Streitkräfte beteiligt ist, Ihrer Meinung nach für uns irgendwelche Pflichten erwachsen und ob Sie sich darüber Gedanken
gemacht haben, wie man die Durchsetzung und Einhaltung dieses Fakultativprotokolls in diesem Fall sicherstellen kann.
Herr Kollege Schäfer, uns sind keine Hinweise bekannt, wonach Afghanistan dieses Protokoll, das ich vorhin zitiert habe, nicht anwenden würde. Es gibt sicherlich Probleme hinsichtlich der Frage, ob das angegebene
Alter tatsächlich richtig ist. Das ist sicherlich in manchen Situationen auch der Dokumentenechtheit geschuldet. Aber grundsätzlich können Sie davon ausgehen,
dass Deutschland in genauer Beachtung afghanischer
Gesetze dort Menschen ausbildet, die entsprechend diesem Protokoll und gemäß den internationalen Abkommen von den Afghanen eingesetzt werden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern. Die Frage 21 der Kollegin
Sevim Dağdelen und die Fragen 22 und 23 der Kollegin
Silke Stokar von Neuforn werden schriftlich beantwortet.
Aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums
der Finanzen wurden die Fragen 24 und 25 des Kollegen
Jürgen Koppelin, die Fragen 26 und 27 des Kollegen
Frank Schäffler sowie die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. Hermann Otto Solms zurückgezogen. Schriftlich
beantwortet wird die Frage 30 des Kollegen Rainder
Steenblock.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Hartmut Schauerte zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Kollegen Dr. Ilja Seifer auf:
Wie bewertet die Bundesregierung, dass laut dbsv-direkt Onlineinformationsservice des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes vom 7. Februar 2008 - die europäische
Postrichtlinie, die die vollständige Öffnung der Postmärkte ab
2011 vorsieht, die Schutzbestimmungen für kostenlose Blindensendungen abschafft?
Ich beantworte die Frage wie folgt: Durch die vom
Europäischen Parlament mit großer Mehrheit gebilligten
Änderungen zur Postdiensterichtlinie werden keine
Schutzbestimmungen für kostenlose Blindensendungen
abgeschafft. In dem Erwägungsgrund 16 zur Postdiensterichtlinie aus dem Jahr 1997 wurde festgestellt, dass
der Liberalisierungsprozess die Fortführung von bereits
eingeführten kostenlosen Postdiensten für blinde und
sehbehinderte Menschen nicht einschränken darf. Eine
Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einrichtung der
unentgeltlichen Beförderung dieser Sendungen ist und
war damit auch in der Vergangenheit nicht verbunden.
In den am 31. Januar 2008 vom Europäischen Parlament verabschiedeten Änderungen zur Postdiensterichtlinie wird im Erwägungsgrund 37 auch mit dem Hinweis
auf geltende internationale Verpflichtungen - gemeint ist
der Weltpostvertrag - bekräftigt, dass die eingeführten
kostenlosen Dienste nicht durch die Marktöffnung im
europäischen Postsektor eingeschränkt werden sollten.
Eine Veränderung der europarechtlichen Vorgaben entgegen den berechtigten Interessen blinder oder sehbehinderter Menschen ist demnach nicht erkennbar.
Soll ich die zweite Frage, in der es um den gleichen
Themenkomplex geht, gleich mit beantworten?
Ja, bitte.
Dann rufe ich jetzt die Frage 32 des Kollegen Dr. Ilja
Seifert auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung auf nationaler Ebene, den behinderungsbedingten Nachteil für blinde
Postkunden sowie für Blindenbibliotheken - Brailleschrifttexte
sind immer umfangreicher und schwerer als Schwarzschrift;
elektronische Tonträger sind in der Regel ebenfalls nicht als
Standardbrief versendbar - weiterhin auszugleichen?
Die Antwort: Das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie hatte im Zusammenhang mit dem Interesse einer entgeltfreien Beförderung von Blindensendungen bereits Ende letzten Jahres das in Deutschland
marktbeherrschende Unternehmen Deutsche Post AG
angeschrieben. Die Deutsche Post AG hat dazu mitgeteilt, es sei nicht geplant, die entgeltfreie Beförderung
von nationalen und internationalen Blindensendungen
bei Briefen und Paketen bis 7 kg einzustellen. Die Gewichtsgrenze bis 7 kg berücksichtigt damit durchaus
auch schwerere Sendungen. Die Zusage der Deutschen
Post AG, die die Bundesregierung sich aktuell nochmals
hat bestätigen lassen und auf die sie vertraut, wurde auch
der Präsidentin des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes e. V., Frau Renate Reimann, mitgeteilt.
Solange der Markt hier seiner gesellschaftlichen Verantwortung weiterhin im bisherigen Rahmen gerecht
wird, hält die Bundesregierung eine weitergehende staatliche Reglementierung nicht für zwingend erforderlich.
Die Bundesregierung wird diese Thematik weiterhin mit
besonderer Aufmerksamkeit verfolgen.
Herr Seifert, Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Schauerte,
herzlichen Dank für die Auskünfte. Wenn das tatsächlich
alles so zutrifft, braucht man sich ja wenig Sorgen zu
machen. Allerdings bereitet es mir doch ein bisschen
Kopfzerbrechen, dass in der ersten Lesung der jetzt in
Rede stehenden Richtlinie, die vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde, diese Postsendungen, bei denen es sich ja um Kultur für blinde Menschen handelt
- meistens geht es um Bibliotheken und dergleichen -,
ausdrücklich noch erwähnt wurden. Nach der zweiten
Lesung waren sie nicht mehr enthalten. Es macht mich
natürlich stutzig, warum sie herausgenommen wurden.
Können Sie mir Argumente nennen, die dafür sprechen, dass das wirklich keinerlei Auswirkungen hat?
Oder ist das nur vorläufig so, damit die bestehenden
Schutzbestimmungen erst dann, wenn die Postmärkte
geöffnet sind und es von allen Seiten und in allen Ländern zu einer Konkurrenzsituation kommt, aufgeweicht
werden können?
Zunächst einmal, Herr Kollege Seifert, freue ich mich
mit Ihnen, dass diese Regelung nun nicht mehr in der
Richtlinie enthalten ist. Warum sie überhaupt aufgenommen wurde, ist mir nicht bekannt. Was diese Frage angeht, kann ich mich gerne einmal erkundigen. Dazu kann
ich Ihnen jetzt aber keine weitere Antwort geben.
Ansonsten meine ich, deutlich gemacht zu haben,
dass wir dieses Thema ganz aktuell auf unsere Tagesordnung gesetzt haben und dass wir die Entwicklungen in
Zukunft sorgfältig beobachten werden. Wir sehen allerdings keine Veranlassung, schon jetzt irgendwelche
Maßnahmen zu ergreifen. Denn der bisherige Status verschlechtert sich in keinem einzigen Punkt.
Haben Sie weitere Nachfragen? - Bitte, Herr Seifert.
Eine Frage hätte ich noch, Herr Staatssekretär. Wäre
es nicht auch im Sinne der Fairness gegenüber zukünftigen Wettbewerberinnen und Wettbewerbern sinnvoll,
wenn die Regierung schon jetzt verkünden würde, dass
dann, wenn es zu einer Marktöffnung kommt, alle Wettbewerber diese Leistungen anbieten müssen? Denn es
kann doch nicht sein, dass das nur ein Unternehmen
macht, alle anderen aber nicht.
Vergleicht man die Marktanteile der verschiedenen
Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, stellt
man fest, dass der eindeutige Marktführer, die Deutsche
Post AG, weiterhin privilegiert ist.
({0})
Solange sich an seinem Marktanteil nichts Wesentliches
ändert, sehe ich keine Notwendigkeit, hier korrigierend
einzugreifen. Die Deutsche Post AG erbringt einen Universaldienst. Dafür wurden ihr im Gesetzgebungsverfahren einige Privilegien eingeräumt; wir alle erinnern uns
daran. Insofern denke ich, dass das ein fairer Ausgleich
ist.
Haben Sie noch eine weitere Frage? - Bitte schön.
Darf ich dann von der heutigen Fragestunde mit der
Gewissheit nach Hause gehen und den blinden Menschen sagen, dass der Ausgleich behinderungsbedingter
Nachteile, den ich übrigens nicht als Privileg bezeichnen
würde, auch in Zukunft die volle Unterstützung der Bundesregierung haben wird, unabhängig davon, welche
Entwicklung auf diesem Markt stattfindet?
Ich bitte Sie sehr, mit dieser Aussage aus der heutigen
Fragestunde zu gehen und das allen Menschen zu erzählen.
Herzlichen Dank.
Dazu fallen mir jetzt Bibelzitate ein; darauf möchte
ich an dieser Stelle aber nicht eingehen.
({0})
Die Frage 33 der Kollegin Tackmann und die
Fragen 34 und 35 des Kollegen Fell werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Franz Thönnes zur Verfügung.
Die Fragen 36 und 37 des Kollegen Niebel, die
Frage 38 der Kollegin Lötzsch und die Frage 39 der Kollegin Hirsch werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 40 des Kollegen Alexander Ulrich
auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, EGB, nach der ein Handlungsbedarf im Verhältnis zwischen EU-Primärrecht und EU-Sekundärrecht besteht, um künftige Urteile des Europäischen
Gerichtshofes, EuGH, die Grundfreiheiten höher bewerten als
Grundrechte wie das Streikrecht, auszuschließen?
Meine Antwort lautet wie folgt: Im Moment sieht die
Bundesregierung im Hinblick auf die Urteile in den Fällen Viking und Laval keinen Bedarf, Änderungen im
EU-Primärrecht oder EU-Sekundärrecht vorzunehmen.
Der EuGH hat das Streikrecht in seinen Urteilen in den
Fällen Viking und Laval explizit als europäisches
Grundrecht anerkannt. In beiden Urteilen wurde die soziale Dimension der Gemeinschaft betont und darauf
hingewiesen, dass ein Ausgleich zwischen den Grundrechten der Arbeitnehmer einerseits und den Grundfreiheiten der Unternehmen andererseits gefunden werden
müsse und dass dies eine Abwägung im Einzelfall erfordere.
Herr Kollege Ulrich, haben Sie eine Nachfrage? Bitte schön.
Vielen Dank für Ihre Antwort, die mich allerdings
nicht befriedigt. Der Europäische Gewerkschaftsbund
hat in einer Anhörung im Europäischen Parlament erklärt, dass Art. 28 der Grundrechtecharta nicht ausreicht,
um Urteile wie das Viking-Urteil und das Vaxholm-Urteil zu verhindern. Er hat gefordert, dass in einem Protokoll ausdrücklich festgelegt wird, dass das Streikrecht
nicht eingeschränkt werden darf und dass es ausschließlich in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt. Wie
schätzt die Bundesregierung dies ein?
Herr Kollege Ulrich, ich glaube, wir müssen bei der
Bewertung der Urteile zu Viking und Laval davon ausgehen, dass die Wirkung vor dem Hintergrund der differenzierten Tarifvertragssysteme in den einzelnen EUMitgliedstaaten sehr unterschiedlich zu beurteilen ist.
Von diesen Urteilen sind in erster Linie die skandinavischen Staaten betroffen; es geht ja um Sachverhalte aus
Finnland und Schweden. Deutschland ist aufgrund der
Unterschiedlichkeit seines Systems nicht davon betroffen. Vor diesem Hintergrund sehen wir keine Notwendigkeit, in irgendeiner Form zu reagieren.
Sie haben eine zweite Nachfrage.
Der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, John Monks, hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er unterstrichen hat, welche Bedrohungen von der Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für das Streikrecht und die Tarifautonomie
in Europa ausgehen. Er hat darauf hingewiesen, dass das
in einzelnen Mitgliedstaaten per Verfassung festgeschriebene Streikrecht wie auch die Tarifautonomie
durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Gefahr sind und dass die Idee eines sozialen
Europas beschädigt wurde. Wenn der Generalsekretär
des EGB so etwas sagt, sollte man das ernst nehmen,
Herr Thönnes.
John Monks fordert, sowohl die Verträge als auch die
sekundärrechtlichen Akte der EU dahin gehend abzuändern, dass das Verhältnis zwischen Grundrechten und
Grundfreiheiten explizit geregelt wird, damit eine weitere Rechtsprechung des EuGH, die die Grundrechte zugunsten der Grundfreiheiten einschränkt, in Zukunft
nicht mehr möglich ist. Wie schätzt die Bundesregierung
- Sie verneinen die Notwendigkeit einer Präzisierung
der EU-Verträge - diese Aussagen des Generalsekretärs
des EGB ein?
Herr Kollege Ulrich, um das an den beiden von Ihnen
genannten Fällen deutlich zu machen: Im Fall Laval ist
der EuGH davon ausgegangen, dass Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften grundsätzlich zulässig sind
und die Grundfreiheiten des EG-Vertrages beschränken
können. Der EuGH hat allerdings auch gesagt, dass die
Maßnahmen dem Arbeitnehmerschutz dienen müssen
und nicht unverhältnismäßig sein dürfen. Der EuGH hat
in diesem Zusammenhang klargestellt, dass auch Streiks
zugunsten entsandter Arbeitnehmer mit dem Ziel, dieser
Gruppe ein bestimmtes Niveau von Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen zu sichern, das Ziel des Arbeitnehmerschutzes verfolgen.
Im konkreten Fall hat der EuGH allerdings die spezifischen Verpflichtungen, die sich für das Unternehmen
Laval aus dem Beitritt zum schwedischen Bautarifvertrag ergeben hätten, als unverhältnismäßige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit angesehen. Der EuGH
hat an dieser Stelle darauf abgestellt, dass die Verpflichtungen aus dem Bautarifvertrag über die Arbeitsbedingungen hinausgehen, die sich - das schreibt die Entsenderichtlinie den Mitgliedstaaten vor - auf entsandte
Arbeitnehmer erstrecken müssen. Zum anderen hat er
darauf abgestellt, dass für Laval nicht transparent gewesen sei, welche Lohnforderungen auf das Unternehmen
zugekommen wären, wenn es sich den Lohnverhandlungen mit den Gewerkschaften gestellt hätte.
Auch beim Urteil zu Viking hat der EuGH entschieden, dass Arbeitskampfmaßnahmen, die darauf abzielen,
ein ausländisches Unternehmen zum Abschluss eines
Tarifvertrages zu bringen, der das Unternehmen von einer Standortverlagerung abhalten soll, die Niederlassungsfreiheit beschränken.
Der EuGH wendet damit die Grundfreiheiten des EGVertrages auch im Verhältnis zwischen Privaten - hier
Gewerkschaften und Unternehmen - an. Arbeitskampfmaßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen müssen
sich demnach am Maßstab des Europarechts messen lassen. Dies bedeutet konkret, dass solche Arbeitskampfmaßnahmen am gemeinschaftlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind und somit eine Abwägung
zwischen den Grundrechten vorzunehmen ist.
Der EGB und die am Rechtsstreit beteiligte International Transport Workers Federation haben das Urteil
des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich begrüßt
und dabei auf die Anerkennung des Streikrechts als europäisches Grundrecht hingewiesen. Wir leiten nicht
etwa aus den Stellungnahmen ab, dass Maßnahmen zu
ergreifen sind - auch wenn Sie es anders darstellen -;
vielmehr hat nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Überprüfung zu erfolgen.
Der Kollege Dr. Dehm hat eine zusätzliche Frage.
Herr Staatssekretär, der Europäische Gewerkschaftsbund hat sogar bekräftigt, dass er von den Urteilen und
der Ausweitung der Kompetenzen durch den EuGH auf
Kosten des Streikrechts sein Votum zum Lissabon-Vertrag abhängig macht. Es begann mit dem Urteil gegen
Demonstranten in Österreich, mit dem die Grundrechte
zugunsten der Unternehmerfreiheit eingeschränkt wurden. Im Übrigen sehen das auch einzelne Gewerkschaften in unserem Land ähnlich. Es wundert mich, dass Sie
zu einer anderen Einschätzung kommen.
Insofern frage ich Sie, was Sie - wenn Sie zu einer
ähnlichen Sicht kämen wie die Gewerkschaften - gegen
die Stärkung der Grundfreiheiten zulasten der Grundrechte in diesen Urteilen tun würden.
Herr Kollege Dehm, wie Sie wissen, steht in einem
weiteren Verfahren - dem Rüffert-Fall - die Entscheidung aus. Dabei geht es um die Frage, ob diese Regelung gegen die gemeinschaftsrechtliche Dienstleistungsfreiheit und die Entsenderichtlinie verstößt, die gewisse
Mindeststandards vorsieht.
Ob man darüber hinaus ein höheres Schutzniveau für
die Arbeitnehmer - nämlich den regulären Tariflohn fordern kann, ist strittig. Wir meinen, dass dies ohne
Weiteres möglich ist. Die Bundesregierung hat sich in
dem Verfahren dafür eingesetzt, die Schutzbestimmungen der Entsenderichtlinie nur als Mindestgarantien zu
sehen, die grundsätzlich einen verstärkten nationalen
Schutz erlauben.
Der Generalanwalt teilt unsere Auffassung in den
Schlussanträgen. Ich denke, wir müssen das Urteil am
3. April abwarten, um uns ein konkreteres Bild machen
zu können, bevor wir zu einer Schlussfolgerung kommen, wie Sie sie schon aufgrund der beiden vorangegangenen Urteile für notwendig halten.
Damit kommen wir zu Frage 41 des Kollegen
Alexander Ulrich:
Welche Auswirkungen auf das Streikrecht und das Recht
auf Kollektivverhandlungen haben nach Einschätzung der
Bundesregierung die beiden Urteile des EuGH zu Viking
({0}) und Vaxholm ({1})
auf die unterschiedlichen Arten von Tarifsystemen innerhalb
der EU-Mitgliedstaaten?
Herr Kollege Ulrich, die Antwort lautet wie folgt: Die
Auswirkungen der Urteile auf die Tarifvertragssysteme
sind, wie ich bereits ausgeführt habe, sehr unterschiedlich. In erster Linie sind die Systeme der skandinavischen Staaten betroffen. Deutschland dagegen ist nicht
unmittelbar betroffen, da in diesem Bereich grundlegende Systemunterschiede bestehen.
Sie haben eine Nachfrage, Kollege Ulrich.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie das Problem in Bezug auf Deutschland herunterspielen. Ich weise aber
noch einmal darauf hin, dass keine skandinavische Gewerkschaft, sondern die deutsche Gewerkschaft IG BAU
festgestellt hat, dass durch die Urteile den Gewerkschaften im Rahmen ihrer Koalitionsbetätigung jede Autonomie abgesprochen wird, indem sie mit mitgliedstaatlichem Handeln gleichgesetzt werden.
Folgt man dieser Argumentation, dann wird deutlich,
dass eine schwere Beeinträchtigung des Rechts auf
Streik durch den EuGH festgeschrieben wurde. Deshalb
frage ich die Bundesregierung nochmals, ob sie diese
Gefahr nicht doch sieht, und wenn nicht, warum sie
diese Einschätzung nicht teilt.
Ich wiederhole: Vor dem Hintergrund der Gestaltung
unserer Tarifautonomie, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und der Arbeitnehmer-Entsenderichtlinie sehe ich
das nicht und verweise auf die Reaktionen und die Stellungnahmen, die seitens des EGB zu den Urteilen Laval
und Viking abgegeben worden sind, wonach Arbeitskampfmaßnahmen von Gewerkschaften grundsätzlich
als zulässig anerkannt wurden. Ich teile Ihre Interpretation daher nicht.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage.
Ich beziehe mich auf eine deutsche Gewerkschaft, die
IG BAU. Sie weist ausdrücklich darauf hin, dass in Sektoren, in denen noch keine flächendeckenden, allgemein
verbindlichen Mindestregelungen herrschen, wie dies in
Deutschland oft der Fall ist und in Schweden und Dänemark die Regel ist, nach dem Laval-Urteil infrage steht,
inwieweit Unternehmen mit formalem Auslandssitz
überhaupt noch tariflich gebunden werden können und
Gewerkschaften diese Unternehmen durch Streiks dazu
bringen können, verbindliche Tariflöhne zu akzeptieren.
Wir fragen deshalb die Bundesregierung noch einmal,
ob sie die Befürchtung der Gewerkschaft teilt, dass
durch das Laval-Urteil das Territorialprinzip und die Autonomie der Gewerkschaften unmittelbar berührt werden
und - mit dem Hinweis auf die Grundfreiheiten - in die
Tarifautonomie eingegriffen wird.
Herr Kollege Ulrich, ich wiederhole meine Antwort:
Vor dem Hintergrund unserer Regelungen in Deutschland teile ich die Befürchtung nicht.
Eine Nachfrage des Kollegen Dehm.
Herr Staatssekretär, wenn das Streikrecht eingeschränkt wird, sind wir auf einer schiefen Ebene. Ich
glaube, darin sind wir uns einig. Teilen Sie denn die Auffassung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, dass
das Streikrecht völlig unabhängig von den Grundfreiheiten europaweit uneingeschränkt gelten muss?
Ich habe Ihnen vorhin dargelegt, dass sogar der Europäische Gewerkschaftsbund und die am Rechtsstreit beteiligte International Transport Workers Federation das
Urteil des Europäischen Gerichtshofs grundsätzlich begrüßen und dabei auf die Anerkennung des Streikrechts
als europäisches Grundrecht hingewiesen haben. Das
gilt im Prinzip für beide Urteile, wobei vor dem Hintergrund der Niederlassungsfreiheit die Verhältnismäßigkeit in der Ausübung ein Punkt gewesen ist, der zur
Überprüfung zurückverwiesen wurde.
Dann kommen wir zu Frage 42 des Abgeordneten
Dr. Diether Dehm:
Wird die Bundesregierung Initiativen ergreifen, damit
keine negativen Auswirkungen auf das Streikrecht in
Deutschland und den anderen Mitgliedstaaten der EU erfolgen, da durch das am 11. Dezember 2007 durch den EuGH in
der Rechtssache Viking gefällte Urteil, in dem festgestellt
wurde, dass kollektive Maßnahmen, die darauf abzielen, ein
ausländisches Unternehmen zum Abschluss eines Tarifvertrags mit einer Gewerkschaft zu veranlassen, der geeignet ist,
das Unternehmen davon abzubringen, von seiner Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen,
diese Freiheit beschränken, das Grundrecht auf Streik eingeschränkt wurde,
und sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf aufgrund der
vom Europäischen Gewerkschaftsbund vorgelegten Stellungnahme zu diesen Urteilen, in der der Europäische Gewerkschaftsbund kritisiert, dass durch diese beiden Urteile des
EuGH zu Viking und Vaxholm den Grundfreiheiten im Bereich der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit Vorrang vor dem Grundrecht auf Streik eingeräumt wird
und aufgrund dieser Tatsache eine Bedrohung für das Streikrecht und die Tarifautonomie in Europa bestehe, auch wenn zu
diesem Thema am 12. März 2008 auf Nachfrage der Fraktion
Die Linke im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union durch den Bundesminister für Arbeit und Soziales, Olaf Scholz, ausgeführt wurde, dass beide Fälle keine
unmittelbare Bedeutung für Deutschland hätten, gleichzeitig
aber aus den Urteilen festzustellen sei, dass als Grundsatz in
der Rechtsprechung des EuGH eine Einschränkung des
Grundrechts auf Streik zugunsten der Grundfreiheiten des
Binnenmarkts zulässig sei?
Bitte, Herr Thönnes.
Die Bundesregierung sieht im Hinblick auf die Urteile Viking und Laval im Moment keinen Handlungsbedarf. Die Urteile haben keine unmittelbare Auswirkung
auf Deutschland. Der EuGH hat in seinen Urteilen
Viking und Laval das Streikrecht explizit als europäisches Grundrecht anerkannt. In beiden Urteilen wurde
die soziale Dimension der Gemeinschaft betont und darauf hingewiesen, dass ein Ausgleich zwischen den
Grundrechten der Arbeitnehmer einerseits und den
Grundfreiheiten der Unternehmen andererseits gefunden
werden müsse.
Herr Dehm, eine Nachfrage.
Das Streikrecht ist nach Art. 137 Abs. 5 des Vertrags
über die Europäische Gemeinschaft ausdrücklich vom
europäischen Geltungsbereich ausgenommen. Können
Sie bestätigen, dass durch das Viking-Urteil die Zuständigkeit der finnischen Seeleutegewerkschaft für die Seeleute der Rosella nur so lange anerkannt wurde, bis
diese formal umgeflaggt, also verlagert wurde, und bedeutet eine solche Interpretation durch den EuGH nicht,
dass in Zukunft zum Beispiel auch hier in Deutschland
- das haben Sie ja gerade bestritten - die Gefahr besteht,
dass sich deutsche Unternehmen, die ihre Firma formal
in eine britische Limited umwandeln, obwohl sie weiterhin hier in Deutschland unternehmerisch tätig sind, auf
dieses Viking-Urteil berufen können?
Bei einem strittigen Fall, der dem von Ihnen beschriebenen vergleichbar ist, werden künftig die nationalen
Gerichte bei den Arbeitskampfmaßnahmen im Einzelfall
prüfen müssen, wie weit die Vereinbarkeit mit den europäischen Grundfreiheiten gegeben ist. Wir brauchen sicherlich nicht die grundsätzliche Befürchtung zu haben,
dass hier das Streikrecht als europäisches Grundrecht
eingeschränkt wird. Gleichwohl bleibt an dieser Stelle
jeder Einzelfall im Hinblick auf die Formen der Auseinandersetzung und der jeweiligen Vorgehensweise der
beteiligten Unternehmen differenziert zu bewerten.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Das, was die Gewerkschaft in ihrer demokratischen
Arbeit einschränkt, sind die Warenverkehrsfreiheit, die
Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit,
die Dienstleistungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit. Aus diesem Grunde frage ich Sie, wie die Bundesregierung das Verhältnis des Rechts auf Kollektivmaßnahmen durch Gewerkschaften auf der einen Seite und
die EG-Grundfreiheiten auf der anderen Seite sieht und
in welchem Zusammenhang sie nach ihrer Ansicht zueinander stehen, insbesondere, ob Arbeitskämpfe, die
nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaates zulässig sind, nach Ansicht der Bundesregierung in Einzelfällen auch gegen EU-Recht verstoßen können, wie dies in
der jüngsten Rechtsprechung des EuGH in den beiden
genannten Fällen zum Ausdruck kommt. Ergibt sich daraus nicht eindeutig die Notwendigkeit, zur Rettung des
ungehinderten Rechts auf Streik sofort zu handeln?
Unsere schriftliche und mündliche Position in dem
Viking-Verfahren, auf das Sie explizit abheben, war, das
Verhalten der Gewerkschaften als grundsätzlich gemeinschaftsrechtskonform zu verteidigen. Die Bundesregierung hat die Auffassung vertreten, dass Gewerkschaften
als private Rechtssubjekte im Gegensatz zu den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar an die Grundfreiheiten des
EG-Vertrages gebunden sind. Selbst wenn man sie gegebenenfalls daran gebunden sieht, unterliegen sie nur einem Diskriminierungsverbot, nicht aber, wie die Mitgliedstaaten, einem umfassenden Beschränkungsverbot.
Von daher waren die Streiks keine diskriminierende
Maßnahme. Hier sind die Absichten der Viking Line mit
der Niederlassungsfreiheit abzuwägen. Am Ende bleibt
vor den nationalen Gerichten jeweils zu klären, ob die
Maßnahmen der Gewerkschaft verhältnismäßig gewesen
sind.
Zu einer weiteren Nachfrage hat nun der Kollege
Alexander Ulrich das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Thönnes, aufgrund Ihrer Ausführungen frage ich konkret nach: Aus
rechtlicher Sicht handelt es sich bei der Ausflaggung im
Viking-Fall um eine Situation, die mit Produktionsverlagerungen innerhalb der EG vergleichbar ist. Besteht
nicht die Gefahr, dass mit dem Akzeptieren des VikingUrteils - Sie akzeptieren es ja - die Tür geöffnet wird,
um alle Arbeitskämpfe, die gegen transnationale Produktionsverlagerungen gerichtet sind, als Eingriff in die
Grundfreiheiten des Binnenmarkts und dadurch als Verstoß gegen das EU-Recht einzustufen? Ich halte das insbesondere vor dem Hintergrund von Standortverlagerungen und Massenentlassungen in Europa für besonders
problematisch, da es Gewerkschaften und Beschäftigten
die Mittel nimmt, sich gegen diese Maßnahmen adäquat
zur Wehr zu setzen.
Bitte, Herr Staatssekretär.
Herr Ulrich, Sie sprechen wiederum den Fall der Viking Line an. Dabei müssen wir, wenn wir das Urteil des
EuGH betrachten, zur Kenntnis nehmen, dass der EuGH
die Regelungen zu den Grundfreiheiten des EG-Vertrages auch im Verhältnis zwischen Privaten, hier zwischen
Gewerkschaften und Unternehmen, anwendet. Demnach
müssen auch Arbeitskampfmaßnahmen mit grenzüberschreitenden Bezügen, zum Beispiel Arbeitskampfmaßnahmen, um, wie in diesem Fall, Standortverlagerungen
zu verhindern, am Maßstab des Europarechts gemessen
werden. Das bedeutet konkret, dass solche Maßnahmen
am gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen sind und somit eine Abwägung zwischen
den Grundrechten - hier: Streikrecht der Gewerkschaften - und den Grundfreiheiten des Vertrages - dort: Niederlassungsfreiheit des Unternehmens - vorzunehmen
ist.
In diesem Zusammenhang - ich unterstreiche das
noch einmal - hat der EuGH ausdrücklich das Recht der
Gewerkschaften auf Arbeitskampfmaßnahmen, insbesondere Streiks durchzuführen, als ein europäisches
Grundrecht anerkannt. Weiterhin weist der EuGH aber
auf das Spannungsverhältnis zwischen den im Vertrag
garantierten wirtschaftlichen Freiheiten und der sozialen
Dimension der Gemeinschaft hin. Im vorliegenden Fall
und auch in künftigen Verfahren müssen nun die nationalen Gerichte entscheiden, ob die jeweilige Arbeitskampfmaßnahme tatsächlich dem Schutz der Arbeitnehmer - Sicherung der Arbeitsplätze, Sicherung der
Arbeitsbedingungen - dient und ob dieses Ziel gegebenenfalls auch mit anderen Mitteln, die das Unternehmen
weniger belasten, erreicht werden kann. Das ist also eine
von den nationalen Gerichten zu klärende Entscheidung,
ohne dass das Grundrecht auf Streikfreiheit eingeschränkt wird.
Wir kommen zur Frage 43 des Kollegen Dr. Dieter
Dehm:
Wird die Bundesregierung aufgrund des Falles Rüffert und
der beiden Urteile zu Vaxholm und Viking Initiativen ergreifen, um in den Europäischen Verträgen zum Beispiel eine Ergänzung durch ein Zusatzprotokoll vorzunehmen, damit der
Widerspruch zwischen den Grundfreiheiten und den Grundrechten, der sich beispielsweise durch die Bindung öffentlicher
Ausschreibungen an soziale, einkommenspolitische - zum
Beispiel Tariftreue - oder diskriminierungsfreie Bedingungen
ergeben kann, verhindert wird, da mit den Urteilen zu Viking
und Vaxholm, aber auch aufgrund der Tatsache, dass durch die
vom Oberlandesgericht Celle an den EuGH im Fall Rüffert
überwiesene Frage: Stellt es eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nach dem EG-Vertrag
dar, wenn dem öffentlichen Auftraggeber durch ein Gesetz aufgegeben wird, Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen zu vergeben, die sich bei der Angebotsabgabe schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern bei der Ausführung
dieser Leistungen mindestens das am Ort der Ausführung tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu bezahlen? sich direkte
Auswirkungen auf die Möglichkeit der Mitgliedstaaten zur Sicherung solcher sozialen Regulierungen ergeben könnten, die
in Zukunft eindeutig durch den EU-Vertrag ausgeschlossen
sind?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Die Bundesregierung sieht im Hinblick auf die Urteile zu Viking und Laval im Moment keinen Handlungsbedarf. In der Rechtssache Rüffert geht es um et15802
was anderes als bei Viking und Laval. Das Land
Niedersachsen verpflichtet mit seinem Tariftreuegesetz
die öffentlichen Auftraggeber dazu, Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die ihren Arbeitnehmern bei
Ausführung der Leistung mindestens das tarifvertraglich
vorgesehene Entgelt bezahlen. Es geht um die Frage, ob
diese Regelung gegen die gemeinschaftsrechtliche
Dienstleistungsfreiheit und die Entsende-Richtlinie verstößt.
Die Entsende-Richtlinie sieht selbst gewisse Mindeststandards vor. Die Frage ist, ob man darüber hinaus ein
höheres Schutzniveau für die Arbeitnehmer fordern
kann, nämlich den regulären Tariflohn. Nach Auffassung
der Bundesregierung ist das so. Die Bundesregierung hat
sich in dem Verfahren dafür eingesetzt, die Schutzbestimmungen der Entsende-Richtlinie nur als Mindestgarantien zu sehen, die grundsätzlich einen verstärkten nationalen Schutz erlauben. Der Generalanwalt teilt unsere
Auffassung in seinen Schlussanträgen. Im Laval-Urteil
hat der EuGH eher eine restriktive Grundtendenz zur
Entsende-Richtlinie erkennen lassen. Ich denke aber, wir
müssen jetzt erst einmal das Urteil am 3. April zum Fall
Rüffert abwarten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu meiner ersten Frage
gesagt, dass jetzt nationale Gerichte am Zug sind. Im
Fall Rüffert hat ein nationales Gericht eine Anfrage an
den EuGH gerichtet. Darin wird suggeriert, dass die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit gefährdet
sind, wenn Mindestanforderungen in die Ausschreibungen aufgenommen werden, wie das in Berlin auf Druck
der Partei Die Linke geschieht.
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Europäischen Gewerkschaftsbundes, dass es in der Sache
Rüffert nicht zu einem Urteil des EuGH zugunsten der
Grundfreiheiten kommen kann, welches zu europaweiten
Einschränkungen im Hinblick auf Mindeststandards bei
den Löhnen führen würde, weil damit inländische Unternehmen diskriminiert würden, die nationale Regelungen
einhalten müssen, während konkurrierende Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten dank der vermeintlichen Unternehmensfreiheit nicht zu Mindestbedingungen gezwungen werden können?
Herr Dr. Dehm, Sie sprechen eine mögliche Entscheidung des EuGH an. Bitte sehen Sie mir nach, dass ich
Ihre Frage nicht beantworten kann. Ich habe darauf verwiesen, dass wir das Urteil abwarten sollten. Erst dann
kann eine Einschätzung erfolgen. Ich habe Ihnen gesagt,
dass wir die Meinung, die der Generalanwalt in seinen
Schlussanträgen äußert, im Kern teilen. Wenn das Urteil
und seine Begründung vorliegen, können wir dazu Position beziehen. Zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich
um eine hypothetische Frage. Sehen Sie mir nach, dass
ich dementsprechend jetzt keine andere Antwort geben
kann.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage? - Bitte.
Ich werde Ihre Vorfreude nicht trüben: Wir können
uns im April noch einmal über diese Frage unterhalten.
Aber wir sind als Opposition geradezu zu einer gewissen
präventiven Bösgläubigkeit verpflichtet: Sollte der
EuGH im Fall Rüffert, wenn auch nur in Teilbereichen,
wieder zugunsten der Grundfreiheiten entscheiden, bestünde die Gefahr, dass aus Mindestlöhnen, die eine Deckelung nach unten darstellen, plötzlich Lohnobergrenzen werden. Sieht die Bundesregierung hier die Gefahr,
dass im Falle eines Urteils in der Sache Rüffert zugunsten der Grundfreiheiten Mindestlöhne zukünftig eine
faktische Lohnobergrenze bei der öffentlichen Auftragsvergabe darstellen könnten? Besteht damit nicht die Gefahr, dass die Idee der Mindestlöhne dadurch geradezu
pervertiert würde?
Bei aller Böswilligkeit, die Sie gerade in der Einleitung Ihrer Frage für sich selbst reklamiert haben ({0})
- Entschuldigung, Bösgläubigkeit -: Sie haben wieder
eine hypothetische Frage gestellt. Nach unserer Auffassung werden mit der Entsende-Richtlinie gewisse Mindeststandards gesetzt, auf die auf nationaler Ebene ein
höheres Schutzniveau aufgesetzt werden kann. Ich habe
mich gerade für den regulären Tariflohn als Mindeststandard ausgesprochen; der Generalanwalt teilt diese Ansicht. Lassen Sie uns den 3. April abwarten. Wir werden
uns dann vielleicht bei der Behandlung dieses Fragenkomplexes wiedersehen.
Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Ulla Lötzer werden schriftlich beantwortet. Herzlichen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 46 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Wie wird die in das Jahr 2008 vorgezogene Auszahlung
von Abfindungen von Kleinrenten in der landwirtschaftlichen
Unfallversicherung finanziert, für die erst für 2009 Haushaltsmittel aus dem Bundeshaushalt vorgesehen waren?
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Frage der Kollegin Behm gibt mir die Gelegenheit,
auf den besonderen Erfolg der Reform der landwirtschaftlichen Unfallversicherung hinzuweisen. Zum 1. Januar 2008 wurde die Möglichkeit geschaffen, Kleinrenten herauszukaufen. Sie wurde von Anfang an sehr rege
in Anspruch genommen. Bis Anfang März 2008 hat es
bereits 34 000 Anträge gegeben. Durch das große Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften ist es gelungen,
dass diese Anträge mittlerweile größtenteils bearbeitet
worden sind. Über 32 000 Abfindungen wurden bewilligt und ausgezahlt. Die dafür aufgewendeten Mittel in
Höhe von 600 Millionen Euro sind gut angelegt; denn
damit werden die jährlich wiederkehrenden Rentenzahlungen bereits heute um 70 Millionen Euro verringert.
Das wird sich voraussichtlich schon in diesem Jahr positiv auf die Beiträge zur Berufsgenossenschaft auswirken.
Die konkreten Finanzierungsfragen mussten allein
von den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften in
enger Abstimmung mit der jeweiligen Aufsichtsbehörde
geklärt werden. Die Aufsichtsbehörden der Berufsgenossenschaften haben damit einen wichtigen Beitrag
dazu geleistet, dass wir die hohe Anzahl von Anträgen
zügig bearbeiten konnten. Klar ist nämlich: Je früher die
Abfindungen bewilligt und gezahlt werden können,
desto früher kann die laufende Rente entsprechend eingespart werden, sodass sich das bereits im laufenden
Jahr auswirkt.
Wir haben uns ebenfalls unserer Verantwortung gestellt und die für das gesamte Jahr 2008 vorgesehenen
zweckgebundenen Bundeszuschüsse in Höhe von
200 Millionen Euro bereits Ende Januar 2008 in einem
Rutsch ausgezahlt.
Soll ich Ihre zweite Frage auch gleich beantworten?
({0})
Ich rufe die Frage 47 der Kollegin Cornelia Behm
auf:
Wie wird die Bundesregierung damit umgehen, falls über
das vorgesehene Abfindungsvolumen von 650 Millionen Euro
hinaus Anträge auf Abfindung einer Kleinrente in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung gestellt werden?
Frau Behm, ich teile Ihnen mit, dass die Anträge nur
so lange bewilligt werden können, wie diese 650 Millionen Euro reichen. Ein derartiges Verfahren wird üblicherweise als Windhundverfahren bezeichnet. Sowohl
das BMELV als auch die Berufsgenossenschaften haben
immer wieder auf die Folgen aufmerksam gemacht, die
auftreten, wenn mit den Anträgen zu lange gewartet
wird. Momentan sind noch Mittel verfügbar. Es wird jedoch davon auszugehen sein, dass die Abfindungsaktion
in wenigen Wochen beendet sein wird.
Ich möchte daran erinnern - Frau Kollegin Behm, wir
hatten es das eine oder andere Mal im Ausschuss besprochen -, dass oft, auch vonseiten der Opposition, gesagt
wurde: Niemals wird diese Abfindungsaktion ein so starkes Interesse finden. Es ist viel zu viel Geld bereitgestellt worden. - Die heutigen Zahlen geben uns recht.
Wir haben mit der Reform der landwirtschaftlichen
Sozialversicherung richtig gehandelt.
Sie haben jetzt die Möglichkeit, insgesamt vier Nachfragen zu stellen. Bitte.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Fragen. So viele Nachfragen habe ich gar nicht, weil Sie zum
Teil schon auf das eingegangen sind, was mich noch interessiert. In der Tat haben die Beteiligten nicht damit
gerechnet, dass die Aktion in dem Maße angenommen
würde. Umso besser ist es - auch in unser aller Interesse.
Meine erste Frage bezieht sich auf das sogenannte
Windhundprinzip. Der 1. Januar 2008 war der Stichtag,
an dem diese Regelung wirksam wurde. Wie ist mit Anträgen umgegangen worden, die vor dem 1. Januar 2008
gestellt worden sind? Gab es einen Stichtag, ab dem Anträge gestellt werden konnten? Wenn eine Regelung erst
zum 1. Januar greift, denken viele Menschen vielleicht,
dass sie erst ab dem 1. Januar Anträge stellen können.
Die zweite Frage. Wahrscheinlich liegen so viele Anträge vor, dass die für diese einmalige - so ist es geplant - Abfindungsaktion eingestellten Mittel nicht ausreichen. Denkt das Ministerium über eine Neuauflage
dieser Aktion nach?
Wir denken momentan nicht über eine Neuauflage
nach. Zum jetzigen Zeitpunkt liegen, wie ich eingangs
gesagt habe, 34 000 Anträge vor; 32 000 Anträge sind
bereits bewilligt worden. Es steht auch noch Geld zur
Verfügung, sodass durchaus noch Anträge gestellt werden können. Wir werden die weitere Entwicklung sehr
genau beobachten.
Was den Stichtag angeht, werde ich mich natürlich
gern noch einmal erkundigen. Aber in der Regel ist es
so, dass ein Stichtag ein Stichtag ist. Für die Antragstellung ist der 1. Januar maßgeblich. Es besteht aber, wie
gesagt, noch die Möglichkeit, Anträge zu stellen.
Haben Sie noch eine weitere Nachfrage? - Bitte.
Es wäre sehr schön, wenn Sie da noch einmal nachlegen und mich darüber informieren könnten, wie vorher
gestellte Anträge behandelt werden.
Diese Information werden Sie zügig erhalten.
({0})
Dann kommen wir zur Frage 48 des Kollegen Helmut
Lamp:
Wie beurteilt die Bundesregierung folgende Aussage des
Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz, BMELV, unter Vorsitz von Professor
Dr. Folkhard Isermeyer: Wenn Deutschland ein Drittel seiner
Agrarfläche komplett für die Bioenergieerzeugung umwidmen
würde, so ließen sich damit beim gegenwärtigen BioenergieMix bestenfalls 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr einsparen
angesichts der von der Bundesregierung - Bundesministerium
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit/Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik - veröffentlichten
Zahlen, nach denen bereits 2006 bei einem Anteil der agrarisch für die Bioenergie genutzten Fläche von circa 10 Prozent
in Deutschland 45,2 Millionen Tonnen CO2 eingespart wurden?
Zur Frage des Kollegen Lamp möchte ich zunächst
grundsätzlich anmerken, dass es sich hier um unterschiedliche Berechnungsmethoden handelt. Der Wissenschaftliche Beirat Agrarpolitik hat sich bei seiner Kalkulation des Bioenergiepotenzials auf die Agrarfläche und
auf die darauf erzeugte Biomasse bezogen. Dabei
kommt der Beirat zu der Erkenntnis, dass sich bei der
Umwidmung von einem Drittel der Ackerfläche Deutschlands zur Bioenergieerzeugung beim gegenwärtigen Bioenergiemix und bei den derzeit verwendeten Technologien pro Jahr rund 20 Millionen Tonnen CO2 einsparen
ließen. Kollege Lamp, das ist die Zahl, über die wir
meistens diskutieren. Sie wissen, dass Sie die konkrete
Herleitung im Kapitel 4 des Gutachtens finden.
In den Berechnungen des Beirats ist nur die auf diesen Flächen - nicht auf Forstflächen - erzeugte Biomasse berücksichtigt. Es wird ferner nur Biomasse einbezogen, die gezielt zur energetischen Verwertung
angebaut wird. So werden Biomasseabfälle sowie Reststoffe aus der Landwirtschaft und aus der Ernährungsindustrie sowie weitere Biomassesorten nicht berücksichtigt.
Die von der Bundesregierung für das Jahr 2006 genannte Menge an vermiedenen CO2-Emissionen in Höhe
von 45,2 Millionen Tonnen geht dagegen auf eine Berechnung der Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik der Bundesregierung zurück. Diese Angabe bezieht sich auf die gesamte Nutzung von Biomasse in
Deutschland, einschließlich der Nutzung von Holz, Abfall- und Reststoffen biogener Herkunft, Deponie- und
Klärgas sowie anderer biogener Stoffe, die nicht in der
Berechnung des Beirats berücksichtigt worden sind.
Ferner betrachtet die Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik im Jahr 2006 nicht die Prozesskette der
Biomassenutzung, sondern nur die direkte Reduktion
von CO2-Emissionen durch die Substitution von konventionellen Energieträgern. Während die durch die energetische Biomassenutzung induzierte Treibhausgasemission im Bereich der Strom- und Wärmegewinnung aus
Biomasse, die in Deutschland angebaut wurde, in der
Regel sehr gering ist, kann sie bei importierter Biomasse
und im Bereich der Biotreibstoffe eine relevante Größe
darstellen.
Wie gesagt, es sind hier von der Arbeitsgruppe Erneuerbare-Energien-Statistik und von dem Wissenschaftlichen Beirat unterschiedliche Berechnungsgrundlagen gewählt worden.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. - Selbst wenn
man die Agrarflächen nimmt, mit denen die Arbeitsgemeinschaft gerechnet hat, besteht immer noch ein himmelweiter Unterschied, der nicht allein durch Berechnungsmethoden - wenn diese denn auf realistischer
Grundlage basieren - zu erklären ist. Nach Angaben der
Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare-Energien-Statistik
haben wir im Jahr 2006 auf 10 Prozent der Fläche und
unter Einbeziehung von Biogas und biogenen Treibstoffen um die 16 Millionen Tonnen CO2 einsparen können,
während Professor Isermeyer mit seinem Wissenschaftlichen Beirat davon ausgeht, dass etwa 30 Prozent der
Fläche nötig wären, um diese Menge einzusparen. Hier
gibt es also gravierende Unterschiede, die so nicht erklärbar sind.
Sie haben hierzu schon eine Erklärung abgegeben.
Diese wird man überprüfen müssen. Sie brauchen das
nicht zu wiederholen. Ich frage mich nur: Kommunizieren die Wissenschaftler, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten, die Bundesregierung aber zum gleichen
Thema beraten, nicht miteinander? Gleichen sie ihre Ergebnisse nicht ab? Gleichen sie ihre Untersuchungsmethoden nicht an? Ist dies geschehen? Haben Professor
Isermeyer und sein wissenschaftlicher Agrarbeirat den
Kontakt zu dieser Arbeitsgruppe gesucht, um sich mit
ihr abzustimmen? Wenn dies nicht geschehen ist, frage
ich, ob Sie dies für die Zukunft als sinnvoll ansehen würden.
Um auf den ersten Teil Ihrer Frage einzugehen, weise
ich noch einmal darauf hin, dass es in der Tat unterschiedliche Berechnungsmethoden sind. Der Wissenschaftliche Beirat hat die gesamte Prozesskette in Augenschein genommen und ist so zu anderen Werten und
Daten gekommen.
Wenn Sie sich die Literaturliste bzw. die Zitierliste im
wissenschaftlichen Gutachten anschauen, so werden Sie
erkennen, dass diese sehr ausführlich ist, was zeigt, dass
schon eine gewisse Kommunikation der Wissenschaftler
untereinander stattgefunden hat. Ich nehme Ihre Anregung sehr gerne auf, was die unterschiedlichen Berechnungen und die Verbesserung der Kommunikation zwischen den beiden Einrichtungen angeht. Aber Sie
wissen: Es hilft uns auch in der Politik, wenn unterschiedliche Berechnungsmethoden angewendet werden.
Wir lassen sie in unsere politischen Ergebnisse einfließen.
Sie können noch eine Frage stellen. - Gut, Sie verzichten.
Dann kommen wir zur Frage 49 des Kollegen Helmut
Lamp:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Wissenschaftlichen Beirates für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
unter Vorsitz von Professor Dr. Folkhard Isermeyer, dargelegt
im Bericht Nutzung von Biomasse zur Energiegewinnung Empfehlungen an die Politik, November 2007, dass die
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe in ihrer gegenwärtigen Struktur nicht optimal für die Politikberatung aufgestellt
sei und dass die Einbettung des Deutschen Biomasse-Forschungszentrums in die deutsche Forschungslandschaft ein
Schritt in die falsche Richtung sei?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ich antworte auf Ihre Frage wie folgt: Es ist, glaube
ich, sonnenklar, dass wir diese Kritik überhaupt nicht
teilen. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe ist
eine Einrichtung unseres Hauses, also des BMELV. Die
Förderaktivitäten, bei denen das BMELV von seinem
Projektträger Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe
unterstützt wird, richten sich an unserem Programm zur
Förderung von Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsvorhaben im Bereich nachwachsender Rohstoffe aus. Ziele unseres Förderprogramms sind, einen
Beitrag für eine nachhaltige Rohstoff- und Energiebereitstellung zu leisten, die Umwelt durch Ressourcenschutz, besonders umweltverträgliche Produkte und
CO2-Emissionsverminderungen zu entlasten sowie die
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Land- und Forstwirtschaft und der vor- und nachgelagerten Bereiche zu
stärken. Die Fachagentur stimmt ihre Aktivitäten sehr
eng mit dem BMELV ab und unterliegt unserer Rechtsund Fachaufsicht. Das gilt im Übrigen auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Fachagentur Nachwachsende
Rohstoffe. Ich verweise in diesem Zusammenhang noch
einmal gerne auf unseren Bioenergiewettbewerb, den
wir zurzeit über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe durchführen.
Wir streben darüber hinaus den nachhaltigen Ausbau
der energetischen Nutzung von Biomasse zu einer wesentlichen Säule für unsere zukünftige Energieversorgung an. In diesem Zusammenhang ist es Auftrag des
Deutschen Biomasse-Forschungszentrums in Leipzig,
die effiziente Integration von Biomasse als einer wertvollen Ressource für eine nachhaltige Energiebereitstellung voranzutreiben und wissenschaftlich im Rahmen
einer angewandten Forschung zu unterstützen.
Schönen Dank, Frau Staatssekretärin. - Wie gehen
Sie jetzt mit der Kritik, die von engen Beratern der Bundesregierung gegenüber der Politik der Bundesregierung
geübt wird, um? Wie werden Sie sich mit den Kritikern
Ihrer Politik, die Ihre Berater sind, auseinandersetzen?
Wir haben zu einem Workshop eingeladen - auch Sie
haben, glaube ich, eine Einladung dazu erhalten -, der
am 24. April dieses Jahres stattfinden wird. Auf diesem
Workshop werden wir die von Ihnen angesprochenen
Fragen diskutieren; denn auch uns ist das natürlich sehr
bewusst, und wir handeln entsprechend.
Haben Sie noch eine Nachfrage? - Bitte.
Frau Staatssekretärin, ist es richtig, dass die Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig,
an der Professor Isermeyer tätig ist, sich als Standort für
das jetzt so massiv kritisierte Biomasse-Forschungszentrum bemüht hat?
Lassen Sie es mich relativ kurz fassen: Professor
Isermeyer ist Institutsdirektor in Braunschweig. Wir haben im Koalitionsvertrag im Jahr 2005 vereinbart, dass
das Biomasse-Forschungszentrum in den neuen Ländern
eingerichtet werden soll. Ein Bemühen von Professor
Isermeyer, das Forschungszentrum nach Braunschweig
zu holen, hätte also in klarem Widerspruch zum Koalitionsvertrag gestanden.
({0})
Weitere Fragen sind leider nicht möglich.
Die Frage 50 der Kollegin Ulrike Höfken und die
Frage 51 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann werden
schriftlich beantwortet. Damit herzlichen Dank, Frau
Staatssekretärin.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt zur Verfügung.
Die Fragen 52 und 53 des Kollegen Alexander Bonde
werden schriftlich beantwortet.
Frau Präsidentin, habe ich das gerade richtig verstanden, dass die Frage 52 des Kollegen Bonde, in der er
Auskunft darüber erbittet, in welchem Zeitraum das
Bundesministerium der Verteidigung Besuchergruppen
zu McDonalds geschickt hat, schriftlich beantwortet
werden soll?
Das haben Sie richtig verstanden. Die Frage 52 wie
auch die Frage 53 des Kollegen Bonde sollen schriftlich
beantwortet werden.
Ich hatte eine ökotrophologische Stellungnahme vorbereitet. Auf Grundlage der Expertise der Bundeswehr,
die sich im kulinarischen Bereich vor allem auf die Zubereitung von Erbsensuppe und Gulaschsuppe bezieht,
wollte ich dem Kollegen Bonde einen Informationsgewinn ermöglichen. Ich werde dies nun schriftlich tun.
Ich sehe natürlich, dass es hier im Saal ein großes Interesse an der Beantwortung dieser Frage gibt. Ich verweise somit auf das Plenarprotokoll.
Ich rufe nun die Frage 54 des Kollegen Schäfer auf:
Bei welchen Einheiten der afghanischen Armee sind derzeit militärische Ausbilder bzw. Operation Monitoring and
Liaison Teams, OMLT, des deutschen ISAF-Kontingents aktiv, und wie stellt die Bundeswehr dort sicher, dass im Fall eines Einsatzes des afghanischen Kontingents keine Minderjährigen eingesetzt werden?
Sehr geehrter Herr Kollege Schäfer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die als Operation Monitoring and
Liaison Teams bezeichneten Kräfte werden durch die
Bundeswehr derzeit wie folgt bei der afghanischen Armee ANA eingesetzt: je ein Team beim Stab des
209. ANA-Korps, beim Stab der 1. Brigade des
209. ANA-Korps, bei deren 1. Kandak, vergleichbar mit
einem Bataillon, sowie beim Grundausbildungs-Kandak.
Alle bisher genannten Einheiten befinden sich in Masari-Scharif. Ein Team befindet sich beim 2. Kandak der
ersten Brigade in Kunduz.
Die Aufstellung der afghanischen Streitkräfte, deren
organisatorische und personelle Struktur, die Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens und der Einsatz der afghanischen Streitkräfte liegen in der Verantwortung der
afghanischen Behörden. Nach Kenntnis des Bundesministeriums der Verteidigung beruft Afghanistan ausschließlich Volljährige ein. Zweifel und eine sich daraus
ergebende Notwendigkeit der Überprüfung der Einhaltung der eigenen Gesetze bestanden zu keinem Zeitpunkt.
Ungeachtet dessen wird das Bundesministerium der
Verteidigung das Führungspersonal der Einsatzkontingente im Rahmen der einsatzvorbereitenden Kontingentführerausbildung hierfür sensibilisieren.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Lieber Herr Staatssekretär, habe ich es richtig verstanden, dass Sie bei der
Vorbereitung und Durchführung der Ausbildungsunterstützung für die afghanischen Streitkräfte jetzt darangehen, die Angehörigen der Bundeswehr zu sensibilisieren?
Herr Kollege, diese Sensibilisierung gab es von Anfang an. Seit Beginn der Ausbildung gab es die Befürchtung, dass die Regelungen, die der afghanische Staat für
seine Armee zugrunde gelegt hat, nicht beachtet würden.
Es haben sich aber keine Anzeichen ergeben, dass diese
Befürchtungen zutreffen.
Nach der uns vorliegenden Übersetzung des afghanischen Rekrutierungsgesetzes ist ein Mindestalter von
18 Jahren vorgesehen. Ein freiwilliger Dienst Minderjähriger mit einem Mindestalter von 16 Jahren ist gemäß
des Fakultativprotokolls der Vereinten Nationen nur unter folgenden Auflagen möglich: Der Eintritt muss tatsächlich freiwillig sein und darf nur mit Zustimmung der
Eltern bzw. des Vormundes erfolgen. Es muss eine umfassende Aufklärung der minderjährigen Person über die
sich aus einem Beitritt ergebenden Pflichten geben. Außerdem ist ein Altersnachweis durch die Freiwilligen
beizubringen. Der Einsatz Minderjähriger ist bei Feindseligkeiten immer unzulässig.
Die Sensibilisierung bezieht sich anhand der vorliegenden Unterlagen darauf, dass die afghanische Seite
darauf hingewiesen wird, dass wir auf der Einhaltung
der Regelungen des Fakultativprotokolls bestehen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage. - Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. - Ich muss einen
Hinweis von vorhin wiederholen: Wie erklärt es sich
denn, dass es auf der Homepage der Bundeswehr - sie
ist von Ihnen zu vertreten - einen Bericht über eine Ausbildungsunterstützung gibt, in dem steht, dass Angehörige der Bundeswehr an der Ausbildung beteiligt sind?
Darin wird auch dargestellt, der jüngste Auszubildende
sei gerade 16 Jahre alt, was in gewisser Weise unter bestimmten Voraussetzungen - Sie haben sie gerade genannt - geht. Es ist aber nicht möglich, dass sie in bewaffneten Konflikten eingesetzt werden. Dazu findet
sich der Hinweis: Demnächst werden sie in die Einsätze
gehen. - Wie interpretieren Sie das, was auf der Homepage der Bundeswehr steht, und in welcher Weise ist das
mit den Pflichten der Bundesrepublik Deutschland, die
sich aus dem Fakultativprotokoll ergeben, vereinbar?
Herr Kollege, darf ich kurz um Aufklärung des Präsidiums bitten? Soweit mir bekannt ist, hatten Sie diese
Frage bereits beim Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes gestellt. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, in der
Fragestunde eine Frage von mehreren Ressorts beantworten zu lassen. Insofern beziehe ich mich vollinhaltlich auf die Aussage und Antwort, die Ihnen gegeben
worden ist.
Danke, Herr Staatssekretär.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische
Staatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 55 des Kollegen Volker Beck
({0}) auf:
Inwiefern trägt ein Träger oder Seminaranbieter ({1}) den Vorgaben der
Richtlinien des Kinder- und Jugendplanes Rechnung, Mädchen und Jungen darin [zu] unterstützen, ihre Identität zu entwickeln, ihr Selbstbewusstsein [zu] stärken und sie zu befähigen, ihr Leben eigenständig zu planen und selbstbestimmt
ihre Interessen zu verfolgen, Mädchen und junge Frauen sowie Jungen und junge Männer für einen partnerschaftlichen
Umgang [zu] sensibilisieren, ihnen die Auseinandersetzung
mit ihrer eigenen Rolle [zu] ermöglichen und sie dazu [zu] befähigen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, wenn er als Folgen
des sexuellen Missbrauches homosexuelle Neigungen definiert ({2}), Homosexualität generell für veränderbar, therapierbar oder heilbar hält ({3}) vor dem Hintergrund der korrekten wissenschaftlich begründeten Feststellung der Bundesregierung: Die
Bundesregierung vertritt weder die Auffassung, dass Homosexualität einer Therapie bedarf noch dass Homosexualität einer Therapie zugänglich ist ({4}),
und war die Bundesregierung inzwischen in der Lage, die
Website des Vereins wuestenstrom e. V. und andere Quellen
einzusehen, die von den Konversionstherapien für Homosexuelle berichten ({5})?
Ich beantworte Ihre Frage folgendermaßen: In den
letzten Wochen haben wir vielfach zahlreiche Fragen im
Zusammenhang mit Christival schriftlich und auch
mündlich ausführlich beantwortet. Zu der jetzt gestellten
Frage will ich auf die Antworten auf die mündlichen
Fragen 32 und 33 in der Fragestunde am 13. Februar
2008 hinweisen, in denen dargelegt worden ist, dass der
Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in der
Bundesrepublik Deutschland, AEJ, für die Durchführung des Christival 2008, des Kongresses junger Christen vom 30. April bis 4. Mai 2008 in Bremen, ein Zuschuss in Höhe von bis zu 250 000 Euro aus Mitteln des
KJP, also des Kinder- und Jugendplanes, in Aussicht gestellt worden ist.
({0})
- Da Sie immer ähnliche Fragen stellen, werde ich zunächst einmal verdeutlichen, in welchem Zusammenhang das erörtert werden muss. Im Falle der Gewährung
von Fördermitteln wird die Arbeitsgemeinschaft der
Evangelischen Jugend in Deutschland, die als zuständige
Zentralstelle mit einer gewissen Verantwortung ausgestattet ist, diese Mittel an den Ausrichter von Christival
2008, an Christival e. V., weiterleiten. Das ist Anfang
März 2008 in der Antwort auf die mündliche Frage 39
bereits deutlich gemacht worden.
Zum Christival 2008. Herr Kollege Beck, Sie wissen,
dass das ein konfessionsübergreifender Kongress junger
Christen ist, der in Bremen stattfindet.
({1})
Es ist die vierte Veranstaltung dieser Art seit 1976. Der
Kongress hat das Ziel, junge Christen zu motivieren und
zu befähigen, ihre christliche Verantwortung gegenüber
der Gesellschaft wahrzunehmen. Er soll insbesondere zu
ehrenamtlicher Arbeit in Gemeinden, Kirchen und anderen Bereichen der Gesellschaft ermutigen. Insofern entspricht die Förderung von Christival 2008 den Zielsetzungen des Kinder- und Jugendplans. Das Christival
2008 ist ein Impulsgeber für die christliche Kinder- und
Jugendarbeit der kommenden Jahre. Die Erfahrungen
aus vergangenen Christivals haben gezeigt, dass diese
Kongresse weitreichende Impulse für die Nachhaltigkeit
von Jugendarbeit in Verbänden und Gemeinden geben.
Das wird nach wie vor auch vom Christival 2008 erwartet.
Nach den Richtlinien des KJP für Sonder- und Großveranstaltungen wird das Christival 2008 als Einzelmaßnahme und somit als Ganzes bezuschusst. Innerhalb dieser Einzelmaßnahme gibt es keine gesonderte Förderung
von bestimmten Vereinen bzw. Veranstaltungsteilen. Im
Zuwendungsrecht ist das im Allgemeinen so üblich.
Mehrfach, zuletzt in der Antwort auf die mündliche
Frage 40 in der Fragestunde vom 5. März 2008, ist ausgeführt worden, dass es nach dem Verständnis, das die
Bundesregierung vom Verhältnis zwischen Staat und
freien Trägern sowie kirchlichen Gruppierungen hat,
nicht Aufgabe des Staates ist, die Angebote und Webseiten auf weltanschauliche Auffassungen und wissenschaftliche Qualität des Therapieverständnisses hin zu
bewerten. Allgemein kann aber gesagt werden: Wenn
sogenannte Konversionstherapien durch Organisationen
und Gruppierungen angeboten und beworben werden, so
können unterschiedliche, meist religiöse oder weltanschauliche Motive, die sich einem empirisch-wissenschaftlichen Ansatz entziehen, eine Rolle spielen. Diese,
vor allem in den 60er- und 70er-Jahren häufig angebotenen Therapien, die auf eine Änderung von gleichgeschlechtlichem Sexualverhalten oder der homosexuellen
Orientierung abzielten, werden auf der Grundlage der
Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in der
Fachwelt heute weitgehend abgelehnt. Zu den auf der
genannten Webseite und in anderen Quellen vertretenen
Positionen zu Konversionstherapien ist zu sagen: Sie widersprechen der von der überwiegenden Mehrheit der
Wissenschaftler vertretenen Position. Im Übrigen verweise ich zum Thema Konversionstherapien auf die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 der Kleinen Anfrage der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Beck, weil Sie zwischendurch versucht
haben, mich zu unterbrechen, will ich ausdrücklich sagen: Die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend
in Deutschland, über die diese Großveranstaltung abgewickelt wird, ist für uns ein absolut verlässlicher Veranstalter. Sie müssen sich damit abfinden - das sage ich
ganz ausdrücklich -, dass es zum Thema Homosexualität und dazu, wie man damit umgeht, in Deutschland
auch andere Auffassungen gibt als die, die Sie vertreten.
Ich glaube - da schließe ich mich dem CVJM an -, dass
andere Auffassungen respektiert und toleriert werden
sollten.
Nach unserem Verständnis ist es die Aufgabe eines
weltanschaulich neutralen Staates, Großveranstaltungen
zu fördern, wenn sie sich im Rahmen des Grundgesetzes
bewegen und den Zielsetzungen folgen, die ich eben beschrieben habe. Es kann nicht Aufgabe des Staates sein,
zu überprüfen, welche Auffassung Veranstalter, die im
Rahmen einer Großveranstaltung auftreten, im Einzelnen haben. Hier gibt es so etwas wie Meinungs-, Religions- und Überzeugungsfreiheit. Ich glaube, das muss
man respektieren.
({2})
Zuallererst weise ich die Kolleginnen und Kollegen,
welche sich zu Zusatzfragen gemeldet haben, darauf hin,
dass wir die Zeit für die Fragestunde schon ausgeschöpft
haben. Gleichwohl, da die Frage 55 des Kollegen Beck
aufgerufen ist, gebe ich die Möglichkeit zu zwei kurzen
Zusatzfragen. Ich bitte aber sowohl den Fragesteller als
auch den Vertreter der Bundesregierung, zu versuchen,
sich kurzzufassen. Ich ahne, dass wir uns auch in der
nächsten Sitzungswoche mit diesem Thema beschäftigen
werden. - Bitte, Herr Kollege Beck.
Ich muss sagen: Hier Altbekanntes und Allgemeinplätze zu wiederholen, die Frage selbst aber nicht zu
beantworten, ist eine Missachtung der Rechte des Parlaments. Es kann nicht sein, dass man den Kolleginnen
und Kollegen aus anderen Fraktionen nicht die Gelegenheit gibt, darauf zu reagieren.
({0})
Ich habe - wenn Sie dem Link in der Frage nachgegangen wären, wüssten Sie das - danach gefragt, ob der
Träger des Seminars 650 Tabuthema: Jungen als Opfer
sexuellen Missbrauchs von Stefan Schmidt, Marbach,
Wüstenstrom e. V., in den Augen der Bundesregierung
ein angemessener Träger ist, um potenzielle Missbrauchsopfer, die in ein solches Seminar kommen, zu
betreuen. Ich habe die Frage angesichts der Tatsache gestellt, dass dieser Träger - weiterer Link in der Frage,
dem Sie hätten nachgehen können; ich habe Ihnen das
gestern auch noch einmal ins Büro gefaxt - die Ansicht
vertritt, dass Opfer sexuellen Missbrauchs unter anderem homosexuell werden und das sozusagen einer der
Schäden ist, die man bei der Therapierung des Missbrauchsopfers beseitigen kann. Meinen Sie wirklich,
dass Sie als Bundesjugendministerium verantwortlich
handeln, wenn Sie es in Kauf nehmen, dass - durch die
Bundesregierung gefördert; hier geht es nicht ums Christival und auch nicht um die AEJ, sondern um dieses Seminar - Missbrauchsopfer, die traumatisiert sind, unter
Umständen einer Therapie ausgesetzt werden, die sie erneut traumatisiert, weil man ihnen sagt: Wenn du homosexuell bist, ist das ein Schaden; den therapieren wir
dir hier jetzt einmal zügig weg, damit du entsprechend
unserer Ideologie von dem Defizit Homosexualität befreit bist? Glauben Sie nicht, gerade als Jugendministerium und im Sinne des Jugendplans, eine andere Aufgabe zu haben?
({1})
Herr Kollege Beck, erstens möchte ich Ihnen ausdrücklich sagen: Wenn Sie im Verlaufe von Fragestunden
- ich glaube, es ist das dritte oder vierte Mal, dass wir uns
ausgiebig mit diesem Thema befassen - versuchen, dieses zugegebenermaßen komplexe Thema zu erörtern
- Sie haben immer wieder neue Ansätze gesucht -, müssten Sie auch einmal darüber nachdenken, ob dies das geeignete Verfahren ist, sich damit auseinanderzusetzen.
Zweitens. Ich bleibe ausdrücklich dabei, dass ich es
nicht als Aufgabe des Jugendministeriums ansehe, wenn
absolut seriöse Veranstalter - ich nenne sie noch einmal:
die Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend und
das Christival e. V. - eine Großveranstaltung durchführen
({0})
- darum geht es schon - und dabei verschiedene Kleinangebote zulassen - das ist jetzt nicht zufällig entstanden, sondern wird sehr bewusst entschieden -, im Einzelnen zu analysieren, welche Aspekte dort wie auch
immer vertreten werden. Das ist meine Auffassung. So
verstehe jedenfalls ich die Aufgabe des weltanschaulich
neutralen Staates, der unterschiedliche Meinungen zu respektieren hat, auch zu dem Thema, das Sie jetzt bewegt;
ich bin ja grundsätzlich gar nicht völlig anderer Meinung.
Sie haben die Möglichkeit, noch eine Frage zu formulieren.
Wir haben die Bundesregierung gebeten, ihre Auffassung zu den Angeboten dieses Vereins, die wir Ihnen
übermittelt haben, hier dem Plenum zur Kenntnis zu geben. Entspricht das Angebot von Wüstenstrom, wie es
auf der Webseite, die in der Frage zitiert wird, dargestellt
wird, dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand, den Vorgaben des Kinder- und Jugendplans zur Stärkung der
Identität von jugendlichen Menschen und den Erkenntnissen, die die Bundesregierung noch in der Drucksache
16/8022 vertreten hat, nämlich dass Homosexualität einer Therapie nicht bedarf und auch nicht zugänglich ist?
Sie protegieren hier indirekt eine Organisation, deren
Hauptgründungszweck die Propagierung von Konversionstherapien für Homosexuelle war und ist. Haben Sie
sich diese Organisation inzwischen einmal angesehen
und deren Inhalt geprüft? Was ist Ihre Beurteilung des
Inhalts?
Herr Abgeordneter, ich habe Ihnen zur Einschätzung
von Homosexualität mehrfach die Meinung der Bundesregierung dargelegt, die der überwältigenden Auffassung
in den zuständigen Wissenschaften seit über 20 Jahren
entspricht. Ich sage Ihnen auch, dass es nicht richtig ist,
dass die Bundesregierung bis in die Einzelheiten einer
Großveranstaltung hinein überprüft, welche Auffassungen dort von Einzelanbietern vertreten werden. Das ist
Aufgabe des großen Trägers, der bundeszentralen Einrichtung, der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend. Ich denke, nur so kann man in einem pluralen
Staat miteinander umgehen. Wir können nicht von jedem
Anbieter verlangen, dass er exakt die Meinung vertritt,
die auch von der Bundesregierung mehrheitlich vertreten
wird.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 56 und 57 werden schriftlich beantwortet.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der FDP und DIE
LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts zum Mindestlohn für Briefdienste
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Heinrich Leonhard Kolb für die FDP-Fraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ein Blick in den Kalender zeigt: Wir befinden uns noch
im Winter. Stellen Sie sich also bitte die folgende Situation vor: Eine Gruppe von Spaziergängern ist unterwegs.
Sie kommen an ein Gewässer. Es ist mit Eis bedeckt. Es
ist unklar, ob das Eis trägt. Angefeuert durch einen aus
der Gruppe, der behauptet, sich auszukennen, betritt die
Gruppe das Eis. Doch schon nach wenigen Schritten
knackt es kräftig, laut und unüberhörbar. Ein großer Riss
im Eis tut sich auf.
({0})
Der von Selbstzweifeln nicht geplagte Anführer rät,
weiterzugehen. Begründung: Im letzten Winter hat das
Eis auch gehalten. Andere aus der Gruppe empfehlen,
man möge sich erst einmal flach aufs Eis legen und abwarten, ob Tauwetter komme oder nicht.
({1})
Jeder vernünftig denkende und handelnde Mensch in
diesem Lande würde in einer solchen Lage ruhig, aber
entschlossen umkehren und versuchen, so schnell wie irgend möglich wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen.
({2})
Genau das ist die Situation, über die wir hier heute reden. Der Bundesarbeitsminister hat die Koalition bei den
Postmindestlöhnen auf trügerisches Eis geführt. Das
Verwaltungsgericht Berlin hat es kräftig knacken lassen.
Die Union wirft sich aus Angst, einzubrechen, flach und
bäuchlings auf die eisige Fläche.
({3})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
insbesondere der Union: Wenn Sie wieder festen Boden
unter die Füße bekommen wollen, gibt es nur eines:
Runter vom Eis! Ich fordere Sie namens der FDP-Bundestagsfraktion auf: Setzen Sie die Verordnung zum
Postmindestlohn außer Kraft!
({4})
Denn bis zur endgültigen und rechtskräftigen Entscheidung schafft die vom Verwaltungsgericht verworfene
Regelung unumkehrbare Fakten.
Eine Unternehmungsbefragung, Herr Kollege Steppuhn,
im Auftrag des Wirtschaftsministeriums zu der Frage,
wie viele Arbeitsplätze durch die Einführung eines Postmindestlohns verloren gehen, hat folgendes Ergebnis gebracht: 30 Prozent der 113 befragten Unternehmen erklärten, dass sie seit der Einführung des Mindestlohns
bereits Stellen abgebaut haben. 53 Prozent der befragten
Unternehmen gaben an, dass sie in den nächsten zwölf
Monaten mit einem Stellenabbau rechnen. Insgesamt
sind von einem tatsächlichen oder geplanten Stellenabbau rund 1 800 Arbeitsplätze betroffen, also jeder zehnte
Arbeitsplatz. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Koalition, sind 1 800 gute Gründe, dem Mindest15810
lohnspuk bei den Postdienstleistungen ein sofortiges
Ende zu bereiten,
({5})
ein Mindestlohnspuk, bei dem es in Wahrheit um nichts
anderes geht, als nach der Öffnung des Marktes für Postdienstleistungen das Monopol der Deutschen Post mit
neuen Mitteln dauerhaft zu sichern.
({6})
Das Aufräumen beginnt also damit, dass in dem Fall,
über den das Verwaltungsgericht geurteilt hat, Konsequenzen gezogen werden. Die beanstandete Verordnung
muss aufgehoben werden. Es genügt mir und den um ihren Arbeitsplatz fürchtenden Mitarbeitern, zum Beispiel
bei der PIN AG, insoweit nicht, wenn der sozialpolitische Sprecher der CDU/CSU, Ralf Brauksiepe,
({7})
in einem Anfall koalitionären Großmuts zwar sagt, dass
das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes Konsequenzen für die laufenden Gesetzesprojekte der Koalition haben müsse - das sicher auch, Herr Brauksiepe -,
er aber im Übrigen den Bundesarbeitsminister in seiner
trotzigen Haltung nach dem Urteil zum Postmindestlohn
eher noch unterstützt.
({8})
Das, Herr Brauksiepe, war schon eine bemerkenswerte
Pirouette, die Sie heute Morgen im Frühstücksfernsehen
gedreht haben. Aber das Drehen von Pirouetten auf brüchigem Eis birgt die große Gefahr, sich selbst zu versenken. Das sollten Sie immer bedenken.
({9})
Keinesfalls darf die Koalition, um zum eingangs geprägten Bild zurückzukehren, in die als falsch erkannte
Richtung weitergehen und sich noch weiter hinaus aufs
brüchige Eis wagen. Auch für die Zeitarbeitsbranche
gelten die Feststellungen des Gerichts, dass über das
Entsendegesetz bestehende Tarifverträge nicht ausgehebelt werden dürfen. Dies gilt umso mehr, als es dort eine
fast hundertprozentige Tarifbindung gibt.
Die geplante Ausweitung des Entsendegesetzes und
auch die Novellierung des Gesetzes über Mindestarbeitsbedingungen müssen, wenn sie schon nicht gänzlich gestoppt werden, was an sich richtig wäre, mindestens bis
zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bei den
Postdienstleistungen auf Eis gelegt werden, und zwar
deshalb, weil es erklärte Absicht des Bundesarbeitsministers ist, auch in Branchen mit gültigen Tarifverträgen
hineinzuwirken und zwischen den Tarifpartnern vereinbarte Löhne zu überschreiben.
({10})
Das darf nicht sein.
({11})
Ich fordere daher die Union auf, die Linie des Gerichts nun auch politisch aufzunehmen. Mindestlöhne
sind Gift für den Wettbewerb, Mindestlöhne vernichten
Arbeitsplätze, Mindestlöhne gefährden die Tarifautonomie.
({12})
Die Väter unseres Grundgesetzes haben mit gutem
Grund festgelegt, dass der Staat sich aus der Lohnfindung heraushalten muss. Dabei muss es bleiben.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist ein Sieg der
Vernunft über die Ideologie. Dafür war und ist es allerhöchste Zeit. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union,
ist Ihnen, um im anfänglichen Bild zu bleiben, für den
Rückweg vom Eis sozusagen ein Steg gezimmert worden. Sie sollten nicht zögern, diesen Weg zu gehen.
({13})
Das Wort hat der Kollege Dr. Ralf Brauksiepe für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Kompliment, Herr Kolb! Karnevalistisch war das völlig
okay. Jetzt sollten wir gleichwohl zur eigentlichen Sachfrage kommen.
Wir haben es mit einem nicht rechtskräftigen Urteil
zu tun, das zu respektieren ist. Ich warne vor irgendeiner
Form von Urteilsschelte oder auch Spekulationen darüber, wie sich dieses Verfahren weiterentwickelt. Es
gibt schon seit dem 10. März 2004 ein ähnlich lautendes
Urteil eines Oberverwaltungsgerichts. Wir werden sehen, wie die Sache vor Gericht weitergeht.
Wir müssen zwei Dinge unterscheiden. Zum einen
haben wir, sozusagen auf die Vergangenheit bezogen, einen laufenden Rechtsstreit zu einem abgeschlossenen
Gesetzgebungs- und Verordnungsverfahren. Der Abschluss dieses Verfahrens ist ja die Voraussetzung für einen Rechtsstreit; denn es kann keine Klage gegen einen
Referentenentwurf geben. Wir haben zur Kenntnis zu
nehmen, dass das Gericht den Vertrag, den die vom ehemaligen Sozialminister von Kurt Beck initiierte Gewerkschaft mit einem Arbeitgeberverband geschlossen hat,
als Tarifvertrag gewertet hat,
({0})
anders als der Tenor in der Anhörung des federführenden
Ausschusses war. Wir haben auch zur Kenntnis zu nehmen, dass nach Meinung des Gerichts die Mindestlohnverordnung nur Nichttarifgebundene binden darf. Für
Tarifungebundene ist das im Übrigen unbestritten.
Schon von daher wäre eine Aussetzung dieser RechtsDr. Ralf Brauksiepe
verordnung gar nicht geboten, weil sie unstrittig ja auch
diejenigen bindet, die über keine Tarifbindung verfügen.
Deswegen erkläre ich ganz deutlich für die CDU/
CSU-Fraktion: Es ist völlig in Ordnung, dass der Bundesarbeitsminister nun für die Bundesrepublik Deutschland in Berufung geht, nachdem die Bundesrepublik
Deutschland in erster Instanz verloren hat.
({1})
Dass es dadurch keine aufschiebende Wirkung für die
Rechtsverordnung gibt, ist ganz selbstverständlich. Darauf haben Volker Kauder, Ronald Pofalla und andere
schon hingewiesen. Es ist nicht zu kritisieren, dass die
Bundesregierung hier Berufung einlegt und es nun eine
Berufungsverhandlung geben wird.
Die Kläger können im Übrigen einstweiligen Rechtsschutz beantragen. Auch das wissen Sie, Herr Kolb. Ich
möchte das jetzt nicht der Fraktion Die Linke auseinanderlegen,
({2})
aber ich denke, Sie kennen den Grundsatz der Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat und wissen, dass für einstweiligen Rechtsschutz die Gerichte zuständig sind, aber
nicht der Deutsche Bundestag und nicht die Bundesregierung. Ich würde den Klägern empfehlen, diesen Weg
des einstweiligen Rechtsschutzes zu versuchen, statt sich
mit Drohungen im Hinblick auf Schadenersatzzahlungen
gegen die Bundesrepublik Deutschland zu wenden.
({3})
Von diesen Fragen im Zusammenhang mit dem abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren sind natürlich die
Fragen zu laufenden Gesetzgebungsverfahren zu trennen. Auch das Bundesarbeitsministerium geht davon
aus, dass es bis zu einem Urteil in einer Berufungsverhandlung mindestens sechs Monate dauern wird. Wir
müssen ferner davon ausgehen, dass ein solches Urteil
dann noch nicht rechtskräftig ist, weil auch dagegen die
Revision möglich ist.
Für uns ist klar: Wir halten an den Verabredungen in
der Koalition fest,
({4})
die vorsehen, dass nach dem 31. März unverzüglich mit
dem Gesetzgebungsverfahren zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz und zum Mindestarbeitsbedingungengesetz
begonnen wird. Das ist klar. Daran halten wir fest.
({5})
In dieser Zeit gilt natürlich das erstinstanzliche Urteil;
denn bis zum 31. März dieses Jahres wird kein Urteil eines Berufungsgerichts vorliegen. Selbstverständlich
kann dieses Urteil bei den laufenden und anstehenden
Gesetzesvorhaben nicht ignoriert werden.
({6})
Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass dieses Urteil und
seine Begründung in die weitere Gesetzgebung des
Deutschen Bundestages einzubeziehen sind.
({7})
Wir wollen die Tarifvertragsparteien stärken und sie
nicht ersetzen. Das ist nicht nur die Mahnung der Richter, die dieses Urteil gefällt haben, sondern das ist und
war schon immer auch die politische Überzeugung der
CDU/CSU-Fraktion. Wer wie wir tarifliche Mindestlöhne will, der muss ein Interesse daran haben, dass
möglichst viele der Beteiligten daran mitwirken, auf der
Basis freiwilliger Vereinbarungen und Verhandlungen
eine Lösung zu finden.
({8})
Die Gesetzgebung ist nicht dazu gedacht, bei Grabenkämpfen innerhalb des Arbeitgeber- oder des Gewerkschaftslagers Schiedsrichter zu sein.
({9})
Dieses Urteil mahnt uns, den Gesetzgeber, dafür zu
sorgen, dass Tarifverträge nicht außer Kraft gesetzt werden.
({10})
Deswegen muss die Botschaft lauten: Tarifpartner, rauft
euch zusammen und kommt zu gemeinsamen Lösungen!
Was die Zeitarbeit betrifft, liegen die Angebote der Tarifpartner nur 31 Cent auseinander. Es kann doch niemand ernsthaft behaupten, dass es hier keine Möglichkeiten gäbe, sich zu einigen. Wenn in bestimmten
Branchen Unfrieden herrscht, kann die Politik keinen
Frieden diktieren; auch das ist ein Ergebnis dieses Urteils.
Die Arbeit der Koalition steht nicht still. Wir legen
nicht die Hände in den Schoß und warten auf ein
höchstrichterliches Urteil.
({11})
Die Große Koalition wird ihren Beitrag zur Lösung der
Probleme im Niedriglohnsektor leisten, die CDU/CSUFraktion allemal. Das Gesetzgebungsverfahren wird wie
verabredet durchgeführt. Selbstverständlich werden dabei alle notwendigen Erkenntnisse und alle Gerichtsurteile berücksichtigt.
Herzlichen Dank.
({12})
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege
Werner Dreibus das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen! Liebe Kollegen! Herr Dr. Kolb, das, was
Sie mit klammheimlicher Freude als großen Erfolg feiern
({0})
- auch in Zeitungen hat man lesen können, dass Sie das als
Sieg der freien Marktwirtschaft bezeichnet haben -, ist
aus der Sicht unserer Fraktion nichts anderes als das Ergebnis eines sehr dreisten Betrugsversuches. Verantwortlich für den Betrug, der hier stattfindet, ist der sogenannte
Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste, geführt von Herrn Gerster, einem Sozialdemokraten, dem
ehemaligen Minister für Arbeit und Soziales in Rheinland-Pfalz und dem ehemaligen Chef der Bundesanstalt
für Arbeit.
({1})
Das Bedauerliche ist, dass diesem offensichtlichen
und dreisten Betrugsversuch auch das Berliner Verwaltungsgericht aufgesessen ist. Bekanntlich hat der Verband von Herrn Gerster im vergangenen Jahr in Köln
eine Briefkastenfirma gegründet; das ist öffentlich bekannt, und auch Sie, Herr Dr. Kolb, haben von Briefkastenfirmen geredet.
({2})
Er hat ihr den Namen Gewerkschaft der Neuen Briefund Zustelldienste gegeben, sie mit Geld ausgestattet
und die Beschäftigten von Dumpingfirmen aufgefordert,
dieser Pseudogewerkschaft beizutreten. Anschließend
hat Herr Gerster mit der von ihm initiierten Scheinorganisation, also faktisch mit sich selbst - deshalb ist es
auch Betrug -, einen Vertrag über Löhne ausgehandelt
und über diesen Vertrag das Wort Tarifvertrag geschrieben. All das sind bekannte Tatsachen.
({3})
- Diese Tatsachen müssten auch Sie zur Kenntnis genommen haben, Herr Meyer. Kürzlich wurde nämlich in
der ARD auf die zwielichtigen Machenschaften von
Gerster & Co. hingewiesen.
Weil all das bekannt ist, ist völlig unverständlich, dass
das Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt nicht berücksichtigt hat. Hätte es ihn berücksichtigt, hätte das Gericht
relativ eindeutig feststellen müssen, dass der zwischen
dem Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste
und seiner Scheingewerkschaft geschlossene Tarifvertrag null und nichtig ist
({4})
und dass somit auch alle Anträge, die dort gestellt worden sind, null und nichtig sind.
Die sogenannte Gewerkschaft der Neuen Brief- und
Zustelldienste ist keine Gewerkschaft. Deshalb kann sie
auch keine Tarifverträge abschließen. Wir reden hier
nämlich über Tarifverträge, nicht über Verträge, die Herr
Gerster mit sich selbst abschließt.
({5})
Das Skandalöse an diesem Vorgang ist die Reaktion
des Bundeswirtschaftsministers.
({6})
Kaum war das Urteil bekannt, hat Herr Glos es als einen
Sieg des Wettbewerbs gefeiert. Das heißt im Klartext:
Der Minister begrüßt das illegale Treiben von Unternehmen, deren Geschäftsmodell auf Hungerlöhnen beruht
und die bereit sind, mit rechtswidrigen Methoden das
deutsche Tarifvertragssystem zu zerstören. Das ist ein
Skandal.
({7})
Indirekt bestärkt er diese Unternehmen - das ist ein noch
größerer Skandal -, Schadensersatzforderungen an uns,
an den Staat, zu stellen und sich ihr unsoziales Treiben
damit von der Allgemeinheit bezahlen zu lassen.
({8})
Die Bundesregierung hat Herrn Glos nicht widersprochen. Es sind also Zweifel daran angebracht, dass die
Bundesregierung in ihrer Gesamtheit Ernst macht mit
dem Ziel, den Beschäftigten menschenwürdige Löhne zu
garantieren, Dumpinglöhne zu verhindern.
Eine Bemerkung sei mir noch gestattet: Wer Dumpinglöhne verhindern will, wer Barrieren gegen Hungerlöhne errichten will, der muss aufräumen mit dem Mythos - den auch Sie, Herr Dr. Kolb, mit Ihrer Eiswette
wieder zu illustrieren versucht haben -, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten würden.
({9})
Tatsächlich ist es doch so, dass Mindestlöhne dafür
sorgen, dass anständige Arbeit nicht mehr mit 3 oder 4
oder 5 Euro die Stunde entlohnt wird, sondern dass man
von anständiger Arbeit leben kann.
({10})
Die Arbeit, die von den Unternehmen erledigt wurde, die
behaupten, sie gerieten durch den Mindestlohn in
Schwierigkeiten, werden andere Unternehmen übernehmen, Herr Dr. Kolb. Kein einziger Arbeitsplatz ist vernichtet worden.
({11})
Schlechte Arbeitsplätze sind durch wesentlich bessere
Arbeitsplätze, durch gute Arbeit ersetzt worden. An der
Zahl der Arbeitsplätze ändert sich, wenn überhaupt, relativ wenig. Doch jetzt besteht wenigstens die Chance,
dass ein Teil der Menschen, die bei Wind und Wetter
- auch bei Eis - ihre Post austragen, ein bisschen mehr
Gerechtigkeit und damit ein bisschen höhere Löhne bekommen.
({12})
Aus der Sicht unserer Fraktion ist dieser Vorgang ein
weiteres Beispiel dafür, dass allein das Setzen auf Branchenlösungen das Problem von Mindestlöhnen in unserem Land nicht lösen kann.
({13})
Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn als eine
allgemeine Haltelinie für alle. Wenn in einer Branche
tatsächliche Tarifvertragsparteien - nicht Scheingewerkschaften - in freien Vereinbarungen bessere Tarifverträge abschließen, sollen diese Branchentarifverträge für
allgemein verbindlich erklärt werden. An einem gesetzlichen Mindestlohn, der möglichst wie in Frankreich bei
8,44 Euro liegt, führt jedoch kein Weg vorbei.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Franz Thönnes.
({0})
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Kollege Brauksiepe, der Beitrag des Kollegen Kolb war
gar kein so karnevalistischer Beitrag: Über Eis zu reden,
entspricht zutiefst der Kompetenz von jemandem, der
auch ansonsten in seinen sozialpolitischen Vorstellungen
eiskalt ist.
({0})
Wer hier die Tarifautonomie lobt, aber noch vor wenigen
Monaten gefordert hat, dass von Tarifverträgen abgewichen werden können soll; wer es zulassen will, dass sich
die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Dumpinglöhnen Konkurrenz machen;
({1})
wer über Armut im Alter redet, aber nicht dafür sorgen
will, dass die Menschen im Arbeitsleben ein anständiges
Einkommen haben - das doch die Voraussetzung für
eine sichere Rente ist -, der ist eiskalt, der hat Ahnung
von Eis. Das haben Sie bewiesen.
({2})
Das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts gibt uns,
auch wenn es sein mag, dass sich einige das wünschen,
keinen Anlass zur Unruhe. Die Mindestlohnverordnung
für Briefdienstleister ist weiterhin in Kraft, und wir sind
davon überzeugt, dass wir bei der Berufung für die Bestätigung unserer Rechtsauffassung sehr gute Argumente
vorbringen können.
({3})
Wir setzen unsere Arbeit am Arbeitnehmer-Entsendegesetz und am Gesetz über die Festsetzung von Mindestarbeitsbedingungen fort.
({4})
Es gibt keinen Grund, unsere Vorhaben aufzuhalten.
Das Verwaltungsgericht in Berlin hat am vergangenen
Freitag die Auffassung vertreten, dass die Mindestlohnverordnung die Kläger in ihrer Koalitionsfreiheit und
Berufsausübungsfreiheit verletzt. Eine schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor.
({5})
Erst dann kann konkret ausgewertet werden, warum das
Gericht zu diesem Urteil gekommen ist.
Eines ist allerdings schon jetzt offensichtlich: Die
Entscheidung des Verwaltungsgerichts widerspricht der
Rechtsprechung oberster Bundesgerichte. Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes sind
die Klagen gar nicht zulässig, weil zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Klägern kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis besteht.
Das Bundesarbeitsgericht hat inhaltlich bislang stets
die Einführung von branchenbezogenen Mindestlöhnen
auf der Grundlage von Tarifverträgen für zulässig erklärt. Es hat ausdrücklich bestätigt, dass Mindestlöhne
nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz zwingende
Mindeststandards für die gesamte Branche setzen können. Ebenso wurde klargestellt, dass von solchen Mindeststandards weder durch Arbeitsvertrag noch durch
Tarifvertrag nach unten abgewichen werden kann, und
zwar weder von einem deutschen Arbeitgeber noch von
einem ausländischen Arbeitgeber, der Arbeitnehmer
nach Deutschland entsendet.
Wir haben sofort Berufung gegen das Urteil eingelegt. Auf die Mindestlohnverordnung hat die Entschei15814
dung keine unmittelbaren Auswirkungen. Sie bleibt weiterhin in Kraft.
({6})
Wir wollen unseren Weg branchenspezifischer Mindestlöhne weitergehen.
({7})
Erlauben Sie mir - auch zur Erinnerung - einige
grundsätzliche Bemerkungen. Die Koalition hat sich im
Sommer 2007 auf ein Konzept für branchenbezogene
Mindestlöhne auf der Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder des Mindestarbeitsbedingungsgesetzes
verständigt. Für alle standen dabei tarifvertragliche Lösungen im Vordergrund. Der Gesetzgeber hält sich
zurück, während Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften die für eine Branche angemessenen Arbeitsbedingungen aushandeln. Die gewerkschaftliche Organisation und Verhandlungsstärke stellen dabei sicher, dass
Arbeitnehmerinteressen bei der Lohnfindung ausreichend Berücksichtigung finden.
Wer jetzt fordert, der Staat solle die zu erstreckenden
Tarifverträge auf ihre inhaltliche Angemessenheit kontrollieren, fordert eine Tarifzensur. Das lehnen wir ab.
({8})
Unterbietende Tarifverträge können im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes keine Wirkung entfalten. Sonst würde der Grundgedanke des Gesetzes, einheitliche Mindeststandards zu setzen, nicht
zum Tragen kommen.
Auch in der Briefdienstleistungsbranche ist die Koalition den Weg der Branchenlösung zur Sicherung angemessener Löhne gegangen. Der Deutsche Bundestag hat
daher im letzten Jahr die Erweiterung des ArbeitnehmerEntsendegesetz auf diese Branche beschlossen und den
Weg für die Festsetzung eines tariflichen Branchenmindestlohnes freigemacht. Er hat sich dabei auch mit der
Rechtsverordnung und dem zugrunde liegenden Tarifvertrag befasst.
Dieses Parlament kannte den Posttarifvertrag und
wollte, dass er für allgemein verbindlich erklärt wird.
Die Entscheidung für einen solchen Mindestlohn bringt
es zwingend mit sich, dass ein Wettbewerb zu darunter
liegenden Löhnen ausgeschlossen ist. Dies gilt es nun zu
verteidigen, auch in zweiter Instanz.
Zu dem Zwischenruf: Ich halte es für keine besonders
pfiffige Geschäftsidee, Unternehmen auf Lohnzahlungen
aufzubauen, die auch auf Zahlungen der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler als ergänzendem fehlenden Lohnbestandteil basieren.
({9})
Wer sich vorschnell über das Urteil freut, der sollte
sich auch der möglichen Konsequenzen bewusst sein,
die vielen nicht gefallen dürften.
Wir haben in der Koalition vereinbart, branchenspezifische Mindestlöhne zu ermöglichen, um einen Lohndumpingwettbewerb zu verhindern. Wenn dieser Weg
nicht mehr gangbar wäre, dann bliebe als einzige Alternative, doch noch das politische Ziel dieser Koalition zu
erreichen, ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn.
({10})
Dass einer der Koalitionspartner an einer solchen Regelung kein Interesse hat, ist allseits bekannt. Deswegen ist
es nur konsequent, dass sich auch der Vorstand der
CDU/CSU hinter die Berufung gestellt hat, die wir am
Freitag eingelegt haben. Trotzdem sage ich an dieser
Stelle schönen Dank dafür.
Alle im Parlament müssen wissen: Das Urteil des
Verwaltungsgerichts Berlin wird keine unmittelbaren
Auswirkungen auf die Umsetzung des Koalitionsbeschlusses zum Mindestlohn haben.
Am Freitag ist die Frist zur Stellungnahme zu den
Entwürfen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und des
Mindestarbeitsbedingungsgesetzes abgelaufen. Wir werden die Anmerkungen jetzt auswerten und die Ressortabstimmung fortsetzen. Dabei muss allen klar sein, dass
die Vereinbarungen der Koalition aus dem vergangenen
Jahr nicht verhandelbar sind. Allen muss ebenso klar
sein, dass wir diese Vorhaben weiter voranbringen werden, und zwar im Interesse aller Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer. Damit ist auch klar: Mindestlohnfragen
sind keine Winterfragen und keine Sommerfragen, sondern Ganzjahresfragen; denn die Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer in diesem Land wollen für gute Arbeit
über das Jahr auch einen guten Lohn haben.
({11})
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Brigitte Pothmer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Kolb, die FDP ist doch auf der Suche nach neuen Koalitionspartnern. Das kann man allenthalben lesen und hören.
({0})
Ich kann Ihnen nur sagen: Mit Ihrer bockbeinigen Politik
zum Mindestlohn und Ihrer Sozialpolitik des kalten Herzens wird das nicht einfacher. Hier müssen Sie sich
schon ein bisschen bewegen; das kann ich Ihnen nur raten.
Die Union ist in Sachen Mindestlohn tief gespalten.
Herr Brauksiepe, darüber kann auch Ihre Rede nicht hinBrigitte Pothmer
wegtäuschen. Sie versuchen, falsche Tatsachen vorzuspiegeln. Das lässt sich bei der Lektüre der Pressemitteilungen eindeutig verfolgen. Die CDU-Spitze und Frau
Merkel haben sich, wenn auch verhalten, hinter den
Postmindestlohn gestellt. Das hat Herrn Glos wahrlich
nicht besonders beeindruckt. Auch Herr Meyer hat sich
als Repräsentant des Wirtschaftsflügels dadurch nicht
den Mund verbieten lassen. Herr Glos hat dieses Urteil
als einen Sieg gegen den Mindestlohn gefeiert. Daher
kann man nicht darüber hinwegsehen, dass es in dieser
Frage in der CDU keine gemeinsame Linie gibt. Ganz
offensichtlich sind die Koalitionsabsprachen das Papier
nicht wert, auf dem sie stehen.
({1})
Bei der Auseinandersetzung, die jetzt geführt wird,
geht es in Wahrheit gar nicht um das Berliner Urteil.
Dieses Urteil wird instrumentalisiert. Herr Brauksiepe,
sagen Sie einmal ehrlich, warum in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren ein Urteil einbezogen werden soll,
das höchst fragwürdig und nicht rechtskräftig ist. Welche
Vorstellungen haben Sie denn von Gesetzgebungsverfahren?
({2})
In Wirklichkeit geht es um eine fundamental unterschiedliche Bewertung des Themas Mindestlohn. Es
geht nicht um irgendeine tarifliche Festlegung, sondern
grundsätzlich um die Frage des Sozialstaatsverständnisses.
Wenn der Wirtschaftsaufschwung, wie es derzeit der
Fall ist, bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
nicht ankommt, wenn die Gewinnausschüttung bei den
30 DAX-Unternehmen in diesem Jahr um 20 Prozent auf
28 Milliarden Euro angestiegen ist und wenn gleichzeitig die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Reallohnverluste in Höhe von 1,2 Prozent zu verzeichnen haben,
dann kann man sich hier nicht hinstellen und sagen:
Beim Mindestlohn braucht die Regierung nicht tätig zu
werden.
({3})
Bei den 1,2 Prozent Reallohnverlust handelt es sich um
einen Durchschnittswert. Die unteren Einkommen haben
überproportional verloren. Herr Kolb, nichtsdestotrotz
stellen Sie sich hier hin und reden gegen einen Mindestlohn.
({4})
- Entschuldigung, in vielen europäischen Ländern ist es
bewiesen, dass ein Mindestlohn die Probleme löst sowie
zusätzliche und bessere Arbeitsplätze schafft.
({5})
Ein Mindestlohn ist eine Art Unterpfand dafür, dass
die Gesellschaft es mit dem Sozialstaatsgebot und der
sozialen Gerechtigkeit ernst meint. Das dürfen wir nicht
aufs Spiel setzen.
Die Große Koalition hat dieses große Gerechtigkeitsthema an den Rand des Abgrundes bugsiert; das muss
man einfach feststellen.
({6})
Sie hat sich in dieser Sache durch ihr Gezänk, durch falsche Zusagen, die nicht eingehalten worden sind, und
durch eine grundsätzliche Unfähigkeit zur Einigung disqualifiziert.
({7})
Ich kündige Ihnen deshalb an, dass wir diese Verschleppungstaktik nicht weiter mitmachen werden.
Wenn Sie nicht subito diese Gesetzentwürfe selber einbringen, dann werden wir es an Ihrer Stelle tun
({8})
und im parlamentarischen Verfahren herausfinden, ob es
Probleme gibt.
({9})
Diese Probleme werden dann identifiziert und, wenn nötig, ausgeräumt werden. Anschließend werden wir hier
im Bundestag sehen, wo die parlamentarischen Mehrheiten in Sachen Mindestlohn zu finden sind.
({10})
Dann kommt es zum Schwur über das Wohl und Wehe
der sozialen Marktwirtschaft. Die Union brüstet sich immer damit, quasi Geburtshelfer der sozialen Marktwirtschaft gewesen zu sein. Ich sage Ihnen eines: Derzeit
gebärden Sie sich mehr als Totengräber der sozialen
Marktwirtschaft. Ludwig Erhard, der arme Knabe,
würde sich im Grabe umdrehen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Gerald
Weiß das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Kollegen! Frau Pothmer ist eine ernst zu nehmende Diskussionsteilnehmerin. Deshalb verdient sie
noch etwas Aufklärung. Dies gilt für die FDP allemal,
Herr Dr. Kolb. Sie haben gesagt, Herr Dr. Brauksiepe
habe ein nicht rechtskräftiges Urteil instrumentalisiert.
Er hat selbst davon gesprochen, dass es nicht rechtskräftig sei. Urteilsschelte ist jetzt nicht angezeigt, auch nicht
Spekulationen oder ein früher und falscher Triumph.
({0})
Der Mindestlohn für Briefdienste bleibt intakt. Alle
früheren Verordnungen auf Basis des ersten Mindestlohngesetzes, das es in Deutschland gab, des Blümschen
von 1995, dem auch die Partei von Herrn Dr. Kolb zugestimmt hat
({1})
- Sie nicht, aber Ihre Partei -, bleiben in Kraft. Aber
Brauksiepe hat doch recht, wenn er sagt: Wenn das Urteil jetzt eine Wirkung haben kann, dann ist es die: Im
Hinblick auf die jetzt in Arbeit befindlichen Gesetze
zum Mindestlohn - das Arbeitnehmer-Entsendegesetz
auf der einen und das Mindestarbeitsbedingungengesetz
auf der anderen Seite - muss es das Signal geben, dass
wir glasklare, eindeutige und rechtlich unzweifelhaft belastbare Normen schaffen.
Daraus ist eine gewisse Folgerung für die Gesetzgebungsarbeit ganz in dem Sinne zu ziehen, wie es die Koalition beschlossen hat: Sie hat beschlossen, dass wir für
alle nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz künftig
fixierten Mindestlöhne zweifelsfrei klären, dass sie für
Tarifverträge von Ausländern wie von Inländern gelten.
Wäre dies infrage gestellt - ich mache einmal dieses Gedankenspiel -, könnten wir uns die gesamte Gesetzgebung im Zusammenhang mit dem Entsendegesetz schenken. Dann wären wir nicht bei der Problemlösung,
sondern beim Kern des Problems, weil wir ruinöse Dumpinglöhne und schmutzigen Wettbewerb in Deutschland
nicht beherrschen könnten.
({2})
Aber dafür sind die Entsenderichtlinie und das Entsendegesetz doch gemacht.
Jetzt werden wir ein novelliertes und modernisiertes
Entsendegesetz gestalten. Wenn Tarifverträge Vorfahrt
vor den Festlegungen nach dem Entsendegesetz und vor
dem Mindestlohn hätten, dann kämen morgen ein rumänischer Tarifvertrag, übermorgen ein tschechischer und
überübermorgen ein polnischer zum Zuge. Wir hätten
dann genau das, was wir nicht wollen: Dumpinglohnwettbewerb in Deutschland. Das wollen wir verhindern.
({3})
Wir geben eine differenzierte Antwort auf ein differenziertes Problem. Wir wollen den Mindestlohn nicht
über die ganze Volkswirtschaft spannen. Die Chemie
braucht ihn nicht, der Maschinenbau und die Pharmazie
auch nicht. Aber es gibt arbeits- und wettbewerbsintensive Dienstleistungsbranchen, in denen die Balance verrutscht ist und in denen nicht zuletzt die Politik Bedingungen gesetzt hat, die dazu geführt haben, dass es heute
im Grunde genommen kein Machtgleichgewicht mehr
zwischen denen gibt, die die Verhandlungen auf dem Arbeitsmarkt führen.
Da muss der Staat ordnend eingreifen. Ich füge hinzu:
Wir wollen die Wettbewerbsordnung gestalten, nicht den
Wettbewerb beschränken. Wir wollen einen fairen Wettbewerb herstellen, aber wir wollen ihn nicht zerstören.
Herr Dr. Kolb, wir wollen Beschäftigung stabilisieren.
Lesen Sie einmal die angloamerikanische Literatur genau zu diesem Problem. Wir wollen Arbeitsplätze nicht
gefährden, sondern Beschäftigung stabilisieren, weil
zum Beispiel die deutschen Handwerksbetriebe gefährdet wären, wenn wir die Entwicklung so weiterlaufen
ließen wie bisher.
({4})
Wir wollen die freie Lohnfindung durch die Tarifparteien nicht durch Maßnahmen des Staates ersetzen. Wir
wollen ihr gerade wieder Geltung verschaffen, die Tarifautonomie also nicht schwächen, sondern sie stärken.
Das ist angesagt, und deshalb legen wir diese beiden Gesetzentwürfe vor.
Herzlichen Dank.
({5})
Für die FDP-Fraktion hat nun die Kollegin Gudrun
Kopp das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Herren und
Damen! Nach den durchweg sozialdemokratischen Rednern aus den Koalitionsfraktionen
({0})
wird es Zeit, den Blick genau auf das Problem zu lenken.
Es kommt nämlich nicht darauf an, größte Wohltaten zu
verteilen, sondern darauf, zu sagen, was eigentlich eiskalt ist.
({1})
Wir als FDP-Bundestagsfraktion empfinden es als eiskalt, dass es Ihnen egal ist, wenn bei den Wettbewerbern
der Deutschen Post AG 1 800 Arbeitsplätze konkret in
Gefahr sind.
({2})
Nehmen Sie einfach einmal zur Kenntnis, dass der
Durchschnittsmindestlohn in Europa bei etwa 3,50 Euro
liegt.
({3})
Dabei gibt es flexible Arbeitsmarktregeln. Aber das soll
für uns doch überhaupt kein Maßstab sein;
({4})
wir möchten vielmehr ein auskömmliches Mindesteinkommen,
({5})
aber keine Mindestlöhne, weil wir davon überzeugt sind,
dass Mindestlöhne marktwirtschaftlich maximaler Unsinn sind, weil sie Arbeitsplätze kosten.
({6})
Wir werden nicht müde zu betonen, dass endlich der
wirtschaftliche Sachverstand Einzug halten sollte.
Ich fand schon interessant zu lesen, was Bundeswirtschaftsminister Glos gesagt hat
({7})
- er wurde eben schon einmal zitiert -, als das Urteil bekannt wurde. Er hat nicht nur gesagt, das sei ein Sieg für
den Wettbewerb, sondern er hat auch gesagt, das Urteil
zeige, dass Mauscheleien vor Gericht keinen Bestand
hätten. Ich kann Ihnen nur sagen: An diesen Mauscheleien und an der Wettbewerbsverhinderungspolitik war
die Union entscheidend beteiligt. Jetzt schlägt sie sich in
die Büsche
({8})
und versucht, darzustellen, dass einige nicht daran beteiligt waren. Mit Blick auf die Deutsche Post AG ist dieser
weltweit höchste Mindestlohn von 9,80 Euro Ausdruck
einer reinen Günstlingswirtschaft.
({9})
Es handelt sich um eine reine Sicherung des Postmonopols. Das kann nicht das Anliegen von uns allen hier im
Deutschen Bundestag sein.
({10})
Ich will Ihnen kurz darstellen, dass die PIN Group für
das Jahr 2008 mit Mehrkosten von 35 bis 45 Millionen
Euro wegen dieses Postmindestlohns rechnet. Sie wissen,
dass die 120 Einzelgesellschaften mit ihren 11 000 Mitarbeitern ums Überleben am Markt ringen und kaum einen Fuß auf die Erde bekommen.
Überhaupt noch keine Rolle gespielt hat am heutigen
Tag ein weiterer Vorteil, den der Monopolist Deutsche
Post AG hat: Das ist die Mehrwertsteuerbefreiung.
({11})
Das ist ein weiterer Faktor, der wettbewerbsverzerrend
wirkt, und zwar in großem Stil.
({12})
Sie müssen bedenken, dass Banken, öffentliche und private Körperschaften - Kommunen, Stiftungen und Kirchen - sowie Privatverbraucher nicht vorsteuerabzugberechtigt sind; sie machen 50 Prozent des gesamten
Briefaufkommens aus. Das bedeutet für den Staat einen
großen Steuerausfall.
({13})
Die FDP-Bundestagsfraktion hat die Bundesregierung gefragt, wie hoch dieser Steuerausfall zu beziffern
sei. Es wäre doch interessant, zu wissen, wie hoch die
Steuereinnahmen sind, auf die der Staat zugunsten der
Deutschen Post AG verzichtet.
({14})
Unser Finanzexperte Dr. Hermann Otto Solms hat zur
Antwort bekommen, dass die Bundesregierung darauf
keine Antwort geben könne, weil das dem Steuergeheimnis unterliege.
({15})
Das finde ich sehr interessant: Die Bundesregierung bemüßigt sich nicht einmal, diese wichtige Frage zu beantworten.
({16})
Es gibt aber ein WIK-Gutachten, das die Summe des
Steuerausfalls mit 500 Millionen Euro beziffert. Ich
finde, das ist eine Größenordnung, die nicht zu vernachlässigen ist.
({17})
- 500 Millionen Euro pro Jahr.
({18})
Deshalb fordern wir Sie auf, das Mindestlohndiktat zu
beenden.
({19})
Wir fordern Sie auf, den Mitbewerbern am Postmarkt
eine Chance zu geben, sich mit ihren Beschäftigten überhaupt auf dem Markt zu positionieren; das geht nur ohne
den Monopolschutz, den Sie mit dem Postmindestlohn
erwirkt haben. Wenden Sie von diesen Unternehmen
Schaden ab! Wischen Sie nicht deren Klagen vom Tisch!
Sehen Sie vor allem bei diesem Urteil von einer Berufung ab! Sorgen Sie dafür, dass der Wettbewerb eine
Chance hat!
({20})
- Das Gelächter zeigt natürlich, dass es bis auf die Fraktion der FDP keine Fraktion im Deutschen Bundestag
gibt, die überhaupt noch weiß, was soziale Marktwirtschaft und Wettbewerb bedeuten.
({21})
Kollegin Kopp, kommen Sie bitte zum Schluss.
Vielen Dank.
({0})
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Andrea
Nahles das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Es ist wirklich erschreckend, dass die FDP die
Zeichen des Klimawandels heute wieder massiv falsch
einschätzt;
({0})
denn keinesfalls bewegt sich die Große Koalition mit ihren Plänen für einen Mindestlohn auf dünnem Eis, sondern das tun die Gegner der Mindestlohnregelung. Man
muss sich nur die Headlines der Wirtschaftsteile in den
Zeitungen der Republik anschauen:
({1})
Berliner Handwerker fürchten Lohndumping Zwei Drittel der Betriebe sprechen sich für gesetzliche Untergrenzen aus.
Im Handelsblatt steht:
Die meisten Top-Manager aber lässt das Thema
kalt. Vier von fünf Führungskräften sagen: Gesetzliche Lohnuntergrenzen haben keine Konsequenzen
für Unternehmen.
({2})
Ja, wo ist denn das Tauwetter, von dem Sie reden? Offensichtlich herrscht bei den Gegnern der Mindestlohnregelung Tauwetter. Ihre Angstmache im Hinblick auf
einen möglichen Arbeitsplatzverlust ist völlig unangebracht. Die Arbeitgeber selber wollen in Wirklichkeit
faire Wettbewerbsregeln. Das ist Fakt.
({3})
Ich freue mich, dass wir in der Großen Koalition
Marktwirtschaft, Wettbewerb und Mindestlohn zusammenbringen. Wir haben das schon im letzten Sommer
getan. Im Originaltext der Koalitionsvereinbarung heißt
es:
Die Gewährleistung einer fairen und angemessenen
Bezahlung ist ein Gebot der Menschenwürde, aber
auch der wirtschaftlichen Vernunft.
Genau dieses Argument scheint mittlerweile Urstände zu
feiern.
Ich möchte auf ein zweites Argument von Ihnen eingehen, das sich auf die Regelungen bezieht, die vom Gericht kritisiert wurden; es liegt zwar kein rechtsgültiges
Urteil vor, aber man muss sich - da gebe ich Gerald
Weiß vollkommen recht - natürlich damit beschäftigen.
Bereits heute dürfen tarifliche Mindestlöhne, die für allgemeinverbindlich erklärt wurden, nicht durch andere
Tarifvereinbarungen unterboten werden. Genau das
muss auch in Zukunft gelten. Das ist vom BAG in Urteilen mehrfach bestätigt worden.
Wir reden darüber, was wir in die Novelle zum Entsendegesetz hineinpacken sollen. Es kann nicht sein,
dass am Ende darin steht: Es gilt immer nur der Tarifvertrag mit dem niedrigsten Lohnniveau. - Es müssen Kriterien vereinbart werden, die einen repräsentativen Tarifvertrag markieren. Ein repräsentativer Tarifvertrag ist
dann der, der für allgemeinverbindlich erklärt wird.
Genau das ist übrigens auch die Vereinbarung in der
Großen Koalition. Deswegen warne ich an dieser Stelle
Voreilige, durch ein nicht rechtsgültiges Gerichtsurteil
motiviert, im Nachhinein Vereinbarungen über einen so
zentralen Punkt infrage zu stellen. Das kann es nicht geben.
({4})
Die Gründe dafür, dass wir Mindestlohnregelungen
vorschlagen - das ist für mich zentral -, sind nicht von
der Hand zu weisen. Wir haben mittlerweile 4,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland, die weniger als 7,50 Euro in
der Stunde verdienen. Viele von ihnen müssen, obwohl
sie vollschichtig arbeiten, zusätzlich Arbeitslosengeld II
beantragen.
Wer Arbeitslosengeld II einsparen will, dem biete ich
eine gute Möglichkeit. Die Quersubvention von Dumpinglöhnen kostet uns 1,5 Milliarden Euro. Diese
Summe können wir leicht einsparen, wenn wir in der
Bundesrepublik Mindestlöhne durchsetzen. Genau das
werden wir als weiteres Ziel verfolgen.
({5})
Ich denke, dass dies auch im Interesse der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in unserem Land ist.
Insoweit kann ich nur sagen - das ist vielleicht die
wichtigste Botschaft, auch für die Menschen, die uns
draußen zuhören -: Es handelt sich um ein nicht rechtsgültiges Urteil. Es gibt gute Gründe, die uns Hoffnung
geben, dass es als nicht rechtsgültig bestätigt wird.
({6})
Deswegen gilt unsere Linie weiterhin, und wir müssen
die folgende Botschaft ganz klar vermitteln: Es bleibt
beim Postmindestlohn, und es werden weitere Branchen
folgen.
Vielen Dank.
({7})
Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Dagmar Enkelmann das Wort.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie gestatten, dass ich bei diesem Stand der Debatte doch ein
kurzes Fazit ziehe:
Erstens. Das Urteil des Verwaltungsgerichts macht
sehr deutlich, dass der Weg über das Entsendegesetz
nicht der glücklichste Weg ist und dass es auf keinen Fall
der alleinige Weg sein kann.
({0})
Zweitens. Ich habe mit großem Erstaunen Ihre Reden,
Kollege Weiß und Kollege Brauksiepe, zur Kenntnis genommen. Ich kann mich noch an ganz andere Reden von
Ihnen erinnern. Sie haben offenkundig dazugelernt. Es
ist ja auch gar nicht schlecht, dazuzulernen. Sozialdemokratisch, Frau Kopp, war das allerdings noch lange nicht.
Dafür muss wahrscheinlich noch ein bisschen mehr getan werden.
({1})
Drittens. Der Arbeitsminister - das sollte man so
deutlich sagen, Kolleginnen und Kollegen von der
SPD - befindet sich auf dem Holzweg, wenn er glaubt,
damit in der Bundesrepublik flächendeckend existenzsichernde Löhne durchsetzen zu können. Das ist genau
nicht der Weg. Dazu brauchen wir einen gesetzlich garantierten Mindestlohn.
({2})
Den schaffen wir auf dem von ihm vorgesehenen Weg
nicht.
Ich will auf ein paar Fakten aufmerksam machen.
6,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten zu
Niedriglöhnen. 2,5 Millionen Menschen in Deutschland
haben ein Einkommen, das um 50 Prozent unter dem
Durchschnittslohn liegt - 2,5 Millionen! Seit 1995 ist die
Zahl dieser Menschen um 43 Prozent gestiegen. Es ist
also ein gravierender Lohnverfall zu verzeichnen. Es
gibt eine gravierende Zunahme der Zahl von Menschen,
die unter unwürdigen Arbeitsbedingungen tätig sind.
({3})
- Ach, hören Sie damit doch einmal auf! Das ist langsam
abgegriffen.
({4})
Es ist auch eine Tatsache, dass es sich dabei in der
Mehrheit nicht um Menschen handelt, die keine Berufsausbildung haben. 60 Prozent derer, die zu Niedriglöhnen arbeiten, haben eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ein Problem dabei ist auch: Wenn man einmal im
Niedriglohnbereich ist, kommt man nur sehr schwer
wieder heraus. Deshalb ist darüber zu reden: Was bedeutet das in der Konsequenz zum Beispiel für die Alterssicherung der Betroffenen?
Eines macht diese Debatte aber auch deutlich: In diesem Haus gibt es sehr wohl eine politische Mehrheit,
nämlich eine politische Mehrheit für einen gesetzlich garantierten Mindestlohn.
({5})
Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, gebt
endlich eure Blockadehaltung auf! Sorgt im Interesse der
Betroffenen endlich dafür, dass wir gemeinsam die politische Mehrheit, die es hier gibt, auch in Politik umsetzen!
({6})
Die Linke hat Ihnen inzwischen dreimal Vorschläge
vorgelegt. Die haben Sie tapfer abgelehnt. Wenn Sie es
wirklich ernst mit einer ernsthaften Auseinandersetzung
mit der Linken meinen, dann sollten Sie endlich damit
anfangen. Der Mindestlohn ist ein Thema, das wir gern
dafür wählen. Unterschriftenkampagnen im Wahlkampf
sind kein Ersatz für Politik, schon gar nicht für verlässliche und seriöse Politik. Politik wird hier in diesem Bundestag gemacht und nicht auf den Marktplätzen.
({7})
- Wir werden uns garantiert wieder sprechen. Ich freue
mich sehr auf die Auseinandersetzung im nächsten
Wahlkampf. Erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern
in diesem Land doch einmal, warum das, was in 20 EUStaaten geht, nämlich die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns, ausgerechnet in Deutschland nicht geht.
({8})
- Sie wissen sehr wohl, dass das nicht stimmt. Ich kann
Ihnen gern die Liste zeigen.
({9})
Es ist also eine Mär, dass Arbeitsplätze vernichtet werden. Das haben andere europäische Staaten bewiesen. Es
gibt unter anderem von Verdi Berechnungen, dass im
Gegenteil sogar Arbeitsplätze geschaffen werden können. Verdi geht von etwa 70 000 Arbeitsplätzen aus, die
so geschaffen werden könnten.
Die Linke fordert einen dualen Mindestlohn. Das ist
von meinem Kollegen schon erklärt worden. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist die Untergrenze. Dort, wo in anderen Branchen tatsächlich höhere Mindestlöhne vereinbart
wurden, sind diese gesetzlich zu sanktionieren. Wir wollen eine stufenweise Einführung. Wir wollen zeitlich befristete begleitende Maßnahmen, insbesondere für kleine
und mittelständische Unternehmen. Analog zu Großbritannien wollen wir einen Mindestlohnrat, der sich aus
Vertretern der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der
Arbeitgeber und der Gewerkschaften zusammensetzt.
Dieser Rat soll Empfehlungen für die Entwicklung des
Mindestlohns und für eine jährliche Anpassung des Mindestlohns abgeben.
In Sachen Mindestlohn ist es längst fünf nach zwölf.
Handeln Sie! Von Arbeit muss man leben können. Ich
denke, das ist sehr zeitgemäß.
Danke.
({10})
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Paul
Lehrieder das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die letzten Wochen haben uns - was
Koalitionsmöglichkeiten und Ampeln aller Farbkombinationen angeht - ziemlich abgehärtet.
({0})
Aber dass Linke und Liberale in trauter Zweisamkeit
eine Aktuelle Stunde beantragen, ist eine Variante mit
Fantasie.
({1})
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,
machen Sie sich trotzdem keine Hoffnungen. FDP und
Linke sind aus gutem Grund im Plenum weit voneinander getrennt;
({2})
und natürlich nicht nur hier, sondern auch inhaltlich.
Danke, Herr Kolb, Sie kennen meine Rede. Die Linke
will den Mindestlohn für alle und jeden zu überhöhten
Preisen. Die Liberalen halten ihn für Teufelszeug. In der
Mitte die Grünen, dir uns vorwerfen, wir hätten bis jetzt
noch nichts Vernünftiges zustande gebracht. Liebe Frau
Pothmer, Sie haben sieben Jahre mitregiert. Sie haben in
diesen sieben Jahren keinen einzigen Mindestlohn eingeführt.
({3})
Alle Mindestlöhne in Deutschland sind unter Mitwirkung der Union zustande gekommen. Ob man darauf
stolz ist oder das zum Teil bedauert, muss jeder selbst sehen.
({4})
Meine Damen und Herren, beides ist nicht realitätstauglich. Echte Politik muss gestalten und auch lernen
können. Das zeigt sich gerade an der Mindestlohndebatte
und auch an der Entscheidung des Verwaltungsgerichts
Berlin zum Post-Mindestlohn. Das Bundesministerium
für Arbeit hat gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts
Berlin Berufung eingelegt. Auch wenn die Entscheidung
des Verwaltungsgerichts möglicherweise am Ende keinen
Bestand haben sollte, so können auf diese Weise auch im
Sinne der Tarifautonomie Fragestellungen geklärt werden, die bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden
sind.
Frau Pothmer, im Gegensatz zu Ihnen bin ich der
Auffassung, dass die Erwägungen in einem Rechtsverfahren - in einem Verfahren der Gerichte - sehr wohl
auch für uns zur Aufklärung beitragen können und dass
man diese Erwägungen mitberücksichtigen sollte.
Schauen wir uns das Urteil und seine bereits bekannten Gründe zunächst in Ruhe an: Laut Entsendegesetz
werden von einem für allgemeinverbindlich erklärten
Tarifvertrag grundsätzlich nur jene Arbeitnehmer und
Arbeitgeber erfasst, die unter diesen Tarifvertrag fallen
oder nicht anderweitig tariflich gebunden sind.
Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kannte das Problem der konkurrierenden Gewerkschaften noch nicht.
Tarifkonkurrenz war damals noch kein Thema. Der Entwurf zur Änderung des Entsendegesetzes sieht nunmehr
nach dem sogenannten Repräsentationsprinzip vor, denjenigen Tarifvertrag für allgemein verbindlich zu erklären, der die meisten Arbeitnehmer organisiert. Große
Gewerkschaften würden so allerdings begünstigt, kleinere an die Wand gedrängt. Hier ist sorgfältig zu prüfen,
ob dies mit der Tarifautonomie und insbesondere mit
Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes noch vereinbar ist, werden doch autonom getroffene Vereinbarungen zwischen
Tarifparteien durch derartige Bestimmungen überlagert
und ausgehebelt.
Eine abschließende und grundsätzliche Klärung dieser Fragen halte ich deshalb für dringend erforderlich.
Auf dieser Grundlage können dann von der Politik neue
Schlüsse gezogen werden.
Der neue Entwurf zum Entsendegesetz ist zwar auf
einem guten Weg. Da er sich aber noch in der Abstimmung zwischen den Ministerien befindet, ist er natürlich
auch noch verbesserungsfähig.
({5})
Ich bin deshalb sicher, dass alles getan werden wird, mit
der jetzigen Situation vergleichbare rechtliche Komplikationen, etwa bei der Einbeziehung der Zeitarbeit, zu
vermeiden. Sicherlich müssen wir auch hier eine Lösung
für das Problem der Tarifkonkurrenz finden. Das wird
uns das Verfahren mit Sicherheit als Hausaufgabe mitgeben, dass wir dieses Problem vernünftig lösen, bevor wir
weitere Branchen ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz einbeziehen.
Das ändert aber am Sinn des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und an der Aushandlung tariflicher Mindestlöhne nichts.
({6})
Für die Union haben der Schutz der Tarifautonomie und
fairer Wettbewerb Vorrang vor staatlicher Lohnfestsetzung. Es ist auch unser Ziel, mit dem bisherigen Vorgehen in Bezug auf tarifliche Mindestlohnvereinbarungen
die Tarifpartner zu stärken. Wir wollen sie nicht ersetzen.
Herr Dreibus, da Sie hier vorhin einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verlangt haben, weise ich
darauf hin, dass vor wenigen Stunden hier im Rahmen
der Fragestunde Ihre Kollegen Alexander Ulrich und
Diether Dehm die Tarifautonomie im Fall der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unter anderem zu
den Fällen Viking und Vaxholm reklamiert haben.
({7})
Das heißt, auf der einen Seite verlangen Sie Tarifautonomie; auf der anderen Seite sagen Sie, die Tarifvertragsparteien könnten das nicht regeln, wir als Gesetzgeber
müssten das machen. Das passt nicht zusammen.
({8})
Meine Damen und Herren, wir fühlen uns der Tarifautonomie verpflichtet. Wir müssen gründlich prüfen, ob
die Bedingungen für tarifliche Mindestlöhne tatsächlich
erfüllt sind. Dazu gehört zunächst das Kriterium, nach
dem mindestens 50 Prozent der Beschäftigten von der Tarifregelung abgedeckt sein müssen. Ich lege ausdrücklich
Wert auf die Feststellung, dass es hier um tariflich vereinbarte Löhne und nicht um einen vom Bundesgesetzgeber
oder von einer wie auch immer gearteten Kommission
festzulegenden flächendeckenden Lohn geht.
Wenn Sie immer das Beispiel Frankreich bringen,
müssen Sie auch berücksichtigen: In Frankreich ist der
flächendeckende gesetzliche Mindestlohn mit 8,44 Euro
nur deshalb von allen Unternehmen zu zahlen, weil der
Staat den Unternehmen immerhin circa 20 Milliarden
Euro zuschießen kann, sodass zu diesen Konditionen
auch geringfügig Qualifizierte eingestellt werden können. Auch das sollte man den Leuten ehrlicherweise sagen.
Wir müssen im Blick behalten, dass das Instrument
Arbeitnehmer-Entsendegesetz einerseits der sozialen
Absicherung von Arbeitnehmern und andererseits der
Erhaltung von Arbeitsplätzen dienen soll. Lassen Sie uns
deshalb in der Großen Koalition mit allem Sachverstand
vernünftig daran weiterarbeiten, bevor wir Schnellschüsse machen, die wir vielleicht bereuen.
Herzlichen Dank.
({9})
Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Josip
Juratovic das Wort.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir bitte, jenen, die
über das Gerichtsurteil zum Mindestlohn jubeln, ein paar
Aspekte zum Nachdenken zu geben.
Zunächst eine Feststellung: Niedriglöhne schaden in
vielerlei Hinsicht unserer Volkswirtschaft. Niedriglöhne
schwächen den Wettbewerb, da ordentliche, innovative
Betriebe durch Lohndumping unterboten werden und damit gutbezahlte Arbeitsplätze wegfallen. Diese guten
Betriebe können damit bis in die Insolvenz getrieben
werden, weil sie mit den Billiglohnbetrieben nicht mithalten können. Andererseits sind in Billiglohnbetrieben
die Fachkräfte so demotiviert, dass die Qualität nachlässt
und somit wiederum auch diese Betriebe Aufträge verlieren. Solch ein Wettbewerb, der nicht auf Innovation,
sondern auf Unterbieten und Lohndumping baut, hemmt
unsere Wirtschaft und den Fortschritt.
({0})
Die Zukunft unserer Wirtschaft darf nicht durch billig, sondern muss durch günstig bestimmt werden,
durch Innovation, Organisation, Geschäftssinn und Qualität durch zufriedene Arbeitnehmer. Konkurrenzfähigkeit durch Hungerlöhne ist kein Zeichen von Geschäftstüchtigkeit, sondern von massiver Ausbeutung.
Ja, es gibt ein paar Arbeitgeber, die die Meinung vertreten, dass ein gesetzlicher Mindestlohn zu Beschäftigungseinbrüchen führen würde. Diese Befürchtung
teilen nicht nur kleine Betriebe, sondern auch einige
Großunternehmen. Einige haben ihre Konkurrenzfähigkeit unter anderem durch eine Mischkalkulation gesichert, der wiederum Dumpinglöhne bei Zulieferern zugrunde liegen. Doch diese Befürchtung ist unbegründet.
Der gesetzliche Mindestlohn trifft alle gleich, und außerdem steigt durch einen Mindestlohn die Kaufkraft. Gerade im Niedriglohnbereich fließt jeder Euro direkt in
den Konsum. Dies stärkt den ohnehin schwachen Binnenmarkt.
({1})
Es wurde schon erwähnt: Die meisten Handwerker
haben bereits erkannt, dass ein Mindestlohn für sie Vorteile bringt. Im kommenden Jahr soll der deutsche Arbeitsmarkt für die Arbeitnehmer aus den neuen EU-Mitgliedstaaten in Mittel- und Osteuropa geöffnet werden.
Nur die Einführung allgemein verbindlicher Mindestlöhne kann verhindern, dass die Arbeitnehmer aus diesen Ländern für extrem niedrige Löhne bei uns arbeiten.
({2})
In Großbritannien dürfen bereits heute Arbeitnehmer
aus diesen neuen EU-Ländern arbeiten. Großbritannien
hat, wie die meisten anderen EU-Staaten, einen Mindestlohn eingeführt. Die Mindestlohnkommission in Großbritannien beschreibt in ihrem letzten Bericht, dass der
Mindestlohn eine Erfolgsstory ist. Durch Mindestlöhne
werden weder Arbeitsplatzabbau noch Arbeitsplatzflucht begründet. Wohin soll denn der Arbeitsplatz des
Friseurs, der Floristin oder der Bedienung im Restaurant
verlagert werden? Es geht doch hauptsächlich um
Dienstleistungen, die in unserem Land, vor unserer
Haustür, erbracht werden.
Mindestlohn bedeutet auch mehr Einkommen und somit bessere Leistungen unserer maroden Sozialversicherungssysteme. Gerade die Rentner müssen zum wiederholten Male um ihre Rentenerhöhung bangen, weil die
Lohnzuwächse durch Niedriglöhne zu gering ausfallen
werden und die Rentenerhöhung von durchschnittlichen
Lohnzuwächsen abhängig ist.
Nicht zuletzt hat der Mindestlohn auch etwas mit der
Menschenwürde zu tun. Der Lohn ist nicht nur Wertschätzung der geleisteten Arbeit, sondern er ist auch mit
Wertschätzung für die Menschen verbunden. Womit verdient ein Manager das Hundertfache des Lohns eines
Facharbeiters?
Gerade im Niedriglohnbereich ist die Situation niederschmetternd. Über 1 Million Menschen in Deutschland gehen täglich zur Arbeit, schuften Stunde um
Stunde in einem Vollzeitjob und müssen am Ende des
Monats zum Sozialamt. Sie müssen trotz anständiger Arbeit betteln, um ihre Familien über die Runden zu bringen. So etwas darf nicht sein. Woher soll die Motivation
dieser Arbeitnehmer für ihre Arbeit kommen, vor allem
dann, wenn sie feststellen müssen, dass sie über Sozialleistungen mehr Geld als durch Arbeit erhalten? Dies ist
beschämend für unser Land.
Es ist Zynismus pur, die Armut von 2,6 Millionen
Kindern zu beklagen, Steuergelder für die Leidminderung auszugeben und gleichzeitig ihre Eltern für einen
Hungerlohn arbeiten zu lassen.
({3})
Deshalb ist es in unserem Land höchste Zeit, zu begreifen, dass der Mindestlohn keine Gefahr, sondern Ausdruck von Fairness und eine Chance für unsere Volkswirtschaft ist.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({4})
Das Wort hat der Kollege Laurenz Meyer für die
Unionsfraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Thönnes, ich
möchte zuerst Sie ansprechen und Folgendes klarstellen:
Auch in der Unionsfraktion ist unbestritten, dass wir auf
der Basis von Meseberg und auf der Basis der Koalitionsvereinbarungen die Dinge umsetzen werden.
({0})
Das ist, wie gesagt, unstrittig; das werden wir gemeinsam tun. Dies wird allerdings nicht - auch das ist klar auf der Basis der Entwürfe, die Sie bisher vorgelegt haben, geschehen.
({1})
Ich finde die nassforsche Art Ihres Vortrags nicht
ganz passend. Mir tut es als Mitglied einer Fraktion, die
die Regierung stützt, schon weh, wenn der Arbeitsminister bei seinem ersten großen Projekt zu schnell und überhastet agiert, statt zu prüfen, welche Situation sich auf
der Basis eines neuen Tarifvertrages ergibt.
({2})
Das Parlament konnte dies nicht tun; denn er lag bei der
Verabschiedung des Gesetzes noch nicht vor. Vor der
Verordnung, die Sie erlassen haben, hätten Sie aber die
Punkte, die jetzt beklagt werden, prüfen müssen.
({3})
Sie haben überhastet gehandelt. Jetzt dürfen Sie nicht so
tun, als sei nichts gewesen.
({4})
Ich als Abgeordneter einer Regierungskoalition finde
es nicht schön, dass einer unserer Minister vom Gericht
bescheinigt bekommt, dass der Post-Mindestlohn nicht
rechtmäßig ist.
Der Postsektor ist übrigens ein ganz besonderer Bereich. Wir reden von sozialer Marktwirtschaft, wir reden
von Managergehältern und wir reden von Liechtenstein.
Aber wir reden nicht davon, dass das sozialpolitische
Argument für die Einführung eines Mindestlohns zum
Teil von Unternehmern missbraucht wird, um Wettbewerb zu verhindern und unsere soziale Marktwirtschaft
auszuhebeln.
({5})
Es ist besonders pikant, dass bei der Post zwei von drei
Faktoren, die ich eben genannt habe - Liechtenstein und
Laurenz Meyer ({6})
die Verhinderung des Wettbewerbs -, zusammenkommen.
Wenn in der Öffentlichkeit Tarifvertragsparteien in
Zweifel gezogen werden - dies geschieht im Hinblick
auf die Rechtsposition der von den Postwettbewerbern
neu gegründeten Gewerkschaft -, dann kann man darüber durchaus diskutieren. Aber ich würde die Rechtsposition des Arbeitgeberverbandes Postdienste genauso
in Zweifel ziehen. Das ist ein Arbeitgeberverband, der
ausschließlich dazu da ist, die Monopolsituation der Post
und ihrer Anhängsel zu unterstützen.
({7})
Wenn sich die Gerichte die Tariffähigkeit ansehen,
dann sollten sie sich das Vorgehen auf allen Seiten anschauen. Ich halte es für pervers, dass ein Monopolunternehmen einen eigenen Arbeitgeberverband gründet und
daraufhin die Konkurrenten ihre eigene Gewerkschaft
gründen. Ich habe das hier schon einmal vorgetragen
und bitte das Arbeitsministerium, das mit einzubeziehen.
Es ist klar geworden - das will ich wiederholen -: Wir
werden unsere Hand nicht dazu reichen, existierende Tarifverträge per Gesetzgebung zu brechen. Das ist doch
die Position, die wir hier einnehmen. Sie ist anhand des
jetzt vorliegenden Gerichtsurteils zu überdenken.
Ich stelle fest: Wir sind für die Regelung in Bezug auf
Mindestlöhne, so wie wir sie verabredet haben, um
Dumpinglöhne und soziale Verwerfungen zu verhindern,
die insbesondere durch Druck aus dem Ausland entstehen und zum Teil auch im Inland existieren. Aber das
Entsendegesetz ist kein Mittel für Wettbewerbsregulierungen im Inland, sondern ein Mittel, um Dumpinglöhne
von Unternehmen aus dem Ausland zu verhindern; das
muss hier klipp und klar gesagt werden.
({8})
Frau Nahles, Sie haben gesagt - ich fand es toll, dass
Sie das vorgetragen haben -: Vier von fünf Unternehmern und Arbeitgebern haben keine Angst vor Mindestlöhnen. - Dazu passt das Märchen, das gerade vorgetragen worden ist, dass in Deutschland flächendeckend zu
niedrige Löhne bzw. Hungerlöhne gezahlt würden. Das
ist ein Ammenmärchen,
({9})
wie uns die Bundesagentur für Arbeit in einem Gutachten gezeigt hat. Ganze 60 000 alleinstehende Vollbeschäftigte wären von dieser Mindestlohnregelung, von
einem Mindestlohn von 7,50 Euro, betroffen.
({10})
Das sollte man einmal klarziehen. Alle anderen kommen
nicht aus dem ALG-II-Bezug heraus. Vier von fünf Arbeitgebern haben aber deshalb keine Angst vor Mindestlöhnen, weil sie ordentliche Löhne zahlen.
({11})
Sonst wären wir auch nicht eines der teuersten Länder
auf der Welt. Das muss man doch klar sagen, und das haben wir auch immer gesagt.
({12})
Was mir nicht gefallen hat - dies ist mein Resümee -,
ist: Keine Rolle haben in dieser Debatte die Beschäftigten der Post-Konkurrenten gespielt,
({13})
die jetzt möglicherweise alle arbeitslos sind. Keine Rolle
haben - übrigens auch bei der Linken nicht - die Unternehmen in Sachsen gespielt, die gerade gestern Konkurs
haben anmelden müssen. Keine Rolle haben die Verbraucher gespielt, die anschließend höhere Preise zu
zahlen haben. Keine Rolle haben diejenigen gespielt, die
durch den Wettbewerb ausgehebelt werden sollen.
Deswegen sage ich ganz klar: Auch in diesem Fall
- Herr Thönnes, bitte richten Sie das Ihrem Herrn Minister aus - hat er aus meiner Sicht zu schnell reagiert. Er
hätte sich erst einmal das Urteil durchlesen und es ordentlich prüfen sollen, damit er nicht wieder einen Fehler macht. Es muss doch möglich sein - ich trage hier
meine persönliche Meinung vor -, für die Zeit bis zu einer endgültigen gerichtlichen Klärung mit einem Mindestlohn der Konkurrenten von 7,50 Euro - nicht mit
Hungerlöhnen - die bestehenden Arbeitsplätze zu erhalten
({14})
und zu verhindern, dass noch mehr Unternehmen kaputtgehen.
Daher bitte ich die Bundesregierung, das vorliegende
Urteil genau zu prüfen und sich zu überlegen, ob es nicht
Möglichkeiten gibt, weitere Konkurse in dieser Branche
zu verhindern, bis die Gerichte dann endgültig entscheiden. Für die anstehenden Beratungen über das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsbedingungengesetz kann
ich nur klipp und klar sagen: Hier geht auf alle Fälle
Sorgfalt vor Schnelligkeit. So etwas darf uns nicht wieder passieren.
({15})
Das Wort hat die Kollegin Anette Kramme für die
SPD-Fraktion.
({0})
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Herr Kolb, ich bin mir sicher, dass Sie
grundsätzlich für Fachlichkeit in der Debatte sind, wenngleich das, was Sie sich heute geleistet haben, schlichtweg ein Kolbenfresser war.
({0})
Ich bin grundsätzlich auch der Auffassung, dass Herr
Laurenz Meyer sorgfältig Politik betreibt.
({1})
Zwar ist manche Debatte, die wir im Bundestag führen, kurios, aber die Debatte, die wir heute führen, ist
schlichtweg nur skurril. Wie viele Abgeordnete haben an
der neunstündigen Verhandlung des Berliner Verwaltungsgerichts teilgenommen? Wie viele Abgeordnete haben die mündliche Urteilsbegründung vernommen? Eine
schriftliche Urteilsbegründung existiert bislang nicht.
Die Pressemitteilungen sind dürftig und inhaltslos.
({2})
Wir führen im Moment eine Debatte über ein Urteil,
gegen das Berufung eingelegt worden ist.
({3})
Wissen Sie, welchen Stellenwert dieses Urteil damit hat?
Es hat den Stellenwert einer juristischen Meinungsäußerung - nicht mehr. Sie alle kennen den Spruch über
Juristen, der immer wieder vorgetragen wird: Zwei Juristen, drei Meinungen.
({4})
Ich weiß, dass ich mich damit ein klein wenig spöttisch
über meinen eigenen Berufsstand äußere.
({5})
An diesem Spruch ist aber durchaus etwas Wahres dran.
({6})
Was wir heute erleben, ist das Aufbauen eines Popanzes durch die Besserwisser und Marktradikalen einiger
Fraktionen. Ich habe mir wenigstens die Mühe gemacht,
mit den Prozessbeobachtern und den Prozessbeteiligten
zu sprechen. An diesem Urteil ist eines in keinerlei
Weise verständlich: Im Prozess ist darüber gestritten
worden, ob die Rechtsverordnung über den Mindestlohn
den Tarifvertrag zwischen der Gewerkschaft der Neuen
Brief- und Zustelldienste
({7})
und dem Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste verdrängen kann. Ohne einen wirksamen Tarifvertrag zwischen dieser neuen Gewerkschaft und diesem
neuen Arbeitgeberverband erledigt sich jede weitere
Rechtsdiskussion.
({8})
Mir kann niemand erzählen, dass diese Pseudogewerkschaft tatsächlich tariffähig ist.
Herr Meyer, Sie verneinen eine jahrzehntelange
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Diese Gewerkschaft hat 1 300 Mitglieder. Darüber lacht jeder Tarifpolitiker und jeder Arbeitsrechtler.
({9})
Wir haben Anhaltspunkte für eine Arbeitgeberfinanzierung. Der Bericht der Sendung Frontal 21 war da sehr
eindeutig.
({10})
Konsequenterweise hätte das Verfahren durch das Berliner Verwaltungsgericht ausgesetzt und im Hinblick auf
die Tariffähigkeit der Tarifpartner an die Arbeitsgerichtsbarkeit überwiesen werden müssen.
({11})
Verlassen wir die rechtliche Ebene:
({12})
Der Ausgang dieses Verfahrens ist an und für sich völlig
egal. Unter Juristen besteht nämlich Einigkeit: Wo ein
Wille ist, da ist auch ein juristischer Weg. Wir erleben
das bei vielen Tricksereien. Hier geht es aber um ein ehrliches Anliegen. Viele Leute mit vielen Interessen haben
von Anfang an versucht, die Einführung eines Mindestlohns für die Briefzusteller zu verhindern.
({13})
Mondzahlen sind aus dem Hut gezaubert worden. Es
wurde gegackert und gekräht, und letztlich schlüpfte
eine Pseudogewerkschaft aus dem Ei.
Aber die Vernunft siegte. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit, auch mit den Stimmen der CDU/CSU, den
richtigen Beschluss gefasst.
({14})
Der Beschluss lautet: Liberalisierung nur mit Mindestlöhnen; Marktöffnung ja, aber nicht für Schmutzkonkurrenz; Wettbewerb ja, aber nicht über Dumpinglöhne. Das
war die allgemeine Überzeugung, auch die der Kollegen
der Union, die jetzt wieder den Kopf in den Sand stecken
wollen.
Herr Laurenz Meyer, eigentlich muss es Ihnen doch
wehtun, dass Sie sich in einer solchen Minderheitenposition, in einer solchen Isolation in Ihrer Fraktion befinden. Ich stelle mit Verwunderung fest, dass Sie in letzter
Konsequenz sehr wohl die gemeinsamen Beschlüsse dieser Koalition infrage stellen.
({15})
Wir wollen eine zügige Umsetzung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Wir wollen eine zügige Umsetzung des Mindestarbeitsbedingungengesetzes. Es ist
Zeit, die Zeitarbeitsbranche hierin aufzunehmen. Wir
wollen keine menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen.
Kollegin Kramme, kommen Sie bitte zum Schluss.
({0})
Ich bin beim letzten Satz. - Ich sage zuallerletzt: Es
ist verheerend, wenn der Staat über Arbeitslosengeld II
Lohndumping mitfinanzieren soll.
({0})
Es ist Zeit für Mindestlöhne, und das in großer Menge
und in großem Umfang.
In dem Sinne, herzlichen Dank.
({1})
Das Wort hat der Kollege Klaus Barthel für die SPDFraktion.
({0})
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte zum Schluss noch etwas zum Postsektor selber sagen. Denn jetzt sind einige Schlaumeier unterwegs,
({0})
die versuchen, der Öffentlichkeit weiszumachen, es
herrschte im Postbereich wieder wie früher Wildwest
und man könne wieder wie früher versuchen, Lohn- und
Sozialdumping zu betreiben. Aber ich stelle fest: Die
Rechtslage ist unverändert, und es gibt Mindestarbeitsbedingungen im Postsektor. Ich werde das im Folgenden
begründen.
Ich möchte zunächst einmal aus dem Grußwort des
Bundeswirtschaftsministers an die Bundesnetzagentur
zu ihrem zehnjährigen Jubiläum am 28. Februar, also vor
knapp zwei Wochen, zitieren:
Nun, nach dem Ende der Exklusivlizenz, wird die
Herausforderung für die Bundesnetzagentur eher
noch zunehmen: Sie wird mit Aufmerksamkeit dafür sorgen müssen, dass chancengleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.
Vielleicht kann Herr Schauerte als Vertreter des Ministeriums einmal weitergeben, was die Bundeskanzlerin
zur Definition dieser chancengleichen Wettbewerbsbedingungen ebenfalls aus Anlass dieses zehnjährigen Jubiläums der Bundesnetzagentur gesagt hat. Ich zitiere:
ich hoffe natürlich auf gute Zusammenarbeit über die Frage des Mindestlohns. Manch einer hatte
sich gar nicht mehr erinnert, dass sich eine der letzten Schlachten in der Bundesregierung damals bei
der Post-Privatisierung
- da war die FDP auch noch in der Regierungsverantwortung darauf bezog, dass die Postdienstleistungen ganz
erhebliche Lohnanteile haben. Damals wurde von
der Mehrheit des Bundesrates, gestellt durch die
Sozialdemokraten, gefordert, dass kein unvergleichbarer Wettbewerb aus der Frage des Lohns
entstehen darf.
Ähnlich hat sie sich auch beim Arbeitgebertag geäußert.
All das mündete in das bis heute unveränderte Postgesetz ein, wonach eine Lizenz dann zu versagen und gegebenenfalls zu widerrufen ist, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass Antragsteller die wesentlichen
Arbeitsbedingungen, die im lizenzierten Bereich üblich
sind, nicht unerheblich unterschreiten. Damals war die
FDP, wie gesagt, noch dabei.
Jetzt ist auch hinreichend geklärt, was in Bezug auf
Löhne chancengleicher Wettbewerb ist. Wir haben nämlich dafür gesorgt, dass das definiert wird. Die Bundesnetzagentur hat die üblichen Arbeitsbedingungen untersucht und Ende Januar einen Abschlussbericht mit Stand
31. Dezember 2007 dazu vorgelegt. Einmal alles zusammenrechnet, kommt sie im Durchschnitt der Arbeitnehmer im Postsektor auf einen Stundenlohn von mindestens 11,86 Euro. Eine wesentliche Abweichung wären
mehr als 10 Prozent. Also liegt die Lohnuntergrenze gemäß Postgesetz bei 10,67 Euro. Selbst dann ist immer
noch genügend Platz für Wettbewerb, weil die Deutsche
Post AG durchschnittlich fast 3 Euro mehr pro Stunde
zahlt. Deswegen stelle ich fest - Urteil hin oder her -:
Erstens. Der Tarifvertrag der neuen Postwettbewerber
ist rechtswidrig zustande gekommen, weil die neue Gewerkschaft keine Gewerkschaft ist. Sie war zum Zeitpunkt des Tarifvertragsabschlusses nicht einmal im Vereinsregister eingetragen. Schon bevor ein Tarifvertrag
unterzeichnet worden ist, hat der Arbeitgeberverband
verkündet, wie dieser Tarifvertrag aussieht, dass nämlich
Löhne in Höhe von 7,50 Euro und 6,50 Euro Bestandteil
sind. Erst dann hat er verhandelt und unterschrieben.
Was ist das für eine Gewerkschaft, die sich auf so etwas
einlässt, auf Verhandlungen, deren Ergebnis die Arbeitgeber vorher veröffentlichen? Deswegen gibt es jetzt ja
auch die Strafanzeige.
Zweitens ist der Tarifvertrag rechtswidrig, weil er die
branchenüblichen Arbeitsbedingungen mit Löhnen von
7,50 Euro und 6,50 Euro wesentlich, also um mehr als
10 Prozent, unterschreitet.
Drittens ist die Begründung für diesen Tarifvertrag, es
handele sich um höherwertige Dienstleistungen, die
nichts mit dem sonstigen Postsektor zu tun haben, völlig
absurd. Abgesehen davon, dass sowohl das Postgesetz
als auch der Mindestlohn, den wir beschlossen haben,
für den Postbereich insgesamt gelten, ist es doch völlig
absurd, zu behaupten, höherwertige Dienstleistungen
seien mit der Hälfte der Löhne zu bestreiten. Das ist
doch wohl absolut grotesk.
Also liegt der Ball jetzt bei der Bundesnetzagentur.
Daraus folgt ganz klar: Lizenzentzug für alle, die diesen
rechtswidrigen Tarifvertrag der GNBZ anwenden. Auch
Herr Glos ist nicht nur der Koalition politisch verpflichtet, sondern er hat gemäß seinem Amtseid die Gesetze
des Bundes zu achten. Anstatt jetzt von Mauscheleien zu
faseln, sollte er die Bundesnetzagentur anweisen, das
geltende Recht sowohl im Hinblick auf die Mindestarbeitsbedingungen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz als auch in Bezug auf das Postgesetz durchzusetzen.
Letzte Bemerkung: Der Postsektor ist und bleibt also
vom Eise befreit; bald sind es die Zeitarbeitsbranche und
viele andere Branchen auch noch.
({1})
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 13. März 2008,
10.30 Uhr, ein.
Ich wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen und sicherlich auch angenehmen Tag.
Die Sitzung ist geschlossen.